Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/26/1972

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Berichterstatter einige Bemerkungen zum Einzelplan 02. Obwohl wesentliche, wenn Sie so wollen, strukturelle Verbesserungen und Veränderungen für den Bundestag in den Haushaltsjahren, die hinter uns liegen, verabschiedet worden sind, möchte ich sagen, daß wir uns auch diesmal im Haushaltsausschuß bemüht haben, die Arbeitsmöglichkeiten in diesem Hause für uns verbessern zu helfen. Das sehen Sie einmal, meine Damen und Herren, an der Erhöhung der Entgelte für Mitarbeiter der Abgeordneten. Niemand in diesem Hause könnte sich vorstellen, daß die Arbeit ohne unsere persönlichen Mitarbeiter geleistet werden könnte. Um die Besoldung der Mitarbeiter an die allgemeine Entwicklung der Gehälter anzupassen, haben Ältestenrat und Haushaltsauschuß Ihnen vorgeschlagen, daß die Aufwendungen für Mitarbeiter monatlich bis zu 2030 DM betragen dürfen, zuzüglich eines Weihnachtsgeldes von 1353 DM. Daß die äußeren Arbeitsbedingungen in diesem Bereich für uns nicht optimal sind, ist bei der Beratung dieses Haushalts von vielen Kollegen während der Aussprache im Haushaltsausschuß wieder häufig beklagt worden. Wir glauben nicht, daß z. B. das Hochhaus alle damals in die Arbeitsmöglichkeiten gesetzten Erwartungen der Kollegen hier erfüllt. ({0}) Um hier eine kleine Erleichterung zu schaffen, haben wir einen Titel neu ausgebracht, der den Geschäftsbedarf für die Büros der Abgeordneten verbessern helfen soll. Ich mache Sie bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß manche kleinen Teile jetzt auch von der Verwaltung des Bundestages für Ihre Arbeit in den Büros zur Verfügung gestellt werden. Der Titel für die Parlamentsdrucksachen ist gegenüber dem Vorjahr um ca. 1 200 000 DM höher. Neben Kostensteigerungen, die auch hier eingetreten sind, ist hier vor allem der Fleiß des Hauses sichtbar geworden. Unter Titel 512 03 - Informationsmaterial für Abgeordnete - finden Sie eine Erhöhung um 56 000 DM auf 177 000 DM gegenüber einem Ist von 121 000 DM im Jahre 1970. Hier wird Informationsmaterial für uns erstellt, um eine möglichst umfassende Information der Arbeit in diesem Hause und der Abgeordneten untereinander zu gewährleisten. Titel 515 04 ist neu. Was für Büromaterial gilt, gilt auch für die Ausstattung der Büros der Abgeordneten, um ein möglichst rationelles Arbeiten z. B. mit der Anschaffung von Tonbandgeräten, Stenoretten usw. zur Aufnahme von Gesprächen und Briefen, die nicht unmittelbar abdiktiert werden können, zu gewährleisten. Im Titel 531 02 werden wieder 1 Million DM bereitgestellt, die zur Deckung der Kosten für Besuchergruppen dieses Hauses ausgegeben werden. Auf Seite 28 der Drucksache VI/3351 finden Sie eine neue Position, und zwar Besucherbetreuung Reichstag Berlin. Wir haben hier 800 000 DM ausgeworfen, um die Betreuung der Besuchergruppen im fertiggestellFranke ({1}) ten Reichstagsgebäude in Verbindung mit einer historischen Ausstellung aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr der Reichsgründung finanzieren zu helfen. Alle Fraktionen, meine Damen und Herren, waren sich im Ältestenrat und im Haushaltsausschuß darin einig, diese hervorragende informative Ausstellung im Reichstagsgebäude zu erhalten. ({2}) Sie gibt den Besuchern eine außerordentlich gute, wenn auch geraffte Einführung in die jüngere Geschichte unseres Volkes. Sie zeigt dem aufmerksamen Betrachter die fehlerhaften und guten Entwicklungszeiträume unseres Volkes. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir haben allen Anlaß, gerade in Berlin mit einer solchen historischen Ausstellung über die jüngere Geschichte unseres Volkes aufzuwarten. ({3}) Wenn dieses Parlament insgesamt - und nicht nur Teile dieses Parlaments - seine Kontrollfunktion richtig ausüben soll, ist es notwendig, den Fraktionen die dafür notwendigen Leistungen an die Hand zu geben. Deshalb haben wir im Ältestenrat und im Haushaltsausschuß beantragt, die Zuweisungen an die Fraktionen von 17,4 Millionen DM auf 19,5 Millionen DM zu erhöhen, um, wie gesagt, der Kontrollfunktion dieses Parlaments auch die rechte Ausstattung zu geben. Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu einem etwas heiklen Punkt. Auf Seite 34 ist unter der Überschrift „Ausgaben für Investitionen" in Tit. 712 05 eine Position ausgeworfen, die in etwa so umschrieben ist, daß neue Räume für Abgeordnete und für den Geschäftsbedarf des Hauses erstellt werden müssen. Ich gestehe ganz offen, das ist ein etwas ärgerlicher Punkt. Sowohl Ältestenrat wie auch Haushaltsausschuß haben sich über diese Frage unterhalten. Im Grunde genommen handelt es sich darum, neben dem Hochhaus ein erweitertes und ein neues Verwaltungsgebäude zu errichten. Diese Gebäude sollen künftig in der Lage sein, die vielen Verwaltungsstellen und Bediensteten, aber auch die Abgeordneten des Hochhauses aufzunehmen. Warum, meine Damen und Herren? In den letzten Tagen war in der Presse zu lesen, daß die Sicherheitseinrichtungen des neuen Hochhauses nicht ausreichen. Ich will das hier nicht dramatisieren. Aber in dem von mir in einer Besprechung erbetenen Gutachten eines Branddirektors - nicht aus Bonn - ist festgestellt worden, daß die Feuerschutzeinrichtungen dieses Hauses nicht ausreichen, einen sicheren Abtransport der gefährdeten Personen im Notfall zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier feststellen, was ich auch schon im Ältestenrat und im Haushaltsausschuß gesagt habe. Wenn das so ist, müssen selbstverständlich die Erbauer dieses Hauses, aber auch die Planer dieses Hauses noch einmal an ihre Pflicht, die sie dann nach meiner Auffassung versäumt haben, erinnert werden. ({4}) Wenn wir für 50 bis 60 Millionen DM ein Hochhaus erstellen, welches Funktionen des Parlaments und der Verwaltung übernehmen soll, mit seinen Einrichtungen aber die Anforderungen nicht erfüllt, muß das Parlament prüfen, ob hier richtig vorgegangen worden ist - um das einmal sanft zu umschreiben. Aber diese Position muß ausgeworfen werden, um auf alle Fälle in naher Zukunft die Sicherheit dieses Hauses zu gewährleisten und in etwas fernerer Zukunft, in zwei, drei Jahren, Ersatzräume zu schaffen, um dieses Haus zu entlasten. Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie waren mir nicht böse, daß ich als Berichterstatter einige ergänzende Bemerkungen zu meinem Schriftlichen Bericht zum Einzelplan 02 gemacht habe. ({5}) Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz ({6}).

Prof. Dr. Carl Otto Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben vom Herrn Berichterstatter gehört, welche Bemühungen unternommen werden, um dieses Haus vom Technisch-Materiellen her in den Stand zu setzen, seine Aufgaben zu erfüllen. Ich möchte Ihnen nun zur Ergänzung einiges von Überlegungen berichten, die in der Enquete-Kommission Verfassungsreform angestellt werden, um die verfassungsmäßigen Grundlagen für die Arbeit des Parlaments zu verbessern. Unter dem Vorsitz des Kollegen Schäfer haben wir uns seit einem halben Jahr etwa mit dem Problem der Planung im Regierungsbereich und der Mitwirkung des Parlaments in diesem Bereich befaßt. Sie wissen, wir haben vor gut anderthalb Jahren einstimmig durch alle Fraktionen dieses Hauses eine Kommission eingesetzt, die prüfen soll, ob das Grundgesetz unter Wahrung seiner Grundprinzipien den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen entspricht. Wir waren übereinstimmend der Auffassung, daß als erstes das Problem der langfristigen Planung ins Auge gefaßt werden muß. Bei uns in der Kommission hat sich ein weites Maß an Übereinstimmung dahin gehend ergeben, daß das Parlament in diesem Bereich eine größere Rolle spielen muß als seither. Das gilt sowohl für den Deutschen Bundestag als auch für die Landtage. Wir waren einmal der Auffassung, daß dieses Planungswesen, das immer mehr um sich greift und wohl auch notwendig ist in unserer Zeit, bei der derzeitigen Organisation sowohl des Bundestages als auch der Länderparlamente keine ausreichende institutionelle Verankerung im Parlament hat. Wir waren deshalb der Auffassung, daß die Einsetzung eines Planungsausschusses im Parlament erwogen werden soll. Darüber hinaus haben wir - ohne daß ich das jetzt im einzelnen darstellen möchte - ein Verfahren entwickelt, das das Parlament an den Planungen der Regierung in angemessener Weise beteiligt. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß die Planungshoheit, wenn ich das so ausdrücken darf, Regierung Dr. Lenz ({0}) und Parlament zur gesamten Hand zusteht, mit anderen Worten nicht etwa eine Prärogative der Regierung, sondern eine gemeinsame Verantwortung, die in gewissen organisatorischen Vorkehrungen dann ihren richtigen Ausdruck finden kann. Ein weiterer Punkt, der uns im Augenblick beschäftigt, ist die Frage, ob unser Parlament rationell arbeitet. Hierbei ist zunächst einmal die Frage, ob unser Ausschußwesen so gut organisiert ist, wie es sein müßte, zu prüfen. Wir untersuchen im Augenblick, ob der Petitionsausschuß auf den Grundlagen, auf denen er zur Zeit arbeitet, wirklich gut arbeiten kann. Ich weiß, daß dies ein Anliegen der Mitglieder des Petitionsausschusses aus allen Fraktionen dieses Hauses ist. Ich hoffe sehr, daß wir Ihnen bis zum Herbst dieses Jahres einen guten Vorschlag vorlegen können. Ein weiteres Problem ist das Problem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und das Problem der Enquete-Kommissionen. Hier ist zu prüfen, ob das Instrumentarium, das wir im Augenblick haben, wirklich das denkbar beste ist oder ob sich nicht in dem Funktionieren dieser Institutionen in der Vergangenheit Mängel gezeigt haben, die der Abstellung bedürfen. Wir sind mitten in den Beratungen, ich möchte dem Ergebnis nicht vorgreifen, aber ich glaube, daß wir auch hier in der Lage sein werden, Ihnen auf diesem Gebiet ein modernes Instrumentarium vorschlagen zu können. In diesem Zusammenhang gibt es ein weiteres Problem, das Sie aus der vergangenen Legislaturperiode kennen, das Problem der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Auch hier werden wir uns bemühen, im Gespräch mit den Sachverständigen, auch der Bundesregierung, Lösungen zu finden, die sowohl den Bedürfnissen des Parlaments als auch den Bedürfnissen der Regierung entsprechen. Ich darf Ihnen sagen, daß sich die Arbeit in dieser Kommission in einer sehr sachlichen Atmosphäre vollzieht und daß es eigentlich eine Auseinandersetzung auf den Linien parteipolitischer Fronten bisher nicht gegeben hat. Es hat sich herausgestellt, daß das Mischungsverhältnis, das wir seinerzeit beschlossen haben - nämlich Bundestag, Länder und Wissenschaft -, zur Versachlichung der Arbeit außerordentlich beiträgt. Ein weiterer Punkt ist das Problem, ob wir das Plenum dieses Hohen Hauses von der Beschlußfassung über Fragen entlasten können, die im Grunde genommen nicht der Aufmerksamkeit des ganzen Hauses bedürfen und die in der Praxis ohnedies zwischen den zuständigen Ministerien und den zuständigen Ausschüssen abgehandelt werden. Das ist das Problem des Art. 80, der gesetzesvertretenden Verordnungen. Auch hier hoffen wir, daß wir Ihnen bis zum Herbst dieses Jahres einen Bericht vorlegen können. Wir haben unsere Arbeit so eingestellt, daß auf diesem wichtigen Sektor der Parlamentsreform, soweit dieses Problem von der Verfassung her zu sehen ist, Ihnen so rechtzeitig ein Bericht vorgelegt werden wird, daß jedenfalls nach der Vorstellung der Kommission noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung getroffen werden kann. Denn wir wissen, daß dies einfacher ist, wenn eine Neuwahl vor der Tür steht, als wenn eine solche gerade hinter uns liegt. Dies wollte ich anläßlich des Haushaltsplanes unseres Parlaments hier vortragen, damit Sie sehen, daß die von Ihnen eingesetzte Enquete-Kommission sich nicht nur mit den Strukturproblemen der Bundesregierung, sondern auch mit den Problemen dieses Hauses eingehend beschäftigt. ({1}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In diesen Tagen stehen die Zeichen auf Konfrontation, und man stellt sich die Frage, ob es in diesem Augenblick noch sinnvoll ist, etwas zur Thematik der Arbeit dieses Bundestages zu sagen, ein Thema, das etwas abstrakt erscheinen mag. Aber ist es wirklich so abstrakt? Konfrontation gehört gewiß zum Parlamentarismus; aber es ist nur die eine Seite der Sache. Ebenso gehört die Zusammenarbeit dazu. Wir können in diesem Parlament nur so arbeiten, wie es die Verfassung vorsieht, wenn wir einander zuhören, wenn wir auf die Argumente des anderen eingehen, wenn wir bereit sind, die eigene Position in Frage zu stellen, wenn wir Kompromisse suchen und finden, wenn wir die Meinung des anderen achten und wenn wir am Ende auch das Ergebnis der Abstimmung respektieren. Diese menschliche Zusammenarbeit funktioniert im ganzen in diesem Bundestag weit besser, als es gelegentlich den Anschein haben mag. In den Ausschüssen sind die einstimmigen Beschlüsse häufiger als die kontroversen. Diese Zusammenarbeit beruht auf dem individuellen Verhalten des einzelnen Abgeordneten, auf freundschaftlichen Kontakten über die Fraktionslinie hinweg, auf der Möglichkeit der freien Entscheidung des Einzelnen. Es ist legitim, daß sich die Fraktionen um Geschlossenheit ihrer Mitglieder bemühen. Aber ein Parlament, in dem die Abstimmungen im Ausschuß und im Plenum vorher in Gremien außerhalb des Parlaments festgelegt und dann nur noch als Blockabstimmungen durchgeführt werden, wäre ein Zerrbild des Parlamentarismus, eine zeitlich befristete Diktatur des jeweils herrschenden Blocks. Der Abgeordnete muß das Recht behalten, von der Meinung seiner Fraktion, auch von der ihm bekannten Meinung seiner Wähler, abzuweichen. Wenn wir das täten, was die Mehrheit unserer Wähler will, hätten wir seit längerer Zeit bereits wieder die Todesstrafe für Taximörder, und alle unsere Universitäten wären in Lernanstalten nach russischem Muster umgewandelt. Auch der Fraktionswechsel muß legitim bleiben. Er kommt, meine ich, zu selten vor. ({0}) Unsere Wähler ändern bekanntlich ihre Meinungen in einem kontinuierlichen Prozeß, nicht schlagartig am Tage der Wahl. Die Landtagswahlen, die Meinungsbefragungen beweisen das. In allen Legislaturperioden lag jedoch die Zahl der Abgeordneten, die ihre Fraktion gewechselt haben, weit unter der Zahl der Wähler, die ihre Meinungen gewechselt haben, wie es sich dann bei der nächsten Wahl darstellte. Meine Damen und Herren, es steht dem Parlament gut an, wenn auch hier ein Wechsel von Meinungen sichtbar wird. Sie wissen, daß Churchill zweimal seine Fraktion gewechselt hat. Dagegen gibt es nur ein Mittel: das Risiko der eigenen politischen Karriere. Das ist eine Sanktion, die notwendig, aber auch völlig ausreichend ist. Wir sollten uns auch davor hüten, einen Meinungswechsel dieser Art moralisch zu diskriminieren. In der Presse tauchen Vokabeln wie „Verräter" und „Überläufer" auf. Darf ich Sie fragen: Würden Sie einen Wähler, der früher CDU gewählt hat und beim nächten Mal SPD wählt, einen Verräter nennen? ({1}) Er hat seine Meinung geändert, oder er war vielleicht auch der Meinung, daß seine Partei ihre Meinung geändert hat. ({2}) Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß jeder von uns den anderen für ebenso anständig hält, wie er sich selbst einschätzt, ({3}) und zwar in beiden Fällen, sowohl wenn er die Parteilinie verläßt als auch wenn er sich an die Parteilinie hält. Wenn etwa hohe Kirchenfürsten andeuten, mit dem Gewissen von einigen Abgeordneten könne es doch nicht ganz in Ordnung sein, wenn sich alle Abgeordneten an ihre eigene Fraktionslinie hielten, so hört man das mit einiger Verwunderung, insbesondere auch deshalb, weil das eine Vorstellung ist, die in 22 Jahren der Tätigkeit dieses Bundestages noch niemals aufgetaucht ist und jetzt zum erstenmal aus Anlaß einer bestimmten Abstimmung auftaucht. Nach der Verfassung wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung mit. Aber die Parteien bestimmen diesen Willen nicht. Sie suchen den Kandidaten aus, sie wirken auf ihn ein, und sie haben es in der Hand, ob sie ihn wieder aufstellen wollen. Aber mehr räumt ihnen das Grundgesetz nicht ein. Nun, meine Damen und Herren, das scheinen mir Fragen hoher Bedeutung zu sein. Aber ich habe nun in elf Jahren Parlamentspraxis die Erfahrung gemacht, daß der Bundestag im allgemeinen wenig geneigt ist, sich mit den Fragen seiner eigenen Arbeit zu beschäftigen. Der Herr Präsident hat sich sehr darum bemüht. Ich habe es erlebt, wie fünf seiner Versuche gescheitert sind, auch nur die Kommission für die Geschäftsordnungsreform, die er eingesetzt hatte, zusammenzubringen. Ein weiteres Beispiel: Der Vorgang „Verhaltensregeln für Abgeordnete" liegt seit Juni vorigen Jahres im Ausschuß für Geschäftsordnung, ohne daß sich auch nur eine einzige Fraktion eine Meinung dazu gebildet hat. Das ist gewiß ein sehr dorniges Problem, und ich glaube nicht, daß es so einfach gelöst werden kann, wie stürmische Kritiker sich das vorstellen. Aber ich halte es auch für ganz schlecht, wenn wir uns diesem Problem entziehen. Wir müssen die Zeit finden, uns damit ernsthaft zu beschäftigen. Diese Zeit ist sehr schwer zu finden. Wir erleben das im Geschäftsordnungsausschuß. Er ist durchweg mit Mitgliedern besetzt, die zugleich in anderen Ausschüssen arbeiten und der Arbeit in diesen anderen Ausschüssen Priorität einräumen. Das führt dann dazu, daß der Geschäftsordnungsausschuß nur am Rande des sonstigen Tagungsplans kurze Sitzungen abhalten kann und immer wieder von neuem mit den Diskussionen beginnen muß. Auch mit diesen Arbeitsproblemen sollten wir uns beschäftigen. Kollege Lenz hat soeben über den Enquete-Ausschuß berichtet, und ich kann nur bestätigen, daß die Arbeiten dort zügig vorangehen. Aber ich möchte davor warnen, daß wir dieses Haus aus der Diskussion um die Geschäftsordnung deshalb völlig ausschalten, daß wir abwarten, bis uns eines Tages die Enquete-Kommission die Patentlösung beschert, die dann hier sofort einstimmig angenommen wird. Man kann gewiß politische Mechanismen ersinnen, die glatter laufen als die gegenwärtigen. Aber wir müssen zunächst wissen, was wir wollen. Kollege Lenz hat den Art. 80 angesprochen, die Möglichkeit, die Regierung stärker zu ermächtigen als bisher. Daß das notwendig ist, liegt auf der Hand. Sie haben in den letzten Tagen die Drucksache VI/3250 bekommen; das ist das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch. Ich habe es mir angesehen. In diesem Text werden nicht weniger als 327 andere Gesetze geändert, viele davon mehrfach. Wer will eigentlich hier in diesem Hause die Verantwortung für derartige Gesetze übernehmen? Aber, meine Damen und Herren, wenn man diese Frage grundsätzlich stellt, so scheint zunächst in diesem Hause niemand bereit, auf seine Prärogativen zu verzichten. Es würde der Arbeit auch des Enquete-Ausschusses zugute kommen, wenn wir uns auch hier in etwas breiterem Rahmen grundsätzlich mit der Frage beschäftigten, ob wir bereit sind, auf Zuständigkeiten zu verzichten. Es gibt noch andere Fragen, um die wir uns kümmern müßten. Der Präsident hat schon vor längerer Zeit die Frage der Diäten angesprochen. Dieses Problem ist heikel. Wir sind aber, wenn wir kochqualifizierte Abgeordnete haben wollen, darauf angewiesen, vernünftige neue Lösungen zu finden. Ich meine, wir sollten bei der Suche nach neuen Lösungen mit unseren Überlegungen in zwei Richtungen gehen: einmal sollten wir über eine Besteuerung der Grunddiäten nachdenken, ({4}) und zum anderen sollten wir über einen Einkommensausgleich für die Abgeordneten sprechen, deren Einkommen sich infolge ihrer Tätigkeit im Parlament stark vermindert. Wir können heute nicht in eine Sachdebatte eintreten, aber ich möchte sagen, diese Probleme sind durchaus lösbar. Es ist schwer zu vertreten, daß die Steuerfreiheit der Grunddiäten diejenigen Abgeordneten am meisten begünstigt, die daneben ein hohes sonstiges Einkommen haben, weil das Herausnehmen der Grunddiäten aus der Steuerprogression für sie besondere Vorteile schafft. Wenn wir etwa eine Lösung anvisierten, die die Grunddiäten steuerpflichtig macht und zum sonstigen Einkommen addiert, und wenn wir bei dieser Gelegenheit eine Umrechnung so vornehmen würden, daß für einen Abgeordneten, der Junggeselle ist, das Netto-Einkommen vor und nach der Steuerpflicht das gleiche bleibt, so würde sich ergeben, daß alle Abgeordneten, die sonstiges Einkommen haben, mehr Steuern zu zahlen hätten, während Abgeordnete mit Familie, die nur auf die Diäten angewiesen sind - und die gibt es ja auch -, sogar noch gewisse Vorteile hätten, weil sie dann in die günstigere Steuergesetzgebung für Verheiratete mit Kindern einbezogen würden. Aber, meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit sollten wir auch die Frage des Einkommensausgleichs anschneiden. Die finanzielle Lage der Abgeordneten ist ja sehr unterschiedlich. Angestellte von Verbänden beziehen ihr Einkommen weiter, und es gibt auch sonst Abgeordnete, bei denen die Tätigkeit im Parlament vielleicht sogar zu einer Erhöhung ihres Einkommens führt. Aber es gibt andere - insbesondere Kollegen, die aus freien Berufen kommen -, die sich finanziell sehr stark verschlechtern. Mehrere Länderparlamente haben dieses Problem bereits geregelt. Ich möchte vorschlagen, daß wir in dem Augenblick, in dem wir uns der Steuerfrage zuwenden, auch diese Frage aufnehmen. Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz ein weiteres Thema anschneiden, das Thema des Verhältnisses des Bundestages zum europäischen Parlamentarismus. Wir sind heute nur noch eines von zehn europäischen Parlamenten. Bei unserer Arbeit müssen wir uns immer wieder fragen, wie sich unsere Beschlüsse in eine vernünftige europäische Harmonisierung einordnen. Viele von uns wissen jedoch von den Anschauungen und auch von den Methoden ausländischer Parlamente verhältnismäßig wenig. Auch die Mechanismen der Brüsseler Gesetzgebung sind hier weitgehend unbekannt. Die ursprüngliche Vorstellung, daß die Querverbindung durch die Personalunion mit den Kollegen im Europäischen Parlament diesen Informationsstand schaffen würde, hat sich nicht verwirklicht. Das Europäische Parlament ist nämlich heute so stark belastet, daß diejenigen unserer Kollegen, die dort ernsthaft arbeiten, das als Vollzeitbeschäftigung betreiben müssen. So viele europäische Abgeordnete, wie heute in diesem Hause sitzen, sieht man hier nur äußerst selten. Wir sollten uns deshalb überlegen, ob wir nicht einiges tun können. Es käme einmal in Frage, daß wir im Rahmen des sehr nützlichen Reiseprogramms - welcher Abgeordnete kann in weltpolitischen Fragen mitwirken, wenn er nicht etwas von der Welt kennt? - systematisch vorsehen, daß jeder Ausschuß dieses Hohen Hauses während einer Legislaturperiode mindestens einmal einen Schwester-ausschuß in einem anderen europäischen Parlament besucht, um dort persönliche Kontakte zu finden. Darüber hinaus sollten wir überlegen, ob wir nicht die Bestimmung des Vertrages, daß die Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus dem nationalen Parlament kommen müssen, in der Weise ändern könnten, daß nur die Hälfte der europäischen Abgeordneten aus dem nationalen Parlament zu stammen hat, so daß die übrigen dann - vielleicht unter Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments - Vollzeitabgeordnete in Europa sein könnten. Dies, meine Damen und Herren, scheint mir auch ein Thema für den Einzelplan 02 zu sein. ({5}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige Anmerkungen des Kollegen Dr. Lenz veranlassen mich, ganz kurz etwas zu einem Thema zu sagen, das, wie mir scheint, im Zusammenhang mit Regierung und Parlament, wie Herr Dr. Lenz sagte, von großer Bedeutung ist. Zwischen Regierung und Parlament muß eine langfristige Planung vorgenommen werden. Die von allen beklagten Unzulänglichkeiten im Abgeordnetenhaus rühren offenbar nicht zuletzt daher, daß man die offene Diskussion nicht früher geführt hat. Man hat die Praxis geübt, die Probleme hinter verschlossenen Türen auszuhandeln und solche Projekte ohne Wettbewerb und ohne Hinzuziehung derer, die an diesen Dingen besonders interessiert sind, unter der Hand zu vergeben. In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, daß der Bundeskanzler, wofür ich ihm danken möchte, den Mut hatte, bereits laufende Dinge zu stoppen und das zu praktizieren, was Herr Dr. .Lenz vorhin als notwendig hingestellt hat, nämlich zwischen Regierung und Parlament eine gemeinsame langfristige Planung zu realisieren. Deshalb hat es einen städtebaulichen Architektenwettbewerb zur Planung eines Gesamtregierungsviertels, d. h. von Ministerien und Parlament, gegeben, der vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist. Durch den Wettbewerb wird erstmals die Möglichkeit gegeben sein, die Selbstdarstellung der Demokratie auch in ihren Bauten zum Ausdruck kommen zu lassen. Ich meine, wir sollten der Regierung für diesen eingeschlagenen Weg außerordentlich dankbar sein. ({0}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich heute früh die Zeitung las, bin ich erschrocken. Da wird von WarnDr. Althammer streiks in Duisburg, Herford und Offenbach berichtet, und es werden weitere Arbeitsniederlegungen angekündigt. ({0}) Namhafte Gewerkschaftsführer warnen die Opposition davor, ein legitimes Instrument unserer Verfassung anzuwenden. Nach diesen Berichten in den Zeitungen hat der Bundesvorstand der Jungsozialisten zu außerparlamentarischen Aktionen gegen die, wie er sagt, „Machtübernahme durch die CDU/ CSU" aufgerufen. Er hat das konstruktive Mißtrauensvotum als den Versuch bezeichnet, „die Macht zu erschleichen". Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, gehört meines Erachtens zum Einzelplan 02, zum Einzelplan des Deutschen Bundestages, weil es dabei um die Freiheit des Abgeordneten für seine Entscheidung geht. ({1}) Man fragt sich: Wie konnte es dahin kommen? Alle überzeugten Demokraten in unserem Lande sind stolz darauf, daß es nach 1945 erstmals in der deutschen Geschichte möglich war, im freien Teil Deutschlands lange Jahre eine echte und lebendige Demokratie zu verwirklichen. Trotz schwerer Vorbelastungen durch einen total verlorenen Krieg und trotz des größten Zusammenbruchs in der deutschen Geschichte haben wir in unserem Volke vorhandene Vorurteile gegen die Funktionsfähigkeit einer parlamentarischen Demokratie beseitigen können. Wir haben bewiesen, daß es in dieser Staatsform auch in Deutschland möglich ist, wirksam zu regieren und I) die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in einem glanzvollen Wiederaufstieg Freiheit und Frieden gesichert werden konnten. ({2}) Wir fragen uns: Was hat sich hier in der jüngsten Zeit geändert? Ich muß feststellen, daß zunächst einmal ein bisher einmaliger Versuch zu verzeichnen ist, vom Ausland her durch massive Drohungen auf eine der wichtigsten Entscheidungen, die dieses Parlament in der nächsten Woche zu treffen hat, Einfluß zu nehmen. Ich habe es außerordentlich bedauert, daß nicht alle Politiker bei uns im Lande einmütig solche Versuche nachdrücklich zurückgewiesen und darauf bestanden haben, daß der Freiheitsraum der parlamentarischen Abgeordneten gewahrt werden muß. ({3}) Seien wir uns dessen gewiß: Es besteht die Gefahr, daß das, was hier erstmals versucht worden ist, auch später wiederholt wird. Es geht hier auch um das Ansehen unseres Parlaments vor unserem Volke. Wir dürfen nicht zulassen, daß der Eindruck erweckt werden könnte, dieses Parlament schrecke vor massiven Drohungen von draußen zurück und lasse sich in seiner Entscheidung beeinflussen. ({4}) Seit gestern kommt nun hinzu, daß durch außerparlamentarische Aktionen im eigenen Lande eine parlamentarische Prozedur offenbar verhindert werden soll, die in Art. 67 GG verankert ist. Ich glaube, in keinem anderen demokratischen Land würde irgend jemand etwas Unrechtmäßiges darin sehen, daß eine Oppositionspartei im Wege des Mißtrauensvotums versucht, die Regierungsgewalt zu übernehmen, insbesondere dann, wenn die Tatsache zu verzeichnen ist, daß sie mit den die Regierung tragenden Parteien fast die Stimmengleichheit erreicht hat. Wie also kommt man bei uns im Lande dazu, hierin etwas Unerlaubtes oder gar einen Mißbrauch zu sehen? Sicherlich hängt dieses Unverständnis für parlamentarische Spielregeln auch damit zusammen, wie wir die Rechte des Abgeordneten in diesem Hause bewerten. Da gibt es die Lehre von dem sogenannten „imperativen Mandat", d. h. der Forderung, daß der gewählte Abgeordnete in jedem Einzelfall und bei jeder Einzelentscheidung einen Befehl und eine Anweisung von draußen zu befolgen habe. Mit Recht ist dieses imperative Mandat von allen Demokraten nachdrücklich zurückgewiesen worden. ({5}) Art. 38 unseres Grundgesetzes ist eine Fundamentalnorm unserer Verfassung. Dort steht: Sie - nämlich die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß auch gelten, wenn ein Abgeordneter in dieser seiner Gewissensentscheidung mit der offiziellen Partei- oder Fraktionslinie irgendeiner Partei in diesem Hause in Konflikt gerät. ({6}) Es liegt ein guter Sinn in dieser Vorschrift, die von den Vätern unserer Verfassung geschaffen worden ist. Denn auch diese Politiker damals, in den Jahren 1947 und 1948, wußten, daß Parteilinien und politische Auffassungen von Parteien und Fraktionen sich im Zeitraum von vier Jahren ändern können. Der Abgeordnete darf nicht zum Sklaven einer Fraktion gemacht werden. Er muß seine freie Gewissensentscheidung vor seinem Wähler verantworten. ({7}) Das bedeutet aber auch, daß Fraktionsführungen nicht durch Geschäftsordnungstricks diese freie Gewissensentscheidung zu beeinflussen versuchen dürfen. ({8}) Eines der wichtigsten Instrumente unserer freiheitlichen Demokratie ist die geheime Wahl. Diese geheime Wahl steht außer allem Zweifel, wenn es um die Wahlentscheidung des Staatsbürgers geht. Mit Recht verweisen wir darauf, daß es in allen Ländern, wo versucht wird, die geheime Wahl bei den Staats10596 bürgern zu verhindern oder zu beeinträchtigen, keine freiheitliche Demokratie gibt. ({9}) Was aber für jeden Staatsbürger bei uns im Lande gilt, muß auch für die Abgeordneten dieses Hohen Hauses gelten. ({10}) Das bedeutet, daß, wenn bei einer so wichtigen Abstimmung wie bei dem konstruktiven Mißtrauensvotum, wie bei der Wahl eines Bundeskanzlers geheime Abstimmung vorgeschrieben ist, diese Vorschrift der Geschäftsordnung zu befolgen ist. ({11}) Es würden sich sehr schwerwiegende Folgerungen daraus ergeben, wenn man hier versuchen würde, diese Grundrechte eines Abgeordneten zu beeinträchtigen. ({12}) Wir müssen im Interesse einer freiheitlichen Demokratie diesen Raum für die Freiheit der Gewissensentscheidung eines Abgeordneten offenhalten. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe diesen Punkt jetzt bei der Beratung des Einzelplans des Deutschen Bundestages erwähnt, weil wir uns bewußt sein müssen, daß wir in den nächsten 48 Stunden vor einer stilbildenden Frage unserer Demokratie stehen. ({14}) Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Arndt ({15})?

Prof. Dr. Claus Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000048, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Dr. Althammer, muß ich die Äußerungen, die Sie hier eben gemacht haben, als den Versuch der stärksten Fraktion dieses Hauses ansehen, auf mich Druck auszuüben, damit ich morgen hier meine Entscheidung nicht so fällen kann, wie ich will, ({0}) d. h. mich auch nicht daran zu beteiligen, wenn hier gegen Bundeskanzler Brandt ein konstruktives Mißtrauensvotum eingebracht wird? ({1})

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege, ich habe dieses Problem hier ganz bewußt bei der Beratung des Haushalts des Deutschen Bundestages angesprochen. Wenn Sie dem zugehört haben, was ich gesagt habe, dann wissen Sie, daß diese meine Ausführungen ein einziges Plädoyer für die freie Entscheidung jedes einzelnen Abgeordneten waren. ({0}) Ich wiederhole: Die Männer, die 1949 das Grundgesetz geschaffen haben - es waren Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Kurt Schumacher -, wußten, warum sie diese Form gewählt haben, einen Mißtrauensantrag bei uns im Parlament zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Möglichkeit einer geheimen Abstimmung. Ich sage noch einmal: Wenn durch Tricks versucht wird, dieses Recht auf geheime Abstimmung in diesem Hause zu verhindern, dann ist das ein schwerwiegender Eingriff in die parlamentarischen Möglichkeiten. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe diesen Punkt hier jetzt in allem Ernst angesprochen. Es hängt damit zusammen, daß es die Fraktionen dieses Parlaments einfach ertragen müssen, in der politischen Auseinandersetzung auch Niederlagen hinzunehmen. Die Sozialdemokraten haben es ertragen müssen, lange Jahre solche Niederlagen hinzunehmen. Die Freien Demokraten haben 1966 bis 1969 das Schicksal der Opposition gehabt, und sie haben es auch schon vorher gelegentlich gehabt. Die Fraktion der CDU/CSU hat es ertragen müssen, als stärkste Fraktion der Parteien, die bei den letzten Bundestagswahlen mit der Wählermehrheit versehen worden sind, in die Opposition geschickt zu werden. Wir müssen solche politischen Niederlagen mit einkalkulieren. Wir müssen sie so verstehen, daß hier auch der Ort ist, sich selbstkritisch zu fragen, wieso es zu dieser Situation gekommen ist, und daraus für die Zukunft vielleicht das Beste zu machen. Ich appelliere deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Beratung dieses Einzelhaushalts in dieser Stunde an uns alle: Treffen wir hier eine Entscheidung! Fällen wir sie in einer Form, bei der wir hier vor der deutschen Öffentlichkeit bestehen können! ({2}) Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vier Bemerkungen machen. Erstens: Die Äußerung von Herrn Dr. Althammer hinsichtlich der Reaktion draußen im Lande verstehen wir als den Versuch der CDU/CSU-Fraktion, dem souveränen Bürger im Lande draußen Zensuren über seine politischen Meinungsäußerungen zu erteilen. ({0}) Wir erklären dazu, daß wir in diesem Parlament wie bisher unsere Entscheidung so fällen werden, wie es uns unser Gewissen aufgibt, daß wir aber volles Verständnis dafür haben, daß dieses Parlament nicht im luftleeren Raum Politik macht, sondern natürlich ständig in enger Verbindung mit unserem Volk und unseren Bürgern steht und sich entscheiden muß. ({1}) Wenn Sie hier irgendwelchen Gruppierungen in unserem Lande Vorschriften machen wollen, haben Sie ein falsches Demokratieverständnis. ({2}) Zweite Bemerkung: Wenn Sie hier übersehen und vergessen wollen, daß für die nächste Woche Sternmärsche angekündigt sind, daß Abgeordnete der Koalitionsfraktionen unter Bedrohung stehen, so daß man sie gegen alle Möglichkeiten, die ihnen angedroht werden, schützen muß, dann wollen Sie dieses bitte einbeziehen in Ihre Überlegungen und in die Betrachtung der politischen Szenerie in diesem Lande, die Sie geschaffen haben. ({3}) Dritte Bemerkung: Natürlich, meine Damen und Herren, sieht das Grundgesetz Fraktionswechsel vor. Die Art und Weise aber, wie Sie seit zweieinhalb Jahren versuchen, die Macht zu erschleichen - zu erschleichen! -, ({4}) die lehnen wir ab. Meine Damen und Herren, natürlich nehmen wir morgen an der Abstimmung teil, aber, Herr Dr. Althammer, Sie schreiben uns nicht vor, welche Schritte wir tun. Wir sind hier im Saale, worauf Sie sich verlassen können. ({5}) Eine letzte Bemerkung: Herr Dr. Althammer, ich kann mich nur sehr wundern, daß Sie sich hier auf ein Podest der Demokratie stellen, wo doch Ihr Parteivorsitzender, Herr Strauß, von einem „kalten Staatsstreich" gesprochen hat, als der demokratische Machtwechsel in diesem Lande stattgefunden hat. Wir weisen also Ihre Bemerkung mit aller Entschiedenheit zurück. ({6}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will das, was ich zu diesem Mißtrauensvotum an sich zu sagen habe, wie vorgesehen, nachher bei der Beratung des Kanzleretats sagen, aber Ihre Äußerung, Herr Kollege Althammer, veranlaßt mich doch, um der geschichtlichen Wahrheit willen hier einmal folgendes festzustellen: Sie tun so, als würde hier etwas beabsichtigt, was noch nie dagewesen sei. Daß das nicht stimmt, dafür, Herr Althammer, gibt es lebende Zeugen in diesem Augenblick in diesem Hause. Das sind neben mir Ihr Fraktionskollege Gewandt und Ihr Fraktionskollege Damm. Ich habe hier das Protokoll der Hamburger Bürgerschaftssitzung vom 25./26. Juni 1956, wo bei der Ablehnung eines Mißtrauensantrags der sozialdemokratischen Fraktion gegen den Hamburg-Block-Senat dieser Hamburg-Block Mann für Mann einschließlich der genannten Namen so verfahren worden ist, wie es morgen hier beabsichtigt ist. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis! ({0}) Und der Ihnen nicht unbekannte Hamburger CDU-Abgeordnete Güssefeld hat damals das, was von der anderen Seite erwartet wurde -- daß Nichtmitglieder der Fraktion, die diesen Mißtrauensantrag stellt, ihm zustimmen --, so genannt, wie es war und wie es heute und morgen bei Ihnen ist: eine verletzende Zumutung. ({1}) Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Dr. Althammer.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen zu dem, was Herr Kollege Apel hier vorher gesagt hat. Ich wehre mich ganz einfach dagegen, daß man hier eilfertig versucht, die Dinge zu verdrehen. ({0}) Herr Kollege Apel, ich habe eindeutig davon gesprochen, daß die Gefahr besteht, daß illegitime Einflußnahmen von draußen erfolgen. ({1}) -- Wenn Sie das nicht glauben, dann lesen Sie doch bitte eine Äußerung nach, die der Deutsche Gewerkschaftsbund nach Zeitungsmeldungen heute früh offiziell gemacht hat. Er hat ausdrücklich erklärt, es gebe nicht die Möglichkeit, das Parlament durch Generalstreik oder durch andere Streiks zu beeinflussen. Genau das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärt! ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit hat die Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gleichzeitig das Urteil über Warnstreiks gesprochen, die in Duisburg, Herford und Offenbach stattgefunden haben. Das ist doch der Punkt, über den wir uns im Parlament schon früher zu unterhalten hatten: Nach unserem Recht und Gesetz gibt es eben nicht die Möglichkeit, das frei gewählte Parlament durch Streiks zu beeinflussen. ({3}) Zum anderen das möchte ich auch mit aller Deutlichkeit sagen - ist es natürlich klar, daß jeder Staatsbürger das Recht auf Meinungsfreiheit auch insoweit hat, als er für seine politische Meinung demonstrieren kann. ({4}) Deshalb verstehe ich nicht, Herr Kollege Apel, warum Sie solche Dinge - Sternmärsche und ähnliches - hier nun negativ angesprochen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie auf den Druck hinweisen, unter dem Abgeordnete auf Ihrer Seite in dieser politischen Situation stehen, so möchte ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß es leider so weit gekommen ist, daß Abgeordnete, die andere politische Auffassungen vertreten, nicht nur massiv bedroht worden sind, sondern sogar Morddrohungen ausgesprochen worden sind. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten die Dinge bitte ein bißchen ernst nehmen. ({6}) Ich meine, hier liegt doch ein gemeinsames Interesse aller Abgeordneten vor. ({7}) Wir sollten uns gemeinsam dagegen verwahren, daß eine solche Verwilderung unserer politischen Sitten hier einreißt. ({8}) Darum möchte ich jetzt noch einmal den Appell an Sie richten: Gestalten Sie diese nächsten 48 Stunden in einem politischen Stil, der unserer Demokratie Ehre macht. ({9}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister Professor Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß es Herrn Kollegen Althammer hier nicht um ein sachliches Problem geht, sondern um eine Provokation. ({0}) Die Regierung, die Parteien der Koalition und, wie Sie eben selbst zitiert haben, die Gewerkschaftsführung haben alle übereinstimmend erklärt, ({1}) Ruhe zu bewahren und hier die freie parlamentarische Entscheidung ihren Gang nehmen zu lassen. Was Sie sich hier heute morgen leisten, zeigt, wie ernst wir Ihr Wort nehmen können, daß auch Sie den inneren Frieden wollen. ({2}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile die Auffassung des Kollegen Althammer, daß dieses Parlament vor einer ganz schweren demokratischen Belastungsprobe steht. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Wer sich hier scheinheilig herstellt und sagt, nur die eine Seite manipuliere, ist nicht ehrlich und lauter gegenüber der deutschen Öffentlichkeit. ({0}) Herr Kollege Althammer, dieser Staat steht in einer gefährlichen Krise. ({1}) - Meine Damen und Herren, die Sie so Beifall klatschen, Sie müssen wissen, ({2}) welche Flugblätter von Ihnen nahestehenden Organisationen und Persönlichkeiten in Baden-Württemberg verteilt worden sind. ({3}) Hier heißt es: Untergang Deutschlands, Kommunisten, Verbrecher, Hurerei. Das haben Sie oder zumindest solche Leute dieser Regierung unterstellt. ({4}) Da ist es! Weil von Morddrohungen gesprochen worden ist: Hier steht einer, der sie wiederholt bekommen hat! ({5}) Ich bin nicht so gewesen und bin gleich zur Kriminalpolizei gelaufen. Aber einige dieser Briefe habe ich aufgehoben. Die kann ich Ihnen vielleicht zum Lesen geben. Der Kollege Moersch hat sie wiederbekommen. Aber ich verabscheue alle diese Methoden. Ich unterstelle sie auch nicht der CDU/CSU, sondern ich unterstelle sie den Radikalinskis in unserem Volk. Dieses Hohe Haus ist von uns allen verpflichtet, diesen Radikalinskis eine Absage zu geben, wo immer sie stehen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie können in den Protokollen dieses Hohen Hauses nachlesen, wie manche Redner aus Ihren Reihen bezüglich meines Verhaltens im Jahre 1969 für mich Gewissenskonflikte in Reden dieses Hohen Hauses auslösen wollten. Auch das rechne ich nicht zu einer fairen Auseinandersetzung. Das muß hier einmal gesagt werden, weil das die Stunde der Wahrheit ist. ({7}) - Ja, Herr Kollege Starke, Sie brauchen nicht zu lachen, denn ich könnte noch darüber reden, wie Sie zu dieser Frage gestanden haben. ({8}) Mir ist das viel zu ernst. Aber ich möchte hier davor warnen, daß mit Angeboten versucht wird, Mehrheiten zu bilden. ({9}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal eines richtigstellen, was im Gedächtnis der CDU gelegentlich falsch verhaftet ist. Herr Kollege Althammer, Sie haben hier erklärt: Die CDU/CSU habe es ertragen müssen, daß sie als stärkste Partei in die Opposition geschickt wurde. Ich glaube, Sie haben es als stärkste Fraktion ertragen müssen. Aber Sie sind eben die zweitstärkste und die drittstärkste Partei, die sich zu einer einzigen Fraktion zusammengeschlossen haben. ({0}) Nur dadurch sind Sie zur stärksten Fraktion geworden. Daß Sie eben nicht eine Partei sind, sondern zwei Parteien, wird gelegentlich auch dem deutschen Volke recht deutlich demonstriert. Deshalb kann ich nicht zulassen, daß Sie hier so tun, als ob CDU und CSU ein und dasselbe wären bezüglich der Partei. Sie sind zwei Parteien, und zwar mit teilweise sehr grundverschiedenen Haltungen. Das vorneweg! ({1}) Dann, Herr Kollege Althammer: Sie haben die Frage angesprochen, wie sich morgen die Koalitionsparteien bei der Abstimmung verhalten werden, welche Form sie wählen wollen, Herr Kollege Althammer, ich darf dazu nur eines bemerken. Es ist das freie Recht jedes Bürgers, an einer Wahl teilzunehmen und sich bei dieser Wahl zu entscheiden. Es ist auch das freie Recht eines Bürgers, sich bei einer solchen Wahl der Stimme zu enthalten oder gar nicht zur Wahl zu gehen. ({2}) Aber, Herr Althammer, wir haben eine Regierung gewählt, und wir sind der Meinung: Diese Regierung hat im Amt zu verbleiben, weil sie noch große Aufgaben zu erfüllen hat, die sie erst angepackt hat. ({3}) Die Opposition ist hier anderer Meinung. Sie will Herrn Barzel zum Kanzler gewählt haben. Das ist ihr gutes Recht; das bestreiten wir nicht. Aber, Herr Kollege Althammer: Welche Form jeder einzelne Abgeordnete dafür wählt, das müssen Sie jedem einzelnen Abgeordneten überlassen, wenn Sie nicht selbst diktatorische Maßnahmen in diesem Hause einführen wollen. ({4}) Wir sind der Meinung: Diese Regierung ist gewählt mit unseren Stimmen, und sie sollte im Amt bleiben. Wir sehen deshalb keine Notwendigkeit, uns an Ihrem Antrag zu beteiligen in der Form, daß wir hier an diesem Akt teilnehmen, sondern ich mindestens für meine Person werde diesem Akt mit großer Freude beobachtend zuschauen. Ich werde hier sein, wie es sich für einen Abgeordneten gehört - das ist meine eigene Entscheidung; die hat jeder Abgeordnete für sich zu treffen -, weil ich der Meinung bin, daß Ihr Antrag nichts anderes ist als ein Schaustück, das zulässig ist, aber bei dem ich mich nicht als Akteur beteiligen möchte. ({5}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin wie der Bundesminister und Kollege Ertl der Meinung, daß jede beleidigende, diffamierende und undemokratische Äußerung in Wort und Schrift nicht dazu beiträgt, die Fragen unseres Volkes und die Fragen der Zukunft unseres Volkes vernünftig zu lösen. ({0}) Ich bin der Meinung, daß wir heute nicht über den Antrag der CDU/CSU abstimmen, sondern den Haushalt beraten. ({1}) Ich bin aber der Meinung, daß rechtzeitig ein Wort dazu gesagt werden muß, was uns zu Ohren gekommen ist und was auch nicht bestritten wird, ({2}) daß nämlich eine nach dem Grundgesetz vorgesehene demokratische Entscheidung durch Manipulation ({3}) von Ihrer Seite, Herr Wehner, unter Ihrem Kommando - ({4}) Diese Manipulation soll durchgeführt werden, weil Sie sich auf Ihre Mitglieder in der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei nicht verlassen können. ({5}) Deshalb unterbinden Sie eine freie, geheime Abstimmung, so wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist. ({6}) Ich darf hier für die Fraktion der CDU/CSU feststellen: Wie schlecht muß es um diese Regierung, ({7}) um ihren Kanzler und um ihre Mitglieder bestellt sein, wenn Sie nicht mehr die Freiheit der Gewissensentscheidung zulassen können. ({8}) Ich möchte damit schließen, daß ich Ihnen sage: ({9}) Sir, geben Sie Gewissensfreiheit! ({10}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil mein verehrter Vorredner hier einige Male und schließlich auch an meine Adresse den Begriff Manipulation - und zwar ungerügt hat sagen können, ({0}) möchte ich ihn daran erinnern, daß in einem meiner Panzerschränke ein von ihm unterzeichneter - sozusagen - Erlaß liegt, wie die Abgeordnetentätigkeit eines Abgeordneten in diesem Hause während dieser Periode manipuliert werden sollte. Das habe ich nur nicht bei mir, weil ich nicht sicher wäre, ob ich es dann wieder mit nach Hause bringen könnte. ({1}) Dies nur, weil Sie sich jetzt an mich gewandt haben. Wir werden ja morgen, wenn der ehrwürdige Kollege Hallstein, ({2}) wie wir gehört haben, hier Ihren Antrag begründet haben wird, Gelegenheit haben, sowohl zur Sache als auch zur Prozedur zu sprechen. Sie werden sich darauf verlassen können, daß wir uns völlig im Rahmen der Geschäftsordnung und des Grundgesetzes halten. ({3}) - Ja sicher! - Was hier aber auf Grund von Reden, die im Zusammenhang mit dem Einzelplan 02 gehalten worden sind, gesagt worden ist von meinem Kollegen Dr. Apel, das möchte ich voll unterstützen. Sie müssen immer an eines denken, verehrte Herren: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es häufig gräßlicher zurück! ({4}) - Ja, sehr gut, daß Sie das sagen. Hier habe ich, was der Abgeordnete Strauß in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CSU hineingerufen hat, z. B.: „Bei der heutigen Regierungskoalition handelt es sich nicht um eine normale Wachablösung, sondern um einen Wandel, ja, um den Beginn eines Umsturzes unserer Gesellschaftsordnung." ({5}) Erster Punkt. Zweiter Punkt. Und noch am letzten Samstag ist in demselben bemerkenswerten Blatt, Herr Kollege, wieder vom Abgeordneten Strauß in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CSU gesagt worden, daß die Regierung, über die ja in dieser Woche abgestimmt werden kann, morgen nämlich - damals war der Termin noch nicht festgelegt - sich auf frischer Tat ertappt fühle bei dem Versuch, ihren kalten Staatsstreich zu vertuschen. ({6}) - Nein, nein, Herr Strauß, hier muß ich Ihrem Gedächtnis nachhelfen oder denen, die vielleicht nicht ganz Ihrem Wortlaut in dieser Ihnen sonst so nahestehenden Zeitung gefolgt sind. Sie haben nämlich gesagt: kalter Staatsstreich; denn nichts anderes stellt der Vertrag von Moskau dar. ({7}) Sie nennen den Vertrag von Moskau einen kalten Staatsstreich. Herr Strauß, wie man in den Wald hineinruft - lächeln Sie jetzt, dann werden wir auch lächeln , so schallt es manchmal wild zurück. ({8}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wende mich gegen das, was Herr Bundesminister Ehmke meinem Kollegen Dr. Althammer zum Vorwurf gemacht hat. Haushaltsberatungen bedeuten, daß man über die Gesamtpolitik spricht, daß man aber auch die Gelegenheit wahrnimmt, über das, was das Parlament selbst betrifft, zu sprechen. Wenn wir den Haushalt des Deutschen Bundestages beraten und wenn dabei ein Abgeordneter - er mag heißen, wie er will und aus gleichgültig welcher Fraktion kommend - versucht, seine Besorgnisse um gewisse Entwicklungen, die ihn als Abgeordneten unmittelbar betreffen, aufzuzeigen, dann, meine Damen und Herren, sollten Sie das in dem Ernst aufnehmen, mit dem es hier vorgebracht worden ist. ({0}) Drohungen, Bedrohungen, Nötigungen ({1}) außerhalb des Hauses bis hinein ins Haus, außerhalb der Bundesrepublik bis hinein in die Bundesrepublik zum einzelnen Abgeordneten hin, bis hin zu den Familien treffen alle in diesem Haus, soweit sie Demokraten sind oder noch sind. ({2}) - Herr Kollege Apel, ich versuche, die ernsten Sorgen, die uns alle berühren sollten, deutlich zu machen. ({3}) Ich mache es mir nicht so leicht wie Sie. Sie haben hier drei Feststellungen getroffen und dabei die erste Feststellung, die Sie zu treffen gehabt hätten, vergessen, nämlich die Feststellung, wer denn - wenn Sie schon den baden-württembergischen Wahlkampf genannt haben - Methoden mit „Holzen" usw. dort eingeführt hat. ({4}) - Meine Damen und Herren, wenn wir uns bei der Beratung des Einzelplans des Bundestages nicht mehr ruhig über gewisse Entwicklungen unterhalten können, die uns Abgeordnete betreffen, dann muß ich fragen: Wo stehen wir? ({5}) Als letzte Bemerkung - ich greife es nur auf, ich will mich nicht näher verbreitern -: Lesen Sie nach, was Ihr Pressesprecher gestern abend vor dem Fernsehen gesagt hat. Ich kann es jetzt nicht wörtlich vorlesen, aber die Stellen gibt es ja. Es war etwa so: Dann kann man ja sehen, wer gegen Brandt stimmen will; wir bleiben sitzen; wenn einer will, kann er gehen; dann wissen wir, was er tut. Fragen Sie sich mal, welche Methode das ist ({6}) und ob damit noch die freie und geheime Wahl, wie sie bei uns noch gilt, fortbestehen kann. ({7}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Parlament ist frei und souverän in seiner Entscheidung. Dieses Parlament braucht in dieser Situation, auch wenn die Entwicklung noch so krisenhaft von der Opposition hochgetragen wird, keine Entscheidungsbeihilfe von außen. Davon bin ich fest überzeugt. ({0}) Ich bin fest davon überzeugt, daß die Entwicklungen im innenpolitischen Bereich in unserem Volke in den nächsten zwei Tagen noch erheblichen Nervenbelastungen ausgesetzt sind. Ich bin genauso davon überzeugt, daß morgen nach der Abstimmung in unserem Volke eine weitgehende Beruhigung festzustellen sein wird über das, was sich dann hier in der Abstimmung gezeigt hat. ({1}) Das Dritte! Der Kollege Althammer hat davon gesprochen, daß die CDU/CSU als stärkste Partei dieses Hauses seit 1969 die Rolle der Opposition „ertragen" müsse. Ich kann Ihnen nur sagen: mit dieser Art Demokratie-Verständnis stimmen wir nicht überein. ({2}) Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union sollten doch gerade auf diesem Sektor mal auf ihre eigene Vergangenheit in Deutschland zurückblicken. ({3}) - Wir gemeinsam, Herr Kollege Stein, Sie und wir gemeinsam und die bei Ihnen in der Fraktion noch übriggebliebenen Kollegen der Deutschen Partei und andere. -- Dann werden Sie sehr schnell zu der Überzeugung kommen, daß die hier vorgetragene Argumentation überhaupt nicht von Ihnen vorgetragen werden könnte. ({4}) Denn wir haben mit Ihnen gemeinsam in Berlin, in Hamburg, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen Mehrheitsbildungen für Regierungsbeteiligungen gegen die jeweils stärkste Fraktion und Partei im Landesparlament durchgeführt, ({5}) und wir haben gemeinsam das damals politisch für richtig gehalten und vertreten. Zu dieser Überzeugung stehen wir in diesem Bundestag genauso, wie wir in den Landtagen dazu gestanden haben. ({6}) Was die Frage der Beteiligung an der Wahl morgen angeht, sage ich Ihnen hier in allem Freimut: ich werde mich morgen an dieser Wahl beteiligen, und ich werde meine Stimme abgeben. Daraus werde ich niemals einen Vorwurf gegen einen anderen, der sich an der Wahl nicht beteiligt, herleiten können. Diese Entscheidung ist völlig frei und ist in meiner Fraktion und genauso - davon bin ich überzeugt - in der sozialdemokratischen Fraktion jedem Kollegen freigestellt. ({7}) Diese Koalition geht mit klarer politischer Vorstellung in diese Abstimmung hinein, und das Ergebnis dieser Abstimmung werden wir dann morgen nachmittag vorliegen haben. ({8}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark ({9}).

Dr. Anton Stark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich heute morgen den Stil dieser Debatte, wie sie die Koalitionsfraktionen führen, verfolge und mich an die Regierungserklärung ({0}) von Bundeskanzler Brandt erinnere - bei der ich sehr genau zugehört habe - und in der von „mehr Demokratie", „Offenheit für Kritik", „Toleranz", „Glaubwürdigkeit" und „Transparenz" die Rede Dr. Stark ({1}) war, und dann vor allem an den Schlußsatz denke: „Jetzt beginnt es erst mit der Demokratie", kann ich mich über diesen Stil nur wundern. ({2}) Hier wird, auch von Herrn Ertl, der Versuch gemacht, eine Regierungskrise, die in einer Demokratie völlig normal ist, zu einer Staatskrise hochzustilisieren. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht vielmehr darum, daß eine Regierung, die sich übernommen hat, in Schwierigkeiten gerät, weil ihre eigenen Leute nicht mehr mit Überzeugung hinter ihr stehen können. Das ist das Problem. ({3}) Herr Apel sagte, die Situation, vor der wir jetzt stünden, hätten wir geschaffen. Meine Damen und Herren, auch ich komme aus dem baden-württembergischen Wahlkampf. Wer hat denn gesagt: „Dann wird eben geholzt, dann werden Betriebe marschieren, ({4}) dann werden wir einem wild gewordenen Kleinbürgertum mal zeigen, daß es noch andere Leute gibt"? Das war doch dieser Bundeskanzler und keiner von uns! ({5}) Wer, Herr Wehner, hat denn von „physischer Mordlust" gesprochen, wer hat uns als Kriminelle dargestellt, wer hat uns im Wahlkampf in Dutzenden von Anzeigen als „Friedensfeinde" bezeichnet? Wer hat uns gestern im Rechtsausschuß als „unanständig" und „würdelos" beschimpft, weil wir nach Protokollen fragen, die nach Aussage der Regierung zu 95 bis 98 O/o richtig sind? Ich habe an den 66stündigen Beratungen des Rechtsausschusses teilgenommen, und ich wurde in diesen 66 Stunden über den wirklichen Inhalt der Verträge getäuscht. ({6}) Wenn ich dann frage, was nun an diesen Protokollen richtig sei, wird gesagt, das sei „unanständig" und „würdelos", und dieselben Protokolle, die eine deutsche Regierung hat anfertigen lassen, werden als „Machwerk" bezeichnet. Meine Damen und Herren, das ist Nervosität bei Ihnen; das ist kein guter Stil mehr. Stellen Sie sich ehrlich dieser und auch der morgigen Aussprache. ({7}) - Herr Wehner, wenn Sie hier über Stilfragen reden, ({8}) dann kann ich nur leicht lächeln. Ihren Stil habe ich in sechs Jahren kennengelernt. ({9}) - Herr Wehner, ich hatte selber schon das Vergnügen, von Ihnen als „Lümmel", „Schrei-Union" oder „Pappkamerad" bezeichnet zu werden; ich möchte nicht alle Ihre Ausdrücke mit ihrem ganzen Charme hier aufzählen. ({10}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. ({11}) - Dafür, daß Sie das nicht gern hören, habe ich vollstes Verständnis. Als Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses, als einer, der sich mit Geschäftsordnungsfragen, der Geschäftsordnung dieses Parlaments und auch mit Art. 38 GG beschäftigt, kann ich das Verfahren, das Sie morgen hier anwenden wollen, nur nochmals ganz hart als Manipulation der freien Meinungsäußerung des einzelnen Abgeordneten bezeichnen, ({12}) selbst wenn dieses Verfahren vor 15 oder auch vor 10 Jahren irgendwo einmal angewandt worden ist. Dieser Bundeskanzler wollte mit der Demokratie erst beginnen. Er hat gesagt: „Wir sind keine Erwählten, sondern Gewählte, wir haben keine gespreizte Würde, wir sind offen für Kritik." Und wenn man heute morgen Kritik übt, dann wird hier eine Staatskrise an die Wand gemalt, und es wird so getan, als ob etwas ganz Furchtbares geschehen würde. Wir tun das nur wegen Ihrer Schwäche, und die haben Sie zu verantworten. Sie haben den Mund zu voll genommen, Sie haben die Regierungserklärung von Herrn Grass schreiben lassen, anstatt von einem Mann, der etwas von Wirtschaft und Finanzen versteht. ({13}) Wenn das morgen so abläuft, kann ich nur nochmals sagen: ({14}) Ich würde in meiner Fraktion, wenn so etwas beschlossen würde, aufstehen und sagen: da mache ich nicht mit. ({15}) Ich hoffe, daß es solche Kollegen auch in den Fraktionen der SPD und FDP gibt. ({16}) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stark, wenn Sie von jemandem getäuscht worden sind, dann von dem morgen anstehenden Kanzlerkandidaten, Ihrem eigenen Fraktionsführer. ({0}) - Herr Kollege Stücklen, Sie wissen genau, daß das, was Sie eben sagten, Scheinheiligkeit ist. ({1}) Aber dieses Beschimpfen der Regierung und die Umkehrung können wir uns morgen noch ausgiebig anhören. Das, was ich hier aufgreifen möchte, weil es um unseren Haushalt, den Haushalt des Parlaments geht, ist ein Thema, das der Kollege Dichgans angerührt hat, nämlich das Thema, daß wir alle nicht wissen, mit wessen Einfluß wir es bei unseren Gewissensentscheidungen noch zu tun haben, das Thema der Beraterverträge, das keine der drei Fraktionen berührt hat. Dies möchte ich allerdings in Beziehung setzen zu dem, was morgen hier passiert. ({2}) Jeder, der morgen hier abstimmt, der an dieser Prozedur teilnimmt, steht leider, weil wir dieses Problem nicht haben lösen können, unter dem Verdacht, einen honorierten Gang zur Urne zu tun. ({3}) - Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie sich jetzt so aufregen, dann hätten wir alle miteinander manchen Anregungen unseres Präsidiums folgen sollen. Damit das völlig klar ist: Ich will mich einem solchen Verdacht nicht aussetzen, und ich fürchte nicht eine Entscheidung meiner Fraktion, die etwa dahin gehen könnte: Wer daran teilnimmt, der ist bei uns im Verschiß. Das ist nicht der Fall. Es steht uns frei, diesen Gang zur Urne zu machen. Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht darum, hier pro forma sozusagen einen Akt einer formal freien Gewissensentscheidung zu demonstrieren. Das, was morgen deutlich werden muß, ist, wer eigentlich an der Hetzkampagne, die Sie so lange geführt haben, auch noch mit dem Schlußstein teilnehmen will. Hier geht es darum, offen darzustellen, daß man keinen honorierten Gang antritt. ({4}) Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan des Parlaments liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über den Einzelplan 02. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 02 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksache VI/3352 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Nordenskjöld Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Wird noch eine mündliche Ergänzung der Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache über den Einzelplan 03. Wird das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 03, den Einzelplan des Bundesrates. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen. Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksache VI/3353 Berichterstatter: Abgeordneter Hörmann ({5}) Abgeordneter Baier Ich danke den Herren Berichterstattern. Begehren die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache über den Einzelplan 04. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Katzer. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 60 Minuten beantragt.

