Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/20/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Kanzler:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der brutale Krieg in der Ukraine, Putins rücksichtsloser Einsatz von Hunger und Energie als Waffe, die enormen Preissteigerungen hier bei uns und weltweit: Deutschland und Europa gehen durch Bewährungsproben, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht erlebt haben, Bewährungsproben, die Putin uns mit seinem imperialistischen Angriffskrieg aufgezwungen hat. „Der ganze Krieg setzt menschliche Schwäche voraus, und gegen diese ist er gerichtet“, schreibt Carl von Clausewitz. Putin handelt danach. Er überzieht die Ukraine mit Terror, er droht der Welt unverhohlen und vollkommen verantwortungslos mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, er will Angst säen, spalten und einschüchtern. Er spekuliert auf unsere Schwäche. Aber er irrt sich. Wir sind nicht schwach. ({0}) Unser Land steht zusammen, Europa steht zusammen und zeigt Solidarität – untereinander und mit der Ukraine. Unsere weltweiten Allianzen sind stark und lebendig wie nie. Putin wird seine Kriegsziele nicht erreichen. ({1}) Als Putin den Krieg im Februar begann, haben manche gemutmaßt: In wenigen Tagen ist die Ukraine besiegt. Auch Putin selbst hat das geglaubt. Nun, es ist anders gekommen. Es ist anders gekommen, weil die Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land so tapfer verteidigen und unter hohen schmerzhaften Opfern befreien. Es ist anders gekommen aber auch deshalb, weil die Partner der Ukraine, darunter auch wir, das Land unterstützt haben: politisch, finanziell, humanitär und mit Waffen. Artillerie und Flugabwehr sind genau das, was die Ukraine besonders dringend braucht, und genau das liefern wir, moderne Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfer zum Beispiel. Den Panzerringtausch mit Tschechien, der Slowakei, Griechenland und Slowenien hat manch einer, auch in diesem Haus, als Rohrkrepierer kritisiert. Inzwischen ist klar: Auf diese Weise bekommt die Ukraine rund hundert Panzer, mit denen ihre Soldaten sofort umgehen können. Als eines der ersten Länder haben wir der Ukraine Anfang Juni moderne Luftverteidigungssysteme zugesagt. Ein erstes davon haben wir letzte Woche an unsere ukrainischen Freunde übergeben, früher als ursprünglich geplant. Drei weitere werden so schnell wie es geht folgen. Wir haben Flugabwehrraketen geliefert sowie Gepard-Panzer, über die es zunächst oft hieß: Die bringen doch nichts, dafür gäbe es nicht einmal genügend Munition. Heute sehen wir, welchen Unterschied sie ausmachen. Wie überlebenswichtig unsere Unterstützung ist, das zeigen die brutalen russischen Raketen- und Drohnenangriffe auf zivile Ziele, die wir in den vergangenen zwei Wochen erlebt haben. Wahllos fallen ihnen Frauen, Männer und Kinder zum Opfer. Ja, selbst diejenigen, die wie Sie, sehr geehrter Herr Schwarzman, den Terror und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt haben, müssen erneut um ihr Leben fürchten. Dass Sie heute hier unser Gast sind, ehrt uns sehr. ({2}) Wir lassen auch die jüngsten Eskalationen Moskaus nicht unbeantwortet. Mit einem weiteren Sanktionspaket haben wir als EU den Druck auf die russische Regierung noch einmal erhöht. Bei diesem Kurs bleibt es, solange Russland seinen brutalen Angriffskrieg fortsetzt. Auch im Kreis der Staats- und Regierungschefs der G 7 haben wir vergangene Woche gemeinsam mit Präsident Selenskyj bekräftigt: Bewusste Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen. Um es klar zu sagen: Auch eine solche Taktik der verbrannten Erde wird Russland nicht helfen, den Krieg zu gewinnen. Sie stärkt nur die Entschlossenheit und den Durchhaltewillen der Ukraine und ihrer Partner. Am Ende ist Russlands Bomben- und Raketenterror eine Verzweiflungstat, genauso wie die Mobilisierung russischer Männer für den Krieg. Damit ist der Krieg endgültig im Herzen der russischen Gesellschaft angekommen, in den Familien und auf der Straße. Hunderttausende Russen entziehen sich der Rekrutierung, viele verlassen das Land. All die Lügen und Propaganda, das Gerede von Spezialoperation und schnellen Siegen – alles nur Fassade wie ein Potemkinsches Dorf. Die Ukraine wird sich erfolgreich verteidigen, und wir werden sie unterstützen, so lange, wie es erforderlich ist. ({3}) Putin hat geglaubt, uns Europäer spalten zu können. Doch er hat das Gegenteil erreicht. Vor einigen Tagen beim Gründungstreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft haben sich 44 europäische Staaten und die EU-Institutionen zu dem Grundsatz bekannt, dass Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen. Niemand von uns und auch kein anderes zivilisiertes Land der Welt akzeptiert die fadenscheinigen Versuche Russlands, sich Teile der Ukraine unter den Nagel zu reißen. Die illegalen Scheinreferenden in Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja waren eine einzige Farce. Ihre Ergebnisse sind null und nichtig. ({4}) Das müsste eigentlich auch die russische Führung begreifen, wenn sie sich das Ergebnis der Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen letzte Woche anschaut. Nordkorea, Syrien, Nicaragua und Belarus – das waren die einzigen vier Länder, die mit Russland gestimmt haben. 143 Staaten haben sich dagegen klar zur Souveränität und zur territorialen Integrität der Ukraine bekannt, sogar noch etwas mehr als bei den Abstimmungen im März nach Ausbruch des Krieges. Zugleich stellen sich viele die Frage, wie Putins irrsinniger Krieg beendet werden könnte. Am meisten jedoch sehnen sich wohl die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst nach Frieden. Präsident Selenskyjs Bereitschaft zu einem gerechten Frieden ist daher kaum hoch genug einzuschätzen. Im engen Kontakt mit unseren Freunden in Kiew haben wir als G 7 erst vor wenigen Tagen erklärt, was es hierzu aus unserer Sicht bedarf. Gerecht bedeutet, dass es sich nicht um einen Diktatfrieden handelt, sondern dass die Souveränität, die territoriale Integrität und auch die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gewährleistet sind, heute und in Zukunft. Unsere Bereitschaft, der Ukraine mit Blick auf eine tragfähige Friedenslösung langfristige Sicherheitszusagen zu geben, haben wir ebenfalls als G 7 erneut bekräftigt. ({5}) Auch beim heute beginnenden Europäischen Rat werden wir über die weitere Unterstützung der Ukraine beraten. Die gute Nachricht ist: Der Finanzbedarf Kiews bis Jahresende ist praktisch gedeckt. Die EU und die G 7 spielen dabei eine entscheidende Rolle. Doch der Krieg und seine Folgen werden uns noch auf viele Jahre beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass wir heute schon überlegen, wie wir die Ukraine in den kommenden Jahren beim Wiederaufbau unterstützen. Wer die Bilder aus den von Russland befreiten ukrainischen Städten und Dörfern sieht, der versteht: Das wird eine Generationenaufgabe, bei der die gesamte zivilisierte Staatengemeinschaft ihre Kräfte bündeln muss. Deshalb haben Ursula von der Leyen und ich als Präsident der G 7, der wirtschaftsstarken Demokratien, kluge Köpfe aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für den 25. Oktober nach Berlin eingeladen. Bei einer internationalen Expertenkonferenz werden sie ihre Vorschläge für einen langfristigen, verlässlichen und transparenten Wiederaufbau der Ukraine zusammenführen und so Input für einen internationalen Marshallplan für die Ukraine liefern. ({6}) Engere europäische und internationale Koordinierung brauchen wir auch bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Diesen Vorschlag hatte ich bei meiner Rede an der Prager Karls-Universität Ende August gemacht. Seither ist diese Idee weiter vorangekommen. Am Montag haben sich die EU-Außenminister auf eine neue Ausbildungsmission für circa 15 000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten hier in der EU geeinigt. Eines der beiden Hauptquartiere wird sich in Deutschland befinden. Bis zum Frühjahr werden wir eine vollständige Brigade mit bis zu 5 000 Soldaten ausbilden. Damit unterstreichen wir unsere Bereitschaft, uns dauerhaft am Aufbau starker ukrainischer Streitkräfte zu beteiligen, Hand in Hand mit unseren Partnern. ({7}) Im Licht der Zeitenwende stellen wir auch unser Land sicherheitspolitisch neu auf. Dafür steht das Sondervermögen für die Bundeswehr. Dafür steht die Refokussierung unserer Streitkräfte auf die Landes- und Bündnisverteidigung und die Übernahme größerer Verantwortung an der östlichen Flanke der Allianz. Dafür steht die Nationale Sicherheitsstrategie, an der wir intensiv arbeiten. Und dafür stehen die Vorschläge zur Sicherheitszusammenarbeit in Europa, die ich in meiner Rede in Prag skizziert habe. Ich freue mich, dass die Idee einer engeren europäischen Kooperation bei der Luftverteidigung so schnell von 14 europäischen Ländern aufgegriffen wurde, die dabei mit uns zusammenarbeiten wollen. Das ist genau die Art von Synergie, die Art von kluger Arbeitsteilung, wie wir sie für die Sicherheit Europas jetzt brauchen. ({8}) Russlands Krieg hat aber nicht nur tiefgreifende Folgen für Europa. Weltweit hat er für Engpässe bei Nahrungsmitteln und Dünger gesorgt, mit fatalen Folgen. 830 Millionen, mehr als jeder zehnte Weltbürger hat laut aktuellen Zahlen nicht genug zu essen. Putin nimmt das nicht nur in Kauf, er nutzt Hunger als Waffe. Wir müssen uns auch dieser Bewährungsprobe stellen. Das ist eine Frage der Humanität. Das ist aber auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wenn wir wollen, dass die Länder Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Karibik uns auch künftig dabei unterstützen, das Völkerrecht gegen Aggression wie die russische zu verteidigen, dann ist es nur recht und billig, dass wir auch ihre Sorgen im Umgang mit den Folgen des russischen Krieges ernst nehmen. ({9}) In der Europäischen Union haben wir daher sehr früh damit begonnen, alternative Exportwege für ukrainisches Getreide aufzubauen, per Bahn oder per Schiff, zum Beispiel über die Donau. Wir haben die Vereinten Nationen und die Türkei in den Verhandlungen über eine Öffnung des Seewegs im Schwarzen Meer unterstützt. Wir greifen Ländern weltweit unter die Arme, die mit Hunger, Ernteausfällen und steigenden Preisen für Brot und andere Grundnahrungsmittel zu kämpfen haben. Eines der zentralen Ziele unserer G‑7-Präsidentschaft war die Gründung eines Bündnisses für globale Ernährungssicherheit. Ich bin froh, dass uns das gelungen ist. ({10}) Mit den diesjährigen Zusagen der G 7 in Höhe von 14 Milliarden Dollar haben wir zumindest eine Chance, eine globale Hungerkatastrophe abzuwenden. Meine Damen und Herren, auch Energie setzt Putin als Waffe ein. Lange vor der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee hat Russland bereits seine Lieferung durch Nord Stream 1 eingestellt, ohne nachvollziehbaren Grund. Deshalb: Dieses Russland unter Putin ist kein zuverlässiger Handelspartner mehr. ({11}) Für uns und für die gesamte Welt bedeutet das: Auf dem Weltmarkt fehlt ein Großteil der 155 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland zuletzt durch Pipelines nach Europa geliefert hat. Putin hat gehofft, uns mit dem Abdrehen des Gashahns erpressen zu können. Doch auch da hat er sich verrechnet; denn Europa steht zusammen. Auch wir als Land haben mit den Maßnahmen der vergangenen Wochen und Monate sichergestellt, dass wir voll Zuversicht sagen können: Gemeinsam kommen wir wohl durch diesen Winter. In Windeseile haben wir alternative Importstrukturen aufgebaut. Die ersten Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel gehen zum Jahreswechsel ans Netz. Auch erste Lieferungen über Lubmin können dann möglicherweise erfolgen. Weitere Terminals werden im Laufe des kommenden Jahres hinzukommen. Seit einer Woche fließt erstmals überhaupt Gas aus Frankreich zu uns. Auch die Kapazitäten an den westeuropäischen Häfen, in den Niederlanden und Belgien, nutzen wir, um zusätzliches Gas zu beschaffen. Verlässliche Partner, wie Norwegen, haben ihre Lieferungen an uns erhöht. Mit den USA und Ländern der Arabischen Halbinsel haben wir neue Lieferverträge abgeschlossen. Weitere sind in Vorbereitung. Mit all diesen Maßnahmen haben wir es geschafft, unsere Speicher in Deutschland und Europa rechtzeitig vor dem Winter zu füllen, anders als übrigens im Vorjahr. Den Füllstand von 95 Prozent, den wir in Deutschland zum 1. November erreichen wollten, haben wir schon überschritten. Das ist eine große Leistung. ({12}) Wir haben entschieden, dass wir Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen. Erst in diesen Tagen sind fünf weitere Braunkohlekraftwerksblöcke in der Lausitz und im Rheinischen Revier hinzugekommen als zeitlich begrenzte, aber notwendige Notfallmaßnahme – Notfallmaßnahme; denn wir stehen weiter fest zu unserem erklärten Klimaziel. ({13}) Wir sorgen dafür, dass wir alle drei noch laufenden Atomkraftwerke den gesamten Winter lang nutzen können. So hat es das Kabinett gestern auf den Weg gebracht. Und schließlich haben Unternehmen den Umstieg von Gas auf andere Energiequellen erleichtert; „Fuel Switch“ lautet das Stichwort. Das alles stärkt Deutschlands und Europas Energiesicherheit. Hinzu kommen die Sparanstrengungen vieler Bürgerinnen und Bürger und auch zahlreicher Unternehmen. Ich bin dafür außerordentlich dankbar. Gemeinsam wollen wir unseren Gasverbrauch um 20 Prozent senken; denn jede Kilowattstunde, die wir einsparen, stärkt unsere Energiesicherheit. ({14}) Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, uns auch auf europäischer Ebene auf ein Einsparziel von 15 Prozent beim Gasverbrauch zu einigen. Das ist ein starkes Signal europäischer Solidarität, gerade auch gegenüber unserem Land, das bislang ganz besonders von russischem Gas abhängig war – abhängig war, wohlgemerkt; denn wir haben uns aus der Abhängigkeit befreit und gehen zugleich gut vorbereitet in den kommenden Winter. ({15}) Noch etwas möchte ich erwähnen, wenn wir über Energiesicherheit reden. ({16}) Unsere Sicherheitsbehörden, die Bundespolizei, die Dienste, das Bundeskriminalamt, das BSI tun alles, um gemeinsam mit den Betreibern unsere kritischen Infrastrukturen zu schützen. Auch mit den Partnern in der NATO und der Europäischen Union sind wir dazu in intensiven Abstimmungen. Mit Schweden und Dänemark stimmen wir uns eng bei der Aufklärung des Sabotageakts gegen die beiden Nord-Stream-Pipelines ab. Auf See zeigen Marine und Bundespolizei mit allen verfügbaren Kräften und Schiffen Präsenz. Und noch in diesem Jahr wollen wir Eckpunkte für ein Dachgesetz zum besseren Schutz kritischer Infrastruktur beschließen. Wir wissen: Absolute Sicherheit kann es angesichts der Größe und Komplexität kritischer Infrastrukturen nicht geben. Aber auch hier gilt: Wir sorgen vor, und vor allem, wir lassen uns nicht einschüchtern. ({17}) Meine Damen und Herren, die Energiesicherheit ist das eine, die viel zu hohen Energiepreise sind eine andere große Bewährungsprobe für unser Land und für Europa. Keine Frage: Die Preise für Strom und Wärme, für Gas, Öl und Kohle müssen runter, und zwar auf ein für die Bürgerinnen und Bürger und für unsere Unternehmen verträgliches Maß. Auch das wird zu Recht Thema sein beim Europäischen Rat heute und morgen in Brüssel. ({18}) Wir haben beschlossen, hier in Deutschland eine Strompreisbremse einzuführen analog zur Entscheidung auf europäischer Ebene. An der Umsetzung arbeiten wir aktuell mit Hochdruck. Ziel ist, Bürgerinnen und Bürger so rasch wie möglich für ein Grundkontingent von Strom zu entlasten. Wir sind dabei den europäischen Weg gegangen und haben binnen weniger Wochen Mehrheiten in Europa zustande bekommen. Das zeigt: Die EU ist in diesen Fragen handlungsfähig, und die Bundesregierung wird immer darauf achten, diese europäische Handlungsfähigkeit zu stärken. ({19}) Bei den Preisen für Gas und Wärme ist das Ganze komplizierter; denn der Gaspreis wird von Knappheiten auf dem Weltmarkt bestimmt. Aber auch hier sind wir auf europäischer Ebene schon weit gekommen. So werden wir beim Europäischen Rat heute darüber sprechen, unsere Nachfrage zu bündeln. Ich bin der Europäischen Kommission daher dankbar für ihre Vorschläge, Einkaufsgemeinschaften europäischer Unternehmen möglich zu machen, die gemeinsam Gas kaufen können. Richtig ist auch, einen Teil der Kapazität der europäischen Gasspeicher im nächsten Jahr gemeinsam zu befüllen. Mit dem Modell Trading Hub Europe haben wir gezeigt, wie das gehen kann. Auch über die Entwicklung eines ergänzenden Gaspreisindexes zum TTF werden wir uns Gedanken machen, der Bezugspunkt für künftige Gasimportverträge sein kann. Das beste Mittel gegen ein zu knappes Angebot aber bleibt der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Kommission hat dazu bereits Vorschläge für einfache Planungsverfahren gemacht. Das sollte nun auch für die großen Übertragungsnetze geschehen. Auch dafür werde ich mich beim Europäischen Rat starkmachen. ({20}) Um die ausfallenden russischen Gaslieferungen zu ersetzen, müssen wir außerdem mit Ländern zusammenarbeiten, in denen die Möglichkeit zur Erschließung neuer Gasfelder besteht; natürlich im Rahmen unserer Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen. Wir werden auch darüber sprechen, wie wir mit Preisspitzen umgehen. Die Vorschläge der Kommission dazu schauen wir uns sehr genau an. Ein politisch gesetzter Preisdeckel birgt aber immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger. Deshalb muss sich die EU mit anderen Gaskonsumenten, etwa mit Japan und Korea, eng abstimmen, damit wir uns nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Zugleich sprechen wir auch mit den Produzenten über einen angemessenen Preis. Ich bin überzeugt, Länder wie die USA, Kanada oder Norwegen, die gemeinsam mit uns solidarisch an der Seite der Ukraine stehen, haben ein Interesse daran, dass Energie in Europa nicht unbezahlbar wird. Auch im G-7-Kreis sprechen wir darüber. Schließlich wurde die G 7 bzw. damals noch die G 6 als Antwort auf die erste Ölkrise der 70er-Jahre und den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems gegründet. Damals ist es in diesem Rahmen gelungen, die Welt gemeinsam zurück auf einen Wachstumspfad zu führen. Das ist auch mein Ziel als G‑7-Vorsitzender heute. ({21}) Parallel nutzen wir natürlich auch die Möglichkeiten, die wir als Volkswirtschaft haben, um die Gas- und Wärmepreise auf ein verträgliches Maß zu senken. Dem dient der wirtschaftliche Abwehrschirm von bis zu 200 Milliarden Euro, der unter anderem die Gaspreisbremse beinhaltet. Eine Kommission aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Arbeitgebervertretern, Gewerkschaften, Stadtwerken und Energieversorgern hat uns Anfang letzter Woche einen klugen Vorschlag gemacht, wie wir die Preissteigerungen für Gas und Fernwärme stark begrenzen können. Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie halten Energie bezahlbar, wirken schnell und hebeln zugleich Einsparanreize nicht aus. Wir setzen diesen Vorschlag nun um. Spätestens im März nächsten Jahres erhalten alle Bürgerinnen und Bürger mit Gas oder Fernwärme ein vergünstigtes Basiskontingent. Um schon früher für Entlastung zu sorgen, hat die Kommission uns empfohlen, dass die Versorger das Geld für Abschlagszahlungen im Dezember vom Staat erhalten. Auch Unternehmen, kleine und große, werden gezielt entlastet. Deshalb können wir heute sagen: Niemand, keine Familie, keine Rentnerin, kein Student und auch kein Unternehmen, soll Angst haben, von den Preisen für Strom, Gas oder Fernwärme überfordert zu werden. ({22}) Unseren Abwehrschirm haben wir bewusst auf zweieinhalb Jahre angelegt, um auch für den nächsten Winter gewappnet zu sein. Auf diesen Zeitraum gerechnet, entsprechen die 200 Milliarden Euro um die 2 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts. Das liegt in der Größenordnung der Pakete, die in diesem Jahr auch anderswo in Europa geschnürt wurden und werden, in Frankreich, in Italien oder in Spanien zum Beispiel. Die Europäische Union verfügt zudem über genügend finanzielle Durchschlagskraft, um sich dieser Krise entgegenzustellen. ({23}) Aus der Aufbau- und Resilienzfazilität, die wir während der Coronapandemie gemeinsam beschlossen haben, ist bislang erst ein Fünftel ausgezahlt. Hier stehen also noch über 600 Milliarden Euro zur Verfügung, die unsere Volkswirtschaften stärken und für den Ausbau erneuerbarer Energien genutzt werden können. ({24}) Dabei hilft uns auch die Einigung zur Finanzierung von REPowerEU, die die europäischen Finanzminister vor Kurzem erzielt haben. Damit wird ein dreistelliger Milliardenbetrag aus den Mitteln des Instruments NextGenerationEU genutzt und aufgestockt, um uns unabhängig zu machen von fossiler Energie. Ich bin bereit, zu schauen, wie wir diese und andere vorhandene Mittel in der aktuellen Krise noch effizienter einsetzen können. ({25}) Meine Damen und Herren, diese europäische Solidarität sorgt dafür, dass die Europäische Union Putins Energieerpressung standhält. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines dürfen wir aber über all die Bewährungsproben, vor die uns Putins Angriffskrieg gestellt hat, nicht aus den Augen verlieren: unser Ziel, aus der Nutzung fossiler Ressourcen auszusteigen. ({26}) Der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien und der Netze sowie mehr Energieeffizienz sind die beste Strategie, damit unsere Energieversorgung sicher bleibt und wieder bezahlbar wird. ({27}) Jedes Windrad an Land oder auf See, jede Photovoltaikanlage macht uns ein Stück unabhängiger von teurem Gas oder Öl. Der Umbau des Energiesektors, die Transformation unserer Industrie, die Modernisierung unserer Gebäude, der Ausbau der Bahn und des Nahverkehrs, der Hochlauf der Elektromobilität und der Wasserstoffwirtschaft, das sind daher die zentralen Aufgaben dieses Jahrzehnts. ({28}) Die Weichen dafür sind gestellt. Wir haben die umfassendste Novelle des EEG des letzten Jahrzehnts verabschiedet. Wir beschleunigen den Ausbau der Offshorewindkraft. Im Februar kommenden Jahres wird das Wind-an-Land-Gesetz in Kraft treten, das 2 Prozent der Fläche unseres Landes für die Windkraft zur Verfügung stellt. Noch im Herbst wollen wir ein weiteres Paket zur Planungsbeschleunigung beschließen. Denn was ich Anfang dieses Jahres versprochen habe, das halten wir ein: Alle Regeln, alle wichtigen Gesetze, die es braucht, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, stehen bis zum Jahresende. ({29}) Auch auf EU-Ebene halten wir Kurs. Wir wollen in den kommenden Monaten eine endgültige Einigung auf das „Fit for 55“-Paket als Booster für den internationalen Klimaschutz herbeiführen. Beim anstehenden Europäischen Rat werden wir unsere Position für die anstehende Klimakonferenz in Scharm al-Scheich abstimmen. Die russische Aggression und ihre Folgen dürfen nicht zu einer weltweiten Renaissance der Kohle führen. Deshalb werden wir klare Angebote machen, damit auch Entwicklungs- und Schwellenländer den Weg in Richtung eines klimaneutralen Energiesektors entschlossen gehen. Und wir werden den Staaten entschlossen helfen, die schon heute besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden. ({30}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bewährungsproben unserer Zeit erfordern neues Denken und mutiges Handeln von jedem von uns. Im Eiltempo und oft unter größtem Handlungsdruck haben wir in den vergangenen Monaten weitreichende zukunftsweisende Entscheidungen getroffen: für Europa, für unser Land, für seine Bürgerinnen und Bürger. Dabei haben wir miteinander immer wieder um den besten Weg gerungen und werden das auch weiterhin tun; denn auch das ist wichtig. In einer Autokratie wie Russland ist das Ziel größtmögliche Uniformität. Kreativität und Widerspruch werden bestraft. Mutige Oppositionelle verschwinden auf Jahre in Gefängnissen oder werden ins Exil gezwungen. Nicht zuletzt das Schicksal einiger der bisherigen Friedensnobelpreisträger erinnert uns an diese Schande. In Demokratien wie unserer aber liefern unsere Debatten, liefern freie Medien und öffentliche Kritik immer wieder Anstöße für Veränderung und den Fortschritt. Darin liegt die Stärke offener Gesellschaften. Darin liegt die Kraft der Demokratie. ({31}) Diese Kraft, diese Stärke, meine Damen und Herren, unterschätzen Putin und seine Gefolgsleute auf dramatische Weise. Deshalb bin ich sicherer denn je: Putins Kriegskurs gegen die Ukraine und die gesamte freie Welt wird scheitern. Eigentlich ist er es schon längst. Die Ukraine, Deutschland und Europa aber werden gestärkt aus diesen Bewährungsproben hervorgehen, geeinter und unabhängiger als zuvor. Schönen Dank. ({32})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich eröffne nun die Aussprache. Zuerst hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Folgen, die dieser Krieg mittlerweile auch für unser Land hat, steht die Europäische Union in diesen Wochen und Monaten möglicherweise vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Wir können daher alle nur hoffen, dass die 27 Staats- und Regierungschefs heute und morgen in Brüssel zu guten und tragfähigen Lösungen kommen. Herr Bundeskanzler, wir wünschen Ihnen und Ihren Amtskolleginnen und Amtskollegen in der Europäischen Union bei den anstehenden Beratungen jeden möglichen Erfolg. ({0}) Europa braucht diesen Erfolg. Unser Land, Deutschland, braucht diesen Erfolg. Vor allem aber die Menschen, die privaten Haushalte und die vielen Unternehmen – die kleinen, die mittleren und die großen – brauchen jetzt schnelle und wirksame Hilfe. Es sollte dabei auch klar sein, welche Aufgaben die Europäische Union übernimmt, was sie leisten kann und muss, was Europa jetzt ausdrücklich nicht tun sollte und was zwingend in der Verantwortung und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben muss. Lassen Sie mich dazu etwas ausführlicher sprechen. Meine Damen und Herren, die notwendigen Sanktionen gegen Russland – und Sie haben, Herr Bundeskanzler, darüber ausführlich gesprochen – gehen nur gemeinsam. Hier hat Europa in der Tat in den letzten Wochen und Monaten eine große Geschlossenheit und eine große Entschlossenheit gezeigt. Europa hat diese Bewährungsprobe bestanden, auch in enger Abstimmung und Kooperation mit anderen, vor allem mit den Vereinigten Staaten von Amerika. ({1}) Auch die finanziellen und humanitären Hilfen für die Ukraine gehen jedenfalls weitgehend nur gemeinsam. Auch hier hat die Europäische Union wirkungsvoll und zielführend geholfen. Es wäre schließlich wünschenswert gewesen, meine Damen und Herren, wenn auch die militärische Hilfe europäisch abgestimmt und in der Europäischen Union koordiniert vorgenommen worden wäre. Ich sage von dieser Stelle aus zum wiederholten Male: Wir hätten es für richtig gehalten, wenn die ukrainische Armee auch mit Schützenpanzern und Kampfpanzern westlicher Bauart ausgestattet worden wäre, ({2}) abgestimmt in der Europäischen Union, so wie viele Mitgliedstaaten es befürworten, so wie eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus der Grünenfraktion und aus der FDP-Fraktion es befürworten, so wie wir es befürworten. Dieser Krieg wäre dann möglicherweise schneller zu Ende gewesen. ({3}) Nun zu den Energiepreisen. Herr Bundeskanzler, Ihrer Regierungserklärung können die Zuhörerinnen und Zuhörer heute Morgen, die betroffenen privaten Haushalte, die Unternehmen in Deutschland und darüber hinaus kaum etwas Konkretes entnehmen, wann ihnen denn nun endlich geholfen wird. ({4}) Sie haben auch wenig bis gar nichts zum Arbeitsprogramm der Kommission gesagt, das gestern vorgelegt worden ist. Meine Damen und Herren, bei diesem Arbeitsprogramm muss man den Eindruck gewinnen, dass in der Europäischen Kommission bis auf eine einzige Ausnahme – das ist die sogenannte Chemikalienverordnung – in allen Bereichen der Apparat weiter läuft und läuft und läuft und jede Woche und jeden Monat neue Richtlinien, neue Verordnungen, neue Belastungen vor allem für die Unternehmen in Europa auslöst. ({5}) Wir haben Ihnen den konkreten Vorschlag – Sie haben es ja in das nationale Programm aufgenommen – eines Belastungsmoratoriums gemacht. ({6}) Warum sprechen Sie jetzt nicht auch über ein Belastungsmoratorium in der Europäischen Union? ({7}) Warum lassen Sie zu, warum befördert Ihre Regierung, dass in der Europäischen Kommission von Woche zu Woche weitere Vorschläge zu Belastungen für die Unternehmen gemacht werden, bis hin zu einer CSR-Richtlinie, die die Berichtspflichten der Unternehmen gerade jetzt in dieser Krise endgültig zu einem bürokratischen Monstrum werden lässt? ({8}) Wir brauchen jetzt ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen in der Europäischen Union und damit auch in Deutschland. Dann bleiben tatsächlich zahlreiche Aufgaben in der nationalen Verantwortung. Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, Sie fahren in dieser Hinsicht heute und morgen nicht gerade mit gutem Vorbild nach Brüssel. Im Gegenteil: Deutschland dürfte in Brüssel als das Land in Europa bewertet werden, dessen Regierung in den letzten Monaten am heftigsten gestritten und mit am wenigsten bei der Entlastung der privaten Haushalte und der Unternehmen erreicht hat. ({9}) Dieser Krieg dauert in wenigen Tagen schon acht Monate. Wenn man dem Glauben schenkt, was Sie auf Verbandstagungen – wie gerade vor wenigen Tagen hier in Berlin – sagen, dann wissen Sie ja schon sehr viel länger, welche Folgen dieser Krieg möglicherweise haben kann. Sie haben hier in Berlin vor wenigen Tagen gesagt: „Ich war mir immer sicher, dass er“ – Putin war gemeint – „das tun würde“, nämlich Energielieferungen als Waffe einzusetzen. Und dann haben Sie gesagt: Das war … zu einer Zeit, als die allermeisten das noch nicht für wahrscheinlich gehalten haben. Aber ich habe es für möglich gehalten. Sie nehmen Bezug auf eine Besprechung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundeskanzleramt im Dezember 2021. „Ich war mir immer sicher, dass er das tun würde.“ Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich im Dezember 2021 schon sicher waren, dass er das tun würde, warum haben Sie dann eigentlich bis zum Kriegsbeginn an Nord Stream 2 festgehalten und das zu einem privatwirtschaftlichen Projekt erklärt? Und warum haben Sie dann eigentlich nicht Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union von dieser klugen Erkenntnis berichtet, damit man schon im Dezember 2021 an Maßnahmen zur Bewältigung dieser Krise hätte denken können? ({10}) Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungserklärung von Clausewitz zitiert. Herr Bundeskanzler, von ihm stammt auch der schöne Satz: „Das Wissen muss ein Können werden.“ Das hätten wir von Ihnen auch erwartet. ({11}) Sie haben eine Gaskommission um Vorschläge zur Dämpfung der Gaspreise und zur Lösung dieses Problems gebeten. Diese Vorschläge liegen nun seit Anfang der letzten Woche vor. ({12}) Wir haben in dieser und in der letzten Woche zwei Sitzungswochen des Deutschen Bundestages. Sie haben heute nicht einen einzigen Vorschlag unterbreitet, welche Schlussfolgerungen denn aus den Vorschlägen zur Lösung des Problems bei der Gasbeschaffung und bei den Gaspreisen gezogen werden sollen. ({13}) Es bleibt völlig offen, wie denn diejenigen privaten Haushalte, die noch mit Öl heizen oder die zum Beispiel gerade eine Pelletheizung angeschafft haben, konkret entlastet werden sollen. Damit kein Missverständnis entsteht: Wir befürworten hier weitestgehend gemeinsame europäische Wege; aber es gibt Verantwortung im nationalen Zusammenhang, der Sie nachkommen müssen und die die Europäische Union überhaupt nicht übernehmen kann. Diese Fragen gehören dazu, und diese Fragen bedürfen der Beantwortung im Deutschen Bundestag und nicht auf der Ebene des Europäischen Rates. ({14}) Wenn Sie jetzt als einziges Datum, zu dem die privaten Haushalte und die Unternehmen Entlastungen erwarten dürfen, das Frühjahr 2023 nennen, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Bundeskanzler: Winterreifen muss man im Oktober aufziehen und nicht erst im Frühjahr des nächsten Jahres. ({15}) Jetzt brauchen die Menschen und die Unternehmen in Deutschland eine klare Perspektive, jetzt brauchen die Menschen und die Unternehmen in Deutschland eine klare Antwort, wann sie – möglichst bald in den nächsten Tagen und Wochen – mit konkreter Entlastung rechnen dürfen. Deswegen will ich abschließend sagen: Die besten Beschlüsse in Brüssel bewirken überhaupt nichts, wenn die Bundesregierung in Deutschland nicht schnell zu wirksamen Entlastungen für private Haushalte und für die Unternehmen kommt, von denen die meisten nicht mehr lange Zeit haben. Herzlichen Dank. ({16})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von diesem Gipfeltreffen muss ein Signal der Geschlossenheit ausgehen, und ich bin mir sicher, das wird es auch – Geschlossenheit, um unser gemeinsames Vorgehen bei den Sanktionspaketen, bei der finanziellen, humanitären und militärischen Unterstützung deutlich zu machen, zu unterstreichen und klarzumachen, dass sie das schärfste Schwert gegen Putin sind. Die europäische Geschlossenheit, die Geschlossenheit der G 7 und der internationalen Staatengemeinschaft sind in dieser Krise das wichtigste Pfund, das wir haben, meine Damen und Herren. ({0}) Gleichzeitig werden hoffentlich – davon gehen wir aus – ganz klare Signale ausgehen. Europäische und nationale Maßnahmen gegen hohe Energiepreise werden Hand in Hand gehen – dafür machen wir uns stark –: der gemeinsame Einkauf von Gas, die Senkung des Verbrauchs, die Diversifizierung von Energiequellen durch Erneuerbare, ein Booster für erneuerbare Energien und eine Übergewinnsteuer, die zur Abfederung sozialer Härten in den Nationalstaaten – je nach Lage in Europa – dient. Das werden die gemeinsamen Botschaften sein und die Aufträge, die wir uns wechselseitig erteilen. Es ist gut und wichtig, dass dieses Signal so vom Europäischen Rat, von Europa ausgehen wird. ({1}) Meine Damen und Herren, wir verurteilen die jüngsten massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine. Die Mobilisierung in Russland, die Allianz mit Weißrussland, die völkerrechtswidrige Annexion der besetzten Gebiete, die Angriffe auf so viele unschuldige Menschen – all das zeigt die wahnsinnige Irrationalität dieses brutalen Angriffskrieges. Es zeigt aber auch, dass Putin immer mehr in Bedrängnis gerät; denn er führt den Krieg gegen die Menschen, die Zivilbevölkerung. Es trifft sie alle so grausam und hart, es ist brutal. Das bereitet mir und uns große Sorgen. Gestern nun noch die Verhängung des Kriegsrechts in den sogenannten annektierten Gebieten – hier sollen neue Spannungen geschürt werden, ein vermeintlicher Angriff der Ukraine auf vermeintlich russisches Territorium. Dabei ist doch klar: Es gibt kein russisches Kriegsrecht auf ukrainischem Territorium, meine Damen und Herren. ({2}) 1 100 ukrainische Orte, Siedlungen, Dörfer sind ohne Strom. Angriffe auf Wohnhäuser, auf Krankenhäuser, auf Versorgungseinrichtungen, auf Spielplätze – die Zivilbevölkerung soll in Angst und Schrecken versetzt werden. Die Menschen leiden in dieser Situation unglaublich. Deshalb ist jede Kraftanstrengung nötig, und deshalb dürfen wir auch nicht nachlassen in unserem Engagement – weder humanitär noch wirtschaftlich noch beim Wiederaufbau noch bei der Frage hinsichtlich der Beitrittsperspektive zur EU und auch nicht, was die Waffenlieferungen angeht. Meine Damen und Herren, jeden Tag müssen wir uns fragen: Tun wir genug? Was können wir noch leisten? Das ist unsere Aufgabe im europäischen Verbund. ({3}) Herr Merz, wer hier einerseits die Solidarität mit der Ukraine einfordert, wer mehr Solidarität einfordert, sich dann andererseits auf solche Weise gegenüber geflüchteten Menschen aus der Ukraine äußert, ({4}) dem will ich an dieser Stelle sagen – ich habe es an anderer schon getan –: Das hat wehgetan, wirklich wehgetan und geschmerzt. Ihre halbseidene Entschuldigung hat daran nichts geändert. Dass Sie sich in dieser schrecklichen Situation so abwertend und populistisch gegenüber geflüchteten Menschen in der Ukraine geäußert haben, ist unverzeihlich. ({5}) Und kurz nach Ihrer Entschuldigung wurde bei diesem Thema weiter nachgelegt. Ich finde, Sie sollten das überdenken; denn wir haben hier alle eine große Verantwortung gegenüber den Menschen, die noch in der Ukraine sind, die in ihrem Land bleiben und kämpfen, und gegenüber denen, die hier sind und sich nichts sehnlicher wünschen, als wieder zurückzugehen in ihre Heimat, die so bedroht ist. Deshalb lassen Sie die Finger davon, mit Populismus in dieser Art und Weise zu arbeiten. ({6}) Meine Damen und Herren, und wieder haben wir hier gerade den Vorwurf gehört: Jetzt handelt mal endlich! ({7}) Wo sind Sie eigentlich in dieser Situation? ({8}) Wo sind Sie, wo übernehmen Sie Ihre Verantwortung in der größten Krise dieses Landes und der größten Krise Europas? Statt sich in Fundamentalopposition zu verkriechen, müssen Sie Verantwortung übernehmen, meine Damen und Herren. ({9}) Jetzt mal kurz zum Vorwurf, diese Regierung handele nicht. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben zwei Entlastungspakete zur sozialen Abfederung auf den Weg gebracht. Diese sind für Menschen, für Handwerk, für Wirtschaft eine Unterstützung. Da können Sie hundertmal sagen, das sei nicht der Fall. Es wirkt! Energiepreisbremse, Unterstützungsleistungen für Rentnerinnen und Rentner, für Studierende, ({11}) Erhöhung der Grundsicherung usw. – das sind alles Maßnahmen, die gezielt die sozialen Härten in diesem Land abfedern sollen. Und das ist gut und wichtig so. ({12}) Dann planen wir einen 200-Milliarden-Abwehrschirm. Sie sollten nicht einfach nur sagen: Das läuft nicht gut. – Machen Sie doch mal einen Vorschlag! ({13}) Wo sind Sie denn da? Sie verkriechen sich in Ihren Löchern und erklären jeden Tag, wir würden nicht handeln. ({14}) Weil Sie da vielleicht eine kleine Stütze brauchen, sage ich Ihnen kurz, was diese Bundesregierung gemeinsam, was Robert Habeck mit seinem verantwortlichen Ministerium und die anderen Ministerinnen und Minister auf den Weg gebracht haben: die Verpflichtung zum Befüllen der Gasspeicher, die Forcierung des Netzausbaus, den Ausbau der Windenergie, ({15}) den schnelleren Ausbau der LNG-Terminals, die Ausgleichsregelung beim Wasserstoff, die Anpassung der Ausschreibungsmengen für Wind und Solar, die Effizienzstandards für den Gebäudesektor, das Energieeffizienzgesetz, ({16}) die Aufhebung der Abstandsregeln, die lange den Ausbau der Windenergie blockiert haben, ({17}) die Anpassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes, des Bundesbedarfsplangesetzes und zahlreiche Verordnungen. Ich weiß, es tut Ihnen weh, wenn man das aufzählt; ({18}) denn das zeigt, dass konkret gehandelt wird, meine Damen und Herren. ({19}) Und darum geht es in dieser Krise. Genau darum! Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Verantwortung übernehmen und sich konstruktiv in die Lösungssuche einbringen, meine Damen und Herren. ({20}) Wir sind in einer schweren Krise. Da ist das notwendig. ({21}) Lassen Sie mich zuletzt noch sagen, als Bitte und zugleich als Aufforderung: Wir wissen, was die fossile Abhängigkeit von Russland für unser Land in dieser Krise bedeutet. Wir haben das in den vergangenen Monaten gesehen. Wir sollten, wenn wir über China diskutieren, dringend berücksichtigen, was uns die zementierte fossile Abhängigkeit von Russland gekostet hat. Keine Fehler in Bezug auf die Chinapolitik, meine Damen und Herren! Das ist notwendig, und das steht jetzt an. ({22})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla. ({0})

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landsleute! Lassen Sie mich vorab der zwei getöteten Handwerker in Ludwigshafen gedenken, die vor zwei Tagen von einem Somalier ermordet wurden. Frau Haßelmann, das schmerzt. Ich wünsche den Familien und Hinterbliebenen viel Kraft, ich wünsche den Verletzten schnelle Genesung. ({0}) Auch das ist mittlerweile Normalität in Deutschland. Kommen wir zum Europäischen Rat, der heute und morgen in Brüssel zusammentritt und den Krieg Russlands gegen die Ukraine sowie seine Auswirkungen auf die Energiepreise und die Wirtschaft in Europa behandelt; so lautet ja auch der Titel. Einerseits scheint die Brisanz einer Energiekrise in den Köpfen angekommen zu sein. Andererseits verwechselt man hier wieder Ursache und Wirkung. Eine Antwort auf die Krise soll jedenfalls der sogenannte Gaspreisdeckel sein; so hören und so lesen wir es. Jedoch bleiben hier mehrere Fragen offen: Kann die Energie- und Versorgungssicherheit Deutschlands garantiert werden? Kaufen wir gemeinsam in ausreichender Menge ein? Wie wird der Verteilschlüssel sein, nach Bedarf? Wie viel mehr kostet den Steuerzahler die gemeinsame Beschaffung im Vergleich zur nationalen Beschaffung? Dazu gab es heute vom Bundeskanzler keine Antworten. Gemeinsam mit den europäischen Staaten die Energieversorgung sicherzustellen, kann ein Weg sein, wenn Deutschland nicht mehr investieren muss und mit allen europäischen Partnern in gutem Kontakt und nicht teilweise im Krieg stehen würde. Der Kontinent Europa verfügt über ausreichend Energiereserven, um sich zu versorgen. Deshalb wäre es überhaupt nicht notwendig, zusätzliches, teures und schmutziges Fracking-Gas einzukaufen. ({1}) Dafür braucht es aber eine Infrastruktur, die durch die Gemeinschaft auch gesichert wird. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Wo sind die Untersuchungsergebnisse zur Sabotage an Nord Stream 1 und 2? Ich habe Sie schon vor einer Woche gefragt. Sie haben noch in der letzten Woche gesagt, dass diese bald vorliegen werden. Nun weigert sich Schweden, uns Untersuchungsdetails zu nennen. Da frage ich Sie: Entspricht das einem vertrauensvollen Umgang innerhalb der europäischen Gemeinschaft? Gehen so Freunde mit uns um? Wir hatten und wir haben mit den Nord-Stream-Pipelines die Möglichkeit, als Deutschland souverän und preiswert unsere Energieversorgung sicherzustellen. Ebenso könnten darüber Teile Europas bedient werden. Wir haben immer dafür geworben, dass sich die deutsche Bundesregierung Optionen offenhalten muss, Optionen, um selbst handlungsfähig zu bleiben, damit der Wohlstand der Wirtschaft, der Industrie und damit der Bevölkerung gesichert wird. Alles das setzen Sie mit Ihrem selbst entfachten Wirtschaftskrieg, der sich hauptsächlich gegen uns, gegen unsere Bevölkerung richtet, aufs Spiel. Ihre Maßnahmen und Hilfsprogramme kommen spät und sind immer wieder schlechte Kompromisse, die in erster Linie dem Bürger langfristig nur Kosten verursachen. ({2}) Denn auch die 200 Milliarden Euro neues Sondervermögen sind neue Schulden, die am Ende der Steuerzahler sowieso bezahlen muss. Das ist das übliche Spiel „linke Tasche, rechte Tasche“, und sie sind obendrein zum Teil verfassungswidrig, wie es der Bundesrechnungshof bereits angekündigt hat. Ich habe schon oft gesagt: Sie hantieren ungeschickt und doktern an den Symptomen herum, anstatt sich endlich den Ursachen zu widmen. Und diese liegen aktuell in Ihrer Politik der Sanktionen. Daran scheinen Sie wirklich mittlerweile Gefallen zu entwickeln. Schauen Sie mal durch die Wertebrille, Frau Baerbock: Welches ist das nächste Land, von dem Sie sich distanzieren wollen? Sie gehen da ja schon eifrig voran. Es ist schon wirklich eigenartig, dass gerade aus der Partei, die einmal für Offenheit und Toleranz stand, nun die größten Oberlehrer kommen. Diese würden zur Durchsetzung ihrer sogenannten Werte mittlerweile auch Waffen sprechen lassen wollen. Diplomatie jedenfalls gehört nicht zu Ihrer Stärke. Das beweisen Sie gerade in den Reihen der Ampelkoalition. Bei den Bürgern erarbeiten Sie sich immer weniger Respekt und Glaubwürdigkeit; das sieht man ja nicht nur an den Umfrageergebnissen. Der Bundeswirtschaftsminister bescheinigt zudem die Erfolge seiner eigenen Politik Tag für Tag, wenn er von Höchstpreisen für Energie, einer kommenden Rezession und dem Niedergang der deutschen Wirtschaft spricht. Da muss man sagen: Die Politik von Robert Habeck wirkt. Sie sorgen nämlich aktiv dafür, dass wir zu einem Schwellenland oder zum Sorgenkind Europas werden. Sie sollten, Herr Habeck, wirklich mal darüber nachdenken, ob Sie Ihr Amt noch zum Wohle des deutschen Volkes ausfüllen oder sich besser wieder in die Welt der Fabelwesen zurückziehen sollten. ({3}) Vom Bundeswirtschaftsminister zum Bundesfinanzminister. Herr Lindner, Sie sprachen in Dresden vor jungen Handwerksmeistern, wo Sie noch – Sie erinnern sich – Witze über Ihre Kollegen Lauterbach und Habeck machten. Vor wenigen Wochen haben Sie den jungen Handwerksmeistern dort gesagt – ich zitiere –: Wir müssen all das tun, was Energiepreise runterbringt, und all das unterlassen, was Energiepreise steigen lässt. In einer solchen Situation muss man alle Kapazitäten, die verfügbar sind, am Netz behalten. Allerdings über Ostern hinaus. In Dresden erzählen Sie den Leuten, was sie dort hören wollten, und hier in Berlin machen Sie mit Ihrer Politik genau das Gegenteil. Das ist die verlogene Politik der FDP. Das ist die verlogene Politik gegen Handwerk und gegen Mittelstand. Und das haben die Wähler in Niedersachsen bereits erkannt. ({4}) Da kann ich Ihnen nur sagen, lieber Herr Lindner: Lügen haben kurze Beine. Deshalb sollten Sie sich wirklich warme Unterwäsche besorgen; denn es ist bald Bodenfrost. ({5}) Das Grundverhältnis von Angebot und Nachfrage jedenfalls haben Sie noch nicht erkannt. Es ist immer noch vorhanden. Dabei ist gerade das Angebot auf dem Energiemarkt weiterhin stabil. Nur, Sie verändern, werte Bundesregierung, durch Ihre aggressive Sanktionspolitik den Zugriff auf den Markt und reduzieren das Angebot. ({6}) Sie entscheiden nämlich plötzlich, nicht mehr bei jedem Anbieter zu kaufen, und möchten von denen, die mit Deutschland noch Geschäfte machen, Produkte kaufen, die sie gar nicht mehr im Angebot haben. Das ist die Realität. Und so verknappen Sie selbst das Energieangebot. Das beste Beispiel dafür sind die Verhandlungen mit Saudi-Arabien oder auch Kanada. Mit einem Lächeln kehren Sie nach Hause zurück und müssen anschließend immer wieder feststellen, dass die sogenannten Lieferanten von LNG-Gas überhaupt kein adäquates Angebot für uns haben. Und da sehen Sie es wieder, was wir immer sagen: In der Politik geht es nämlich um Interessen, Herr Scholz, und nicht nur um Freundschaften; das ist die Realität. ({7}) Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, machen Sie sich endlich ehrlich und gestehen Sie sich selbst ein, dass Ihr Konzept der Energiewende nicht trägt! Die Energiewende ist gescheitert. Auch Sie, Herr Merz, sollten das endlich realisieren. Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender aus Sachsen hat es bereits getan. Sie sind mitverantwortlich, dass die Energiewende gescheitert ist; denn Sie haben die Atomkraftwerke abgeschaltet. Das sollten wir nicht vergessen. ({8}) Und Sie schädigen nachhaltig, auch die CDU, was Generationen vor uns mühevoll errichtet haben – alles nur, um Ihre ideologischen Leitlinien zu erfüllen. Eine gesunde Umwelt ist die Lebensgrundlage für alle Menschen und zukünftigen Generationen. Darüber sind wir uns ja hier in diesem Haus einig. Wie wir dieses Ziel sozial und wirtschaftlich verträglich erreichen wollen, das ist jedoch die Frage. Deshalb brauchen wir im Bereich der Energieversorgung Optionen. Jedoch sind in Deutschland eine Unmenge an Windrädern und unkonventionelle Erdgasförderung ebenso wenig eine Option wie die endlose Förderung von Braunkohle – ja, auch die ist endlich; das wissen wir. Wir brauchen einen gesunden Energiemix, der bezahlbar und vor allen Dingen grundlastfähig ist. Gerade in einem Industrieland wie Deutschland kann man nicht regelbare, grundlastfähige Energie wie Kohle, Kernenergie und Gas durch volatile Energie wie Wind und Sonne ersetzen. Werte Grünenfraktion, dazu braucht man nicht mal einen Studien- oder Berufsabschluss. Das ist einfach gesunder Menschenverstand. ({9}) Sie möchten mit allen unmöglichen Mitteln das westliche Werte- und Wirtschaftssystem retten und sind dabei die Kommandeure des eigenen Niedergangs. Aber gerade wir in Europa müssen doch interessengeleitete Politik für unsere Bürger machen. Der Kontinent Europa hat einen festen Platz in einer multipolaren Weltordnung. Dafür brauchen wir Frieden, Stabilität und vor allen Dingen wirtschaftliche Souveränität. Sie und Ihre einseitige US-amerikanische Ausrichtung sind die Totengräber der deutschen Wirtschaft. Das sehen wir jeden Tag. Kommen Sie bitte zum Wohle des Volkes zur Vernunft! Versuchen Sie endlich, Ihre ideologischen Interessen zurückzustellen! Im Moment verpokern Sie alles Kapital zugunsten einseitiger transatlantischer Bündnisse bzw. neuer Abhängigkeiten. Deutschland jedenfalls nutzt Ihre Politik nichts. Sie spalten damit nicht nur Europa, sondern auch die Weltgemeinschaft. Noch eben sicher geglaubte Wirtschaftspartner wenden sich ab und suchen sich neue Kontakte, wie zum Beispiel Saudi-Arabien und sein Plan, den BRICS-Staaten beizutreten. Deshalb fordere ich Sie für die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren europäischen Partnern auch bei diesem Gipfel auf: Erstens. Sorgen Sie schnellstmöglich dafür, dass die drei stillgelegten und die drei aktiv verbliebenen Kernkraftwerke über den April 2023 hinaus die Energieversorgung sichern! Dafür braucht es jetzt auch neue Brennelemente. ({10}) Im Übrigen wäre das genau die Stunde des Parlaments. Wir fordern eine offene, von den Fraktionen nicht beeinflusste Abstimmung – namentlich; denn hier geht es um Verantwortung. Jeder Abgeordnete soll das in seinem Wahlkreis erklären, auch diejenigen, die sich der Realität verweigern. Das ist Demokratie, und das fordern wir. ({11}) Zweitens. Klären Sie die Sabotageanschläge auf die Nord-Stream-Leitungen auf! Sorgen Sie dafür, dass die kritische Infrastruktur auch geschützt wird und geschützt ist, dass durch die Pipelines auch wieder Gas nach Deutschland und Europa geliefert wird! Drittens. Beenden Sie Ihre wertegeleitete Sanktionspolitik, und stoppen Sie die Waffenlieferungen an die Ukraine! Helfen Sie, den Krieg in Europa durch Verhandlungen zu beenden! ({12}) Und hören Sie auf, Moral- und Sittenpolizei auf der ganzen Welt zu spielen, Herr Lambsdorff! Agieren Sie endlich souverän zum Wohle unseres Landes und zum Wohle unserer deutschen Bürger! ({13}) Vielen Dank. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christian Dürr. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Europa bleibt geprägt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Verbrechen gegen die Bevölkerung, die täglichen Menschenrechtsverletzungen, das bewusste und willkürliche Töten von Zivilisten, von Menschen, von Familien gehen dieser Tage weiter. Der russische Angriffskrieg gehört leider zum Alltag der Menschen in der Ukraine; doch er darf niemals etwas Alltägliches werden, meine Damen und Herren. ({0}) Die russische Strategie hat sich ja dieser Tage geändert. Das wird deutlich: 30 Prozent des Stromnetzes sind zerstört und mittlerweile über 1 000 Orte ohne Stromversorgung. Russland zeigt, dass es auf stumpfe Zerstörung aus ist. Die Terrorisierung der Menschen in der Ukraine ist das strategische Ziel Putins. Und Herr Chrupalla, eigentlich wollte ich nicht auf Ihre absurde Rede eingehen. Aber es ist notwendig; denn das, was Sie hier betreiben, ist Täter-Opfer-Umkehr. ({1}) Es ist übrigens die Empfehlung, dass sich Deutschland aus der westlichen Staatengemeinschaft verabschiedet. Wie absurd! Es ist nicht im nationalen Interesse, was Sie hier sagen. Das, was Sie sagen, richtet sich auch gegen Deutschland. Es ist absurd, so etwas hier zu behaupten, Herr Chrupalla. ({2}) Der Aggressor sitzt im Kreml; das sind Ihre Freunde im Kreml, die diese Menschen angreifen und terrorisieren. ({3}) Ich sage das deshalb, weil Sie von „aggressiver Sanktionspolitik“ gesprochen haben – „aggressiver Sanktionspolitik“! Ich habe gerade von den Terroraktionen Putins gegen Menschen in der Ukraine gesprochen. Herr Kollege Chrupalla, liebe Kollegen der AfD, hören Sie auf, so etwas zu sagen! ({4}) Ich will hier eines aussprechen: Das, was Sie anempfehlen, ist, dass dieses große Land, dass sich Deutschland aus dem Westen verabschiedet. Das darf niemals Politik in Deutschland sein, gerade nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Denn das Ziel Putins ist es, die Ukraine zu zerstören, damit es sich nicht mehr lohnt, über ein Danach zu reden. Herr Bundeskanzler, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie genau über dieses Danach gesprochen haben. Das müssen wir bereits heute, trotz der schrecklichen Bilder, tun. Wir müssen über einen europäischen Marshallplan für die Ukraine reden, und ein erster ganz wichtiger Schritt ist die Wiederaufbaukonferenz am 25. Oktober hier in Berlin. Wir wollen die Ukraine beim Wiederaufbau unterstützen – das wollen wir bereits heute in aller Klarheit sagen –, genauso wie wir die Ukraine bei ihrem Weg nach Europa unterstützen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich will jetzt natürlich direkt auf die Auswirkungen auf Deutschland, auf die Menschen in Deutschland und unsere Wirtschaft, zu sprechen kommen. Deutschland und Europa befinden sich aktuell in einem Energiekrisenmodus. Deshalb ist es so wichtig, zu betonen, dass die Bekämpfung der Inflation und der hohen Energiepreise natürlich für uns alle höchste Priorität hat. Wir wollen vermeiden, dass es zu Strukturbrüchen kommt. Wir müssen uns in Europa deshalb auf unsere großen Stärken besinnen: auf unsere wirtschaftliche Stärke, auf die Solidarität und Geschlossenheit der Europäischen Union und auf Demokratie und Freiheit.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der AfD-Fraktion?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. ({0}) – Ich neige normalerweise nicht dazu; aber ich finde, die dürfen sich auch öffentlich lächerlich machen. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kollege Bystron, Sie haben das Wort.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Kollege Dürr, dass Sie auch in so einer ernsten Situation noch Ihren Humor bewahren. Das ist gut. – Sie haben ausgeführt, dass der Aggressor in Moskau sitzt. Das stimmt. Russland hat die Ukraine angegriffen, nicht Deutschland. Und wenn Sie sagen: „Wir sind ein Teil des Westens, und wir dürfen uns davon nicht verabschieden“, ist das auch richtig. Aber ein Teil des Westens waren wir schon immer, und es war eine gute deutsche Außenpolitik – übrigens: liberale und sozialliberale Koalitionen haben sie betrieben –, die auf Versöhnung ausgerichtet war, auf Diplomatie, nicht auf Eskalation. Und es waren liberale Außenminister, die sich für Dialog eingesetzt haben. Nichts anderes fordern wir von der AfD. ({0}) Wir hatten hier gerade diese Woche eine Expertenanhörung, die uns bestätigt hat, dass die USA einen aggressiven Wirtschaftskrieg betreiben. ({1}) Die ziehen gerade Schlüsselindustrien in die USA. Es gehen Firmen hier in Deutschland pleite; andere Firmen wandern in die USA ab. Also, bitte öffnen Sie die Augen! Sehen Sie ganz deutlich, dass Ihr transatlantischer Partner auf unsere Kosten Politik betreibt, Wettbewerber vom Markt verdrängt und Firmen zu sich nach Hause holt! Davor warnen wir Sie. Das war die Kernaussage der Rede von unserem Vorsitzenden. Also, verkennen Sie das bitte nicht! ({2})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich auf die Frage antworten darf. – Ich will eins betonen: Das ist nicht mein transatlantischer Partner, sondern seit vielen Jahrzehnten unser transatlantischer Partner, die Vereinigten Staaten von Amerika, ({0}) die übrigens den Frieden nach Deutschland gebracht haben. Der tiefere Sinn, wenn ich das so sagen darf, Ihrer Bemerkung oder die tiefere These dahinter lautet ja – und ich bin dankbar, dass wir das hier einmal ansprechen dürfen –, man dürfe nicht Waffen liefern – Ihr Vorsitzender hat das hier gerade erklärt –, sondern man müsse reden. Niemand in der Ukraine und niemand hier kommt doch auf die Idee, zu sagen, wir würden uns nicht bereits heute Nacht wünschen, dass Frieden in der Ukraine herrscht. Und das ist genau das, was ich mit Täter-Opfer-Umkehr meine, Herr Kollege. Natürlich wollen wir Frieden, so schnell wie möglich. Dort sterben Menschen, dort sterben jeden Tag Kinder und Familien. Es ist doch Wladimir Putin, der nicht Frieden will, sondern Kampfdrohnen nach Kiew geschickt hat. Das ist doch die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({1}) Und der Ukraine das Recht, sich zu verteidigen, abzusprechen, indem wir Waffenlieferungen einstellen, wäre die wahre Unmenschlichkeit in diesem Konflikt. Vielen Dank, dass ich das an der Stelle noch einmal darstellen durfte. Ich will jetzt, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Europäische Union und das, was wir energiepolitisch richtigerweise tun können und sollten, zu sprechen kommen. Herr Kollege Merz, Sie haben einen, wie ich finde, richtigen Punkt angesprochen, den ja die Bundesregierung und die regierungstragenden Fraktionen bereits im Abwehrschirm für die deutsche Wirtschaft, für unser Land, für die privaten Haushalte mitverankert haben, nämlich das Belastungsmoratorium. Das war auch ein wichtiger Wunsch meiner Partei. Herr Kollege Merz, ich teile Ihre Einschätzung, dass auch über ein Belastungsmoratorium auf europäischer Ebene gesprochen werde sollte. Ich will es mal – entschuldigen Sie die Wortwahl – etwas überspitzt sagen: Es gab Wahlkämpfe der CDU, die nicht erfolgreich waren, und danach haben CDU-Mitglieder den Aufkleber „Jammert mir nichts vor, ich habe CDU gewählt“ auf ihre Autos gemacht. Ich will Ihnen zur Europawahl antworten: Jammert mir nichts vor, ich habe FDP gewählt. Ich würde mir wünschen, dass die CDU-Kommissionspräsidentin das, was Sie hier richtigerweise vorschlagen – und ich hoffe, Sie haben ihre Nummer –, auch zur Politik der Europäischen Kommission macht. Sie haben uns voll an Ihrer Seite. Das ist aber keine Frage, die hier zu entscheiden ist, sondern die CDU-Kommissionspräsidentin sollte diesen Weg gehen. Wenn wir das zusammen machen könnten, Herr Merz, wäre ich sehr dankbar und glücklich. ({2}) Das wollte ich zu diesem guten Vorschlag gesagt haben. Es ist aber richtig, dass wir gleichwohl auf europäischer Ebene gemeinsame und konkrete Schritte gehen, beispielsweise beim Vorschlag für einen gemeinsamen Gaseinkauf, insbesondere für die Füllung der Gasspeicher, was ja im kommenden Winter für die Jahre 2023 und 2024 wieder notwendig sein wird. Es ist ein richtiger Gedanke, hier einen Mechanismus zu finden, die Preisdynamiken im europäischen Gasmarkt zu verringern; denn insbesondere mit Blick auf LNG ist die Dämpfung der Preise im Großhandel durch neue Referenzpunkte extrem wichtig. Solche technischen Dinge müssen auf europäischer Ebene geklärt und gemacht werden. Daher ist es richtig, dass wir sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene, hier in Deutschland, jetzt Schritte einleiten, auch zur Ausweitung des Angebots. Deswegen habe ich es für richtig gehalten, dass der Bundeskanzler erklärt hat, dass das Bundeskabinett, die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke über diesen Winter hinaus vorschlagen wird. Allein das Kernkraftwerk im niedersächsischen Emsland wird in dieser Zeit 6,8 Millionen Menschen mit Strom versorgen. Gleichzeitig müssen wir aber auch an die Energiepreise heran. Diese Energiepreise in Deutschland, diese Strom- und Gaspreise, kann sich kein privater Haushalt und kein mittelständisches Unternehmen leisten. Deswegen werden wir im Rahmen des Abwehrschirms eine Gaspreisbremse und eine Strompreisbremse für Deutschland installieren, meine Damen und Herren. Die 200 Milliarden Euro, die dort an Kreditermächtigungen bereitgestellt werden sollen – es ist ja nicht das Ziel, einfach nur Geld auszugeben, sondern die klare Aussage zu tätigen: mit diesen hohen Preisen wird niemand in Deutschland alleingelassen; als Solidargemeinschaft werden wir das gemeinsam stemmen –, sind ein ganz, ganz wichtiges Signal dieser Tage, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir haben Weiteres getan. Die Entlastungspakete sind von meiner Kollegin Haßelmann vorhin schon angesprochen worden. Auch die Volumen der Entlastungspakete suchen ihresgleichen. Wir werden beispielsweise im Rahmen des Inflationsausgleichs bereits für das kommende Jahr auch steuerlich den Menschen unter die Arme greifen; denn die hart arbeitende Mitte in Deutschland, die diesen Steuerstaat trägt, hat genau das verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden über eine Einmalzahlung im Dezember dann im kommenden Jahr zur Gaspreisbremse und zu echten Reduzierungen beim Gaspreis für die Unternehmen kommen, aber auch für die industriellen Verbraucher und insbesondere für die privaten Haushalte die richtigen Schritte machen. Aber ich will zum Schluss, Frau Präsidentin, sagen – ich habe das vorhin auf die Ukraine bezogen, aber das gilt auch für Deutschland und Europa –: Wir sollten mehr tun, als nur die Krise zu bewältigen. Wir wollen eben auch an morgen denken, meine Damen und Herren. Ich will an der Stelle sagen: Das deutsche Energiegeschäftsmodell, die niedrigen Gaspreise und gleichzeitig hohe Unternehmensteuern, ist dieser Tage in Gefahr, weil eine Säule weggebrochen ist. Deswegen müssen wir uns auch energiepolitisch international diversifizieren, beispielsweise über Energiepartnerschaften mit Afrika. Auf der europäischen Ebene wird gerade das Thema „synthetische Kraftstoffe“ verhandelt. Wie wäre es denn, wenn wir es gemeinsam mit Afrika hinbekommen, dass wir in Zukunft Energie von dort bekommen, aber dadurch gleichzeitig dort auch zusätzliche Entwicklungsarbeit betreiben können, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ein ganz wichtiger Punkt: Heute bereits an morgen zu denken, bedeutet, dass wir die nächste Krise, die unseren Wohlstand in Deutschland bedroht, bereits in den Blick nehmen. Das ist der bereits heftige Arbeitskräftemangel. Der kostet uns Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Deswegen wird diese Koalition bereits in dieser Woche eine Fachkräfteeinwanderung mit einem ersten Schritt – und kommende Schritte werden in den nächsten Monaten folgen – auf den Weg bringen, meine Damen und Herren. Gerade die Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt, den Fehler der alten unionsgeführten Bundesregierung, ({4}) endlich zu korrigieren, das wird Wohlstand in Deutschland in Zukunft sichern und macht unser Land auch krisenfester. Auch das will ich unterstrichen haben. ({5}) Deswegen sage ich zum Schluss: Ich bin für alle Vorschläge, die dieser Tage gemacht werden, sehr dankbar, weil es nicht den einen perfekten Vorschlag gibt. Herr Merz, Sie haben hier in Ihrer Rede gerade immer wieder angemahnt, dass man mehr machen müsste. Aber das Geheimnis zu lüften, was Sie stattdessen vorschlagen würden, sind Sie aus meiner Sicht schuldig geblieben. ({6}) Das ist nicht leicht – keine Frage. Ich will einen Vorschlag von Ihnen aufgreifen, der vergleichsweise konkret war. Sie haben gesagt: Sie wollen nicht 300 Euro für jeden. Sie haben ja gerade im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages die 300 Euro für die Rentnerinnen und Rentner bewusst abgelehnt. Ich halte das für einen Fehler; das muss noch mal gesagt werden. ({7}) Der Vorschlag „stattdessen 1 000 Euro für das untere Drittel“ klingt zunächst gut. Aber was heißt das denn konkret? Was heißt das für den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin, die genau 1 Euro mehr verdienen als das untere Drittel? Die gingen komplett leer aus. ({8}) Und da bin ich beim Bundeskanzler: Wir lassen in Deutschland niemanden alleine. Ich bin dankbar für Vorschläge der Opposition; das ist auch Ihre Aufgabe. Aber sie müssen so konkret sein, dass man sie auch in deutsche Politik umsetzen kann. Herzlichen Dank. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Regierungsmitglieder nennen sich ja selbst gern „Fortschrittskoalition“. Leider ist das Einzige, was in unserem Land ernsthaft voranschreitet, die Spaltung der Gesellschaft. Millionen Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihr ganz normales Leben bezahlen sollen. Unserer Wirtschaft droht eine schwere Rezession. In Ihrer Regierung aber herrscht das Chaos. Wenn es darum geht, die Bevölkerung wirksam zu entlasten, dann wird endlos gezögert und gezaudert. Was dabei herauskommt, ist meistens Murks: Chaos und Murks bei Ihren spärlichen Entlastungspäckchen, Chaos im Umgang mit Christian Lindners heiliger Kuh, der Schuldenbremse. Und auch die Atomkraftdebatte hat wieder gezeigt, dass es Ihnen vor allem darum geht, den jeweiligen Befindlichkeiten Ihrer Minister gerecht zu werden, und eben nicht um die Belange der Bevölkerung. Aber das geht so nicht. ({0}) Man stelle sich einmal vor, Sie hätten all die Stunden, die Sie sich sinnlos gestritten haben, dafür genutzt, die Menschen wirksam vor der Preisexplosion zu schützen, indem Sie zum Beispiel den versprochenen Strompreisdeckel oder einen vernünftigen Gaspreisdeckel eingeführt hätten, und zwar jetzt und nicht am Ende der Heizperiode im März. Was ist das denn? Auch heute haben Sie sich wieder für Ihre lächerlichen Entlastungspäckchen gelobt. ({1}) Ich möchte Ihnen dazu eines sagen: Sie als Norddeutscher sollten doch wissen, dass es nicht reicht, den Deich auf 2 Meter bei 10 Meter Hochwasser aufzuschütten. Da braucht es mehr, um die Katastrophe zu verhindern; das ist die Wahrheit. ({2}) Wir brauchen sofort einen Energiepreisdeckel für Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, und zwar auf bezahlbarem Niveau. Außerdem müssen alle Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen wirksam entlastet werden. Wir wollen 1 500 Euro Wintergeld pro Haushalt plus 600 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied; das würde wirklich etwas bringen. ({3}) Wenn Sie sagen, dass dafür kein Geld da sei, dann ist das einfach Quatsch. Besteuern Sie endlich die perversen Übergewinne der Energiekonzerne! Die liegen schon jetzt bei über 100 Milliarden Euro. Außerdem: Führen Sie endlich eine gerechte Vermögensteuer ein! Ich meine, wenn Sie trotz dieser existenziellen Krise immer noch nicht bereit sind, die Superreichen gerecht zu besteuern, dann regieren Sie einfach an den Belangen der Mehrheit vorbei. So ist das leider. ({4}) Außerdem muss selbstverständlich die Schuldenbremse auch im nächsten Jahr ausgesetzt werden. Alles andere ist unverantwortlich. Vernunft vor Ideologie, das muss auch in der Finanzpolitik endlich gelten. ({5}) Der Präsident der Chemieindustrie warnt davor, Deutschland könne „vom Industrieland zum Industriemuseum“ werden. In der Stahlbranche droht aktuell Tausenden Arbeiterinnen und Arbeitern der Arbeitsplatzverlust; denn wenn sich die Lage nicht bald deutlich verbessert, dann wird die Produktion nach und nach in Länder mit geringeren Energiekosten verlagert werden. Das darf nicht passieren, Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Auch Ihre außenpolitische Bilanz ist leider ernüchternd. Seit bereits fast acht Monaten tobt Putins schrecklicher Krieg in der Ukraine. Es muss doch endlich auch bei Ihnen die Erkenntnis gereift sein, dass dieser Krieg nicht weiter eskalieren darf. Nein, er muss möglichst schnell beendet werden, und das geht nur über Verhandlungen. Ja, es braucht jetzt Diplomatie statt Waffenlieferungen. ({7}) Es geht eben nicht – das möchte ich mal in aller Deutlichkeit sagen –, dass denjenigen, die das aussprechen, was vernünftig ist, ({8}) unterstellt wird, dass sie Verständnis für Putin hätten. Das ist einfach Blödsinn. Es trägt zum Geschäft von genau denen bei, ({9}) die diese Argumente für ihre Hetze instrumentalisieren. Das ist die Wahrheit. ({10}) Das ist instrumentell. Sie sind doch sonst immer für Aufrüstung und Militarisierung. Nein, unsere Haltung ist da konsequent: Nur Diplomatie und Vernunft sind der richtige Weg. ({11}) Das Gleiche gilt übrigens auch für die berechtigte Kritik an den allgemeinen Wirtschaftssanktionen. Fakt ist: Diese Sanktionen schaden Deutschland, der EU und den Ländern des Globalen Südens enorm; Russlands Kriegsmaschinerie rollt aber unbeeindruckt weiter. ({12}) Die russische Wirtschaft ist weiterhin stabil. Herr Scholz, Sie selbst haben versprochen, es würde keine Sanktionen geben, die uns mehr schaden als Russland. Handeln Sie endlich danach! ({13}) Bevor Sie uns jetzt wieder mit Ihrer angeblichen wertebasierten Außenpolitik kommen: ({14}) Sie unterhalten beste Beziehungen zu Diktaturen, wie zum Beispiel nach Saudi-Arabien. Dahin liefern Sie jetzt sogar Kampfjets – Kampfjets, mit denen die saudische Luftwaffe systematisch Zivilisten im Jemen bombardiert. ({15}) In diesem schrecklichen Krieg sind bereits 400 000 Zivilisten ermordet worden, und das Sterben geht weiter. Ihre Außenministerin, Annalena Baerbock, sagt dazu allen Ernstes, man müsse ja nun mal die Bündnisverpflichtungen erfüllen und ohne diese Lieferungen der Kampfjets an Saudi-Arabien müsse Deutschland im sozialen Bereich noch mehr sparen. „Kampfjets für die Kindergrundsicherung“, so stand es treffend im „Spiegel“. Wie zynisch ist das denn? ({16}) Und wie zynisch ist das eigentlich den Kindern im Jemen gegenüber? Nein, Menschenrechte müssen immer und überall gelten, eben nicht nur da und dann, wenn es Ihnen geopolitisch in den Kram passt. Danke schön. ({17})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Achim Post. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Bisher hat diese lebendige Debatte viel Dissens gezeigt. Das ist gut so. Das ist legitim; das gehört dazu. Sie hat an einer Stelle gezeigt, dass die Bedeutung dieses Gipfels ähnlich hoch eingeschätzt wird. Das ist nicht irgendein Gipfel; das ist nicht irgendein Krisengipfel. Das wäre eine Untertreibung. Die Staats- und Regierungschefs haben Krisengebirge mit sich überlappenden Krisen vor sich. Da kann ich nur sagen: Das steht in keinem Drehbuch. Das steht in keinem Koalitionsvertrag. Dafür gibt es keine Blaupause. Dafür braucht man andere Dinge: Vernunft, Pragmatismus, Lösungsorientierung, Handlungsfähigkeit und einen starken Bundeskanzler. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wir einen starken Bundeskanzler haben, der nach diesen Maßstäben handelt und auch auf diesem Gipfel handeln wird. ({0}) Ich finde, dass die Bundesregierung liefert. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum das als lächerlich eingeschätzt wird. Oder sind 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr lächerlich? Nein, sie sind es nicht. Oder sind drei Entlastungspakete in Höhe von 95 Milliarden Euro lächerlich? Nein, sie sind es nicht. Oder sind die angekündigten 200 Milliarden Euro zur Entlastung bei den explodierenden Energiepreisen lächerlich? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie sind es nicht. ({1}) Diese Bundesregierung liefert auch politisch. Sie hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass Europa eben nicht gespalten ist, wie Herr Putin sich das vorgestellt hat, sondern geeint ist, bei den Sanktionen, die schwierig, aber richtig und notwendig sind, bei der Politik, die sie jetzt betreibt und die sie auf dem Gipfel weiter betreiben wird. Europa steht zusammen. Deutschland agiert im europäischen Kontext und im Kontext der NATO, und das ist richtig so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Herr Merz, wenn Sie, grundsätzlich durchaus berechtigt, heftige, zum Teil fundamentale Kritik an der EU-Kommission, an Ihrer Parteikollegin aus der CDU Deutschlands, Frau von der Leyen, oder auch an der Christdemokratin aus Malta Roberta Metsola, der Präsidentin des Europäischen Parlaments, üben, ist das völlig in Ordnung. Aber ich habe dann eine andere Frage: Bisher habe ich gedacht, es gibt bei den großen Parteien in Europa, bei den großen Volksparteien in Deutschland Konsens, dass es richtig ist, die Demokratie in Europa zu stärken; das glaube ich auch weiterhin. Gibt es aber auch Konsens, die Demokratien in Europa zu stärken? Daran habe ich mittlerweile meine Zweifel. Reicht es nicht aus, dass wir einen Orban haben und seine Kompagnons? Reicht es nicht aus, dass wir eine illiberale Demokratie in der Europäischen Union haben? Müssen jetzt auch noch Schweden, Italien und im nächsten Jahr vielleicht Spanien dazukommen? Und warum können sie dazukommen? Weil Manfred Weber, der Chef der EVP, der Türöffner ist für Bündnisse von Christdemokraten, Konservativen mit Populisten, Rechtspopulisten und Postfaschisten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich bin wirklich dankbar, dass der Vorsitzende der CSU, Markus Söder, sehr deutlich gesagt hat, dass die CSU und auch er persönlich eine Brandmauer zwischen diesen Kräften ganz rechts außen und demokratischen Parteien wollen. Von Ihnen, Herr Merz, höre ich gar nichts. Ein dröhnendes Schweigen, das ist alles. Das ist nicht genug. ({4}) Wir brauchen jetzt zusätzlich Krisenreaktionsfähigkeiten, die über den Tag hinausgehen. Wir müssen Zukunftsinvestitionen tätigen in Batteriezellfertigung, in erneuerbare Energien, in Impfstoffe und vieles andere mehr. Dazu ist die Europäische Union in der Lage, und sie wird auf diesem Gipfel weiter dazu in der Lage sein. Wir brauchen beides: Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union. Ja, es ist richtig, dass wir in vielen Bereichen mehr Mehrheitsentscheidungen brauchen. Aber es ist genauso richtig, die nächsten Schritte bei der Erweiterung der EU um den westlichen Balkan zu gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Denn auch das gehört zur Politik dazu, auch zur Politik in Europa: Man muss zu dem stehen, was man versprochen hat. Die Europäische Union, auch Deutschland, hat 2003 in Thessaloniki versprochen: Wenn die Kriterien eingehalten werden, können die Mitglieder des westlichen Balkans nach und nach Mitglied werden. Das ist fast 20 Jahre her. Wir sollten jetzt auf diesem Gipfel damit anfangen, dieses Versprechen einzulösen. ({6}) Zusammengefasst: Es steht viel auf dem Spiel. Dieser Bundeskanzler, diese Bundesregierung, dieser Bundesfinanzminister, dieser Wirtschaftsminister und diese Außenministerin werden dieser Verantwortung gerecht. Denn, wie gesagt, das Wichtigste ist jetzt pragmatisches Handeln, Handlungsfähigkeit für Deutschland und Europa. Schönen Dank. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir warten seit Wochen darauf, dass Sie sich im Deutschen Bundestag erklären. Wir haben Sie mehrfach schriftlich aufgefordert, hier im Deutschen Bundestag zur Lage der Nation zu sprechen und eine Regierungserklärung abzugeben. Dass Sie das heute getan haben, das ist zu begrüßen. Aber dass der Anlass dazu eben nicht die Nöte, die Sorgen, die Ängste der Bürger waren, sondern ausschließlich der Sitzungsplan in Brüssel, das müssen Sie sich vorhalten lassen, Herr Bundeskanzler. ({0}) Mit welcher Mission fahren Sie jetzt eigentlich nach Brüssel? In welcher Rolle treten Sie in Brüssel jetzt eigentlich auf? Ich erwarte dabei überhaupt nicht, dass Sie den Anspruch Ihres Parteivorsitzenden erfüllen, der von der „Führungsmacht Deutschland“ gesprochen hat; aber ich erwarte, dass Sie den Anspruch haben, in Europa Orientierung zu geben. Darum geht es in diesen Zeiten. Deutschland hätte jetzt eine Blaupause für eine wirksame Strompreisbremse, für eine wirksame Gaspreisbremse in Europa liefern können. Sie tun es gerade nicht, Herr Bundeskanzler. ({1}) Die Gaskommission hat Vorschläge vorgelegt. Es fehlen weiterhin die Entscheidungen dieser Bundesregierung dazu. Sie lassen die Menschen in Unsicherheit. Das gibt keine Orientierung in Europa. Sie hätten heute ein klares Signal an Europa für solide und stabile Finanzen geben können. In Wahrheit haben Sie ein fatales Signal von Schattenhaushalten nach Brüssel gegeben. Sie haben heute hier kein einziges Wort über die Finanzfragen, die in Brüssel anstehen, verloren – kein einziges Wort. Herr Bundeskanzler, vor wenigen Tagen haben Sie beim Kongress der Partei der Europäischen Sozialisten allerdings gerne darüber gesprochen, dass Europa Schuldenvergemeinschaftung braucht. Mit welchem Signal gehen Sie jetzt eigentlich nach Brüssel, Herr Bundeskanzler? ({2}) Sie hätten auch ein deutliches Signal geben können, dass Deutschland die Ukraine mit zusätzlichen, modernen, schweren Waffen unterstützt. Sie hätten eine gemeinsame Lieferung von westlichen Kampfpanzern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ermöglichen können. Seit Monaten scheitert die Bereitschaft, diese Lieferungen aus europäischen Ländern durchzuführen, an der Zögerlichkeit Deutschlands. Hier fehlt es in Europa an Orientierung aus Deutschland. ({3}) Sehr geehrte Frau Haßelmann, Sie haben hier in Richtung der CDU/CSU-Fraktion gefragt: „Wo übernehmen Sie Ihre Verantwortung …?“ Das waren Ihre Worte. ({4}) Liebe Frau Haßelmann, da Sie sich so sehr für stärkere Waffenlieferungen einsetzen, will ich Ihnen sagen, wo unsere Verantwortung ist: Es stehen im Grundgesetz 100 Milliarden Euro Sonderschulden ausschließlich für die Bundeswehr zur Verfügung. Die sind deswegen entstanden, weil wir all Ihre Versuche der Zweckentfremdung dieser Gelder verhindert haben. Da ist unsere staatspolitische Verantwortung. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Dobrindt, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Haßelmann?

