Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/14/1972

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Olympischen Friedens - Drucksache VI/3202 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache VI/3337 Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke Abgeordneter Dr. Schneider ({1}) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs ({3}) - Drucksachen VI/3303, VI/3332 - Berichterstatter: Abgeordneter Kater Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Erweiterung der Tagesordnung beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur Beratung des Agrarberichts 1972 der Bundesregierung - Umdruck 268 - noch dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist auch dieses so beschlossen. Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen hat am 10. April 1972 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mick, Erpenbeck und der Fraktion der CDU/CSU betr. Wohnungsbau - Drucksache VI/3288 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/3326 verteilt. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 30. März 1972 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kiechle, Ehnes, Dr. Früh, Bremm, Dr. Ritz, Dr. Jobst, Niegel, Hösl, Biehle, Dr. Prassler, Weigl, Engelsberger, von AltenNordheim und Genossen betr. Agrar-Strukturpolitik - Drucksache VI/3227 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/3333 verteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 5. April mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, zwischenzeitlich verkündeten Verordnungen keine Bedenken erhoben habe: Verordnung des Rates ({4}) über die Regelung für Erstattungen bei der Erzeugung für Weißzucker, der bei der Herstellung der im Anhang I der Verordnung ({5}) Nr. 765/68 aufgeführten Erzeugnisse verwendet wird - Drucksache VI/2874 -Verordnung ({6}) des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({7}) Ni. 805/68 bezüglich der Vorausfestsetzung der Abschöpfung für Rindfleisch - Drucksache VI/2907 Verordnung des Rates ({8}) zur Änderung der Verordnung ({9}) Nr. 888/68 in bezug auf die Begriffsbestimmung der Rindfleischkonserven - Drucksache VI/2908 Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 359/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Reis - Drucksache VI/2985 -Verordnung ({11}) des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Marktrichtpreis, zum Interventionspreis und zum Schwellenpreis für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1971/1972 - Drucksache VI/2733 Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen: EG-Vorlagen Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie vom 20. Juli 1970 über die Einführung gemeinschaftlicher Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Untersuchung von Futtermitteln -- Drucksache VI/3318 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates ({13}) zur Änderung der Verordnungen über die Finanzierung von Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt für Agrarerzeugnisse. - Drucksache VI/3319 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie vom 14. Juni 1966 über den Verkehr mit Betarübensaatgut, über den Verkehr mit Futterpflanzensaatgut, über den Verkehr mit Getreidesaatgut, über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln, der Richtlinie vom 30. Juni 1969 über den Verkehr mit Saatgut von 01- und Faserpflanzen und der Richtlinien vom 29. September 1970 über den Verkehr mit Gemüsesaatgut und über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten - Drucksache VI/3320 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates ({14}) zur Änderung der Verordnung ({15}) Nr. 656/71 des Rates vom 30. März 1971 über die Regelung für Mais mit Ursprung in der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia - Drucksache VI/3321 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Vizepräsident Dr. Jaeger Entscheidung des Rates über die statistische Erfassung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs mit Kraftomnibussen im Gelegenheitsverkehr - Drucksache VI/3322 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts redit-zeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung des Rates ({16}) zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Moste - Drucksache VI/3323 überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({17}), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Fünfte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Einführungen der Mehrwertsteuer in der Italienischen Republik -- Drucksache VI/3324 überwiesen an den Finanzausschuß ({18}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat Verordnung ({19}) Nr. 600/72 des Rates vom 23. März 1972 zur Angleichung der Berichtigungskoeffizienten auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften überwiesen an den Innenausschuß ({20}), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden Wir kommen nunmehr zu Punkt 11 der gemeinsamen Tagesordnung: Beratung des Jahresberichts 1971 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages - Drucksache VI/3232 Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner.