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dorn, Sie haben vorhin von einem krisenhaften Gerede der Opposition gesprochen. Ich stelle hier fest: Das Wort Krise ist nicht von der Opposition ,gefallen, sondern von Herrn Kollegen Ertl. Herr Kollege Ertl, ich möchte Ihnen doch sagen dürfen: Wenn Sie meinen, der Staat sei in Gefahr, dann ist das doch einfach nicht richtig, sondern wahr ist, daß diese Regierung in Gefahr ist, ({0}) und zwar deshalb in Gefahr, weil Abgeordnete beider Fraktionen, die diese Regierung tragen, ihre Parteien verlassen haben, weil sie uns sagten: Unsere Parteien stehen nicht mehr zu dem, was sie vor den Wahlen ihren. Wählern versprochen haben. ({1}) Nun, meine Damen und Herren, die Aussprache über den Etat des Bundeskanzlers gibt ,dem Parlament traditionell ,die Möglichkeit zu einer kritischen. Auseinandersetzung nicht nur mit ,dem Etat des Kanzlers, sondern mit der Regierung insgesamt. In diesem Jahr steht diese Generalabrechnung mit der Regierungspolitik durch den von meiner Fraktion gestellten Mißtrauensantrag unter einem besonderen Zeichen. Die Regierung, Herr Bundeskanzler, muß sich dabei messen lassen an den Versprechungen, idie Sie vor den Wahlen gegeben haben, an den Zielen der Regierungserklärung und an den Erfordernissen von Staat und Gesellschaft. Der Etat, der diesem Hause vorliegt, steht in jeder Richtung im Widerspruch zu den Zielen, die die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt proklamiert hat. In der Regierungserklärung heißt es: Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein. ({2}) Jene Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, die als Fahrplan und Kursbuch des Handelns dieser Regierung ausgegeben wurde, war, wie wir heute feststellen müssen, weder ein neuer geistiger Ansatz noch eine realitätsbezogene Perspektive einzelner konkreter Maßnahmen. Zwischen diesem Haushalt, Herr Bundeskanzler, und einer soliden, konjunkturgerechten und effizienten Finanzpolitik klafft ein Widerspruch wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Trotz reichlich fließender Steuern und zusätzlicher Steuererhöhungen kann die Deckung des Haushalts 1972 nur durch eine Neuverschuldung des Bundes von mindestens 7 Milliarden DM erreicht werden. Das ist die höchste jährliche Neuverschuldung seit Gründung der Bundesrepublik. Mag in einer anderen konjunkturellen Situation der Weg des deficit spending angezeigt erscheinen; in der gegenwärtigen Lage, die durch einen nach wie vor anhaltenden Preisauftrieb gekennzeichnet ist, paßt eine derart exorbitant hohe Staatsverschuldung wie die Faust aufs Auge. ({4}) Herr Bundeskanzler, fragen Sie doch die Bürger unseres Landes, ob sie diese Art der Finanzierung der Staatsausgaben für solide halten! Sagen Sie den Menschen doch, daß es noch keineswegs gewiß ist, ob der Bund überhaupt in der Lage ist, einen derartigen Kreditbedarf auf dem Kapitalmarkt zu decken! Sagen Sie ihnen auch, zu welchem Zinssatz dieses Geld aufgenommen werden soll, und sagen Sie ihnen, in welchem Umfang in den kommenden Jahren die Mittel für Gemeinschaftsaufgaben durch Zins- und Tilgungsdienst beschnitten werden! ({5}) Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik der Bundesregierung hat in den letzten 21/2 Jahren hier Wechsel auf die Zukunft gezogen, die in den kommenden Jahren eine schwere Hypothek sein werden, ({6}) und zwar eine schwere Hypothek, Herr Bundeskanzler, ganz gleich, wer die Regierungsverantwortung trägt. Die Deutsche Bundesbank drückt in ihrem Geschäftsbericht 1971 ihre Warnung vor dem von Ihnen beschrittenen Weg in der vornehmen Sprache der Finanzwelt mit den Worten aus: Die sich für 1972 abzeichnenden Defizite und Kreditaufnahmen sind ... bedenklich hoch. Zusätzliche Risiken sind im Haushalt 1972 noch nicht veranschlagt und werden weitere Mittel beanspruchen. Ich nenne hier nur beispielhaft den Ausgleich der Betriebsmittelverluste der Bundesbahn in Höhe von sage und schreibe 800 Millionen DM und die globale Minderausgabe von 1,2 Milliarden DM, bei der in keiner Weise ersichtlich ist, wo Sie diese Beträge einzusparen gedenken. ({7}) Wenn es in diesem Jahr noch gelungen ist, den Haushalt formal auszugleichen, so wird dies für den Haushalt 1973 bei Weiterfahren dieses Kurses nicht mehr möglich sein. Schon heute zeichnet sich für 1973 eine weit größere Deckungslücke ab, die dann nicht mehr durch Kreditaufnahmen beseitigt werden kann. Der Herr Kollege Hermsdorf, der seit dem Weggang des Kollegen Möller diesen Aufgabenbereich betreut, sagte dazu - wie ich meine, zu Recht -: Wenn wir jetzt bei 7 Milliarden DM sind, ist es ökonomisch völlig unmöglich, im nächsten Jahr auf noch mehr zu gehen. Das wird in der Tat, Herr Kollege Hermsdorf, nicht nur ökonomisch unmöglich sein. Es wird auch deshalb unmöglich sein, weil diese Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes ihren Kredit verspielt hat. ({8}) Daher, Herr Bundeskanzler, sage ich mit großem Ernst - und mir liegt weiß Gott nicht an einer Dramatisierung -: Der von der Regierung eingeschlagene Weg läuft in seiner letzten Konsequenz auf eine staatlich finanzierte Inflation hinaus. ({9}) Denn der andere Weg wäre doch entweder der einer Begrenzung der Ausgaben oder der weiterer Erhöhung der Steuern. Beides steht im Widerspruch zur Regierungserklärung Ihrer Regierung. Waren dort doch gerade Steuersenkungen versprochen worden. Es muß daran erinnert werden, der Abbau der Ergänzungsabgabe ist nicht nur vor den Wahlen, sondern noch in dieser Regierungserklärung angekündigt worden, und auf die Verdoppelung des Freibetrages der Arbeitnehmer warten die Arbeiter und Angestellten heute noch. Herr Bundeskanzler, Sie haben mit diesen und anderen Ankündigungen Erwartungen geweckt, die Sie enttäuscht haben. Die Folge ist eine Abnahme des Vertrauens der Bürger zu dieser Regierung, und das geht uns alle an; denn es besteht die Gefahr, daß sich dieser Vertrauensschwund in der Bevölkerung auf das demokratische System selbst ausdehnt, wenn die Dinge nicht gewendet werden. ({10}) Diese Regierung hat den Mut zu unpopulären Entscheidungen im Grunde von Anfang an nicht gefunden. Die Regierungserklärung war neben einer Fülle schöner Worte ein Herumgehen mit der Wundertüte bei allen Gruppierungen unseres Volkes. Diese Art von Politik hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Rainer Barzel, in seiner Antwort auf die Regierungserklärung von 1969 mit den Worten charakterisiert: Nun, hier ist verfahren worden nach dem Motto: Wir wollen erst einmal einen ausgeben. Sie wollten das damals nicht hören und haben es zurückgewiesen. Heute erweist sich dieses Wort nicht nur als treffend, sondern als leider allzu wahr. ({11}) Herr Bundeskanzler, warum haben Sie den Menschen draußen im Lande nicht reinen Wein eingeschenkt? Warum haben Sie bis heute nicht gesagt, wie es um die finanziellen Möglichkeiten dieses Staates steht? Hätten Sie doch endlich ernst gemacht mit den eigenen Worten Ihrer Regierungserklärung, wo es heißt: „Die Bundesregierung fordert viel, nicht nur von den anderen, sondern auch von sich selbst." Nun, meine Damen und Herren, unsere Bevölkerung will nicht durch Schönfärberei, Verharmlosung und modernistische Phrasen eingelullt werden. Das hat der Ausgang der Wahlen in BadenWürttemberg überdeutlich bewiesen. ({12}) In Ihrer Regierungserklärung heißt es: „Stabilität ohne Stagnation." Das war der zweite Leitsatz Ihrer Regierungserklärung, der heute wie ein Bumerang auf Sie zurückschlägt. Ich brauche nicht die Tatsachen zu wiederholen, die jeder Bürger dieses Landes selbst erlebt, wenn er seine Einkäufe macht, wenn er am Monatsende die Strom- und Gasrechnung bezahlt, und demnächst auch, wenn er die Briefmarke auf einen Brief klebt oder ihm die Telefonrechnung ins Haus flattert. Das sind die Sorgen unserer Bürger, wie jedermann weiß, der den Bezug zu den einfachen Menschen unseres Volkes nicht verloren hat. ({13}) Das sind die Sorgen, auf die die Opposition seit zwei Jahren unablässig hingewiesen hat. Sie, Herr Bundeskanzler, haben das immer wieder bewußt heruntergespielt. ({14}) Mehrfach haben wir von Ihnen zwar Worte des Bedauerns über die inflationäre Entwicklung gehört. Aber dann folgte von Ihnen doch stets der in seinen Auswirkungen so gefährliche Satz, daß „unter dem Strich" doch immerhin noch etwas übrigbleibe. ({15}) Das ist ein gefährlicher Satz, Herr Bundeskanzler, den ich nicht erst heute kritisiere, sondern schon vor Jahr und Tag in diesem Hause kritisiert habe. Denn er pflegt genau das, was wir nicht brauchen: die Inflationsmentalität, von der wir herunter müssen. ({16}) Außerdem, Herr Bundeskanzler: Dieser Satz ist nicht zutreffend für diejenigen Gruppen unseres Volkes, die auf den Schutz durch den Staat deshalb besonders angewiesen sind, weil sie sich nicht aus eigener Kraft im Verteilungskampf behaupten können. Das gilt für die Rentner, die seit zwei Jahren nicht mehr am realen Zuwachs des Sozialprodukts beteiligt sind. Das gilt für die Sparer, deren Guthaben durch die Inflation aufgefressen werden, und für die Familien mit mehreren Kindern, die unter Ihrer Regierung das zweifelhafte Privileg erhalten haben, einen Anspruch auf Sozialhilfe zu besitzen, wenn sie das Durchschnittseinkommen eines Bürgers in unserem Lande haben. ({17}) Diesen Gruppen unserer Bevölkerung ist mit den guten Worten - und ich habe damals, Herr Bundeskanzler, in der ersten Aussprache über die Regierungserklärung diesen Satz von Ihnen ausdrücklich begrüßt -: „Die Bundesregierung wird besonders für die Mitbürger sorgen, die im Schatten leben müssen, die durch Alter, Krankheit oder strukturelle Veränderungen gefährdet sind", allein nicht geholfen. Diesen Menschen haben Sie nicht geholfen, Herr Bundeskanzler. Hier hätten Sie Ihrer Erklärung Taten folgen lassen müssen. Ich sage das mit einer gewissen Bitterkeit, Herr Bundeskanzler: Diese Regierung ist nicht der Anwalt der Schwachen und in Not Geratenen. ({18}) Sie sollten beschämt sein durch die Feststellung der Bundesbank, daß „die Rentner in den letzten Jahren eindeutig zu den Leidtragenden des gesamtwirtschaftlichen Verteilungskampfes zählen". ({19}) Das ist nicht die Äußerung der Opposition, sondern ein Zitat der Deutschen Bundesbank. ({20}) Nicht nur die Rentner, sondern auch viele andere sozial schwache Gruppen der Bevölkerung sind im Verteilungskampf der Inflation an die Seite gedrückt worden. Die volle Wahrheit über das Ausmaß dieser Schäden ist noch gar nicht abzumessen. Ich sage mit allem Freimut: Gelingt es nicht, diese Schäden - rasch geht es sowieso nicht - energisch und gezielt zu beseitigen, dann muß jede Reformpolitik scheitern. ({21}) Zugleich geht auch die Stabilität auf Dauer verloren, weil damit die nächsten Verteilungskämpfe sozusagen vorprogrammiert sind. Ohne Stabilität gibt es keine gerechte Verteilung, ohne Verteilungsgerechtigkeit gibt es keine Stabilität. Unsere Vorschläge zur Beseitigung eingetretener Verteilungsungerechtigkeiten, insbesondere zur Wiederanhebung des Rentenniveaus, liegen diesem Hause seit langem vor. Lassen Sie mich hier mit aller Deutlichkeit sagen: Wir werden an diesen Entwürfen in jeder parlamentarischen Situation festhalten, sei es, daß wir die Verantwortung von der Regierungsbank zu übernehmen haben, sei es aus der Verantwortung in der Opposition in diesem Hohen Hause. ({22}) Herr Bundeskanzler, täuschen Sie sich im übrigen nicht: In diesem Jahre wird die Rechnung „unter dem Strich" auch für die aktiven Arbeitnehmer nicht mehr aufgehen. Denn die sinkenden Realeinkommen und ein stagnierendes Wirtschaftswachstum charakterisieren die konjunkturelle Entwicklung. Die Schere zwischen Preissteigerungen und Lohnerhöhungen klappt zu. Mit Ausnahme des Höhepunkts der Korea-Krise 1951 sind die Lebenshaltungskosten seit der Währungsreform niemals um den Prozentsatz gestiegen, den wir heute zu verzeichnen haben. ({23}) Die Regierung sagt: Nun ja, das ist zwar bedauerlich, aber auch im Ausland steigen die Preise. Abgesehen davon, daß eine solche Feststellung dem deutschen Verbraucher wenig nützt, ist sie unzutreffend. ({24}) Dies ist nicht nur eine Behauptung der Opposition, ich zitiere wiederum die Deutsche Bundesbank, die feststellt: Die deutschen Verbraucherpreise sind vom Sommer 1971 an durchweg kräftiger als in den übrigen Industriestaaten gestiegen, und dies hat sich auch bis Anfang Februar 1972 nicht geändert. ({25}) Meine Damen und Herren, das Herunterspielen des Verlustes der wirtschaftlichen Stabilität durch diese Bundesregierung ist gefährlich, weil es in der Bevölkerung dahin mißverstanden werden könnte, als ob es sich bei diesem Vorgang um eine für die Zukunft ganz normale Entwicklung handelte. Schuldenmachen oder Flucht in die Sachwerte wird für einen zunehmend wachsenden Teil unserer Bevölkerung bei dieser Politik geradezu zur Richtschnur seines Verhaltens. Schon gibt es Stimmen, die von Gleitklauseln zugunsten der Sparer sprechen. Nur 1 zu verständlich, wenn der Zuwachs des Sparguthabens ins Minus umschlägt! Meine Damen und Herren, wohin führt das? Lassen Sie mich dies als meine große Sorge ganz kraß ausführen: Das führt in Wahrheit dazu, daß der Bürger in eine noch größere Abhängigkeit vom Staat gerät - sei es vom Gesetzgeber oder sei es von einer Behörde -, der derartige Mechanismen in jedem Jahr so oder so beschließen kann. Wer die Sicherheit für sein Sparguthaben im Alter oder bei Notfällen nicht mehr hat, der hat - das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen - ein Stück Freiheit in dem Gestaltungsraum seines persönlichen Lebens verloren. ({26}) Er wird leichter manipulierbar gemacht. Mögen wir durch die industrielle Entwicklung auch beinahe zwangsläufig manchen Abhängigkeiten ausgeliefert werden, so gehört diese jedenfalls nach dem bisherigen Erkenntnisstand nicht dazu. Unser Ziel müßte es sein, den Freiheitsbereich des einzelnen nicht einzudämmen, sondern ihn im Gegenteil zu erweitern. Dazu ist auf diesem Feld Voraussetzung die Rückkehr zu einer bewußten Politik der Stabilität unseres Geldwerts. ({27}) Lassen Sie mich auch hier - weil es ja sonst immer heißt, das sage die Opposition - die Sorge zitieren, die kein anderer als der frühere Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes, Poullain, ausgesprochen hat. Er sagte: Wir müssen uns darauf einstellen, daß hier nicht nur eine Geldentwertung stattfindet, sondern daß gesellschaftspolitische und politische Veränderungen eintreten, deren Umfang wir heute noch nicht zu übersehen vermögen. Auch der vorliegende Etat, Herr Bundeskanzler, wirkt inflationsfördernd. Wenn der verantwortliche Mann im Finanzministerium meint, die Zuwachsrate des Bundeshaushalts von 11,4 % - wir wissen, daß es in Wirklichkeit mehr ist - sei konjunkturkonform, so muß er sich ebenfalls durch die Bundesbank eines Besseren belehren lassen. Ich füge mit Herrn Geiger hinzu: Inflation, Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. ({28}) Meine Damen und Herren, dies ist die eine Seite. Aber nun ist es natürlich nicht so, daß durch den überproportionalen Zuwachs des Haushalts große und wichtige Gemeinschaftsaufgaben stärker als bisher finanziert würden. Im Gegenteil, für mehr Geld wird weniger erreicht. Für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben wurde in den vergangenen Jahren, wie es der Sachverständigenrat ausdrückt, „fatal wenig gewonnen". Die Bundesbank wiederum - und das ist ein Punkt, Herr Bundeskanzler, den Ihre Regierung und der jetzige Finanzminister sehr genau beachten sollten -- stellt fest: Die hohen öffentlichen Investitionsausgaben verpufften zu einem großen Teil. Der Anteil der Anlageinvestitionen des Staates am realen Bruttosozialprodukt hat sich verringert, und auch gegenüber dem Volumen aller Investitionen ist der Anteil der staatlichen Investitionen beträchtlich gesunken. ({29}) So sieht die Wirklichkeit aus, und das ist die Antwort der Regierung auf das ständige Gerede von der zunehmenden Armut im öffentlichen Bereich und dem zunehmenden Reichtum im privaten Bereich. ({30}) Für eine Regierung, die mit dem hohen Anspruch angetreten ist, eine Regierung der inneren Reformen zu sein, sind diese Feststellungen fatal. Natürlich gibt es auch Reformen, die kein Geld kosten, aber sie sind, wie wir alle wissen, in der Minderzahl. Alle Reformen, die Sie, Herr Bundeskanzler, zum besonderen Schwerpunkt Ihrer Regierungserklärung machen wollten, sind mit Finanzen verbunden, und diese Reformen sind gescheitert. Ich nenne die Reform der Vermögensbildung, verknüpft mit dem Rücktritt des Kollegen Rosenthal; ich nenne die Steuerreform, verknüpft mit dem Rücktritt des Kollegen Möller und des Staatssekretärs Haller; ich nenne die Bildungsreform, verknüpft mit dem Rücktritt des Ministers Leussink. „Wir haben die besseren Männer", plakatierten Sie 1969 auf allen Wänden als Wahlkampfparole der SPD. Ich möchte mit Marlene Dietrich fragen dürfen: „Wo sind sie geblieben?" ({31}) Es ist zu bedauern, Herr Bundeskanzler, daß Sie angesichts des Scheiterns eigener Konzeptionen nicht auf die Initiativen der Union eingegangen sind. ({32}) - Ja, Sie haben das offenbar nicht wahrgenommen. Ich greife aus dem Bildungssektor beispielsweise das Sofortprogramm der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur beruflichen Bildung heraus. Der vorhin zitierte Deutsche Gewerkschaftsbund hat dieses ausdrücklich begrüßt, aber die Bundesregierung macht es herunter. Es spricht überhaupt gegen die Selbstsicherheit dieser Regierung, daß sie die Vorschläge der Opposition prinzipiell verteufelt oder sie nach ihrer Übernahme als eigene Leistungen feiert. ({33}) Ich darf in diesem Zusammenhang erinnern an die Übernahme unseres Vorschlags zur Einführung von Vorsorgeuntersuchungen aus unserem Gesetzentwurf zur Fortführung der Krankenversicherungsreform, an die Einführung der Unfallversicherung für Schüler, ebenalls entsprechend einem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion, oder an die Pflicht des Arbeitgebers, Beschäftigte im Rahmen der Betriebsverfassung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Kündigung weiterzubeschäftigen. „Das Selbstbewußtsein dieser Regierung" - Herr Bundeskanzler, so haben Sie in der Regierungserklärung 1969 geschrieben - „wird sich als Toleranz zu erkennen geben." Ist in diese Toleranz nicht auch die selbstverständlich Achtung vor dem politischen Gegner eingeschlossen? ({34}) Wir haben - Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen das nicht ersparen - leider auch aus Ihrem Munde andere Bemerkungen gehört, die nicht dazu angetan waren, den inneren Frieden in unserem Volke zu sichern. ({35}) Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, ein Wort zur Vermögensbildung sagen, weil es sich hier um eine der Schlüsselfragen unserer gesellschaftlichen Ordnung handelt. Auch hier setzten Sie in der Regierungserklärung einen hohen Anspruch. Die Vermögensbildung sollte so gestaltet werden, „daß gleichzeitig die Kapitalbildung in der Wirtschaft und die Anlage in Beteiligungswerten erleichtert werden". Im April 1970 erklärte der zuständige Minister im Deutschen Bundestag stolz - na ja, es war April 1970 -: „Wir werden nicht bis 1973 warten, bis unsere weiteren vermögenspolitischen Maßnahmen in diesem Hohen Hause zur Diskussion gestellt werden." ({36}) Und im Oktober 1970 erklärte der Minister auf einer Arbeitnehmerkonferenz der SPD in Schweinfurt: Großen Raum in den Überlegungen der Bundesregierung . . . nimmt die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer ein . . . Willy Brandt - so meinte der Minister damals hat sich vorbehalten, diese Vorschläge den Arbeitnehmern selbst bekanntzugeben. ({37}) Ihr werdet verstehen, daß ich dem Kanzler nicht vorgreifen möchte. Ich kann das sehr gut verstehen; es war ja nichts da. Meine Damen und Herren, man hörte dann noch von den Plänen einiger Staatssekretäre. Aber diese Pläne verschwanden mit den Staatssekretären in der Versenkung. Kabinettsausschüsse wurden beauftragt. Ich stelle fest: Ein verbindliches Konzept gibt es bis heute nicht, und auch der angekündigte Bericht zur Vermögensbildung liegt nicht vor. Was vorliegt, ist eine inflationsbedingte Steigerung des Sachwertvermögens und ein Verlust für die Masse der Sparer. Das ist die Bilanz Ihrer Vermögenspolitik in zweieinhalb Jahren. ({38}) Das alles aber hindert Sie nicht, draußen im Lande lautstark die Ungleichgewichtigkeit der Verteilung des Produktionsvermögens zu beklagen. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat schon im Mai 1970 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine individuelle Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen vorsieht. Dieser Entwurf ist mit dem Namen unseres Freundes Burgbacher verbunden. Auch bei dieser Initiative der Opposition sind Sie niemals in eine konstruktive Auseinandersetzung mit uns eingetreten. Freilich mehren sich innerhalb der Sozialdemokratie diejenigen Stimmen, die offenbar von einer individuellen Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen nichts wissen wollen, weil sie den Privatbesitz an Produktionsvermögen überhaupt ablehnen. Diese Stimmen haben sich auf den Parteitagen der SPD in Bonn und Bad Godesberg Ende vergangenen Jahres bereits unverschlüsselt zu Wort gemeldet. Die Öffentlichkeit hat sehr wohl registriert, daß ein Teil der Sozialdemokraten sich wieder klar zu den ökonomischen Vorstellungen von Karl Marx bekennt. Es ist für mich geradezu beängstigend, zu sehen, wie kritiklos von diesen Kräften auf einen hundert Jahre alten Entwurf zurückgegriffen wird in der Meinung, er sei zur Lösung der großen Gegenwartsaufgaben wie Umweltbelastung, Konzentration der Wirtschaft etc. geeignet, während er ursprünglich Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Ausbeutung beseitigen wollte, wozu er, wie wir alle wissen, aber auch nicht geeignet war. Nehmen Sie den Oppositionsführer in Schleswig-Holstein, nehmen Sie die Vorgänge in Bremen, Frankfurt, München und selbst im Unterbezirk Bonn: ({39}) Diese Entwicklung - ich sage das hier ohne jede Polemik - muß den besonnenen Kräften innerhalb der Sozialdemokratie - und uns selbstverständlich auch - Sorge bereiten. Es kann uns schließlich nicht egal sein, wie der Weg dieser großen Partei für die Zukunft gezeichnet ist. ({40}) Meine Damen und Herren, nun werden Sie natürlich wieder sagen: Das ist die verzerrte Sicht eines Mannes, der aus der Opposition spricht. Das ist aber mitnichten so. Das zeigen doch Stimmen wie z. B. die des derzeitig noch amtierenden Oberbürgermeisters von München, Vogel. Es ist auch ein erstaunlicher und, soweit ich mich zu erinnern vermag, in der Parteigeschichte Nachkriegsdeutschlands einmaliger Vorgang, wenn der Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär Ahlers, von dem Parteitag seiner Partei als einem selbstmörderischen Akt spricht und in diesem Zusammenhang schreibt, die Gefahr einer tiefen inneren Spaltung sei nähergebracht, und niemand vermöge vorauszusagen, ob sich daraus eines ferneren Tages auch eine äußere Spaltung ergebe. ({41}) Meine Damen und Herren, wenn ich das richtig gelesen habe, was das Präsidium der SPD am Montag dieser Woche festgestellt hat, nämlich daß der Wahlkampf in Baden-Württemberg auch deshalb negativ ausgegangen sei, weil es divergierende Gruppen in dieser Partei gegeben habe, so kann ich doch nur - wenn eine solche Äußerung von der Partei selbstklagend an sich selbst gerichtet wird - fragen: Wer ist denn der Vorsitzende dieser Partei, der nicht die Führungskraft besitzt, diese divergierenden Kräfte zusammenzufassen und zusammenzubinden? Das ist doch niemand anders als der Bundeskanzler! ({42}) Meine Damen und Herren, hier zeigen sich die Folgen der Scheu - ich will mich einmal vorsichtig ausdrücken - des Herrn Bundeskanzlers vor klaren Entscheidungen. Demokratie heißt nicht „Sowohl-Als-auch" um jeden Preis. Auch das Weder-Noch, das die Diktion der Regierung kennzeichnet, gehört nicht zum Wesen der Demokratie. Demokratie heißt alle Meinungen anhören und dann in dem Verfahren entscheiden, das die Verfassung vorsieht. Und das muß in klarer Sprache geschehen. Alles andere, Herr Bundeskanzler, mag menschlich sympathisch sein, ist aber nicht nur für Ihre Partei, sondern auch für den ganzen Staat gefährlich. ({43}) Die Infiltration weiter öffentlicher Bereiche durch radikale Kräfte hat ein bemerkenswertes Ausmaß angenommen. ({44}) Professor Karl Steinbuch, 1969 noch Mitunterzeichner einer SPD-Wählerinitiative, hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, im Hinblick auf die Verhältnisse an den Universitäten geradezu beschwörend geschrieben: „Bitte, ergreifen Sie die Initiative, bevor es zu spät ist." Die Antwort war beschwichtigend und seltsam fern der konkreten Problematik. „Wir suchen das Gespräch mit allen, die sich um diese Demokratie bemühen", verkündeten Sie in Ihrer Regierungserklärung. Das Gegenteil davon ist eingetreten. Politiker, die befürchten, daß der Weg dieser Regierung gegenüber der Sowjetunion nicht zu mehr Entspannung, Freiheit und Frieden führt, werden persönlich angegriffen und verunglimpft. Es geht doch nicht darum - das werfe ich dieser Regierung vor -, ob diese Partei den Frieden und eine andere den Krieg will, sondern es geht darum, daß dieses Hohe Haus um den besten Weg ringt, den wir gehen müssen, um für uns alle diesen Frieden zu sichern und zu erhalten. Das ist doch das Problem, um das wir miteinander ringen müssen! ({45}) Ein Kabinettsbeschluß beschuldigt die stärkste Fraktion dieses Landes - das ist, soweit ich sehe, auch einmalig - der Unterstützung krimineller Akte und hebt dabei den Oppositionsführer namentlich heraus. Herr Bundeskanzler, hier ist die Ebene des Argumentierens in unverantwortlicher Weise verlassen worden. Ich weise dies mit Nachdruck zurück! ({46}) Herr Kollege Wehner hat es vorhin für richtig befunden zu sagen: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! Aus Ihrem Munde besonders reizvoll, wie ich in der Tat gestehen muß, Herr Kollege Wehner! ({47}) Wie sieht das denn aber bitte aus? Ich habe das jetzt nicht vollständig, aber möchte doch einiges in Erinnerung rufen. Nach einem Jahr Ihrer Regierung haben Sie, Herr Wehner, von der Opposition als von Verbrechern gesprochen. Herr Brandt sprach von Volksverhetzern, hat sich dann im Bundestag entschuldigt. Herr Möller, damals noch Finanzminister, rückte die CDU/CSU in die Nähe derer, die den Ersten und den Zweiten Weltkrieg und die Inflation verschuldet haben. In Bielefeld hatte der Herr Bundeskanzler die CDU/CSU beschuldigt und behauptet, er habe Beweise dafür, daß die Union auf die Industrie eingewirkt habe, wilde Streiks zu provozieren. ({48}) Am gleichen Tage, an dem der Herr Bundeskanzler sich dankenswerterweise - das will ich sofort hinzufügen - hier in diesem Hause entschuldigte, nannte der Vorsitzende der SPD-Fraktion mich unter Bezug auf die Haltung zur Mitbestimmungsfrage einen Betrüger. Wir haben das leider gerichtlich klären müssen. Der Geschäftsführer der SPD - damals noch, heute zurückgetreten - forderte die Regierung in allem Freimut auf, künftig Informationen nur noch an solche Journalisten zu geben, die die Arbeit der Bundesregierung, wie er sich ausdrückte, „nicht erschweren". Ich kann diese Liste der Zitate fast beliebig fortsetzen. „An den Quellen, an denen die Preise gemacht werden, sitzen die Herren Strauß, Stoltenberg und Kohl" - so der Bundeskanzler am 6. Februar 1971. „Verantwortungslos" nannte der Kanzler die Warnungen vor der Inflation. Das war noch im Mai 1971. Und was haben wir in diesem Wahlkampf gehört? ({49}) Nun, meine Damen und Herren, Wahlkämpfe sind nicht die ritterlichsten Turniere, hinüber und herüber. Ich habe auch eine ganze Reihe von Flugblättern da. Das will ich jetzt hier nicht bringen. Aber ich muß doch sagen, verehrter Herr Bundeskanzler: Ihre Äußerung, die Sie hier ausdrücklich noch einmal bestätigt haben: „Wenn es so kommen muß, kann ich nicht mehr helfen, ich habe es nicht gewollt; dann wird geholzt bis zur letzten Konsequenz, ({50}) dann geht die Mannschaft ins Land, dann mobilisieren wir alle Betriebe" ({51}) - lassen Sie mich das in Ruhe sagen -: ({52}) Herr Bundeskanzler, das schafft ein Klima, das die Freiheit dieses Parlaments in der Tat von innen her beeinträchtigt. Dagegen wende ich mich. ({53}) Meine Damen und Herren, ich will nicht auf das vorgreifen, was morgen hier geschieht. Nur würde ich die Sozialdemokratie und den Deutschen Gewerkschaftsbund bitten, diesen Vorgang nicht so darzustellen, als wenn das etwas außerhalb der Verfassung Liegendes wäre. ({54}) Dieser Weg des konstruktiven Mißtrauensvotums ist in unserer Verfassung ausdrücklich vorgesehen, und wir machen von dem verfassungsgemäßen Recht Gebrauch und sonst gar nichts. ({55}) Das ist gar nichts Neues. Es ist nur neu, daß es von unserer Seite kommt. Als Sie in Nordrhein-Westfalen mit den Freien Demokraten Karl Arnold 1956 stürzten, da habe ich keinen DGB gehört, der sich für den Gewerkschafter Karl Arnold eingesetzt hat, um das zu verhindern. Das wollen wir festhalten. ({56}) Herr Bundeskanzler, was ich Ihnen in dieser Stunde vorwerfen muß, ist, daß Sie sich nicht ernsthaft um Gemeinsamkeit mit der Opposition in den entscheidenden Fragen unseres Volkes bemüht haben. ({57}) - Ich werde gleich auf Ihre „Phrasen" antworten, Herr Kollege. ({58}) - Das dürfen Sie auch! - Dies gilt insbesondere für die Deutschland- und Ostpolitik. Und als Antwort auf Ihren Zwischenruf: Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Wehner, war es doch, der hier im Hause erklärt hat: Wir brauchen die Opposition für diese Politik nicht! Das waren doch nicht wir! ({59}) Das war damals für mich einer der traurigsten Zwischenrufe, die ich in 15 Jahren, die ich diesem Hohen Hause angehörte, überhaupt hier erlebt habe. Denn in den großen Fragen der deutschen Außenpolitik braucht man jede Gemeinsamkeit mit jeder Opposition, die hier in diesem Hause arbeiten kann. ({60}) Sie haben, Herr Kollege Wehner, doch eine Strategie entwickelt. Sie haben das ja nicht zuerst hier im Haus gesagt, sondern zunächst draußen in sehr kalter Berechnung in einem Interview und haben es dann hier im Hause wiederholt. Dann ist noch zu verzeichnen - und davon sollten Sie, meine Damen und Herren, Abschied nehmen -: der unentwegte und dauernde Versuch, die Opposition in die Ecke der Nein-Sager, der ewig Gestrigen, der zu neuen Lösungen schlichtweg Unfähigen zu drängen. ({61}) - Ja, das haben Sie versucht und wundern sich dann über das Echo, das diese Ihre beleidigenden Äußerungen bei uns finden. Es ist genau so: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! ({62}) Dies alles mag nicht ungeschickt ausgedacht gewesen sein. Der Informationsvorsprung durch den Propagandaapparat der Regierung war mit einkalkuliert. ({63}) Wir hatten es in der Tat nicht leicht, unsere eigenen Initiativen in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Und doch ist dieses taktische Spiel nicht aufgegangen. Mehr und mehr kommen besonnene Kräfte aus den Reihen der Regierungsparteien zu uns, weil sie die halsbrecherische Gratwanderung zwischen überzogenen Ansprüchen und vorhandenen Realisierungsmöglichkeiten, zwischen utopischen Vorstellungen und den Anforderungen der Wirklichkeit, zwischen Worten und Taten nicht mehr mitmachen wollen. Auch der Öffentlichkeit - das zeigt das Ergebnis der Landtagswahl in Baden-Württemberg - wird deutlich: die Zeit der schönen Illusionen, Herr Bundeskanzler, geht zu Ende. ({64})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unserer parlamentarisch-demokratischen Bundesrepublik ist der Wähler derjenige, der entscheidet, welche politische Partei oder welche politischen Parteien den Auftrag zur Führung der Politik erhalten. Die Parteien treten vor die Wähler mit einem Programm und werben dafür, daß die Wähler sich mit diesem Programm befassen und dann ihre Entscheidung treffen. Die aus solchen Wahlen hervorgehende Regierung hat eine echte originäre Legitimation zum Han10610 Dr. Schäfer ({0}) dein, und die daraus sich ergebende Mehrheit im Parlament hat die originäre Legitimation, Gesetze mit Mehrheit zu beschließen. Wenn Sie, meine Damen und Herren, morgen den Versuch machen, im Wege eines sogenannten konstruktiven Mißtrauensvotums eine Entscheidung herbeizuführen, dann ist das Ihr verfassungsmäßiges Recht. Und dennoch zeigt die Debatte heute vormittag, daß Sie offensichtlich selbst empfinden, daß hier etwas nicht in Ordnung ist, ({1}) daß Sie selbst empfinden den Unterschied der originären Legitimation gegenüber derjenigen, die vor der Bevölkerung selbst als eine manipulierte erscheinen könnte, wenn man den Versuch macht, mit Zugelaufenen das zu ändern, was das Volk selbst entschieden hat. ({2}) Wir haben alle Verständnis für die Gewissensentscheidung des einzelnen Abgeordneten. ({3}) Aber hier geht es um eine Entscheidung der CDU/ CSU-Fraktion, ob sie als Fraktion solche Mittel sich zu eigen macht. Meine Damen und Herren, Sie leisten einen schlechten Dienst, ob Sie nun mit der Geschliffenheit des Herrn Dichgans mit sophistischer Begründung heute morgen den Art. 38 zitieren und für sich in Anspruch nehmen oder ob Sie mit der eigenen Art des Herrn Althammer oder gar des Herrn Starke hier polemisieren. Im Grunde genommen ist es sichtbar und deutlich, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben und daß Sie wissen, daß Sie nicht die Entscheidung des Wählers respektieren. ({4}) Daher auch Ihre Sorge, Herr Katzer, daß die Wähler draußen jetzt darüber diskutieren. Das steht ihnen nicht nur zu, sondern wir halten es für einen guten Vorgang, daß, wenn eine so große Sache zur Entscheidung steht, die Bevölkerung sich selbst zu Wort meldet, nicht das Parlament unter Druck setzt. Wer fühlt sich denn unter Druck gesetzt, wenn draußen über diese wichtigen Fragen diskutiert wird? ({5}) Und wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund sich zu Wort meldet, ist es seine Sache, sich zu Wort zu melden. Ich weiß aus vielen Anrufen gestern, daß man in den Wahlkreisen draußen sich Sorge macht, daß - ich muß es noch einmal so sagen - durch Zugelaufene Manipulationen ermöglicht werden, die die Bevölkerung so nicht hinnehmen will. Das ist Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren. ({6}) Diese Regierung Brandt/Scheel, die aus der letzten Wahl hervorging und die daraus ihre Legitimation hat, hat ihr Regierungsprogramm vorgelegt und hat nach diesem Regierungsprogramm zusammen mit den Koalitionsfraktionen die Arbeit begonnen. Es war schon erstaunlich dürftig, was Herr Kollege Katzer vorhin als Alternativvorschläge der CDU/ CSU-Fraktion vorzutragen in der Lage war. In der Tat, Herr Katzer, auf die wenigen Punkte, die Sie angeführt haben, beschränkte sich seither die Haltung der CDU, im übrigen darauf, nein zu sagen, in wichtigen Fragen sich der Stimme zu enthalten und in ganz wichtigen Fragen beiseitezulegen. Dieser Regierungswechsel durch die Wählerentscheidung gibt dem demokratischen Staat die enorme staatspolitische Chance, daß neue Kräfte mit dieser Originallegitimation Probleme anfassen, die die seitherigen Mehrheiten nicht zu lösen in der Lage waren oder die sie vernachlässigt haben, Probleme anzufassen, die es im Interesse der Gesamtheit des deutschen Volkes zu entwickeln und zu entscheiden gilt. Sie haben ein sogenanntes Sachprogramm von CDU/CSU vorgelegt, am 29. November 1971 gleichzeitig in Bonn und München veröffentlicht. Man kann verstehen, daß es Leute gibt, die von der „CSU/CDU" sprechen und damit die Rangordnung durchaus erkennen lassen, die die CSU in dieser internen Koalition einnimmt. Da haben wir Vorgänge, und Herr Strauß hat das einmal in einem „Spiegel"-Interview als durchaus normal nahezu bestätigt. ({7}) - Ja, Herr Stücklen, ich sage ja - vielleicht haben Sie nicht zugehört -, daß es die CSU/CDU gibt. Sie hören das gerne? Wir nehmen es zur Kenntnis, daß Sie es gern hören. - Dieses sogenannte Sachprogramm, aus allgemeinen, oberflächlichen Formulierungen bestehend, ist keine Grundlage. Es kann für alles verwendet werden, ist für alles passend. Wenn man über den Gesamthaushalt spricht, muß man gleichzeitig die Aufgabe der Opposition betrachten. Ich komme hier zu der Feststellung, daß die CDU/CSU-Opposition dem Regierungsprogramm nichts gegenüberzustellen hatte, nichts als Gesamtprogramm in der Zwischenzeit gegenübergestellt hat und daß die wenigen Vorschläge, die gemacht wurden, weitgehend aus strategischen, aus taktischen Überlegungen geboren sind. Diese Regierung hat sich den enormen Auftrag gegeben, eine Regierung der inneren Reformen zu sein. Herr Katzer hat heute wieder einmal deutlich gemacht, wie wenig Sie offensichtlich verstehen - ist ja auch verständlich nach Ihrer Geschichte -, wie wenig Sie davon verstehen, was es bedeutet, Reformen zu machen. Reformen rechnen Sie bitte nicht an der Zahl der verabschiedeten Gesetze. Reformen zu machen, ist ein enorm schwieriger Entwicklungsprozeß, den man innerhalb der Bevölkerung durchführen muß, bei dem die Bevölkerung, der Bürger mitsprechen muß, mitgestalten muß. Ich nehme mal ein Beispiel heraus. Die Frage des Umweltschutzes ist eine Frage, bei der erst das Bewußtsein lebendig sein mußte. Die Regierung hat nach zweijähriger Arbeit einen Umweltschutzbericht vorgelegt, der auch von Ihnen als Basis anerkannt worden ist. Erst auf dieser Sachbasis sind die Diskussionen in der Öffentlichkeit möglich geworden. Erst daraufhin kann man darangehen, die einzelnen Dr. Schäfer ({8}) Gesetze zu überlegen, vorzulegen, durchzudiskutieren. Alle haben ein Interesse daran, daß möglichst viele Teile unserer Wirtschaft, unserer Bevölkerung an diesen Diskussionen teilnehmen. Das sind Reformen, mit denen man sich den Forderungen der Zeit stellt, bei denen man den Mut zeigt, die Probleme zu untersuchen und sie dann einer Entscheidung zuzuführen. Nehmen Sie andere Beispiele, nehmen Sie das Recht des unehelichen Kindes. Hier hat dieses deutsche Volk nahezu 50 Jahre gebraucht, um von seinem Verfassungsauftrag zu einer Lösung zu kommen. Das sind Entwicklungen, die systematisch gewissenhaft vorangetrieben werden müssen. Das hat diese Regierung auf allen Gebieten, wo sie es angekündigt hat, getan. ({9}) Wir alle wissen - auch Sie wußten es -, daß man nicht von vornherein sagen kann, ob eine solche Entwicklung nach zwei oder vier oder fünf Jahren ausgereift ist, ob man in derselben Legislaturperiode das abschließende Gesetz machen kann oder ob diese Entwicklung weiterer Initiativen bedarf. Das wissen wir alle. Aber es ist das enorme Verdienst dieser Regierung, daß sie diese Arbeit in ihrer ganzen Breite in Angriff genommen hat. Ich möchte nun zu einigen mir wesentlich erscheinenden Punkten der Regierungsarbeit Stellung nehmen und dabei natürlich auch einige Bemerkungen zur Haltung und zur Tätigkeit der Opposition machen. Wir beraten hier über den Haushalt. Die CDU hat ihre Vorstellungen wiederholt in negativer Weise entwickelt und gesagt, die Regierung treibe keine befriedigende Finanzpolitik. Herr Katzer hat heute gesagt, Finanzpolitik und Gesetze gingen auseinander. Wir sollten uns in diesem Augenblick einmal kurz vergegenwärtigen, was zuständige CDU/ CSU-Abgeordnete, nämlich Herr Kiesinger und Herr Strauß, vor Jahren über CDU-Finanzpolitik gesagt haben, damit wir ihre heutigen Urteile entsprechend zu schätzen wissen und erkennen, was von Ihrer Seite bis heute unterblieben ist. Herr Strauß, wir haben von Ihnen bis zum heutigen Tage keinen konstruktiven Vorschlag auf dem Gebiet der Finanzpolitik. Ihre negative Haltung kennen wir. Herr Kiesinger hat als neuer Regierungschef am 13. Dezember 1966 im Bundestag vorgetragen, daß dem Regierungswechsel eine lange schwelende innere Krise vorausgegangen sei, deren Ursachen Jahre zurückzuverfolgen seien. Er zählte dann die Fehler auf und sagte: Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden. Er ging dann im einzelnen darauf ein. ({10}) - Ja, sicher; ich werde gleich darauf kommen, Herr Kiesinger. Herr Strauß hat dann deutlich gemacht, wen Sie gemeint haben, und das scheint mir noch interessanter zu sein. Herr Strauß hat am 31. Juli 1967 in der „Bonner Rundschau" geschrieben: Jahrelang hat der Staat bei uns von der Hand in den Mund gelebt; er krankte an mangelnder Vorausschau. Er führte dann aus: Erst gab es ungewollte Überschüsse, die im „Juliusturm" stillgelegt und dann in Dauerausgaben mit steigender Tendenz umgewandelt wurden. Damit meinte er Herrn Schäffer. Dann steuerte die Finanzpolitik den Rand des Defizits an, - damit meinte er Herrn Etzel ohne ihn zunächst erreichen zu können. Schließlich geriet sie mitten in das tiefste Defizit hinein, - damit meinte er Herrn Erhard als Bundeskanzler ({11}) und dies alles, weil nicht planvoll vorgegangen, weil Ausgaben beschlossen wurden, ohne überhaupt zu fragen, ob sie auf die Dauer auch finanziert werden können. ({12}) Diese Regierung hat ihre mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, ,dieses Haus hat keine Verbesserungsvorschläge gemacht, ,die CDU hat sie zur Kenntnis genommen, diese Regierung hat ihr Gesetzgebungsprogramm damit in Übereinstimmung gebracht. Was Herr Katzer heute feststellen zu können glaubte, ist sachlich unrichtig. ({13}) - Herr Marx, so ist es nun einmal, daß das sachlich unrichtig ist. Diese Regierung und die Regierungsfraktionen haben es als eine ihrer ersten Aufgaben angesehen, das Wahlalter zu ändern, - nach unserem Dafürhalten eine sehr wichtige Sache. ({14}) - Und auch unser. ({15}) - Aber ohne unsere Mehrheit können Sie ja nichts beschließen, Herr Stücklen. ({16}) - Doch, das können wir wohl. ({17}) - Ja, sicherlich, ich komme noch darauf. Sie müssen nur zuhören können. ({18}) Dr. Schäfer ({19}) - Das hat er ja schon gesagt. - Oh, das müssen Sie mir sagen, daß ich das nicht weiß! Da sind Sie genau am Richtigen! Es kommt uns ganz entscheidend darauf an - hoffentlich uns allen -, die Jugend von vornherein in die politische Verantwortung hineinzuführen. Da gibt es Auseinandersetzungen, die sehr lebendig sind. Da gibt es Auseinandersetzungen, bei denen wir der Auffassung sind, daß eine politische Partei nicht zu bedauern ist, wenn sich ihre Jugend um die Lösung der politischen Probleme bemüht. Ich bin bedrückt - ,das sage ich Ihnen hier, Herr Kiesinger -, wenn ich mich erinnere, was Sie vor 14 Tagen im Fernsehen gesagt haben. Das ist keine Art, Herr Kiesinger, über junge Leute am Fernsehschirm mit der Autorität eines früheren Bundeskanzlers zu urteilen. Nein, Herr Kiesinger, ,diese ({20}) - Ich will es mir gern noch mal besorgen und Ihnen dann heute mittag zitieren. ({21}) - Was er gesagt hat? Er hat gesagt: Diese SPD, j a; aber diese Jungsozialisten! Oh hört her! Diese Jungsozialisten ich weiß jetzt nicht den Wortlaut - wollen gar nicht im Rahmen dieses Grundgesetzes arbeiten, die wollen etwas ganz anderes; die sind eine Gefahr für diesen Staat! - Herr Kiesinger, das dürfen Sie nicht tun. ({22})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Dr. Schäfer, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Margot Kalinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001058, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Flugblätter, die Ihre Jusos, die den Namen Ihrer Partei tragen, in baden-württembergischen Schulen verteilt haben, Ihnen und dem Vorsitzenden Ihrer Partei die Schamröte ins Gesicht steigen lassen müßten, und soll ich sie hier heute im Laufe der Debatte zitieren? Ich werde mich nicht genieren, das zu tun, wenn Sie das herabspielen, was sie dort der deutschen Jugend und den Müttern geboten und zugemutet haben. ({0})

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kalinke, ich habe kein solches Flugblatt in die Hand bekommen. ({0}) Ich habe kein Flugblatt davon. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin Kalinke, Sie haben nur die Möglichkeit, Zwischenfragen zu stellen. Herr Abgeordneter Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiesinger?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte!

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, zwei Fragen. Erstens. Ist Ihnen bekannt, daß führende Jungsozialisten erklärt haben, sie wollten den Sozialismus in Deutschland durchsetzen, auch wenn sie wüßten, daß das mit dem Stimmzettel allein nicht möglich sei? Zweitens. Ist Ihnen bekannt, daß der Münchener Oberbürgermeister, einer Ihrer prominentesten Parteikollegen, selber erklärt hat, daß er den politischen Weg der Jungsozialisten für verderblich halte? ({0})