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bitte, Sie haben das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dobrindt, Sie haben die 100 Milliarden Euro Sondervermögen angesprochen. Sie tun so, als sei das eine große staatspolitische Verantwortung gewesen. Ich bin in der Tat froh und dankbar, dass Sie zugestimmt haben. ({0}) Aber ehrlich gesagt, war das auch meine Erwartung an Sie. ({1}) Denn wer hat denn fünf Bundesverteidigungsminister/-innen in den letzten 16 Jahren gestellt und die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet, wie Sie das gemacht haben? Deshalb waren wir in der Situation, zu einer solchen Maßnahme wie der Einrichtung dieses Sondervermögens greifen zu müssen. ({2}) Wie hätten Sie es denn sonst gemacht? Warum haben Sie in den letzten 16 Jahren diese Verantwortung für die Bundeswehr nicht wahrgenommen? ({3}) Und ich kann mir nicht verkneifen, zu fragen: Warum waren Sie eigentlich so engstirnig, den Aufbau einer kritischen Infrastruktur, einer Sicherheitsarchitektur und die notwendigen Investitionen in Cybersicherheit und das, was sonst noch notwendig ist, zu verweigern? ({4}) Wir befinden uns heute in einer äußerst kritischen Situation und sind gezwungen, uns diesem Thema zu widmen. Das sehen wir durch die Sabotageakte hier in Europa. ({5})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Haßelmann, indirekt haben Sie gerade zugegeben, dass Sie offensichtlich ein großes Interesse daran hatten, einen wesentlichen Teil dieser 100 Milliarden Euro unter Ihren grünen Ministerinnen und Ministern aufzuteilen und nicht in die Bundeswehr zu investieren. ({0}) Genau das haben wir verhindert: dass Sie diese Mittel anders verwenden. ({1}) Das ist für Sie ein Rendezvous mit der Realität. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Ihnen das schwerfällt. Regieren ist doch schwerer als Moralisieren; das ist das, was Sie jetzt offensichtlich zur Kenntnis nehmen. ({2}) Ehrlicherweise sei gesagt: Wäre die Lage nicht ganz so ernst, dann könnte man manche vollmundigen Sätze, die ich in den letzten Tagen von Ihnen und anderen gehört habe, auch auf Ihrem Parteitag, durchaus auch mit Humor begleiten, aber die Lage ist nun mal so ernst. Deswegen lassen Sie sich auch daran erinnern: Wenn Sie sagen: „Wir Grüne tragen diesen Staat, diese Gesellschaft und diese Demokratie“, dann lassen Sie sich sagen: „Ihre offene Kompromissunfähigkeit, Ihre ideologische Verweigerungshaltung, Ihr Ignorieren der Ängste und Nöte der Menschen, das trägt diese Gesellschaft nicht, sondern es ignoriert diese Gesellschaft.“ Das ist die Wahrheit an dieser Stelle. ({3}) Herr Bundeskanzler, die Menschen sind schwer verunsichert. Viele haben schlicht Angst. Diese Woche hat die R+V-Studie neue Zahlen zu den Ängsten in Deutschland veröffentlicht: Geldsorgen dominieren die Ängste der Deutschen. 67 Prozent haben Angst, sich ihr Leben nicht mehr leisten zu können. Sie haben, Herr Bundeskanzler, einen Doppel-Wumms angekündigt. Stehen geblieben sind davon nur doppelte Fragezeichen. Ausgestaltung der Gaspreisbremse? Unklar. Ausgestaltung der Strompreisbremse? Unklar. Sicherheit der Netzstabilität? Unklar. Diese Politik schafft kein Vertrauen. Sie schafft neue Ängste, meine Damen und Herren. ({4}) Die Kommission hat die Vorschläge gemacht. Sie haben bisher nicht darauf reagiert. Sie sagen nicht, wie Sie Haushalte, wie Sie die Wirtschaft, wie Sie den Mittelstand entlasten wollen. Aber Sie fordern von uns ein, dass Sie Zustimmung zu 200 Milliarden Euro neuen Schulden bekommen, die Sie hier morgen zur Abstimmung stellen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lassen Sie sich dies an dieser Stelle auch sagen: Diesen Blanko-Wumms werden Sie von uns schlichtweg nicht bekommen. ({5}) Was Sie diese Woche in Ihrer Koalition abgeliefert haben, das hat übrigens die Ängste nicht kleiner werden lassen. Ihr Machtwort, so notwendig es offensichtlich auch war, ist ein Zeichen der Ohnmacht dieser Koalition. Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, Ihr schärfstes Schwert, die Richtlinienkompetenz des Kanzlers, schon nutzen, warum denn dann nicht konsequent, sondern nur halbherzig? Kein einziges Problem, das Sie – offensichtlich anders als Ihr Wirtschaftsminister – für Januar, Februar und März identifiziert haben, ist im April des nächsten Jahres gelöst. Deswegen ist Ihre Entscheidung falsch, an dieser Stelle die Kernkraft nicht weiterlaufen zu lassen. ({6}) Herr Bundeskanzler, Sie haben hier vorhin an diesem Rednerpult gesagt: „Die Energiepreise sind eine große Bewährungsprobe.“ Ja, vor allem für die mittleren und kleinen, für die normalen Einkommen, für den Mittelstand. Sie haben hier vorhin an diesem Rednerpult gesagt: „Die Energiepreise müssen runter.“ Warum verweigern Sie den Menschen dann die Preisentlastung durch das Weiterlaufen der Kernkraftwerke? Das ifo-Institut hat deutlich gemacht: Weiterlaufen der Kernkraftwerke ist ein wesentlicher Beitrag zur Reduzierung der Energiepreise in Deutschland. Kommen Sie Ihrem eigenen Anspruch nach, Herr Bundeskanzler. ({7}) Ich habe übrigens vermisst, Herr Bundeskanzler, dass Sie hier Ihr ständiges Versprechen wiederholt haben, das wir inzwischen von Ihnen gewohnt sind: „You’ll never walk alone.“ Dieses ständige Versprechen, das jetzt auch schon die FDP für Sie wiederholt, hat in dieser Woche noch mal eine ganz besonders interessante Wendung bekommen. Das stellt man fest, wenn man sich das Verhalten innerhalb der Ampelkoalition, innerhalb Ihrer Bundesregierung anschaut. Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wie der Blick der Öffentlichkeit, der Bevölkerung auf diese Ampel, auf diese Regierung inzwischen ist? Hier sitzt der Bundeskanzler „You’ll never walk alone“, und neben ihm sitzt üblicherweise der Vizekanzler „dead man walking“. Das ist der Blick der Bevölkerung auf diese Bundesregierung! ({8}) Wenn es ein Machtwort braucht, Herr Bundeskanzler, dann überlegen Sie sich bitte, ob Sie dieses Machtwort nicht wirklich sinnvoll nutzen wollen. Es wäre in dieser Lage notwendig. Jetzt die Bestellung der Brennstäbe vorzunehmen, den Weiterlauf der Kernkraft zu ermöglichen, Versorgungssicherheit zu schaffen und Preise zu senken, das wäre ein Auftrag, den Sie nach Europa und nach Brüssel mitnehmen können. Wenn Sie Machtworte sprechen, dann sorgen Sie auch für Ergebnisse, die den Menschen in ihren Nöten helfen. Danke schön. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Chantal Kopf. ({0})

Chantal Kopf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005111, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Tagen liefert Frankreich Gas nach Deutschland, das wir nach unserer selbstverschuldeten Abhängigkeit von Russland benötigen, und Deutschland wiederum hilft Frankreich bei der Stromversorgung. Das ist gelebte europäische Solidarität. ({0}) Nun kommt es aber darauf an, gesamteuropäisch die Energiepolitik und die Gaseinkäufe deutlich besser zu koordinieren, damit Putin die EU‑Staaten nicht noch einfacher gegeneinander und übrigens auch nicht Länder in anderen Weltteilen gegen Europa ausspielen kann. Wenn wir von überlappenden Krisen sprechen, dann müssen wir noch viel ernsthafter über das Klima sprechen. Die EU macht sich mit dem Green Deal und mit „Fit for 55“ auf den Weg zur Klimaneutralität. Und auch wenn wir noch nie ambitioniertere Pläne hatten, um unsere Lebensgrundlagen zu sichern, sind wir noch weit vom Ziel entfernt. Jetzt hat Putins Wirtschaftskrieg den Kontinent in eine Energiekrise gestürzt, die existenzielle Sorgen auslöst. Hilfe, Entlastung und Solidarität sind das Gebot der Stunde. Aber wenn Rufe laut werden, jetzt mal langsam zu machen mit Sorgfaltspflichten, mit Klimaschutz, mit dem Green Deal, dann ist das genau die falsche Antwort. ({1}) Der Green Deal gilt. Wir können nicht warten, bis alle anderen Krisen irgendwie irgendwann verschwunden sind. Die Klimakrise wartet darauf nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Was hat uns denn in diese Situation, in diese Abhängigkeit von Autokratien gebracht? Unser blindes Vertrauen in fossile Energie. Deswegen müssen wir uns endlich von fossilen Brennstoffen befreien. Deswegen brauchen wir ein Energieeffizienzgesetz, deswegen brauchen wir den vorgezogenen Kohleausstieg, und deswegen setzt die Ampel alle Hebel in Bewegung, um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. ({3}) Für die Energiewende benötigen wir aber auch die europäische Ebene, den Ausbau und den Schutz einer gemeinsamen Energieinfrastruktur in der EU und in der Europäischen Politischen Gemeinschaft, gemeinsame Projekte bei Solar, bei Wind und bei Grünem Wasserstoff. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns an die Fluten im Ahrtal erinnern, an den zurückliegenden Hitzesommer, und vor allem, wenn wir an die 1 700 Hochwassertoten in Pakistan denken, dann wird klar: Wir brauchen nicht weniger Tempo beim Klimaschutz, sondern wesentlich mehr. ({4}) Paris gilt. Ich bin unserer Außenministerin Annalena Baerbock dankbar, dass sie eine „Group of Friends“ für eine ambitionierte EU-Klimapolitik auf den Weg gebracht hat. Die EU muss die Pariser Klimaziele beim Wort nehmen, und sie muss sich noch stärker ihrer Verantwortung gegenüber den Ländern bewusst werden, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen haben. Wir leben in Zeiten, in denen Menschen aufgrund von Dürren und Fluten ihre Heimat verlieren und in denen Ungerechtigkeit zwischen Globalem Norden und Globalem Süden auch zunehmend zum geostrategischen Risiko wird. ({5}) Was wir jetzt brauchen, das ist Kooperation auf Augenhöhe, das sind faire Energie-, Transformations- und Handelspartnerschaften, die sowohl der EU als auch unseren Partnern den Weg in eine lebenswerte Zukunft ebnen. Das ist auch unsere Antwort auf Putins Imperialismus und auf die Einflussnahme eines autoritären Chinas in Asien, Afrika und auf dem gesamten Globus. ({6}) Apropos China: Lassen Sie uns bitte nicht unsere Fehler wiederholen. Wir dürfen uns nicht erpressbar machen. Es ist nicht klug, wichtige Infrastruktur in die Hände Chinas zu geben. ({7}) Lassen Sie uns endlich eine vorausschauende Politik machen. Dafür stehen Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der grausame Krieg Russlands in der Ukraine nimmt auf unserem Kontinent unterschiedliche Erscheinungsformen an. Wir wissen, dass Russland gegen uns einen Energiekrieg führt. In der großen Analyse der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber heißt es, die Situation im deutschen Stromnetz werde im kommenden Winter äußerst angespannt sein. Aldi hat gestern angekündigt, seine Öffnungszeiten aus Energiekostengründen zu verkürzen. Ingenieure von Stromnetzbetreibern sind derzeit dabei, zu prüfen, ob Kunden in Süddeutschland zeitweise vom Netz zu nehmen sind, weil es dort nicht gelingt, die Versorgung mit Strom aus den Windparks im Norden sicherzustellen. Das will ich hier deutlich sagen, meine Damen und Herren: Bei aller Offenheit für Debatten, die der Bundeskanzler eben angesprochen hat, brauchen wir einen Beitrag nicht, und das sind Tipps der CSU für die Energieversorgung in unserem Land. ({0}) Gerade der Freistaat Bayern ist der Problembär unter den Bundesländern, wenn es darum geht, die Energieversorgung zu sichern. Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass die drei Kernkraftwerke, die noch laufen, jetzt am Netz bleiben; das hat der Bundeskanzler in dieser Woche verkündet. Diese Nachricht, meine Damen und Herren, freut auch unsere europäischen Partner; denn wir sind in der Europäischen Union nicht nur aus politischen Gründen zu unserem Glück vereint. Wir sind auch durch Pipelines, Kabel und Interkonnektoren miteinander verbunden und vernetzt. Wir haben profitiert von den Flüssiggasterminals und den Pipelinekapazitäten in Holland, Belgien und Skandinavien. Sie haben dafür gesorgt, dass unsere Gasspeicher gefüllt werden konnten. Wir helfen den Franzosen mit Stromlieferungen aus Deutschland, wenn bei ihnen die Kernkraftwerke teilweise ausfallen. Jetzt kriegen wir Gas aus Frankreich. Meine Damen und Herren, wenn bei uns ein Netzengpass auftritt, wenn bei uns Strommangel auftritt, dann hat das unmittelbare Folgen für unsere Nachbarn in der Europäischen Union. Deswegen muss der Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke auch als eine symbolische Geste gesehen werden. Er verhindert nämlich die Erzählung von einem Deutschland, das einerseits die Hilfe seiner Partner in Anspruch nimmt, aber andererseits nicht dazu bereit ist, seine eigenen Befindlichkeiten bei der Energieversorgung zurückzustellen. Deutschland muss seine Energieerzeugungskapazitäten jetzt ausschöpfen – im eigenen Interesse, dem aller unserer Nachbarn und der ganzen Europäischen Union. Bleiben wir also, meine Damen und Herren, zu unserem Glück vereint. Ich hoffe, das ist das Signal, das von diesem Europäischen Rat ausgeht. Herzlichen Dank. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dobrindt, ich habe eben mitgeschrieben, und ich hoffe, dass ich Sie richtig wiedergebe, dass es aber inhaltlich ein Missverständnis gewesen ist. Sie haben auf die Frage der Kollegin Haßelmann geantwortet, wir sollten Ängste und Nöte der Menschen nicht ignorieren. ({0}) Herr Kollege Dobrindt, diese Vorwürfe sollten wir, finde ich, gerade in dieser Zeit nicht unter Demokraten machen. Wir alle hier nehmen die Ängste und Nöte von weiten Teilen der Bevölkerung ernst, nur unsere Antworten, unsere Vorschläge sind vielleicht unterschiedlich. Das sollte unser Konsens sein hier in diesem Haus. ({1}) Wenn Sie, Herr Dobrindt und Herr Merz, dem Bundeskanzler vorwerfen, man könne es nicht und man handle nicht, dann müssen Sie sich auch immer wieder gefallen lassen, dass wir uns mit Ihren Vorschlägen, wenn sie überhaupt da sind, ({2}) auseinandersetzen. Der Kollege Dürr hat einen Ihrer Vorschläge ja schon mal erwähnt. Drei Ihrer Vorschläge will ich hier anführen, und ich kann Ihnen nur sagen: ({3}) Ich bin heilfroh, dass nicht Sie in diesen Zeiten regieren, sondern kein anderer als der Bundeskanzler Olaf Scholz, der diese Bundesregierung hier ruhig führt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Denn was Sie als Erstes ganz groß verkündet haben, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, war Ihr Vorschlag – und da kann man Sie nicht aus der Verantwortung lassen –, ({5}) dass die Bundesregierung ein einseitiges Gasembargo gegenüber Russland verkünden sollte. ({6}) Das wäre fatal für alle in Deutschland gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Jetzt kommen Sie mit dem nächsten Vorschlag und sagen, es gibt eine große Lösung für alles: ({8}) Das sind die Laufzeitverlängerungen. – Dazu twittert der zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jens Spahn sogar noch, dass diese Technologie „putinfrei“ und „verlässlich“ sei. Wissen Sie eigentlich, welche Abhängigkeiten zwischen russischen Brennstäben und osteuropäischen Atomkraftwerken bestehen? ({9}) Wer hier von „putinfrei“ spricht, der hat das ganze Thema nicht verstanden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Wer von Verlässlichkeit redet und sich anguckt, was gerade in Frankreich passiert, wo die Hälfte der Atomkraftwerke nicht am Netz ist, der sagt den Menschen hier etwas Falsches. Ich hätte mir gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Frau Merkel bei den Auseinandersetzungen um die erneuerbaren Energien manches Mal von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hätte, so wie es der Bundeskanzler dieser Tage getan hat. Dann wären wir viel weiter gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Ganz fatal ist – Herr Dobrindt, jetzt müssen Sie sich auch das noch kurz anhören –: ({12}) Sie haben hier eben gesagt, man müsse in irgendeiner Form Energiepreisbremsen einführen. ({13}) Sie haben dem Bundeskanzler anscheinend nicht zugehört; denn er hat sich heute ausdrücklich zu den Kommissionsergebnissen bekannt. Er hat gesagt: Diese Bundesregierung arbeitet gerade an der Umsetzung. – Es ist ein Riesenschritt, dass wir den Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen jetzt Sicherheit geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) Aber was machen Sie? Was machen Sie in dieser Phase? Sie werden den 200 Milliarden Euro, die notwendig sind, um diese Sicherheit zu geben, morgen nicht zustimmen, weil Sie angeblich keinen Blankoscheck geben wollen. ({15}) Woher sollen denn bitte die Gelder kommen, die im Dezember die Haushalte stützen sollen? ({16}) Das macht keinen Sinn. Sie irrlichtern in dieser Krise, und Sie können es schlichtweg nicht. ({17}) Stellen Sie sich nicht hierhin und sagen: Wir können es, und Sie können es nicht. – Vielmehr müssen Sie wirklich belastbare Vorschläge vorlegen. ({18}) Alle Ihre drei Punkte wären desaströs gewesen in dieser Krise. Gut, dass Sie nicht regieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Gunther Krichbaum. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, wir haben zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine heute Morgen sehr entschlossene Worte von Ihnen gehört. Das begrüßen wir ausdrücklich. Wir hätten uns aber diese Rede mit diesem Inhalt schon vor einem halben Jahr gewünscht. Diese Entschlossenheit haben Sie immer vermissen lassen. Fakt ist, dass ohne die Zögerlichkeit, ohne das Zaudern, insbesondere beim Thema der Waffenlieferungen, viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn auch wir in Deutschland früher gehandelt hätten. Das war allerdings nicht der Fall. Sie haben auch über Europa geredet. Die Frage, die sich mir stellt: Welches Europa meinen Sie eigentlich? Ist es ein Europa der Gemeinsamkeiten, oder ist es ein Europa der Alleingänge? Sie haben nichts gesagt zu Frankreich; Sie haben nichts gesagt zu China; Sie haben nichts gesagt zu den USA. Gestern wurden die deutsch-französischen Regierungskonsultationen abgesagt mit der Begründung, dass vier Minister Ihres Kabinetts Paralleltermine hätten, keine Zeit hätten. ({0}) Ist Ihnen in diesem Augenblick eigentlich bewusst, wo wir doch ohnehin alle wissen, dass diese Begründung vorgeschoben ist, welch unglaublicher Affront es gegenüber Frankreich ist, zu sagen: „Die haben Besseres zu tun, als an den deutsch-französischen Regierungskonsultationen teilzunehmen“? Das ist ein Schaden, den Sie hier dem Verhältnis von Deutschland und Frankreich zufügen. ({1}) Wir hätten genügend Themen mit unseren französischen Freunden zu besprechen, etwa wie es bei FCAS weitergeht. Sie haben auf Ihre Prager Rede Bezug genommen. Da hatten Sie auch vom Raketenabwehrschild gesprochen – mit Frankreich null Komma null kommuniziert. Überhaupt kam das deutsch-französische Verhältnis in der Prager Rede gar nicht vor. Dass sich Frankreich dann darin nicht wiederfindet, darf wohl kaum erstaunen. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie heute Morgen beispielweise noch etwas zum Thema der Europäischen Politischen Gemeinschaft gesagt hätten. Welche Perspektive wird den Beitrittskandidaten geboten? Das ist ein Vorschlag, der ebenfalls von Macron kam. Kein Wort dazu! Gehen wir weiter, kommen wir zu China. Sie werden Anfang November China bereisen – wiederum ein Alleingang, nicht mit den europäischen Freunden und Partnern kommuniziert. Es wäre die Gelegenheit gewesen – ähnlich hat es Präsident Macron im Übrigen auch einmal gemacht: dass er Bundeskanzlerin Merkel, Jean-Claude Juncker und auch den chinesischen Präsidenten an einen Tisch geholt hat –, über die Dinge zu sprechen, die uns in Europa gemeinsam bewegen. Wenn wir wissen, dass zwei Drittel aller Halbleiter weltweit aus Taiwan kommen, wenn wir wissen, dass eine hundertprozentige Abhängigkeit von China bei Antibiotika besteht, dann wäre es schon sinnvoll, diese Dinge europäisch anzugehen und nicht in einem nationalen Alleingang. ({2}) Wir sehen einen weiteren Alleingang. Das ist dieser Wummi-Wumms mit 200 Milliarden Euro. Auch hier: null Komma null mit den europäischen Partnern kommuniziert, abermals Sendepause. Es wäre gut gewesen, auch hier im Vorfeld, wie es im Übrigen früher der Fall war, mit Frankreich und den anderen europäischen Freunden zu sprechen. Richtig ist, dass wir hier die deutsche Wirtschaft unterstützen. Falsch ist, das alleine zu machen und ohne jede Kommunikation mit unseren Freunden. Ebenfalls einen Alleingang ohne jede Kommunikation gab es beim Thema Energie. Es ist gut, dass jetzt die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert wird. Aber wir dürfen uns doch hier nicht in die eigene Tasche lügen. Es ist ein Streckbetrieb bis April. Es wäre besser gewesen, dem Vorschlag auch der FDP zu folgen und die Laufzeit der AKWs generell zu verlängern. Das wäre jetzt erforderlich gewesen, zumal wir in Europa auch an dieser Stelle kritisch beäugt werden. Es heißt nämlich: Wenn ihr Deutschen jetzt die Angebotsseite verknappt, dann verteuert sich nicht nur die Energie für euch, sondern eben auch für uns; denn Strom ist ein Gut, das international gehandelt wird, und Angebot und Nachfrage regeln nun einmal den Preis. ({3}) Herr Finanzminister Lindner, ich muss Ihnen schon auch sagen: Ich persönlich jedenfalls war erstaunt, dass, als es um die 200 Milliarden Euro ging, Sie als Finanzminister nicht ein anderes Preisschild drangehängt haben. Sie hätten nämlich locker sagen können: Ich mache es als Finanzminister zur Bedingung, dass die Laufzeiten der AKWs entsprechend verlängert werden, und dann erteile ich als Finanzminister auch meine Zustimmung. – Das war ein schwerer strategischer Fehler, den Sie hier innerhalb der Verhandlungen gemacht haben, und das müssen Sie sich eben auch ankreiden lassen. Wir haben keinen Fortgang beim Thema CETA. Wie geht es hier voran? Heute Morgen wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, hier einmal etwas dazu zu sagen, Klarheit zu schaffen. ({4}) Das wird zum x-ten Mal hier im Deutschen Bundestag verschoben. Das ist ein Affront gegenüber Kanada. ({5}) Stattdessen möchte Ihr Wirtschaftsminister das Handelsabkommen mit Chile wieder aufmachen. Vielleicht sollte man auch einmal daran denken, dass die Handelspolitik eine Kompetenz ist, die zu 100 Prozent bei der Europäischen Union liegt und nicht beim Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen war diese Regierungserklärung eine Rede der verpassten Chancen. Generell sollte vielleicht das afrikanische Sprichwort beherzigt werden: Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Aber wenn du weit gehen willst, dann gehe gemeinsam. – Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit in diesen kritischen Tagen. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Ariane Fäscher für die SPD-Fraktion. ({0})

Ariane Fäscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Interessierte! Putins Krieg wirft uns in die komplexeste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Zeitenwende. Zeitenwende mit vielen Dimensionen. Deswegen möchte ich jetzt einmal den Blick etwas weiten in die Langfristperspektive. Eine enorme Solidarität und Entschlossenheit ist in der EU sichtbar geworden. Darin zeigt sich ein erneuertes Europa, eine belastbare Gemeinschaft jenseits der Konfliktfelder erstarkter Nationalismen, eingeschränkter Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit. Krisen sind die Stunde der Exekutive. Achim Post wies zu Recht auf die Notwendigkeit der Vertiefung und Erweiterung der EU hin. Eine erweiterte Europäische Union wird langfristig gelingen, wenn ein Europa der Regierungen als ein Europa der Menschen unterfüttert werden kann. So fordern es die Ergebnisse der Zukunftskonferenz, und so fordert es der Bürgerblick auf die EU. ({0}) Einer der Gründerväter der europäischen Einigung, der französische Beamte Jean Monnet, ließ uns den Satz zurück: „Europa wird in Krisen geschmiedet und ist am Ende die Summe der Lösungen, die für diese Krisen gewählt werden.“ Diese Krise hat die Macht, uns entweder zu entzweien oder uns zu befähigen, jene Probleme zu lösen, die aus mangelnder Zusammenarbeit und Uneinigkeit entstanden sind. Hier kann insofern eine wirkliche europäische Chance erwachsen. ({1}) In der Debatte in Deutschland ist die europäische Gender- und Gleichstellungspolitik ein unterschätzter Aspekt. Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen sind kein Selbstzweck, sondern Voraussetzungen für nachhaltigen Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Der Europäische Rat widmet sich heute und morgen den Herausforderungen unserer Zeit. Stets lag die Stärke der Gemeinschaft in ihrer Fähigkeit, tragfähige Brücken nach außen zu schlagen, wie aktuell mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Eine wachsende EU wird jedoch neben einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik nur als ein Europa der Mehrheitsentscheidungen, gestärkter innerer Demokratie und mehr gemeinsamer Steuer- und Fiskalpolitik stark bleiben können. Das Europa der gleichen Lebensverhältnisse und einer europäischen Identität gelingt, wenn die Tiefe der Zusammenarbeit von Regierungen über die Parlamente in die Bürgerschaften reicht. Dafür sind allerdings lose Zusammenschlüsse zu wenig. Die EU ist wichtige Schritte für ein modernes, gerechtes Europa der Bürger/-innen gegangen. Da ist die Lohntransparenzrichtlinie, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Einblick in die Entlohnung gleichgestellter Kollegen ermöglicht. So lässt sich Lohngefälle zwischen den Geschlechtern verringern, aber auch zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Berufsabschlüssen. EU-weit verdienen Frauen 14 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Europaweit sind aber auch vor allem Frauen Verliererinnen der Krise. Sie sind verstärkt auf der Flucht, allein mit Kindern und alten Angehörigen. Sie sind stärker von der Energie- und Transportarmut betroffen, sind häufiger in Teilzeit oder prekär beschäftigt, müssen ihr Weniges mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen teilen und leiden öfter an Altersarmut. Gewalt und sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern nimmt in Krisen nicht nur zu, sondern sie werden nachgerade als Kriegswaffe eingesetzt. Neben Energiesicherheit und Frieden wird gelingender Klimaschutz immer mehr zur Grundlage für gleiche Lebensverhältnisse nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den Ländern und Regionen. Der Klima-Sozialfonds ist ein gelungener Ansatz der solidarischen Antwort auf die sozialen Herausforderungen des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft. Auch der europäische Mindestlohn ist mit erstmals einheitlichen Lohnstandards eine zentrale Errungenschaft des sozialen Europas. Atypische Beschäftigungen, niedrigste Löhne, prekäre Arbeit wie in der Plattformökonomie und das Lohngefälle zwischen Geschlechtern sind Themen, die wir national und vor allem auf EU-Ebene bekämpfen können und müssen. ({2}) Sozial- und Steuerdumping darf kein Wettbewerbsvorteil sein, nirgendwo. Deswegen sind diese Vorstöße wirkliche Pionierarbeit im sozialen Europa. Europäische Erlebnis- und Erwerbsbiografien, unterstützt durch umfassende Jugendbildungsprogramme, werden mit der Zeit eine europäische Identität prägen. Die künftigen Erasmus+-Generationen werden aus einer teilhabegerechten Europasicht den Phantomschmerz untergegangener Reiche und verlorener Großmächte ebenso wenig spüren, wie sie Nationengrenzen fühlen. ({3}) Das Recht jeder Europäerin bzw. jedes Europäers auf Sicherheit, Gleichstellung und Chancengerechtigkeit an jedem Ort, an dem sie bzw. er ihr Leben gestalten möchte, muss daher der Anspruch an die Lebenswirklichkeit der EU von morgen sein. Sie fordert Integrität, Solidarität, Augenhöhe von allen Staaten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Ariane Fäscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nichts weniger als das bedeutet am Ende eine gelungene Zeitenwende für Europa. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Anton Hofreiter hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die großen Herausforderungen unserer Zeit – die Klimakrise, die jetzige Energiekrise oder der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – werden wir nur bewältigen, wenn wir verstärkt europäisch zusammenarbeiten. ({0}) Deutschland ist ein großes, Deutschland ist ein mächtiges Land; aber im Vergleich zu diesen Herausforderungen ist es auch ein kleines Land. Wir müssen die Ukraine noch mal stärker unterstützen. Und wir müssen auch dafür sorgen, dass die Ukraine noch mal mehr Waffen zur Verteidigung bekommt. ({1}) Wenn ich höre, was hier von der linken und der rechten Seite dieses Hauses erzählt wird, nämlich dass man die Waffenlieferungen einstellen und doch einfach mal verhandeln soll, dann muss ich sagen: Das ist naiv, unverantwortlich und schlichtweg unterlassene Hilfeleistung. ({2}) Sie fordern sozusagen das Opfer zu Verhandlungen auf. Haben Sie eigentlich gemerkt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat ({3}) und dass Russland nicht bereit ist, zu verhandeln? Da hilft es nichts, die Opfer aufzufordern, zu verhandeln, sondern da hilft es nur, die Opfer zu unterstützen, damit sie sich wehren können. Nur dann haben wir eine Chance, zu echten Verhandlungen zu kommen, nur dann haben wir eine Chance auf Frieden. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? – Es scheint mir so.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Kollege Hofreiter. – Ich will auf die Polemik jetzt gar nicht weiter eingehen; aber ich hätte schon eine konkrete Nachfrage. Wenn Sie sagen, dass die Forderung nach Verhandlungen per se unmoralisch oder sonst was ist, dann ist das ein ziemlich absurder Ansatz, vor allem, wenn das vom linken Flügel der Grünen vorgetragen wird; das ist aber eine andere Frage. Was mich wirklich interessieren würde, ist Folgendes: Blicken wir mal zurück, und nehmen wir den großen Bundeskanzler Willy Brandt. Der hat damals beispielsweise mit Leonid Breschnew verhandelt, der nun wirklich kein Basisdemokrat gewesen ist. ({0}) Fanden Sie diese Art von Politik eigentlich falsch? Und was sagen Sie eigentlich zu den Verhandlungen, die beispielsweise Guterres mit dem Putin-Regime geführt hat, als es um die Ausfuhr von Weizen ging? Halten Sie das jetzt auch per se für unmoralisch? Mich würde Ihre Stellung dazu interessieren. ({1}) – Ja, ja.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für diese äußerst ungeschickte Frage. ({0}) Denn Sie haben bewusst versucht, die Wahrheit zu verdrehen. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, dass Sie die Ukraine nicht weiter unterstützen wollen, ({1}) Sie nicht weiter mit Waffen unterstützen wollen; das haben Sie gesagt. Sie wollen keine weiteren Waffen an die Ukraine liefern. Das ist nichts anderes als unterlassene Hilfeleistung. Dann gibt es gar keine Verhandlungen mehr, weil es dann nämlich gar keine Ukraine mehr gibt. ({2}) Es gäbe keine Ukraine mehr, wenn wir Ihre unverantwortliche Politik, die sich interessanterweise mit der von der gegenüberliegenden Seite dieses Hauses deckt, umsetzen würden. Das ist das Problem und das Unanständige an Ihren Forderungen. ({3}) Jetzt zur Union. Es ist ja allgemein bekannt, dass ich der Meinung bin und die Bundesregierung dränge, noch mehr zu tun. Ich höre auch aus den Reihen der Union immer wieder, dass die Bundesregierung mehr tun sollte. Aber wenn wir mitten in der Debatte darüber sind, ob die Bundesregierung noch mehr tun sollte – und ich bin froh über das, was wir bereits geliefert haben –, meldet sich Herr Merz persönlich zu Wort und wirft den Ukrainern Sozialtourismus vor. Das ist ein russisches Propagandanarrativ, und damit konterkarieren Sie alle Bemühungen, die Ukraine noch stärker zu unterstützen. Und dann sind Sie nicht mal in der Lage, sich ernsthaft zu entschuldigen, sondern Sie entschuldigen sich nur halbgar. ({4}) Das macht all die Bemühungen, die dringend notwendig sind, einfach unglaubwürdig. ({5}) Man muss halt ehrlicherweise sagen: Ja, wir tun vieles auf europäischer Ebene; aber wir müssen da einfach noch stärker werden. Wir haben zu lange gezögert – das müssen wir uns ehrlicherweise anrechnen lassen –, auf europäischer Ebene für einen gemeinsamen Erdgaseinkauf zu kämpfen. Da waren wir zu langsam. Es ist gut, dass wir das jetzt tun. Wir müssen da aber schneller werden, und wir müssen auch klarer werden. Wir dürfen nicht darauf reinfallen, wenn uns gesagt wird, wir verhielten uns wegen der 200 Milliarden Euro uneuropäisch, während andere Länder das Gleiche machen. Aber dieser Vorwurf fällt halt leicht, wenn wir so kommunizieren, wie wir es zum Teil getan haben. Deshalb tut es uns allen gut, wenn wir als Bundesregierung, als Regierungsfraktionen, im Idealfall als Gesamtheit aller Demokraten im Parlament, und zwar in allen Feldern, noch stärker darauf achten, was die Interessen, was die Bedürfnisse unserer Nachbarn sind, und dafür sorgen, dass wir in Europa zusammenhalten; –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– denn dann sind wir stark. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Markus Töns hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich die Kritik der Opposition an der Regierungserklärung des Kanzlers heute gehört habe, muss ich feststellen: Substanziell war sie nicht. ({0}) Von Herrn Merz etc. kam eigentlich gar keine Kritik. Das heißt, so schlecht kann das heute Morgen gar nicht gewesen sein. ({1}) Der Bundeskanzler hat sehr deutlich gesagt, was die Haltung der Bundesregierung ist, was die Haltung der Bundesrepublik Deutschland ist, mit welcher Haltung er in diesen Europäischen Rat geht und dass er das zentrale Ziel hat, dort zu einer Einigung mit unseren europäischen Freundinnen und Freunden zu kommen. Das ist gut für unser Land, und das ist gut für Europa. ({2}) Eines ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Diese Energiepreiskrise kann nur europäisch gelöst werden. Das ist heute Morgen deutlich geworden. Es geht um einen gemeinsamen Einkauf. Es geht um Preisgrenzen für den Gasmarkt; auch das muss europäisch gelöst werden. Es geht um die Solidarität der Mitgliedstaaten. Und es geht zentral auch darum, gemeinsam Energie zu sparen. Darum geht es in diesen Fragen. ({3}) Deshalb sind erste Schritte gemacht worden; das ist heute Morgen schon erwähnt worden. Es wird auf europäischer Ebene einen gemeinsamen Gaseinkauf geben. Es gibt Gaslieferungen aus Frankreich. Und es gibt unsere europäische Verantwortung gegenüber unseren europäischen Partnern, sie mit Gas zu unterstützen, beispielsweise Tschechien, das Gas braucht, aber auch Strom liefert. All das ist zu begrüßen. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass das auch dem Europäischen Rat gelingen wird. Denn eines ist klar: Europa war immer dann stark, wenn es sich in der Krise zusammennehmen musste, wenn es in der Krise verstanden hat: Wir schaffen das nur alle gemeinsam, als Einheit. – Ich glaube, das ist wichtig. Dass man vor dem Europäischen Rat unterschiedliche Positionen hat, ist durchaus richtig; das muss man immer zugrunde legen. Diese europäischen Lösungen, die wir in den nächsten zwei Tagen erwarten – wir erhoffen sie und sind überzeugt, dass sie kommen –, werden der Grundstein für die G-7-Vereinbarungen sein. Sie werden im Rahmen der G‑7-Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung unseres Bundeskanzlers auf eine breitere Basis gesetzt werden. Der Punkt ist, dass wir sagen: Europa gemeinsam und dann G 7, dann wird das auch funktionieren. ({4}) Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen – ich finde, das ist in der heutigen Debatte ein bisschen zu kurz gekommen –, ist die Frage, wie wir mit dem Globalen Süden umgehen. Wir dürfen das nicht vergessen. Es geht um Ernährungssicherheit; es geht um Energiesicherheit auch für die armen und ärmsten Länder in dieser Welt. Europa muss sich für den Süden engagieren, sonst sind diese Länder den Despoten dieser Welt ausgeliefert. Dann passiert es, dass China oder Russland deren Politik bestimmen. Das kann nicht im Interesse Deutschlands sein, nicht im Interesse Europas und nicht im Interesse der Demokratien in dieser Welt. Das muss man, glaube ich, noch mal herausstellen. ({5}) Ich will an der Stelle auch sagen: Ich bin ganz zuversichtlich, weil ich froh bin, dass wir einen Kanzler an der Spitze haben, der ein europäischer Kanzler ist. ({6}) Wir sind in einer Krise. Aber ich bin sehr beruhigt, weil zum ersten Mal ein Kanzler in einer Krise zu einem Europäischen Rat fährt, der nicht die Absicht hat, das auszusitzen, wie wir das 16 Jahre unter Angela Merkel hier erlebt haben. ({7}) Er ist ein starker Kanzler, und das gehört sich auch so. ({8}) Die Bundesrepublik Deutschland und der Kanzler werden sich für europäische Lösungen einsetzen. Da geht es um wichtige Punkte, die wir erarbeiten müssen. Ein Punkt ist zum Beispiel die Resilienz in der Energieversorgung und in den Lieferketten. Das können wir nur europäisch erreichen. Darum geht es auch auf diesem Gipfel. Wir brauchen keine nationalen Alleingänge, sondern wir brauchen internationale Solidarität, das heißt europäisch und auch auf der G‑7-Ebene. Ich will am Ende meiner Rede einen Gründervater der Europäischen Union zitieren, der noch mal deutlich macht, worauf es ankommt, worum es uns gehen sollte. Paul-Henri Spaak hat mal gesagt – und ich finde, der Satz ist immer noch richtig –: In Europa gibt es nur zwei Typen von Staaten: kleine Staaten und Staaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind. Das bedeutet für uns Solidarität auf europäischer Ebene. ({9}) Dafür kämpfen wir: mit dieser Bundesregierung, in dieser Koalition und mit diesem Bundeskanzler. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Robert Farle hat jetzt das Wort.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz! Meiner Meinung nach befindet sich unser Land in größter Gefahr, und ich glaube, dass Sie diese Gefahr in ihrer ganzen Dimension noch nicht realisiert haben, weil Sie viel zu sehr einem Diktator in der Ukraine vertrauen, der als Präsidentendarsteller des Oligarchen Kolomojski an die Macht gekommen ist und im Auftrag der USA in Russland einen Regimewechsel herbeiführen soll. ({0}) Dieser Selenskyj hat vor wenigen Tagen aufgerufen, einen präventiven Atomschlag gegen Russland durchzuführen, und schließt per Dekret sämtliche Verhandlungen mit Putin über einen Waffenstillstand aus. ({1}) Es ist eben nicht Putin, der Verhandlungen ablehnt, sondern es ist Selenskyj, der zu keinerlei Verhandlungen bereit ist. Und diese Sabotage durch Selenskyj, eine friedliche Lösung zu finden, ({2}) die muss durchbrochen werden. Dazu fordere ich Sie als Bundeskanzler auf, alles in diesem Sinne zu unternehmen und aus der Kriegsrhetorik dieses Landes auszusteigen, die überall in unseren Massenmedien derzeit praktiziert wird. ({3}) Mit Rückendeckung von Biden versucht er ganz Westdeutschland in einen Krieg mit Russland hineinzuführen und peilt einzig und allein eine militärische Lösung des Konflikts an. Das ist Wortlaut Selenskyj: Es gibt nur eine militärische Lösung. ({4}) Eine solche militärische Lösung in einem konventionellen Krieg kann es aber gegen eine Atommacht überhaupt nicht geben, es sei denn, man arbeitet final im Rahmen einer Eskalationsspirale Schritt für Schritt auf den Untergang der gesamten Welt hin; manche nennen das „Armageddon“ oder sonst wie. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Aus dieser Spirale muss man rauskommen. In dieser Situation ist von Ihnen, Herr Scholz, Führungsstärke gefragt; denn von Ihnen hängt ab, dass endlich das Wichtigste in Angriff genommen wird, nämlich sofort die Herbeiführung eines Waffenstillstandes einzuleiten und Selenskyj zurückzupfeifen, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Farle.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

– der nicht über unser aller Schicksal entscheiden kann ({0}) und mit seinen Alleingängen gestoppt werden muss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Farle, die Redezeit ist abgelaufen.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

Ich hatte drei Minuten. ({0}) Gut, wenn die rum sind; das Wichtigste habe ich hier zum Ausdruck gebracht. ({1}) Das ist dann in diesem Zusammenhang mein letzter Satz: Sie haben die Möglichkeit, einzuwirken. ({2}) Nutzen Sie diese Möglichkeit für eine friedliche Lösung, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Farle, die Redezeit ist abgelaufen.

Robert Farle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005053

– die man nur in Verhandlungen zustande bringen kann! Vielen Dank.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal gibt es besondere Zufälle, was die Redeabfolge anbelangt. ({0}) Ich habe mich mit meinem Vorredner vor fast 50 Jahren in Bochum darüber gestritten, ({1}) inwieweit wir die Intervention der Sowjetunion und anderer Warschauer-Pakt-Staaten zur Niederschlagung des Prager Frühlings verurteilen und dagegenstehen. Einer der härtesten Repräsentanten der DKP vom MSB Spartakus war Robert Farle. ({2}) Der Verteidiger der Niederschlagung des Prager Frühlings Anfang der 70er-Jahre bei Bochumer Debatten ist heute derjenige, der versucht, den ukrainischen Präsidenten zu diffamieren und niederzumachen. Das war eine Rede der Schande, die wir heute gehört haben. ({3}) Es ist vielleicht auch ein besonderes Drama in der deutschen Geschichte, dass man von einem Stalinisten zu einem Rechtsextremisten mutieren kann. Ich bin froh, dass es so wenige davon noch in Deutschland gibt. Und es ist gut, dass wir die Diskussion heute so geführt haben, wie wir sie auf dieser Seite des Hauses miteinander geführt haben. ({4}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst uns angesichts der historischen Dimension die Dinge ein bisschen stärker einordnen. Das, was wir heute zu bewerkstelligen haben, ist tatsächlich die größte Herausforderung seit 1945, und deshalb müssen wir genau solche Maßstäbe anlegen. Selbst die deutsche Wiedervereinigung ist nur zum Teil vergleichbar. Aber die Erfahrung damals war – damals regierten FDP und CDU/CSU; die SPD hatte die Mehrheit im Bundesrat –: Keine der Parteien hatte eine Blaupause, keine hatte ein Konzept für die deutsche Wiedervereinigung. Trotzdem ist es gemeinsam gelungen, dieses Ereignis zu einer Erfolgsgeschichte zu machen, worauf wir zu Recht drauf stolz sein können. ({5}) Es war möglich, weil wir hier Debatten geführt haben. Es war damals möglich, weil auch die Opposition SPD insgesamt zugestimmt hat. Ich bin ganz sicher: Auch die Opposition CDU/CSU wird den Vorschlägen – auch was die 200 Milliarden Euro anbelangt – zustimmen; ansonsten würden Sie weder Ihrer deutschen noch Ihrer europäischen Verantwortung gerecht. ({6}) Und da sind wir beim Liefern. ({7}) Wir hatten ja das große Glück – das ist auch historisch –, dass bei der Zeitenwende von 1969 hin zur Entspannungspolitik einer Bundeskanzler wurde, der schon als Außenminister damit begonnen hatte. Und als es darum ging, das Europäische Währungssystem zu entwickeln bis hin zur Direktwahl des Europäischen Parlaments, hatten wir einen Bundeskanzler, der vorher schon Finanzminister war. Ich finde, es ist gut, dass wir jetzt wieder einen Bundeskanzler haben, der schon als Finanzminister in Europa gezeigt hat – Stichwort „Wiederaufbaufonds“, Stichwort „Globale Mindestbesteuerung“ –, dass er in der Lage ist, zu europäischen Lösungen zu kommen, die jetzt auch praktisch umgesetzt werden. Und das ist auch gut so. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, weil wir bei Europa sind: Es wird darauf ankommen, dass wir weiterhin kritisch diskutieren, was mehr sozial, konservativ, liberal, ökologisch usw. ist. Aber eines dürfen wir nicht: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regeln, die wir gemeinsam beschlossen haben, infrage gestellt werden. Die Regeln, die wir gemeinsam beschlossen haben, werden jedoch derzeit infrage gestellt, und zwar nicht nur durch Regierungen in Ungarn – eine frühere christdemokratische Partei, die aus der EVP ausgetreten ist – oder Polen, sondern in Zukunft auch in Italien und Schweden, wo Christdemokraten zusammen mit Postfaschisten – da hängt noch der Mussolini beim Senatspräsidenten in der Wohnung – bzw. gestützt durch die antidemokratischen Schwedendemokraten regieren. Genau das haben sie 2023 auch in Spanien so vor. Die Union in Europa, die Christdemokraten, die EVP wird sich entscheiden müssen, ob sie diese Wertegemeinschaft, die uns hier verbindet, verteidigt oder ob sie aus parteitaktischen Gründen mit Rechtsradikalen und Rechtsextremisten, die mit der AfD in einer Fraktion des Europäischen Parlaments sind, paktiert. Genau darum wird es gehen. Wo die SPD steht, wo diese Koalition steht mit Olaf Scholz, mit Finanzminister Lindner, mit Habeck und mit Baerbock, das ist völlig klar. Deshalb werden wir das auch genau so hinbekommen. Vielen Dank. ({9})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines kann man über diese Krise ganz sicher sagen: Ohne Forschung und ohne Wissenschaft, ohne Technologie werden wir uns aus der Mangellage nicht befreien können. Wir brauchen also die Wissenschaft, um uns zu retten. Heute aber müssen wir darüber reden, die Wissenschaft zu retten. Wir können hier im Deutschen Bundestag locker 20 Prozent Energie sparen, indem wir die Heizung niedriger stellen, indem wir das Licht ausmachen. Aber wenn man zum Beispiel eine Biodatenbank oder eine Genbank betreibt, wie das unsere Forschungsorganisationen tun, geht das nicht so einfach. Beim Leibniz-Institut werden Dinge bei minus 196 Grad konserviert. Das Max-Planck-Institut betreibt Tierhäuser mit 50 000 Mäusen. Das Forschungszentrum Jülich hat einen Supercomputer. Weitere Supercomputer gibt es in Garching und Stuttgart. Alleine der Supercomputer in Jülich braucht 130 Gigawattstunden pro Jahr, der Teilchenbeschleuniger von DESY in Hamburg 210 Gigawattstunden pro Jahr. Das alles macht deutlich, dass in der Wissenschaft und Forschung nicht einfach 20 Prozent gespart werden können. Bei diesen ganzen Geräten, über die wir reden, und vielen Einrichtungen ist es eben so: Man kann sie nicht ein bisschen herunterfahren – es geht hier um Milliardeninvestitionen des Staates –, sondern man kann sie am Ende einfach nur abschalten. Deshalb gibt es laute Hilferufe aus der Wissenschaftsgemeinschaft. Frau Professor Becker von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht einen Bedarf von bis zu 3 Milliarden Euro. Professor Stratmann von der Max-Planck-Gesellschaft, der gerade einen Nobelpreis für Deutschland nach Hause gebracht hat, hat diese Woche im Ausschuss von 100 Millionen Euro Mehrkosten nur für die Max-Planck-Gesellschaft geredet; in den nächsten Jahren reden wir von bis zu 400 Millionen Euro. Was uns ganz besonders nachdenklich macht und wovor wir Sorge haben: Alleine bei der Max-Planck-Gesellschaft – ich bleibe bei dem Beispiel – werden Tausend neue Doktoranden pro Jahr eingestellt. Gerade wurde ein neues Nachwuchsprogramm mit 20 bis 30 Millionen Euro aufgelegt. Das alles sind Dinge, die jetzt wahrscheinlich infrage gestellt werden müssen, wenn es keine Finanzierung in dieser Notlage gibt. Meine Damen und Herren, es droht der unwiederbringliche Verlust von Forschungsergebnissen. Man stellt sich die Frage: Ist das Problem eigentlich über Nacht gekommen? Wir haben bereits am 28. Juli dieses Jahres an die BNetzA geschrieben, in persona Stephan Albani und ich. Wir haben Ihnen, Frau Ministerin, am 3. August eine Kleine Anfrage zu dem Thema gestellt. Darauf haben Sie am 29. August lapidar geantwortet: Es gibt in dieser Bundesregierung seit Monaten Nachtstunden. Ein Rettungspaket jagt das nächste: drei Entlastungspakete, Anhebung des Grundfreibetrags und Arbeitnehmerpauschbetrags, Einmalzahlungen für Leistungsempfänger, Kinderbonus, Energiepreispauschalen, Heizkostenzuschuss, Homeoffice-Pauschale, Erhöhung des Sparerpauschbetrags, sogar ein Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen. Was ist bisher für Forschung und Wissenschaft in diesen Paketen erreicht worden? Sie haben es schlicht vergessen. Seit Monaten werden Hilfspakete geschnürt, aber am Ende stehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor einem ganz schwierigen Szenario. Frau Ministerin, das, was von Ihnen verlangt wird, das, was Ihre Aufgabe ist, ist, Schutzpatronin der Forschung zu sein. Das erwarten viele da draußen. Sie setzen ihre Hoffnungen in Sie. Es ist ein gutes Zeichen, dass Sie aufgrund unserer Debatte heute jetzt endlich im „Handelsblatt“ erklärt haben: Es braucht auch einen Rettungsschirm für die Wissenschaft. – Aber, Frau Ministerin, das alles am 20. Oktober ist viel zu spät und viel zu ungewiss, weil es eben noch kein Regierungskonsens ist. ({0}) Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation gemacht mit 3 Prozent Steigerung der Mittel pro Jahr. Das ist der letzte Rettungsanker, den die Wissenschaftsorganisationen gerade haben. Sie, Frau Ministerin, haben uns noch im Frühjahr vorgehalten, wir hätten damit den Haushalt versteinert. Da frage ich mich natürlich: Was waren Ihre Ideen für den Haushalt, wenn Sie diese 3 Prozent Wachstum als Versteinerung gesehen haben? Ich will es mir gar nicht vorstellen. DATI und Startchancen, ihre beiden Lieblingsprogramme, sind in weiter Ferne, und wer weiß, ob Sie nicht an diesen Haushaltszahlen hätten kratzen wollen, um das hier schneller zu realisieren. Die Priorität muss darin bestehen, Sicherheit und Zuverlässigkeit für das Forschungs- und Wissenschaftssystem in Deutschland zu geben. Wir haben das getan. Als wir vor zwei Jahren in der schwierigen Coronaphase waren, wurden nicht nur Entlastungspakete auf den Weg gebracht, sondern da haben wir auch ein 15‑Milliarden-Euro-Paket nur für den Bereich BMBF gemacht. Allein die 9 Milliarden Euro zum Wasserstoff, mit denen Sie sich auch schmücken, stammen aus den Coronaprogrammen. Das gilt auch für die 2 Milliarden Euro fürs Quantencomputing, für die Mittel für künstliche Intelligenz und vieles mehr. Deshalb brauchen wir jetzt – das haben wir hier heute beantragt – ein Entlastungspaket für die Wissenschaft. Darin muss der Status „geschützte Kunden“ enthalten sein. Immer noch sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen unsicher, ob sie in einer Mangellage nicht abgeschaltet werden müssen. Sie müssen als geschützte Kunden definiert werden. Wir brauchen zum Zweiten eine genaue Bedarfsanalyse. Welche Einrichtungen haben welche Energieverbräuche und können selber nicht einsparen? Was muss ein solches Paket leisten? Wir brauchen dafür einen Notfallfonds, einen Energiepreisdeckel Wissenschaft, und die Zahl der Promotionsvorhaben darf nicht sinken. Dafür braucht es eine Verabredung mit den Ländern. Meine Damen und Herren, das ist heute die Chance für Sie als Regierung, endlich die Rolle als Schutzpatron der Wissenschaft einzunehmen. Frau Ministerin, tun Sie was. Es ist allerhöchste Zeit. Unsere Wissenschaft ist in Gefahr. Es liegt in Ihren Händen, jetzt endlich zu handeln. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Holger Mann hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Holger Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005140, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ob die Ionen- und Elektronenquellen am Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung oder auch die Kühlkammern oder die DNA-Sequenzierer mit Bioproben am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie – an der Stelle sei gesagt, Herr Jarzombek, weil Sie den Nobelpreis jemand anderem zugesprochen haben, es war Swante Pääbo, der die Forschung leistete, die ihm den Nobelpreis einbrachte ({0}) und damit sicherlich auch dem Max-Planck-Institut; an dieser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch an ihn und die Forschungsorganisation –, ({1}) ob im Gewächshaus des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, ob im Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek oder auch in ihrem Archiv, überall brauchen Forscher und Wissenschaftler Energie, um ihre Arbeit fortzusetzen, oder auch nur, um die Forschungsgegenstände konservieren zu können. So wie an diesen vier Forschungsinstitutionen im Nordosten von Leipzig steigen gerade in ganz Deutschland die Kosten für Strom und Wärme. Kurzum: Natürlich ist auch die Wissenschaft stark betroffen und braucht Unterstützung in der Energiepreiskrise. Deshalb sage ich deutlich: Die SPD steht dafür, dass Forschungseinrichtungen von der Gaspreis- und Strompreisbremse profitieren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dies bereits am 2. September in ihrem Positionspapier „Die Krise gemeinsam und solidarisch meistern“ beschlossen. Nach den folgenden Koalitionsbeschlüssen ist die Gaspreis- und Strompreisbremse nun in Vorbereitung, und das ist wirklich gut. ({2}) An der Stelle sei schon einmal gesagt, auch wenn uns das morgen noch einmal beschäftigen wird: Wir alle können morgen im Bundestag mit dem Beschluss zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds selbst einen Beitrag dazu leisten, dass dies schnell auf den Weg kommt. ({3}) Ich bin zudem dankbar, dass gerade erst am Dienstag bei acatech der Bundeskanzler Olaf Scholz eindeutig klargemacht hat: Natürlich fallen auch die Forschungseinrichtungen unter die Regelungen der Gaspreis- und zukünftigen Strompreisbremse. Und wenn bisher schon galt „You will never walk alone“, gilt jetzt erst recht „You will never do research on your own“. ({4}) Die Wissenschaft ist also weder von der Wirtschaft noch von der Gesellschaft entkoppelt und kann sich daher darauf verlassen, dass wir die Energiepreiskrise gemeinsam und solidarisch bewältigen. Die Bundesregierung bereitet deshalb die systemische Unterstützung per Gaspreis- und Strompreisbremse vor, und das halte ich auch für richtig, weil viele Einzellösungen uns zu viel Zeit kosten werden. Das ist der richtige Ansatz. Ich finde auch, die Voraussetzungen dafür, dass dies schnell bei Forschungseinrichtungen ankommt, sind gegeben. Die meisten Forschungsinstitute haben einen großen Energiepreisanbieter mit langfristigen Verträgen. Das Andocken an die Gaspreis- und Strompreisbremse ist also im Vergleich relativ einfach zu realisieren, wie auch bei großen Industrieunternehmen. Zudem handelt es sich hier nicht um gewinn-, sondern um gemeinwohlorientierte Einrichtungen. Es muss also auch niemand befürchten oder gar unterstellen, dass subventionierte Energie weiterverkauft wird. An dieser Stelle, glaube ich, ist dieses Instrument geeignet, um die Energiekostensteigerungen abzufangen. Darüber hinaus – das haben Sie ja gerade auch noch einmal gewürdigt – haben sich Bund und Länder im Pakt für Forschung und Innovation langfristig zu kontinuierlichen Mittelaufwüchsen der Forschungsgemeinschaften verpflichtet. Da sei zumindest gesagt: Die vier großen Forschungsgemeinschaften haben aktuell mehrere 100 Millionen Euro Rücklagen, und – wir können das ja auch einmal stolz sagen – sie haben auch das Know-how und das Personal, um weitere Effizienzgewinne zu heben. Für die SPD kann ich zudem sagen: Wir erwarten von der GWK am 3. November weitere Einigungen zwischen Bund und Ländern für die finanzielle Unterstützung des gesamten Wissenschaftssystems. Herr Jarzombek, ich halte bei allem notwendigen Problembewusstsein und bei aller Krisenbekämpfung nichts von Panikmache. Um Existenzbedrohung, wie in Ihrem Antrag formuliert, geht es derzeit wirklich in anderen Bereichen. Dennoch gebe ich Ihnen an einer Stelle recht: Das BMBF wird den Dialog mit den unterschiedlichen Forschungseinrichtungen stärker führen müssen, insbesondere was die Risikovorsorge für den Fall einer Stromnotlage angeht. Ich will zum Schluss zumindest noch kurz darauf hinweisen, dass wir neben all den institutionellen Vorkehrungen auch auf individueller Ebene mit mehreren Entlastungspaketen schon einiges getan haben; konkret mit dem Heizkostenzuschuss I und ab heute auch mit dem Heizkostenzuschuss II – hoffe ich doch –, mit der Einmalzahlung, mit der BAföG-Erhöhung oder dem neuen Notfallmechanismus. Direkte finanzielle Unterstützung gibt es darüber hinaus auch für Lernende und Forschende. Und – das will ich hier festhalten – wir werden im Verbund mit den Ländern alles Notwendige tun, um den Betrieb der Bildungs- und Forschungseinrichtungen zu sichern und damit die Zukunft unseres Landes und unserer Wissenschaft. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner für die AfD ist Dr. Marc Jongen. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben in diesen Tagen einen gewaltigen krachenden Zusammenstoß – einen Wumms, in Ihrer Sprache gesprochen –, und zwar von politischen Illusionen und Ideologien mit der Realität. Die Illusionen sind überaus hartnäckig, wie wir bestürzt feststellen müssen, aber das Realitätsprinzip ist härter und wird eine nach der anderen zum Platzen bringen. Es ist nur noch eine Frage kurzer Zeit, meine Damen und Herren. ({0}) Deutschland ist mittlerweile so heruntergewirtschaftet von den wechselnden Illusionisten auf der Regierungsbank, dass wir allen Ernstes darüber diskutieren, welche Wirtschaftszweige, welche Bevölkerungsgruppen oder welche Forschungsstätten demnächst noch Strom und Heizung haben und wo beides abgeschaltet werden muss. Ich frage Sie alle: Merken Sie eigentlich noch, in welchen Abgrund Sie dieses Land hineinmanövrieren? Von einer führenden Industrienation zum Industriemuseum, wenn es so weitergeht, meine Damen und Herren. ({1}) Heute fordert die CDU von der Ampel ein Entlastungspaket und einen Notfallfonds für die Wissenschaft, die in der Tat an den Energiekosten zu ersticken droht. Am Forschungszentrum Jülich rechnet man dieses Jahr mit Mehrkosten von 40 Prozent; 2023 könnten sich die Energiekosten verdoppeln. Dann wird am Personal gespart werden müssen, vor allem junge Wissenschaftler werden ihre Stellen verlieren. Ein großer Blackout hätte existenzbedrohende Folgen für die Forschung, allein schon wegen der ausfallenden Datensicherung. Aber hier ruft doch der Brandstifter nach der Feuerwehr, werte CDU; denn Sie sind ja selbst maßgeblich verantwortlich für diese Misere. Es war die schwarz-gelbe Koalition unter Kanzlerin Merkel, die 2011 den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen hat, und es war Merkel, die Deutschland hochgradig abhängig von russischem Gas gemacht hat. Zusammen mit der SPD haben Sie dann den grünen Windradwahn ins Werk gesetzt, der ein energiepolitisches Luftschloss war und ist, im wahrsten Sinne des Wortes, weil die Windkraft nicht grundlastfähig ist. Sie fordern jetzt mit großem Tamtam auch nur die Laufzeitverlängerung, aber halten prinzipiell am Ausstieg aus der Kernkraft fest. Das ist doch armselig und ideenlos. ({2}) Jetzt stellen Sie plötzlich die Kurzatmigkeit der aktuellen Bekämpfung der Energiekrise fest und fordern eine langfristige Strategie für sichere und bezahlbare Energieversorgung, ohne in Ihrem Antrag auch nur eine einzige Idee anzudeuten, worin diese Strategie bestehen könnte. Das muss man erst einmal fertigbringen. Dabei liegt es auf der Hand, dass es nur um die Rückkehr zur Kernenergie und die Beendigung der Russland-Sanktionen gehen kann, meine Damen und Herren. ({3}) Hören Sie auch bitte auf mit der abgeschmackten Ausrede, Putin und der Krieg seien an allem schuld. ({4}) Nein, Deutsche zahlen mit die höchsten Strompreise weltweit – beim Gas doppelt so viel wie unsere polnischen Nachbarn und etwa dreimal so viel wie in Ungarn – nicht wegen des Krieges in der Ukraine – der hat die hausgemachten Probleme nur verschärft –, ({5}) sondern wegen der dümmsten Energiepolitik der Welt, wie das „Wall Street Journal“ treffend schrieb, nämlich der deutschen. ({6}) Und es rächt sich jetzt bitter, dass man in Deutschland die Ingenieurskompetenz in Sachen Kernkraft systematisch zerstört hat auf Betreiben der grünen Ideologen und dass auch der politische Druck auf die Wissenschaft kaum noch eine offene wissenschaftliche Diskussion über die Ursachen des Klimawandels und den Umgang damit zulässt. ({7}) Wir müssen wegkommen von dem Dogma der Weltrettung von Deutschland aus und stattdessen – hören Sie doch mal besser zu – kreative Ideen entwickeln, wie wir uns an höhere Temperaturen und wechselnde Wetterlagen anpassen können, ({8}) ohne unsere Wirtschaft und aktuell sogar unser Wissenschaftssystem massiv zu schädigen. Daraus können auch große Chancen erwachsen. ({9}) Die AfD-Fraktion – ich komme zum Schluss – ist für die prioritäre Stromversorgung wichtiger Forschungseinrichtungen im akuten Krisenfall, aber wir sehen darin nur eine hilflose Symptombekämpfung. Wir brauchen die energiepolitische Wende jetzt, bevor es zur Katastrophe kommt. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Laura Kraft hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Laura Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005113, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle sind uns in einer Sache einig: Wissenschaft und Innovation gehen Hand in Hand, ohne Wissenschaft gäbe es keinen Fortschritt, und wir müssen jetzt auch die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen in unserem Land schützen. Wissenschaft ist der Schlüssel für die Überwindung von Krisen, und deshalb müssen wir hier jetzt mehr tun. ({0}) In dieser aktuellen Krise ist das Wissenschaftssystem von enormen Energiepreisen betroffen und muss auch über den Winter kommen. Darum müssen wir Forschungseinrichtungen, universitäre wie auch außeruniversitäre, während der Krise unterstützen. Gerade deshalb hat das BMBF bereits beim Bundeskanzler dafür geworben, dass Wissenschaft, aber auch energieintensive Forschungseinrichtungen im wirtschaftlichen Abwehrschirm der Bundesregierung berücksichtigt werden. Es ist erklärtes Ziel der Ampel, das Wissenschaftssystem unbedingt zu schützen. Ich bin froh, dass wir heute über die Bedeutung der Energieversorgung der Forschungseinrichtungen diskutieren. Der Antrag der Union enthält Schlussfolgerungen, die so nicht ganz richtig sind. Wir wollen auf keinen Fall, dass es zu irgendwelchen Schäden kommt, wie etwa an unwiederbringlichen Biodatenbanken, oder dass Tiere in Tierhäusern zu Schaden kommen oder dass irgendwelche Daten verloren gehen. Das wollen wir natürlich nicht, und wir werden alles dafür tun, dass das nicht passiert. ({1}) Wir nehmen die kritische Lage äußerst ernst, und wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen. Entlastungen mit besonderem Fokus auf Bildung und Wissenschaft müssen jetzt folgen, und das werden sie auch. Es darf jedoch nicht sein, dass Hochschulen wieder befürchten müssen, ausschließlich in den Onlinebetrieb zurückzukehren. Die Kosten, die dann womöglich bei den Hochschulen eingespart werden, landen dann wieder bei den Studierenden, und die haben in der Pandemie ja nun wirklich am meisten zurückgesteckt. ({2}) Die Situation der Kostensteigerungen muss im Gesamtpaket betrachtet werden. Unterstützung muss auch bei den Hochschulen, den Mensen und den Studierendenwerken ankommen. Dabei hoffe ich auf gute Zusammenarbeit mit den Ländern, die hierbei auch gefragt sind. Unterstützung der Studierenden ist im Bereich „Verpflegung und Wohnen“ von immenser Bedeutung; denn das sind mit die größten Kostenpunkte, die Studierende haben. Die Mieten in Wohnheimen steigen teilweise deutlich. An der Uni Siegen in meinem Wahlkreis werden ab Januar zum Beispiel die Wohnheimmieten um 70 bis 100 Euro pro Monat angehoben. Gleichzeitig wird aber oftmals auch das Essen in den Mensen teurer. Das kann man natürlich auch verstehen, weil auch die Mensen Mehrkosten durch die Lebensmittelpreissteigerungen haben. Und damit Studierende sich nicht zwischen warmer Wohnung oder warmer Mahlzeit entscheiden müssen, muss nach der Strompreisbremse dann auch die Mensapreisbremse kommen. ({3}) Die Frage, wo gespart wird und wo nicht, ist in dieser Zeit von großer Bedeutung. Teilweise besteht ein sehr hohes Einsparpotenzial. Darum freut mich die Nachricht, dass viele Hochschulen das Ziel verfolgen, 15 bis 20 Prozent Energie einsparen zu wollen. Das ist aber an anderen Stellen schwierig. Wenn Einrichtungen ihre Forschung nicht weiter betreiben können, handeln wir uns Probleme mit langfristigen Konsequenzen ein; denn die Forschung ist ein großer Innovationstreiber in Deutschland. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen von Einschnitten in der Wissenschaft wären verheerend. Wissenschaft braucht eine gute Finanzierung, Sicherheit und Stabilität. Dafür stehen wir ein. Dafür setzen wir uns ein. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Petra Sitte jetzt das Wort. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, für Wissenschaft und Forschung ist die Lage gerade wirklich ernst. Viele in der Wissenschaft – Einrichtungen genauso wie Forschende und Studierende – sind mit explodierenden Preisen ohne Frage überfordert. Da stimme ich den Kollegen zu. Energiekrise und Inflation folgen nunmehr auf gut zwei Jahre Pandemie. Schon in dieser Zeit sind Forschungsprojekte weggerutscht. Lehrende und Lernende haben sich aufgeräufelt, um den Wissenschafts- und Lehrbetrieb zu sichern. Ich kann da nur sagen: Danke, Danke, Danke! ({0}) Studierenden sind in dieser Zeit Nebenjobs verloren gegangen, ohne dass wirklich geholfen wurde. Also: Tatenlosigkeit in der Krise kennt man nicht erst von dieser Regierung. So weit, so schlecht. Was ist zu bedenken? Was ist zu tun? Ich will das breiter aufstellen, als das der Kollege von der CDU gemacht hat. Erstens. Hochschulen brauchen dringend Unterstützung, damit der Lehr- und Forschungsbetrieb ohne Einschränkungen weitergehen kann. Das haben Sie auch versprochen. Hochschulen sind aber eben auch seit Jahren unterfinanziert. Das belastet längst Studierende und Beschäftigte. Noch einen Winter mit eingeschränkter Präsenz – diesmal aber, weil es zu kalt ist – müssen wir unbedingt verhindern. ({1}) Zweitens. Ich will nicht irgendeine Mensapreisbremse. Ich rede über das Deutsche Studentenwerk, das wir nicht auf den Energiekosten sitzen lassen können. Klar geht es auf der einen Seite um Mensen, die offengehalten werden müssen. Aber wie sollen auf der anderen Seite beispielsweise Studierendenwohnheime erschwinglich betrieben und dann auch vermietet werden können? ({2}) Dort erleben wir bereits jetzt Mietsteigerungen von 60 Euro. Sie können ja selber mal ausrechnen, wie lange beispielsweise der Heizkostenzuschuss dafür reicht, der ja eigentlich noch nicht mal originär für die Miete gedacht ist. Es muss also mehr passieren. Da stimme ich nun wiederum der Kollegin zu. ({3}) Drittens. Es ist noch nicht erwähnt worden, aber da brennt wirklich der Baum: Viele Universitätskliniken können derzeit nicht sagen, wie sie ihren Betrieb weiterführen sollen, wenn die Energiepreise tatsächlich um bis zu 400 Prozent steigen. Auch die Preise für Sachmittel, Lebensmittel, medizinischen Bedarf sind um gut 30 Prozent gestiegen. Auch diese dürfen wir nicht alleine lassen. Es geht ja auch um Ausbildungskrankenhäuser bzw. Maximalversorger. ({4}) Viertens. Unikliniken wie Hochschulen fällt jetzt der Sanierungsstau doppelt auf die Füße. Allein die Unikliniken in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt haben einen Sanierungsbedarf von 1,5 Milliarden Euro. Bundesweit sind es aber 35 bis 60 Milliarden Euro Sanierungsstau. Klar, Energieeffizienz wird das Thema bleiben, gerade bei Gebäuden. Deshalb, meine Damen und Herren, machen Sie endlich den Hochschulbau wieder zu einer Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern! Es war damals ein Fehler, das abzuschaffen. ({5}) Fünftens und letztens. Sie haben es richtig gesagt: Hochschulen sollen als geschützte Einrichtung gelten; das ist die richtige Entscheidung. Das ist seit dem 1. September dieses Jahres geklärt. Geben Sie aber auch den Studierendenwerken diesen Schutzstatus! Für beide, meine Damen und Herren, muss zwingend die Gaspreisbremse gelten. Klar, Herr Jarzombek, selbstverständlich muss die Klärung auch für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen herbeigeführt werden; da stimme ich Ihnen völlig zu. Aber schließlich muss auch der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ den steigenden Preisen angepasst werden. Die Hilfen sind natürlich nicht kostenneutral. Wer das behauptet, erzählt hier Mist. Das ist alles Unsinn. Natürlich müssen wir dort ran. Natürlich müssen wir mit den Ländern verhandeln. Ob das für den Pakt für Forschung und Innovation auch notwendig ist, wird sich bei den Gesprächen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen erweisen. Wir sollten uns also nichts vormachen. Wir sollten ehrlich sein, und wir sollten in diese Verhandlungen eintreten, um dann auch den Hochschulen, den Studierendenwerken, den Unikliniken und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen unter die Arme zu greifen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht Professor Dr. Stephan Seiter. ({0})