Dr. Manfred Wörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002547, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich diese Aussprache damit eröffnen, daß ich dem abwesenden, kranken Bundesverteidigungsminister für meine Fraktion und für meine Person herzliche Wünsche zur gesundheitlichen Besserung übermittle. ({0}) Bei aller Kritik, die ich in dem einen oder anderen Punkt zu üben habe, empfinde ich Dankbarkeit und Respekt gegenüber der rastlosen Hingabe an sein Amt, dem dieser Mann seine Gesundheit geopfert hat. Noch steckt die Bundeswehr nicht in einer Krise, noch ist sie in der Lage, ihre Aufgabe, ihren Auftrag zu erfüllen. Aber sie befindet sich unleugbar in einer äußerst kritischen Phase ihrer Entwicklung, die jeden gutmeinenden Betrachter besorgt stimmen muß. So falsch es wäre, die Bundeswehr in eine Krise hineinzureden, so verhängnisvoll wäre es, diese Entwicklung zu bagatellisieren und die bedenklichen Erscheinungen nicht wahrhaben zu wollen. Wenn der Bundesverteidigungsminister bei der Amtseinführung von Admiral Zimmermann als neuem Generalinspekteur erklärt, er sehe keine Anzeichen für eine geringere Bereitschaft der Soldaten, im Gefechtsdienst oder in der Spezialverwendung ihre Pflicht zu tun, dann steht diese Aussage in klarem Widerspruch zu den Feststellungen des Wehrbeauftragten und der Wirklichkeit des Truppenalltags, wie sie Ihnen gerne jeder Unteroffizier und Offizier bestätigen wird. Wer die kritischen Zustände, die der Wehrbeauftragte aufgedeckt hat, herunterzuspielen versucht, tut der Bundeswehr einen schlechten Dienst. Und wenn der Bundesverteidigungsminister in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk erklärt: „Die Unruhe ist eigentlich erst entstanden durch den Bericht des Wehrbeauftragten; vorher war sie nicht da", dann kommt mir das so vor, wie wenn jemand das Fieberthermometer dafür verantwortlich machen will, daß das Fieber des Patienten gestiegen ist. Ganz sicher wissen auch wir, daß der erste Maßstab für die Funktionsfähigkeit einer Armee ihre Leistung in militärischer Hinsicht ist, und auch wir anerkennen dankbar, daß die Bundeswehr bei Übungen und Manövern noch immer gute, teilweise sogar sehr gute Leistungen erbringt. Aber ich sage hier - und ich sage es namens meiner Fraktion -: Wenn sich die Entwicklung vor allem im disziplinären Bereich so fortsetzt und wenn der Bundesverteidigungsminister die Lage nicht in den Griff bekommt, dann werden darunter, und zwar binnen kurzem, auch die Leistungsfähigkeit und die Kampfkraft dieser Truppe leiden. Darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich jetzt sagen, gilt es, die Dinge beim Namen zu nennen, nach den Ursachen zu forschen und die Mißstände an den Wurzeln zu packen. Zunächst lassen Sie mich aber dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern herzlich Dank sagen für die Offenheit, mit der er gerade dies getan hat. Diese Institution hat eine Entwicklung genommen, die man an sich nur dankbar begrüßen kann. Aus einer Institution, die zum Teil dem Mißtrauen gegenüber den Soldaten entsprang, ist eine Art Barometer für die Stimmung in der Truppe geworden, eine Stelle, die die Sorgen und Nöte dieser Truppe, und zwar ungetrübt durch politische Zweckmäßigkeitsüberlegungen und nicht gefiltert durch bürokratische Ängstlichkeit, dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit übermittelt. Ich pflichte dem Urteil eines sehr bekannten und auch sehr fähigen militärpolitischen Journalisten, des Herrn Weinstein, bei, der in einem beachtlichen Artikel folgendes schrieb: Unsere Bundeswehr hat Schwächen. Der Wehrbeauftragte deckt sie schonungslos auf. Er zerreißt den Rauchschleier, den der Verteidigungsminister mit der Fülle seiner Reformideen um zahlreiche ungelöste Probleme dieser Bundeswehr gezogen hat. Jetzt kommt es darauf an, entschlossen und konsequent zu handeln. Ich persönlich bin überzeugt, daß dazu noch immer Zeit ist. Allerdings nicht mehr sehr lange. Jeder Tag, der ungenützt verstreicht, verschlimmert die Lage. Auf die Bundeswehr kommen - wir alle wissen das - in der Mitte der 70er Jahre schwere, schwerste Probleme zu, die außergewöhnliche Belastungen mit sich bringen. Ich denke etwa an die Folge der finanziellen Engpässe für die Rüstungsplanung oder an die Umstrukturierung der Bundeswehr, vor der wir stehen. Wenn wir es bis dahin nicht geschafft haben, die Bundeswehr innerlich zu stabilisieren, ihr also ein gesichertes inneres Gefüge und ein ungebrochenes Selbstverständnis zu geben, dann wird die Bundeswehr diesen zusätzlichen Belastungen kaum gewachsen sein. Woran krankt nun diese Bundeswehr insbesondere? Erstens an einem deutlichen Nachlassen der Disziplin. Man würde der Mehrzahl der Wehrpflichtigen Unrecht tun, wenn man dieses Urteil unzulässig verallgemeinern wollte. Es gibt Truppenteile und Einheiten, bei denen es besser, andere, bei denen es schlechter ist. Die Mehrzahl der Wehrpflichtigen verhält sich noch immer diszipliniert. Dennoch schrecken die zunehmenden Symptome. Die unerlaubte Entfernung von der Truppe hat, wie wir alle wissen, in geradezu beängstigendem Umfange zugenommen. Wir haben in einem Jahr Steigerungsraten um fast drei Viertel. Die Suchkosten nach eigenmächtig Abwesenden betragen in einem einzigen Feldjägerdienstkommando der Bundesrepublik bereits in einem Jahr über 40 000 DM. Es kommt vor, daß Soldaten bis zu zehnmal im Jahr der Truppe eigenmächtig fernbleiben. Auch der Ungehorsam vor allem gegenüber jüngeren Vorgesetzten ist im Steigen. Man versucht häufig, sich vor unangenehmen Diensten durch Krankmeldungen zu drücken, und der Einsatz bei körperlichen Anstrengungen läßt zu wünschen übrig, Zapfenstreichüberschreitungen sind an der Tagesordnung und Fahrlässigkeit beim Umgang mit Gerät nicht eben selten. Zweitens krankt diese Bundeswehr an einem immer schlechteren äußeren Erscheinungsbild. Nicht nur die Haare, sondern auch Gruß, Anzug, Haltung, Pflege der persönlichen Ausrüstung sind häufig mangelhaft. Die Sauberkeit läßt zu wünschen übrig. Auch das Verhalten in der Öffentlichkeit entspricht häufig nicht unseren Vorstellungen. Lassen Sie mich eines klarstellen, weil der Herr Bundesverteidigungsminister es ja immer als eine Äußerung modischer Anpassung bezeichnet: Es geht hier nicht um eine Frage der Mode. Niemand hat etwas dagegen, wenn auch der Soldat mit der Mode geht. Niemand denkt daran, dem Soldaten modischen Schick, etwa - wenn wir schon bei der Frage der Haare sind - einen modischen halblangen Haarschnitt verwehren zu wollen. ({1}) --- Ja, Herr Kollege Wehner, Sie haben recht. Ich persönlich empfinde beim Anblick langer Haare meistens nur noch eines, und das ist Neid. ({2}) Ganz im Gegenteil: auch eine Armee soll mit der Zeit gehen und dem modischen Empfinden Rechnung tragen. Aber bei den Dingen, die wir beanstanden, geht es um etwas ganz anderes, nämlich um Unsauberkeit und Unordentlichkeit, und das dürfen eine Armee und auch eine politische und militärische Führung nicht zulassen. ({3}) Nun gibt es manchen, der da sagt: Es kommt gar nicht darauf an, wie eine Truppe nach außen auftritt; entscheidend ist, daß sie etwas leistet. Leider ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Zum einen deswegen, weil die Bevölkerung - und zwar nicht nur bei uns im Inland, sondern auch im Ausland; man denke nur etwa an den Truppenbesuch in Brest - die Qualität einer Armee nicht zuletzt nach ihrem Auftreten und ihrer Haltung beurteilt. Daß der „geniale" Einfall mit den Haarnetzen einiges dazu beigetragen hat, einen Teil der Bundeswehr oder einige Soldaten der Lächerlichkeit preiszugeben, scheint mir jedenfalls außer Zweifel zu stehen. Man müßte einmal untersuchen - wenn ich das hier ironisch hinzufügen darf -, ob nicht die neue Form der Haarnetze einen Verstoß gegen die Menschenwürde eher in sich schließt als manches andere. ({4}) Wie oft hören wir - und zwar nicht nur von Vorgestrigen und Reaktionären in unserer Bevölkerung - die Meinung, daß eine Armee, die so aussehe, auch nicht viel taugen könne. Dieses Urteil mag ungerecht sein; es ist in dieser Härte zweifelsohne ungerecht. Es kann uns aber nicht gleichgültig lassen; denn das Ansehen einer Armee ist für die Verankerung dieser Armee in der Gesellschaft, für das Selbstwertgefühl der Soldaten und damit allein schon für die Nachwuchswerbung unerläßlich. Wer es zuläßt, daß das Ansehen einer Armee Schaden leidet, der kann auf die Dauer die Qualität einer Armee auch nicht halten, meine Damen und Herren. ({5}) Zum anderen - auch das sei gesagt - ist es eine unleugbare praktische Erfahrung, die jeder Truppenführer draußen bestätigen wird, daß im Regelfall zwischen äußerer Einstellung und innerer Haltung ein enger Zusammenhang besteht. Wer schlampig und unordentlich auftritt, erfüllt auch seine militärischen Aufgaben, jedenfalls in der Regel, eher nachlässig als zuverlässig. Für mich steht die Frage der Haare - ich sagte das schon mehrfach - nicht im Vordergrund. Ich sehe darin allerdings ein wichtiges Symptom. Mit dem Nachgeben in dieser Frage hat man einen Damm eingerissen. Selbst der scheidende Generalinspekteur de Maizière hat das in seinem Interview mit Gaus, wie ich glaube, recht eindrucksvoll bestätigt. Man hat mit diesen Erlassen die klare Grenze verwischt, und man hat damit ganz unzweifelhaft die Vorgesetzten verunsichert. Viele Soldaten - auch das wird niemand bestreiten können - sehen in diesem Erlaß um die Haar- und Barttracht einen Freibrief für eine großzügige und nachlässige Ausführung von Befehlen, insbesondere beim Einhalten der Anzugsordnung, im militärischen Auftreten und im Verhalten in und außer Dienst. Ich darf hier noch einmal jenen Journalisten zitieren, der geschrieben hat: Für den Verteidigungsminister ist die Kritik am Äußeren seiner Soldaten nun zu einem Tabu geworden. Für den Haar- und Barterlaß trägt er die Verantwortung. Er wird nicht gerne daran erinnert. Er möchte als Mode herunter10524 spielen, was insgesamt als Protest gegen die Streitkräfte begriffen werden kann. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Drittens krankt diese Bundeswehr an einer zunehmenden Unlust und Unwilligkeit der Wehrpflichtigen. Sicher - auch das muß man hier sagen -kommt noch immer ein großer Teil der Wehrpflichtigen willig seinen Pflichten nach; aber Umfragen und Untersuchungsbefunde beweisen: die Abneigung gegen die allgemeine Wehrpflicht wächst. Jüngere Altersklassen und höhere Bildungsschichten äußern gegenüber Ansehen und Notwendigkeit der Bundeswehr eine deutlich schlechtere Haltung. Und dann soll mir jemand erklären wollen, daß angesichts dieser Haltung, die von der Unlust bis hin zum offenen Protest reicht, der Dienst nicht behindert sei, die Aufgaben des Vorgesetzten nicht schwieriger würden und die Erfüllung der Aufgaben in der Bundeswehr nicht schwerer würden. Ich nehme ihm das jedenfalls nicht ab. Viertens ein weiteres Symptom: Die Bundeswehr leidet an einer wachsenden und bis hin zur Resignation reichenden Enttäuschung im Unteroffiziers- und Offizierskorps, und zwar, nicht nur etwa bei älteren, sondern auch - ich möchte sogar sagen: gerade - bei jüngeren Unteroffizieren und Offizieren. Das ist nach meiner Auffassung die gefährlichste Entwicklung, jedenfalls auf lange Frist gesehen; denn dieses Offiziers- und Unteroffizierskorps ist das größte Kapital, das wir in dieser Armee haben. Gerade die jungen Unteroffiziere und Offiziere zeichnen sich durch fachliches Können und ein hohes Maß an innerem Engagement und an Bereitschaft, ihren Dienst zu versehen, aus. Sie können und sie wollen etwas leisten, und sie sind voll guten Willens, aber sie fühlen sich zunehmend im Stich gelassen. Manche geben es auf, sich gegen gefährliche Tendenzen zu stemmen. „Das hat ja doch keinen Zweck" ist ein Urteil, das von uns jedenfalls, die wir die Truppe gelegentlich besuchen, jeder schon gehört hat.. Dieses Wort „Es hat doch keinen Zweck" mag übertrieben sein; dennoch dürfen wir es, wenn es immer häufiger gesagt wird, nicht überhören. Sicher gibt es immer noch eine große Zahl von Offizieren und Unteroffizieren, die nach dem Motto „Jetzt erst recht!" ihre schwierige Aufgabe versehen. Aber keiner von uns sollte übersehen, daß wir diesen Unteroffizieren und Offizieren zuviel zumuten, wenn wir es ihnen überlassen, auf sich selbst gestellt mit den Versäumnissen dieser Gesellschaft fertig zu werden. ({6}) Sie sind ganz einfach überfordert, wenn man von ihnen das erwartet und verlangt, was die Schule versäumt, nämlich Staatsbürger zu erziehen, die eben nicht nur um ihre Rechte wissen, sondern auch bereit sind, ihre Pflichten wahrzunehmen, und zwar auch dann, wenn diese Pflichten lästig sein mögen und wenn sie Opfer an Freizeit und Freiheit kosten. Hier sind wir bereits beim Kern des Problems, bei der Frage nach den Ursachen. Es ist nicht übertrieben, wenn wir feststellen: die Bundeswehr krankt vor allem an unserer Gesellschaft. Keine Armee in einer freien Gesellschaft kann auf die Dauer besser sein, als die Gesellschaft es zuläßt, die sie trägt. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn es sich um eine Wehrpflichtigenarmee handelt. Wenn die Gesellschaft in Unruhe ist, kann - das wissen wir alle - die Bundeswehr nicht ruhig sein. Wenn von der Integration des Soldaten in die Gesellschaft gesprochen wird, dann ist das eine Forderung, die - was häufig übersehen wird - ihre zwei Seiten hat. Die Integration des Soldaten in die Gesellschaft ist nicht nur eine Forderung der Gesellschaft an den Soldaten, sondern es ist noch viel mehr und gerade in unserer Zeit eine Forderung des Soldaten an die Gesellschaft. ({7}) Die Bundeswehr ist so gut und so schlecht, wie es die Einstellung der Bürger zur Verteidigung zuläßt, und Verteidigung - das ist das, was wir Politiker diesem Volk immer und immer wieder in Erinnerung rufen müssen - ist nicht nur die Sache des Soldaten, sondern Verteidigung ist die Sache des ganzen Volkes. ({8}) Wenn in einem Volk der Wille zur Verteidigung und zur Selbstbehauptung nachläßt, läßt sich auch die Qualität einer Armee auf die Dauer nicht behaupten. In dieser Situation sind wir heute. Es gibt einen sehr deutlich zu konstatierenden Rückgang der Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk, den wir nicht ernst genug nehmen können. Das Ansteigen der Zahlen der Wehrdienstverweigerer aus verschiedenen Gründen ist ein weiteres deutliches Symptom für diesen Rückgang der Verteidigungsbereitschaft. Wo liegen die Ursachen? Ganz sicher liegen sie natürlich zunächst in der langen Zeit äußerer Sicherheit, die man genossen hat, die selbstverständlich geworden ist. Keiner überlegt sich mehr, daß das ausschließlich die Frucht eben unserer Verteidigungsanstrengungen im Bündnis war und bleibt. Aber mit Gedankenlosigkeit, mit Bequemlichkeit allein läßt sich diese Entwicklung nicht erklären. Die Verteidigungsbereitschaft hängt von zwei Faktoren ab: zum ersten vom Wissen um die Bedrohung und zum zweiten von der Einstellung zu der politischen Ordnung, die es zu verteidigen gilt. Je weniger der Bürger sich bedroht fühlt, um so geringer wird seine Bereitschaft, für die Verteidigung Opfer zu bringen. Meine Damen und Herren, hier trifft die Bundesregierung die unmittelbare Mitverantwortung für das Nachlassen der Verteidigungsbereitschaft, denn sie überzeichnet die Chancen der Entspannung aus innenpolitischen Gründen fortlaufend. ({9}) Sie unterschlägt zunehmend die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion, und sie verschweigt vielfach die Tatsache, daß sich das militärische Kräfteverhältnis in den vergangenen Jahren eindeutig zugunsten der Sowjetunion verändert hat. ({10}) Während in den Vereinigten Staaten von Amerika auch in einem Wahljahr der Präsident wie der Verteidigungsminister nicht müde werden, die Öffentlichkeit auf diese bedrohliche Tatsache hinzuweisen und davon zu reden, daß die Aufrüstung der Sowjetunion nicht nur defensive Ziele haben könne, erleben wir es, daß der Bundeskanzler, selbst wenn er vor Soldaten in Ulm spricht, auch nicht mit einem Wort auf diese Tatsache zu verweisen wagt. ({11}) Wenn in der neuen Ausgabe einer Publikation, die das Bundesverteidigungsministerium allen Wehrpflichtigen zustellt, jeder Hinweis auf dieses Kräfteverhältnis und auf die Bedrohung fehlt, dann, meine Damen und Herren, braucht sich doch niemand zu wundern, wenn die Wehrpflichtigen uns zunehmend die Frage stellen: Ja, warum eigentlich noch Bundeswehr, und warum müssen wir Wehrdienst leisten? ({12}) Man weist immer auf das Weißbuch hin; und in der Tat, im Weißbuch der Bundesregierung findet man eine sehr deutliche Beschreibung dieses Gleichgewichts. Aber das genügt eben nicht; denn wer liest das schon?! Entscheidend ist die tägliche Wirklichkeit, sind die täglichen Reden; entscheidend ist unser Auftritt vor der Bevölkerung. Da genügt eben auch nicht der Hinweis, den man ab und zu noch anstandshalber anbringt, daß neben der Entspannung immer noch die Sicherheit nötig sei. Das genügt eben nicht. Es bedarf gezielter, ständiger und nüchterner Information auch über diese unangenehmen, harten Fakten. Wer davon redet, daß der Friede sicherer geworden sei, aber nicht mehr die Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion erwähnt, und wer von der Entspannung, aber nicht mehr von der Bedrohung redet, der braucht sich nicht zu wundern, wenn das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Verteidigung in unserem Volk schwindet. ({13}) Noch mit etwas anderem hängt die Verteidigungsbereitschaft aufs engste zusammen. Ich sagte schon, man ist nur dann bereit, etwas zu verteidigen, wenn man es für wert hält, verteidigt zu werden. Auch diese Überzeugung ist in Teilen der jungen Generation im Schwinden begriffen. Wie häufig trifft man bereits Schüler - wir alle wissen das -, die einem erklären, die Ordnung in der Bundesrepblik Deutschland sei nicht verteidigenswert. Dafür steigt die Bereitschaft, die Zustände in der DDR und im Ostblock zu verharmlosen. Noch ist dies eine Minderheit, aber die Tendenz ist steigend, wie die Umfragen und der Bericht des Wehrbeauftragten zu Recht ausdrücken und wie jeder von uns feststellen kann, wenn er vor allem höhere Schulen besucht. Niemand - lassen Sie mich das klarstellen - denkt daran, die wachsende Staatsverdrossenheit und Gleichgültigkeit allein oder überwiegend der Bundesregierung anzulasten. Wir alle tragen hier unser Stück Verantwortung. Aber man bessert dies nicht, wenn man fast nur noch von den Mängeln unserer Gesellschaftsordnung, aber kaum mehr von ihren Vorzügen redet. ({14}) Man bessert es auch nicht, wenn man aus lauter Scheu - und inzwischen besteht eine solche Scheu, als Antikommunist verdächtigt zu werden - die Zustände drüben nicht mehr beim Namen nennt. ({15}) Es geht gar nicht um Schwarzweißmalerei, und es geht auch nicht um Propaganda. Es geht darum, daß wir an unseren Schulen nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Haltung und Bereitschaft zu innerem Engagement heranbilden und daß wir den jungen Menschen zu einer inneren Bejahung der demokratischen Grundwerte und zu einer wertorientierten, positiven Einstellung zu diesem Staat erziehen. ({16}) Dabei, meine Damen und Herren, müssen wir - wir alle - den Mut haben, wieder etwas mehr von den Pflichten gegenüber dieser Gemeinschaft zu reden und davon, daß es ohne Menschen, die diese Pflichten erfüllen, einen funktionsfähigen Staat und eine in Ordnung befindliche Gesellschaft nicht geben kann. Wir alle reden viel zuwenig von den Errungenschaften unserer freien Ordnung - und ich gebrauche hier dieses Wort von den Errungenschaften bewußt -, davon, daß es noch nie in Deutschland Verhältnisse gegeben hat, die auch nur annähernd so rechtlich, so freiheitlich und so sozial gewesen wären wie heute. Wir müssen wieder dazu übergehen, in unseren Schulen die staatlichen und gesellschaftlichen Ordnungen unserer Zeit in Ost wie in West nicht nur wertneutral, sondern wertend und vergleichend nebeneinanderzustellen. ({17}) Schließlich, meine Damen und Herren, muß in den Schulen aller Bundesländer durchgesetzt werden, daß über Aufgabenstellung, Sinn und Struktur der Bundeswehr sachlich informiert wird, und zwar so, daß die Notwendigkeit der Landesverteidigung eingesehen wird - darauf kommt es an -, wie das übrigens in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern - ich will einmal ganz von denen des Ostblocks absehen - selbstverständlich ist. Die CDU wird in allen Landtagen des Bundesgebiets in diesem Sinne wirken. Das gleiche gilt übrigens auch von der Lehrerbildung. Wir müssen, meine Damen und Herren, von den Lehrern erwarten, daß sie im Gemeinschaftskundeunterricht diese Informationspflicht erfüllen. ({18}) Soweit sie dazu nicht in der Lage sind, stehen Jugendoffiziere der Bundeswehr zur Verfügung. In dieser Frage sind wir uns sicher in diesem Parlament einig. Nur muß das auch durchgesetzt werden. Das aber kann uns nur wieder gelingen, wenn alle Parteien geschlossen zusammenstehen. Es war gut und richtig, daß der Bundeskanzler einen Brief an die Kultusminister der Länder geschrieben hat, und ich bin dem Bundesverteidigungsminister dankbar, daß er sich in einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig ließ, mit dem GEWVorsitzenden Frister auseinandergesetzt hat. Es ist aber untragbar - und ich sage das ohne Polemik -, daß Mitglieder der gleichen Partei, nämlich Jungsozialisten in der SPD - wie übrigens auch Jungdemokraten in der FDP -, draußen im Lande und an der Basis einen erbitterten Kampf gegen beispielsweise eben jenen Erlaß des Kultusministers von Baden-Württemberg Professor Hahn führen, der vom Bundesvorsitzenden der gleichen Partei gewünscht worden ist. Das geht doch nicht! ({19}) Wenn eine Partei glaubwürdig sein will, dann darf sie eine solche Entwicklung in ihren eigenen Reihen nicht unwidersprochen hinnehmen. Wenn sie noch nicht einmal in der Lage ist, die Erkenntnis von Sinn und Notwendigkeit der Landesverteidigung in den eigenen Reihen durchzusetzen, wie wollen Sie das dem Schüler, dem Lehrer und dem Bürger klarmachen? ({20}) Natürlich kann man in einer Partei verschiedener Meinung sein. Darum geht es hier aber gar nicht. ({21}) - Nein, Herr Buchstaller, darum geht es nicht, sondern es geht darum, daß Mitglieder der gleichen Partei, der auch der Bundesverteidigungsminister angehört, bundeswehrfeindliche Aktionen an den Schulen und außerhalb der Schulen durchführen. Ich habe ein Flugblatt hier mitgebracht. Ich will es mir ersparen, das vorzulesen, weil es für Ihre Partei noch nicht typisch ist. Aber wenn das so weitergeht, könnte es typisch werden, und dann droht Gefahr. ({22}) Deswegen sage ich: Sie müssen das in Ihrer eigenen Partei in Ordnung bringen. Wir können und wollen, meine Damen und Herren, diese Bundeswehr nicht isolieren und auch nicht hermetisch gegen diese Gesellschaft abschließen. Aber gerade darum müssen wir die Bundeswehr besser in den Stand setzen, mit den Schwierigkeiten und Spannungen fertig zu werden, mit denen sie noch auf Jahre hinaus zu kämpfen haben wird. Wir müssen mit jungen Wehrpflichtigen zurechtkommen, die mit ganz anderen Verhaltensweisen und Einstellungen zur Bundeswehr kommen und denen die Welt des Soldatischen zunächst einmal völlig fremd ist. Der junge Mann, der vor dem Kasernentor steht, kennt eben noch keine Befehle, keine Gehorsamspflicht, keine Kasernierung, kein Gemeinschaftsleben, keine Freizeitbeschränkung und vor allen Dingen keine fest gegliederte Hierarchie. Nun plötzlich wird er in der Bundeswehr mit all diesen Erscheinungen konfrontiert. Hier ist es ganz zwangsläufig, daß es zu Spannungen und Schwierigkeiten kommt, besonders dann, wenn der Wehrpflichtige von der Notwendigkeit der Landesverteidigung und also vom Sinn seines Wehrdienstes nicht überzeugt ist. Und je egalitärer, je konsum- und freizeitorientierter sich unsere Gesellschaft darstellt, desto schwieriger wird die Anpassung werden. Mit diesem Dilemma werden wir alle -gleichgültig, wer auch immer regieren mag - zu kämpfen haben. Dieses Dilemma ist - und das muß man, glaube ich, klar sehen - unauflöslich. Auch eine weitgehend technisch-bürokratische Armee, auch eine Armee in der Demokratie wird auf Hierarchie, wird auf Befehl und Gehorsam und auf Disziplin nicht verzichten können und nicht verzichten dürfen. Von daher - vom Auftrag und von der Ausbildung zum Kampf her - bleibt ein Unterschied zu anderen, zivilen Großorganisationen. Selbst ein gewiß nicht als reaktionär abzustempelnder Soziologe wie von Friedeburg hat das einmal so ausgedrückt: Es bleibt jener Rest, der selbst die höchstmechanisierten Streitkräfte von anderen bürokratisch-technischen Großorganisationen prinzipiell unterscheidet. Ihre Funktion, Gewalt abzuschrecken, erfordert es, sich auf vielfältige Situationen wechselseitiger Gewaltanwendung und damit auf empfindliche Verluste auch an technischen Mitteln einzustellen. Es geht hier um die Frage, vor der wir alle stehen, um die Frage, vor der übrigens auch die Soldaten und Politiker der ersten Stunde - hier auf dem Präsidentenstuhl sitzt auch einer von ihnen, dem ich bei dieser Gelegenheit stellvertretend für andere für diese seine Arbeit danken möchte - gestanden haben. Ob nun Soldaten wie Baudissin oder Karst, de Maiziére oder Schnez: sie alle standen vor dem Problem, wie man diese Spannung wenn nicht auflösen, so doch mildern könne und, wenn ja, wie dies eben zu meistern sei. Man hat in den vergangenen Jahren - das ist eine sehr interessante Entwicklung - immer ausgeprägter versucht, den Konflikt dadurch zu lösen, daß man die Bundeswehr mehr und mehr dem zivilen Bereich angepaßt und den Normen der Industriegesellschaft angeglichen hat. Man betonte die Gemeinsamkeit mit zivilen Dienstleistungsbetrieben; man sprach von der Bundeswehr als von einem Industriebetrieb zur Produktion von Sicherheit und vom Soldatenberuf als von einem Beruf wie jedem anderen auch. Man kam dem Zeitgeist und den zivilen Verhaltensmustern sehr weit entgegen, und das Militärische rückte dabei immer mehr in den Hintergrund. Hat man - das ist für mich eine interessante Frage, eine Frage, die auch bis zum letzten noch nicht ausgetragen und beantwortet ist - dabei den Konflikt gelöst oder auch nur gemildert? Mir scheint, nein. Die Angleichung an den zivilen Bereich hat den Rollenkonflikt des Wehrpflichtigen eher verschärft. Je kleiner die Restgröße des Militärischen, um so lästiger, unbequemer und ungewohnter wird sie empfunden, wenn der Wehrpflichtige eben plötzlich doch - und das ist unvermeidbar - mit einem Befehl und mit dem Anspruch auf Gehorsam konfrontiert wird. Um so härter wird dann der Zusammenprall und um so geringer das Verständnis des Wehrpflichtigen. Ganz sicher wäre es auch keine Lösung des Konflikts, nun ins andere Extrem zu verfallen und das Militärische überzubetonen. Eine Armee kann nicht hinter ihre Zeit zurück. Sie muß den gewandelten Verhältnissen und dem Empfinden der Zeitgenossen Rechnung tragen. ({23}) Das ist - ich weiß nicht, wer das „Hört! Hört!" gesagt hat - eine Erkenntnis, die Gott sei Dank nicht erst seit dem Jahre 1969 gewachsen ist, meine Damen und Herren. ({24}) Um was es wirklich geht, hat General Trettner einmal sehr richtig wie folgt ausgedrückt - ich finde dieses Zitat ausgezeichnet und möchte es mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, vortragen -: Das Problem ist, das richtige Maß der Anpassung an die sich verändernde Gesellschaft zu finden, den Grad der Liberalisierung zu bestimmen, der notwendig ist, um den allzu freizügig aufgewachsenen und erzogenen jungen Menschen das Leben in einer Zwangsorganisation erträglicher zu machen, ohne den Zusammenhalt und die Kampfkraft einer Institution zu beeinträchtigen, die auf Hierarchie und Normen, auf Befehl und Gehorsam angewiesen ist, weil sie der Situation äußerster Gefahr und Bedrohung entsprechen muß. Darum gilt es, einen vernünftigen Mittelweg einzuschlagen. Und das heißt nach unserer Auffassung erstens, sich offen, bewußt und nicht verschämt zu den Eigentümlichkeiten des Militärischen zu bekennen, die sich aus der Besonderheit des Kampfauftrages der Bundeswehr ergeben. ({25}) Zweitens. Der Motivation des Wehrpflichtigen muß viel mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt werden. Es gilt - und zwar von der ersten Stunde an -, sein Verständnis dafür zu wecken, daß und warum eine Bundeswehr eben andere Gesetzmäßigkeiten als ein ziviles Dienstleistungsunternehmen kennt. Drittens. Die gemeinsame soldatische Basis ist wieder stärker zu betonen. Das hat nichts mit einer Privilegierung des Soldaten zu tun. Ich halte auch, um das ganz offen zu sagen, den Streit um den Begriff des Soldatenberufs als eines Berufs sui generis nicht für besonders nützlich, nicht für besonders hilfreich, auch nicht für besonders sinnvoll. Es gibt aber - das muß gerade auch in dieser Zeit herausgestellt werden - unbestreitbare Gemeinsamkeiten soldatischen Auftrags und Besonderheiten des soldatischen Dienstes, die ihn von anderen unterscheiden. Wir sollten auch und gerade bei der Nachwuchswerbung diese Gemeinsamkeiten und Besonderheiten nicht verstecken, sondern herausstellen. Wir brauchen junge Unteroffiziere, junge Offiziere, junge Soldaten, denen Soldatsein Spaß macht, die Freude an der besonderen Führungsverantwortung, an der Bewährung in schwierigen Situationen, am Handeln in die Gefahr hinein und auch an soldatischer Gemeinschaft haben, meine Damen und Herren. ({26}) Viertens. Wir müssen allen Versuchen von Kräften außerhalb des Parlaments und außerhalb der politischen Parteien, jedenfalls aller derer, die hier im Bundestag sind, energisch entgegentreten, die den Soldaten diffamieren oder moralisch diskreditieren wollen. Keiner braucht sich zu schämen, Soldat zu sein. Soldatsein ist auch und, ich sage, gerade in unserer Zeit nichts Anrüchiges. Ganz im Gegenteil, der soldatische Dienst verdient und braucht die Wertschätzung der Gesellschaft. Er bezieht seinen Wert und seine Würde aus seinem Auftrag der Friedenssicherung, des Schutzes und der Verteidigung unserer Gesellschaft. Fünftens. Der Bundeswehr müssen mehr Möglichkeiten der Selbstdarstellung gegeben werden. Sechstens. Die militärische Ausbildung darf nicht abgewertet werden. Das ist ein Gedanke, auf den wir besonders bei der Verwirklichung des Konzepts der Bildungsreform in der Bundeswehr achten müssen. Es darf auch keine Benachteiligung der Kampftruppen geben. Die meisten Mißverständnisse, meine Damen und Herren, ranken sich um den Begriff der inneren Führung, um dessen Klärung sich der Wehrbeauftragte und sein Vorgänger in den letzten Jahren große Verdienste erworben haben. Auch in diesem Jahr hat der Wehrbeauftragte dazu beachtliche Aussagen gemacht, denen die CDU/CSU-Fraktion zustimmt. Lassen Sie mich noch einmal in einigen wesentlichen Punkten klarstellen, was innere Führung für uns bedeutet und was nicht. Erstens bedeutet innere Führung das uneingeschränkte Bekenntnis zur Integration der Soldaten in die demokratische Gesellschaft und der Bundeswehr in diesen Staat. Sie bedeutet allerdings, meine Damen und Herren, ein ebenso uneingeschränktes Nein zu allen Forderungen nach Demokratisierung der Armee, insbesondere soweit darunter etwa die Forderung nach Mitbestimmung im dienstlichen Bereich verstanden wird. ({27}) „Wir wissen, daß es keine demokratische Armee geben kann. Eine Armee muß auf den Ordnungsprinzipien von Befehl und Gehorsam beruhen. Die demokratische Gesellschaft bildet ihren Willen auf andere Weise, nämlich durch Diskussion und Abstimmung. Worauf es ankommt, ist also nicht, eine diskutierende Armee zu schaffen, sondern dieser auf Befehl und Gehorsam beruhenden Armee den richtigen Ort in unserer demokratischen Gesellschaft anzuweisen." Das ist ein hervorragendes Zitat eines Sozialdemokraten, ein Zitat von Fritz Erler aus dem Jahr 1963 im Bundestag. Dem ist auch heute und unter den gewandelten Verhältnissen nichts hinzuzufügen, und davon ist auch nichts abzustreichen, meine Damen und Herren. ({28}) Zweitens bedeutet innere Führung die politische Kontrolle der Streitkräfte als eines Teils der Exekutive. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden: Darunter ist nicht nur die Kontrolle durch den Bundesverteidigungsminister, sondern gerade auch die Kontrolle durch dieses Parlament und seine Aus10528 schösse gemeint. Ich sage das im Blick auf vergangene Dinge. ({29}) Drittens. Die Geltung der Grundrechte auch für den Soldaten und sein Anspruch auf menschenwürdige Behandlung sind .ein selbstverständlicher Bestandteil der inneren Führung. Viertens. Innere Führung heißt auch zeitgemäße Menschenführung. Auch wir bekennen uns zu einem kooperativen Führungsstil, der in einer hochtechnisierten Armee im übrigen selbstverständlich ist, bei dem also „nicht nur befohlen, sondern auch koordiniert und in dem nicht nur gehorcht, sondern auch kooperiert wird". Das war ein Wort von General Schnez. Auch Teamwork jedoch darf jedenfalls in einer Armee die klare Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nicht verwischen. Wir sagen auch ja zur Diskussion als einem Führungsmittel, wenngleich es - um das auch so deutlich zu sagen - in der Praxis oftmals außerordentlich schwierig ist, dieses Führungsmittel adäquat anzuwenden. Die Diskussion findet aber ihre klare Grenze an der Gehorsamspflicht, an der in einer Armee einfach nicht gerüttelt werden darf. Zeitgemäße Menschenführung heißt schließlich auch Information und Offenheit, nicht nur von unten nach oben, sondern auch von oben nach unten. Wir werden bei der Beratung der Grundsätze der inneren Führung im Bundestag entsprechend den Forderungen des Wehrbeauftragten darauf drängen, sie so zu konkretisieren, daß sie verhaltensleitende Kraft zu entwickeln vermögen und nicht nur im Vagen und Unverbindlichen steckenbleiben. Auf disziplinärem Gebiet hat die politische Führung nach unserer Auffassung weitgehend versagt. Hier hat man die Dinge mehr oder weniger treiben lassen. Der Bundesverteidigungsminister hat - und das ist ein interessantes Wort - selbst von dem schmalen Weg zwischen Zugeständnissen an den Zeitgeist und der militärischen Notwendigkeit, Diszpilin zu lernen und zu wahren, gesprochen. Er selbst ist von diesem schmalen Weg auf die breite Straße der Zugeständnisse an den Zeitgeist abgewichen, wenn ich etwa an verschiedene seiner Interviews oder wenn ich an einige seiner Erlasse denke, die ja auch der Wehrbeauftragte zu Recht kritisiert. Die Bundesregierung hat den Fehler gemacht, in diesem Bereich zu weit nachzugeben, und hat damit die unabweisbaren Probleme dieser Bundeswehr gerade im disziplinären Bereich, ich sage: unnötig verschärft. ({30}) Keine Armee der Welt kommt ohne Disziplin aus, gerade im 20. Jahrhundert, und zwar auch nicht ohne formale Disziplin. Disziplin ist kein Selbstzweck. Ohne Disziplin und ohne soldatische Ordnung kann eine Armee den ihr erteilten Auftrag im Ernstfall nicht erfüllen. Das ist eine so selbstverständliche Erkenntnis, und zwar quer durch die politischen Überzeugungen und quer durch die Systeme dieser Welt, daß man sich fast scheut, sie noch einmal zu erwähnen. Maßstab für das notwendige Maß an Disziplin und Ordnung müssen die Verhaltensweisen sein, die im Ernstfall von den Soldaten zu fordern wären. Als unverzichtbare äußere Mittel der Disziplinierung - ich wiederhole das - gehören dazu auch bestimmte militärische Formen. Hier geht es nicht darum, das Formale überzubetonen. Schon gar nicht plädieren wir für überzogenen Kasernenhofdrill oder gar Schikane. Aber man muß wissen - und ich bin General de Maizière dankbar, daß er das auch noch mal in diesem Fernsehinterview unterstrichen hat -, daß wir jetzt das unabdingbare Maß auch an formaler Disziplin wieder zu betonen und durchzusetzen haben. Man muß wissen, daß im Ernstfall Disziplin nur aufrechterhalten werden kann, wenn sie schon in Friedenszeiten zur geübten Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Unterscheidung zwischen funktionaler und formaler Disziplin, die in Mode gekommen ist, mag theoretisch reizvoll sein. Für die Praxis, sage ich Ihnen, taugt diese Unterscheidung, ich sage, fast nichts. Ich habe manchmal den gegenteiligen Eindruck. ({31}) Ich habe den Eindruck, daß man mit dieser Unterscheidung und ihrer Akademisierung bis ins Blasse, Unverbindliche hinein den Feldwebel draußen, den Zugführer, den Gruppenführer und den Kompaniechef nur verunsichert und Spielraum geschaffen hat für besonders geschickte Wehrpflichtige, die mit dieser Unterscheidung gelegentlich versuchen, sich den Anordnungen zu entziehen. Das ist die Wirkung, die diese Diskussion heraufbeschworen hat. ({32}) Denn wir haben es doch, ich sage: leider nicht nur mit erfahrenen und gut und vorbildlich ausgebildeten Ausbildern zu tun, sondern wir haben es zum Teil zu tun mit W 18- oder Z 2-Soldaten. Was muß geschehen? Lassen Sie mich das zum Schluß aus unserer Sicht beantworten. Erstens. Zunächst muß von der politischen und militärischen Führung wieder klar die Notwendigkeit und Bedeutung von Disziplin und soldatischer Ordnung dargestellt und begründet werden. Zweitens. Es bedarf klarer, konkreter, praxisbezogener Führungsanweisungen, d. h. einer praktikablen militärischen Führungslehre. Drittens. Es gilt, wieder eine gemeinsame verbindliche Auffassung von Disziplin und soldatischer Ordnung zu prägen und durchzusetzen. Nicht zu Unrecht beanstandet der Wehrbeauftragte das Fehlen geistiger Impulse der politischen Führung. Das ist besonders wichtig für junge Vorgesetzte, die häufig noch unsicher sind und dazu neigen, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Viertens - und das ist entscheidend, glaube ich -: Den Vorgesetzten muß wieder Mut gemacht werden, dieses als verbindlich erklärte Maß an Diszplin und ein anständiges Erscheinungsbild auch mit den ihnen verfügbaren disziplinären Möglichkeiten durchzusetzen. ({33}) Sie müssen wissen, daß sie sich dabei auf die politische wie auf die militärische Führung verlassen können, daß sie sie hinter sich haben. Fünftens. Der Haar- und Bart-Erlaß ist - wie es der Wehrbeauftragte fordert - neuzufassen. Sechstens. Es ist zu prüfen, ob die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausgeweitet werden müssen, um die eigenmächtige Abwesenheit einzudämmen. Ich denke an folgendes a) Die Kosten der Fahndung sollten dem Betreffenden auferlegt werden. b) Er sollte die Zeit, die er eigenmächtig abwesend war, nachdienen müssen. ({34}) c) Man sollte sich überlegen - weil das häufig die Ursache ist -, ob man nicht Erleichterungen für Wehrpflichtige mit besonderen finanziellen Verbindlichkeiten oder Schulden schaffen sollte. d) Ich sage Ihnen ganz offen: Ich persönlich halte es nicht für sinnvoll, Wehrpflichtige mit drei oder mehr Kindern einzuziehen. Das gibt fast immer unlösbare Konflikte und führt dann gelegentlich auch zum Entgleisen. e) Man sollte sich auch noch überlegen, wie ich glaube, ob es nicht Möglichkeiten geben könnte, den Mißbrauch des Beschwerderechts, den ja einige wenige zur Genüge treiben, einzudämmen. Als siebente Forderung der CDU/CSU-Fraktion möchte ich aufstellen: Die Ausbilder müssen pädagogisch und im Blick auf ihre Führungsverantwortung stärker ausgebildet werden. Dazu eignet sich die Schule der Bundeswehr für innere Führung in Koblenz. Auch hier stimmen wir dem Wehrbeauftragten zu, der verlangt, daß die Einheitsführerlehrgänge wieder an diese Schule zurückverlegt werden. Achtens. Um den Problemen der Wehrdienstverweigerer - und nicht nur ihnen, sondern auch den Problemen derer, die sonst nicht gezogen werden können - gerecht zu werden, strebt meine Fraktion eine Zusammenfassung der Dienste nach Art. 12 des Grundgesetzes an. Wir müssen alles daransetzen, so schnell wie möglich im zivilen Bereich hinreichend Plätze zu schaffen, mindestens so viele, daß jeder, der den Wehrdienst verweigert, zu einem zivilen Dienst einberufen wird, und zwar unverzüglich. Dann, möchte ich meinen, haben wir ein weiteres Ansteigen dieser Zahlen nicht zu befürchten. ({35}) Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß eine Armee, in der Kampfkraft und Leistungsfähigkeit Richtschnur sind, in der Disziplin in zeitgemäßer Form verwirklicht ist, im inneren Gefüge stabiler und nach außen attraktiver sein wird. Es ist eine alte Erfahrung, daß da, wo die Truppe, der Soldat - auch der Wehrpflichtige -, gefordert wird, wo man einen sinnvollen Einsatz verlangt, wo vernünftige Ziele und lohnende Aufgaben gesteckt werden, wo Qualität vor Quantität geht, die Einsatzfreude und die Befriedigung steigen und das Selbstvertrauen der Soldaten wächst. Darauf sind wir angewiesen. Gerade heute brauchen wir die Bundeswehr notwendiger als je. Ihr und dem Bündnis danken wir es, wenn uns keine fremde Macht ihren Willen aufzwingen kann. Die Bundeswehr bleibt auf absehbare Zeit die sicherste Garantie unserer freiheitlichen Ordnung. Nur auf diesem festen Boden stehend, vermögen wir Entspannung und Abrüstung zu suchen. Unser Volk muß wissen - und wir Politiker aller demokratischen Parteien in diesem Hause müssen es immer und immer wieder verdeutlichen , daß diese Bundeswehr einen lebenswichtigen Auftrag für unser Volk und unsere staatliche Gemeinschaft erfüllt, daß sie ihn aber nur so lange erfüllen kann, als sie nicht nur modern ausgerüstet und ausgebildet, sondern in ihrem Auftreten einwandfrei, in ihrer inneren Ordnung fest, in ihrem Selbstvertrauen ungebrochen und in ihrem Selbstverständnis gefestigt ist. Dabei müssen wir ihr helfen. ({36}) Wir dürfen die Bundeswehr nicht in Frage stellen, und wir dürfen nicht zulassen, daß sie verunsichert wird. Wir, die politisch Verantwortlichen, müssen ihr beistehen, um so mehr, je schwieriger ihre Aufgabe wird. ({37})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Buchstaller.