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kiesinger, dann muß ich Sie zurückfragen: Ist Ihnen der Art. 15 des Grundgesetzes bekannt, der diesem Bundestag weitgehende Entscheidungen legal im Rahmen der Verfassung ermöglicht? ({0}) Meine Damen und Herren, für uns in dieser Regierungskoalition ist die Frage der Demokratisierung der Gesellschaft ein entscheidender und wichtiger Punkt. Das Betriebsverfassungsgesetz setzt hier eine markante Entwicklung. Wir haben 22 Jahre gebraucht, um das durchzusetzen. Nicht einmal in der Großen Koalition war es mit Ihnen möglich. Wir stellen dankbar fest, daß es mit der FDP zusammen möglich war, diesen enorm wichtigen Prozeß weiterzuführen und zu einem solchen Gesetz zu kommen. ({1}) Wir erinnern uns sehr genau, daß sich Ihr damaliger CDU-Generalsekreätr, Herr Heck, gegen Demokratisierung außerhalb des staatlichen Bereichs wandte. Da sind wir anderer Meinung. Wir wissen uns heute nicht nur mit den Gewerkschaften darüber einig, sondern auch mit der weitaus größten Zahl der Unternehmer, die es zu schätzen wissen, wenn sie ihre gewählten Gesprächspartner im Betrieb haben. Wir wissen, daß dort, wo der Mensch den entscheidenden Teil seines Tages zubringt, die Frage der Demokratisierung, des Mitspracherechts und der Mitverantwortung eine wichtige, entscheidende Rolle spielt. ({2}) Wir haben Grund, in diesen Tagen, in denen die Betriebsrätewahlen durchgeführt werden, denjenigen Frauen und Männern zu danken, die sich für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung stellen, und ihnen Erfolg und Rückhalt zu wünschen, dieses Gesetz in der Praxis auch wirklich anzuwenden. ({3}) Dr. Schäfer ({4}) Wir haben ein anderes Problem - ein typisches Problem der Reform - ebenfalls aufgegriffen, indem wir versuchen, diesen Staat funktionsfähig, noch funktsfähiger zu machen. Wir haben die von allen Seiten diskutierte Frage der Länderneugliederung durch eine entsprechende Kommission vorbereiten lassen. Wir haben eine weitere Kommission eingesetzt, um den öffentlichen Dienst zu modernisieren, um die öffentliche Verwaltung leistungsfähiger zu machen. Da kann niemand sagen, wie schnell die Gesetze den Vorlagen folgen werden, aber daß diese Fragen geklärt werden müssen, daß wir bei all diesen Fragenkomplexen weiterkommen müssen, das wird, so hoffe ich, meine Damen und Herren, niemand bestreiten. Als eine der großen Aufgaben haben wir uns das Gebiet des Bildungswesens vorgenommen. ({5}) Die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet ist bescheiden. Es kommt der Zusammenarbeit mit den Ländern besondere Bedeutung zu. Aber der Bund hat deutlich gemacht, daß die Aufgabe der Reform des Bildungswesens für ihn von besonderer Bedeutung ist. Das ist an den Zahlen in den Haushalten abzulesen. 1969 sind es 2,2 Milliarden DM gewesen, 1971 beinahe das Doppelte - 4,1 Milliarden -, und 1972, in diesem Haushaltsplan also, werden es 5,2 Milliarden DM sein. Wir haben ein Schnellbauprogramm durchgeführt. Die Zahlen: 1969 616 Millionen, 1971 über eine Milliarde, 1972 1,8 Milliarden DM. Das Bemühen dieser Regierung gilt der Durchsetzung eines einheitlichen Bildungswesens, wobei es uns darauf ankommt, alle Schichten der Bildung, alle Stufen der Bildung zu erfassen, da sie in ihrer Bedeutung für die Gesamtentwicklung gleich wichtig sind. Es geht uns nicht wie manchen in erster Linie um die Universitäten; es geht uns genauso um den Facharbeiter, um die Berufsausbildung; es geht uns um die gleichen Chancen für die gesamte junge Bevölkerung. ({6}) - Weil, Herr Stücklen, Ihr Ministerpräsident Goppel - und es war für mich interessant, das im Fernsehen zu sehen - sagte: wer will uns denn zwingen, unser Schulsystem in Bayern zu ändern? Solches Verhalten, Herr Stücklen, ({7}) ist bayerisches CSU-Verhalten. Ich hoffe nicht, dais sich die CDU von Ihnen auf einen solchen Kurs drängen läßt! ({8}) Wir haben ein neues Ausbildungsförderungsgesetz gemacht, d. h., wir haben die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, damit jeder bei entsprechender Qualifikation einen Rechtsanspruch darauf hat, die bestmögliche Ausbildung zu bekommen. Gehen Sie einmal unter junge Handwerker, unter junge Facharbeiter und hören Sie von ihnen, in welcher Weise sie heute diese Möglichkeiten des zweiten Bildungsweges nutzen. ({9}) - Bitte? ({10}) - Das habe ich ja gar nicht gesagt! Sie müssen zuhören! ({11}) - Entschuldigen Sie, ich sprach nicht vom Arbeitsförderungsgesetz, sondern vom Ausbildungsförderungsgesetz. ({12}) - Entschuldigen Sie, Herr Katzer, da haben wir uns mißverstanden. Das Arbeitsförderungsgesetz haben wir miteinander gemacht, und es ist ein gutes Gesetz, und es muß weiterentwickelt werden, genauso wie das Ausbildungsförderungsgesetz weiterentwikkelt wird. Da können Sie mithelfen und können Vorschläge machen. ({13}) - Das ist sehr schön, daß Sie sich vorgemerkt haben. Wir werden Sie dann an Ihren Taten erkennen. ({14}) - Dann geht es mir so wie Ihnen gerade im Augenblick. Meine Damen und Herren, eines der Lieblingsgebiete der CDU ist es, der Regierung Vorhaltungen über die Konjunkturpolitik zu machen. Dabei weiß jeder, daß die Konjunkturpolitik heute nur eingefügt in die EWG und in die gesamte wirtschaftliche Entwicklung betrachtet werden kann. Unser Kollege Burgbacher hat anerkennenswerterweise in der Sitzung des Europäischen Parlaments vom 21. April etwas ausgeführt, was Ihnen doch auch allen geläufig ist. Ich darf das einmal vorlesen. Herr Burgbacher sagte dort: Die Gefahr nationaler Konjunkturpolitik ist nicht groß. Der Gemeinsame Markt ist derart entwickelt, daß die Konvertibilität aller Währungen, die festen Wechselkurse und der freie Güter- und Kapitalverkehr eine greifende nationale Konjunkturpolitik nicht mehr erlauben. Die Mittel der nationalen Konjunkturpolitik sind sehr begrenzt. Er sagte dann an anderer Stelle: Ich wage zu sagen, daß die Möglichkeiten unserer Notenbanken in ihrer Wirkkraft nicht größer sind als die einer Handbremse an einem höchst leistungsfähigen Wagen. Herr Katzer, Herr Strauß, machen Sie sich diese Erkenntnisse zu eigen, wenn Sie sie nicht schon haben. Dr. Schäfer ({15}) Wenn Sie sie haben, dann seien Sie bitte in diesem Hause auch einmal ehrlich und handeln Sie demgemäß. Tun Sie nicht so, als wenn heute eine nationale Wirtschaft von sich aus allein Entscheidungen herbeiführen könnte. ({16}) Diese Regierung hat diese Zusammenhänge erkannt und hat deshalb schon im Dezember 1969, nachdem sie erst wenige Wochen im Amt war, innerhalb der EWG die Verhandlungen nicht nur über die Erweiterung der EWG, sondern auch über deren Fortentwicklung aufgenommen. Sie kennen die Fragen, die mit dem sogenannten Werner-Bericht zusammenhängen, Sie wissen, welches Schicksal diese Vorschläge hatten, Sie wissen aber auch, daß wir seit dem Besuch des Bundeskanzlers im Januar dieses Jahres in Paris eine neue Entwicklungsphase in dieser Richtung haben. Sie wissen, daß innerhalb der EWG seit vorgestern die engeren Bandbreiten in Kraft sind, und ich darf Ihnen zitieren, was der französische Wirtschafts- und Finanzminister Giscard d'Estaing am 14. April dazu gesagt hat: Die Verengung der Bandbreiten unter den europäischen Währungen ab 24. April auf 2,25 % ist eine ausgezeichnete Entscheidung und öffnet den Weg in Richtung auf eine Realisierung der Währungsunion. Dies erklärte der französische Finanzminister Giscard d'Estaing. Er bekräftigte, daß die französische Regierung jeden Beitrag zum Erfolg dieser für die Zukunft der Gemeinschaft notwendigen Maßnahme leisten werde. Der Wirtschafts- und Finanzminister Schiller war es, der seinen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat, daß die Washingtoner Beschlüsse zustande kamen, so daß die internationale Währungskrise im letzten Jahr behoben werden konnte. Meine Damen und Herren, diese Regierung hat damit auf diesem Gebiet das mögliche geleistet, und keine andere Regierung hätte im internationalen Gesamtkonzept mehr für die deutschen Interessen erreichen können. Lassen Sie mich zu einem anderen Gebiet kommen, zu Fragen des Wohnungsbaus. Wir sind der Auffassung, daß der Wohnungsbau eine ganz entscheidend wichtige Frage ist. Wir haben ein sehr schlechtes Erbe übernommen. Sie erinnern sich an den Lücke-Plan, Sie erinnern sich daran, daß man sich nachträglich damit rechtfertigte, bei der Statistik habe man sich um 1 Million verzählt. Das ist auch eine Begründung, die sich in der Politik hören läßt! Sie wissen, daß die Mittel für den sozialen Wohnungsbau 1967 nahezu abgeschmolzen waren. Wir haben im Jahre 1971 über 550 000 neue Wohnungen gebaut und werden im Jahre 1972 diese Zahl noch übertreffen. Diese Zahlen sprechen für die Politik dieser Regierung auf diesem Gebiet. ({17}) - Da ausgerechnet von Ihnen dieser Zwischenruf kommt, reizt es mich, etwas über Mieterschutz zu sagen, denn da war es ja besonders neckisch zu beobachten, wie sich ,die CDU hier und wie sich die CDU im Vermittlungsausschuß und im Bundesrat verhalten hat. Meine Damen und Herren, was Sie sich da geleistet haben, das ist kein Ruhmesblatt für Sie und Ihre Parteifreunde im Bundesrat. ({18}) Es war kein Ruhmesblatt beim Betriebsverfassungsgesetz: hier 21 Stimmen zum Schein als Feigenblatt, aber im Bundesrat trotzdem dagegen zu sein, es beim Mieterschutz auf die Kampfabstimmung ankommen zu lassen, sich bei 'der Krankenhausfinanzierung der Stimme zu enthalten und beim Mineralöl, wo man den Gemeinden helfen will, dagegen zu stimmen. Meine Damen und Herren, das ist Ihre Politik, mit der Sie dort helfen, wo Sie selber Mängel feststellen. ({19}) Nein, meine Damen und Herren, wir haben den Mut, das zu beschließen, was notwendig ist. Wir haben diesen Mut und werden ihn auch weiterhin haben. Wir haben das 624-DM-Gesetz ({20}) - sehen Sie, dazu will ich Ihnen gern etwas vorlesen, zu idem Übernehmen, damit Sie das für die Zukunft auch wissen; darauf komme ich gleich ganz anders gestaltet, so daß es heute von 14 Millionen Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden kann, während Ihr 312-DM-Gesetz nicht in Anspruch genommen werden konnte. ({21}) Das ist der Unterschied. Herr Katzer, wir sind auf der Suche nach einem Modell. ({22}) Sie haben einiges dazu gesagt. Ist es vielleicht zum Lachen, wenn man bei einer solch schwierigen Frage der Vermögensbildung - ({23}) - Sicher, was wir versprechen, werden wir auch halten. Aber wir werden Ihnen ein Konzept vorlegen, das das bestmögliche ist und bei dem wir unsere Konzeption - ({24}) - Herr Jenninger, Sie fragen, wann. Was sind Sie für ungeduldige Leute! ({25}) Entweder haben Sie so ein Riesenvertrauen in unsere Leistungsfähigkeit - das ehrt uns; Wunder dauern ein bißchen länger, Herr Jenninger -, oder Sie haben keine Ahnung davon, welche Zeit Entwicklungsprozesse auf diesem schwierigen Gebiet fordern. Wer glaubt, diese Dinge unter Zeitdruck entscheiden zu können, entscheidet so wie Sie, nämlich mit Ausklammern und Liegenlassen. Wir nicht. Wir fassen sie an. ({26}) - Ich muß das zusammenhängend darstellen können. Dr. Schäfer ({27}) Wir haben das Städtebauförderungsgesetz verabschiedet und haben dabei einen Verfassungsauftrag vollzogen, nämlich, einen Teil dazu beizutragen, die Sozialbindung des Eigentums im Rahmen des Art. 14 klarzumachen. Das ist Ihnen sehr schwergefallen, meine Damen und Herren. Sie wissen heute, wie die Städte, wie die großen Gemeinden darauf gewartet haben und wie sie sich schon auf diese Möglichkeit hin orientieren mußten. Dieses Gesetz hätte mindestens fünfzehn Jahre früher kommen müssen, um viele Fehlentwicklungen zu verhindern. ({28}) Kommen Sie bitte bei der Städtesanierung in Zukunft nicht damit, was alles falsch läuft, sondern sagen Sie sich, daß Sie fünfzehn Jahre lang verhindert haben, daß die Städte Rechtsgrundlagen gegen die Bodenspekulation, daß sie Rechtsgrundlagen für eine normale Verkehrsführung in den Städten haben, wodurch vieles, vieles dadurch in den Städten falsch gelaufen ist, wodurch Mehrfachausgaben entstanden sind. Das wissen Sie alles; ich will es hier nur festhalten. Sie haben sich dieser Aufgabe nur insoweit gestellt, als Sie sagten, da müsse etwas geschehen. Aber von 1961, von der Ankündigung durch Herrn Lücke, bis zum Schluß ist nichts geschehen. Sie sind nur als Hindernis aufgetreten. Und nun sind Sie in letzter Zeit - das hielten Sie für eine ganz besonders nützliche Sache - in diesem Zusammenhang aufgetreten und haben gesagt: Ja, bei den Sozialdemokraten sieht man jetzt, wie sie das Eigentum behandeln. Da haben Sie dann hingezeigt, da glaubten Sie, hinzeigen zu können ich hoffe, daß Sie nicht alles gelesen hatten; sonst müßte ich sagen: wider besseres Wissen - auf die Gesetzesvorlage für die Vermögensteuer, für die Erbschaftsteuer. Da haben viele von Ihnen draußen Dinge vertreten wie: daraus sehe man, daß die Sozialdemokraten eigentumsfeindlich seien. Meine Damen und Herren, wir respektieren das Privateigentum, und wir wissen auch, daß große Kapitalansammlungen ermöglicht werden müssen, um große wirtschaftliche Investitionen durchzuführen. Sie werden uns nicht vorhalten können, daß wir die wirtschaftliche Entwicklung auch nur irgendwo durch unsere Maßnahmen tangiert hätten. Aber ich muß Ihnen zu dem Gesetzentwurf über die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer doch einmal etwas vorlesen, damit Sie in Zukunft nicht mehr sagen können, Sie hätten es nicht gewußt, wenn Sie in der Öffentlichkeit wider besseres Wissen argumentieren, wenn Sie behaupten, wir wollten konfiskatorische Steuern einführen. Wir wollen, daß mittlere und kleinere Vermögen bei der Vermögensteuer entlastet werden. Der Grundfreibetrag, der nach geltendem Recht 20 000 DM beträgt, wird auf 60 000 DM pro Person erhöht. Außerdem soll der Kapitalfreibetrag von 10 000 DM in Zukunft für jede der zusammenveranlagten Personen gewährt werden. Ein Ehepaar mit zwei Kindern wird also künftig einen Freibetrag von insgesamt 280 000 DM haben und nur von dem übersteigenden Vermögen Steuer zahlen müssen, aber dann nicht 1 %, sondern 0,7%. Für Kapitalgesellschaften werden wir weiterhin 1 a/o vorsehen, und es wird auch dort zu einer Steigerungsrate kommen. Bei der Erbschaftsteuer werden wir die kleineren und mittleren Vermögen ebenso entlasten. Ehegatten erhalten einen Freibetrag von 250 000 DM, unabhängig davon, ob Kinder vorhanden sind oder nicht. Bei Kindern wird der Freibetrag von 30 000 auf 50 000 DM pro Kind erhöht. Hinzu tritt ein besonderer Versorgungsfreibetrag von 250 000 DM für den überlebenden Ehegatten und von 50 000 bis 100 000 DM - je nach dem Alter - für jedes Kind. Meine Damen und Herren, da wollen Sie noch hingehen und sagen, die Sozialdemokraten seien eigentumsfeindlich, wenn sie die Bildung des Vermögens so schützen und unterstützen und wenn sie das Vererben von Vermögen in den Größenordnungen bis zu 2 Millionen DM besser ermöglichen. Ganz interessant war, daß 1964 die damalige Bundesregierung Erhard einen sogenannten Steueroasenbericht vorlegte, in dem deutlich wurde, daß es eine Großzahl deutscher Staatsangehöriger gibt, die hier groß verdienen und dann mit Pseudo-Begründungen und Pseudo-Gründungen ihr Geld in der Schweiz zu einem ganz anderen, niedrigen, bescheidenen Tarif versteuern. Von 1964 bis heute ist nichts passiert. Das gibt doch zu denken. Wenn dann der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der CSU-Abgeordnete Dr. Kreile, hier im Bundestag dafür Begründungen zu finden versucht - seine eigene Art Begründungen dafür zu finden -, warum das so ist, und gar nicht von vornherein und ganz selbstverständlich, wie es sein müßte, diese Bemühungen unterstützt, dann spricht das nach unserer Meinung Bände. Es spricht Bände, und die Bevölkerung wird daraus ihre Schlußfolgerungen ziehen. Was muß hier vor sich gegangen sein, wenn man glaubt sich im Hinblick auf die Steuerflucht dem Gesetzentwurf nicht bedingungslos anschließen zu können! ({29}) - sehr schön, meine Herren, daß Sie das zum Anlaß eines Zwischenrufs nehmen. Sie bestätigen also, daß es Ihnen darum nicht ernst ist. ({30}) Vielen Dank! Das wollte ich gerade von Ihnen hören, Herr Althammer; damit sind Sie im Protokoll festgehalten. Diese Regierung hat nicht nur die Vollbeschäftigung erhalten, sondern hat sich auch darum bemüht, durch gezielte Strukturprogramme weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Schon über 300 000 Arbeitsplätze wurden geschaffen, und im Laufe der nächsten drei Jahre werden es weitere 400 000 sein. Noch in der ersten Lesung hier sprach Herr Strauß davon, wir hätten uns für Rezession und Arbeitslosigkeit entschieden. Ich glaube, heute besteht überall Einigkeit darüber: Erstens, es gibt für Sozialdemokraten in der Regierung die Rezession mit Dr. Schäfer ({31}) bewußter Inkaufnahme von Arbeitslosigkeit nicht als gezieltes Mittel. ({32}) Das gibt es für uns nicht, heute nicht und morgen nicht. Wir halten es für eine der wichtigsten Aufgaben einer Regierung, dafür zu sorgen, daß alle ihre gesicherte Existenz haben und dies bei den strukturschwachen Gebieten durch Strukturprogramme ergänzt wird. Wenn Sie das Wort des Bundeskanzlers, das sich darauf bezieht, in eine „garantierte Überbeschäftigung" verdrehen zu müssen glauben, dann entspricht das nur Ihrer auch sonst üblichen Art der Auseinandersetzung. Es ist von besonderem Interesse, daß sich Herr Katzer seinem Herkommen gemäß natürlich mit der Sozialpolitik beschäftigt hat. Ich will nicht von mir aus dazu Stellung nehmen, möchte aber für das Gebiet der sozialen Gerechtigkeit auf die Berichte verweisen, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vorgelegt hat, weiter auf einen Bericht, den die „Süddeutsche Zeitung" am 4. April dieses Jahres veröffentlicht hat unter der Überschrift: „Arendts Leistungsbilanz kann sich sehen lassen". Herr Katzer ist leider nicht mehr da. An die andere Adresse: „Gemessen an der Regierungserklärung wurde das sozialpolitische Soll teilweise übererfüllt" - so die „Süddeutsche Zeitung" am 4. April. Meine Damen und Herren, die Regierungskoalitionsfraktionen haben Grund, der Regierung für ihre Initiative zu danken, und werden sie auch weiterhin in den Punkten, in denen sie über das Regierungsprogramm hinausgehen wird, unterstützen; ({33}) das wird insbesondere bei der Frage der flexiblen Altersgrenze der Fall sein. Herr Katzer sprach vom gesicherten Rentenanspruch. Meine Damen und Herren, er spricht davon, uns ist es ernst darum. Uns ist es ernst darum, daß der Rentner weiß, was sein Rechtsanspruch ist, und daß dieses Haus es absolut unterläßt, an diesem Rentenanspruch herumzumanipulieren - einmal mehr, einmal weniger, je nachdem wie man glaubt, es politisch-taktisch anlegen zu müssen oder es sich aus Konjunkturgründen erlauben zu können. Ich habe eine ganze Anzahl von Rentnerversammlungen durchgeführt, und Sie haben vielleicht auch diesbezügliche Fernsehsendungen gesehen, meine Damen und Herren. Es steht ganz einwandfrei fest, die alten Leute wollen ihren Rechtsanspruch und wollen damit rechnen können. Wir haben deshalb ganz konsequent den seinerzeit einbehaltenen Krankenkassenbeitrag wieder zurückbezahlt und wir werden die Rentenreform ganz konsequent weiterführen. Ich nehme an, daß darüber heute hier noch einiges gesagt werden wird. Nun aber zur Gesamtbilanz, von der die Zeitung sagt, sie könne sich sehen lassen, und zur Stellungnahme der CDU dazu. Da heißt es: Tatsächlich unterliegen gerade diese durchaus bemerkenswerten Resultate der Gefahr, in der Öffentlichkeit als selbstverständlich hingenommen und vor allem nicht mehr der sozialliberalen Koalition zugerechnet zu werden. Kennzeichnend für diese Gefahr ist auch die Neigung, viele Beschlüsse des 6. Bundestages einfach als eine Fortschreibung der von der CDU/ CSU vorgezeichneten Politik vergangener Legislaturperioden zu werten, wobei mancher in den Fehler verfällt, die CDU/CSU-Opposition von heute samt ihrer manchmal demonstrativ-progressiven Note mit der Regierungspartei von gestern zu verwechseln. Sehr wahr, meine Damen und Herren! Denkt man jedoch zurück, wie sich die CDU/ CSU seinerzeit gegen alle weitreichenden Regelungen für die Krankenversicherungspflicht der Angestellten wandte, wird man die inzwischen gefällten Entscheidungen für die Modernisierung der Versicherungspflicht und der Beitragsbemessungsgrenze sowie für die Einführung des Arbeitgeberanteils zum Krankenversicherungsbeitrag der freiwillig Versicherten kaum als eine Fortschreibung der CDU/CSU-Politik bezeichnen wollen. Der Schreiber, Herr Spree, führt das dann auch im einzelnen aus. Meine Damen und Herren, ein sehr wichtiges Gebiet unserer Bemühungen ist die Frage der inneren Sicherheit. Meines Erachtens ist es charakteristisch, daß die radikalen politischen Kräfte in der Bundesrepublik zahlenmäßig noch nie so gering waren wie derzeit. Das kann doch nur in diesen zweieinhalb Jahren vernünftiger Politik begründet liegen. Wir meinen nun allerdings nicht, daß wir, wie es Herr Barzel vorgeschlagen hat, das Grundgesetz ändern sollten. Wir meinen nicht, daß man die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner über Verbote führen soll. Wir Sozialdemokraten haben ein solch sicheres politisches Selbstbewußtsein, daß wir die politische Auseinandersetzung auch mit radikalen Kräften nicht fürchten, Wir werden die Auseinandersetzung mit diesen Kräften führen. Der Erfolg zeigt, daß wir recht haben. ({34}) Diese Regierung hat die notwendigen Beschlüsse gefaßt, um bei uns das Eindringen der Radikalen zu verhindern. Diese Regierung hat auf dem Gebiete der Verbrechensbekämpfung das vom Bund aus Mögliche getan. Wie noch nie vorher ist von uns der Ausbau des Bundeskriminalamtes in Angriff genommen worden. Die Zahlen im Haushalt sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben eine finanzielle Verstärkung von 75 Millionen DM in diesem Jahr auf 122 Millionen DM für das nächste Jahr zu erwarten. Wir haben eine entscheidende Verstärkung des Personals zu erwarten. Wir haben mit dem Einbau der notwendigen technischen Apparaturen begonnen, um dieses Bundeskriminalamt zu einem im ganzen funktionsfähigen Nachrichtensammelsystem zu machen. Diese Regierung hat die notwendigen Gesetzentwürfe dafür vorgelegt. Wir wissen, daß wir auf diesem Gebiete darauf angewiesen sind, daß die Länder ihrerseits mit dem Bund zusammenarbeiten. MeiDr. Schäfer ({35}) nes Wissens hat sich noch kein Innenminister so intensiv um die Erarbeitung einer innenpolitischen gesamtverbindlichen Sicherheitskonzeption bemüht wie der Innenminister dieser Regierung, Herr Genscher. Wir haben die Hoffnung, daß die Landesregierungen - gleichgültig, wer sie stellt - diese Initiative der Bundesregierung richtig ergreifen und ihren Teil zur Erreichung des angestrebten Zieles beitragen. Lassen Sie mich zum Gebiet der äußeren Sicherheit nur ganz Weniges sagen, nur zwei zusammengefaßte Urteile, die nicht von mir sind, die ich aber gern vortragen möchte. Der amerikanische Botschafter Rush, jetzt Staatssekretär im amerikanischen Verteidigungsministerium, hat kurz vor seinem Abgang in einem Interview folgendes gesagt: Deutschland ist in vielen Beziehungen der europäische Schlüssel zur Stärke des NATO-Bündnisses. Durch seine geographische Position ist Deutschland ein Angelpunkt. Es ist den Gefahren aus dem Osten am stärksten ausgesetzt, und es ist sich am deutlichsten klar über den großen Wert der NATO. Davon ausgehend, hat Deutschland sehr schwere Lasten übernommen, was sich z. B. an den Offset-Vereinbarungen zeigt. Die Bereitschaft, ja sogar der dringende Wunsch der Bundesregierung nach der Stationierung amerikanischer Truppen in Deutschland ist ein weiterer Beweis dafür, genauso wie die sehr vorausschauenden Bemühungen von Verteidigungsminister Schmidt, das Programm für die Verbesserung der europäischen Verteidigung voranzutreiben. Die Erhöhung seines Verteidigungshaushaltes für das kommende Jahr um etwa 13% und seine Bemühungen um eine Modernisierung und Verstärkung der Bundeswehr stellen einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der NATO und des Friedens dar. In dem Bericht des Rechnungshofes in der Drucksache VI/2697 heißt es dagegen mit Bezug auf das Verteidigungsministerium - der Bericht bezieht sich auf einen Zeitraum, in dem der CSU-Abgeordnete Strauß dieses Ministerium leitete; Herr Strauß, Sie kennen diesen Bericht hoffentlich -: Die Beschaffung des nicht beschaffungsreifen Waffensystems hat keine Vorteile, auch nicht den erhofften Zeitgewinn gebracht. Sie hat vielmehr dazu geführt, daß die Ausrüstung der Bundeswehr mit brauchbarem Gerät verzögert, die militärische Einsatzfähigkeit über Jahre hinweg beeinträchtigt und die Ersatzteilversorgung sowie die Instandhaltung des Waffensystems erheblich erschwert worden ist. Ich glaube, es genügt, diese beiden Urteile hier zu zitieren, um deutlich zu machen, wie diese Bundesregierung diese enorm wichtige Aufgabe sieht und wie Außenstehende, wie der Rechnungshof, über die frühere Tätigkeit von Herrn Strauß in dieser Funktion urteilen. Lassen Sie mich ein Wort zum Umweltschutz sagen. Ich habe schon erwähnt: es wurde wenig vorgefunden. Diese Regierung hat in mühsamer und schneller Arbeit einen umfassenden Bericht vorgelegt, der die Grundlage für die Erörterung und die Gesetzgebung bietet. Wir stellen auf diesem Gebiete fest, daß die CDU/CSU-Fraktion eine aktive Mitarbeit hier tatsächlich praktiziert. Wir erwarten und hoffen, daß wir auch die nächsten Gesetze im Laufe dieses Jahres verabschieden können. Aber, meine Damen und Herren, dieses Gebiet ist charakteristisch dafür, ob man vernachlässigte Aufgaben anzupacken den Mut hat oder ob man es nicht tut. 1957 hat Adenauer in seiner Regierungserklärung schon das Problem angesprochen. Aber geschehen ist nichts. 1957 hat Adenauer die Frage der Steuerreform angesprochen. Aber geschehen ist nichts. ({36}) - Sehen Sie, noch haben Sie es nicht begriffen. Für Sie sage ich es nachher noch einmal extra, oder ich empfehle Ihnen, es noch einmal nachzulesen. Mancher muß es vor sich sehen, dem genügt es nicht, es zu hören. Offensichtlich gehören Sie dazu. ({37}) Wir haben das Arzneimittelgesetz verabschiedet, wir haben die Lebensmittelrechtsnovellen eingebracht, lauter enorm wichtige Fragen, die im Laufe dieser Legislaturperiode entschieden werden sollen. Lassen Sie mich nur ein Wort zur Rechtspolitik sagen. Rechtspolitik ist ein Ausdruck der gesellschaftlichen Neuformung. Rechtspolitik auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, Rechtspolitik im Zusammenleben der Menschen - es ist nicht so, daß man sich rein Ehescheidungsrecht ausdenkt und es dann niederschreiben kann. Diese Regierung hatte den Mut, ein Modell öffentlich und frei zur Diskussion zu stellen. Alle sollen sich daran beteiligen. Was nachher als Recht gelten soll, muß wachsen und von der gesamten Bevölkerung getragen sein, andernfalls ist es aufoktroyiert. Das tun wir Sozialdemokraten nicht, sondern wir wollen gewachsenes Recht, das einzufangen wir uns nachher bemühen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Zu ,der Gesellschaftspolitik im ganzen - das sollte Ihnen zu denken geben - hat vor wenigen Tagen der Jesuitenpater Oswald von NellBreuning in seiner Festrede vor der Katholischen Akademie in Bayern folgendes gesagt: Bei uns in der Bundesrepublik finden wir im gesellschaftspolitischen Teil des Godesberger Grundsatzprogramms der SPD nicht mehr und nicht weniger als ein kurzgefaßtes Repetitorium der katholischen Soziallehre. Meine Damen und Herren, das ist ,das Urteil des hoffentlich auch von Ihnen hochgeschätzten Herrn Nell-Breuning. ({38}) Meine Damen und Herren, über die Außenpolitik und Friedenspolitik dieser Regierung will ich nur folgendes sagen. Daß am 1. Dezember 1969 der EWG-Beschluß zustande kommen konnte, die Gespräche mit den vier beitrittswilligen Staaten aufzunehmen, Dr. Schäfer ({39}) ist doch ein enormer Markstein gewesen und mit ein entscheidendes Verdienst des Bundeskanzlers und des Außenministers. ({40}) Wenn diese Verhandlungen in der Zwischenzeit erfolgreich sein konnten, dann ist das wiederum ein Verdienst dieser Regierung, sie so geführt zu haben, daß eine reale Chance darin bestand, die EWG so zu erweitern. Das ist ein großer politischer Vorgang, und andere müssen ihn respektieren: daß hier ein neuer bundesstaatähnlicher, freiwilliger Zusammenschluß der freien Staaten Europas heranwächst, um selbständig funktionsfähig zu sein. Wer will sich denn hier heute hinstellen und sagen, das sei nicht erfolgreich gewesen? Das war so erfolgreich, daß es Ihnen offensichtlich gar nicht in Ihr Schema-Konzept paßt. Genauso erfolgreich war die Politik nach Osten, die Friedenspolitik. Meine Damen und Herren, über diese Außenpolitik wird hier in den nächsten Tagen, in der nächsten Woche zu sprechen sein. Lassen Sie mich abschließend nur folgendes sagen. Der frühere Bundeskanzler - ich habe ihn schon zitiert - hat von einer langwährenden Krise in der CDU - nur die konnte er meinen - gesprochen. Die ist noch nicht zu Ende. Sie haben bis heute noch kein Sachprogramm, mit dem Sie vor dieses Haus, vor das deutsche Volk hintreten können. ({41}) Sie brauchen noch Jahre, meine Herren, bis Sie Opposition gelernt haben, und dann brauchen Sie noch einmal Jahre, bis Sie wiederum regierungsfähig sind. ({42}) - Ja natürlich, das ist so. Und wir brauchen auch noch Jahre, um das Programm, das diese Regierung und diese Regierungsfraktionen sich vorgenommen haben, durchzusetzen, nicht damit wir erfolgreich sind, sondern damit das deutsche Volk die bestmögliche Politik erfährt, die es derzeit überhaupt erfahren kann. ({43})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Opposition hat diese Haushaltsberatung - in der Vorankündigung konnte man das in den Zeitungen lesen - als eine Generalabrechnung angekündigt. Wenn dem so sein soll, dann wird es sich die Opposition gefallen lassen müssen, daß dies dann zumindest auf Gegenseitigkeit beruht und nicht einseitig gemacht werden kann. ({0}) Wir ziehen dann sozusagen die Bilanz von 30 Monaten Legislaturperiode, und ich meine auch nicht nur die Bilanz dieser Regierung, sondern der Arbeit dieses Parlaments. Da muß man leider wohl feststellen, daß sich das, was ich vor längerer Zeit schon einmal sagte, auch in der Folge bestätigt hat, daß dieses Parlament durch den Stil, in dem hier Opposition getrieben wird, gewiß nicht an Ansehen gewonnen hat und daß es sicher auch - leider - an Effektivität eingebüßt oder zumindest weniger erreicht hat, als sonst zu erreichen gewesen wäre. ({1}) Es wäre ganz nützlich, einmal zu untersuchen, inwieweit dieses Parlament in dieser Legislaturperiode - es gibt ja verschiedene Typen des Parlaments; wir sind immer eine Mischform gewesen - durch die Taktik der Opposition mehr zu einem Rede- und weniger zu einem Arbeitsparlament geworden ist. Wir sollten auch nicht vergessen, daß sicherlich - ich will das Recht des Abgeordneten, der Fraktionen oder der Gruppen, die Regierung zu fragen, nicht anzweifeln - ({2}) - Da kommt wieder das bei Ihnen zum Ausdruck, was man da immer findet: Bei Ihnen entscheidet nicht die Qualität, sondern immer nur die Zahl. Das finden wir ja überall. ({3}) Dieser Zwischenruf ist wirklich sehr demaskierend. - Die Aktivität der Regierung ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren sicher auch durch ein überstrapaziertes Fragewesen eingeschränkt gewesen. Wir wissen alle, welchen enormen Aufwand es erfordert, Fragen zu beantworten, die sich, nebenbei, die Fragesteller meistens selbst beantworten konnten und die sie nur aus polemisch-demagogischen Gründen hier stellen wollten. Meine Damen und Herren, die Ausgangslage für diesen Zeitraum, über den wir heute gemeinsam oder gegenseitig zu Gericht sitzen wollen - das sei hier angesichts der aktuellen Situation einmal ganz eindeutig festgestellt -, war, daß wir im Rahmen der von uns gemeinsam gesetzten Spielregeln nach dem Wählervotum vom 28. September 1969 diese Regierung der sozialliebralen Koalition gegen die CDU/CSU gebildet haben. Ich glaube, man muß es gerade in einer solchen Stunde noch einmal deutlich sagen: Der Grund für vieles, was wir gemeinsam sicher an der politischen Auseinandersetzung dieser 30 Monate bedauern, liegt nicht darin, wie es heute morgen wieder einmal unterschwellig zumindest darzulegen versucht wurde, daß diese Regierung mit diesen Mehrheitsverhältnissen gebildet wurde, sondern darin, daß diese Opposition, die zweifellos die größte Fraktion dieses Hauses ist - das hat nie jemand bestritten -, nicht in der Lage war, will ich einmal vorsichtig sagen, und vielleicht auch nicht bereit war, sich mit dieser demokratischen Selbstverständlichkeit des Regierungswechsels abzufinden. Das hat dazu geführt, daß ihr ebenso unheimlicher wie unheilvoller MachtKirst drang die gesamte parlamentarische Arbeit dieser vergangenen Jahre bestimmt, teilweise verzerrt und manchmal gelähmt hat. ({4}) Ich will Ihnen, meine Kollegen von der CDU/CSU, gerne sagen, daß ich für diese Reaktion bis zu einem gewissen Grade sogar ein psychologisches Verständnis gehabt habe, was aber nichts entschuldigt. Ich habe das gelegentlich einmal so formuliert, daß es eben eine menschliche Erscheinung ist, wenn jemand 20 Jahre Betriebsleiter oder Prokurist in einem Unternehmen gewesen ist und es kommt die Zeit, wo mal in der Führungsposition ausgewechselt wird, dann meint er eben auch, es könne nicht ohne ihn gehen und schon gar nicht ohne ihn gleich gut oder gar noch besser gehen. Die Opposition ist nicht bereit gewesen - das gehört auch zur Bilanz dieser 30 Monate -, sich mit der Rolle der Opposition abzufinden. Das kam ja heute in einer Formulierung auch deutlich zum Ausdruck. ({5}) Wenn man sich so verhält, gerät das Bekenntnis zur demokratischen Staatsform in den Verdacht - ich sage: unbewußt; ich unterstelle hier niemanden etwas bewußt Böses, aber vielleicht prüfen Sie sich auch einmal selbst -, Lippenbekenntnis gewesen zu sein und nur unter der Voraussetzung verstanden worden zu sein, daß man selbst Staatspartei ist und die anderen ewige Opposition sind. Das muß man, glaube ich, als Grundlage dieser Auseinmal sehen. Der Sturz der Regierung ist von Anfang an reiner Selbstzweck der Argumentation und der Aktion der Opposition gewesen. Wir meinen allerdings, darin kommt auch die Unfähigkeit zur eigenen konstruktiven Opposition zum Ausdruck, zu der man sich eigentlich für viermal 365 Tage aufgerufen hatte. ({6}) So gesehen, ist dieser Mißtrauensantrag, auf den ich am Schluß noch einmal zurückkommen werde, nichts anderes als der Ausdruck einer Torschlußpanik, des Gefühls: wenn jetzt nicht, dann nie. ({7}) - Wir haben vollen Respekt vor dem Grundgesetz. ({8}) Das brauchen Sie uns, die wir stolz darauf sind, daß dieses Grundgesetz von liberalem Geist erfüllt ist, nicht zu sagen. ({9}) Ich muß folgendes hinzufügen. Das Mittel der Opposition hier und draußen - draußen noch mehr, weil man dann nicht unter der ständigen Kontrolle des politischen Konkurrenten steht - war eine hemmungslose Demagogie auf der einen Seite und eine Überempfindlichkeit auf der anderen Seite. Ich habe Ihnen das schon vor zwei Jahren einmal gesagt: Sie beanspruchen für sich, ständig vergleichsweise mit dem Dreschflegel uns gegenüber umzugehen, und verlangen, daß wir Sie dauernd mit Glacéhandschuhen anfassen. ({10}) Dazu gehörte auch - das hatten Sie allerdings schon in der Regierungszeit gelernt und geübt, wenn auch in anderer Form - das ständige Angstmachen. ({11}) Die Angst war und ist der große Verbündete der CDU/CSU. Manchmal ist man versucht - wenn man Ihre Äußerungen hört -, zu sagen: „Kassandra, dein Name ist CDU/CSU." ({12}) - Ach, Herr Althammer, mir fällt gerade ein Beispiel ein, das ich immer gern gebrauche, um Ihre Unkenrufe ad absurdum zu führen. Als die Regierung im Mai 1971 ({13}) - Herr Haase, können Sie nicht mal zuhören? - das Floating einführte, war einer Ihrer Kassandra-Rufe, damit seien die Chancen für einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dahin. Das war ein Unkenruf, der drei Wochen später schon ad absurdum geführt war. ({14}) Zu den Hauptbereichen Ihrer Verunsicherungskampagne gehörten eben die Bereiche der Deutschland-, Ost- und Außenpolitik einerseits und der Konjunktur-, Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik andererseits. Die Parolen, mit denen Sie das hier und im Lande betrieben haben, des Ausverkaufs im einen und der Inflation im anderen Bereich, die waren schon im „Bayernkurier" gedruckt, bevor diese Regierung ihren Amtseid geleistet hatte. Das wollen wir mal an den Anfang stellen, um festzuhalten, von wem die Polarisierung, von wem die Konfrontation, die wir sicher alle bedauern, ausgegangen ist. Ich will zu dem einen Bereich hier heute nichts sagen; das geschieht entweder von anderer Seite oder in der nächsten Woche bei angemessener Gelegenheit. Lassen Sie mich aber einiges sagen zu der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik. Eine Regierung - jede Regierung - fängt ihr Leben nicht im luftleeren Raum an. Konjunkturzyklen richten sich nicht nach Legislaturperioden, die nun mal zufällige zeitliche Einschnitte in das wirkliche Geschehen sind. ({15}) Es kann kein Zweifel bestehen, daß sich diese Konjunktur, mit deren Auswirkungen, soweit es die Preisstabilität anlangt, wir sicher viele Sorgen gehabt haben - das hat auch nie jemand bestritten -, als diese Regierung ihr Amt antrat, in voller Fahrt befand. Insofern ist sie eine Erbschaft mit Hypotheken gewesen, um es einmal so zu sagen. ({16}) - Die Preisentwicklung, Herr Kollege Baier, wäre, das wage ich hier zu behaupten - dafür ist vor allen Dingen Ihre außenwirtschaftliche Abstinenz ein Indiz; ich nenne nur die Stichworte Aufwertung, Floating usw. -, unter einer von der CDU geführten Regierung, wenn sie das getan hätte, was sie versprochen hatte, nämlich keine außenwirtschaftliche Absicherung zu betreiben, mindestens genauso schlecht, wahrscheinlich schlechter gewesen. ({17}) Das Schlimme ist nur - das gebe ich zu; insofern sind wir in Beweisschwierigkeiten -, daß man zwar die eingetretenen Preissteigerungen, nicht aber die verhinderten messen kann. Alle Volkswirte dieser Welt sind sich aber nun einmal über diesen Effekt der außenwirtschaftlichen Absicherungsmaßnahmen einig, auch wenn sie sicherlich nicht ausreichten, um absolute Ziele der Preisstabilität zu erreichen. Wir Freien Demokraten haben - ich glaube, das können wir für uns in Anspruch nehmen - zur Frage der Preisstabilität immer klare Aussagen gemacht, und wir haben uns auch nicht an dem undankbaren Spiel mit Prophetien beteiligt. Deshalb sehen wir uns auch im Zitatenkrieg verschont. Ich meine, es ist eine erfreuliche Feststellung, die wir hier treffen können.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber bitte!

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da Sie soeben von den Preissteigerungen sprachen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie vergessen, daß Ihr Wirtschaftsminister Schiller im Frühjahr 1966, als er noch in der Opposition war, für den Fall, daß er Wirtschaftsminister würde, angekündigt hat, er werde dafür sorgen, daß die Preissteigerungen nicht mehr 3 %, sondern nur noch 2 und 1 °/o betragen würden?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erstens, Herr Kollege Ott, bin ich nicht für die Tätigkeit des heutigen Wirtschaftsministers als damaligen Oppositionssprechers verantwortlich. Zweitens habe ich Ihnen schon mehrmals gesagt, daß falsche Reden, die früher einmal gehalten worden sein mögen, nicht dadurch besser werden, daß heute andere sie halten. Drittens muß man allerdings auch sagen - ich komme darauf später unter Bezugnahme auf eine Passage des Kollegen Katzer noch zurück -, daß die Verhältnisse in den Jahren 1965/66, was die außenwirtschaftlichen Einflüsse anlangt, in ihrer Intensität und in ihrem Ausmaß sicherlich nicht mit dem verglichen werden können, was wir aus den bekannten internationalen Gründen in den letzten Jahren erlebt haben. ({0}) Wir Freien Demokraten haben in dieser Auseinandersetzung weder den Staat hinsichtlich der Möglichkeiten seiner Einflußnahme überfordert - wie könnten wir das als Liberale? - noch uns versagt. ({1}) - Herr Leicht, wir wollen die Debatte von heute vormittag nicht fortsetzen. Fragen Sie doch endlich einmal Herrn Damm und Herrn Gewandt; sie werden Ihnen das bestätigen, was ich Ihnen gesagt habe. ({2}) - Das sind keine Ausreden, das sind Tatsachen. Ich wiederhole: wir haben den Staat in dieser Auseinandersetzung weder überfordert, noch haben wir uns versagt, wenn es nötig war, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung möglich waren und ergriffen werden mußten. Da heute ohnehin soviel wiederholt wird, möchte ich noch einmal sagen: Das, was die CDU/CSU in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung in den vergangenen zweieinhalb Jahren getan hat, war eine ständige Verleugnung der marktwirtschaftlichen Zusammenhänge und Gesetze. Das müssen wir nun einmal festhalten. Wir Freien Demokraten sind stolz darauf, daß diese Regierung bei der Bewältigung der schwierigen wirtschaftlichen Situation, die schließlich auch weiteres Wachstum und ständige Vollbeschäftigung gebracht hat, keinen Schritt vom Pfad der marktwirtschaftlichen Tugend abgewichen ist. Das werden Sie uns nicht nachweisen können. ({3}) Die Preissteigerungen - das sei noch einmal deutlich gesagt - sind im wesentlichen die Folgen der schon erwähnten außenwirtschaftlichen Einflüsse und darüber hinaus natürlich - wir haben darüber im März gesprochen - der inneren Kostenexplosion, des hausgemachten Faktors, bei dem es hier aber immer wieder darauf ankommt, klarzustellen, daß entgegen Ihrer zumindest unterschwelligen, manchmal draußen im Lande etwas vordergründigen Argumentation „hausgemacht" hier nicht „regierungsgemacht" heißt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kirst, damit dieses Argument nicht immer wieder kommt: Haben Sie nicht den neuesten Bundesbankbericht gelesen, der doch klar feststellt, daß Fehlverhalten der Regierung zu diesen Erscheinungen wesentlich beigetragen hat?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leicht, wir werden uns darüber noch unterhalten. Im übrigen geht es dabei nicht um diese eine Regierung, sondern es geht um alle Regierungen in Bund und Ländern mit den ganzen CDU-Regierungen und um die Gemeinden. ({0}) Das wollen wir mal festhalten. Hier und heute geht es in diesem Zusammenhang im wesentlichen um den Bundeshaushalt. Ich bin der Meinung, wir sollten die schwierigen finanzwirtschaftlichen und haushaltspolitischen Einzelfragen morgen nachmittag oder am Freitagvormittag, wann wir dazu kommen, in aller Ruhe, wenn auch Sie wieder ruhiger sind, behandeln. ({1}) Aber wenige Bemerkungen nur dazu. Herr Kollege Leicht, ich habe hier eine interessante Statistik, die auch Sie kennen, über die Ausgabensteigerungen der öffentlichen Hände. 1970: Bund plus 6,9 Länder plus 14,4, Gemeinden plus 13,2. ({2}) - Die Zahlen stimmen, Herr Kollege Stücklen. Soweit stimmen wir überein. Ich bin gern bereit, mit ihnen über Gründe zu sprechen, die dafür maßgebend sind, wenn Sie immer so ruhig und vernünftig bereit wären, über Gründe in unserem Bereich zu sprechen. - Sicherlich, 1971 liegt der Bund wesentlich höher - 13,1 , die Länder aber wieder noch wesentlich höher - 14,5 -, die Gemeinden auch - 14,1 -. Es wäre sicher möglich, Herr Kollege Leicht, die Problematik ,der Haushaltspolitik der öffentlichen Hände ganz ruhig und sachlich gemeinsam hier zu erörtern, wenn Sie nicht damit angefangen hätten, in diesem Zusammenhang dieser Regierung, diesen. Finanzministern falsche, ,unbegründete Vorwürfe zu machen. Hier spielt - darauf wird morgen nachmittag oder am Freitag bei ,der Fortsetzung der Haushaltsberatung noch näher eingegangen werden - die Frage der Verschuldung eine ganz entscheidende Rolle. Wir wissen alle - und das sollte nicht verschwiegen werden , daß 1970 die Schuldenaufnahme beim Bund mit einer Milliarde DM trotz einer Veranschlagung von 2,7 Milliarden DM ganz gering war, 1971 ebenso mit einer Milliarde DM trotz einer Veranschlagung von 3,7 Milliarden DM. Wir wissen, ,daß auch hier - ich will jetzt nicht alle Zahlen vorlesen die Entwicklung bei den Ländern und bei den Gemeinden anders, weniger günstig gewesen ist. Wir wissen auch, daß der Bundesrat bei der ersten Lesung Ides Haushalts dem Bund gesagt hat: Ihr nehmt mal mehr Schulden auf, damit ihr uns mehr Bargeld geben könnt. Sie wissen, daß wir im Rahmen der Mehrwertsteuerverteilung und zusätzlich der Ergänzungszuweisungen mit einem ganz erheblichen Milliardenbetrag fertig werden müssen, der dazu führt, daß 1972 ,das Verhältnis der Schuldenaufnahme von Bund und Ländern optisch ein anderes sein kann, als es 1970 und 1971 war. Aber wir sind auch ,der Meinung - ,das sagen wir sehr deutlich, und wir haben auch das Vertrauen in diese Regierung dazu , 'daß sie sich bemühen wird, trotz des heutigen Ansatzes auch für 1972 ein besseres Ergebnis zu erzielen, als es sich heute in der Haushaltsfeststellung abzeichnet, unabhängig davon, daß die rein finanzpolitische Situation heute aus verschiedenen Gründen sicher schwieriger ist, als sie für die vergangenen Jahre war, nicht zuletzt wegen der eben schon erwähnten Mehrleistungen des Bundes für die Länder. Nur muß man, wenn man hier über Verschuldung spricht, natürlich auch berücksichtigen, was denn z. B. geschehen würde, wenn ,die Opposition all ihre Wünsche erfüllt, all ihren politischen Willen durchgesetzt bekäme. Ich habe hier eine Zusammenstellung der finanziellen Auswirkungen der dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe der Opposition auf Bund, Länder und Gemeinden für 1972. ({3}) Ich will das hier nicht im einzelnen aufführen, aber immerhin geht es dabei insgesamt um Belastungen ,teils Mehrausgaben, teils Mindereinnahmen -für den Bund von rund 2 Milliarden DM, für die Länder von knapp einer Milliarde und für die Gemeinden noch einmal von rund 350 Millionen DM. Wer so im Glashaus sitzt, sollte also doch mit den Steinen, mit denen er hier um sich wirft, etwas vorsichtiger sein; sonst geht dieses Glashaus eben doch eines Tages kaputt. ({4}) Man muß natürlich erneut und sehr deutlich auch die Frage stellen, wo denn eigentlich - abgesehen von ,den vielen teils schönen, teils weniger schönen Worten - Ihre Alternativen in der Konjunkturpolitik geblieben sind. Immer dann, wenn es darum ging, etwas zu tun, haben Sie gepaßt. Ich habe das einmal als „Suppenkasperei" bezeichnet, und ich will das der Vollständigkeit halber gern wiederholen. Es ist ja so, daß Sie sich immer, aber auch bei allen Dingen, versagt haben. Nun hat der Kollege Katzer, weil das ja seinen früheren Bereich betrifft, insbesondere auch von den Auswirkungen auf die Rentner gesprochen. Ich gehe davon aus, daß der sozialpolitische Teil seiner Ausführungen heute noch die entsprechende Erwiderung von anderen Kollegen meiner Fraktion findet. Nur ist das, was Sie, Herr Kollege Katzer, hier als sicherlich objektive Feststellung der Bundesbank über gewisse Entwicklungen zitiert haben, eben nicht vor dem demagogischen Mißbrauch gefeit, den Sie dann immer in der politischen Praxis daran knüpfen. Klar ist doch, daß der Mechanismus der um drei Jahre verzögerten Anpassung Ihre Erfindung ist; das wollen wir alle doch einmal nicht abstreiten. ({5}) Klar ist, daß es Jahre gegeben hat, in denen die Rentner eben relativ weit besser lagen als in der letzten Zeit. Aber Sie wissen genauso gut wie wir, daß die Steigerungssätze für 1972/1973 schon ausgerechnet werden können und daß sie dann mittelfristig insgesamt einen guten Ausgleich bringen werden, ganz abgesehen davon, daß wir ja gerade jetzt die Rückzahlung des Krankenkassenbeitrages der Rentner vorgenommen haben. Aber eines war an Ihren Ausführungen, Herr Kollege Katzer, doch noch interessant, und das zeigt ja: wie immer etwas ist, was immer man tut, was immer man sagt, Sie sind irgendwie dagegen. Sie haben gemeint, man müsse nun sehen, daß sich auch für die Erwerbstätigen, insbesondere für die Arbeitnehmer, diese Schere zwischen Preissteigerungen und Einkommenssteigerungen schließe. Da kann ich Sie, da Sie sicherlich mit mir der Meinung sind, daß wir im Augenblick die schon vorgefundenen Preissteigerungsraten dieses Jahres nicht ändern können, nur fragen, ob Sie eigentlich dafür gewesen wären, die jetzt - das muß man einmal anerkennen - maßvollen Tarifabschlüsse höher zu gestalten. Nur das kann doch eigentlich die Logik Ihrer Überlegung von eben gewesen sein. Nun haben Sie auch noch davon gesprochen, daß es nicht mehr so sei wie früher, daß die Bundesrepublik einen weiten stabilitätspolitischen Abstand habe.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Burgbacher?

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kirst, ich habe eine kurze Frage. Halten Sie es für einen besonderen Beweis von Logik, bei 3,5 % Preissteigerung einen Konjunkturzuschlag zur Dämpfung der Preissteigerung einzuführen und ihn bei 5,5 °/o auszuzahlen? ({0})

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Burgbacher, das ist keine neue Frage. Wir haben darüber auch schon anläßlich des Jahreswirtschaftsberichts gesprochen. Sicherlich ist es aber richtig, daß man nicht nur die tatsächlich zur Zeit vorhandenen Preissteigerungen bei solchen Entscheidungen berücksichtigen muß, sondern die jeweilige Tendenz, und zweifellos ist es richtig, daß bei Einführung des Konjunkturzuschlags die Gefahr bestand, daß die Preissteigerungsrate ohne diese Maßnahme größer geworden wäre; denn - daran besteht kein Zweifel - diese 6 Milliarden DM waren aus dem Kreislauf herausgezogen. Zur Zeit ist jedenfalls die konjunkturpolitische Gefahr, durch diese Rückzahlung noch verstärkend zu wirken, wesentlich geringer. Im übrigen war es immer unsere Absicht, diesen Konjunkturzuschlag entgegen Ihren Kassandra-Rufen und entgegen vereinzelten Vorschlägen aus Ihren Reihen zurückzuzahlen. Lassen Sie mich fortführen, was ich eben sagen wollte. Kollege Katzer hatte behauptet, der stabilitätspolitische Vorsprung der Bundesrepublik sei geringer geworden. Nun, man sollte sich dann doch einmal die Zahlen über einen größeren Zeitraum ansehen. Wir haben in den Jahren 1962 bis 1968 in der Bundesrepublik immerhin eine jährliche Preissteigerungsrate von 2,8 % und in den insgesamt ausgewählten Ländern von 3,1 % gehabt. So groß - nur 10 % - war also dieser Vorsprung der Bundesrepublik auch nicht. Im ersten Jahr dieser Regierung war dieser Vorsprung wesentlich größer. Da war in diesen selben ausgewählten Ländern insgesamt eine Steigerung des Lebenshaltungskosten-index von 6 % zu verzeichnen, für die Bundesrepublik von 3,8 %. ({0}) - Aber Herr Althammer, Sie wissen doch selbst, wie unqualifiziert dieser Zwischenruf ist. ({1}) Wissen Sie, Herr Kollege Althammer, vor zwei Jahren haben Sie noch ganz anders gesprochen. Da haben wir in diesem Hause gesagt - auch ich -, die Preissteigerungen des Jahres 1970 sind gar nicht von dieser Regierung, wenn überhaupt von der Regierung, zu verantworten, weil sie langfristig wirken. Da haben Sie wieder ganz anders geredet; da kannten Sie natürlich diese Gesamtergebnisse nicht. Ich gebe zu, daß sich aus den bekannten Gründen, die ich vorhin schon angesprochen habe, für 1971 ein Ausgleich mit jeweils 5,2 % ergibt. Für ganz entscheidende Länder, meine Damen und Herren, besteht dieser Vorsprung aber auch 1971 unverändert, wie gesagt, 5,2 %, Japan - sehr wichtig! - 6,2 %, USA nach sehr hohen Sätzen niedriger mit 4,3%, aber die Schweiz 6,6 %, Schweden 7,4%, Osterreich 4,7 % und z. B. Großbritannien 9,4%, Niederlande 7,6 %, Frankreich 5,5 %. Das sind doch sehr interessante Daten im Hinblick auf die Meinung, daß das, was ,der Kollege Katzer hier behauptet hat, so nicht richtig ist. Man sollte eben mit Zahlen immer sehr sorgfältig umgehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einige grundsätzliche politische Bemerkungen machen. Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei hat 1969 in einer schwierigen Situation die Verantwortung für diese Regierungsbildung übernommen, und sie bekennt sich ungeschmälert heute wie damals dazu. ({2}) Sie hat an der Verwirklichung des Programms dieser Regierung in Koalition und Regierung mitgewirkt. ({3}) Ich bin dem Kollegen Schäfer für die Aufzählung der vielen Dinge, die diese Regierung vollbracht hat, sehr dankbar. Wir haben uns hier wieder einmal in guter Arbeitsteilung gefunden, Herr Kollege Schäfer; ich brauche das nicht alles noch einmal aufzuführen. Wir wissen alle gemeinsam, daß diese Regierung das Programm der Regierungserklärung von 1969 in anderthalb Jahren erfüllt haben wird. ({4}) Das bezog sich weniger auf die einzelnen gesetzgeberischen Vorhaben. Im Prinzip stimmen wir hier sicher überein, daß wir das so erfüllt haben werden. Sie werden das ja auch in anderthalb Jahren präsentiert bekommen. ({5}) - Ach wissen Sie, über die Steuerreform werden wir sicher noch bei Einzelplan 08 sprechen. ({6}) Nur eines darf ich Ihnen jetzt einmal sagen, Herr Kollege Baier: Ihr früherer Bundeskanzler Adenauer hat hier im Jahre 1957 verkündet - angesichts einer absoluten Mehrheit für Ihre Partei, wie sie in diesem Hause nie größer war -: In dieser Legislaturperiode - die bekanntlich 1961 zu Ende ging - machen wir eine große Steuerreform. Die erste Regierung, die überhaupt etwas für eine Steuerreform getan hat, ist nun einmal diese Regierung. ({7}) - Wo ist denn die Steuerreform von 1957? Ist die vielleicht als Geheimsache erschienen? ({8}) Meine Damen und Herren, wir haben von Anfang an - ich will das auch im Zusammenhang mit Ihren finanzpolitischen Besorgnissen noch einmal erklären - eine klare Unterscheidung gemacht; wir haben nie diese fatale, absolute Gleichsetzung von Geldausgeben und Reform unterschrieben, und ich bin dankbar, daß das heute Allgemeingut der Koalition und der Regierung ist. Denn es gibt sehr viele Reformen ideeller Art - so will ich sie einmal nennen -, die für uns gemeinsam mindestens so wichtig sind wie Geld kostende Reformen, von denen ich aber auch den Eindruck habe - wenn ich an die Auseinandersetzung über diese Probleme denke -, daß sie Ihnen genauso unangenehm sind. Wir sind allerdings auch nie - ich will das sehr deutlich sagen - der Meinung gewesen, daß dieses Schlagwort - wir leiden ja in der politischen Auseinandersetzung generell unter Schlagworten - vom privaten Reichtum und der öffentlichen Armut so, wie es immer gesagt wird, richtig ist. Dahinter steckt etwas anderes; das muß man dann auch sehr deutlich sagen. Wir haben es weniger mit einer öffentlichen Armut zu tun als mit den immens gesteigerten Ansprüchen des Staatsbürgers in diesem Lande, des Staatsbürgers aller Regionen, aller Schichten, an diesen Staat. Das ist nämlich der wirkliche Bezug. ({9}) Sie selbst - ich will aber nicht sagen, daß wir davon frei sind - sind auch daran beteiligt, diese Ansprüche zu steigern. Es sind auch durchaus legale Kräfte außerhalb dieses Hauses daran beteiligt, diese Ansprüche zu steigern. Es ist doch so: Sonntags werden nicht nur von Politikern, sondern auch von anderen, Sonntagsreden gehalten, und ab Montag ist man dann wieder Lobbyist im Dienst. Das muß man einmal sehr deutlich sehen. ({10}) Es kann kein Zweifel bestehen - ich räume das ein -, daß Ihre Propaganda, die zu klassifizieren ich mich bemüht habe, nicht ohne Wirkung bleibt. Was wir von der Opposition und ihren Mitstreitern - um es einmal sehr vornehm auszudrücken; ich halte andere Begriffe durchaus für vertretbar - erlebt haben, wer die Kübel von Schmutz, Verleumdung, Verfälschung gesehen und über sich hat ergehen lassen müssen in diesen letzten zweieinhalb Jahren und sich steigernd in den letzten Wochen und Monaten, gezielt auf diese Tage hin, der muß feststellen, daß auf der einen Seite die Wirkung eines solchen demagogischen Trommelfeuers sicherlich nicht zu übersehen ist. Und Hochachtung vor all denen draußen im Land, die sich davon nicht beeinträchtigen lassen! ({11}) Wer sieht oder aus eigener Kenntnis der Zusammenhänge weiß, wie hier manipuliert und Macht mißbraucht wird, ({12}) muß selbst - ich sage das sehr bewußt, Herr Stücklen - eine absolut gefestigte demokratische Überzeugung in sich tragen, ({13}) wenn er nicht daran zweifeln soll, ob mit dieser Opposition und ihren Helfern auf die Dauer Demokratie zu praktizieren ist. ({14}) Höhepunkt ist der Versuch, das Wahlergebnis durch das konstruktive Mißtrauensvotum zu verfälschen. ({15}) Ich habe heute morgen schon gesagt: Die Zumutung an Abgeordnete der Koalition, diesem Antrag zuzustimmen, ist eine Beleidigung. ({16}) Vorhin wurde, Herr Wohlrabe, mit Nordrhein-Westfalen 1956 verglichen. Das aber war der normal vereinbarte Regierungswechsel durch zwei Fraktionen, die vor der Abstimmung im Landtag - Herr Dorn hat sich vorhin zu dieser Aktion bekannt - die Mehrheit gehabt haben. ({17}) Was Sie wollen, ist etwas anderes. Das wird noch gekennzeichnet werden. Nun, Herr Dr. Barzel - man darf das zum Abschluß der Debatte über den Kanzlerhaushalt wohl sagen - will Kanzler werden. Das ist sein gutes, demokratisches Recht. Aber ich sage ihm zu diesem Anspruch das, was er hier zum Schluß zu den Ostverträgen gesagt hat: Liegenlassen! Nicht jetzt! Nicht so! ({18})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.

Olaf Wrangel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal stelle ich fest, daß die sachlichen Ausführungen meines Freundes Katzer und die sachliche Kritik, die er in diesem Hause geübt hat, einer langweiligen Vorstellung des Konformismus begegnet sind; anders kann man die hier gehaltenen Reden wohl nicht bezeichnen. ({0}) Herr Kirst, Sie können außerdem ganz sicher sein, daß auf ein paar Einzelheiten Ihrer unqualifizierten Angriffe gegen uns noch eingegangen wird. Aber eines sage ich Ihnen gleich: Was wir aus Ihrem Munde hörten, war nichts weiter als die holprige Retourkutsche eines Mannes, der im Grunde genommen in der Sache nicht sehr viel auszusagen hat. ({1}) Meine Damen und Herren, was hätten wir erwartet? Wir hätten an dieser Stelle endlich das Eingeständnis erwartet, daß diese Regierung eben nicht mehr über ein Reformprogramm verfügt. ({2}) - Aber, Herr Wehner, gerade Ihnen hätte es gut angestanden, an dieser Stelle zu sagen, daß die vielen Versprechungen, die gemacht worden sind, von Ihnen nicht eingehalten werden können. Das ist es doch! ({3}) Was ich aber besonders schlimm finde, ist, daß hier im Zusammenhang mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum das schlimme Wort vom Verfälschen des Wählerwillens gefallen ist. Meine Damen und Herren! Warum haben denn die Väter des Grundgesetzes diese Möglichkeit eingebaut, warum denn? Sie haben es getan, damit man innerhalb einer Legislaturperiode das verfassungsmäßige Recht in Anspruch nehmen kann, eine Regierung, die versagt hat, abzulösen. Das ist doch die Situation! (Starker Beifall bei der CDU/CSU. - Zurufe von der SPD. - Abg. Haase [Kassel] : Eine Regierung, die Bankrott gemacht hat!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter von Wrangel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?

Olaf Wrangel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht. Niemand, meine Damen und Herren, wird die CDU, CSU-Bundestagsfraktion daran hindern, von diesem ihrem verfassungsmäßigen Recht morgen Gebrauch zu machen. ({0}) - Sie scheinen aber doch wirklich sehr nervös zu sein. ({1}) Ich sage aber im Hinblick auf die Debatte, die draußen geführt wird, die wir hier heute morgen erlebt haben, auch gleich eines: Was auch immer passiert, es darf nicht geschehen, daß in irgendeiner Form die in der Verfassung verankerte freie und geheime Abstimmung in irgendeiner Weise berührt oder manipuliert wird. ({2}) Herr Kollege Schäfer, lassen sie mich nun doch eine Bemerkung zu Ihren im Zusammenhang mit dem Thema Überläufer oder Zuläufer gemachten Ausführungen machen. ({3}). Ich weise den Vorwurf gegen jeden Kollegen zurück, der aus Überzeugung seine Fraktion gewechselt hat, weil die Fraktion plötzlich eine andere, entgegengesetzte Politik gemacht hat. Dies sind keine Überläufer, sondern das sind Kollegen, die nach ihrer Überzeugung handeln. ({4}) - Jawohl, Herr Wehner, das sind Kollegen, die nach ihrer Überzeugung handeln. ({5}) Ich muß sagen, gerade nach den vom Kollegen Katzer gebrachten Zitaten wäre es doch gut gewesen, hier ein paar klärende Worte zu sagen. Was wir gehört haben, Herr Schäfer, war Beschönigung, Verharmlosung, Verniedlichung, waren große Worte - so wie in der Regierungserklärung -, denen ganz, ganz kleine Taten gegenüber stehen. Das ist doch die wirkliche Situation. ({6}) - Herr Kollege Wehner, Theaterrezensent ist ein sehr ehrenwerter Beruf. ({7}) Sie aber, Herr Kollege Wehner, können es offenbar nicht mehr ertragen, daß in diesem Parlament diskutiert wird, sonst würden Sie mich ausreden lassen. ({8}) Wir haben doch das vom Holzen, vom Mobilisieren der Betriebe, von den Schreibtischtätern bis hin zu anderen Dingen gehört, und niemand hier von der Regierung und der Koalition hat dies alles richtig-gestellt. Es wäre an der Zeit, daß Sie dies endlich tun. ({9}) - Dann tun Sie's doch und stellen Sie's richtig! ({10}) Dann tun Sie's doch auch mal, Herr Wehner, es würde Ihnen gut zu Gesicht stehen! ({11}) Meine Damen und Herren! Ich komme jetzt, Herr Bundeskanzler, zu einem Punkt, der in der Rede meines Kollegen Katzer und in den folgenden Ausführungen eine Rolle gespielt hat, und ich will ihn in aller Ruhe hier vortragen dürfen. Zunächst ist doch zu sagen, daß wir im In- und Ausland eine Fülle von Stimmen haben, die uns z. B. bedrängen, die Verträge zu ratifizieren. Ich würde einen Schritt weitergehen und sagen: Die Reden von Breschnew und Gromyko sowie das, was die Deutsche Kommunistische Partei zu diesem Thema sagt - ich habe es hier , sollten eigentlich nicht dazu dienen, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Wehner, daß Sie aus solchen Parolen Munition für den innenpolitischen Kampf gegen die Opposition sammeln, sondern Sie sollten diese Dinge im Interesse der Bundesrepublik Deutschland zurückweisen; das wäre Ihre Aufgabe. ({12}) Herr Bundeskanzler - oder Herr Bundesaußenminister -, haben Sie sich nicht auch überlegt, ob es nicht gerade angesichts einer sich anbahnenden Interventionswelle - einer Welle, die uns Angst machen soll - angebracht wäre, den Ratifizierungsprozeß so lange auszusetzen, bis sichergestellt wird, daß dieser Deutsche Bundestag seine Entscheidungen unabhängig und frei treffen kann? Auch dies wäre Aufgabe dieser Regierung gewesen. ({13}) Meine Damen und Herren, sicherlich kann niemand davon profitieren, wenn die Radikalen, deren Parolen sich, wie wir wissen, wie ein Ei dem anderen gleichen, sich auf beiden Seiten tummeln.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schlaga?

Olaf Wrangel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Präsident, ich gestatte keine Zwischenfragen. Ich will auf ein Thema zu sprechen kommen, das uns doch alle bewegen muß. Der Herr Kollege Schäfer hat genau vor einem Jahr, als wir hier den Haushalt beraten haben, gesagt, der Nachwuchs seiner Partei mache ihm keine Sorgen. Das haben Sie sinngemäß gesagt. Macht er Ihnen immer noch keine Sorgen - angesichts der Tatsache, daß dort Volksfrontparolen gepredigt werden? ({0}) Macht es Ihnen immer noch keine Sorgen, daß Bastion für Bastion in Ihrer Partei von Radikalen erorbert wird? ({1}) Ich kann nur sagen: Das macht uns als Demokraten große Sorgen, ({2}) weil wir das Gefühl haben, daß hier der Marsch durch die Institution „SPD" im Laufschritt begonnen worden ist. ({3}) Herr Kollege Schäfer, was nun die Flugblätter anbelangt, ({4}) so werden Sie das besagte Flugblatt kennen. Nur die Würde dieses Hohen Hauses verbietet es mir, es hier vorzulesen. Ich werde es Ihnen daher übergeben. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Olaf Wrangel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Präsident, ich gestatte keine Zwischenfrage. Herr Kollege Schäfer, ich möchte dann nur noch folgendes sagen. Wenn Sie in diesem Zusammenhang den früheren Bundeskanzler Kiesinger angreifen, so kann ich dazu nur sagen: Dieser Bundeskanzler Kiesinger mußte mit der ihm eigenen Autorität gegen solche verhängnisvollen, gemeinen, verhetzenden Tendenzen Stellung nehmen. Wir sind ihm dankbar dafür, daß er das getan hat. ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß ich nicht länger als bis 13 Uhr reden werde. ({1}) -- Herr Kollege Wehner, Sie haben - auch durch die permanenten Zwischenrufe, die Sie hier ma10626 Chen - gezeigt, daß Sie die sachliche Diskussion nicht wollen, ({2}) daß die Gemeinsamkeit strapaziert wird, ({3}) daß die Solidarität der Demokraten in diesem Lande in hohem Maße bedroht ist und daß dadurch das Verhandlungsgewicht der Bundesrepublik Deutschland im ganzen schwer leiden kann. ({4}) Meine Damen und Herren, was Sie hier tun, ist doch nichts weiter als Wasser auf die Mühlen derer, die diese Demokratie demontieren wollen. ({5}) Seien Sie sicher, daß die CDU/CSU ({6}) - gerade auch, indem sie ihr verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nimmt dafür sorgen wird, daß die zweite deutsche Republik nicht den Weg der ersten gehen wird. ({7})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 14 Uhr. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksachen VI/3377, VI/3378 Zunächst behandeln wir zwei Dringliche Mündliche Fragen des Abgeordneten Reddemann. Ich rufe die erste Frage auf: Wie setzen sich die „deutschen Agentenorganisationen" zusammen, die nach Ansicht des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Dr. Paul Frank, in Bundesministerien Regierungsgeheimnisse erforschen, insbesondere wer steht an ihrer Spitze, wer bezahlt sie und in wessen Auftrag sind sie tätig? Bitte, Herr Staatssekretär! Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es wird gegenwärtig ermittelt, wie und durch wen Bruchstücke von Aufzeichnungen über die Verhandlungen in Moskau in entstellter und teilweise gefälschter Form widerrechtlich in unbefugte Hände gelangt sind. Es bestehen konkrete Hinweise dafür, ,daß seit längerer Zeit eine Gruppe von Personen sich vertrauliche Dokumente des Auswärtigen Amtes systematisch zu verschaffen trachtet mit dem Ziel, diese politisch zu verwerten. Die Bundesregierung hat den Auswärtigen Ausschuß des Bundestages am 25. April 1972 hierüber eingehend unterrichtet. Wegen eines dieser Fälle des rechtwidrigen Verrats von Staatsgeheimnissen hat die Staatsanwaltschaft Bonn, wie Sie wissen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses ist noch nicht abgeschlossen. Es ist nicht auszuschließen, daß alle diese Vorgänge in einem Zusammenhang miteinander stehen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da der Begriff eines Agenten, den Staatssekretär Frank gebraucht hat, in den §§ 98, 99 StGB genau umrissen ist und ein Agent im Dienste einer fremden Macht stehen muß, möchte ich Sie fragen: ist die Bezeichnung Agent, die hier gewählt wurde, nur als moralisch abwertend zu verstehen, oder handelt es sich tatsächlich um Agenten einer fremden Macht, und welche Beweise hat die Bundesregierung dafür? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, daß eine solche Bezeichnung nicht als moralisch aufwertend zu verstehen ist, geht aus meiner Antwort hervor. ({0}) Wir glauben, daß hier das Interesse des Staates Schaden gelitten hat. Dabei ist, glaube ich, die Herkunft derjenigen im einzelnen, die hier am Werke sind, relativ unerheblich, wenn es sich um Staatsinteressen und ihre Schädigung handelt.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, offensichtlich haben Sie meine Frage nicht verstanden; also muß ich sie wiederholen: Handelt es sich um Agenten einer fremden Macht und damit um Agenten im Sinne des Strafgesetzbuches, oder was hat Herr Frank damit konkret gemeint? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich glaube, Herr Abgeordneter, es geht eindeutig aus dem Wortlaut des Interviews und aus der Erklärung hervor, die Herr Dr. Frank im Auswärtigen Ausschuß dazu abgegeben hat. Ich möchte darauf verzichten, das ganze Interview hier vorzulesen. Ich glaube, der Sinnzusammenhang, die politische Wertung, die hier gemeint war, ist eindeutig.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist keine Antwort.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Frank, Ihr beamteter Kollege, hat die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß auch Bundesorgane zu diesen Agenten, wie er es bezeichnete, gehörten. Stehen Sie noch auf diesem Standpunkt, oder würden Sie das heute ausschließen? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich kann, bevor das Ergebnis der Ermittlung vorliegt, dazu nichts weiter sagen als das, was ich hier erklärt habe.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann man in Anlehnung an die Frage des Kollegen Max Schulze-Vorberg der Meinung sein, daß auch das Bundeskanzleramt und insbesondere der Chef des Bundeskanzleramtes zu diesen Agenten gehören? ({0}) Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident. ich glaube, ich brauche diese Frage nicht zu beantworten.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich wollte Ihnen eben sagen: daß diese Frage keine Antwort wert ist. Ich rufe die zweite Dringliche Mündliche Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann auf: Gibt es über diese „Agentenorganisationen" Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, und wie lauten sie? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet nein.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn die Antwort nein lautet, muß ich Sie zusätzlich fragen, da wir in den letzten 22 Jahren laufend unbefugte Veröffentlichungen von Regierungsgeheimnissen hatten und sogar der jetztige Bundesminister der Justiz einmal überführt wurde, unbefugt Geheimmaterial aus dem Verteidigungsbereich in die Öffentlichkeit gegeben zu haben: Ist es nicht vielleicht möglich, daß hier lediglich, wie es früher auch der Fall war, ein Aneinanderreihen verschiedener Fälle bestand und daß Herr Frank eine Mystifikation, genannt Agentenorganisation, erfunden hat? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich bedaure, daß ich jetzt nicht im einzelnen auf den Inhalt Ihrer Frage zu einem früheren Fall hier eingehen kann, der dann in der Tat ein bißchen anders aussehen könnte. Aber eines darf ich Ihnen aus eigener Kenntnis der Dinge hier mitteilen. Es ist keine Mystifikation, sondern eine Äußerung, die im Beisein Ihres Fraktionsvorsitzenden von einem nicht der Bundesregierung angehörenden deutschen Staatsbürger gefallen ist, der vor Monaten darauf hinwies, daß eben dies, was Herr Frank hier angedeutet hat, zur Zeit in seinem Panzerschrank seine Endstation Gefunden habe.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da diese Antwort genauso mysteriös ist wie bisher alles andere, möchte ich jetzt wenigstens noch konkret die Antwort auf die Frage haben: Handelt es sich bei den angeblichen Agenten des Herrn Frank um Journalisten, die ihrer Berufspflicht nachgehen, oder wen hat Herr Frank damit gemeint? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ganz sicherlich nicht um Journalisten. Herr Abgeordneter, es gibt allerdings als Journalisten getarnte Agenten. Das wissen Sie; in der ganzen Welt ist das üblich.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war in der Sowjetunion meist der Fall. Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe Ihre Zusatzbemerkung leider nicht verstanden. - Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es in Bonn mehrere Fälle gegeben hat, in denen als Journalisten getarnte Agenten in den vergangenen 22 Jahren verhaftet worden sind. Das ist der Tatbestand, der leicht nachprüfbar ist. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Bach!

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

. Bach CDU/ CSU : Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie behaupten, daß der Fraktionsvorsitzende der ChristlichDemokratischen Union über die Geheimdokumente des Auswärtigen Amtes verfügt? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Sie dürfen das nicht entnehmen, sondern Sie müssen es so nehmen, wie ich es hier gesagt habe. Ich will es jetzt etwas deutlicher sagen. Im Beisein des Bundesministers Scheel, des Bundesministers Schmidt, des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU und in meinem Beisein hat ein an diesem Gespräch Beteiligter erklärt, daß er in seinem Panzerschrank alle diese Unterlagen habe, aus dem diese Dinge jetzt stammen könnten. Das will ich hier nur hinzufügen.