Prof. Dr. Stephan Seiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005220, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Antrag der CDU/CSU zum Thema „Entlastungspaket und Notfallfonds einrichten, um Schaden vom deutschen Wissenschaftssystem abzuwenden“. Das ist ein aktueller und relevanter Antrag. Es geht in der Tat um unser Wissenschaftssystem, das international eine Spitzenstellung einnimmt. Wir haben es schon an verschiedenen Stellen gehört: Das Wissenschaftssystem, genauer: alle Beteiligten dieses Systems haben in den letzten zweidreiviertel Jahren große Leistungen erbracht. Dafür sollten wir alle gemeinsam dankbar sein. Da teile ich Ihre Einschätzung, liebe Frau Kollegin Sitte, dass wir dafür nicht genug danken können. Es waren extrem schwierige Bedingungen, und die Bedingungen dürfen jetzt nicht schwieriger werden. Das ist auf jeden Fall klar. ({0}) Aktualität und Relevanz sind aber letztendlich nicht zwingend das, was eine zielorientierte und lösungsorientierte Vorgehensweise begründet. Vielmehr müssen wir uns noch mal Gedanken darüber machen: Was sind die Ursachen? Ich denke, wir sind uns hier im Haus alle einig – bis auf vielleicht eine kleine Gruppe zu meiner Rechten –, dass die Ursache der Putin’sche Angriffskrieg ist. Damit müssen wir klar anerkennen: Die Ursache liegt dort. ({1}) Die zweite Sache, die wir anerkennen müssen, ist natürlich, dass in der Vergangenheit eine Energiepolitik gemacht wurde, die zu stark auf die Abhängigkeit von einzelnen großen Lieferanten gesetzt hat. Das sind aber Dinge, die wir kurzfristig nicht werden lösen können. Kurzfristig bedrückt die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Universitäten, die Hochschulen das Problem gestiegener Energiepreise, gestiegener weiterer Kosten. Wir haben hier auch das Thema Inflation, die natürlich durchaus auch zu Lohnforderungen im Tarifbereich führen wird. Die Hochschulen, die Universitäten, die Forschungseinrichtungen stehen vor diesem Problem, und wir müssen uns darüber klar werden, wie wir dieses Thema angehen. ({2}) Niemand in diesem Haus wird bereit sein, das Wissenschaftssystem so zu gefährden, dass wichtige Daten, wichtige Zellproben, wichtige Bohrkerne verloren gehen. Und wir sind uns alle darüber einig, dass wir in diesem Fall aktiv werden müssen. Das ist, was mich jetzt zum Beispiel am Antrag der CDU/CSU etwas stört: Es wird von einer „Tatenlosigkeit“ gesprochen. Diese Tatenlosigkeit ist nicht gegeben. ({3}) Die Ministerin setzt sich für das Wissenschaftssystem ein. Es ist ein Faktum – heute nachlesbar im „Handelsblatt“ –, dass die Ministerin fordert, die außeruniversitären Einrichtungen unter den Abwehrschirm zu nehmen. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben große Rücklagen, sie sind bereit, diese Rücklagen abzubauen. Das ist der solidarische Beitrag dieser Institutionen. Aber sie müssen – und das unterstützen wir sehr – unter den Abwehrschirm genommen werden. Die Schulen und Hochschulen sind auch als geschützte Kunden auf der Liste. Sie werden unter den Abwehrschirm genommen. Darüber haben sich, wie wir wissen, die Ministerin für Bildung und Forschung und der Wirtschaftsminister ausgetauscht, und es geht wohl auch dort in die Richtung, dass es gut wird. Das Nächste, was natürlich Sache ist: Die Hochschulen bereiten Notfallpläne vor, sie ergreifen Sparmaßnahmen. Das ist der Beitrag der Hochschulen. Es darf aber nicht passieren, dass die Hochschulen dann wieder aus dem Präsenzbetrieb herausgehen. Das wollen wir alle gemeinsam hier in diesem Haus sicherlich nicht. Aber wir wissen auch: Der Spielraum für die Hochschulen ist begrenzt. Es gibt ein Sparpotenzial, aber dieses Sparpotenzial ist endlich. Das wurde auch schon an verschiedener Stelle angesprochen. Da kommt jetzt der nächste Spieler auf den Platz. Dieser nächste Spieler, das sind die Länder. Da ist schon die Frage erlaubt: Was haben die Länder bisher getan, um ihren Hochschulen zu helfen? Einzelne Länder haben schon Einstellungen in den Haushalt vorgenommen, andere Länder sind noch im Such- und Findungsprozess. Es gibt auch Länder – Sie wissen, ich komme aus Baden-Württemberg, und ich schaue in Richtung meines östlichen Nachbarn –, die bisher gar nichts gemacht haben und es auf den Bund schieben. So können wir diese Krise nicht angehen und lösen, und so lassen wir letztendlich unser Hochschulsystem allein. Die Länder haben einen haushalterischen Spielraum, sie sind Träger der Hochschulen. Sie dürfen sich nicht immer nur mit den Leistungen und den tollen Ergebnissen der Hochschulen schmücken und dann, wenn sie in Not geraten, nach jemand anderem rufen, nach der großen Schwester oder der Schutzpatronin, wie es Kollege Jarzombek vorhin gesagt hat. Meine Damen und Herren, die Ministerin ist im Austausch mit den Stakeholdern. Ansonsten hätte es diese Maßnahmen, diese Aktivitäten letztendlich nicht gegeben. Die Koalition bekennt sich zum Schutz des Wissenschaftssystems. Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dankenswerterweise hat Kollege Jarzombek sie alle aufgeführt, sodass ich es an dieser Stelle nicht mehr tun muss. Und seien Sie versichert: Gemeinsam werden wir das meistern. Wir werden aber die Solidarität aller Beteiligten brauchen, um diesen Weg zu gehen, um das Bildungssystem zu sichern. Denn – und damit komme ich zum Schluss – unser Wissenschaftssystem ist Garant dafür, dass wir technologische Souveränität wieder erreichen können, dass wir im Systemwettbewerb, der sich international ergeben hat, auch wieder eine starke Position einnehmen. Das müsste Grund für uns alle sein, gemeinsam ohne Polemik in diesem Feld nach vorne zu gehen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nadine Schön ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Problem, über das wir heute diskutieren, fällt ja wahrlich nicht vom Himmel. Seit Monaten diskutieren wir in Deutschland darüber, wie wir mit dieser Energiekrise umgehen. Was uns alle frustriert, ist, dass diese Bundesregierung nach wie vor kein Gesamtkonzept vorlegt – auch heute nicht –, wie sie die exorbitanten Energiekostensteigerungen bewältigen will und wie sie auf der Angebotsseite dafür sorgen will, dass wir mehr Energie in unser Land bekommen. Was uns besonders schmerzt, ist, dass die Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung enorm sind. Das hat diese Debatte deutlich gezeigt. Wir haben bei den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen die Situation, dass sie mit Blackouts schlicht nicht leben können. Es wird irreparabler Schaden entstehen, wenn die Energieversorgung bei gewissen Instituten ganz ausfällt. Auch die enormen Energiekostensteigerungen – teilweise wird vom Zweieinhalbfachen gesprochen – können die Einrichtungen nicht alleine schultern. ({0}) Die Erkenntnis ist da – zumindest bei uns schon lange. Deshalb sind wir sehr früh tätig geworden. Wir haben bereits im Juli den Präsidenten der Bundesnetzagentur angeschrieben und haben gefragt: Wie sieht es denn mit den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen aus? Werden sie von dem Schutzschirm umfasst? ({1}) – Der Kollege Gehring sagt Ja. ({2}) Die Antwort war Nein. ({3}) Ich kann sogar aus der Antwort vom Juli zitieren: Schulen und Hochschulen gehören zu den geschützten Kunden, nicht aber Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Wir haben daraufhin die Bundesregierung angeschrieben und gefragt, ob sie denn mal mit der Bundesnetzagentur in den Austausch geht und ob sie sich nicht dafür einsetzen will, dass die Energiesicherheit bei den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen gewährleistet ist. Und die Antwort: Für die Bundesregierung hat die Versorgungssicherheit der Forschung eine hohe Bedeutung und ein Versorgungsengpass in diesem Bereich hätte weitreichende Folgen. Das BMBF ist hierzu im Austausch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, der Bundesnetzagentur sowie mit den Wissenschaftsakteuren. ({4}) Von einem „Austausch“ ist also die Rede in der Antwort vom 1. September 2022. ({5}) – Wir haben jetzt Mitte Oktober, und Sie sagen hier ganz entspannt: Das ist doch erst zwei Monate her. – Uns läuft die Zeit davon. Jeder einzelne Tag ist wichtig, um eine Lösung zu finden, und wir haben in diesen zwei Monaten keine einzige Lösung gehört – keine einzige! ({6}) Heute kündigt die Bundesministerin im „Handelsblatt“ an, dass sie sich für einen Rettungsschirm für Spitzenforschungseinrichtungen einsetzt – heute, wo unser Antrag hier im Plenum debattiert wird. ({7}) Das ist ja erst mal schön. Wir hätten uns über ein paar mehr Details gefreut. Die Ministerin kann nicht sprechen; sie muss heute in den Haushaltsausschuss. Aber es hätte doch andere Wege gegeben als eine Kachel des BMBF bei Twitter. Ich hätte mich auch für die Einrichtungen gefreut, wenn wir heute mehr Details über diesen Rettungsschirm erfahren hätten. ({8}) Jetzt wünschen wir der Ministerin natürlich viel Glück bei ihren Verhandlungen im Haushaltsausschuss. ({9}) Vielleicht geht es auch genau um diese Themen – toi, toi, toi! Aber die Dynamik dieser Debatte lässt mich nicht glauben, dass sich die Koalition in Gänze dafür einsetzt, dass hier sehr schnell was passiert. Frau Kraft sagt zwar: „Wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen“, ({10}) und andere sagen auch, dass der Bedarf da ist. ({11}) Aber Fakt ist, dass der Winter jetzt kommt und die Gaspreisbremse erst im Frühjahr greift. Für die Einrichtungen ist für den Winter keine Vorsorge getroffen, ({12}) nicht für mögliche Blackouts, nicht für die exorbitant steigenden Kosten. Wir erwarten heute Lösungen. Heute hätten Sie die Chance gehabt, diese im Plenum des Deutschen Bundestages zu präsentieren. Sie haben es nicht getan. ({13}) Deshalb haben wir Ihnen heute diesen Antrag vorgelegt. Wir fordern ganz konkret – und Sie können sich einfach an unserem Antrag orientieren –, dass die Wissenschaftseinrichtungen von der Bundesnetzagentur als geschützte Kunden eingestuft werden. ({14}) Wir fordern ganz konkret ein Entlastungspaket für die Wissenschaft, um den drohenden Schaden für unsere Wissenschaftseinrichtungen abzuwenden. ({15}) Wir fordern ganz konkret einen Notfallfonds; denn wenn Energie bezahlt werden muss, dann muss an anderer Stelle gespart werden. Das hat enorme Folgen für das Gesamtsystem Wissenschaft und Forschung. Darunter leiden die Doktoranden, darunter leidet das Wissenschaftssystem insgesamt, und das müssen wir verhindern. Da waren wir uns ja auch heute einig. ({16}) Und wir fordern, dass die Bundesregierung schnellstmöglich zu einem Energiegipfel für die Wissenschaft einlädt, damit all diese Themen zügig in trockene Tücher gepackt werden können. Folgen Sie unserem Antrag, stimmen Sie für unseren Antrag! Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, nicht erst heute, sondern seit Juli, und es ist ein Leichtes, ihnen zu folgen. Wir erwarten nicht nur schöne Tweets und schöne Reden im Deutschen Bundestag, sondern ganz konkrete Taten. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist ein wichtiges Thema und verdient, wie ich finde, auch eine seriöse Debatte. Wir müssen einordnen: Was muss man in dieser Energiepreiskrise grundsätzlich tun, was spezifisch für die Wissenschaft, und was heißt das eigentlich hinsichtlich der langfristigen Perspektiven für die Wissenschaft? Frau Schön, ich muss sagen: Ich habe einen etwas anderen Eindruck, was die Schnelligkeit beim Handeln angeht. ({0}) Bei der grundsätzlichen Bearbeitung der Frage, wie wir mit der Krise umgehen, geht es doch um vier Punkte: Es geht darum, dass die Versorgung gesichert werden muss, darum, dass Preise gebremst werden müssen, darum, durch Entlastungen zu helfen, und darum, Energie einzusparen. Nun muss man ganz ehrlich sagen: Während Ihre Fraktion hier noch so etwas wie Gasmoratorien gefordert hat, hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass LNG-Terminals gebaut werden, dass Speicher gefüllt werden, dass neue Lieferanten Gas liefern. So hat sie dafür gesorgt, dass überhaupt im nächsten Winter Forschung betrieben werden kann, während Ihre Fraktion noch im Tiefschlaf gelegen hat. Also da bin ich nicht Ihrer Meinung. ({1}) Vor dem Hintergrund dieser vier Herausforderungen, die wir allgemein und für alle und somit auch für Wissenschaft und Forschung zu lösen haben, müssen wir natürlich auch über die spezifischen Bedarfe von Wissenschaft und Forschung sprechen: Was sind die genauen Bedarfe? Was sind Basisbedarfe beim Energieverbrauch? Welche zusätzlichen Bedarfe müssen abgedeckt werden? Wo kann überhaupt Energie eingespart werden? Die Hochschulen haben sich hier auf den Weg gemacht. Aber es gibt Forschungseinrichtungen – nicht nur Tiersammlungen, sondern auch andere –, bei denen überhaupt keine Energie eingespart werden kann, weil die Anlagen durchlaufen müssen. Deswegen müssen wir darauf aufbauend im Dialog mit den außeruniversitären Forschungsorganisationen, mit den Hochschulen passgenaue Lösungen für die Wissenschaft finden. Die ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme hat da auch schon Ideen geliefert, mit denen wir uns auseinandersetzen können und bei denen wir um eine schnelle Umsetzung bemüht sind. Es geht darum, zu überprüfen, wie wir den Fuel Switch, also den Umstieg auf andere Energieträger, finanziell unterstützen können und wie wir mit Härtefallfonds umgehen, die wir möglicherweise brauchen. Dazu will ich hier noch sagen: Das ist eine Herausforderung, die nicht nur an die Bundesregierung geht, sondern an mehrere Akteure. Ich habe gestern im Ausschuss gehört, dass der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft gesagt hat, dass er sich der Herausforderung sehr wohl bewusst ist und dass die Forschungsorganisationen einen Beitrag leisten müssen. Hier habe ich für Sie noch einen Tipp, schließlich sind Sie ja auch an einigen Landesregierungen beteiligt: Heute findet die Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidentenkonferenz statt. Vielleicht geben die Länder, in denen Sie in der Regierung sind, den Hinweis, dass wir Forschungseinrichtungen in besonderer Weise schützen müssen. Wenn das gelingt, dann, so bin ich mir sicher, werden wir eine gute Lösung gemeinsam mit den Ländern und mit den Forschungseinrichtungen finden. ({2}) Mein Kollege Holger Mann hat es gerade schon gesagt: Der Bundeskanzler selbst hat in dieser Woche bei der Festveranstaltung der acatech deutlich gemacht, dass die Bundesregierung dieses Problem nicht nur sieht, sondern dass sie an konkreten Lösungen arbeitet – im Dialog mit den Forschungsorganisationen und mit den Ländern. Die Wissenschaftsorganisationen in diesem Land wissen, dass solch eine Rede nicht dahergesprochen ist, sondern dass sie sich auf das Wort des Kanzlers verlassen können. Wir als Regierungskoalition werden das auch unterstützen. Eine wichtige Frage, die viele in den Forschungsorganisationen umtreibt, ist eine, die längerfristig darüber hinausgeht. Natürlich müssen wir die Energiekrise überwinden, aber jeder weiß doch: Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die 100 Milliarden Euro für Entlastungspakete, die 200 Milliarden Euro für den wirtschaftlichen Abwehrschirm plus die Belastungen, die wir im Bundeshaushalt aus der Coronapandemie haben – die sind ja nicht weg –, das engt die Spielräume für öffentliche Haushalte ein. Viele Wissenschaftsorganisationen fragen sich: Wie geht es in dieser Lage eigentlich langfristig weiter? Ich will an dieser Stelle sagen, dass an den Fakten – und nicht in den Reden der Oppositionsfraktionen – ziemlich deutlich abzulesen ist, dass die Priorität für Bildung und Forschung in dieser Regierungskoalition, in dieser Bundesregierung erhalten bleibt. Das zeigt der Haushalt, den wir demnächst für das nächste Jahr beschließen werden, und das zeigt auch der Pakt für Forschung und Innovation. Ich war, das muss ich schon sagen, Herr Jarzombek und Frau Schön, schon sehr irritiert, als ich heute gelesen habe, dass Sie der Bundesregierung unterstellen, die Aufwüchse würden infrage gestellt. ({3}) Ich meine: Dass es im BMBF-Haushalt wenig disponible Mittel gibt, das ist eine Tatsachenfeststellung, die viele Vorgängerinnen von Frau Stark-Watzinger getroffen haben, auch aus Ihrer Fraktion. Dass Sie daraus aber ableiten, der Aufwuchs in Höhe von 3 Prozent jährlich, der in der Bund-Länder-Vereinbarung für den Pakt festgelegt worden ist, würde damit infrage gestellt, ist eine wirklich absurde Verdrehung von Tatsachen. ({4}) Die hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut. Das muss man mal ganz ehrlich sagen. ({5}) Ich hätte gedacht, Sie wissen, dass man eine Bund-Länder-Vereinbarung nicht einseitig kündigen kann. Wir werden in der nächsten Sitzung der GWK in der übernächsten Woche Entscheidungen bekommen, durch die auch die Wissenschaftsorganisationen bzw. die Hochschulen langfristige Planungsperspektiven erhalten werden. Insofern ist – auch gegen jede Rede der Opposition – völlig klar und nachvollziehbar: Unsere Priorität für Bildung und Forschung bleibt. Wir haben eine Regierungskoalition, die sich in diesen schwierigen Zeiten für unsere Haushalte, für die Gesellschaft klar und mit viel Geld hinter unsere Forschungsorganisationen stellt. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Professor Michael Kaufmann ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Michael Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005100, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Die Fraktion der CDU/CSU beräumt mit diesem Antrag auch den Schaden, den sie selbst in der Regierung mit angerichtet hat. Doch er geht in die richtige Richtung und benennt treffend die Problemfelder. Deshalb, Herr Jarzombek, vielen Dank für Ihren Antrag. Unsere Forschungseinrichtungen müssen bei den ausufernden Energiekosten deutlich entlastet werden. Das betrifft energieintensive Großforschungsvorhaben wie den Kernfusionsversuchsreaktor Wendelstein 7‑X oder den Teilchenbeschleuniger DESY. Doch auch weniger spektakuläre Anlagen wie Reinräume, Langzeitexperimente in der chemischen und biologischen Forschung, in der Materialforschung und viele andere Forschungsvorhaben sind gefährdet; Beispiele wurden heute viele genannt. Monate dauernde Experimente sind umsonst, wenn die Energieversorgung nicht gewährleistet ist. ({0}) Forschung braucht Energie zu bezahlbaren Preisen, sonst gehen dort die Lichter aus – mit verheerenden Folgen für die Zukunft Deutschlands. Dies wurde von der Bundesregierung bisher nicht berücksichtigt. Warum, werte Regierungsfraktionen, muss solch ein Antrag erst aus der Opposition kommen? Wieso kommen Sie nicht selbst darauf? ({1}) Doch mit einem Energiepreisdeckel für die Forschung ist es nicht getan. Inflation und Energiepreise sind zu einer schweren Belastung für die Wissenschaft geworden. Besserung ist nicht in Sicht. Darum muss ich leider wieder an den unhaltbaren Zustand erinnern, dass das Gesamtbudget des BMBF für 2023 gegenüber dem laufenden Jahr quasi stagniert und nicht einmal ansatzweise die Inflation ausgleicht. Selbst wenn morgen der Krieg in der Ukraine beendet sein sollte, würde die Lage bei der Energieversorgung keinen Deut besser sein. Wie geht es dann weiter? Darauf gibt auch der vorliegende Antrag keine Antwort. Forschung und Wissenschaft sind die Grundlage unseres Wohlstands und ein Versprechen an die Zukunft. Sie müssen in der materiellen Ausstattung endlich den Stellenwert bekommen, der ihnen zusteht. ({2}) Es ist darüber hinaus festzuhalten, dass die gegenwärtige Krise auch Ausfluss einer politisch gewollten einseitigen Ausrichtung der Forschung selbst ist. Weil die Forschung an der friedlichen Nutzung der Kernenergie, an synthetischen Kraftstoffen, an neuen umweltverträglichen Technologien für Kohle- und Gaskraftwerke im Ideologiegebäude dieser, aber auch der Vorgängerregierungen keinen Platz hatte, kann Deutschland seinen Energiebedarf nicht aus eigener Kraft decken. ({3}) Ich fordere insbesondere Sie, werte Kollegen von der FDP, auf, sich wenigstens in diesem Fall gemeinsam mit der Opposition für eine Politik der Vernunft und des Fortschritts einzusetzen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gehring hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, zur historischen Einordnung muss ich dann schon noch mal sagen: Sie hätten diesem Land so viel ersparen können, wenn Sie uns nicht energiewirtschaftspolitisch 16 Jahre abhängig gemacht hätten vom Putin-Gas – ({0}) entgegen sämtlichen Warnungen der Friedensforschung, von Energieexperten und der baltischen Staaten. Das war eben keine Krisenvorsorge, sondern ist eine der schwersten Hypotheken der Merkel-Jahre. ({1}) Das trifft eben heute alle Sektoren: die privaten Haushalte, die Wirtschaft und eben auch die Wissenschaft. Ich sage sehr klar für diese Koalition: Wir kümmern uns! ({2}) Unser Wissenschaftssystem muss krisenfester und zukunftsfit werden. Und da sage ich auch: Guten Morgen, liebe Union, es ist ja schön, dass Sie endlich mal einen Antrag stellen. Aber wir haben einen Beschluss der Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidentenkonferenz; wir haben einen KMK-Beschluss; wir haben Eckpunkte der Gaspreiskommission, die alle darauf abzielen, dass Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen als Herzstücke unseres Wissenschaftssystems erstens bei Energiekosten entlastet werden, zweitens Bund und Länder dafür Sorge tragen, dass die Stromversorgung sichergestellt ist, ({3}) und drittens, dass diese Infrastrukturen des Wissens von Schulen bis Großforschungseinrichtungen als kritische Infrastrukturen gesehen werden. Nach drei Onlinesemestern mit Campus-Lockdowns werden wir Blackouts und Versorgungsengpässe abwenden und dafür sorgen, dass an den Hochschulen Präsenz wieder die Regel ist. ({4}) Ich sage für meine Fraktion sehr klar: Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gehören ins Gaspreisdeckel-Gesetz; sie gehören durch Bund und Länder entlastet, damit sie auch gut durch den Winter manövrieren können. Und ich kann es mir gar nicht anders vorstellen, als dass es der Bundesfinanzminister genauso sieht. ({5}) Was wir nicht brauchen, liebe Union, ist ein Wissenschaftsgipfel, den Sie in Ihrem Antrag vorschlagen. Wir haben MPK, GWK, KMK. ({6}) Wir haben ständig gute Gesprächskontakte zwischen Regierung, Koalitionsfraktionen und der Wissenschaftscommunity. Und wir haben vor allem ganz viele Bottom-up-Initiativen. Wir haben Taskforces in den Hochschulen, in den Laboren, in den einzelnen Forschungseinrichtungen, die alle dafür sorgen, Energie einzusparen, effizienter zu werden. ({7}) Die wollen doch auch ins Zeitalter der Klimagerechtigkeit. Das ist Teil des Schutzschirms, den wir stricken. ({8}) Das Problem ist da, aber wir arbeiten daran, es zu lösen. ({9}) Deshalb brauchen wir keine Schaufensteranträge der Union. ({10}) Wir arbeiten im Übrigen weiter konsequent an einer zukunftsgerechten Bund-Länder-Wissenschaftsfinanzierung. Genau in zwei Wochen wird die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre“ beschließen und auch die Neuausrichtung der Exzellenzinitiative. Jahrelang liefen doch der Pakt für Forschung und Innovation für die Außeruniversitären und der Hochschulpakt I und II für die Hochschulen aneinander vorbei, und die Finanzierung hat sich entkoppelt. Das ändert diese Koalition. Nicht nur die Außeruniversitären, sondern künftig auch die Hochschulen kriegen jährlich 3 Prozent plus. Das ist die Korrektur eines Webfehlers. Das ist eine verlässliche Finanzierungsperspektive für unser Wissenschaftssystem. Die Ampel wirkt. ({11}) Das BMBF und die Ampel bereiten vor, die weiteren Koalitionsvertragsprojekte aufzugleisen: Das Tenure-Track-Programm verstetigen wir. Das Bund-Länder-Programm für Diversity, Digitalisierung und moderne Governance muss im nächsten Jahr bearbeitet werden. ({12}) An der Steigerung der Programmpauschale können Sie gerne mitwirken, damit die forschungsstarken Universitäten entsprechend profitieren; denn unsere Peilung ist klar: Das 3,5‑Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung ist wichtig, damit die 20er-Jahre zum Innovationsjahrzehnt werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine auskömmliche Finanzierung ist unerlässlich; dafür sorgen wir. Wir brauchen keine Schaufensteranträge der Union, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– die nicht dazu beitragen, dass unser Wissenschaftssystem so exzellent bleibt, wie es ist. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katrin Staffler hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich würde sagen: Wir kommen aus dem Paralleluniversum, in dem es überhaupt gar keine Probleme gibt, zurück in die Realität, in der wir leider eben doch Probleme haben. Diese Probleme wollen wir lösen. Es ist von vielen meiner Vorredner richtigerweise schon gesagt worden, wie herausragend die Bedeutung der Wissenschaft und des Wissenschaftsstandorts Deutschland ist. Gerade in der Pandemie waren es nämlich unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Tag und Nacht gearbeitet und geforscht haben, um uns wieder ein Stück weit Normalität zurückgeben zu können. ({0}) Und jetzt? Jetzt sind wir in einer neuen Situation, die nicht weniger schwierig als die alte ist. Leider kann uns die Wissenschaft zumindest kurzfristig nur bedingt weiterhelfen. Trotzdem forscht sie Tag für Tag an den drängenden Problemen, die wir alle haben und für die wir dringend Antworten brauchen – Fragen, die leider von den anderen Krisen im Moment überdeckt werden. Umso schlimmer ist es daher, dass die Regierung unsere Wissenschaft mit unseren Forscherinnen und Forschern in dieser Krise bislang offensichtlich so stiefmütterlich behandelt hat. Die Fortschrittsregierung, wie sie sich gern nennt – das muss man an der Stelle leider so deutlich sagen –, hat keinen Blick für sie und offensichtlich auch kein Herz für Fortschritt und Zukunft. ({1}) Vielleicht fehlt es Ihnen auch ein Stück weit an dem richtigen und detaillierten Blick auf das, was die Forscherinnen und Forscher jeden Tag gerade beschäftigt. ({2}) Zumindest hatte ich bei der letzten Rede das Gefühl, dass der Blick dafür fehlt. Deshalb helfen wir Ihnen an der Stelle gern ein Stück weit auf die Sprünge. ({3}) Haben Sie sich zum Beispiel schon einmal Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkungen Temperaturunterschiede in Laboren auf bestimmte Experimente haben können? ({4}) Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Kolleginnen und Kollegen von mir bestimmte Experimente nur an den Tagen angesetzt haben, für die der Wetterbericht nicht Rekordtemperaturen nach oben oder unten vorhergesagt hat, ({5}) weil nämlich bestimmte Bakterien und Enzyme dann keine reproduzierbaren Ergebnisse liefern. Deshalb ist es mangels Klimaanlage an diesen Tagen nicht gemacht worden, weil die Ergebnisse zu sehr abgewichen wären. Oder lassen Sie uns einmal über die Doktorandin sprechen, die monatelang, teilweise jahrelang an bestimmten Tiermodellen gearbeitet und getüftelt hat, um ein spezielles Gen zu verändern. Dann hat sie endlich die ersten entsprechend gezüchteten Mäuse in den Käfigen, sodass sie sie für die Versuche verwenden kann, und freut sich, dass sie jetzt am Ende nur noch die Screenings und Tests durchführen muss, um die Arbeit abschließen zu können. Und dann: Stromausfall! Die Mäuse haben überhaupt keine Chance, bei sinkenden Temperaturen in den Käfigen ohne Luftfilter zu überleben. Und was ist mit der Doktorandin? Sie steht vor einem Scherbenhaufen, vor den Trümmern ihrer jahrelangen Arbeit, ({6}) ohne eine Chance, die Ergebnisse irgendwie zurückzuholen, und ohne Chance auf die Ergebnisse, die die Wissenschaft so dringend braucht. ({7}) – Ja, das scheint Ihnen wurscht zu sein, offensichtlich. ({8}) Oder was ist zum Beispiel mit der Ärztin, die über Jahre hinweg Gewebeproben von Patienten mit seltenen Erkrankungen gesammelt hat, um die Proben Stück für Stück auf neue Erkenntnisse hin zu untersuchen? Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, was für ein Schaden für die Wissenschaft entsteht – aber nicht nur für die Wissenschaft, viel schlimmer noch: auch für die betroffenen Patienten –, wenn diese Proben auf einen Schlag vernichtet werden, weil der Minus-80-Grad-Gefrierschrank zu lange keinen Strom mehr gehabt hat. ({9}) Frau Bundesforschungsministerin, Sie haben vor Ihrer Zeit als Ministerin viel an Universitäten und Forschungszentren gearbeitet. Viele in der Community waren begeistert, dass jetzt sozusagen eine Insiderin dieses Amt bekleiden wird. ({10}) Die Ernüchterung ist leider groß, und das zu Recht. Da hilft es, ehrlich gesagt, auch nicht, dass Sie heute im „Handelsblatt“ ankündigen, was wir hier schon lange gefordert haben und auch in unserem Antrag jetzt wieder fordern. Es hilft deswegen nicht, weil die Anhörung zu unserem Antrag von Ihnen erst auf den 30. November angesetzt worden ist. Das ist zu spät, und zwar deutlich. ({11}) Deshalb der dringende Appell an Sie: Berufen Sie schnellstmöglich einen Energiegipfel für die Wissenschaft ein, hören Sie sich die Berichte von den Betroffenen an, damit Sie ein klares Bild von den Herausforderungen kriegen, die die Wissenschaft aktuell hat, und schnüren Sie dann darauf basierend ein zielgerichtetes Entlastungspaket für die Wissenschaft und richten Sie einen Notfallfonds für die besonderen Belange von Wissenschaft und Forschung ein, statt hier nach langen Ankündigungen am Ende doch nichts umzusetzen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie an die Zukunft, denken Sie an den Fortschritt in Deutschland! Denn in aller Regel sind es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den Grundstein für unsere Zukunft, den Grundstein für unseren Fortschritt in Deutschland und für die ganze Welt legen. Deutschland hat ein hervorragendes System. Aber das müssen wir jetzt in dieser durchaus herausfordernden und schwierigen Situation unterstützen, anstatt es kaputtzumachen, weil die zuständige Ministerin auf dem wissenschaftlichen Auge offensichtlich blind ist ({12}) und die Wissenschaft in der Krise von der Regierung schlichtweg vergessen worden ist. Danke. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist Ria Schröder für die FDP-Fraktion. ({0})

Ria Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Angriffskrieg zeigt sich in der Ukraine als Zerstörung von Leben und Familien, von Schulen und Spielplätzen, als Terror gegen die Zivilgesellschaft. Der Angriffskrieg betrifft auch uns in Deutschland. Seine Folgen für uns sind Inflation und Energieknappheit. Dafür verantwortlich ist einzig und allein Wladimir Putin. ({0}) Die Einzigen, die was anderes behaupten, sind die Kreml-Knechte von der Alternative für Russland hier auf der rechten Seite. ({1}) Privathaushalte, Unternehmen und das Handwerk stehen unter hohem Druck, genauso wie Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Wir handeln deshalb. Energiepolitische Weichenstellungen sind jetzt entscheidend. Der weitere Leistungsbetrieb aller drei deutschen Kernkraftwerke ist vernünftig, verantwortungsvoll und richtig; denn das senkt Energiepreise, sorgt für Netzstabilität und ist ein Gebot europäischer Solidarität. ({2}) Gleichzeitig müssen wir mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien langfristig Klimaneutralität und Unabhängigkeit erreichen und so auch unseren Wissenschaftsstandort resilient machen. Zum Wissenschaftsbetrieb, meine Damen und Herren, gehören auch Studierende, Promovierende. Sie sind nach zwei Sorgenwintern, in denen die Unis geschlossen waren, mürbe und frustriert von der Ungewissheit. Auch wenn die Universitäten mit den steigenden Energiekosten kämpfen, sollten sie den Studierenden jetzt Sicherheit geben und zusagen, dass es im Wintersemester Präsenzlehre geben wird. Onlinelehre und hybride Angebote dürfen kein Notnagel sein, sondern sie sollten dann genutzt werden, wenn es didaktisch sinnvoll ist. Eine Umstellung auf eine digitale Lehre, um Kosten zu sparen, würde die Krise wieder auf den Schultern der Studierenden abladen. Hörsäle und Bibliotheken müssen jetzt raus aus der Lockdown-Spirale! ({3}) Bund, Länder und Hochschulen müssen dazu gemeinsam beitragen. Die Hochschulen sind, anders als Sie das hier eben dargestellt haben, nicht völlig verloren; diese haben auch so was wie Notstromaggregate und Notfallpläne. Lassen wir sie doch nicht ärmer aussehen, als sie sind! Für die gestiegenen Kosten braucht es eine enge Abstimmung zwischen Ländern und Hochschulen: Wo kann aus Rücklagen noch etwas selbst gestemmt werden? Wo ist Unterstützung nötig? Und für die Sicherheit bei der Energieversorgung hat die Ministerin ja bereits erreicht, dass Hochschulen als geschützte Kundinnen gelten, also in einer Mangellage priorisiert werden. Zudem müssen – darüber haben wir schon gesprochen – Wissenschaftseinrichtungen mit Entlastungen durch den wirtschaftlichen Abwehrschirm unterstützt werden; denn Wirtschaft und Wissenschaft sind beide Pfeiler für Wohlstand in unserem Land – heute und in Zukunft. ({4}) In dieser Zeit, meine Damen und Herren, müssen wir Hand in Hand gehen und näher zusammenrücken, in den Hörsälen wie in der Politik, Bund und Länder und auch Regierung und Opposition. Ich freue mich deshalb auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Carolin Wagner hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carolin Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Putins auf die Ukraine ist die Bundesregierung mit Hochdruck dabei, die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen, den hier angekommenen geflüchteten Menschen aus der Ukraine Schutz zu bieten und die negativen Auswirkungen dieses Krieges hier in Deutschland abzudämpfen. Wenn ich in dem vorliegenden Antrag der Union also lese – Zitat –: „Die Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu sichern“, dann kann ich nur sagen: Diese Bundesregierung tut seit dem 24. Februar nichts anderes, als die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu sichern. ({0}) Würden wir jetzt erst damit anfangen, wäre es viel zu spät. Während Ihr Fraktionsvorsitzender Mitte März einen Gaslieferstopp forderte, hat diese Bundesregierung mit Hochdruck am LNG-Beschleunigungsgesetz gearbeitet, um neue Wege zur Versorgung mit Gas zu erschließen, hat diese Bundesregierung mit Hochdruck am Osterpaket gearbeitet, um die erneuerbaren Energien zu entfesseln und ihren Ausbau zu beschleunigen. Während also Ihr Friedrich Merz einen Gaslieferstopp forderte, der uns heute, der uns jetzt in einen verheerenden Winter hätte gehen lassen, hat diese Ampelregierung die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland gesichert. ({1}) Aktuell, liebe Kolleginnen und Kollegen, bauen wir an einer Strom- und an einer Gaspreisbremse, die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und eben auch Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen entlasten wird. Das hat Olaf Scholz erst diese Woche in seine Rede bei acatech deutlich gemacht. ({2}) Und es ist doch ganz klar, dass diese zentralen Einrichtungen von den Maßnahmen umfasst sein müssen, dass wir zentrale Bereiche wie Forschung, Bildung, Kunst und Kultur nicht außen vor lassen werden. Nein, gerade deswegen nehmen wir für die Gaspreisbremse richtig viel Geld in die Hand: 200 Milliarden Euro! Und warum? Weil wir, weil diese Ampelregierung heute und jetzt die Zukunftsfähigkeit dieses Landes sichert, werte Union. ({3}) Weiter fordern Sie in Ihrem Antrag – Sie haben es auch vorgetragen –, die Bundesregierung müsse die Bundesnetzagentur anweisen, eine prioritäre Energieversorgung von wissenschaftlichen Einrichtungen vorzunehmen. Ja, kann man machen. Viel besser finde ich aber, dass diese Bundesregierung in den letzten Monaten mit Verve dafür gesorgt hat, dass unsere Gasspeicherfüllstände jetzt schon bei 95 Prozent liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen – 95 Prozent! ({4}) Dieser Füllstand sichert die Forschungseinrichtungen in diesem Land weit mehr, als es irgendwelche Anweisungen im Falle einer Gasmangellage tun könnten. Das muss ich auch einfach mal so platt zurückspielen, werte Union. ({5}) Eine weitere Forderung in Ihrem Antrag bezieht sich auf den Lehrbetrieb an den Hochschulen in diesem Wintersemester. Ja, es ist absolut richtig, dass nach Jahren des Distanzunterrichts jetzt alles dafür getan werden muss, damit dieses Wintersemester wieder in Präsenz stattfindet; denn Studierende sollen gemeinsam im Hörsaal sitzen, in den Sprechstunden den Professorinnen und Professoren direkt gegenübersitzen und auch in der Cafeteria miteinander diskutieren, in der Bibliothek gemeinsam lernen, Veranstaltungen besuchen. Das alles gehört zu einem Studium dazu, und das alles ist uns allen auch sehr wichtig. ({6}) In der Verantwortung dafür stehen aber auch die Länder; das haben Sie in Ihrem Antrag richtigerweise benannt. Und wie der Kollege Seiter für Baden-Württemberg, so kann ich für mein Bundesland Bayern sagen, dass das CSU-geführte Wissenschaftsministerium bislang keine zusätzlichen Mittel für die Hochschulen in Aussicht stellt, ({7}) und das, obwohl Bayern zu einem der reichsten Bundesländer zählt. Gerade von solch finanzstarken Bundesländern wie Bayern erwarte ich, dass sie ihren Teil der Verantwortung übernehmen und den Unis bei den gestiegenen Energiekosten unter die Arme greifen. ({8}) Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, dass auch Sie dazu bereit sind, ein großes Stück der Verantwortung mitzutragen, um die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft mit der Gaspreisbremse zu unterstützen, indem Sie morgen dann für die Änderungen des Stabilisierungsfondsgesetzes stimmen. Ich bin gespannt. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dieter Janecek. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich freue mich, an dieser Debatte teilhaben zu dürfen als einer derjenigen, die das Kapitel „Innovation, Forschung und Lehre“ des Koalitionsvertrags mitgestalten durften. Ich finde, da haben wir als Fortschrittskoalition wirklich was Brauchbares vorgelegt. Deswegen ist das Signal völlig klar: Natürlich schützen wir die Wissenschaft auch in dieser Energiekrise! ({0}) Die gute Nachricht in Richtung der Union: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten mit den Maßnahmen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz Vorsorge getroffen, sodass wir allerbeste Chancen haben, gut durch den Winter zu kommen, was die Versorgungssicherheit angeht. Natürlich – und das muss man ehrlicherweise sagen – sind nicht alle Eventualitäten ausgeschlossen. ({1}) Angriffe auf kritische Infrastruktur, wie wir sie jetzt bei Nord Stream 1 und 2 gesehen haben, sind Dinge, die wir im Blick haben und verhindern müssen. Aber Forschung und Wissenschaft sind das, was wir in dieser Krise brauchen; denn nur mit den Maßnahmen, die dort entwickelt werden – das haben Sie ja auch gesagt, Herr Jarzombek –, kommen wir auch aus der Krise raus. Deswegen ist das essenziell für unser Land. ({2}) Was wird passieren? Wir sind bei der Gaspreisbremse – Sie hatten es angesprochen – und bei der Strompreisbremse mit Hochdruck unterwegs, diese jetzt zu gestalten. Und natürlich ist die Erwartung, dass das auch den Wissenschaftsbereich vollumfänglich abdecken wird. Das heißt, die Signale kommen zeitnah, dass man auf der Preisseite verlässlich planen kann und dass man auch versorgungssicher planen kann. Das setzt aber auch eines voraus: dass Energie eingespart wird. Da gibt es ja im Hochschulbereich schon tolle Beispiele wie die Leuphana Universität Lüneburg, die bereits seit 2014 klimaneutral ist. Sie hat schon 40 Prozent Energie eingespart und produziert die restlichen 60 Prozent durch erneuerbare Energien selbst. Das wird in der Krise nicht allen Hochschulen, allen Universitäten, ({3}) allen Forschungseinrichtungen, vor allem nicht den energieintensiven, kurzfristig helfen. ({4}) Aber es ist auch ein Signal an die Koalition, an uns selbst, an Sie, dass wir darum kämpfen müssen, dass die Klimaneutralität in den Hochschulen jetzt erste Priorität kriegt. ({5}) – Ich habe mir den Teilchenbeschleuniger auch angeschaut, lieber Thomas Jarzombek. ({6}) Den kriegen wir mit ein paar Photovoltaikmodulen nicht so schnell versorgt; das ist mir schon klar. Aber es geht natürlich darum, dass wir jetzt anpacken und die Voraussetzungen schaffen, die ja aus der Forschung kommen, um eben auf Basis erneuerbarer Energien und von Energieeffizienz resilient, unabhängig zu werden. Die Erwartung ist auch, dass wir das gemeinsam mit den Hochschulen, der Forschungslandschaft machen. Das Thema Einsparung ist jetzt trotzdem relevant; denn nur, wenn wir Energie einsparen, werden die Preise auch weiter sinken. Die Spotmarktpreise sinken ja Gott sei Dank sehr stark. Noch hat sich diese Entwicklung nicht bei den Future-Preisen nachvollzogen, aber der Trend stimmt. In Richtung der Länder sei gesagt – das gilt auch für mein Land Bayern –: Natürlich liegen die Hochschulen zentral in Länderverantwortung. Das heißt, Härtefallfonds, lieber Markus Söder, sind auch Ihre und nicht nur unsere Aufgabe. Also handeln Sie bitte in den Ländern, damit Sicherheit in den Markt kommt! ({7}) Es kann nicht sein, dass alle Verantwortung immer auf den Bund geschoben wird. Wir sind hier kräftig am Arbeiten. Wir erwarten aber auch von den Ländern, dass sie ihre Arbeit tun. In dem Sinne bedanke ich mich und wünsche eine gute Debatte. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ye-One Rhie ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. ({0})

Ye One Rhie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005188, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsfraktion! Grundsätzlich haben Sie mit Ihrem Antrag recht. Ja, Deutschland hat eines der leistungsstärksten Wissenschaftssysteme der Welt. Ja, die hohen Energiepreise stellen viele Wissenschaftseinrichtungen vor große Herausforderungen. Und ja, steigende Betriebskosten dürfen nicht zum Stillstand von Forschung und Innovation führen. Daran, dass ich Ihnen in all diesen Punkten so bereitwillig zustimme, merken Sie vielleicht, dass Sie uns mit diesem Antrag überhaupt nichts Neues offenbaren, sondern nur Sachen bringen, die wirklich allen in der jetzigen Situation bekannt sind. ({0}) In der Zeit, die Sie gebraucht haben, um offensichtliche Forderungen zu stellen, hat die Ampel nicht nur ein, sondern bereits drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, einen Abwehrschirm inklusive Gaspreisbremse aufgespannt ({1}) und denkt schon darüber nach, was wir noch tun können. ({2}) Sie, liebe Union, stellen Anträge, in denen Sie überwiegend die richtigen Schlüsse ziehen und nachvollziehbare Forderungen stellen. Wenn es aber mal wirklich darauf ankommt, Entlastungen auf den Weg zu bringen, dann kneifen Sie, dann stimmen Sie dagegen: beim Heizkostenzuschuss, beim 9‑Euro-Ticket, bei der Energiepreispauschale, beim Kinderbonus und bei den beiden BAföG-Reformen – und anscheinend auch beim 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm, über den wir morgen abstimmen. Sie fühlten sich nicht in der Lage, zuzustimmen, weil noch zu viele Fragen offen seien. ({3}) Gleichzeitig werfen Sie uns vor, wir würden zu lange brauchen, wir würden Entscheidungen und Umsetzungen vertrödeln und verzögern. ({4}) Ganz ehrlich: Wenn ich bei Ihren Argumenten und Entscheidungsfindungsprozessen zu genau hinschaue, wird mir schwindelig. In den vergangenen Monaten haben Sie so viele Pirouetten gedreht, dass nicht nur wir im Parlament, sondern auch die Bürger/-innen nicht mehr wissen, wofür Sie eigentlich stehen. ({5}) Aber nun gut. Zur Wissenschaft. Wir wissen: Die nächsten Monate werden nicht leicht. ({6}) Auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind von den steigenden Energie- und Betriebskosten betroffen. Darauf bereiten wir uns vor. Deshalb stehen wir darüber schon länger im intensiven Austausch mit den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. Es wurden bereits Energiekonzepte ausgearbeitet und Notfallpläne erstellt. Viele universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen haben einen Plan für den Winter; der Rest folgt in den kommenden Wochen. Unsere Partner/-innen in Wissenschaft und Forschung planen aber nicht nur voraus, sie helfen auch schon jetzt ganz konkret mit. Sie sparen Energie, wo es nur geht, ohne Lehre und Forschung in Gefahr zu bringen. Nicht nur dafür sind wir dankbar. Viele Menschen vergessen schnell, welche Bedeutung Wissenschaft und Forschung für unsere Gesellschaft haben. Unsere Wissenschaftler/-innen forschen täglich an Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft: an Innovationen für erneuerbare Energien, an Konflikt- und Krisenprävention und an Fragen eines nachhaltigen Strukturwandels. Für diese wichtige Arbeit müssen und wollen wir ihnen Sicherheit geben. ({7}) Diese Wertschätzung für Wissenschaft und Forschung reicht bis ins Bundeskanzleramt. Es ist kein Zufall, dass Bundeskanzler Olaf Scholz gerade in dieser Zeit einen Zukunftsrat eingesetzt hat, in dem Vertreter/-innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam über die Herausforderungen für unser Land beraten. Es war auch Bundeskanzler Olaf Scholz – meine Kolleginnen und Kollegen haben es bereits gesagt –, der erst vor ein paar Tagen zugesichert hat, dass auch für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen die Gaspreisbremse gelten wird. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen in unserem Land machen sich zu Recht große Sorgen, nicht nur in der Wissenschaft, sondern überall. Sie sorgen sich, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, ob Strom und Gas für den Winter reichen, ob die Preise im Supermarkt weiter steigen. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir Sicherheit geben und dass wir, wie mein Kollege Holger Mann es gerade gesagt hat, ohne Panik agieren und nicht wie einige in diesem Haus im Sinne Putins noch mehr Angst und Verunsicherung verbreiten. Dafür müssen alle demokratischen Fraktionen des Hauses zusammenstehen. Wir müssen Vertrauen in die Politik fördern, anstatt dieses selbst zu erschüttern. Der Winter wird auch schon so schwer und hart genug für uns alle. Vielen Dank. ({9})

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Beginn des russischen Angriffskrieges setzt Putin bewusst hohe Energiepreise als Waffe ein, um unsere Gesellschaft zu spalten. Aber er wird damit scheitern; denn die Bundesregierung steuert mit umfangreichen Maßnahmen und mit sehr großen finanziellen Mitteln dagegen. Niemand sagt: Wir können alles ausgleichen. – Aber es geht jetzt um zielgerichtete Hilfen angesichts der Tatsache, dass die hohen Energiepreise für viele Menschen und auch für Unternehmen eine existenzielle Bedrohung sind. In der Bundesregierung konzentrieren wir uns auf fünf Punkte: Erstens. Wir schaffen Versorgungssicherheit. Zweitens. Wir senken die Energiepreise mit der Gaspreisbremse und der Strompreisbremse. Drittens. Wir arbeiten an gezielten Wirtschaftshilfen. Viertens. Wir halten den Arbeitsmarkt stabil, auch mit dem Instrument der Kurzarbeit; das wird viele Arbeitsplätze retten. ({0}) Fünftens. Wir nehmen fast 100 Milliarden Euro in den Entlastungspaketen in die Hand, um Menschen mit mittleren und unteren Einkommen gezielt zu helfen und sie mit den Entlastungspaketen zu unterstützen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, mit dem heutigen Gesetz, das wir hoffentlich gleich beschließen werden, sorgen wir in zwei Bereichen für sehr gezielte Entlastungen. Im September hat der Koalitionsausschuss beschlossen, dass auch Rentnerinnen und Rentner eine Energiepreispauschale erhalten sollen. Heute sind wir schon in der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs und Beschlussfassung, anderthalb Monate später; das war schnell. Mit Hochdruck haben viele daran gearbeitet. Ich sage allen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und im Parlament Danke schön, die dafür gesorgt haben, dass wir das so schnell hinkriegen. ({1}) Wir werden es mit diesem Gesetz schaffen, dass für rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner heute die notwendige finanzielle Unterstützung beschlossen werden kann. Alle Rentnerinnen und Rentner werden diese Einmalzahlung von 300 Euro erhalten. Sie wird noch in diesem Jahr bis Mitte Dezember, also vor Weihnachten, auf den Konten der Rentnerinnen und Rentner ankommen. Diese schnelle, unkomplizierte und umfassende Umsetzung ist genau das, was jetzt gebraucht wird. Lassen Sie mich insbesondere drei Punkte hervorheben: Erstens. Alle Rentnerinnen und Rentner sind anspruchsberechtigt. Die Energiepreispauschale wird bei Altersrenten gezahlt, bei Hinterbliebenenrenten und auch bei Erwerbsminderungsrenten. Zweitens. Es braucht keinen Antrag. Die Auszahlung erfolgt automatisch und unbürokratisch. Genau so stellen wir uns den bürgernahen Sozialstaat der Zukunft vor. ({2}) Drittens. Auf die 300 Euro müssen keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Sie sind unpfändbar, und sie führen nicht zu einer Kürzung bei einkommensabhängigen Sozialleistungen. Aber sie werden versteuert. Das ist auch richtig so; denn das bedeutet mehr Zielgenauigkeit. Wer hohe Renten oder hohe Einkommen oder sogar beides hat, zahlt darauf eben auch mehr Steuern. Insgesamt unterstützen wir mit dieser Maßnahme Rentnerinnen und Rentner der allgemeinen und der knappschaftlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse und Versorgungsempfängerinnen und ‑empfänger des Bundes mit insgesamt 6,4 Milliarden Euro Entlastung. Das ist ein großer Schritt. ({3}) Ich will an dieser Stelle auch erwähnen – weil wir viel über die Umsetzungswege der Entlastungspakete sprechen –, dass wir die Entlastungsmaßnahmen sehr effizient umsetzen. Die Verwaltungskosten bei der Deutschen Rentenversicherung betragen nur 0,17 Prozent der Gesamtkosten. Das ist eine wichtige Zahl. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, Rentnerinnen und Rentner und Pensionärinnen und Pensionäre sind erfreulicherweise nicht die Einzigen, die von diesem Gesetz profitieren werden. Dieses Gesetz bringt auch Entlastungen für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Dazu heben wir die Obergrenze des Übergangsbereichs von 1 600 Euro auf 2 000 Euro im Monat weiter an. Was heißt das? Beschäftigte mit kleinem Einkommen bis 2 000 Euro werden durch diese Änderung insgesamt um geschätzte 1,3 Milliarden Euro jährlich entlastet, und das ohne Einbußen bei der sozialen Sicherung. ({4}) Ganz konkret heißt das zum Beispiel für einen Arbeitnehmer mit 1 000 Euro Monatseinkommen über 50 Euro mehr in der Tasche pro Monat, und zwar dauerhaft. Das ist zielgerichtete Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen. Denen wäre mit einer Steuererleichterung nicht geholfen, weil sie oft gar nicht steuerpflichtig sind. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstützung für dieses Gesetz. Wir helfen Rentnerinnen und Rentnern. Wir sorgen dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen mehr Geld in der Tasche haben. Das ist Teil unserer Maßnahmen, um unser Land zusammenzuhalten. Das ist in dieser Krise wichtig. Deshalb bitte ich um Unterstützung. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Max Straubinger hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz zur Entlastung von Rentnerinnen und Rentnern durch die Zahlung einer Energiepreispauschale. Das begrüßen wir als CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich. ({0}) Schließlich ist das eine Forderung der CDU/CSU ({1}) – und möglicherweise der Linken; das kann ich Ihnen zubilligen –; denn die Rentnerinnen und Rentner sind von der Regierung bisher im Regen stehen gelassen worden. ({2}) Zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde die Energiepreispauschale bereits bezahlt. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Regierung jetzt in die Puschen gekommen ist und auch die Rentnerinnen und Rentner entlastet. Das ist aber letztendlich ein schwieriges Unterfangen, weil viele Elemente mit einfließen, die mit den Energiepreisen eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Dieses Gesetzgebungsverfahren wird mit einer arbeitsmarktpolitischen Entscheidung verquickt, nämlich der Ausweitung von Midijobs in unserem Land. Hierzu wurde in der Anhörung sehr eindeutig Stellung genommen: Gewerkschaften, Arbeitgeber, aber auch die Sozialverbände haben das unisono abgelehnt; ({3}) meine Kollegen werden darauf noch näher eingehen. Für uns als CDU/CSU ist es schwierig, dem gesamten Gesetzgebungsprozess unsere Zustimmung zu geben. ({4}) Ich sage auch: Die Umsetzung der Entlastung der Rentner bei den Energiekosten ist mit großen Mängeln behaftet. Frau Staatssekretärin hat eben angeführt, alle Rentnerinnen und Rentner würden hier bedacht werden. Das stimmt so nicht. Denn es sind zum Beispiel Unfallopfer vergessen worden, die in einen Schulwegunfall verwickelt waren und eine Rente erhalten. Sie werden nicht entlastet. Opfer von Gewalttaten werden ebenfalls nicht entlastet. Vor allen Dingen wundere ich mich darüber – das sage ich in Richtung FDP, die sich als besonderer Repräsentant für diese Gruppe sieht –, dass Freiberufliche, deren Alterssicherung verstärkt in den berufsständischen Versorgungswerken organisiert ist, ebenfalls ausgeschlossen sind. ({5}) Rechtsanwälte und Ärzte zum Beispiel werden nicht entlastet. Kollege Dürr hat heute früh ausgeführt, Sie unterstützten alle. Aber die Freiberufler haben Sie vergessen. Das zeigt, was die FDP hier zustande bringt. ({6}) Dann ist das Gesetz auch noch schlampig gemacht. Bis gestern wusste man in den Beratungen nicht: Ist die Energiepauschale zu versteuern oder nicht zu versteuern? Ich bin dankbar, dass die Frau Staatssekretärin jetzt ausgeführt hat: Sie ist zu versteuern. Die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss haben gestern zu Recht gegen die Vorlage gestimmt, aber nicht, weil sie gegen die Energiepreispauschale für die Rentnerinnen und Rentner sind, sondern weil die Besteuerungsfrage nicht geklärt war. Und das ist doch eine entscheidende Frage. Bei den Versorgungsempfängern müsste diese Pauschale grundsätzlich zu versteuern sein – das ist okay – aber bei den Rentnern gilt § 22 Einkommensteuergesetz, und da es sich nicht um eine laufende oder um eine wiederkehrende Leistung handelt, wäre sie nicht zu besteuern. Diese Fragen sind zu klären – sie müssten meines Erachtens nachfolgend auch vom Finanzministerium beantwortet werden –; denn eine Besteuerung wäre ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. ({7}) Dann haben wir noch eine große Baustelle, wenn es um die Frage geht, wie viele Rentnerinnen und Rentner im Rahmen der ersten Energiepreisentlastung bereits entlastet worden sind. Ich habe in einer vergangenen Rede bereits ausgeführt, dass ich als Abgeordneter die 300 Euro erhalten habe. ({8}) – Ich habe sie schon bekommen. ({9}) – Doch, doch, weil ich Einkommensteuerzahler bin. ({10}) Werte Kolleginnen und Kollegen, 7,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner zahlen zusätzlich Einkommensteuer. 1,2 Millionen beziehen ausschließlich Renteneinkünfte; sie wurden bisher nicht entlastet, das ist völlig klar. 2,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner haben überwiegend Renteneinkünfte, das heißt darüber hinaus auch Zusatzeinkünfte, zum Beispiel durch einen Minijob. Weitere 4 Millionen Rentner haben überwiegend andere Einkünfte als Renteneinkünfte, und zwar laufender Art: aus einem Gewerbebetrieb, aus einer Landwirtschaft ({11}) – das sind aber die Fälle – oder aus einer Photovoltaikanlage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die wurden bereits entlastet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt letztendlich: Die Rentnerinnen und Rentner, die besser gestellt sind, werden doppelt entlastet. Das kann doch nicht Sinn einer sozialliberalen Bundesregierung sein. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Straubinger, Ihre Redezeit war bereits vor längerer Zeit zu Ende gewesen; Plusquamperfekt.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber will niemand eine Zwischenfrage stellen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, es hat Ihnen niemand eine Zwischenfrage gestellt.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ach so, schade. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Und jetzt sowieso nicht mehr. Sie haben sich selbst Zwischenfragen gestellt, aber das gilt nicht als Verlängerung der Redezeit.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, das geht so nicht. So geht es nicht. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Markus Kurth das Wort. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Straubinger, bei dem, was Sie hier gesagt haben, muss man jetzt doch einiges klarziehen. Zum einen haben wir die Rentnerinnen und Rentner hier nicht im Regen stehen lassen. ({0}) Wir machen ja jetzt etwas, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung. ({1}) – Ja, gut, wenn es Ihnen gefällt, sich daran so hochzuziehen, dann tun Sie das. – Jetzt, wo die Abschläge steigen, bekommen Rentnerinnen und Rentner diese Pauschale. Sie sind nicht vergessen worden. Auch andere Gruppen sind nicht vergessen worden. ({2}) Sie wissen ganz genau, dass wir gestern im Zuge der Beratungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales ausdrücklich eine Protokollnotiz hinterlegt haben, in der wir die Bundesregierung auffordern, ({3}) nachzusehen, welche Personen die Energiepreispauschale noch nicht bekommen haben, ({4}) Beziehende von Übergangsgeld beispielsweise, aber auch Unfallopfer nach dem Bundesversorgungsgesetz oder Entschädigungsrecht, und zu prüfen, wie man diesem Personenkreis in Zukunft die Energiepreispauschale in einem Extraverfahren zukommen lassen kann. Das gehört zur Wahrheit dazu. ({5}) Wir haben das nur deshalb in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht geschafft, weil es uns wichtig war, dass die Energiepreispauschale schnell bei den Rentnerinnen und Rentnern ankommt, dass sie noch im Dezember da ist und nicht erst nächstes Jahr. Das ist der Hintergrund. ({6}) – Sie können mir ja eine Zwischenfrage stellen, anstatt hier zu brüllen, Herr Stracke. Natürlich ist es so – das habe ich schon bei der ersten Lesung letzte Woche hier gesagt –, dass Mängel da sind, wenn es schnell gehen muss, dass man dann Abstriche bei der Zielgenauigkeit machen muss. Das betrifft die von Ihnen angesprochenen Doppelzahlungen, wobei auch hier der Korrektheit halber anzumerken ist, dass Sie als Abgeordneter, Herr Straubinger, keine Energiepreispauschale bekommen haben. ({7}) Ich habe sie auch nicht als Abgeordneter bekommen. – Nein, Sie haben sie bekommen, weil Sie neben Ihrer Abgeordnetentätigkeit noch selbstständig tätig sind. ({8}) Das ist der Grund, warum Sie als Rentner dann eine zweite Zahlung bekommen. ({9}) Aber Abgeordnete haben die Energiepreispauschale nicht bekommen. Das möchte ich hier betonen, weil es sonst wieder Gerede von Selbstbedienung usw. gibt. Dann muss ich Folgendes noch einmal sagen: Sie behaupten, Freiberufler hätten die Energiepreispauschale nicht bekommen. ({10}) Auch das stimmt nicht. Freiberufler wie Selbstständige haben die Energiepreispauschale natürlich bekommen. Was Sie wirklich meinen – genau –, sind diejenigen, die in berufsständischen Versorgungswerken sind. Das sind aber nicht automatisch Freiberufler. ({11}) Da muss man differenzieren. Sie sollten hier wirklich mal genauer sein, anstatt pauschal irgendwas zu streuen. ({12}) Ich sage Ihnen noch etwas: In den berufsständischen Versorgungswerken finden sich Apotheker, Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater. ({13}) Das sind jetzt nicht diejenigen, die die allergrößten Probleme mit den Energiepreisen haben. ({14}) Den Versorgungswerken – das sind ja quasi Rententräger – steht es auch frei, selber entsprechende Vorkehrungen für die bei ihnen Versicherten vorzunehmen. Ich glaube, wenn man sich das Ganze differenziert ansieht, bleibt von Ihren Vorwürfen außer dem, dass das ein bisschen spät kommt, nicht viel übrig. Ich freue mich, wenn Sie nachher diesem Schritt zur Entlastung der Rentnerinnen und Rentner dann auch zustimmen. Danke. ({15})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Einen schönen guten Tag von meiner Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch einen schönen guten Tag an die Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Wir fahren in der Debatte fort. Die nächste Rednerin ist Ulrike Schielke-Ziesing, AfD-Fraktion. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Es kreißte der Berg und gebar eine Maus. 300 Euro sollen nun Rentner und Versorgungsbezieher bekommen – endlich, möchte man sagen. Wir als AfD haben das bereits mit unserem eigenen Antrag im Mai dieses Jahres gefordert. Die Bundesregierung hat sich damit nun reichlich Zeit gelassen. Aber wie heißt es doch so schön? Besser spät als nie. Denn natürlich ist es gut, wenn die Regierung nun das nachholt, was sie aus Kostengründen oder Vergesslichkeit zuvor unterlassen hat. Da mag man dann auch über handwerkliche Schwächen des Entwurfes hinwegsehen, die zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand bei der Umsetzung führen werden. Dass nun viele Rentner durch diese Pauschale erstmals steuerpflichtig werden, dass es zu doppelten oder auch verspäteten Auszahlungen kommen kann, das alles wurde bereits in der ersten Lesung mehrfach genannt. Viel schwerer wiegt, dass schon wieder viele Menschen vergessen werden. Schon wieder oder immer noch werden bestimmte Gruppen von dieser Entlastung ausgenommen, die aufgrund ihrer Lebenssituation selbstverständlich auch hätten berücksichtigt werden müssen. Denn was ist mit den Landesbeamten und den Pensionären der Versorgungswerke, den pflegenden Angehörigen, den Menschen mit Behinderungen, ({0}) mit den Rentnern, die ihre Rente nur aus der Unfallversicherung beziehen, den Empfängern von ALG I oder den Empfängern von Krankengeld? Auch diese Menschen müssen heizen, auch diese Menschen hätten spätestens jetzt berücksichtigt werden müssen und bleiben nun doch wieder außen vor. Wie immer zu wenig und zu spät, ist der hier vorliegende Entwurf ein gutes Beispiel dafür, dass solche kleinteiligen Flickenteppiche niemals genau oder gerecht sein können, sondern im Gegenteil immer wieder neue Ungerechtigkeiten erzeugen. Es bleibt der Eindruck einer widerwilligen Politik nach Kassenlage. In Bewegung kommen Sie erst, wenn der äußere Druck zu groß wird, so wie das hier seitens der Öffentlichkeit und der Opposition der Fall war. Nun könnte man sagen: wenigstens etwas. Hätten Sie es doch dabei belassen! Stattdessen wollen Sie im selben Gesetz ausgerechnet eine weitere Anhebung der Midijob-Grenze festschreiben. Damit vermischen Sie aus Kalkül ein Leistungsgesetz mit ordnungspolitischen Regelungen, etwas, auf das hier der eine oder andere Kollege in der letzten Woche schon hingewiesen hat. ({1}) Schlimmer noch: Das, was Sie hier vorschlagen, zeigt, dass nichts, aber auch gar nichts vom Ernst der Lage verstanden wurde. ({2}) Sie wollen tatsächlich in dieser prekären wirtschaftlichen Phase den Sozialkassen noch mehr Beitragsmittel entziehen. Zu den 0,8 Milliarden Euro durch die Anhebung auf 1 600 Euro ab Oktober soll jetzt also durch eine weitere Anhebung die gleiche Summe obendrauf gesattelt werden. Das heißt, Sie wollen die Betriebe, die vielfach um ihre Existenz kämpfen, mit neuen Ausgaben belasten. Und nicht zuletzt: In einer Zeit des eklatanten Fachkräftemangels setzen Sie neue Anreize für die Aufnahme von Teilzeitbeschäftigungen, obwohl Sie doch alles daransetzen müssten, möglichst viele Menschen in Vollzeitarbeit zu bringen. Das kann nicht funktionieren. Die Rückmeldungen der Verbände bei der Anhörung Anfang der Woche waren jedenfalls durch die Bank verheerend. Dass sich eine solche Politik langfristig auch negativ auf die Renten auswirkt, kommt erschwerend hinzu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir hier und heute über die Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbezieher entscheiden, dann werden wir als AfD uns diesem Teil des Gesetzentwurfs nicht verschließen; denn jeder Euro, der dazu dient, die Not von Rentnern zu lindern, hilft. ({3}) Aber wir wissen auch, wer für diese Not verantwortlich ist: ({4}) Mit Ihrer verantwortungslosen Energiepolitik legen Sie die Axt an die Lebensader unseres Landes ({5}) und stürzen Millionen Menschen in Armut. Keine sogenannte Entlastung kann das aufwiegen; denn das Geld dafür zahlen nicht Sie, sondern wir alle. Als AfD sagen wir: Die Menschen brauchen keine Almosen, sondern eine Politik im Interesse unseres Landes und seiner Bürger. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz werden wir Rentnerinnen und Rentner durch eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro entlasten, und wir sorgen dafür, dass 2,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft mehr Geld von ihrem Lohn in ihrer Tasche behalten werden. Das ist eine gute Nachricht, das ist eine wichtige Nachricht in schwierigen Zeiten, und das ist gut so. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es nicht wir als Politiker sind, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Rentnerinnen und Rentner entlasten. Ganz wesentlich geschieht dies durch Beiträge der Sozialversicherung und dadurch, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die Unternehmerinnen und Unternehmer die Kosten tragen werden, und das in für sie schwierigen Zeiten. Steigende Kosten durch die Energieknappheit, gestörte Lieferketten, grassierender Fachkräftemangel, all das belastet die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber schon sehr, und jetzt kommt diese zusätzliche Belastung. Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es ist uns als Koalition bewusst – und wir zollen Respekt und sagen herzlichen Dank dafür –, dass in dieser schwierigen Situation die Arbeitslosigkeit nicht steigt. ({1}) Die Unternehmen halten ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; das ist ein wichtiges Signal in diesen schwierigen Zeiten. Die Energiepreise sind im August dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 35,6 Prozent gestiegen. Wir wissen alle, dass das für viele Unternehmen an die Grenze geht und für manche auch darüber hinaus. Deshalb müssen wir alles tun, um die Energiekosten zu senken. Umso mehr begrüßen wir die Entscheidung des Bundeskanzlers, alle drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke bis zum Frühjahr 2023 weiterlaufen zu lassen. ({2}) Wir können und müssen aber noch mehr tun, um die Unternehmen nicht weiter zu belasten ({3}) und damit auch Arbeitsplätze zu sichern. Die Bundesregierung hat sich mit dem Abwehrschirm Ende September zu einem Belastungsmoratorium bekannt. Das heißt: Es gibt keine weiteren unverhältnismäßigen Bürokratielasten für Unternehmen. Schon vor der Krise waren die Kosten in Deutschland durch Steuern und Bürokratiebelastung überdurchschnittlich hoch, lieber Max Straubinger. Darauf hinzuweisen, werde ich jetzt nicht verzichten. Was die Steuerbelastung der Unternehmen anbetrifft, liegen wir mit über 30 Prozent international an der Spitze. Erst Anfang der Woche haben die Normenkontrollräte auf Bundes- und Landesebene eine gemeinsame Erklärung verfasst. ({4}) Darin fordern sie, die bürokratischen Belastungen für Wirtschaftsunternehmen zu senken. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, hat der Normenkontrollrat nicht zum ersten Mal gefordert: 2019 forderte er „Weniger Bürokratie, bessere Gesetze“. 2018 hieß es: „Deutschland: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, bessere Gesetze“ und 2017: „Bürokratieabbau. Bessere Rechtsetzung. Digitalisierung. Erfolge ausbauen – Rückstand aufholen“, um nur einmal die Überschriften der jeweiligen Jahresberichte zu zitieren, die deine Politik beschreiben, lieber Max Straubinger. ({5}) In seinem Gutachten von 2014 kommt der Normenkontrollrat zu dem Ergebnis, dass seit Antritt der Großen Koalition 2013 die Folgekosten von Gesetzen für Unternehmen wieder massiv gestiegen seien: um 9,2 Milliarden Euro, und das damals in nur einem Jahr. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, wir sind gerne bereit, mit Ihnen über Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Wir kämpfen mit Ihnen gemeinsam – wir als Regierung, Sie als Opposition – für einen starken Wirtschaftsstandort. ({7}) Aber man muss in der Oppositionsarbeit auch bereit sein, aus dem Handeln der eigenen Vergangenheit zu lernen, ({8}) um in der oppositionellen Motivation nicht gar zu lächerlich zu wirken. ({9}) Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Die Linke hat das Wort die Kollegin Susanne Ferschl. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist völlig klar, dass Die Linke heute der Energiepreispauschale für die Rentnerinnen und Rentner zustimmt. ({0}) Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, aber es bleibt das Geheimnis der Bundesregierung, warum sie ein Vierteljahr gebraucht hat, um zu kapieren, dass auch Rentnerinnen und Rentner ihre Wohnung heizen müssen. ({1}) Doch es scheint ja überhaupt ein Merkmal der Ampel zu sein, sinnvolle Dinge entweder zu verzögern oder zu vermurksen – ein gutes Beispiel ist der Gaspreisdeckel ab März, wo er dann nicht mehr nötig ist –, dafür aber mit unsinnigen Dingen – Stichwort „Gasumlage“ – schnell dabei zu sein. Fakt ist aber: Die Energiepreispauschale reicht nicht, um über den Winter zu kommen, und geht auch an einigen Personengruppen völlig vorbei: an pflegenden Angehörigen, die weder arbeiten noch Rente bekommen, an Beziehern von Arbeitslosengeld, an Menschen mit Behinderung in Werkstätten, um nur einige zu nennen. Auch diese Menschen haben ein Anrecht auf eine warme Wohnung. Deswegen bessern Sie hier bitte nach. ({2}) Ein weiteres Problem an diesem Gesetz ist, dass es sich um ein Niedriglohn- und Teilzeitförderungsgesetz handelt. Warum? Für alle, die weniger als 2 000 Euro im Monat an Einkommen haben, reduzieren sich die Sozialabgaben. Das ist für die Betroffenen zumindest augenscheinlich erst mal gut, weil sie mehr Netto vom Brutto haben. Es kommt allerdings – Frau Staatssekretärin hat ja auf das Paket von 1,3 Milliarden Euro hingewiesen – beim Einzelnen relativ wenig an, im Durchschnitt 38 Euro. Auch davon kann man keine Gasrechnung bezahlen. Aber das Problem ist, dass die kleinsten Teilzeitstellen die höchste Entlastung erhalten. Damit machen Sie diese Teilzeitstellen unnötig attraktiv. Sie drängen damit Beschäftigte – und das sind überwiegend Frauen – weiter in die Teilzeitfalle. Das ist absolut inakzeptabel. ({3}) Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sollten Sie lieber Rechte schaffen, damit Beschäftigte Arbeit und Leben vereinbaren können. Das würde Frauen in Richtung Vollzeit fördern. Da könnten Sie sich mal als Fortschrittskoalition profilieren. ({4}) Was Sie hier im Gegenzug fabrizieren, ist nicht fortschrittlich. Es ist gleichstellungspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Blödsinn, und – ich ergänze – es ist sozialpolitisch unverantwortlich. Dadurch, dass bei den Sozialabgaben eine Lücke entsteht, schwächen Sie wieder einmal die Sozialversicherungssysteme. Es fließt weniger Geld in die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Um die entstehenden Löcher zu stopfen, kommt es dann gegebenenfalls wieder zu Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen. Das kann es doch nun wirklich nicht sein. ({5}) Statt immer wieder an den Eckpfeilern des Sozialstaates zu sägen, sollten Sie zur Finanzierung der Krisenkosten endlich mal die starken Schultern heranziehen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Menschen mit niedrigen Einkommen zu entlasten. ({6}) Wer in der Krise den Reibach seines Lebens gemacht hat, der kann auch seinen Teil zur Refinanzierung abgeben. ({7}) Wann, wenn nicht jetzt, ist denn die Zeit für eine Vermögensabgabe und eine Übergewinnsteuer? ({8}) Darüber hinaus ist eines klar: Es geht in erster Linie nicht nur um mehr Netto vom Brutto. Es geht auch um mehr Brutto. Ich werde Sie an dieser Stelle immer wieder an Ihre Fahrlässigkeit erinnern, weil Sie als Gesetzgeber nichts gegen die Tarifflucht in diesem Land unternehmen. Die Löhne in diesem Land müssen rauf. ({9}) Dafür brauchen wir eine Stärkung der Tarifbindung und kämpferische Gewerkschaften. ({10}) Deswegen wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen, die sich derzeit bei Tarifverhandlungen gegen den Reallohnverlust zur Wehr setzen, ganz, ganz viel Erfolg. Vielen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Tanja Machalet. ({0})