Werner Buchstaller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Erklärung, die ich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten abzugeben habe, möchte ich ein paar Bemerkungen voranschicken. Erstens. Ich unterstreiche, was vorgestern Frau Schroeder ({0}), Kollegin der Oppositionsfraktion, in einer anderen Sache hier im Hause festgestellt hat. Sie vermerkte dort in ihrem Diskussionsbeitrag: Die wenigen unerfreulichen Fälle machen Schlagzeilen, die vielen guten und positiven Bemühungen wirken in der Stille und werden wenig gesehen. Wo es klappt, nimmt man wenig Notiz davon. Zweitens. Der Gefahr negativer Schlagzeilen ist naturgemäß der Bericht des Wehrbeauftragten in besonderem Maße ausgesetzt, weil sich im Amt des Wehrbeauftragten die kritischen Erfahrungen und negativen Erscheinungsformen und Einzelerscheinungen konzentriert darstellen. ({1}) Drittens. In diesem Punkt hat der Wehrbeauftragte mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß er die Berichte des Wehrbeauftragten als eine Zustandsschilderung aus der Sicht seines Amtes versteht, die keinesfalls als Grundlage für ein Pauschalurteil zu werten sei. Es ist bedauerlich, Herr Dr. Wörner, daß Sie als Sprecher der Opposition nicht aus dieser Sicht an die Dinge herangegangen sind, sondern Einzeldarstellungen des Wehrbeauftragten versucht haben zu einer verallgemeinernden Polemik gegen den Bundesverteidigungsminister zusammenzufassen und so zu werten. Wer es ernst meint mit den Fragen unserer Sicherheit, den Problemen der Bundeswehr und den Sorgen und Nöten der Soldaten, sollte sich von billiger parteitaktischer Polemik frei machen. In diesem Sinne würdigt die SPD-Bundestagsfraktion den Bericht des Wehrbeauftragten. Der Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten hat sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb der Bundeswehr eine beachtenswerte Resonanz gefunden. Dieser Widerhall wird auch darauf zurückzuführen sein, daß sich unsere Gesellschaft mitsamt ihren Institutionen, also auch der Bundeswehr, in einem Wandlungsprozeß befindet. Diesen Institutionen wird ständig die Anpassung an die neu geschaffene und sich ständig wandelnde Umwelt abverlangt. Die hierbei auftretenden Konflikte zwischen den bewahrenden und den fortschrittlichen Kräften müssen sachlich ausgetragen werden, und, was wesentlich ist, sie müssen zu einem praktikablen Kompromiß auch für den Dienstablauf in der Bundeswehr führen. Die Diskussion des Jahresberichts 1971 des Wehrbeauftragten hat sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bundeswehr teilweise zu Überspitzungen und unerfreulichen Verallgemeinerungen geführt. Ich begrüße es im Namen der SPD-Bundestagsfraktion, daß der Herr Wehrbeauftragte durch eine Reihe von Erklärungen dazu beigetragen hat, die Diskussion wieder auf den Boden sachlicher Würdigung und Wertung zurückzuführen. Der uns vorliegende Jahresbericht 1971 ist der bisher umfangreichste Bericht eines Wehrbeauftragten an das Parlament. Durch 74 Truppenbesuche sowie die Erledigung von knapp 8000 Eingaben hat sich der Wehrbeauftragte tatkräftig bemüht, seinem Auftrag als Hilfsorgan des Parlaments gerecht zu werden. Für diese Bemühungen und den vorliegenden Jahresbericht darf ich Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeitern den Dank der SPD-Bundestagsfraktion aussprechen. Der Jahresbericht 1971 wird besonders durch die dort festgelegten Schwerpunkte gekennzeichnet: Innere Führung, hierbei besonders die Disziplin, das Verhältnis zwischen Außen- und Sicherheitspolitik und die Probleme der Kriegsdienstverweigerung. In jedem dieser angeführten Bereiche werden positive und negative Beobachtungen geschildert. Das liegt im Wesen von Detailbeschreibungen, die in ihrer Summe erst Grundlage einer Gesamtbeurteilung sein können. Dabei muß der innere Zusammenhang aller Untersuchungsbereiche gesehen und herausgearbeitet werden. So sind die Einzelaspekte der inneren Führung eng mit den Bereichen der Disziplin verbunden. Mit der Verdeutlichung der außenpolitischen Zielsetzung der Bundesregierung als dem einen Gesichtspunkt unserer Sicherheitspolitik und bei der Verdeutlichung der Notwendigkeit der Wehrpflicht für unsere Demokratie ist sachgerechte aufklärende Information in der Bundeswehr und - ich möchte das unterstreichen - auch in der Schule notwendig. Wie der Wehrbeauftragte in seinem Bericht richtig feststellt, darf hier die Bundeswehr nicht allein gelassen werden. Bei der Erörterung der inneren Führung gibt der Wehrbeauftragte die Anregung, eine allgemeine militärische Führungslehre unter pädagogischen Aspekten zu entwickeln. Diese Anregung erscheint uns richtig und wichtig. Die Bundeswehr hat jetzt das Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften. Damit wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, diese Anregungen in die Tat umzusetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich auch die vom Verteidigungsminister veranlaßte Neufassung der Zentralen Dienstvorschrift „Hilfen für die innere Führung" anführen und sie als erste Maßnahme begrüßen. Immerhin haben vor Helmut Schmidt drei Verteidigungsminister vergeblich versucht, Vorstellungen einer zeitgemäßen Menschenführung im militärischen Bereich zu Papier zu bringen. Sie sind über die Papierkorbebene nie hinausgekommen. Die in dieser Vorschrift enthaltenen neuen Leitsätze und Beispiele werden sicherlich dazu beitragen, den Vorgesetzten die Handhabung zeitgemäßer Menschenführung zu erläutern und zu erleichtern. Das wird nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion auch seine Auswirkungen auf die erforderliche Disziplin untergebener Soldaten haben. Der Jahresbericht 1971 geht auf die Probleme der militärischen Ordnung und Disziplin besonders ausführlich ein. Die Aufgaben des modernen Soldaten sind weit gefaßt, die Organisation, in der sich der Soldat befindet, ist weit verzweigt und für den einzelnen kaum mehr überschaubar geworden. Dadurch sind auch die Einzelleistungen, die Einzelaktivitäten des Soldaten kaum mehr zu kontrollieren. Es geht nicht darum, den Soldaten zu zwingen, die Befehle auszuführen - die Durchführung ist im militärischen Bereich eine Selbstverständlichkeit -, sondern es geht darum, dem militärischen Untergebenen die Zweckmäßigkeit und den Sinn von Befehlen so klarzumachen, daß er sich dem Gehorsam voll öffnet und sich ihm nicht verschließt. ({2}) - Ach, wissen Sie, mit den einfachen Formeln, die hier postuliert werden, werden wir auf Dauer weder die Probleme unserer Gesellschaft noch die Probleme unserer Bundeswehr lösen können. ({3}) Sie, Herr Dr. Wörner, haben ebenfalls die Notwendigkeit vor allem der Ausbildung der Ausbilder auch im pädagogischen Bereich angeschnitten, weil wir ohne das Mittel einer klaren und überzeugenden Erziehung die Probleme der Disziplin in der Bundeswehr einfach nicht werden bewältigen können. Das Prinzip der Erziehung, die Dialektik zwischen Freiheit und Zwang, läßt sich in seiner Vielschichtigkeit eben nicht nur in der bisherigen Praxis von militärischen Lehrgängen erledigen. Im übrigen darf ich gerade auf Ihre Bemerkungen hin noch folgendes feststellen. Es wäre grundfalsch, anzunehmen, daß den Problemen der Disziplin, der Unterordnung und der Einordnung nur die Staaten mit einer demokratischen Grundordnung konfrontiert seien. Da zeigen sich zwar diese Fragen am ausgeprägtesten, weil sich hier die Freiheitsrechte des einzelnen und der Zwang zur Dienstleistung für das Ganze am deutlichsten begegnen. Aber auch in der DDR z. B., wo man sowohl den preußischen Drill als auch den kollektiven Haarschnitt und sogar den Stechschritt beibehalten hat, wird sich in Kürze eine Sondertagung der Bataillonskommandeure im Bereich der NVA mit den, wie es dort heißt, „immer stärker werdenden disziplinaren Sorgen der obersten Führung" befassen. Dem Vernehmen nach haben nicht nur die Ergebnisse beim bataillonsinternen Wettbewerb in allen Fächern stark nachgelassen, sondern auch die Benotungen beim öffentlichen Auftreten der Soldaten. Im Bereich der Kommandantur Berlin hat es in einem Monat mehr als 100 schwere Strafen wegen Befehlsverweigerung, tätlicher Angriffe auf Vorgesetzte, schlampiger Uniform und Alkoholmißbrauchs gegeben. Die NVA hat natürlich ein Mittel dagegen und wendet es auch an, von dem erfreulicherweise keiner in diesem Hause spricht, weil es keine Fraktion haben will. In dem nüchternen Bericht über die Disziplin der NVA wird u. a. festgestellt, leider habe sich die Zahl der Soldaten, die zur Bewährung zu Baubataillonen versetzt worden seien, im Vergleich zum Vorjahr um 14 % erhöht. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß die Strukturwandlung, die Bereitschaft zur Einordnung und auch zur Unterordnung von der jungen Generation unserer Zeit anders verstanden und anders gesehen wird, als es militärischer Tradition im allgemeinen entspricht. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben das uns alle bedrückende Problem der Kriegsdienstverweigerung angesprochen. Hier haben Sie festgestellt, daß die Zahl der Antragsteller zwar gestiegen, aber die Dienstverweigerung aus der Truppe heraus relativ seltener geworden sei. Die letztere Tendenz ist ohne Zweifel zu begrüßen, weil dadurch die Truppe entlastet wird. Mit dem Problem der steigenden Zahl von Kriegsdienstverweigerern ist das Streben nach größerer Wehrgerechtigkeit verbunden. Es hat sich herausgestellt, daß die Chance der Inpflichtnahme zur Ableistung eines Dienstes für die Gesellschaft beim Ersatzdienst weitaus geringer als bei der Bundeswehr ist. Daraus erklärt sich auch die wachsende Zahl der Antragsteller zum zivilen Ersatzdienst. Dieser Art von Spekulation mit dem Gewissen müssen wir entgegentreten. Deshalb fordert die SPD-Fraktion - wir haben das wiederholt im Verteidigungsausschuß getan - die Opposition auf, das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher, ersatzdienstrechtlicher und anderer Vorschriften so schnell wie möglich mit zu verabschieden. Dann wird eine Gleichbehandlung aller zum Dienst heranstehenden jungen Männer erreicht und eine Regelung dieses wichtigen Problems der Wehrgerechtigkeit eingeleitet. Jeder Aufschub oder jede Verzögerung dieser Gesetze bedeutet täglich vermehrte Ungerechtigkeit und mehr Unwillen unter den Wehr- und Dienstpflichtigen. Zusammenfassend kann ich aus dem Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten festhalten: Erstens. Die Bundeswehr ist einbezogen in das Spannungsfeld unserer Gesellschaft. Sie reflektiert ebenso die positiven wie die negativen Erscheinungen unserer Zeit. Die augenblicklich die Streitkräfte berührenden Probleme wie zeitgemäße Menschenführung, Disziplin und Autorität, Motivation der Wehrpflichtigen, optimale Gleichbehandlung aller junger Männer, Ausbildung und Bildung in den Streitkräften sind nicht unlösbar. Ihre Regelung kann und darf nicht durch den vermeintlich einfacheren Rückgriff auf traditionelle militärische Vorstellungen erfolgen. Vielmehr müssen in verstärktem Maße wissenschaftliche Erkenntnisse in die Institution Bundeswehr einfließen. Die Hilfe der Wissenschaft bleibt unverzichtbar zur Erklärung und Handhabung zeitgemäßer Menschenführung in der Bundeswehr. Zweitens. Der Bundeswehr ist es, wie der Wehrbeauftragte in einer Schlußbemerkung feststellt, besser als manch anderen staatlichen Einrichtungen gelungen, die Unruhe unter der Jugend aufzufangen und für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Die hierfür erforderlichen Anstrengungen aller Verantwortlichen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung weiß die SPD-Bundestagsfraktion zu würdigen, und ihnen gebührt Dank und Anerkennung. Drittens. Der Auftrag der Bundeswehr, den Frieden im Rahmen der NATO durch präsente Streitkräfte zu sichern oder aber im Ernstfall das Territorium der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich verteidigen zu wollen, wird durchgeführt und ist in keiner Weise gefährdet. Viertens. Die im Zusammenhang mit der Wehrpflicht auftretenden Schwierigkeiten können beim Zusamenwirken aller politisch verantwortlichen Kräfte abgebaut und geregelt werden. Bei diesem Bestreben kommt der schnellen Verabschiedung der betreffenden Gesetze gesteigerte Bedeutung zu, worum ich dieses Haus bitte. Fünftens. Die am Anfang seines Berichts aufgeworfenen Fragen der Zuständigkeit und des Wirkungsfeldes des Wehrbeauftragten werden noch im Verteidigungsausschuß behandelt werden müssen. Sechstens. Gerade dann, wenn man die Bundeswehr und den Dienst und das Verhalten der Soldaten einer kritischen Betrachtung und Wertung unterzieht, sollte man diejenigen nicht unerwähnt lassen, die als Wehrpflichtige, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten täglich ihren harten Dienst verrichten. Zehntausende von Wehrpflichtigen leisten dabei mehr und sind in Verantwortungsbereiche gestellt und werden dabei mehr gefordert, als ihnen der Gesetzgeber im Frieden eigentlich abverlangen dürfte. Das sind die Männer, auf denen unsere Sicherheit beruht. Ihnen gebührt unser Dank für ihre große Leistungen. Schließlich schlägt ein einziges durch den Einsatz der Bundeswehr oder die Hilfsbereitschaft der Soldaten gerettetes Menschenleben mehr zu Buche als die ganzen Schlagzeilen über die Haarnetze der Bundeswehr. Ein Letztes. Herr Dr. Wörner, Sie bitte ich, folgendes zu überdenken. Verteidigungsbereitschaft kann auch dadurch gelähmt werden, daß ich dieser unserer Jugend militärpolitische Ohnmacht suggeriere; Verteidigungswillen kann auch dadurch gelähmt werden, daß ich die Übermächtigkeit des Gegners so überzeichne, daß Verteidigung sinnlos erscheint. ({4}) Ich sage Ihnen ganz offen: Die Taktik, der ständige Versuch, Ohnmacht gegenüber einem riesigen Gegner an die Wand zu werfen, ({5}) diese Schwarzweißmalerei, diese ständige Konfrontation mit dem Übermächtigen ({6}) - Herr Dr. Wörner, ich bin am Schluß meiner Bemerkungen -, das kann die Verteidigungskraft in der Bundeswehr mehr lähmen als die Aktionen radikaler Gruppen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In den wenigen Wochen, in denen uns der Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages vorliegt, ist er viel besprochen, gelobt und wohl auch kritisiert worden. Alle diejenigen, die den Wehrbeauftragten Fritz Rudolf Schulz als Abgeordneten der FDP und als Wehrexperten meiner Partei in diesem Hohen Hause erlebt haben, wissen, daß er sich schon damals seine Aufgabe nicht leichtgemacht hat. So ist er auch diesmal im Bewußtsein der Schwere seines Amtes an die Arbeit herangegangen. Vor uns liegt sein Bericht, der keine Probleme der Bundeswehr unangesprochen läßt, für die der Wehrbeauftragte nach Art. 45 b GG und dem Gesetz des Wehrbeauftragten vom 26. Juni 1957 zuständig ist. Ich möchte, nachdem heute früh ja schon sehr viele Probleme andiskutiert wurden, nur einige Fragen herausgreifen. Im Mittelpunkt des Berichtes steht die Disziplin in der Bundeswehr. Das hat auch die Presse in ihren Stellungnahmen hervorgehoben, und Herr Kollege Wörner ist ja wohl zu einem großen Teil seines Vortrages auf diese Probleme eingegangen. Der Wehrbeauftragte hat versucht, zahlreiche Schwierigkeiten und Probleme im inneren Gefüge der Streitkräfte auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Für die Belastung, der das innere Gefüge der Streitkräfte ausgesetzt ist, werden im wesentlichen gesamtgesellschaftliche Einflüsse und Entwicklungen verantwortlich gemacht, an denen die Bundeswehr kaum etwas ändern kann. Ihre eigentlichen, tieferen Ursachen sind viele Unzulänglichkeiten und Mängel in der zivilen Gesellschaft. Hier, Herr Kollege Wörner, möchte ich auf einige Dinge eingehen, die Sie angesprochen und die Sie besonders herausgestellt haben. Sie sagten, die Entwicklung im disziplinären Bereich müsse der Minister in den Griff bekommen, und stellten an erster Stelle ein deutliches Nachlassen der Disziplin heraus. Hier sprachen Sie von den Fällen der unerlaubten Entfernung von der Truppe, von den 40000 DM Kosten, die ein Feldjägerdienstkommando habe. Sie sagten mit Recht: Wir alle tragen hier ein Stück Verantwortung. Wir alle! Herr Kollege Wörner, Sie haben sich später nicht verkneifen können, insbesondere den Sozialdemokraten ihre Jungsozialisten und uns unsere Jungdemokraten vorzuhalten. Sie haben Ihre Junge Union vergessen; denn die hat auch wie die gesamte Jugend ihre Vorstellungen über die Bundeswehr und die Disziplin. ({0}) - Ich werde Ihnen jetzt zeigen, wie doppelzüngig hier gearbeitet wird, wenn Sie sagen, die Bundesregierung habe auf dem Gebiet der Disziplin versagt. Ich teile Ihre Meinung, daß man nicht nachgeben soll, sondern daß man die Kosten, die entstehen, denjenigen auferlegen soll, die sich z. B. unerlaubt von der Truppe entfernen. Herr Kollege Wörner, das folgende Beispiel entbehrt ja nicht einer gewissen Pikanterie. Wer Disziplin fordert, muß auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Mit dieser Feststellung möchte ich mich an alle in diesem Hause wenden, die immer nach Law and Order schreien. Wenn ein CDU-Bundestagsabgeordneter sich zu einer mehrwöchigen Übung einberufen läßt - nicht Sie, Herr Kollege Wörner; Sie wissen genau, wen ich meine -, kann er sich nach drei Tagen nicht einfach von der Truppe entfernen, ohne sich abzumelden. Er muß mit gutem Beispiel vorangehen, Herr Kollege Wörner. ({1}) Man kann nämlich nicht nur von Wehrpflichtigen Disziplin fordern und dann selber ein so schlechtes Beispiel geben. ({2}) - Ich will das jetzt nicht vertiefen, Herr Kollege Wörner, ({3}) aber ich meine, das muß angesprochen werden, wenn man hier immer und immer wieder von Disziplin spricht. ({4}) - Ja, das sind einzelne schlechte Beispiele; aber Sie sollten hier nicht aus parteitaktischen Gründen den anderen vorwerfen, daß sie dazu beitrügen, und die Bundesregierung nicht angreifen, daß sie nicht bereit sei, die Disziplin in den Griff zu bekommen. ({5}) Herr Kollege, wir sind dazu bereit, und wir tun alles dazu. Entscheidende Verbesserungen und Veränderungen lassen sich aber nur erreichen, wenn die zivile Gesellschaft sich auch ihrerseits dieser Probleme in stärkerem Maße annimmt. Eine derartige Entwicklung ist gegenwärtig jedoch nicht erkennbar. Dennoch sollte nach Ansicht des Wehrbeauftragten nicht unerwähnt bleiben, daß die Bundeswehr bisher mit den zusätzlichen Problemen, die überwiegend von außen auf sie eindringen, noch weithin fertig geworden ist. Den Streitkräften ist es besser als mancher anderen Institution unserer Gesellschaft gelungen, die Unruhe der Jugend aufzufangen. Diesen Worten des Wehrbeauftragten schließt sich meine Fraktion an. Der Verteidigungsausschuß wird sich im Rahmen seiner Zuständigkeit Gedanken machen müssen, wo hier der Hebel angesetzt werden muß. Es ist gewiß kein Zufall, daß der Entwurf für eine Vorschrift über die innere Führung, die ZDv 10/1 - Ausschußdrucksache VI/145 -, derzeit dem Verteidigungsausschuß vorliegt. Wir werden diese Vorschrift schnellstens behandeln, damit sie endlich an die Stelle des überholten Handbuches und der Richtlinien für die innere Führung treten kann. Die neue Vorschrift wird zwar keine Wunder wirken; sie wäre aber für viele Vorgesetzte vor allem in der Truppe eine wesentliche Arbeitshilfe. In diesem Zusammenhang lege ich Wert darauf, daß in der vorgesehenen Dienstvorschrift folgende Gesichtspunkte besonders hervorgehoben werden: - Die Streitkräfte sind selbstverständlicher Ausdruck der Souveränität eines Staates. - Der Staatsbürger, der den Schutz seiner Rechte und seiner persönlichen Integrität durch den Staat in Anspruch nimmt, hat die Pflicht, einen angemessenen Beitrag zur Gewährleistung dieser Sicherheit zu übernehmen. Wir erwarten, daß dem Einheitsführer neben der verständlichen und transparenten Darstellung des Konzepts, verbunden mit prägnant gefaßten Leitsätzen, gleichzeitig auch eine Fallsammlung an die Hand gegeben wird. Ich empfehle ebenso wie der Wehrbeauftragte, der Schule der Bundeswehr für innere Führung mit ihrer bewährten Funktion als zentrale Ausbildungsinstitution für Disziplinarvorgesetzte die Einweisung in die neue Vorschrift zu übertragen. Über den Zusammenhang zwischen. Disziplin und äußerem Erscheinungsbild der Soldaten - hier geht es nicht nur um die Haar- und Barttracht - sei nur so viel gesagt, daß nach Ansicht des Wehrbeauftragten der ordentliche militärische Anzug ein Erziehungsfaktor ist, der sich mittelbar auch vorteilhaft auf die Funktionsausübung auswirkt. Deshalb begrüßen wir die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung vor der Tagung der Vertrauensleute der Unteroffiziere in Plön, aus der zu entnehmen ist, daß der Verteidigungsminister ein provozierendes Ausnutzen der von ihm selbst verordneten und geübten Toleranz nicht länger hinzunehmen gewillt ist. Zur Diskussion über die Haar- und Barttracht, der der Wehrbeauftragte allein neun Seiten in seinem Bericht widmet, findet sich auch in der Geschichte eine Parallele. Ich habe hier einen Auszug aus der Arcana historia - das ist das historische Geheimarchiv des Kaisers Justinian -, in der sich der byzantinische Geschichtsschreiber Prokop um 550 ähnlich über die verworrenen Zustände der CircusParteien aussprach, und auch die Haar- und Barttracht kritisierte. Er schreibt: Das erste war, daß sich die Unruhestifter eine andere Haartracht zulegten. Sie ließen sich nämlich nicht wie die übrigen Römer ihre Haare schneiden, ließen weder Schnurrbart noch Kinnbart abnehmen, sondern trugen sich mit üppigem Haarwuchs bedeckt wie die Perser. Vom Haupthaar beseitigten sie nur den vorderen Teil bis zu den Schläfen hin, während sie die übrigen Haare unsinnig lang herunterhängen ließen. Und dann nannte er dies die „hunnische Haarmode". ({6}) Meine Kollegen, es gibt also auch in der Geschichte Beispiele dafür. Ich will nur feststellen, daß wir recht bald eine Überarbeitung des jetzigen Erlasses des Verteidigungsministeriums erwarten, die eine rechtlich eindeutige und praktikable Handhabung zuläßt. Vielleicht wird Herr Kollege Staatssekretär Berkhan einiges dazu sagen können. Aber 258 Eingaben allein in dieser Frage an den Wehrbeauftragten sind meines Erachtens mehr als genug. Vielleicht ist der Hinweis hilfreich, doch einmal auch den Erlaß des Bundesinnenministers für den Bundesgrenzschutz hier mit heranzuziehen und dann vielleicht aus beiden einen insgesamt positiven Erlaß zu konzipieren. Aufmerksam haben wir die Probleme des Wehrbeauftragten im Spannungsfeld zwischen Bundeswehr und Parlament zur Kenntnis genommen. Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Wehrbeauftragten und der Bundeswehr in verschiedenen Fragen werden im Verteidigungsausschuß zu erörtern sein. Das gleiche gilt auch für die voneinander abweichenden Absichten über die Amtsbefugnis des Wehrbeauftragten. Wir werden uns demnächst im Verteidigungsausschuß mit dieser Frage beschäftigen. Ich will hier also nicht vorgreifen. Aber wir sind mit dem Wehrbeauftragten der gleichen Ansicht, daß er nicht dem Verteidigungsausschuß untersteht. § 2 Abs. 2 des Wehrbeauftragtengesetzes legen wir so aus, daß der Wehrbeauftragte bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben lediglich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages verantwortlich ist. Auch diese Frage werden wir im Verteidigungsausschuß zu besprechen haben. Abschließend glaube ich aber feststellen zu können - der Bericht gibt uns ein Bild davon -, daß die Institution des Wehrbeauftragten zum festen Bestandteil in unserer Demokratie geworden ist. Vor allem die Angehörigen der Bundeswehr sind sich dieser Tatsache bewußt. Gelegentlicher Mißbrauch dieser Einrichtung wird dabei in Kauf genommen werden müssen. Ich möchte nicht versäumen, im Namen meiner Fraktion dem Wehrbeauftragten unseren besonders herzlichen Dank auszusprechen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Staatssekretär Berkhan. Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zu der Erklärung komme, die ich hier für die Bundesregierung abzugeben habe, ein paar Bemerkungen zur Debatte machen. Hoffentlich gelingt es mir, das so unterkühlt zu tun, daß ich damit nicht eine neue Diskussion entfache. Nur so, Herr Dr. Klepsch, dürfen Sie meine Zurückhaltung verstehen, nur so, weil ich die Geschäftsführer nicht in die Lage bringen will, erneut verhandeln zu müssen, wie der Zeitplan am Freitag einzuhalten ist. - Herr Wagner, ich danke Ihnen, daß ich wenigstens Ihre Zustimmung finde. Lieber Herr Wörner, ich will Ihnen dankbar sagen, daß ich mich gefreut habe, daß Sie meinem Minister Helmut Schmidt einen Gruß gesagt haben. Hoffentlich war es nur ein Versehen, als Sie davon sprachen, daß er seine Gesundheit geopfert habe. Ein Opfer ist unwiderbringlich. Ich habe mit den behandelnden Ärzten gesprochen, und einer der Ärzte, ein namhafter, hat mir gesagt: Sie werden sich wundern, wie gesund der Mann noch wird! ({0}) - Ich habe das doch unterstellt, und ich weiß auch, daß Sie so denken. Nur, Herr Wörner, ein bißchen Anklang in diesen Wünschen ist eben in dem ganzen Stil Ihrer Rede wiederzufinden. Sie haben einmal - so schnell kann man ja nicht mitschreiben; ich werde das sehr sorgfältig nachlesen - von der Unlust und Unwilligkeit bei Wehrpflichtigen gesprochen und haben dann daraus geschlossen, daß bei Offizieren und Unteroffizieren zu einem Teil Resignation entsteht und daß sich diese Soldaten im Stich gelassen fühlen. Nachdem Sie dieses schwarze Gemälde vor der Öffentlichkeit und dem Parlament ausgebreitet haben, sagen Sie anschließend: Aber eine große Zahl sagt: jetzt erst recht. So geht es ein paarmal in ihrer Rede. Ich will hier nur noch zwei Punkte nennen. Sie haben Herrn Weinstein zitiert; es konnte gar nicht anders sein. Ich war darauf vorbereitet, daß Sie den zitieren. Ich hatte natürlich den Artikel da. Aber Sie haben dann nicht zitiert, daß derselbe Herr Weinstein in dem gleichen Artikel schreibt: „Nun verliert das abstoßende Bild, das ungepflegte junge Männer in Uniform bieten, von seiner Häßlichkeit, wenn man sie im Dienst erlebt." Oder an anderem Ort: „Nur eine Minderheit dieser Aufbegehrenden in Uniform ist wirklich radikal." Ein letztes Zitat - ich will Sie nicht langweilen -: „Denn sie sind nur den Moralgesetzen gefolgt, die heute für die Wirtschaft gelten. Den Job kann man wechseln. Die Arbeit wird nicht ernst genommen." ({1}) Ich will mich der Polemik enthalten. Aber ich kann mich ganz gut erinnern, zu welchen Zeiten das Huhn erfunden worden war, welches goldene Eier legt, und die Frage gestellt wurde: Hast du auch schon Kommunalobligationen? und niemals die Frage aufgeworfen wurde: Was seid Ihr denn bereit für diesen Staat und diese Gesellschaft zu leisten? ({2}) Ich habe mir auch schnell noch heraussuchen lassen, Herr Wörner, was Umfragen verschiedener Art - eine haben wir im eigenen Bereich gemacht, und da können Sie natürlich sagen, die sei vielleicht unzulänglich; die ist in einer Division gemacht worden - zu der Wehrwilligkeit junger Männer ergeben haben. Hier handelt es sich um Abiturienten. Von den befragten Soldaten, also Abiturienten, waren 65 % ohne Einschränkung zum Wehrdienst bereit. Jeder fünfte allerdings - ich will das gar nicht verniedlichen - lehnte den Wehrdienst mehr oder weniger ab, 13 % waren wehrunwillig, und 7 % lehnten ihn grundsätzlich ab. Ähnliche Ergebnisse finden wir bei einer Repräsentativumfrage, die Ihnen aus den Informationen des Informations- und Pressestabes vom 8. Dezember bekannt sein wird; sonst bin ich gern bereit, sie Ihnen noch einmal zuzustellen. Auch hier stellen wir fest, daß insbesondere die Gruppe der jungen Männer zwischen 19 und 24 Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan Jahren eine sehr gesunde Einstellung zur Landesverteidigung hat. Das wird dann auch in einer dpa-Mitteilung bestätigt. Hier heißt es wörtlich, seit der letzten Meinungsanalyse im Jahre 1969 sei die Zahl der für die Bundeswehr Einsatzwilligen von 62 auf 71 % gestiegen. Ich nehme das nicht für die Regierung Brand oder gar für den Verteidigungsminister in Anspruch, sondern ich nehme das dafür in Anspruch, Herr Wörner, daß die Situation nicht gar so grau und so schlecht ist, wie Sie sie hier gemalt haben. Lassen Sie mich jetzt zu meiner Erklärung kommen. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Jahresbericht 1971 abschließend festgestellt, daß die Bundeswehr bisher mit den zusätzlichen Problemen, die überwiegend von außen auf sie eindringen, fertig geworden ist. Nach Meinung des Wehrbeauftragten ist es der Bundeswehr besser als mancher anderen Institution unserer Gesellschaft gelungen, die Unruhe unter der Jugend aufzufangen, obwohl doch gerade die Bundeswehr für viele ideologisch vorprogrammierte Gesellschaftskritiker ein bevorzugtes Angriffsobjekt darstellt. Dieser Auffassung des Wehrbeauftragten kann ich nur zustimmen. Die Erfahrungsberichte aus der Truppe und die Besuche bei Inspektionen und durch Inspekteure haben erwiesen, daß die Streitkräfte den ihnen vom Verfassungsgeber gestellten Auftrag voll erfüllen können. Das ist auch die Meinung der NATO-Gremien. Ich darf hier also mit Befriedigung feststellen, daß mit dem vorliegenden Jahresbericht den Streitkräften bescheinigt wird: sie erfüllen ihren Auftrag. Das ist die wichtigste Aussage des Jahresberichtes, und die sollte auch vom Parlament zur Kenntnis genommen werden. Der Schwerpunkt im Bericht hat sich - im Vergleich zu früher - verlagert. Früher standen der Schutz der Grundrechte für Soldaten und die Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft im Vordergrund. Heute verlangen mangelnde Disziplin und Autoritätsverlust von Vorgesetzten unsere besondere Aufmerksamkeit. Diese Entwicklung haben wir bereits in den Weißbüchern 1970/71 und 1971/72 und bei der vor einem Jahr eingebrachten Novelle zum Wehrdisziplinarrecht festgestellt. Im Weißbuch 1971/72 heißt es wörtlich: „Das Leben in einer Gemeinschaft schafft Probleme. Reibungen können nicht ausbleiben. Bei den Streitkräften ist dies augenfälliger als sonst." Im Anschluß an diese Aussage macht das Weißbuch dann konkrete Angaben zum Sachverhalt. Allerdings will ich hinzufügen, daß ich in der Beurteilung dieser Entwicklung nicht uneingeschränkt mit dem Wehrbeauftragten übereinstimme. Im einzelnen will ich mich mit vier Problemen beschäftigen, auf die der Bericht des Wehrbeauftragten besonders eingeht: erstens Grundrechtsverletzungen, zweitens politische Betätigung von Soldaten, drittens Nachlassen der Disziplin und Autoritätsverlust und viertens Innere Führung. Ich komme zum Problemkreis „Grundrechtsverletzungen". Die Zahl von Verstößen militärischer Vorgesetzter gegen die Grundrechte von Soldaten blieb im Berichtsjahr gering. Dies ist vor allem auf mehr Sicherheit in der Handhabung zeitgemäßer Führungsmethoden zurückzuführen. Zweifelhaft erscheint dagegen ein weiterer Grund, den der Wehrbeauftragte nennt: daß nämlich Vorgesetzte gegenüber ungehorsamen Soldaten Konzessionen machen und sich insoweit nicht zu Grundrechtsverletzungen verleiten lassen. Ein Teil der Wehrpflichtigen - das muß zugegeben werden - neigt allerdings immer mehr dazu, die ihnen von der Verfassung und vom Gesetz zugebilligten Rechte über Gebühr auszunutzen. Andere hingegen nehmen es mit ihren Pflichten ernst. Durch diese Situation wird Menschenführung in den Streitkräften schwieriger, als sie vorher war. Schwierigkeiten treten vor allem im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zutage. Dieses Grundrecht ist für Soldaten zusätzlich in § 15 des Soldatengesetzes eingeschränkt. Gesetze, Vorschriften, Erlasse und Befehle über die soldatischen Ordnung bieten aber nach meiner Meinung Handhabe genug, um Verstößen entgegentreten zu können. Wir müssen erwarten, daß sich die Vorgesetzten gerade in schwierigen Situationen immer erneut mit dem Inhalt und dem Geist dieser Gesetze, Vorschriften, Erlasse und Befehle vertraut machen. Bestraft aber ein Vorgesetzter Verstöße, nachdem er sich mit all diesen Vorschriften erneut genügend vertraut gemacht hat, so muß er bei seinen Vorgesetzten, vor allem aber in der Öffentlichkeit und auch im Parlament Unterstützung finden. ({3}) Ich komme zur politischen Betätigung der Soldaten. Die Entwicklung radikaler politischer Gruppen in unserem Lande macht vor den Kasernentoren natürlich nicht halt. Das ist eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Wehrpflicht, die dadurch gekennzeichnet ist, daß nicht nur solche jungen Männer Wehrdienst leisten, die von sich aus dazu bereit sind; es gibt auch junge Männer, die unwillig in die Kasernen kommen, und schließlich gibt es noch jene, die nicht nur unwillig sind, sondern das politische System der Bundesrepublik Deutschland bekämpfen und daher nicht bereit sind, unsere Verfassungsordnung zu verteidigen. Die von den zuletzt Genannten betriebene politische Agitation überschreitet heute häufiger als früher die klaren Grenzen, die das Soldatengesetz zieht. Wir werden mehr als bisher darauf zu achten haben, daß diese Grenzen nicht überschritten werden und Mißbrauch unterbunden wird. Die Methoden des politischen Angriffs von außen auf die Streitkräfte haben sich verfeinert. Flugblattaktionen wurden ersetzt durch eine nachdrückliche Beratung zur Kriegsdienstverweigerung, durch Bereitstellung von Material über das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung und durch Anleitungen zum taktischen Vorgehen. Von außen gesteuerte Zellenbildungen radikaler Gruppen treten auf und gefährden u. a. die Kameradschaft. Der Bundesminister der Verteidigung sagte anläßlich der Amtseinführung des neuen Generalinspekteurs Admiral Zimmermann: Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan Eine Wehrpflichtarmee wie die unsrige ist kein keimfreier, vor jeder Infektion ungefährdeter Organismus. Sie kann es nicht und will es auch nicht sein. Ein bestimmtes Maß von Infektion ist sogar therapeutisch nützlich, weil es zur Immunisierung des gesamten Körpers Bundeswehr beitragen kann. ({4}) Die Grenze ist dort, darüber kann es keinen Zweifel geben, wo, von welcher Seite auch immer, die Erfüllung der verfassungsmäßigen Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr gefährdet wird. Ich weiß nicht, Herr Wörner, ob Ihnen dieses Zitat zu unklar ist oder ob Sie meinen, es würde dadurch besser, daß man es immer wiederholt. Ich bin der Meinung, ständige Wiederholungen führen nur zur Abnutzung. Ich komme zu dem Teil „Nachlassen der Disziplin und Autoritätsverlust der Vorgesetzten". Das ist ein Hauptthema im Bericht des Wehrbeauftragten. Er stellt dort fest, daß die Disziplinlosigkeit zunimmt und Vorgesetzte die Entschlossenheit verlieren, sich zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten voll einzusetzen. Ich teile diese Sorgen des Wehrbeauftragten zwar ganz allgemein, meine allerdings, es ist kein Grund, gegenüber diesen Erscheinungen nun Überbewertung Platz greifen zu lassen. Daher wäre es falsch, auf Grund der bisherigen Beobachtungen zu grundlegenden Änderungen zu kommen oder sie zu verlangen. Ich sehe das Problem der Disziplinlosigkeit und der schwindenden Autorität der Vorgesetzten vor folgendem Hintergrund. Es ist sicher, daß die jungen Menschen, die als Wehrpflichtige in die Streitkräfte kommen, oft Sinn und Notwendigkeit des Wehrdienstes nicht erfaßt haben. - Gestatten Sie mir, Herr Kollege Wörner, eine kleine Einschiebung, die nicht in meinem Text der Erklärung hier steht. Die Ausbildung in den Schulen beginnt ja nicht erst im Jahr 1969. Sie ist alt. Es gibt Länder, die sehr lange unter der Hoheit eines CDU-Kultusministers stehen, und es gibt Länder, die sehr lange unter der Hoheit eines SPD-Kultusministers stehen, und es gibt Länder, die zeitweise liberale Kultusminister hatten. ({5}) - Schönen Dank! Ich will das ja nur ergänzen. ({6}) - Ja, ja. Ich will das ja nur ergänzen. Herr van Delden, daß Sie immer so ungeduldig sind! Ich bin jetzt fast in Versuchung, etwas zu tun, was - ({7}) - Eines will ich Ihnen nur sagen: In all diesen Ländern sind die Ergebnisse im letzten Grunde gleich. Wenn wir uns hier Gedanken zu machen haben, dann müssen wir in unseren Parteien und in unseren Länderparlamenten darüber nachdenken, wie wir der Pflicht der Schulen Rechnung tragen können, über Geist und Inhalt des Grundgesetzes in all seinen Teilen gleichmäßig und gleichwertig zu unterrichten. ({8}) In einem allerdings habe ich Sie entweder wieder falsch verstanden, oder ich muß sagen, daß ich hier anderer Auffassung bin. Ich glaube nach wie vor, daß das Normale der Wehrdienst ist und die Ausnahme die im Grundgesetz festgelegte Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe. ({9}) - Na gut, dann haben wir uns ja nicht falsch verstanden. Daher wollen wir bei der Debatte, wie ich Ihnen zugesagt habe, über allgemeine Dienstgerechtigkeit oder über Ihre Vorschläge gemeinsam darauf achten, daß das Normale nicht in einen Topf mit der Ausnahme kommt. Darauf werden wir gemeinsam zu achten haben. ({10}) Dann darf ich mit meinem Katalog fortfahren. Es gibt Einzelfälle, die zwar bedauerlich sind, bei denen aber unter Einfluß von Alkohol die Situation der Auflehnung verschärft wird, hier insbesondere die Auflehnung gegen die militärische Ordnung. Beispielsweise erfolgten in den letzten beiden Jahren fast die Hälfte aller Fälle von Bedrohung von Vorgesetzten und ungefähr zwei Drittel der tätlichen Angriffe auf Vorgesetzte unter Alkoholeinfluß. Das muß uns generell nachdenklich stimmen. Aber nicht nur, Herr Kollege, bei den Soldaten. Ich jedenfalls will hier noch in einem anderen Punkt sagen, daß ich begründete Zweifel habe, ob die Rechtsprechung immer die Besonderheiten des militärischen Dienstes und damit schließlich den Verfassungsauftrag der Streitkräfte angemessen berücksichtigt. Ein Beispiel. Von allen Gerichtsstrafen nach dem Wehrstrafgesetz, die 1970 auf Gefängnis oder Strafarrest lauteten - und das waren 81% der gesamten Urteile -, wurden 75 % auf Bewährung ausgesetzt. Nun ist unbestritten, daß Strafaussetzung zur Bewährung im normalen zivilen Fall sicherlich ein erfolgreiches Mittel ist, straffällig gewordenen Menschen zu helfen. Das ist das Ziel aller Strafrechtsreformen. Ich muß jedoch daran zweifeln, ob eine solche Anhäufung von Strafaussetzungen zur Bewährung ihren Sinn noch erfüllt in der Zeit, in der die junge Mannschaft in Kasernen gemeinsam leben muß. Solange Kriegsdienstverweigerer eine große Chance haben, jeglicher Dienstleistung zu entgehen, wird dies den Unwillen der Wehrpflichtigen, die dienen müssen, noch vermehren. Heute nehmen in den Streitkräften viele junge Soldaten als Wehrpflichtige oder Zeitsoldaten die Funktion von Unterführern wahr. Wir werden darauf zu achten haben, daß ihre Autorität entsprechend gestärkt wird, ihre Autorität, die sie natürlich auf Grund ihrer Lebenserfahrung und ihres Ausbildungszustandes noch nicht zureichend haben. Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan So weit zum Hintergrund. Die in den Streitkräften festzustellende Erscheinung von Disziplinlosigkeit und Autoritätsschwund zeigt sich bei vier Sachverhalten am deutlichsten: eigenmächtige Abwesenheit hat zugenommen, den Hauptanteil bei Gehorsamsverweigerungen haben die nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerer, die Bedrohung von Vorgesetzten, und ganz allgemein das Nachlassen der Disziplin. Die Feststellungen des Wehrbeauftragten decken sich mit den Erkenntnissen des Ministeriums. Sie beruhen ja schließlich auch auf dem Zahlenmaterial, das ihm vom Ministerium der Verteidigung zur Verfügung gestellt worden ist. Viele Straftatbestände hängen auch mit dem Autoritätsmangel einiger Vorgesetzter zusammen. Ich will offenlassen, welche Quellen oder welche Hauptquellen möglicherweise solcher Autoritätsmangel hat. Es ist aber wohl nicht zu übersehen, daß beispielsweise die bereits von mir erwähnten relativ jungen Unterführer in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen. Ferner spielt gelegentlich die Überbetonung der persönlichen Autorität eine Rolle und schließlich und endlich auch teilweise das Beharren auf einem überholten Disziplinbegriff. Manche Vorgesetzte aller Grade und auch manche zivilen Kritiker, so scheint es, neigen dazu, Dinge wie Disziplin allzu stark idealtypisch zu betrachten. Sie erfahren oft schmerzlich, wie wenig idealtypisch die Wirklichkeit ist. Mit dieser Erscheinung korrespondiert ein Wandel der Untergebenendisziplin. Hier haben wir es im wesentlichen mit gesellschaftlichen Einflüssen zu tun, etwa mit einer zunehmend extremen antiautoritären Haltung der Jugend und wohl auch mit einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Staat und Gesellschaft. ({11}) - Ja, da gibt es viele Varianten, Herr Wehner. Es ist hier ein Beispiel genannt, und ich will die Kette nicht erweitern. ({12}) Ich könnte natürlich noch ein Beispiel nennen. Ob es wirklich gut ist, daß Parteien so tun, als ob sie ihre Regierung nicht in der Öffentlichkeit, sondern in einer Offizierschule vorstellen müssen, jedenfalls teilweise, ({13}) wage ich sehr stark kritisch zu betrachten. ({14}) - Nein, es hat nicht wehgetan. Wie können Sie mir wehtun? Sie sind einige Pfunde zu leicht, um mir wehzutun. ({15}) Die Mittel, in der Truppe Disziplin aufrechtzuerhalten, genügen aber nach meiner Meinung, obwohl sie hier und da mit formalen Erschwernissen, etwa mit dem umfangreichen Papierkrieg, verbunden sind. Das Bundesministerium der Verteidigung wird weiter auf die Stärkung der Autorität von Vorgesetzten hinwirken, damit einer Aushöhlung der Disziplin vorgebeugt werden kann. Hierzu dient u. a. die Novellierung der Wehrdisziplinarordnung, und ich bitte das Haus, insbesondere die zuständigen Ausschüsse, alsbald zur Verabschiedung dieser Ordnung zu kommen. Wir warten dringend darauf. Vor allem müssen wir auf Methoden bedacht sein, mit denen jungen Führern und Unterführern bereits zu Anfang ihrer Tätigkeit als Vorgesetzte geholfen werden kann. Es muß auch mehr auf das notwendige Maß formaler Disziplin und auf ein besseres Bild in der äußeren Erscheinung geachtet werden. Die Ergänzung der rein formalen durch die funktionale Disziplin in Teilgebieten darf aber nicht als die Ablösung der Disziplin schlechthin mißverstanden werden und so schließlich das System von Befehl und Gehorsam in Frage stellen. Zum Kreis der Inneren Führung: Die Befürchtungen des Wehrbeauftragten, daß Innere Führung heruntergespielt werden solle, trifft nicht zu. Im Gegenteil! Die Innere Führung hat ihren festen Rang und Platz in der Bundeswehr längst gefunden. Daraus erklärt sich auch, warum - wie er doch selbst festgestellt hat - Verstöße gegen die Grundrechte der Staatsbürger in Uniform durch Vorgesetzte verhältnismäßig selten sind. Der Bundesminister der Verteidigung hat - ich zitierte die Rede schon - bei der Amtseinführung des Generalinspekteurs zur Inneren Führung folgendes gesagt: Seit ich in diesem Amte bin, habe ich es abgelehnt, mich an dem Glasperlenspiel zu beteiligen, zu den vielen Definitionen von Innerer Führung eine neue hinzuzuliefern. Ich habe aber niemals Unklarheit darüber gelassen, daß es an ihren verfassungskonformen gesetzlichen Grundlagen nichts zu deuteln gibt. Die neue „Zentrale Dienstvorschrift 10/1" befindet sich in der Arbeit; sie wird Begriffe und Leitsätze der Inneren Führung erläutern. Zwei Teile des Entwurfs haben dem Verteidigungsausschuß bereits zur Information vorgelegen. Insofern kommen wir dem Monitum des Wehrbeauftragten bereits entgegen. Der in den Anfangsjahren notwendigen Diskussion über die Grundsätze der Inneren Führung ist längst die Praktizierung im Truppenalltag gefolgt. Diese Entwicklung enthebt uns jedoch nicht der Pflicht, am passenden Ort und zu passender Zeit über den Sinn der Inneren Führung zu reflektieren, vornehmlich bei der Ausbildung unserer Unteroffiziere und Offiziere. Es ist ein Irrtum, zu glauben, Innere Führung sei Ideologie und benötige gar eine eigene Organisation. Innere Führung wird als Menschenführung in allen Schulen und Akademien der Bundeswehr gelehrt. Rund ein Drittel des Lehrstoffes der Stabsakademie z. B. widmet sich dem Themenkreis „Soldat, Staat und Gesellschaft". Daher, Herr Wörner, glaube ich, daß wir Ihrer Mahnung nachgekommen Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan sind, daß die Kommandeure auf diesen Auftrag hin auszubilden sind. Alle Stabsoffiziere werden vor allem im Hinblick auf ihre spätere Kommandeurtätigkeit gründlich mit gesellschaftlich-politischen Zusammenhängen vertraut gemacht. Es bedarf daher keiner Übertragung zusätzlicher Lehraufgaben der Inneren Führung. Die Kapazität der Schule für Innere Führung in Koblenz erlaubte auch schon früher nicht die Ausbildung aller Einheitsführer und Kommandeure. Der Wehrbeauftragte meint, die Einheitsführerlehrgänge seien an die Wehrakademie verlegt worden. Das ist so nicht richtig. Vielmehr wurde dort ein Lehrgang „Staatsbürgerlicher Unterricht" eingerichtet. Dieses wichtige Lehrgebiet ist in der Truppe den Einheitsführern übertragen worden. Bis zur Herausgabe der „Zentralen Dienstvorschrift 12/1" gelten die kürzlich erlassenen „Vorläufigen Richtlinien für den staatsbürgerlichen Unterricht in der Bundeswehr". Sie waren in der Lage, davon Kenntnis zu nehmen; wir haben sie veröffentlicht. Die Schule für Innere Führung widmet sich jetzt vorwiegend der Ausbildung der Lehrenden anderer Schulen, also der Multiplikatoren. Wir kommen damit dem Wunsch von Herrn Wörner entgegen, die Lehrer in den Stand zu setzen, über diese Themen überhaupt unterrichten zu können. Forschungsaufgaben für das Gebiet Innere Führung könnten in Zukunft z. B. auch an Bundeswehrhochschulen bearbeitet werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz deutlich vermerken: Ich halte mehr davon, wenn auch in diesem Fall dem Volk aufs Maul geschaut wird, mit anderen Worten: wenn sich Forschung auf diesem Gebiet stärker an der Praxis der Truppe als an abstrakten Lehrsätzen orientiert. ({16}) - Herr Kollege, wir haben den wissenschaftlichen Stab nicht aus der Schule herausgenommen. Sie wissen ja, wann das passiert ist. Ich kann Ihren Vorwurf nicht ganz verstehen. Alles in allem: Die Vorgesetzten haben gelernt, Innere Führung zu praktizieren. Sie handeln im Sinne unserer Verfassungsordnung und gemäß den gesetzlichen Vorschriften. Voller Genugtuung kann ich die Feststellung des Wehrbeauftragten bestätigen, daß die Zahl von Vorfällen auf dem Gebiet der Inneren Führung, soweit Ausbildung, Erziehung und Dienstgestaltung betroffen sind, auf den niedrigsten Stand seit 1963 gesunken ist. Ich fasse zusammen. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1971 leistet Hilfe. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ein Organ des Deutschen Bundestages Parlament und Öffentlichkeit auf die Probleme hinweist, die wir zu lösen haben. Wir müssen fertig werden mit der Spannung zwischen den im Grundgesetz verbürgten Freiheitsrechten des einzelnen und den ebenfalls durch Grundgesetz bestätigten Ansprüchen des Staates auf Dienst für die Gemeinschaft, wie es das Bundesverfassungsgericht am 26. Mai 1970 ausdrücklich entschieden hat. Alle müssen helfen, Bundestag, Bundesregierung, Landesregierungen, Rechtspflege, Hochschulen, Schulen, die Männer, die die öffentliche Meinung beeinflussen, und diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit äußern, nicht zuletzt die Bundeswehr selbst. ({17})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dem Herrn Staatssekretär offenbar trotz aller Zwischenrufe die vorgefaßte Zurückhaltung gelungen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich komme zu Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Abgeordneten Spilker, Dr. Evers, Dr. Kraske, Frau Griesinger, Glüsing ({0}), Hussing, Weber ({1}), Windelen, Dr. Wörner, Dr. Riedl ({2}) und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Bundessportplan - Drucksache VI/3221 -Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Spilker.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Hohen Haus vorgelegte Bundessportplan der CDU/CSU-Fraktion will die Sportförderung durch den Bund in den nach dem Grundgesetz gegebenen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen weiterentwickeln, systematisieren und auf Dauer zu einem Element zukunftsorientierter Gesellschaftspolitik gestalten. Nach dem Grundgesetz und in der Verfassungswirklichkeit gibt es bei uns gottlob einen freien und unabhängigen Sport. Geht man davon aus, daß etwa 10 Millionen Menschen in zirka 40 000 Vereinen in der Bundesrepublik sportlich organisiert und darüber hinaus weitere 10 Millionen bemüht sind, sportlich tätig zu sein, und geht man weiter vor allem davon aus, daß der Sport auch für die Gesundheit der anderen Menschen unentbehrlich ist, dann erkennt man sofort die hohe Verpflichtung der öffentlichen Hand dem Sport und damit den Menschen gegenüber. Diese Verpflichtung scheint mir unbestritten zu sein. Da der Staat selbst nicht Sport betreibt und nach dem soeben Gesagten auch nicht Sportfunktionär sein darf, kann er dem freien und unabhängigen Sport nur durch Förderungsmaßnahmen helfen, die leider heute noch sehr unübersichtlich sind. Wir wollen mit unserem Antrag die Förderungsmaßnahmen des Bundes für den Sport in ein übersichtliches System bringen, um mit ihnen optimale Wirkungen zu erzielen. Wir gehen dabei davon aus, daß solche Maßnahmen, d. h. die Gewährung von Steuergeldern durch die öffentliche Hand, nur dann den größten Nutzen haben, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle und für den richtigen Zweck ausgegeben werden. Nach dem Antrag der CDU: CSU-Fraktion sollen die bisherigen Sportförderungsmaßnahmen des Bundes - immer im Rahmen seiner Zuständigkeit -, wie sie von früheren Bundesregierungen eingeleitet und von der jetzigen Bundesregierung fortgeführt wurden, zusammengefaßt werden, allerdings ergänzt um zentrale Modellmaßnahmen im Rahmen der Anregungskompetenz. Durch den Plan soll schließlich ein sytematisch geordnetes Förderungswerk des Bundes für den Sport begründet werden, das im Augenblick nicht da, aber dringend notwendig ist. Wir wollen also keine weitere Diskussionsgrundlage für die künftige Gestaltung des Sports - ich meine, davon haben wir nun genug -, sondern ein unmittelbar vollziehbares Aktionsprogramm, das, wie gesagt, dem Sport und damit allen Menschen zugute kommen soll. Meine Damen und Herren, das Nebeneinander von Staat und Sport ist glücklicherweise in den letzten Jahren zu einem Miteinander geworden. Es besteht nunmehr wohl auch Einigkeit darüber, daß der Sport nicht mehr nur die schönste Nebensache der Welt ist, die man getrost sich selbst oder denen überlassen kann, die Spaß daran haben. Der Sport ist vielmehr in unserer Massengesellschaft vor allem angesichts der Bedingungen, unter denen Millionen von Menschen gerade in den Ballungsgebieten zu leben haben, eine gesellschaftspolitische, eine gesundheitspolitische, aber auch eine bildungspolitische Notwendigkeit. Stellt man ihn in diesen politischen Rahmen, muß man allerdings nach unserer Auffassung zwei Einschränkungen machen bzw. beachten. Eine deutete ich schon an. Um es konkret zu sagen, ich halte es für eine der wichtigsten Forderungen, daß die Unabhängigkeit des Sports trotz staatlicher Förderung erhalten bleibt. Obwohl der Staat, wie ich bereits betonte, zur nachhaltigen Förderung des Sports in seinem und seiner Bürger ureigenstem Interesse verpflichtet ist und dies nicht etwa nur aus einer gönnerhaften Laune tut, darf er auch nicht im mindesten den Eindruck erwecken, als wollte er sich mit den von ihm zur Verfügung gestellten Mitteln Einflußmöglichkeiten verschaffen. Deshalb sollten alle öffentlichen Stellen, die mit der Verwaltung und Hergabe von öffentlichen Mitteln zwangsläufig verbundenen Funktionen so zurückhaltend wie eben möglich ausüben. Meine Damen und Herren, meine zweite Forderung mag paradox klingen, sie ist aber nicht minder wichtig. Der Sport ist, wie bemerkt, zu einem Politikum geworden, d. h. zu einer Sache von öffentlichem Rang und Interesse. Trotzdem oder gerade deswegen sollte man sich vor jeder Politisierung des Sports hüten. Dieses erfordert von beiden Seiten, vom Sport ebenso wie von der Politik, insbesondere bei den politischen Parteien, ein erhebliches Maß an Zurückhaltung, die bis heute auch in der Regel gewahrt worden ist. Dies scheint mir eine ganz erfreuliche Feststellung in diesem Hohen Hause zu sein und berechtigt mich auch zu der Hoffnung, daß die Beratungen dieses Bundessportplanes in den Ausschüssen zügig vorankommen werden. Der von uns vorgelegte Bundessportplan sieht u. a. vor: erstens die Einordnung des Sports in die Gesellschaftspolitik, zweitens die verbindliche Festlegung von Grundsätzen, nach denen die Situation des Sports in der Bundesrepublik Deutschland beurteilt werden kann, mit dem Ziel, zuverlässige Unterlagen für eine kontinuierliche Sportförderung zu gewinnen, drittens klare Aufgabenverteilung und Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, viertens Regelung der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Sportverwaltung und fünftens Festlegung der Förderungsarten und -projekte sowie der allgemeinen Maßstäbe für die Einzelförderung. Ein jährlicher Durchführungserlaß, der rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen vorgelegt werden soll, soll die Kontinuität des Bundessportplans sichern, seine Durchführung flexibel dem notwendigen Bedarf anpassen und dabei vor allem auch neuen Entwicklungen, die es immer wieder geben wird, Raum geben. Wir sind der Meinung, daß dieser Plan die Länder zu ergänzenden Landessportplänen anregen könnte, um so zu einer aufeinander abgestimmten Sportförderung in der gesamten Bundesrepublik zu kommen. Die CDU/CSU-Fraktion ist sich durchaus der angespannten Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden bewußt. Weil auch die Opposition keine Mehrkosten verursachen möchte, sieht der Sportplan daher zunächst nur in begrenztem Umfang neue Förderungsmaßnahmen vor. Sein Ziel ist es, wie gesagt, die Maßnahmen des Bundes in ein übersichtliches System zu bringen, das auch für die Förderung des Sports durch die Länder und Gemeinden richtungweisend sein kann, ein System im übrigen, mit dein bessere Wirkungen erzielt werden sollen. Die Fraktion geht allerdings davon aus, daß als Basis für die finanzielle Ausstattung der im Bundessportplan zusammengefaßten Förderungsmaßnahmen diejenigen Aufwendungen gelten, die der Bund im Olympiajahr 1972 bereitstellt. Der in der Öffentlichkeit befürchtete Rückgang der Sportförderungsmittel nach den Olympischen Spielen darf einfach nicht eintreten. Schließlich hat auch der Sport bzw. haben seine Organisationen unter den bekannten Preissteigerungen zu leiden. Seine Aufgaben im öffentlichen Interesse entwickeln sich aber weiter. ({0}) Abschließend darf ich sagen: Nach den erwähnten Aufgabenstellungen ist der Sport ohne jeden Zweifel für alle da. Er soll Gesunde schützen und Kranken helfen; er soll jungen und alten Menschen Spaß und Freude bringen, er soll schließlich zu einem festen Glied unserer freien Gesellschaftsordnung werden und als solches dann aber auch der Beachtung, Würdigung und Unterstützung durch die öffentlichen Hände sicher sein. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schirmer.