Dr. - Ing. Franz Josef Bach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie verbreiten also die Meinung eines Dritten?! Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich verbreite nicht die Meinung, sondern die Mitteilung eines Dritten. ({0}) - Nein, es handelt sich nicht um Herrn Augstein.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg zu einer Zusatzfrage.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im einzelnen ergriffen, um die von Ihnen doch sehr ernst genommenen „Agentenringe" nun zu finden, bei denen offenbar nicht einmal auszuschließen ist, daß Bundesorgane beteiligt sind? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich will jetzt auf den Inhalt Ihrer Frage nicht weiter eingehen. Ich kann Ihnen versichern, daß alle rechtlich notwendigen und möglichen Maßnahmen ergriffen werden sind.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Ostman von der Leye!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß mir gestern Material zugeleitet worden ist, das nicht ausschließt, daß es sich auch um ausländische Agenten handelt, und daß man deswegen das Ermittlungsverfahren abwarten muß? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, bevor wir ein Ermittlungsergebnis haben, können wir grundsätzlich keine Möglichkeit ausschließen. Das ist der Sinn solcher Ermittlungen. Ich darf vielleicht noch eine zusätzliche Bemerkung machen. Meine Damen und Herren, die im Interesse unseres Staates, unserer internationalen Vertrauenswürdigkeit und unserer Sicherheit gebotenen Bemühungen des Auswärtigen Amts um Eindämmung dieser kriminellen Aktivitäten werden gewiß nicht dadurch gefördert, daß die Täter gelegentlich zu Patrioten hochstilisiert werden, sei es solchen aus der Bundesrepublik Deutschland, sei es solchen aus der DDR. ({0}) - Ich habe eine Frage beantwortet und habe zu der kurzen Antwort auf die Frage noch eine Bemerkung hinzugefügt und eine Feststellung getroffen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frau Abgeordnete Renger, eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie vielleicht mit mir der Meinung, daß es im Interesse unseres Staates liegen würde, wenn sich die Opposition gemeinsam mit der Bundesregierung darum bemühte, die offenen Kanäle aufzudecken und wieder zuzustopfen, damit nicht Schaden für uns alle geschähe, anstatt das zur innenpolitischen Auseinandersetzung zu benutzen? ({0}) Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Frau Abgeordnete, man kann der in Ihrer Frage liegenden Meinungsäußerung nicht widersprechen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Ott.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, soll aus der Frage von Frau Kollegin Renger geschlossen werden, daß die Opposition irgendwie mit diesen Agentenringen in Zusammenhang stehe oder von ihnen wisse, wenn Frau Renger uns auffordert, mitzuhelfen, obwohl wir selber unwissend sind? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich möchte auf die Erklärung verweisen, die der Bundesaußenminister Scheel im Namen der Bundesregierung zu diesem Fall abgegeben hat. Ich glaube, wir sollten alle den Gang der Ermittlungen abwarten. Ich möchte den Appell an alle richten, im Interesse unseres Staates klar zwischen einer politischen Auseinandersetzung mit den in der Politik legitimen Mitteln und einer Auseinandersetzung mit nicht legitimen Mitteln zu unterscheiden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001130, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie sich der Tatsache bewußt, daß Herr Staatssekretär Frank im Gegensatz zu der Antwort, die Sie dem Kollegen Reddemann auf seine Zusatzfrage gegeben haben, gestern in seiner Erklärung im Auswärtigen Ausschuß nicht zu der Frage Stellung genommen hat, ob es sich hier um Agenten einer fremden Macht handle? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe auch zu dieser Frage hier keine Stellung genommen. Ich habe nur gesagt: man kann grundsätzlich niemals etwas ausschließen, ehe Ermittlungen abgeschlossen sind. Daraus können Sie keine Stellungnahme zur Protokollfrage herauslesen. ({0}) Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, das müßte ich im Zusammenhang noch einmal nachlesen. Wenn Sie das so verstanden haben sollten, ist diese Bezugnahme doch nicht so gemeint gewesen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Keine Zusatzfrage mehr. Dann ist die Frage erledigt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Niegel auf: Ist die Bundesregierung wie Parlamentarischer Staatssekretär Herold der Meinung, daß das Zonenrandgebiet und damit das gesamte östliche Oberfranken von den Ostverträgen am meisten profitieren werde ({0}), und mit welchen Fakten kann sie dies im einzelnen begründen? Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: ich darf die Frage wie folgt beantworten: Zunächst herzlichen Dank, daß mir Gelegenheit gegeben wird, auf dieses Thema hier im Hohen Haus einzugehen. Die Ostverträge sind die Grundlage für eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den osteuropäischen Staaten. Eine Verbesserung und Erweiterung der Zusammenarbeit einschließlich der wirtschaftlichen Beziehungen sowie der wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Verbindungen ist zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR sowie der Volksrepublik Polen bereits angebahnt worden. Die Bundesregierung strebt entsprechende Entwicklungen mit allen osteuropäischen Staaten an. Daß diese Politik positive Möglichkeiten eröffnet, ist gerade auch von seiten der osteuropäischen Staaten in den letzten Wochen deutlich gemacht worden. Voraussetzung ist allerdings die Ratifizierung der Verträge. In den Prozeß der Normalisierung in Europa wird auch die Regelung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eingebettet sein. Wie sich bereits gezeigt hat, werden die laufenden Verhandlungen mit der DDR von der mit den Ostverträgen eingeleiteten Entwicklung begünstigt. Eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten in Deutschland wird aber insbesondere auch dem Zonenrandgebiet zugute kommen. Am Beispiel Oberfranken wird dies deutlich: Das östliche Oberfranken bildete vor der Teilung Deutschlands mit den angrenzenden Teilen Thüringens, Sachsens und der Tschechoslowakei ein eng verflochtenes aktives Wirtschaftsgebiet. Deshalb waren hier die nachbarschaftlichen Verbindungen und die Zusammenarbeit außerordentlich intensiv. Da heute das Fehlen dieser Verbindungen nach wie vor große Schwierigkeiten bereitet, wird das östliche Oberfranken von jeder Vereinbarung über eine Erleichterung der menschlichen Begegnungen und des wirtschaftlichen Austausches zwischen den beiden Staaten in Deutschland und zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR in ganz besonderer Weise profitieren. Die Nachteile, die sich aus der heutigen Randlage des Zonenrandgebietes ergeben, könnten so als Folge der Ostverträge mehr und mehr gemildert werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage nur ausweichend beantwortet haben ({0}) - Sie haben nicht gesagt, mit welchen Fakten Sie im einzelnen das begründen , darf ich diese Frage dahin gehend nochmal stellen: mit welchen Fakten begründen Sie, daß das gesamte Oberfranken bzw. einschränkend das östliche Oberfranken am meisten von den Ostverträgen profitieren werde? Haben Sie bei diesen Äußerungen, die Sie seinerzeit gemacht haben, zum Beispiel auch berücksichtigt, daß es im Moskauer Vertrag heißt: „Sie ({1}) betrachten heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich, wie sie am Tage der Unterzeichnung dieses Vertrages verlaufen, einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik"? Haben Sie auch das berücksichtigt, was Herr Bahr zu Gromyko gesagt hat, nämlich: die Grenze zwischen der CSSR und der BRD sei ebenso unantastbar wie die Grenze zwischen der BRD und der DDR? Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Was diese Aussagen und dieser Artikel mit dem Handel und Wandel und den menschlichen Beziehungen zu der DDR und der CSSR zu tun haben, vermag ich hier nicht abzunehmen. Ich möchte Sie nur an folgendes erinnern: Vor der Teilung Deutschlands gab es engste Verbindungen der oberfränkischen Textilindustrie in allen Bereichen und Sparten mit dem Vogtland, mit Sachsen gerade auf diesem Gebiet. Ich erinnere an die Schieferbrüche von Lehesten, ich erinnere an die Lederfabrik nördlich von Tiefengrün, ich erinnere an die Papierfabrik bei Blankenstein, wo Hunderte von oberfränkischen Arbeitern Arbeit und Brot für ihre Familien gefunden haben. Das schließt doch nicht aus, daß diese Beziehungen sich wieder entwickeln. Oder denken Sie an Sonneberg und Neustadt bei Coburg, die ganze Spielwarenindustrie, die von der Konkurrenz und von der Zusammenarbeit lebte. Diese Dinge scheinen sich auf jeden Fall zu erleichtern, wenn diese Verträge in Ordnung kommen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Letzte Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glauben Sie, Herr Staatssekretär, daß Sie diese Situation, wie Sie vor der Teilung also ohne Grenzen war, mit diesen Verträgen wiederherstellen können, wenn dann eine amtlich anerkannte Grenze hindurchführt - deswegen habe ich diese Dokumente verlesen, sowohl das Dokument des Vertrages als auch das Dokument der Protokollnotizen ----, es also dann Ausland sein wird? Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Wir haben in ganz Europa die Grenzen anerkannt - die Grenzen Frankreichs, Luxemburgs, Belgiens, Italiens und Österreichs - und treiben trotzdem eine hervorragende Handelspolitik mit diesen Ländern. Warum soll das gegenüber den anderen auszuschließen sein?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage, Abgeordneter Ott?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie vorher im Zusammenhang mit den Verträgen die wirtschaftlichen Beziehungen mit den Oststaaten und der Sowjetunion erwähnten, frage ich: Ist es richtig, daß bisher bereits wirtschaftliche Beziehungen mit der Sowjetunion bestanden haben und daß der Ausweitung dieser wirtschaftlichen Beziehungen nichts entgegengestanden hat außer der Tatsache, daß die Bezahlung Schwierigkeiten bereitet hat? Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich muß Ihnen ehrlich sagen: das ist doch jedem bekannt, daß bereits wirtschaftliche Beziehungen bestanden. Aber es ist doch auch völlig klar, daß durch den Abschluß neuer Handelsverträge und vor allen Dingen des Handelsvertrages jetzt wieder mit der Sowjetunion neue Möglichkeiten sich eröffnen, vor allen Dingen, daß man von dem Warenaustausch zu einer echten Handelspolitik kommt. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Abgeordneter Reddemann, eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir zugeben, daß sich nur dann eine Verbesserung im Zonengrenzraum ergeben könnte, wenn im Rahmen der augenblicklichen Politik die Möglichkeit bestünde, die Zonengrenze durchlässiger zu machen, als sie bisher ist, und wenn dafür gesorgt würde, daß vor allem nicht neue Minen gelegt und Stacheldrahtverhaue gebaut werden? Würden Sie mir weiterhin zugeben, daß, seit Sie Ihre neue Ostpolitik betrieben haben, leider - ich sage ganz deutlich „leider" die Aktivität der Abgrenzung auf der anderen Seite größer geworden ist? Ich lese also eher das Gegenteil Ihrer Hoffnungen aus dem heraus, was im Augenblick geschieht. Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Herr Kollege Reddemann, ich darf dazu folgendes sagen. Erstens ist es klar, daß die Grenzen durchlässiger gemacht werden müssen. Ich will Sie jetzt nicht erneut mit den 20 Punkten von Kassel konfrontieren. In den Punkten 12 bis 16 finden Sie nämlich alle konkreten Vorschläge, die der Bundeskanzler in Kassel gemacht hat. ({0}) - Entschuldigung, es ging doch nicht darum, ob sie sie akzeptiert, Herr Kollege Reddemann, sondern es ging einfach darum, ein Verhandlungspapier auf den Tisch zu legen, und das ist geschehen. Der nächste Punkt: Minen und Stacheldraht. Ich wiederhole: das gibt es nicht erst, seitdem die jetzige Regierung im Amt ist. Stacheldraht und Minen gibt es seit 1961. Wir haben uns dazu entschlossen, nicht nur zu protestieren und hier immer nur einstimmig große Deklamationen zu machen, sondern mit den Menschen zu reden, und zwar im Interesse derjenigen Menschen, die hinter Stacheldraht und Mauer leben. ({1}) Das ist unsere Aktivität, lieber Herr Kollege Reddemann. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Hellmut Sieglerschmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß die Grenzen, und zwar auch die Grenze zur DDR, in den Jahren seit 1949 bis 1967 bzw. 1969 immer weniger durchlässig geworden sind und daß das, was zu Ostern in und um Berlin geschehen ist, zeigt, was zu erreichen ist, wenn man von der wirklichen Lage, wie sie in Deutschland ist, ausgeht? Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich kann das nur bestätigen, Herr Kollege. Ich danke Ihnen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frage 3 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) : Sieht die Bundesregierung im Interesse der weiteren Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und zivilen Hilfsdiensten auf der einen Seite sowie der Bundeswehr auf der anderen Seite die Möglichkeit, während der Hauptreisezeit in verstärktem Umfang an Hauptverkehrsadern Hubschrauber-und Sanitätseinsätze zu leisten? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Wittmann, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Der Stand des Rettungswesens im Straßenverkehr ist, wie in der Öffentlichkeit bekannt, bisher noch unbefriedigend. Aber auch bei optimalem Aufbau des Rettungswesens wird es stets nur auf eine Durchschnittsbelastung ausgelegt sein können und daher zu den Verkehrsspitzen auf die Unterstützung durch andere Kräfte angewiesen sein. Diese Unterstützung wird bereits gewährt. Vor allem ist hier die Mitwirkung des Katastrophenschutzes zu nennen. Sanitätseinheiten des Deutschen Roten Kreuzes, des Malteser-Hilfsdienstes, der Johanniter-Unfaillhilfe und des Arbeiter-Samariter-Bundes und technische Einheiten der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerkes leisten schon seit geraumer Zeit zu Wochenenden und in der Reisezeit an Verkehrsschwerpunkten Unfallhilfe. Die für das Rettungswesen zuständigen Länder wie auch die örtlichen Behörden sind über die Möglichkeit, auf das Potential des Katastrophenschutzes für Rettungszwecke zurückzugreifen, unterrichtet. Ich habe aber angeregt, diese Frage nochmals im Bund/Länder-Ausschuß „Rettungswesen" zu behandeln. Außer Sanitäts- und technischen Einheiten kann der Katastrophenschutz neuerdings auch HubschrauParlamentarischer Staatssekretär Dorn ber zum Einsatz im Rettungswesen zur Verfügung stellen. Nachdem der ADAC im November 1970 in München einen Modellversuch unternommen hat, hat das Bundesinnenministerium im Dezember 1971 in Leverkusen einen Hubschrauber in Dienst gestellt. Eine zweite Maschine wird voraussichtlich Ende Mai 1972 ausgeliefert werden. Entsprechend der Konzeption des Katastrophenschutzes soll dieses an sich für den Verteidigungsfall vorgehaltene Potential bereits im Frieden eingesetzt werden. Schon die relativ kurze Einsatzzeit der Hubschrauber hat gezeigt, daß sie gut geeignet sind, das bodenständige Rettungswesen zu unterstützen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es sich erreichen läßt, daß gerade in den Spitzenzeiten des Verkehrs Sanitäts- und Hubschraubereinheiten der Bundeswehr, die ohnehin dienstbereit sein müssen, ihre Rettungsfahrzeuge z. B. entlang der Autobahnen den Einheiten des zivilen Katastrophen- und Rettungsdienstes mit Mannschaften zur Verfügung stellen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, das geschieht bereits. Das Zentrum der Bundeswehr in Ulm z. B. ist schon seit Monaten in dieser Weise im Einsatz. Ich kann Ihnen sagen, daß in der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und meinem Hause ständige Konsultationen darüber stattfinden, in welchem Umfang wir hier noch weitere Verbesserungen durchführen können. Nun bitte ich um Verständnis dafür, daß wir noch das Ergebnis der Modellversuche abwarten müssen. Es hat sich inzwischen herausgestellt, daß über 60 % der Einsätze der Rettungshubschrauber sowie des Sanitäts- und Ärztepersonals für Unfälle, die am Arbeitsplatz geschehen sind, notwendig waren und daß dadurch eine erhebliche Zahl von Menschenleben gerettet werden konnte. Der Einsatz auf dem Verkehrssektor war erst in zweiter Linie erforderlich.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 4 des Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye: Nachdem die Bundesregierung exakte Zahlen über die Mitglieder der DKP und ihrer Jugend- und Studentenorganisationen im öffentlichen Dienst mitgeteilt hat, bitte ich um Auskunft, wie viele Angehörige der NPD und ihrer Jugend- und Studentenorganisationen und wie viele Mitglieder anderer rechtsradikaler Organisationen im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und der Gemeinden beschäftigt sind. Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Ostman von der Leye, seit der Bundestagswahl 1969 ist bei der NPD eine Austrittswelle zu beobachten, die jetzt noch anhält. So hatte die NPD Ende 1969 noch 28 000 Mitglieder, Ende 1970 waren es 21 000 und Ende 1971 nur noch rd. 18 000 Mitglieder. Unter den ausgetretenen Mitgliedern dürften sich auch Angehörige des öffentlichen Dienstes in einer bis jetzt noch nicht festzustellenden Zahl befunden haben. Auch die anderen rechtsradikalen Organisationen mußten erhebliche Mitgliederverluste hinnehmen; auch hier steht der Anteil von Angehörigen des öffentlichen Dienstes an der Austrittsbewegung noch nicht fest. Unter diesen Umständen können im Augenblick keine genauen Angaben darüber gemacht werden, wie viele Angehörige der NPD oder anderer rechtsradikaler Organisationen noch im öffentlichen Dienst tätig sind. Ermittlungen über den neuen Stand laufen schon seit einigen Monaten, konnten jedoch bisher noch nicht endgültig abgeschlossen werden. Sobald mir die entsprechenden Erkenntnisse in genauen Zahlen vorliegen, bin ich gern bereit, sie Ihnen schriftlich mitzuteilen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage zu sagen, wann Sie mit genauem Material rechnen, und wären Sie dann in der Lage, dieses Material dem gesamten Hause zuzuleiten? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister des Innern: Zur Frage Nummer zwei kann ich sagen: Selbstverständlich bin ich bereit, es den Mitgliedern des Hauses allgemein zuzuleiten. Was die Frage Nummer eins betrifft, so bitte ich um Verständnis dafür, daß ich noch keinen genauen Zeitpunkt nennen kann. Ich glaube aber, daß die Ermittlungen innerhalb weniger Wochen abgeschlossen werden können. Wir sind hier ja auf die Hilfestellung der Länder im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und dem Bund angewiesen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage! Bitte, Herr Abgeordneter Hansen!

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, zeigt Ihre Antwort nicht, oder gibt sie nicht zumindest einen Hinweis darauf, daß es sehr problematisch ist, die verfassungsfeindliche bzw. radikale Tätigkeit von Einzelpersonen insbesondere im öffentlichen Dienst bloß von der nominellen Zugehörigkeit zu einer radikalen Organisation abhängig zu machen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Es wird sicher notwendig sein, die Beurteilungen differenzierter durchzuführen, als es zur Zeit manchmal gehandhabt wird.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 5 des Abgeordneten Schmidt ({0}). - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({1}). Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Frage 7 des Abgeordneten Metzger. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 8. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Frage 9 des Abgeordneten Walkhoff: Beabsichtigt die Bundesregierung, für den Fall wirksame Maßnahmen zu treffen, daß militante neonazistische europäische Gruppen zur gewaltsamen Störung der Olympischen Spiele in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen gedenken? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. Ja, Herr Abgeordneter Walkhoff. Wie bereits Herr Staatssekretär Dr. Hartkopf am 3. Februar 1972 vor dem Hohen Hause berichtet hat, ist auf Bundes- und auf Landesebene das Notwendige veranlaßt, um etwaige Störungen möglichst frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage?

Karl Heinz Walkhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002414, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie halten es also auch für möglich, daß ausländische Extremisten versuchen werden, in die Bundesrepublik einzureisen, um die Olympischen Spiele gegebenenfalls auch durch Aktionen außerhalb Münchens zu stören, und Sie sind bereit, entsprechende Gegenmaßnahmen bzw. Vorkehrungen zu treffen, um das zu verhindern? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß solche Pläne bestehen. Ob es zur Ausführung dieser Pläne kommt, können wir zur Zeit nicht übersehen. Mit Sicherheit können Sie davon ausgehen, daß die Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von allen Beteiligten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in ständiger Kooperation so vorbereitet sind, daß wir glauben, mit den Problemen, die auf uns zukommen könnten, fertig zu werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 10 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Gewasserzustand der Werra und Weser zu verbessern, insbesondere die den Fischbestand gefährdende Versalzung durch Ah-wässer des Kalibergbaus zu verhindern? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, Voraussetzung für eine allgemeine Verbesserung des Gewässerzustands der Werra und der Weser ist der Bau noch fehlender Kläranlagen bei Gemeinden und Industriebetrieben im Einzugsgebiet dieser Flüsse. Die Durchführung der Maßnahmen liegt in der Zuständigkeit der berührten Länder, die eine Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Weser gebildet haben. Die Bundesregierung ist bemüht, die Bemühungen dieser Länder im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Das geschieht durch ERP-Kredite, durch Bürgschaften für zinsgünstige Kredite und durch Steuervergünstigungen, die den Gemeinden bzw. den Industriebetrieben den Bau von Kläranlagen finanziell erleichtern. Auch aus den Mitteln für die Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der Agrarstruktur" und „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" werden erhebliche Mittel für Maßnahmen zur Reinhaltung der Gewässer in diesem Raum zur Verfügung gestellt. Die den Gewässerzustand von Werra und Weser verschlechternde und die Trinkwasserversorgung sowie den Fischbestand gefährdende Versalzung stammt überwiegend vom Kalibergbau in der DDR. Eine wirksame Abhilfe wäre zu erreichen, wenn dort wesentlich weniger Salzabwasser in die Flüsse abgeleitet würde und die Quoten für den Chlorid- und Härteabstoß wieder auf die Werte zurückgingen, die letztmalig 1947 - damals noch von der gesamten Kali-Abwasser-Kommission für die in Thüringen und Hessen gelegenen Kaliwerke - vereinbart worden waren. Die Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung der Weser hat mitgeteilt, daß die zulässigen Quoten von den Kaliwerken der Bundesrepublik eingehalten werden, daß aber alle vom Vorsitzenden der Kali-Abwasser- Kommission in Kassel an die Wasserwirtschaftsbehörden der DDR gerichteten Aufforderung, die 1947 festgelegten Quotenanteile zu beachten, bisher leider erfolglos waren.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Müller ({0}) auf: Ist die Bundesregierung bereit, mit den zuständigen Stellen der DDR Verhandlungen aufzunehmen, um auch dort Schutzmaßnahmen im Kalibergbau zu erreichen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, die Bundesregierung hat sei längerer Zeit ihre Bereitschaft bekundet, mit den zuständigen Stellen der DDR auch über die hier erforderlichen Maßnahmen zu sprechen. So hat der Bundeskanzler in Punkt 17 der Kasseler 20 Punkte angeboten, die Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Umweltfragen im Interesse des gegenseitigen Vorteils zu intensivieren und zu erweitern sowie Verhandlungen über die Einzelheiten aufzunehmen. In Punkt 16 hat er vorgeschlagen, daß es den Kreisen und Gemeinden an der gemeinsamen Grenze ermöglicht werden sollte, die dort bestehenden Probleme nachbarschaftlich zu lösen. Zu diesen Angeboten steht die Bundesregierung nach wie vor uneingeschränkt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Willi Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001566, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es ist doch aber zutreffend, daß darauf bis heute kein Echo gekommen ist. Ist die Bundesregierung bereit, auch die vorhin erwähnten privaten Stellen und Verbände bei ihren Bemühungen zu unterstützen, nach Möglichkeit private Vereinbarungen vorzuziehen, solange es nicht zu anderen Übereinkünften kommt, damit der Gewässerzustand verbessert wird? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, das ist - in dieser Formulierung - ein schwieriges Problem, das von uns nicht einseitig gelöst werden kann, weil uns ja die Abwassersituation in der DDR in diese schwierige Position gebracht hat. Ich meine, es gibt praktisch nur den Ausweg, daß es uns gelingt, wie beim Berlin-Abkommen und bei den weiteren Zusatzverträgen mit der DDR auch in Parlamentarischer Staatssekretär Dorn dieser Frage ein Abkommen zu erreichen, um dann zu den 1947 gemeinsam vereinbarten Werten zurückzukehren. Die DDR müßte in ihrem Bereich dafür sorgen, daß der Salzgehalt des abzuleitenden Wassers entsprechend verringert wird.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Dr. Schneider ({0}) auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den vorn Deutschen Städtetag vorgelegten „Negativkatalog der zivilen Verteidigung" vom 27. März 1972, und welche Konsequenzen wird sie daraus ziehen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Schneider, die Bundesregierung betrachtet die zivile Verteidigung als unverzichtbaren Bestandteil der Gesamtverteidigung. Sie wird sich deshalb dafür einsetzen, daß die Haushaltsmittel hierfür weiter verstärkt und in angemessenem Umfang an die Ausgaben der militärischen Verteidigung herangeführt werden. In dem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß der Haushalt der zivilen Verteidigung im Jahre 1969 seinen tiefsten Stand erreicht hatte. Inzwischen ist es gelungen, diese negative Entwicklung aufzufangen. Ich empfinde es als sehr ermutigend, daß der Deutsche Bundestag in der Entschließung vom 19. Januar 1972 ,dieses Bestreben der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt. Der vom Deutschen Städtetag veröffentlichte „Negativkatalog" befaßt sich mit zahlreichen Einzelproblemen des Zivilschutzes. Es würde den Rahmen der Fragestunde sprengen, wenn ich hier auf alle ) angeschnittenen Fragen einginge. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, Herr Kollege Schneider, daß in den nächsten Tagen von der Bundesregierung das Weißbuch zur zivilen Verteidigung vorgelegt wird. Darin werden Gesamtkonzeption, Aufgaben und Probleme - auch die noch nicht gelösten Probleme -- der zivilen Verteidigung ausführlich behandelt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird aus dem Weißbuch zur zivilen Verteidigung hervorgehen, in welchem Umfange die Bundesregierung bereit ist, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die unzureichende Finanzausstattung der Städte auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung künftig entscheidend zu verbessern? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das wird aus 'dem Weißbuch so klar in Zahlen nicht hervorgehen können. Diese Fragen werden vielmehr im Rahmen des Einzelplans 36, den wir in den nächsten Tagen zu beraten haben, durch 'dieses Haus entschieden. Auch die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung kann nur 'durch die Haushaltsentscheidung dieses Hohen Hauses geregelt werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, geht aus dem Weißbuch hervor, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, einen der wichtigsten Programmpunkte der zivilen Verteidigung, nämlich den Bau von Schutzräumen für die Bevölkerung, zu verwirklichen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das wird auch aus dem Weißbuch hervorgehen. Aber, Herr Kollege Schneider, das ging auch ausführlich aus dem Bericht der Bundesregierung, der im Februar 1971 dem Deutschen Bundestag zugeleitet wurde, und aus dem Bericht hervor, den die Bundesregierung 1970 dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat. Die Zahlen, die sich ergeben haben, und auch die Entscheidungen der Bundesregierung - erhebliche Erleichterung der Beantragung und Bezuschussung dieser Positionen werden im Weißbuch noch einmal dargestellt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatztrage, Herr Abgeordneter Müller.

Willi Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001566, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß infolge eines Negativkatalogs, wie er hier vorgelegt wird, möglicherweise übersehen wird - auch in der Öffentlichkeit -, daß es durchaus auch einen Positivkatalog geben könnte, in dem beispielsweise stehen könnte und stehen sollte, daß diese Bundesregierung dafür gesorgt hat und darum bemüht ist, daß das weiter fortgeführt wird, daß in dem weiter zu sagen wäre, daß insbesondere durch die Zusammenfassung und sinnvollere Verwendung der Mittel Katastrophenschutzzentren angesteuert werden und daß hierfür nach Möglichkeit auch der Deutsche Städtetag eintreten sollte, damit diese positive Entwicklung gefördert und öffentlich dargetan wird, daß hier etwas Sinnvolles geschieht? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, ich bin in der Sache völlig Ihrer Meinung. In diesem Jahre werden über 500 Millionen DM allein für die Zwecke des Einzelplans 36 zur Verfügung gestellt. Diese Mittel können entscheidend dazu beitragen, den Positivkatalog und die Ergebnisse eines positiven Katalogs auch in den nächsten Jahren noch erheblich zu verstärken. Die Schwierigkeit lag doch darin, daß nach den Planungen von 1965/66 im Endergebnis ein radikaler Abschwung der Mittel in den Haushaltsplänen erfolgt ist. Sie selbst, der Sie sich seit vielen Jahren hier engagiert haben, wissen, wie schwierig es gewesen ist, diesen Abschwung wieder aufzufangen und in einen positiven Trend umzuwandeln.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 13 des Abgeordneten Weigl und Frage 14 des Abgeordneten Wagner ({0}) werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Frage 15 des Abgeordneten Freiherr von Fircks: Kann die Bundesregierung angeben, aus welchen Gründen in dem Bericht des Bundesministers des Innern nach § 4 des 21. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({1}) bis zum Ablauf der Antragsfristen eine Verdoppelung Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen des Antragseingangs nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz im Verhältnis zum bisherigen Jahresdurchschnitt unterstellt wird, eine Ablehnungsquote von 18,9 % allein im Feststellungsverfahren zugrunde gelegt wird, obwohl der vergleichbare v. H.-Satz der Ablehnungen nach dem Feststellungsgesetz bei 23,7% liegt? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, die Schätzung geht von der Annahme aus, daß nach dem 1. Januar 1972 noch zwischen 140 000 und 150 000 Anträge eingehen werden. Dabei wird, bedingt durch den Ablauf der allgemeinen Antragsfrist am 31. Dezember 1972, die Zahl der Anträge höher sein als 1971, als sie rund 80 000 betrug. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß auch nach dem 31. Dezember 1972 ohne zeitliche Begrenzung noch alle diejenigen Geschädigten antragsberechtigt sind, die unter den Voraussetzungen des § 230 des Lastenausgleichsgesetzes - dort ist z. B. das Problem der Familienzusammenführung angesprochen - in die Bundesrepublik kommen. Ferner entsteht das Antragsrecht bei Erfüllung der Stichtagsvoraussetzungen des § 230 des Lastenausgleichsgesetzes für Erben von Geschädigten, die im Schadensgebiet des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes verstorben sind, und für diejenigen Geschädigten, denen nach dem 31. Dezember 1972 der Erbantritt verwehrt wird. Die geschätzte Ablehnungsquote geht von der Annahme aus, daß weniger unbegründete Anträge zu erwarten sind als nach dem Feststellungsgesetz. Diese Erwartung beruht auf dem Zeitablauf seit Beginn des Lastenausgleichs, der anders gearteten Zusammensetzung der Antragsberechtigten, der intensiven Beratung durch die Ausgleichsämter und den verbesserten Kenntnissen der Geschädigten über die gesetzliche Regelung.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind, was aus dem Bericht selbst nicht erkennbar ist, bei der Ermittlung der Gesamtkosten für die Erfüllung der Ansprüche auf Hauptentschädigung für Zonenschäden diejenigen Grundbeträge in Abzug gebracht worden, die durch Anrechnung von Kriegsschadensrente aus dem Härtefonds bzw. nach dem Flüchtlingshilfegesetz erfüllt werden, also nicht den Lastenausgleichsfonds belasten? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen diese Frage schriftlich beantworten muß. Ich kann sie, da ich die Einzelbestimmungen nicht so genau kenne, hier nicht beantworten.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 16 des Abgeordneten Freiherr von Fircks: Kann die Bundesregierung außerdem angeben, aus welchen Gründen in dem Bericht des Bundesministers des Innern nach I 4 des 21. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({0}) ein durchschnittlicher Grundbetrag von rund 6400 DM errechnet wird, während der vergleichbare Durchschnittsbetrag bei Vertreibungsschäden zur Zeit 4839 DM beträgt? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, es handelt sich zwangsläufig erst um eine grobe Schätzung. Sie berücksichtigt die soziologischen Unterschiede zwischen Geschädigten aus den Vertreibungsgebieten und aus dem Schadensgebiet des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes. Hiernach muß der Anteil von Personen, die im Schadensgebiet größeres Vermögen besaßen und verloren haben, höher sein als bei den Antragsberechtigten nach dem Feststellungsgesetz, weil in den Vertreibungsgebieten - anders als im Schadensgebiet des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes - von den Vermögensverlusten alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig betroffen worden sind.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Otto Fircks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist bei der Schätzung der Höhe der durchschnittlichen Grundbeträge der Hauptentschädigung für Zonenschäden auch in Rechnung gestellt worden, daß ja nach der 21. Lastenausgleichsnovelle auch die vielen kleinen Verluste an Sparguthaben nach dem Lastenausgleichsgesetz und nicht - wie bei den Vertriebenen - nach dem besonderen Währungsausgleichsgesetz abgegolten werden und daß der niedrige durchschnittliche Entschädigungsbetrag für diese Verluste, der nach dem Währungsausgleichsgesetz im Einzelfall nur bei 300 DM liegt, nicht ohne Einfluß auf den Gesamtdurchschnitt der Grundbeträge der Zonenschäden sein kann? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, daß bei den Zahlenzusammenstellungen die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen in beiden Bereichen berücksichtigt worden sind.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Die Frage 17 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dasch auf: ist die Bundesregierung bereit, der deutschen Aluminiumindustrie durch geeignete Maßnahmen, wie z. B. Erlaß der Mehrwertsteuer, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und damit die währungsbedingten Mindererlöse beim Aluminiumverkauf wenigstens teilweise auszugleichen? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Auffassung der Bundesregierung zur Lage der Aluminiumindustrie ergibt sich aus ihrer Antwort vom 10. März 1972 auf eine Kleine Anfrage. Um Wiederholungen zu vermeiden, Herr Kollege, darf ich auf diese Antwort verweisen. Die schlechte Lage der Aluminiumindustrie hat ihre Ursache in verschiedenen Faktoren und nicht etwa allein in währungsbedingten Mindererlösen. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß gezielte Aufwendungen öffentlicher Mittel - sei es in Form von Haushaltszuwendungen, sei es in Form von Steuersubventionen - möglich sind. Sie ist Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld aber bereit, der Anregung des Wirtschaftsausschusses dieses Hohen Hauses zu folgen und die aktuellen Probleme der Aluminiumindustrie unmittelbar zwischen dem Bundesministerium und der betroffenen Wirtschaft zu erörtern. Erst danach kann endgültig geklärt werden, ob und mit welchen Maßnahmen eine Festigung der Situation auf dem Aluminiummarkt möglich ist.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Valentin Dasch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000358, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung nicht bewußt, daß die deutsche Aluminiumindustrie allein durch diese Währungsmaßnahmen ein Fünftel ihrer Verkaufserlöse eingebüßt hat? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Schwierigkeiten der Aluminiumindustrie sind der Bundesregierung bekannt. Das wurde auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage gesagt. Ich muß aber darauf hinweisen, daß die Schwierigkeiten nicht allein auf diesen Währungsmaßnahmen beruhen, sondern daß auch andere Faktoren hinzutreten, die zu diesen Schwierigkeiten geführt haben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Letzte Zusatzfrage.

Valentin Dasch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000358, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Bundesregierung nach neuerlicher Uberprüfung und nach Kenntnis der Sachlage, daß tatsächlich diese Verluste eingetreten sind, die existenzgefährdend auch für bestausgerüstete Werke sind und zu großen Befürchtungen bei Tausenden von Arbeitnehmern in den Betrieben geführt haben, bereit, doch entsprechende Zusagen zu geben, um die weitere Existenz der deutschen Aluminiumindustrie sicherzustellen? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, daß Gespräche zwischen der Industrie und dem Ministerium in diesen Tagen stattfinden werden und daß dann weitere Schritte zu erwägen sind.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Frage 19 des Abgeordneten Gewandt wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Wolfram auf: Ist die in der Anzeige Nummer 8 der Anzeigenkampagne der Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen e. V. geäußerte Verunsicherung und Befürchtung einer Abtötung der Leistung in den Hearings zur Steuerreform auch offiziell vorgetragen worden, und welche Argumente hat die Bundesregierung dem entgegengebracht? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 20 und 21 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Sind Sie einverstanden? - Ich rufe dann noch die Frage 21 des Abgeordneten Wolfram auf: Ist die Bundesregierung in der Lage, durch Zahlenangaben die Behauptung der in Frage 20 angeführten Anzeige zu widerlegen, daß die Steuermehreinnahmen ausschließlich aus der gestiegenen Leistung der Wirtschaft ({0}) getragen worden sind? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, die in Ihrer Frage genannten Befürchtungen sind auch in den Anhörungen der Verbände zur Steuerreform am 27./28. Mai 1971 und am 3./4. Februar 1972 geäußert worden. Die Bundesregierung hat wiederholt darauf hingewiesen, sie werde darauf achten, daß durch die Maßnahmen der Steuerreform weder die Unternehmerinitiative geschwächt noch der Leistungswille beeinträchtigt werde. Im Hearing haben die Beamten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen an Hand von statistisch mehrfach abgesicherten Modellrechnungen dargelegt, daß sich nach den Eckwerten der Steuerreform z. B. bei einem Einzelunternehmen selbst bei einem Bruttoertrag - Gewinn vor Betriebssteuern - von 10 Millionen DM ein Ansteigen der Belastung von bisher 64,4 auf nur 69,3 % ergibt. Von einer Abtötung des Leistungswillens kann unter diesen Umständen überhaupt keine Rede sein. Zwischen 1961 und 1971 ist das relative Steueraufkommen der öffentlichen Hand - Bund, Länder und Gemeinden , bezogen auf das Bruttosozialprodukt, leicht gesunken. Die wirtschaftliche Steuerlastquote betrug im Jahre 1961 23,6 und im Jahre 1971 22,8 %. Das absolute Wachstum der Steuereinnahmen von 78,5 Milliarden DM im Jahre 1961 um rund 120 v. H. auf 172,4 Milliarden DM im Jahre 1971 ist daher auf die gestiegene Leistungsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft und nicht auf die Mehrbelastung einzelner sozialer Gruppen wie beispielsweise der Unternehmer zurückzuführen. Es kann festgestellt werden, daß es bei der Steuerreform nicht um die höchstmögliche Besteuerung geht, wie es in den von Ihnen genannten Anzeigen behauptet wird. Vielmehr wird die Steuerreform - auch darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingewiesen - aufkommensneutral sein.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung überhaupt die angeführte Anzeigenkampagne mit ihrer Fülle unrichtiger Behauptungen? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, die Bundesregierung hat nicht die Möglichkeit, derartige Anzeigen irgendwie zu kontrollieren. Wie sie den Inhalt dieser Anzeigen beurteilt, ergibt sich aus meiner soeben gegebenen Antwort.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, Unternehmen, insbesondere kleinere und mittlere, unmittelbar über ihre Steuerreformpläne zu informieren, um zu verhindern, daß ein Teil der Arbeitgeberverbände einseitig und unsachlich informiert? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, die Bundesregierung wird im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Steuerreformgesetze überlegen, wie der Bevölkerung und allen beteiligten Kreisen die Folgerungen der Steuerreform verdeutlicht werden können. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter Haase zu einer Zusatzfrage.

Lothar Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit den hier soeben geführten Diskussionen die Äußerungen des Sprechers der Bundesregierung und künftigen SPD-Bundestagsabgeordneten Ahlers, daß die finanzpolitischen Vorstellungen der Sozialdemokraten, wie sie auf ihrem Steuerparteitag vorgetragen worden sind, selbstmörderisch seien, weil sie auf eine kalte Sozialisierung der deutschen Wirtschaft abzielten? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, soweit überhaupt ein Zusammenhang mit der hier gestellten Frage besteht, muß ich Sie darauf hinweisen, daß hier nur von den Eckwerten der Bundesregierung die Rede war und nicht von irgendwelchen Parteitagsbeschlüssen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Schmidt ({0}) auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß einige blinde Tankstellenunternehmer durch mißbräuchliche Anwendung des Blindenprivilegs bei der Berechnung der Mehrwertsteuer laut § 4 Nr. 19 des Umsatzsteuergesetzes mit Hille des Einsatzes von Agenten große Tankstellennetze aufbauen, um dadurch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte erhebliche finanzielle Vorteile zu erlangen? Ist der Bundesregierung weiter bekannt, daß dieser steuerliche Mißbrauch, wenn auch regional unterschiedlich, bereits zu erheblichen wettbewerblichen Benachteiligungen im Tankstellengewerbe geführt hat, und ist von der Bundesregierung zu erwarten, daß eine erforderliche Gesetzesänderung die Belange derjenigen Blinden, welche die Umsatzsteuerbefreiung nicht mißbräuchlich benutzen, sondern den ihnen zugestandenen Steuervorteil als angemessenen Ausgleich für ihre Körperbehinderung betrachten, auch entsprechend berücksichtigen wird? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Der Bundesregierung ist bekannt, daß einige blinde Tankstellenunternehmer unter Einsatz von Agenten Tankstellennetze aufgebaut haben und die mit dem Blindenprivileg des § 4 Nr. 19 a des Umsatzsteuergesetzes verbundenen Steuervorteile im großem Umfang ausnutzen. Dies hat zu Wettbewerbsverzerrungen im Tankstellengewerbe geführt. Um diese Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, hat die Bundesregierung in dem diesem Hause seit dem 11, November 1971 vorliegenden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vorgeschlagen, das Blindenprivileg für die Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Gegenstände, also z. B. von Benzin, einzuschränken. Diese Regelung betrifft nur sehr wenige Blinde, und zwar auch nur dann, wenn eine übermäßige Ausnutzung steuerlicher Vorteile vorliegt. Soweit dies nicht der Fall ist, bleibt das Blindenprivileg auch bei den blinden Tankstellenunternehmern unberührt. Wegen der Einzelheiten darf ich auf den Regierungsentwurf eines Zweiten Umsatzsteueränderungsgesetzes und die entsprechende Begründung hinweisen. Im übrigen hat die Bundesregierung sogar eine Erweiterung des Blindenprivilegs vorgesehen. Der Bund der Kriegsblinden Deutschlands und der Deutsche Blindenverband haben der in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung ausdrücklich zugestimmt. Der Gesetzentwurf wird zur Zeit in den Ausschüssen dieses Hauses beraten. Hierbei wird sicherlich der von Ihnen angeschnittenen Frage besondere Aufmerksamkeit zugewendet werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Walter Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002020, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind bereits Maßnahmen getroffen, um schon jetzt eine offensichtlich mißbräuchliche Benützung des Blindenprivilegs zu unterbinden? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Bundesregierung hat Maßnahmen getroffen, diese mißbräuchliche Ausnutzung, soweit nach der jetzigen Gesetzeslage möglich, zu unterbinden. Eine endgültige und befriedigende Bereinigung der Verhältnisse wird jedoch erst möglich sein, wenn diese Gesetzesänderung verabschiedet ist.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Noch eine Zusatzfrage.

Walter Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002020, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist bzw. an der Auffassung festhält, daß die Gesetzesänderung laut Drucksache VI/2817 - Umsatzsteuer-Änderungsgesetz - baldmöglichst in Kraft treten muß? Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Sie teilt Ihre Auffassung.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Die Fragen 24 und 25 werden schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 26 des Abg. Biehle auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Ausführungen von Präsident Mansholt anläßlich seiner Pressekonferenz, wie sie ins Nachrichtenspiegel des Bundespresseamtes vom 28. März 1972 auszugsweise wiedergegeben wurden, bei der Mansholt angekündigt hat, daß es im nächsten Jahr für die Bauern keine Vizepräsident Dr. Schmid Preiserhöhungen geben werde, weil die Agrarpreise in den vier neuen EWG-Ländern innerhalb von sechs Jahren an die Gemeinschaft angeglichen werden müssen und diese Länder bereits Preissteigerungen bis zu 25 % zu verkraften hätten? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident, darf ich die Fragen 26 und 27 zusammen beantworten?

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Biehle?

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

: Ich bitte um getrennte Beantwortung. Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Präsident Mansholt hat in dieser Pressekonferenz seine persönliche Auffassung zu den Möglichkeiten der Preispolitik im kommenden Jahr geäußert. Um den Standpunkt der Kommission kann es sich nicht gehandelt haben. Seit dem Wirtschaftsjahr 1972/73 hat die Kommission nämlich eine Methode eingeführt, die auch die allgemeine Kosten-und Einkommensentwicklung bei der Preisfestsetzung berücksichtigt. Die Bundesregierung hat der Anwendung dieser Methode grundsätzlich zugestimmt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hätten Sie, wenn Sie meine Frage richtig gelesen hätten, nicht auch zu der Schlußfolgerung kommen müssen, daß ich nicht nach der Methode gefragt habe, die von der Kommission zugrunde gelegt wird, sondern daß ich die Frage gestellt habe: Teilt die Bundesregierung die von Präsident Mansholt bei diesem Interview in Brüssel geäußerte Auffassung? Darauf hätte ich gern eine klare Antwort von Ihnen. Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich möchte dazu wiederholen, was ich soeben erklärt habe: daß Präsident Mansholt seine Äußerung persönlich vorgetragen hat und daß letzten Endes für weitere Entscheidungen die Kommission und der Ministerrat zuständig sind. Ich habe weiter darauf hingewiesen, daß gerade die Kommission - wie von mir schon oft hier ausgeführt - seit einigen Jahren in einem Umdenken begriffen und auch durchaus bereit ist, Preisentwicklungen anzustreben, die die allgemeine Kostenentwicklung mit berücksichtigen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, aus der Tatsache, daß ich diese Frage nicht mit Nein beantwortet bekomme, muß ich schließen, daß Sie und die Regierung leider die Auffassung des Präsidenten Mansholt teilen, obwohl Ihr Herr Minister Ertl - ich wiederhole - bei der Kommentierung des Agrarberichts 1972 die Situation etwa dahin charakterisiert hat: „Es hätte nicht schlechter kommen können! "

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Sie stellen jetzt keine Frage, sondern halten ein Plädoyer. Das ist in der Fragestunde nicht gestattet.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann darf ich die Frage nochmals wie folgt formulieren. Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß ich Ihrer Antwort entnehmen muß, daß Sie der Auffassung des Präsidenten Mansholt beipflichten, weil Sie nicht mit einem klaren Nein geantwortet haben und Realitäten bei uns nicht anerkennen. Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, daß ich dieser Auffassung Mansholts nicht beipflichte. Ich habe darauf hingewiesen, daß es sich hierbei um eine persönliche Anmerkung des Präsidenten Mansholt gehandelt hat. Im übrigen hat mein Minister in Brüssel ja immer wieder deutlich gemacht, daß er der Meinung ist, daß auch in Brüssel die Agrarpreise an die allgemeine Kostenentwicklung angeglichen werden müssen. Darauf, daß dies auch in einer erweiterten Gemeinschaft nötig ist, hat er wiederholt hingewiesen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sagen, das sei der private Standpunkt des jetzigen Herrn EWG-Präsidenten Mansholt. Ist nicht zu befürchten, daß der Standpunkt des Herrn Mansholt als des starken Mannes sich in Brüssel auch hier wieder durchsetzt und daß Herr Mansholt mit seiner Meinung die Realitäten ausgedrückt hat, nämlich, daß nach der Aufnahme Englands und der anderen Länder künftig wegen der Schwierigkeiten in diesen Ländern keine Preiserhöhungen mehr zu erwarten sind? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Niegel, ich gebe Ihnen zu, Herr Mansholt ist zweifellos eine starke Persönlichkeit. Er hat hier eine persönliche Aussage gemacht. Wenn Sie aber zurückdenken, müssen Sie mir zugeben, daß auch diese starke Persönlichkeit Mansholt doch seit einigen Jahren andere preisliche Vorstellungen entwickelt hat, als er sie noch vor zwei oder drei Jahren vertreten hat. Gerade die aktive Preispolitik meines Ministers hat zu diesem Umdenken in Brüssel - auch bei Herrn Präsident Mansholt - mit beigetragen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Biehle auf: Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß angesichts des hohen Nachholbedarfs auch in der Preisgestaltung der deutschen Landwirtschaft hier andere Maßstäbe anzulegen sind, oder sind bei den Brüsseler Agrarverhandlungen durch den Vertreter der Bundesregierung etwaige andere Vereinbarungen getroffen worden? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Bundesregierung wird es nicht versäumen, die für die deutsche Landwirtschaft notwendigen Preisverbesserungen zu fordern, wie sie es auch für das Wirtschaftsjahr 1972/73 getan hat. Absprachen, die die angesprochenen Preisbeschlüsse für das Wirtschaftsjahr 1973/74 betreffen, sind in Brüssel nicht getroffen worden.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie bereit sind, diesem Einkommensrückstand der Landwirtschaft, der sich ja in der Bundesrepublik in besonders gravierender Weise zeigt - Ihr Herr Minister hat gesagt: Schlimmer hätte es nicht kommen können! -, Rechnung zu tragen, indem Sie entsprechende Konsequenzen ziehen und über das im Rahmen der EWG übliche Maß hinausgehend Hilfestellung leisten? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich bin der Auffassung, daß Minister Ertl schon versucht hat, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Ich habe ja schon einmal ausgeführt, daß wir lieber noch stärkere Preisverbesserungen für die deutsche Landwirtschaft gesehen hätten, daß wir jedoch an die einstimmigen Beschlüsse von Brüssel gebunden sind. Auch das muß gesagt werden.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es die richtigen Konsequenzen sind, wenn nach den Brüsseler Verhandlungen erklärt wird, die Agrarpreise würden um 8 % erhöht, den Landwirten in der Tat aber nur eine Erhöhung um 2 % zukommt? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, darauf bin ich in der letzten Fragestunde ausführlich eingegangen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es eine unsachliche Darstellung ist, wenn man die 8 % mit den 2 % in Verbindung bringt. Es ist durchaus so, daß wir - ausgehend von den Brüsseler Agrarpreisen - Preisverbesserungen um 6,4 % erwarten. Weil die Marktpreise in der Bundesrepublik aber über den Interventionspreisen von Brüssel liegen, ist bei den Erzeugerpreisen nur eine Preisverbesserung um rund 2 % zu erwarten.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die Meinung des Herrn EWG-Präsidenten Mansholt als private Meinung abgetan. Wenn sich die Bundesregierung dieser Meinung nicht anschließt: Mit welcher Preiserhöhung - in Prozenten ausgedrückt - kann man dann im nächsten Jahr für die Landwirtschaft angesichts der Erweiterung der EWG rechnen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Niegel, ich kann Ihnen auch diese Frage nicht mit genauen Prozentzahlen beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß die Bundesregierung bestrebt ist, in Brüssel eine Preispolitik zu vertreten, die dazu führt, daß der jährliche Kaufkraftschwund ausgeglichen wird.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Niegel auf: Hält die Bundesregierung unter Berücksichtigung der Aussagen Mansholts in seiner Pressekonferenz ({0}) die jüngsten Agrarpreisbeschlüsse für dieses Jahr zum Ausgleich des Einkommensrückstands der Landwirtschaft für ausreichend, und wie gedenkt sie einen Einkommensrückstand der Landwirtschaft im Jahre 1973 auszugleichen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Niegel, die Bundesregierung hält die Brüsseler Preisbeschlüsse für das Wirtschaftsjahr 1972/73 für einen unter den gegebenen Umsänden akzeptablen Kompromiß. Ich habe in der Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Biehle schon ausgeführt, daß die von Herrn Präsident Mansholt in einer Pressekonferenz dargelegte Auffassung zu den voraussichtlichen Agrarpreisbeschlüssen für 1973/74 die persönliche Meinung Mansholts wiedergibt. Der Ministerrat ist dadurch in keiner Weise gebunden. Die Bundesregierung wird sich auch in den kommenden Jahren aus einkommenspolitischen Gründen für eine gezielte Erhöhung des Agrarpreisniveaus einsetzen und ihr Verhandlungsgewicht in Brüssel entsprechend geltend machen. Der im Wirtschaftsjahr 1970/71 auf Grund eines Zusammentreffens verschiedener ungünstiger Entwicklungen eingetretene Einkommensrückgang wird im laufenden Wirtschaftsjahr nach den bisher vorliegenden Schätzungen durch eine Einkommensverbesserung von 12 % je Vollarbeitskraft ausgeglichen werden. Die Preisbeschlüsse für 1972/73 werden sich - auf ein Wirtschaftsjahr bezogen - in einer weiteren Einkommensverbesserung von zirka 725 Millionen DM niederschlagen. Die Bundesregierung vermag zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Preis-, Kosten- und Ertragsentwicklung für das Jahr 1973/1974 noch nicht abzuschätzen. Infolgedessen ist es auch verfrüht, bereits jetzt Aussagen über die dann möglicherweise gegebene Einkommenssituation und eventuell erforderliche Ausgleichsmaßnahmen zu machen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin einerseits, daß die Bundesregierung den jährlichen Kaufkraftschwund ausgleichen wolle, und andererseits, die Preisbeschlüsse seien akzeptabel gewesen. Glauben Sie, daß mit diesen PreisNiegel erhöhungen um 2 %, wie Sie sie in der letzten Fragestunde erklärten, in diesem Jahr die Preisverluste der Landwirtschaft einschließlich der Kostenentwicklung ausgeglichen werden können? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich kann dazu nur sagen, was ich in der vorigen Fragestunde schon betont habe: Wir müssen hier mehrere Faktoren zusammen nehmen. Wir haben zur Zeit eine günstigere Preisentwicklung. Die Marktpreise liegen weit über den Interventionspreisen. Wir meinen, daß so ein erheblicher Teil des Defizits, das wir haben feststellen müssen, ausgeglichen werden kann.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, für den Fall, daß die Meinung des Herrn Mansholt nicht nur privat ist, sondern daß sich auch die übrige EWG-Kommission ihr anschließt und die Realitäten so sind, daß im nächsten Jahr keine Preiserhöhungen durchgeführt werden können: An welche Maßnahmen denkt die Bundesregierung im nächsten Jahr? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das kann ich Ihnen heute noch nicht sagen, weil ich davon ausgehe, daß es auch im nächsten Jahr möglich sein wird, in Brüssel Preisverbesserungen für die Landwirtschaft zu erreichen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich rufe die Frage 29 des Herrn Dr. Kempfler auf: Trifft es zu, daß das aus Bauernwäldern stammende Industrieholz gegenwärtig praktisch unverkäuflich ist, während der Bedarf der einschlägigen Industrie zur Hälfte durch Einfuhren, insbesondere in Form von Halbfertigprodukten, gedeckt wird? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Es trifft zu, daß der Verkauf von Industrieholz zur Zeit bei allen Waldbesitzarten - nicht nur im Bauernwald - schleppend verläuft, da die Industrie, insbesondere die Zellstoff- und Papierindustrie, Absatzschwierigkeiten hat und selbst noch verhältnismäßig große Holzvorräte besitzt. Aus diesem Grunde hat die Industrie auch den Holzimport, auf den sie grundsätzlich angewiesen ist, gegenüber den Vorjahren erheblich eingeschränkt. Beim Industrieholz ist die Einfuhr seit Juli vorigen Jahres um fast 50 v. H. - rund 800 000 Festmeter - gegenüber dem gleichen Zeitraum ein Jahr davor zurückgegangen, während im gleichen Zeitraum die Einfuhr von Halbwaren - Span- und Faserplatten - nur geringfügig - um rund 31 000 Festmeter.- gestiegen ist.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zusatzfrage!