Dr. Tanja Machalet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man kann trotz allem sagen: Heute ist ein guter Tag für die Rentnerinnen und Rentner und für die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger im Land, weil wir heute nach kurzer Beratung die Energiepreispauschale beschließen. Man muss wirklich sagen, dass das eine gute Maßnahme ist, die wir hier heute auf den Weg bringen. ({0}) Ich habe es schon mal gesagt: Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das durchaus schneller machen können. ({1}) Aber wenn man sich das Verfahren anschaut, muss man sagen: Wir sind schnell in der Umsetzung. Wir wollen, dass das Geld noch im Dezember, vor Weihnachten, bei den Menschen ankommt. 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner und Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger werden es noch vor Weihnachten beziehen; in der Anhörung am Montag ist ja deutlich geworden, dass das funktioniert. Dank all denen – die Staatssekretärin hat es schon gesagt –, die im Ministerium daran gearbeitet haben und die jetzt daran arbeiten, dass das Geld möglichst schnell bei den Menschen ankommt! ({2}) Herr Straubinger, Sie haben es heute nicht gesagt, aber die letzten Tage immer mal wieder von dem sogenannten Schlechtes-Gewissen-Gesetz geredet. ({3}) Das ist ja ein netter Slogan. Es sei Ihnen auch gegönnt, dass der Ihnen eingefallen ist; ich habe gar kein Problem damit. ({4}) Aber ich glaube, es wird sich noch zeigen, wer das schlechte Gewissen beim Thema Rente haben muss; denn – Sie erinnern sich vielleicht daran – wir waren es, die die Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentnern durchgesetzt haben. ({5}) Das hat mit Ihnen lange nicht funktioniert. ({6}) Wir werden demnächst den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze auf der Tagesordnung haben. Wir werden das Rentenniveau stabilisieren. Wir werden das Renteneintrittsalter nicht anheben; das haben wir versprochen, und das halten wir. ({7}) Ja, die Einmalzahlung, die wir heute beschließen, die ist in der aktuellen Situation wichtig und richtig. Aber es ist noch wichtiger, dass wir eine dauerhaft gute Absicherung für die Menschen im Alter hinbekommen. Das werden wir auf den Weg bringen. Dazu werden wir bald das Rentenpaket II auf dem Tisch haben. Ich bin gespannt, wie sich die Union dazu verhalten wird. Ich freue mich darauf. Am Montag ist die Konstituierung des Bundestages ein Jahr her. ({8}) Ich will noch einmal daran erinnern – ich habe letzte Woche schon Redezeit darauf verwendet –, was wir außer den Entlastungspaketen I und II in diesem einen Jahr alles auf den Weg gebracht haben: Wir haben die EEG-Umlage zum 1. Juli 2022 abgeschafft; davon haben auch Rentnerinnen und Rentner profitiert. ({9}) Wir haben die Fernpendlerpauschale erhöht. Wir haben den Grundfreibetrag erhöht. Wir haben den Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht. Wir haben den Mindestlohn angehoben. Wir haben den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld verlängert – im Übrigen auch nicht mit Ihrer Unterstützung. ({10}) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun heute das, was nötig ist. Heute beschließen wir die Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner und Bundespensionärinnen und Bundespensionäre. Auch hierzu hat es Fragen gegeben. Einige Länder sind ja dabei, auch eigene Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Ich würde mich natürlich darüber freuen, wenn es alle täten; das liegt aber in der Hoheit der Länder. Weil hier angesprochen wurde – auch in der Anhörung am Montag ist das deutlich geworden –, dass einige Personengruppen noch nicht von den Einmalzahlungen profitieren, sage ich: Es ist natürlich immer ein Spagat zwischen „einfach und schnell“ und „komplex und langsam“. Wir haben uns hier für den schnelleren Weg entschieden. Wir haben aber die Bundesregierung im Ausschuss noch einmal aufgefordert, zu prüfen, welche Personengruppen bisher noch nicht von den Einmalzahlungen profitiert haben. Da geht es um Übergangsgeldempfängerinnen und ‑empfänger, Krankengeldempfängerinnen und ‑empfänger und auch die Gruppen, die Frau Ferschl eben genannt hat. All das soll jetzt noch einmal geprüft werden mit dem Blick darauf, wie man dort zu Entlastungen kommen kann. Wir haben aber bewusst gesagt: Wir möchten das nicht in diesem Gesetzentwurf nachregulieren, weil das die Auszahlung deutlich verzögern würde. Es war und es bleibt unser großes Anliegen, dass die Menschen das Geld vor Weihnachten auf dem Konto haben. So wird es sein, und das ist auch gut so. Herzlichen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat das Wort Dr. Ottilie Klein. ({0})

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Union begrüßen ausdrücklich, dass nun auch die Rentnerinnen und Rentner eine Energiepreispauschale erhalten sollen. Schon seit einem halben Jahr kritisieren wir, dass die Ampelregierung 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner ({0}) bei den Entlastungspaketen einfach vergessen hat. ({1}) Es ist völlig unverständlich, dass gerade Senioren, die ein viel geringeres Einkommen haben als Erwerbstätige, hier außen vor gelassen wurden. Zu Recht herrschte deshalb unter den Betroffenen großes Entsetzen, Angst und Unverständnis. ({2}) In der Expertenanhörung in dieser Woche im Bundestag berichtete die Vertreterin eines großen Sozialverbandes eindrücklich, dass sie noch nie zuvor eine solche Menge an Zuschriften erhalten habe. Vor diesem Hintergrund – das muss ich hier auch sagen – ist es noch unverständlicher, dass die Ampelfraktionen – das gerät nämlich ein bisschen in Vergessenheit – unseren Antrag für eine Rentner-Energiepreispauschale abgelehnt haben, nur um jetzt mit diesem unglücklichen Gesetzentwurf zu kommen, in dem schon wieder Personengruppen vergessen werden. ({3}) Hier werden Menschen vergessen, die vor allen Dingen besonderer Unterstützung bedürfen, beispielsweise jene, die aus der Unfallversicherung eine Rente beziehen, oder ehemalige politische Häftlinge der DDR, die Opferrenten erhalten. Es ist gut, dass die Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen das jetzt eingesehen haben; hoffentlich wird da nachjustiert. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, zielgerichtetes Handeln sieht anders aus. ({4}) Gleiches gilt übrigens für den zweiten Teil des Gesetzentwurfs, der ein gänzlich anderes Thema betrifft, nämlich die Anhebung der sogenannten Midijob-Grenze auf 2 000 Euro. Die Expertenanhörung hat hier ein vernichtendes Urteil gefällt. ({5}) Meine Vermutung ist: Das ist auch der Grund, warum hier keine Einzige bzw. kein Einziger der Rednerinnen und Redner der Ampelfraktionen dieses Thema auch nur erwähnt hat. ({6}) Nicht ein einziger Experte hat sich für dieses Vorhaben ausgesprochen, auch weil damit Niedriglohnjobs und Teilzeitarbeit auf Kosten unserer Sozialkassen gefördert werden. ({7}) Das trifft übrigens besonders Frauen. Vergessen scheint das Ziel, Frauen vollwertig in Erwerbsarbeit zu integrieren. Im Gegenteil: Mit diesem Gesetzentwurf leisten Sie den Frauen in diesem Land einen Bärendienst. ({8}) Insgesamt bleibt unklar, wer mit dieser Maßnahme eigentlich entlastet werden soll. Damit steigt auch das Risiko, dass jene Hilfe bekommen, die diese gar nicht benötigen. „Mal wieder“, könnte man sagen; denn wir erinnern uns: Auch die Energiepreispauschale haben viele Menschen bekommen, die sie gar nicht brauchen, darunter Gutverdiener und sogar Minister. Hinzu kommt: Wir befinden uns mitten in einer sich anbahnenden Wirtschaftskrise. Kleine und mittlere Betriebe wissen nicht, wie sie bei den steigenden Kosten die Gehälter zahlen sollen. Ich finde, das ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um die Arbeitgeber zusätzlich zu belasten. Genau das tun Sie aber mit diesem Gesetz. Wir fragen uns sowieso, lieber Herr Heil: Was unternimmt die Bundesregierung eigentlich ganz konkret, um Arbeitsplätze in dieser schweren Krise zu sichern? Oder haben Sie die Unternehmer etwa auch vergessen? ({9}) Wo ist denn die Gaspreisbremse, auf die jetzt alle warten? ({10}) Wir halten fest: Wie bereits bei den Entlastungen für Rentnerinnen und Rentner läuft diese selbsternannte Fortschrittskoalition auch hier der Realität mit einem halben Jahr Abstand hinterher. Wie wäre es eigentlich, wenn Sie zur Abwechslung einmal Ihren Koalitionsstreit vergessen und sich daran erinnern würden, dass warme Worte keine Wohnung heizen! Vielen Dank. ({11})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Klein, die Rentnerinnen und Rentner sind nicht vergessen worden. ({0}) – Nein, sie sind nicht vergessen worden. ({1}) Vielmehr hatte es Gründe, warum sie in dem damaligen Entlastungspaket nicht berücksichtigt wurden. Zu den Gründen komme ich gleich. ({2}) Markus Kurth hat es in seiner Rede in der ersten Lesung vor der Sommerpause gesagt. Ich habe es in meiner Rede im Juni hier gesagt. Andere Kolleginnen und Kollegen aus der Ampel haben auch schon vor der Sommerpause gesagt: Wir werden und wir müssen im dritten Entlastungspaket die Rentnerinnen und Rentner mit berücksichtigen. ({3}) Das tun wir jetzt, und das ist gut so. ({4}) Sie sind nicht vergessen worden, sondern waren absichtlich nicht mit drin, ({5}) weil wir tatsächlich ein Problem mit der Zielgenauigkeit haben. Da müssen wir uns einmal gegenseitig ehrlich machen. ({6}) Kollege Straubiger hat selber gesagt, er habe die Energiepauschale doppelt bekommen. ({7}) Andere Leute haben sie gar nicht bekommen. ({8}) Von der Union gab es an der Stelle überhaupt keinen Änderungsantrag im Ausschuss. Sie haben auch keine Vorschläge gemacht, wie man das zielgenauer hinbekommen könnte. Da müssen Sie sich auch einmal ehrlich machen. ({9}) Wir haben einfach das Problem, dass zielgenaue Entlastungen in Deutschland nicht so einfach möglich sind. Das müssen wir so deutlich sagen. Aber die Ampel arbeitet daran. ({10}) Wir haben die Zielungenauigkeit, dass manche Leute die Leistungen doppelt bekommen. ({11}) Wir haben die Zielungenauigkeit, dass es trotz der vielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, immer noch Leute gibt, die die Leistungen nicht bekommen haben. Aber das Jahressteuergesetz 2022 – der Bundesfinanzminister hat da seine Arbeit geleistet – enthält jetzt einen Auszahlmechanismus, über den wir die gesamte Bevölkerung bedienen und allen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land Leistungen auszahlen können. Das ist etwas, was Sie in 16 Jahren nie geschafft haben. ({12}) Die Ampelkoalition schafft das jetzt. ({13}) Wenn wir diesen Auszahlmechanismus jetzt schon hätten, dann hätten wir diesen Flickenteppich, wie manche sagen, diese Vielzahl an Maßnahmen vielleicht gar nicht gebraucht, sondern hätten tatsächlich alle entlasten können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. ({14}) Bei der Kindergrundsicherung gehen wir weitere wichtige Schritte, wie wir Menschen automatisch entlasten können. Zu dem zweiten Punkt. Frau Klein hat ja gesagt, dazu hätte kein Redner der Ampel etwas gesagt. Deswegen will ich gern dazu Stellung nehmen. Es wird häufig gesagt, dass wir auch an die Menschen denken müssen, deren Einkünfte minimal über der Grenze für den Bezug von Sozialleistungen liegen, damit auch Leute, die 2 000 Euro oder ein bisschen weniger brutto verdienen, zielgenau entlastet werden. Die haben natürlich schon die Energiepreispauschale für Erwerbstätige bekommen, die haben auch schon andere Leistungen bekommen. Aber es ist, glaube ich, durchaus sinnvoll, sich diese Gruppe noch mal besonders anzugucken. Und ja, auch an dieser Stelle ist es nicht wirklich zielgenau; denn es ist nicht sicher, ob die Menschen insgesamt vielleicht doch ein hohes Einkommen haben, weil nur das Arbeitseinkommen angeguckt wird. Es gibt positive und negative Arbeitsmarkteffekte. Es ist nicht so, Frau Ferschl und Frau Klein, dass es nur den Effekt gibt, dass Menschen ihre Arbeitszeit reduzieren. Der Sachverständige Enzo Weber hat in der Anhörung gesagt, dass es durchaus auch den Anreiz gibt – insbesondere bei Frauen mit geringem Einkommen, mit geringer Stundenzahl –, die Arbeitszeit ausweiten. Auch das muss man mitberücksichtigen. Es gibt also positive und negative Effekte. Es gibt das Problem mit den Sozialversicherungen, das auch wir durchaus problematisch sehen. Auch an dieser Stelle ist es mit der Zielgenauigkeit schwierig, aber auch da handelt die Ampel. Das stand schon im Koalitionsvertrag. ({15}) Bald, in den nächsten Tagen, geht ein Forschungsauftrag raus, bei dem es genau um diese Gruppe gehen wird. Das steht unter der Überschrift „Grenzbelastung/Transferentzugsrate“. Aber wenn man genau hinguckt, stellt man fest, dass es darum geht, wie wir genau diese Gruppe, deren Einkommen jetzt ein bisschen über den Grundsicherungsleistungen liegt, besser und zielgenauer entlasten können. Also, was macht die Ampel? Wir agieren kurzfristig und schnell, um die Menschen zu unterstützen, auch wenn es manchmal nicht ganz zielgenau ist. Wir gehen aber auch an die strukturellen Probleme ran. Das ist genau das, was wir „Fortschrittskoalition“ nennen. Vielen Dank. ({16})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Norbert Kleinwächter. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

6,4 Milliarden Euro. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dieses Betrages lohnt es sich, mal innezuhalten in dieser Debatte: Das ist die Rechnung an den Steuerzahler für Ihre komplett verfehlte Politik, meine Damen und Herren. ({0}) Es geht im Kern um eine Einmalzahlung an die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, damit sie überhaupt über den Winter kommen. Wir haben das vor einigen Monaten beantragt: 300 Euro pro Rentner. Mal ungefähr 20 Millionen Rentner ergibt das ebendiese 6,4 Milliarden Euro. Aber wir dürfen bei dieser ganzen Maßnahme niemals vergessen: Sie haben dieses Land in eine Lage geführt, in der unsere Rentnerinnen und Rentner gar nicht mehr wissen, wie sie über den Winter kommen sollen. Und unsere Kinder und Kindeskinder sollen diese Schulden einmal abbezahlen, weil Sie keine vernünftige Politik im Hier und Heute machen. ({1}) Meine Damen und Herren, warum befinden sich denn die Rentnerinnen und Rentner in einer solch schlechten Situation? Weil Sie, die Regierungen, jahrzehntelang die Rentenversicherung nicht stabilisiert haben, weil Sie jahrzehntelang keine Politik gemacht haben, die auf Familien und Kinder setzt – die demografische Zukunft unseres Rentensystems –, weil Sie, auch Sie von der Union, unsere Energiepolitik durchideologisiert haben, nicht alle Energieformen und Energieträger nutzen, die wir haben, sondern aus ideologischen Gründen gewisse Dinge ausschalten und das auch noch mit einer völlig irren Außenpolitik verbinden. Putin führt einen grausamen Angriffskrieg in der Ukraine, ja. ({2}) Aber Sie rühmen sich gewisser Sanktionen und schlagen sein Gasangebot aus? ({3}) Das führt dazu, dass Sie unsere Wirtschaft belasten, unsere Menschen in die Armut schicken und den Putin, Ihren Gegner, auch noch reicher machen; ({4}) denn der profitiert von den gestiegenen Gaspreisen und verdient sich damit eine goldene Nase, meine Damen und Herren. ({5}) Wer seinen Wohlstand vernichtet, wer seine Wirtschaft abbaut und gleichzeitig auch noch seinen Gegner stärkt, der versagt gleich dreifach. Das ist das Dreifachversagen dieser Dreierkoalition, meine Damen und Herren. Deswegen trage ich Ihnen auf: Ändern Sie sofort diese Politik! Stabilisieren Sie unseren Energiemarkt! Sorgen Sie dafür, dass die Energiepreise sinken, und zwar natürlich und nicht durch sozialistische Umverteilungspolitik, die natürlich Ihrer Idee der sozial-ökologischen Transformation ganz nahekommt! Sie wollen ja die Gesellschaft verändern. Sie wollen ja die Wirtschaft zu einem Wandel zwingen. Aber das funktioniert nicht. Am Ende werden keine grüne Wirtschaft und keine grünen Landschaften stehen, sondern Verdruss, Armut und bittere Abhängigkeit. ({6}) Diese ökologische Transformation ist ein Irrweg. Aus der Antike gibt es das Sprichwort „Pecunia non olet“. Ich möchte hinzufügen: Gasum non olet, Gas stinkt nicht. – Nehmen Sie das Gas, sichern Sie die Wirtschaftsfähigkeit unserer Wirtschaft, meine Damen und Herren. ({7}) „Wumms“ macht’s, wenn man gegen die Wand fährt. Das kann nicht das Ziel sein. Lassen Sie uns lieber den Weg zu wirtschaftlichem Wohlstand und Frieden finden. Danke. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Anja Schulz. ({0})

Anja Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005216, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kleiner Reminder an die Kollegen rechts von mir: Putin hat den Gashahn zugedreht und nicht wir. ({0}) Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn sich Umstände ändern, müssen Dinge auch neu bewertet werden. Unsere Politik wäre keine gute Politik, wenn sie nicht auch anpassungsfähig wäre. Die Ursprungsidee für die Zahlung einer Energiepreispauschale war es, berufsbedingte Mehrausgaben abzufedern. Immerhin waren die Spritpreise vor einigen Monaten noch einer der höchsten Kostenpunkte für die Menschen. Rentnerinnen und Rentner waren bei allen Maßnahmen der drei Entlastungspakete in Höhe von knapp 90 Milliarden Euro ganz klar auch Teil der Zielgruppe: beim 9‑Euro-Ticket, bei der Abschaffung der EEG-Umlage, bei der Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags oder beim Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Mittlerweile sind allerdings nicht nur mehr berufsbedingte Ausgaben schwer zu bewältigen, sondern auch die allgemeinen Energiekosten. Die Heizkosten für ein durchschnittliches Einfamilienhaus sind enorm gestiegen und in Teilen unzumutbar geworden. Mehr als die Hälfte der Senioren in Deutschland besitzen das Haus oder die Wohnung, in dem oder der sie leben. Das ist sehr erfreulich; denn Wohneigentum ist eine sehr effektive Altersvorsorge. Studien zufolge lassen sich hierdurch knapp 35 Prozent einer durchschnittlichen gesetzlichen Rente einsparen, weil eben keine Mietkosten gezahlt werden müssen. ({1}) Das ist vorbildliche Altersvorsorge. Diese darf den Menschen allerdings jetzt nicht zur Last werden, weil sie ihr Eigentum nicht mehr heizen können. Daher ist die Auszahlung der Energiepreispauschale zum jetzigen Zeitpunkt an die Rentnerinnen und Rentner so sinnvoll wie nötig. Die Energiepreispauschale ist eine effektive Maßnahme, um die nächsten Abschlagszahlungen besser verdauen zu können. Auf die Länge des Winters hin gesehen, reicht das aber wahrscheinlich nicht aus, jedenfalls dann nicht, wenn wir das Angebot für Energie nicht signifikant ausbauen. Daher arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck daran, diese Angebotsseite deutlich zu verbessern. Normalerweise kennen wir es in Deutschland nicht, dass Infrastrukturprojekte innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden. Die schnelle Genehmigung der LNG-Terminals hat in der Krise aber gezeigt, was möglich ist. Die Gas- und die Strompreisbremse sind in Arbeit, und höhere Netzentgelte werden bereits verhindert. Die Bürger werden beim CO2-Preis entlastet, und die Umsatzsteuer auf den Gasverbrauch wurde bereits gesenkt. Im Dezember soll die Abschlagszahlung der Gasrechnung vom Bund übernommen werden. Seit dieser Woche wissen wir außerdem, dass die drei verbleibenden Kernkraftwerke noch mindestens bis April 2023 weiterlaufen werden. ({2}) Damit stabilisieren wir das Stromangebot, und die Preise können sinken. ({3}) Dadurch machen wir private Haushalte und Unternehmen wieder unabhängiger von staatlicher Hilfe. Genau wie bei allen anderen auch soll die Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner mit der Einkommensteuer belegt werden. Das betrifft allerdings nur einen ganz kleinen Teil der Rentnerinnen und Rentner, nämlich jene, die über sehr hohe Renten verfügen. Zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner zahlen keine Einkommensteuer. Das liegt nicht daran, wie hier von einigen behauptet wird, dass das Einkommen der Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner zu gering ist, sondern an unserer nachgelagerten Besteuerung. Wer beispielsweise 2005 in den Ruhestand ging, der muss lediglich die Hälfte seiner Renteneinkünfte im Alter versteuern. Daraus ergibt sich, dass die meisten Rentner keine Steuern zahlen müssen. Es ist daher unsachlich, hier von einer Steuerbefreiung zu reden und gleichzeitig so zu tun, als seien alle Rentnerinnen und Rentner in diesem Land von Armut betroffen. Die Rentner, die die Energiepreispauschale versteuern müssen, erhalten nämlich in der Konsequenz auch eine sehr solide Rente. Die Mehrheit wird die 300 Euro allerdings brutto gleich netto bekommen. Unsere Politik in der Energiekrise soll also mittelfristig für die Erhöhung des Angebotes sorgen und leistet kurzfristig Abhilfe bei den enorm gestiegenen Kosten. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Stefan Nacke. ({0})

Dr. Stefan Nacke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche habe ich die Ampelkoalition in der ersten Lesung für ihre unlogische Verquickung von Krisen- und Ordnungspolitik kritisiert und dafür, dass sie versucht, unseren Sozialstaat quasi unbemerkt umzubauen. Und was soll ich sagen? Am Montag haben mir ausnahmslos alle Expertinnen und Experten der Anhörung zugestimmt: Die Energiepreispauschale kommt zu spät, und sie erreicht nicht alle Menschen in diesem Land; außerdem schadet die Anhebung der Midijob-Grenze den Sozialversicherungen und dem Arbeitsmarkt insgesamt. ({0}) Fangen wir mit der Energiepreispauschale an. Das Fazit der Experten: Die späte Erkenntnis der Ampel, dass auch Rentnerinnen und Rentner dieses Geld gut gebrauchen können, hat dem Ansehen der Politik in diesem Land stark geschadet. ({1}) Ines Verspohl vom Sozialverband VdK schildert, dass der VdK noch nie so viele E‑Mails, Anrufe und Briefe bekommen hat wie zu diesem Gesetz – Zitat –: Da war so viel Wut, Unverständnis, aber auch ganz viel Enttäuschung. – Das haben Sie auch gemerkt; das haben die Regierungsparteien vor allen Dingen bei der NRW-Wahl gemerkt. Auch Michaela Engelmeier vom Sozialverband SoVD ist der Meinung: Die späte Einbeziehung der Rentner*innen hat daher einiges an politischer Glaubwürdigkeit gekostet. Dieser Meinung bin ich auch. ({2}) Jetzt kommt die Pauschale. Es bleibt nur die Frage, ob denn wenigstens jetzt alle Rentner/-innen erreicht werden. Die Antwort lautet leider: Nein. Julia Köhler vom Bundesverband Rehabilitation fasst es so zusammen – Zitat –: Tatsächlich sehen wir eine große Personengruppe bisher noch völlig unberücksichtigt, nämlich Schwerbehinderte, chronisch Kranke, Pflegebedürftige, die zu Hause gepflegt werden. – Ich ergänze noch: Auch nicht berücksichtigt sind etwa Opfer von Krieg und Straftaten, Impfschäden, politische Häftlinge der DDR, Unfallopfer, die aufgrund von Verletzungen nie in die Rentenkasse einzahlen konnten, oder die in Versorgungswerken versicherten Personen. Diese Menschen erneut zu vergessen, ist schäbig, liebe SPD. ({3}) Nun zum zweiten Teil des Gesetzes: der Anhebung der Midijob-Grenze. Der DGB sieht darin – Zitat – eine sozialpolitisch fehlgeleitete Lösung. Die Deutsche Rentenversicherung stellt fest – Zitat –: Durch die angedachte Ausweitung wird der im Äquivalenzprinzip vorausgesetzte Zusammenhang zwischen Vorleistung in Form von Beiträgen und Leistungen in Form von Renten zulasten der Versicherungsgemeinschaft weiter geschwächt. Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kritisiert, dass man Verteilungs- und Entlastungspolitik normalerweise nicht über Sozialversicherungsbeiträge mache, weil das nicht zielgenau sei. Er befürchte, dass davon auch relativ wohlhabende Menschen von guten bis sehr guten Einkommen aus anderen Quellen profitierten. ({4}) Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass Sie von der SPD und von den Grünen in Ihrer Dreierkoalition mit der FDP – und mit deren Wählerklientel – auch einmal etwas Gutes tun wollen. Da mag es naheliegen, bloß nicht zu viel für die Menschen im unteren Einkommensbereich zu machen. Sie sollten mit Ihrem Ampelgehampel aber nicht Ihre Wurzeln vergessen, liebe SPD. ({5}) Der Handelsverband HDE kritisiert, dass Sie unter dem Deckmantel der akuten Krisenlage eine grundsätzliche politische Agenda umsetzen und die paritätische Verteilung der Beiträge verändern. BDA und Deutsche Rentenversicherung kritisieren Ihre Teilzeitprivilegierung. Seien Sie doch bitte ehrlich zu sich selbst und sehen Sie ein: Ihr Entwurf schadet den Unternehmen, und das in der Situation, dass viele von ihnen wegen Pandemie und Energiepreisexplosion ohnehin kurz vor der Pleite stehen. Was noch dazukommt: Sie verschärfen den Fach- und Arbeitskräftemangel, indem Sie Teilzeitbeschäftigung ausbauen, obwohl wir in Deutschland gerade mehr vollzeitnahe Jobs oder, besser, Vollzeitbeschäftigung brauchen. Wenn Sie es in Ihrer Ampelkoalition schon nicht schaffen, nach außen geeint aufzutreten, ({6}) so tun dies wenigstens Ihre Kritiker bei diesem Gesetz. Wäre die Anhörung eine Zeugniskonferenz, würde Ihnen jetzt einstimmig mitgeteilt: Sie haben das Klassenziel leider nicht erreicht. ({7})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Annika Klose. ({0})

Annika Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005108, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer/-innen! Das war bisher eine recht technische Debatte, die dem Thema Rente mal wieder alle Ehre macht. Ich möchte eher beleuchten, über wen und was wir hier eigentlich genau sprechen. Altersarmut ist für mich nämlich kein abstrakter Begriff. Schon als Kind hat meine Großmutter mich regelmäßig zu den Seniorinnencafés der Arbeiterwohlfahrt bei uns in der Kleinstadt mitgenommen. ({0}) Was es dort gab, klingt vielleicht erst mal nicht nach etwas Besonderem: Gesellschaft, Unterhaltung, eine günstige Tasse Kaffee oder ein Stück Kuchen. Was für die meisten Menschen alltäglich sein mag, war es für viele Menschen dort nicht; denn wer am Rande der Armutsgrenze lebt, muss oft auf genau diese alltäglichen Kleinigkeiten verzichten, und zwar nicht nur einmal, sondern dauernd. ({1}) Jeder Cent wird zweimal umgedreht, und die Tasse Kaffee beim Bäcker ist eben oft nicht mehr drin. Da Gesellschaft oft mit Konsum zusammenhängt, führt Armut eben auch oft zu Einsamkeit. Gerade in Zeiten wie diesen mit extrem steigenden Preisen denke ich oft an die Seniorinnen und Senioren bei der AWO zurück. Ich bekomme – vermutlich ebenso wie die meisten Kollegen und Kolleginnen hier – viele Zuschriften aus meinem Wahlkreis von älteren Menschen, die derzeit große Probleme haben, ihren Alltag zu meistern. ({2}) Die massiv steigenden Preise für Lebensmittel und Energie stellen sie vor Riesenherausforderungen. Auch die 6 Prozent Rentensteigerung in diesem Jahr können diese massiven Preissteigerungen nicht auffangen. Sicherlich haben viele von diesen Menschen eigentlich Anspruch auf Unterstützungsleistungen unseres Sozialstaats. Wer geringe Renten hat, kann beispielsweise Wohngeld oder Sozialgeld beantragen. Gerade die Berechtigung im Bereich Wohngeld werden wir zum 1. Januar 2023 noch mal deutlich ausweiten. ({3}) Aber ich weiß auch, dass es gerade bei älteren Menschen in unserer Gesellschaft oft große Hemmungen gibt, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. ({4}) Die sogenannte verdeckte Armut in diesem Land ist hoch. Auch wenn wir dieses Problem natürlich grundsätzlich anpacken müssen und wollen, indem wir Sozialleistungen entbürokratisieren, einfacher zugänglich machen und darüber aufklären, so müssen wir gerade jetzt, in dieser akuten Krise, reagieren und Menschen kurzfristig entlasten. ({5}) Daher bin ich sehr froh, dass wir mit diesem Gesetz nun auch eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro an alle Rentnerinnen und Rentner auf den Weg bringen, die durch die Rentenversicherung automatisch ausgezahlt wird. Das ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt. ({6}) Außerdem schaffen wir Entlastung für alle Menschen mit geringen Löhnen, indem wir den sogenannten Übergangsbereich ausbauen. Was bedeutet das? Bereits zum 1. Oktober dieses Jahres haben wir den Übergangsbereich neu geregelt. Wer nicht in einem Minijob arbeitet – also mehr als 520 Euro verdient, aber normalerweise weniger als 1 600 Euro –, zahlt nicht den vollen Beitragssatz zur Sozialversicherung. Vielmehr steigt der Beitrag der Arbeitnehmer erst langsam an, während die Arbeitgeber zunächst einen größeren Beitrag zahlen und dies dann Stück für Stück abschmilzt. Aktuell trifft sich das Ganze dann fifty-fifty bei 1 600 Euro. Das packen wir mit diesem Gesetz noch einmal an; wir erweitern die Regelung auf 2 000 Euro. Das bedeutet: Wer zwischen 1 600 und 2 000 Euro monatlich verdient, kann also zukünftig netto mehr von seinem Einkommen behalten. Das schafft konkrete Entlastung für Menschen, die es dringend nötig haben. Daher ist es der absolut richtige Schritt. ({7}) Klar ist auch, dass diese aktuellen Probleme mit diesen Entlastungen allein noch nicht gelöst sind. Die massiv steigenden Energiepreise treiben die Lebenshaltungskosten in die Höhe, und die müssen dringend gedeckelt werden. Daran arbeitet diese Bundesregierung auch wirklich mit Hochdruck. Wir stellen 200 Milliarden Euro bereit, um einen Energiepreisschutzschirm zu spannen, der die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in diesem Land vor der Krise absichert. Die ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme hat Vorschläge vorgelegt, die für konkrete Entlastungen sorgen werden. Vorgeschlagen ist die komplette Übernahme der Gasrechnung für den Monat Dezember sowie eine Deckelung mit einer Gaspreisbremse auf 12 Cent ab März. Wir werden daran arbeiten, dass diese Vorschläge umgesetzt und vor allem auch sozial gerecht ausgestaltet werden, damit die Bürgerinnen und Bürger wirklich sicher über diesen Winter kommen. ({8}) Auf EU-Ebene wurde zudem beim Energieminister/-innentreffen ein Beschluss zur Umsetzung der Strompreisbremse erreicht. Außerdem werden Übergewinne abgeschöpft, und in Deutschland wurden alle Vorbereitungen getroffen, damit diese Beschlüsse auch wirklich möglichst zügig in die Tat umgesetzt werden können. Sehr geehrte Damen und Herren, wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von den steigenden Preisen zu entlasten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein sehr wichtiger Schritt auf diesem Weg und hat die Zustimmung dieses Hauses wirklich verdient. Vielen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort der Kollegin Mareike Lotte Wulf, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mareike Lotte Wulf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Energiepreispauschale wurde damals als vorübergehende Sofortmaßnahme in einer Nachtsitzung beschlossen und hat damals, finde ich, sehr viel Irritationen ausgelöst, und zwar zum einen bei denen, die sie bekommen und die sie auch dringend brauchen und die sich gefragt haben: „Was kommt eigentlich danach?“, und zum anderen bei denen, die sie nicht bekommen und sie dringend brauchen, vor allem bei den Rentnerinnen und Rentnern. Ich glaube, auf kein Thema wurden wir Abgeordneten – das gilt für alle Abgeordneten hier im Haus – so häufig angesprochen. Warum war das so? Am Ende ging es nicht nur um 300 Euro, sondern es ging um die Frage: Wem hilft der Staat eigentlich in dieser schweren Lage und wem nicht? Deshalb begrüßen wir, dass Sie sich jetzt dazu durchgerungen haben, die 300 Euro endlich auch an die Rentnerinnen und Rentner auszuzahlen. Wir haben es seit April gefordert, und wir begrüßen es, dass Sie gemerkt haben: Wenn man in einer Nachtsitzung zu einer Gießkanne greift, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, dann sollte man auch die Gießkanne erwischen, die tatsächlich groß genug für alle ist. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, als Sofortmaßnahme ist das Gießkannenprinzip durchaus mal gerechtfertigt; aber mittlerweile wäre es tatsächlich auch Zeit für eine kluge Strukturpolitik. Da muss ich sagen, dass ich manchmal irritiert bin, dass Sie diese ausschließlich in der Ausweitung von Sozialleistungen sehen und dafür sehr aktiv werben wie zum Beispiel Lisa Paus, die aufforderte: Es lohnt sich, nun wirklich zu schauen, ob man wohngeldberechtigt ist. – Es ist an sich gut, dass es das Wohngeld gibt. Aber wissen Sie, ich sehne mich manchmal nach den Zeiten zurück, in denen sich Ministerinnen für Dinge gelobt haben wie eine wachsende Zahl von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, ({1}) die Halbierung der Arbeitslosigkeit, eine Verdoppelung der Ausgaben für Bildung und Forschung, eine Übererfüllung international vereinbarter Klimaziele und steigende Löhne und, ja, auch einen ausgeglichenen Haushalt, so wie es in den letzten 16 Jahren der Fall war. ({2}) Diese lähmende Mentalität kommt neuerdings auch in der Arbeitsmarktpolitik von Herrn Heil zum Ausdruck. Zum zweiten Mal erhöhen Sie nun die Midijob-Grenze, nunmehr auf 2 000 Euro. In Kombination mit dem erhöhten Mindestlohn schaffen Sie faktisch eine Privilegierung von Teilzeitarbeitsverhältnissen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, weil Sie erst letzte Woche, Herr Heil, Ihre Fachkräftestrategie vorgestellt haben. Ich frage mich jetzt: Wie glaubwürdig ist das eigentlich noch, dass Sie versprochen haben, dass Sie die Teilzeitfalle für Frauen bekämpfen wollen, dass Sie den Arbeitskräftemangel in diesem Land bekämpfen wollen? Sie schaffen Anreize, die Stundenzahl zu reduzieren, und das bei einer Höchstzahl an offenen Stellen in diesem Land und zulasten unserer sozialen Sicherungssysteme. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Arbeitsmarktpolitik kann, wenn überhaupt, allerhöchstens eine Übergangsregelung sein. Ich persönlich finde sie unsinnig. Aus frauenpolitischer Sicht, lieber Hubertus Heil, ist sie einfach nur enttäuschend. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Linda Heitmann. ({0})

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Nachdem wir zur Entlastung von allgemeiner Inflation und gestiegenen Energiepreisen bereits für Arbeitnehmer/-innen und für Studentinnen und Studenten Einmalzahlungen beschlossen haben, tun wir das heute hier auch für rund 19 Millionen Rentnerinnen und Rentner. ({0}) Ich finde, das ist ein guter Schritt. ({1}) Dass dieser Vorgang erst jetzt kommt – deshalb stehe ich hier auch als verbraucherschutzpolitische Berichterstatterin meiner Fraktion –, gibt uns die Möglichkeit, manche Dinge etwas klüger zu machen als im ersten Entlastungspaket. Ganz konkret haben wir in diesem Gesetz nämlich von vornherein verankert, dass Einmalzahlungen bei Menschen, die überschuldet sind, nicht gepfändet werden können. Ich finde, das ist ein guter und wichtiger Schritt. ({2}) Denn gerade in einer Zeit, in der wir die Schuldnerberatungen gezielt stärken, weil diese sich vor Anfragen kaum noch retten können, und in einer Zeit, in der überschuldete Menschen Angst haben, dass ihnen die Energie abgestellt wird und dass sie möglicherweise ihre Wohnung verlieren könnten, ist es wichtig, aktiv und gezielt zu verhindern, dass Einmalzahlungen wie diese gepfändet werden und dass Menschen ihre Rechnungen dann erst recht nicht mehr bezahlen können. ({3}) Ich bin überzeugt, dass diese Verankerung im Gesetz ein zwar nur kleiner, aber gerade für die vielen Betroffenen wichtiger Baustein ist, um der Verschuldung entgegenzuwirken. Auch für uns als Ampel ist es einer von mehreren Bausteinen. Wir arbeiten in dieser Regierung gezielt daran, dass Menschen sich in diesem Land weniger verschulden. Wir drehen an verschiedenen Schrauben wie der Stärkung der Schuldnerberatung, und wir werden uns auch angucken, ob es Sinn macht, die Pfändungsgrenzen insgesamt anzuheben. Der Verbraucherschutz, für den ich hier heute spreche, ist eine Querschnittsaufgabe. Gerade im finanziellen Verbraucherschutz haben wir noch einige Vorhaben im Koalitionsvertrag, denen wir uns widmen werden. Deshalb will ich mich als Verbraucherschutzpolitikerin auch weiter in die Gesetzesvorhaben aller Ressorts einmischen, wenn wir dadurch zu besserem Verbraucherschutz kommen, wie wir es konkret in diesem Gesetz geschafft haben. Vielen Dank. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Isabel Mackensen-Geis, SPD-Fraktion. ({0})

Isabel Mackensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004949, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In unseren Unterstützungspaketen haben wir bereits viele Menschen adressiert. Zu Recht wurde kritisiert, dass wir die Studierenden und Rentner/-innen nicht explizit bedacht haben. Das holen wir diese Woche nach. ({0}) Wir reden gerade über die 300 Euro Energiepreispauschale. Ich bin meiner Fraktion unendlich dankbar, dass ich einen ganz neuen Aspekt, eine ganz neue Gruppe mit einbringen kann. Als Mitglied des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft möchte ich mich den Rentnerinnen und Rentnern aus der Landwirtschaft speziell widmen. Ich freue mich besonders, dass wir als Ampel zusammen mit den Ministern Hubertus Heil und Cem Özdemir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben, dass jetzt auch noch die Versicherten der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau diese Pauschale erhalten. ({1}) Damit legen wir auch für die Landwirtinnen und Landwirte heute die Grundlage, dass sie bis zum 15. Dezember die Energiepreispauschale automatisch ausgezahlt bekommen. Es handelt sich bei der Alterssicherung der Landwirte um eine Teilsicherung, die seit dem Jahr 1957 besteht. Wir unterstützen diese Alterssicherung. – Herr Straubinger, Sie können zuhören, vielleicht lernen Sie noch etwas. ({2}) – Sie haben nichts dazu gesagt; deshalb ist es jetzt an mir, darauf noch mal einzugehen. Das ist eine wichtige Sicherung. Mit 3,9 Milliarden Euro unterstützen wir die Alterssicherung der Landwirte. ({3}) Das ist mehr als die Hälfte des Haushalts für Ernährung und Landwirtschaft für die Landwirtinnen und Landwirte. Das ist ein wichtiger Beitrag für die Wertschätzung gegenüber den Landwirtinnen und Landwirten und vor allem ihrer Lebensleistung, die sie bereits erbracht haben, aber auch – das wissen wir – in der Rente immer noch für uns alle und unser Land erbringen. Wir unterstützen die Landwirte auch noch an anderer Stelle. Ich komme aus der Vorderpfalz. Bei uns spielt nicht nur der Weinbau, sondern auch der Obst- und Gemüsebau eine große Rolle. Das Pflanzen, Pflegen, Ernten, Weiterverarbeiten und Herstellen von Lebensmitteln ist für unsere Gesellschaft und damit für uns alle lebensnotwendig. Wir wollen auch weiterhin, dass hier bei uns Lebensmittel produziert werden und die Betriebe in Putins Krieg mit all seinen Folgen bestehen können. Deshalb haben wir neben der angesprochenen Berücksichtigung bei der Energiepreispauschale auch ein Hilfspaket speziell für diesen arbeits- und energieintensiven Bereich aufgelegt. Zum einen gibt es die Anpassungsbeihilfe; diese wird unbürokratisch und direkt an die Betriebe ausgezahlt. Zum anderen gibt es das Kleinbeihilfeprogramm. Hier ist zwar eine Antragstellung notwendig; aber die Abwicklung läuft über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, und die hat die Betriebe, die berechtigt sind, schon angeschrieben. Die Antragstellung ist bis zum 31. Oktober möglich. Die Unterstützung der Unternehmen und Beschäftigten in diesem Bereich ist folglich systemrelevant. Das hat nicht zuletzt die Bundesnetzagentur festgelegt, indem sie diese Betriebe bei einer möglichen Gasmangellage geschützt hat und diese Betriebe auch keine Einschränkungen fürchten müssen. Uns ist klar, dass die Herausforderung nicht nur Putins Krieg ist. „Mehr Fortschritt wagen“, das ist unser Ziel. Das gilt auch für die Land- und Fortwirtschaft und den Gartenbau. Wir stehen an ihrer Seite. Die Ampel hat die Menschen im Blick. ({4})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kollegen! Es ist ja mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Deutschland aufgrund einer falschen Energiepolitik in existenzielle Schwierigkeiten geraten ist, und da hilft der Verweis auf den russischen Angriffskrieg gar nichts. Denn bereits im Frühjahr 2019, also drei Jahre vor dem russischen Einmarsch, wurde die deutsche Energiepolitik vom „Wall Street Journal“ ganz treffend als „dümmste Energiepolitik“ der Welt bezeichnet. ({0}) Landauf, landab wappnet sich das Land gegen die Gefahren eines unvorhergesehenen Stromausfalles oder auch vieler geplanter stundenweiser Stromabschaltungen, und das, obwohl Deutschland doch nach Aussage des zuständigen Ministers, der heute keine Zeit hat, ({1}) kein Stromproblem habe. Gleichzeitig werden seit 2020 Kraftwerkskapazitäten von 8 Gigawatt bei Kernenergie und runden 10 Gigawatt bei Kohleverstromung abgebaut. Dass zumindest Letzteres keine so gute Idee war, hat die Regierung mit der Einbringung des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes hinreichend bewiesen. Parallel verfügt Deutschland nun über zwei Gesetze. Mit dem einen Gesetz wird das Verbot des Betriebes eines Kohlekraftwerkes gefordert, und das zweite Gesetz erlaubt den Betrieb genau dieses Kohlekraftwerkes wieder. Welch energiepolitischer Irrsinn! Das Gleiche wird uns bei der Kernkraft erwarten. Ein Gesetz wird kommen müssen, das einen Betrieb erlaubt, obwohl doch eigentlich von Gesetzes wegen der Betrieb verboten ist. Ähnlich sieht es aus beim Erdgas. Methan aus sogenannten unkonventionellen Gewinnungsmethoden, umgangssprachlich als „Fracking“ bezeichnet, zu gewinnen, ist in Deutschland verboten. Gleichzeitig soll aber der Import von im Ausland gewonnenen Fracking-Gas massiv erhöht werden. Dazu wurde extra ein Gesetz geschaffen, das sogenannte LNG-Beschleunigungsgesetz. Dieses erlaubt dann wieder Dinge, die natürlich von Rechts wegen sonst verboten wären. Diese Beispiele zeigen uns ganz klar: Die deutsche Energiepolitik hat sich hoffnungslos verrannt und wird nur noch durch behelfsmäßige Flickschusterei am Leben gehalten. ({2}) Die Kosten für diesen dahinsiechenden Patienten, genannt Energiepolitik, sind dabei so groß, dass sie von einer stark zunehmenden Zahl von privaten und auch unternehmerischen Abnehmern nicht länger geschultert werden können. Und die Folgen sind Abwanderung der wertschöpfenden Industrie und die Verarmung des Volkes. ({3}) Was diese und auch die vorhergehende Regierung offensichtlich nicht verstanden haben: Energie ist die Basis unseres Wohlstandes, sie ist für Wirtschaft und Volk so wichtig wie für uns der Sauerstoff, und daher hat sie ständig in ausreichenden Mengen zur Verfügung zu stehen und darf durch die Kosten die Bezieher nicht unnötig belasten. Die Energiepolitik der vergangenen 20 Jahre hat aber das Gegenteil dessen gemacht. Neue Formen der Energieerzeugung wurden mit Milliarden an Steuergeldern etabliert, ({4}) obwohl keinerlei Beleg für die technische Machbarkeit dieses Unterfangens existiert hat. ({5}) Bevor eine Ersetzung der erprobten Energieerzeugungsmethoden sowohl in technischer Hinsicht als auch in den Fragen der Verlässlichkeit als auch in den Fragen der Regionalität der Erzeugung hätte stattfinden dürfen, hätte dieses Konzept der sogenannten Erneuerbaren in kleinem Maßstab getestet werden müssen, um die Machbarkeit und die reellen Kosten zu ermitteln. In solch einem Labor hätte man dann ganz schnell gemerkt, dass der Preis weit über dem einer Kugel Eis liegt und dass die Zuverlässigkeit der Energieversorgung mangelhaft ist. ({6}) Aber das wurde nicht gemacht. Berufsfremde – hier ruft gerade einer rein –, überbezahlte Menschen ohne vorzeigbare Vita zerschlugen in maschinenstürmendem Eifer all die Techniken und Fundamente der energetischen Basis dieses Landes. ({7}) Letzte Woche hatten wir im Bundestag Besuch von ukrainischen Kollegen aus der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament. Der Vorsitzende des Gasausschusses, Andreii Zhupanyn, hat uns in bewegenden Worten geschildert, wie derzeit die Energieinfrastruktur der Ukraine durch russische Angriffe gezielt zerstört wird. Das Ziel Russlands ist offensichtlich: Die Ukraine soll durch Zerstörung der Möglichkeiten, Energie zu erzeugen, zu verteilen oder auch zu verkaufen, in die Knie gezwungen werden. Hier in Deutschland braucht es dazu weder Raketen noch Bomben noch iranische Kamikaze-Drohnen; denn die Grundlagen der Energieversorgung werden von der Regierung selbst zertrümmert. ({8}) Seit 2011 sind zum Beispiel 14 moderne Kernkraftwerksblöcke stillgelegt worden ({9}) mit einer Nennleistung von 20 Gigawatt – Kraftwerke, nach denen nicht nur die Ukraine sich derzeit die Finger abschlecken würde, und Sie haben sie abgeschaltet. ({10}) Um das zu verdeutlichen, ein Beispiel: ({11}) Hätten wir noch 17 Kernkraftwerke, dann könnte man deren erzeugte Energie auf ungefähr 180 Terawattstunden hochrechnen. ({12}) Die gesamte Erzeugung von Strom aus Kohle und Gas im vergangenen Jahr, 2021, waren 240 Terawattstunden. Und das heißt, zwei Drittel der fossilen Energieerzeugung hätten vergangenes Jahr durch Kernenergie ersetzt werden können. So viel zu Ihren angeblichen Klimaeinsparungsmaßnahmen. Das Gleiche gilt auch für dieses Jahr 2022, in dem die Regierung jetzt nach Gas und Kohle bettelt. Hätten wir Kernenergie, müssten wir das Dorf Lützerath nicht wegbaggern. ({13}) Die von der Regierung angepriesenen Energieträger Wind und Sonne haben 2021 nur circa 150 Terawattstunden geliefert. Und das heißt: Nach über 20 Jahren der Dauersubventionierung schaffen es diese Zufallsenergien nicht, auch nur die Leistung der Kernkraftwerke zu substituieren, und vom Ersatz von Kohle und Gas ist hier noch gar nicht die Rede. Das sind die harten Fakten in Ihrem Energiewendemärchen. ({14}) Ich stelle mir die Frage, wo das hinführen soll. Ganz einfach: Das Ziel ist es, dass Deutschland wieder eine Energieversorgung bekommt, die den Vorgaben der Agenda 2030 entspricht: bezahlbar, zuverlässig, nachhaltig und modern. Das wird die Aufgabe dieser Kommission sein. ({15}) Weil hier die ganze Zeit Einwürfe zu den sogenannten Erneuerbaren kommen: Nein, niemand stellt die Fähigkeit von Windindustrieanlagen und Photovoltaik infrage, Strom produzieren zu können. ({16}) Das wäre auch eine hervorragende und gute Sache, wenn die Menge der Erzeugung zum entsprechenden Verbrauch passen würde. Nur, das ist leider so gut wie niemals der Fall. Daher müssen ständig teure Ersatzmaßnahmen greifen, um die ganzen Defizite zu überbrücken. ({17}) Zukünftig soll dann Energie, die produziert wird, in eine speicherbare Form überführt werden, um dann in Zeiten der ständigen Unterproduktion aktiviert zu werden. Zu diesem Zweck ist es dann nötig, gewaltige zusätzliche Mengen an Energie zu erzeugen, um die dabei auftretenden Verluste zu kompensieren. Das ist derzeit eine megalomanische Idee. Denn nicht nur die jetzige Stromversorgung soll eins zu eins ersetzt werden, sondern darüber hinaus sollen riesige Mengen an Energie mit dem einzigen Zweck erzeugt werden, die gigantischen Wandlungsverluste zu kompensieren – rein in den Wasserstoff, raus aus dem Wasserstoff, rein in die Batterie, raus aus der Batterie –, also Energie zu erzeugen mit dem einzigen Zweck, sie wieder zu verschwenden. ({18}) Die Evaluation betraf jetzt nur den Stromsektor. Aber sie wird sich um mehrere Größenordnungen erhöhen, wenn sie, wie geplant, den gesamten Primärenergiesektor erfassen soll. Wir stellen fest: Der Energiesektor in Deutschland ist stark reformbedürftig. Die Regierung doktert mittlerweile im Monatstakt mit neuen Gesetzen an den Symptomen herum. ({19}) Es ist deswegen an der Zeit, dass die Legislative zurück zur Wurzel geht, um die Energiepolitik, die Basis des Wohlstandes dieses Landes, wieder in die richtige Spur, in die richtigen Bahnen zu lenken. ({20})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Markus Hümpfer. ({0})

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Kraft, ({0}) Sie wollen eine Enquete-Kommission einsetzen und reden am Thema vorbei. Ihnen geht es doch gar nicht um die Kommission. ({1}) Ihnen geht es nur darum, die Atomkraft wieder zu reaktivieren, obwohl sie so teuer ist. Was ist denn mit dem Müll? Wer soll das denn bezahlen? ({2}) Wofür ist eine Enquete-Kommission da? Lassen Sie mich aus dem „Handwörterbuch des politischen Systems“ der Bundeszentrale für politische Bildung zitieren – denn politische Bildung tut uns hier allen gut, manchen ganz besonders –: ({3}) Nach § 56 seiner Geschäftsordnung kann der Bundestag EK „zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ einrichten. „Umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ – das heißt, dass man sie nicht ausreichend in einzelnen Gesetzgebungsverfahren abbilden kann, weil sie verschiedene Themen und Dimensionen vereinen, zum Beispiel „Internet und digitale Gesellschaft“, „Künstliche Intelligenz“, „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“. Das alles sind Titel vergangener Enquete-Kommissionen. Weil es um solche komplexen, großen Themen geht, heißt es im Handwörterbuch weiter: Die Arbeitsergebnisse der EK haben in der Regel mittel- bis langfristige Wirkung, indem sie das Problembewusstsein für komplizierte Sachzusammenhänge schärfen. Jetzt beantragen Sie eine Enquete-Kommission für die Sicherstellung der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Für dieses Thema ist eine Enquete-Kommission gänzlich ungeeignet. ({5}) Erstens brauchen wir die Sicherstellung der Energieversorgung jetzt und nicht erst mittel- und langfristig. Zweitens benötigen wir nicht noch ein weiteres parlamentarisches Gremium zur Bearbeitung eines Problems im Hier und Jetzt. Es gibt wunderbare Ausschüsse in diesem Haus, denen Sie auch angehören. In diesen Ausschüssen werden in jeder Sitzungswoche genau die Themen diskutiert, die Sie genannt haben. ({6}) Und dass beispielsweise Fragen, die abstrus sind, nicht auf der Tagesordnung landen, lässt sich nicht dadurch lösen, dass die Tagesordnung einfach einen anderen Briefkopf bekommt. ({7}) Drittens sind Enquete-Kommissionen für komplizierte Sachverhalte gedacht, die über dem gesetzgeberischen Verfahren schweben. Die Energiewende, unser Energiesystem, die Energieversorgung, das sind keine philosophischen Fragen, sondern ganz konkrete Materie. ({8}) Viertens würde eine Enquete-Kommission auch nicht das tun, was Sie sich von ihr wünschen. Ich zitiere wieder das Handwörterbuch: Dass der Bundestag aus den Empfehlungen einer EK konkrete Gesetzgebungsaktivitäten entwickelt, blieb … eher die Ausnahme. Aus einer Enquete-Kommission entwickelt sich in der Regel ein Problembewusstsein, ein geschärftes Verständnis, das dann in die Politik der verschiedenen Ressorts einfließt. Was Sie sich aber wünschen, ist ein Rollback in der Energiepolitik. Sie wollen mit suggestiven Fragen die Ergebnisse der Kommission vorwegnehmen. Sie sprechen zum Beispiel von „sogenannten regenerativen Energien“ ({9}) oder von – in Anführungszeichen – „grünem“ Wasserstoff. ({10}) Sie suggerieren energieoffene Ergebnisoffenheit, schneiden aber die Fragen auf die Ergebnisse zu, zum Beispiel zu den Auswirkungen der Energiewende auf Brown- und Blackout-Gefahr. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Energiewende kostet Geld, sicherlich. Die Energiewende ist auch nicht für jeden leicht zu stemmen. ({11}) Die Energiewende wird aber in jedem ehrlichen und fairen, nicht verzerrten Kosten-Nutzen-Vergleich gewinnen; denn die Alternativen sind ganz sicher viel schlechter für unsere Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, für das Klima und auch für das gesellschaftliche Klima. ({12}) Ich scheue die Analysen und Abwägungen ganz und gar nicht. Nur ist eine Enquete-Kommission nicht der richtige Platz dafür. Denn wenn ich deren Kosten und Nutzen abwäge, komme ich zu dem Schluss: Das lohnt sich nicht. Denn das Forum für diese Auseinandersetzungen gibt es bereits: Es sind die Ausschüsse für Klimaschutz und Energie, Wirtschaft und auch Arbeit und Soziales ({13}) Und nicht nur in den Ausschüssen gibt es dieses Forum. Ich habe Ihnen gestern hier an dieser Stelle erklärt, was wir alles machen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten: Ausweitung der Biogasproduktion, Streckbetrieb der Kernkraftwerke, Kohlekraftwerke, LNG-Terminals, vieles mehr. Wir stellen die Energieversorgung sicher. ({14}) Stellen Sie sich der Debatte! Bringen Sie überzeugende Argumente ein! Ein weiteres Forum in Form einer Enquete-Kommission braucht es nicht. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. ({15}) Danke. ({16})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat das Wort Fabian Gramling. ({0})