Friedel Schirmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001973, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Fraktionen der SPD und FDP darf ich die folgende Erklärung abgeben: Die Koalitionsfraktionen haben in diesem Hohen Hause den Antrag für einen Sportförderungsplan der Bundesrepublik Deutschland eingebracht, den wir weiterhin als geeignete Grundlage eines umfassenden Förderungsprogramms für den Sport ansehen. Die breite Zustimmung dazu aus dem Bereich der staatlichen Organe, der Hochschulen und der Sportorganisationen hat uns in dieser Ansicht bestärkt. Für die Ausschußberatungen dieses Antrags der Koalitionsfraktionen wurde zur Erleichterung der Diskussion eine schriftliche Ergänzung gegeben, die außerdem zu wesentlichen Punkten mündlich erläutert worden ist. Im weiteren Verlauf der Beratungen im Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele hat die CDU/CSU angekündigt, sie werde eine eigene Konzeption vorlegen. Das ist nun mit der hier heute zu behandelnden Drucksache geschehen. Die Koalitionsfraktionen begrüßen das. ({0}) Bei den Beratungen im Ausschuß wollen wir uns darum bemühen, die Auffassungen der Fraktionen dieses Hauses möglichst zu einem gemeinsam zu vertretenden Konzept zu entwickeln. Erlauben Sie mir jedoch schon jetzt einige grundsätzliche Anmerkungen zum vorliegenden Antrag der Opposition. Erstens. Bei der von uns gewollten und zu würdigenden Selbstverwaltung des Sports, die Herr Kollege Spilker zu Recht herausgestellt hat, dürfte es dem Deutschen Bundestag kaum möglich sein, einen Bundessportplan zu verabschieden, wie er von der CDU/CSU gefordert wird. Realisierbar ist dagegen, eine umfassende Konzeption für die Förderung des Sports anzustreben. Zweitens. Der Bundesregierung ist es seit 1969 gelungen, sich mit dem Deutschen Sportbund, dem Nationalen Olympischen Komitee und den Bundessportfachverbänden, sich dabei stützend auf die Arbeiten der vorherigen Bundesregierungen, auf einen gemeinsamen Planungs- und Finanzmodus zu einigen und die gelegentlich und zeitweilig zuvor bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Drittens. Wir wollen nicht die Funktion und die Aufgaben der von uns gemeinsam gewollten und geschaffenen Deutschen Sportkonferenz beschneiden, sondern ihre Möglichkeiten mit einbeziehen und stärken, damit eine wirkungsvolle Koordination mit dem Sport, mit den Bundesländern und den Gemeinden erreicht werden kann. Hier wird ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden vorliegenden Anträgen deutlich: Die Koalition ersucht die Bundesregierung, in der Deutschen Sportkonferenz bestimmte Grundsätze für die künftigen Maßnahmen der Sportförderung zu vertreten. Demgegenüber soll nach dem vorliegenden Antrag der Fraktion der CDU/CSU die Bundesgierung einen Bundessportplan ausarbeiten und dem Deutschen Bundestag zur Beratung und Verabschiedung vorlegen. Viertens. Nach der Verfassungslage haben sich die Bundesregierung und die Länderregierungen über die Zuständigkeiten für die Förderungsmaßnahmen weitgehend geeinigt. Der Deutsche Sportbund hat sich dazu positiv geäußert. Fünftens. Nach der Darstellung der vorliegenden Drucksache soll es das Ziel eines jährlichen Durchführungserlasses sein, den zu fördernden Trägern des Sports bei der Aufstellung ihrer Jahresarbeitspläne Gewißheit über die Höhe und über die Berechnung der zu erwartenden Bundesmittel zu geben. Dieses Ziel ist durch die Bundesregierung während dieser Legislaturperiode in Zusammenarbeit mit den Bundessportfachverbänden bisher erreicht worden. Die Planungsgespräche mit dem Bundesausschuß zur Förderung des Leistungssports und mit den Verbänden haben in den vergangenen beiden Jahren so frühzeitig geführt werden können, daß die Verbände rechtzeitig wußten, wie hoch die ihnen gewährten Bundesmittel sein und für welche Zwecke sie gegeben würden. Sechstens. Wir sind mit den Antragstellern der Auffassung - das haben wir im Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele verdeutlicht -, daß sich der Bund noch mehr als bisher darum bemühen soll, zentrale Modellmaßnahmen zu fördern zur Verbesserung der Vereinsstruktur im Versehrten-, Behinderten-, Alten- und Familiensport, für den Sport am Arbeitsplatz, für die Resozialisierung durch den Sport und für kombinierte Freizeit- und Erholungszentren. Siebtens. Wir teilen die Auffassung, alle Sportförderungsmaßnahmen des Bundes aus den verschiedenen Ressorts übersichtlich zu verdeutlichen. Über die Einzelheiten wird zu beraten sein. Achtens. Wir stimmen darin überein, die Förderung des Sports durch den Bund auch künftig sachlich und finanziell zu sichern. Das wird vor allem und uneingeschränkt auch für die Zeit nach den Olympischen Spielen 1972 zu gelten haben. Der Maßstab dafür muß der tatsächliche Bedarf für den Sport sein, wobei die Möglichkeiten unseres Haushaltes die Grenzen aufzeigen werden. Auch nach diesen kritischen Anmerkungen ist nicht zu verkennen, daß es sich bei dem vorliegenden Antrag um einen beachtenswerten Beitrag handelt. Wir begrüßen das und sehen darin eine Grundlage für die nun weiterzuführenden Beratungen in unserem Ausschuß, für die die beiden vorliegenden Anträge die Basis bilden werden. Für die Fraktionen der SPD und FDP bitte ich, den Antrag nach der Empfehlung des Ältestenrates an die Ausschüsse zu überweisen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag unter den Buchstaben A bis C an den Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele - federführend - sowie an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend -- und unter Buchstaben D an den Ältestenrat zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe dann Punkt 15 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Stommel, Dr. Götz, Frau Schroeder ({0}), Burger, Baier, Köster, Vogt, Winkelheide und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes - Drucksache VI/3258 -Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Burger.