Dr. Friedrich Kempfler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß das Industrieholz in den Grenzbezirken, also insbesondere gegenüber der Tschechoslowakei und gegenüber Osterreich, besonders schwer absetzbar ist? Wäre die Bundesregierung bereit, eventuell im Benehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium auf Anregung Ihres Ministeriums hier zeitlich begrenzt Frachthilfe zu gewähren? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich kann Ihnen hier nicht sagen, ob es möglich ist, über Frachthilfen zu helfen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß wir sehr aufmerksam die Entwicklung bezüglich des Holzabsatzes gerade in den von Ihnen genannten Bereichen verfolgen und laufend Maßnahmen zur Verbesserung des Holzabsatzes überprüfen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frage 30, die letzte Frage: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zur Beseitigung dieses Mißstandes zu ergreifen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Zur Behebung dieser vorübergehenden Situation hat die Bundesregierung bereits im Herbst 1971, als sich die gegenwärtige Marktlage abzuzeichnen begann, der Forstwirtschaft empfohlen, den Einschlag von Industrieholz vorübergehend soweit als möglich einzuschränken. Diese Empfehlung wurde, soweit schon feststellbar, besonders vom Staatswald der Länder zugunsten des Privatwaldes befolgt. Weiterhin hat die Bundesregierung im vorigen Jahr Maßnahmen zur Erleichterung der Ausfuhr getroffen; der Export hat seitdem zugenommen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist beendet. Die 60 Minuten sind abgelaufen. Wir kehren zurück zur Haushaltsberatung, und zwar zur Fortsetzung der Aussprache über den Einzelplan 04 des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Brandt, Bundeskanzler ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich nicht dazu verleiten lassen, den Unionsparteien auf dem Wege der übersteigerten Polemik zu folgen. ({1}) Wenn, wie es heißt, abgerechnet werden soll, dann so, daß die Tatsachen dabei nicht auf der Strecke bleiben. ({2}) Zum Experiment des Mißtrauensvotums wird ja morgen noch einiges zu sagen sein. Heute will ich die von mir zu verantwortende Politik und die unbezweifelbaren Leistungen der Bundesregierung darlegen. ({3}) Bundeskanzler Brandt Ich werde begründen, weshalb innenpolitische Panikmache ebenso schädlich ist wie außenpolitische Drückebergerei. ({4}) Zunächst einmal, meine Damen und Herren, haben wir von der Tatsache auszugehen, daß Neuwahlen zum Bundestag nicht stattgefunden haben. Die Unionsparteien, die sich ja im Grunde nie recht damit abgefunden hatten, daß ihnen nach den Spielregeln der Demokratie die verantwortungsvolle Rolle der parlamentarischen Opposition übertragen wurde, die Unionsparteien also setzen offensichtlich darauf, daß noch der eine oder andere Abgeordnete dem Wählerauftrag von 1969 seine eigenwillige Deutung geben könnte. Ich meine, CDU und CSU sollten sich davon nicht zuviel versprechen. Über die Methoden, mit denen man glaubt, der Überzeugung einzelner gelegentlich nachhelfen zu können, wird sich vermutlich im Laufe der Zeit auch noch einiges zutage fördern lassen. ({5}) Nun hat die Fraktion der CDU/CSU gemeint, dem Wahlergebnis in Baden-Württemberg -auch Herr Kollege Katzer sprach heute früh davon - eine, wie ich meine, völlig einseitige und durch die Tatsachen nicht gedeckte Deutung geben zu sollen. Lassen Sie mich deshalb, meine Damen und Herren, ohne alle Umschweife sagen, daß Sie Wahlanalyse mit Stimmungsmache verwechselt haben. Das Ergebnis der Landtagswahl vom vergangenen Sonntag zeigt nämlich: wenn jetzt in der ganzen Bundesrepublik gewählt werden könnte, würden die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten mit großer Wahrscheinlichkeit eine sichere Mehrheit im Bundestag erringen. ({6}) Wie sehen die Tatsachen aus? Die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten - beide Koalitionsparteien in Bonn - haben in Baden-Württemberg das Ergebnis der Bundestagswahl von 1969 verbessern können. Meine Partei hat in jenem Land ihr bisher überhaupt bestes Wahlergebnis erzielt. ({7}) - Gewiß, die CDU hat dort die absolute Mehrheit erlangt, meine Partei und die Freien Demokraten haben ihr Wahlziel nicht erreicht. ({8}) Ich bagatellisiere das nicht, ich übersehe dabei auch nicht - darauf ist heute früh Bezug genommen worden; ich komme darauf selbst zurück - gewisse Schwächen im eigenen Lager. Aber ich stelle fest: die CDU hat jetzt allein fast den Stimmenanteil erreicht, den CDU und NPD bei der Bundestagswahl erreichen konnten. ({9}) Dies ist zunächst nur eine statistische Feststellung. ({10}) Die NPD hat dem ihre, gewiß großsprecherische, eigene politische Deutung gegeben. Sie, die NPD, behauptet, entscheidend sei das Zurückziehen ihrer Kandidaten gewesen, um - ich zitiere - „auf diese Weise die Mehrheit gegen die Ostverträge sicherzustellen". Der Behauptung, die Wähler in Baden-Württemberg hätten gegen meine und Walter Scheels Außenpolitik und insbesondere gegen die Ostverträge entschieden, muß ich nachdrücklich widersprechen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich könnte eine Fülle von Anhaltspunkten dafür geltend machen, daß nicht nur die Mehrheit, sondern eine solide Mehrheit der Frauen und Männer in der Bundesrepublik für jene Politik des Ausgleichs und des gesicherten Friedens eintritt, die in den Verträgen mit der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen ihren Niederschlag gefunden hat. ({11}) Aber noch schwieriger, als sich über die Deutung von Landtagswahlen zu verständigen, scheint es zu sein, die allgemeine Lage in unserer Bundesrepublik auch nur ähnlich zu beurteilen. Manche fragen sich seit langem: Sprechen die beiden Seiten in diesem Haus eigentlich von demselben Land, derselben Bundesrepublik, oder sprechen sie von zwei verschiedenen Ländern? Ich frage mich und, wenn ich darf, uns auch heute: Ist es eigentlich die Bundesrepublik Deutschland, von der die Opposition spricht, wenn sie behauptet, die Staatsfinanzen seien zerrüttet, und von der sie in den letzten zweieinhalb Jahren sprach, als sie immer wieder wirtschaftlichen Zusammenbruch und Arbeitslosigkeit voraussagte? ({12}) Meine Damen und Herren, ist es die Bundesrepublik Deutschland, die beschrieben werden soll, wenn die demokratische Grundordnung als gefährdet hingestellt wird oder wenn es heißt, unsere Verankerung im atlantischen Bündnis und in den westlichen Gemeinschaften sei erschüttert? Dies ist doch eine besonders groteske Verdrehung der Tatsachen. Die Bundesrepublik hat in den letzten zweieinhalb Jahren eine betont und anerkannt aktive Rolle im Bündnis gespielt, und im Ausland, anders als bei der CDU/CSU, wird unser Beitrag zur europäischen Einigung sehr positiv gewertet. ({13}) Hiervon habe ich mich erst vor wenigen Tagen in Großbritannien überzeugen können. Im Meinungsstreit zwischen Regierung und Opposition, zwischen Unionsparteien und sozialliberaler Koalition, haben wir es offensichtlich auch außerhalb von Wahlkämpfen mit erheblichen Verständigungsschwierigkeiten zu tun. Ich meine, ,dies hat zum einen Teil damit zu tun, daß die Union sich nicht von der Vorstellung hat lösen können, diese Republik sei der Erbhof einer Partei. ({14}) Zum anderen beruht es wohl darauf, daß sich die Union als Opposition in einer ausgedachten, einer selbst konstruierten Landschaft bewegt und daß sie Bundeskanzler Brandt weder von ,den Fakten ausgeht, mit denen wir es in der Bundesrepublik Deutschland zu tun haben, noch die Absichten und Maßnahmen der Regierung - wenn auch kritisch, so doch unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt. Eine Debatte wie die zum Bundeshaushalt wird nur dann einen Sinn haben, wenn die Union als Opposition mit den Fakten sorgsamer umgeht, als dies bisher allzuoft geschehen ist. Statt aneinander vorbeizureden, sollten wir uns, jeder aus ,seiner Verantwortung, die Frage stellen: Was dient der äußeren und was dient der inneren Sicherheit unseres Staates? Wir sollten miteinander wetteifern, diese Frage so gut wie möglich zu beantworten. Die äußere und die innere Sicherheit des Staates und seiner Bürger zu bewahren, das ist die Aufgabe und die Pflicht dieser Bundesregierung. In dieser Aufgabe und Pflicht unterscheidet sie sich nicht von ihren Vorgängerinnen. Die Frage, die wir gewissenhaft zu beantworten haben, bezieht sich jedoch nicht auf eine unveränderliche Landschaft, sondern sie lautet: wie ist Sicherheit erreichbar in einer Welt, die sich so rasch wandelt? Sie ist gewiß nicht erreichbar, wenn die raschen Veränderungen und die vielfachen Abhängigkeiten nicht genügend einkalkuliert, nichtgenügend zur Kenntnis genommen werden. Gerade in diesem Punkt, so will mir scheinen, gehen diese Regierung und diese Opposition auseinander. Diese Regierung und die sie tragende Koalition sagen: Sicherheit kann längst nicht mehr bedeuten, daß alles im großen und ganzen so bleibt, wie es ist. Dies gilt für Außenpolitik und Innenpolitik gleichermaßen. Ich gehe davon aus, daß wir unabhängig von dem morgen zur Entscheidung anstehenden Mitrauensantrag in der nächsten Woche in aller Ausführlichkeit zur Ost-West-Politik Stellung nehmen werden. Im Augenblick beschränke ich mich daher auf folgende Feststellungen. Die Außenpolitik dieser Regierung ist der gewiß nicht einfache, aber, wie ich meine, gelungene Versuch, die deutsche Politik mit den herrschenden internationalen Tendenzen in Einklang zu bringen. Dies war die Aufgabe. ({15}) Dies geschieht nicht, wie uns in ebenso törichter wie geschmackloser Form immer wieder vorgeworfen wurde, um Verzicht oder Ausverkauf zu betreiben. Nebenbei gesagt: manche, die auf anderen Gebieten so empfindlich reagieren, die sollten sich doch in diesem Augenblick auch einmal an die, jetzt sage ich - und ich weiß, was ich sage -, Hetze erinnern, die mit den Begriffen Verzicht und Ausverkauf betrieben worden ist, ({16}) zum Teil von solchen, die ja nicht mal Nationalisten sind, sondern die nur mit nationalen Emotionen unserer Mitbürger Schindluder treiben. ({17}) Ich sage noch einmal: dies geschieht nicht wegen dem, was man geschmacklos so genannt hat, wie ich es zitierte, sondern dies geschieht und mußte geschehen, um die deutschen Interessen besser, wirksamer vertreten zu können. Darum ging es. ({18}) Diese Einordnung der deutschen Politik in die internationalen Tendenzen bedeutet: es gab und es gibt keinen deutschen Alleingang, denn dies wäre eben keine Eingliederung, von der ich sprach. Die Vertragspolitik nach Osten entspricht den Interessen der Vertragspartner, und sie wird vom Bündnis mit getragen. Sie ist eng mit der Politik unserer westlichen Freunde verzahnt. Sie schafft deshalb nicht weniger, sondern mehr Sicherheit für unser Volk. ({19}) Und, meine Damen und Herren, weil die Führung der Opposition diese Zusammenhänge nicht sah oder nicht sehen wollte, hat sie sich, so meine ich, in ihrer Argumentation verrannt. Es ist deshalb begreiflich, daß schon in den hinter uns liegenden Wochen zahlreiche Kollegen von der Opposition meinten, daß es ratsam wäre, sich einem, wie sie glauben, für sie einträglicheren Gebiet zuzuwenden. Aber es ist aus meiner Sicht leider festzustellen: die Opposition hat auch in der Innenpolitik den Blick für die Realitäten verloren. ({20}) Natürlich weiß ich, daß die Opposition nicht zum Lobe der Regierung bestellt ist. Dies sollte jedoch nicht verhindern, daß die Darlegungen der Opposition eine noch erkennbare Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit aufweisen. ({21}) Meine Damen und Herren, das nun schon 21/2 Jahre anhaltende polemische Gerede über Inflation, ({22}) finanziellen Notstand, Kriminalität und Radikalisierung hilft unserem Staat nichts, und es hilft den Menschen in unserem Lande nichts, weil die undifferenzierte und übersteigerte Polemik die Probleme nicht klärt, sondern sie vernebelt. Dies wird im übrigen auch der Opposition selbst nicht helfen. Eine Krise in den Köpfen der Opposition ist noch längst nicht eine Krise dieses Staates. ({23}) Dauernd den Teufel an die Wand zu malen ist weder eine Alternative, noch ist es konstruktive Politik. ({24}) An dumpfe Ängste zu appellieren und Unsicherheitsgefühle zu kultivieren ist nicht die einer großen demokratischen Partei gemäße Haltung. ({25}) Wie ist denn, so frage ich, wirklich die Lage in der Bundesrepublik Deutschland? Da ist zunächst Bundeskanzler Brandt einmal im deutlichen Gegensatz zur Propaganda der Union festzustellen: Diese Bundesrepublik - und das wollen wir uns nicht zerreden lassen - ist wirtschaftlich und sozial eines der stabilsten Länder der Welt; so sieht es aus. ({26}) Gewiß, wie andere Länder, so steht auch die Bundesrepublik vor Problemen und vor schwierigen Aufgaben. Ich nenne die Reform des Weltwährungssystems, die dem folgen muß, was in Washington gemacht wurde, und ich nenne das sorgenvolle Problem der Preissteigerungen. Tatsache aber ist, daß man bei allen Sorgen, die wir haben, uns in anderen Ländern um unsere Situation beneidet; so sieht es auch aus. ({27}) Davon will die Opposition begreiflicherweise nicht viel hören. Aber das ändert nichts daran, daß dies eine weit verbreitete internationale Einschätzung der Bundesrepublik ist, und viele Bürger in diesem Lande wissen dies auch. Sie wissen zumal, daß es ihnen nicht schlecht geht, wie die Opposition ihnen einreden möchte, sondern daß es ihnen besser geht als 1969 und besser als in den meisten anderen Ländern. ({28}) Zum andern, meine Damen und Herren: Es ist objektiv falsch, von einer Finanzkrise zu reden. Prophezeiungen über ein unmittelbar bevorstehendes Finanzchaos haben wir bei den Haushaltsdebatten 1970 und 1971 gehört; so auch diesmal. Solche Prophezeiungen gewinnen durch die ständige Wiederholung nicht an Glaubwürdigkeit. Wahr ist, daß es auch hier Probleme gibt. Wo gibt es die nicht? Diese Probleme wären übrigens noch größer, wenn sich die Opposition mit ihren die Ausgaben um Milliarden steigernden Anträgen durchgesetzt hätte. ({29}) Weiter, meine Damen und Herren: Von einem Scheitern der Reformpolitik, wie wir sie in unserer Regierungserklärung vom Oktober 1969 beschrieben hatten, kann keine Rede sein. ({30}) Unsere Arbeit an den inneren Reformen ist zügig vorangegangen; ({31}) nicht so schnell, wie mancher erhofft hatte, nicht so langsam, wie andere befürchtet hatten. Wir können unser Tempo weder nach den Hoffnungen von Fortschrittsschwärmern noch nach den Angsten allzu zaghafter Konservativer richten. Die Opposition freilich sucht es verbal allen recht zu machen. Einmal argumentiert sie, diese Regierung reformiere zu schnell und zu viel und verunsichere die Bürger. Ein andermal erklärt sie, diese Regierung bringe zuwenig Reformen zustande. Wer sinngemäß behauptet, wir hätten das Paradies auf Erden versprochen, um dann festzustellen, dies hätten wir noch immer nicht geschafft, der macht es sich wahrlich zu leicht. Wir haben uns nicht das Paradies auf Erden vorgenommen, ({32}) sondern wir haben uns für die kontinuierliche, mühsame, sachliche Arbeit an konkreten Reformen entschieden. ({33}) Ich kann erwarten, daß man von den Tatsachen ausgeht, nämlich von unserem Programm und von seiner schrittweisen Verwirklichung, und dazu sage ich Ihnen: Die Leistungsbilanz dieser Regierung kann sich jetzt sehen lassen, und sie wird sich im nächsten Jahr noch besser sehen lassen können. ({34}) Die Vermutung, meine Damen und Herren, durch zu viele und zu rasche Veränderungen könnten die Bürger verunsichert werden, nehme ich keineswegs leicht. Falsch aber ist gewiß der Umkehrschluß, Sicherheit sei nur dann gegeben, wenn keine Reformen stattfänden. Das Gegenteil ist richtig. Unterbliebene Reformen führen zu einem Stau, unter Umständen auch zu einer Situation, in der sich die Veränderungen in Eruptionen krisenhaft vollziehen. Sicherheit nicht in jenem bequemen Sinne, wie sie lange Zeit von der Union definiert wurde, sondern Sicherheit in der Bedeutung einer befriedeten und sich friedlich erneuernden Gesellschaft, solche Sicherheit ist überhaupt nur möglich, wenn es eine kontinuierliche und konsequente Reformpolitik gibt. ({35}) Und die Zwischenbilanz dieser Regierung zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg, denn die Ergebnisse unserer Arbeit dienen der Sicherheit dieses Landes und seiner Bürger. Über Maß und über Geschwindigkeit von Reformen läßt sich streiten; eine sachliche Erörterung dieses Themas war und ist gewiß nützlich. Wenn Herr Dr. Barzel, als er an dieser Stelle vor einigen Monaten Gemeinsamkeit im Bemühen um den inneren Frieden forderte, auch jenen sozialen Ausgleich und jene Sicherheit im Auge gehabt hätte, von der ich eben sprach, würde ich dies über alle sonstigen Kontroversen hinweg lebhaft begrüßt haben. Aber ich meine, wer über das sonst Trennende hinweg sachliche Zusammenarbeit fordert, der darf nicht zugleich unsinnige Vorwürfe und schwer kontrollierbare Emotionen an die Stelle von Argumenten treten lassen. ({36}) Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Katzer, dem ich wie immer besonders aufmerksam zugehört habe, hat mir heute vormittag Bemerkungen vorgehalten und vorgeworfen, von denen er sagte, sie seien nicht geeignet gewesen, dem inneren Frieden zu dienen. Lassen Sie mich dazu ein paar erklärende Bemerkungen machen und damit eine Bitte verbinden, von der ich möchte, daß sie noch heute einer breiten Öffentlichkeit in der Bundesrepublik bekannt wird. Zunächst halte ich es für eine zweifelhafte Methode, Zitate aus einem abendlichen informellen Bundeskanzler Brandt Gespräch mit Journalisten ich hätte auch sagen können: aus einem munteren Gespräch; das sage ich aber bewußt nicht, sondern ich sage: aus einem abendlichen informellen Gespräch mit Journalisten - zu verwenden und hochzuspielen, als ob man eine Regierungserklärung abgegeben oder auch nur eine Parteirede gehalten hätte, ({37}) oder solche Gesprächsteile, ({38}) wie es - auch hier heute früh, allerdings nicht durch Sie - geschehen ist, ({39}) auch noch für propagandistische Zwecke umzudichten. ({40}) Ich habe - damit nehme ich auf einen Kollegen von heute morgen Bezug - überhaupt nichts gegen Kleinbürger gesagt. Ich habe nur gesagt, es gibt nicht nur wildgewordene Kleinbürger. Und das ist eine statistische und eine soziologische Tatsache. Dies zu dem einen Punkt. ({41}) Und, meine Damen und Herren, ich habe - das gebe ich zu statt vom „Bolzen" vom „Holzen" gesprochen. ({42}) Aber jeder, der dabei war, wird bestätigen können - und wird bestätigen -, daß das, was ich im Sinn hatte, das Dichterwort vom groben Klotz und vom groben Keil war. Und dazu stehe ich! ({43}) - Im übrigen ist ja allerdings bekannt, ({44}) daß ich zum Leidwesen einiger meiner Freunde hiervon selbst selten Gebrauch mache. ({45}) Und wieso regt man sich darüber auf, daß ich im Zusammenhang mit kommenden Bundestagswahlen und von Bundestagswahlen war in jedem Gespräch im Eisenbahnzug die Rede von Betrieben, Arbeitnehmern und ihrer Mobilisierung gesprochen habe? Es kann doch niemanden überraschen, daß die SPD als Volkspartei ihre Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern ganz besonders ernst nimmt. ({46}) Und betrachten Sie, meine Damen und Herren, dies bitte auch nicht nur als die Angelegenheit meiner Partei. Hier geht es auch um die ja recht mühevoll in unserer jüngsten Geschichte vollzogene Integration breiter arbeitender Schichten in den demokratischen Staat. Einiges von dem, was hier heute früh etwas forsch, Herr Kollege Althammer, gesagt wurde, kann wie Gift wirken, weil es das Gerechtigkeitsgefühl und den Ebenbürtigkeitsanspruch jener arbeitenden Menschen herausfordert, die lange um ihren Platz am Tisch der Gesellschaft haben kämpfen müssen. ({47}) Ich bin sehr dankbar für die zahlreichen Bekundungen der Sympathie und der Verbundenheit, die mich in diesen Tagen und gerade auch am heutigen Tage erreicht haben, aber ich habe eine Bitte, eine herzliche Bitte, an alle Bürger und an alle Organisationen, die diese Regierung unterstützen und unterstützen wollen. Die Bittet lautet: Jetzt kommt es darauf an, die Gefühle zu zügeln, sich nicht provozieren zu lassen, ({48}) von unüberlegten Aktionen Abstand zu nehmen. Im übrigen: Demokratie heißt nicht nur wählen; zur Demokratie gehört auch ein großes permanentes Gespräch unter den Bürgern und zwischen den Bürgern und ihren Gewählten. Die Bürger in unserem Lande werden sich gewiß nicht das Recht nehmen lassen, Parteien, Fraktionen, Abgeordneten ihr Vertrauen oder, wenn sie es für richtig halten, ihr Mißtrauen auszusprechen. ({49}) Das, worüber nach der Verfassung zu entscheiden ist, kann nur hier in diesem Hause entschieden werden, nirgends sonst. ({50}) Es ist gut zu wissen, wie die Frauen und Männer draußen denken, wo sie stehen. Die Freunde der Regierung können sich darauf verlassen, daß ihre Sachwalter in diesem Hause ihre Pflicht tun, ({51}) und dann gehen die Auseinandersetzungen weiter in engem Kontakt mit den Freunden und Wählern im Lande. Sie können sich auf uns verlassen. Ich hoffe, daß dies überall richtig verstanden wird. Meine Damen und Herren, der Weg zum inneren Frieden führt gewiß nicht über Panikmache. Da helfen auch große Worte der Opposition in diesem Hause nicht, wenn sie in eklatantem Gegensatz zum tatsächlichen Verhalten im politischen Alltag stehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch zu dem Stellung nehmen, was in den letzten beiden Wochen zu einer besonderen Belastung des Verhältnisses zwischen Opposition und Regierung geführt hat. Die Opposition hat so getan, als sei nicht alles bekanntgemacht worden, worüber bei den Ostverträgen abzustimmen sein wird, und als seien dazu nicht alle denkbaren sachlichen Auskünfte erteilt worden. Hierdurch ist in der Öffentlichkeit ein wahrheitswidriges Bild geschaffen worden. Bundeskanzler Brandt Die Opposition hat dann insbesondere behauptet, es gebe sogenannte Protokolle, und sie hat insinuiert, es gebe Geheimabsprachen. Protokolle im Sinne von Texten, die beide Seiten gebilligt haben, gibt es nicht, ebensowenig wie es Geheimabsprachen gibt. Dies ist den Vertretern der Opposition genau erklärt worden, und es wurde dann trotzdem etwas anderes behauptet. Was es gibt, meine Damen und Herren, das sind unsere Aufzeichnungen unterschiedlicher Art über die verschiedenen Vorverhandlungen und Verhandlungen. ({52}) Und dann gibt es Fälschungen davon. ({53}) Um die Inhalte der Verträge wird es bei der abschließenden Vertragsdebatte gehen. Über die Fälschungen muß ich jetzt ein Wort sagen. Hier handelt es sich nämlich um Fragen des Stils und um Fragen der Staatsauffassung. Ich meine: Wer mit anonymen Briefen politische oder sonstige Geschäfte macht, der beantwortet die Frage nach seinem Stil selbst. ({54}) Wer aber den Inhalt derartiger Machenschaften ohne Rücksicht auf das Interesse des eigenen Landes verwendet, der vergeht sich gegen den demokratischen Staat. ({55}) Als diese Machenschaften aufkamen, wäre von einer Opposition, die das kurzfristige Parteiinteresse nicht über alles stellt, zu erwarten gewesen, daß sie trotz aller sonstigen Gegnerschaft die Regierung nicht befeindet, sondern unterstützt hätte. ({56}) Mit der Regierung hätte sie jenen Sumpf von kriminellen Akten, Fälschungen und Verleumdungen trockenlegen müssen. ({57}) Wenn irgendwann, so wäre dies die Stunde gewesen, in der Sie, Herr Dr. Barzel, Ihr „So nicht" hätten sagen müssen. ({58}) Lassen Sie mich hinzufügen, meine Damen und Herren: Alles Gerede über mangelnde Information ist irreführend. In Dutzenden von Besprechungen und Sitzungen während mehrerer hundert Stunden, gestützt auf alle verfügbaren Unterlagen, ist die Opposition umfassend und korrekt unterrichtet worden. Die Bundesregierung hat - wenn auch etwas liberaler - das gleiche Verfahren praktiziert, wie es bei den Pariser Verträgen angewandt worden ist. Der Bundesrat hat es in Anspruch genommen. Die Opposition im Bundestag hat draußen nach Informationen geschrien, und die Möglichkeiten, sich zusätzlich zu informieren, die seit acht Wochen angeboten werden, nicht genutzt. ({59}) Genutzt wurde - und dies nenne ich verwerflich - ein Machwerk, das inzwischen in zwei Fassungen vorliegt. Wer sich darauf stützt und dann noch in völliger Abweichung von wohlbegründeter deutscher und internationaler Staatspraxis den angeblich vertraulichen Einblick in die Aufzeichnungen fordert, der gerät in die Gefahr, sich sehr unangenehmen Vermutungen auszusetzen. Die Bundesregierung muß es ablehnen, und zwar im Interesse der Ordnung und der Sauberkeit des Staates, ({60}) sich an einem solchen Spiel zu beteiligen. ({61}) Sie, die Bundesregierung, hat nämlich darauf zu achten, daß die Handlungsfähigkeit und die Seriosität derer, die für diesen Staat in der Welt agieren, nicht zerstört werden. Im übrigen müßten alle wissen, daß allein die vereinbarten Verträge und Texte ausschlaggebend sind. Über sie und sie allein wird zu entscheiden sein. In dieser Auffassung treffe ich mich mit Herrn Dr. Barzel. Die fälschlich so genannten Protokolle sind zu einem innenpolitischen Instrument gemacht worden, schäbig im Stil und ohne Rücksicht auf das Staatsinteresse. ({62}) Dies und die darauf erwachsene zugespitzte Kontroverse kann ich nur bedauern, zumal wir zu gleicher Zeit ehrlich bemüht waren, den drei Punkten nachzugehen, von denen Herr Barzel Ende Februar in der ersten Lesung erklärt hatte, sie seien aus seiner und seiner politischen Freunde Sicht entscheidend für die Annahmefähigkeit der Verträge. Darüber wird demnächst weiter zu sprechen sein. Aber schon heute muß jeder wissen, was auf dem Spiel steht. Dazu braucht man keine vertraulichen Depeschen zu kennen. Dazu braucht man nicht einmal ausländische Zeitungen zu lesen, obgleich auch das nicht schadet. Es geht darum - und dies sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, als einer, der sich in der Welt auskennt und von dem man in der Welt weiß, daß er die deutschen Interessen vernünftig einzuordnen versteht -, ({63}) ob das Bemühen um den Abbau von Spannungen an uns vorbeigeht oder ob wir in diesen Prozeß sinnvoll einbezogen sind. ({64}) Es geht darum, ob sich unser Verhältnis zur Sowjetunion, zu Polen und den anderen osteuropäischen Staaten verbessert oder erneut verschlechtert. Es geht darum, ob wir an der mit unseren atlantischen und westeuropäischen Partnern gemeinsam entBundeskanzler Brandt wickelten Politik festhalten, ob das Berlin-Abkommen in Kraft treten kann und ob auf diesen Hintergrund durch Vereinbarungen mit der DDR Erleichterungen für die Menschen in Deutschland erreicht oder verspielt werden; hierum geht es, meine Damen und Herren. ({65}) Sachlichkeit und kühles Abwägen sind wie in der Außenpolitik vor allem auch dann angebracht, wenn es um die Finanzen des Staates geht. Die Zahlen des Haushalts 1972, wie sie jetzt vorliegen, rechtfertigen nicht die phantastischen Behauptungen, die schon im Vorfeld dieser Debatte seit Wochen zu vernehmen waren. ({66}) Der Bundeswirtschafts- und -finanzminister wird noch im einzelnen die Unhaltbarkeit des Krisengeredes nachweisen. Lassen Sie mich zwei Feststellungen treffen: 1. Dieser Haushalt schafft die Voraussetzungen dafür, daß die Bundesregierung ihre Reformpolitik zielstrebig fortsetzen kann. 2. Dieser Haushalt ist auch konjunkturpolitisch durchaus zu verantworten; und dies werde ich begründen. ({67}) Zur ersten der beiden eben getroffenen Feststellungen will ich hier noch ergänzen: Die Bundesregierung steht unmittelbar vor dem Abschluß einer Verständigung mit den Vertretern der Koalitionsfraktionen darüber, wie nach der Verabschiedung des Haushalts 1972 - das muß natürlich der nächste Schritt sein - eindeutig klargelegt werden kann, was unter den Gesichtspunkten der finanziellen Belastung künftiger Haushalte und der arbeitsmäßigen Belastbarkeit des Parlaments in dieser Legislaturperiode noch zu leisten sein wird. Einige Kritiker haben geltend gemacht, der Anteil der Personalkosten am Haushalt sei zu hoch und der Teil des Haushalts, der mittelbar oder unmittelbar den Investitionen und damit der Zukunftssicherung dient, sei zu gering. Hier liegt - wer wollte das leugnen, meine Damen und Herren - in der Tat ein ernsthaftes Problem. Zur Polemik besteht hier aber kaum ein Anlaß. Die Opposition hat sich nach meiner Erinnerung nicht für geringere Personalkosten ausgesprochen, sondern sie hat bei verschiedenen Gelegenheiten zumal außerhalb des Hauses - noch mehr Mittel für die Besoldung gefordert oder zugesagt. Also täte sie gut daran, dies auch bei einer Gesamtwürdigung der öffentlichen Ausgaben zu bedenken. Jedenfalls kann ich feststellen: Trotz der Belastung des Etats durch die steigenden Betriebs- und Personalkosten ist es uns gelungen, die investiven Ausgaben im Jahre 1972 überproportional, nämlich um 15 % gegenüber dem Vorjahr zu erhöhen. ({68}) Über „Finanzmisere" und „Finanzkrise" hat Herr Strauß auch bei der dritten Lesung des Haushalts 1971 gesprochen, und zwar von dieser Stelle aus. Inzwischen, Herr Kollege Strauß und meine verehrten Damen und Herren, konnten alle mitverfolgen, wie sich diese damals angeblich drohende Finanzkrise tatsächlich abgespielt hat. ({69}) Erstens: Die am Anfang des letzten Jahres geplante Nettoneuverschuldung von 3,7 Milliarden DM wurde im Laufe des Jahres auf eine Milliarde herabgesetzt. Zweitens: Ferner hat der Bund den Betrag von einer weiteren Milliarde der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt. Drittens haben wir außerdem Minderausgaben von insgesamt einer Milliarde DM erwirtschaftet. Das ist aus der Finanzkrise geworden. ({70}) Ich habe keinen Zweifel - und es ist die Absicht der Bundesregierung , daß Beträge in dieser oder vielleicht sogar in einer darüber hinausgehenden Größenordnung bei einem Etat von über 100 Milliarden auch in diesem Jahr eingespart werden können. Wir werden den Haushalt auch in diesem Jahr restriktiv fahren. Meine Damen und Herren, wenn so, wie ich es eben am Beispiel des Jahres 1971 und durch den Vergleich mit der Schwarzmalerei bei der dritten Lesung dargelegt habe, eine Finanzkrise aussieht, dann kann ich mir nicht nur Schlimmeres als dies vorstellen, sondern dann frage ich mich: Wo leben wir eigentlich, und wohin soll eigentlich die Inflation der Worte und Begriffe führen, auf die sich die Opposition spezialisiert hat? ({71}) Die Opposition übt besondere Kritik an der Nettoneuverschuldung des Bundes, ({72}) die in der Tat wesentlich höher als in den Vorjahren ist. Ich lasse einmal außer Betracht, daß wir bisher immer im Laufe des Jahres festgestellt haben, daß die zunächst in Aussicht genommene Verschuldung beträchtlich reduziert werden konnte. Ich habe es soeben am Beispiel 1971 deutlich gemacht. Selbst wenn das in diesem Jahr nicht möglich sein sollte - was ich angesichts der günstigen Entwicklung des Steueraufkommens bezweifle -, ist diese Höhe der Kreditaufnahme noch immer als gesamtwirtschaftlich und finanzpolitisch durchaus vertretbar zu betrachten, ohne daß dies als Präjudiz für folgende Jahre zu verstehen ist. Machen wir uns doch bitte einmal die Relationen klar: Der Bund leistet in diesem Jahr 1972 investive Ausgaben in Höhe von über 28 Milliarden DM. Unser Haushalt sieht also in diesem einen Jahr 1972 vor, daß gerade ein Viertel davon durch Kredite finanziert wird. In jedem Privatunternehmen, wenn man diesen Vergleich einmal für einen Augenblick heranziehen darf, würde eine solche Finanzierung als konservativ und vorsichtig betrachtet werden. Ich sage damit nicht - im Grunde wiederhole ich jetzt, was ich schon gesagt habe -, daß es nicht wünschenswert wäre, mit einer geringeren Kreditaufnahme durchzukommen. Bundeskanzler Brandt Meine Damen und Herren, die Ursache für die höhere Kreditaufnahme in diesem Jahre ist ja im übrigen nicht zuletzt darin zu suchen, daß der Bund zugunsten von Ländern und Gemeinden auf einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen verzichtet und zusätzlich noch Ergänzungszuweisungen von über einer halben Milliarde DM an die Länder leistet. Ich muß hier jetzt auch nach manchem, was draußen im Lande in den letzten Wochen dazu diskutiert worden ist - doch einmal folgendes sagen. Ich erinnere mich sehr gut an die harten Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Es waren nicht zuletzt Länderchefs aus ,den Reihen der Unionsparteien, die uns, im Palais Schaumburg und anderswo, immer wieder erklärten, der Bund solle auf Umsatzsteueranteile verzichten. Wenn wir dann sagten: Aber wie sollen wir das decken?, lautete die Antwort dieser Kollegen, die doch wohl nicht nur aus ihrer Landes-, sondern auch aus ihrem Teil der Bundesverantwortung heraus sprachen: Dann soll der Bund sich eben etwas mehr verschulden. Es gibt ja sogar einen entsprechenden Beschluß ,des Bundesrates - nicht etwa nur jene Gespräche beim Bundeskanzler. Ich fände es ganz einfach fair, wenn die Kollegen Stoltenberg, Kohl und Filbinger sich auch jetzt zu dieser Haltung ,und zu diesem Beschluß bekennen würden. ({73}) Meine Damen und Herren, ich weiß, die Gemeinden haben es vielfach nicht leicht. Die Finanzierung der großen Kommunalinvestitionen wird allen Beteiligten in den nächsten Jahren noch erhebliche Sorgen bereiten. Aber ich kann doch auch darauf hinweisen, daß wir im Rahmen dieses Haushalts fast eine Milliarde DM pro Jahr aus der Erhöhung der Mineralölsteuer zusätzlich für den Ausbau der Verkehrseinrichtungen der Gemeinden zur Verfügung stellen. Ein zusätzliches Wort zur finanziellen Lage des Bundes. Wenn man die Gesamtverschuldung des Bundes zu den Ausgaben in Beziehung setzt, ergibt sich für das Jahr 1969 unter einem zugegebenermaßen tüchtigen Finanzminister - bei allem, worüber wir sonst streiten ein Satz von 63,6%. Ende 1972 wird sich dagegen eine Verschuldungsquote von 57 % ergeben. Dies ist also nicht mehr, sondern weniger als zu der Zeit, in der Kollege Strauß Finanzminister war. ({74}) Ist das die Zerrüttung gesunder Staatsfinanzen, von der CSU und CDU am Montagabend in ihrer gemeinsamen Verlautbarung sprachen? Ich sage Ihnen: Es gibt kaum ein Land der westlichen Welt - und die Fachleute unter Ihnen wissen es, weil sie die Ziffern kennen -, in dem die Finanzierungsverhältnisse des Staates in dieser Hinsicht so günstig sind. So sieht es aus. ({75}) Die Kreditaufnahme der Gebietskörperschaften wird sich im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernisse zu halten haben. Der Konjunkturrat für die öffentliche Hand wird darüber nächste Woche erneut beraten. Dabei wird sorgfältig zu prüfen sein, ob die Anwendung des § 19 des Stabilitätsgesetzes angezeigt ist, der bekanntlich eine Begrenzung der Schuldenaufnahme vorsieht. Meiner Überzeugung nach ist es unverantwortlich und nichts als billige Polemik, wenn die Opposition landauf, landab, gerade auch unter Hinweis auf die Kreditfinanzierung des Bundes, die Inflationsangst schürt. ({76}) Tatsächlich ist der Kapitalmarkt in der Bundesrepublik dank der regen Spartätigkeit der Bevölkerung außerordentlich ergiebig. Es gibt vom Grundsatz her kein vernünftiges Argument, warum nicht auch die öffentliche Hand diese Finanzierungsquelle nutzen sollte. Genausowenig wie ein privater Bauherr sein Eigenheim aus seinem laufenden Einkommen bezahlt, ist es notwendig, daß der Staat seine langfristigen Investitionen allein aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert. Eine normale und sogar erwünschte Kreditfinanzierung in Verbindung zu bringen mit der inflationären Verschuldung in Kriegszeiten, das nenne ich eine Vergiftung des Meinungsstreits. ({77}) Ich nenne es auch eine unerlaubte Erschütterung des Vertrauens in die Kreditwürdigkeit des Staates. Ich hatte gesagt, der Bundeshaushalt 1972 sei auch konjunkturpolitisch zu verantworten. Wir gehen davon aus, daß Steigerungsrate und Finanzierung des Haushalts geeignet sind, zumal mit den Maßnahmen, die ich in bezug auf die Abwicklung des Haushalts angedeutet habe, die Konjunkturentwicklung in der Bundesrepublik weiter zu stabilisieren. Allerdings sind wir der Auffassung, daß es nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht erforderlich sein wird, den. Eventualhaushalt durchzuführen. Es kann keine Rede davon sein, daß diese Politik die Konjunktur ungebührlich anheizt. Allerdings wundere ich mich, wenn von der Opposition solche Befürchtungen geäußert werden. Wir erinnern uns noch gut an die erste Lesung nicht irgendeines Haushalts, an die erste Lesung dies es Haushalts, der jetzt in zweiter Beratung ist, als Herr Strauß uns den Absturz in die Rezession prophezeite. ({78}) Auch diese Prophezeiung hat sich nicht erfüllt, und es ist gut, daß Sie auch hier wieder einmal unrecht bekommen haben. ({79}) Die vielkritisierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hat mit dafür gesorgt, daß uns eine Rezession erspart geblieben ist, daß die Arbeitsplätze im ganzen sicher geblieben sind. Dies ist übrigens nicht der einzige Orientierungspunkt. Ich habe anders, als man es mir wiederholt unterstellte - nie nur diesen einen Punkt im Auge gehabt. Aber es ist eben doch von ganz entscheidender Bedeutung, daß wir Arbeitslosigkeit vermeiden konnten Bundeskanzler Brandt und können. Die Menschen draußen wissen auch, was es bedeutet, daß wir, anders als in England und Amerika z. B., keine Arbeitslosigkeit haben. ({80}) Ich weiß nicht - und da beziehe ich mich jetzt noch einmal auf die gemeinsame Erklärung von CSU und CDU von vorgestern abend -, was das Gerede soll, die soziale Marktwirtschaft sei in Gefahr geraten. In Wirklichkeit funktioniert die Marktwirtschaft, und ihre soziale Ergänzung und Untermauerung wird solider. Und das sollte doch im Interesse aller liegen! ({81}) Jedenfalls ist dies kein Grund, in Weltuntergangsstimmung zu machen. Wir bauen in unserer Wirtschaftspolitik auf die Kräfte des Marktes; und dabei soll es bleiben. Aber wir leben in unserer Vorstellung wirtschaftspolitisch nicht in einem Nachtwächterstaat. Unternehmer und Arbeitnehmer können sich, was an uns liegt, darauf verlassen, daß meine Regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin tun wird, was die wirtschaftspolitische Lage erfordert. Dies haben wir im letzten Jahr auch durch unseren Beitrag zur Lösung der internationalen Währungskrise bewiesen. Und das war, bitte schön, keine Kleinigkeit. ({82}) Die Erfahrung sollte gezeigt haben, daß es unklug und schädlich ist, meine Damen und Herren, internationale Währungsprobleme zum Gegenstand unnötiger nationaler Polemik zu machen. ({83}) Die krisenhaften Entwicklungen im internationalen Währungssystem haben uns doch erneut vor Augen geführt, wie eng die Bundesrepublik in die Weltwirtschaft verflochten ist, und sie haben gezeigt, wie schwer es ist, sich vom internationalen Preissteigerungstrend abzuhängen. Ich sage das nicht, um die Faktoren zu verkleinern, die wir selbst beeinflussen können. Aber ich muß doch auch darauf hinweisen, daß man nicht zu gleicher Zeit „mehr Europa" fordern und dabei erwarten darf, wir könnten uns dann preispolitisch autonom entwickeln. Da lügt man sich doch in die Tasche! ({84}) Die Preissteigerungen liegen in England, in den Niederlanden, in Skandinavien, in Italien, ja selbst in der stabilitätsbewußten Schweiz höher als bei uns. Um so wichtiger ist es, daß wir gemeinsam mit unseren westeuropäischen Partnern vorankommen, um aus der EWG eine Stabilitätsgemeinschaft werden zu lassen. Aber der Weg dahin - das wissen die meisten bei Ihnen so gut wie ich - wird mühevoll sein, und das Ziel läßt sich eben nicht von heute auf morgen erreichen. Wer ein Patentrezept dafür hat, der möge es hier vorführen. ({85}) Ich sage: es gibt kein Patentrezept und keine völlig isolierte Lösung. Im übrigen greife ich das Wort eines ruhigen ausländischen Beobachters einer Versammlung in Baden-Württemberg auf. Er hörte dort Herrn Kollegen Barzel sagen, die Bundesrepublik sei in Europa das Land mit der stärksten Inflation. Und der Kommentar dieses nüchternen ausländischen Beobachters war: Der Mann sagt doch hier einfach nicht die Wahrheit. ({86}) Meine Damen und Herren, trotz allen Krisengeredes hat sich gezeigt: unsere wirtschaftliche und unsere gesellschaftliche Ordnung ist stabil. Natürlich gibt es auch für uns Konflikte, mitunter sogar ernste Konflikte. Aber sie können innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung ausgetragen werden. Sie gefährden nicht deren Bestand. Ich denke dabei besonders an das System der Tarifautonomie bei uns in der Bundesrepublik. Wir sind damit eben besser gefahren als andere Länder, die die Tarifauseinandersetzungen durch Lohn- und Preisstopps reglementieren wollten. Die gesellschaftlichen Gruppen in unserem Lande waren bisher durchweg bereit, neben ihren Interessen auch das Gesamtwohl zu berücksichtigen. Wieviel wir besser daran sind, das wird jedem klar, der in diesen Wochen etwa die Entwicklungen in Italien oder in Großbritannien verfolgt. Wer nun aber die verantwortungsbewußte Haltung unserer Gewerkschaften würdigt, der sollte sich dabei dann auch zugleich darüber im klaren sein, daß es die mühevolle Politik der inneren Reformen ist, die dafür wichtige Voraussetzungen und die dafür das geeignete Klima schafft, meine Damen und Herren, ({87}) z. B. durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Dies ist ein Gesetz - lassen Sie es mich ganz unpathetisch sagen -, das dem inneren Frieden dient. In der Opposition freilich, die von diesem Frieden soviel redet, fand sich nur eine kleine Minderheit, die diesem Gesetz zustimmte. ({88}) Natürlich kann nur eine leistungsfähige Wirtschaft die Grundlage für die Politik der Reformen sein. Motor des wirtschaftlichen Fortschritts in einer Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Eines der wichtigsten Vorhaben, die diese Bundesregierung sich vorgenommen hat, ist es daher, den Wettbewerb zu stärken, z. B. durch eine Novellierung des Kartellgesetzes. Ich appelliere von hier aus an alle diejenigen, die sonst sehr leicht dabei sind, Befürchtungen um den Bestand der Wirtschaftsordnung zu äußern: unterstützen Sie uns bitte bei der Kartellrechtsnovelle! ({89}) Unterstützen Sie uns bei der Kartellrechtsnovelle, damit der Wettbewerb in diesem Lande gestärkt wird! Bundeskanzler Brandt Alle möglichen Befürchtungen sind wegen der Steuerreform geäußert worden. Ich muß zunächst denen widersprechen, die - völlig zu Unrecht - vom Scheitern dieses großen Vorhabens sprechen; denn an der Steuerreform wird zügig weitergearbeitet. Das zweite Paket, das bekanntlich die einheitswertabhängigen Steuern umfaßt, ist auf dem Weg vom Bundesrat zum Bundestag. Nach den Sommerferien wird die Regierung, wie angekündigt, den gesetzgebenden Körperschaften das dritte Paket zuleiten. Dann werden wir sehen, miteinander sehen, wieviel von den drei Paketen noch in dieser Legislaturperiode beraten und entschieden werden kann. An der Verzahnung des zweiten und des dritten Pakets der Steuerreform werden wir, was die Regierung angeht, festhalten. Die CDU/CSU hatte bekanntlich seit 1949 die große Steuerreform auf ihre Fahnen geschrieben. 1957 hieß es in der Regierungserklärung - ich darf zitieren; 1957! -: Zu den großen laufenden Arbeiten des Finanzministeriums tritt diesmal noch eine echte Steuer- und Finanzreform hinzu. Nun, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, was immer Sie sonst einzuwenden haben mögen, wir haben uns nicht mit der Ankündigung begnügt, sondern wir haben dafür gesorgt, daß die Vorlagen auf den Tisch kommen, damit über sie beraten und entschieden werden kann. ({90}) Die Steuerreform soll und wird nach der Überzeugung und nach dem Willen meiner Regierung die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nicht überfordern. Allerdings hat es keinen Sinn, nicht sehen zu wollen und nicht auch in aller Offenheit darüber zu sprechen, daß neben der individuellen die gemeinschaftliche Komponente des Lebensstandards immer stärkere Bedeutung erlangt. In Wirklichkeit ist dies ja wohl auch nicht die eigentliche Streitfrage zwischen Koalition und Unionsparteien. Jedenfalls ist, wenn ich es recht verstehe, mittlerweile das Prinzip nicht mehr umstritten, wenn auch um die konkrete Ausformung weiterhin gestritten und gerungen werden wird. Wenn in der modernen Gesellschaft immer mehr Aufgaben auf den Staat zukommen, dann wird der Staat auch die Mittel bekommen müssen, die er im Interesse der Bürger braucht, die im Interesse einer besseren Qualität der Lebensumstände erforderlich sind. Wenn wir eine wirklich befriedete und zugleich leistungsfähige Gesellschaft wollen, eine Gesellschaft vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit und der Chancengleichheit, die das Leistungsstreben nicht abtötet, sondern fördert, dann dürfen die öffentlichen Aufgaben, dann darf die gemeinschaftliche Komponente des Lebensstandards nicht zu kurz kommen. ({91}) Gewiß muß sich die Reformpolitik an den realen Möglichkeiten der Wirtschaft orientieren. Aber es gibt auch den umgekehrten Zusammenhang: eine ausgewogene Reformpolitik schwächt nicht, sondern festigt die Grundlagen der Wirtschaft. Reformpolitik und wirtschaftlicher Fortschritt bedingen sich gegenseitig. Dies kann ernsthaft nicht in Frage gestellt werden. Wer will wirklich bestreiten, daß wir in den letzten zweieinhalb Jahren trotz einer schwachen Mehrheit und bei einer oft wenig hilfreichen Opposition eine Reihe wichtiger Reformvorhaben angepackt und auf den Weg gebracht haben? Wer will das ernsthaft bestreiten? ({92}) Wenn die Opposition meint, hier am heutigen Tage eine negative Generalabrechnung veranstalten zu können, dann kann ich diesem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit, die uns zuhört, nicht ersparen, an Hand einiger Beispiele darzulegen, womit wir es innenpolitisch wirklich zu tun haben. Mein erstes Beispiel ist der Umweltschutz. Hier glaubt doch niemand, wo immer er im Hause sitzt, dies habe sich erst seit dem Herbst 1969 als ein zentrales Problem des Sozialstaates herausgestellt. ({93}) Nein, man hatte diese Aufgabe zu lange liegen lassen. Wir haben eine umfassende Umweltpolitik entwickelt. ({94}) Die Opposition - das erkenne ich auch jetzt gern an - hat bei den Grundgesetzänderungen mitgeholfen; sonst hätten wir sie ja nicht durchführen können. Aber den Zug, in den andere mit eingestiegen sind, den haben wir zum Fahren gebracht, meine Damen und Herren. ({95}) Ein anderes Beispiel. Seit 1961 war in allen Regierungserklärungen ein Städtebauförderungsgesetz angekündigt worden. Haben wir es zustande gebracht oder nicht? Und gleich eine weitere Frage: Hat die Opposition für die Verbesserung des Mietrechts gestimmt, oder hat sie dagegen gestimmt? ({96}) Sie hat dagegen gestimmt, obwohl der damalige Bundeskanzler schon in der Regierungserklärung 1957 ein sozialeres Mietrecht in Aussicht gestellt hatte. Oder nehmen wir das Gebiet, dem wir in unserem Regierungsprogramm vom Herbst 1969 eine ganz besondere Bedeutung beigemessen hatten. Trotz allen Geredes über ein Scheitern der Bildungsreform wird heute bereits von den objektiven Beobachtern eingeräumt, daß die Bildungspolitik in den letzten beiden Jahren wesentliche Fortschritte gemacht hat. ({97}) Auf den Gesamtstaat bezogen sind die Mittel für Bildung und Wissenschaft seit 1969 kräftig angestiegen. Der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung vorgelegte Zwischenbericht ist nicht Bundeskanzler Brandt nur von uns in der Bundesregierung, sondern auch von den Regierungschefs der Länder, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, als eine geeignete Arbeitsgrundlage anerkannt worden. Reichlich spät, aber doch rascher, als es die Pessimisten wahrhaben wollten, werden wir mehr Chancengleichheit für die jungen Menschen aus allen Schichten unseres Volkes erreichen, und das wird ein weiterer Beitrag zum ruhigen Wachstum unserer Wirtschaft und zur langfristigen inneren Sicherung unserer Gesellschaft sein. Meine Damen und Herren, ich weiß genau, an einer Reihe unserer Hochschulen sind die Zustände weiterhin unerfreulich. ({98}) Andererseits hat es dazu Verallgemeinerungen gegeben, mit denen niemandem gedient ist. Nachdem die alte Universität nicht früh genug die Kraft zur Erneuerung aufgebracht hatte, war halt manches durcheinandergeraten. Obwohl wir vom Bund her nur eine begrenzte Zuständigkeit haben, will ich keinen Zweifel daran lassen, daß die große Mehrheit unserer Bevölkerung natürlich kein Verständnis dafür hätte, wenn die steigenden Mittel für die Hochschulen nicht rationell verwendet würden. ({99}) Die Gesellschaft, die das Geld aufbringt, kann auch erwarten, daß dafür sachlich und fachlich gearbeitet wird. ({100}) Dazu gehört auch unsere Ermutigung für Hochschullehrer und Studenten, ({101}) ihre Reformen nicht zerfasern und sich von kleinen revoluzzernden Minderheiten nicht in eine falsche Ecke stellen zu lassen. ({102}) Im übrigen sollte auch hier keiner glauben, er habe es mit Erscheinungen und Entwicklungen zu tun, die auf unser Land begrenzt sind. Ich wage hinzuzufügen: wer nicht aufgeschlossen, sondern wer borniert oder gar reaktionär an diese Probleme herangehen wollte, der würde kläglich scheitern. ({103}) Besonders deutlich ist die Zwischenbilanz dieser Regierung und der sie tragenden Koalition, wo es sich um den Ausbau der sozialen Sicherheit handelt: von der Dynamisierung der Kriegsopferrenten über die Abschaffung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner über die Reform der Krankenversicherung, nicht zuletzt zugunsten der Angestellten, über das 624-DM-Gesetz, über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten bis zur Rentenreform einschließlich der flexiblen Altersgrenze. Dies ist ein stattliches Programm für knapp drei Jahre, um die es sich dabei handeln wird. ({104}) Ich weiß wie Sie, Herr Kollege Katzer, daß die Rentner die Preisentwicklung besonders hart spüren. Gleichwohl haben wir aus Gründen, die wiederholt dargelegt wurden, einer strukturellen Reform der Rentenversicherung den Vorzug gegeben. Im übrigen werden die Renten in diesem und in den beiden folgenden Jahren um insgesamt rund ein Drittel erhöht. Das sollte die Opposition bitte auch sagen, ({105}) anstatt die Lage aus Propagandagründen schwärzer zu malen, als sie ist. ({106}) Zum inneren Frieden gehört nicht zuletzt jene Sicherheit des Bürgers, die man ganz simpel als Schutz vor Verbrechen und Gewalt definieren kann. Gerade hier hätte die Opposition auf polemische Extratouren verzichten und mit der Regierung konstruktiv zusammenarbeiten sollen. ({107}) Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als daß wir alle für Ruhe und Ordnung sind. Aber zur Definition des inneren Friedens reicht diese Formel nicht aus. Mit Ressentiments und Affekten ist jenen ernsten Problemen nicht beizukommen, mit denen wir es bei uns in der Bundesrepublik wie in allen Staaten vergleichbarer Zivilisation zu tun haben. Weder Verniedlichung noch Dramatisierung helfen weiter. Was wir brauchen, ist ruhige Entschlossenheit, sachliche Härte, wohldurchdachtes Handeln. Was wir nicht brauchen können, ist Panikmache oder das Zusammenrühren ganz unterschiedlicher Tatbestände in einer Art von Kriseneintopf. Die Opposition kann doch selbst nicht glauben, daß vernünftige Ergebnisse erzielt würden, wenn wir uns dazu verleiten ließen, Gewaltverbrechen und Jugendkriminalität, Ausländerdelikte, Rauschgifthandel und die besonders stark zunehmende Wirtschaftskriminalität zusammenzurühren mit politischem Radikalismus, Studentenunruhen, sozialen Spannungen und vermeintlicher eingebildeter Gefährdung des privaten Eigentums. Solche Konfusion kann nicht zu sinnvollem Handeln führen. Von der gemeinsamen Sicherheitskonzeption, die die Innenminister in Bund und Ländern unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit fertigzustellen im Begriff sind, von diesem gemeinsamen Sicherheitskonzept der Innenminister von SPD und FDP und CDU und CSU - da sind nämlich alle vier Parteien dabei - halte ich sehr viel mehr als von den unsachlichen Reden, die ich aus den führenden Reihen der Union in diesem Hause, wenn auch mehr außerhalb des Hauses, höre. Bei der Bekämpfung der Kriminalität stehen die Industriegesellschaften des Westens, zunehmend auch die des Ostens vor ähnlichen Problemen. Wir müssen der Polizei zeigen, daß wir sie in ihrem häufig schweren Beruf nicht allein lassen. ({108}) Bundeskanzler Brandt Alle in unserem Volk, die mit der Erziehung zu tun haben, müssen wir an ihre Pflicht erinnern, die ihnen der Staat nicht abnehmen kann. ({109}) Und die Massenmedien müssen wir darauf hinweisen, daß auch sie viel Verantwortung tragen. ({110}) Wir selbst schließlich müssen das Mögliche tun, statt über das Unmögliche uns zu entzweien. ({111}) Diese Bundesregierung denkt nicht daran, Kriminalität zu verharmlosen. Wie kämen wir denn dazu? Wir nehmen jene Aufgaben sehr ernst, ,die sich aus der Vorsorge für die Sicherheit des Bürgers ergeben. Was wir übrigens in 2 1/2 Jahren auf diesem Gebietgeleistet haben, kann jeden vernünftigen Vergleich aushalten. Ich erinnere jetzt nur an den Ausbau des Bundeskriminalamtes zu einer wirklich wirksamen Behörde. ({112}) Ein aufmerksamer Journalist hat im vorigen Monat geschrieben, wir hätten das Thema „Verbrechensbekämpfung" - wie er wörtlich sagte - endlich vom Kopf auf ,die Füße gestellt, und zwar durch das Schwerpunktprogramm unseres Innenministers und durch die Vorschläge unseres Justizministers zur Beschleunigung des Strafverfahrens. ({113}) Wir haben Ernst gemacht mit 'der Erkenntnis, daß die Strafandrohung weniger abschreckend wirkt als die erfolgreiche Fahndung und die rasche Aburteilung. ({114}) Erfahrungen auch aus anderen Ländern sprechen 'dafür, daß die innere Sicherheit auch durch eine Reform 'des Strafvollzugs gestärkt werden kann. Was politische oder politisch camouflierte Straftaten und was den politischen Radikalismus im allgemeinen angeht, so muß ich zunächst der immer wiederkehrenden Behauptung widersprechen, als ob sich die Zustände während der Amtszeit 'dieser Bundesregierung verschlechtert hätten. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Die großen Studentenunruhen waren 1968, nicht 1970 oder 1971. ({115}) Gewalttätigkeit bei Demonstrationen ({116}) haben alles in allem in den letzten beiden Jahren eher abgenommen. ({117}) Radikale Parteien haben existiert, und die Rechtsradikalen rückten munter in die Landtage, als das Bundesinnenministerium noch fest in der Hand der CDU war. ({118}) Wir wollten und wir wollen nicht, daß sich diese Bundesrepublik als ein schwacher Staat erweist. ({119}) Aber wir lassen uns nicht einreden, daß eine akute Bedrohung unserer demokratischen Ordnung gegeben sei; denn das ist nicht der Fall. ({120}) Politische Gewalttaten und erklärte oder erwiesene Feinde der Demokratie können allerdings auch dann nicht mit unserer Duldsamkeit rechnen, wenn sie nicht viel hinter sich haben. Gemeinsam mit den Ländern haben wir festgestellt, daß eine Unterwanderung des öffentlichen Dienstes durch Gegner der im Grundgesetz verankerten demokratischen Ordnung nicht zugelassen wird. Mit einer Hexenjagd oder mit Gesinnungsschnüffelei soll und darf dies nichts zu tun haben! ({121}) Deshalb müssen die einzelnen Fälle nach den rechtsstaatlichen, verfassungsmäßigen Kriterien geprüft werden. Was ich für besonders bedauerlich, nein, verwerflich halte, meine Damen und Herren, ist der in den letzten Monaten planmäßig unternommene Versuch, die Außenpolitik dieser Bundesregierung mit politischem Radikalismus oder gar mit sonstiger Kriminalität in Zusammenhang zu bringen. ({122}) Das ist Stimmungsmache, nein, das ist Brunnenvergiftung! ({123}) Im übrigen, die Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei bleibt von unseren Verträgen mit kommunistisch regierten Staaten völlig unberührt. Das gilt auch für solche Gruppen, denen der etablierte Kommunismus nicht links genug ist. Was meine eigene Partei angeht, so kann ich es nicht hinnehmen, daß einzelne Gliederungen, zumal die jungen Sozialdemokraten in ihrer Gesamtheit, ungerecht beurteilt oder gar verteufelt werden. ({124}) Es ist auch überhaupt kein Beitrag zu einer sachlichen Erörterung, Städtenamen aneinanderzureihen, die einen ganz unterschiedlichen politischen Tatbestand ausdrücken. Aber ich sage im übrigen - nicht an Ihre Adresse, weil ich Ihnen in dieser Frage keine Rechenschaft schuldig bin -, ({125}) was das Präsidium meiner Partei am Montag erklärt hat, daß wir nämlich nicht zulassen werden, daß die Aussagen des Godesberger Programms ins ZwieBundeskanzler Brandt licht geraten. Dieses Programm gilt; darauf kann man sich verlassen. ({126}) Ich sage aber zugleich auch mit allem Nachdruck, ({127}) ein moderner Staat muß die Kraft und den Mut haben, sich auch mit sehr unbequemen Meinungen auseinanderzusetzen. ({128}) Nur so können bewährte Positionen erhärtet und überholte Positionen erneuert werden. Anders würden Staat und Gesellschaft erstarren und würden wir in dieser sich rasch wandelnden Welt nicht bestehen können. Was soll nun die demagogische Verwirrung, so möchte ich noch fragen, ,die Herr Kollege Barzel anstiftet, ({129}) wenn er in Verbindung mit den Ostverträgen ausruft, er und seine Freunde wollten nicht, daß Deutschland und Europa sozialistisch würden? ({130}) Meine Damen und Herren, daß die Unionsparteien nicht sozialistisch sind, daß ihnen auch das Element eines christlichen Sozialismus fremd geworden ist, ist ja nichts Neues. ({131}) Was aber soll der Satz im übrigen bedeuten? Will Herr Kollege Barzel sagen, die große Strömung der Sozialdemokratie, des demokratischen Sozialismus, soll sich im Bereich der westeuropäischen Gemeinschaft nicht gleichberechtigt entfalten können? Will er sagen, in unserem Teil der Welt sollten die ihm sympathischen Parteigruppierungen eine privilegierte oder gar alleinherrschende Stellung erhalten? Das kann er doch nicht gemeint haben, ({132}) denn dies würde ja bedeuten, das europäische Einigungswerk zu spalten, nein, es zu zerstören. ({133}) Dieses europäische Einigungswerk wird nur Erfolg haben, wenn sich in ihm die großen Strömungen der europäischen Demokratie entwickeln und miteinander wetteifern können. Aber vielleicht hat der Kollege Barzel etwas ganz anderes sagen wollen. Vielleicht hat er unterstellen wollen ,daß ein besseres Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Staaten im Osten diesen in die Lage versetzen würde, auf unsere politische Entwicklung einzuwirken oder sie sogar in die Hand zu bekommen. Dies nenne ich aus meiner Sicht und Verantwortung Schreckpropaganda. Als ob die Amerikaner Maoisten würden, weil Nixon nach Peking gereist ist! ({134}) Und wenn es schließlich wieder einmal nur darauf hinausliefe, daß Herr Barzel den deutschen Sozialdemokraten und womöglich auch noch der FDP ein quasi-kommunistisches Etikett aufkleben wollte, so kann man nur fragen: Woher nehmen Sie, Herr Kollege Barzel, dann den Mut, bei gewissen Gelegenheiten wie erst gestern abend wieder noch salbungsvoll von Gemeinsamkeit zu reden? ({135}) Meine Damen und Herren, ich mußte hiervon in aller Offenheit und Deutlichkeit reden. Ich entschuldige mich dafür, daß ich die übliche Redezeit weit überschritten habe. Aber es hat doch keinen Sinn, nicht von dem zu reden, was die Zusammenarbeit und den inneren Frieden wirklich belastet. ({136}) Und so ist es ja nun auch nicht, daß hier über lange Zeit nur die eine Seite kommen und der anderen das Wort im Munde umdrehen kann. ({137}) Hier muß über alles gesprochen werden können, aber unter klaren und ehrlichen Voraussetzungen. ({138}) Im übrigen hat diese Bundesregierung nicht den Ehrgeiz -- kann ihn nicht haben -, eine Welt ohne Konflikte herbeizuführen. Wir versuchen beharrlich und beständig, den inneren und den äußeren Frieden sicherer zu machen. Dies ist keine Politik der bloßen Hoffnungen oder Gefühle, sondern der praktischen Vernunft. Es ist auch Sicherheitspolitik. Über manche Einzelheiten, über Maß und Tempo dieser Politik läßt sich diskutieren, aber im Grundsatz gibt es keine Alternative dazu. Und was die innere Sicherheit angeht, so ist eines gewiß: Panikmache ist jedenfalls kein Weg zum Frieden innerhalb unseres Volkes. ({139}) Was die äußere Sicherheit angeht, so weiß ich, daß die Opposition vor einer sehr schweren Entscheidung steht. Denn viele in ihren Reihen wissen: Wir - Regierung und Koalition - sagen über die eigenen Verteidigungsanstrengungen hinaus, die nicht vernachlässigt werden dürfen, Ja zum westlichen Bündnis auch dort, wo es um Möglichkeiten der Entspannung geht. Ihr Nein, die Klammer des Nein zu den Verträgen, wäre ein Nein zu einem wesentlichen Element der Sicherheit dieser Bundesrepublik. Meine Damen und Herren von den Unionsparteien, ich meine, daß Sie sich in Ihrer Argumentation verrannt haben, daß Sie in der Polemik den Bogen weit überspannt haben und daß Sie Ihre Absage an die Tugend der Geduld noch bereuen werden. Mich wird jedenfalls nichts davon abbrin10652 Bundeskanzler Brandt gen können, mit ganzer Kraft und mit der Hilfe meiner Freunde und der Koalitionsfraktionen, denen ich meinen aufrichtigen Dank sage, beharrlich weiterzuarbeiten für den Frieden im Innern und nach außen. ({140})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Barzel. Es ist eine verlängerte Redezeit beantragt, die der des Herrn Bundeskanzlers entspricht: ({0}) 100 Minuten. ({1})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Das Wichtigste zuerst: Der Bundeskanzler hat - dies ist für jeden Kollegen dieses Hauses ein wichtiger Punkt - vom Wählerauftrag gesprochen. Das ist das Wichtigste für dieses Haus und für jeden Kollegen. Welchen Wählerauftrag hat jeder Kollege dieses Hauses? Er hat genau den Auftrag, den das Grundgesetz in seinem Art. 38 beschreibt: Seinem Gewissen zu folgen, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden zu sein. Dies ist der Wählerauftrag, Herr Bundeskanzler. ({0}) Wenn Sie dies hier heute wie auch in Ihrer Fernsehansprache in die Debatte eingebracht haben, dann möchte ich zunächst antworten weil ich glaube, daß es eine Frage ist, die uns alle angeht -: Es ist gut, eine Stelle zu zitieren, die hier nicht direkt im Hause ist. Hierzu schreibt heute die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" : Der Kanzler hat in seiner Fernsehansprache gesagt, die Opposition mache mit diesem Schritt von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch. Er fuhr dann fort, und dieser Satz wird in den nächsten Stunden vermutlich noch eine gewichtige Rolle spielen, die CDU setze dabei „offensichtlich auf Abgeordnete, die sich nicht an den Wählerauftrag gebunden fühlen". Das kann so nicht hingenommen werden. Wir kämen sonst zu einem völlig schiefen Verfassungsverständnis und in die gefährliche Nähe des imperativen Mandats. ({1}) Ich erinnere Sie, Herr Bundeskanzler, z. B. an die Rede, die einer der langjährigen sozialdemokratischen Berliner Bundestagsabgeordneten, mein jetziger Fraktionskollege Schulz, hier gehalten hat. Meine Damen und Herren, wer hat denn eigentlich heute eine andere Politik, als er sie den Wählern versprochen hat? Das ist doch Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler! ({2}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat dann einige Ausführungen im Zusammenhang mit der Wahl in Baden-Württemberg gemacht. Nun, Herr Bundeskanzler, wir sind gern bereit, durch objektive Rechenstellen feststellen zu lassen, wer nach dem Gang der Ereignisse aller letzten Landtagswahlen eine Chance hätte, hier eine Mehrheit zu bekommen. Ihre Ausführungen sind durch Fakten nicht belegbar, sie sind der Ausdruck von Wunschdenken. ({3}) Aber wenn Sie, Herr Bundeskanzler, glauben, die Baden-Württemberger Wahl hätte gar nichts mit dem zu tun, was hier im Hause geschieht, dann, meine Damen und Herren, darf ich doch daran erinnern - ich will das alles gar nicht mitbringen, weil, glaube ich, jedermann genügend Erinnerungsvermögen hat -, mit welchen Anzeigen Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, in dem Wahlkampf dort und in der ganzen Bundesrepublik Deutschland in einem Landtagswahlkampf mit Bundessteuergeldern gearbeitet hat, ({4}) und dies doch seit so langer Zeit, daß wir schon im Februar, als wir hier die dreitägige Debatte über die Ostverträge hatten, Anlaß hatten, solche Wahlanzeigen zurückzuweisen, weil sie den Eindruck erweckten, hier sei der eine mehr für den Frieden oder der andere vielleicht gar nicht. Wir haben dies damals zurückgewiesen, und ich glaube, dies ist in Erinnerung. Herr Bundeskanzler, wenn Sie zu der Frage der NPD in Ihrer Rede hier dreimal etwas gesagt haben, so sind wir gern bereit, alle Unterlagen ({5}) aller objektiven Instanzen vorzulegen, und vielleicht nehmen sie einmal Ihre Unterlagen von Infas zur Hand, ({6}) um festzustellen, woher die Protestwähler gekommen und wohin Sie wieder gegangen sind und daß die NPD-Leute völlig kollabiert waren in Baden-Württemberg. ({7}) Vielleicht haben Sie dann in dieser Stunde auch die Fairneß, sich zu erinnern, daß anläßlich der Eröffnung dieses Wahlkampfes, von dem Sie sprachen, der Vorsitzende der Union in aller Form erklärte: Die NPD bleibt unser parteipolitischer Gegner. Das war die Aussage von uns, und ich rufe viele Kollegen in diesem Saal zu Zeugen für diese Tag auf Tag wiederholte Erklärung. Meine Damen und Herren, ich verzichte darauf, hier die auf der Hand liegende Retourkutsche zu fahren und all das vorzutragen, was in den letzten Tagen, was in diesen Stunden, da wir hier tagen, von seiten der Deutschen Kommunistischen Partei draußen im Land angezettelt wird. Ich untersuche nicht, wo diese Stimmen geblieben sind; denn auch in dieser Stunde, meine Damen und Herren, gilt unser Wort von der Solidarität der Demokraten. Ich denke an übermorgen und bin nicht bereit, heute hier durch Verleumdungen oder Unterstellungen, Herr Bundeskanzler, für die Zukunft alles unmöglich zu machen, was in diesem Staat mit- und untereinander möglich bleiben muß. ({8}) Nun zu der „demagogischen Verwirrung", die Sie, Herr Bundeskanzler, mir persönlich vorwarfen wegen meines Satzes, wir wünschten, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch werden. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, warum Sie sich darüber erregen. Ist nicht der Bundeskanzler selbst jemand, der sich in amtlichen öffentlichen Reden als Sozialist bezeichnet? Ist nicht in Ihrem Programm der Sozialismus das Ziel? Sagen Sie dort eigentlich anderes? Und wenn der Bundeskanzler seine jungen Freunde in Schutz nimmt, dann, meine Damen und Herren, muß er sich natürlich auch hier vorhalten lassen, was diese jungen Freunde - und zwar nicht irgendeine Randfigur, sondern ganz offiziell hier verbreiten. Da heißt es unter der Überschrift „Was sind die Jungsozialisten wirklich?" : Sie haben durch die Formulierung ihrer sozialistischen Strategie im Bündnis mit den Altsozialisten in der SPD eine Position erkämpft, an der die SPD nicht mehr vorbei kann. ({9}) Das ist die Lage. Das spüren wir, und das spüren Sie doch auch in der praktischen Politik. Wenn es dann heißt: Das Ziel einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kann in der Bundesrepublik Deutschland nur erreicht werden, wenn mobilisierte und organisierte Massen der abhängig Beschäftigten die grundlegenden Veränderungen auf dem Wege zur Aufhebung kapitalistischer Machtverhältnisse erkämpfen . . . dann müssen Sie, meine Damen und Herren, sehen wie Sie damit fertig werden. Weiter wird dort gefordert, es sei die Konsequenz Ihrer Politik nicht nur die Anerkennung der DDR, sondern „die Anerkennung der DDR, um dem von der Reaktion aufgebauten Antikommunismus den Boden zu entziehen als Voraussetzung für eine sozialistische Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland". ({10}) Das ist nur ein Punkt, Herr Bundeskanzler. Wenn ich gesagt habe, ich wünschte, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch würden, und Sie dies als „demagogische Verwirrung" empfinden, so wiederhole ich hier diesen Satz: Wir wünschen, daß Deutschland und Europa nicht sozialistisch werden. ({11}) Meine Damen und meine Herren, einige Bemerkungen zu dem - so Ihre Worte eben - „polemischen Gerede von der Inflation". Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, aber ich muß dies sagen: Sie haben wieder einmal Ihre Meinung geändert. Früher hieß es: Bei 4 % wird es ernst. Das haben wir schon kritisiert, weil Ihr Bundeswirtschaftsminister - inzwischen ist er auch Bundesfinanzminister - bekanntlich ganz andere Versprechungen gemacht hatte. Er versprach, von 3 % im nächsten Jahr auf 2% und dann auf 1% zu kommen. Als wir einmal eine Preissteigerungsrate von 3 °/o hatten - ich erinnere den Bundeskanzler Erhard daran -, hieß es von der Seite der SPD: Inflation! Meine Damen und Herren, mein Kollege Katzer hat heute morgen mit aller Deutlichkeit und Sachlichkeit den Bericht der Deutschen Bundesbank hier in die Debatte eingeführt. Das sind die Fakten, Herr Bundeskanzler. Gegen diese Fakten hilft auch alle Schönrederei nichts. Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, es gebe auch keine Finanzkrise, dann möchte ich Sie doch einladen, sich einmal die Stellungnahme des Finanz-und Konjunkturrates von Bund und Ländern vom, wenn ich mich recht erinnere, 8. März vorlegen zu lassen. Darin steht doch z. B., daß Sie trotz der Steuererhöhungen, mit denen Sie 4 Milliarden DM zusätzlich einnehmen, mit den Mitteln nicht auskommen und keine neue zusätzliche Ausgabe damit finanzieren können. Darin steht doch die Notwendigkeit umschrieben, daß man endlich einmal zu Prioritäten kommen müsse, daß man die Programme zusammenstreichen müsse, daß hierzu auch Gesetze notwendig seien. Wollen Sie leugnen, daß in dieser Sitzung in aller Verantwortung von der Notwendigkeit der Totalsanierung der öffentlichen Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden gesprochen worden ist? ({12}) Um nicht in den Verdacht zu kommen, Herr Bundeskanzler, hier für eine Zeitung zu werben, will ich nicht auch noch lange aus dem finanzpolitischen Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen" vorlesen. Die Überschrift genügt: „Dem finanziellen Kollaps entgegen". ({13}) Es ist doch gar keine Frage, wie die Rate der Verschuldung, die Sie eingehen, zu beurteilen ist. Wir haben hier bei der letzten Wirtschaftsdebatte doch davon gesprochen. Es ist doch ein Unterschied, ob sich ein Staat für investive Zwecke in der Zukunft oder deshalb verschuldet, um auf dem Papier mit Mühe und Not den Ausgleich zu haben. Sie überfordern die volkswirtschaftliche Kraft. Das führt dazu, daß die Preise weiter steigen. Das wiederum treibt die Zinsen an; dies lockt das ausländische Geld ins Land. Sie haben dann all diese Schwierigkeiten, Herr Bundeskanzler. Das sollten Sie nicht leugnen, und das können Sie ja auch nicht leugnen. Dafür, daß Sie sich geweigert haben, in dieser Frage reinen Wein einzuschenken, haben Sie am Sonntag ja eine Quittung bekommen. ({14}) Zu der Frage der Preise möchte ich nicht in der Weise, wie Sie dies taten, Herr Bundeskanzler, Stellung nehmen. Ich möchte aber folgendes beitragen. Natürlich wissen wir, daß es außenwirtschaftliche Probleme gibt. Natürlich wissen wir, daß die Bandbreite und die europäische Integration hier ein10654 wirken. Aber Sie können doch nicht leugnen, daß am Beginn dieser ganzen Sache der Satz des Bundesbankpräsidenten, eines Mitglieds Ihrer Partei, Karl Klasen, von der „hausgemachten Inflation" steht. Sie können doch nicht leugnen, daß die Bundesbank jetzt eben erklärt, die Haushaltspolitik treibe die Inflation. Das sind doch die Fakten! Die sollten Sie eigentlich in einen solchen Rechenschaftsbericht aufnehmen. Ich möchte - der Kollege Strauß wird dies sicherlich im Laufe der Debatte im einzelnen behandeln -nur noch zu dem Vorwurf einen Satz sagen, wir hätten Steuerreformen immer versprochen, dann aber nicht gemacht. Herr Bundeskanzler, 1965 hat dieses Haus in einer Arbeit Etzel/Dahlgrün eine kleinere Steuerreform gemacht, die den Namen verdiente. Sie führte immerhin zur Steuersenkung von 4,5 Milliarden DM. Wir haben - dies ist hoffentlich nicht vergessen - hier ein Gesetz gemacht, das nicht wir - da sitzt der Kollege Schmidt -, sondern die Fachwelt ein „Jahrhundertgesetz" genannt hat, die Mehrwertsteuer. Wir haben nicht nur diese Reform fertiggebracht, sondern im konjunkturell und europäisch richtigen Zeitpunkt hier verabschieden können. ({15}) Wir haben die Finanzverfassungsreform gemacht, wir haben die Reform des Haushaltsrechts gemacht. Jetzt ist die Steuerreform dran. Dazu liegen die Gutachten ebenso vor wie die Unfähigkeit Ihrer Koalition, dieses Problem zu lösen. ({16}) Der Rettungsanker Umweltschutz, Herr Bundeskanzler - also ich will es mir untersagen - - Ein sachkundiger Kollege, der über diesen Satz empört war, brachte mir sofort ein Zitat von Ihnen aus dem Jahre 1970, wo Sie sehr wohl anerkennen, daß dies ein Problem sei, an dem auch früher viel getan worden sei. Also lassen wir das! Herr Bundeskanzler, Sie haben dann aber einen Vorwurf erhoben, den ich doch zurückweisen möchte. Sie haben im Zusammenhang mit ostpolitischen Debatten gesagt, hier sei „Hetze" getrieben worden, und das an die Adresse der CDU/CSU und mit Vokabeln wie „Verzicht" und „Verrat". Herr Bundeskanzler, wer so argumentiert, muß sich fragen lassen: Wer eigentlich hat diese Vokabeln in die politische Debatte in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt? ({17}) Ich habe hier eine Festschrift, wieder von einem Kollegen, der sich über Ihre Angriffe erregte, die „Festschrift zum Deutschlandtreffen der Schlesier, 7. bis 9. Juni 1963 in Köln". Wie hieß es dort mit der Unterschrift von ich sage es gleich, um hier keinen parlamentarisch üblichen Trick zu machen; die Sache ist viel zu ernst - Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Herbert Wehner? Ich zitiere: Breslau, Oppeln, Gleiwitz, Hirschberg, Glogau, Grünberg - das sind nicht nur Namen, das sind lebendige Erinnerungen, die in den Seelen von Generationen verwurzelt sind und unaufhörlich an unser Gewissen klopfen. Verzicht ist Verrat. ({18}) Das haben Sie unterschrieben! Diese beiden Vokabeln stammen doch nicht von uns! Die haben Sie in die Debatte eingeführt. Ich denke, daß der Kollege Hupka Ihnen einiges darüber sagen könnte, mit welchen verbindlichen Aussagen Ihrer Partei Sie ihn in den Wahlkampf geschickt haben, um die Stimmen dieser Bürger zu sammeln; hinterher wollen Sie das nicht mehr wahrhaben, was Sie ihn haben versprechen lassen. ({19}) Herr Bundeskanzler, ich möchte aus diesem Bereich gleich noch einiges wegräumen. Unsere Fraktion hat Sie unter dem 17. April durch eine öffentliche Mitteilung aufgefordert, sich von einem Zitat zu distanzieren. Dies ist nicht geschehen, also muß ich es jetzt in die Debatte einführen. In einer deutschen Tageszeitung war die Rede davon, daß Journalisten bei den abendlichen Gesprächen im Zuge, von denen Sie selbst vorher sprachen, davon gesprochen haben, daß eine Frage wie folgt gestellt sei: Der Kreml sei, um die Ratifizierung des Moskauer Vertrages zu sichern, eventuell bereit, im Sinne des Briefes zur deutschen Einheit in einer Art Vorpräambel auch das Problem der Einheit und des Selbstbestimmungsrechts mit zu ratifizieren. Sie hätten dann zunächst gesagt, das Verfahren sei nicht möglich. Und dann habe man insistiert, und dann sollen Sie gesagt haben - ich zitiere -: „Wenn Moskau Herrn Barzel hier entgegenkommen wollte, würde ich mich dagegen wehren." ({20}) Herr Bundeskanzler, hier ist Gelegenheit, dazu etwas zu sagen. Aber Sie können doch nicht zugleich mich erklären lassen, die drei Punkte, die wir gefordert haben, seien erfüllt, während auf der anderen Seite der Miniser des Kanzleramts erklärt, die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in das Vertragswerk sei doch sinnwidrig und auch gar nicht möglich. Herr Bundeskanzler, ich möchte ein kurzes Wort - weil das im einzelnen zu behandeln sein wird, wenn es, wann immer dies sein wird, wieder eine Debatte über die Ostpolitik geben wird - zu dem Thema der Protokolle sagen. Sie wissen sehr gut aus unserem Schriftwechsel wie aus mündlichen Unterhaltungen - nicht erst seit 14 Tagen, sondern seit dem August 1970, - daß wir die volle Einsicht verlangen und mit zwei Punkten begründen. Einmal, weil in amtlichen Verlautbarungen der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, aber auch in amtlichen Verlautbarungen der DDR immer die Worte „die Verhandlungen und der Vertrag" gebraucht wurden. Deshalb wünschten wir zu wissen: Was ist in den Verhandlungen gewesen? Dies wünschten wir zu lesen. Zum zweiten, weil Sie selbst Auszüge aus diesen Protokollen in das Ratifikationsverfahren eingeführt haben. Herr Bundeskanzler, wer Auszüge verwendet, der muß jemandem die Möglichkeit geben, festzustellen: was stand davor, was stand dahinter? Denn was entsteht sonst - mein Kollege Strauß hat es hier einmal mit den zwei Bibelsätzen vorgemacht - für ein verwirrendes Bild?! Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier davon sprachen, acht Wochen lang hätten Sie alle möglichen Angebote auf Information gemacht, dann muß ich Ihnen sagen: Sie haben - ich bin sicher, daß der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses dazu selber das Wort nehmen wird - im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages dasselbe Verfahren wie im Bundesrat angeboten, d. h. man wird gnädigst zugelassen, Fragen zu stellen, Beamte wälzen dann dicke Aktenordner und lesen dann einen Satz vor, ohne daß man den, der dahinter oder davor steht, kennt. Dies ist ein Verfahren, das schon im Bundesrat gerügt worden ist und das hier mit Recht gerügt wird. Ich glaube, daß mein Kollege Kliesing mit dem Argument recht hat, daß man sich doch als Historiker und als Jurist niemals auf etwas anderes als auf die Quellen selbst stützt. Und wenn wir verlangt haben, das Ganze als Geheimsache einzusehen, dann ist dies recht und billig. Das ist nicht gegen irgendeine Praxis. Niemand hätte dies gerügt, Herr Bundeskanzler. Denn die Männer, die dies hätten rügen können im internationalen Leben, sind doch auch, wie Sie wissen seit Jahr und Tag zu höchst vertraulichen Gesprächen mit uns bereit und gehen davon aus, daß es hier ist wie in Großbritannien, wo der Führer der Opposition alles erfährt. ({21}) Sie wissen, daß ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, diese Briefe - von der Aktion distanziere ich mich erneut, wie ich dies immer getan habe - dann übergeben habe. Warum? ({22}) - Nun lassen Sie mich das doch in aller Ruhe sagen. Der Bundeskanzler erzählt es Ihnen doch nicht; also muß ich das doch hier in die Debatte einführen. ({23}) Ich erinnere mich genau des Zeitpunkts; es war zu Beginn der innerdeutschen Gespräche. Da geisterten durch unsere Fraktion, durch andere Fraktionen und in Kreisen von Journalisten vier oder fünf Fassungen neuer Bahr-Papiere. Ich habe sie mir alle geben lassen, und ich habe Ihnen damals gesagt - Richard Stücklen war auch dabei -: Herr Bundeskanzler, in diesem Lande, das ein Tummelplatz weltpolitischer Interessen ist und das ein Tummelplatz zur Verwirrung dieses Parlaments ist, muß es doch möglich bleiben, daß wir uns alle beide nicht auf Gerüchte stützen, sondern nur auf das, was stimmt. Ist es denn nicht richtig, Herr Bundeskanzler, daß ich, als Sie von der Krim wiederkamen, Ihnen zwei ernste mündliche Fragen gestellt habe auf Grund von Gerüchten, die mir zugegangen waren? Sie haben sie beide ausreichend beantwortet. Ich bin darauf nie zurückgekommen. Wer hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, dann eigentlich das übergeben und gesagt: Das ist wahrscheinlich falsch; lassen Sie mich doch bald wissen, was davon zu halten ist, so wie es der Abrede entsprach? Dann passierte folgendes: Ich sage Ihnen jetzt, daß ich selbst die Dinge überhaupt erst danach gelesen habe. Es war Mittwoch abend, als ich Ihnen dies gab. Am Freitag mittag erklärten Sie in Baden-Württemberg: Paßt auf, da kommt eine Wahlbombe; laßt euch nicht durch Sensationen irre machen! Wer hat denn eigentlich vor der Bundespressekonferenz sich eingelassen nach dem Brief des Kollegen Ehmke? Herr Bundeskanzler, kommen Sie mit der Wahrheit auf den Tisch und lenken Sie nicht von dem Thema des wirklichen Inhalts der Moskauer Verträge ab! Das ist die Frage, um die es geht. ({24}) Meine Damen und meine Herren, ich möchte gern zu einigen der innenpolitischen Ausführungen des Bundeskanzlers kommen, der ja versprochen hatte, nicht nur unpolemisch sein zu wollen - das ist ihm nicht gelungen -, sondern auch Tatsachen und Leistungen zu bringen. Herr Bundeskanzler, in einer solchen Situation wie dieser wäre es nicht anders als fair und völlig normal gewesen, wenn Sie hierher gekommen wären, die Regierungserklärung, Ihren Versprechenskatalog zur Hand genommen und gesagt hätten, was daraus geworden ist. Das ist nicht geschehen. Ich kann nachempfinden, warum Sie dies nicht taten; nicht nur, weil da vieles, vieles ist, was gar nicht hat erfüllt werden können, sondern auch, weil Sie, Herr Bundeskanzler, an einem nicht vorbeikönnen: Das herausragende Ergebnis Ihrer Innenpolitik ist die trabende hausgemachte Inflation. ({25}) Dies begann mit der falschen Weichenstellung im Oktober und begann mit dem, was man die Anspruchsinflation genannt hat. Wer allen alles in Aussicht stellt ohne einen Katalog von Prioritäten, erweckt den Eindruck, er könne alles auf einmal. Die Ansprüche steigen, und das kann eine öffentliche Finanzwirtschaft nie durchhalten. ({26}) Ich möchte deshalb - ich glaube, dies ist parlamentarischer Brauch - an das erinnern, was wir zu Beginn Ihrer Regierung hierzu gesagt haben. Wir haben gesagt: Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen. Sie finden auf den Gebieten der Bildungspolitik, der Finanz- und Wirtschaftspolitik bessere Kompetenzen und ein gerade geschaffenes modernes Instrumentarium vor. Dazu treten die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs- und des Berufsausbildungsgesetzes sowie die anderen Reformwerke der Großen Koalition. ... Seit Bestehen der Bundesrepublik stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation. Wir haben Ihnen dann etwas Außenpolitisches gesagt. Daraus will ich nur eins noch einmal festhalten: Wir werden als Opposition nicht nur dafür sorgen, daß die Koalition hier immer wieder für ihre Politik einstehen und ihre Mehrheit beweisen muß; wir bieten auch in aller Form die Möglichkeit an, in den Lebensfragen der Nation zur Kooperation aller zu kommen. Ob dies zum Nutzen aller Deutschen erreicht wird, liegt ganz wesentlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler, nämlich an dem Ausmaß, der Stetigkeit und der Offenheit, mit der Sie uns unterrichten, mit uns sprechen und unsere Meinungen in Ihre Entscheidungen einbeziehen. Herr Bundeskanzler, noch heute vor 14 Tagen haben wir Ihnen, gestützt auf verantwortliche Voten der Gremien, die bei uns die Politik bestimmen, angeboten - ich komme nachher darauf zurück -, die Kräfte zusammenzutun, weil nur durch Zusammenwirken und Zusammenarbeit der offensichtlich bestehende Verhandlungsspielraum ostpolitisch voll wird ausgenutzt werden können. Auch dies wurde noch heute vor 14 Tagen abgelehnt. Ich könnte eine ganze lange Reihe der abgelehnten Gemeinsamkeitsbestrebungen hier aufzählen. Aber ich möchte doch noch bei dem innenpolitischen Punkt zunächst bleiben. Wir haben Ihnen damals gesagt: die neue Regierung beginnt mit einer Politik der leichten Hand. Ohne eine veränderte Finanzplanung vorzulegen, beschlossen die Koalitionspartner zuerst einmal Steuersenkungen. Wir, die Opposition, haben damals gesagt: Lassen Sie das bleiben, nehmen Sie die vom Tisch und benutzen Sie das Geld zur Modernisierung der Bundesrepublik Deutschland! Dann sagen Sie, diese Opposition sei nicht hilfreich gewesen?! Meine Damen und meine Herren, daß kann man ernsthaft doch nicht aufrechterhalten. Wir haben Ihnen gesagt - und das spüren Sie doch inzwischen selber; das muß doch Alex Möller Ihnen gesagt haben, als er ging -: Ohne ein Programm, das den gestiegenen Finanzbedarf für investive Zwecke, für Bildung, für Verkehr, für Strukturpolitik, für Technologie zusammenordnet, ohne den Blick auf die anwachsende Wirtschaftskraft anderer Nationen, welche unsere Stellung im Welthandel in Frage stellen, wurden Haushaltsbelastungen besprochen. . . . Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, nach Ihren Argumenten für diese Politik. Es hätte Ihnen und uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben, sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will. ({27}) Wir fragen Sie, auf welche Lagebeurteilung, auf welche Finanzplanung, auf welche Konjunkturverläufe Sie diese Politik, erst einmal einen auszugeben, gründen wollen. Ich fürchte, diese Politik, die sich zu Beginn so billig macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen. Und genau da sind sie angekommen, Herr Bundeskanzler. ({28}) Meine Fraktion hat immer wieder davor gewarnt - sie hat hier Vorschlag auf Vorschlag gemacht -, auf dem von dieser Regierung eingeschlagenen Weg der Verharmlosungen und Beschönigungen fortzufahren. Lange und, wie wir meinen, zu lange hat sich die Bundesregierung - sich und andere, bis zu der (1 Rede eben - über die gefährlichen Konsequenzen und die wirkliche Lage getäuscht und versucht, die Bevölkerung abzulenken. Mit der als Trost gedachten Unter-dem-Strich-Rechnung Hans Katzer sprach davon; ich muß einen Satz dazu sagen, weil der Bundeskanzler sie ja wieder aufgenommen hat -, hat man den Arbeitnehmern eine Weile etwas vormachen wollen, nämlich vormachen wollen, man könne auch mit der Inflation gut leben. Diese Rechnung konnte nicht aufgehen. Jedermann weiß, daß sie in diesem Jahr nicht mehr stimmt und stimmen wird. Mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, mit der Deutschen Bundesbank und darüber hinaus mit der überwiegenden Mehrheit der führenden Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft teilen wir die Sorge, daß die Stabilität in diesem Lande auf lange Sicht verloren würde, wenn nicht dieses Haus die Kraft aufbringt, das Steuer herumzuwerfen. Das soll morgen geschehen, nachdem Sie vor der Wirklichkeit blind sind, meine Damen und meine Herren von der Koalition. ({29}) Noch fehlt uns ein genauer Einblick in die Bücher der Bundesregierung. Dennoch und trotz aller Retuschen sind bereits die vorliegenden Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre ein vernichtendes Urteil über die Fähigkeit dieser Bundesregierung, nicht nur ihre eigenen Versprechungen zu erfüllen, sondern den drängenden Bedürfnissen unseres Staates gerecht zu werden. Für ein Kabinett, das mit dem Anspruch antrat, eine „Regierung der inneren Reformen" zu sein, ist diese Erkenntnis niederschmetternd, - niederschmetternd insbesondere deshalb, weil trotz Steuererhöhungen und einer bisher nicht gekannten Staatsverschuldung das Geld kaum ausreicht, um die Löcher der Inflation zu stopfen. Obwohl Sie, Herr Bundeskanzler, von Ihrem Amtsantritt an der deutschen Öffentlichkeit immer wieder vormachten, Sie wollten die öffentlichen Investitionen und damit die Gemeinschaftsleistungen für ,den einzelnen Bürger verstärken, haben Sie in Wahrheit nicht nur den Staat, sondern auch seine Bürger ärmer gemacht. Jede jetzt unterlassene Investition, sei es wegen der Kostenexplosion und der Inflation im Bereich der öffentlichen Hand, sei es wegen der gesellschaftspolitischen Unsicherheit oder der gesunkenen Erträge in der privaten Wirtschaft, führt zu einem künftigen Substanzverlust, ({30}) macht unser Land morgen ein Stück unmoderner und ist deshalb zuallererst ein Betrug an den jetzt jungen Menschen. Dies muß hier gesagt werden. ({31}) Der Bericht der Bundesbank über die Lage der öffentlichen Finanzen kann doch keinen Zweifel darüber lassen, daß die finanzielle Basis verspielt ist. Die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse in der deutschen Bevölkerung zu Ihren Ungunsten, ausgewiesen durch Landtagswahl auf Landtagswahl, ist doch nicht zuletzt die Konsequenz der weitverbreiteten Sorge um die weitere ökonomische und finanzielle Entwicklung in unserem Lande. Dabei ist es, so scheint mir, von entscheidender Bedeutung, daß dem Bundeskanzler die Kraft fehlt, zusammen mit allen Gutwilligen in diesem Lande, entschlossen gegen die Inflation anzukämpfen; eine Inflation, die unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung angreift und die, wenn sie weitertrabt, natürlich auch dem Ziel, von dem ich vorhin sprach, daß die Jungsozialisten formuliert haben, ein ganzes Stück näherkommt. Daran kann doch kein Zweifel sein. ({32}) Schlimmer ist, daß der Staat unter Ihrer Regierungsführung - auch hier können Sie sich wieder auf die Bundesbank berufen - mit seiner Politik der nicht inflationsfreien Haushalte mehr und mehr zum stärksten Motor der Inflation geworden ist. Wir haben heute dargetan, daß die Einkommensverteilung in Unordnung geraten ist, daß die 10 Millionen Rentner zu den am stärksten Betroffenen gehören, daß die Vermögensverteilung durch diese Politik immer ungerechter wird. Deshalb, meine Damen und Herren, glauben wir mit sehr vielen Mitbürgern draußen - die werden sich durch das, was man jetzt an Appellen und Demonstrationen zu organisieren versucht, ebensowenig davon abbringen lassen, das zu tun und zu denken, was sie für vernünftig halten, was sie, so wie wir es tun, nach Prüfung ihres Gewissens als ihre Überzeugung bezeichnen - sagen zu müssen: wir lassen uns weder bedrohen noch erpressen noch provozieren. Wir gehen den Weg, den wir im Interesse dieses Landes für notwendig halten. Es ist Zeit zur Umkehr! Weg von einem Weg der Illusionen und der Versprechungen, hin zu Solidität und Stabilität! Darauf kommt es an. ({33}) Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht nur eine Methode für Wirtschaftswachstum, sondern der Ausdruck einer Gesinnung. Wer da den Ertrag wegsteuern will, will ihn eigentlich sozialisieren, und wer die Leistung durch die Steuer bestraft, kann dreimal am Tag „Soziale Marktwirtschaft" sagen, er baut in Wirklichkeit den Motor des Fortschritts und künftiger Wirtschaftskraft aus. ({34}) Wer - wie die Jungsozialisten - nicht frei ist von der Rückkehr in klassenkämpferisches Denken, der wird eben mit Sozialer Partnerschaft das Stück inneren Friedens und sozialen Ausgleichs und Fortschritts nicht erreichen, das dieses Land früher einmal gehabt hat. Es bedarf in allen diesen Fragen einer ungeschminkten Bestandsaufnahme. Wir werden uns dabei der Mitarbeit aller kompetenten Stellen versichern und das Ergebnis der Öffentlichkeit in allen Einzelheiten vorlegen. Unser Bemühen wird es sein, die verlorengegangene Basis der Stabilität Schritt um Schritt wiederherzustellen für den Fortschritt, für den wir in der Zeit der Opposition konstruktive Vorschläge gemacht haben. An die Stelle der Versprechungen muß wieder der Wille treten, Politik als die Kunst des Möglichen und als die Verpflichtung zur Solidität zu begreifen. Unsrem Ja zur Sozialen Marktwirtschaft, von dem ich eben sprach, unserem Ja zur Sozialen Partnerschaft und zur humanen Leistungsgesellschaft entspricht unser ebenso entschlossenes Nein zu allen Ideologien und Plänen, die lediglich unsere Ordnung überwinden, die, so Karl Schiller, „eine andere Republik" wollen. ({35}) Wir wollen diese Republik, diesen freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in dem sozialer Ausgleich und Stabilität allein solide Reformen ermöglichen. Wir wollen diese Republik, deren Fundamente wir zunehmend gefährdet sehen. Gestützt auf diese Sicherheit, auf die Gewißheit und das Vertrauen in das gegebene Wort wird das Entscheidende im wirtschaftlichen und sozialen Ablauf wieder eintreten, nämlich Vertrauen und dadurch Investitionen und Wirtschaftskraft. Ich möchte eines nicht verfehlen, und ich sage dies heute, weil ich nicht die Absicht habe, mich morgen an der Debatte zu beteiligen. Die öffentlich sichtbare Zerrissenheit im Lager der Koalition zwingt dazu, im Interesse der Gesundheit des parlamentarischen Systems die in der Verfassung vorgesehene Möglichkeit zur Alternative und die Handlungsfähigkeit der Opposition unter Beweis zu stellen, allein auf dem Wege, den das Grundgesetz uns allen anzeigt; ein Weg übrigens - ich wiederhole dies, da der Bundeskanzler die Ausführungen Hans Katzers dazu heute morgen wohl überhört hat -, den die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten bereits zweimal im Lande Nordrhein-Westfalen, übrigens auch mit Erfolg, gegen uns angewandt haben. Wir werden es diesmal umdrehen, meine Damen und meine Herren. ({36}) Ich kann aber nicht verschweigen - dies, Herr Bundeskanzler, ist notwendig zu sagen, weil Sie einige Ausführungen zum Klima gemacht haben -, daß unser Mißtrauen die parteipolitische Bandbreite überschritten hat, daß wir Sorgen haben um diesen freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Diese Bundesregierung hat ihr Wort nicht gehalten. Es ist nicht nur nichts moderner, gerechter und sozialer geworden, wie es versprochen war. Die versprochenen Steuersenkungen sind der Wirklichkeit von Steuererhöhungen und anwachsender Staatsverschuldung gewichen. Die versprochene Preisstabilität besteht in der Wirklichkeit einer trabenden, hausgemachten Inflation. Das versprochene Wirtschaftswachstum besteht in Null. Herr Bundeskanzler, meine Aussage, die Sie vorhin zitierten, heißt: Wir sind im Wirtschaftswachstum das Schlußlicht in Europa geworden und in der Inflation in die Spitzengruppe vorgedrungen. Dies ist die Realität, und wenn Sie die gesunkenen Investitionen dazunehmen, ergibt sich das Bild, das eben verheerend ist. Sie hatten, Herr Bundeskanzler, den Wählern - gestützt auf ein Votum beider großen Fraktionen zur Zeit der Regierung des Kollegen Kiesinger - versprochen, die DDR nicht als einen zweiten deutschen Staat ins internationale Leben zu bringen. Das haben Sie den Wählern gesagt. Getan haben Sie das Gegenteil, und dies Entscheidende, ohne die westlichen Verbündeten darüber zu konsultieren. ({37}) Das, meine Damen und Herren, sind doch die Tatsachen. Informationen, um die wir baten, wurden uns vorenthalten. Die Existenz der Verhandlungen Bahrs wurde, wie das später amtlich abgedruckte Bahr-Papier, geleugnet. Herr Bundeskanzler, e i n m a l hat man uns an der Nase herumgeführt, und auf Grund dieses damals entstandenen Mißtrauens müssen Sie uns schon erlauben, zu sagen: wir wollen alles sehen, bevor hier verantwortlich entschieden wird! ({38}) Denn die Darstellung, die die Bundesregierung zur Inhaltsangabe über das Vertragswerk gibt, weicht fundamental von dem, was die Sowjetunion sagt, ab. Lesen Sie hierzu auch den Text, den Außenminister Gromyko vor dem Obersten Sowjet vorgetragen hat. ({39}) So erweisen sich manche Versuche der Interpretation erneut als der Versuch, die Dinge anders darzustellen, als sie sind. Nichts aber ist schlimmer als ein internationaler Vertrag, der von diesem so und von dem anderen anders ausgelegt wird. ({40}) Das ist Konfliktstoff für morgen, und da wir ein kleines Land sind, der Partner aber eine atomare Großmacht ist, ist dies ein besonders ernstes Problem. Ich füge hinzu, Herr Bundeskanzler: Die Bundesregierung mißbrauchte am letzten Donnerstag Regierungsrechte, ({41}) nämlich das Vorrecht, das Fernsehen wie den Rundfunk jederzeit für amtliche Erklärungen in Anspruch nehmen zu dürfen. ({42}) Diese Erklärung war aber nichts anderes als der Versuch, diese Opposition und ihren Vorsitzenden öffentlich herabzusetzen, ihm zu nahe zu treten und ein Bild zu zeichnen, das wahrheitswidrig ist. ({43}) Dieser Mißbrauch von Regierungsrechten, Herr Bundeskanzler, ist ein wesentlicher Grund für die Situation, die Sie hier heute und morgen erleben! ({44}) Ich muß ein anderes hinzufügen: Der Bundeskanzler erklärte heute vor 14 Tagen auf meine Vorhaltung, die sich auf amtliche Unterlagen gründete, daß Zahl und Wirksamkeit der Aktionseinheiten zwischen kommunistischem „Spartakus" und „Sozialdemokratischem Hochschulbund" an einzelnen deutschen Universitäten anwüchsen, die Sozialdemokratie habe sich davon distanziert. Auf die Vorhaltung, dann müsse man diesen Leuten doch untersagen, den Namen der Sozialdemokraten zu führen, wurde mir vom Kanzler erwidert, das ginge nicht. Herr Bundeskanzler, ich bin dem nachgegangen. Der „Sozialdemokratische Hochschulbund" hat in einer Dokumentation vom 30. Oktober 1971 eine Vereinbarung vom 3. Juli 1961 zwischen dem SPD-Vorstand und diesem Hochschulbund zitiert. Danach hat Ihr Vorstand dem SHB, dem „Sozialdemokratischen Hochschulbund", das Recht zuerkannt, sich „sozialdemokratisch" zu nennen, ({45}) und hat diesem Bund mitgeteilt, dies sei eine widerrufliche Genehmigung. ({46}) Wo ist dieser Widerruf, Herr Bundeskanzler? ({47}) Meine Damen und Herren, wir stellen fest, daß Kollegen, die aus ernsten Gründen - ich sprach davon - der Politik treu bleiben, die sie den Wählern versprachen, und sich nun, weil inzwischen ihre Partei in diesen Fragen untreu wurde, aus Gewissensnot anders orientieren. Wir sehen, wie diese heruntergemacht werden. Wir sehen nach der mehr als merkwürdigen Prozedur der Zurückziehung von Kollegen aus dem Auswärtigen Ausschuß, daß morgen hier eine parlamentarische Praxis versucht werden soll, zu der heute morgen einiges kritisch gesagt worden ist. Herr Kollege Wehner, ich beneide Sie nicht um die Lage, daß Sie sich in die Rolle bringen, es Ihren Kollegen der Fraktion gütigst zu gestatten, sich an einer geheimen Abstimmung zu beteiligen, nur dann so, daß jeder dies sehen kann. ({48}) Auf diesem Wege wird der Artikel 38 des Grundgesetzes entwertet und ein Schritt zur Kontrolle getan. So wenig sicher sind Sie also entgegen allen Ihren öffentlichen Erklärungen Ihrer Mehrheit, daß Sie sich solcher Methoden der Einschüchterung bedienen wollen! ({49}) Auf diese nicht gesicherte Mehrheit hin haben dann der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister vielen Staaten der Welt Zusicherungen gemacht. Das, Herr Bundeskanzler, ist unverantwortlich, und das ist abenteuerlich! ({50}) Es gibt aber in diesem Hause genug freie Abgeordnete, die Zivilcourage und Gewissen nicht nur in Sonntagsreden beschwören, sondern in parlamentarischer Alltagsarbeit zu handhaben wissen. Es war unverantwortlich, Herr Bundeskanzler, diese Ostverträge zu unterzeichnen, ohne sich vorher der parlamentarischen Mehrheit zu vergewissern. ({51}) Es war unverantwortlich, trotz dieser objektiv gegebenen Ungewißheit ausländischen Regierungen leichtfertig Zusagen zu machen und die Entwicklung anderer internationaler Fragen von der ungewissen Entscheidung des deutschen Parlaments abhängig zu machen. ({52}) Es war, Herr Bundeskanzler, unverantwortlich, immer wieder die Begründung für die Verträge zu wechseln. Wo ist die Zeit hin, als die Verträge aus sich selbst gelobt wurden? Wo ist die Zeit der Euphorie Ihrer Fernsehansprache aus Moskau? Dann priesen Sie die Verträge mit Hoffnungen, die keiner belegen kann. Jetzt begründen Sie sie mit der Notwendigkeit, diesen zuzustimmen, weil sonst ein „Desaster" eintreten würde. Dies, Herr Bundeskanzler, ist unverantwortlich. Denn wer in einer parlamentarischen Demokratie so weit geht, ohne sich der Mehrheit zu vergewissern, der ist in der Gefahr, hier allen Schaden zuzufügen. ({53}) Ich glaube, es war unverantwortlich, das Prestige ausländischer Mächte und befreundeter Staaten in die ungeklärten Risiken der deutschen Innenpolitik einzubeziehen. ({54}) Meine Damen und Herren, über die Haltung der drei Westmächte - ich komme nachher in anderem Zusammenhang noch einmal darauf zurück - habe ich am 7. September 1970 nach einer Rundreise durch die drei Hauptstädte etwas gesagt. Übrigens, Herr Bundeskanzler, erinnern Sie sich, daß wir damals - 7. September! - eine Erklärung mit Einlassungen zu Berlin abgaben, der Sie zum Wochenende öffentlich und zuvor intern zustimmten? Herr Bundeskanzler, mindestens eines sind Sie, und zwar möglichst bald, dem Kollegen Stücklen und mir schuldig: zu klären, ob der Teil der von uns als Fälschung empfundenen, von der Regierung als überwiegend richtig bestätigten Mitteilungen über Herrn Bahr und Berlin zutreffen. Dann, Herr Bundeskanzler, dann wäre eine Position von Herrn Bahr zu Beginn des Jahres 1970 weggegeben worden, die die Basis unserer monatelangen Zusammenarbeit im Interesse einer Berlin-Lösung war. ({55}) Ihr Wort an uns und das Wort Bahrs - nur eines kann wahr sein. Herr Bundeskanzler, ich sage dies so ganz ruhig. Aber das, glaube ich, sollte in Ordnung kommen. ({56}) Meine Damen und Herren, die drei Westmächte wahren ihre Interessen und ihre Rechte. Sie sagen in aller Form, die deutschen Interessen zu formulieren und zu vertreten, sei Sache der jeweiligen Bundesregierung. Sie sagen, das Berlin-Abkommen sei ihre Sache, diese Verträge stünden hier zur Abstimmung, niemand wünsche sich hier einzumischen; das Wichtigste seien die Partnerschaft und die Freundschaft zur Demokratie in Deutschland, und zur Demokratie gehöre das Recht, ja oder nein zu sagen; und wie immer wir votieren, Partnerschaft, Freundschaft und Schutzgenossenschaft bleiben davon unberührt. Dies ist die Wirklichkeit. ({57}) Und zu Moskau: Wir übersehen nicht die geringfügige Bewegung Moskaus und Ost-Berlins auf einen Teil unserer Forderungen hin. Dies sind Zeichen dafür, daß hier nicht mit Geduld ausverhandelt worden ist. Dies sind Zeichen eines, nicht voll ausgenutzten Handlungsspielraums und Folgen der Festigkeit und der Geschlossenheit der CDU/CSU in diesem Hause. ({58}) Ich habe, Herr Bundeskanzler, meine Kolleginnen und Kollegen, allen Anlaß, davon auszugehen, daß die Sowjetunion zwischen dem Scheitern der Verträge und dem Hinausschieben der Entscheidung sehr wohl unterscheidet. Die nachhaltige Gesprächsbereitschaft der Sowjetunion mit jeder deutschen Bundesregierung in der Zeit vor dem Scheitern ist ebenso unbestreitbar wie der Wille, auf jeden Fall ein Arrangement zu bekommen. Ich beziehe mich auf das, was der Kollege Schröder früher von dieser Stelle gesagt hat. Und es ist doch so, Herr Bundeskanzler, daß Ihr engster Mitarbeiter dies auch sehr gut weiß und sagt. Herr Bahr gestern: „Es wird bei einem Erfolg des CDU/CSU-Mißtrauensvotums zunächst einen Stopp in den Verhandlungen mit der DDR geben." - Dies ist klar. Eine neue Regierung braucht ein paar Wochen, sich hier vorzustellen. Dies heißt „zunächst". Aber es wird weiter gesprochen, und es wird hier, meine Damen und Herren - daran kann kein Zweifel sein - weiter Friedenspolitik gemacht werden. ({59}) Was anderes eigentlich hat Konrad Adenauer, was anderes Ludwig Erhard und was anderes Kurt Georg Kiesinger betrieben als Friedenspolitik?! ({60}) Wir haben hier in der Debatte zur ersten Lesung des Vertragswerkes unsere Alternative vorgetragen. Im übrigen haben wir auch damals, Herr Bundeskanzler, nicht, wie Sie öffentlich immer erklärten, gesagt, wir wollten die Verträge für die nächsten Generationen liegenlassen, sondern wir haben gesagt: „Machen wir hier ein Abkommen! Lassen wir sie jetzt einmal liegen! Versuchen wir, uns über ein gemeinsames innerdeutsches Programm mit dem Ziel der Freizügigkeit zu verständigen! Dann wollen wir mal sehen, wie es wird." Auch das haben Sie ab10660 gelehnt. Herr Bundeskanzler, Sie haben Gemeinsamkeiten nicht gewollt. ({61}) Sie haben sie nicht gewollt; das ist der Punkt. ({62}) - Herr Kollege Wehner hat gehört, was ihm Herr Katzer vorher hat sagen können. Wir sehen es, meine Damen und Herren, nach wie vor als ein wichtiges Ziel an, die Beziehungen zur Sowjetunion, zu Polen, zur Tschechoslowakei im Wege von Gewaltverzichtsverträgen zu verbessern, um zu verbesserten Verhältnissen im geteilten Europa zu kommen. Herr Bundeskanzler, lassen Sie sich noch einmal sagen: Es ist unverantwortlich, wenn Sie andere als sich selbst für die insgesamt entstandene Lage verantwortlich machen, innenpolitisch und außenpolitisch. ({63}) War es nicht so - ich nenne dieses Beispiel, weil mich jeder im Hause daran soll erinnern können -, daß vor dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die damalige Bundesregierung - und es gab ja immer Streit zwischen der damaligen Opposition und Konrad Adenauer in diesen Jahren - der Führung der Opposition die noch völlig geheimen Texte der Vertragsentwürfe durch den Staatssekretär des Auswärtigen Amts übergeben ließ? War es nicht so, daß Sie darüber interne Beratungen hatten, daß Sie eine Reihe von Punkten vorlegten und Anregungen machten, bis dann