Fabian Gramling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie lange tagt eigentlich eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag? ({0}) Im Schnitt sind es zwei Jahre, manchmal auch drei Jahre. Ich sage Ihnen ganz offen: Als Mitglied im Klima- und Energieausschuss fühlt sich für mich die Zeitspanne zwischen den vollmundigen Ankündigungen der Regierung und der vermeintlichen Umsetzung schon heute wie eine halbe Ewigkeit an. ({1}) Aber der hier vorliegende Vorschlag ganz nach dem Motto „Wenn du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis“ geht an der Realität vollkommen vorbei. ({2}) Denn mit Blick auf die kommenden Monate und Jahre ist klar: Wir müssen die Energieinfrastruktur ausbauen – Stromtrassen wie SuedLink und ein leistungsfähiges Wasserstoffnetz – und den Ausbau beschleunigen, im Zweifel per Gesetz. Wir müssen die erneuerbaren Energien weiter ausbauen – je nach Potenzial dort, wo es sich lohnt und wo es sich rentiert. ({3}) Wir müssen die Speicherkapazitäten ausbauen, wie in Baden-Württemberg. Dort entsteht der größte Batteriespeicher der Welt. Nur so kann nämlich die Energiewende wirklich gelingen. Wir müssen die Rohstoffversorgung sicherstellen: durch mehr Forschung für Substitute, mit mehr Kreislaufwirtschaft und durch Rohstoffgewinnung im Inland, wie beispielsweise kurzfristig von Gas und mittelfristig Lithium. Und wir müssen die Energieversorgung endlich europäisch denken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Enquete-Kommission hilft uns aktuell nicht weiter. Was zu tun ist, das liegt auf der Hand. Jetzt liegt es erst mal an der Regierung. ({4}) Aber die Performance der Regierung allein in dieser Woche hat mal wieder gezeigt: Nicht die letzten 16 Jahre sind in diesem Land das Problem, sondern die letzten 16 Wochen sind in diesem Land das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Liebe Kollegen der Ampel, Sie verweisen gerne auf Experten, Sie verweisen gerne auf die Wissenschaft. Hören Sie doch bitte auf die Leiterin Ihrer Expertenkommission, auf Ihre Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Ihre Expertin sagt: Brennelemente beschaffen, Kernkraftwerke über den April 2023 hinaus am Netz lassen und damit ganz nebenbei den Strompreis um 13 bis 16 Prozent senken. – Das sagt Ihre Expertin. Hören Sie endlich auf sie! ({6}) Es ist für mich und für viele Menschen in diesem Land absolut nicht mehr nachvollziehbar, wenn Sie in Zeiten von explodierenden Energiepreisen, in Zeiten von Unsicherheit und der Sorge vor einem Blackout diesen Vorschlag Ihrer Expertin leichtsinnig beiseiteschieben und uns dafür beschimpfen. Der Kanzler spricht zwar gerne von „You’ll never walk alone“ – am Ende hat er mit seiner Richtlinienentscheidung selbst einen Alleingang gemacht. ({7}) Und seinem auf der Sommerpressekonferenz selbst formulierten Anspruch, es sei seine Aufgabe, ({8}) dass sich die Regierung zusammensetzt und Probleme gemeinsam löst, ist der Kanzler diese Woche nicht mehr gerecht geworden. Die Schlussfolgerung von Franz Müntefering ist hier im Hohen Haus hinlänglich bekannt. Die Grünen und Teile der SPD echauffieren sich, sehen sich um den Ausstieg aus der Kernenergie Ende des Jahres gebracht, für den sie schon die Renaissance des CO2-Emittenten Kohlekraft akzeptiert haben. Klimaschutz scheint an der Stelle die zweite oder sogar nur die dritte Geige zu spielen. Die FDP jubelt verfrüht, versucht krampfhaft, einen Punktsieg zu erzielen, und realisiert spät, dass Scholz im April 2023 alle Kernkraftwerke abschalten möchte. Es lohnt sich immer, einen Text bis zum Ende zu lesen, bevor man twittert, liebe FDP. Der eigentliche Verlierer der Debatte sind aber die Menschen in diesem Land, in einer Zeit, in der jede Kilowattstunde zählt, in der Unternehmen und Privathaushalte Energie sparen sollen und unter hohen Energiepreisen leiden. Die letzten Tage haben aber gezeigt: Von der ursprünglich gefeierten Fortschrittskoalition ist nach einem Jahr wenig übrig geblieben. ({9}) Was mich nach der Anweisung des Kanzlers am meisten gewundert hat, war die Reaktion des Wirtschaftsministers. Er meinte in den „Tagesthemen“, er „kann damit leben“. Lieber Minister Habeck, es geht hier nicht darum, dass Sie damit leben können. Ihr Taktieren, Ihre Angst vor der Niedersachsen-Wahl und Ihre Angst vor dem Grünenparteitag haben unserem Land geschadet. ({10}) Als Wirtschaftsminister einer der größten Volkswirtschaften müssen Sie endlich konsequent handeln, statt auf einen warmen Winter zu hoffen. Es geht nicht darum, wie Sie sich fühlen. Es geht um Planungssicherheit, es geht um Versorgungssicherheit, es geht um Wohlstand, und am Ende des Tages geht es auch um das Vertrauen in die Politik in unserem Land, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({11}) Liebe Ampelfraktionen, liebe Ampelregierung, wir von der Unionsfraktion strecken Ihnen nach wie vor die Hand aus, um die Herausforderungen in diesem Land anzupacken. ({12}) Das haben wir konstruktiv in den letzten Monaten im Ausschuss bewiesen, haben auf Fristen verzichtet. Wenn ein Gesetz in die richtige Richtung gegangen ist, haben wir diesem Gesetz auch zugestimmt. Aber Sie haben die Mehrheit in diesem Parlament, und das respektieren wir. Es ist auch Ihr gutes Recht, mit Ihrer Mehrheit Dinge zu beschließen und umzusetzen. Wir sind dann aber nicht schuld, wenn Sie nichts aufs Gleis bekommen. Deshalb brauchen Sie sich auch nicht ständig hier im Deutschen Bundestag zu echauffieren, wenn wir Ihre Fehler offen ansprechen. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Dr. Ingrid Nestle. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gramling, es ist tatsächlich schwer nachvollziehbar, wenn Sie von der CDU/CSU Tag für Tag wieder über 1 Prozent Endenergie aus Atomstrom sprechen, während dieses Land vor wirklichen Herausforderungen steht und wirkliche Lösungen braucht. ({0}) Eigentlich geht es ja hier um einen Antrag der AfD, über den allerdings die AfD selbst nicht gesprochen hat und der auch in dieser Fraktion anscheinend nicht wirklich auf Interesse stößt – bei gerade mal sechs Anwesenden, die auch nicht alle wirklich zuhören. Schauen wir trotzdem rein: Was haben Sie da gefordert? Sie von der AfD wollen, dass eine über Jahre arbeitende Kommission Fragen untersucht, die längst bearbeitet und intensiv diskutiert sind. Ich nenne nur mal beispielhaft die Fraunhofer-Studie zu Klimaneutralität 2045, die Prognos-Studie zu Klimaneutralität und Versorgungssicherheit, die UBA-Studie zu Windenergie und Gesundheit, zahllose Sitzungen im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Sie haben das alles nicht mitbekommen? Wir brauchen keine ewige Wiederholungsschleife. Wir wissen längst, wie die Energiewende funktionieren kann. Was wir jetzt brauchen, ist die Umsetzung. Wir brauchen den Ausbau der erneuerbaren Energien, und zwar schnell. ({1}) Eigentlich hätten wir den Ausbau schon im letzten Jahrzehnt viel entschiedener gebraucht, ({2}) und dann hätten wir die heutigen Probleme gar nicht in dieser Form. ({3}) Ja, Kollegen von der AfD, es ist schon faszinierend, wie Sie seit über einer Legislatur in diesem Parlament sitzen und nicht mitbekommen haben wollen, wie intensiv diese Fragen aus Ihrem Antrag schon diskutiert worden sind, wie viele Studien, Untersuchungen und Fakten benannt und verschickt worden sind. ({4}) Ernsthafte Diskussionen prallen an Ihnen ab, als hätten Sie einen Regenmantel, an dem nicht Wasser abperlt, sondern Fakten. ({5}) – Ah ja, Sie regen sich wieder auf. ({6}) Das habe ich mir gedacht, und deswegen habe ich Ihnen ein ganz konkretes Beispiel mitgebracht. Erst letzte Woche, genau hier, habe ich darauf hingewiesen – und Sie können das im Protokoll nachlesen –, … dass sich unsere Einsparappelle … eben gerade nicht an die Leute richten, die kein Geld mehr haben, um das zu bezahlen, sondern an die gesamte Gesellschaft, in erster Linie an die Reichen, die am meisten Energie verbrauchen und … sparen können. Klar und deutlich! ({7}) Dann kam ungefähr eine Viertelstunde später Ihr Kollege Herr Bernhard, hat mich persönlich angesprochen und behauptet, ich hätte sinngemäß gesagt: Ja, wenn die Menschen sich die Energie nicht mehr leisten könnten, dann wäre meine Empfehlung gewesen, in Zukunft halt weniger zu verbrauchen. – Das ist das komplette Gegenteil dessen, was ich gesagt habe, und das kann jeder, der die deutsche Sprache versteht, eindeutig erkennen. ({8}) Sie haben gerade ziemlich protestiert, als ich behauptet habe, dass die Fakten und die ernsthaften Diskussionen an Ihnen irgendwie einfach abprallen, ({9}) dass Sie die Enquete-Kommission nur deshalb fordern, weil Sie gar nicht gemerkt haben, dass all diese Fragen längst besprochen sind. ({10}) Und wenn Sie Enquete-Kommissionen tatsächlich so mögen und schätzen, wie kommt es eigentlich, dass Sie die Ergebnisse der vergangenen Enquete-Kommission noch nicht mal zur Kenntnis genommen haben? Schon 1994 kam nämlich die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ zu dem Schluss: Eine der wichtigsten Aufgaben der Energie- und Umweltpolitik ist die Förderung der erneuerbaren Energien. ({11}) Ihr Antrag zeigt klar: Die AfD steht gegen die erneuerbaren Energien; denn Sie wollen mit Fragen, die längst geklärt sind, den Ausbau weiter verzögern. Die AfD steht für die Desinformationskampagne von Putin. Mein Beispiel eben zeigt auch, was Ihre Aussagen, Ihre Binsenwahrheiten, Ihre ständigen Beteuerungen wert sind, dass die Probleme, die wir tatsächlich wegen der Abhängigkeit von den Fossilen haben, angeblich mit den Erneuerbaren zusammenhängen. Das ist genau die gleiche Masche.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir als Ampel stehen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, weil sie kostengünstig sind, weil sie klimafreundlich sind und weil sie auch ganz ohne Putins Zustimmung bei uns ankommen. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Die Linke hat das Wort Klaus Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man weiß ja eigentlich gar nicht so recht, ob das ernst gemeint ist, was Sie da vorschlagen. ({0}) – Ja, das Einzige, was hier ernst ist, bin wahrscheinlich ich. Ich kann Ihnen sagen: Die Debatten, die Sie führen, sind inzwischen wirklich die Debatten von gestern. ({1}) Wir haben es nicht mehr notwendig, eine Enquete-Kommission einzusetzen, wenn alles, was Sie fordern, wissenschaftlich abschließend erforscht ist. ({2}) Ich würde Ihnen also empfehlen, hier tatsächlich nicht irgendwelche Verzögerungstaktiken im Umgang mit wirklichen Klimaproblemen zu forcieren, sondern auf das eigentliche Thema zu kommen. Das eigentliche Thema ist – und da bin ich jetzt bei Ihnen, meine Damen und Herren –: Wie kriegen wir denn die Energiekrise bewältigt? Dass wir zu wenig Gas haben, zu wenig Öl haben, steht fest. Dass wir eine Preisexplosion haben, steht fest. ({3}) Dass wir jeden Tag Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft und von Privaten kriegen, nehmen auch Sie zur Kenntnis. Aber ich habe den Eindruck: Die Vorschläge, die Sie machen, sind noch nicht adäquat, um diese Krise zu bewältigen. ({4}) Das macht mir wirklich Sorgen. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass das andere, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, ebenso umtreibt wie mich. Auch andere fragen sich: Reicht das aus, was wir machen? Was ist bisher passiert, um mehr Energie zu bekommen? Herr Habeck ist durch die Gegend gefahren, nach Arabien, nach Norwegen. Ich bin mit einem Kollegen hinterhergefahren und habe geguckt, was er da eigentlich gekriegt hat. Ich habe festgestellt: Viel war es nicht, was er gekriegt hat. ({5}) Dann fuhr der Kanzler nach Arabien. Was hat er gekriegt? Ein Schiffchen! ({6}) Und dieses Schiffchen lädt genauso viel, wie an einem Tag durch eine Gasleitung kommt. ({7}) – Gute Frage; das kann ich Ihnen sagen. Der Speicher ist deshalb voll, weil die Industrie schon runterfährt, und zwar nicht geplant. ({8}) Er ist deshalb voll, weil immer mehr Unternehmen die Produktion nach unten fahren – lesen Sie doch Zeitung! –, weil sich immer mehr Unternehmen überlegen, ob sie überhaupt noch weiterproduzieren können, ({9}) weil immer mehr Handwerker den Betrieb einstellen, und nicht, weil die Privaten sparen. Die können nämlich meistens nicht sparen. Das ist genau die Arroganz der Grünen. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, was Sie eigentlich treiben, sondern freuen sich, weil die Speicher voll sind. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass Sie unsere Wirtschaft nach unten fahren. Das ist das eigentliche Problem; das möchte ich Ihnen jetzt mal sagen. ({10}) Jetzt kommen wir mal zu der Frage, wo unser Öl und unser Gas eigentlich herkommen. Wo Herr Habeck es herkriegen wollte, hat er es nicht gekriegt. Wo sonst sollen wir es herkriegen? Jetzt haben Sie die Sparprogramme aufgelegt. Die Bürger sollen sparen, sollen frieren. ({11}) – Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? – Nein. Dann seien Sie doch bitte ein bisschen ruhiger. Das würde Ihnen guttun. Ich meine, das ist gut fürs Herz. – Ich kann Ihnen sagen: Das, was Sie an Alternativen haben, reicht nicht aus. Da kommt auch nichts; das merkt man doch. Jetzt werden Sparprogramme aufgelegt, die Bürger müssen frieren, die Städte sind nicht mehr beleuchtet, die Leute wissen nicht mehr, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen, und die Industrie fährt nach unten. ({12}) Wir reden inzwischen von Deindustrialisierung. Deindustrialisierung! ({13}) Das heißt, sie ruinieren mit Ihrer Politik diesen Wirtschaftsstandort. Das ist der Punkt. ({14}) – Linke Hetze, ja klar. Das sagen Sie den Bürgern, die frieren. Jetzt sage ich Ihnen noch was. Warum nimmt man in so einer Situation nicht auch zur Kenntnis, dass Sie, wie alle hier, offensichtlich gerne Gas durch Nord Stream 1 gehabt hätten, oder nicht? ({15}) – Jetzt regen sich alle auf. Sagen Sie, haben Sie heute Pfeffer im Hintern? Was ist denn mit Ihnen los? Ich kenne Sie so gar nicht.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich kann Ihnen nur sagen: Man weiß, was da abgeht, man weiß, dass wir gerne durch Nord Stream 1 Gas gehabt hätten. Jetzt ist die Leitung zerstört – sicher haben die Russen ihre eigene Leitung zerstört –, aber ein Rohr ist noch auf. ({0}) Ich fordere Sie auf, endlich darüber zu verhandeln, wie wir die Gaskrise, die Energiekrise über mehr Menge beseitigen können. Sie sagen: Man kann mit den Russen nicht reden. – Komisch, Erdogan kann es; er redet mit denen und bekommt ein Getreideabkommen hin.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist vorbei.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Und Sie sagen: Mit dem kann man nicht reden. ({0}) Mit Ihrer Politik ruinieren Sie dieses Land. Ich hoffe, dass Ihnen die Bürger dafür bald die Quittung geben. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP hat Michael Kruse das Wort. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Eben sagte jemand hinter mir aus der Fraktion: Michael muss mal wieder aufräumen. – Ich habe das Gefühl, genau das ist in diesem Redeslot öfter mal erforderlich. Also, Herr Ernst, ich weiß eigentlich gar nicht, was wirrer ist: die Vorschläge, die Sie hier präsentieren, oder das, was die AfD-Fraktion mit ihrem Vorschlag zu einer Enquete-Kommission vorgelegt hat. Es wird in dieser Debatte mal wieder mehr als deutlich: Von den Rändern kommt nichts, was zur Zukunft unseres Landes beiträgt. Sie unterscheiden sich in der Ernsthaftigkeit dieser Debatte wirklich kein bisschen. ({0}) – Ich schaue nicht nur nach Niedersachsen, ich schaue auch in Ihre Fraktion. Die ist nämlich ganz leer, und das bei Ihrem eigenen Vorschlag. Das hat Gründe, und die möchte ich Ihnen jetzt gerne in dieser Debatte mitteilen. Ich habe ja diesen Tick, dass ich versuche, obwohl Sie immer das gleiche Faktenfreie erzählen, mich hier mit Ihren Inhalten weiter auseinanderzusetzen. ({1}) Der Rest des Hauses mag mir das nachsehen, aber ich versuche das weiterhin. Das Erste, was mir aufgefallen ist: Ihr Antrag scheint lange gereift zu sein. Alle, wirklich alle Bezüge in diesem Antrag sind aus April oder Mai. ({2}) Vielleicht haben Sie zur Kenntnis genommen, dass seit dieser Zeit die energiepolitische Debatte und vor allem die vielen Maßnahmen, die die Ampel ergriffen hat, weitergegangen sind. ({3}) Aber sei es drum. Das nehmen wir jetzt einfach mal so zur Kenntnis, das deutet aber nicht auf Aktualität hin. Dann schreiben Sie, Strom sei nicht speicherbar. Jetzt habe ich hier etwas ganz Besonderes für Sie. Das ist ein Mobiltelefon; jüngere Menschen nennen das Handy. ({4}) Es enthält etwas ganz Beeindruckendes, einen sogenannten Akku.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kraft, Herr Kruse?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dieser sogenannte Akku speichert genau das, von dem Sie behaupten, es könne nicht gespeichert werden. ({0}) Das ist also etwas ganz Besonderes. Ich erlaube eine Zwischenfrage. Gerne.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Stimmen Sie mit mir überein, dass die Energie in Ihrem Telefon nicht als Strom gespeichert wird, sondern in Form chemischer Energie innerhalb Ihres Lithium-Ionen-Akkus?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich stimme Ihnen zu. Trotzdem ist die Behauptung, die Sie in Ihrem Antrag aufstellen, falsch. Eben gab es den Zwischenruf aus der SPD-Fraktion „Selbst mein Auto kann Energie speichern!“. ({0}) Insofern: Stimmen Sie denn mit mir überein, dass hier das Wesentliche gespeichert wird, woraus dann Strom kommt? ({1}) Aber es ist gut, dass Sie diese Zwischenfrage gestellt haben; denn sie gibt mir in gewisser Weise Hoffnung. An anderer Stelle in Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich Folgendes – dabei verwechseln Sie Energie und Strom, das, worauf Sie gerade hinauswollen; ich zitiere –: Ein Teil dieser Ressourcen – gemeint ist Steinkohle und Gas aus Russland – wird hierzulande zur Energiegewinnung benutzt. Tatsächlich wird das hier zur Stromerzeugung genutzt, nicht zur Energiegewinnung. ({2}) Also, ich möchte Ihnen Ihre Zwischenfrage nicht nur zurückgeben, sondern ich möchte darauf hinweisen, dass Sie an dieser Stelle in Ihrem Antrag ganz falsch sortieren. Deswegen kann auch nichts Vernünftiges dabei rauskommen. ({3}) Dann weisen Sie darauf hin, dass wir das aber speichern sollten. Ich weise darauf hin: Es ist diese Ampelkoalition, die eine Speicherstrategie auf den Weg gebracht hat und die damit dafür sorgt, dass wir die Erneuerbaren auch in den Zeiten verfügbar machen, in denen sie eben nicht ausreichend produzieren. Wie wäre es, wenn Sie sich diesem Ziel einfach anschließen und sagen: „Ja, das ist eine gute Sache; wenigstens da hat die Ampel unsere Unterstützung“, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen? ({4}) Jetzt sind wir in der Energiepolitik aber in einer ernsten Situation, und weil wir das sind, machen wir hier fast im Wochenrhythmus neue Gesetze. Nun frage ich mich: Was soll denn eigentlich eine solche Enquete-Kommission bringen? Die würde zum jetzigen Zeitpunkt gar nichts entscheiden und wäre in die Zukunft gerichtet: Sie würde erst eingesetzt, dann Empfehlungen erarbeiten, dann müssten wir diskutieren, ob wir das machen, und dann müsste das umgesetzt werden. In so einer Kommission könnten ja kluge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sitzen; die könnten uns dann das empfehlen, was andere kluge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns schon längst empfohlen haben. Schauen Sie mal in den IPCC-Bericht! Ich weiß, das IPCC ist bei Ihnen nicht so beliebt, aber da sitzen ja nun mal kluge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die uns etwas empfehlen. ({5}) Wenn Sie jetzt sagen, es brauche eine weitere Kommission, dann wäre es an Ihnen, zu erklären, warum die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die bisher in dieser Welt zum Thema Energie erarbeitet worden sind, nicht ausreichen und warum wir jetzt eine eigene Kommission brauchen, mit der wir uns dann beschäftigen, anstatt die wichtigen Gesetze zu machen, die wir gerade machen. Nein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht die Reihenfolge, das ist nicht der richtige Angang, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass Sie zu den Zielen, die wir hier miteinander erreichen wollen, auch tatsächlich etwas beitragen wollen. ({6}) Es ist in gewisser Weise auch bezeichnend, hier jetzt keine eigenen Vorschläge vorzutragen, sondern stattdessen einen Arbeitskreis gründen zu wollen. ({7}) Also, wenn ich eigene Vorschläge, eigene Ideen habe, dann lasse ich mich dafür in ein Parlament wählen. Wir haben das so gemacht. Deswegen sind wir jetzt in der Verantwortung für dieses Land. Sie haben sich nur in dieses Parlament wählen lassen, um gegen das zu sein, was hier die Mehrheit möchte. Dabei wünsche ich Ihnen keinen Erfolg. Ich beende meine Rede mit dem Hinweis darauf, dass wir die Energiepolitik in diesem Land in die richtige Richtung führen ({8}) und Ihre Expertenkommission nicht brauchen. Herzlichen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion hat das Wort Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD-Fraktion will also eine Enquete-Kommission einsetzen. Es gelingt ihr aber offensichtlich schon nicht, die eigene Fraktion von dieser etwas abwegigen Idee zu überzeugen. Als Ihr Fraktionsvorsitzender während des Zeitungsstudiums in den hinteren Reihen aufgewacht ist, gab er Ihrem Fraktionsgeschäftsführer den Rüffel, es könne ja nicht sein, dass bei einem eigenen Antrag nur vier Leute im Saal seien. So war das. Ehrlich gesagt, beschreibt das erstens die Relevanz des Themas, das Sie aufrufen, und zweitens den Zustand Ihrer Fraktion ziemlich treffend. ({0}) Es nimmt auch nicht weiter wunder, wenn man sich anschaut, was Sie ergründen wollen. Ich nehme mal den einen Punkt, den Sie gleich auf der ersten Seite ausführen. Diese Enquete-Kommission soll sich nämlich unter anderem der „Darstellung des Anteils sogenannter regenerativer Energien an der Gesamt-Energieproduktion in Deutschland, Europa und der Welt“ widmen. Ich empfehle Ihnen bei Gelegenheit mal einen Blick auf Statista.de oder Ähnliches. Dann können Sie sich die ganze Kommissionsarbeit sparen. Da steht das nämlich schon. Insofern zeigt das so in etwa Ihre Gedankengänge. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen noch mal kurz auf die Sprünge helfen: 2021 lag der Anteil der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch bei 16 Prozent, am Bruttoendenergieverbrauch bei 19,7 Prozent. Weite Teile der Enquete-Kommissionsaufgaben haben wir damit erledigt. ({2}) Jedenfalls die, die Sie sich vorstellen. Aber meine Damen und Herren, nicht nur das ist absonderlich. Wir haben in dieser Woche zum Thema Energiepolitik noch einiges Absonderliche erlebt, beispielsweise beim Blick auf die Ampelkoalition. Es ist an anderer Stelle heute schon angesprochen worden: Wenn jemand seine Autorität besonders betonen muss, und erst recht, wenn er sie aufschreiben muss, dann ist es mit dieser behaupteten Autorität meistens nicht so weit her. Das Zitat von Franz Müntefering, der zum Thema Richtlinienkompetenz gesagt hat: „Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist“, ist ebenfalls mehrfach heute vorgebracht worden. Es ist wie vieles von Franz Müntefering richtig. Jedenfalls ist es sozusagen die vorletzte Maßnahme vor einem Misstrauensvotum, die noch bleibt. Dass auch die vollmundigen Bekundungen beispielsweise des Klima- und Energieministers offensichtlich relativ wenig zählen, sehen wir an dem, was die Kollegin Nestle gesagt hat. Wir sehen es auch daran, dass die grüne Bundestagsfraktion sagt: Dieser Herr Scholz, der hat zwar eine Richtlinienkompetenz in seinem Kabinett, aber was wir als grüne Fraktion machen, ist eine ganz andere Frage, und wir machen erst mal nichts. – Damit sind Sie in guter Tradition dieser Ampelkoalition. Sie machen nämlich nichts und lassen die Menschen alleine. ({3}) Meine Damen und Herren, ich will noch mal einige andere Punkte zur Energiepolitik dieser Rückblickskoalition – Sie geben sich einen anderen Namen, aber in Wahrheit sind Sie das – ansprechen. Halten wir mal eins fest: Nord Stream 1 war ein rot-grünes Projekt. Die Energie- und Gasspeicher sind mit großer Unterstützung eines SPD-Ministers an Russland verhökert worden. Gestatten Sie mir: Ich bin ehrlich gesagt fassungslos, dass in einer Situation wie der momentanen dieser Herr Scholz ({4}) wichtige vitale Infrastruktur an China verhökern will. ({5}) Ehrlich gesagt, das zeigt doch den Zustand Ihrer Koalition. Dem ist das egal, was sechs Fachministerien sagen; dem ist das egal. Ich bin mal gespannt, ob er den von Ihnen getragenen Ministern ein weiteres Mal sagt, er habe die Richtlinienkompetenz. Er verhökert Hamburger Infrastruktur – mein Vorredner kommt ja aus Hamburg – so mir nichts, dir nichts an einen chinesischen Staatskonzern. Ich bin gespannt. ({6}) Sie beschäftigen sich ja gerne mit Rückblicken auf 16 oder 17 Jahre. Gucken wir mal nur ein Jahr zurück, und blättern wir Ihren Koalitionsvertrag durch. Wir lesen an 12, 14, 16 Stellen, dass Sie den Gaseinsatz massiv ausbauen wollen. Im Gegensatz dazu lesen wir ein Wort gar nicht im rot-grün-gelben Ampelvertrag, nämlich das Wort „Wasserkraft“. Es ist noch nicht lange her, als wir uns hier ({7}) – genau, Herr Gremmels; ich komme gerade auf Sie zurück – ({8}) mit einer Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschäftigt haben, in dem Sie, die Fraktionen der Ampelkoalition, die kleine Wasserkraft ausphasen wollten. ({9}) Es ist ausschließlich der Initiative der Union und einer breiten Öffentlichkeit zu verdanken, dass das verhindert wurde, und das ist richtig so. ({10}) Meine Damen und Herren, stattdessen beschäftigen Sie sich mit einer Gaspreisbremse, richten unglaubliche Verunsicherung in der Öffentlichkeit an, kämpfen noch bis Mittwoch spät in die Nacht für diese vollkommen abenteuerliche und überflüssige Gaspreisbremse, um dann 24 Stunden später wieder raus aus den Kartoffeln zu wollen und zu sagen: Das haben wir eigentlich nie gewollt und gemeint, und ganz genau verstanden haben wir es eigentlich auch nicht. Sie haben viele andere Dinge nicht verstanden, nämlich – das haben wir heute auch diskutiert –: Ist diese Energiepreisdämpfungszulage für Rentnerinnen und Rentner eigentlich steuerfrei? Das konnten Ihre Regierungsvertreter gestern im Finanzausschuss nicht beantworten. Jetzt bekommen wir die Nachricht – im Übrigen keine gute für die Rentnerinnen und Rentner –, dass sie zu versteuern ist. Meine Damen und Herren, das zeigt den Zustand Ihrer Koalition. Noch einmal zum Mitschreiben: Die Ampel will ein Gesetz beschließen, bei dem sie überhaupt nicht weiß, welche Rechtsfolgen sich daraus ableiten und wie es auf den Energiemarkt wirkt. Sie zögern, zaudern, und das Thema „AKW-Laufzeiten“ hatten wir hier schon angesprochen. Wir brauchen – damit will ich auf das Thema dieser Debatte zurückkommen – keine Enquete-Kommission, wie es die auch praktisch nicht teilnehmende AfD-Fraktion hier vorschlägt. ({11}) Was wir bräuchten, wäre eine entschlossene, kluge, handlungsfähige Bundesregierung. Dafür gibt es in diesem Hause leider keine Mehrheit. ({12})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist schon mal ein Ding: Kernzeit am Donnerstag, eine wichtige Debattenzeit im Deutschen Bundestag, die AfD-Fraktion stellt einen Antrag, und zu Beginn der Debatte sind vier Abgeordnete der AfD-Fraktion da. Ich finde – das sage ich auch den Zuschauerinnen und Zuschauern, die diese Debatte jetzt sehen –, das ist schon Arbeitsverweigerung. Gut, bei diesem Antrag wäre es mir, ehrlich gesagt, auch zu peinlich, als AfD-Fraktion anwesend zu sein. Aber das müssen Sie für sich entscheiden. ({0}) Ich erinnere mich noch an den Beginn der letzten Wahlperiode, als Sie hier sozusagen Bilder gefakt haben, indem Sie morgens halbleere Abgeordnetenränge der anderen Fraktionen fotografiert haben. ({1}) Jetzt müssten wir mal ein Bild von Ihren Abgeordnetenrängen machen. Sie verweigern die Arbeit, und zwar nicht nur hier im Saal, sondern auch die inhaltliche Arbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Wenn man die Überschrift Ihres Antrags liest – „Einsetzung einer Enquete-Kommission ‚Sicherstellung der Energieversorgung für die Bundesrepublik Deutschlandʼ“ –, kann man sich fragen: Wer sollte denn etwas dagegen haben? ({3}) Das klingt im ersten Moment so, als wäre endlich mal etwas Vernünftiges da. Dann habe ich mir die Arbeit gemacht und gelesen, was Sie da aufgeschrieben haben. Das ist nicht nur, lieber Michael Kruse, der Sachstand von April, Mai dieses Jahres; das stimmt. Es werden ja sogar Quellen zur Energiepolitik von 1999 angeführt. Sie beziehen sich in einer Fußnote auf eine Studie von 1999; das ist 23 Jahre her! Das ist in der Energiepolitik sozusagen eine halbe Ewigkeit. Wenn das die Grundlage Ihres Arbeitens und auch Ihrer energiepolitischen Positionierung von heute ist, sagt das doch alles über Sie aus: Sie sind gar nicht auf der Höhe der Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Ehrlich gesagt, es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages und auch nicht die des Steuerzahlers, hier jetzt eine Fortbildungsveranstaltung für die AfD-Fraktion zu machen. ({5}) Die können Sie aus Ihren Fraktionsmitteln bezahlen, und Sie sollten das auch mal tun. Denn Sie brauchen in Sachen Energiepolitik klar eine Fortbildung. ({6}) Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Wissen Sie, was die preiswerteste, günstigste, sicherste Form der Energieerzeugung ist? Das ist die Photovoltaik. Das ist die derzeit günstigste Form der Energieerzeugung. ({7}) – Das ist kein Unsinn; das ist wissenschaftlich evident. Das können Sie gerne nachlesen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Sie verweigern doch die Realität. Sie beziehen sich auf Studien von 1999. Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Sie faseln jetzt von einer Deindustrialisierung. Das stimmt doch auch nicht. Die Energiewende ist, wenn wir sie konsequent umsetzen, der größte Jobmotor. ({9}) Dezentrale erneuerbare Energien schaffen gute Arbeitsplätze, ({10}) und zwar nicht nur an zentralen Standorten, wie es bei Kohlekraftwerken der Fall ist, sondern dezentral, in unseren Kommunen. Da sind die Solarteure, die Dachdecker, die Anlagenbauer für Windkraftanlagen, für Gasanlagen, die Händler, die die Wartung vornehmen. All das schafft gute Arbeitsplätze, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn wir die Energiewende in Deutschland richtig und konsequent umsetzen, wird uns das auch auf dem Weltmarkt voranbringen. Es gibt Leute, die uns nacheifern, was wir gemacht haben. ({11}) Die große Gefahr ist doch, dass wir, die wir in den letzten 20 Jahren wirklich schon viel Geld in die Hand genommen haben, auch die Verbraucherinnen und die Verbraucher über die EEG-Umlage, um eine Technologie wie die Erneuerbaren voranzubringen und sie an den Weltmarkt heranzuführen, jetzt auf die Bremse treten. Dann wird es weiter so sein, dass Wissen und Industriearbeitsplätze abwandern, nicht nur nach China, sondern mittlerweile auch in die USA, ({12}) weil dort die Rahmenbedingungen viel besser sind. Deswegen ist es der falsche Weg, hier jetzt ein Stoppschild aufzustellen. Wir müssen die Energiewende beschleunigen; wir müssen sie voranbringen, und wir müssen auch europäische Antworten auf den Inflation Reduction Act von Biden finden, ({13}) damit wir zukunftsfähige Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien hier in Deutschland behalten und ansiedeln, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({14}) Das ist die Zukunft, und für diese Zukunft steht die Ampelkoalition. Und da brauchen Sie sich auch überhaupt keine Sorgen und falschen Hoffnungen zu machen: ({15}) Diese Ampelkoalition arbeitet im Bereich der Energiepolitik eng und gut zusammen. ({16}) Wir haben – ich habe das mal überschlagen – schon über 13 Gesetze auf den Weg gebracht, meine sehr verehrten Damen und Herren, im ersten halben Jahr. Wir räumen Herrn Altmaier hinterher; auch das gehört zur Wahrheit dazu, lieber Carsten Müller. ({17}) Sie müssten das für sich auch mal rekapitulieren, und Sie müssten es auch mal kritisch reflektieren. Wer hat es denn im letzten Jahr zugelassen, dass unsere Gasspeicher in Deutschland alle leer sind? ({18}) Das war Peter Altmaier. Sie waren leer. Wir mussten erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass sie gefüllt werden. ({19})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Gremmels.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gramling? ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Fabian Gramling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage, Herr Kollege. – Ich wollte nur kurz nachfragen, ob Ihnen bekannt ist und was Sie davon halten, dass der Wirtschaftsminister zum Zeitpunkt seiner groß angekündigten Eröffnungsbilanz, wo er die Abrechnung mit der Vorgängerregierung gemacht hat, nach wie vor voll auf Gas gesetzt hat und im Vergleich zum Bundeskanzler keine Anzeichen hatte, dass wir in ein Gasproblem kommen könnten.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um auf Ihre Frage zurückzukommen: In der Eröffnungsbilanz hat sich der Minister auf ein paar Faktoren beschränkt. ({0}) Wir konnten in dieser Phase ja nicht die kompletten 16 Jahre CDU-geführter Bundesregierung hier beantworten. ({1}) Das Thema Gas ist nach wie vor eines. Und da würde ich an Ihrer Stelle als CDU/CSU-Fraktion mal kleinere Brötchen backen; ({2}) schließlich war es ja Ihr Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender, der noch im März gefordert hat, wir sollten sofort die Gaspipeline Nord Stream 1 schließen. Dann hätten wir die Speicher nicht vollbekommen. Es waren Robert Habeck und die Koalition, die hier unideologisch und undogmatisch Entscheidungen für die deutsche Wirtschaft, für die Menschen getroffen haben, ({3}) damit die Speicher schnell gefüllt werden, und es ist uns geglückt: Die Speicher sind zu 95 Prozent gefüllt. Das sind sozialdemokratische, grüne und FDP-Regierungserfolge. Dazu stehen wir! Wir räumen Ihnen hinterher. ({4}) Und wir räumen Ihnen auch bei den LNG-Terminals hinterher. Auch da hat der zuständige Wirtschaftsminister in der letzten Wahlperiode nicht dafür gesorgt, dass wir auch nur ein Terminal in Deutschland bekommen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. ({5}) Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch mal Fakten anerkennen. Deutschland hat in Europa kein einziges LNG-Terminal, und diese Koalition räumt dem hinterher, indem wir jetzt solche Terminals in höchster Geschwindigkeit ans Netz bringen, damit wir noch im Dezember die ersten LNG-Terminals hier bekommen – als Übergangstechnologie, weil die Zukunft den Erneuerbaren gehört. Wir müssen jetzt investieren; wir müssen jetzt die Erneuerbaren ausbauen. Windkraft in Bayern: Jawohl! Schaffen Sie die 10‑H-Regel ab! Da tun Sie mehr für die Energiewende als jede Diskussion um Laufzeitverlängerung. Wir brauchen einen massiven Ausbau der Photovoltaik und weiterer erneuerbarer Energiequellen. Nur so gelingt es uns, aus der Krise zu kommen, nachhaltig zu wirken, Arbeitsplätze zu schaffen und die Menschen nicht alleinzulassen. Diese Koalition packt an. In diesem Sinne: Glück auf! ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Bernhard Herrmann. ({0})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß jetzt nicht so recht, ob ich mich geehrt fühlen soll, dass sich die Reihen mittlerweile wenigstens etwas füllen; aber die Beteiligung ist immer noch marginal – gerade von denen, die im Energieausschuss für das Thema zuständig sind. Mit diesem Antrag hat die AfD wieder mal bewiesen, dass es ihr nicht darum geht, die Interessen der Menschen zu vertreten; vielmehr schüren Sie aus parteitaktischen Gründen Ängste in der Bevölkerung. ({0}) Leider kommt das von beiden politischen Rändern, wie wir heute schmerzlich erfahren mussten. Das tut mir weh als jemandem, der in Chemnitz schon lange auch mit der Linken kooperiert, wenn es sozial verantwortlich ist. Das tut wirklich weh. ({1}) Von verantwortungsvoller parlamentarischer Arbeit keine Spur! Dieser Antrag strotzt von offensichtlichen handwerklichen Mängeln und trieft vor Falschaussagen wie zum Beispiel der Aussage, dass die AKW-Betreiber sich nicht in der Lage sähen, einen Streckbetrieb durchzuführen; dabei bereiten die AKW-Betreiber genau das vor. Und dann ist dieser Antrag, genau wie die AfD-Politik im Allgemeinen, voller Widersprüche: Mal wird gesagt, dass die Energiewende ein deutscher Sonderweg sei, an anderer Stelle, dass die Energiewende zum europäischen Green Deal passe. Dann spricht sie noch davon, dass unsere europäischen Nachbarn die deutsche Energiewende kritisieren; als Beleg musste sie aber auf einen Zeitungsartikel von 2013 zurückgreifen. Mal fordert die AfD Erleichterung für Solarstrom, jetzt wieder das Ende der Energiewende. Wie passt das alles zusammen? Aber das ist den Postfaktikern der AfD doch egal. ({2}) In zehn Monaten hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mehr als 50 Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht. Die AfD kriegt es nicht einmal hin, diesen einen Antrag, der offensichtlich schon im Frühling geschrieben wurde, auf den neuesten Stand zu bringen, bevor sie ihn ins parlamentarische Verfahren einbringt. Qualitative Oppositionsarbeit sieht anders aus – aber das erwarte ich nicht von Ihnen –, ({3}) auch wenn Sie anderswo immer so tun, als würden Sie sie machen. Kein Wunder also, dass die AfD sich externe Expertise wünscht, um ihre eigenen Fehler zu überdecken. Aber: Das wird ihr nicht helfen; denn der Populismus entbehrt jeglicher faktischen, seriösen, wissenschaftlichen Grundlage. ({4}) Ja, die Energiewende muss kritisch beleuchtet und möglicherweise auch nachjustiert werden; zum Beispiel können wir seit März nicht weiterhin auf vermeintlich günstiges Erdgas aus Russland setzen. ({5}) Darum ist es umso dringlicher, die Erneuerbaren auszubauen, um Gaskraftwerke noch seltener und mit weniger Gaseinsatz als Backup nutzen zu müssen. ({6}) Wir werden Erdgas schnellstmöglich durch Grünen Wasserstoff und durch flexibel eingesetztes Biogas ersetzen, und schon ist das Problem lösbar – wenn man es denn möchte. ({7}) Mit dem vorliegenden Antrag will die AfD jetzt die Aufgabe des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren, auf eine Enquete-Kommission abschieben. Wir alle in diesem Hohen Haus haben die Arbeit der Bundesregierung regelmäßig kritisch zu prüfen. Dafür braucht es keine Enquete-Kommission. Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie hat in diesem Jahr schon 36‑mal getagt, und zu allen Gesetzen wird in Anhörungen breiter Sachverstand hinzugezogen. Wenn man dabei aber immer nur den Klimawandel leugnet oder über angeblichen Flatterstrom Unsinn erzählt, kann man natürlich aus den Expertenanhörungen auch nichts mitnehmen. Sonst aber kann man durchaus die richtigen Schlüsse für verantwortungsvolle Entscheidungen ziehen, um als nicht schlecht bezahlte Abgeordnete nicht auch noch weitere steuergeldverschlingende Kommissionen beschäftigen zu müssen. ({8}) Anstatt wie die AfD der Bevölkerung mit populistischen Sprüchen was vorzumachen, ihr das Blaue vom Himmel zu erzählen, sollten alle hier im Parlament einfach verantwortungsbewusste Parlamentsarbeit machen! Wir als Ampelfraktionen machen genau das und arbeiten entschlossen daran, zum einen sicher und ohne gravierende Verwerfung durch diese Energiekrise zu kommen, und da gibt es große Erfolge: Die Speicher sind gefüllt, die Gaspreise sinken massiv, sowohl im Großhandel, im Spotmarkt als auch im Terminmarkt. Und wir arbeiten zum anderen seit Beginn der Legislatur ambitioniert daran, uns auf eine sichere, klimaverträgliche und bezahlbare Energieversorgung neu auszurichten. Vielen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte ist für die FDP-Fraktion Konrad Stockmeier. ({0})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen und insbesondere auch die Kolleginnen und Kollegen, die, wie ich, seit einem Jahr neu im Bundestag dabei sind! Vielleicht geht es Ihnen auch so wie mir: Ich stelle mit einer gewissen Irritation fest, dass in diesem Hohen Haus ein Satz gemieden wird, wie der Teufel das Weihwasser meidet, der eigentlich gerade in Krisenzeiten, in den Zusammenhängen, in denen wir alle unterwegs sind – in der Familie, im Verein, im Betrieb, in der Hochschulgruppe, in der Azubigruppe –, eine ganz große Rolle spielt. Es ist der Satz: Wir schaffen das! ({0}) Ich glaube, es tut uns nicht gut, dass wir im politischen Diskurs diesen Satz völlig ausblenden, ({1}) weil er uns gerade in schweren Zeiten in Erinnerung ruft und aufzeigt: Wir können das schaffen, auch wenn wir Umwege nehmen müssen, wenn wir auf Unvorhergesehenes reagieren müssen und gerade wenn es schwer wird. ({2}) Ihr Antrag atmet nur den Geist der Vergangenheit. Sie verweigern sich einer zukünftigen, sicheren Energieversorgung in Deutschland und in Europa. ({3}) Es geht schon damit los: Dieser Satz „Wir schaffen das“ kommt Ihnen alleine schon deswegen nicht über die Lippen, weil Sie „wir“ ja nur ausgrenzend definieren können. ({4}) Dieses Wir geht selbstverständlich weit über den Rahmen einer Regierungskoalition in Deutschland hinaus. Dieses Wir müssen wir angesichts des Angriffs von Putin auf Freiheit und Demokratie mindestens europäisch, wenn nicht auch transatlantisch denken – lauter Aspekte, die man in Ihrem Antrag völlig vermisst. ({5}) Worauf trifft man dagegen? Auf olle Kamellen aus der Vergangenheit, die durch nichts gerechtfertigt sind. Sie kommen beispielsweise bei den Windkraftanlagen immer noch mit der Mär vom Infraschall um die Ecke. Ich empfehle Ihnen, mal im Archiv der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Natur- und Wissenschaftsteil von vor ein paar Monaten einen Kongressbericht nachzulesen, ({6}) wo einfach noch mal aufgezeigt wurde, dass der Infraschall, den Sie beim Brustschwimmen erzeugen, wesentlich größer ist als das, was jede Windkraftanlage ausrichten kann. ({7}) Ich habe mir angewöhnt, in Berliner Sitzungswochen ein-, zweimal schwimmen zu gehen. Aber vielleicht kommen Sie auch noch auf die Idee, das verbieten zu wollen. Ich glaube, Sie werden dafür keine Mehrheit kriegen. ({8}) Zweitens ist schon angesprochen worden, dass die Entwicklungen der Energiespeicher an Ihnen völlig vorbeigehen. Denken Sie mal darüber nach, warum die eigentlich interessanten Gesprächspartner dort den Kontakt mit Ihnen nicht suchen. Ebenso fordern Sie, Formen der Bürgerbeteiligung endlich mal zu evaluieren. Denken Sie mal darüber nach, warum Sie zum Bürgerenergiekonvent, der vor knapp zwei Wochen in Fulda stattgefunden hat und zu dem ich mit Kollege Hümpfer eingeladen war, nicht eingeladen worden sind: weil sich die, die sich bürgerschaftlich für die Energiewende engagieren, von Ihnen eben rein gar nichts versprechen. ({9}) Des Weiteren fordern Sie, dass eine Energieversorgung in Angriff genommen wird, die Abhängigkeiten vermeidet. In diesem Kontext, Herr Ausschussvorsitzender Klaus Ernst, kann ich nur sagen, dass mir Ihre Einlassungen hier einmal mehr die Sprache verschlagen. Sie fordern also, mit einem Regime ins Gespräch zu kommen, das in diesen Tagen Kamikaze-Drohnen auf Wohnhäuser in Kiew herabstürzen lässt. ({10}) Also, ich weiß nicht, welche Dialogmöglichkeiten sich da auftun sollen; es ist mir ein Rätsel. ({11}) Des Weiteren fordern Sie die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Theorien. Ich kann Ihnen nur sagen: Es hindert Sie niemand daran. Wir Freie Demokraten sind nicht bereit, weitere Steuergelder für eine Enquete-Kommission bereitzustellen, nur weil Sie sich nicht sinnvoll mit sich selbst beschäftigen können. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, wenn ich zu Hause in Mannheim unterwegs bin, auf den Marktplätzen, dann geben mir Menschen den Satz „Wir schaffen das“ mit einem anderen Klang mit, nämlich mit dem von Sorge getragenen Klang: – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Stockmeier, einen Satz noch.

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– Wir müssen das schaffen, und das werden wir schaffen. ({0}) Es kostet uns Kraft, aber wir kriegen das hin. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Stockmeier. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jonas Geissler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kraft, ich habe Ihren Antrag ausführlich gelesen und war bei Ihren einleitenden Worten durchaus sehr überrascht, weil Sie von den sieben Minuten Redezeit, die Sie hatten, sechs Minuten auf alles geschimpft haben, was es gibt, und sich in einer Minute mit Ihrem eigenen Antrag beschäftigt haben. ({0}) Ich habe mir dann durchaus auch die Frage gestellt, ob Sie Ihren Antrag selbst gelesen haben. Der ein oder andere Kollege hat darauf hingewiesen, dass der Antrag wohl nicht der aktuellste ist. ({1}) Die meisten Fußnoten sind vom 21. April, danach folgt der 12. Mai. Mir ist das Ganze eigentlich nur aufgefallen, weil ich irgendwann auf den Satz gestoßen bin: 35 Prozent unseres Gases kommen aus Russland. ({2}) Also, jeder in diesem Haus, der im letzten halben Jahr aufgepasst hat, weiß, dass wir davon seit Langem weit entfernt sind. ({3}) Aus Russland wird zum aktuellen Zeitpunkt gar nichts mehr geliefert, und das schon seit September. ({4}) Das heißt, wenn jemand von Ihnen sich seit Anfang September mit diesem Antrag beschäftigt hätte, dann hätten Sie irgendwann mitbekommen, dass die Russen uns kein Gas mehr liefern. Dass das im Übrigen schon lange geplant gewesen ist, das weiß jeder, der im letzten halben oder im letzten Dreivierteljahr Energiepolitik gemacht hat. ({5}) Ich komme aus einer Region, wo die bayerisch-thüringische Glasindustrie zu Hause ist. Die energieintensiven Unternehmen in meiner Heimat haben sich das erste Mal im November, Dezember 2021 an mich gewendet mit dem Satz: Wir haben ein unglaubliches Problem, Energie auf den Spotmärkten einzukaufen. Da gibt es nichts mehr. – Mittlerweile wissen wir, dass die Russen die Gasspeicher im kompletten Jahr 2021 nicht vollgefüllt haben, und sie haben den Spotmarkt nicht bedient. Das alles waren unmittelbare Kriegsvorbereitungen Putins. ({6}) Wenn man Ihren Antrag mit der einen oder anderen Formulierung liest, dann stellt man fest: Es kommt genau das dabei heraus, was man auch als Schwurbeln begreifen kann. Sie schreiben hier von Gesundheitsrisiken, von Elektrosmog, also von allem, wovor Menschen, die sich Aluhüte aufsetzen, Angst haben. Sie bedienen damit Narrative, die wir eigentlich alle gemeinsam überwunden haben. Jedem in diesem Haus sollte es darum gehen, dass Deutschland aktuell und auch in der Zukunft eine gute Energieversorgung hat. ({7}) Wenn man ganz ehrlich ist: Sie machen damit das, was Ihre Fraktionsvorsitzende auf ihren Social-Media-Kanälen macht. Ich kann mich erinnern, dass Alice Weidel irgendwann in dieser Woche suggeriert hat, die USA hätten die Pipelines gesprengt. ({8}) So was macht sie nicht wortwörtlich, sondern da werden dann Narrative in den Raum gestellt, Fragen gestellt, nach dem Motto: Jetzt hört doch mal hin, und schaut doch einfach mal zu.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, Sie hätten mit Ihren Kollegen aus der Glasindustrie in Bayern schon im letzten Jahr besprochen, dass die Russen die Gasspeicher nicht vollmachen. Jetzt ist es so, dass ich im September oder Oktober letzten Jahres eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt habe – Entsprechendes wurde in der Bundesrepublik behauptet –, ob es zutreffend sei oder ob die Bundesregierung Hinweise habe, dass Russland seine Verträge mit Deutschland hinsichtlich der Lieferung von Gas nicht erfülle. Die Antwort der Bundesregierung war: Nein, es liegen keine Hinweise vor, dass Russland – zu dem damaligen Zeitpunkt – seine Verträge nicht erfüllt. – Erstens. ({0}) Zweitens. Jetzt war das ja eine Bundesregierung, die von der CDU geführt war. Gehen Sie davon aus, dass ich da belogen wurde? Ich bin gerne bereit, Ihnen die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ich habe mich gewundert aufgrund der Debatte, die stattgefunden hat, auf der einen Seite und aufgrund der eindeutigen Ansage der Bundesregierung auf der anderen Seite: Das war nicht so. Jetzt gibt es natürlich eine andere Möglichkeit: dass zu wenig Gas bestellt worden ist. Jedenfalls liegt es nicht an den Verträgen, die die Bundesregierung mit Russland gemacht hat. Insofern würde ich ableiten – würden Sie mir da zustimmen? –, dass Russland bis zu diesem Zeitpunkt vertragsgemäß geliefert hat. ({1})

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz grundsätzlich: Kollege Ernst, das können Sie im Protokoll meiner Rede nachlesen. Ich habe gesagt, dass die Russen im November, Dezember die Mengen, die sie auf die Spotmärkte geliefert haben, massiv begrenzt haben und dass wir im Nachhinein erfahren haben, dass auch die Gasspeicher nicht aufgefüllt worden sind – was zum damaligen Zeitpunkt keiner hören wollte. ({0}) – „Vertragsgemäß“? Nein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Ernst, Sie haben die Frage gestellt. Jetzt keinen Dialog bitte.

Dr. Jonas Geissler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe das aber nie in Abrede gestellt, sondern ich habe gesagt: Das, wozu die Russen verpflichtet sind, haben sie zu diesem Zeitpunkt gemacht. Aber sie haben auf dem Spotmarkt nicht geliefert. Damit haben die Russen das komplette Energiesystem bei uns destabilisiert. ({0}) Das sind unmittelbare Vorbereitungen eines Wirtschaftskriegs gewesen. Dass das mit den Gasspeichern keinem aufgefallen ist, das wissen wir, die wir seit einem Dreivierteljahr Energiepolitik machen, mittlerweile alle. ({1}) Das heißt, wenn Sie jetzt versuchen, zu suggerieren – genau das tun Sie mit Ihrer Zwischenbemerkung –, dass die Russen alles richtig gemacht hätten: Das ist falsch. Wir waren unmittelbaren Kriegsvorbereitungen ausgesetzt. ({2}) Die Ersten, die sich bei mir gemeldet haben, waren die Unternehmen der Glasindustrie. Wir haben viel um Lösungen gerungen. Wir haben immer wieder versucht, Möglichkeiten zur Unterstützung der Industrie zu finden. Im Nachhinein ist da leider zu wenig passiert. Genau das ist jetzt auch das Grundproblem mit dem Antrag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission. ({3}) Wenn wir uns über die Energiewende unterhalten, dann wissen wir alle, dass der Faktor Zeit überhaupt das Schwierigste in der aktuellen Situation ist. Wir haben nämlich keine Zeit. Egal wie schnell man eine Enquete-Kommission durchführt, am Ende braucht man mindestens zwei Jahre, um Lösungen zu präsentieren. Diese zwei Jahre haben wir aber nicht. Die Ersten, die sich an uns gewendet haben, waren die energieintensiven Unternehmen. Die Nächsten, die gekommen sind, waren die kleinen Mittelständler, die ihre Strom- und Gasverträge für das kommende Jahr abgeschlossen haben. Mittlerweile betrifft diese Krise jeden einzelnen Privaten. Sie alle wissen aus Ihren Bürgersprechstunden, wie die Menschen auf uns zugehen. Ich habe vor vier Wochen ein Gespräch mit einer Krankenschwester geführt, die in ihrem eigenen Haus wohnt, in der großen Wohnung, alleinerziehend mit ihren Kindern. Sie überlegt sich, in die kleine Wohnung umzuziehen, weil sie ihre Energiekosten nicht mehr tragen kann. Ich habe vor drei Wochen ein Gespräch mit einem Brauer aus Rödental geführt, der mir erklärt hat, wie er in seiner Gaststätte in Zukunft Kosten anders umlegen muss. Anfang des Jahres hat der Sauerbraten 15 Euro gekostet. Wenn er die Energiekosten umlegen muss, kostet der Sauerbraten 20 Euro. Das kann sich bei uns in der Region keiner mehr leisten; es kann sich niemand leisten. Die Menschen in diesem Land haben Angst und fürchten sich. Und dass wir alle, zumindest in einem Teil dieses Hauses, die Ängste der Menschen ernst nehmen, das ist, glaube ich, unbestritten. Aber wir haben eine andere Wahrnehmung in dem, was richtig und was falsch ist und wo gehandelt werden müsste. Das ist der Vorwurf, den Sie sich gefallen lassen müssen: Wir haben vier Monate mit Ihnen gerungen, ob die Wasserkraft weiter gefördert wird. Sie haben sieben Monate herumgetan, ob der Biogasdeckel aufgehoben wird. Wir haben im Februar das erste Mal angeregt: Lasst doch die Kernkraftwerke länger laufen; prüft es gescheit. Wir hätten im Februar die Chance gehabt, die drei Atommeiler, die vom Netz gegangen sind, wieder hochzufahren. Das versäumt zu haben, ist der Vorwurf, den Sie sich gefallen lassen müssen; ({4}) denn bei Energie geht es eben leider auch um Ideologien, und Ideologien sind in dieser Situation völlig fehl am Platze. ({5}) Die Menschen im Land haben Angst. Das ist die Krankenschwester, das ist der Brauer, das sind die Zehntausende in der Industrie, die um ihre Arbeitsplätze fürchten. Vor allen Dingen ist es jeder Einzelne, der nicht mehr weiß, wie er seine Strom- und Gasrechnung im nächsten Jahr bezahlen soll. Für die Menschen daheim ist es eben keine Lösung, zu sagen, dass wir irgendwann im April einen Gaspreisdeckel kriegen; vielmehr bräuchten ihn die Menschen, genauso wie die Industrie, im Januar. Überlegen Sie sich, was Sie tun. Helfen Sie den Menschen – möglichst sofort. Der Faktor Zeit ist entscheidend. Deswegen werden wir den Antrag der AfD nach der Überweisung ablehnen. Aber Sie sind genauso herausgefordert, zu handeln. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Robin Mesarosch, SPD-Fraktion. ({0})

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in dieser krisengeschüttelten Welt langfristig sicher Strom aus der Steckdose bekommen will, braucht die Energiewende und braucht 100 Prozent erneuerbare Energien. ({0}) Die AfD will anscheinend über die Energiewende reden, so wie ich ihren Antrag lese. Deswegen sage ich: Reden wir über die Energiewende. Das mache ich gern. Es ist nur schade, finde ich, dass Sie intellektuell immer bei der Erkenntnis stehen bleiben, dass – Überraschung! – nachts die Sonne nicht scheint und manchmal kein Wind weht. Deswegen behaupten Sie: Die Energiewende kann nicht funktionieren, weil es Solaranlagen und weil es Windkraftanlagen gibt. Danke, sage ich, dass Sie mir die Zeit schenken, dass ich hier das Gegenteil erklären darf. Wo Sie sich immer irren, ist bei dem Begriff „Grundlast“. ({1}) Den verwenden Sie falsch, und Sie lassen sich davon in die Irre führen. Sie sagen: Die erneuerbaren Energien seien nicht grundlastfähig. Das ist teils falsch und, wie gesagt, teils irreführend. Der Begriff ist hier gar nicht relevant. ({2}) Ich will Ihnen erklären, was entscheidend ist. Entscheidend ist, dass in unserem Stromnetz immer so viel Strom ist, wie wir in dem entsprechenden Moment verbrauchen. ({3}) Das ist wichtig. Dem Stromnetz ist es erst einmal egal, aus welchem Kraftwerk dieser Strom kommt, ob das jetzt grundlastfähig ist oder nicht. Also müssen wir uns die Frage stellen: Können wir in Zukunft mit erneuerbaren Energien immer genügend Strom ins Netz kriegen? Die ganz kurze Antwort ist: Ja. Übrigens, der Strombedarf in Deutschland – auch das vernachlässigen Sie immer mit Ihrem ausgeprägten Schwarz-Weiß-Denken „Die Sonne scheint, die Sonne scheint nicht“ – schwankt über den Tag. Das Schöne ist: Die Solarenergie zum Beispiel schwankt nicht. ({4}) Wir brauchen nachts deutlich weniger Strom als tagsüber, und das vernachlässigen Sie permanent. ({5}) Dann kommen Sie noch mit Ihrem Winter. Da sage ich: Ja, im Winter scheint die Sonne weniger, aber dafür weht im Winter mehr Wind. ({6}) Die erneuerbaren Energien sind, wenn ich das sagen darf, intelligenter als Sie, ({7}) und deswegen ist das Problem kleiner, als Sie das immer darstellen. ({8}) Natürlich gibt es da noch eine Herausforderung; auf die will ich auch eingehen. Man könnte jetzt fragen – und das tun Sie ja auch –: Na ja, ist es nicht einfacher, überall AKWs und Kohlekraftwerke ans Netz zu hängen, die dann immer irgendwie – was auch nicht stimmt – zuverlässig Energie ins Netz pumpen? Ich sage Ihnen: Erstens. Einfacher ist nicht immer besser. Die fossilen Energien und die Atomkraft sind teuer. Die günstigste Art, Energie zu erzeugen, sind die erneuerbaren Energien. ({9}) Zweitens. Die fossilen Energien zerstören unseren Planeten. Atommüll strahlt. Das passiert uns mit erneuerbaren Energien nicht. Drittens. Die fossilen Energien machen uns abhängig, häufig von Diktaturen. Viertens – da kommt wieder Ihr Fetisch der Grundlastfähigkeit ins Spiel –: Die Atomkraftwerke grätschen uns gerne in die erneuerbaren Energien rein. Das tun sie, weil wir Atomkraftwerke nicht einfach an- und ausschalten können. Was wir stattdessen machen müssen, ist, die Erneuerbaren vom Netz zu nehmen. Das ist dämlich, weil die ja viel günstiger als das sind, was Sie da laufen lassen wollen. ({10}) Sie reden über Ideologie; dabei haben wir die intelligente Lösung. Sie haben den Fetisch „Grundlastfähigkeit“, dabei haben Sie den Begriff noch gar nicht verstanden. ({11}) Ich habe also gezeigt: Es lohnt sich, ein Netz mit 100 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte die Frage nicht erlauben. Danke. Jetzt ist die Frage: Geht das überhaupt? Ich möchte Antworten geben. Die kurze Antwort auf die Frage „Kann man ein Netz mit erneuerbaren Energien betreiben?“ ist: Ja. Die lange Antwort passt nicht in diese Rede, weil Energieversorgung komplexer ist als die Parolen, die Sie permanent raushauen. Deswegen die mittellange Antwort: „Grundlast“ ist hier nicht der relevante Begriff. Googeln Sie lieber „Residuallast“. Dabei geht es um das Delta zwischen Solar- bzw. Windenergie und der Energie, die wir sonst noch brauchen. ({0}) Aber Sie vergessen dann, dass wir Pumpspeicherkraftwerke haben, dass wir Wasserkraft haben und dass wir in Zukunft – und das müssen wir eben tun – auch mit Grünem Wasserstoff Energie ins Netz speisen. ({1}) Es muss jetzt darum gehen, Netze intelligent zu betreiben. Deswegen – das sage ich auch an die CDU/CSU –: Es geht nicht um den Gratismut, sich selber ein bisschen halbherzig das Etikett „Energiewende“ ans Revers zu heften. Die Energiewende funktioniert nicht, wenn es mal genehm ist und es keine Bürgerinitiative gibt, die dagegen ist, ein Windkraftrad oder eine Photovoltaikanlage aufzustellen. Wir brauchen genügend Netze dafür. Wenn wir Strom in Zukunft intelligenter verteilen müssen, brauchen wir andere Netze. Wir haben – Stand heute; das ist auch an Ihre Adresse gerichtet – Strom, den wir wegregeln müssen, den wir gar nicht ins Netz reinkriegen. ({2}) Deswegen gehört zur Energiewende, dass wir die Netze ausbauen. Folglich sollten konservative Ministerpräsidenten aufhören, den Netzausbau auszubremsen. ({3}) Ich habe Ihnen gezeigt, dass wir 100 Prozent erneuerbare Energien brauchen, und ich habe gezeigt, dass wir so unsere Energieversorgung sichern können. Ist also alles gut? Nein. Die Umstellung, das ist das Harte, das kostet Geld, da ändern sich Geschäftsmodelle. Umstellung ist immer hart. Aber es hilft halt nicht, sie aufzuschieben; denn wenn wir sie aufschieben, wird sie nur noch härter. ({4}) Also müssen wir jetzt umstellen. Was Sie auch durcheinanderbringen: Der Krieg, den wir erleben, die Situation, die Energiekrise, das hat erst mal nichts mit der Energiewende zu tun. ({5}) Also hören Sie auf – das ist meine Bitte –, das durcheinanderzubringen. Hören Sie auf, diese Panik zu verbreiten. Denn für das, was Sie ankreiden, haben Sie ja selber keine Lösungen. Und: Unterstützen Sie die Energiewende. Wenn wir das klug machen – deswegen braucht es kluge Leute dafür –, können wir das schaffen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Behalten Sie die Hoffnung, auch wenn die Sonne abends untergeht. Ich kann Ihnen sagen: Sie geht auch wieder auf. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich der Kollegin Uhlig als letzter Rednerin das Wort erteile: Die AfD hat um eine Kurzintervention gebeten. Herr Kollege Hilse, Sie haben das Wort.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Also, die Rede strotzte ja vor Blödsinn, ({0}) zum Beispiel, als gesagt wurde, dass es bei der Solarenergie keine Schwankungen gibt; aber ist ja egal. Also, da sind ein paar Sachen dabei gewesen, die Sie mit Ihrem Referenten vielleicht noch mal besprechen sollten. Meine Frage ist folgende: Sie sagten, Sie wollen sich unabhängig machen von Diktaturen, von nichtdemokratischen Staaten. Sie wissen wahrscheinlich, dass 95 Prozent der Solarpaneele für unsere Photovoltaikanlagen aus China kommen. ({1}) Die Frage ist jetzt, ob Sie China für einen durch und durch demokratischen Staat halten. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie können darauf antworten. Bitte.

Robin Mesarosch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen nicht allzu viel Zeit schenken. – Da haben Sie mal ein Problem gefunden, was tatsächlich eines ist. Aber wir wollen ja Probleme lösen und sie nicht nur beschreiben. Deswegen sind wir dafür, zukünftig in Europa Photovoltaikanlagen zu produzieren. ({0}) Wir brauchen die Windkraftindustrie auch in Deutschland. Interessant, dass Sie sich plötzlich doch am Begriff „Diktatur“ stören. Ich freue mich auf jeden Fall, wenn Sie da mithelfen. Das wäre ein schöner Anfang. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Katrin Uhlig, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katrin Uhlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005242, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag verkennt leider die aktuelle Situation. Enquete-Kommissionen sind sinnvoll – dazu hat der Kollege Hümpfer eben schon sehr viel ausgeführt –, wenn wir als Abgeordnete offene Fragen zu einem komplexen Thema intensiver diskutieren und mehr Informationen sammeln möchten, um auf dieser Basis dann für die Zukunft Empfehlungen für politisches Handeln zu bekommen. ({0}) Deshalb räumt die Geschäftsordnung, wenn nötig, auch eine ganze Legislaturperiode Zeit ein, um diese Informationen zusammenzutragen. Selbst wenn wir die Lösungen für unsere Energieversorgung nicht schon kennen würden, was macht es im Fall der aktuellen Energieversorgung für einen Sinn, 2024 oder 2025 Handlungsempfehlungen zu haben? ({1}) Wohin uns fossile Energien inklusive Atomkraft geführt haben, sehen wir doch aktuell jeden Tag: ({2}) Abhängigkeit von fossilen Importen, hohe Energiepreise, Hochrisikotechnologien mit Folgekosten und Endlagerfragen, Auswirkungen auf die Klimakrise. Dass es kein Weiter-so mit alten Techniken geben kann, muss in diesen Zeiten eigentlich auch dem Letzten klar geworden sein. Nach der aktuellen Debatte bin ich mir da nicht so sicher; aber da hilft auch keine Enquete-Kommission. ({3}) Wir wissen auch, weil dies wissenschaftlich erforscht ist, welche massiven Auswirkungen die Gewinnung von Strom und Wärme aus fossilen Energieträgern für unser Klima, unsere Umwelt, unser Wasser, unsere Luft haben, und wir haben gute Vorstellungen davon, welche Auswirkungen die Klimakrise auf unser Leben haben wird. Wir kennen doch bereits die Lösung: der Ausbau der erneuerbaren Energien, ein Wandel unseres Energiesystems. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bedeutet nicht nur mehr Klimaschutz; vielmehr machen uns die Erneuerbaren unabhängiger von Importen aus anderen Ländern und senken die Energiepreise. Wir haben mit dem Osterpaket hier im Bundestag für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien die ersten wichtigen Weichen bereits gestellt und arbeiten mit Hochdruck daran, den Ausbau weiter zu beschleunigen. Wir müssen jetzt all die Dinge angehen, die den Ausbau der Erneuerbaren immer noch blockieren. Und: Ja, wir müssen auch unser Strommarktdesign den Gegebenheiten anpassen: weg von zentralen Großkraftwerken, hin zu dezentraler Energieversorgung aus erneuerbaren Energien. ({4}) Denn wenn wir die Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten wollen, wenn wir unser Klima und unsere Gesundheit schützen wollen, wenn wir die Sicherheit Europas stärken wollen, wenn wir uns von fossilen Importen unabhängig machen wollen, wenn wir den Industriestandort erhalten und zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen wollen, wenn wir bezahlbare Energiepreise haben wollen, dann brauchen wir keine Enquete-Kommission, dann müssen wir einfach die erneuerbaren Energien schneller ausbauen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst für die kurze Verspätung entschuldigen. Ich dachte, der Wahlgang hätte noch von mir begleitet werden können. Wir haben es heute mit einem sehr wichtigen Gesetz zu tun, dem Finanzstabilisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir sind in diese Legislaturperiode mit einem Defizit von 17 Milliarden Euro gestartet, das uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Ich möchte hier aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich dies nicht durchgängig kritisch sehe; denn wir sind in der letzten Legislaturperiode in einer Situation gewesen, in der Strukturreformen schwer durchzuführen waren, in der vieles liegen geblieben ist bzw. nicht möglich war. Daher ist es aus meiner Sicht nicht wirklich vorzuwerfen, dass es zum Defizit kam. Aber das Defizit muss behoben werden. ({0}) Ich glaube, das ist auch ein Gebot der Fairness. Wir haben mitregiert. Es gab eine schwierige Zeit. Das Defizit ist entstanden. Wir müssen es jetzt beheben. Aber nach hinten zu blicken und sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, das hilft uns hier nicht weiter, und das passiert viel zu oft in diesem Haus. ({1}) Die Grundmaxime der Reform, die wir angegangen sind, war immer mit einem Wort zu beschreiben: keine Leistungskürzungen. In der Lage, in der wir derzeit sind, kämpfen die gesetzlich Krankenversicherten mit der Energiekrise, sie kämpfen mit der Inflation, sie wissen nicht, ob die Gasversorgung über den Winter komplett dargestellt werden kann. In einer solchen Situation ist es nicht vertretbar, dass Leistungskürzungen vorgenommen werden. Daher haben wir von vornherein klargemacht: Es wird keine Leistungskürzungen geben. Dieses Versprechen haben wir einhalten können. Das 17‑Milliarden-Euro-Defizit wird behoben, ohne dass es in irgendeinem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu Leistungskürzungen kommt. Das ist eine große Leistung. Ich danke den Abgeordneten dafür, dass sie diesen Weg mitgehen. ({2}) Wir haben uns sogar überlegt: Wie können wir aus dieser Not, dass wir Effizienzreserven gewinnen müssen, noch etwas im Sinne einer echten Strukturreform herausholen? Da sind wir in zwei Bereiche tiefer eingestiegen: Als Erstes lösen wir im Bereich der Arzneimittelversorgung ein Problem, das aufgrund des Drucks der Lobbygruppen über viele Jahre nie gelöst werden konnte. Das Problem lässt sich wie folgt beschreiben: In Deutschland ist es möglich – das ist in Europa in keinem anderen Land möglich –, mit Arzneimitteln auf den Markt zu kommen, die keinen gesicherten oder nur einen sehr geringen Zusatznutzen bringen im Vergleich zu bereits erhältlichen Arzneimitteln, aber trotzdem deutlich mehr – zum Teil 50 Prozent oder sogar 100 Prozent – kosten. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, die man heutzutage im klassischen Sinne als eine Situation der Übergewinne bezeichnet. In der Arzneimittelversorgung konnte im sogenannten AMNOG-System mit Medikamenten, die keinen zusätzlichen oder nur einen sehr geringen Nutzen gebracht haben, aber für die sehr hohe Preise aufgerufen wurden, ein sehr hoher Gewinn gemacht werden. Das Problem beseitigen wir jetzt. In Zukunft können diese Arzneimittel nur zu Preisen auf den Markt gebracht werden, die den Preisen der bereits im Markt befindlichen Arzneimittel entsprechen. Wieso sollten wir ein Arzneimittel, das nicht besser ist, deutlich besser bezahlen? Dafür gibt es keinen Grund. Das haben wir durchgesetzt; das ist eine deutliche Strukturreform im AMNOG-System. Dafür danke ich ganz herzlich. ({3}) Wir nehmen noch eine zweite Strukturreform vor, die ich für wichtig halte. Jeder weiß, dass die sogenannte Neupatientenregelung eigentlich nur auf dem Papier bestand und häufig Patienten, die es in den Praxen schon länger gab, als Neupatienten geführt worden sind, sodass wir hier mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr ausgegeben haben, ohne dass es zu einer Verbesserung der Versorgung gekommen ist. Diese Regelung streichen wir. Was machen wir stattdessen? Für die Patienten, die schneller einen Facharzttermin bekommen, weil sie überwiesen wurden oder weil sie über die Terminservicestellen zum Facharzt gekommen sind, wird künftig sowohl dem abgebenden Hausarzt als auch dem Facharzt, der den Termin schneller vergibt, ein höheres Honorar gezahlt. Das ist eine deutliche Verbesserung; das ist ein Schritt in Richtung Abbau der Zweiklassenmedizin. Somit schaffen wir auch hier eine Strukturreform. Wir haben eine Analyse vorgenommen und gesehen: Die Neupatientenregelung bringt uns nicht weiter. Aber wenn wir die schnelle Vergabe von Facharztterminen stärker honorieren, führt das zu schnelleren Terminvergaben. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung des Abbaus der unterschiedlichen Versorgung von Privatpatienten und gesetzlich Versicherten. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung, eine Verbesserung, eine Strukturreform im Rahmen eines Gesetzes, das das Defizit beseitigen wird. ({4}) Ich komme zu einem weiteren Bereich. Die Krankenkassen hatten zum Teil erhebliche Rücklagen. Zuerst haben wir diese überschätzt; dann sind diese auf etwa 2,5 Milliarden Euro geschätzt worden. Es ist jetzt nicht die Zeit, wo Krankenkassen sich prunkvolle neue Gebäude errichten ({5}) oder Rückstellungen für solche Gebäude vornehmen sollten. Vielmehr gehen wir tatsächlich an die Reserven heran und bauen sie ab. Ich glaube, wenn man den Gesetzentwurf insgesamt betrachtet, dann sieht man, dass es ein Gesetzentwurf ist, über welchen zwar viel gesprochen wurde, an dem es aber wenige Änderungen gegeben hat, seit wir ihn in das Kabinett und in den Bundestag eingebracht haben. Wir haben lange darüber diskutiert. Es ist nun ein Gesetz, mit dem wir Effizienzreserven gewinnen, mit dem wir den Beitragssatz so wenig wie notwendig erhöhen – um 0,3 Beitragssatzpunkte –, mit dem wir Rücklagen abbauen und gleichzeitig die Arzneimittelversorgung und die Facharztversorgung verbessern. Aus meiner Sicht ist es ein Gesetz aus einem Guss. Ich darf mich ganz herzlich für die Beratungen bedanken. Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt weiterkommen, um die GKV in dieser Krise, in dieser kritischen Zeit als etwas, das Stabilität bringt und bei der Leistungskürzungen ausgeschlossen sind, zu erhalten und um sukzessive die Versorgung der gesetzlich Versicherten zu verbessern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. Sie müssen den rosa Umschlag noch einwerfen. Nächster Redner ist der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Hochverehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundesgesundheitsminister, ich möchte Sie heute beglückwünschen. Das war Ihre erste Rede hier im Plenum, in der Sie nicht über das Thema Corona gesprochen haben. Das ist ein Erfolg, glaube ich. ({0}) Aber: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Herr Bundesgesundheitsminister, ich kann es Ihnen leider nicht ersparen. Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen, Sie wollen das GKV-System stabilisieren – Sie sagten, das sei ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz –, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das ist ein Problem-Verschiebe-Gesetz. Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Bundesgesundheitsminister. ({1}) Sie sagen mittlerweile bei jeder Rede, Sie wollten nicht zurückschauen und Ihren Vorgänger nicht kritisieren, aber Sie hätten alle Probleme, also auch dieses Defizit von 17 Milliarden Euro im System, von der Vorgängerregierung geerbt. ({2}) Dazu kann ich nur sagen: Lieber Herr Kollege Lauterbach, wer war denn in der letzten und in der vorletzten Legislatur der Fraktionsvize für den Gesundheitsbereich? Wer saß denn immer mit am Tisch? Wer hat denn die ganzen Gesetze, die gesellschaftlicher Konsens waren, wie Verbesserungen in der Pflege, Verbesserungen bei den Ärzten, schnellere Vergabe von Facharztterminen, mitbeschlossen? Da saßen Sie doch mit am Tisch. ({3}) Sich hierhinzustellen und zu sagen, Sie hätten nichts damit zu tun, das ist scheinheilig, und das ist unehrlich. Ich will Ihnen auch das sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel: Wenn Sie hier sagen, das sei kein Gesetz, das Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen nach sich ziehe, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das stimmt nicht. Das, was Sie hier tun, ist: Sie belasten einseitig die Beitragszahler. Sie drehen gute Regelungen zurück. Sie belasten Ärztinnen und Ärzte. Sie belasten Apotheker. Sie belasten den Pharmaforschungsstandort Deutschland. Das sagen alle Akteure. Und dennoch stellen Sie sich hierhin und sagen: Das ist nicht so. – Insofern stimmt das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich will Ihnen auch genau sagen, warum das nicht stimmt: Erstens. Die Neupatientenregelung war eine Regelung, die wir in der letzten Legislatur gemeinsam mit der SPD hier im Plenum auf den Weg gebracht haben. Dabei geht es darum, dass Ärztinnen und Ärzte zusätzlich Patienten behandeln können und dafür extrabudgetär, also zusätzlich, vergütet werden. Viele Patientinnen und Patienten haben dadurch schnell, zeitnah Facharzttermine bekommen. Deshalb haben wir als Unionsfraktion auch gesagt: Wir wollen nicht, dass diese Regelung zurückgedreht wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Und wenn man über das Defizit von 17 Milliarden Euro spricht, ist das Problem ja ganz klar benannt: Wir haben im kommenden Jahr ein Defizit von 17 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung. Was tut man als Gesundheitsminister? Man macht zunächst das Offensichtliche. Das Offensichtliche wäre gewesen, sich um die 10 Milliarden Euro, die im System fehlen, weil die Beiträge für ALG-II-Bezieher eben nicht aus Steuermitteln in das Gesundheitssystem gezahlt werden, zu kümmern, lieber Herr Kollege Lauterbach. Das haben Sie nicht getan, sondern Sie sagen, Sie finden keine Einigung mit dem Bundesfinanzminister Lindner. Also lassen Sie es und machen es über das Abschöpfen angeblicher Effizienzreserven im System; und das wird nicht funktionieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich darf Ihnen vielleicht auch noch eine Anregung mitgeben, Herr Bundesgesundheitsminister. Wenn man das Offensichtliche schon nicht tun möchte und sagt, man wolle andere Lösungen auf den Weg bringen, dann hört man doch auch einmal den Akteuren zu, und dann fragt man sich doch auch einmal, warum beispielsweise die Ärztinnen und Ärzte sagen: Das wird so nicht funktionieren. – Sie werden Kapazitäten abbauen müssen. Patientinnen und Patienten werden schlechter versorgt werden. Apotheken in der Fläche werden in Schieflage kommen. Die flächendeckende Versorgung wird auf der Kippe stehen. Wenn Sie hier jetzt sagen, das sei ein Finanzstabilisierungsgesetz, dann kann ich Ihnen nur entgegnen: Das ist kein Finanzstabilisierungsgesetz. Es ist ein Problem-Verschiebe-Gesetz. Und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Der absolute Gipfel in dieser Diskussion ist, wenn man als Bundesgesundheitsminister sagt, man wolle die Debatte mit dem Bundesfinanzminister überhaupt nicht führen. Man unternimmt also nicht einmal den Versuch, zu sagen: Lieber Bundesfinanzminister, diese 10 Milliarden Euro müssen noch ins System. – Sie sagen, eventuell müssten Sie mal mit Christian Lindner sprechen. Aber man hat offenkundig den Eindruck, dass Herr Lindner die Dinge immer anders versteht, als Sie sie verstehen, und Sie keine Einigung mit ihm finden. Dass Sie dann vor zwei Tagen als Hauptthema die Legalisierung des Kiffens in die Debatte einbringen, dazu kann ich Ihnen nur sagen:

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Prioritäten sind völlig verschoben innerhalb der Ampelregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Also: Machen Sie Ihre Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel! Hören Sie auf, zu jammern! Regieren Sie! Regieren heißt nicht jammern. Regieren heißt machen. ({1}) Machen Sie endlich! Die Kliniken und die Akteure im Gesundheitswesen warten darauf. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sorge. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Raum! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Warum reden wir über dieses Stabilisierungsgesetz? Warum müssen wir darüber reden? Wir müssen darüber reden, weil wir ein Defizit von 17 Milliarden Euro aus der letzten Wahlperiode geerbt haben. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hat viel Geld ausgegeben, ({0}) aber keinerlei Vorsorge für eine stabile Finanzierung der gesetzlichen Aufgaben getroffen. ({1}) Das müssen wir mal als Erstes festhalten. ({2}) Ganz klar muss man sagen: Eine stabile Finanzierung ist das Rückgrat eines funktionierenden Gesundheitssystems. ({3}) Und da stellen Sie sich hierhin, Herr Sorge, und sagen, es gehe um Problemverschiebungen? Ich würde mal sagen, Weltmeister im Problemverschieben im Gesundheitsbereich waren die unionsgeführten Regierungen. ({4}) Wir haben ja nicht nur das Verschieben des Problems der Finanzierung, sondern wir haben auch die wesentlichen Strukturreformen nicht vorgefunden. Die gehen wir jetzt an. Da sind wir mit Volldruck dabei: im Bereich der Krankenhausfinanzierung, im Bereich der Krankenhausplanung, insgesamt im Bereich der Versorgungsstruktur. Das gehen wir an, und wir gehen den Fachkräftemangel an. ({5}) In diesen so schwierigen Zeiten stellen wir uns auch der Herausforderung, für 2023 eine sichere stabile Finanzierung hinzukriegen. Und ja – das haben auch viele der Beiträge in der Anhörung gezeigt –, da sind auch Zumutungen dabei. Da ist die Zumutung dabei, dass die Versicherten mehr bezahlen müssen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen 0,3 Prozentpunkte, 0,15 Prozentpunkte also für die Versicherten. Aber wir haben eben auch Zumutungen sowohl für die Pharmaindustrie, für die Apotheken als auch für die Ärzteschaft. Aber diese Zumutungen sind vertretbar; denn wir müssen für Stabilität sorgen. Wir müssen es hinbekommen, dass wir nicht einen riesigen Beitragssprung haben. Genau das haben wir mit vereinten Kräften geschafft. Und zwar so, dass wir das, was wir geschaffen haben, gut vertreten können, weil wir die Auswirkung auf die verschiedenen Bereiche sehr gut abgewogen haben und geschaut haben, dass wir da nicht zu Spitzen kommen. ({6}) Und wir haben dafür gesorgt, dass es eine Evaluierung gibt. Diese Evaluierung wird dafür sorgen, dass wir nachsteuern und Probleme, die auftreten, dann beseitigen können. Ich will zum Schluss sagen: Es bleibt die Aufgabe, dass wir für 2024 fortfolgende eine gerechte, stabile Finanzierung – auch mit Steuermitteln – hinbekommen. Dieser Aufgabe müssen sich alle hier im Hause stellen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin!