Albert Burger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000310, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes beantragt die CDU/CSU-Fraktion erneut die Verbesserung der Kindergeldsätze um je 10 DM monatlich ab viertem Kind, nachdem ihre Anträge zum Zweiten und Dritten Gesetz zur Verbesserung des Kindergeldes, durch welche gezielt die materielle Lage der kinderreichen Familien verbessert werden sollte, von der Regierungskoalition mit der Begründung abgelehnt worden waren, daß die Mittel für diese Leistungsverbesserungen innerhalb der Ansätze der mehrjährigen Finanzplanung nicht vorhanden seien. Inzwischen hat sich unsere damalige Auffassung als zutreffend erwiesen. Bereits im Jahre 1971 wäre eine Anhebung der Kindergeldleistungen ab viertem Kind im Rahmen des Haushaltsansatzes 1971 und im Rahmen des Finanzplanes 1970 bis 1974 gesichert gewesen. Die Endabrechnung für 1971 hat nämlich ergeben, daß von dem Ansatz von 3,29 Milliarden DM 72,5 Millionen DM nicht verausgabt worden sind. Wir haben es nicht zu verantworten, daß die Bundesregierung bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung in den Jahren 1972 bis 1975 die Kindergeldansätze um 100 Millionen DM im Jahre 1972, um 150 Millionen DM im Jahre 1973 und um 220 Millionen DM im Jahre 1974 gekürzt hat, nachdem leider bereits auch in früheren Finanzplänen Kürzungen vorgenommen worden sind. Auch nach diesen inzwischen erfolgten Kürzungen der Ansätze für das Kindergeldgesetz besteht immer noch ein Spielraum für die Anhebung ab viertem Kind vom Mai dieses Jahres an. Die Kosten für unseren Antrag von rund 100 Millionen DM für dieses Jahr und von rund 150 Millionen DM für die Folgejahre werden voll durch Minderausgaben ausgeglichen, die auf Grund der starken Geburtenrückgänge der letzten Monate und mindestens temporär durch einen Rückgang der Zahlungsverpflichtungen für Kinder ausländischer Arbeitnehmer entstanden sind und weiter entstehen. Die Aufstockung des Kindergeldes beim vierten und bei den weiteren Kindern ist unerläßlich, um wenigstens für einen Teil der kinderreichen Familien ein Absinken unter das sozialkulturelle Existenzminimum zu vermeiden. Der sozialkulturelle Mindestbedarf für ein Kind wird nach den neuesten wissenschaftlichen Feststellungen im Jahre 1972 mit etwa 160 DM angegeben. Tatsächlich aber sind die Aufwendungen schon in den Haushaltungen von Arbeitern und Angestellten mit einem mittleren Einkommen durchschnittlich etwa um ein Viertel höher; also betragen die Aufwendungen zur Zeit monatlich für ein Kind etwa 200 DM. Der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen schließt deshalb aus dieser Entwicklung wie folgt: In Familien mit drei Kindern läge das Lebensniveau - verglichen mit dem eines kinderlosen Ehepaares der gleichen Einkommenstufe - um nahezu die Hälfte niedriger. Die Tatsache - so wird weiter ausgeführt -, daß sich mit wachsender Familiengröße einerseits die Startchancen der Kinder verschlechterten und andererseits die Sozialisationsfunktion der Eltern beeinträchtigt werde, unterstreicht nach Ansicht des wissenschaftlichen Beirates für Familienfragen die Notwendigkeit eines entsprechenden Familienlastenausgleiches. Meine Damen und Herren, wo bleibt die Chancengleichheit für die Mehrkinderfamilie, wo das Versprechen auf mehr soziale Gerechtigkeit, wenn diese Familien in ihrer Existenz durch erhebliche Preissteigerungen verunsichert werden? Unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten allein des letzten Jahres müßten an sich großzügigere Verbesserungen vorgeschlagen werden. Ich möchte hier an die Koalitionsparteien appellieren, mit der Opposition wenigstens diese Anhebung zu beschließen. Bei einer Wertung unseres Antrages wird man sich auch der Tatsache nicht verschließen können, daß ab 1. Juni 1972 die Regelbedarfssätze in der Sozialhilfe wie in jedem Jahr erneut an die wirtschaftliche Entwicklung angepaßt werden. Damit wird die Zahl der im Vollerwerb stehenden größeren Familien, die neben dem Arbeitseinkommen, dem Kindergeld und einem eventuellen Wohngeld zusätzlich Sozialhilfe beziehen können, noch ansteigen. Leider sind schon qualifizierte Facharbeiter und Angestellte mit abgeschlossener Ausbildung betroffen. Es bleibt uns beinahe nichts anderes mehr übrig, als diese Familien aufzufordern, bei der Sozialhilfe Anträge zu stellen, wenn es uns nicht gelingt, wenigstens die von uns vorgeschlagenen Verbesserungen Gesetz werden zu lassen. Wir kommen dabei allmählich in eine Situation, in der sich für Ernährer kinderreicher Familien das Bemühen um beruflichen und wirtschaftlichen Aufstieg, das Streben nach einem gesicherten Arbeitsplatz nicht mehr lohnt, weil diese Bemühungen nicht mehr zu einer Verbesserung des Lebensstandards führen, sondern lediglich zu einer Kürzung der Leistung in der Sozialhilfe. Viele Betroffene hätten kaum noch eine Chance, über die Schwelle des sozial-kulturellen Existenzminimums hinauszuwachsen. Diese Entwicklung schlägt sich bereits nieder. Rund 59 % aller Familien wünschen sich heute nur noch ein bis zwei Kinder. Zusammenhänge zwischen der Zahl der Geburten und dem Familienlastenausgleich werden damit deutlich. Die Geburtenzahlen sind weiter rückläufig. Im Januar dieses Jahres wurden noch 59 750 Kinder gegenüber 65 242 im Vorjahr geboren. Im Februar dieses Jahres wurden noch 60 148 Kinder gegenüber 63 645 im Vorjahr geboren. Wir können ja nicht ernsthaft annehmen, daß in einer Umwelt, in der das Streben nach höherem Lebensstandard zum Lebensmerkmal für die Mehrheit der Bevölkerung geworden ist, junge Familien bereit sind, einer größeren Kinderzahl zuliebe einen niedrigen Lebensstandard hinzunehmen und eineinhalb bis zweieinhalb Jahrzehnte auf Güter und Dienstleistungen zu verzichten, die zu einem gehobenen Lebensstandard gehören. In unserem Staat ist wirklich etwas nicht in Ordnung, wenn Familien mit vier und mehr Kindern, die allmählich eine kleiner werdende Minderheit unserer Bevölkerung ausmachen, zunehmend das Gefühl haben müssen, vergessen zu werden. Wir können der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie der materiellen Förderung der Familie nicht die Priorität zuweist, die ihr zukommt. Die einzige Reaktion neben der Entwicklung eines Modells für die Neuordnung des Familienlastenausgleichs, für dessen Realisierung vor 1976 kaum eine Chance besteht, ist der Hinweis auf vermeintliche familienpolitische Versäumnisse der CDU/CSU in der Zeit bis zum Herbst 1969. Dabei wird verschwiegen, daß die heutigen Regierungsparteien nacheinander in der Mitverantwortung standen, und in dieser Zeit nicht den geringsten Anstoß für die Verbesserung der materiellen Lage der Familien gegeben haben. Im übrigen sind die Lebenshaltungskosten noch nie so stark gestiegen wie in den letzten beiden Jahren. Der Preisindex für die einfache Lebenshaltung eines Kindes - auf der Basis des Jahres 1962 - 100 - lag zum Zeitpunkt der Schaffung des Bundeskindergeldgesetzes im Jahre 1964 bei 105,3. Der Index stieg in den Jahren 1964 bis 1969, also in fünf Jahren, von 105,3 auf 120,4 Punkte. Er ist in den wenigen Jahren des Bestehens der bisherigen Koalition wesentlich stärker angestiegen und betrug im März dieses Jahres bereits 137,1 Punkte, also in fünf Jahren ein Anstieg von 15 Punkten, in den zweieinhalb zurückliegenden Jahren von bereits 17 Punkten. Die Stärkung der wirtschaftlichen Basis der Familie ist also deshalb eine zwingende Voraussetzung dafür, daß diese Familien ihre naturgegebenen Funktionen erfüllen und daß der Bestand unserer Gesellschafts- und Sozialordnung in späteren Jahrzehnten und Generationen gesichert ist. Auch die Sozialisation in der Mehrkinderfamilie ist ernsthaft gefährdet. Unter diesen Gesichtspunkten sind ausreichende Mittel für die Familie genauso lebensnotwendig für die Gesellschaft, wie es erforderlich ist, einen erheblichen Teil des Sozialprodukts zu investieren statt zu konsumieren. Wer angesichts der jüngsten Entwicklung den Familien die wirtschaftliche Basis für ihre Entfaltung entzieht, treibt einen Raubbau an der wirtschaftlichen und sozialen Zukunft unseres Volkes. Namens meiner Fraktion möchte ich die Regierungsparteien auffordern, unsere Initiative in den Ausschüssen unverzüglich zu beraten. Die hier vorgeschlagenen Leistungsverbesserungen stehen einer sinnvollen Reform des Familienlastenausgleichs nicht entgegen. Sie sind unerläßlich, um den Familien mit größerer Kinderzahl das Gefühl zu geben, daß die Gesellschaft wenigstens bereit ist, im Rahmen der derzeitigen finanziellen Möglichkeiten zu helfen. Ich beantrage die 'Überweisung unseres Gesetzentwurfes federführend an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, mitberatend an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Frau Abgeordnete Eilers.