Not found (Kanzler:in)

Na gut, Herr Carstens, fahren Sie los durch die fünf Staaten, und versuchen Sie, etwas zu erreichen! ({0}) - Dann konnten Sie, die damalige Opposition, nicht leugnen, daß hier von uns, der Regierung, etwas erfüllt worden ist und wir auch mal ein gemeinsames Stück Außenpolitik machen. So kann man in der parlamentarischen Demokratie - bei aller sonstigen Kontroverse - zwischen Regierung und Opposition vorgehen. Wir werden uns durch diesen Tag und durch morgen und durch manche Töne des Bundeskanzlers nicht davon abhalten lassen, daß für uns alles weitergilt, was wir in diesem Hause über die Notwendigkeit der Kooperation aller in den großen Fragen, über den inneren Frieden und über die Solidarität der Demokraten gesagt haben. Dies alles gilt. Wir werden hier nicht hitzköpfig; denn nur aus Ernst der Lage und aus Verantwortung ist diese Situation entstanden, in die Sie, Herr Bundeskanzler, dieses Haus und andere weit darüber hinaus geführt haben. ({1}) Meine Damen und meine Herren, im übrigen gilt, was wir gesagt haben - ich wiederhole: zu Europa, zur Ostpolitik -, es gilt all das, was wir hier verbindlich erklärt haben. Das ist so verbindlich wie unsere Erklärungen zur sozialen Marktwirtschaft. Nur: Friedens- und Entspannungspolitik, die diesen Namen verdienen, müssen frei sein von Machtdenken, von Hegemonie; sie müssen auf dem beiderseitigen Willen zur Aussöhnung ebenso aufbauen wie auf der gegenseitigen Achtung der elementaren Rechte und Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten. Dazu sollten ein System bedingungsfreien Gewaltverzichts, ein System gegenseitiger Rüstungskontrolle, ein System ausgewogener Abrüstung und ein System der vermehrten und verbesserten Zusammenarbeit auf allen Gebieten der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur sowie der ungehinderte Kontakt über alle Grenzen hinweg treten. Dies aber geht nur mit der EWG und nicht ohne die EWG, weil sonst, wie wir alle wissen - die hat die Kompetenzen bereits -, dieser Austausch und diese Zusammenarbeit nicht gültig sind. Ich wiederhole an dieser Stelle, was wir in Moskau und danach erklärt haben und was uns von den verantwortlichen Führern dort bestätigt worden ist: Frieden und Zusammenarbeit sind die wesentlichen Aufgaben dieser Zeit. Für uns gilt das ebenso wie das andere. Nur muß eine Friedens- und Entspannungspolitik real sein, und sie kann die uns moralisch und verfassungsrechtlich gebotene Forderung nach Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts nicht beiseiteschieben. Wir sehen durchaus die Realität der DDR und wir sehen die wirkliche Lage; nur ist sie so, wie sie ist, für uns nicht annehmbar. Diese Grenze, um deren Anerkennung es in dem Vertrag doch geht, ist undurchlässig, ist inhuman, ist in ihrer Inhumanität verstärkt worden, wie wir hier ausgeführt haben; denn den 125 zusätzlich geschlossenen Telefonleitungen, über die wir uns freuen, stehen eben eine vermehrte Zahl von Bunkern und eine leider angestiegene Zahl von Toten gegenüber. Dieses Ganze gehört in das Bild, und diese Wirklichkeit muß anders werden. Wir wollen im anderen Teil Deutschlands keine Hoheitsrechte in Anspruch nehmen; aber wir wollen, daß auch über die Zeit der Teilung Deutschlands Bedrohung und Behinderung der Freizügigkeit auf dem Wege von Deutschland nach Deutschland entfallen. Wir verstehen unter der Lösung der deutschen Frage weder Anschluß noch Eingliederung, sondern einen geschichtlichen Prozeß, dessen einzelne Stationen heute keiner absehen kann, für den wir aber heute den Weg nicht verbauen dürfen, indem wir die Spaltung zementieren. ({2}) Dabei ist es für uns selbstverständlich - und da brauchen Christliche-Demokraten keinen Unterricht von anderen -, daß wir überall das Wohl und die Sicherheit unserer europäischen Nachbarn berücksichtigen; denn das wirklich Neue auf außenpolitischem Gebiet nach dem Kriege ist doch, daß diese Bundesrepublik Deutschland ihre Außenpolitik und ihre Interessen wie ihre Verteidigungskraft eingebettet hat in die Kraft der westlichen Welt. Dies soll und muß so bleiben, meine Damen und Herren. ({3}) Keinem unserer Nachbarn wäre gedient, wenn wir uns hier billig machten und krank würden dadurch, daß jetzt oder morgen Jüngere kommen und sagen: Was habt ihr mit dem natürlichen Recht dieses Volkes, so zu leben, wie es will, gemacht? ({4}) Wir lassen uns nicht ablenken. Kern und Ziel der deutschen Ostpolitik in dieser europäischen Einordnung ist die Verbesserung der Lage der Deutschen in Deutschland. Auch für diesen Bereich gilt der zentrale Maßstab unserer Politik. Wir wollen Fortschritt. Er ist nur dort gegeben, wo die Menschen, nicht die Apparate etwas davon haben, wo also die Menschenrechte und deren soziale Basis alltagswirksam gestärkt werden. Frieden, meine Damen und Herren, fängt zu Hause an. Wenn ich sehe, mit welchen Methoden in den letzten Wochen und in diesen Tagen manche Leute versuchen, diese Politik durchzusetzen, dann, meine Freunde, muß ich sagen: wer den äußeren Frieden will, der muß zunächst einmal die innere Toleranz und den inneren Frieden beweisen. ({5}) Frieden ist doch dort - dies ist nicht unsere Formulierung , und Entspannung ist dort, wo Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen entsteht. So sind die Beschlüsse des westlichen Bündnisses, so ist unsere Position. Warum eigentlich soll in Deutschland nicht der Entspannungsmaßstab gelten, den die freie Welt für das Ganze verbindlich festgelegt hat? Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, am Beginn Ihrer Politik sah das doch auch bei Ihnen anders aus. In der Aussprache dieses Hauses, die wir am 20. März 1970 hier hatten, am Tage nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Erfurt, haben wir nach den Gegenleistungen der anderen Seite gefragt, nach europäischen Ansätzen, nach Minderheitenschutz, nach der Durchlässigkeit von Grenzen, nach Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen. Damals hat der Bundeskanzler von dieser Stelle aus erklärt: Zur Normalisierung der Beziehungen genügen nicht allein förmliche Dokumente. Die Menschen hüben und drüben müssen von der Normalisierung etwas haben. Es gelte, Fortschritte zu erzielen, die mehr Freizügigkeit bringen und den Menschenrechten Raum schaffen. Solche Sätze haben uns natürlich veranlaßt, Ihnen hier und dort auch Unterstützung zu geben und zu sagen: Jawohl, dies kann ein gemeinsames Ziel sein. Was hat sich geändert, Herr Bundeskanzler, seit Sie am 14. Januar 1970 hier in diesem Hause von dieser Stelle erklärten, beiderseits akzeptable Vereinbarungen auf den Gebieten der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Verkehrswesens und der Post, der Kultur, des Sports, des Informationsaustausches seien zur Deckung des Nachholbedarfs nötig, den wir im Vergleich zu den Beziehungen mit anderen hätten. „Dieser Nachholbedarf muß erfüllt werden," - so Ihre Worte - „bevor wir zu besonders engen Beziehungen kommen, ..." Sie sagten, es müsse gleichzeitig um diese Erleichterungen gehen. So ginge dies immer weiter. Welch weiter Weg, dann, wenn wir diese Position behalten, die wir vor anderthalb Jahren miteinander hatten, uns hier beschimpfen lassen zu müssen! ({6}) Welch weiter Weg von diesen Ihren Sätzen, Herr Bundeskanzler, bis zu dem aus der vergangenen Woche am 19. April im deutschen Fernsehen: „Es gibt keine Freizügigkeit zwischen kommunistischen Staaten, und ich kann mir schwer vorstellen, daß es Freizügigkeit in unserem Sinne zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Staaten gibt." Welch weiter Weg! Meine Damen und Herren, wir wissen auch: Dies ist nicht alles an einem Tage möglich. Aber warum wird dann eigentlich nicht unser Stufenplan zur Erreichung dieser Zwecke aufgenommen? Da wird von der einen Seite der Koalition erklärt: Illusorisch!, von der anderen Seite wird gesagt: Alles unsere eigenen Ideen! Warum fällt es Ihnen so schwer, dies zusammenzutun? ({7}) Sie, Herr Bundeskanzler, wollen dies nicht. Erlauben Sie mir noch ein Wort zu dem „Desaster". Wer hier von Desaster spricht, sät natürlich Mißtrauen in die Entschlossenheit von Freunden. Wenn man sich auf alle möglichen Erklärungen beruft. Sie haben ja neulich hier, als ich Sie dazu aufforderte, keine aus den USA bringen können, obwohl Herr Wehner behauptete, Sie könnten es -, wenn Sie sich auf Stellungnahmen des Bündnisses berufen, so bitte ich doch - das gilt auch für alle Kollegen des Hauses -, genau zu lesen: Das Bündnis begrüßt Vertragswerke als „Modus vivendi". So sind sie hier auch dargestellt worden: als eine vorübergehende Beschreibung der Dinge. Herr Bundeskanzler, wollen Sie hier wirklich nicht klar mitteilen, daß dies aus der Sicht der Sowjetunion endgültige Regelungen sind? Wollen Sie das nicht auch Ihren Verbündeten mitteilen, damit diese nicht vom Modus vivendi ausgehen, der doch hier, so wie das Vertragswerk vorliegt, einfach nicht begründet werden kann? Es ist also eine Lage entstanden, die uns auch aus diesen Gründen zum Handeln zwingt. Nachdem wir wußten, daß die Mehrheit im Deutschen Bundestag für das Vertragswerk, so wie es vorliegt, nicht gesichert ist, nachdem deutlich wurde, daß das östliche Interesse am Vertragswerk so groß ist, daß Besseres möglich sein könnte, nachdem wir deshalb der Bundesregierung erneut das Zusammenwirken und die Zusammenarbeit in diesen Fragen angeboten hatten, nachdem die Bundesregierung das abgelehnt hat, müssen wir für eine bessere, solidere, mehrheitsfähige Politik eben eine andere, eine bessere Bundesregierung herbeiführen, ({8}) eine Bundesregierung, die mit Geduld den Verhandlungsspielraum ausnutzt, die zur Kooperation mit der Opposition bereit ist, und für die auch alles das gilt, was ich hier im Oktober über den inneren Frieden und die Solidarität der Demokraten gesagt habe. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Scheel.

Walter Scheel (Minister:in)

Politiker ID: 11001949

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Barzel, wenn diese Rede eben Ihre Begründung gewesen sein sollte für den Anspruch, ab morgen die Verantwortung für die Politik der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen, dann werden Sie wohl außerhalb Ihrer Fraktion keine Anhänger finden. ({0}) Sie haben als wesentliches Motiv und wesentlichen Anlaß für Ihren Anspruch noch einmal auf die Wahl in Baden-Württemberg verwiesen. Ich weiß, daß Landtagswahlen und das Ergebnis von Landtagswahlen in Ihrer Fraktion von ungewöhnlich großer Bedeutung sind. Der vor mir sitzende Professor Erhard könnte über das Ergebnis von Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen sehr wohl dazu etwas sagen. ({1}) Aber hier, Herr Dr. Barzel, haben Sie wieder einmal einen falschen Eindruck erweckt. Niemand hat bestritten, daß die CDU bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg stärkste Partei geworden ist und die absolute Mehrheit erreicht hat. ({2}) Aber wir wissen alle wie Sie, unter welchen Umständen das zustandegekommen ist. Ihr Versuch, die Tatsache wegzuleugnen, daß der Aufruf der NPD, CDU zu wählen, ({3}) dabei eine Rolle gespielt hat, ist ein untauglicher Versuch. ({4}) ({5}) Sie haben soeben einen falschen Vergleich gebracht, Herr Dr. Barzel. Sie haben gesagt, Sie wollten nicht polemisieren, sonst würden Sie fragen, wo denn die Stimmen der DKP geblieben seien. Die können Sie leicht nachsuchen und finden! Die hat nämlich dort kandidiert, und auf ihren Listen haben sich diese Stimmen angesammelt. ({6}) Gott sei Dank sind es außerordentlich wenig Stimmen. Das ist ein Beweis für die Stabilität unserer demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik. (Anhaltende Unruhe. - Glocke des Präsidenten.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren! Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. ({0}) Ich bitte auch darum, sich auf den Plätzen niederzulassen und Privatgespräche außerhalb des Saales zu führen. Bitte sehr, Herr Bundesminister!

Walter Scheel (Minister:in)