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es wird um Milliardenbeträge gehen. Aber auch das werden wir schaffen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor elf Jahren stand der Papst an dieser Stelle. Er zitierte den heiligen Augustinus mit den Worten: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“. Sie haben das offensichtlich nicht als Warnung, sondern als Anleitung verstanden. ({0}) Sie verhalten sich nicht wie eine verantwortungsvolle Regierung, sondern wie eine Räuberbande, die das Land plündert und verwüstet, wie auch der vorliegende Gesetzentwurf zeigt. Die Menschen werden ausgenommen bis aufs letzte Hemd. In kaum einem anderen Land müssen die Bürger so viel von ihrem hart erarbeiteten Geld an den Staat abdrücken, und mit diesem Gesetz wollen Sie den Menschen noch mehr abpressen, indem die Krankenkassenbeiträge auf Rekordniveau steigen. Wir sind schon Weltmeister bei Steuern und Energiekosten, und Sie erhöhen die Belastungen immer weiter. ({1}) Einige von Ihnen planen sogar den sogenannten Lastenausgleich, also die staatliche Enteignung von Millionen Eigenheimbesitzern. Sie verwüsten das Land. Sie machen nicht nur mit Ihrer Energiepolitik das Land zur industriellen Wüste und mit Ihrer Toleranz gegenüber Sexualverbrechern und Clans zur sicherheitspolitischen Wüste, ({2}) mit Lauterbachs Politik machen Sie es auch zur gesundheitspolitischen Wüste. Die Auswirkungen davon sehen wir bereits. Eine Übersterblichkeit, insbesondere in den jungen Altersgruppen, zeugt vom Niedergang des Gesundheitssystems. Sie beschäftigen sich noch nicht einmal damit; es könnte ja möglicherweise etwas mit der Impfung zu tun haben. Stattdessen versetzt die Bundesregierung dem Gesundheitswesen einen Schlag nach dem anderen. Krankenkassen, die solide gewirtschaftet haben, werden die Rücklagen per Gesetz abgebrannt. Pflegern wird erzählt, Nachtschichten wären überflüssig. Apotheken, die eh schon mit Energiekosten, Inflation und steigenden Personalkosten zu kämpfen haben, kürzen sie auch noch das Honorar und versetzen damit etlichen Apotheken den Todesstoß. Während die Menschen aufgefordert werden, zwei Pullover anzuziehen, sich nur mit Waschlappen zu waschen und in die Dusche zu pinkeln, baut man dem Kanzler einen Prunkpalast für 777 Millionen Euro. Geht’s noch? ({3}) Ich möchte, dass diese Politik auf Kosten der Bürger ein Ende hat. Deswegen machen wir von der AfD mehr konstruktive Vorschläge als jede andere Fraktion. ({4}) Allein zu diesem Tagesordnungspunkt liegen fünf Anträge zur Abstimmung vor. Die AfD will die Anwendung von Medizinalcannabis erleichtern. Sie alle sagen: Nein! Warum Schmerzpatienten helfen? Solange es nicht um den Kifferspaß geht, ist Ihnen Cannabis völlig egal. Die AfD will die Budgetierung der Ärzte aufheben. Sie alle sagen: Nein! Warum etwas dafür tun, um die unerträglich langen Wartezeiten von Kassenpatienten bei Fachärzten zu reduzieren? Schließlich sind die meisten Bundestagsabgeordneten ja privat versichert und damit nicht betroffen. ({5}) – Ich bin gesetzlich versichert; wenn Sie schon fragen, Frau Kollegin. Die AfD will die Arzneimittelsicherheit verbessern. Sie alle sagen: Nein! Warum sollen wir denn die Gesundheit der Bürger schützen? Schließlich empfangen die Pharmalobbyisten Bundestagsabgeordnete viel freundlicher, wenn Medikamente wie die Coronaimpfungen vor der millionenfachen Anwendung nur an Mäusen getestet werden. ({6}) Hören Sie endlich auf, sich wie eine Räuberbande zu verhalten, und nehmen Sie so wie wir die Verantwortung gegenüber 83 Millionen Mitbürgern ernst. Treten Sie Ihren fatalen Gesetzentwurf in die Tonne, und nehmen Sie unsere Anträge zum Wohl der Menschen an. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank Herr Kollege Sichert. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Andrew Ullmann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesetzliche Krankenversicherung liegt auf der Intensivstation, weil notwendige Therapien in der Vergangenheit versäumt wurden. Eine katastrophale Folge von acht Jahren verfehlter Gesundheitspolitik der Union. ({0}) Ohne einen Gesetzentwurf wie diesen würde der Zusatzbeitrag um mindestens 1 Prozentpunkt steigen. Dies würde eine Mehrbelastung von mehreren hundert Euro für den Mittelstand in diesem Land nach sich ziehen. So eine Beitragssteigerung würde die Entlastungspakete zu Inflation und Energiepreisen zum Teil wirkungslos machen. Hier übernimmt die Ampel Verantwortung. Daher ist es wichtig, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden. ({1}) In parlamentarischen Verfahren haben wir wesentliche Änderungen am Gesetzentwurf erreichen können. Dieses Gesetzgebungsverfahren hat wieder einmal gezeigt, dass das parlamentarische Verfahren einen echten Mehrwert bringt. Deshalb mein Dank an die Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und an das BMG für konstruktive Diskussionen und Vorschläge. ({2}) Die Streichung der Neupatientenregelung bleibt zwar bestehen, jedoch verbessern wir die Vergütung der Fach- und Hausärzte bei der Vermittlung über die Terminservicestellen und bei Überweisung durch die Hausärzte. Dies ist eine ganz wichtige Initiative, damit faire Anreize gesetzt werden, die Versorgung von Patientinnen und Patienten ohne festen Arzt auch weiterhin in einer hohen Qualität sicherzustellen. Auch im Arzneimittelbereich sind wesentliche Änderungen am Gesetz erreicht worden. Die Erstattungsschwelle für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen wird nun auf 30 Millionen statt auf 20 Millionen Euro abgesenkt. In der Anhörung zum Gesetzentwurf haben insbesondere Patientenvertreterinnen und ‑vertreter auf die Bedeutung dieser Regel für entsprechende Arzneimittel hingewiesen. Wir haben gut zugehört und haben gemeinsam eine neue Lösung geschaffen. Zudem schaffen wir eine Ausnahmeregelung beim fixen Kombinationsabschlag. Wir ermöglichen durch einen entsprechenden Nutzungsnachweis die Aussetzung des Abschlages. Dies ist eine wichtige Anpassung zum Wohle der Patientinnen und Patienten und des pharmazeutischen Fortschritts, damit auch Innovationen weiterhin beim Patienten ankommen. ({3}) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz dient uns als Brücke. Größere Strukturreformen müssen gemeinsam angegangen werden. Mit ihm schreiben wir Strukturreformen fest und erweitern diesen Auftrag um Bürokratieabbau und Transparenz bei den Krankenkassen – ein längst überfälliger Schritt. Das Gesetz ist immer noch ein Finanzstabilisierungsgesetz. Es macht keine Freude, so ein Gesetz zu erarbeiten oder beschließen zu müssen. Wir müssen dennoch weitermachen, damit sich zukünftig etwas ändert. Es liegt nun an uns, der Fortschrittskoalition, mutig die notwendigen Strukturreformen anzugehen. Hierzu sind wir bereit; denn wir wollen, dass die medizinische Versorgung digitaler, innovativer und nachhaltiger wird. So wird das Gesundheitssystem resilienter im Hinblick auf viele zukünftige Herausforderungen wie zum Beispiel den demografischen Wandel. Wir wollen, dass alle im Gesundheitswesen Tätigen wieder zufrieden sind mit ihren Tätigkeiten – egal ob im Pflegeheim, im Krankenhaus, in der Apotheke oder in der Praxis. ({4}) Wir wollen, dass die Ansiedlung von biotechnologischen und pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland wieder lukrativer wird; das ist nämlich eine nachhaltige Industrie. – Das, meine Damen und Herren, sind unsere Aufgaben. Ich lade auch die Verantwortlichen in den Landesparlamenten ausdrücklich ein, hier konstruktiv mitzuarbeiten. ({5}) Zum Ende meiner Rede möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen. Wir Freie Demokraten waren in der letzten Legislaturperiode als Oppositionsfraktion im Hohen Haus aktiv. Wir haben diese Rolle sehr ernst genommen. Jeder Antrag unsererseits war gegenfinanziert und durch bestehende Haushaltsmittel gedeckt. Das ist arbeitsintensiv; es ist aber auch Bestandteil des Jobs. Von der AfD und von den Linken erwarte ich keine solide Arbeit, von der Union jedoch schon. ({6}) Daher hat es mich entsetzt, dass Sie im Ausschuss Änderungsanträge gestellt haben, die ungedeckte Mehrausgaben von 1,5 Milliarden Euro enthielten. ({7}) Sie geben leere Versprechungen ab, nehmen Beitragssteigerungen für den deutschen Mittelstand in Kauf. ({8}) Sie wissen selbst, dass das keine gute Oppositionsarbeit ist. Aber zum Glück haben Sie noch mindestens sieben weitere Jahre Zeit, zu üben. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Ullmann. ({0}) – Das ist auch seine Aufgabe, Herr Sorge. ({1}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({2})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider haben SPD und Grüne in den Koalitionsverhandlungen ihre Versprechen aus dem Wahlkampf, für eine gerechtere Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu sorgen, aufgegeben. Dabei wäre gerade das jetzt die Antwort auf die gigantischen Herausforderungen für unser Gesundheitswesen. ({0}) Das von Ihnen, Herr Lauterbach, hier vorgelegte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat seinen Namen nicht ansatzweise verdient. ({1}) Ehrlicherweise sollte es GKV-Finanzierungs-Murksgesetz heißen. Denn ihr Defizit sollen die Krankenkassen größtenteils selbst stopfen, indem sie Rücklagen verbrauchen, also Gelder, die von den Versicherten eingezahlt wurden. Zudem erhalten sie zwangsweise ein Darlehen aus der Staatskasse, von dem niemand weiß, wann und wovon es zurückgezahlt werden soll. Und dann werden noch die Zusatzbeiträge erhöht. Das belastet doch gerade die Menschen, die im Moment sowieso kaum wissen, wie sie ihre Rechnungen für Energie und Essen bezahlen sollen. Dabei stimmen schon die Berechnungsgrundlagen nicht. Alle seriösen Schätzungen gehen davon aus, dass das Defizit wegen der Energiepreiskrise, Inflation und Rezession im nächsten Jahr schon sehr viel höher ausfallen wird. Bei vielen Ihrer Sparmaßnahmen ist völlig unklar, ob sie am Ende überhaupt genug Geld einbringen oder nicht doch zusätzliche Kosten verursachen. Also: Was Sie hier vorgelegt haben, Herr Lauterbach, ist nicht nur ungerecht, sondern auch unausgegoren. ({2}) Lieber Andrew Ullmann, weil wir ja eine konstruktive und seriöse Opposition sind, schlägt Ihnen Die Linke heute eine gerechte und nachhaltige Lösung vor. Wenn wir nämlich die Versicherungspflichtgrenze und die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung anhöben ({3}) und damit mehr Beiträge einnähmen, bräuchten die Beiträge für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen nicht zu steigen. ({4}) Wir schlagen darüber hinaus vor, die Beiträge, die der Bund für ALG-II-Beziehende zahlt, zu erhöhen und effektiver gegen Mondpreise für neue Arzneimittel vorzugehen. ({5}) Allein die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, die wir vorschlagen, würde bei den Krankenkassen etwa 5 Milliarden Euro einsparen, genauso viel, wie die Erhöhung des Zusatzbeitrages nach Ihren Plänen bringen soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Herr Minister Lauterbach, ich verstehe, ehrlich gesagt, immer weniger, wofür wir überhaupt noch ein Gesundheitsministerium brauchen, wenn am Ende eh der Finanzminister die Richtlinien vorgibt. ({6}) Und weil das so ist, kommen Sie auch in einem anderen Bereich nicht ausreichend voran, nämlich bei der Entlastung von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und pflegenden Angehörigen angesichts der Kostensteigerungen durch Inflation und Energiepreiskrise. Deshalb fordern wir in einem Entschließungsantrag, über den wir gleich namentlich abstimmen lassen, ein Energiekostenentlastungspaket für defizitäre Akut- und Rehakliniken, eine Deckelung der Eigenanteile für Menschen in Pflegeeinrichtungen und einen Inflationsausgleich beim Pflegegeld. Denn den Menschen und den Einrichtungen steht das Wasser bis zum Hals. Herr Lauterbach, handeln Sie endlich! ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christos Pantazis, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Genau vor einer Woche hat der beim Bundesamt für Soziale Sicherung angesiedelte Schätzerkreis eine Prognose für die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr vorgenommen und dabei das erwartete historisch hohe Defizit in Höhe von 17 Milliarden Euro bestätigt – eine bedrückende Erkenntnis, aber keine Überraschung. Wir wissen alle, dass die Ausgaben mit jährlich rund 4 Prozent seit Jahren spürbar stärker als die Einnahmen wachsen. Es herrscht also kein Erkenntnisdefizit. Wir wissen schließlich, dass fehlende Strukturreformen sowie populäre, allerdings teure Leistungsreformen für dieses Defizit von 17 Milliarden Euro verantwortlich sind. Das alles geschah unter Minister Spahn. Mit diesem hier in der zweiten und dritten Lesung vorliegenden GKV-Finanzstabilisierungsgesetz müssen wir genau dieses Defizit kurzfristig – ich betone: kurzfristig – schließen. Dabei steht für meine Fraktion fest, dass die Lasten auf mehrere Schultern verteilt werden müssen, was sich in einem höheren Bundeszuschuss und der Heranziehung von Finanzreserven der Kassen und des Gesundheitsfonds, aber auch in dem Beitrag seitens der Pharmaindustrie, der Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apotheker/-innen und Krankenhäuser widerspiegelt. Denn ohne diese Lastenverteilung müsste das Defizit ausschließlich von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern durch einen Zusatzbeitrag – Herr Kollege Ullmann hat es gesagt – von bis zu 1 Prozentpunkt geschultert werden. Dennoch wird es nicht ohne Beitragssteigerungen gehen; im Durchschnitt werden die Beitragssätze moderat um 0,3 Prozentpunkte steigen. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens haben wir getreu dem Struck’schen Gesetz – kein Gesetz passiert das Parlament so, wie es eingebracht worden ist – Änderungen vorgenommen. Wir haben – und da gebe ich meinem Kollegen Ullmann vollkommen recht – unter Beweis gestellt, dass in Zeiten, wo eine Krise die nächste jagt, der Parlamentarismus, dessen Wesen der Kompromiss ist, funktioniert. Das findet in den 17 Änderungsanträgen in unterschiedlichen Bereichen seinen Niederschlag, wobei wir eine ganze Reihe wichtiger Verbesserungen gegenüber dem Ursprungsentwurf erreicht haben. So konnte das Schonvermögen für kleine Kassen von 2 auf 4 Millionen Euro erhöht werden und die Bezahlung der Parodontitisbehandlung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung verbessert werden. Bei den Arzneimitteln haben wir den Kern der Reform verteidigt und unter anderem noch Verbesserungen bei Kombinationstherapien und Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen sowie der Opt-in-Regelung erreicht. All diese Maßnahmen werden kritisch evaluiert und begleitet. Dadurch sichern wir den Forschungs- und Produktionsstandort hier in Deutschland. ({0}) Wichtig für uns als Fortschrittskoalition sind uns getreu unserem Koalitionsvertrag auch die Schwerpunktthemen Bürokratieabbau und Transparenz. Schließlich wollen wir das Personal im Gesundheitswesen entlasten, und wir wollen Verbesserungen im Bereich der Service- und Versorgungsqualität für die Patientinnen und Patienten erreichen. Hierfür soll das Bundesministerium für Gesundheit bis zum 30. September des kommenden Jahres Empfehlungen vorlegen. Bei der Ärztehonorierung werden wir den Wegfall der Neupatientenregelung durch verbesserte Zuschläge für eine schnelle Terminvergabe kompensieren. Das soll die Rolle der Hausärzte und auch die Terminservicestellen stärken und ist ein bedeutender Schritt gegen die Zweiklassenmedizin. ({1}) Auch diese Maßnahme wird in regelmäßigen Abständen evaluiert und kritisch begleitet. An dieser Stelle darf ich mich bei den Berichterstattern Andrew Ullmann und Maria Klein-Schmeink herzlich für die konstruktive Beratung bedanken. Trotz manchmal unterschiedlicher Sichtweisen haben wir konstruktiv an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet, nämlich an der Liquiditätssicherung und Stabilisierung der GKV für das kommende Jahr. Das ist uns in dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen. Wie ich eingangs schon gesagt habe, ist das wachsende strukturelle Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Folge von versäumten Strukturreformen sowie populären, allerdings teuren Leistungsreformen unter Minister Spahn. Mit diesem Gesetz machen wir jetzt weitreichende Strukturreformen bei der Arzneimittelversorgung. Weitere Strukturreformen im Gesundheitswesen werden folgen, insbesondere im Krankenhausbereich; denn die sind bereits in Arbeit. Unabhängig davon habe ich für meine Fraktion die klare Erwartungshaltung, dass wir die grundsätzlichen Finanzierungsfragen angehen müssen, um das strukturelle Defizit nicht nur kurzfristig, sondern auch nachhaltig zu beseitigen. Für meine Fraktion möchte ich daher unmissverständlich betonen, dass wir uns dabei an den Leitplanken des Koalitionsvertrages orientieren werden. Das schließt ausdrücklich die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln mit ein. ({2}) In diesem Sinne freue ich mich auf die kommenden Monate und Jahre, in denen die Fortschrittskoalition diese Strukturreformen im Gesundheitsbereich, die über Jahre liegen geblieben sind, angehen wird, oder, wie wir im Niedersächsischen sagen würden: Wir werden anpacken und besser machen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Pilsinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der redet doch nur über Corona. Das nervt langsam echt. – Das sagen die Menschen in Deutschland, wenn sie über unseren Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprechen. Herr Lauterbach, wenn Sie mal nicht über Corona sprechen, dann erzählen Sie uns dauernd, welches Thema Sie als Nächstes anpacken wollen. Und was passiert dann? Nichts, einfach nichts. Karl Lauterbach ist ein reiner Ankündigungsminister und nicht mehr. ({0}) Ihre Untätigkeit bei der Lösung wirklich wichtiger Probleme in unserem Gesundheitssystem halte langsam auch ich fast nicht mehr aus. Die Ampel hat sich richtigerweise zum Ziel gesetzt, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen nachhaltig zu reformieren. Und was tun Sie jetzt? Nichts davon, was Sie sich im Koalitionsvertrag mal vorgenommen haben. Das ist doch völlig abstrus. ({1}) Stattdessen legen Sie uns heute das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vor, das faktisch ein Gesundheitssystemdestabilisierungsgesetz ist. Dieses Gesetz ist reine Flickschusterei zum Stopfen von Finanzlöchern ohne einen nachhaltigen Effekt. ({2}) Herr Gesundheitsminister, Sie haben mehrfach angekündigt, dass es zu keinen Leistungskürzungen bei den Versicherten kommen soll. Sie nennen Leistungskürzungen deshalb jetzt einfach „das Heben von Effizienzreserven“. Vor wenigen Monaten haben Sie noch den Beschäftigten im Gesundheitssystem für ihre in der Tat herausragende Leistung zur Bewältigung der Coronakrise gedankt. Jetzt kürzen Sie bei den Zahnärzten, den Fachärzten, bei den Apothekern und den Arzneimittelherstellern. Das ist für Sie also das Heben von Effizienzreserven. Eine absolute Frechheit, Herr Gesundheitsminister, ist das. ({3}) Ich kann Ihnen heute schon sagen, zu was Ihre kurzsichtigen Einsparungen am Ende führen werden. Ihre Kürzung bei der zahnmedizinischen Prävention und hier insbesondere bei der hochwirksamen Parodontitisbehandlung wird die Zahngesundheit der Menschen in Deutschland dauerhaft gefährden. Ihre massive Reduktion der Neupatientenpauschale wird für Kassenpatienten zu einer massiven Verlängerung der Wartezeiten bis zu einem Facharzttermin führen. Ihre Einsparung beim Packungsabschlag wird das Apothekensterben vor allem im ländlichen Raum beschleunigen und damit die Arzneimittelversorgung der Patienten verschlechtern. Dass Sie die pharmazeutische Industrie auf diese Art und Weise unangemessen schröpfen, wird viele Arbeitsplätze kosten und dazu führen, dass innovative Arzneimittel in Deutschland nicht mehr verfügbar sein werden. Das Schlimmste aber ist, Herr Gesundheitsminister, dass Ihre Einsparungen am Ende die Gesundheit der Patienten in Deutschland verschlechtern werden und damit langfristig mehr Kosten auslösen werden, als Sie jetzt mit dem Gesetz einsparen können. ({4}) Deshalb lehnt die Unionsfraktion dieses Gesetz aus voller Überzeugung ab. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat nunmehr die Kollegin Dr. Paula Piechotta, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Paula Piechotta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005180, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und vor allen Dingen: Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne, die Sie ja – Sie und wir alle – auch Patientinnen und Patienten in diesem Gesundheitswesen sind! Ich war vor ein paar Wochen bei meinem Schwager zu Gast. Der hat seinen 40. Geburtstag nachgefeiert und ist niedergelassener Kinderarzt in Baden-Württemberg. Ich war kaum zur Tür rein, da wurde ich gefragt: Bist du auch für dieses Spargesetz? Wenn ja, kannst du dein Essen heute Mittag selber bezahlen. ({0}) Dann habe ich erklärt, dass ich durchaus dafür bin, dass ich aber verstehe, dass viele Menschen, die so wie er im Gesundheitswesen arbeiten, nicht in Begeisterungsstürme verfallen, wenn dieses Gesetz verkündet wird, dass es auch definitiv nicht alle Probleme im Gesundheitswesen jetzt schon löst, die wir ja mit dem Koalitionsvertrag richtigerweise angehen wollen, und dass natürlich auch niemand behauptet, dass wir damit die Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 2024 lösen. Trotzdem ist dieses Gesetz notwendig, weil es die Finanzierung der Gesundheitsversorgung von Millionen von Menschen, nämlich den 90 Prozent, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und damit nicht zu den Höchstverdienerinnen und Höchstverdienern gehören, für 2023 absichert. ({1}) Denn wie absurd wäre das, wenn in einer Zeit, wo wir gerade die Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen angesichts von steigenden Energiepreisen, angesichts von hoher Inflation entlasten wollen, genau für diese Menschen die Gesundheitskassenbeiträge weiter ansteigen würden als so weit, wie wir es jetzt in sehr kleinem Umfang vorsehen? Deswegen ist das ein Gesetz, das die Lasten im Gesundheitswesen, die Lasten der Finanzierung der GKV verteilt: auf die Kliniken, auf die Kassen, auf die Apothekerinnen und Apotheker, auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, auf die Versicherten, aber eben auch, weil das jetzt vielfach angesprochen wurde, auf den Bundeshaushalt. Wir als Parlamentarier, die im Haushaltsausschuss sitzen, geben eben nicht nur den normalen Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro, sondern der Bundeszuschuss wird aufgestockt, und es gibt zusätzlich noch das Darlehen an die GKV. Obwohl die Ergebnisse des Schätzerkreises ein bisschen besser waren als erwartet, wurde das nicht abgeschmolzen. Das ist auch der Beitrag der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Land zur Finanzierung der GKV im nächsten Jahr. Das habe ich alles meinem Schwager erklärt. Am Ende durfte ich mitessen, ohne selber zu bezahlen. ({2}) Aber natürlich ist es auch so, dass das alles nur funktioniert, wenn wir jetzt nach Verabschiedung dieses Gesetzes auch die Finanzierung der GKV für die Jahre 2024 folgende angehen. Ich fand es spannend, was Sepp Müller neulich vorgeschlagen hat. ({3}) Nämlich kaum in der Opposition, hat die CDU sich jetzt bei dem Thema bewegt und hat gesagt: Ja, wir müssen hier über neue Finanzierungswege nachdenken, und die Lösung kann nicht immer nur mehr Steuergeld sein. – Liebe Union, da hat Sepp Müller recht. ({4}) Wenn Sie sich nicht mal in der Opposition auf einen Vorschlag einigen können – Sepp Müller musste den ja zurückziehen –, wenn ich im Haushaltsausschuss keinen einzigen Antrag von der Union gesehen habe, wie das finanziert werden soll, und wenn ich sehe, was Sie jetzt als Lösung vorgeschlagen haben, dann haben wir, glaube ich, gemeinsam noch einen langen Weg zu gehen, bis wir die gesetzliche Krankenversicherung auch für 2024 auf gute Füße stellen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen ja mit etwas Gutem anfangen. Das Gute ist, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen endlich ein Gesetz vorgelegt bekommen haben und nicht nur von Ankündigungen leben müssen. Das Gute ist auch, liebe Ampel, dass Sie sich bei einigen Dingen auf den Weg gemacht haben, die wir vorher kritisiert haben. – Nach 20 Sekunden könnte ich meine Rede daher eigentlich beenden. Ihr habt aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem beim Thema Leistungskürzung zwei Dinge meines und unseres Erachtens nicht richtig geregelt. Das Erste ist die Neupatientenregelung. Hier gilt zukünftig: Jeder neue Patient, der in den letzten zwei Jahren kurzfristig einen Termin bekommen hat, weil sein Arzt zusätzliche Zeiten zur Verfügung gestellt hat, hat jetzt dazu keine Möglichkeit mehr. Das ist die Leistungskürzung Nummer eins. ({0}) Lieber Gesundheitsminister, Sie haben eine Leistungskürzung auf den Weg gebracht, und das ist die Abschaffung der Neupatientenregelung. ({1}) Das zweite Thema ist wesentlich wichtiger, weil es Menschen mit seltenen Erkrankungen betrifft, Menschen, die in unserer Gesellschaft nicht von der Mehrheitsmeinung vertreten sind: Menschen mit Mukoviszidose, mit MS, mit ME/CFS. Sie haben im Gesetz eine Regelung auf den Weg gebracht, die vorsieht, dass die Umsatzschwelle für die entsprechenden Medikamente gegen diese seltenen Erkrankungen deutlich abgesenkt wird. Trotz aller Kritik aus der Pharmaindustrie, diese Schwelle anzuheben, haben Sie darauf nicht reagiert. ({2}) – Gut, dass Sie das sagen; darauf habe ich gewartet.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bevor Sie jetzt auf das, was Sie erwartet haben, antworten: Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Müller, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es zu diesem Gesetzentwurf 17 Änderungsanträge im parlamentarischen Verfahren gegeben hat und einige der Punkte, die Sie gerade angemarkert haben, verändert worden sind? ({0}) Wir haben unter anderem die Umsatzschwelle für die Orphan-Drugs-Regelung – Sie haben sie gerade angesprochen – wieder deutlich angehoben. Und wir haben gerade wegen des MS-Präparats eine Veränderung vorgenommen; auch daran wird deutlich, dass wir auf die verschiedenen Anmerkungen aus der Sachverständigenanhörung eingegangen sind. Weiterhin haben wir an verschiedensten Stellen Abhilfen geschaffen, beispielsweise bei der Belastung der Ärzteschaft. ({1}) Wir haben ein neues System. Wir haben die Neupatientenregelung gestrichen, die nachweislich nicht zur Aufnahme neuer Patienten und zusätzlichen Beratungen geführt hat. ({2}) Vielmehr haben wir eine Regelung eingeführt, die belohnt, wenn Ärzte sich erstens für eine Terminvermittlung einsetzen, zweitens zusätzliche Termine auch tatsächlich einrichten. Haben Sie das zur Kenntnis genommen? Wenn ja, dann können Sie eigentlich das, was Sie gerade unterstellt haben, nicht aufrechterhalten. ({3})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin, das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass eine verfaulte Banane, wenn Sie sie neu einpacken, immer noch verfault bleibt. ({0}) Sie haben die Umsatzschwelle bei der Nutzenbewertung von 50 Millionen Euro auf 30 Millionen Euro gesenkt. Das bedeutet für Menschen mit seltenen Erkrankungen, deren Medikamente einen deutlich geringeren Anteil an der Tablettenproduktion insgesamt haben – und da war der Einwurf in der Expertenanhörung vollkommen richtig –, dass die Pharmaindustrie sagt: Das wird sich finanziell nicht mehr lohnen, belasst es bei 50 Millionen Euro. – In den letzten Jahren sind zahlreiche Medikamente für Menschen mit seltenen Erkrankungen auf den Weg gebracht worden – das wissen Sie, Frau Kollegin –, weil wir gemeinsam mit der Sozialdemokratie die Schwelle auf 50 Millionen Euro angehoben haben. Und was machen jetzt die Grünen? Was macht jetzt die FDP? Sie senken die Schwelle. Sie zeigen den Menschen mit seltenen Erkrankungen die Rote Karte, und das finde ich sehr bedauerlich. ({1}) Neben Ihren 17 Änderungsanträgen, wo Sie vieles auf halber Strecke haben stehen lassen, liegt heute auch ein Entschließungsantrag von uns vor. Setzen Sie Ihren Koalitionsvertrag um. Beteiligen Sie sich eins zu eins an den Krankenversicherungsbeiträgen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Hier geht es um 10 Milliarden Euro. Warum sollen Sie das tun? 10 Milliarden Euro sind bei den riesigen Wumms-Paketen, die Sie raushauen, ja fast schon Peanuts. Aber was bedeutet das im Umkehrschluss, wenn Sie dies nicht machen? Für einen GKV-Patienten im Arbeitslosengeld‑II-Bezug zahlt das Jobcenter 110 Euro. Für einen privat krankenversicherten Hartz‑IV-Empfänger zahlt das Jobcenter 380 Euro. Das ist nicht gerecht, liebe Sozialdemokratie. Hier müsst ihr nachschärfen. Den entsprechenden Antrag legen wir euch vor. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Janosch Dahmen? Das erhöht natürlich Ihre Redezeit dramatisch.

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, da bereits eine Zwischenfrage von den Grünen kam, würde ich darauf verzichten, da die Tagesordnung heute noch sehr lang ist. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen, Herr Müller.

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben immer noch die Möglichkeit zu einer Kurzintervention, Herr Kollege. Neben dieser Aufforderung, die Krankenversicherungsbeiträge für ALG‑II-Empfänger aus dem Bundeshaushalt auch volkswirtschaftlich zu betrachten, geben wir Ihnen auch noch andere Themen an die Hand, unter anderem die richtige Finanzierung unseres Pflegesystems, die richtige Finanzierung der Krankenhäuser. Nicht nur ankündigen, Herr Minister, machen! Das ist Ihre Aufgabe. Und da versagt diese Ampelregierung mit diesem Gesetz. Deswegen lehnen wir das ab. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Woche hatten wir eine Anhörung zur systemischen Konkurrenz zwischen liberalen Staaten, in denen übrigens nur noch 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert werden, und Autokratien. Dieser systemische Konflikt wird insbesondere in Afrika ausgetragen. Wir reden hier zwar oft über den Einfluss von China, doch ignorieren wir manchmal, wie auch Russland dort an Boden gewinnt und wie schädlich dieser Einfluss von Moskau ist. Aus diesem Grund bringen wir heute hier diesen Antrag ein; denn wir wollen die Bundesregierung auffordern, diese Herausforderungen ernst zu nehmen. Wenn wir in den letzten Monaten von Russlands Präsenz in Afrika gesprochen haben, dann ging es hauptsächlich um Mali. Das ist auch wichtig, aber das greift viel zu kurz. Denn es geht um einen Trend, der sich auf dem ganzen Kontinent abzeichnet. Seit 2015 hat Russland militärische Kooperationsabkommen mit mindestens 20 von 54 afrikanischen Staaten abgeschlossen. Russland ist für fast die Hälfte der kompletten afrikanischen Rüstungsimporte verantwortlich. Gleichzeitig sind und waren russische Söldner an allen Ecken des Kontinents im Einsatz – und zwar eben nicht nur in Mali, sondern auch in Mosambik, im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Liebe Bundesregierung, diese Entwicklung ist in der Tat besorgniserregend. Setzen Sie sich also mit uns gemeinsam dafür ein, eine strategische Antwort darauf zu finden! ({0}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, je länger wir mit einer Antwort auf dieses Problem warten, desto weiter geraten unsere Werte ins Hintertreffen. Russland setzt ganz gezielt in Afrika auf eine Desinformationskampagne, um westliche Partner zu diskreditieren. Das ist zuletzt in Bezug auf Mali passiert, als russische Trollfabriken auf Facebook großflächig Stimmung gegen den UN-Einsatz und gegen die Bundeswehr gemacht haben. Diese Kampagnen hatten einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Franzosen aus Mali zurückgedrängt wurden. Und was tun wir dagegen? Wir tun so gut wie nichts dagegen. Dabei sollten wir unsere Botschaften und Strukturen in diesen Staaten viel offensiver nutzen, um unsere Sichtweisen zu erklären und unsere Argumente vorzubringen. Doch stattdessen räumen wir beim Kampf mit dem autoritären Russland ums Narrativ einfach das Feld. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nicht sein. Wir dürfen nämlich nicht vergessen – und das ist ganz wichtig –: Europa ist immer noch der wichtigste Partner für die meisten afrikanischen Staaten. Wenn es um die Handelsbeziehungen oder um Entwicklungshilfe geht, dann liegen wir meilenweit vor Russland. Die Europäische Union leistet immer noch die Hälfte aller Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent, Russland dagegen gerade mal knapp 1 Prozent. Wir haben hier viel einzusetzen, und genau das sollten wir auch tun. ({1}) Gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir es für unsere Partner immer wieder konkret machen. Deswegen ist es wirklich unverständlich, warum Sie die EU-Initiative Global Gateway nicht zügig implementieren. Die Europäische Union hat Afrika im Rahmen von Global Gateway 150 Milliarden Euro versprochen. Passiert ist bisher fast nichts. Wenn wir uns angucken, was Sie, liebe Koalitionäre, auf unsere Kleine Anfrage dazu geantwortet haben, dann stellen wir fest, dass Sie hier nur Allgemeinplätze liefern und auf Gesprächsrunden in Brüssel verweisen. Auch das ist nicht konkret und eigentlich nur schwach. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afrika sollte uns doch mehr Aufmerksamkeit abverlangen. Afrika ist ein essenzieller Partner für uns. Doch für eine gute Partnerschaft braucht es Stabilität, es braucht Verlässlichkeit und Vertrauen. Und mit Moskau als Spaltpilz mittendrin ist das nur schwer zu machen. Wir müssen unseren Partnern in Afrika zeigen, dass es sich lohnt, auf Demokratien zu setzen. Damit das gelingt, brauchen wir eine ordentliche Strategie für Afrika. Diese Strategie, liebe Koalitionäre, wollten Sie im November vorlegen. Davon ist weit und breit nichts zu sehen. Man hört, das kommt irgendwann Anfang des nächsten Jahres. Die herzliche Bitte an Sie: Erhöhen Sie bitte Ihr Arbeitstempo! Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir sollten nicht gehen, nur weil es gerade schwierig wird.“ Diesen Satz habe ich aus dem Gespräch mit Dr. Daniela Kroslak, stellvertretende Leiterin von MINUSMA in Mali, in besonderer Erinnerung. Wir diskutieren viel über unser Engagement in Mali. Ein wichtiges Argument für den deutschen Einsatz ist, dass wir die Region nicht den russischen Kräften überlassen dürfen. Wir alle wissen: Russland ist auf dem afrikanischen Kontinent sehr aktiv – nicht nur in Mali. Drei Beispiele dafür: Russland geht mit seiner „Wagner“-Gruppe brutal gegen die Zivilbevölkerung vor und verletzt damit ganz klar internationales Recht. Das verurteilen wir auf das Schärfste! ({0}) Mit Rüstungskooperationen stärkt Russland autoritäre Regime und schafft gezielt neue Abhängigkeiten. Russland streut Fake News. Das führt zur Spaltung der Gesellschaft und zu antiwestlichen Haltungen. Ein konkretes Beispiel ist die afrikanische Aktivistin Nathalie Yamb, die gezielt russische Propaganda verbreitet. Es ist daher richtig, dass wir über den Umgang mit Russlands wachsendem Einfluss in Afrika reden und unser Engagement vor Ort reflektieren. Unter der neuen Bundesregierung stelle ich fest, dass die gleichberechtigte Partnerschaft mit Afrika endlich verstärkt auf der Agenda steht. ({1}) Im vorliegenden Antrag fordert die Union, dass die Bundesregierung eine kohärente Strategie vorlegen soll. Fakt ist: Das BMZ finalisiert gerade seine Afrika-Strategie. Das Auswärtige Amt befindet sich in den letzten Zügen der Ausarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie. ({2}) Das sind zwei entscheidende Ansätze für vernetztes Handeln. Seien Sie deshalb versichert: In dieser Koalition wird ressortübergreifend gearbeitet. ({3}) Außerdem sagen Sie, liebe Union, die Abstimmung innerhalb der EU, mit dem Vereinigten Königreich, Japan und den USA sei wichtig. Ja, das ist richtig. Ich sage aber: Es ist unsere Pflicht, zuallererst mit den afrikanischen Ländern zu sprechen und auf ihre eigenen Strategien für die Zukunft einzugehen. ({4}) Fest steht: Deutschland ist sehr willkommen und genießt einen guten Ruf. Das müssen wir nutzen. ({5}) Das bedeutet, dass wir unser Engagement weiter ausbauen und klar vom russischen Einfluss abgrenzen müssen. Das gelingt, indem wir gemeinsam mit afrikanischen Ländern die großen Herausforderungen angehen. Dazu gehören erstens Investitionen in nachhaltige Energiepartnerschaften. Es gilt, zweitens unsere Zusagen zur Klimafinanzierung einzuhalten und somit Ernährungssicherheit zu gewährleisten, drittens Frauen im Sinne einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik zu fördern und viertens die junge afrikanische Bevölkerung aktiver teilhaben zu lassen. ({6}) – Dass Ihnen dieser Satz nicht gefällt, kann ich mir sehr gut vorstellen. ({7}) Das heißt für uns, dass wir internationalen Bildungsaustausch stärken sowie den Zugang zu Visa für Studierende und Auszubildende erleichtern müssen. ({8}) Wenn Russland seine Präsenz durch die Unterstützung autoritärer Regime ausbaut, ist es unsere Aufgabe, die Zivilgesellschaft vor Ort zu fördern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer multipolaren Welt, nach dem 24. Februar 2022, kommt auf regionale Organisationen wie die Afrikanische Union mehr Verantwortung zu. Es gilt, diese zu stärken und in unsere Vorhaben zu integrieren. Es muss weiterhin unser Ziel sein, Frieden und politische Transition zu fördern. ({9}) Ich komme zurück zu Mali. Für die Situation vor Ort und die gesamte Sahelzone ist das Fortbestehen unseres Engagements essenziell. Für unsere Zusammenarbeit mit den 54 afrikanischen Ländern muss gelten: Nicht Rückzug, sondern eine verstärkte gleichberechtigte Partnerschaft ist unser Antrieb für die Zukunft. ({10}) So können wir Russlands Einfluss entgegenwirken. Danke schön. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Diaby. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Keuter, AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einmal mehr macht sich die transatlantische Lobbyfraktion der Union zur Speerspitze amerikanischer wertegeführter Weltinnenpolitik. ({0}) Es ist schon bemerkenswert, dass Ihr Antrag eine deutsche Strategie präsentieren soll, bei der es aber am Ende nur um ausländische Interessen geht. Kein Wunder also, dass Sie die Worte „deutsche Interessen“ zwar erwähnen, aber keinerlei Definition anhängen. Tja, Ihr gesamter Antrag verfolgt nur das Ziel, im Sinne des US-Hegemons dafür zu sorgen, dass die russische Einflussnahme auf dem afrikanischen Kontinent unterminiert wird. Dabei führen Sie ausgerechnet Mali an und sagen, dass „die positiven Beiträge, die die Bundeswehr, das Auswärtige Amt“ und Co leisten, „durch eine kluge und aktive Kommunikationsstrategie“ vermittelt werden sollen. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht unserer Soldaten, die dort in Mali als Besatzer und ungebetene Gäste angesehen werden. ({1}) Dass der komplette westliche Ansatz in Afrika einfach nur gescheitert ist, das kommt Ihnen überhaupt gar nicht in den Sinn. Frau Leikert, als ich eben Ihre Rede hörte, da musste ich schon schmunzeln. Die russischen Trollfabriken schlagen mit Sicherheit nicht die französische Légion Étrangère in die Flucht, und Frankreich ist mit Sicherheit auch nicht unter schwerem russischen Twitter-Feuer zum Rückzug gezwungen worden. ({2}) Man hat dort einfach begriffen, dass diese Mission gescheitert ist und dass man dort kein Land gewinnen kann. Auch beunruhigt Sie, dass Russland Zugriff auf wichtige Migrationsrouten nach Europa bekommt. So, jetzt gibt Ihnen die AfD mal einen Ratschlag: Machen Sie die Grenzen zu! Beteiligen Sie sich nicht an der Destabilisierung Afrikas und des Mittleren Ostens! Das löst Probleme. ({3}) Uns muss es um die Sicherstellung von Rohstoffzufuhren gehen und darum, dadurch Stabilitätsfaktoren in Afrika zu stärken. Ob das dann sogenannte autokratische oder nominell demokratische Staaten sind, ist doch dabei völlig zweitrangig. ({4}) Sie sind doch auch sonst bei der Wahl Ihrer Partner dort, Ihrer Wertepartner, nicht allzu zimperlich. ({5}) Sie haben auch in Afrika, vor allem in Mali, weitere Belege dafür, dass westlich-liberale Ansätze in kulturfremden Räumen einfach nicht funktionieren. ({6}) Wenn China und Russland vor Ort erfolgreicher sind, dann sollten Sie einfach mal hinterfragen, woran das liegt, das reflektieren und sich nicht mit denselben falschen Methoden an einem Stellvertreterkrieg gegen Russland beteiligen. ({7}) Dass afrikanische Staaten zwischen westlichen und nichtwestlichen Kooperationen hin- und herwechseln, führen Sie unter anderem auch auf von Russland gesteuerte Desinformationskampagnen zurück. ({8}) Ist Ihnen mal in den Kopf gekommen, dass diese eine eigene souveräne Politik verfolgen und nach eigenen Interessen handeln? Es ist nicht immer so, wie Sie sich das vorstellen, dass entweder ein Staat als passives Versatzstück im US-Reich eingebettet sein muss oder ein verirrter, durch Russland verführter Staat ist. Sie kennen nur den werteimperialistischen Ansatz aus Washington und Brüssel. Mit deutschen Interessen und tatsächlichem Respekt vor anderen Völkern und Kulturen hat dies überhaupt gar nichts zu tun. ({9}) Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass Sie humanistische Rhetorik überbetonen. Meine Damen und Herren, man muss sich mittlerweile wirklich fragen, ob die Wertefraktionen dieses Hauses, allen voran die Union, bereits gedanklich in einem dritten Weltkrieg stecken. Es geht Ihnen doch nur noch darum, den Konkurrenten der Amerikaner im Ausland Probleme zu machen. Für Sie existiert Deutschland offenbar nur als Spielball und Brieftasche anderer Mächte. ({10}) Sie wollen keine souveräne deutsche Politik und verstecken diese Vaterlandslosigkeit mit einer Überbetonung von Bündnispflichten und westlicher Kooperation. Da machen wir als AfD nicht mit. Ich sage Ihnen abschließend: Wir wollen eine Strategie zur Vertretung deutscher Interessen, Handelsbeziehungen, Austausch, gezielte Kooperationen und nicht Subventionierung von Warlords, hoffnungslose Entwicklungshilfe und das Verheizen unserer Soldaten im Ausland. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir sind für einen Proxykonflikt mit Russland nicht zu haben. – Wir stimmen der Überweisung in den Ausschuss zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Jamila Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005200, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weg von plumpem Antiamerikanismus und Nationalismus, zurück zur Sache! ({0}) Letzte Woche hat eine Mehrheit der afrikanischen Staaten Russlands Aggression in der Ukraine klar zurückgewiesen. 30 afrikanische Staaten stimmten der UN-Resolution gegen die Annexion der Ostukraine durch Russland zu. Kein afrikanischer Staat hat sich auf Russlands Seite geschlagen. Angola, Madagaskar, Marokko, der Senegal – der Moment den Vorsitz in der Afrikanischen Union hat –, all diese Staaten haben anders als im März diesmal mit der breiten Staatenallianz in den Vereinten Nationen gestimmt. Diese Zahlen zeigen: Auch in Afrika gab es in den letzten Monaten eine Bewegung weg von Russland. ({1}) Diese Bewegung ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Verdienst unserer aktiven Außenpolitik durch die neue Außenministerin Annalena Baerbock. ({2}) Gemeinsam mit unseren transatlantischen und unseren europäischen Partnerinnen und Partnern arbeiten wir daran, die starke Allianz gegen Russland auf der Ebene der Vereinten Nationen auszubauen, und das hat Erfolg: in Afrika, ({3}) im Nahen Osten und in Lateinamerika. Es ist der Erfolg einer wertegeleiteten Außenpolitik, der die territoriale Souveränität und das Völkerrecht gegen den russischen Imperialismus verteidigt. ({4}) Zur Wahrheit gehört leider dazu, dass sich 19 afrikanische Staaten bei der Abstimmung letzte Woche enthalten haben, darunter zum Beispiel Südafrika und Mali. Die Ursachen sind so vielfältig wie die Staaten selbst. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ist ein Punkt, den Sie in Ihrem Antrag leider unterschlagen. Um Russlands Einfluss in Afrika zu verstehen, müssen wir uns mit den Bedürfnissen der einzelnen Staaten und ihrer Geschichte auseinandersetzen, vor allem auch mit unserer europäischen Kolonialgeschichte. ({5}) Wir müssen uns auseinandersetzen mit den letzten zwanzig, dreißig Jahren deutscher und europäischer Afrika-Politik, bei der wir uns nicht immer mit Ruhm bekleckert haben. ({6}) Viele der afrikanischen Staaten, die sich bei der Abstimmung in der letzten Woche enthalten haben, kämpften in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegen die Kolonialstaaten um ihre Unabhängigkeit. Dazu zählen unter anderem Südafrika, Namibia, Äthiopien und Guinea. Hilfe für ihren Kampf erhielten sie damals von der Sowjetunion, zum Beispiel beim Guerillakampf der Antiapartheidbewegung in Südafrika oder in Namibia. Die Verbundenheit dieser Staaten zu Russland resultiert aus dieser Geschichte. Dazu kommen enge wirtschaftliche, militärische und politische Verbindungen in einigen Teilen des afrikanischen Kontinents. Russland nutzt diese Verbindungen jetzt schamlos aus für seinen eigenen Imperialismus. ({7}) Der Sudan ist abhängig von russischem Weizen, der Präsident der Zentralafrikanischen Republik von russischen Waffen. Die Wagner-Gruppe – das hat der Kollege Karamba Diaby schon angesprochen – wird von Putin überall dort eingeschleust, wo der Westen in den vergangenen Jahrzehnten gefährliche Leerstellen hinterlassen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollen wir, das können wir selbstverständlich ändern. ({8}) Um das notwendige Vertrauen dafür zu schaffen, müssen wir unsere koloniale Geschichte aber endlich konsequent aufarbeiten. Wir müssen aufhören, Afrika einfach – das tun Sie in Ihrem Antrag leider noch – als Problemkontinent zu beschreiben. Wir müssen mit der jahrzehntelangen Afrika-Politik Deutschlands brechen, die allem voran die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik als Fortschritt für Afrika verkaufen möchte. Ich bin deshalb froh, dass wir jetzt eine Außenministerin haben, die sich nicht auf eine neue alte Blockkonfrontation in Afrika einlässt ({9}) und nicht eine rein interessengeleitete, sondern eine wertegeleitete Außenpolitik macht, ({10}) eine feministische Außenpolitik, die darauf setzt, dass die Bedürfnisse der Staaten und eben auch ihrer Menschen, ihrer Bevölkerung und ihre komplexen Motivlagen ernst zu nehmen sind, ({11}) die auf eine Stärkung der jungen und motivierten Zivilgesellschaft – die in Ihrem Antrag leider kein einziges Mal erwähnt wird – setzt, ({12}) die auf die Stärkung der afrikanischen Gesundheitssysteme ({13}) setzt, für die Corona immer noch ein massives Problem ist. Auch das ist leider nicht Teil dessen, womit Sie sich in Ihrem Antrag beschäftigen. Corona ist in Afrika jedoch immer noch ein extrem großes Thema. Und sie setzt auf eine zivile Krisenprävention, auf humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, die die partnerschaftliche Kooperation in den Mittelpunkt stellt. Zum Schluss komme ich gerne noch einmal auf die Wirtschaft zu sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn eine effektive Klima- und Energieaußenpolitik, wie Sie sie auch in Ihrem Antrag fordern, die hätten wir längst haben können, die hätten wir längst aufbauen müssen in den letzten 16 Jahren. ({14}) In der Ampelkoalition gibt es jetzt endlich eine eigens dafür bestellte Staatsministerin. Wir halten uns beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei Investitionen in nachhaltige Infrastruktur und die lokalen Wertschöpfungsketten an die Bedürfnisse unserer afrikanischen Partner und nicht an eine neokolonial anmutende Symbolpolitik. ({15}) Dementsprechend werden wir diesen Antrag ablehnen. Mit den Herausforderungen werden wir uns natürlich weiter beschäftigen. Vielen Dank. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Andrej Hunko, Fraktion Die Linke. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier den Antrag der CDU/CSU zum Umgang mit Russlands wachsendem Einfluss in Afrika. Ja, die Kriegsverbrechen, etwa die der „Wagner“-Gruppe aus Russland in Afrika, müssen sehr deutlich verurteilt werden, und auch der wachsende militärische Einfluss ist zu kritisieren. ({0}) Aber – und darauf, Frau Leikert, gehen Sie in Ihrem Antrag mit keinem Wort ein – auch Kriegsverbrechen etwa der französischen Fremdenlegion und neokoloniale Verhältnisse sind ebenso zu kritisieren. Wir lehnen sowohl einen russischen Kolonialismus in Afrika ab als auch einen transatlantischen oder einen Möchtegern-, neuen deutschen Kolonialismus oder einen an der Seite Frankreichs. Afrika muss endlich als Kontinent mit souveränen Staaten ernst genommen werden! Es muss Kooperation auf Augenhöhe geben und darf keinen Rückfall in neokoloniale Zeiten geben. ({1}) Dieser Aspekt, Frau Leikert, ist in Ihrem Antrag mit keinem Wort erwähnt. Sie erwähnen die russische Propaganda dort. Aber warum greift denn die Propaganda? Warum ist zum Beispiel im Niger oder in Mali die Stimmung gegen französische Truppen so kritisch, wie sie ist? Das hat geschichtliche Ursachen, das hat koloniale Tradition, es hat aber auch Ursachen, die in konkreten aktuellen Ausbeutungsverhältnissen liegen. Zum Beispiel wird im Niger Uran für die französische Atomindustrie gefördert. Gleichzeitig hat die Mehrheit der Menschen keinen Strom und kein Wasser. Das ist das Problem, das muss überwunden werden; es lässt sich nicht einfach auf die russische Propaganda zurückführen. ({2}) Ich erinnere mich sehr gut, wie ich vor einigen Jahren in Dakar im Senegal mit Vertretern einer an der Regierung beteiligten Partei darüber gesprochen habe: Wie ist es denn mit dem Einfluss Chinas und auch, analog, Russlands in Afrika? Mir wurde gesagt: Die Zeit automatischer Kooperation in der Tradition des Kolonialismus mit Frankreich ist vorbei. Wir entscheiden selbst anhand unserer Interessen, ob wir mit China Kooperationen eingehen, ob wir mit Russland Kooperationen eingehen oder mit europäischen Staaten. – Ich denke, das muss man respektieren, und man muss dafür werben, dass am Ende wirklich Kooperationen eingegangen werden, die zu einer Entwicklung Afrikas führen und nicht zu neuen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hunko. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Rainer Semet, FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten haben wir deutlicher gesehen, wie sich Krisen und Konflikte in der Welt gegenseitig bedingen. Die Zeiten, in denen wir in Europa Wohlstand und Sicherheit für uns garantieren konnten, ohne dabei all unsere Nachbarn mit einzubeziehen, sind endgültig vorbei. Russland setzt iranische Drohnen ein, um in der ukrainischen Hauptstadt unschuldige Zivilisten zu töten und lebenswichtige Infrastruktur zu zerstören. Gleichzeitig stehen äthiopische Männer Schlange vor der russischen Botschaft in Addis Abeba, um sich für den Krieg gegen die Ukraine rekrutieren zu lassen, weil sie darin eine Möglichkeit sehen, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu sichern. Ende Mai empfängt der Präsident des Senegal und der Afrikanischen Union Kanzler Scholz in Dakar, um gut eine Woche später nach Sotschi zu Wladimir Putin zu fahren. Dort fordert er in einer gemeinsamen Pressekonferenz, dass der Westen Sanktionen zurücknehmen soll, um Weizenlieferungen zu gewährleisten. Mittlerweile hat er seine Meinung zum Glück etwas geändert. Es ist klar: Um in Afrika präsent und wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir in unserem Engagement neue Schwerpunkte setzen. Es braucht eine neue Strategie. Aber es braucht keine Strategie für Afrika, es braucht eine Strategie mit Afrika. ({0}) Beide Seiten müssen einen erkennbaren Nutzen aus der Zusammenarbeit ziehen. Wir müssen unseren Einsatz verstetigen und müssen ihn überall dort drastisch ausweiten, wo eine wirtschaftliche Zusammenarbeit für alle von Vorteil ist. Mittel hierfür sind in Form der Global-Gateway-Initiative der EU ja bereits vorhanden. Wir müssen schauen, dass wir diese Mittel möglichst bald und sinnvoll zum Einsatz bringen. ({1}) Wir brauchen afrikanische Länder als verlässliche Energiepartner, um die Energieversorgung der Zukunft sicherzustellen. Ich begrüße es, dass das BMWK mit Initiativen wie dem Wirtschaftsnetzwerk Afrika deutschen Unternehmen beim Markteintritt hilft und dabei über die Außenhandelskammern auf Unternehmen als Partner zugreifen kann, die über Praxiswissen vor Ort verfügen. ({2}) Ich möchte uns raten: Behandeln wir den afrikanischen Kontinent und seine Menschen endlich als Wirtschaftspartner auf Augenhöhe und nicht länger als Hilfsbedürftige! ({3}) Als Ergänzung zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit sollten wir eine Bildungs- und Ausbildungsoffensive mit unseren afrikanischen Partnern vorantreiben. Unser Angebot ist, langfristig Menschen zu ertüchtigen, selbst der Motor ihres Erfolgs zu werden und ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Demokratie kann durch nichts stärker gefördert werden als durch die Hoffnung auf ein besseres Leben und damit verbunden die Möglichkeit, das eigene Leben selbst individuell zu gestalten. Das ist exakt das Gegenmodell zu Autokratien, die den Einzelnen kleinhalten und in seinen Freiheitsrechten beschränken. Wo Menschen eine Perspektive haben und am gesellschaftlichen Leben aktiv teilnehmen, hat es die Demokratie leichter.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mittelfristig ist die Wirtschaftspolitik also in hohem Maße Sicherheitspolitik; denn wo Wohlstand herrscht, lebt es sich friedlicher und sicherer. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Thomas Erndl. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der russische Angriffskrieg hat massive Auswirkungen auch auf den afrikanischen Kontinent. Steigende Nahrungsmittelpreise, Öl- und Benzinpreise bringen auch dort viele Menschen an oder unter die Armutsgrenze. Durch Inflation und fehlendes Wachstum steigende Haushaltsdefizite verschärfen die Situation und führen vermehrt zu sozialen Spannungen. Während wir Kriegsverbrecher Putin und die imperialen Ansprüche Russlands klar als Ursache benennen können, tut sich manch afrikanischer Staat schwer mit einer eindeutigen Bewertung. Die Abstimmungen in der UN-Generalversammlung zeigen schonungslos den wachsenden Einfluss Russlands auf dem afrikanischen Kontinent auf. Russland steigert den Einfluss systematisch, häufig verdeckt, teils mit mafiösen Methoden, kriminellen Strukturen und immer mit dem Ziel, mit wenig Aufwand maximalen Ertrag zu erzielen. Russland präsentiert sich zum einen als Wirtschafts- und Handelspartner und zum anderen auf politischer Ebene oft als Lehrmeister für autoritäre Staaten, zum Beispiel, wenn es um die effiziente Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder der Zivilgesellschaft geht. Und auch militärisch ist der Einfluss groß. Russland ist nicht nur der größte Waffenlieferant des Kontinents, sondern auch mit Wagner-Truppen und Kräften der russischen Armee in mehreren Ländern aktiv. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute debattieren, was unsere Antwort darauf sein kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antwort darauf ist keine einzelne politische Entscheidung. Um den Einfluss Russlands zurückzudrängen – und das muss unser Ziel sein –, braucht es eine sichtbare Strategie und braucht es vor allem den politischen Willen, auch die Kosten für die Umsetzung dieser Strategie zu tragen. ({0}) Und da bin ich mir bei dieser Bundesregierung leider nicht sicher, ob sie das vollumfänglich verstanden hat. Es gibt weder ein umfassendes Konzept, wie wir in der Sahelzone zu mehr Stabilität kommen, noch ist aus der Regierung irgendeine Position zum Krieg in der ostafrikanischen Tigray-Region vernehmbar, bei dem allein in den letzten Tagen dem Vernehmen nach Zigtausende Opfer zu beklagen sind. ({1}) Es klafft leider wieder einmal eine sehr große Lücke zwischen den Ansprüchen dieser Regierung – Stichwort „menschenrechtsgeleitete oder feministische Außenpolitik“ – und der Wirklichkeit, eine Lücke zwischen Worten und Taten. ({2}) Das, meine Damen und Herren, wird auch deutlich beim Blick auf den Haushaltsentwurf für das Auswärtige Amt. Russland betreibt massive Desinformationskampagnen. Die Russen streuen systematisch Falschinformationen, die uns, den Westen, als Ursache für den Krieg in der Ukraine darstellen. Sie ziehen damit ganze Gesellschaften auf ihre Seite. Dem müssen wir uns klar entgegenstellen; aushalten und aussitzen geht hier nicht. ({3}) Es braucht eine klare Kommunikationsstrategie, auch über das vielfältige eigene Engagement. Und was macht unsere Regierung? Ausgerechnet bei den dafür notwendigen Instrumenten kürzt sie die Haushaltsposten. Wenn es ums Hineinwirken in die Zivilgesellschaften geht, werden Mittel gestrichen. Wenn es um strategische Kommunikation geht, werden Mittel gestrichen. Deutsche Welle – es werden Mittel gestrichen. Stipendienprogramme für afrikanische Studenten und Wissenschaftler – es werden Mittel gestrichen. Andere bieten jedes Jahr Zigtausende Stipendien an, und wir streichen zusammen und treiben junge, motivierte, bildungsaffine Menschen in die Hände von China und Russland. Das versteht niemand, meine Damen und Herren. ({4}) Jede Lücke, die wir offen lassen, wird besetzt – durch China, aber auch durch Russland. Das ist langfristig fatal, gerade wenn es um das Hineinwirken in die Gesellschaften geht, vor dem Hintergrund, dass in Afrikas Gesellschaften persönliche Beziehungen immens wichtig sind. Gerade hier wird der Rotstift angesetzt. Wir müssen verlässlicher Partner in Investitions-, Handels- und Energiepartnerschaften sein. Wir müssen aber auch sichtbar sein, und das geht nicht umsonst. Wir müssen im Dialog bleiben, auch mit den schwierigen Ländern, mit denen, die jetzt nicht klar auf unserer Seite sind. Wir müssen im Dialog mit den Gesellschaften bleiben, die teils weiter sind als deren autokratische Regierungen. Das ist mühsam, das ist langwierig, aber das dürfen wir nie aufgeben, meine Damen und Herren. Wir sind ein wichtiger Partner – Gerd Müller hat in den vergangenen Jahren dafür gute Grundlagen gelegt – und führen den Dialog immer auf Augenhöhe. Wir haben jetzt ein Zeitfenster; denn gerade in schwierigen Zeiten kann man sich als verlässlicher Partner präsentieren. Diese Chance müssen wir ergreifen. Der Haushaltsentwurf des Auswärtigen Amts ist dafür definitiv das falsche Signal; denn nur mit beherzter Politik und nicht mit Zögerlichkeit und ausgedünnten Mitteln können wir für Afrika der richtige Partner sein. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Michelle Müntefering. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor genau zwei Wochen stand ich mit der Delegation des Vorstandes der Parlamentariergruppe Südliches Afrika an dem Punkt des Kontinents, an dem am meisten Wind weht: in der ältesten Wüste der Welt, im Süden von Namibia. Da, in Lüderitz, hat der erste Deutsche einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent gesetzt, und die deutsche Kolonialgeschichte nahm ihren Lauf. Erst kam es zur wirtschaftlichen Erschließung von Rohstoffen und Diamanten, und dann vollzog sich dort, was wir heute „Völkermord“ nennen: schreckliche Verbrechen. In Andenken an die Opfer haben wir auf Shark Island einen Kranz niedergelegt. Künftig soll dort die neue Wasserstoffpartnerschaft zwischen unseren Ländern begründet werden. Minister Habeck reist noch in diesem Jahr mit einer großen Wirtschaftsdelegation in das Land, das wie viele Länder Afrikas vom Klimawandel besonders betroffen ist – ein Beispiel dafür, dass Vergangenheit und Zukunft so eng verknüpft sind wie die Geschichte Europas und Afrikas. Nur muss das nächste Kapitel, das wir gemeinsam aufschlagen, eines sein, in dem es nicht nur einen Gewinner gibt, sondern das ein Gewinn für die Menschen wird. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afrika wird in der zukünftigen Weltordnung eine immer größere Rolle spielen – politisch, wirtschaftlich, aber auch kulturell. Wenn es um Afrika geht, geht es um viel mehr: Die internationale Ordnung, Rechtsstaatlichkeit, Multilateralismus, Demokratie bleiben nur bestehen, wenn wir dafür gemeinsam aktiv etwas tun. Und das entscheidet Afrika mit. ({1}) Denn schon heute hat der Kontinent ein großes Gewicht in der VN-Generalversammlung. Deswegen ist es gut, dass wir heute über Afrika reden, dass wir auch gute Ansätze im vorliegenden Antrag sehen; denn wir erleben gerade eine weltweite demokratische Rezession, in der Russland eine entscheidende Rolle zukommt. Allerdings, liebe Union, ist es auch ein bisschen kleinteilig gedacht, Afrika alleine durch das Prisma von Russlands wachsendem Einfluss wahrzunehmen. Die Türkei zum Beispiel hat seit 2002 die Zahl ihrer Botschaften in Afrika von 12 auf 43 fast vervierfacht. Turkish Airlines fliegt mittlerweile über 60 Ziele in Afrika an, mehr als jede andere Fluggesellschaft. ({2}) In zehn Jahren haben 14 000 afrikanische Studierende Stipendien bekommen, um in der Türkei zu studieren. ({3}) Es ist erst mal gut, mit Afrika zu kooperieren, sehr gut sogar. Das brauchen wir. Russland und China allerdings sind inzwischen strategische Partner. Durch seine Kredit- und Schuldenpolitik schafft China neokoloniale Abhängigkeiten, und in der Kultur- und Bildungspolitik zeichnet China auch mit den Konfuzius-Instituten gezielt ein positives Bild von sich. ({4}) Russland spielt eine immer gewichtigere Rolle mit Militär und Geheimdienst; das haben wir gerade gehört. Und deswegen ist es richtig, dass wir sehr genau überlegen, ob und wie wir Einsätze verkleinern oder aussetzen oder uns zurückziehen. Das Ergebnis darf kein Vakuum sein, das diese anderen füllen. ({5}) Jenseits von historischen Erfahrungen ist die Zustimmung zu Russland auf dem Kontinent sicher auch das Ergebnis von Propaganda, von Desinformation. Und ich meine: Deswegen müssen die strategische Kommunikation und die internationalen Kultur- und Bildungsmittler in ihrer Bedeutung auch in die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung aufgenommen werden. Als Europäer müssen wir den Unterschied machen: die aktive Zivilgesellschaft, Frauen und Jugend zu fördern, zu helfen, Fachkräfte zu qualifizieren. Wir dürfen dabei kein Staubsauger sein, sondern müssen Ventilator für Wissen und für Bildung sein. ({6}) Und wir müssen verstehen, dass die afrikanischen Staaten eine eigene Sicht auf die Welt haben. ({7}) Nur dann kann die vielgepriesene Partnerschaft auf Augenhöhe überhaupt funktionieren. Das heißt nicht, dass man in der Frage des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine neutrale Position einnehmen kann; der Krieg bricht mit den Prinzipien der Weltgemeinschaft und ist eine humanitäre Tragödie. Diese Diskussion müssen wir führen. Vor allem aber sollten wir mit den Staaten Afrikas an einer gemeinsamen Zukunftsperspektive arbeiten und über Chancen sprechen. Bundeskanzler Olaf Scholz ist kurz nach seinem Amtsantritt in den Senegal, nach Niger, nach Südafrika gereist, hat Südafrika und den Senegal zur Bekämpfung der Armuts- und Hungerkrise, die droht, zum G-7-Gipfel eingeladen. Das war wichtig. Ich hoffe, dass bald die binationale Kommission zwischen Deutschland und Südafrika tagen wird. Das Auswärtige Amt muss das vorbereiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben aktuell eine Zeit des Umbruchs, eine Zeitenwende. Wir befinden uns in einer Weltunordnung, und wir können heute nicht sagen, wie die Welt in zwei Jahren aussehen wird. Aber wir können zeigen, dass wir es ernst meinen – mit Kooperation, Gemeinschaft und mit der Kraft der Demokratie. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte ist Dr. Christoph Hoffmann für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Luft flimmert vor Hitze, ein stechender Geruch in der Luft, am Boden 35 Leichen junger Männer mit verkohlter Haut und nach hinten zusammengebundenen Händen: ({0}) Massaker unter Beteiligung russischer Kräfte in Mali im März 2022. Wer von Ihnen hat darüber gelesen? Wer hat sich darüber echauffiert? Wie war das im Vergleich zu Butscha? Russland breitet sich in imperialistischer und menschenrechtsverachtender skrupelloser Manier in Syrien und in Afrika aus: in der Zentralafrikanischen Republik, Libyen, Mali, Mosambik, und seit Neuestem streckt es seine Tentakel nach Burkina Faso aus. Waffengeschäfte und Organisierte Kriminalität mit Diamanten und Gold sind bezeichnend für das Auftreten. Wie kann das möglich sein? Armut und Ressourcenknappheit machen die Staaten Afrikas oft zu schwach, aber auch – und das müssen wir selbstkritisch sagen –, weil Europa zu wenig Interesse gehabt hat an Afrika, an Investitionen dort, auch in die Infrastruktur. Das haben andere besser gemacht. In den letzten Jahren – Frau Leikert, ich meine, das wäre eine CDU-geführte Regierung gewesen – war das Desinteresse groß. Und es ist auch möglich geworden, weil der Westen zu oft unterschiedliche Maßstäbe angelegt hat oder Versprechen nicht ganz eingehalten hat. Aber die Zustimmung für Russland in Afrika sinkt dramatisch. Sie haben es ja alle gesehen: Bei der UN-Resolution gab es nur noch vier Staaten, die mit Russland votiert haben. Afrikanische Staaten schwenkten um, weil sie die Auswirkungen des russischen Krieges nun am eigenen Leibe spüren. Russland macht keine Entwicklungs- und Friedenspolitik, sondern knallharten Imperialismus und Organisierte Kriminalität. Dieser Ansatz wird nicht tragen. ({1}) Was tun? Wir brauchen eine Afrika-Strategie; das haben wir gehört. ({2}) Kurzum: Wir müssen ein besseres Angebot machen und dadurch bestechen, dass unsere Werte tragen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das wird uns sicherlich einen besseren Einfluss in Afrika geben. Bleiben wir dran! Wir als Bundesregierung sind ja mit einer neuen Afrika-Strategie auf einem guten Weg. Verlassen Sie sich darauf: Es wird so kommen. ({0})

Martin Diedenhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gestiegenen Energiepreise stellen uns vor enorme Herausforderungen. Deswegen bringen wir als Ampelkoalition im Eiltempo Maßnahmen auf den Weg, um den Menschen in unserem Land zu helfen. ({0}) Entlastungen wie die Energiepreispauschale oder die Gas- und Strompreisbremse richten sich dabei an die breite Masse. Gleichzeitig kommen gezielte Vorhaben wie der Heizkostenzuschuss II denen zugute, die die Kostenexplosionen am härtesten treffen: Menschen mit kleiner Rente, Menschen, die trotz Arbeit die steigenden Preise nicht stemmen können, und jungen Menschen, die ihre Ausbildung oder ihr Studium ohne finanzielle Rückendeckung der Eltern absolvieren müssen. So entlasten wir mehr als 2 Millionen Bürgerinnen und Bürger; und das ist richtig gut. ({1}) Das finden übrigens auch alle Fraktionen in diesem Hause; denn im Bauausschuss haben wir gestern einstimmig für den Heizkostenzuschuss II die Hand gehoben. Deshalb brauche ich Sie hier auch gar nicht mehr von dem Gesetzentwurf zu überzeugen. Ich möchte lieber darüber reden, was uns eigentlich dazu bringt, heute Maßnahmen wie beispielsweise den Heizkostenzuschuss II zu beschließen. Vor einigen Wochen bekam ich eine Mail von einem Bürger aus meinem Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen. Er schrieb, dass ihm und seiner Familie die Energiekosten schwer zu schaffen machen, obwohl er ein relativ gutes Gehalt hat. Aber als Alleinverdiener mit Frau und Kindern muss er eben auch sein Haus abbezahlen und gleichzeitig die alltäglichen Kosten stemmen. All das bringt ihn an den Rand seiner Möglichkeiten. Aus seinen Worten klingt nichts anderes als tief empfundene Sorge. Wir alle hier bekommen solche Nachrichten, und zwar täglich; Nachrichten, die nachdenklich machen, vor allem, wenn sie wie folgt enden – ich zitiere –: Ich habe Bedenken, dass der Großteil der Politiker diese extremen Entwicklungen, die die Bürger betreffen, gar nicht mehr mitbekommen. ({2}) Warum erzähle ich eigentlich davon? Weil ich glaube, dass das momentan viele Menschen in unserem Land so empfinden. Gerade deswegen möchte ich ganz deutlich sagen: Wir sehen sie, und wir lassen sie nicht alleine. ({3}) Wir sehen die Sorge der Rentnerin aus Puderbach bei mir im Westerwald, die ich bei einer meiner Veranstaltungen getroffen habe. Mit Verzweiflung in der Stimme hat sie mir berichtet, dass sie Angst hat, ihr Leben nicht mehr bezahlen zu können. Damit wird sie jetzt überall konfrontiert, egal ob im Supermarkt beim Blick auf den Kassenbon oder an kalten Tagen, an denen sie sich dann doch lieber den dicken Wollpulli anzieht, anstatt die Heizung aufzudrehen. Wir sehen die Sorgen der kleinen und mittleren Betriebe. In meinem Wahlkreis muss eine Bäckerei nach mehr als 100 Jahren endgültig schließen. Über Generationen wurde hier Handwerk gelebt und wurden viele Herausforderungen gemeistert. Jetzt kann der Bäcker die gestiegenen Preise nicht mehr an die Kundinnen und Kunden weitergeben. Auf dem Land ist es nämlich nicht wie hier in Berlin-Mitte: Bei mir daheim sind die Leute zu Recht nicht bereit – viele können es auch einfach gar nicht –, 5,60 Euro für ein stinknormales belegtes Brötchen auszugeben. Wir sehen auch die Sorgen der Menschen, die eine Öl- oder eine Pelletheizung daheim haben und die sich mit Blick auf die Gaspreisbremse fragen: Auch bei uns sind die Preise um ein Vielfaches gestiegen. Warum redet eigentlich niemand über unsere Heizkosten? ({4}) All das sind Sorgen, die einen nicht kaltlassen. Mit Maßnahmen wie Zuschüssen, Preisbremsen und vielen weiteren Entlastungen versuchen wir, alles zu tun, um zu helfen. Und wenn wir sehen, dass nachgebessert werden muss, dann machen wir das. Deswegen wollen wir als SPD-Fraktion beispielsweise jetzt auch die Menschen, die mit anderen Energieträgern als Gas heizen, unterstützen. Wir werden weiter genau hinsehen, wem wir stärker unter die Arme greifen müssen. Gleichzeitig gehört zur Wahrheit aber auch: Alle Härten wird der Staat in dieser Krisenzeit nicht abfangen können. Aber ich wiederhole auch, was ich vergangene Woche in der Debatte an dieser Stelle gesagt habe: Wir geben alles dafür, die zusätzlichen Belastungen so gut wie möglich abzufedern. Und: Wir werden nie aufhören, die Sorgen der Menschen in unserem Land ernst zu nehmen. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Unionsfraktion hat das Wort Anne König. ({0})

Anne König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem 1. Oktober begann wie in jedem Jahr die Heizperiode. Erst drei Wochen später findet die Ampelmehrheit einen Platz auf der Tagesordnung dieses Hauses, um zumindest für einen kleinen Empfängerkreis die dringend erwartete Entlastung bei den Heizkosten zu beschließen. Fazit: Am Timing müssen Sie noch arbeiten. ({0}) Wer derzeit mit Gas oder Öl heizt, der muss tief in die Tasche greifen. Die Heizkosten haben sich im Vergleich zum vergangenen Jahr um ein Vielfaches erhöht. Aber auch diejenigen, die auf Alternativen wie Wärmepumpen oder Holzpellets umgestiegen sind, zahlen in den nächsten Monaten kräftig drauf; denn neben Gas- und Ölpreis steigt auch der Holzpreis, und die Strompreise bleiben weiterhin ein Problem. Die Angst der Menschen, ihre Heizkosten und Stromkosten nicht mehr bezahlen zu können, wächst Woche um Woche. Dabei steht der Winter erst noch vor der Tür. Wenn Menschen aus Angst, die Heizkosten nicht bezahlen zu können, jetzt Teelichter und Thermowäsche kaufen, so zeigt das die ganze Verunsicherung. Mit dieser Verunsicherung lassen Sie in der Bundesregierung die Menschen weitestgehend alleine. Mit einiger Verspätung sehen Sie jetzt zwar Maßnahmen für die besonders stark Betroffenen mit kleinen Einkommen vor, aber strukturelle und wirksame Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft lassen weiterhin auf sich warten. Der Ampel reicht es anscheinend, riesige Milliardenbeträge ins Schaufenster zu stellen. Die Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft erwarten aber zu Recht keine Wumms-Ankündigungen in Comicsprache, sondern ganz konkrete Unterstützungsmaßnahmen. ({1}) Nur so können sie absehen, was auf sie zukommt und wie sie durch diese Energiekrise durchkommen können. Immerhin haben ja Teile der Koalition inzwischen verstanden, dass die explodierenden Energiepreise ganz offensichtlich etwas mit einem zu knappen Energieangebot zu tun haben. Problemerkenntnis heißt bei dieser Regierung aber noch lange nicht, dass sie auch die Problemlösung angeht. Das Staatsschauspiel – oder sollte ich besser sagen: Schmierentheater? – rund um die Kernkraft, das die drei Ampelhäuptlinge in den letzten Wochen geboten haben, haben die Energiekunden in diesem Land wahrlich nicht verdient. ({2}) Solche parteipolitischen Selbstverwirklichungstrips können wir uns in dieser Krise einfach nicht leisten. Denken Sie eigentlich gelegentlich daran, wie es auf Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre nächste Strom- und Heizkostenrechnung bezahlen sollen, wirkt, wenn Sie vor und nach Landtagswahlen um zwei oder drei Kernkraftwerke in Reserve oder im Streckbetrieb schachern? Es ist schon zum Verzweifeln, wenn die Ampel nur noch Minimallösungen durch die Anwendung der Richtlinienkompetenz vollbringt. Das inszenierte Theater in Grün und Gelb nach dem Kanzlerbrief kann eben nicht darüber hinwegtäuschen, was Sie mit Ihrem Parteigezänk der letzten Monate schon angerichtet haben. ({3}) Konsequent und notwendig wäre es gewesen, schon im Frühjahr neue Brennstäbe zu bestellen, ({4}) so wie wir als Union das damals auch schon gefordert haben. Nur so hätten die verbliebenen Kernkraftwerke nämlich in den nächsten beiden Wintern ihre volle Leistung für unsere Stromversorgung erbringen können. ({5}) Jetzt führt das Machtwörtchen des Kanzlers eben nicht zu einer spürbaren Entlastung auf unseren Energiemärkten, sondern nur noch zu Schadensbegrenzung. ({6}) Folgerichtig müssen wir uns auch umso dringender mit Schadensbegrenzung durch Einmalhilfen beschäftigen. Bereits vor der Auszahlung des ersten Heizkostenzuschusses war klar, dass eine Einmalzahlung allein nicht reichen wird. Viel zu spät bringt die Ampel nun den zweiten auf den Weg. Das alles ist kein Grund, sich dafür auf die Schulter zu klopfen, zumal der Heizkostenzuschuss lediglich eine Überbrückungshilfe für eine längst überfällige Wohngeldreform darstellt. Als Unionsfraktion stimmen wir dem Gesetzentwurf zu – aber nur aus einem einzigen Grund: weil es die schwere aktuelle Lage nötig macht, den Betroffenen jetzt endlich zu helfen. ({7}) Weil diese Regierung ja von einem Kanzler geführt wird, der gerne schon mal Dinge vergisst, will ich noch mal unsere Forderungen aus dem Frühjahr wiederholen. Es bedarf endlich einer Wohngeldreform, eines auskömmlichen Wohngelds für Betroffene mit einer Klima- und Heizkostenkomponente, die ihren Namen verdient und nicht nur aus hübschen Überschriften besteht. Beim Wohngeld Plus bauen Sie seit Tagen eine riesige Erwartungshaltung auf. Dabei ist im Moment ja nicht einmal die ordentliche Durchführung gesichert. Ich kann an Sie nur appellieren: Sorgen Sie wenigstens bei diesem Projekt dafür, dass alle Anspruchsberechtigten die Zahlungen rechtzeitig erhalten! Ansonsten werden wir uns hier in wenigen Monaten über einen dritten Heizkostenzuschuss unterhalten müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Hanna Steinmüller. ({0})

Hanna Steinmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005230, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag ein bisschen komisch sein, dass wir schon zum zweiten Mal in diesem Jahr über einen einmaligen Heizkostenzuschuss in letzter Lesung beraten. Aber wir müssen die Realität anerkennen: Wir befinden uns in einer verdammt ernsten Lage. Wir sind in einer Energiekrise, und es ist immer wichtig, noch einmal die Verantwortlichen dafür zu benennen. Es sind Wladimir Putin und sein völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine, die das ausgelöst haben. ({0}) Weil wir uns in einer Krise befinden, die vielen Menschen über den Kopf steigt, müssen wir sie unterstützen. Der Heizkostenzuschuss ist deswegen in der jetzigen Situation absolut richtig; der erste war es und auch der zweite. Durch den Fokus auf einkommensschwache Haushalte im Leistungsbezug ist der Zuschuss besonders zielgenau und unterstützt genau diejenigen, die es am meisten brauchen. 660 000 Haushalte im Wohngeldbezug profitieren von diesem Zuschuss. Für einen Einpersonenhaushalt sind das 415 Euro, für einen vierköpfigen Haushalt sind es sogar 740 Euro. Darüber hinaus profitieren 550 000 Beziehende von BAföG oder Ausbildungsbeihilfe; sie erhalten pauschal 345 Euro. Damit entlasten wir substanziell und helfen den Menschen, gestiegene Abschlagszahlungen und Rechnungen zu bezahlen. Außerdem freut mich, dass der Heizkostenzuschuss für alle Berechtigten antragsfrei ist. Dafür hatte ich mich bereits in den Beratungen zum ersten Heizkostenzuschuss eingesetzt, und es hat geklappt. Auch jetzt ist es so, dass er automatisch an alle Berechtigten ausgezahlt wird und kein eigenes Handeln notwendig ist. ({1}) Zudem ist uns wichtig, dass der Heizkostenzuschuss schnell an die Menschen ausgezahlt werden kann. Die Verwaltungen der Länder haben uns darum gebeten, dass wir den Heizkostenzuschuss II möglichst nah am Heizkostenzuschuss I gestalten, damit die IT nicht umfangreich umprogrammiert werden muss. Wir leben in einem föderalen System. Ich finde es gut, die Anregung der unterschiedlichen Ebenen ernst zu nehmen. Deswegen haben wir genau das getan. Er ist möglichst nah am Heizkostenzuschuss I und kann deswegen zügig ausgezahlt werden. Ich hoffe, das klappt noch besser als beim ersten Mal. ({2}) Der Fakt, dass wir hier bereits zum zweiten Mal einen einmaligen Zuschuss beraten, zeigt aber auch: Er wirkt nur symptomatisch. Deswegen ist es wichtig, dass wir gerade parallel – und das machen wir, Frau König – die Wohngeldnovelle durchbringen, wo wir genau das machen: eine Heizkostenkomponente und eine Klimakomponente, die dauerhaft sind und den gestiegenen Energiekosten Rechnung tragen. ({3}) Zum Schluss bleibt mir zu sagen: Danke an meine Kollegen Martin Diedenhofen und Daniel Föst für die guten Beratungen und an das Ministerium für die gute Zusammenarbeit. Ich freue mich, dass jetzt fast 2 Millionen Menschen in Deutschland zeitnah den Heizkostenzuschuss II ausgezahlt bekommen. Vielen Dank. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Roger Beckamp. ({0})

Roger Beckamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005020, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einem ersten Heizkostenzuschuss im Sommer dieses Jahres wegen der hohen Energiepreise und der hohen Inflation soll es nunmehr noch einmal eine entsprechende Einmalzahlung geben. Dieser Zuschuss stellte eine unbürokratische Hilfe dar und unterstützt zahlreiche Bezieher von Wohngeld und anderen sozialen Leistungen. Und ja, es ist gut, wenn ein Sozialstaat denen, die zu wenig verdienen, finanziell unter die Arme greift. Das gilt etwa bei den Kosten der Unterkunft für Hartz‑IV-Bezieher, deren Heizkosten grundsätzlich durch Sozialleistungen getragen werden. Da tut sich durchaus die Frage auf, wie eigentlich unsere Neubürger heizen, die alles bezahlt bekommen. Wie heizt jemand aus Somalia in einem deutschen Winter oder jemand aus Nigeria, der es selbst nicht zahlen muss? Und wer bezahlt das ansonsten? ({0}) – Ja, lassen wir das besser. Sie gucken schon wieder so verbiestert. Hören wir auf damit! Ich lege es zur Seite für Sie. Jedenfalls anteilig gilt die soziale Fürsorge nunmehr auch mit Blick auf alle Empfänger von Wohngeld und einigen anderen Sozialleistungen. Diese Menschen erhalten zumindest einen Zuschuss für die entstehenden Mehrkosten durch die massiv gestiegenen Energiepreise; denn auch diese Menschen können die steigenden Energiepreise nicht einfach wegstecken. Aber wen entlastet die Bundesregierung mit diesen Maßnahmen von den steigenden Energiepreisen? Wie viele Menschen sind das? Das sind lediglich 1,2 Millionen Haushalte. Die anderen knapp 40 Millionen Haushalte, abzüglich Hartz‑IV, werden gerade nicht entlastet. Die große Masse der vergessenen Mittelschicht – die CDU hat es gesagt –, ebenfalls nur kleine und mittlere Einkommen, werden außen vor gelassen. Aus Sicht der Grünen und der sogenannten Sozialdemokraten ist das offensichtlich egal. ({1}) Die vergessenen Schichten der arbeitenden Mitte müssen sich durch die explodierenden Energiepreise auf erhebliche Einkommensverluste im vierstelligen Bereich einstellen. Sie werden jetzt arm gemacht, weil für sie, für die große Mehrheit der Bevölkerung, die Sozialkosmetik der Bundesregierung nicht vorgesehen ist. Für diese Energieabgehängten bleiben die sogenannte Gaspreisbremse und die Hoffnung auf einen milden Winter. Glückwunsch! Dabei liegt die Zahl der eher einkommensschwachen Haushalte bei fast 10 Millionen. Das sind Abermillionen Menschen in diesen Haushalten. Und ein Großteil der Leute muss jetzt – ja, für was eigentlich? – frieren. Und nur wer bereits von staatlichen Hilfen abhängig ist, bekommt einen weiteren kleinen Schluck aus der Pulle. Ein neuer Begriff geht um: Energiearmut. Ein Haushalt gilt als von Energiearmut betroffen, wenn mehr als 10 Prozent des Nettoeinkommens eines Haushalts für Heizen, Warmwasser und Strom ausgegeben werden. Der Anteil dieser Haushalte lag ohne staatliche Hilfe im Jahre 2021 bereits bei 14,5 Prozent. Dabei zogen die Energiepreise bereits zum Ende letzten Jahres zusätzlich an. Die CO2-Bepreisung für Erdgas und Erdöl hatte bereits damals alles teurer gemacht; da stand übrigens noch kein einziger russischer Soldat auf ukrainischem Boden. Nach dem Beginn des Ukrainekriegs beschleunigte sich die Teuerung abermals, und im Mai waren es bereits über 25 Prozent aller Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind; mittlerweile dürften es deutlich mehr sein. Und immer mehr dieser Haushalte geraten in Gefahr, ihre Ausgaben für Energie eben nicht mehr alleine, sondern nur mit fremder Hilfe decken zu können. Dabei ist deutlich erkennbar, dass die relativen Energieausgaben mit geringem Einkommen steigen. Was für ein Wunder! Der Zusammenhang zwischen geringem Einkommen und Energiearmut ist offensichtlich. Tatsächlich sind viele Haushalte, die mit ihren Einkommen knapp über den Hartz-IV-Sätzen liegen und jetzt keinen Heizkostenzuschuss bekommen, ganz besonders benachteiligt. Bei Haushalten mit einem verfügbaren Einkommen von mehr als 5 000 Euro netto – also jeder hier im Saal, und halte er sich für sonst wie sozial – betragen die Heizkosten anteilig nur unter 5 Prozent. Wie schön für Sie! Mit viel Wohlwollen, so richtig viel Wohlwollen, und an besonders sonnigen Tagen kann man freundlich feststellen, dass dieses Heizkostenzuschussgesetz eine teilweise Lösung für ein paar Menschen in unserem Land ist.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Roger Beckamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005020, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und das ist sehr, sehr freundlich formuliert. Weil heute die Sonne scheint: Hoffen wir auf einen milden Winter. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Daniel Föst. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Energiekrise trifft alle Menschen in unserem Land, sie trifft alle in Europa. – Das findet Herr Luczak zum Lachen, das ist okay; sonst hat die Opposition eher etwas zum Weinen, weil sie es nicht hinkriegt. – Die Energiekrise betrifft die Menschen in unserem Land, und ein durchaus großer Teil steht vor einer Überforderung. Man hat Sorge, ob man die Heizkosten bezahlen kann. Und genau in dieser Situation ist es richtig und wichtig, dass wir als Ampelregierung sehr schnell handeln. Das haben wir getan, zuerst mit dem Heizkostenzuschuss I. Aber an der Stelle muss ich sagen: Es haben heute noch nicht alle Länder, die da in der Verantwortung sind, den Heizkostenzuschuss I ausgezahlt. ({0}) – Ja, im Ernst. – Das halte ich echt für ein Problem. ({1}) Jetzt werden wir schnell mit dem Heizkostenzuschuss II reagieren, um die größten Härten für die Menschen, für die Damen und Herren, abzufedern, die an der Grenze der Überlastung sind, und sie zu unterstützen. Lassen Sie mich an der Stelle sagen – ich finde es übrigens großartig, Herr Staatssekretär, dass ein Vertreter des Bildungsministeriums anwesend ist –: Dass Frau Bettina Stark-Watzinger durchgesetzt hat, dass wir die BAföG-Empfänger und die 200 000 Bildungsförderungsempfänger in den Blick nehmen, ist absolut richtig. ({2}) So erreichen wir mit dem Heizkostenzuschuss II tatsächlich annähernd 2 Millionen Menschen, und das ist eine wirklich wichtige Hilfe. ({3}) – Natürlich stimmt es, Herr Luczak. In den Wohngeldhaushalten leben 1,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen 400 000 BAföG-Empfänger und 200 000 Bildungsförderungsempfänger. Das macht über 2 Millionen Menschen. Ich weiß, dass man es mit dem Rechnen manchmal schwierig hat. Insbesondere wenn es um die Finanzierung geht, sehe ich bei der Union schwere Rechenfehler. Aber mit dem Heizkostenzuschuss II erreichen wir über 2 Millionen Menschen, die diese Hilfe auch tatsächlich brauchen. ({4}) Bei einem Punkt bin ich wirklich bei Ihnen: Das ist eine kurzfristig zweite einmalige Hilfe. Wir müssen das Thema der Energiesicherheit aber natürlich strukturell angehen. Auch da hat die Ampelkoalition vorgelegt. Wir werden die erneuerbaren Energien drastisch ausbauen. Was uns beim Wind-an-Land-Gesetz und beim Windenergie-auf-See-Gesetz gelungen ist, das gab es in der Bundesrepublik noch nie; das ist sensationell. Der Ausbau der Bioenergie im BauGB ist großartig; das wird kommen. Das sind die ersten strukturellen Schritte, die wir gemacht haben. Aber bis sie wirken, muss es für Deutschland erstmal heißen: Wir müssen all-in gehen mit allem, was wir an Energie haben. Dazu gehört die natürlich die Kernkraft.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Kollege Föst, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zeulner?