Elfriede Eilers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende CDU/ CSU-Antrag auf Erhöhung des Kindergelds für kinderreiche Familien deckt sich inhaltlich mit einer Initiative der Länder Bayern und Rheinland-Pfalz im Bundesrat. Der Bundesrat hat jedoch in seiner Sitzung am 24. März, also noch vor wenigen Wochen, dieses Begehren ausdrücklich abgelehnt. Für die Entscheidung des Bundesrates waren in erster Linie finanzpolitische Erwägungen maßgebend. Die Erhöhung des Kindergelds, wie sie nach dem Scheitern der Länder-Initiative heute nun von der CDU/CSU-Fraktion gefordert wird, würde eine finanzielle Mehraufwendung von jährlich 150 Millionen DM erfordern. Diese Mittel sind in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes nicht gedeckt. ({0}) Es fehlt dem CDU/CSU-Antrag also eine solide finanzielle Grundlage, auch wenn von der Opposition etwas Gegenteiliges gesagt wird. Die Behauptung der CDU/CSU, angesichts sinkender Geburtenzahlen würden die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung ausreichen, so daß eine zusätzliche Deckung nicht erforderlich sei, ist irreführend. Denn erstens überschreitet der sich aus dem CDU/CSU-Antrag ergebende Mehraufwand von jährlich 150 Millionen DM - selbst bei Leichtgläubigkeit - bei weitem die in den Ansätzen der mittelfristigen Finanzplanung hineininterpretierten finanziellen Spielräume, und zweitens scheint sich hinsichtlich der Geburtenzahlen eine neue Entwicklung anzubahnen. Das lassen gewisse neue Zahlen vermuten. Es kommt hinzu, daß die Ungewißheit über das Ausmaß der Zunahme der anspruchsberechtigten ausländischen Arbeitnehmer zur Zeit nicht unerheblich ist. Das alles macht deutlich, daß es finanzpolitisch leichtfertig wäre, mit rein hypothetischen Haushaltsreserven Leistungsverbesserungen finanzieren zu wollen. Deshalb muß ich für meine Fraktion zu äußerster Zurückhaltung auffordern. Neben diesen finanzpolitischen Erwägungen vertrat der Bundesrat die Auffassung, daß eine weitere Verbesserung des Kindergeldrechts auch im Hinblick auf die Bestrebungen um eine grundlegende Umgestaltung des Familienlastenausgleichs im Rahmen der Steuerreform vorläufig unterbleiben sollte. ({1}) In der Tat wurden durch weitere isolierte gesetzliche Regelungen - das will ich gerade sagen, Frau Kollegin - im Bereich des Kindergeldes die Reformbestrebungen, an denen die Bundesregierung, wie sie mehrfach erklärt hat, unbeirrt festhält, politisch weiter erschwert. Diese und andere Tatsachen, die dem Bundesrat Veranlassung gegeben haben, eine Initiative zur Erhöhung des Kindergeldes abzulehnen, werden wir im Ausschuß gemeinsam ernsthaft prüfen müssen. Denn es ist unseren Familien weder damit gedient, daß der Gesetzgeber finanzpolitisch ungesicherte Wechsel auf die Zukunft ausstellt, noch damit, daß er durch weitere isolierte Regelungen eine umfassende Reform des Familienlastenausgleichs erschwert und sich damit familienpolitisch selbst blockiert.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwislchenfrage der Frau Abgeordneten Stommel?