Politiker ID: 11001949

Meine Damen und Herren, ich ,darf fortfahren. Die Vermutung, daß die Landtagswahl in Baden-Württemberg, wenn sie auf ,den Bund übertragen würde, der CDU hier die Mehrheit schaffen würde, ist irrig. Wenn Sie nämlich nachzählen und rechnen, dann werden Sie feststellen, daß die Gewinne der Koalitionsparteien größer gewesen sind als die der CDU und daß auf den Bund übertragen - ,das hat der Bundeskanzler mit Recht gesagt - diese Wahl eine Stärkung der Mehrheit der Koalitionsparteien bedeuten würde. ({0}) - Ich vergleiche mit den Bundestagswahlen! Genau das ist der Fall! Wenn Sie nämlich umrechnen die Gewinne seit den Bundestagswahlen, werden Sie zu diesem Ergebnis kommen müssen. Deswegen ist es ein Irrtum, anzunehmen, daß hier ein Motiv für den Anspruch des Führers der Opposition liegen könnte, die Verantwortung für die Politik in der Bundesrepublik zu übernehmen. Wenn man diesen Anspruch stellt, dann muß man etwas Handfestes, und zwar eine von allen als besser erkannte und beurteilte Politik zu bieten haben, und die haben Sie hier nicht angeboten. ({1}) Sie haben, Herr Dr. Barzel, über die Inflation in der Bundesrepublik gesprochen, und zwar hier über ein Wort von Herrn Klasen, daß es eine hausgemachte Inflation sei. Nun ist jede inflationäre Tendenz, will ich einmal sagen, zu einem Teil hausgemacht. Daran gibt es in der ganzen Welt keinen Zweifel. Und es ist die Regierungskunst der Regierenden, diesen Teil zu kontrollieren und möglichst allgemeine Preisentwicklungstendenzen unter Kontrolle zu halten. Wenn Sie von daher einmal die Leistungen dieser Bundesregierung untersuchen, dann müssen Sie doch, wenn Sie mit sich und mit diesem Volke ehrlich sind und ehrlich sein wollen, zu anderen Schlüssen kommen, als sie die CDU bisher in ihrer Propaganda der Öffentlichkeit unterbreitet hat. Was ist denn die Wahrheit? Die Wahrheit ist, daß die ganze Welt aus einer Vielzahl von Gründen mit Preisauftriebstendenzen kämpft, die uns allen die größten Sorgen machen. ({2}) Die Wahrheit ist doch, daß in dem großen Wirtschaftsraum EWG - die neuen Mitglieder eingeschlossen - die Bundesrepublik Deutschland nicht am Anfang, sondern am Ende der Skala der Preisauftriebsbewegungen steht. Das ist doch die Wahrheit! Wer etwas anderes sagt, sagt nicht die Wahrheit. ({3}) Damit will ich doch nicht sagen, daß wir uns damit zufrieden geben können. Aber wenn selbst die Schweiz, ein Land, das in der ganzen Welt als ein Hort von Stabilität und Solidität gilt, in diesem und im vorigen Jahre Preisauftriebstendenzen hat, die die unseren übertreffen, und zwar erheblich übertreffen, dann tun doch die Schweizer das nicht aus purem Übermut, sondern weil auch sie mit einer Tendenz kämpfen, die weltweiten Charakter hat. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist einfach unredlich, wenn wir aus purer parteipolitischer Taktik die deutsche Öffentlichkeit in dieser Frage irreführen und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung negativ beeinflussen. ({5}) - Ach, was die NPD angeht, verehrter Herr Kollege Haase, so ist es doch ein Unterschied, ob man von irgend jemandem Stimmen bekommt oder ob jemand sich als Partner anbietet. Das geht von den Aufrufen dieser Partei, die unwidersprochen blieben, bis hin zu der Zurverfügungstellung des Plakatraumes, der prompt von der CDU in Anspruch genommen wurde. ({6}) Ich würde Ihnen empfehlen, darüber gar nicht zu sprechen. Ich bin absolut bereit, zuzugestehen, daß das der CDU sicherlich keine erwünschte Partnerschaft gewesen ist. Aber die Tatsache, daß diese Partnerschaft so freiwillig angeboten worden ist, sollte sie doch über den Charakter der Politik in diesem Zusammenhang, Ihrer Politik nämlich, stutzig machen, meine verehrten Damen und Herren. ({7}) Ich komme zurück zu der Frage der Preisentwicklung in der Bundesrepublik. Ich wiederhole noch einmal: das ist eine weltweite Bewegung, und wir müssen mit ihr im Innern fertig werden. Aber hier stehen wir doch vor einem Dilemma, dem Sie genausowenig ausweichen können wie wir. Wer wirkt denn überhaupt auf die Preise ein? Doch nicht nur die Bundesregierung! Auf die Preise wirken doch auch andere Kräfte ein, nicht zuletzt z. B. die Tarifpartner, die durch ihre autonomen Entscheidungen erhebliche Wirkung auf die Bewegung der Preise haben. Sie sind autonom und sie sollen autonom bleiben. Deswegen haben sie hohe Verantwortung. Ich wage hier zu sagen, daß die Tarifpartner in der Vergangenheit - wenn man auch das einmal relativ zur übrigen Welt sieht - sich vernünftig verhalten haben. Dennoch werden die Tarifpartner nicht leugnen, daß von daher ein Druck auf die Preise entsteht, der andererseits von ihnen selbst wieder sozusagen positiv verspürt wird, weil den steigenden Preisen um vieles mehr steigende Löhne gegenübergestanden sind. Führen Sie sich einmal die Zahlen vor Augen: es ist unbestreitbar, daß der Preissteigerung von 3,8 % im Jahre 1970 eine Lohnsteigerung von 15,4 % gegenübersteht, daß der Preissteigerung um 5,1% im Jahre 1971 eine Lohnsteigerung von 10,5 % gegenübersteht. Auch die entsprechenden Steigerungen der Renten dürfen nicht einfach unterschlagen werden. Durch das Rentensystem, das die CDU/CSU ganz allein verabschiedet hat oder das auf ihre Initiative hin zur Abstimmung gestellt worden ist, erhöhen sich die Renten in einem bestimmten Verhältnis zu der Bewegung des Preisniveaus, aber drei Jahre später. Sie müssen also die Rentenerhöhungen am 1. Januar 1973 und am 1. Januar 1974 den Preissteigerungen der Jahre 1970 und 1971 gegenüberhalten. Dabei steht den 3,8 % eine Rentenerhöhung um 9,5 % am 1. Januar des nächsten Jahres gegenüber, und da steht den 5,1 % eine Rentenerhöhung um 10,5 % am 1. Januar des darauffolgenden Jahres gegenüber. Das kann man doch nicht übersehen! Wir würden uns gegenseitig etwas in die Tasche lügen wenn ich einmal diesen etwas burschikosen Ausdruck benutzen darf -, wenn wir immerfort und immer wieder unsere Öffentlichkeit mit etwas groben, notabene auch falschen propagandistischen Parolen beunruhigen wollten. ({8}) Was die Preise angeht, hat die Bundesregierung im wesentlichen nur noch durch den Haushalt Einfluß. Aber da kommt auch das erste Dilemma. Wir haben zwar die Verantwortung für die Konjunktur, aber wir sind nicht die einzigen, die öffentliche Haushalte verabschieden. Diese werden verabschiedet von Bund, Ländern und Gemeinden. Jetzt schauen Sie sich einmal an, welches Konjunkturempfinden beispielsweise die Landesregierungen haben, vor allem die, die von CDU-Ministerpräsidenten geführt werden! ({9}) Das sind Fakten, meine Damen und Herren, an denen man nicht vorbeigehen kann. Wir haben doch ein Gefühl für die Nöte der Länder und auch der Gemeinden. Hier stehen wir vor dem nächsten Dilemma. Wenn wir die Preise mit dem Haushalt dämpfend beeinflussen wollen, dann müssen wir den Haushalt kürzen. Aber dann können wir nicht das tun, was wieder andere wollen, nämlich Straßen und Krankenhäuser und Schulen bauen. Aber wenn wir Krankenhäuser und Schulen bauen wollen, dann müssen wir einen Haushalt verabschieden, der möglicherweise diesen starken Druck nicht auszuüben in der Lage ist. Ich komme zu folgendem Schluß, meine verehrten Damen und Herren. Wie immer im Leben gilt es auch hier zunächst einmal, wahrhaftig zu bleiben, zweitens, den Versuch zu machen, gemeinsame Lösungen zu finden. Hier warte ich immer noch auf das Rezept aus dem Lager der Opposition, die zwar kritische Bemerkungen in Hülle und Fülle und manchmal sehr spitz formuliert vorträgt, die bisher aber nicht einen einzigen Lösungsvorschlag vorgetragen hat. ({10}) Die Regierung steht gar nicht an, hier zu erklären, daß sie im selben Augenblick, in dem ein kluger Mann, möglicherweise gar Herr Strauß, aus dem Lager der Opposition einen vernünftigen Vorschlag macht, sofort bereit wäre, ihn zu übernehmen. Bisher allerdings müssen wir dieser Mithilfe entraten. Wir würden sie annehmen, wenn sie käme. Aber wir wissen, daß auch Sie dazu nichts sagen können. Wenn Sie das nun schon nicht können, dann seien Sie doch bitte so liebenswürdig und gestehen zu, daß die Bundesregierung in dieser Frage ringt und daß sie mit Erfolg ringt, wie Sie erkennen müssen, wenn Sie einmal die Entwicklung um uns herum kritisch mit dem vergleichen, was hier ist. Eins kann man sagen: wir haben Schwierigkeiten, und wir müssen dieser Schwierigkeiten Herr werden. Aber wer heute durch die Lande geht und wer der Öffentlichkeit in Deutschland weiszumachen versucht, die deutsche Wirtschaft rutsche auf einer schiefen Ebene dem Chaos entgegen, der versteht entweder nichts davon oder er sagt die Unwahrheit oder es kommt ihm allein auf Demagogie an. ({11}) Nun hat Herr Barzel in seiner Rede, zu der ich naturgemäß nur zu einzelnen Punkten jetzt in der Replik etwas sagen kann und sagen will, ein wichtiges Problem berührt, und er hat es wie immer, obgleich es auch immer erklärt worden ist, falsch dargestellt, nämlich das Problem des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen im Zusammenhang mit dem Vertrag von Moskau und dem Brief zur deutschen Frage, den ich an den sowjetischen Außenminister geschrieben habe. Wir haben im Ausschuß und bei allen Gelegenheiten immer wieder festgestellt, daß es vielleicht möglich ist, über das Selbstbestimmungsrecht - als ein allen Menschen dieser Erde zustehendes Recht - mit Partnern jedweder Art allgemeine abstrakte Formulierungen zu finden. Aber die Vorstellung, man könnte über die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen mit der sowjetischen Regierung ein Abkommen schließen, wird wohl von niemandem in der Welt geteilt, der die Verhältnisse kennt. Das weiß jeder von Ihnen, das wissen wir. Deswegen haben wir von vornherein darauf verzichtet, in unseren Vertragsverhandlungen etwas zu tun, was 1955 bei den Gesprächen des damaligen Bundeskanzlers mit der damaligen sowjetischen Regierung - Chruschtschow und Bulganin - geschehen ist, nämlich: einen sogenannten Formelkompromiß über die Einheit Deutschlands unter bestimmten Umständen zu finden. Damals hat es eine gemeinschaftliche Erklärung zur Einheit Deutschlands gegeben. Aber jeder von Ihnen in der CDU/CSU weiß ganz genau, daß die beiden Partner, die diese gemeinschaftliche Erklärung formuliert haben, im Augenblick des Formulierens davon ausgegangen sind, daß sie mit dieser gemeinsamen Erklärung etwas gänzlich Unterschiedliches gemeint haben. Ich frage Sie ernsthaft, ob Sie eine Politik empfehlen wollen, die darin besteht, krampfhaft eine gemeinschaftliche Formulierung zu suchen, um nachher hier bewußt oder unbewußt den Eindruck entstehen zu lassen, das sei nun eine Abrede zwischen den Partnern. Ich glaube, das ist keine wahrhaftige Politik, und eine solche wollten wir auch von vornherein vermeiden. Wir haben daher in dem Brief, den ich geschrieben habe, unsere eigene Politik dargestellt und sie als unsere Politik deklariert. Wir gehen nicht davon aus, daß die Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen vertraglich mit uns vereinbaren will, weil sie möglicherweise - darüber habe ich sie nicht befragt - von der Vereinigung der Deutschen eine andere Vorstellung hat, als wir sie gemeinsam haben. Denn die Vorstellung darüber ist ja eine Vorstellung, die in diesem ganzen Hause einheitlich ist; das ist meine Meinung. Wir haben also darauf verzichtet, das irgendwie hinzubiegen, sondern haben ehrlich gesagt: Das ist unsere Politik, ihr sollt sie kennen - wir hatten den Text ja vorher mitgeteilt -, und wir wollen nur festhalten, daß der Vertrag, den wir mit Ihnen abschließen, nicht im Widerspruch zu dieser Politik steht, d, h. daß wir diese Politik treiben können, ohne daß wir irgendwie unter Hinweis auf den Vertrag daran gehindert werden. Das, meine ich, ist eine ehrliche Politik, und so können auch keine Mißverständnisse entstehen. ({12}) Nun gab es bei dem, was Herr Dr. Barzel gesagt hat, einen außerordentlich wichtigen Abschnitt: das ist die Frage nach den sogenannten „Protokollen." Herr Dr. Barzel hat auch das Wort „Protokolle" benutzt. Ich weiß nicht, ob ihm das zufällig herausgerutscht ist; die Anführungszeichen hat er nicht mitgesprochen. Wenn man in Deutschland „Protokolle" sagt, dann versteht jeder Deutsche darunter etwas ganz Besonderes. Dann versteht er darunter Protokolle, die man bei Gerichtsverhandlungen anfertigt, solche, die man bei wichtigen notariellen Akten anfertigt, solche, die von der einen oder von der anderen Seite unterschrieben werden. Deswegen ist die Benutzung des Wortes „Protokoll" für das, worum es sich hier handelt, einfach in sich schon irreführend. Denn worum handelt es sich wirklich? Es handelt sich hier doch nicht um Protokolle, die etwa von den beiden Seiten gesehen, kontrolliert, unterzeichnet oder zumindest gebilligt worden wären, sondern das, worüber in der Öffentlichkeit so viel gesprochen worden ist, sind einseitige Aufzeichnungen, die auch von ganz unterschiedlicher Qualität sind, weil sie von verschiedenen Leuten angefertigt warden sind, zum einen vorn Dolmetscher, der nebenher auch noch dolmetschen mußte, der das sozusagen nur mit der rechten Hand betreiben konnte, während er angestrengt übersetzen mußte, zum anderen von Beamten, die Notizen und dann nach Stunden oder vielleicht nach einem Tag davon Gedächtnisaufzeichnungen gemacht haben. ({13}) - Aber, Herr Dr. Barzel, das ist doch nun eine polemische Bemerkung. Das geht in der ganzen Welt nach dem gleichen Verfahren. Weil es nämlich so ist und weil es dort keine Protokolle gibt, ist es in der ganzen Welt üblich, daß Aufzeichnungen dieser Art über den Verlauf von Verhandlungen eben keinerlei rechtlichen Charakter haben und zur rechtlichen Wertung der Verträge nicht herangezogen werden können. ({14}) Aber das weiß jeder, und es wissen am besten die sachverständigen Kollegen von der Oppositionsfraktion. Ich will doch nicht etwa behaupten, daß Sie das nicht wissen, sondern ich unterstelle, daß Sie es wissen. Aber obgleich Sie es wissen, nutzen Sie das geringere Wissen der Öffentlichkeit und der Menschen in Deutschland aus, um damit für Ihre Interessen Boden zu gewinnen, um nicht zu sagen, damit Polemik zu betreiben. ({15}) Herr Dr. Barzel hat soeben Herrn Kliesing als ) Historiker zitiert, der gesagt habe, daß sich der Historiker auf die Quellen stützen müsse und daß er natürlich unter Quellen immer nur die gesamten Quellen verstehe. Sehen Sie, Herr Dr. Barzel, wenn ein Historiker beim Quellenstudium auf Notizen stößt und sie für seine historischen Schlüsse auswertet, dann hat er manchmal - wenn es ein Zeitgeschichtler ist, sogar meistens - Pech, weil ein anderer Historiker unter Berufung auf dieselben Notizen etwas völlig anderes daraus entnimmt und eine völlig andere historische These daraus entwikkelt. Wenn das der Fall ist, Herr Dr. Barzel, gibt es normalerweise bei solchen Auseinandersetzungen zuverlässige Schiedsrichter: das sind die zeitgeschichtlichen Zeugen solcher Verhandlungen, die noch leben und die dazu etwas sagen können. Nun, die zeitgeschichtlichen Zeugen der Verhandlungen von Moskau leben alle noch, und sie haben alle dem Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestanden. Jeder von ihnen saß dort am Tisch, und jeder von ihnen ist Beamter der Bundesrepublik Deutschland, jeder von ihnen stand unter Amtseid. Wenn die Abgeordneten der Opposition wirklich zuverlässig etwas über den Verlauf und den Gang der Verhandlungen hätten wissen wollen, dann hätten sie sich dieser Zeugen bedienen können, und sie haben das auch getan. Wer aber Papieren, die er noch nicht einmal ganz kennt und von deren Bedeutung er genaue Kenntnis haben muß, mehr glaubt als diesen deutschen loyalen Beamten, der disqualifiziert sich, meine Damen und Herren. ({16}) Das ist es doch - das unterliegt auch gar keinem Zweifel, wir wissen das alle -, warum die CDU/ CSU über diese Dinge in der Öffentlichkeit gesprochen hat: doch nicht, weil ihr etwa daran gelegen ist, eine neue Theorie über die Verwendung von Notizen über den Gang von Verhandlungen zu entwickeln, sondern weil sie der Diskussion über den Inhalt der Verträge ausgewichen ist. Darüber ist überhaupt nicht gesprochen worden. Ich habe die Vermutung: entweder weil sich hier die Meinungen doch sehr weitgehend angenähert haben oder weil sich die Opposition offenbar, was die Verwertung des Inhaltes der Verträge angeht, noch besondere Absichten für die Zukunft aufgespart hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, daß wir in dieser Frage wirklich zu einer Einheitlichkeit und zu einer vernünftigen Wertung kommen sollten. Es ist für eine Regierung schier unerträglich und nicht nur für sich selbst, sondern als Institution, d. h. auch für ihre Nachfolgeregierung unerträglich , daß mit einer Diskussion der Art, wie sie hier geführt worden ist, ihre Handlungsfähigkeit in der Zukunft so eingeschränkt wird, daß es sich zu unser aller Schaden auswirken wird. Denn es ist nun einmal so, daß in Verhandlungen - das weiß jeder - auch die Taktik eine gewisse Rolle spielt. Jeder Verhandlungsführer hat eine eigene Taktik, und jeder Mensch draußen weiß, daß man Verhandlungen naturgemäß nicht nach dem Verlauf beurteilen kann, nach der Aufzeichnung über den Verlauf, sondern nach dem Ergebnis. Wenn ich Ihnen das an einem einfachen Beispiel erläutern darf: Wenn ich von meinem Nachbarn ein Haus kaufen möchte, dann beginnt sozusagen mit diesem Wunsch die Verhandlung darüber. Dann wird er mir sagen, er will es mir für 200 000 DM verkaufen, aber nur bis zum Samstag nächster Woche, weil dann ein anderer Käufer zu dieser Summe schon eine feste Zusage hat. Aber ich werde ihm sagen, daß ich nur 100 000 DM auslegen will und daß ich auch gar nicht mehr zahle, weil das Haus miserabel ist, einen Stützbalken hat, in dem der Holzwurm ist, die Farbe abblättert und die Straße, die vorbeiführt, das Haus ohnehin bald zum Einsturz bringen wird. Mit diesen Argumenten hin und zurück verhandeln wir insgesamt anderthalb Jahre, und nach anderthalb Jahren kaufe ich das Haus für 150 000 DM. Dann kann man doch nicht hergehen und in der Öffentlichkeit sagen, ich sei natürlich ein vollkommener Tor, weil ich jetzt sogar 50 000 DM mehr für das Haus zahlte, als es von mir vor anderthalb Jahren bewertet worden sei, und obgleich ich damals gesagt hätte, daß ein Stützbalken drin sei, in dem der Holzwurm sei, und ich ja wissen müsse, daß das nicht besser, sondern schlechter werde. Also, meine Damen und Herren, jeder weiß doch, daß der Verlauf von Verhandlungen mit dem Ergebnis wenig zu tun hat. Ich kann also auch Verträge nur vom Ergebnis her interpretieren, aber nicht von der Aufzeichnung über den Verlauf der Verhandlungen. Das geht jedem ein, der ein einziges Mal Verhandlungen geführt hat. Deswegen meine ich, meine verehrten Damen und Herren, auch von der Opposition, wir sollten es nun genug sein lassen. Es hat gestern oder heute irgendein Kommentator in einer Zeitung geschrieben - und ich fand, das war richtig -, man hätte erwartet, daß die CDU jetzt vor allem im Hinblick darauf, daß sie die Absicht habe, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, über diese Frage nicht weiter diskutieren würde, weil sich das sicherlich zum Schaden aller auswirken müßte. Damit sollten wir es auch jetzt gut sein lassen. ({17}) - Ja, damit sollten wir es gut sein lassen. Meine Damen und Herren, nur eines muß ich, so meine ich, noch einmal erwähnen, weil Herr Dr. Barzel im Zusammenhang mit einer Äußerung des Bundeskanzlers darauf gekommen ist. Es handelt sich um die Mitteilung des Bundeskanzlers irgendwo in Baden-Württemberg, daß man damit rechnen müsse, daß noch eine Wahlbombe dieser Art kommen würde. Und Herr Dr. Barzel hat daraus geschlossen, daß er sich überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt entschlossen hätte, über diese Dinge zu sprechen. Ich will das letzte, weil ich ja ein gutgläubiger Mensch bin, ({18}) Herrn Dr. Barzel glauben. ({19}) Das will ich gar nicht in Frage stellen. Aber, Herr Dr. Barzel: Als der Bundeskanzler dazu überhaupt Stellung genommen hat, waren die Texte schon gedruckt oder zumindest im Druck; Sie kennen die Andruckzeiten der Zeitungen, die diese Texte nachher veröffentlicht haben. Hier lag also nicht etwa ein auslösendes Element vor, sondern die volle Kenntnis dessen, was mit langer Hand über Monate im Zusammenspiel vieler Kräfte vorbereitet gewesen ist, hat Veranlassung gegeben, ein Wort dazu zu sagen, und ich meine, gerade noch früh genug, meine Damen und Herren. ({20}) Herr Dr. Barzel, Sie haben dann damit begonnen, Ihren Mißtrauensantrag von morgen zu begründen. Sie haben zunächst einmal zum Formalen gesagt, daß dies keine Novität sei, sondern daß in der Bundesrepublik Deutschland schon häufiger Mißtrauensanträge gestellt worden seien. Sie haben sich dabei wie Ihr Kollege Katzer vor allem auf den Mißtrauensantrag gegen die Regierung des Ministerpräsidenten Karl Arnold in Düsseldorf bezogen. ({21}) - Ja, Herr Marx, warten Sie ab, was ich jetzt sage; dann werden Sie gar nicht mehr so erfreut über diese Parallele sein. - Hier muß ich doch die Öffentlichkeit auf einen wesentlichen Unterschied hinweisen. Herr Dr. Barzel, 1956, als die Regierung in Düsseldorf durch einen Mißtrauensantrag geändert wurde, handelte es sich nicht darum, daß eine Fraktion mit der Hilfe von Überläufern sich in die Macht hineinzustehlen versuchte, ({22}) sondern da handelte es sich darum, daß eine neue Koalition gebildet wurde, weil die CDU als Koalitionspartner der FDP den Versuch unternahm, mit Hilfe eines neuen Wahlgesetzes ihren eigenen Partner umzubringen. Das war der Hintergrund! ({23}) - Das war der Hintergrund! - Daß hier bei diesem Vergleich, meine sehr verehrten Damen und Herren, außer dem Unterschied auch noch viel Gemeinsames angeklungen ist, werden Sie wohl gemerkt haben. ({24}) - Nun, Sie müssen etwas differenzierter denken und auch sprechen. ({25}) Niemand in diesem Hause hat das jemals gesagt. Niemand in diesem Hause! ({26}) - Sie müssen das sehr differenziert lesen! ({27}) Das ist die gleiche Vergröberung, die Sie hier bei der Wertung einer Feststellung der Bundesregierung anwenden, wie Sie sie auch bei Ihrer politischen Propaganda immer anzuwenden belieben. Aber Vergröberungen in der Politik führen meist zu schlechten Ergebnissen. ({28}) Herr Kollege Barzel hat dann im Zusammenhang mit der Begründung für den Mißtrauensantrag über die Osteuropapolitik und die Deutschlandpolitik gesprochen und vor allem darauf hingewiesen, daß nach seiner Meinung gerade auch die Rede des Außenministers Gromyko und sein Frage- und Antwortspiel mit einzelnen Abgeordneten für ihn beweise, daß es hier in der Auslegung des Vertrages zwischen der Bundesregierung und der sowjetischen Regierung gravierende Unterschiede gebe. Auch ich habe diese Rede gelesen, und ich habe auch das Frage- und Antwortspiel gelesen, allerdings auch wieder sehr sorgfältig und differenziert. Wenn das Wort „Anerkennung" in dieser Rede vorkommt, dann höre ich nicht auf zu lesen, sondern ich lese dann auch weiter, was für eine Anerkennung denn gemeint sein könnte, nämlich Anerkennung der Realitäten in Europa zum Beispiel. Ich höre dann nicht vor lauter Schreck auf und denke, jetzt ist die Anerkennungstheorie wieder aufgelebt, sondern ich betrachte das sehr subtil. Wenn man das tut, kommt man zu dem Schluß, meine Damen und Herren von der Opposition, daß das, was der Außenminister, was die Bundesregierung in den vielen Diskussionen im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages zum Vertragsinhalt gesagt hat. Es unterscheidet sich davon nicht; nur unterscheidet sich die Interpretation der CDU über die Interpretation des Außenministers Gromyko von unserer Meinung. Das allerdings! Das kann man gar nicht vermeiden, weil die CDU, von ihrer eigenen Position ausgehend, immer zu anderen Schlüssen über den gleichen Tatbestand kommen wird als andere. Da ist die CDU aber mit Sicherheit nicht in einer großen Mehrheit. Sonst mehrheitsgewohnt, muß sie sich sagen lassen, daß sie sich hier auch in weltweitem Maßstab in einer Minderheit befindet. Das ist nun einmal so. ({29}) In diesem Zusammenhang soll noch einmal gesagt werden, weil Herr Dr. Barzel darauf eingegangen ist, daß in der Tat die Verträge, die wir mit der Sowjetunion und mit Polen abgeschlossen haben, Verträge sind, die man mit dem Begriff Modus vivendi charakterisieren kann und charakterisieren muß. Das ist ist nicht etwa ein Gedanke, der ganz neu ist. Ich erinnere mich daran, daß nach der Berlin-Krise, nämlich dem Bau der Mauer und dem anschließenden krisenhaften Zustand 1962, der damalige Bundeskanzler Adenauer in seinem Gespräch mit Kennedy, als er seine Reise in die Vereinigten Staaten machte, zum erstenmal gerade den Gedanken mit einem westlichen Partner besprochen hat, ob man nicht mit Hilfe eines Gewaltverzichtsvertrages das Problem der Grenzen einschließlich der DDR und der Berliner Frage, soweit das mit „Grenze" zu bezeichnen ist, in der Art eines Modus vivendi regeln könne, solange es keinen Friedensvertrag gebe. Genau das haben wir getan, denn es ist ja unbestreitbar: es gibt keinen Friedensvertrag, und niemand hat behauptet oder wird behaupten, daß die Verträge, die wir abgeschlossen haben, Friedensverträge seien. Niemand kann das behaupten oder wird das behaupten. Und was ist dann das, was wir abgeschlossen haben, sonst als eine Regelung, die unter den Begriff Modus vivendi zu fassen ist? Auch Herr Adenauer hat damals schon die Lösung dieser Frage sehr unter den politischen Umständen gesehen, unter denen diese Frage hätte gelöst werden können. Er war realistisch genug, sich über die Lösung der deutschen Frage keine illusionären Vorstellungen zu machen. Das tut wohl auch von uns niemand. Aber wenn wir uns schon keine illusionären Vorstellungen über die Lösung machen, sollten wir auch in der deutschen Öffentlichkeit keine illusionären Vorstellungen entstehen lassen, noch viel weniger wecken. ({30}) Herr Dr. Barzel hat gesagt, es sei unverantwortlich von der Regierung, daß sie unsere westlichen Verbündeten in den Glauben versetzt habe, sie habe eine Mehrheit in diesem Bundestag, die von keiner Seite gefährdet sei. So etwas jemandem zu sagen, der Augen hat zu sehen, der Ohren hat zu hören, der lesen kann und die Verhältnisse kennt, wäre doch wohl töricht gewesen. Die ganze Welt ist sich genau darüber im klaren, wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind. ({31}) Sie ist sich auch darüber im klaren, welche angestrengten Versuche die CDU-Fraktion macht, das ihr durch die Wahl zugewachsene Potential durch andere Mittel als Wahlen zu verstärken. Ich sage das sehr wertfrei. Darüber sind im Ausland sehr wohl sehr detaillierte Kenntnisse vorhanden. Selbst wenn wir es gewollt hätten, hätten wir unter diesen Umständen niemanden täuschen können über die Härte der Entscheidung, die hier zu treffen ist. Aber eines ist doch sicher - und das können Sie aus der Geschichte allerdings genau entnehmen -: wirklich schwere Entscheidungen in der Politik sind nie mit großen Mehrheiten getroffen worden. Dazu gehört nämlich Mut und Tatkraft. ({32}) Nun haben Sie ja, meine Damen und Herren, Tatkraft im letzten Wahlkampf auf Plakaten beschworen, aber in diesem Zusammenhang bisher noch nicht bewiesen. ({33}) Da steht der Beweis noch aus. Sie haben Mut und Tatkraft deswegen nicht bewiesen, weil Sie Sorgen gehabt haben dem von Ihnen als möglich erachteten potentiellen Wählerreservoire gegenüber. Das ist eine Belastung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, die Ihnen durch die von Ihnen aus gesehen sicherlich nicht erwünschte Partnerschaft aus der anderen Ecke zugewachsen ist. Mit dieser Belastung müssen Sie fertigwerden, jetzt und auch in der Zukunft. ({34}) Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie damit fertigwerden. Glauben Sie doch nur nicht, daß ich Ihnen wünsche, Sie würden nicht damit fertig! Ich gehöre nicht zu denen, die der Meinung sind, daß eine große demokratische Partei etwa Schaden nehmen sollte. ({35}) Im Gegenteil! Ich gehöre zu denen, die der Meinung sind, daß das ein stabilisierendes Element ist. Deswegen wünsche ich, daß Sie damit fertigwerden. Aber es wird mir doch kein ernsthafter Mensch bestreiten wollen, daß das eine Hypothek ist, mit der Sie fertigwerden müssen. ({36}) Sagen Sie doch lieber, daß Sie diese Hypothek zwar sehen, daß Sie sie aber bewältigen werden! Dann wären wir ja alle zufrieden. ({37}) - Nun reden Sie doch nicht von den Altliberalen! Diese Altliberalen haben mit den jungen Liberalen dafür gesorgt, daß wir jedenfalls in Baden-Württemberg einen erheblichen Stimmenzuwachs erreichen konnten. ({38}) Das haben Sie bei Ihren Überlegungen, die Sie angestellt haben, auch völlig übersehen. Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu dem, was Herr Dr. Barzel gesagt hat, zu der Meinung unserer westlichen Verbündeten. Denn unsere westlichen Verbündeten unterstützen die Bundesrepublik Deutschland in dieser Politik der Entspannung in Europa nicht deshalb, weil sie von uns etwa bestimmte Zusagen über die Ratifizierung der Verträge bekommen hätten, weil wir sie dazu gedrängt hätten, diese Unterstützung zu gewähren aus Gründen, die nur in unseren deutschen Interessen lägen, sondern die Verbündeten unterstützen uns in dieser Politik, weil sich diese Politik in voller Übereinstimmung mit den Interessen des gesamten Westens befindet, ja, weil sie ein Teil des westlichen Bündnisses geworden ist, ohne den dieses westliche Bündnis seine Kohärenz teilweise verlieren würde. Das ist doch der Hintergrund. Weil das so ist, müssen wir ja auch besorgt darüber sein, welche Entwicklung entstehen würde, wenn wir die Ratifizierung der Verträge nicht bewerkstelligen sollten. Ich gehöre nicht zu denen, Herr Dr. Barzel - Sie werden das von mir nie gehört haben , die sagen: Dann ist die Politik in der Welt zu Ende. Keineswegs! Es hat überhaupt noch nie eine Zeit gegeben, in der die Politik zu Ende gewesen wäre, weder die Weltpolitik noch die eines bestimmten Landes. Aber eines wird man doch nicht bestreiten können: Nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch unsere Partner in den westeuropäischen Bündnissen, in der EWG, in der NATO, auch die Vereinigten Staaten müßten beim Scheitern der Ratifizierung selbstverständlich ihre eigene politische Position überdenken und sich etwas Neues einfallen lassen, weil dieses wichtige Element ihrer Politik weggefallen wäre. Das ist nicht zu bestreiten. Sie müssen wissen, daß sich der amerikanische Präsident Nixon sicherlich nicht daran hindern lassen wird, nach Moskau zu reisen. Die Verhandlungen mit der Sowjetunion liegen nämlich in seinem Interesse, liegen im Interesse der Vereinigten Staaten und im Interesse der ganzen Welt. Ich denke daran, daß er Teilabkommen über die Begrenzung der atomaren Rüstung treffen will. Daran wird er sich nicht hindern lassen. Er darf sich gar nicht hindern lassen. Unsere westeuropäischen Nachbarn, die Franzosen, die Belgier, die Niederländer und die Italiener, werden sich nicht daran hindern lassen, die einmal eingeleitete Entspannungspolitik in Europa fortzusetzen, weil es in ihrem und im Interesse Europas liegt, daß sie das tun. Sie dürfen sich gar nicht daran hindern lassen. Aber eines sollten wir bedenken: Ob in dieser Art europäische Entspannungspolitik die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen schlechthin so gewahrt werden, wie wir es mit unserer Politik eingeleitet hatten, das wage ich doch füglich zu bezweifeln. Wir müssen befürchten, daß die europäische Entspannungspolitik dann möglicherweise an uns vorbeilaufen wird, ohne unsere Interessen im gleichen Maß zu berücksichtigen, wie wir es jetzt erreicht haben. Das ist die Frage, vor der wir stehen. ({39}) Der Führer der Opposition hat auch hier etwas sozusagen als sein Regierungsprogramm verkündet; es war ja eine Art Regierungsprogramm, wenn man auch mit dem, was Sie hier gesagt haben, nicht umfassend regieren könnte. Sie haben soeben die Meinung vertreten, die Sie auch in manchen öffentlichen Reden vertreten haben, man müsse der Entscheidung ausweichen, man müsse die Verträge liegenlassen und dürfe sie nicht behandeln. Meine Damen und Herren, hinter der Formel, man müsse die Verträge liegenlassen und man müsse in der Politik warten können und warten, verbirgt sich in Wahrheit doch nicht etwa staatspolitische Weisheit, wie sehr man auch den Versuch machen möchte, das als die wahre Motivation darzustellen, nein, hinter dieser Formel verbergen sich in Wahrheit die Angst vor einer notwendigen schweren Entscheidung und das bequemere Nichtstun in der Politik. ({40}) Wir haben uns fragen müssen, ob das die richtige Politik in unserer Zeit ist. Die Bundesregierung hat sich fragen müssen, ob es nach 25 Jahren nicht notwendig ist, endlich das zu tun, was die Menschen hier und heute brauchen und was sie hier und heute wollen, und nicht länger zu warten. ({41}) Das ist das Motiv für unser Handeln. Wir sind nämlich der Meinung, daß man, nachdem eine ganze Generation die menschlichen Erleichterungen, um derentwillen wir doch überhaupt Politik machen, nicht hat erleben können, die wir jetzt zum erstenmal, wenn auch nur in Ansätzen, erreichen konnten, nachdem eine ganze Generation in der Zwischenzeit, seit Ende des Krieges, gestorben ist, nicht eine weitere Generation sterben lassen kann, bevor man praktisch etwas tut. Auch eine sehr weite Reise fängt mit dem ersten Schritt an; wer den nicht tut, kommt nie ans Ziel. ({42}) Deswegen haben wir durch diese Vertragspolitik die Möglichkeit auch für Gespräche mit der DDR geöffnet, wir haben vor allem aber doch die Möglichkeit für die Berlin-Regelung geöffnet, auf die die Berliner schon seit Jahren gewartet haben, und jetzt haben wir den ersten sichtbaren Schritt getan. Ich möchte die Abgeordneten der CDU/CSU fragen, ob sie wirklich in dieser Situation, wo das ganze Volk erkannt hat, daß hier die ersten sichtbaren Schritte getan worden sind, die erfolgversprechende Politik erwarten lassen, das Ganze gefährden wollen. Ich meine, das kann doch kein verantwortlicher Politiker in Deutschland wollen. ({43}) Herr Dr. Barzel hat gesagt, diese Verträge zementierten die Spaltung Deutschlands. Ich muß Sie, Herr Dr. Barzel, doch ernsthaft fragen, mit welchem Grad von Aufmerksamkeit Sie in den letzten 20 Jahren durch Deutschland gefahren sind. Wer heute der Meinung ist, daß es zur Spaltung Deutschlands noch irgendwelcher Mengen an Zement bedürfe, der muß doch mit Scheuklappen durch dieses Land gefahren sein. ({44}) Es geht doch nicht um die Spaltung! Dieses Deutschland ist seit dem Kriege von Jahr zu Jahr mehr und mehr gespalten worden, es ist immer tiefer gespalten worden, die beiden Teile sind weiter auseinandergerückt. Jetzt geht es doch darum, ({45}) endlich einen Versuch zu unternehmen, trotz dieser Tatsache zwischen den beiden Teilen Deutschlands mehr Kommunikation herzustellen, damit sich die Menschen wieder sehen und treffen können, damit sich die Menschen das Gefühl bewahren, Angehörige einer einzigen Nation zu sein. ({46}) Herr Dr. Barzel, das ist doch neben der Sorge um den Frieden in Europa das wesentliche Motiv für unser politisches Handeln, ein politisches Handeln, von dem ich noch einmal sagen möchte, daß es doch nicht isoliert geschieht, sondern in unsere westlichen Bündnisse eingebettet ist; es ist eingebettet auch in die NATO, die die alleinige Grundlage unserer Sicherheit ist und sicher auf lange Zeit bleiben wird. Das alles haben wir doch nicht übersehen! Was wir in Gang gesetzt haben, ist eine Außenpolitik, die von der Erfahrung ausgeht, daß in den vergangenen 20 Jahren die gesteckten Ziele, vor allem, was die deutsche Frage angeht, nicht erreicht werden konnten, und die deswegen andere Akzente gesetz hat, die abgerückt ist von der reinen Konfrontation und von der öden Beschimpfung, die viel- mehr sagt: Da, wo praktische Möglichkeiten bestehen, wo man sich in praktischen Fragen auch vertraglich einigen kann, wollen wir das über die ideologischen Grenzen hinweg tun; die unterschiedlichen Systeme bleiben doch bestehen. Ich glaube, auch die Opposition will doch der deutschen Öffentlichkeit nicht etwa weismachen, daß mit einer Vertragspolitik gegenüber Osteuropa, die den Frieden sichern soll, die uns der Begegnung der Menschen in Deutschland näherbringen soll, etwa der Kommunismus eingeführt werden soll. Das ist doch barer Unsinn, meine Damen und Herren, und das kann von einem ernsthaften Politiker doch wirklich nicht behauptet werden. Leider ist es von Politikern - im Wahlkampf zumal - behauptet worden, aber die kann ich nicht als ernsthaft bezeichnen. ({47}) Wir sitzen in diesem Parlament doch nicht erst seit gestern. Ich habe doch die Ehre, diesem Parlament - im nächsten Jahr in jedem Fall - nahezu 20 Jahre anzugehören. Ich habe in diesen 20 Jahren doch kein Geheimnis aus meiner politischen Meinung gemacht. Das ist doch etwas, was alle diejenigen unter Ihnen, die mich so lange kennen, wissen. Sie kennen mich, Sie kennen meine Freunde. Sie wissen doch wirklich, daß wir nicht die Absicht haben können, gesellschaftliche Veränderungen dieser Art hier in der Bundesrepublik einführen zu wollen. So etwas anzunehmen, ist doch barer Unsinn. Es ist einfach - lassen Sie mich das einmal kameradschaftlich sagen -etwas unredlich, einem Kollegen, den Sie so lange kennen, durch pauschale Urteile so etwas implizite mit unterstellen zu wollen. ({48}) Ich wiederhole also noch einmal, daß diese Politik nicht nur um des Friedens in Europa willen betrieben worden ist, sondern auch um der deutschen Frage willen. Aber der Friede in Europa liegt uns am Herzen, einfach aus der historischen Erfahrung. ({49}) - Ich bestreite das doch nicht; aber ich komme darauf zu sprechen, was zur Erreichung des Friedens nötig ist. ({50}) - Das habe ich nie bestritten. Meine Damen und Herren, ich behaupte keineswegs, daß die CDU/CSU in ihrem Wollen, ,den Frieden zu erhalten, zu festigen und zu garantieren, etwa weniger anbietet oder anzubieten hätte als andere. Ich unterstelle, daß der Friedenswille in diesem Parlament auf allen Seiten gleich stark ist. Aber auf den Willen allein kommt es ja nicht an. ({51}) Ganz im Gegenteil! Es kommt darauf an, daß man diesen Friedenswillen in praktisches Handeln umsetzt, und das haben Sie bisher versäumt. ({52}) Und hier kommt eben die historische Reminiszenz: Wodurch ist der zweite Weltkrieg nicht zuletzt ausgelöst worden? ({53}) Dadurch, daß man nicht nach allen Seiten, mit den Nachbarn und auch mit den ehemaligen Kriegsgegnern, zu vertraglichen Regelungen gekommen ist. Meine Damen und Herren, viele von Ihnen gehören der gleichen Generation an, der ich angehöre. Sie werden mir verzeihen, wenn ich hier ein persönliches Bekenntnis ablege. Ich habe vor dem Kriege die Zeit mitgemacht, in der man uns beige10670 bracht hat, wir seien ein Volk ohne Raum. „Volk ohne Raum" war ein Werk, das zu den populärsten gehörte, das damals gelesen wurde. Unsere Lehrer - nicht alle, aber zum großen Teil - haben uns in dem Gedanken erzogen, man müsse sich diesen verlorenen Lebensraum im Osten, d. h. in Osteuropa nun endlich wiederholen. Das war dann der Beginn eines schrecklichen Krieges, ({54}) aus dem, wie ich meine, wir alle, alle aus meiner Generation eine tiefe Überzeugung mitgebracht haben, ({55}) nämlich die, daß für uns seit dieser Zeit Krieg, Gewalt, Gewaltandrohung, Gewaltanwendung, Gebietsanspruch - oder wie man es immer benennen mag - jeden Sinn verloren haben. ({56}) Das ist die Überzeugung, die wir mitgebracht haben. Wenn ich heute lese, daß der Europäische Kongreß der Kriegsopfer, der in Rom - zum erstenmal unter Beteiligung nicht nur der Kriegsopferverbände des Westens, sondern auch von Kriegsopferverbänden Osteuropas - stattgefunden hat, einen Appell erlassen hat, in dem es unter anderem heißt: Wir erklären, daß Frieden und Sicherheit nur von Dauer sein können, wenn alle europäischen Staaten die absolute Unverletzlichkeit der Grenzen zwischen Staaten gewährleisten, sich verpflichten, die nationale Souveränität in allen ihren Aspekten zu achten - das schließt auch die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein -, auf jegliche Art von Drohung und Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen zu verzichten, dann sehe ich, daß nicht nur hier in diesem Hause, sondern in der ganzen Welt ein tiefes Gefühl dafür entstanden ist, was heute in der europäischen Politik not tut. Dieses tiefe Gefühl ist sowohl hier als auch bei unseren westlichen Nachbarn als auch bei den Völkern Osteuropas vorhanden. Wir, die Bundesregierung, fühlen die Verantwortung, in diesem Sinne unsere Politik fortzusetzen und für die Ratifizierung der Verträge unter allen Umständen zu kämpfen, weil nämlich die Ratifizierung der Verträge die Voraussetzung für eine vernünftige Politik der Entspannung in Europa ist. ({57})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt ({0}).

Dr. Klaus Dieter Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Redner der Opposition, Herr Katzer und der Fraktionsvorsitzende, Herr Barzel, haben sich bei ihrer Kritik der Wirtschafts-und Finanzpolitik dieser Bundesregierung vor allem auf ein Dokument bezogen, das seit heute mittag den Abgeordneten dieses Hauses zugänglich ist, auf den Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank vom Jahre 1971. Passagen aus diesem Geschäftsbericht bilden auch die Grundlage für einen Antrag zur Stabilisierung der Staatsfinanzen, den die Opposition für die dritte Lesung gestellt hat. In den Reden der Kollegen Barzel und Katzer haben wir einige Auszüge aus diesem - Nicht-Protokoll - Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank gehört. Ich erlaube mir nun, nachdem dieses Dokument zugänglich ist, meinerseits diese Auszüge, die wir hier gehört haben, zu ergänzen. Ich beschränke mich auf den Teil, der in diesem Geschäftsbericht mit „Allgemeiner Überblick" überschrieben ist, und gehe nicht auf die Spezialkapitel weiter hinten ein, weil ich Grund habe zu der Annahme, daß nur dieser Allgemeine Überblick die Meinung d e r Bundesbank und nicht nur einzelner Bankdirektoren wiedergibt. ({0}) Da endet der erste Absatz, Herr Althammer, mit folgendem: Im monetären Bereich bestand das erhebliche Ungleichgewicht im Verkehr mit dem Ausland fort. Die sehr hohen Nettokapitalimporte hielten an und die damit verbundenen Devisenzuflüsse nahmen den binnenwirtschaftlichen Stabilisierungsmaßnahmen, nicht zuletzt auch der Kreditpolitik der Bundesbank, zeitweilig jede Erfolgschance. Das ist der erste Absatz. Dann heißt es in diesem Kapitel „Allgemeiner Überblick" weiter: Es gab zwei Dinge, die zur stabilisierenden Entlastung im vorigen Jahr beitrugen. - Auf Seite 9! Eine gewisse antizyklische Wirkung wurde durch eine Erhöhung der Einnahmen erzielt. Bereits 1970 war der zehnprozentige Konjunkturzuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeführt worden. Er ist ohne Sie eingeführt worden! Das nächste: Einen gewissen Beitrag zur Entspannung auf den inländischen Märkten haben im Jahre 1971 die Veränderungen im Waren- und Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland geleistet. Durch ,die De-facto-Aufwertung der D-Mark seit Mai 1971 haben die Preisrelationen zum Ausland sich zunehmend zugunsten der Bundesrepublik verändert. Dieser Schritt der Freigabe der Wechselkurse bis hin zur endgültigen Stabilisierung der internationalen Währungslage hat sich auch zum großen Teil ohne Sie, nicht ohne Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard - der hat im Ausschuß unterstützt -, aber ohne die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vollzogen. Das sind die beiden großen Stabilisierungsaktionen des Jahres 1970 und 1971 gewesen. Dr. Arndt ({1}) Was die Haushalte anbelangt, so beklagt die Deutsche Bundesbank, daß die Haushalte im vorigen Jahr nicht antizyklisch gefahren wurden, und verweist auf den Sachverständigenrat. Aber was sagt der Sachverständigenrat in seinem Gutachten unter Ziffer 158? Allein der Bund hielt sich an das vorgesehene Stabilitätsprogramm. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?

Dr. Klaus Dieter Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Arndt, wären Sie so freundlich, auch die weiteren Sätze im Anschluß an die Sätze vorzulesen, die Sie vorhin gebracht haben, wo es nämlich heißt: Mißt man die gesamte konjunkturpolitische Wirkung der Fiskalpolitik an der Veränderung ,der Kassensalden der Gebietskörperschaften, so ergibt sich für 1971 jedoch leider ein expansiver Effekt.

Dr. Klaus Dieter Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich, das habe ich ja soeben gesagt. Da fragen Sie einmal Ihre Landesfürsten, da fragen Sie einmal Ihre Kommunalpäpste, woher das kommt! Schauen Sie sich einmal ,die Zuwachsrate des Etats in Baden-Württemberg im vorigen Jahr an! ({0}) Nein, das ist nicht vergleichbar! Stabilität gilt immer nur für die anderen. Das ist eben das Problem, dem sich Ihre Fraktion einmal stellen müßte, wenn Sie hier Verantwortung tragen und nicht wieder versagen wollen wie 1965 und 1966. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001025, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Arndt, würden Sie zugestehen, daß wir bei der ersten Beratung des Haushalts den Vorschlag gemacht haben, wenigstens zur Beratung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung eine Grundannahme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden von dieser Regierung aus zu schaffen, und daß diese Regierung dazu nicht in der Lage war, wie damals selbst der Bundesfinanzminister zugegeben hat?

Dr. Klaus Dieter Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, was wollen Sie tun, wenn die Schwüre im Finanzplanungs- und Konjunkturrat von Ihren Freunden in den Ländern nicht gehalten werden? ({0}) Sie würden vielleicht den Bundesgrenzschutz schik- ( ken; wir machen das nicht. ({1}) Was die Bundesausgaben und den Bundesetat für 1972 anbelangt, so machen Sie sich da keine Sorgen! Auch er wird konjunkturgerecht gefahren werden, und er ist nach dem Stande der gegenwärtigen Überlegungen - das kann ich von mir aus sagen - vollauf gerechtfertigt. Erlauben Sie mir nun, noch zwei Dinge hervorzuheben. Im vorigen Jahr wurde eine seit 1969 anhaltende Konjunkturüberhitzung gebrochen. Seit dem Frühjahr 1971 - das steht, wie fast überall, auch bei der Deutschen Bundesbank -- steigt das Wirtschaftswachstum, steigt die Nachfrage nicht mehr, konnte ein Stabilisierungsprozeß einsetzen, der uns der Preisstabilität etwas näher gebracht hat. Und es ist am Ende des Jahres gleichzeitig erreicht worden, daß diese Stabilisierung der Konjunktur, die Brechung der Überhitzung nicht in eine Rezession einmündete. Auch das ist anders als 1965/66 gewesen. ({2}) Da macht mich nun eins nachdenklich, was Herr Dr. Barzel in seiner bemerkenswerten, wirklich nachdenkenswerten Rede gesagt hat. Er und mit ihm die Unions-Fraktionen würden in der Finanzpolitik das Steuer herumwerfen. Was kann das heißen? Was kann das heißen bei einem Etat, der in etwa konjunkturgerecht ist und in dem gewisse Schärfen nach dieser oder jener Seite im Laufe des Jahres entweder durch den Eventualhaushalt oder durch Haushaltssperren noch abgeglichen werden können? Das kann doch, zumal auch auf gesetzgeberische Maßnahmen hingewiesen wird, eigentlich nur heißen: Sie wollen zum Ausgleich und zur Verminderung des mich gar nicht so schreckenden Defizits von 7 Milliarden DM - aber gut, wenn Sie es als einen hohen Eigenwert ansehen - entweder die Steuern erhöhen - das geht aber in die Preise, wenn das ernsthaft gemacht wird, und wirkt destabilisierend -, oder Sie wollen eine radikale Kürzung der Ausgaben mit Haushaltssicherungsgesetzen, Sie wollen die Wiederauflage einer bereits einmal erprobten Politik, die Wiederauflage einer Politik, die uns in die Rezession geführt hat. ({3}) Ich kann mir durchaus vorstellen, daß bei den Arbeitsniederlegungen, die heute an dieser und jener Stelle im Bundesgebiet geschehen, darunter in meiner Heimatstadt Berlin, die Sorge um den Arbeitsplatz den Hintergrund abgibt. ({4}) Ich glaube, dieses Haus und dieses Volk können von den künftigen Rednern der Opposition erwarten, daß sie sagen, was das Stabilisierungsprogramm meint, daß sie nicht auf Sachverständige hinweisen, die ihnen das sagen sollen. Wollen Sie Steuern erhöhen, oder wollen Sie die Staatsausgaben zusammenstreichen? Wollen Sie höhere Preise, oder wol10672 Dr. Arndt ({5}) len Sie eine saftige Arbeitslosigkeit? Das wollen wir wissen. ({6}) Die Unsicherheit, die in den Betrieben bei den Arbeitern Platz greift - ({7}) - Herr Althammer, Sie werden die Wirtschaftszeitungen lesen. Wie war die Börse seit Montag? Sie ist Montag heruntergegangen, sie ist gestern heruntergegangen, und wahrscheinlich wird sie auch heute heruntergegangen sein. Das ist die Unsicherheit der Wirtschaft. Sie ist nicht sicher, ob Sie es nicht doch schaffen, diese Regierung und damit die Stabilität in diesem Lande zu stürzen. ({8}) - Stabilität ist für einen Politiker, Herr Althammer - gestatten Sie, daß ich das so als Amateur in der Politik sage -, etwas mehr als der Lebenshaltungskostenindex. Zur Stabilität gehört auch, daß ein Volk, ein Staat und daß die Menschen auf eine absehbare Zeitspanne sich politisch von außen und von innen sicher fühlen. Dazu hat die Regierung mehr beigetragen als alle anderen. ({9}) Aber Sie brauchen nicht zu glauben, daß ich dein ) Thema Preissteigerungen ausweiche. Denn ich habe ja so eingeleitet: Die Bundesbank sagt für sich: Die Devisenzuflüsse nahmen den binnenwirtschaftlichen Stabilisierungsmaßnahmen, nicht zuletzt auch der Kreditpolitik der Bundesbank, zeitweilig, d. h. solange nicht gefloatet wurde, jede Erfolgschance. Da kann man sagen: Die Bundesbank wirft das Handtuch in der Geldpolitik und sagt: Wir können bei festen Wechselkursen nicht zur Stabilisierung beitragen. Wir mußten z. B. Anfang des Jahres - auch das steht dort - mit den Zinsen im Inland heruntergehen, obwohl das den Erfordernissen der Stabilität entgegengesetzt war, obwohl wir, der Zentralbankrat, wußten, daß wir damit bei den Zinssätzen für kurzfristige Spareinlagen unter die laufenden Preissteigerungen kommen. Dennoch haben wir das machen müssen, um weitere Devisenzuflüsse abzuwehren. - Die Bundesbank wirft - wenn Sie so wollen - das Handtuch. Ich sehe das nicht so. In meinen Augen erklärt die Bundesbank, daß es unmöglich ist, von einem Land allein gegen die Inflationierung in dieser Welt und vor allem gegen die ökonomischen Probleme von Washington anzukommen. Ein bißchen gilt dies auch für die Finanzpolitik; der Finanzminister möge mir das nachsehen. Auch dort gibt es Grenzen in der internen Stabilisierungspolitik. Auch dort können Einsparungen lediglich zu vermehrten Ausfuhrüberschüssen nach gewisser Zeit führen und damit nur zu einer Verlagerung des einen Inflationsherdes auf einen anderen, ohne daß damit für das Volk etwas gewonnen ist, nur daß die Brücken und die neuen Straßen woanders und nicht bei uns Menschenleben sparen. Vor dieser Entscheidung steht also auch diese Bundesregierung. Sicherlich muß man auch an die übrige Welt denken. Aber es ist wohl nicht gerechtfertigt, die eigene Entwicklung dieses Landes auf dem Altar einer Zielsetzung zu opfern, die national nicht mehr zu erreichen ist. Was die internationale Koordination anlangt, so glaube ich, ohne diese Bundesregierung und ihren Einsatz hätte es das Währungsabkommen von Washington nicht gegeben. ({10}) Ohne ihren Einsatz hätte es nachher auch eine Zinspolitik nicht gegeben, die dieses Abkommen wenigstens funktionsfähig hält, indem die Amerikaner veranlaßt wurden, gegen ihren Willen mit ihren Zinssätzen hinaufzugehen. Ich bin sicher, daß dieser Weg weitergegangen werden kann. Ich begrüße es sehr, daß die Deutsche Bundesbank etwas Deutliches sagt zu den Möglichkeiten des gespaltenen Wechselkurses, von dem sie nicht viel hält, von Devisenkontrollen, von denen sie meint, daß sie nur vorübergehend funktionieren, und von dem, was eigentlich notwendig ist, nämlich daß man Wechselkurse häufiger an die internationale Entwicklung anpassen sollte, und zwar die EWG geschlossen als Ganzes, so wie es ab jetzt sein müßte. Aber ich habe noch einen Wunsch an die Bundesregierung. Die Europäischen Gemeinschaften sind ja auch eine handelspolitische Verpflichtung. Wir haben gegen den Willen dieser Regierung und der sie tragenden Parteien eine Agrarpolitik und eine Agrarmarktordnung, die, was auch immer sie den Landwirten bringen oder nicht bringen mag, bedeutet, daß dieses Europa veranlaßt wird, nach innen zu schauen. Jetzt, wo die Zuständigkeiten in der Handelspolitik auf Ministerrat und Kommission übergehen, wird es entscheidend für die Zukunft und die Stellung Europas in der Welt darauf ankommen, daß sich nicht zu der Agrarmarktordnung eine Industriemärkteordnung oder eine Dienstleistungsmärkteordnung hinzugesellt. Die nationalen Erbschaften in bezug auf Zölle und Kontingente sind zahlreich. Auch die Importbehörden werden ja übernommen mit ihrer speziellen Einstellung, alles auf Maul- und Klauenseuche hin zu überprüfen. Es bedarf da schon einer großen Anstrengung, um klarzumachen, daß Europa stark ist und daß der Starke in der Handelspolitik vorleisten muß, - nicht um amerikanische Gegenleistungen zu bekommen; sie haben im Moment nichts zum Gegenleisten. Wir müssen vorleisten in der Hoffnung, daß wir damit einen Beitrag zur Wiederstabilisierung des Landes geben können, von dem ja letzten Endes unser wirtschaftliches Schicksal und damit auch die Preisstabilität abhängt, nämlich den USA. Nun darf ich mir noch einen abschließenden Satz über eine weitere Auslassung von Herrn Dr. Barzel erlauben. Er sagt: Wir wollen diese Republik, und zwar sagt er das im Gegensatz zu anderen, die eine andere wollen. Sie sagten das mehrere Male, Herr Barzel. Dennoch haben Sie vorher 15 Minuten lang die Lage dieser Republik geschmäht. Sie wollen Dr. Arndt ({11}) diese Republik, aber Sie wollen sie nicht so, wie sie ist. Sie wollen sie nicht in ihrem guten und stabilen Zustand. Sie wollen irgend etwas anderes. Aber vielleicht wollen Sie auch nur die Macht in dieser Republik. ({12}) Vielleicht ist es das, auf das sich eine so breitgefächerte Fraktion wie Ihre allein einigen läßt, auf ein Motto etwa „der Staat als Beute" und nicht viel mehr. ({13}) Auch wir haben unsere Schwächen. Wir wollen die Welt gern neu einkleiden. Aber diese, Ihre Schwäche haben wir nicht. Deswegen können Sie sicher sein, daß wir diese Regierung hier verteidigen werden, zu ihrer Politik stehen, die auf dem Gebiet, von dem ich hier rede, besser kaum hätte gemacht werden können. ({14}) - Herr Kollege Strauß, wenn sich tatsächlich ein anderes Resultat ergäbe, würden Sie es sehr schwer haben, irgendein Programm mit dieser Ihrer Fraktion zu verwirklichen. ({15}) Daran sind Sie schon damals gescheitert. Sie sind sich einig im Nein. Aber 1965 und 1966 war Ihre Fraktion nicht in der Lage, eine adäquate Politik zu formulieren. Alles, was Sie noch sagen konnten, war: Wir sind für Stabilität und Wiedervereinigung. Das war Ihre Politik, und das hat dieses Volk beinahe an den Rand des Abgrunds gebracht. Aber darüber ist es jetzt hinaus. ({16})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als im Oktober 1969 diese sozialliberale Koalition die Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland übernahm, gab es ganz sicher in einigen Kreisen der Arbeitnehmer Befürchtungen, ob denn jetzt nicht ein Stillstand auf dem wichtigen Felde der Sozial- und Gesellschaftspolitik eintreten würde. Inzwischen sind zweieinhalb Jahre vergangen. Das, was Herr Kollege Katzer heute morgen als Angriff auf diese Regierung vortrug, bezog sich vorwiegend auf den Bereich der Sozial-und Gesellschaftspolitik. Ich glaube, wenn man ganz nüchtern eine Bilanz aufstellt, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 noch keine Zeit gegeben hat, in der so viele und so weitreichende Veränderungen im Sinne breiter Schichten unseres Volkes eingetreten sind, wie von 1969 bis heute. ({0}) - Ich werde Ihnen das gleich an einem Beispiel erläutern. Der Kollege Katzer hat heute morgen auf den Bereich der Betriebsverfassung hingewiesen. Ich bin mit ihm der Meinung, daß das ein sehr wichtiger Bereich ist, denn für 24 Millionen Arbeitnehmer, die ein Drittel des Tages in den Betrieben verbringen, hat das Betriebsverfassungsgesetz die gleiche Bedeutung wie das Grundgesetz für te Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Hören Sie jetzt genau zu, Herr Franke! ({2}) In der Zeit von 1952 bis heute, also in 20 Jahren, ist das Betriebsverfassungsgesetz, obwohl sich viele Wandlungen in der Wirtschaft vollzogen haben, nicht ein einziges Mal novelliert worden; das Grundgesetz hingegen ist in dieser Zeit dreiunddreißigmal geändert worden. ({3}) Die Arbeitnehmer haben sich sicherlich, wie ich finde, zu Recht Gedanken gemacht, warum es möglich war, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in diesen 20 Jahren dreiunddreißigmal zu ändern. ({4}) Das Betriebsverfassungsgesetz wurde - ich will es jetzt ganz korrekt sagen - in 20 Jahren nur ein einziges Mal geändert, als man nämlich die Amtszeit der Betriebsräte von zwei auf drei Jahre verlängerte. ({5}) Nach der Ankündigung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung, daß wir auf der Grundlage des in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwurfs eine Neufassung der Betriebsverfassung vornehmen werden, ist das Gesetz am 19. Januar dieses Jahres mit der Präzision eines Uhrwerks in Kraft getreten. Erlauben Sie mir dazu noch ein paar Bemerkungen. ({6}) - Warten Sie noch etwas, Herr Franke; ich komme gleich darauf. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Bitte.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister Arendt, ist Ihnen bekannt, daß die Vorlage der Bundesregierung für das Betriebsverfassungsgesetz in vielen Punkten die Kritik der Gewerkschaften und anderer Verbände gefunden hat, weil die Vorlage der Bundesregierung hinter die Ergebnisse des 1952 verabschiedeten Gesetzes zurückgegangen war? ({0})

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Herr Franke, es wäre besser gewesen, wenn Sie noch ein wenig Geduld gehabt hätten. Ich wollte nämlich darauf zu sprechen kommen. Sie erinnern sich als Fachmann, daß wir bei der ersten Lesung - ({0}) - Ja, in Betriebsverfassungsfragen, würde ich sagen, ist der Kollege Franke schon ein Fachmann. - Wir haben bei der ersten Lesung sehr deutlich gemacht, daß wir nach dem Grundsatz vorgehen wollen: Das Bessere ist der Feind des Guten. Ich selbst habe von dieser Stelle aus gesagt: Wir wollen die Abstimmungsguillotine nicht in Bewegung setzen. Wir haben diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung in dem zuständigen Ausschuß sehr eingehend behandelt, und wir haben - getreu dem Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten - eine ganze Reihe von Anregungen in dieses Gesetz aufgenommen, ({1}) und dafür haben wir uns bedankt. Aber - und das muß man doch auch sagen - als es zur Abstimmung kam, da war mein Kollege Katzer mit weiteren 20 Mannen der Sozialausschüsse der CDU allein. ({2}) - Kollege Katzer, ich habe mich sehr gefreut, daß Sie mit 21 Mann zugestimmt haben. Nur möchte ich Sie jetzt fragen, wie Sie sich mit Ihren 21 Mitgliedern der Sozialausschüsse in Ihrer Fraktion von 246 Leuten durchsetzen wollen, um ein fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz zu machen. ({3}) Ich will hier gar nicht in eine Einzelwertung dieses Betriebsverfassungsgesetzes eintreten. Aber das wissen wir: Das, was sich im gegenwärtigen Zeitpunkt in den Betrieben vollzieht, nämlich die Wahl der Betriebsräte auf der Grundlage dieses neuen Gesetzes, macht deutlich, daß dieses Gesetz ein Fortschritt im Vergleich zu dem ist, mit dem sich die Arbeitnehmer 20 Jahre in den Betrieben herumplagen mußten. ({4}) - Nein, entschuldigen Sie, ich möchte die Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Der Herr Kollege Strauß möchte auch noch das Wort ergreifen. ({5}) Er hat mir sagen lassen, daß er noch Wert darauf legt. Ich möchte ein anderes Beispiel nennen, weil der Kollege Katzer auch darauf zu sprechen kam. ({6}) - Aber, Herr Katzer, dafür habe ich ein bißchen mehr gelernt in Bereichen, die Sie nicht beherrschen. - Sie haben gemeint, der Regierung einen Vorwurf machen zu müssen, weil sie in 21/2 Jahren das Problem der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen nicht gelöst hat. ({7}) - Bis jetzt. - Jetzt muß ich Sie mal an folgendes erinnern. Ihre Fachleute und andere haben für das Jahr 1960 - nicht für das Jahr 1969 und nicht für das Jahr 1971, sondern für das Jahr 1960 - festgestellt, daß 1,7 % der Haushaltungen über 70 % des Produktivvermögens verfügen, und Sie und Herr Katzer haben diesen Zustand beklagenswert gefunden. Ich bin einverstanden. Nur, Herr Katzer, diese 1,7 % der Haushaltungen, die über 70% des Produktivvermögens verfügen, haben doch ihre Beteiligung an diesem Produktivvermögen nicht so zustande gebracht, daß sie immer tüchtig gearbeitet haben, immer weniger ausgegeben als eingenommen haben, so Mark auf Mark gehäuft haben und von diesen ersparten Beträgen Fabrik um Fabrik und Schiff um Schiff gekauft haben. Diese einseitige Vermögensbildung war doch nicht zuletzt deshalb möglich, weil eine Steuer- und Finanzpolitik getrieben wurde, die das begünstigte und erst ermöglichte. ({8}) - Diese Legislaturperiode ist noch nicht zu Ende, und Sie wissen genau, daß das eine komplexe Sache ist und daß wir - ({9}) - Herr Burgbacher, erinnern Sie mich jetzt nicht an Ihren Plan! Denn wenn Ihre Fraktion die Entscheidung hätte, dann würden Sie wahrscheinlich keine Mehrheit für Ihren Plan finden. ({10})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burgbacher?

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Nein, ich bitte um Entschuldigung, ich möchte das gern vortragen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das ist Ihr Recht. ({0}) - Herr Abgeordneter Dr. Burgbacher, es ist das Recht eines jeden Abgeordneten, Zwischenfragen abzulehnen.

Walter Arendt (Minister:in)