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das wird kurzweilig.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, lieber Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben ja von dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien gesprochen. Wir wissen natürlich, dass wir dann, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint, einen anderen Energieträger brauchen, der diese volatile Kraft ausgleicht. Die Kohlekraftwerke können das nicht sein; denn die sind langwierig im Hochfahren und können nicht einfach wieder heruntergefahren werden. Auch bei den Gaskraftwerken wird es schwierig; darauf hatten wir ja eigentlich gesetzt. Was ist denn, wenn der Zuwachs jetzt so massiv ist, das Konzept von Ihnen und der FDP für die Stunden, in denen der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint? Welche Energie bevorzugen Sie dann? Und wie glauben Sie das in Zukunft erreichen zu können, weil dann ja, wie gesagt, immer mehr ausgleichende Energie gebraucht wird?

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Zeulner, vielen Dank für die Frage. – Das ist übrigens Teil dessen, was wir als Ampel strukturell angepasst haben: Wir haben bei der Energieversorgung, bei den erneuerbaren Energien endlich die Speicher mit berücksichtigt, weil wir einen massiven Speicherausbau brauchen. Wir haben die kleine Wasserkraft gestärkt, wir haben Biogas gestärkt, wir haben die Gaskraftwerke und die Kohlekraftwerke gestärkt, und wir lassen die drei Kernkraftwerke weiterlaufen. Das alles ist ein funktionierender Energiemix, den Deutschland über die kalten Monate braucht. Hinzu kommt der massive Aufbau der LNG-Terminals mithilfe eines Planungsbeschleunigungsgesetzes, das ich in Deutschland eigentlich für nicht möglich gehalten habe, weil ich 16 Jahre Unionsführung gewohnt bin. ({0}) Wir haben also die richtigen Antworten. Momentan müssen wir kurzfristig helfen, und das tun wir mit dem Heizkostenzuschuss II. Das entbindet uns natürlich nicht von der strukturellen Aufgabe, vor der wir bei der Energiesicherheit stehen. Weil ich gerade bei der Planungsbeschleunigung und den LNG-Terminals war: Das muss für uns eine Blaupause sein, wie es in Deutschland weitergehen kann. Das ist entscheidend. Die Planungsbeschleunigung ist einer der Grundpfeiler für die Energiesicherheit in Deutschland. Wir haben in vielen Bereichen kein Erkenntnisproblem, sondern ein Geschwindigkeitsproblem. Genau diese Geschwindigkeit wird Deutschland mit dieser Ampelregierung aufnehmen, und das finde ich großartig. ({1}) Aber auch da gilt: Bis die Aufnahme von Geschwindigkeit zu dem Ziel führt, das wir strukturell erreichen müssen, haben wir weitere Aufgaben. Die Energiekrise – es sind ja keine steigenden Kosten, es sind springende Kosten – reicht ja bis weit in die Mittelschicht hinein und kann auch da zur Überforderung führen. Deswegen wird die Gaspreisbremse kommen, deswegen wird die Strompreisbremse kommen. ({2}) Weil wieder so getan wird, als hätten wir für die Menschen in der Mitte der Gesellschaft nichts getan, sage ich: Wir haben Entlastungspakete in einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro geschnürt. Wer behauptet, die Ampel würde für die Menschen in diesem Land nichts tun, der hat entweder keine Ahnung oder erzählt bewusst die Unwahrheit. ({3}) Abschließend zum Heizkostenzuschuss II. Wirklich vielen Dank für die angenehmen Gespräche. Sie waren sehr produktiv und sehr zielgenau, ({4}) liebe Hanna, lieber Martin, auch liebes Ministerium. Es macht schon Spaß, hier in der Ampel Politik zu machen. ({5}) Und wenn so etwas Gutes herauskommt wie das jetzt, dann ist sie auch erfolgreich. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Die Linke hat das Wort die Kollegin Caren Lay. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die rasant steigenden Energiepreise werden viele Haushalte überlasten. Die kommunale Wohnungswirtschaft in Reichenbach/Vogtland hat uns Abgeordnete angeschrieben; sie geht davon aus, dass drei von vier Haushalten die erhöhten Energiekosten nicht werden zahlen können. Ein großes Immobilienportal hat ausgerechnet, dass in den großen Städten allen Haushalten mit weniger als 5 000 Euro netto die finanzielle Überbelastung durch die Energiekosten droht. Es geht also bis weit in die Mittelschichten hinein. Hier droht eine soziale Katastrophe. Wir dürfen die Menschen mit dieser Kostenexplosion nicht alleine lassen. ({0}) Bisher hilft das Wohngeld leider nur bei den Kaltmieten. – Es gab übrigens kurzzeitig bereits einen Heizkostenzuschuss beim Wohngeld. Den hat Schwarz-Gelb 2010 abgeschafft. Insofern kann ich die Kritik der Union an dieser Stelle wirklich nicht nachvollziehen. – Wir als Linke haben schon 2008 beantragt, dass die tatsächlichen Mieten, also die Warmmieten, zur Berechnungsgrundlage für das Wohngeld gemacht werden. Jetzt endlich kommt die Heizkostenpauschale für Wohngeldhaushalte. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir als Linke werden zustimmen. Dass es dafür allerdings erst der aktuellen Krise und der Vervielfachung der Preise bedurft hat, das ist wirklich eine Schande. ({1}) Jetzt zur Kritik. Erstens. Strom wird weiterhin nicht einbezogen. Das muss sich ändern. Niemand soll mehr als 30 Prozent des Einkommens für das Wohnen ausgeben. Das ist die Grundfeste unseres Sozialstaates, und das fordern auch wir als Linke. ({2}) Zweitens. Sie führen die Heizkostenpauschale ein; aber der irrsinnige CO2-Preis soll weiter bestehen bleiben. Bei einem Dreipersonenhaushalt mit einer Ölheizung reduziert sich der Heizkostenzuschuss dann locker von 640 Euro auf nur noch 450 Euro. Das ist doch absurd. Am besten wäre es, den CO2-Preis ganz abzuschaffen. ({3}) Drittens. Menschen in Not bei den Heizkosten zu helfen, ist richtig. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Das Geld fließt ja nicht selten am Ende des Tages in die Taschen der Energieriesen. Exxon Mobil zum Beispiel verzeichnete im zweiten Quartal Gewinne von fast 18 Milliarden Dollar und ein Plus von 380 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch RWE konnte allein im ersten Halbjahr seine Gewinne um ein Drittel steigern. Der Staat subventioniert also die Gewinne der Energiekonzerne. Deswegen braucht es neben einem Heizkostenzuschuss auch einen echten Gaspreisdeckel und einen Strompreisdeckel. ({4}) Im Übrigen braucht es auch einen Mietpreisdeckel. Dazu sprechen wir morgen, wenn wir als Linke unser „Krisenpaket Miete“ vorstellen. Die Zeit drängt. Am Wochenende werden in sechs Städten Menschen unter dem Motto „Solidarischer Herbst“ auf die Straße gehen, um gegen soziale Kälte zu demonstrieren. Beteiligen Sie sich an den Protesten! Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Franziska Mascheck. ({0})

Franziska Mascheck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005144, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir leben in wirklich komplizierten Zeiten, und wir alle – das wurde schon gesagt – spüren die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Krieges durch Russland gegen die Ukraine: steigende Preise beim Bäcker, im Supermarkt, beim Handwerker, steigende Heizkosten. Ja, meine Damen und Herren, diese Zeiten sind kompliziert. Aber ich sage Ihnen: Wir werden sie nur überstehen, wenn wir zusammenstehen. Solidarität und soziale Gerechtigkeit sind das Gebot der Stunde. ({0}) Und wir in der Koalition handeln. Mit ganz konkreten Maßnahmen unterstützen wir die Menschen, die vielleicht jetzt, in diesem Moment nicht mehr in der Lage wären, ihre Rechnungen zu bezahlen. Und wenn wir merken, dass die Situation sich ändert und die Hilfen nicht mehr ausreichen, dann steuern wir als Koalition nach. Dieser Heizkostenzuschuss ist ein gutes Beispiel genau dafür. ({1}) Bei mir im Landkreis Leipzig haben vergangenes Jahr rund 2 100 Haushalte Wohngeld bezogen. Mit dem Heizkostenzuschuss I haben wir diesen Menschen konkret geholfen, ebenso wie Menschen, die studieren, die Unterstützung während der Ausbildung oder Unterstützung zur Fortbildung bekommen. Wir tun es jetzt erneut; denn die Situation erfordert es. Dieses Mal werden es sehr wahrscheinlich noch ein paar mehr Menschen aus meinem Wahlkreis sein, die diese Unterstützung bekommen. ({2}) Ich bin im ständigen Austausch mit meinem Landrat. In meinem Landkreis hat sich die Zahl der eingereichten Wohngeldanträge in den letzten Wochen verdoppelt, schon allein wegen dieser Debatte darum. ({3}) Und ja, wir müssen schauen, dass die Kommunen und die Kreise das bewältigen können und dass sie Unterstützung bekommen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in komplizierten Zeiten. Aber anders, als es diese blaubraunen Spalter da drüben behaupten, haben wir uns diese Situation nicht ausgesucht. ({5}) Putins Regime ist verantwortlich für das Leid in der Ukraine. ({6}) Putins Regime ist verantwortlich für die Behinderung bei den Getreideexporten, und Putins Regime ist verantwortlich für den Gaslieferstopp Russlands. ({7}) Aber wissen Sie was? Wir alle hier sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass wir diesem Angriff auf unsere europäischen Werte widerstehen. Das gelingt nur durch einen demokratischen Schulterschluss zwischen Zivilgesellschaft und Vereinen, Verbänden, Wirtschaft, Kommunen und vor allem auch den Ländern bis hin zum Bundestag und Europa. Herzlichen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Michael Kießling. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab, bevor die Empörungsampel bei Kritik wieder auf Rot steht: Wir werden dem Heizkostenzuschuss zustimmen, weil er richtig und wichtig ist und jetzt auch dringend kommen muss. ({0}) Herr Föst, zum Thema Planungsbeschleunigung und LNG-Terminals: Wir sind in einer ganz anderen Situation, in der Sie als Ampel zusammenhalten und Ihr Vorhaben auch umsetzen müssen. Hätten wir in der letzten Legislaturperiode eine Planungsbeschleunigung in diesem Umfang angestoßen, dann hätte ich die Empörung von den Linken, von den Grünen, aber auch von Teilen der SPD hören wollen. ({1}) Damals hätten wir keine Mehrheit in diesem Parlament gehabt; das muss man leider dazusagen. ({2}) Sie schreiben sich das jetzt auf die Fahne; aber wenn man während dieses Krieges und angesichts dieser Herausforderungen nicht handlungsfähig wäre, dann wäre das doch ein Armutszeugnis für die Regierung. ({3}) Wir sehen ja, dass Sie teilweise einfach zu langsam, zu ungenau und zu kurzsichtig arbeiten und keine klaren Konzepte haben. ({4}) Das ist es auch, was das Bürgergeld, der Heizkostenzuschuss und das Wohngeld gemeinsam haben: Die Maßnahmen sind nicht zielgenau, sie dauern zu lange, sie sind nicht abgestimmt. Ich möchte auf einige Punkte eingehen. Wenn Sie Heizkostenzuschuss und Wohngeld zusammen anstoßen und die Kommunen vor Ort beides umsetzen müssen, dann müssen Sie die Kommunen früher mit ins Boot nehmen und mit ihnen klären, wie das umgesetzt werden kann. Der Heizkostenzuschuss soll noch in diesem Jahr ausgezahlt werden. Am 1. Januar 2023 soll dann das Wohngeld ausgezahlt werden. Jetzt hat die FDP die glorreiche Idee, das über Digitalisierung zu lösen. So schnell werden Sie die Abwicklung des Wohngelds nicht digitalisieren können. ({5}) Sie schüren Erwartungshaltungen bei einer Bevölkerung, die das Geld dringend benötigt, die auch dringend Hilfe benötigt. Letztendlich können Sie nicht liefern, weil es einfach an der Umsetzung fehlt. Das ist der Vorwurf, den ich Ihnen mache. Ich kritisiere nicht, dass der Heizkostenzuschuss jetzt kommt; noch mal: Er ist richtig. ({6}) Aber es muss klar sein, wie mit den Kommunen zusammengearbeitet wird, die die Anträge vor Ort abwickeln. Wir haben auch schon vor einem halben Jahr gesagt, dass man die Gruppe, die es betrifft, erweitern muss, dass man Studierende, Rentner usw. hinzunehmen muss, dass man die Kriterien der Bedürftigkeit erweitern muss. Vor einem halben Jahr haben wir das gesagt. Jetzt kommen Sie und sagen: Na ja, beim zweiten Paket könnten wir das mal berücksichtigen, und die Kommunen nehmen wir erst Mitte des Jahres mit dazu. – Wie soll das funktionieren? Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe, nicht, dass der Zuschuss kommt. ({7}) Ein anderer Punkt ist: Jetzt haben wir den Heizkostenzuschuss, und das Wohngeld kommt zum 1. Januar. Aber wir nutzen noch nicht alle Quellen, die wir für die Energieversorgung brauchen. Wir haben die Gaspreisbremse, aber wissen noch nicht, wie sie ausformuliert ist. Wir haben steigende Energiekosten. Aber wir wissen nicht, wie wir mit Pellets und mit Heizöl umgehen; auch da steigen die Kosten, auch da sind Leute betroffen. Und darauf haben Sie noch keine Antwort. Und die Potenziale, die wir haben, nutzen Sie nicht. Wir haben zwar das Machtwort von Herrn Scholz, dass die Kernkraftwerke bis Mitte April weiterlaufen sollen. Doch was passiert danach? Wir werden die Energiekrise nicht par ordre du mufti im April beenden können. Das heißt, wir werden diese Energie auch in Zukunft brauchen. Dieses kurzfristige Denken ist es, was ich Ihnen vorwerfe. Wir müssen jetzt die Brennstäbe beschaffen, sodass wir auch über den Winter 2023/24 kommen. ({8}) Sorgen Sie deshalb endlich mit langfristigen und sicheren Konzepten für mehr Versorgungssicherheit, für Netzstabilität und geringe Energiepreise! Kaufen Sie jetzt die Brennstäbe! Sonst wird Ihr versprochener Wumms zum Rohrkrepierer. Und was kommt dann? Weitere Scholz-„Wümmse“ – ich weiß jetzt nicht die Mehrzahl von Wumms –, ein dreifacher Wumms oder ein Doppel-Wumms im Quadrat? Schauen Sie einfach, dass wir endlich die Lösungen bekommen, die wir dringend brauchen! Schauen Sie bitte in die Zukunft, und handeln Sie nicht so kurzsichtig! Und weichen Sie doch von Ihren Ideologien ab! Wir brauchen jetzt Lösungen, und zwar für dieses und auch das nächste Jahr. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Laura Kraft. ({0})

Laura Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005113, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Studierende sind überdurchschnittlich armutsgefährdet. Ohne finanzielle Sicherheit hängt das Studium auch mal schnell am seidenen Faden. Bei den gleich mehrfachen Krisen, die wir aktuell zu bewältigen haben, ({0}) ist es unerlässlich, dass jetzt auch Studierende, Auszubildende sowie Schülerinnen und Schüler bedacht werden. Und das tun wir. ({1}) Die Ampel hat eine Vielzahl von Entlastungen beschlossen, von denen Menschen in Ausbildung profitieren. Der Heizkostenzuschuss ist dabei eines der wichtigsten Instrumente, da es besonders zielgenau wirkt. Der zweite Heizkostenzuschuss ist für Studierende, Auszubildende und Fachschüler/-innen ein wichtiges Signal; denn die für sie kritische Lage nehmen wir ernst. Menschen in Ausbildung haben in der Regel keine oder kaum Ressourcen, auf die sie in klammen Zeiten zurückgreifen können. Der Heizkostenzuschuss geht darum ganz gezielt an all diejenigen Studierenden und Schüler/-innen, die besonders auf ihn angewiesen sind, die ohnehin auch schon auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Er kommt da an, wo er dringend gebraucht wird. Aber Krisen wie diese zeigen auch einen grundsätzlichen Bedarf im System auf. Noch viel zu viele Studierende erhalten kein BAföG, obwohl sie darauf angewiesen wären. Der Berechtigtenkreis wurde durch die Ampel und unsere BAföG-Reform schon erweitert. Aber an weiteren Stellschrauben muss noch gedreht werden. ({2}) Die Förderung über die Regelstudienzeit hinaus und eine Flexibilisierung bei den Leistungsnachweisen zum Beispiel sind unabdingbar. Nur dann kann das BAföG wieder all diejenigen erreichen, die ohne diese Unterstützung vielleicht nicht studieren könnten. Auch Pflegeeinrichtungen sind durch die stark gestiegenen Energiepreise in eine Schieflage geraten, die sie teils nicht bewältigen können. Der Gesetzentwurf sorgt für Klarheit in den Pflegesatzverhandlungen und stärkt die Positionen der Pflegeeinrichtungen. Das ist genau das, was wir in diesen Zeiten gut gebrauchen können. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte ist für die SPD-Fraktion Timo Schisanowski; ich hoffe, ich habe den Namen korrekt ausgesprochen. ({0})

Timo Schisanowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Das war völlig korrekt. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Als ich am Anfang des Jahres meine allererste Rede hier im Deutschen Bundestag gehalten habe, habe ich aus der Präambel der Schweizer Verfassung zitiert, dass „die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. Dies war noch vor dem Ukrainekrieg. Seitdem erleben wir alle miteinander gewaltige Veränderungen und Herausforderungen, eine folgenreiche Zeitenwende, wie unser Bundeskanzler Olaf Scholz richtigerweise erläutert hat. Dies gilt für nahezu alle Lebensbereiche, auch für das Wohnen; denn eine warme Wohnung ist für viele heutzutage eben keine Selbstverständlichkeit mehr, allen voran nicht für die sozial Schwachen. Deshalb sind wir nun, ganz im Sinne des genannten Zitats, als gewählte Volksvertreter gefordert, Stärke zu beweisen. Unsere Bundesregierung und wir als Parlament, wir handeln hier und heute mit dem zweiten Heizkostenzuschuss. Mehr Zuschuss, mehr Empfänger, mehr Kontinuität – all das ist richtig und wichtig, und als Sozialdemokrat füge ich selbstbewusst hinzu: Mehr soziale Gerechtigkeit ist es auch. ({0}) Der zweite Heizkostenzuschuss ergänzt nämlich geeignet die bisherigen inzwischen ja fast 300 Milliarden Euro umfassenden Entlastungsmaßnahmen. 300 Milliarden Euro für Direktzahlungen, Familienzuschuss, Energiepreispauschale, Strom- und Gaspreisbremse – damit entlasten wir zielgerichtet unsere Wirtschaft und Industrie, unseren Mittelstand, unser Handwerk, vor allem entlasten wir die Menschen in unserem Land. Wir handeln also; wir kümmern uns. Mit Blick auf meinen nordrhein-westfälischen Wahlkreis in Hagen und im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis heißt das auch ganz konkret: Vom zweiten Heizkostenzuschuss profitieren allein 2 600 wohngeldbeziehende Haushalte. Hinzu kommen dann noch die BAföG- und beihilfeberechtigten Studis und Azubis. Aus meinen vielen Gesprächen und Vor-Ort-Terminen im Wahlkreis weiß ich eben auch, dass die Sorgen und Nöte wahrlich groß sind. Gleichzeitig haben die Menschen auch ein sehr feines Gespür dafür, was es für Politik und Gesellschaft heißt, Krisen gemeinsam zu meistern, noch dazu Krisen, wie wir sie noch nie so vielfach und so schwerwiegend haben erleben müssen. Wenn wir zum Abschluss schon über das feine Gespür der Menschen in unserem Land sprechen, sage ich: Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Aus NRW lesen wir, dass die CDU-Landesministerin Scharrenbach das vermeintliche Förderchaos des Bundes beklagt. ({1}) Das ist unanständig. Jetzt wird die Bundesregierung schon dafür kritisiert, dass sie zielgerichtet handelt und in hundertfacher Milliardenhöhe entlastet. Das ist Kritisieren nur um des Kritisierens willen. Aber selbst nichts auf die Kette kriegen! Das ist traurige CDU-Realität in Nordrhein-Westfalen. ({2}) Das ist genau der Unterschied: Im Bund wird gehandelt – auch in einem engagierten Bauministerium mit einer tatkräftigen Ministerin Klara Geywitz – vielen Dank! –, und in NRW wird nur kritisiert und gefordert. ({3}) In diesem Sinne, meine Damen und Herren, herzliche Grüße auch nach Nordrhein-Westfalen. Besten Dank. ({4})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der politische Islamismus oder der legalistische Islamismus, wie ihn etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz nennt, ist wie jede andere Form des Extremismus eine Gefahr für unsere Sicherheit in Deutschland. Ich behaupte, Sie werden im ganzen Hause und so natürlich auch bei uns in der Fraktion niemanden finden, der diese Gefahr nicht sieht oder gar negiert. Deswegen ist es gut und folgerichtig, dass unsere Sicherheitsbehörden auch diesen Bereich im Blick haben. Nachzulesen ist das zum Beispiel alljährlich im Verfassungsschutzbericht. Ich sage das, weil man in Ihren beiden Anträgen den Eindruck gewinnen kann, dass einzig und allein die zwölf Expertinnen und Experten des Expertenkreises Politischer Islamismus für die Bearbeitung des Themas zuständig sind. So stellen Sie es jedenfalls dar, und dazu passen Ihre Krokodilstränen der letzten Wochen, die Sie vergießen, wenn es um die Zukunft des Expertenkreises geht. Ihr Innenminister – Ihr Innenminister! – Herr Seehofer war es, der den Expertenkreis vor einem Jahr eben für die Dauer eines Jahres eingesetzt hat, nicht wir. Ich sage Ihnen: Bei allem Respekt gegenüber dem Expertenkreis, mich beruhigt es doch sehr, dass es nicht nur diese zwölf Frauen und Männer sind, sondern dass wir seit vielen Jahren sehr viel breiter aufgestellt sind, etwa wenn es um Forschung oder die sicherheitspolitische Bearbeitung des Themas Islamismus geht. Trotzdem versuchen Sie, ihn für Ihre parteipolitischen Spielchen zu instrumentalisieren. Das haben wir bei der Anhörung erlebt, das haben wir diese Woche im Ausschuss erlebt, und, jede Wette, Sie werden es auch in dieser Debatte wieder tun, als sei dieser Expertenkreis das einzige Instrument im Umgang mit diesem Thema. Ich sage Ihnen: Schon das ist dieses Themas nicht angemessen. ({0}) Ich weiß auch, Herr de Vries, dass dieses Projekt, wenn ich es so sagen darf, Ihr „Baby“ ist. Dennoch wäre Objektivität auch in den letzten Wochen angebracht gewesen. Mir liegt der Tätigkeitsbericht des Expertenkreises noch nicht vor – das kann auch gar nicht sein, weil er noch in Bearbeitung ist – und Ihnen eigentlich auch nicht. Ich kann den Output des Berichts also noch gar nicht bewerten. Aber Sie tun zumindest so, als würden Sie schon mehr wissen, und zwar gleich so viel mehr, ({1}) dass Sie den Fortbestand des Gremiums fordern, ohne zu wissen, was es im letzten Jahr an Arbeit geleistet hat. ({2}) Wenn es Ihnen um die Sache ginge, auch in Ihren Anträgen, dann würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass sich lediglich die Form der Beratung ändert, zum Beispiel in Fachtagungen und Ähnlichem weiterberaten wird, ({3}) also dass die Arbeit natürlich weitergeht, ({4}) nur nicht in ebendiesem Expertenkreis. Es ist doch auch zielführender, das weiter gefasst zu diskutieren, als immer nur in derselben Runde über dasselbe Thema zu diskutieren, zumal wenn es eines ist, das sich mit hoher Dynamik durchaus weiterentwickelt. Es sei noch gesagt: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten übrigens auch von der Union, dass Sie keinen Generalverdacht gegenüber Muslimen schüren, dass Sie unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht in einen Topf mit Extremisten, Salafisten ({5}) und anderen werfen und dass die Islamverbände auch von Ihnen als Partner im Dialog gesehen werden. ({6}) Frau Staatssekretärin, ich bin der Innenministerin und Ihrem Haus dankbar, dass Sie die Deutsche Islam Konferenz weiterführen und ausbauen. Es muss künftig um die Fragen gehen: Wie verhindern wir die Finanzierung der Moscheen aus dem Ausland? ({7}) Wie bekommen wir endlich in Deutschland ausgebildete Imame? Es muss darum gehen, wie wir islamischen Religionsunterricht an Schulen weiter fördern, damit Extremismus gar nicht erst verfängt. Es muss weiterhin darum gehen, wie wir Lehrstühle für Islamische Theologie an den Hochschulen weiter ausbauen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Prävention, und das ist auch der beste Schutz für unsere Demokratie. ({8}) Deshalb – ich komme zum Schluss – werden wir in der Ampelkoalition unseren Weg mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht-Gesetz, mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und zum Beispiel mit der doppelten Staatsbürgerschaft weitergehen. Für mich, meine Fraktion und die ganze Koalition steht fest: Unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gehören samt ihrer Religion zu Deutschland, und das schon seit Jahrzehnten. Vielen Dank. ({9})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Christoph de Vries. ({0})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der politische Islamismus ist brandgefährlich für unsere liberale Demokratie. Seine Akteure lehnen zentrale Grundwerte unserer Verfassung ab, und sie streben eine islamische Grund- und Werteordnung in Deutschland an. Als Christdemokraten stehen wir für eine offene Gesellschaft und eine wehrhafte Demokratie. Deshalb sagen wir in Richtung der Innenministerin und der Ampelkoalition: Nehmen Sie den politischen Islamismus als extremistische Bedrohung endlich ernst! Schauen Sie nicht länger weg! Hören Sie endlich auf die Sicherheitsbehörden und ‑experten, die Ihnen das auch sagen! Das ist unser Appell mit dem Antrag, meine Damen und Herren. ({0}) Die Gefahr ist angesichts von 28 000 Islamisten, die unsere Verfassungsschutzbehörden zählen, enorm. Sie ist in den letzten Jahren sogar stetig gewachsen. Frau Faeser kennt diese Gefahren, und es ist Kernaufgabe einer Innenministerin, extremistische Gefährdungen ernst zu nehmen und ihnen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln die Stirn zu bieten. Fangen Sie damit bitte endlich mal an! ({1}) Es ist angesprochen worden, Horst Seehofer hat als Innenminister auf unsere Initiative hin den Expertenkreis Politischer Islamismus aus anerkannten Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen ins Leben gerufen. Aufgabe des Expertenkreises war und ist es, aktuelle Erscheinungen des Islamismus aus wissenschaftlicher Perspektive zu analysieren und für Bundesregierung und Bundestag Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Allein diese Aufgabenbeschreibung macht doch klar, dass von Anfang an an eine Weiterführung und Verstetigung dieses Expertenkreises gedacht war, weil diese Aufgaben gar nicht in einem Jahr zu erfüllen sind. Das wissen Sie doch auch ganz genau. Deswegen sage ich Ihnen: Verschanzen Sie sich nicht hinter dieser Ausflucht, dass der Expertenkreis nur für ein Jahr eingesetzt war. Das glaubt Ihnen nun wirklich niemand. Das ist eine Frage des politischen Willens, meine Damen und Herren. ({2}) Um das anschaulich zu machen: Der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, den übrigens auch die Union und Horst Seehofer eingesetzt haben, war ursprünglich auf zwei Jahre angesetzt. Und was haben Sie gemacht? Sie haben ihn in diesem Jahr um ein Jahr verlängert. So sind leider die politischen Prioritäten, insbesondere der SPD, bei der Extremismusbekämpfung. Während man Muslimfeindlichkeit ganz zu Recht ernst nimmt, schaut man beim politischen Islamismus lieber weg. Da sage ich Ihnen: Wir als Christdemokraten nehmen diese beiden demokratiegefährdenden Phänomene ernst, und wir wollen sie auch entschlossen bekämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Den Unmut gibt es nicht nur bei uns, den gibt es auch in der Koalition; die Kollegin Teuteberg hat das formuliert. Den gibt es übrigens auch bei vielen Bürgern. So heißt es – ich will das einmal zitieren – im hausinternen Wochenbericht der BMI-Bürgerkommunikation: Dass laut Medienberichten der Expertenkreis Politischer Islamismus seine Arbeit nicht fortsetzen darf, sorgt für rege Reaktionen und Nachfragen. Gefordert wird, die Entscheidung zu überdenken. Eine Gefahr wird von den entsprechenden Petentinnen und Petenten insbesondere vom Islamismus wahrgenommen. – Meine Damen und Herren, dieser Einschätzung der Bürger ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. In einem Satz zusammengefasst: Die Bundesregierung ist auf dem islamistischen Auge leider blind, und dafür gibt es mehr als genug Belege. ({4}) Die will ich Ihnen gerne nennen: Der Islamismus spielt im Koalitionsvertrag keine nennenswerte Rolle. Im Diskussionspapier zum Demokratiefördergesetz taucht der Islamismus überhaupt nicht mehr auf. Anhörungswünsche, die wir gefordert haben, hat die Koalition abgelehnt. Und nun lösen Sie dieses Gremium, das von Experten und vielen Bürgern geschätzt wird, auf. Das ist der rote Faden im Handeln dieser Bundesregierung: Sie wollen den Islamismus nicht thematisieren, ({5}) sie wollen ihn tabuisieren, meine Damen und Herren. Das ist ein kapitaler Fehler. ({6}) Wir haben es eben wieder gehört. Manchmal scheint es, als würden Teile dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen glauben, Muslime in Deutschland seien ausschließlich Opfer von Muslimfeindlichkeit. Diesen Akteuren scheint Islamismus ebenso wenig in ihre Sichtweise zu passen wie islamistischer Antisemitismus. Die Hilflosigkeit beim Umgang mit dem antisemitischen Documenta-Skandal hat uns diese Weltsicht vor Augen geführt. Aber – ich sage es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen – dieses Weltbild ist ebenso falsch wie gefährlich. Fragen Sie doch einmal liberale Muslime, wie Seyran Ates oder Ahmad Mansour, die seit Jahren unter Polizeischutz leben und regelmäßig Morddrohungen erhalten, nach der Realität in Deutschland. Ich will es in aller Klarheit sagen, auch weil Sie es angesprochen haben, Herr Grötsch: Wer in der Demokratie Probleme angemessen benennt und zu lösen versucht, der schürt keine Ressentiments. Im Gegenteil: Diejenigen, die Fehlentwicklungen verharmlosen und tatenlos zuschauen, die befördern Pauschalurteile und ungerechtfertigten Generalverdacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Diese Woche haben viele Wissenschaftler und Experten einen Brief an die Bundesinnenministerin geschrieben. Der Aufschrei namhafter Wissenschaftler ist unüberhörbar. Deswegen sagen wir, gerichtet an Frau Faeser und die Ampel: Hören Sie damit auf! Korrigieren Sie diesen Fehler! Setzen Sie diesen Expertenkreis wieder ein, mit einer ordentlichen, angemessenen Ausstattung, und tragen Sie bitte auch Sorge dafür, dass keine extremistische Organisation in Deutschland, die in unseren Verfassungsschutzberichten auftaucht, künftig noch mit Fördermitteln des Bundes gefördert wird! Vielen Dank. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort der Kollegin Kaddor. ({0})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Keine Frage, ja, der Islamismus ist ein gravierendes Problem. Er ist nach wie vor ein ernstzunehmendes Phänomen in der Extremismusabwehr. Deshalb haben wir das als Bundesregierung im Blick. Beim Kampf gegen den Islamismus, sowohl gegen den gewaltbereiten wie auch gegen den legalistischen, gibt es in Deutschland kein sonderlich großes Erkenntnisdefizit; es gibt ein Umsetzungsdefizit. Das hat vor allem finanzielle Gründe, die übrigens bereits unter Ihrer Regierung nicht ausreichend gewürdigt wurden. Daran kann ein Expertenkreis Politischer Islamismus nichts ändern. Sogar aus dem Expertenkreis selbst kommen daher Stimmen – das wüssten Sie, wenn Sie sich einmal mit allen unterhalten würden –, die eine Fortsetzung für nicht sinnvoll erachten. Mitglieder erklären einem im Gespräch, die Arbeit in der Runde bringe einen nicht weiter, ({0}) es müsse mehr in die Umsetzung von Prävention und Deradikalisierung, in Gefängnisseelsorge, in Militärseelsorge, in die strukturelle Förderung progressiver islamischer Organisationen als Religionsgemeinschaft, beispielsweise auch die Anerkennung, investiert werden. Doch davon ist in den letzten Jahren, wenn ich mich richtig erinnere, kaum etwas passiert. Wir drehen uns seit Jahrzehnten in diesen Fragen praktisch im Kreis. Dass nun ausgerechnet die Union mit dem mahnenden Zeigefinger um die Ecke kommt – wenn es nicht so bitter wäre, würde ich tatsächlich lachen. War es nicht die CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die noch letztes Jahr auf Biegen und Brechen die Zusammenarbeit mit DITIB beim islamischen Religionsunterricht durchgedrückt hat, allen Bedenken zum Trotz? War es nicht Ihre Landesregierung, die sich mit Händen und Füßen dagegen gewährt hat, der DITIB wenigstens liberale Vereine entgegenzusetzen? ({1}) Ich kann Ihnen die Antworten geben; ich war schließlich selbst dabei. Und waren es nicht die CDU- und CSU-geführten Bundesministerien, die von Anfang an die Deutsche Islam Konferenz auf die vier großen umstrittenen Islamverbände ausgerichtet hat? Wen wollen Sie hinter die Fichte führen? Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass man in Nordrhein-Westfalen endlich einen anderen Kurs einschlägt und zumindest prüft, weitere islamische Vertretungen in die Kommission Islamischer Religionsunterricht einzubeziehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheitsbehörden sind in den letzten 20 Jahren aus gutem Grund für den Kampf gegen den Islamismus aufgerüstet worden. ({2}) Jede Behörde hat inzwischen Expertinnen und Experten. Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler haben hier seit 2001 ein zentrales Berufsfeld gefunden. 20 Jahre mediale Dauerbeschallung haben zudem dafür gesorgt, dass wohl alle Beamtinnen und Beamte für die Gefahren des Islamismus sensibilisiert sind, manche sogar übersensibilisiert. Ganz anders ist das bei den anderen Formen des Extremismus. Deutlich zu kurz gekommen ist in den letzten 20 Jahren etwa die Frage der Islamfeindlichkeit. Und schon seit Bestehen der Bundesrepublik absolut unterbelichtet sind die Gefahren des Rechtsextremismus. ({3}) Warum? Auch weil es die Union über Jahrzehnte in Regierungsverantwortung versäumt hat, dies in den Blick zu nehmen. ({4}) Deshalb ist es Aufgabe dieser Bundesregierung, Ihre Versäumnisse aufzuarbeiten. Dass Sie nun den Expertenkreis Politischer Islamismus gegen den Expertenkreis Muslimfeindlichkeit ausspielen wollen und hier von Ungleichbehandlung sprechen, entlarvt Sie und zeigt, dass es Ihnen am Ende nicht um die Sache geht. Islamismus und Islamfeindlichkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Sie bedingen und begünstigen einander. Nach 20 Jahren haben Sie das leider immer noch nicht verstanden; denn sonst hätten Sie den Weiterbestand beider Expertenkreise gefordert. ({5}) – Dass Sie sich angesprochen fühlen, ist klar. Aber ich komme gleich noch zu Ihnen. ({6}) Damit gefährden Sie von der Union auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das konnten wir bei der Expertenanhörung, die wir hier vor etwa einem Monat hatten, lernen. Von dort kam daher der dringliche Appell, sich endlich des Themas der Finanzierung unabhängiger deutscher Moscheegemeinden anzunehmen. Da sehe ich seit Jahren leider keinen konstruktiven Vorschlag von Ihnen. An dieser Stelle überschneidet sich Ihr Antrag auch mit dem der AfD. Der ist, wie sollte es auch anders sein, im Geiste der Menschenfeindlichkeit geschrieben. ({7}) Islamfeindlichkeit gehört bekanntlich zum Gründungsmythos dieser Partei, ({8}) die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. ({9}) Was die AfD jetzt in ihrem Antrag macht, kann man schon seit Jahren beobachten. Sie versucht, ihre Menschenfeindlichkeit unter dem Deckmantel einer Gefahrenabwehr zu verstecken, um ihr Gift der Ausgrenzung unbemerkt in der Gesellschaft zu verteilen und wirken zu lassen. ({10}) Deshalb braucht es ein demokratisches Antidot. Ihre Instrumentalisierung der wirklich ernsten Gefahren des Islamismus für Ihre ideologischen Ziele ist nicht nur zynisch, sie ist erbärmlich. ({11}) Sie ist ein Schlag ins Gesicht jedes Opfers von Islamismus. Denn sie zeigt: Wenn es Ihnen um eine Gruppe eben nicht geht – eben nicht geht! –, dann um die Opfer islamistischen Terrors. ({12}) – Den Spruch, dass ich irgendwelche Opfer in Ludwigshafen fragen soll, können Sie hundertmal bringen. ({13}) Es ist so etwas von zynisch und geschmacklos! So etwas habe ich selten gehört; ({14}) aber ich bin von Ihnen leider auch nichts anderes gewohnt. ({15}) Kein Wunder! Bekanntlich sind weltweit die meisten Opfer von Islamisten ja Musliminnen und Muslime. Dann schaut man halt lieber nur auf die Täter; das ist einfach. ({16}) Als neuesten Deckmantel haben Sie sich nun den politischen Islamismus von der Kleiderstange des Agitationsschranks genommen. Sie wollen vor allen Dingen deshalb über den politischen Islamismus sprechen, weil der Begriff so schön wachsweich ist, ({17}) weil seine Grenzen verschwimmen und sich staatsrechtlich nicht fassen lassen. Das eröffnet Ihnen nämlich die Möglichkeit, ihn auf alle Menschen und Gruppierungen anzuwenden, die sich in Ihren Augen zu stark zum islamischen Glauben oder auch zur islamischen Glaubenspraxis bekennen. Und das ist ganz einfach antidemokratisch. ({18}) Inhaltlich kann ich daher nichts mit diesem Antrag anfangen. Vielen Dank. ({19})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Bernd Baumann das Wort. ({0})

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Generalbundesanwalt musste in den letzten zweieinhalb Jahren 757 Ermittlungsverfahren im Tatbereich islamistischer Terrorismus einleiten – 757! ({0}) Zum Vergleich: Links- und Rechtsterrorismus zusammen kommen auf gerade einmal 43 Verfahren. Das heißt, von allen drei Terrorgefahren – links, rechts, islamistisch – macht der islamistische Anteil in Deutschland 95 Prozent aus. So sieht’s aus in der Republik, meine Damen und Herren! ({1}) Die SPD-Innenministerin ignoriert diese Gefahr – zum Thema Islamismus null Initiativen, nichts. Für Nancy Faeser gibt nur einen Kampf: den Kampf gegen rechts. Was für eine gemeingefährliche Einseitigkeit, meine Damen und Herren! ({2}) Denn es geht bei der Gefahr des Terrorismus und des Islamismus nicht nur um die Gewalt, sondern auch um das Vorfeld, in dem der Terror entsteht. Das ist der politische Islamismus als politische Ideologie, die in immer mehr Köpfe und Herzen unserer migrantischen Bevölkerung eindringt, die unsere freiheitliche Werteordnung bekämpft, sie ersetzen will durch die Scharia und die Worte Allahs, mit ganz anderen, ganz fremden Menschenbildern, Frauenbildern, ganz anderen Vorstellungen vom gemeinsamen Zusammenleben. Der politische Islamismus ist für uns das ganz Fremde, das Freiheitsfeindliche, das ganz andere, das wir nicht sein wollen und das wir bei uns nicht dulden wollen, meine Damen und Herren, ({3}) das sich aber weiter ausbreitet. Der Sozialwissenschaftler Ahmad Mansour besucht in staatlichem Auftrag seit Jahren tagein, tagaus unsere Schulen. Er stellt fest – ich zitiere –: ({4}) Die Bereitschaft … meist männlicher Schüler, ihre antidemokratischen Einstellungen zu äußern, wird immer größer. Immer schamloser, immer lauter. … die Lehrer von Jahr zu Jahr hilfloser, stiller … verzweifelter. Es herrscht ein Klima der Angst. Deshalb hat der damalige Innenminister Seehofer den Expertenkreis Politischer Islamismus im Innenministerium eingerichtet. Dieser sollte das Ganze wissenschaftlich besser erforschen und daraus Handlungsempfehlungen ableiten. Das war bitter notwendig. Wenn die Union überhaupt irgendwas richtig gemacht hat in ihrer total verfehlten Migrationspolitik, dann war das die Einrichtung dieses Islamismusgremiums auf höchster Ebene. Das muss auch da bleiben, wo es ist, meine Damen und Herren. ({5}) Innenministerin Faeser von der SPD hat diesen ganzen Expertenkreis jetzt einfach aufgelöst – ohne Angabe von Gründen, praktisch über Nacht. Einen ganz anderen Expertenkreis lässt sie vollständig weiterlaufen. Er befasst sich mit der angeblichen Muslimfeindlichkeit der Deutschen. Diesen Expertenkreis schüttet sie mit Geld sogar noch zu. Auch für sogenannte Programme gegen rechts werden Milliarden bereitgestellt, gegen Islamismus im Vergleich praktisch nichts. Das zeigt die starke ideologische Einseitigkeit der SPD, die alle Migrationsprobleme ausblenden will. Das sehen wir auch heute hier wieder, meine Damen und Herren. ({6}) Aber fast noch schlimmer als die Islamisten sind die links-grünen Ideologen, ({7}) selbsternannte Volkserzieher im politischen Delirium einer linken, woken Identitätspolitik, für die Muslime in Deutschland immer die Opfer sind und die Deutschen, die Weißen, immer die Täter. ({8}) Auch das kann so nicht weitergehen, meine Damen und Herren. ({9}) Und so werden die Linken in Politik und Medien zu den größten Unterstützern der Islamisten. Bei jeder Kritik schreien sie „Rassismus“, „Islamophobie“, „Muslimfeindlichkeit“. Es darf noch nicht einmal zum Thema geforscht werden. Wissenschaftler haben nackte Angst, weniger vor den Islamisten, sondern vor den aggressiven linken Gesinnungswächtern. ({10}) Professor Mohammed Khorchide, ({11}) Mitglied im jetzt abgeschafften Expertenkreis, sagt, die Kollegen werden systematisch eingeschüchtert. Er spricht von „moralischer Erpressung“. Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den Islamismus ist heute auch ein Kampf gegen die Linken.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es gibt nur eine Partei, die den Kampf gegen beide führt, und das ist die AfD. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat Konstantin Kuhle das Wort. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht heute um die Einbindung von Expertenwissen bei der Bekämpfung des politischen Islamismus. Wenn es in der heutigen Debatte im Kern aber darum gehen soll, zu unterstellen, politischer Islamismus sei etwas, gegen das die Ampelkoalition oder die Bundesregierung aus falscher Toleranz oder aus politischen Gründen nichts unternehme, dann muss man dieser Unterstellung ganz klar entgegentreten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Gleichzeitig kann man aber die Frage stellen: Könnte so eine Debatte nicht auch einen Mehrwert liefern, wenn wir uns einmal gemeinsam darüber unterhalten, welche blinden Flecken es eigentlich insgesamt in der Gesellschaft gibt, wenn es um die Radikalisierung muslimischer Milieus und die Bekämpfung von politischem Islamismus geht? Diesen Mehrwert sollte diese Debatte heute liefern. Deswegen will ich gerne drei Punkte nennen, die mir da besonders wichtig sind. ({1}) Erstens. Wir können momentan vor allen Dingen im Iran beobachten, mit welcher Brutalität und mit welcher Menschenverachtung ein islamistisches Regime, das eine ganz besondere Ausprägung des politischen Islamismus zur Staatsräson erhoben hat, gegen die Menschen vorgeht. Die mutigen Frauen und Mädchen, die jeden Tag gegen dieses widerliche Regime aufstehen, haben unsere Solidarität verdient. ({2}) Dieses iranische Regime unterdrückt Menschen, es erhebt den Antisemitismus zur Staatsräson, es will Israel zerstören, und es reicht mit seinem langen Arm bis zu uns nach Deutschland. Nach dem Verfassungsschutzbericht ist das Islamische Zentrum Hamburg gewissermaßen eine Außenstelle des Mullah-Regimes in Teheran. Deswegen muss eines ganz klar sein: Jegliche Kooperation, jegliche Zusammenarbeit des Staates, des Landes Hamburg mit dem Islamischen Zentrum Hamburg muss sofort eingestellt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({3}) und jeder Staatsvertrag, der eine Kooperation mit dem IZH ermöglicht, muss sofort beendet werden. ({4}) Meine zweite Bemerkung. Wenn wir uns dieses Konstrukt noch ein bisschen näher ansehen, stellen wir fest, dass der stellvertretende Leiter des IZH Kontakt zu Spendenvereinen hatte, die der Hisbollah nahestehen. Deswegen bedarf auch die Finanzierung des politischen Islamismus in Deutschland einer näheren Betrachtung. Wir haben nämlich Finanzströme, an denen dubiose Spendenvereine teilhaben. Diese gehören viel schneller und viel konsequenter verboten. Wir haben eine Situation, in der die Finanzierung von politischem Islamismus aus dem Ausland, von staatlichen Akteuren teilweise aus dem arabischen Raum, stattfindet. Und wir haben eine Situation, in der es eine konkrete Verknüpfung zwischen Organisierter Kriminalität auf der einen Seite und politischem Islamismus auf der anderen Seite gibt. Da müssen wir ran. Über die mit zusammenhängenden Fragen müssen wir sprechen, nicht über irgendwelche Strukturfragen. Dann werden wir als Gesellschaft, als Staat auch besser sein bei der Bekämpfung des politischen Islamismus, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Lieber Herr Kuhle, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Christoph de Vries?

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Warum eigentlich nicht? Ja, klar.

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, lieber Herr Kollege Kuhle. – Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das Thema IZH angesprochen haben. Ich beschäftige mich damit schon seit vielen Jahren. Ich möchte Sie fragen – Sie sind als Freier Demokrat unverdächtig, da Ihre Partei in Hamburg seit einiger Zeit nicht regiert hat, genauso wenig wie wir –: Ist Ihnen bekannt, dass das IZH seit 30 Jahren Gegenstand der Verfassungsschutzberichte ist und dass trotzdem der Vertrag mit dem Dachverband Schura geschlossen wurde, in dem das IZH prominentes Mitglied ist? Ist Ihnen außer den Kenntnissen, die Sie zu Recht angeführt haben, auch bekannt, dass der stellvertretende Leiter, der eine terroristische Organisation in Deutschland unterstützt hat, eine Ausweisungsverfügung vom Hamburger Senat gekriegt hat und der Hamburger Senat an der Zusammenarbeit mit dem IZH trotzdem festhält? Ist Ihnen das bekannt, und wie sehen Sie das? Die nächste Frage. Sie haben die Finanzierung und insbesondere die Auslandsfinanzierung angesprochen. Wir haben ja nun vor einigen Wochen darüber gesprochen. Ich habe dazu selbst einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht. Ihre Fraktion und die Fraktionen der SPD und der Grünen haben diesem Antrag, eine Anhörung dazu durchzuführen, nicht zugestimmt. Wir haben die Anhörung nur mit Minderheitenrecht durchsetzen können. Ich frage Sie: Wenn Sie das Thema genauso wichtig finden wie wir, warum haben Sie dann eigentlich diese Initiative abgelehnt, die dazu gedient hätte, die Finanzströme offenzulegen und unseren Sicherheitsbehörden die notwendigen Befugnisse zu geben? Haben Sie eigene Initiativen, die zum Ziel haben, dieses Missstands Herr zu werden? – Vielen Dank. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege de Vries, mir sind diese von Ihnen geschilderten Umstände sehr wohl bekannt. Ich halte die Kooperation des Landes Hamburg mit der Schura auf dieser Grundlage für falsch. Sie sollte beendet werden. Mir ist es als Bundesparlamentarier sonst völlig egal, was das Land Hamburg da macht. Aber es ist ein Fehler und muss beendet werden. Das ist meine Haltung dazu. Zu den weiteren Fragen kann ich Ihnen ganz offen sagen, dass es natürlich Ihr gutes Recht ist, im Wege eines Minderheitenvotums eine Anhörung durchzusetzen. Natürlich haben wir als Ampelkoalition unsere eigene politische Agenda, so wie Sie ja über 16 Jahre hinweg auch Ihre eigene politische Agenda hatten. ({0}) Zu dieser politischen Agenda gehört ein ganz wichtiger Satz im Koalitionsvertrag. Dieser Satz auf Seite 85 besagt, dass die Ampelkoalition jede Form des menschenfeindlichen Extremismus bekämpfen wird. Dazu gehört in erster Linie auch der politische Islamismus. Dazu bringen wir gemeinsam Initiativen auf den Weg. Auch bei der Finanzierung müssen wir dringend besser werden. Ich komme zurück zu meinen Ausführungen, weil ich direkt daran anknüpfen will. Wir müssen die Radikalisierungstendenzen in der Mitte der muslimischen Communitys in den Blick nehmen. Wir haben steigende Energiepreise. Wir haben Druck durch geopolitische Entwicklungen. In dieser Situation warnen die Chefs der Nachrichtendienste – das haben sie ja am Montag bei der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums getan, bei der wir beide waren – davor, dass sich Extremisten diese Angst der politischen Mitte und der gesellschaftlichen Mitte zunutze machen. Diese Gefahr besteht auch mit Blick auf die muslimischen Communitys. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass es eine Deradikalisierung und Prävention in der muslimischen Mitte gibt. Dazu gehört erstens, dass die Sicherheitsbehörden die islamistischen Influencer, die es im Internet gibt und die Druck auf muslimische Jugendliche machen, im Blick haben und vor den Rattenfängern warnen, die da unterwegs sind und versuchen, muslimische Jugendliche zu radikalisieren. Dazu gehört zweitens, dass wir uns darum kümmern, dass wir endlich loskommen von der Auslandsfinanzierung von Imamausbildung und Moscheegemeinden. Ich will nicht, dass die Moscheegemeinden in Deutschland langfristig von Herrn Erdogan finanziert werden, sondern ich will, dass sie von deutschen Musliminnen und Muslimen finanziert werden, ({1}) damit wir unabhängig werden davon, dass deutsche Muslime gewissermaßen als Verfügungsmasse des türkischen Präsidenten immer und immer wieder in eine bestimmte Richtung gedrückt werden. Und wir brauchen Deradikalisierung und Prävention in den verschiedenen Räumen, in denen Radikalisierung stattfindet. Dazu gehören vor allen Dingen – das hat die Kollegin Kaddor gerade ganz richtig gesagt – die Gefängnisse. ({2}) All das müssen wir auf den Weg bringen. Ich bin da sehr optimistisch. Ich glaube, dass wir als Ampelkoalition da ein paar ganz gute Pläne haben. Wir können das in Expertenkreisen, Ausschüssen, Parlamenten miteinander diskutieren. Aber lassen Sie uns bitte einen gemeinsamen Beitrag dazu leisten, dass dieses wichtige Thema „Bekämpfung des politischen Islamismus“ nicht irgendwie instrumentalisiert wird, sondern dass wir da vorankommen. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die Fraktion Die Linke spricht Martina Renner. ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ({0}) Sowohl im Untersuchungsausschuss zur rechtsterroristischen Anschlagsserie des NSU als auch in dem zum islamistischen Terroranschlag am Breitscheidplatz war ich Mitglied. Daher weiß ich: Islamistische und rechtsextreme Ideologie gleichen sich. Beide vertreten die Vorstellung der Ungleichheit. Beide verachten Frauen und Minderheiten. Beide bekämpfen die Meinungsfreiheit, und beide wollen die pluralistische Demokratie durch einen homogenen Staat ersetzen. Beide versuchen, diese Ziele auch mit Gewalt und der Durchführung von Terrorakten zu erreichen. ({1}) Ich sage ganz klar: Für beide gibt es keine Entschuldigung und keine Relativierung und keinen Platz in einer Demokratie. ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, aus Worten werden aber auch Taten. Das gilt für den Rechtsextremismus wie für den Islamismus. ({3}) Am 4. Oktober 2020 wurde Thomas L. in Dresden von einem Islamisten tödlich und sein Mann schwer verletzt. Am 12. Oktober dieses Jahres ermordete ein rechter Terrorist in einer Bar in Bratislava Matus Horvath und Juraj Vankulic, und eine junge Frau wurde verletzt. Tatmotiv war in beiden Fällen Homophobie. Um solche Taten in Zukunft zu verhindern, müssen wir diese Ideologien des Hasses identifizieren, aufdecken und bekämpfen. Wie uns das am besten gelingt, haben wir zum Beispiel in der Anhörung zur Finanzierung des Islamismus erfahren. Warum – ich verstehe es bis jetzt nicht – die CDU/CSU nun heute einen Punkt, einen einzelnen Punkt ihres Antrags, der Grundlage der Anhörung war, herauslöst und heute total kontextlos diskutieren will, ist mir immer noch nicht klar. Für mich sieht das nach Effekthascherei aus. Seriös ist dieses Vorgehen nicht. Ich glaube, das sollte es auch nicht sein. Ich hoffe, Sie finden zu der sachlichen Debatte zurück und lassen sich auf die guten Argumente ein, die wir in der Anhörung gehört haben, auf das, was uns die Praktiker/‑innen und Expertinnen und Experten aus Prävention und Wissenschaft gesagt haben. Die letzten Worte zur AfD. Ihnen geht es nicht um Fachpolitik bei diesem Thema. Sie nutzen diese wichtige gesellschaftliche Debatte, wie wir den Islamismus bekämpfen, um Ihrerseits Hetze zu verbreiten und den antimuslimischen Rassismus zu befeuern. Ihre Agenda ist nicht weniger gefährlich oder zerstörerisch als der Islamismus. Abschließend: Wir werden beide Anträge ablehnen. Vielen Dank. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Elisabeth Kaiser. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie nicht anders zu erwarten, stellt die AfD mit ihrem heutigen Antrag Muslimas und Muslime in Deutschland unter den Generalverdacht des islamistischen Extremismus. Sie stigmatisiert damit über 4 Millionen Mütter, Väter, Kinder und Jugendliche wegen ihres Glaubens. Doch warum tun Sie das? Weil Ihr Weltbild von Muslimfeindlichkeit und Rassismus durchsetzt ist. Herr Baumann hat es auch noch mal gezeigt. Wir erinnern uns alle an die Beschimpfungen Ihrer Vorsitzenden eben an dieser Stelle gegen muslimische Mädchen oder auch an die Behauptungen einer AfD-Abgeordneten, der islamische Glaube sei eine politische Ideologie und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. ({0}) Das ist pure antimuslimische Diskriminierung und zutiefst abstoßend. ({1}) Sie tragen mit dem Hass, den Sie gezielt säen, die politische Verantwortung dafür, wenn es zu Gewalttaten kommt wie in Halle (Saale), ({2}) wo Anfang dieses Jahres wiederholt auf das Islamische Kulturcenter geschossen wurde. An dieser Stelle möchte ich den Beratungsstellen für Betroffene rechtsextremer, rassistischer und antimuslimischer Anfeindungen meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Ihre Arbeit ist ein unverzichtbarer Baustein für Demokratie und gegen Diskriminierung. ({3}) Ich bin zudem Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerst dankbar, dass sie die Deutsche Islam Konferenz unter Beteiligung der Gemeinden reformiert. Damit stärkt sie den Dialog auf Augenhöhe mit den islamischen Gemeinden, dem Staat und der Gesamtgesellschaft. Die Union tut in ihrem Antrag so, als würden das Monitoring zu Islamismus, die Terrorbekämpfung oder die Prävention gegen religiösen Extremismus mit dem regulären Auslaufen des Expertenkreises Politischer Islamismus eingestellt. Das ist schlichtweg falsch. Der kommende Bericht des Expertenkreises ist vielmehr die Grundlage für weitere Entscheidungen und Maßnahmen; Uli Grötsch hat dazu sehr konkret ausgeführt. Das ist ein übliches Verfahren und mitnichten ein Grund für künstliche Empörung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dieses Manöver ist ebenso durchsichtig wie Ihr Versuch, die Stärkung der Zivilgesellschaft durch das bald kommende Demokratiefördergesetz infrage zu stellen. Denn neben Rechtsextremismus als gegenwärtig größte innenpolitische Bedrohung wird das Gesetz selbstverständlich auch Prävention und politische Bildung gegen Islamismus zum Gegenstand haben. Also hören Sie bitte auf, diese Klaviatur – genauso wie die Fraktion rechts neben Ihnen – zu bespielen; denn das ist verantwortungslos. Grober Unfug ist gleichwohl die unsägliche Stimmungsmache der AfD gegen das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Nun wissen wir, dass Sie es mit der Demokratie nicht so genau nehmen. ({4}) Hätten Sie die Fördergrundsätze wenigstens einmal angeschaut, dann würden Sie wissen, dass das Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ sehr wohl zu „Demokratie leben!“ gehört, ebenso wie auch die Radikalisierungsprävention in allen Bundesländern. ({5}) Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt sehr viele Ansätze in diesem Bereich, und auf populistische Anträge wie auch auf muslimenfeindliche Vorverurteilungen können wir sehr gut und gerne verzichten. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der Kollege Dr. Volker Ullrich hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass es dieser Debatte nicht guttut, wenn wir jeweils der anderen Seite unterstellen, sie tue zu viel oder nicht genügend auf dem Feld des Islamismus. Wir beschäftigen uns hier mit Anträgen zum Expertenkreis Politischer Islamismus. Ich glaube, wir sollten die Debatte sachlich führen und nicht andere Dinge von vornherein unterstellen. ({0}) Ich finde, dass die Einrichtung dieses Gesprächskreises vor gut einem Jahr unter Federführung des damaligen Innenministers Horst Seehofer richtig war, vor allem weil er einen vernetzten Ansatz verfolgt hat. Dabei geht es darum, wie unter Einbeziehung von Aspekten der Theologie, der Soziologie, der Rechtswissenschaften, aber auch der Geschichte dazu beigetragen werden kann, dieses Phänomen besser zu verstehen und die Ergebnisse der Expertenkommission in die politische Arbeit einfließen zu lassen. Die Experten haben größtenteils ehrenamtlich gearbeitet. Dass ihnen jetzt nach einem Jahr der Stuhl vor die Tür gestellt wird, ist keine Art, wie man mit Experten umgehen sollte, die sich mit diesem Thema beschäftigen. ({1}) Zu argumentieren, der Expertenkreis sei nur auf ein Jahr festgelegt, ist zunächst einmal richtig; aber das ist doch nur eine formale Position, auf die man sich zurückzieht. Nach einem Jahr ist das Problem nicht weg; vielmehr müssen wir über diesen Phänomenbereich intensiv diskutieren. Und klar ist: Der größte Teil der Menschen, die dem legalistischen Islamismus angehören, will eine islamistische Gesellschaftsordnung, die ohne Wenn und Aber gegen unser Grundgesetz verstößt, ({2}) zwar nicht mit Gewalt erreichen, aber all jene radikalen Islamisten, die zu Gewalt greifen, haben sich zuvor auch in diesem Umfeld radikalisiert. ({3}) Das darf bei dieser Debatte nicht vergessen werden. ({4}) Ich will auf den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz hinweisen. Der Anschlag im Dezember 2016 war das schreckliche Ende einer Radikalisierung; sie hat ihren Anfang aber in Moscheen und Madrasas in Dortmund und in Hildesheim genommen. Und die Fragen, wer diese Moscheen finanziert, warum diese Radikalisierung in der Mitte unserer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stattfindet, müssen erlaubt sein. Klar ist: Kein Mensch wird als radikaler Islamist geboren, Menschen werden dazu. Die Frage ist: Was liegt diesen Radikalisierungstendenzen zugrunde, und wie kann der freiheitliche Verfassungsstaat dagegen einschreiten und verhindern, dass Menschen radikal werden? Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe von hoher Relevanz, die wir nicht durch gegenseitige Schuldzuweisungen hier im Plenum lösen, meine Damen und Herren. ({5}) Ich möchte noch einmal auf die Forderungen in unserem Antrag verweisen; denn ich finde, sie haben eine gesellschaftliche Relevanz. Wir wollen, dass radikale islamistische Vereinigungen keine Fördermittel erhalten. Das muss selbstverständlich sein. Das sollte auch in ein Demokratiefördergesetz geschrieben werden. Islamismus und Demokratie vertragen sich nicht. Wir wollen Lehrstühle zur Erforschung einrichten, ebenso eine Dokumentationsstelle. Auch das muss sich in den Maßnahmen zur Bekämpfungen des Islamismus wiederfinden; denn wir müssen auch wissen, worüber wir sprechen. Lassen Sie uns auf den Ergebnissen der Anhörung aufbauen und dieses Thema mit der gebotenen Sachlichkeit diskutieren. Vielen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der letzte Redner in der Debatte ist für die SPD-Fraktion Helge Lindh. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wenn man einige Beiträge aus der gestrigen Debatte zum Aufenthaltsrecht noch im Kopf hat und auch das Agenda-Setting von einigen, nicht allen, aus den Reihen der Fraktion der CDU/CSU berücksichtigt, ist man versucht, nicht mehr so verwundert zu sein, dass wir heute sowohl einen Antrag der CDU/CSU als auch einen der AfD zum Thema politischer Islam bzw. politischer Islamismus vorliegen haben. Das, was wir gestern erlebt haben, war buchstäblich gesellschaftspolitischer Stammtisch – mit Lichtgeschwindigkeit in die Steinzeit geballert. Ich hoffe nicht, dass das jetzt der Standard sein wird, wenn wir in diesem Hohen Hause über Fragen des Islam sprechen. Sie werden jetzt sicher einwenden: Wie können Sie kritisieren, dass wir ein Thema aufgreifen, das auch die AfD aufgreift? ({0}) Das ist doch ein unredliches Argument. – Das haben Sie gestern im Ausschuss angebracht; aber auch das entlarvt Sie. Denn Sie selbst, Herr de Vries, haben sich vor gut einem Jahr hier im Bundestag gegen den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ verwehrt. Ihr Argument war, dass dieser Begriff von Islamisten instrumentalisiert und von Erdogan verwendet wurde. Sie haben aber nichts dazu gesagt, dass es antimuslimischen Rassismus tatsächlich gibt. ({1}) In diesem Kontext müssen wir auch über Ihren Antrag heute diskutieren. Das ist die Realität. Sie haben in Ihren Ausführungen auch nichts über das BMBF-Programm RADIS gesagt – ein gewaltiges Verbundprojekt mit über 80 Forschungsprojekten zum Thema „radialer Islam“. Kein Wort von Ihnen! Stattdessen erwecken Sie den Eindruck, es gäbe keine Forschung. Und ich will noch etwas anderes erwähnen; denn diese Debatte wird auch von Musliminnen und Muslimen in diesem Land oder Menschen, die als solche wahrgenommen werden, gehört und verfolgt. In der Regel sind Musliminnen und Muslime gefragt, wenn es um Themen wie Radikalisierung, Prävention, Integration geht, wenn sie Glück haben auch noch in Debatten zu Rassismus und Diskriminierung und neuerdings eben auch zum politischen Islamismus. Wann hören wir auch gläubigen Musliminnen und Muslimen zu, wenn es um große Fragen der Zeit geht: Energiekrise, Pandemie, große ethische Debatten? Christliche Expertinnen und Experten sind gefragt. Wo sind die anderen? ({2}) Wo ist die ordnungspolitische Initiative – auch von Ihnen –, die dazu führt, dass sich der Islam in den Gemeinden professionalisieren kann? Wohlfahrt, Seelsorge, Sozialarbeit, eigene unabhängige Strukturen – nichts dazu! Und wann – diese Frage ist an uns alle gerichtet – reden wir einmal über die stinknormale Religiosität in Hunderten, ja in Tausenden von Gemeinden, den normalen Glauben, der alltäglich gelebt wird jenseits von Extremismus? Kein Wort darüber! Merken wir nicht, und merken Sie nicht, welche Ungleichbehandlung und welche tagtägliche Stigmatisierung Sie damit betreiben? Wenn Sie wirklich Reformen wollen, wenn Sie in den Verbänden eine Veränderung wollen, wenn Sie Musliminnen und Muslime wirklich ernst nehmen und ernsthaft über das Thema streiten wollen, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– dann müssen Sie gefälligst den antimuslimischen Rassismus als Realität anerkennen und den gelebten Glauben von Tausenden, ja Millionen von Musliminnen und Muslimen in diesem Land endlich als Normalität wahrnehmen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Lindh, letzter Satz.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann funktioniert das, und nur dann. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Da der Kollege de Vries direkt angesprochen wurde, hat er auch die Möglichkeit, sich zu erklären, und er erhält die Möglichkeit einer Kurzintervention.