Elfriede Eilers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht um eine Erklärung, und ich glaube, wir sollten sehen, daß wir zügig vorwärts kommen. Wir haben auch eben nicht unterbrochen, obwohl ich einige Fragezeichen zu setzen gehabt hätte, speziell bei Herrn Kollegen Burger bezüglich der Entwicklung des Lebensstandards und der Entwicklung der Löhne im gleichen Zeitraum. Ich habe es mir verkniffen, damit wir hier zügig weiterkommen können. ({0}) Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang für meine Fraktion noch auf folgendes hinweisen: Bei der Diskussion der Kindergeldfrage darf nicht übersehen werden, daß die Familienpolitik nicht allein aus der Zahlung von Kindergeld besteht. Die staatlichen Leistungen für Familien sind von der sozialliberalen Koalition in den letzten beiden Jahren auf den verschiedensten Gebieten ganz wesentlich verbessert worden. Das ist auch von den Familienverbänden und auch von einem Teil der Kollegen der Opposition durchaus anerkannt worden. Diese Leistungsverbesserungen müssen bei der politischen Beurteilung des vorliegenden Antrags der Opposition unbedingt mit berücksichtigt werden. Ich will hier nur auf die Einbeziehung der 11 Millionen Kinder in Kindergärten, Schüler und Studenten in die gesetzliche Unfallversicherung erwähnen, die für die Familien von ganz erheblicher sozial- und gesundheitspolitischer Bedeutung ist. Ich möchte weiter auf die Einführung der Vorsorgeuntersuchung für die 2,5 Millionen Kinder unter 4 Jahren hinweisen, die für die Lebenschancen dieser Kinder von großer Bedeutung sind. Jeder, der die Geschichte unserer sozialen Sicherung kennt, weiß, daß damit ein bedeutender Fortschritt für die Familien in unserem Land erreicht worden ist. Das gleiche gilt nicht zuletzt auch für den Ausbau der Ausbildungsförderung, der eine der wichtigsten familienpolitischen Leistungen darstellt. Durch das am 1. Juli 1970 in Kraft getretene erste Ausbildungsförderungsgesetz und die Einführung einer bundeseinheitlichen Ausbildungsförderung zum 1. Oktober 1971 ist ein großer Durchbruch zu mehr Chancengerechtigkeit für die jungen Menschen erreicht worden. Während im Bund im Jahre 1969 für die individuelle Ausbildungsförderung lediglich 97 Millionen DM aufzuwenden waren, sind im Haushaltsjahr 1972 rund 700 Millionen DM vorgesehen. Das bedeutet eine Steigerung der Ausgaben in drei Jahren um mehr als 600 %. Durch Bereitstellung von Mitteln in einer solchen Größenordnung erhält die Familienpolitik im Vergleich zu dem, was bisher auf diesem Feld getan worden ist, eine neue Dimension. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß die Verplanung möglicher Reserven in Etatansätzen aus grundsätzlichen Erwägungen bedenklich ist. Der Etatansatz für die Ausbildungsförderung z. B. im Jahre 1972 wird nach Berechnungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit höchstwahrscheinlich um mehr als 200 Millionen DM überschritten werden. Das sind die Folgewirkungen der von der Bundesregierung kürzlich durchgeführten Werbeaktion, durch die die Familien ermuntert wurden, von dem neuen Rechtsanspruch im Interesse der Kinder Gebrauch zu machen. Wir sind froh darüber, daß die Inanspruchnahme jetzt in diesem Maße stattfindet. ({1}) Es wäre ein finanzpolitisch als recht fragwürdig anzusehender Zustand, wenn auf der einen Seite eine ganz erhebliche Überschreitung eines finanzpolitischen Etatpostens als selbstverständlich hingenommen würde und auf der anderen Seite darüber hinaus nicht ausgeschöpfte Reserven eines anderen familienpolitischen Etatansatzes für weitere isolierte Leistungsverbesserungen verplant würden. Der familienpolitische Haushalt muß als eine Einheit angesehen werden, wenn man nicht zu finanzpolitisch unübersehbaren Konsequenzen kommen will. Aber auch die deutliche Verbesserung des Wohngeldes insbesondere für kinderreiche Familien und die Verbesserung des Kindergeldrechts vom 4. November 1970 mit einem zusätzlichen Finanzvolumen von jährlich rund 400 Millionen DM, von denen annähernd 200 Millionen den kinderreichen Familien zugute kommen, sollten nicht unerwähnt bleiben. Sie sind Ausdruck für die Bemühungen der sozialliberalen Koalition, trotz aller finanzpolitischen Schwierigkeiten die wirtschaftliche Lage der Familien zu verbessern. Das ist eine familienpolitische Leistungsbilanz, die sich, so meine ich, durchaus sehen lassen kann. Auf jeden Fall bedeutet diese Leistungsverbesserung insgesamt mehr Reformen, als in der Vergangenheit in einem gleichen Zeitraum jemals für unsere Familien erreicht worden sind, ({2}) wenn sich das auch nicht konkret in Kindergeldzahlungen darstellt. Selbstverständlich wissen wir, daß noch manche berechtigten Wünsche unserer Familien offen sind, und es fällt uns nicht leicht, die Erfüllung dieser Wünsche aus finanzpolitischer Verantwortung und zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zusagen zu kön10544 nen; wohl aber werden wir sie prüfen. Ein ehrliches Wort nützt nach meiner Meinung den Familien sicherlich mehr, als wenn wir heute Hoffnungen erwecken würden, die unter Umständen nicht erfüllt werden könnten. Aber die Familien in diesem Lande sollen wissen: die sozialliberale Koalition wird wie bisher weiter daran arbeiten, die Lebensfähigkeit unserer Familien zu stärken und die Chancengerechtigkeit für unsere junge Generation weiterhin auszubauen. ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geldner.

Karl Geldner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten gebe ich zum vorliegenden Gesetzentwurf folgende Erklärung ab. Die Opposition begründet ihren Vorschlag, die Kindergeldsätze vom vierten Kind an monatlich um je 10 DM anzuheben, mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist in diesem Hause unbestritten, daß auch die Familien einen Anspruch auf Teilnahme an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung haben, auch dann, wenn dieser Anspruch nicht durch gesetzliche Anpassungsvorschriften festgelegt ist. Ich sage dies deshalb bewußt, weil die Argumentation der Opposition den falschen Eindruck erwecken könnte, als sei hier nichts geschehen. Familienpolitik und Leistungen für die Familie, die ihr direkt oder indirekt zugute kommen, erfolgen ja nicht nur auf dem Wege der Kindergeldzahlungen. Es erscheint erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die sozialliberale Koalition in einer ganzen Reihe gesetzlicher Maßnahmen Leistungen und Leistungsverbesserungen beschlossen hat, die gerade für die kinderreichen Familien eine Verbesserung der Lebenssituation und speziell auch der Ausbildungsmöglichkeiten bedeuten. ({0}) Wenn die Freien Demokraten in der Zeit der Großen Koalition durch ihren Gesetzentwurf nicht das Startsignal für eine allgemeine Ausbildungsförderung gegeben hätten und die Sozialdemokraten nicht bereit gewesen wären, trotz des massiven Widerstandes der CDU/CSU mitzuziehen, hätten wir in dieser Legislaturperiode den jetzigen Stand der Ausbildungsförderung wahrscheinlich noch nicht erreicht. ({1}) Wer die Probleme kennt und weiß, wie schwer es vielen Eltern gefallen ist, ihren Kindern eine qualifizierte Ausbildung zu gewähren, und wieviel schwerer noch, wenn das aus finanziellen Gründen nicht möglich war, weiß auch, daß durch dieses Ausbildungsförderungsgesetz den Betroffenen wesentlich mehr geholfen ist als durch gelegentliche Anpassung der Kindergeldsätze. Es war auch nicht nur die Ausbildungsförderung, die für viele Familien eine wesentliche finanzielle Hilfestellung bedeutete, sondern ebenso das Wohngeldgesetz, das seit 1971 wesentliche Leistungsverbesserungen vorsieht. Bei drei und mehr Kindern ist immerhin auch dann noch eine Förderung möglich, wenn das Monatseinkommen 2000 DM beträchtlich übersteigt. Vertreter der CDU/CSU-Opposition neigen gerade momentan im Wahlkampf dazu, die Behauptung aufzustellen, daß ohne eine solche Anpassung die Großfamilien in immer stärkerem Maße auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen wären. ({2}) Dort, wo dies tatsächlich der Fall war und ist, wurde das Problem auch in der Vergangenheit nicht durch eine Verbesserung der Kindergeldsätze gelöst. Das sind die Tatbestände. Im übrigen muß auch einmal gesagt werden, daß in keiner Phase so viel familienpolitische Abstinenz von einer Regierung geübt wurde wie unter der Ressortverantwortung des Arbeitsministers Katzer und des Finanzministers Strauß. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Situation der Familien läßt sich nicht an der Entwicklung der Kindergeldbeträge nach dem Kindergeldgesetz beurteilen. Wer dies tut oder versucht, betreibt absichtlich oder aus Unkenntnis eine gewisse Irreführung der Öffentlichkeit. Aus einer Veröffentlichung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit vom 7. April 1972 ist ein umfassender Leistungskatalog zu entnehmen. Ich glaube, daß diejenigen, die der jetzigen Regierung Vorwürfe machen, keinen Grund dazu haben angesichts eines Vergleichs mit der Vergangenheit, in der Ihr Minister die Verantwortung getragen hat. Wir Freien Demokraten sind bereit, die Möglichkeiten zur Leistungsverbesserung überall dort zu prüfen, wo sich eine Gelegenheit bietet. Wir können aber aus gesamtpolitischer Verantwortung nicht ein Geschäft unterstützen, wie es die CDU als Opposition betreibt, überall dort, wo es populär erscheint, zusätzlich öffentliche Leistungen aus Steuermitteln zu versprechen und gleichzeitig in anderen Zirkeln eine Einschränkung öffentlicher Ausgaben durch andere Vertreter zu fordern. ({4}) Es gibt keine geteilte politische Verantwortung. Wer mehr ausgeben will, meine Damen und Herren, muß auch den Mut haben, es denen zu sagen, die die höheren Steuern und sonstigen Lasten zu tragen haben. Die Ausschußberatungen werden zeigen, ob in dieser oder einer anderen Form Leistungsverbesserungen möglich sind. In diesem Zusammenhang wird die CDU/CSU-Opposition auch die Gelegenheit haben, darzulegen, ob sie überhaupt langfristige Vorstellungen über eine Kindergeldpolitik im Rahmen der Familienpolitik hat und wie sie dies finanzieren will. ({5}) Mit der Forderung nach höheren Leistungen und einer Verdammung anderer Vorschläge, wie wir es zur Zeit im Hinblick auf die Steuereckwerte erleben, ist es allerdings nicht getan. ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir stimmen über den Überweisungsvorschlag des Ältestenrats ab. Vorgeschlagen wird Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung, außerdem an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache VI/3295 Zur Einbringung wird das Wort nicht gewünscht. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Nun kommen wir zu den Zusatzpunkten. Erster Zusatzpunkt: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Olympischen Friedens - Drucksache VI/3202 -Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache VI/3337 -Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke Abgeordneter Dr. Schneider ({1}) Wird das Wort zur Begründung begehrt? - Das Wort in der allgemeinen Aussprache? - Beides ist nicht der Fall. Wer in der zweiten Beratung den §§ 1, 2, 3, 4, 5 sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in der dritten Beratung dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Einstimmig beschlossen. Wir haben noch über Nr. 2 des Antrags des Ausschusses abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe nun den zweiten Zusatzpunkt auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs ({3}) - Drucksachen VI/3303, VI/3332 - Berichterstatter: Abgeordneter Kater Wird das Wort dazu begehrt? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Damit sind wir am Ende der Sachpunkte. Wir kommen zur Fragestunde - Drucksachen VI/3313, VI/3327 Es sind zwei Dringlichkeitsfragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen eingegangen; Drucksache VI/3327. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar anwesend. Ich rufe die erste Dringliche Mündliche Frage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf: Wie vereinbart sich nach Auffassung der Bundesregierung die beabsichtigte Teilnahme des Bundesverkehrsministers Leber an dem Demonstrationsflug des Überschallflugzeuges Concorde am 22. April 1972 zur Luftfahrtschau in Hannover mit den vielfaltigen Bemühungen zur Verstärkung des Schutzes der Bevölkerung vor den schädlichen Auswirkungen des Fluglärms, insbesondere denen des Überschallverkehrs, und könnte mit der Teilnahme des Bundesverkehrsministers an dem Flug der Concorde eine unerwünschte Präjudizierung künftiger Entscheidungen verbunden sein? Bitte sehr, Herr Staatssekretär! Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die alle zwei Jahre stattfindende Luftfahrtschau ist, darin werden Sie mir zustimmen, für die Bundesrepublik ein bedeutsames Ereignis, dessen internationale Resonanz sehr groß ist. Der Wunsch, aus diesem Anlaß dem Messepublikum die Concorde vorzustellen, ist daher ebenso verständlich wie die auch bei anderen Erstlingsflügen übliche Einladung an den jeweiligen Verkehrsminister, an diesem Fluge teilzunehmen. Die Annahme der Einladung ist ein Akt internationaler Höflichkeit. Weder dürfen an Einladungen solcher Art vom Einladenden Erwartungen hinsichtlich künftiger Entscheidungen des Eingeladenen geknüpft Parlamentarischer Staatssekretär Haar werden, noch präjudizieren sie denjenigen, der eine solche Einladung annimmt. Ein ziviler Überschallverkehr über der Bundesrepublik Deutschland wird, wie schon wiederholt vor diesem Hohen Haus betont worden ist, nicht zugelassen werden. Daß trotz gewisser Schwierigkeiten insbesondere hinsichtlich des Überschallknalls und auch des Startlärms die Entwicklung der Concorde eine große technische Leistung darstellt, steht sicher auch für Sie außer Frage. Auch der Anerkennung dieser Leistungen der guten europäischen Zusammenarbeit dient die Teilnahme an dem Flug, ferner aber auch dazu, das Verkehrsmittel, das zu beurteilen ist, kennenzulernen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß die Teilnahme des Verkehrsministers am Demonstrationsflug in klarem Widerspruch zu den Aussagen steht, die Ihr Vorgänger im Amt, der Parlamentarische Staatssekretär Börner, hier bei der Beantwortung von Fragen gemacht hat, nämlich: daß Flüge, bei denen die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung größer sind als die von Flügen mit herkömmlichen Luftfahrzeugen, nicht zugelassen werden? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: In meiner Antwort habe ich bereits die Haltung der Bundesregierung deutlich gemacht. Daß der Bundesverkehrsminister der Einladung des englischen Verkehrsministers folgt, ist ein Akt der Höflichkeit, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zweite Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie können es doch nicht als einen Akt der Höflichkeit bezeichnen, wenn die Teilnahme eines Verkehrsministers im Widerspruch steht zu den Äußerungen, die er für die Regierung hier abgegeben hat. Ich frage Sie noch einmal: hält die Bundesregierung an der Äußerung fest - und ich zitiere jetzt mit Genehmigung eine andere Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs -, daß Überschallflugzeuge nur dann eine Landegenehmigung bekommen, wenn sie keine stärkeren Lärmemissionen erzeugen als andere Luftfahrzeuge? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Präsidentin, ich könnte auf diese Frage im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage 2 des Herrn Kollegen eingehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Einverstanden! Dann wird die zweite Frage mit aufgerufen, und anschließend werden die beiden Fragen zusammen behandelt: Kann die Genehmigung zu Start und Landung der Concorde in Hannover am 22. April 1972 im Hinblick auf die zu erwartende Belästigung der Flughafenbenutzer und Anlieger verantwortet werden, nachdem bekanntgeworden ist, daß der Lärmpegel ({0}) bei der Concorde mit 135 dB 4- his 5fach höher sein wird als von Flugzeugen, wie sie zur Zeit verwendet werden, und sind bei diesen Werten nicht sogar gesundheitliche Schäden zu befürchten? Bitte, Herr Staatssekretär! Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Die Belästigungen der Flughafenanlieger durch einen einzigen Start der Concorde in Hannover wird sich in erträglichen Grenzen halten. Der Flug bietet die Möglichkeit, die Vermutungen über extrem hohe Lärmentwicklungen durch Messungen und durch Erfahrungen zu überprüfen. Nach den mir bekannten Daten wird das später im Linienverkehr eingesetzte Flugzeug an den für herkömmliche Flugzeuge festgelegten Meßpunkten insgesamt nicht lauter sein als bekannte Langstreckenflugzeuge. Auch die heute fliegenden Prototypen dürften nicht wesentlich lauter sein. Gesundheitliche Schäden sind durch den einen Start der Concorde in Hannover jedenfalls nicht zu erwarten. Der von Ihnen, Herr Kollege, unterstellte Wert von 135 dB liegt außerhalb jedes bisher nach internationalen Maßstäben festgelegten Wertes. Beispielsweise liegt der nach internationalen Maßstäben gerechnete Seitenlärm des Unterschallflugzeuges VC 10 über dem der Concorde. Darüber haben wir Zahlenangaben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Zusatzfrage!

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung nicht die Messungen des Professors Calvet/Frankreich bekannt, der genau diese Werte ermittelt hat, und sind Ihnen weiterhin nicht die Aussagen offizieller Stellen, etwa der Swissair oder des Dekans des Aeronautischen Instituts am Institute of Technology in Massachusetts, bekannt, wonach die Lärmwerte weitaus höher sind als bei den Flugzeugen herkömmlicher Bauart? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Unser Haus verläßt sich auf die Daten, die vom Hersteller inzwischen bekanntgegeben worden sind. Ich habe hier einen Vergleich mit der Boeing 707 bezüglich des Seitenlärms beim Überflug und bei der Landung zur Verfügung. Das gilt aber auch für die VC 10 oder die DC 8-50. Ich stelle Ihnen diese Zahlen gerne zur Verfügung, Herr Kollege.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Noch eine Zusatzfrage.

Botho Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001928, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind die Werte, die der Hersteller dem Bundesverkehrsminister zur Verfügung stellt, immer Maßstab für die Zulassung oder die Erteilung von Lande- und Starterlaubnissen? Wäre es nicht richtiger, sich auf Meßergebnisse und Aussagen von unabhängigen Wissenschaftlern zu verlassen? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, es handelt sich um eine einmalige Landeerlaubnis, bei der Meßwerte jetzt zusätzlich festgestellt werden.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mursch.

Karl Heinz Mursch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001577, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haar, mir ist aus Ihrer Antwort nicht ganz klar geworden: Wird der Flug der Concorde nach Hannover mit Überschallgeschwindigkeit oder mit Unterschallgeschwindigkeit erfolgen? Würde er mit Überschallgeschwindigkeit erfolgen, verstieße er gegen die westeuropäische Einigung in dieser Frage. Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Entsprechend einer Absprache können Sie davon überzeugt sein, daß mit einer Geschwindigkeit angeflogen wird, die Messungen ermöglicht, und zwar eben unter dem Gesichtspunkt des Überfliegens bewohnten Gebietes im Unterschall.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gruhl.

Dr. Herbert Gruhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren Überlegungen die Frage des Überschallknalls, der bekanntlich dazu führt, daß, wenn drei Überschallflugzeuge die Bundesrepublik - Norddeutschland, Mitteldeutschland und Süddeutschland überfliegen, eine Schleppe erzeugt wird, die das gesamte Bundesgebiet mit dem Überschallknall bedeckt? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen: Ich habe Ihre Frage im Grundsatz bereits bei der Beantwortung der ersten Frage Ihres Herrn Kollegen beantwortet.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mursch.

Karl Heinz Mursch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001577, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haar, hat sich eigentlich an der Einstellung der westeuropäischen Staaten, wie sie durch die Vereinbarung bei der Weltluftfahrtkonferenz im Jahre 1968 in Buenos Aires zum Ausdruck kam, etwas geändert, daß grundsätzlich das Überfliegen der Mitgliedsländer der Westeuropäischen Konferenz mit Überschallgeschwindigkeit nicht erfolgen darf und auch in Zukunft nicht vorgesehen ist? Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: An dieser Grundhaltung hat sich bis zum Augenblick noch nichts geändert.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar! Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch anwesend. Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Pöhler auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird in der Anlage abgedruckt. Ich bin jetzt in einer schwierigen Lage. Es fehlte soeben noch das Bundeskanzleramt. Inzwischen ist Herr Staatssekretär Ahlers gekommen. Ich bitte um Verständnis, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch, wenn wir in der Reihenfolge bleiben, weil möglicherweise die Kollegen im Hause sich darauf eingerichtet haben. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Ahlers erschienen. Zunächst die Frage 107 der Abgeordneten Frau Tübler: Trifft es zu, daß die Bundesregierung noch in der Vorwoche der Wahlen in Baden-Württemberg Großanzeigen des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers sowie eine Sonderbeilage des Bundesministers des Innern in der überregionalen und regionalen sowie der Heimatpresse erscheinen lassen wird und daß gleichzeitig auf Kosten der deutschen Steuerzahler Flugblätter in Millionenauflage in Baden-Württemberg verteilt werden sollen, die sich an gezielte Wählergruppen wenden und die von Herrn Gert von Paczensky, dem neuen Leiter des Referats Innenpolitik im Bundespresseamt, mitentworfen sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Erlauben Sie mir, Frau Abgeordnete, daß ich Ihre Sammelfrage den einzelnen Komplexen nach beantworte. Erstens. Es trifft zu, daß heute eine Anzeige des Bundesaußenministers zur Ostpolitik erschienen ist und morgen eine Anzeige des Bundeskanzlers in ähnlicher Form erscheinen wird. Diese Anzeigen werden, zeitlich etwas versetzt, in allen deutschen Tageszeitungen - abgeschlossen ist die Aktion am Montag - publiziert. Sie ergeben sich aus den heftigen Auseinandersetzungen über die Ostpolitik und sind nicht durch den Wahlkampf in Baden-Württemberg veranlaßt. Zweitens. Es trifft weiter zu, daß in diesen Wochen eine Beilage zum Thema innere Sicherheit erscheinen wird, und zwar in Tageszeitungen und in Boulevardzeitungen. Sie ergibt sich ebenfalls aus dem großen Interesse der Bevölkerung daran, was die Bundesregierung und was auch das Parlament in diesen Fragen tun. Drittens. Es trifft nicht zu, gnädige Frau, daß Flugblätter in Baden-Württemberg verteilt werden sollen. Das Bundespresseamt stellt zur Zeit überhaupt keine Flugblätter her. Viertens. Herr von Paczensky ist als neuer Leiter des Referates Innenpolitik im Bundespresseamt na10548 türlich an allen seinen Arbeitsbereich betreffenden Aufgaben beteiligt. Dazu gehört im übrigen auch ein Auftrag meinerseits - darauf geht, glaube ich, dieses Mißverständnis zurück -, sich einmal Gedanken über die Verwendung von Flugblättern für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zu machen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Abgeordneter Ott!

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu erklären, wie hoch die Aufwendungen für diese Propagandaaktion der Bundesregierung, die in sattsam bekannter Weise allmählich der Vergangenheit sehr nahe kommt, sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, selbstverständlich sehr gern. Nur ist das dann gleich meine Antwort auf die nächste Frage der Frau Abgeordneten Tübler.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Dann rufe ich auch die Frage 108 der Abgeordneten Frau Tübler auf: Wie hoch sind die Gesamtkosten, die die Bundesregierung seit Jahresbeginn 1972 für Anzeigen, Flugblätter und ähnliche Wahlkampfaufwendungen ausgegeben bzw. veranschlagt hat?