Politiker ID: 11000044

Sehen Sie, ich möchte noch ein paar Worte zu den Renten sagen. ({0}) Die Kriegsopferrentenanpassung, die von diesem Hohen Hause unmittelbar nach Regierungsantritt beschlossen wurde, hat mit dem Vierten Anpassungsgesetz dazu geführt, daß wir in diesem Zeitraum insgesamt eine Einkommensverbesserung um 43 % und für die Kriegerwitwen um 53 % feststellen können. Das hat es in keiner Legislaturperiode vorher gegeben. ({1}) Oder ich erinnere z. B. an den großen gesellschaftspolitischen Fortschritt, der in der Reform der Krankenversicherung zum Ausdruck kam, als wir die Pflichtversicherungsgrenze erhöhten und dynamisierten und als wir den Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung für jenen Teil der Angestellten einführten, die mit ihrem Einkommen über der Pflichtversicherungsgrenze liegen. Das bedeutet mit anderen Worten, daß 4 Millionen Angestellte seit dem 1. Januar 1971 Monat für Monat auf ihrem Gehaltsstreifen ablesen können, was diese Reform der Krankenversicherung bedeutet. ({2}) Oder lassen Sie sich daran erinnern, daß wir - einer zehnjährigen Forderung dieses Hohen Hauses entsprechend - ein Gesetz über Werksärzte und Sicherheitsfachkräfte vorgelegt haben. Zehn Jahre lang wurde diese Forderung erhoben. Erst wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Oder lassen Sie mich in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß wir beispielsweise die hüttenknappschaftliche Pensionsversicherung in Ordnung gebracht und Regelungen in der Knappschaft vorgenommen haben. Aber noch ein Wort zur Rentenversicherung: Da ist von den Rentnern die Rede und von der Niveauanhebung. Wir haben in diesem Hohen Hause schon oft genug darüber gesprochen, und Kollege Katzer weiß sicherlich so gut wie jeder andere über die Zusammenhänge Bescheid. Ich glaube, wir sollten doch alle miteinander bei allen Unterschieden in der Beurteilung des einen oder anderen Punktes von einer Grundtatsache ausgehen, von der Tatsache nämlich, daß diese Rentenversicherung ein Solidarausgleich über Generationen hinweg ist und daß es sehr gefährlich wäre, einen Keil zwischen Rentner und Versicherte treiben zu wollen. ({3}) - Aber Sie stellen es so dar, und ich sage, das wäre sehr gefährlich. ({4}) Denn die Versicherten von heute sind die Rentner von morgen. ({5}) - Ja, das wissen Sie, aber eines wissen Sie nicht, Herr Katzer, sonst würden Sie in Ihrem Prioritätenkatalog beispielsweise der Einführung der flexiblen Altersgrenze eine größere Bedeutung beimessen, als Sie es tun. ({6}) Denn, meine Damen und Herren, das muß ich Ihnen auch einmal sagen: ({7}) Wenn Sie sich ,die Praxis und die Verhältnisse in den Betrieben ansehen, müssen Sie zu dem Ergebnis kommen, ,daß Idas, was wir jahrelang im In- und Ausland als sogenanntes deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet haben - nämlich den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Gemeinden und der zerstörten Betriebe -, ({8}) nicht die Politik von Ludwig Erhard war und auch nicht nur ,deutscher Ingenieurgeist; das war die Arbeitsleistung ,der Millionen Frauen und Männer in unserem Lande! ({9}) Das sollten Sie dabei nicht vergessen! ({10}) Und heute können Sie ,die Wirkungen ablesen: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in den Betrieben erreicht dort gar nicht das 65. Lebensjahr, weil sie vorzeitig wegen angegriffener Gesundheit aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen. Das ist die Wahrheit, und so sieht es aus! ({11}) Wir haben ein Rentenreformprogramm vorgelegt, und in diesem Rentenreformprogramm ist nicht nur die Öffnung der Rentenversicherung, nicht nur die Rente nach Mindesteinkommen oder die Einführung des Baby-Jahres vorgesehen, sondern in diesem Programm nimmt die Einführung der flexiblen Altersgrenze, die Überwindung eines jahrzehntealten Zustandes, einen hervorragenden Platz ein. Es geht nicht nur um die Erweiterung des Freiheitsraumes des versicherten Bürgers, sondern es geht auch darum, daß wir einen Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens leisten, weil wir das jenen Menschen schuldig sind, die den Wiederaufbau mit vollzogen haben. ({12}) Ich will noch etwas sagen, Herr Katzer. Die Rentner haben im Jahre 1972 ({13}) - Nein, die lassen wir nicht hängen. ({14}) Die Rentner haben im Jahre 1972 durch die Abschaffung des Rentnerkrankenkassenbeitrages und durch die Rückzahlung der Krankenkassenbeiträge aus den Jahren 1968/69 eine Rentenerhöhung von rund 10 % erhalten. Das hat es in der Geschichte derdynamischen Rentenanpassung auch noch nicht gegeben. ({15}) Das müssen die Arbeitnehmer und die Versicherten erst einmal aufbringen, wovon Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, wir könnten es leichtfertig verteilen. Was wir machen, ist solide und seriös. ({16}) Noch ein Wort zum 624-DM-Gesetz. Von 1965 bis 1969 - das war der Zeitraum des sogenannten 312-DM-Gesetzes - gab es Tarifverträge für 1,5 Millionen Arbeitnehmer. ({17}) Nach unserer Reform dieses Gesetzes konnten wir am Ende des vergangenen Jahres konstatieren, daß 101/2 Millionen Arbeitnehmer allein durch Tarifvertrag die Vorteile dieses Gesetzes in Anspruch nehmen. ({18}) - Das will ich Ihnen auch sagen, warum sie das nicht gemacht haben, Herr Müller: weil in diesem 312-DM-Gesetz ungerechte und unsoziale Elemente enthalten waren und weil nach dem Motto verfahren wurde, wer hat, dem wird noch gegeben. ({19}) Sehen Sie, wir haben das geändert. Wir haben an Stelle der unsozialen und ungerechten Steuerbefreiung eine Barzulage eingeführt, und die Ergebnisse dieser Reform an Haupt und Gliedern dieses Gesetzes können Sie an den Zahlen ablesen. ({20}) In ganz kurzer Zeit ist die Zahl der von Tarifverträgen erfaßten Arbeitnehmer auf 101/2 Millionen angestiegen. Das ist sicherlich keine Beteiligung am Produktivvermögen, ({21}) das ist eine verbesserte Sparföderung, aber das weiß Ihr Nachbar, der Kollege Katzer. Wenn die Arbeitnehmer in den Jahren 1966/67, in der Zeit der Krise, als die Strukturwandlungen in bestimmten Bereichen ganz besonders durchschlagend waren - Sie wissen das, und auch der Kollege Katzer weiß es, weil ich oft genug mit ihm verhandelt habe -, als Betriebe stillgelegt wurden und Hunderte von Menschen nicht wußten, was sie am nächsten Tag machen sollten - wie man in der Kantine am Schwarzen Brett ankündigt, morgen gibt es Kartoffelsalat und Würstchen, so stand da: Morgen wird die Schachtanlage stillgelegt -, wenn damals diese Arbeitnehmer über eine solche finanzielle Reserve hätten verfügen können, wie das mit dem 624-DM-Gesetz zu erreichen ist, dann wäre nicht nur viel Leid und viel Elend von den Familien ferngeblieben, dann wäre das auch ein Beitrag gewesen, das Selbstbewußtsein der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik zu stärken und zu festigen. ({22}) Dazu könnte man noch eine ganze Menge sagen, aber eines werden Sie zugeben müssen: Wenn Sie den Ausgangspunkt dieser Regierungstätigkeit in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 sehen, werden Sie rein buchhalterisch zu dem Ergebnis kommen müssen, daß alle Ankündigungen im Bereich der Sozial- und Gesellschaftspolitik entweder schon erledigt oder in der parlamentarischen Behandlung sind. ({23}) - Völlig richtig: in einigen Punkten sind wir sogar darüber hinausgegangen. ({24}) Deshalb komme ich zu dem Schluß - im Gegensatz zu Herrn Katzer und im Gegensatz zu Herrn Barzel -: Diese Regierung, diese sozialliberale Koalition, hat insbesondere auf dem Gebiet der Sozial- und Gesellschaftspolitik, aber auch auf anderen Gebieten - das ist schon erwähnt worden -, gute Arbeit geleistet. ({25}) - Richtig, Herr Katzer, sehr gute Arbeit! ({26}) Es gibt keine bessere Regierung. Diese Regierung wird getreu ihrer Zusage ihre Politik auch für den Rest dieser Legislaturperiode im Interesse der Menschen in unserem Lande weiterführen und ihre AufBundesminister Arendt gabe wahrnehmen: Mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. ({27})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich hoffe, daß wir wegen der Beifallstürme die Sitzung nicht über 21 Uhr hinaus ausdehnen müssen. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß. ({0})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir scheint, daß der auch für großzügige parlamentarische Verhältnisse reichliche Beifall für den letzten Redner bereits eine Art Abfeierung der bisher noch im Amte befindlichen Bundesregierung darstellt. ({0}) Ich möchte zu den letzten Rednern nur einige Bemerkungen machen, um dann wieder zu dem zurückzukommen, was eigentlich der Sinn und die Aufgabe einer Haushaltsdebatte ist. ({1}) - Das stimmt. Es hat lange gedauert, weil vorher so viele von Ihrer Couleur gesprochen haben. Und jetzt kehren wir zu dem zurück, was Sinn und Zweck einer Haushaltsdebatte ist; denn jetzt wird weder das konstruktive Mißtrauensvotum begründet, noch wird jetzt die Vertragsdebatte vorgezogen, wie es anscheinend der Herr Außenminister, mit Sorge auf die nächste Woche blickend, in seiner Rede zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb erlauben Sie mir einige wenige Bemerkungen zu einigen Beiträgen, die heute nachmittag erfolgt sind. Der Herr Bundeskanzler meinte u. a. - er hat ja sehr lange gesprochen, und ich möchte hier nur eine Feststellung von ihm herausgreifen, weil sie falsch ist -, Bezug nehmend auf meine Ausführungen in der ersten Lesung des Haushalts 1972 - das war im Oktober 1971 -, die von mir angekündigte Rezession sei nicht eingetreten. Ich muß ihn hier etwas korrigieren. Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dessen Präsident heute hier als einer der verflossenen Staatssekretäre des Herrn Bundeswirtschafts- und -finanzministers und in seiner Eigenschaft als SPD-Abgeordneter hier gesprochen hat, ist die Aussage der Bundesregierung, daß keine Rezession stattfinde, deswegen falsch, weil bereits im zweiten Halbjahr 1971 eine Rezession stattgefunden hat. Im Wochenbericht dieses Instituts vom April 1972 heißt es - ich zitiere wörtlich -: Das reale Bruttosozialprodukt geht saisonbereinigt seit Frühjahr zurück. Es erreicht im zweiten Halbjahr mit 698 Milliarden DM zu Preisen von 1970 als Jahresbasis nicht mehr das saisonbereinigte Ergebnis der ersten Jahreshälfte mit 700 Milliarden DM. Nach internationalen Maßstäben - so meint das Institut, dessen Präsident zu sein Herr Arndt die Ehre hat bedeutet rückläufiges Bruttosozialprodukt über zwei Quartale hinweg Rezession. Am ausgeprägtesten ist der rezessive Verlauf bei den Anlageinvestitionen. Sie gingen vom ersten zum zweiten Halbjahr 1971 saisonbereinigt und auf Jahresbasis um 6 % zurück ({2}). Soweit das Zitat. Die Zahlen sind folgende: Das Bruttosozialprodukt in festen Preisen hat sich jeweils gegenüber dem Vorquartal verändert im ersten Quartal 1971 noch um plus 1,5 %, im zweiten um minus 0,5 %, im dritten um 0,0 % und im vierten Quartal um minus 1,0 %. Damit ist die Aussage der Bundesregierung, daß keine Rezession stattgefunden habe, eindeutig falsch. Für das Jahr 1971 gilt dasselbe wie für das Jahr 1967, daß das reale Bruttosozialprodukt leicht rückläufig war, daß aber andererseits im Gegensatz zu 1967 das nominale Bruttosozialprodukt wesentlich höher war; das ist die Inflationsrate. Was sich diese Bundesregierung als Verdienst anrechnet, nämlich die Vollbeschäftigung, das hat sie übernommen und nicht wiederhergestellt. Aber die Vollbeschäftigung reicht nicht mehr aus für ein Wachstum, sie reicht zur Zeit nur noch aus, um auf der Basis der Stagnation das Sozialprodukt zu erhalten. Wir hoffen auf Besserung im zweiten Halbjahr dieses Jahres. Soweit dazu. Nun, Herr Kollege Arndt, habe ich von Ihnen eine neue Börsentheorie vernommen, nämlich daß die Börse im Laufe der letzten Tage schon zurückgegangen sei, was gerade in den Reihen der SPD sicherlich besondere Besorgnis hervorruft, weil zu ihren Hauptanliegen bekanntlich die Erhaltung der Substanz der Aktionäre gehört. ({3}) Und wenn Sie mit der Sorge über den Rückgang der Kurse auch gleich das Gesetz von Ursache und Wirkung ergründen, dann erscheint Ihnen als Ursache für die rückläufige Börse der Angriff gegen die Bundesregierung, der drohende Sturz dieser Regierung. Ich möchte Sie bitten, die Tätigkeit Ihres Instituts nicht auf Börsenberatung auszudehnen; die Aktionäre könnten es Ihnen übelnehmen. ({4}) Seit Monaten rätselt die ganze Welt, warum in Deutschland trotz der schlechten Ertragslage die Kurse für alle Papiere, besonders für bestimmte Werte, zum Teil ungeahnte Haussebewegungen aufweisen. Ich kann auch den Grund nennen: weil die Börse bereits die Ablösung dieser Regierung vorweggenommen hat. Darum sind die Kurse hinaufgegangen. ({5}) Schließlich noch folgendes, Herr Kollege Arndt. Sie sagen, wir müßten diese Republik nehmen, wie sie ist, mit ihren guten und mit ihren schlechten Seiten. Damit verbinden Sie die Bemerkung, daß es uns hier nicht um die Republik, sondern um die Macht ginge. Lassen Sie sich dazu zunächst einmal zwei Dinge sagen. Erstens: Wir haben mit unserer Politik, gestützt auf einige Namen, von denen ich hier an der Spitze Ludwig Erhard nennen darf, ({6}) und im Vertrauen auf Fleiß, Leistung und Opferbereitschaft unserer Bevölkerung das moderne Deutschland geschaffen und unsere Wirtschaftsauffassung Ihnen durch den Erfolg, den wir hatten, erst aufgezwungen, was sich dann bei Ihnen im Godesberger Programm in dem großen Bekenntnis „Reue und Leid" niedergeschlagen hat. ({7}) Herr Kollege Arndt, es ist unter Ihrem sonstigen Niveau, zu sagen, daß es uns nicht um die Republik mit ihren guten und schlechten Seiten, sondern um die politische Macht ginge. Im Gegenteil, wir haben Angst um diese Republik; ({8}) Wir haben Angst wegen ihrer Bedrohung von außen; und wir haben zur Zeit noch mehr Angst wegen der Tendenzen und Umtriebe, die nicht der Verbesserung, sondern der Änderung und Umstürzung unserer Gesellschaftsordnung dienen. ({9}) Wenn wir eine Ablösung der Bundesregierung anstreben, dann nicht, weil es uns unter diesen Umständen darum geht, an die angeblich ach so ersehnten Ministersessel wieder zurückzukehren. Wir würden sie Ihnen sehr gerne mit dem, was noch aus der Wirtschafts- und Finanzlage auf Sie zukommt, eine geraume Zeit gönnen, damit Sie auch die Folgen dessen auslöffeln müssen, was Sie eingebrockt haben. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Arendt hat ein großes Heidenlied gesungen und gemeint, nicht die Politik Ludwig Erhards, sondern der deutsche Ingenieurgeist und die deutsche Aufbauleistung der Männer und Frauen hätten das zustande gebracht, was heute Wirklichkeit ist. ({11}) Ich glaube, Herr Kollege Arendt, daß diese Gegenüberstellung schlechthin eine intellektuelle Unzulässigkeit ist, ({12}) denn die Leistung der Menschen ist in vielen Ländern gleich - ihr Fleiß, ihr Opfermut, ihre Disziplin, das, was sie mit der Arbeit des Kopfes und mit der Arbeit der Hände verrichten -, aber unterschiedlich ist, was dabei herauskommt, ({13}) und die Differenz drückt sich in der Qualität der Politik aus. ({14}) Weil sich die Fraktion der CDU/CSU und die hinter ihr stehenden Parteien damals, im Jahre 1948 - und wir haben in jahrelangen Kämpfen im Wirtschaftsjahr und in der ersten Legislaturperiode des Bundestages diese Auseinandersetzung durchgestanden -, mit der Politik der Marktwirtschaft - und hier möchte ich mit besonderem Dank an die Arbeitnehmer in unseren Reihen erinnern - gegen die Sozialdemokraten durchgerungen haben, darum ist heute diese Gesellschaft, so wie sie ist, Wirklichkeit geworden. ({15}) Herr Bundesminister Arendt, Sie haben hier eigenartige Worte über das 312- und 624-DM-Gesetz gefunden. Er ist im Augenblick nicht da; ich hoffe, es wird ihm ausgerichtet. Wenn das 312-DM-Gesetz so schlecht war, wie Sie es heute hier gemacht haben, warum haben dann Sie als Gewerkschaftsvorsitzender seinerzeit in Ihrer eigenen Gewerkschaft mit diesem Gesetz abgeschlossen? Warum ist zweitens dieses 312-DM-Gesetz damals nicht zur vollen Entfaltung gekommen? Weil damals Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen gemeinsam lange Zeit diesem Gesetz negativ gegenübergestanden haben. ({16}) Sie wissen auch ganz gut, Herr Kollege Arendt, daß im 624-DM-Gesetz leider nur ein Teil der Arbeitnehmer erfaßt wird, während bei konsequenter Ausdehnung des 312-DM-Gesetzes und seiner konsequenten Anwendung eine größere Zahl von Arbeitnehmern zu den Möglichkeiten einer allmählichen Eigentums- und Vermögensbildung gekommen wäre. Ich weiß nicht, wie oft man noch reden muß, um mit diesem Unfug aufzuräumen. Es ist beinahe unerträglich, aus dem Munde eines Bundesministers die Behauptung hören zu müssen, 70% - es sind sogar 75 % - des Produktivvermögens seien in der Hand von 1,7 % der Bevölkerung, und sehen zu müssen, was damit an irreführender Wirkung erzielt wird. Die Zahlen stammen aus dem Jahre 1960, stammen aus der Berechnung von Professor Krelle, und in der Zwischenzeit ist eine Fortschreibung erfolgt. Durch diese Behauptung hat sich aber in der Öffentlichkeit der Glaube breitgemacht, 75 % des Eigentums seien in den Händen von 1,7 % der Bevölkerung. Herr Bundesminister Arendt, nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis: Unter Produktivvermögen versteht man nur haftendes Kapital. Wehe dem Arbeitnehmer, der seine Ersparnisse im Herbst 1969 im Vertrauen auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung in haftendem Kapital angelegt hätte! ({17}) Haftendes Kapital sind in der normalen Anlageform Beteiligungen, sei es in der Form von Aktien, sei es in der Form von Investmentfonds, sei es in der Form von GmbH-Beteiligungen. Wer damals gerade in gutem Glauben an Ihre Versprechungen von Stabilität und Wachstum seine Ersparnisse in haftendem Kapital angelegt hätte, der wäre neben der allgemeinen inflationären Entwicklung, die ihn um einen Teil seiner Ersparnisse gebracht hätte, noch um erhebliche weitere Teile seiner sauer erworbenen Ersparnisse gebracht worden. ({18}) Der Kursstand, wie er im Jahre 1969 beim Wechsel der Regierung vorhanden gewesen ist, ist noch lange nicht wieder erreicht. Wer sich also damals Produktivvermögen verschafft hätte, der wäre von den Folgen der Politik dieser Bundesregierung doppelt und dreifach geschädigt worden. - Aber was gehört nicht zu dem Produktivvermögen? Zum Produktivvermögen gehört nicht der ganze land- und forstwirtschaftliche Besitz. Dazu gehört nicht der ganze private Grundbesitz. Dazu gehört nicht der ganze private Hausbesitz. Dazu gehören nicht die Lebensversicherungsansprüche. Dazu gehören selbstverständlich auch nicht die Rentenversicherungsansprüche, die man nicht mit Lebensversicherungsansprüchen gleichsetzen kann, weil sie eine etwas andere Natur haben. Dazu gehören nicht die ganzen Sparkonten. Dazu gehören nicht die ganzen festverzinslichen Wertpapiere. Herr Kollege Arendt, Sie sollten sich das wirklich einmal genau überlegen. ({19}) Ja, ich hoffe, daß es ihm jemand ausrichtet. Die Statistik von Professor Krelle und die Nachfolgestatistik sind auf der Statistik der Vermögensteuer aufgebaut. In der Statistik der Vermögensteuer sind diejenigen Werte des Produktivvermögens - auch Aktien und Investmentanteile - überhaupt nicht erfaßt, die unterhalb der Freigrenzen liegen. Sehen Sie sich einmal die Freigrenzen an, die auch heute noch in der Vermögensteuer vorhanden sind. Wir gehen von einer normalen Familie mit Vater, Mutter und einigen Kindern aus. Die Freigrenzen für eine normale Familie betragen schon 50 000, 60 000, 70 000, 80 000 DM. Das Produktivvermögen in dieser Größenordnung - Aktien, Investmentfonds, GmbH-Anteile oder was auch immer - erscheint überhaupt nicht in der Statistik. ({20}) Das heißt, daß die meisten Aktiensparer, die Sparer der breitgestreuten Aktien in dieser Statistik überhaupt nicht erscheinen. Darum sollte ein Bundesminister auch wenn er sich in seinem Leben mit dieser Frage im einzelnen nicht besonders befaßt hat -endlich aufhören, eine solche Behauptung zu verbreiten und damit einer allgemeinen Irreführung Vorschub zu leisten. ({21}) So viel zu diesem Thema. Jetzt möchte ich noch einige Bemerkungen im Zusammenhang mit dem heute gestellten Thema, nämlich der Würdigung des Haushalts, im Rahmen der Gesamtpolitik dieser Bundesregierung, machen. Natürlich steht diese Debatte heute im Schatten des konstruktiven Mißtrauensvotums. Natürlich beweisen heute Verhalten und Argumente der Regierungsparteien, daß hier ein Stück Demontage an Verfassung und parlamentarischer Demokratie versucht werden soll. ({22}) Es geht aber nun einmal um den Haushalt 1972, und es geht auch - davon habe ich heute gar nichts gehört - um die Finanzplanung von 1973 bis 1975. Über diese Finanzplanung hat man sich heute sehr verschämt ausgeschwiegen. Herr Kollege Schiller ({23}) - ich habe ihn gerade noch erreicht; ich weiß gar nicht, warum sie schon alle im Aufbruch sind -, ({24}) Sie haben mir damals, als ich in der Pressekonferenz, die Herr Dr. Barzel, Herr Narjes und ich hier gehalten haben - ich glaube, es war am 10. März dieses Jahres -, auf die Verschuldung des Bundes im Zusammenhang mit der Finanzlage des Bundes hinwies, in einer Verlautbarung Ihres Hauses entgegengehalten: Panikmache, Verunsicherung des Staatsbürgers und Diskriminierung der Regierung. Das waren die drei Ausdrücke, die ich aus Ihren Ausführungen von damals in Erinnerung behalten habe. Herr Barzel hat heute bereits darauf hingewiesen: In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute, die ja gerade wegen ihrer ostpolitischen Haltung eine starke Unterstützung der Bundesregierung auf dem anderen Sektor der Politik darstellt, können Sie folgendes lesen. Es heißt dort: Es kann heute keinen Zweifel mehr geben: die Finanzpolitik des Bundes treibt dem Kollaps zu. Die Bundesregierung war bisher bemüht, diesen Tatbestand zu verharmlosen und zu verschleiern. Doch Schönfärberei hilft nun nicht mehr. Die Etatdebatte dieser Woche muß den Kurswechsel in der Finanzpolitik signalisieren, . . . Vorher heißt es dort: Wenn Brandt am Donnerstag stürzen sollte, so nicht nur wegen der Ostpolitik, sondern wegen der trostlosen Verfassung der Staatsfinanzen und der Aussicht auf einen neuen, noch stärkeren inflationären Schub, den die SPD/FDP-Koalition allein zu verantworten hätte ({25}) und der mit Sicherheit das Ende der Reformpolitik brächte. Ich kann nur feststellen, daß sich Herr Kannengießer in der FAZ von heute wesentlich schärfer und kritischer ausgedrückt hat als ich in meiner Pressekonferenz vom 10. März. Wollen Sie nun auch behaupten, daß dieser Wirtschaftsjournalist Panikmache betreibt, Verunsicherung des Staatsbürgers und Diskriminierung der Regierung? Oder glauben Sie, Sie müßten ihm ein Colloquium privatissime et gratis geben, um seinem zurückgebliebenen Bildungsstand durch eine Nachhilfe dieser Art etwas auf die Sprünge zu helfen? Natürlich ist der Haushalt 1972 ein Schicksalsbuch der Nation. Er ist auch, Herr Kollege Schiller - daran sind Sie nicht unschuldig -, ein Schicksalsbuch der Bundesregierung. ({26}) Der Herr Bundeskanzler hat heute lange gesprochen. Aber das ist sein gutes Recht. ({27}) - Mit „lange" sind wir uns einig; mit „gut" sind unsere Qualitätsmaßstäbe sehr verschieden, Herr Kollege! Denn es wäre besser gewesen, er hätte kürzer gesprochen und hätte prägnant, präzis zu den Problemen gesprochen, die wir im Zusammenhang mit dem Haushalt in unseren Reden früher und heute aufgeworfen haben. ({28}) Hier müßte ich eigentlich den Bundeskanzler fragen, was er getan hat, um sich dieses Maß an Unkenntnis auf diesem Gebiet zu verschaffen und zu erhalten. ({29}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß dem Herrn Bundeskanzler hier, gerade weil er im Laufe der Jahre seiner Regierungstätigkeit, wie es seine Pflicht ist, eine Reihe von falschen Aussagen gemacht hat, entgegenhalten, daß er ein schlechter Verwalter des Hauses der deutschen Finanzen gewesen ist. Als damals Herr Schiller im Frühjahr dieses Jahres aus verschiedenen Gründen in Bedrängnis geriet, hat er zur Abwehr der Kritik intra muros et extra muros gesagt, von nun an werde er sich stärker um die Fragen der Wirtschaft und der Finanzen kümmern. ({30}) Ich habe nicht den Eindruck, Herr Schiller, daß das eingetreten ist, denn sonst müßte ich mein Urteil ) noch zu seinen Ungunsten revidieren, wenn er es wirklich getan hätte. ({31}) Die Financial Times dieser Woche schreibt auch mit Recht: Falls der Bundeskanzler scheitert, wird sich die Welt verändert haben, es würde aber kein Ende der Welt bedeuten. Damit stimme ich völlig überein. Wir lassen auch keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit, daß w i r jedenfalls dem Verfall unserer Finanzen, der Zerrüttung der staatlichen Ordnung und der schrittweisen Auflösung unseres Gesellschaftssystems ein Ende setzen wollen. ({32}) Wenn uns in diesen letzten Stunden eine Reihe von Flugblättern mit Aufrufen zu Massendemonstrationen, Protestkundgebungen gegen das Mißtrauensvotum der Fraktion der CDU/CSU zuflattern, dann handelt es sich hier um merkwürdige Bündnisse. ({33}) Sie kennen doch den Begriff - sie ({34}) sind alle weg! ({35}) der societas leonina. ({36}) Ich lese hier, daß der Marxistische Studentenbund Spartakus aufruft, die DGB-Demonstration von heute abend, 20 Uhr, Beethovenhalle, zu besuchen. Es heißt dort: „Stoppt Strauß, Barzel und Springer!", „Für die Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau", „Für die Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten", „Verhindert den Sturz der Regierung Brandt und Scheel!" Ich könnte noch weiteres dazu verlesen, z. B. die Aufrufe des SHB: „Kampf der CDU/CSU-Machtergreifung", „Heute abend, 20 Uhr, Beethovenhalle", „Verträge ratifizieren!", „Kampf dem Sturz der SPD/FDP-Regierung", „Gemeinsam gegen die Rechtskräfte in Hochschulen und Gesellschaft", „Stoppt Strauß und Barzel!", „Friedensmarsch nach Bonn". Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sprache ist uns nicht neu! ({37}) Nur waren wir in der Vergangenheit gewohnt, daß die andere große Partei dieses Hauses, auch wenn wir uns mit ihr nicht in ein und demselben Koalitionslager befunden haben, gleichgültig, wie wir uns gegenübergestanden haben, einen ganz scharfen Trennungsstrich von diesen Kräften gezogen hat. Diesen Trennungsstrich vermissen wir heute in weiten Bereichen. ({38}) Nicht neu ist für uns die Mobilisierung außerparlamentarischer Kräfte. ({39}) -- Aber Herr Kollege Schäfer, hier handelt es sich nicht um die Redewendung, die Sie heute gebraucht haben, daß man hier sieht, was Männer und Frauen draußen denken, daß man hier sieht, wo Männer und Frauen draußen stehen. Wer fragt denn, daß diejenigen, die marschieren, die Mehrheit in unserem Volke darstellen! ({40}) Haben wir denn nicht auch erlebt, daß in unseren Kundgebungen der Beifall am stärksten war, wenn wir sagten: diese Regierung in Bonn muß weg. ({41}) Wer kann hier für sich in Anspruch nehmen, durch solche „spontan" organisierten Aufmärsche von Organisationen etwa politische Mehrheiten in diesem Lande vortäuschen oder erzwingen zu wollen? Hier heißt es: Widerstehet den Anfängen! Wenn das einmal beginnt, ist die Straße zur Volksfrontbewegung bereits beschritten und das Ende sichtbar. ({42}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in das gleiche Horn stoßen die Aufrufe der Jungsozialisten, ({43}) die Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes über Teilstreiks, Warnstreiks, angekündigte Arbeitsniederlegungen usw. Wer diese Verfassung ernst nimmt, der nimmt auch die Bestimmungen ernst, daß jeder gewählte Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist und in seiner Freiheit, danach zu handeln, nicht eingeschränkt werden darf. ({44}) Denn genau das meinen wir. Das ist ein Anschlag auf die parlamentarische Demokratie. ({45}) Man spricht von der Beteiligung des Volkes an der politischen Diskussion. Ich glaube, wir haben in vielen Wahlversammlungen die Stimme der Mehrheit unseres Volkes erlebt. Und die Mehrheit hat auch in Baden-Württemberg klar und eindeutig gesprochen. Wir warnen vor einem Spiel mit dem Feuer. Wir warnen vor Aktionen mit Volksfronttendenz. Sie wissen ganz genau, daß es die internationale und auch die nationale Strategie der kommunistischen Bewegung ist - ich sage von vornherein: bisher verbal abgelehnt -, Kooperation mit der SPD anzubieten. Es hat aber keinen Sinn, wenn die Parteivorstände sich distanzieren und unten auf der Straße die Verbrüderung stattfindet. ({46}) Hier kann ich aus eigener und nicht immer angenehmer Erfahrung sprechen. In wie vielen Kundgebungen und Versammlungen habe ich es in diesem Jahr und im letzten Jahr erlebt, daß sich hier eine Aktionsgemeinschaft zwischen Jungsozialisten, SDAJ, der Kommunistenjugend und anderen ähnlichen Organisationen gebildet hat, die sich zu einer Korporation zusammengefunden haben, um unsere Versammlungen zu stören und zu sprengen und den normalen Ablauf einer demokratischen Veranstaltung unmöglich zu machen. ({47}) Stellen Sie das ab! Dann werden Sie auch wieder mehr Gemeinsamkeit in diesem Hause herstellen. ({48}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Haushaltsdebatte ist ja auch ein Vergleich zwischen Theorie und Wirklichkeit, zwischen Wahrheit und Dichtung, zwischen Wahn und Wirklichkeit. Dafür einige Beispiele. Es heißt in der Regierungserklärung - ich sage es, weil der Herr Bundeskanzler heute von der Erfüllung seines Programms gesprochen hat -: Diese Regierung redet niemandem nach dem Munde. Sie fordert viel, nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz. Wir suchen keine Verbündeten. Wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben. Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert. Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte. In Wirklichkeit hat diese Regierung allen nach dem Munde geredet, und zwar über geraume Zeit hinweg. Sie hat einfach zuviel versprochen und scheitert jetzt an der Unvereinbarkeit von Versprechungen, Erwartungen und Erfüllungsmöglichkeiten. ({49}) Ich darf davon ausgehen, daß wir heute fünf Ziele der Volkswirtschaft hinsichtlich ihrer gleichgewichtigen Auslastung vor Augen haben sollen. Es handelt sich einmal um hohen Beschäftigungsstand, Preisstabilität, angemessenes Wachstum, ausgeglichene Zahlungsbilanz - das sind vier und zum anderen würde ich hinzufügen: funktionierende Ordnung der Marktwirtschaft. Ich weiß auch, warum ich das sage. Die Vollbeschäftigung hat diese Bundesregierung übernommen, sie war nie in Gefahr. Der Bundeskanzler wies immer wieder darauf hin, es sei ein Trost, daß die Vollbeschäftigung von dieser Regierung erreicht worden sei, daß die Vollbeschäftigung von ihr garantiert sei. Die Vollbeschäftigung war die Folge des in der Großen Koalition unternommenen Bündels gemeinsamer Maßnahmen. Sie war Ende 1967/Anfang 1968 wiederhergestellt. Sie stand nie in Gefahr. Wenn daher die Bundesregierung auf die Vollbeschäftigung verweist, schmückt sie sich mit einer Feder, die sie sich nicht an ihren Hut stecken darf, höchstens an den Hut der Großen Koalition von damals mit ihren gemeinsamen Bemühungen. Aber hat nicht der Bundeskanzler immer falsche Alternativen geboten, Herr Kollege Schiller? Hat er nicht immer gesagt: Die Opposition ruft nach Stabilität und beschwört damit Arbeitslosigkeit herauf? Hat er nicht den Eindruck erweckt, als ob man das bißchen Inflation in Kauf nehmen müßte, um die Vollbeschäftigung zu garantieren? Und hat er damit nicht zwar die Vollbeschäftigung erhalten, aber zwei Ziele total verloren? Das eine ist das Ziel der Preisstabilität, und das andere ist das Ziel eines angemessenen Wachstums. Man soll jetzt endlich aufhören, immer nach Schuldigen zu suchen: bei den Preiserhöhungen die Unternehmer und bei der Inflation das böse Ausland, das die Inflation zu uns exportiert hat. Herr Kollege Schiller, Sie haben bei der Aussprache, die wir über den Jahreswirtschaftsbericht hatten, auch davon gesprochen, daß die Unternehmer jetzt endlich Disziplin bei den Preisen zeigen sollen. Ich bin sehr damit einverstanden. Aber dann sagen Sie das Ihrem Kollegen Leber, der der größte Unternehmer in der Bundesrepublik ist! Warum erhöhen Bahn und Post dauernd ihre Tarife? Warum wird denn hier der kleine Mann als wehrloser Kunde stärker geschröpft, als er von jedem Privatunternehmer geschröpft werden kann? ({50}) Herr Kollege Leber, doch nicht deshalb, weil Sie ein Wucherer sind, sondern deshalb, weil Sie ebenfalls mit Bahn und mit Post an den Folgen der von dieser Regierung verschuldeten Inflation nicht ohne Reaktion in Gestalt von Preiserhöhungen vorbeigehen können. ({51}) Wir erleben doch täglich Inserate mit MillionenAusgaben, in denen die Erhöhungen der Gebühren und Tarife begründet werden. Sie werden damit begründet, daß die wesentlich gestiegenen Personalkosten aufgefangen werden müssen, und damit, daß Bahn und Post leistungsfähig bleiben müssen, und wer leistungsfähig bleiben will, muß investieren. Was die Bundesregierung für ihre Staatsunternehmen mit Recht, sage ich, in Anspruch nimmt, gilt aber auch für jeden Privatunternehmer. Er muß genauso seine Personalkosten auffangen, und er muß genauso investieren, um die Leistungsfähigkeit seines Betriebes und die Sicherheit der Arbeitsplätze zu erhalten. ({52}) - Das scheint eine ganz neue Erkenntnis zu sein, Herr Kollege Ollesch. Denn sonst hätte nicht der Bundeskanzler bei der Eröffnung des Wahlkampfes in Rheinland-Pfalz und hier wiederholt davon gesprochen, daß da, wo die Preise gemacht werden, bei den Unternehmern, die CDU/CSU näher daran säße, und damit den Eindruck erweckt, als ob die Unternehmer an der Preiserhöhung in Form eines Komplotts mit der CDU schuldig wären. Wir haben auch die Bielefelder Äußerungen nicht ganz vergessen. Wir sind bereit, nicht mehr auf sie zurückzukommen. Im Laufe der Vergangenheit ist schon ein ganzes Arsenal von klassenkämpferischen Ausdrücken gefallen. Wir wollen sie nicht wieder erwähnen. Aber wenn Sie uns dazu herausfordern, bin ich sehr gerne bereit, es zu tun. Die Vollbeschäftigung ist übernommen worden und war nie in Gefahr. Das angemessene Wachstum ist verloren. Die ausgeglichene Zahlungsbilanz ist labil geworden, und die funktionierende Marktwirtschaft ist heute gefährdet. Die Bundesregierung fordert von sich gar nicht die Einhaltung ihrer eigenen Versprechungen, sie fordert von der Öffentlichkeit die Bereitschaft, diese Versprechungen zu vergessen und dafür an neue zu glauben. ({53}) Keine Regierung hat - so intolerant wie diese - Kritik als Majestätsbeleidigung aufgefaßt, ({54}) als Panikmache, als Verunsicherung der Öffentlichkeit, als Diffamierung der Bundesregierung. Die Regierung war immer auf der Suche nach Schuldigen: Unternehmer treiben die Preise hoch, Ausland importiert die Inflation, Kritiker sind Schreibtischtäter, denen das Maul gestopft werden muß. Keine Regierung hat jemals den Staatsapparat für eigene Zwecke verschiedener Art so ausgebeutet wie diese Regierung, ({55}) von der aus Steuergeldern bezahlten Inseratenflut bis zum Einsatz der Luftwaffe. ({56}) Die Regierung benimmt sich nicht wie die Gewählten. Ihre Mitglieder benehmen sich wie Gesalbte und Geweihte in unserer Volksgemeinschaft. ({57}) Man sollte ihnen nur mit Ehrfurcht, mit Bewunderung und Unfehlbarkeitsglauben sich schaudernd nahen. Wehe dem, der Kritik übt! In der Regierungserklärung heißt es: Wir wollen mehr Demokratie wagen, wir werden unsere Arbeitskreise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. ({58}) Ich möchte jetzt nicht auf die großen Beispiele zu sprechen kommen, die uns heute schon bewegt haben. Ich möchte nur einmal auf ein paar kleinere im Rahmen der Bereiche des Haushaltes eingehen. Die seinerzeit von mir als Bundesfinanzminister eingeführte monatliche Berichterstattung über die Entwicklung der Bundesfinanzen ist seit Mai 1970 eingestellt worden, auf vierteljährlich umgestellt worden. Grund war, daß die Regierung im ersten Halbjahr 1970 versprochen hatte, die Ausgaben nicht über 4 % zu erhöhen. Als ruchbar wurde, daß dieses Versprechen nicht gehalten werden kann, hat sie die Statistik nicht mehr herausgegeben, damit man den Wortbruch nicht merkt. ({59}) Erster Fall! Dann: die seit 1965 - auch auf Verlangen der SPD - durchgeführte laufende Unterrichtung des Parlaments und der Öffentlichkeit über die Kosten aller eingebrachten Gesetzesanträge ist seit Juni 1970 auch still eingestellt worden. Grund war der Zwang zur Verschweigung der Tatsache, daß der Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung gesprengt worden ist, was man nicht öffentlich zugeben wollte. Konkret und präzis gefaßte parlamentarische Anfragen - und das ist eine gravierende Anklage der Opposition - werden teils nicht fristgemäß, teils unvollständig, ausweichend und in der Wirkung irreführend beantwortet. ({60}) Die Finanzlage des Staates wird als Staatsgeheimnis behandelt. Es fehlt bloß noch, daß auch hier die Staatsanwaltschaft noch mobilisiert wird. Die Erklärung des Bundeskanzlers vom 15. März 1972 - bei unserer großen Aussprache, Herr Kollege Schiller -, daß die Zahlen der Finanzplanung 1973 bis 1975 bei Verabschiedung des Haushalts ergänzt würden, ist nicht eingehalten worden. ({61}) Wir vermissen die Einhaltung dieser Zusage. Wir verstehen jetzt zwar, warum. Aber dann heißt es: Karten auf den Tisch und Hosen runter, statt diesen Zustand weiterhin gelten zu lassen. ({62}) Und zwar ist die Finanzplanung deshalb nicht fortgeschrieben worden - das wissen Sie so gut wie ich; aber es gehört zur Haushaltsdebatte -, weil die Zahlen des Basisjahres sich in gravierender Weise entgegen Ihrem Entwurf, den ich damals schon als Märchenbuch bezeichnet habe, verschoben haben. Wenn die Zahlen des Basisjahres falsch sind - Sie wissen genau, was ich meine: Mehrausgaben, Mindereinnahmen, Nebenherfinanzierungen in Gestalt von Schattenhaushalten, wesentliche Erhöhung der Verschuldung -, dann stimmt natürlich das ganze Gebäude nicht mehr, das auf diesem Fundament errichtet ist. Darum hätten wir von dieser Regierung erwartet, daß sie bei der zweiten und dritten Lesung des Haushaltes uns wenigstens ihre Ansätze für die fortgeschriebene Finanzplanung 1973 bis 1975 auf den Tisch legt, weil man dann nicht nur eine Momentaufnahme des Jahres 1972, sondern mit regierungsamtlichen Zahlen auch ein Gesamtbild der finanziellen Entwicklung bis 1975 in der Ansicht der Bundesregierung zur Verfügung gehabt hätte. - Ich hoffe nicht, daß das auch noch geheim ist. Die Regierung sagte: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein"; ein wörtlicher Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers. Ich habe schon im Oktober 1971 gesagt, daß die Zahlen des Haushalts 1972 sehr willkürlich, in den Ausgaben zu niedrig, in der Mehrverschuldung ebenfalls zu niedrig, also künstlich frisiert, kosmetisch korrigiert, angesetzt seien. Die Absicht, Herr Kollege Schiller, war damals, die inflationären Anstoßkräfte des Haushalts durch eine falsche Zuwachsrate zu verschleiern. - Ja, wenn es nicht Ihre Absicht war, dann war es Ignoranz; aber dazwischen haben Sie keine Wahl. Von Ihnen stammt doch der damals von mir erwähnte Begriff der „inflatorischen Lücke". Die inflatorische Lücke ist nach Ihrer eigenen Definition, die wir als Adepten Ihrer Weisheit damals mit ehrfürchtigem Schaudern hier entgegengenommen haben, ({63}) die Differenz zwischen der Zunahme der Staatsausgaben und der Zunahme des realen Sozialprodukts. Wie Sie wissen, ist im Jahre 1970 das reale Sozialprodukt nur um 5,5 %, die Staatsausgaben aber zwischen 11 und 12 % gewachsen. Im Jahre 1971 ist das reale Sozialprodukt nurmehr um 2,8 %, die Staatsausgaben jedoch um 13 bis 14 % gestiegen. Im Jahre 1972 erhoffen Sie eine Steigerung des realen Sozialprodukts um 2 bis 3 %. Bis jetzt spricht nichts dafür, daß sie erreicht wird. Mit Sicherheit aber werden sich die Staatsausgaben in diesem Jahr um mindestens 11 %, wahrscheinlich um wesentlich mehr, erhöhen. Das ist die inflationäre Lücke, und ich war sehr überrascht, als der Herr Bundeskanzler heute in seinen Darlegungen nachweisen wollte, daß diese Steigerung der Staatsausgaben normal und selbstverständlich sei und daß damit der Begriff „Inflationsanreiz" überhaupt nicht verbunden werden könne. Entweder, Herr Kollege Schiller - ich sage es noch sehr humorvoll -, haben Sie ihm auch kein colloquium privatissime et gratis gegeben, entweder haben Sie ihn nicht rechtzeitig darüber aufgeklärt, was die inflatorische Lücke ist, oder Sie haben Ihre Definition von damals geändert. Hierzu würden wir gern einmal eine nähere Erklärung von Ihnen hören. Ich nehme mir noch einmal das Wort vor: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein." Schon in den Jahren 1969/70 sind 1,9 Milliarden DM Ausgaben zum Teil vorgezogen, zum Teil nachträglich vorgebucht worden, um damit die Ausgaben 1969 künstlich zu erhöhen und die Zuwachsrate 1970 in der Statistik künstlich zu senken. Es geht aber bei diesen Ausgaben um die volkswirtschaftlich relevanten Auswirkungen und nicht um die Methode statistisch verschleierter Buchungen oder um ähnliche Dinge. Im Jahre 1971 sind Ausgabenkürzungen von 1 Milliarde DM verkündet worden. Wissen Sie, Herr Kollege Schiller, wie Sie diese Ausgabenkürzungen erwirtschaftet haben? Zu 800 Millionen DM auf den Gebieten, die jetzt überhaupt nicht mehr im Haushalt vermerkt sind, weil es sich nurmehr um Ausgaben für die EWG handelt, die eben jetzt nicht mehr im Haushalt geführt werden. Damit ist die Minderausgabe erwirtschaftet worden. Auch das ist wieder ein künstliches Frisieren des Haushalts. Im ersten Halbjahr 1970 hat man 4% Zuwachs versprochen, hat dann aber am Ende des ersten Halbjahres festgestellt, daß es 10 % Zuwachs waren. Herr Kollege Schiller, für den Entwurf 1972 haben Sie 8,4 % angeben. Jetzt sind Sie schon bei 11,4 %, weil Sie 2,7 Milliarden DM Mehrausgaben in der Zwischenzeit als unvermeidlich haben anerkennen müssen. Aber zu diesen 2,7 Milliarden DM Mehrausgaben kommen, wie Sie genau wissen, noch weitere 6,6 Milliarden DM hinzu. Der ominöse Posten von globalen Minderausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden DM ist bis jetzt noch nicht auf die Ressorts aufgeteilt, weil sich sämtliche Ressorts mit Händen und Füßen weigern, ihre bereits inflationsgeschwächten Programme durch solche Einsparungen noch weiter zu demontieren. Ferner ist die 1 Milliarde DM Schatzbriefe für die Rentenversicherung dabei. Dazu gehören außerdem die Positionen für die Bundesbahn, für die Ruhrkohle und noch andere Positionen, die ich im einzelnen nicht aufführen kann. Diese 6,6 Milliarden DM, um die es sich hier handelt, die großenteils auf dem Wege der Nebenherfinanzierung bewältigt werden sollen, treiben die Ausgabensteigerungen des Jahres 1972 noch über die 11,5% hinaus. Dieser Haushalt ist nicht inflationsneutral, und er kann es nach allen Maßstäben der Wissenschaft und der Praxis auch nicht sein. ({64}) Dem entspricht auch, Herr Kollege Schiller, die Schuldenaufnahme. Was haben Sie persönlich und in Verlautbarungen Ihres Hauses über die von mir und von der Fraktion der CDU/CSU aus meinem Mund gemachten Angaben über die Verschuldung des Bundes an heftigen Reaktionen von sich gegeben! Der Bund hat ursprünglich seine Schuldenaufnahme mit 4,7 Milliarden DM netto angegeben und muß sie jetzt auf 7,3 Milliarden DM erhöhen. Zu den 7,3 Milliarden DM kommt noch hinzu, was von den 6,16 Milliarden DM noch untergebracht werden muß. Das heißt: 7,3 bis 9,10 Milliarden DM allein der Bund. Herr Kollege Schiller, Sie haben den letzten Finanzbericht herausgegeben. In dem letzten Finanzbericht stimmen Bundesbank und Bundesregierung darin überein, daß im Jahre 1972 die Schuldenaufnahme von Gemeinden, Ländern und Bund nicht höher als 121/2 Milliarden DM sein sollte. Sie haben damals erklärt, der Bund begnüge sich mit 4,7 Milliarden, der Rest reiche für die Länder und die Gemeinden. Der Rest reicht aber jetzt, wenn der Bund mindestens 9 Milliarden DM in Anspruch nimmt, nicht mehr für die Länder und die Gemeinden, und Ihre Annahme, daß Länder und Gemeinden in diesem Jahr mit weniger Schuldenaufnahme auskämen, spricht nur für eines: für Ihre völlige Unkenntnis der Finanzlage der Länder und der Gemeinden. ({65}) Gemeinden, Länder und Bund werden sich in diesem Jahr in der Größenordnung von 20 Milliarden DM plus x verschulden, und dazu kommen noch die Schuldenaufnahmen bei Bahn und Post. Das heißt, die öffentliche Hand einschließlich Bahn und Post wird sich in diesem Jahr - genau weiß noch niemand, wieviel - zwischen 25 und 28 Milliarden DM verschulden. Diese Verschuldung ist in der Geschichte der Bundesrepublik in Zeiten normaler Konjunktur noch nie dagewesen. Wir haben ja Vollbeschäftigung. Es bedurfte keiner besonderen Spritzen, um die Vollbeschäftigung wieder herzustellen, und es bedurfte keiner Spritze, um die Vollbeschäftigung durch erhöhte Staatsausgaben zu erhalten. Was hier an erhöhter Verschuldung sichtbar wird, das ist nichts anderes als der Unterschied zwischen Theorie und Wirklichkeit, als der Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit, als der Unterschied zwischen Versprechungen und Erwartungen auf der einen Seite und Erfüllbarkeit in der Finanzierung auf der anderen Seite. ({66}) Herr Kollege Schiller, wissen Sie, warum ich die Fortschreibung der Finanzplanung gern gesehen hätte? Um nämlich einmal die Gesamtbeträge der Deckungslücken der öffentlichen Hand von 1972 bis 1975 durch eine regierungsamtliche Zahl zu erfahren. Sie haben nämlich in Ihrer Statistik in der ursprünglichen mehrjährigen Finanzplanung als Deckungslücke, die also kreditär zu finanzieren wäre, für Gemeinden, Länder und Bund für die Jahre 1972 bis 1975 - beide Jahre einschließlich - 52,7 Milliarden DM angegeben. Wenn man eine nur 10%ige Ausgabensteigerung der öffentlichen Hand zugrunde legt - das ist wesentlich weniger, als in den Jahren 1970, 1971 und 1972 angesetzt und Wirklichkeit war -, dann beträgt die Deckungslücke 118 Milliarden DM. ({67}) Mit jedem Prozent, um das diese Ausgabensteigerung noch überschritten wird - also 10 plus x Prozent -, erhöht sich der Ansatz von 118 Milliarden DM über die vier Jahre hinweg und für die drei Gebietskörperschaften zusammengenommen; ich wiederhole das noch einmal, damit es keinen Irrtum gibt. Darum stehen Sie vor der drastischen Notwendigkeit, entweder den Bund in einer Weise zu verschulden, daß die private Kreditaufnahme der Wirtschaft darunter leidet, oder die Steuern bereits im Jahr 1973 zu erhöhen. Vielleicht versuchen Sie noch, über die Runde der Bundestagswahlen zu kommen, um vor den Augen der Öffentlichkeit das volle Ausmaß der Finanztragödie noch zu verschleiern. Herr Kollege Schiller, diese Verschuldung von 118 Milliarden DM plus x für vier Jahre und die drei Gebietskörperschaften zusammengenommen ist doch ohne Zweifel ein Inflationsanreiz erster Ordnung. Wenn heute - ich glaube, es war der Herr Bundeskanzler, der es sagte - die Meinung vertreten wurde, das könne man ohne Rückwirkungen auf die Wirtschaft finanzieren, dann kann ich auch hier nur wieder die horrende Unkenntnis des Ablaufs der Ereignisse der letzten Wochen feststellen. Wir waren doch drauf und dran, Herr Kollege Schiller, zum 7%er zu kommen. Der 7%er ist doch aufgegeben worden. Der 7,5%er kann nicht mehr abgesetzt werden. ({68}) Wir nähern uns dem 8%er, und ob es beim 8%er bleibt, ist noch fraglich. Daß heißt, wir haben abermals ein Ansteigen des Zinsniveaus mit all den unangenehmen Folgen, die sich für die Preisentwicklung oder auch für die Stabilität unserer Zahlungsbilanz daraus ergeben. ({69}) Die Regierung hat erklärt: Binnenwirtschaftlich wird die Aufwertung die Preisentwicklung des Jahres 1970 dämpfen; ohne Aufwertung wäre eine weitere Zuspitzung der Konjunkturlage mit der Gefahr einer nachfolgenden Rezession kaum vermeidbar gewesen. Das heißt, unser Ziel lautet: Stabilisierung ohne Stagnation. - Was haben wir? Wir haben eine Preissteigerung bei den Lebenshaltungskosten 1969 von 2,7 %, 1970 von 3,8%, 1971 von 5,2% und zur Zeit von 5,4 %. Das heißt, wir haben Stagnation mit Inflation. Das ist die zweitschlechteste aller wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die allerschlechteste wäre Stagnation und Inflation mit Arbeitslosigkeit. Aber die zweitschlechteste auch tatsächlich zu erreichen, ist der Bundesregierung gelungen. ({70}) Herr Kollege Schiller, ich habe einmal in einem Rundfunkvortrag des Präsidenten Poullain folgendes gehört: der Wirtschaftsminister Schiller sei der beste, den die Bundesrepublik Deutschland je gehabt hätte. ({71}) Das hat er im November 1969 gesagt. Am 18. April hat derselbe Mann - im übrigen auch Berater des Bundeskanzlers - erklärt: Ich erwarte bis 1974 eine sich steigende Inflationsintensität mit der Folge einer Gefährdung unseres ganzen politischen Ordnungssystems. ({72}) Wenn allerdings der Kleine die Last trage und der Große den Nutzen habe, wenn diejenigen das Geschäft machten, die in die Sachwerte gegangen seien, während die anderen mit einem gerade die Inflationsrate deckenden Zins abgespeist würden, dann könne dies für eine Gemeinschaft über einen längeStrauß ren Zeitraum hinweg nicht ohne systemverändernde Wirkung bleiben. ({73}) Ja, wenn das die Feststellung desselben Mannes ist, der vor 21/2 Jahren Herrn Schiller zum besten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik emporgehoben hatte, wenn also dieser Mann heute dieses Urteil fällt, wen soll man denn dann verantwortlich machen? Da kann man doch in erster Linie nur diese Regierung verantwortlich machen, den Kanzler und seinen Doppelminister. ({74}) Man soll auch einmal mit dem Spiel aufhören, zu behaupten, die Inflation sei importiert und wir seien ja noch nicht einmal an der Spitze der inflationierenden Länder. Herr Schiller, Sie haben doch wörtlich - und mit Recht - im Jahre 1970 erklärt, um die Unternehmer und auch die Arbeitnehmer zu einem maßvollen Verhalten zu veranlassen - das war die berühmte Seelenmassage -: Diese Inflation ist home-made, ist made in Germany. Ihr Parteifreund, der Bundesbankpräsident Klasen, hat gesagt: home-spun, ebenfalls made in Germany. Warum sagt man vor der Öffentlichkeit, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, diese Inflation sei importiert, während man sich vor fachkundigem Kreise an die Brust klopft und sagt, diese Inflation ist home-made? Hier sollte die Bundesregierung doch einmal auf der einen wie auf der anderen Seite in der gleichen Sprache sprechen! Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Dr. Werner Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Strauß, da Sie gerade von der Verantwortung der Bundesregierung sprechen: Halten Sie es nicht für durchaus peinlich, daß, da wir jetzt den Haushalt des Bundeskanzlers diskutieren, der Bundeskanzler während der ganzen Rede nicht anwesend ist, ({0}) und haben Sie dafür eine Erklärung - außer vielleicht der, daß er bereits die Koffer packt? .({1})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Marx, ich nehme an, er bereitet sich auf morgen vor. ({0}) In der Regierungserklärung heißt es: Die Durchführung der notwendigen Reformen und ein weiteres Steigern des Wohlstandes sind nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen. Nach dem Urteil der Bundesregierung sind die Finanzierung der notwendigen Reformen und die weitere Steigerung des Wohlstandes nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen! Das also sind die Maßstäbe, mit denen die Bundesregierung selbst die Steigerung des Wohlstandes und die Finanzierung der Reformen kennzeichnet. Das Wachstum des Bruttosozialproduktes - und das reale ist maßgebend - war 1969 8 %, 1970 5,5 %, 1971 2,8 % und ist zur Zeit Null. Es wird am Ende des Jahres hoffentlich wieder 1 bis 2% betragen. Wie die Finanzen beschaffen sind, darüber haben wir uns heute hier unterhalten. Dem brauche ich vorerst nichts hinzuzufügen. Nach den von der Bundesregierung selbst aufgestellten Maßstäben ist weder Steigerung des Wohlstandes noch Finanzierung der Reformen möglich, weil die von der Bundesregierung genannten Voraussetzungen durch ihre eigene Politik zunichte gemacht worden sind. ({1}) In der Regierungserklärung heißt es: Wir werden Errungenes sichern und besonders für die Mitbürger sorgen, die trotz Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung im Schatten leben müssen, die durch Alter, durch Krankheit oder durch strukturelle Veränderungen gefährdet sind. Laut Geschäftsbericht der Bundesbank sind gerade diese Gruppen in erster Linie und im stärksten Ausmaße die Opfer der Preisentwicklung und die Opfer der inflationären Tendenz geworden. Ich messe die Regierung nur an ihren eigenen Maßstäben und an ihren eigenen Zielpositionen und vergleiche das dann mit der Wirklichkeit. Hier im Geschäftsbericht der Bundesbank heißt es, daß die Rentner neben den Sparern in den beiden letzten Jahren eindeutig zu den Leidtragenden des gesamtwirtschaftlichen Verteilungskampfes geworden sind. Ich könnte noch weitere Zahlen dafür bieten; ich will mich aber darauf beschränken. Es heißt in der Regierungserklärung, nach der Absicht der Regierung sollten die Möglichkeiten des Bausparens erweitert werden. Die Wirklichkeit ist: der Bausparer trägt die Folgen der Inflation in besonderer Weise. Eine D-Mark, die er im Jahre 1968 in seine Finanzplanung für eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim eingesetzt hatte, war für ihn Ende 1970 noch 80 Pfennig wert, sie war Ende 1971 noch 70 Pfennig wert, und sie wird Ende 1972 ungefähr 60 Pfennig wert sein. Bei dem Umfang des Sparvolumens und bei der sozialen Zuordnung, die gerade bei den Bausparern festzustellen ist, sind die Sparer im allgemeinen um ihr zweites Einkommen, den Zins, gebracht worden, weil sie sonst an Substanz verlieren. Die Bausparer sind einem Prozeß unterworfen worden, den man nur als kalte Enteignung der Kleinen und der besonders Schutzbedürftigen bezeichnen kann. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich demgegenüber Ankündigungen des Herrn Bun10686 deskanzlers aus der Vergangenheit erwähne: „Als Bundeskanzler werde ich die Deutsche Mark hart und stabil erhalten, denn Verbraucher und Sparer dürfen nicht auf kaltem Wege enteignet werden" - Ferienillustrierte des Jahres 1969 -, in der Regierungserklärung: „Wir werden die Forderungen des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums erfüllen", am 18. April 1970: „Wir sind insofern über den Berg, als wir feststellen können, die Arbeitsplätze sind sicher, der Wohlstand wächst weiter, die Preisentwicklung wird sich beruhigen". Ich möchte die Zahl der Zitate nicht endlos erweitern; es gibt dafür fast einen unbegrenzten Schatz. Ein besonderes Kapitel ist das Versagen der Bundesregierung bei dem mit solchen Fanfarenstößen angekündigten Reformwerk der großen Steuerreform. Ich habe einige Reformwerke der Bundesregierung verfolgt, besonders das der großen Steuerreform. Ich bin hier zu einer interessanten Analyse gekommen. Allmählich kann man die verschiedenen Stadien eines Reformvorhabens der Bundesregierung etwa folgendermaßen analysieren. Der Ablauf der Ereignisse sieht ungefähr so aus: Ein Reformvorhaben wird verkündet, dann allgemeines Staunen, Euphorie, Freiwillige melden sich, fieberhafte Tätigkeit, die ersten Schwierigkeiten tauchen auf, die Schwierigkeiten werden unüberwindlich, Resignation, die Suche nach dem Schuldigen beginnt, Bestrafung der Beteiligten, Auszeichnung der Nichtbeteiligten, Ende des Reformvorhabens, ein neues Reformvorhaben wird verkündet. ({3}) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schiller, gerade die Behandlung dieses Haushalts in der Woche nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg - ich sage das heute nicht zum erstenmal, ich habe es schon zweimal in diesem Jahr gesagt -, erinnert in peinlicher Weise an die Behandlung der Zusagen des Bundeskanzlers über Steuersenkungen ab 1. Januar und dann ab 1. Juli 1970. Welche Zwischenrufe sind mir aus den Reihen der Regierungsparteien entgegengedrungen, als ich schon früh in diesem Jahre sagte: „Der Haushalt wird frühestens in der Woche nach den Landtagswahlen verabschiedet werden" ! Genausowenig, wie damals bei den Landtagswahlen am 14. Juni 1970 der Wähler wissen durfte, daß die Steuersenkung auf unbestimmte Zeit vertagt wird, sollte er durch eine parlamentarische Behandlung des Haushalts vor dem letzten Sonntag über den wirklichen Zustand der öffentlichen Finanzen unterrichtet werden. ({4}) Sie wissen doch noch, Herr Kollege Schiller, daß wir damals, im Juni 1970, im Finanzausschuß den Antrag gestellt hatten, die Steuersenkung auf unbestimmte Zeit zu vertagen, daß wir mit 13 : 12 Stimmen niedergestimmt worden sind und daß vierzehn Tage später, am 19. Juni, Sie in diesem Hause mit der fast Bleichlautenden Begründung dasselbe verlangt und durchgesetzt haben. Aber dazwischen haben die Landtagswahlen stattgefunden, und der Wähler sollte zur Wahlurne gehen in dem Bewußtsein, daß die Steuersenkung am 1. Juli kommt und die Regierung ihr Wort hält. Genauso sollte er am letzten Sonntag zur Wahlurne gehen und nicht wissen, wie der wirkliche Zustand der Finanzen ist. ({5}) Bis heute ist die Steuersenkung nicht da, Herr Kollege Schiller. Sie kommt vielleicht am 1. Januar 1974. Sie kommt dann durch Abzug von der Steuerschuld, 20 DM im Monat maximal, geteilt durch fünf. 4 DM zahlt er weniger Lohnsteuer. Und was zahlt er in der Zwischenzeit mehr an Mineralölsteuer, Branntweinsteuer, Tabaksteuer, als Bahn- und Postbenutzer? Ein Vielfaches von dem wird ihm doch vorher aus der Tasche gezogen, was er 1974 endlich angeblich bekommen soll. Das ist doch die Wirklichkeit in diesem Lande. ({6}) Was waren das noch für Zeiten, als der Bundestag zu Sondersitzungen zusammenkam, um die Finanzlage der Post zu besprechen und sich über Gebührenerhöhungen zu erregen. Heute regt sich im Kreise der heutigen Regierungsparteien gar niemand mehr auf. Das Ganze ist ein administrativer Vorgang, der wegen häufiger Wiederholung keine besondere Aufmerksamkeit mehr verdient. ({7}) Meine sehr verehrten Kollegen, heute hat der Herr Bundeskanzler etwas gesagt, was er entweder als falsche Information bekommen oder ich weiß nicht aus welchem Grunde hier behauptet hat, daß nämlich die große Steuerreform noch von diesem Bundestag unter der Leitung dieser Regierung verabschiedet werde. Ich möchte dazu folgendes feststellen. Die Eckwerte sind am 11. Juni letzten Jahres verkündet worden. Sie sind damals verkündet worden als ein monumentales Reformwerk von säkularem Charakter. Da standen sozusagen die geschichtlichen Ahnen Miguel, Popitz, Erzberger an der Wand, und der nächste Platz war ursprünglich von Alex Möller beansprucht, und jetzt sollte Karl Schiller dort verewigt werden. ({8}) So war es geplant mit der großen Steuerreform. Ich habe damals gesagt: Wenn diese Eckwerte geltendes Recht werden, werden wir sie in wesentlichen Punkten ändern, sobald wir wieder die Regierungsgewalt übernehmen, weil sie einfach in vielen Punkten unhaltbar sind. Aber dieses monumentale Werk wurde im Oktober bereits überprüft. Ein Jahrhundert dauerte nur vier Monate. ({9}) Nach der Änderung im Oktober, die zum Teil auf das Konto der FDP geht, wurde von Ihnen verkündet, daß nunmehr diese Steuerreform allen gesellschaftlichen Kräften Gerechtigkeit widerfahren lasse. Wieder vier Monate später kam es zum Krach zwischen Herrn Haller und Ihnen. Und dann hat Herr Ahlers verkündet er hat ja immer eine besondere Neigung zu offenen Bekundungen; dafür muß man ihm dankbar sein , diese Steuerreform könne so nicht vorgelegt werden, weil sie noch voller Ungereimtheiten und Absurditäten stecke. ({10}) Das ist, jetzt einmal an einem konkreten Beispiel dargestellt, der Werdegang eines der größten Reformwerke dieser Regierung. ({11}) Ich möchte hier über die Einzelheiten der Steuerreform nicht sprechen. Nur, Herr Kollege Schiller - ich sage es hier noch einmal -: Ganz gleich, wie die Abstimmung morgen verläuft: diese Bundesregierung hat den Zeitpunkt versäumt, ein geschlossenes Reformwerk vorzulegen, das rechtzeitig vor den nächsten Bundestagswahlen hätte verabschiedet werden können. Wir lassen uns nicht darauf ein, daß die Steuerreform in vier Pakete zerlegt und daß jedes Paket einzeln zu Steuererhöhungen verwendet wird. Wir haben erklärt - ich wiederhole es hier -: Wir sind nur dann bereit, im Sinne der Gemeinsamkeit hier mitzuwirken, wenn das erste Paket in Kenntnis der Be- und Entlastungen der folgenden Pakete verabschiedet werden kann. Wir sind nicht bereit, eine Erhöhung der vermögensabhängigen Steuern um beinahe 2 Milliarden DM mitzumachen, um uns anschließend eine Erhöhung der Einkommensteuer, anschließend einen unsozialen Familienlastenausgleich, anschließend eine Verschlechterung der Sparförderung und anschließend eine Begünstigung der Junggesellen und der Familien mit einem Kind und eine Benachteiligung der Familien mit zwei und mehr Kindern als sozialen Fortschritt empfehlen zu lassen, eine Körperschaftsteuerreform, die ihrerseits wiederum durch andere Steuererhöhungen ihren Sinn verliert und der geplanten Vermögensbildungsabgabe die Basis entzieht. Dahinter steht dann das letzte Paket: Was haben Sie mit der Mehrwertsteuer und den indirekten Steuern vor? Ich sehe bei der Bundesregierung nur eine Taktik: das erste Paket vorzulegen und zur Verabschiedung zu bringen, dann mit dem zweiten Paket eine abermalige Erhöhung der Steuern herbeizuführen, ebenso mit dem dritten und ebenso mit dem vierten Paket. Heute ist es bereits so, daß die Eckwerte der Bundesregierung bei normalen Ansätzen des Vermögens und des Einkommens in der gewerblichen Wirtschaft eine jährliche Steuerbelastung von 80 % und mehr erbringen. Ich möchte jetzt von den Eckwerten der SPD und ihres Steuerparteitages hier gar nicht sprechen. Ich würde mich auch hier gern auf Herrn Ahlers verlassen, der diese Eckwerte in seinem Brief an Herrn Steffen als selbstmörderische Politik bezeichnet hat. ({12}) Wenn ich hier aus dem Mund des Herrn Arndt höre, daß diese Bundesregierung eine Säule der Marktwirtschaft, eine Säule der Stabilität sei, wenn sich der Bundeskanzler hier zur Marktwirtschaft, zum Markt als dem Regulator, zum Leistungsprinzip, zum Eigentum usw. bekennt, dann möchte ich einmal fragen, ob Sie, Herr Schiller, eine Erhöhung der Staatsquote von 39 auf 48 %, wie sie im Langzeitprogramm der SPD verkündet worden ist, wirklich noch für mit einer funktionierenden Marktwirtschaft vereinbar halten. ({13}) In dem Fall haben Sie ja auch über Indiskretion geklagt. Aber die Indiskretion kam diesmal aus den eigenen Parteiarchiven. Warum hat man denn dieses Langzeitprogramm versteckt? Man wollte es in seinen Einzelheiten sicherlich bis nach den nächsten Bundestagswahlen verstecken. Der Bürger sollte nicht wissen, daß - wenn man nur die Zahlen des Sozialprodukts von 1972 nimmt - 75 Milliarden DM in dieser oder jener Form, in Form von Steuern, Zwangsabgaben oder Kreditinanspruchnahme - das Nähere ist ausgeführt -, dem privaten Verfügungsbereich entzogen und in öffentlichen Verfügungsbereich überführt werden sollten. Wenn aber die Staatsquote einmal auf die 50 0/o zugeht, dann kann diese Regierung doch nicht mehr bestreiten, daß das Sozialismus ist, sozialistische Gesellschaftsordnung darstellt und mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun hat! ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß meiner Ausführungen noch auf zwei Punkte hinweisen. Herr Kollege Barzel hat heute einige Stellen aus dem offiziellen Flugblatt der Jungsozialisten in Baden-Württemberg zitiert. Herr Bundeskanzler, Sie haben immer behauptet, das sei die Diskussion zwischen den Generationen, dieser Diskussion müsse man freien Lauf lassen, sie könne nur zu fruchtbaren Ergebnissen führen, wenn sich eben die ältere und die junge Generation auf dem Boden derselben Grundordnung und einer gemeinsamen Auffassung zu einem gemeinsamen Werk zusammenfinden würden. Das ist nicht wahr. Allein in dem Zitat von Herrn Barzel steht, daß die Jungsozialisten sagen: Wir haben durch die Formulierung unserer sozialistischen Strategie im Bündnis mit den Altsozialisten eine Position erkämpft, an der die SPD nicht mehr vorbeigehen kann. Das heißt doch, daß sich hier Altmarxisten und Jungmarxisten zusammengefunden haben, um das Godesberger Programm aus den Angeln zu heben. Hierauf geben Sie uns doch bitte Antwort! ({15}) Der Herr Bundeskanzler hat heute ebenso wie andere Redner eine Reihe von Belehrungen an die Adresse der CDU/CSU gegeben. - Sie, Herr Wehner, haben natürlich Grund, diese Diskussion nicht zu wünschen. Wer aber in unserem Lande an die Zukunft und daran denkt, daß eine freiheitliche Gesellschaftsordnung mit Marktwirtschaft, mit parlamentarischer Demokratie und mit Rechtsstaatlichkeit erhalten werden soll, der kann diesen Volksfronttendenzen, wie sie sich in diesem Gebiet zeigen, nicht ahnungslos und mit verschlossenen Augen und mit passiver Gleichgültigkeit zusehen. ({16}) Hier handelt es sich nicht um eine Diskussion zwischen den Generationen, Herr Kollege Wehner, weil Sie mich da angesprochen haben: Sie wissen doch, daß der Wahlkampfstratege Kopf der Jungsozialisten von Baden-Württemberg, der damals an der Organisation dieser gewalttätigen Aktionen gegen Sie in Nürnberg beteiligt war, gegen den ein Parteiverfahren eingeleitet war - es ist dann eingestellt worden -, unter größtem Beifall auf dem letzten Bundeskongreß der Jusos in Oberhausen erklärt hat, die Position von Rosa Luxemburg sei entscheidend für den Jungsozialisten, die parlamentarische Aktion, die gewerkschaftliche Aktion wie die gesamte Tätigkeit der Arbeiterbewegung müsse von dem Zweck bestimmt sein, das Proletariat aufs schärfste der nationalen Bourgeoisie entgegenzustellen. Ich könnte in Ergänzung zu dem Zitat, das Herr Barzel heute verlesen hat, noch eine Fülle von Zitaten vorlesen. Es geht hier aber gar nicht um Zitate. Wir alle haben in Familien, Parteien, Organisationen, in Staat und Gesellschaft die Diskussion zwischen den Generationen. Aber in der Diskussion zwischen den Generationen muß eines sichergestellt sein: die gemeinsame Wertordnung einer freiheitlichen Gesellschaft und die gemeinsamen Zielorientierungen. ({17}) Hier stehen sich jedoch heute in der SPD zwei politische Richtungen gegenüber, die sich erbittert und zum Teil bis aufs Messer bekämpfen. Siehe die Entwicklung in München! Herr Bundeskanzler, wie soll man es verstehen, wenn ein alter Jungsozialist wie Kultusminister von Oertzen von Ihrer Partei, dessen merkwürdige personelle Verflechtungen mit mannigfaltigen Kreisen auch einmal der Aufhellung bedürften, in einem Vortrag vor Studenten gesagt hat, er wolle einen Waffenstillstand mit den unruhigen linken Gruppen machen, und wenn er den Beschluß der Ministerpräsidenten, Radikale von der Lehrtätigkeit auszuschließen, öffentlich kritisiert hat? Mit Recht sagt ein Zeitungskommentator: „Daß ein der SPD angehörender Kultusminister Derartiges sagt" - er zitiert dann: ,Richtlinien muß man noch einmal diskutieren - ,Radikale Enteignungen sind mit freiheitlicher Demokratie vereinbar' - ein Einreiseverbot für Professor Mandel sei eine unglaubliche Schweinerei -, „das muß als symptomatisch für den inneren Zustand Ihrer Partei gelten." Dazu wollen wir etwas hören. ({18}) Durch Nichtstun, Beschönigen, nichtssagende Erklärungen, theoretische Distanzierungen, Verniedlichung der Probleme, Verwischen der Thematik und Davonlaufen vor der Entscheidung macht man diese Dinge nur noch schlimmer. ({19}) Wenn das so weitergeht, werden die letzten Dinge schlimmer als die ersten Dinge sein. Sie, Herr Bundeskanzler, haben nicht nur in Ihrer Funktion als Bundeskanzler, sondern auch als Sachwalter der demokratischen Gesellschaft in dieser großen Partei eine Verantwortung, und deshalb haben auch wir als eine andere demokratische Partei das Recht, von Ihnen Auskunft darüber zu verlangen, wie Sie sich den Weitergang der Entwicklung in dieser Ihrer Partei vorstellen. Theoretische Distanzierungen nützen gar nichts. Hier muß einmal ein Trennungsstrich gezogen werden, damit die demokratischen Kräfte in diesem Lande wiederum enger zusammenfinden, als es zwischen Ihnen und Randbereichen auf der anderen Seite heute leider der Fall ist. ({20}) Ein letzter Satz, Herr Bundeskanzler und auch Herr Bundesaußenminister: Wenn Sie Glaubwürdigkeit beanspruchen, müssen Sie erstens dafür sorgen, daß wieder eine Übereinstimmung zwischen Ihren Angaben in der Regierungserklärung und der Wirklichkeit zu erkennen ist. Zweitens müssen Sie dann sagen, wohin die Reise in Ihrer Partei hinsichtlich der Ausbreitung der Linksradikalen geht. Drittens müssen Sie sich dann einfach sagen lassen, daß die Vorgänge mit dem Bahr-Papier, die hier von Herrn Scheel als unverbindliche Protokollnotizen bezeichnet worden sind, während sie wenige Wochen später offizielle Texte waren, uns dazu geführt haben, die Urquellen lesen zu wollen und uns nicht mit teilweisen Auszügen zu begnügen, weil wir das Vertrauen in Sie verloren haben. ({21}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, zur Geschäftslage darf ich auf folgendes verweisen. Der Ältestenrat hat festgelegt, daß wir heute abend um 21 Uhr schließen. Der Herr Abgeordnete Strauß hat seine Redezeit um drei Minuten überzogen. Wir hängen diese drei Minuten an. Als nächster steht Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister Professor Schiller auf der Rednerliste. Können wir uns darauf verständigen, daß Sie ein paar Minuten nach 21 Uhr zu einem Abschluß kommen? ({22}) - Das Wort hat der Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister Professor Schiller.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich hatte mit großer Spannung die Rede des Kollegen Strauß erwartet. Ich hatte gedacht, entsprechend seinem Eingangsschwur würde er über den Haushalt 1972 sprechen. ({0}) - Ich habe sehr wenig davon vernommen, Herr Strauß. ({1}) Es war verdammt wenig. Was Sie zur Steuerreform gesagt haben, Herr Strauß, war fast wortwörtlich dasselbe, was Sie am 15. März gesagt haben. Sie müssen einmal Ihr Sortiment an Platten ein bißchen anreichern. ({2}) Im übrigen ist mir morgen ja wohl Gelegenheit gegeben, Ihnen auf Ihre Rede in der Sache zu antworten. Ich möchte Ihnen heute nur eines sagen. Der Bundeskanzler hat heute nachmittag mit Recht betont, man könne sich fragen, von welcher Landschaft, von welchen Land die CDU/CSU eigentlich rede. Man könnte sich fragen: Meint sie eigentlich die Bundesrepublik Deutschland, in der wir leben? ({3}) - Nein! Wenn man nach Ihnen geht, Herr Strauß, nach dem, was Herr Barzel sagte, und nach dem, was leider auch Herr Katzer in einigen Teilen seiner Rede sagte, so kann ich nur feststellen: Bei Ihnen wird von einem Lande gesprochen, das so in dieser Bundesrepublik nicht existiert, von einem Land, in dem die Bevölkerung durch Angst und Furcht vor Arbeitslosigkeit gejagt wird. Herr Strauß hat heute wieder darauf verwiesen. Es wird bei Ihnen von einem Land gesprochen, in dem Furcht um Löhne und Gehälter besteht und in dem die Menschen durch Unsicherheit getrieben werden. Herr Strauß, dies ist nicht die Bundesrepublik Deutschland. Sie haben ein falsches Bild. ({4}) Es gehört zum Kaleidoskop der CDU/CSU. Es ist ein bewundernswertes, naives Kaleidoskop, das Sie immer aufsetzen: Wenn Sie an der Macht sind, ist die Bundesrepublik heil und schön; die Welt ist gut, und alles ist für die CDU/CSU in Ordnung. ({5}) Ist die CDU/CSU nicht an der Regierung, so ist die Welt dunkel, grau in grau, und unmittelbar, in direktem Marsch auf die Volksfront begriffen. So ist Ihre Weltanschauung. Ich hätte jenes Wort nicht gebraucht, Herr Strauß. ({6}) - Doch, Sie haben das Wort „Volksfront" heute in Ihren Ausführungen verwendet. ({7}) Herr Strauß, ich muß Ihnen ganz offen sagen - ich will das sehr kurz machen -: Dies ist eigentlich nicht der Stil, in dem wir über den Haushalt 1972 reden sollten. ({8}) Herr Strauß, wenn ich Ihnen mit gleicher Münze zurückzahlen würde, müßte ich sagen: mit dem, was Sie morgen früh zur Wahl und zur Abstimmung stellen, steht auch zur Wahl, ob diese Bundesrepublik Deutschland sich auf dem direkten Marsch in die Harzburger Front befindet. Das wäre dasselbe. ({9}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, in Ruhe Platz zu nehmen. Wir sind in ein paar Minuten am Ende dieser schwierigen Sitzung angelangt. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen? ({10}) - Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth? ({11})

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Ich kann nur sagen: Das Experiment ist gelungen! Urteilen Sie selbst! ({0}) Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur eins sagen: Das Experiment ist gelungen! Ich habe gesagt: Es ist nicht mein Stil, aber Herr Strauß kann ungestraft und ungerügt das Wort „Volksfront" hier hinlegen! Wenn ich jetzt entsprechend antworte, dann kommt Ihre Reaktion! ({1}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich unterbreche die zweite Lesung des Bundeshaushalts. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 27. April 1972, 10 Uhr, zur Präsident von Hassel Beratung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU, Tagesordnungspunkt III. ({2}) Ich schließe die Sitzung.