Not found (Staatssekretär:in)

Es war die Frage gestellt worden, ob wir hier Wahlkampfaufwendungen machen. Wie gesagt, ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir das nicht tun. Das ergibt sich schon daraus, daß wir keine Flugblätter verteilen. ({0}) Dann hat Frau Abgeordnete Tübler die Frage gestellt, wieviel Geld wir seit dem Beginn des Wahlkampfes ausgegeben hätten. Es ist sehr schwer, den genauen Zeitpunkt festzustellen, wann ein Wahlkampf beginnt. Ich habe deshalb für die Berechnung der Aufwendungen das Datum des 1. Januar genommen. Seitdem haben wir für Anzeigen und Beilagen 2,6 Millionen DM ausgegeben bzw. veranschlagt, weil ja einzelne Aktionen noch laufen. In diesem Betrag sind die in der vorigen Antwort genannten Dinge enthalten. Ich möchte nur hinzufügen, daß sich das durchaus im Rahmen der Ausgabenplanung des Bundespresseamtes hält. Wir haben summa summarum etwas mehr als 6 Millionen DM für diesen Zweck zur Verfügung. Wir haben jetzt 2,6 Millionen DM ausgegeben bzw. veranschlagt. Das entspricht also absolut dem Verlauf des Jahres und bedeutet keine zusätzlichen Aufwendungen für irgendeinen Landtagswahlkampf.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Tübler.

Irma Tübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002347, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie nannten mir soeben den Betrag, der bisher ausgegeben worden ist. Er wird ja sicher bereits aus dem Haushalt 1972 gezahlt. Halten Sie sich in diesem Rahmen an die haushaltsrechtlichen Maßnahmen und Anordnungen, daß nur ein gewisser Prozentsatz des veranschlagten Jahresetats in Anspruch genommen werden darf?

Not found (Staatssekretär:in)

Jawohl, gnädige Frau, das ist selbstverständlich. Aber nicht nur daran halten wir uns, sondern natürlich auch an die Anordnung des Herrn Staatssekretärs Emde für die vorläufige Haushaltsführung.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ott.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, daß Sie über diese Anzeigen der Bevölkerung die Meinung und Stellung der Bundesregierung bekanntgeben wollen. Sind Sie immer noch der Auffassung, daß die mehr als 200 in Bonn bei der Bundesregierung akkreditierten Journalisten aus der Bundesrepublik nicht in der Lage sind, so objektiv zu berichten, daß damit auch die Meinung der Bundesregierung der Bevölkerung breit genug kundgetan wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich bin nie dieser Auffassung gewesen. Was wir tun, ist ein zusätzliches Mittel, um die Öffentlichkeit über die Arbeit der Bundesregierung zu informieren. Nur um Ihnen einmal zu zeigen, welche Bedeutung so etwas haben kann: Wir haben bei den Anzeigenaktionen zur Ostpolitik mit eingedruckten Kupons gearbeitet, die ausgeschnitten und eingesandt werden konnten. Wir haben bis heute einen Eingang von 58 394 Kupons. Wir verschicken an alle Einsender nicht nur das Material der Bundesregierung, sondern z. B. auch den vollen Wortlaut der Debatten im Bundestag und im Bundesrat einschließlich der Reden der Opposition. Ich glaube, damit erfüllen wir in hohem Maße die Informationspflicht, die dem Bundespresseamt aufgegeben ist.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf. - Der Herr Kollege ist nicht im Saal. ({1}) Auch begründete Entschuldigungen helfen nicht weiter. Wer nicht da ist, bekommt seine Antwort nach der Geschäftsordnung schriftlich. Das gilt auch für die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({2}). Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Engelsberger soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Frau Funcke Ich rufe nun die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Ott auf: Welche Gruppen meinte der Bundeskanzler, als er laut Tageszeitung „Die Welt" vom 13. März 1972 sagte: „Es gibt in diesem Land nicht nur wild gewordenes Kleinbürgertum", und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegen diese Gruppen zu ergreifen? Zur Beantwortung Herr Bundesminister Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Zunächst, Herr Kollege Ott, möchte ich darauf hinweisen, daß die Meldung, die Sie zu Ihrer Anfrage veranlaßt hat, nicht in der „Welt", sondern im „Münchner Merkur" vom 13. März stand. Der Herr Bundeskanzler hat die Äußerung, die dort zitiert wird, in einem informellen Gespräch mit Journalisten während einer Wahlkampfreise in Baden-Württemberg getan. Er hat damit, wie dem Zitat unschwer zu entnehmen ist, sein Vertrauen in die politische Urteilsfähigkeit der deutschen Bevölkerung ausdrücken wollen; denn er sagt damit, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dieser Gruppe des „wildgewordenen Kleinbürgertums" nicht angehört. Und ich bin froh, daß dies so ist. Damit radikale Randerscheinungen auch in Zukunft keine Chance in unserer Gesellschaft haben, sollten wir gemeinsam den Gefahren von rechts und links begegnen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Ziegler auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich bedanke mich, Herr Bundesminister, ebenso bei Herrn Staatssekretär Ahlers. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch zur Verfügung. Die Fragen 113 und 114 des Herrn Abgeordneten Gewandt sollen auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Suck auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gilt auch für die Frage 116 des Abgeordneten Suck. Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Dr. Giulini auf: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um das Breschnew-Angebot verbindlich zu gestalten, wonach eine Anerkennung der EWG abhängig von der Anerkennung des Comecon ist? Bitte schön, Herr Staatssekretär! Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, in Ihrer Frage beziehen Sie sich offenbar auf Pressewiedergaben von Erklärungen des sowjetischen Parteichefs Breschnew. Nach dem Wortlaut, der mir vorliegt, ist das eine nicht ganz zutreffende Wiedergabe. Ich darf deshalb zum Sachverhalt folgendes ausführen: Tatsächlich hat der Generalsekretär der KPdSU in seinen Ausführungen vor dem sowjetischen Gewerkschaftskongreß am 20. März weder ausdrücklich von der Möglichkeit einer Anerkennung der EWG durch die sowjetische Regierung gesprochen, noch hat er vor allem die „Anerkennung" des Comecon durch die EWG zur Vorbedingung einer solchen gemacht. Es gibt also kein „Angebot" des sowjetischen Pateichefs, das in irgend einer Weise durch „Maßnahmen der Bundesregierung verbindlich gemacht" werden könnte. Im übrigen wird die Bedeutung der Frage der Anerkennung der EWG sicherlich vielfach überschätzt. Die Rechtsfähigkeit der europäischen Gemeinschaften im Sinne des internationalen Rechts beruht auf den Römischen Verträgen bzw., was die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl betrifft, auf dem Pariser Vertrag. Einer besonderen Anerkennung der Gemeinschaft bedarf es insofern nicht. Im Verhältnis der Gemeinschaft zur Sowjetunion geht es auch gar nicht um eine formale „Anerkennung" im Sinne des Völkerrechts, sondern darum, ob die Sowjetunion die Tatsache, daß ab 1973 Handelsverträge nicht mehr mit den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern nur noch mit der Gemeinschaft geschlossen werden können, daß also die Vertragsschließungskompetenz in diesem Bereich entsprechend dem EWG-Vertrag ab 1973 auch im Verhältnis zu den Staatshandelsländern auf die Gemeinschaft übergeht, akzeptiert und die nötigen praktischen Folgerungen daraus zieht. Das ist eine Frage, die allein durch die sowjetischen Interessen bestimmt wird, zu der wir an sich nichts beitragen können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Dr. Udo Giulini (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000684, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dürfte ich Ihnen drei Sätze aus der Rede von Breschnew übersetzt vorlesen? Ist es erlaubt? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Selbstverständlich, Herrr Abgeordneter. Ich bin aber auch in der Lage, Ihnen den Wortlaut hier bekanntzugeben.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wollen wir einmal hören, wie jeder übersetzt hat? - Bitte schön!

Dr. Udo Giulini (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000684, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Sowjetunion ignoriert keinesfalls die reale gegebene Lage in Westeuropa, darunter auch die Existenz solcher ökonomischer Gruppierungen kapitalistischer Länder wie den Gemeinsamen Markt. Wir beobachten aufmerksam die Tätigkeit des Gemeinsamen Marktes und ihre Evolution. Unsere Beziehungen zu den Teilnehmern dieser Gruppierung werden, versteht sich, abhängen davon, in welchem Maße sie ihrerseits die Realität der anderen Seite, innerhalb des sozialistischen Teils Europas, anerkennen, besonders die Interessen der Mitglieder des Rates für ökonomische Gegenseitigkeitshilfe. Wir sind für gleiches Recht in ökonomischen Beziehungen und gegen Diskriminierungen. Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich beneide Sie um Ihre russischen Sprachkenntnisse. Ich muß mich hier auf die Übersetzung aus unserem Hause bzw. auf die Abschrift aus dem „Neuen Deutschland" verlassen, der offensichtlich ein Agenturbericht zugrunde liegt, der von russischer Seite ins Deutsche übersetzt worden ist. Ich darf die Sätze noch einmal der Klarheit halber zitieren und daran einige Erläuterungen anschließen. Übrigens scheint ein Satz doch von Bedeutung zu sein, den ich ebenfalls zitieren darf. Breschnew sagt: Sie - nämlich bestimmte Kräfte suggerieren beispielsweise den unsinnigen Gedanken, der Vorschlag für die Durchführung der Konferenz - es handelt sich um die Sicherheitskonferenz und unsere Europapolitik überhaupt seien darauf gerichtet, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft oder, wie sie gewöhnlich genannt wird, den Gemeinsamen Markt zu unterminieren. Breschnew sagt also, das sei ein unsinniger Gedanke. Das ist immerhin eine bemerkenswerte Äußerung, die im Grunde eine Antwort auf das Argument von deutschen Oppositionssprechern gibt, diese Sicherheitskonferenz solle den Europäischen Markt unterminieren oder werde ihn gefährden. Das ist eine Feststellung, die man, glaube ich, registrieren muß. Zum zweiten ist hier gesagt - Sie haben das zitiert, und da kommt es, jedenfalls in meiner Übersetzung, wirklich auf jedes Wort an -: Wir verfolgen aufmerksam die Aktivitäten des Gemeinsamen Marktes und seine Evolution. Unsere Beziehungen zu den Teilnehmern dieser Gruppierung werden natürlich davon abhängen, wieweit sie ihrerseits die Realitäten im sozialistischen Teil Europas, besonders die Interessen der Mitgliedsländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, anerkennen. Wir sind für Gleichberechtigung in den Wirtschaftsbeziehungen und gegen Diskriminierung. Herr Abgeordneter, ich habe mich auch darum bemüht, bei unseren Verbündeten eine Interpretation dieser Sätze zu finden. Denn es gibt in dieser Richtung Gespräche bilateraler Art zwischen den Verbündeten und der Sowjetunion aus früheren Wochen und Tagen. Unsere Verbündeten halten die sowjetische Haltung weder für besonders neu noch für in irgendeiner Weise bedenklich. Ich schließe mich dieser Meinung an, denn es ist doch gar keine Frage, daß man in den bilateralen Beziehungen jeweils auch die Interessen der anderen Seite berücksichtigt. Der Unterschied zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe besteht darin, daß die Gemeinschaft ganz bestimmte Kompetenzen und Aufgaben übertragen bekommen hat, während der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe ein Koordinierungsinstrument ist. Mit dem Rat können also keine Verträge abgeschlossen werden - er hat diese Vertragskompetenz nicht -, sondern nur mit den einzelnen Mitgliedstaaten. Wenn Parteichef Breschnew auf die Interessenwahrung dieser Staaten hinweist und uns sozusagen aufgibt, uns so zu verhalten, wie es einer Politik des Modus vivendi entspricht - ich kann das sehr wohl aus der Erklärung herauslesen -, dann ist das für die Bundesregierung eine Feststellung, die sie weder überrascht noch irgendwie beunruhigen kann. Im Gegenteil, das ist eine Feststellung, die den Realitäten entspricht.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Udo Giulini (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000684, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ohne zu weit einsteigen zu wollen, frage ich Sie: Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß das von russischer Seite aus als Brücke hätte verstanden werden können? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich glaube, in dieser Frage liegen sehr viele Mißverständnisse vor. Es gibt Probleme, die Politiker der Opposition überhaupt erst geschaffen haben, die jetzt gelöst werden müssen, die es ohne diese Äußerungen von deutscher Seite möglicherweise gar nicht gegeben hätte. Insofern ist es also eine Art von Urzeugung publizistischer Möglichkeiten, die zu diesem Thema entstanden ist. Die Bundesregierung ist schon lange der Meinung, daß Staaten nach ihren Interessen handeln. Allen Staaten ist klar, daß die Gemeinschaft ab 1973 Handelsverträge nur noch als Gemeinschaft abschließen kann und daß es einer formalen Anerkennung als Völkerrechtssubjekt nicht bedarf. Die Anerkennung oder Respektierung einer Gemeinschaft besteht z. B. darin, daß man mit ihr Verträge abschließt. Das ist, wenn Sie so wollen, eine faktische Anerkennung. Eine zweite Möglichkeit würde darin bestehen, daß man einen Botschafter entsendet. Das haben verschiedene Staaten gegenüber der Gemeinschaft bisher unterschiedlich gehandhabt. ({0}) - Herr Kollege Rösing, ich entnehme Ihrem Nicken, daß Sie das offensichtlich für geboten halten. Ich bin der Meinung, es geht hier vor allem darum, daß die Gemeinschaft feststellt, daß sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen Handelsvereinbarungen abschließen kann. Wenn die andere Seite auf solche Handelsvereinbarungen Wert legt, wird sie Kontakte mit der Gemeinschaft aufnehmen. Wir hatten bisher mit vielen Staaten gute wirtschaftliche Beziehungen ohne formelle Handelsvereinbarungen. Ich Parlamentarischer Staatssekretär Moersch halte Handelsverträge und Handelsvereinbarungen in der Tat gerade im Verkehr mit Staatshandelsländern für nützliche Instrumente. Es geht aber bei diesem Komplex, glaube ich, auch um etwas ganz anderes das steht im Hintergrund -, nämlich um die Befürchtung von Dritten eine Befürchtung, die nicht auf eine bestimmte Region beschränkt ist -, daß sich die Gemeinschaft zu einem Instrument entwickeln könnte, das Dritte benachteiligen würde, oder daß sie sich abschließen könnte. Und eben so haben wir die Gemeinschaft nie verstanden. Diese Bundesregierung hat sehr viel dafür getan, daß die Gemeinschaft ihre Weltoffenheit beweist und daß den anderen gesagt wird, daß sich die Gemeinschaft gegen niemanden richtet ich betone ausdrücklich: gegen niemanden -, sondern daß sie allen die Gelegenheit gibt, ihre Teilnahme an einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft zu verstärken. Diese Feststellung zu treffen, schien uns immer sehr notwendig zu sein, und davon werden wir nicht abgehen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Giulini auf: Kann die Bundesregierung mit der UdSSR verbindlich vereinbaren, daß die Erwähnung des Artikels 2 der Uno-Charta auf die Gesamtverbindlichkeit der Uno-Charta hinweist und damit auch das in dieser Uno-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht aller Völker und ihrer Menschen? Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es ist eines der Ziele der Vereinten Nationen - ich zitiere , freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichheit und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln. So, wie ich es zitiert habe, sagt es Art. 1 Nr. 2 der Charta der Vereinten Nationen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland und die UdSSR in Art. 2 des Moskauer Vertrages, der diesem Hohen Hause zur Zustimmung vorliegt, vereinbaren, daß sie sich ich zitiere -in ihren gegenseitigen Beziehungen sowie in Fragen der Gewährleistung der europäischen und internationalen Sicherheit von den Zielen und Grundsätzen, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, leiten lassen werden, so ist damit die Achtung vor dem Grundsatz der Gleichheit und Selbstbestimmung der Völker auch im gegenseitigen Verhältnis beider Staaten in Bezug genommen. Ebenso bestätigt die Bezugnahme auf die Ziele und Grundsätze der Charta im zweiten Präambelabsatz, daß das Selbstbestimmungsrecht auch bei der Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen gilt. Der in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, angesprochene Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen behandelt demgegenüber die Grundsätze, nach denen die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder in Verfolg der in Art. 1 der Charta dargelegten Ziele handeln. Hierher gehören insbesondere die Verpflichtung zur friedlichen Streitregelung, Art. 2 Nr. 3, das Gewaltverbot, Art. 2 Nr. 4, und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Art. 2 Nr. 7 der Charta der Vereinten Nationen. Art. 2 der Charta ist deshalb in Art. Satz 2 des Moskauer Vertrages, der den eigentlichen Gewaltverzicht enthält, besonders hervorgehoben worden. Eine bilaterale Vereinbarung mit der Sowjetunion über die Gesamtverbindlichkeit der UNO-Charta erschien der Bundesregierung dagegen nicht angezeigt; denn die Charta der Vereinten Nationen insgesamt mit allen ihren Rechten und Pflichten kann nur für die Mitglieder der Vereinten Nationen verbindlich sein. Sie kann für die Bundesrepublik Deutschland also nur dadurch verbindlich werden, daß wir den Vereinten Nationen beitreten.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Haben Sie vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Emde zur Verfügung. Die Fragen 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24 und 25 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Warnke wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Fragen 27 und 28 des Herrn Abgeordneten Wüster auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Luda soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Henke auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kartellbehörden des Bundes und der Länder, daß Preisabsprachen in der Bauwirtschaft durch das Kartellrecht nur unzureichend verhindert werden können und deshalb zusätzliche Maßnahmen zu deren Eindämmung notwendig sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich die Fragen 30 und 31 zusammen beantworte?

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Henke auf: Wenn ja, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch Maßnahmen des Bundes künftig Submissionsabsprachen in der Bauwirtschaft zu verhindern?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Erfahrung hat gezeigt, daß in der Bauwirtschaft Preisabsprachen vorkommen, die mit kartellrechtlichen Mitteln alleine nicht verhindert werden können. Zwar ist das genaue Ausmaß solcher Praktiken angesichts der wahrscheinlich hohen Dunkelziffer nicht bekannt, jedoch sind wegen der schädlichen Auswirkungen dieser Preisabsprachen in jedem Fall wirksame zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Ich beantworte also Ihre erste Frage mit Ja. Zur zweiten Frage. Die Kartellreferenten des Bundes und der Länder haben auf ihrer Sitzung am 16. und 17. März dieses Jahres eine Entschließung gefaßt, in der den bauvergebenden Stellen verschiedene praktische Maßnahmen empfohlen werden. Diese Vorschläge zielen insbesondere darauf ab, den Baumarkt übersichtlicher zu machen und zu verhindern, daß die Unternehmen durch Kartellabsprachen vor der Angebotsabgabe den Wettbewerb beschränken können. Die Bundesregierung sieht hierin ein nützliches Mittel, die in der Bauwirtschaft auftretenden Submissionsabsprachen vorbeugend zu bekämpfen. Sie wird die Auswirkungen der Entschließung beobachten und prüfen, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. Sie hat ferner eine „Enquete über die Bauwirtschaft" in Auftrag gegeben. Diese Untersuchung schließt auch Fragen der Beeinflussung des Wettbewerbsverhaltens ein.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage.

Erich Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000866, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem sich gezeigt hat, daß das System der Bußgelder offenbar nicht abschreckend genug wirkt, möchte ich Sie fragen, ob man daran denkt, möglicherweise durch die Einführung von Betrugsklagen oder den künftigen Ausschluß bei Vergaben von öffentlichen Aufträgen hier noch schärfere Instrumente einzubauen.

Not found (Staatssekretär:in)

Wenn wir mit den Maßnahmen, die ich in Beantwortung Ihrer zweiten Frage genannt habe, keinen Erfolg haben, werden wir solche Überlegungen anstellen müssen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine weitere Zusatzfrage.

Erich Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000866, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie einen Zeitpunkt angeben, zu dem man erwarten kann, daß neue Erkenntnisse vorliegen und möglicherweise neue Instrumente eingebracht werden?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich würde sagen, daß eine solche Möglichkeit besteht, nachdem die „Enquete über die Bauwirtschaft" vorliegt. Ich glaube, daß wir uns noch im Laufe dieses Jahres zu dem Problem erneut äußern können.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine Zusatzfrage. Bitte schön!

Werner Staak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht die Auffassung, daß diese Submissionskartelle in entscheidendem Ausmaße auch Rationalisierungsbemühungen der Bauindustrie verhindern?

Not found (Staatssekretär:in)

Es ist durchaus möglich, daß Kartellabsprachen dieser Art Rationalisierungsmöglichkeiten verhindern oder verlangsamen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön!

Werner Staak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, am 3. Dezember hat die Bundesregierung eine entsprechende Anfrage des Abgeordneten Wolfram dahin gehend beantwortet, daß sie bei Verstößen gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen stets für möglichst hohe Geldbußen eingetreten sei, jedoch keinen Anlaß sehe, die bisher von den Ländern festgesetzten Beträge als unangemessen zu bezeichnen. Sind Sie auf Grund der durch die Presse gegangenen neuen Fälle von Submissionskartellen zu neuen Erkenntnissen gekommen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich hatte auf Ihre Frage meine Meinung gesagt. Ich bin nicht so sehr mit diesen einzelnen Details befaßt - wie Sie wissen, bin ich der Staatssekretär des Finanzbereichs -, daß ich mich zu diesen detaillierten Problemen äußern könnte. Ich werde aber Ihre Argumente im Bereich „Wirtschaft" des Ministeriums noch einmal überprüfen lassen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Keine Zusatzfrage. Die Fragen 32 und 33 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}). - Der Abgeordnete ist nicht da; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 35. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Fragen 36, 37, 38 und 39 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Frage 40 des Herrn Abgeordneten Wolfram. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenso wie die Frage 41 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf. - Er ist ebenfalls nicht im Saal. Die Fragen 42 und 43 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Fragen 44 und 45 des Herrn Abgeordneten Scheu müssen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 46, 47, 48 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Emde. Die Fragen Ihres Ressorts sind damit beantwortet. Vizepräsident Frau Funcke Wir kommen zum Ressort des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Auf sämtliche Fragen - die Fragen 90 bis 94 - sind schriftliche Antworten erbeten worden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt - mit Ausnahme der Frage 95, die zurückgezogen wurde - für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Ressorts sind inzwischen verständigt. Ich danke Ihnen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde und zugleich am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 26. April, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.