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Lindh, Sachkompetenz ist keine Voraussetzung für eine Rede im Deutschen Bundestag, aber Anständigkeit schon. ({0}) Das will ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen. Wenn Sie das nächste Mal Unwahrheiten verbreiten, dann gucken Sie mich dabei wenigstens an. Sie haben zuerst Bezug genommen auf die gestrige Debatte zum Thema Chancen-Aufenthaltsrecht. Ich war in dieser Debatte gestern Abend gar nicht anwesend, weil ich parallel im Parlamentarischen Kontrollgremium gewesen bin. Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich hätte vor einem Jahr behauptet, es gebe keine Muslimfeindlichkeit in Deutschland; das Gegenteil ist der Fall. Ich habe mich gegen den Begriff verwehrt. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass es Muslimfeindlichkeit gibt und dass sie mit aller Kraft bekämpft werden muss. Ich habe das im Übrigen auch heute gesagt. Es war auch nicht die SPD, sondern es waren die Union und Horst Seehofer, die vor zwei Jahren den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit eingerichtet und auf zwei Jahre befristet haben. Wir haben das voll unterstützt. – Bitte verbreiten Sie nicht solche Unwahrheiten an dieser Stelle. Vielen Dank. ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Lindh, es war eine persönliche Erklärung. Aber weil Sie direkt angesprochen wurden – wir haben es gerade noch mal geklärt –, können Sie antworten. ({0}) – Doch.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihnen wird das Protokoll bei der Erkenntnisfindung helfen. Zum Ersten ist es keine gute Methode, vermeintliche Unwahrheiten mit Unwahrheiten auffangen zu wollen. Ich habe mitnichten gesagt, Sie hätten das gestern in der Debatte zum Aufenthaltsrecht gesagt, sondern ich habe allgemein von einigen Beiträgen aus der CDU und CSU gesprochen. Schauen Sie ins Protokoll; Sie werden es sehen. Und zum Zweiten habe ich nicht gesagt, Sie leugneten den Umstand von Muslimfeindlichkeit, sondern ich habe wörtlich gesagt, dass Sie sich verwehrt haben gegen den Begriff des antimuslimischen Rassismus – ({0}) ich habe Ihre Rede wiederholt gelesen – mit der Begründung, der Begriff werde verwendet von Erdogan. Genau das habe ich gesagt. Es ist eindeutig und unmissverständlich. Sie können es im Protokoll nachlesen. Also: Bleiben Sie bei der Wahrheit! Es würde uns allen helfen. Vielen Dank. ({1})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „CO2-Preis in der Müllverbrennung“ klingt erst mal trocken, aber das regt bei einigen wahnsinnig die Fantasie an. Wir haben bei unserer Anhörung von einigen steile Thesen dazu gehört. ({0}) Man hat gewarnt, wegen unseres Vorhabens stehe der Bankrott der gesamten Branche bevor. Einmal sollten wir Altholz unbedingt aus der Bepreisung herausnehmen, obwohl ohnehin nur die fossilen Bestandteile bepreist werden. Dann sollte Sondermüll herausgenommen werden, obwohl wir gerade bei Lösungsmitteln die Wiederverwendung anregen wollen. Dann wurde prophezeit, dass aufgrund der CO2-Bepreisung ein Müllexodus stattfinden wird: Massen von Müll werden über die deutsche Grenze gefahren und auf illegale, stinkende und rauchende Müllkippen im europäischen Ausland verbracht werden, wo es keinerlei Gesetzgebung oder Klimaschutzrichtlinien gibt. Das ist nicht wahr; auch im europäischen Ausland sind die CO2-Mengen in der Abfallwirtschaft von der europäischen Klimaschutzarchitektur erfasst. Wir wissen außerdem: Die Aufnahmekapazitäten unserer Nachbarländer für Müll sind begrenzt. Die Abfallverbrennungsverordnung schreibt vor, dass Müll zunächst in Deutschland verarbeitet werden soll. Und die Transportpreise sind extrem hoch. Auch das ist kein großer Anreiz, einen Exodus zu betreiben. Das sind viele Details; aber das Gute ist, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren klären konnten, dass diese Vorwürfe falsch sind. Am besten fand ich das Argument, dass wir die Müllverbrenner aufgrund der Energiekrise, bei der sie 400 Prozent mehr Gewinn beim Verkauf von Strom und Wärme gemacht haben, aus der CO2-Bepreisung herausnehmen sollen. Umgekehrt wird doch ein Schuh draus! Die letzten zwei Jahre haben sie 700 Millionen Euro gespart, weil sie nicht in der Bepreisung waren. Genau deswegen gehören sie jetzt reingenommen. ({1}) Wenn wir mal in das Archiv schauen, stellen wir fest, dass das Thema nicht neu ist. Es ist schon 2019 aufgerufen worden. Damals hat die Lobby die gleichen Krokodilstränen geweint. Das damalige Protokoll ist mit dem heutigen quasi identisch, und der Tenor lautet: Ja, wir brauchen Klimaneutralität. Ja, wir brauchen den CO2-Preis. Aber bitte nicht bei mir. – So funktioniert Klimaschutz konkret eben nicht. Das ist genau das, was wir in dieser Regierung ändern wollen. Es ist gut, dass wir diesem Schauspiel nicht noch ein weiteres Mal zusehen müssen, sondern dass wir uns entschieden haben. Ich möchte für die Grünen hier offen und ehrlich sagen: Ich hätte mir auch eine frühere Einbeziehung der Müllverbrenner vorstellen können, nämlich ab 1. Januar nächsten Jahres; es wird jetzt ab 1. Januar 2024 der Fall sein. Aber das Entscheidende ist, dass wir diese Sache in dieser Legislatur festgemacht haben und es keine Verschiebung auf die Zeit nach der Wahl geben wird. Das ist fix, das werden wir tun. ({2}) Natürlich möchte ich hier den Entschließungsantrag nicht unerwähnt lassen, den die Union eingebracht hat. Ihr sagt ja, die Mittel aus der CO2-Bepreisung sollten zu 100 Prozent an die Bürger/-innen und Unternehmen zurückfließen. Ich stimme vollkommen zu; absolut richtig. Die Sache ist nur: Das passiert schon. Wir machen das bereits. ({3}) Die Mittel aus der CO2-Bepreisung fließen in den Klima- und Transformationsfonds. Wir haben so die EEG-Umlage gesenkt. Wir fördern Investitionen im Bereich Klimaschutz für Bürger/-innen und für Unternehmen. Und wir arbeiten sehr intensiv am Klimageld – gerade das Finanzministerium; das freut uns sehr –, das wir an die Bürgerinnen und Bürger zurückverteilen werden. – Ihr Antrag ist toll, aber wir haben die Forderungen schon umgesetzt. Das nächste Mal einfach eine neue Forderung stellen oder zustimmen; das wäre auch eine Option. Da sind wir natürlich dabei. ({4}) Zuletzt mein Tipp, um öfter glücklich zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nicht einfach nur mit den Unternehmen in der Wirtschaft reden, die noch in der Vergangenheit hängen, sondern auch mit denen, die schon auf dem Pfad der Klimaneutralität sind, mit den Pionieren. Das macht wirklich Spaß. Wir hatten in der Anhörung den Geschäftsführer der ALBA Recycling da, der uns gesagt hat: Was wir heute hier entscheiden, das ist ein Schritt in Richtung Wettbewerbsfähigkeit, das ist ein Schritt in Richtung Müllvermeidung und dahin, dass mehr Müll vorsortiert wird. – Deswegen ist es gut, dass wir das heute so beschließen. Selbstverständlich wird die Regierung auch noch eine komplette Kreislaufstrategie vorlegen. ({5}) Denn was macht die deutsche Wirtschaft eigentlich aus? Innovation, Flexibilität, Lösungen statt Jammern! Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Petitum: Lassen Sie uns mehr Kreislaufwirtschaft wagen! Und fangen wir heute damit an! Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Badum. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass Abfall bzw. Restmüll kein fossiler Brennstoff ist. Deshalb ist es einfach nicht zielführend, wenn man die Müllverbrennungsanlagen und die Abfallwirtschaft in das Emissionshandelssystem einbezieht. Das ist eigentlich recht trivial; aber es ist eben doch erklärungsbedürftig. Ungleiches muss auch ungleich behandelt werden. Deswegen passt das BEHG hier einfach nicht. Ich möchte das Ganze mit einem Zitat unterlegen: Diese Entscheidung halte ich für problematisch, weil sie zu höheren Kosten für die Gebührenzahler führen wird. Ob dadurch eine klimapolitische Lenkungswirkung erzielt wird, ist fraglich. Das sagen eben nicht nur wir; das sagt ganz treffend der umweltpolitische Fachmann der SPD Michael Thews, der sich innerhalb der Ampel leider nicht durchsetzen konnte. ({0}) Ihr Gesetz springt und greift zu kurz. Schade, dass Sie nicht auf Ihre Experten hören. ({1}) Sie hören auch nicht auf die Experten aus der Anhörung. Es gab ja selten eine Anhörung, die so klar war in der Aussage, dass es der falsche Weg ist, das BEHG auszuweiten und auch die Abfallwirtschaft miteinzubeziehen. ({2}) Die Ampel handelt hier nach dem Motto „Verwirren Sie uns nicht mit Tatsachen; unsere Meinung steht doch eh schon fest“. Sie belasten die Bürgerinnen und Bürger damit zusätzlich in Milliardenhöhe. ({3}) Das wollen wir eben nicht, und das ist in dem Fall auch der Unterschied zwischen uns. Sie belasten, obwohl dadurch – das ist der wichtigste Punkt – keine Lenkungswirkung zu erwarten ist. Es kommt ja noch dazu, dass es an der Stelle überhaupt nicht sachgerecht ist. Ebenso gibt es noch den Punkt des Sondermülls, der aus Entsorgungsgründen verbrannt werden muss – Stichwort „FFP2-Masken“. ({4}) Es geht aber auch um noch viel giftigere Sondermüllaufkommen. Es gibt hier schlicht keine andere Möglichkeit als die Verbrennung. Auch das ist in Ihrem Gesetz nicht berücksichtigt. Das kritisiert übrigens auch der Bundesrat. Es gibt hier keine Lösungen von Ihnen, aber wir brauchen hier Lösungen. Wenn ich auf die Gefahr eingehe, dass der Müll natürlich ins Ausland gelangen kann, dann ist die ganz real. Das wird ja aus der Praxis berichtet, und die Fälle sind auch nachzuvollziehen. Das ist wie beim Wasser – so hieß es ja auch in der Expertenanhörung –, das sich den einfachsten Weg sucht: Der Müll sucht sich den Weg der geringsten Entsorgungskosten. Er wird dann teilweise sogar auch im europäischen Ausland deponiert, und manchmal nicht einmal das, wenn er illegalerweise ins außereuropäische Ausland gelangt. ({5}) Das ist nicht umweltfreundlich, das ist nicht nachhaltig, und das wollen wir verhindern, sehr geehrte Damen und Herren. ({6}) – Da haben wir wohl einen wunden Punkt bei Ihnen erwischt, wenn es die entsprechenden Zwischenrufe gibt. ({7}) Die Abfallwirtschaft hat schon viel getan, aber sie muss natürlich auch noch viel zum Klimaschutz beitragen. Man muss aber beim Produkt ansetzen: weniger Kunststoffeinsatz, mehr Abfallvermeidung, mehr Kreislaufwirtschaft, natürlich auch mehr Wertstofftonnen. Aber das ist ja der ganz andere Ansatz, den wir natürlich auch unterstützen. Wir brauchen hier mehr, aber wir brauchen nicht Ihr Gesetz. Sie machen einen europäisch unabgestimmten nationalen Alleingang. Sie belasten die Bürgerinnen und Bürger immerhin mit knapp 1 Milliarde Euro, und das in Zeiten der größten Energiekrise der Geschichte und höchstwahrscheinlich ohne Lenkungswirkung. Sie können nicht mal sagen, wie Sie denn letzten Endes die Einnahmen den Bürgerinnen und Bürgern bzw. den Gebührenzahlerinnen und ‑zahlern, die die höheren Müllgebühren zahlen müssen, zurückgeben wollen. Deswegen lehnen wir Ihr Gesetz entsprechend ab. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lenz. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Mehltretter, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Mehltretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005147, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der ersten Minute arbeitet die Ampelkoalition daran, dass wir unsere Klimaziele erreichen und alle in unserer Gesellschaft dabei mitnehmen. Einen weiteren wichtigen Schritt auf diesem Weg gehen wir heute mit den Änderungen am Brennstoffemissionshandelsgesetz. Wir haben zu lange unseren Wohlstand darauf gegründet, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Eigentlich wissen wir alle: Das, was uns in der Vergangenheit Wohlstand gebracht hat, gefährdet unseren zukünftigen Wohlstand massiv. Wir wollen und wir müssen spätestens 2045 klimaneutral leben und produzieren. ({0}) Was wir dafür brauchen, ist eine umfassende und schnelle Transformation unserer Wirtschaft, sonst ist es nicht zu schaffen. Wir müssen in sehr kurzer Zeit unseren Wohlstand auf eine neue Basis stellen: auf klimaneutrale Prozesse in der Industrie, auf eine erneuerbare Stromerzeugung, auf Mobilität ohne CO2-Emissionen, auf eine nachhaltige Wärmeerzeugung. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn die Rahmenbedingungen planbar bleiben, wenn sich alle auf den eingeschlagenen Transformationspfad verlassen können. ({1}) Wir brauchen einen verlässlichen Weg zur Klimaneutralität. Diesen verlässlichen Weg schaffen wir zum einen durch die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Vorgaben, höhere Effizienzstandards, etwa bei Gebäuden, und die gezielte Unterstützung klimafreundlicher Technologien. Da hat die Ampel in den letzten Monaten schon viel geleistet. Zum anderen schaffen wir diesen verlässlichen Weg in einer sozialen Marktwirtschaft auch über die Preissignale. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Was gut ist fürs Klima, wird günstiger, was schlecht ist, teurer. Wir fördern das, was dem Klima nützt, zum Beispiel bei der Gebäudesanierung, bei der E‑Mobilität oder bei der Umstellung auf Wasserstoff. ({2}) Und wir legen durch den CO2-Preis offen, was die Klimaschäden in unserer Gesellschaft wirklich kosten. ({3}) Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Transformation, keine Disruption. Wir brauchen Veränderungen, aber keinen Scherbenhaufen. Wir brauchen Unternehmen, die neue Verfahren und neue Produkte entwickeln. Wir brauchen eine Gesellschaft, die diese Veränderungen trägt und auch tragen kann. Das bedeutet, dass wir den CO2-Preis so gestalten müssen, dass wir die CO2-Preissteigerungen so setzen, dass diese Transformation möglich ist. Genau das machen wir heute mit den Änderungen, die wir im Brennstoffemissionshandelsgesetz beschließen. Wir schaffen einen verlässlichen Weg, auf dem die Transformation zur Klimaneutralität gelingen kann. In der jetzigen Situation ist es richtig, den geplanten Anstieg des CO2-Preises nach hinten zu schieben. Entscheidend ist ja am Ende nicht allein der CO2-Preis, sondern der gesamte Preis für den Einsatz von fossilen Energieträgern. Die Preise an den Märkten sind aber schon jetzt weit höher gestiegen, als es selbst Klimaaktivisten jemals durch extrem hohe CO2-Preise erreichen wollten. Es ist deshalb richtig und es stärkt die Verlässlichkeit in unseren Transformationspfad, dass wir jetzt entlasten und nicht weiter belasten, meine Damen und Herren. ({4}) Es ist auch folgerichtig, die geplante Ausweitung des Emissionshandels auf die Abfallwirtschaft nach hinten zu schieben. Wir legen aber jetzt schon fest, wie die Abfallwirtschaft einbezogen wird. Auch das gehört zur Verlässlichkeit. Es ist unstrittig, dass die Müllverbrennung CO2 erzeugt. Es ist auch unstrittig, dass wir einen großen Teil dieses Mülls vermeiden statt verbrennen können. Deswegen ist es richtig, die Müllverbrennung in den Emissionshandel einzubeziehen. Das haben wir 2019 grundsätzlich auch schon so im Gesetz angelegt. Wir bereiten den nationalen Emissionshandel auf die europäischen Regelungen vor. ({5}) Die Müllverbrennung sollte möglichst bald in den europäischen Emissionshandel überführt werden. ({6}) Da geht es jetzt auch darum, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dafür starkmacht. Natürlich gibt es für die Abfallvermeidung noch weitere Stellschrauben. Wir müssen Verpackungen vermeiden und mehr Materialien einsetzen, die wiederverwertbar sind. Wir brauchen endlich flächendeckend Wertstoff- und Biomülltonnen. Und es braucht klare gesetzliche Regelungen, aber eben auch finanzielle Anreize dafür, das Richtige zu tun. Genau da kann der CO2-Preis Veränderungen anstoßen. Meine Damen und Herren, ja, steigende Preise sind für viele Menschen in diesem Land ein Problem, natürlich besonders in der akuten Krise, in der wir uns befinden. Aber auch dann, wenn wir die Energiepreise wieder in den Griff bekommen haben, wird der Anstieg des CO2-Preises für Haushalte mit geringeren Einkommen eine ernsthafte Belastung werden. Deshalb gehört die CO2-Bepreisung untrennbar mit einem starken sozialen Ausgleich zusammen. ({7}) Wir werden deswegen insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen unterstützen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Der CO2-Preis braucht ein sozial gestaffeltes Klimageld, meine Damen und Herren. ({8}) Ein soziales Klimageld ist notwendig, damit Menschen mit niedrigem Einkommen nicht auf den CO2-Preisen sitzen bleiben, weil sie sich keinen sparsamen Kühlschrank und keine neuen Fenster leisten können. Ja, der CO2-Preis macht das teurer, was schlecht fürs Klima ist; aber das Klimageld macht dann das erschwinglich, was gut fürs Klima ist, ({9}) und zwar für alle. Meine Damen und Herren, mit der Änderung des nationalen Emissionshandels heute schaffen wir eine verlässliche CO2-Bepreisung. Wir vermeiden unnötige Belastungen in der aktuellen Krise und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass wir beim Klimaschutz in allen Bereichen vorankommen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Wir befinden uns in der schwersten Krise – zum größten Teil hausgemacht –, ({0}) die dieses Land je erlebt hat. Mitten in dieser Krise eskaliert die von grünen Kommunisten dominierte Bundesregierung die Situation, indem sie Energie und Sekundärrohstoffe mit der rein ideologisch begründeten CO2-Steuer belegt, zusätzlich zu der gezielten Politik der Verknappung fossiler Energie sowie der Kernenergie, die Sie seit vielen Jahren mit der Unterstützung aller Altparteien auf Biegen und Brechen durchsetzen. In der öffentlichen Anhörung bewerteten fast alle Sachverständigen die Erweiterung des BEHG negativ; sie führe zu weiterer Erhöhung der Abfallgebühren und zur Müllentsorgung im Ausland, um die hohen Energiekosten zu sparen. Vermeintlich dient dieses Gesetz den sogenannten Klimaschutzbemühungen, die dem wahnhaften Irrglauben entspringen, wir könnten mit der Einsparung des Spurengases CO2 das Klima maßgeblich beeinflussen. Diesem Irrglauben widersprechen Tausende Wissenschaftler weltweit. ({1}) Jeder normal denkende und einigermaßen gebildete Mensch hat in der Zwischenzeit begriffen, dass die Klimareligion einzig und allein dazu dient, so viel Geld wie möglich von unten nach oben zu schaufeln, große Teile unseres Volkes in die Verelendung zu stürzen und die feuchten Träume der in allen Parteien vertretenen Kommunisten, die nächste sozialistische Diktatur zu errichten, wahr werden zu lassen. ({2}) Dem wird sich die AfD mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenstellen. ({3}) Nicht so die Altparteien. Die CDU findet die von ihr und der SPD in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte CO2-Steuer eigentlich super, will jetzt aber in ihrer Pseudooppositionsrolle abwarten, bis der Befehl von den Kommissaren aus Brüssel kommt, sie zu verschärfen. ({4}) Die FDP, die bei der Einführung des Gesetzes noch tönte, wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die CO2-Steuer klagen zu wollen, klebt in der Zwischenzeit mit ihren gepuderten Hintern in den Sesseln der Macht und nickt alles ab, was die Kommunisten aushecken, um unsere Industrie zu zerstören, ({5}) wie zum Beispiel beim Machtwort des Doppel-Wummsers, die drei verbliebenen Kernkraftwerke nur bis zum 15. April 2023 weiter zu betreiben: Wochenlang hielten die Magentasozialisten Reden und schrieben Pressestatements, in denen sie forderten, die Kernkraftwerke bis mindestens Ende 2024 laufen zu lassen. Nach dem Machtwort des infantilsten und vergesslichsten Kanzlers aller Zeiten wollten sie davon nichts mehr wissen und ziehen wieder einmal sprichwörtlich den Schwanz ein – wie peinlich! ({6}) Peinlicher war nur der Kniefall des Herrn Lindner hier am Rednerpult, als er sich in devoter und fast schon kriechender Art und Weise dafür entschuldigte, dass sein Parteikollege die demokratische Wahl zum Ministerpräsidenten angenommen hatte. Auch damals sprach die Kanzlerin ein Machtwort, und die Magentasozialisten kuschten. ({7}) In Abwandlung eines Zitats von Albert Einstein muss man konstatieren, dass es, um FDP-Politiker zu sein, kein Rückgrat braucht – eine Wirbelsäule reicht aus. ({8}) AfD-Politiker dagegen haben Rückgrat und brauchen dieses auch: Anfeindungen, Verleumdungen, Diffamierungen, rechtswidrige Hausdurchsuchungen zum Zwecke der Einschüchterung, ({9}) Angriffe auf das Eigentum, selbst körperliche Übergriffe; das sind Dinge, die AfD-Politiker ertragen müssen. Von all diesen Drangsalierungen werden wir uns aber nicht davon abhalten lassen, zu fordern, dass endlich vernünftige Politik für deutsche Interessen gemacht wird. Diese CO2-Steuer ist nicht im deutschen Interesse. Im deutschen Interesse wäre es, ohne ideologische Scheuklappen alle uns zur Verfügung stehenden Energiequellen zu nutzen: Kernenergie, Kohle und heimische Schiefergasvorkommen. Im deutschen Interesse wäre es, die Sanktionen zu beenden und Nord Stream 2 zu öffnen. ({10}) Und im deutschen Interesse wäre es, endlich dieser Klimareligion abzuschwören und die falschen Propheten in die Wüste zu schicken. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Ich darf ja nichts sagen; deshalb muss ich in mich hineinlachen. Nächster Redner ist der Kollege Olaf in der Beek, FDP-Fraktion. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zum Bundestagsvizepräsidenten darf ich was sagen, und als gepuderter liberaler Kommunist, nach Darstellung der AfD, ({0}) kann ich heute wirklich die Erklärung abgeben, dass das Vorantreiben einer konsequenten Bepreisung von CO2-Emissionen Ziel dieser Ampelkoalition ist. ({1}) Das machen wir nun mit der Novelle des BEHG. Damit gehen wir nun auch bei der Abfallwirtschaft diesen wichtigen Schritt. Aber wir gehen den Schritt so, dass die betroffenen Unternehmen nicht überfordert werden. Die Bepreisung ist moderat und unsere Vorgehensweise insbesondere in diesen schwierigen Zeiten absolut verhältnismäßig. Denn natürlich müssen wir alle neuen Belastungen und Regelungen für Menschen und Unternehmen sorgsam abwägen. Zudem hat die Bundesregierung ein Belastungsmoratorium angekündigt, wie ich finde, völlig zu Recht. ({2}) Genau deshalb haben wir bei der BEHG-Novelle einen guten Kompromiss gefunden. Wir verschieben die Einführung; dennoch halten wir am Emissionshandel als maßgeblichem Instrument für effizienten Klimaschutz fest. Die Abfallwirtschaft wird dabei nun genauso eingebunden wie fast alle anderen Sektoren. Das ist fair, nachhaltig und dient dem innovativen Klimaschutz. ({3}) Dass die Abfallverbrennung nun ein Jahr später, also 2024 und nicht 2023, in den nationalen Emissionshandel einbezogen wird, ist absolut vernünftig. Alles andere wäre in der derzeitigen Situation auch nicht vermittelbar gewesen. Analog dazu wird auch die Erhöhung des CO2-Preises ausgesetzt und ebenfalls auf 2024 verschoben. Auch das ist mit dem BEHG sichergestellt. ({4}) Mit dem Verzicht auf Änderungen im kommenden Jahr schaffen wir genug Vorlaufzeit und behalten das Belastungsmoratorium im Auge. Und wir haben noch mehr erreicht: Bei den Biokraftstoffen streichen wir die Obergrenze für die Anwendung des Emissionsfaktors Null. Das verhindert eine doppelte Regulierung und fördert den Einsatz von klimaneutralen Biokraftstoffen. Es ist gut und richtig, dass der Fokus der CO2-Bepreisung im BEHG auf fossilen Emissionen liegt. Das ist der ausdrückliche Zweck dieses Gesetzes. Eine Obergrenze hätte den Eindruck vermittelt, dass Bioenergie bis zu einer bestimmten Grenze klimaneutral, darüber hinaus jedoch klimaschädlich ist. Das ist eine Logik, die in ihrer Pauschalität keine Anwendung finden sollte und es im vorliegenden Gesetz auch nicht tut; das ist gut so. Ein weiterer wichtiger und zukunftsweisender Punkt ist in dem neuen Gesetz enthalten: Wir ebnen den Weg für innovative Technologien zur Abscheidung und Nutzung bzw. Speicherung von CO2. Wir ermöglichen, dass Betreiber von Abfallverbrennungsanlagen, die zukünftig in diese Verfahren investieren und sie in Betrieb nehmen, von der CO2-Bepreisung ausgenommen werden. Für uns Liberale gilt der feste Grundsatz: CO2, das nicht in die Atmosphäre entweicht, darf auch keinen Preis erhalten. CCS ist zwingend notwendig, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Das sagt nicht nur der Weltklimarat, das sagen viele deutsche Studien, und nach diesen Erkenntnissen sollten wir unsere visionäre Politik ausrichten. ({5}) Es ist deshalb ein Erfolg, dass wir im BEHG die richtigen Signale an die Unternehmen senden. Wir schaffen einen marktwirtschaftlichen Anreiz, Emissionen einzusparen und dabei innovativ vorzugehen. Das ist die Marschrichtung der Ampelregierung und der Regierungsfraktionen beim Klimaschutz. Lassen Sie mich noch eine Sache ergänzen: Analog zu diesem Gesetz brauchen wir auch Maßnahmen, um die Kreislaufwirtschaft zukünftig zu stärken. ({6}) Das ist zwar nicht die Baustelle dieses Gesetzes, aber folgende Grundregel gilt: Alles, was verbrannt wird, verursacht Kosten – alles, was im Wertstoffkreislauf bleibt, ist dagegen nachhaltig und schützt das Klima. ({7}) Dafür sollten wir Menschen und Unternehmen noch mehr sensibilisieren. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Handel mit Emissionszertifikaten ist und bleibt das markwirtschaftlichste, fairste und effektivste Instrument für Klimaschutz. ({8}) Und mit dieser Gesetzesnovelle entwickeln wir den Emissionshandel konsequent weiter, erst auf nationaler Ebene und schließlich im europäischen Emissionshandelssystem. Darin soll das BEHG – so ist es mal von CDU/CSU und SPD angedacht worden – in den kommenden Jahren aufgehen. Wir haben nun einen Kompromiss geschaffen, der als Erfolg dieser Regierung verbucht werden kann. Das neue BEHG ist effizient, funktioniert zielgerichtet und ist auf eine europäische Lösung ausgerichtet. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Anhörungen zu Gesetzentwürfen haben neuerdings Konsequenzen und führen sogar zu Verbesserungen. Das macht die Ampel besser als die Union. Dass man bei den heutigen Preisen für 2023 auf zusätzliche Kosten durch den Brennstoffemissionshandel verzichten sollte, das hat die Ampel nach der Anhörung verstanden. Da muss man schon mal Danke sagen. Danke! ({0}) Allerdings hatte ich gehofft, Sie verzichten dauerhaft auf die Einführung einer CO2-Steuer im Abfallbereich. Es ist schon bitter, dass auch die Ampel beim Klimaschutz Konzerne aus der Verantwortung entlässt und diese Verantwortung auf Bürgerinnen und Bürger abwälzt. Statt die wachsenden Kunststoffmengen bei Verpackungen zu verringern, beschränkt sich die Regierung auf das Recyceln von Kunststoffen. ({1}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, die Europäische Union führte richtigerweise eine Abgabe auf Kunststoffprodukte ein. Jährlich müssen die Mitgliedstaaten jetzt diese Abgabe an die EU abführen. 1,37 Milliarden Euro wird Deutschland 2022 an die EU überweisen. Aber das zahlt Deutschland aus Steuermitteln. Wieso eigentlich? Weil die Bundesregierung sich nicht traut, diese Abgabe von den Handelskonzernen und der Kunststoffindustrie einzutreiben. Daher wächst die Menge an Kunststoffen weiterhin Jahr für Jahr an, Ressourcenverschwendung und Klimafolgen inklusive. Und wir Bürgerinnen und Bürger bezahlen dies mit mehr und mehr Steuergeld. Unfassbar! ({2}) Damit Deutschland die Klimaziele trotzdem erreicht, belastet die Regierung ab 2024 Verbraucherinnen und Verbraucher und verteuert die Abfallgebühren um 1 Milliarde Euro durch CO2-Steuern. Selbst bei Klimaschutz verschont diese Regierung wieder die Konzerne, und die Bevölkerung muss doppelt bezahlen. Das lehnt Die Linke ab. ({3}) Wir fordern: Schluss mit der Sonderentlastung der Handelskonzerne und Kunststoffhersteller! Die müssen die 1,37 Milliarden Euro selbst bezahlen. Statt wachsende Abfallmengen hinzunehmen, fordern wir mehr Pfandsysteme für Klimaschutz. ({4}) Und ändern Sie das Verpackungsgesetz! Hersteller verkaufen immer öfter weniger Inhalt in viel zu großen Verpackungen. Das ist arglistige Verbrauchertäuschung und klimaschädlich. Das gehört verboten! ({5}) Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, Sie doktern an Symptomen herum, Sie wälzen Klima- und Umweltschutz auf Bürgerinnen und Bürger ab. Die Linke will die Ursachen beseitigen und nimmt die Verursacher, die Wirtschaft, in die Verantwortung. Das macht den Unterschied. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0}) – Kollege Birkwald, es gab schon Redner, die haben eine Minute eingespart. ({1})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich so beginnen und die Union an ihr Kurzzeitgedächtnis erinnern: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Brennstoffemissionshandelsgesetz haben wir in der Großen Koalition 2019 gemeinsam auf den Weg gebracht. ({0}) Wir haben an dieser Stelle auch vereinbart, ({1}) dass wir bei der nächsten Novellierung auch die Frage des Abfalls adressieren. Das ist der Beschluss, den wir 2019 getroffen haben. ({2}) Deswegen wäre es doch gut und vernünftig, wenn das, was wir damals beschlossen haben und jetzt umsetzen, Ihre Zustimmung bekommt. Aber Sie wollen ja mit Ihrer Vergangenheit und mit dem, was Sie damals politisch gewollt haben, heute gar nichts mehr zu tun haben. ({3}) Auch das ist eine Distanzierung; die nehmen wir an dieser Stelle zur Kenntnis. Wir haben damals extra gesagt: Wir geben der Abfallwirtschaft mehr Zeit, sich darauf einzustellen. – Deswegen kommt das jetzt erst. ({4}) In der jetzigen Phase haben wir aber, weil es in der Tat schwierig ist und zu zusätzlichen Belastungen führt, gesagt, dass wir das gute Instrumentarium, zu dem wir stehen und das wir einführen werden, ({5}) erst zum 1. Januar 2024 für die Abfallwirtschaft zur Anwendung bringen, damit man sich darauf einstellen kann. Also, man kann jetzt nicht wirklich behaupten, dass die Abfallwirtschaft nicht genügend Zeit hat, sich auf diese Herausforderung einzustellen. Und das tut sie auch; das tun die innovativen Anbieter auf jeden Fall, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Wir haben auch gesagt – auch das sieht dieses Gesetz vor –, dass auch das wieder ein erster Baustein ist und wir perspektivisch europäisch handeln wollen, das europäisch regeln wollen. Auch deswegen ist es gut, dass wir jetzt national vorangehen und das System künftig europäisch einbetten. Das zeigt, dass diese Bundesregierung handelt und auch in diesem Bereich vorangeht, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Wir haben als Koalition auch in der Umsetzung der Beschlüsse zu den Entlastungspaketen noch etwas gemacht. Wir haben gesagt, dass wir die nächste Stufe der CO2-Bepreisung aussetzen, weil es den Bürgerinnen und Bürgern und übrigens auch der Wirtschaft in der jetzigen Phase einfach nicht zumutbar ist, die nächste Stufe zu gehen. Ich weiß, dass das dem einen oder anderen Koalitionspartner schwerer gefallen ist als anderen; das muss ich auch dazusagen. ({8}) Dennoch ist es richtig, diese Stufe auszusetzen. Insofern ist das ein gutes Signal an die Bürgerinnen und Bürger und an die Wirtschaft: Die nächste Stufe der CO2-Bepreisung wird ausgesetzt. Genau das muss man tun, wenn man unideologische Politik macht, wenn man pragmatisch vorangeht, wenn man, wie diese Regierung es tut, auch handelt und nicht nur reagiert, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) Insofern ist das Gesetz, das wir Ihnen hier vorlegen, eines, das rund ist, das eine klare Handschrift dieser Koalition trägt, das natürlich auch Kompromisse beinhaltet und das nur ein Baustein ist. Denn all das, was hier zur Frage der Kreislaufwirtschaft, der Rezyklatwirtschaft und vielem anderen gesagt worden ist, kommt noch. Wir regieren noch nicht mal ein Jahr. Wir haben noch viel vor in dieser Koalition. Wir haben noch drei weitere Jahre, und da wird das Thema der Kreislaufwirtschaft ein ganz, ganz wichtiges Thema sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) Sie werden sich noch wundern, was wir da alles machen werden. Das ist genau das, was wir tun: Wir arbeiten das Stück für Stück ab. So handelt eine effiziente, gute Koalition. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute. Glück auf! Danke schön. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gremmels. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Fabian Gramling, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Fabian Gramling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zu Beginn erst mal den Kollegen Gremmels enttäuschen; denn ich möchte mit einer positiven Nachricht beginnen: Deutschland hat im letzten Jahr deutlich weniger Plastikmüll ins Ausland exportiert als noch vor wenigen Jahren. Konkret waren es 25 Prozent weniger Kunststoffabfälle im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020. Im Zehnjahresvergleich wurde der Export von Kunststoffmüll sogar nahezu halbiert. – So viel zum Thema „die letzten 16 Jahre“. ({0}) Ich finde es absolut wichtig, dass wir die Müllreduzierung auf der einen Seite und dort, wo möglich, das Recycling von Müll, also die Wiederverwendbarmachung von Müll, auf der anderen Seite politisch weiter forcieren. Gerade die Kreislaufwirtschaft macht uns unabhängiger bei den Rohstoffen, bietet große Chancen für unsere innovativen Unternehmen in der Abfallwirtschaft und leistet dabei auch noch einen Beitrag für unsere Umwelt. Durch den Export unserer Technologien können wir Arbeitsplätze hier in Deutschland sichern. Wir können für ein nachhaltiges Morgen auf unserer Welt sorgen – ganz ohne Verbote, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das empfindlichste Organ eines Menschen ist bekanntlich der Geldbeutel. ({1}) Ähnlich ist es auch bei der Wirtschaft. Innovationen kann man deshalb ohne direkten Markteingriff sehr gut über den Preis fördern. So wurde übrigens auch das BEHG im Dezember 2019 von der CDU-geführten Bundesregierung als Teil des Klimapaketes beschlossen. Deswegen möchte ich festhalten: Das Instrument des Emissionshandels hat sich bewährt. Wer die Luft mit CO2 verschmutzt, der muss auch dafür zahlen. Beim BEHG sind uns als Union aber folgende Punkte wichtig: Erstens darf, wie schon vom Kollegen erwähnt und von einem Großteil der Experten bei der öffentlichen Anhörung gefordert wurde, der CO2-Preis für die Abfallverbrennung nicht im kommenden Januar, also zum 1. Januar 2023, eingeführt werden. ({2}) Wir wissen alle, dass die Müllgebühren durch diese Entscheidung steigen werden. Aber in der aktuellen Lage, wo die Menschen und unsere Wirtschaft mit der Inflation und mit den hohen Energiepreisen zu kämpfen haben, ({3}) ist es nicht darstellbar, den CO2-Preis auf die Abfallverbrennung einzuführen. ({4}) Das wäre auch paradox. Die Bundesregierung verschiebt auf der einen Seite die CO2-Preiserhöhung, um die Bürger zu entlasten, und sie wollte gleichzeitig – im selben Gesetz – eine neue CO2-Abgabe einführen. Das macht überhaupt keinen Sinn, und das kann man auch keinem Bürger vermitteln. Deswegen ist es richtig, dass die Koalition mit ihrem Änderungsantrag erst mal nachgesteuert hat. Mit der Verschiebung der Bepreisung um ein Jahr springt sie hier aber zu kurz. ({5}) Dann kommen wir zum zweiten Punkt: Die Regierung soll sich für eine europäische Lösung einsetzen. ({6}) Mit einem nationalen Alleingang riskieren wir nämlich, dass die Abfälle einfach in die Nachbarländer exportiert werden. ({7}) Damit wird das Problem nur ausgelagert, aber nicht gelöst. Das hilft dem Klima nicht, und das schadet unserer innovativen Abfallwirtschaft und gefährdet die europäische Solidarität. ({8}) Der dritte und fast schon wichtigste Punkt ist: Die Abfallvermeidung muss doch eigentlich vorangetrieben werden, und bei der Abfallwirtschaft müssen mehr Anreize für Innovationen und auch für Recycling geschaffen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Ampelfraktionen, Sie haben ja in Ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Sie wollen mehr Fortschritt wagen. Das vermisse ich in diesem Gesetz. ({9}) Jetzt wurde ausgeführt, dass ja noch alles kommt. Wenn Sie in der gleichen Geschwindigkeit liefern wie bei den Energiepreisen, dann bin ich sehr gespannt, ob wir das noch in dieser Legislaturperiode erreichen und sehen werden. ({10}) Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Ich war in den letzten Jahren viel unterwegs, in vielen Betrieben, in vielen Unternehmen, auch bei mir im Wahlkreis. Es ist beeindruckend, welche Innovationen es bereits heute gibt, um den Müll zu vermeiden oder auch wiederzuverwenden. Aber all diese Ideen und Projekte brauchen Unterstützung, die Unternehmen brauchen Unterstützung, damit sie auf die Beine kommen können. Sie brauchen positive Anreize, und dazu habe ich bisher von Ihnen nichts gesehen. Unser Ziel muss es sein, Innovationen, neue Verfahren, saubere Technologien in Deutschland zu etablieren. Wenn uns das gelingt, werden wir nicht nur den Klimaschutz bei uns voranbringen, sondern auch unsere Technologien in die ganze Welt exportieren und hier einen wichtigen Beitrag leisten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Klimaschutz global voranbringen wollen, dann dürfen wir keine Anreize setzen, die Abfälle einfach ins Ausland zu exportieren. Mit einem deutschen CO2-Preisalleingang bei der Abfallverbrennung würden wir aber gerade diesen falschen Anreiz schaffen, und deswegen fordern wir die Regierung auf: Setzen Sie sich auf europäischer Ebene dafür ein, einen einheitlichen Emissionshandel einzuführen, statt sich auf einen deutschen Alleingang zu fokussieren! Vielen Dank. ({11})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskanzleramt, vis-à-vis dem Bundestag, ist schon jetzt eine der größten Regierungszentralen auf dieser Erde: etwa fünfmal so groß wie das Weiße Haus, der Amtssitz des amerikanischen Präsidenten, etwa dreimal so groß wie der Élysée-Palast in Paris, ({0}) der Amtssitz des französischen Präsidenten, etwa zehnmal so groß wie 10 Downing Street, der Amtssitz der englischen Premierministerin. ({1}) Man sollte meinen, das sollte reichen – allerdings weit gefehlt. In der größten Krise, die die Bundesrepublik je erlebt hat, lassen sich die Altparteien nun ein völlig überdimensioniertes Denkmal setzen. Der Anbau, der bloße Anbau an das schon gigantische Bundeskanzleramt, ist wiederum so groß wie gerade geschildert, verdoppelt sozusagen die Fläche. Allein der Anbau ist wieder fünfmal so groß wie das Weiße Haus, dreimal so groß wie der Élysée-Palast, zehnmal so groß wie 10 Downing Street. ({2}) Und dieser Anbau soll 1 Milliarde Euro verschlingen. 1 Milliarde Euro, wenn man sich das in 50‑Euro-Scheinen vorstellt: Das ist ein Turm, der ist ungefähr 2 bis 3 Kilometer hoch. Das Ganze wollen Sie raushauen für den Anbau an ein Kanzleramt, welches jetzt schon völlig überdimensioniert ist, und dagegen kämpfen wir von der Alternative für Deutschland. ({3}) „Die größte Machtzentrale der Welt“, titelt die Presse. Wir sagen: Altparteiengrößenwahn in seiner reinsten Form. Während Sie allen Bürgern draußen Spartipps geben – man müsse nicht jeden Tag duschen; der Waschlappen würde reichen; ein schöner Pullover im Wohnzimmer kann das Heizen ersetzen, und wenn man heizt, dann nur ein Zimmer, und das auf 19 Grad –, ({4}) bauen Sie einen völlig überdimensionierten Protzbau an das bereits bestehende Kanzleramt an. Es ist ja nicht Ihr Geld, was Sie da verschleudern; es ist das Geld, was die Menschen draußen, was Millionen Bürger jeden Tag erwirtschaften. Was soll da gebaut werden? Im Einzelnen: Sie haben vor, fünfetagige Wintergärten einzubauen. Es soll ein Kindergarten für sage und schreibe 12 bis 15 Kinder gebaut werden, der etwa 3 Millionen Euro kosten soll. Eine 250-Quadratmeter-Kanzlerwohnung soll in den Anbau eingebaut werden, obwohl im Altbau schon eine 200 Quadratmeter große Kanzlerwohnung ist, die Herr Scholz ja während seiner Coronaerkrankung genutzt hat. Ein Helikopterlandeplatz in luftigen 23 Meter Höhe, auf Stelzen gebaut, soll angebaut werden, also in einer Höhe, sodass der Hubschrauber gar nicht mehr zu starten braucht – er ist ja dann schon fast oben –, Gymnastikräume, Tunnel, Brücken, und das alles auf Kosten der Steuerzahler. Die Kosten laufen aus dem Rahmen; Sie sehen es an unserem Antrag. Man kann die Anträge gar nicht so schnell aktualisieren, wie die Kosten davongaloppieren. Ursprünglich war von 400 Millionen Euro die Rede, in unserem Antrag von 600 Millionen bis 640 Millionen Euro; dieser Antrag ist ein paar Tage älter. Inzwischen wird von 777 Millionen Euro geredet. Also, jedes halbe, jedes Dreivierteljahr kommen ungefähr 100 Millionen Euro obendrauf. Ich prophezeie Ihnen: Am Ende werden Sie von 2 Milliarden Euro wahrscheinlich nicht weit entfernt sein. ({5}) Es sollten Wohnungen gebaut werden – das hatte sich die hellbraune Regierung ins Programm geschrieben –, 400 000 pro Jahr. Da hecheln Sie hinterher. Ich weiß gar nicht, ob die Zahlen auch nur ansatzweise erreicht werden, auch wenn das Ziel immer wieder propagiert wird. Die einzige Wohnung, die Sie bauen, ist für den Kanzler oder die Kanzlerin, die nach Scholz da sein wird. ({6}) Denn seien wir mal ehrlich: Der Baustart soll in diesem Jahr sein; angeblich fertig soll der Bau 2028 sein. Das glaubt doch kein Mensch. Wir sind in Berlin. Wahrscheinlich sind wir noch im nächsten Jahrhundert mit diesem Anbau an das Kanzleramt beschäftigt. ({7}) Der Bedarf ist auch nicht mehr so richtig da. Beispielsweise sollte ja der Nationale Normenkontrollrat in den Anbau an das Bundeskanzleramt einziehen. Da fügte es sich natürlich praktisch, dass die Angetraute von Justizminister Buschmann beim Nationalen Normenkontrollrat beschäftigt ist und der Justizminister Buschmann den Nationalen Normenkontrollrat aus dem Bundeskanzleramt ins Justizministerium verfrachtet hat. Also, der Bedarf ist auch nicht mehr da. Man kann durchaus abspecken und sagen: So muss es nicht sein, einen solchen Protzklotz hier nach Berlin zu setzen. ({8}) Ich hatte schon erwähnt: Sie bauen sich ein Milliardendenkmal, ein Projekt, das wieder mal bestätigt, dass Sie sich noch weiter von den Bürgern draußen entfernt haben, ein Symbol für Gigantomanie, für Hybris, für Abgehobenheit, für Weltfremdheit, dafür, dem Bürger zu zeigen, wo das Geld hinfließt, dem Bürger zu zeigen, dass er klein ist und die Politik in Berlin groß. Meine Damen und Herren, nutzen Sie die Chance, unserem Antrag zuzustimmen, wenn er später hier im Parlament wieder aufschlägt. Wir überweisen heute in den Ausschuss. Ich denke, da wird dann debattiert werden. Der ein oder andere, der heute wahrscheinlich diesen Protzklotz da draußen noch verteidigen muss, der wird uns im Ausschuss dann wahrscheinlich recht geben, wenn er sich mal die galoppierenden Kosten anschaut. ({9}) Also, ich lade Sie herzlich ein, diesen Protzklotz zu verhindern. 200 Bäume müssen übrigens noch gefällt werden; das könnte möglicherweise die Grünen beeindrucken. Gehen Sie mit uns, mit der Alternative für Deutschland, gegen den massiven Anbau an das Bundeskanzleramt, gegen diesen Protzklotz, vor. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brandner. – Nächster Redner ist der Kollege Brian Nickholz, SPD-Fraktion. ({0})

Brian Nickholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst: Wie kraftvoll die AfD kämpft, sieht man ja, wenn sie hier gerade mal die ersten Reihen gefüllt bekommt. Aber gut, das erwartet man ja auch von Populisten. Wir haben es hier wieder mal – das ist ja nicht das erste Mal – mit dem Versuch der AfD zu tun, mit einem Antrag vermeintliche Skandale aufzudecken, zu konstruieren. Wir haben das ja auch in den letzten Wochen erlebt: Da gibt es einen bunten Blumenstrauß an kreativen Anträgen, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen und den Problemen vorbeigehen ({0}) – Genau. Ich wusste, Sie wollen bestimmt auch Beispiele hören. Deswegen gerne noch mal die Erinnerung an die letzte Woche, wo mein Kollege Martin Diedenhofen Sie von dieser Stelle nach allen Regeln der Debattenkunst auseinandergenommen hat für den unsinnigen Antrag, aus dem hervorging, wie Sie sich vorstellen, hohen Nebenkosten zu begegnen. Wir haben mit dem Bürgergeld und der Wohngeldreform kraftvolle Dinge auf den Weg gebracht. Ihnen fällt nichts anderes dazu ein, als nach unten zu treten, Gruppen gegeneinander auszuspielen, die unsere Unterstützung unter allen Umständen verdient haben. ({1}) Wir brauchen nicht davon zu reden, welche menschenverachtenden Anträge Sie hier einbringen, wenn es um Asyl und Einwanderungspolitik geht. ({2}) Und wir merken immer wieder: Auf sozialpolitische Fragen fallen Ihnen nur Antworten mit populistischen Phrasen ein. Worum geht es heute? ({3}) Ja, es geht um den Antrag zur baulichen Erweiterung des Bundeskanzleramts. Man könnte meinen, es geht Ihnen um die Sache. ({4}) Aber ich glaube, es geht Ihnen eigentlich um eins: ({5}) Wenn es um den Bundesbau hier geht, dann können alle Bauten gebaut werden. ({6}) Wenn es um Ihre Büros geht, dann können die nicht groß genug sein. ({7}) Aber wenn es darum geht, im Rahmen des Bundesbaus bedarfsgerechte Räume fürs Bundeskanzleramt zu schaffen – Sie nennen ja nur das Bundeskanzleramt; es gibt ja auch noch viele weitere Anbauten im Bundesbau, die wir vorantreiben –, dann können Sie kritisieren. Wenn es um Ihren persönlichen Platz und Raum geht, dann ist er nicht groß genug. ({8}) – Sie können ja immer dazwischenrufen; das ist ja in Ordnung. ({9}) Zu den Fakten zum Bundesbau: Sie suggerieren ja, dass diese Regierung ({10}) diesen Bau quasi vorangetrieben hat. Natürlich waren es die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel und der damalige Kanzleramtschef Braun, ({11}) die das vorangetrieben haben. Aber jetzt mal ernsthaft: Sie reden hier vom Kostenverbrennen. Sie reden aber nicht darüber, dass schon Planungskosten in großer Summe entstanden sind. ({12}) Wie irrsinnig wäre es denn, dieses Bauprojekt, mit dem wir auch einen Gegenwert schaffen für die Menschen hier in unserem Land, jetzt einzustampfen?! ({13}) Aber die Planungskosten wollen Sie verbrennen. Das ist die Wahrheit, und die verschweigen Sie hier wissentlich. ({14}) Es geht nicht um neues Personal. Das Personal ist da; es ist auf mehrere Liegenschaften über die ganze Stadt verteilt. Was spricht denn dagegen, die Arbeitsplätze zentral an einem Ort zu organisieren? Das macht es effizienter, das senkt andere Kosten. ({15}) Wir haben eine Machbarkeitsstudie des BBR, die zu dem Ergebnis kommt: Das ist der beste Platz. ({16}) Vielleicht der wichtigste Punkt: Es braucht doch eine starke, handlungsfähige Regierungszentrale, gerade in Zeiten der Krise. Da wird eine ganze Menge gemacht – von der Terrorismusbekämpfung bis hin zur Krisenprävention. ({17}) Das wird dort zusammengeführt und koordiniert. Politik heißt, Prioritäten zu setzen. Politik heißt auch, zu überlegen: Über welche Themen reden wir hier? Und Politik heißt, sich den Menschen zuzuwenden. Und das tun Sie eben gerade nicht. Ihr liebster Vorwurf ist ja: Die Berliner Blase kümmert sich hier nur um sich selbst. – Die Einzigen, die die Berliner Blase kultivieren und Anträge stellen, mit denen man sich nur um sich selbst kümmert, das sind doch Sie. ({18}) Ich würde hier viel lieber über die Frage reden, wie wir Obdach- und Wohnungslosigkeit bekämpfen mit dem Nationalen Aktionsplan, den wir nächstes Jahr auf den Weg bringen. ({19}) Wir haben mit dem Wohngeld, mit dem Bürgergeld und mit den Fragen, wie wir Fachkräftegewinnung organisieren wollen, wie wir Klimaschutz in allen Politikfeldern mitdenken, viele Dinge, die wir hier beraten. Aber Ihnen fällt nichts Besseres ein, als hier Nebelkerzen zu streuen. ({20}) Natürlich ist mir auch klar, warum Sie das machen. Sie reden hier nicht über den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine, der von Russland geführt wird. ({21}) Sie sind die Lobbyisten von Putin hier in diesem Haus. Wer noch den letzten Zweifel hat, der kann mal gucken, was Ihr Kollege für einen Schwachsinn schreibt. ({22}) – Ich weiß ganz genau, worüber ich rede. Aber vielen Dank. ({23}) Das Ganze hier erinnert mich an eine Serie, die ich gerne mal geguckt habe: „X‑Factor: Das Unfassbare“. ({24}) Da werden auch immer haarsträubende, abenteuerliche Geschichten formuliert. Eine habe ich auch noch für Sie: ({25}) Die AfD ist die Partei, ({26}) die sich um die Armen in der Gesellschaft kümmert ({27}) und die deutsche Identität wahrt. Es ist die Partei, die Probleme schnurstracks löschen könnte, wenn sie an der Macht wäre, der Retter der Nation. ({28}) – Genau, so sehen Sie sich ja gerne. ({29}) Denn Sie haben als einzige Partei verstanden, sich um die normalen Menschen zu kümmern, und stärken damit elementar die wichtige deutsche Leitkultur. ({30}) Die das Geld von Reichen nimmt und barmherzig an die Armen verteilt. ({31}) Eine Partei, die Deutschland aus der Krise führt, weil Ihnen gesellschaftlicher Zusammenhalt unabdingbar wichtig ist, eine Partei, die bei der konkreten Verbesserung an oberster Stelle steht, und eine Partei, die dem Populismus schon längst abgeschworen hat. ({32}) Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, glauben Sie, diese Geschichte ist wahr? ({33}) Da muss ich Sie leider enttäuschen: Sie ist frei erfunden. Herzlichen Dank. ({34})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nickholz. – Nächster Redner ist der Kollege Lars Rohwer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lars Rohwer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005190, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glück auf, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat im Jahr 2020 geringfügig über den Eingangsbereich des Kanzleramtes gelästert: Er sei wie der „Eingangsbereich eines Baumarktes“; Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit seien die vorherrschenden Eigenschaften. – Liebe Kolleginnen und Kollegen: Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit. ({0}) Ja, das Kanzleramt erscheint in der Tat schlichter als andere Regierungssitze in der Welt. Doch sparsam ist tatsächlich nur die Optik des Eingangsbereiches. ({1}) Wirft man einen Blick auf die Energiebilanz des Hauses, bleibt von der Sparsamkeit nun wahrlich nichts mehr übrig. Wir leben in einer krisenhaften Zeit. Viele Menschen sind besorgt, ob sie ihre Gasrechnung bezahlen können, und drehen die Heizung herunter. Herr Kollege Nickholz, schauen wir uns doch mal die Lebenswirklichkeit der Menschen an. Viele Unternehmen fürchten die Insolvenz aufgrund der gestiegenen und noch steigenden Energiekosten. Es ist nun wahrlich der absolut falsche Zeitpunkt, die größte Regierungszentrale der Welt zu errichten. ({2}) Für viele Menschen platzt der Traum vom Eigenheim, weil die Preise für konventionell gefertigte Wohngebäude ({3}) – hören Sie lieber zu! – allein im August um 16 Prozent gestiegen sind. ({4}) Die Zinsen für einen Baukredit liegen mittlerweile bei 4 Prozent, Tendenz steigend. Die Bundesregierung kann ihre Zusage, 400 000 Wohnungen zu bauen, aufgrund der gestiegenen Preise nicht mehr einhalten. ({5}) Es ist ein Irrsinn, dann an der Erweiterung des Bundeskanzleramtes festzuhalten, und es ist den Menschen im Moment auch nicht vermittelbar. ({6}) Die Notwendigkeit eines Erweiterungsbaus stellen wir nicht prinzipiell infrage. ({7}) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundeskanzleramt brauchen natürlich auch ordentliche Arbeitsbedingungen. Die Errichtung dauerhafter Heimarbeitsplätze, wie von Ihnen vorgeschlagen, ist nun wirklich keine Lösung und zeigt lediglich, wie abwegig die AfD-Fraktion über das Regierungshandeln denkt. ({8}) Die Arbeit in einer Regierungszentrale lebt davon, dass Abteilungen miteinander vernetzt sind, von kurzen Absprachen im Türrahmen. Dauerhafte Heimarbeitsplätze sind dann auch nicht die richtige Lösung. Ja, es ist durch Zurufe schon angesprochen worden: Wir haben 2019 die Notwendigkeit des Erweiterungsbaus gesehen. ({9}) Aber wir sehen perspektivisch eben auch weiter. ({10}) Doch inzwischen haben wir Kosten, die jeden Rahmen sprengen: fast 300 Millionen Euro mehr. Und wir alle wissen, dass es dabei nicht bleiben wird. ({11}) Nehmen wir uns also eine kleine Denkpause. Herr Bundeskanzler – Sie sind leider nicht da; aber ich denke, Herr Schneider kann das ja auch übermitteln –, ({12}) nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst! ({13}) Eine Zeitenwende bedeutet eben auch, nicht zwingend erforderliche Projekte in andere Zeiten zu verlagern. Jetzt haben Sie noch die Möglichkeit dafür.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke?

Lars Rohwer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005190, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Rohwer, bei allem Verständnis dafür, dass man, wenn man in der Opposition ist, die Dinge vielleicht etwas anders sieht als zuvor in Regierungsverantwortung: Würden Sie mir zustimmen, dass die Beratung zum Kanzleramtsbau, der im Volkssprech ja nicht zu Unrecht eigentlich „Merkel-Braun-Bau“ heißt, ({0}) heute im Haushaltausschuss unter Ihrer Kenntnisnahme ohne jeglichen Protest sogar noch vorgezogen worden ist. ({1}) Behandelt wurde die Frage, ob man ihn schneller bauen würde. Würden Sie mir zustimmen, dass da kein Widerwort von Ihrer Fraktion kam, sondern dass man das hat durchgehend laufen lassen? Können Sie mir erklären, wie Sie auf der einen Seite im Ausschuss etwas laufen lassen und auf der anderen Seite jetzt hier so tun, als hätte Ihre Fraktion überhaupt nichts damit zu tun? Sie hat es geplant, sie hat es durchgezogen, es ist nichts verändert worden, und jetzt stellen Sie sich hier so hin? ({2})

Lars Rohwer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005190, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Kollege Fricke, ich kann Ihnen das ganz gut erklären: Auch Sie sollten sich in der Fraktion noch einmal die Energiebilanz dieses Gebäudes und dieser Planung anschauen. ({0}) Ich glaube, dass Sie dann merken werden, dass es besser ist, vielleicht doch noch mal eine Denkrunde einzulegen. Denn wussten Sie zum Beispiel, dass das Kanzleramt noch mit einer Ölheizung geheizt wird? ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Fricke, es gibt hier keinen Dialog. Der Kollege kann antworten.

Lars Rohwer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005190, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich verstehe ich, dass das Bundeskanzleramt möchte, dass es autark versorgt wird. Aber in diesen Zeiten, in denen wir alle zusammenrücken müssen und in denen vom Bundeskanzler eine Zeitenwende propagiert wird, müssen wir das letzten Endes eigentlich auch bei diesen Gebäuden berücksichtigen. Auch im Bundesbau ist es natürlich so, dass nicht alle Gebäude klimaneutral daherkommen. ({0}) Vielleicht nutzen wir die Chance, die wir jetzt haben. Seit 2019 hat es viele Entwicklungen im Rahmen der Energiewende gegeben. Das wäre doch wirklich eine Geschichte: das Bundeskanzleramt auf der Höhe der Zeit mit einer klimaneutralen Gebäudebewirtschaftung. Das wäre eine Hausnummer! Dann könnten wir alle auch mit gutem Gewissen dahinterstehen. Ich komme zum Schluss. Berlin sollte Vorbild für solidarisches Handeln in unserer Gesellschaft sein. Wir können uns einen Anbau im Moment nicht so richtig vorstellen. ({1}) Kehren wir lieber zurück zur Zweckmäßigkeit und zur Sparsamkeit. ({2}) In der Zwischenzeit, in der wir eine Denkpause einlegen, kann das Bundeskanzleramt auch noch Projekte im Umfeld des Bundeskanzleramtes in die Betrachtung einbeziehen. Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat das Thema „Denkmal für die Opfer des Kommunismus“ angesprochen. Auch hierzu könnten wir in der Denkpause vielleicht einen guten Weg finden, um dann im Umfeld des Bundeskanzlersamtes ein Denkmal zu errichten. Es gibt viele Menschen im Land, die darauf warten, dass wir einen Ort des Erinnerns an die Opfer des Kommunismus in diesem Land haben. Viele Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Lieber Kollege Kleebank, man muss auch nicht alles verstehen. ({0}) Die Kollegin Hanna Steinmüller, Bündnis 90/Die Grünen, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. Das finde ich sehr schön. ({1}) Dann ist die nächste Rednerin die Kollegin Sandra Weeser, FDP-Fraktion. ({2})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Margaux! Liebe Lili! Das sind meine Töchter oben auf der Tribüne. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein sehr schönes Bild von Helge Braun – das ist der frühere Chef des Bundeskanzleramtes –, wie er voll Stolz auf ein drei Meter großes Modell seines Lieblingsprojektes zeigt: Das ist der Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes. Machen wir uns nichts vor: Die Erweiterung des Bundeskanzleramtes ist ein Projekt der früheren Kanzlerin Dr. Angela Merkel und ihres Kanzleramtsministers Helge Braun. Schon als die Pläne 2019 vorgestellt wurden, gab es Kritik und auch die Frage: Ist es wirklich notwendig, diesen Anbau zu bauen? Aber Helge Braun hatte natürlich ein Problem: Das Kanzleramt platzte aus allen Nähten, die Mitarbeiter waren unzufrieden, und es fehlte an Büros. Der Erweiterungsbau war dafür die Lösung. Denn der Personalbestand im Bundeskanzleramt ist unter der Regierung von Bundeskanzlerin Merkel Jahr für Jahr gewachsen, ({0}) ganz nach dem Motto: Wozu hat Deutschland ein Außenministerium, wenn man im Kanzleramt noch einmal zu denselben Aufgaben neue Referate schaffen kann? Außenwirtschaftspolitik: Dazu gibt es zwar eine Abteilung im Wirtschaftsministerium, aber Frau Merkel wollte im eigenen Haus zusätzlich Expertenstäbe. Sicherheitspolitik: Wenn Verteidigungsministerium und Innenministerium nicht effizient arbeiten, dann schafft man eben neue Stellen im Bundeskanzleramt. So wurden im Bundeskanzleramt über die gesamte Regierungszeit von Frau Merkel Parallel- und Doppelstrukturen aufgebaut. ({1}) Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich denke mal, es sind auch einige loyale CDU-Mitglieder dort mit Posten versorgt worden. ({2}) Wir kennen das Muster: Bevor es auch nur einen CSU-Abgeordneten gibt, der der Zusammenlegung von Wahlkreisen zustimmt, blockiert man lieber die komplette Wahlrechtsreform. ({3}) Im Dezember 2021 bildete dann unsere Ampel die neue Bundesregierung, und Bundeskanzler Scholz erbt ein personell viel zu groß gewachsenes Kanzleramt und den dadurch natürlich auch bestehenden Büromangel. Er erbt ein Helge-Braun-Bauprojekt, bei dem die Planungen fortgeschritten und erste Aufträge schon vergeben sind. Keine drei Monate danach startet Putin einen Angriffskrieg in Europa. Die verfehlte Energiepolitik der Ära Merkel resultiert in einer nie dagewesenen Energiekrise. Ich verstehe den Kanzler gut, wenn er in so einer Energiekrise die Prioritäten beim Krisenmanagement setzt und erst einmal mit dem Personal arbeitet, das Frau Merkel und Herr Braun aufgebaut haben. Denn wer ein Schiff im Sturm übernimmt, der fängt nicht damit an, die Kajütenplanung entsprechend der Besatzung umzustellen. Zugleich gilt bestimmt auch, dass sich gerade Bauherren im ganzen Land angesichts von Materialengpässen, steigenden Kosten und steigenden Zinsen die Frage stellen müssen: Kann ich überhaupt den Bau, den ich jetzt geplant habe, unter den geänderten Rahmenbedingungen fortsetzen, oder muss ich auch mal die Notbremse ziehen? Ich glaube, wir müssen uns diese Frage auch stellen, was Projekte des Bundesbaus angeht. Wir befinden uns in einer Krise, und da ist es natürlich notwendig, zu prüfen, ob Kosten und Risiken noch im Verhältnis stehen oder ob ein solches Projekt gegebenenfalls geschoben oder angepasst werden kann. Der Haushaltsausschuss hat heute die entsprechenden Entscheidungen gefällt. Der vorliegende Antrag wird an den Wohn- und Bauausschuss überwiesen. Wir werden uns ihn dort noch einmal genau anschauen. Wir werden es dort auch nicht der AfD überlassen, hierzu kritische Fragen zu stellen. Ich freue mich schon darauf, wie die CDU uns erklärt, warum das Projekt drei Jahre lang gegen jeden Widerstand durchgedrückt wurde. Ich freue mich auf die Debatte. Ich bedanke mich bei Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Abend. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Weeser. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir als Linke haben uns von Anfang an gegen den Erweiterungsbau, gegen das zweite Kanzleramt, ausgesprochen. Das unterscheidet uns von der CDU, die immer dafür war und auch in der Opposition es noch mitgetragen hat. Das will ich hier mal ganz deutlich sagen. ({0}) Worum geht es? Für 777,3 Millionen Euro soll ein zweites Kanzleramt mit Hubschrauberlandeplatz und einer 250 Quadratmeter großen Kanzlerwohnung gebaut werden. Das ist maßlos und instinktlos. Es ist weder nachhaltig noch sozialdemokratisch. Ich finde, Sie sollten hier die Notbremse ziehen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({1}) In unserem Land fehlen bezahlbare Wohnungen, Kitas und Schulen. Krankenhäusern fehlt das Geld für eine ordentliche Wärmedämmung. Und das Kanzlerschloss wird pro Quadratmeter – Stand heute – noch teurer als das Berliner Schloss. Das darf nicht geschehen, meine Damen und Herren. ({2}) Richten wir mal einen Blick nach Bonn. Dort steht ein bescheidener Kanzlerbungalow, der in der alten Bundesrepublik nach dem Krieg Bescheidenheit demonstrieren sollte. Man kann sich sicher nicht an allem orientieren, was in der alten Bundesrepublik war; aber dieser Ausdruck der Bescheidenheit ist etwas, woran man sich auch heute noch orientieren könnte. Ein Blick nach Bonn ist daher gut. ({3}) Wir brauchen jetzt Wohnungen, wir brauchen aber auch Flüchtlingsunterkünfte, und wir brauchen vor allen Dingen keine Prunkbauten. Ja, meine Damen und Herren von der Ampelkoalition, Sie haben das Projekt der CDU-geführten Regierung, an der die SPD allerdings beteiligt war, übernommen. Aber Sie haben noch die Chance – sonst braucht man doch gar keine Neuwahlen durchzuführen und neue Regierungen zu bilden –, jetzt die Reißleine zu ziehen. Tun Sie das doch! Das wäre doch eine gute Entscheidung. ({4}) Der Kanzleramtschef hat uns im Berichterstattergespräch gesagt, dass Bundeskanzler Scholz überhaupt keine Änderungswünsche hätte. Ich glaube, hierüber sollte er noch mal nachdenken. Meine Damen und Herren, es gibt ja einen Bericht des Bundesrechnungshofes, der darauf verweist, dass ein nüchterner, auf Funktionalität ausgerichteter Zweckbau geplant war. Aber aus dem Zweckbau kann jetzt ein Prunkbau werden, und das muss verhindert werden. ({5}) Diese Bundesregierung schafft es nicht, die versprochenen 100 000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen. Stattdessen soll nun in Windeseile ein gigantisches Kanzleramt mit Hubschrauberlandeplatz errichtet werden. Eine besonders absurde Begründung für den Neubau ist: Jetzt sitzen Mitarbeiter in unterschiedlichen Häusern in Berlin. Alle Mitarbeiter sollen in einem Haus konzentriert werden. – Ich verrate Ihnen mal was: Die Wege innerhalb Berlins sind wirklich kürzer als die Strecke Berlin–Bonn; darauf können Sie sich verlassen. ({6}) Meine Damen und Herren, wir fordern eine klare Prioritätensetzung von der Bundesregierung. Wir müssen in Wohnungsbau und in soziale Infrastruktur investieren. Das wäre der richtige Weg. Vielen Dank. ({7})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hohe Inflationsrate, insbesondere auch die hohen Energiepreise bringen viele Menschen in unserem Land an ihre Grenzen. Ernst ist die Lage auch für viele unserer mittelständischen Unternehmen, die nach zwei harten Jahren pandemiebedingten Ausnahmezustands nun aufgrund einer neuen Krise um ihre Existenz fürchten müssen. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten gut gewirtschaftet. Sie haben Investitionen getätigt, konnten qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte gewinnen, haben gut gefüllte Auftragsbücher und stehen in diesen Zeiten dennoch kurz vor der Insolvenz. Denn die aktuellen Energiepreisentwicklungen, die zweistellige Inflationsrate und unterbrochene Lieferketten machen es zurzeit für viele Mittelständler unmöglich, die Durchfinanzierung ihres Unternehmens über die nächsten zwölf Monate sicher zu planen. Bei finanziellen Engpässen und keiner sicheren Fortführungsprognose ist für die Verantwortlichen in vielen Unternehmen eine Insolvenzantragstellung unausweichlich, um nicht Gefahr zu laufen, sich wegen Insolvenzverschleppung, die immerhin mit Freiheitsstrafe bedroht ist, verantworten zu müssen. Wir reden nicht über seltene oder gar abstrakte Fälle. In meinem Wahlkreis erfahre ich tagtäglich von Sorgen und Nöten vieler mittelständischer Unternehmen, die nicht mit Sicherheit sagen können, ob ihr Betrieb in einem halben Jahr oder Jahr noch fortbestehen wird. Ich habe einen Familienbetrieb besucht, der in den letzten Jahren immense Summen investiert hat, auch in eine Photovoltaikanlage, die über die Hälfte des benötigten Stroms liefert, und in eine der größten Solarthermieanlagen in NRW. Doch trotz dieser vermeintlich guten Ausgangslage sind die Inhaber mehr als besorgt, ob der Betrieb nach erheblichen finanziellen Einbußen in der Coronapandemie auch dieser weiteren Krise standhalten wird. Ginge man von einem Worst-Case-Szenario aus, sähe es jedenfalls düster aus. In vielen solcher Fälle müsste man, verfährt man nach dem Angebot der anwaltlichen Vorsicht, aktuell einen Insolvenzantrag empfehlen, um eine Insolvenzverschleppung sicher zu vermeiden. Meine Damen und Herren, es ist nicht auszumalen, was uns bevorstünde, wenn auch im Kern gesunde Unternehmen aufgrund der aktuellen Unwägbarkeiten und aus Sorge vor straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen den Weg der Insolvenz wählen müssten. Wenn eine Insolvenzwelle durch den Mittelstand rauscht, gefährdet dies unseren Wohlstand, der am Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft, hängt. ({0}) Die Änderungen des Insolvenzrechts im vorliegenden Gesetzentwurf sind ein wichtiger Beitrag, um vielen Unternehmen in dieser schwierigen und ungewissen Zeit durch die Krise zu helfen. Mit der temporären Verkürzung des Prognosezeitraums von zwölf auf vier Monate helfen wir Mittelständlern, denen es derzeit nicht möglich ist, die Lage ihres Unternehmens in einem Jahr zu beurteilen. Auch mit der Anhebung der Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung verschaffen wir Unternehmen mehr Zeit, sich zukunftsfähig aufzustellen. All diese Maßnahmen sind jetzt dringend geboten, damit Unternehmen, die bisher stabil auf beiden Füßen gestanden haben, am Markt bleiben. Meine Damen und Herren, lassen wir also nicht zu, dass im Kern gesunde Unternehmen aufgrund der Prognoseunsicherheiten Insolvenzanträge stellen müssen! Und schaffen wir das Güterrechtsregister ab! Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Helling-Plahr. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Hierl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Susanne Hierl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorgelegten Änderungen zum Insolvenzrecht sind relativ übersichtlich. Der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung soll auf vier Monate verringert und die Insolvenzantragsfrist um zwei Wochen verlängert werden. In der aktuellen Krisensituation unterstützen wir diesen Antrag. Klar ist aber auch: Die Regelung darf nur befristet angewendet werden und allein für die Krisenzeit Gültigkeit haben. Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der vorliegenden Regelung doktern Sie nur an Symptomen der Energie- und Wirtschaftskrise herum. Sie betreiben Kosmetik an Regelungen, die in der Realität der Unternehmen kaum eine Relevanz haben. ({0}) Wenn Sie den Unternehmen wirklich helfen wollen, dann bekämpfen Sie die Ursachen. Was die Wirtschaft in der aktuellen Lage braucht, sind die richtigen Rahmenbedingungen, um gut arbeiten zu können. Dazu gehören sinnvolle Lösungen für das Problem des Fachkräftemangels statt unreflektierter Zuwanderungspläne, ({1}) vernünftige steuerliche Regelungen, die konkurrenzfähig sind und den Unternehmen die Luft zum Wirtschaften lassen, der Abbau von Bürokratie und nicht zuletzt wettbewerbsfähige Preise für Strom und Energie. Und kommen Sie jetzt bitte nicht damit, es gebe ein 200-Milliarden-Euro-Paket, das auf dem Weg sei und die Entlastungen schon bringen werde. Keiner weiß, was in diesem Paket drin ist, ({2}) und wie Sie auf die 200 Milliarden Euro kommen, weiß man auch nicht. ({3}) Das ist keine seriöse Politik. ({4}) Wirtschaft und Unternehmen brauchen auch keine wochenlangen Machtspielchen zur Frage, welches Atomkraftwerk noch wie lange laufen darf. So wird wertvolle Zeit vertan. Wirtschaft und Unternehmen brauchen jetzt Antworten darauf, woher sie die Energie und den Strom für den Winter bekommen. ({5}) Wenn ich aktuell in meinem Wahlkreis unterwegs bin und mit den Unternehmern spreche, dann zeigt sich überall dasselbe Bild: Die Unternehmen ächzen unter den hohen Strom- und Energiepreisen, es gibt unzählige Probleme in den Lieferketten und große Preissteigerungen bei den Rohstoffen. Viele Firmen überlegen, die Tätigkeit einzustellen, oder geben diese auf, weil es schlicht und einfach nicht mehr leistbar ist, den Betrieb wirtschaftlich fortzuführen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Ampel, arbeiten Sie bitte täglich an der Frage: „Wie können wir für die Unternehmen und vor allem für unseren Mittelstand bessere Rahmenbedingungen schaffen, damit diese ihre tägliche Arbeit gut verrichten und positiv in die Zukunft gehen können?“! Verhindern Sie so, dass Sie in Zukunft weitere Anträge zur Änderung des Insolvenzrechts vorlegen müssen! Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat nunmehr die Kollegin Esra Limbacher, SPD-Fraktion. ({0}) – Der Kollege. Entschuldigung. ({1}) Wir gendern heute.

Esra Limbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren! Heute setzen wir ein Versprechen aus unserem Koalitionsvertrag um: Wir bauen Bürokratie ab. Das ist die zentrale Botschaft heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürokratieabbau, das hat sich diese Koalition auf die Fahne geschrieben, und wir halten uns an unsere Versprechen. Wir schaffen heute die sogenannten Güterrechtsregister ab. Güterrechtsregister beinhalten auf Antrag von Ehegatten Eintragungen über deren güterrechtliche Verhältnisse. Sie werden bei den Amtsgerichten geführt und sind – das kann man so deutlich sagen – heute weitestgehend funktionslos. Sie werden kaum noch genutzt, kosten aber viel Geld. Der Aufwand für die Führung dieser Register steht in keinem Verhältnis mehr zu der geringen rechtlichen und der schwindenden praktischen Bedeutung der Güterrechtsregister. Das ist aber nicht alles, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diesem Gesetzgebungsverfahren hängt eine weitere Änderung an, die, so glaube ich, noch viel wichtiger ist: die temporäre Anpassung des Insolvenzrechts aufgrund der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage in unserem Land. In der Sache haben diese beiden Änderungen nicht viel gemeinsam. Aber beide bringen, wie ich finde, unser Land in der aktuellen Situation wirklich voran. Mit der Anpassung des Insolvenzrechts wollen wir diejenigen Unternehmen entlasten bzw. unterstützen, die eigentlich gesund sind, aber aufgrund der explodierenden Energiepreise unverschuldet in eine Notlage geraten sind. ({1}) Wir ermöglichen genau diesen Unternehmen eine zeitlich begrenzte Erleichterung und Ausnahmeregelung bei der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages. Konkret bedeutet das: Erstens. Wir verkürzen vorübergehend den sogenannten Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung. Zweitens. Wir verkürzen die Zeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanung vorübergehend von sechs auf vier Monate. Drittens. Wir geben überschuldeten, aber noch nicht zahlungsunfähigen Unternehmen mehr Zeit für Sanierungsbemühungen. Wir setzen daher die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung zeitweise von derzeit sechs auf acht Wochen hoch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind sinnvolle Änderungen. Die Zeit drängt, und wir brauchen jetzt ein rasches staatliches Handeln. Denn: Wir können gesunde Betriebe nicht einfach insolvent gehen lassen, wenn ihre Überschuldungen nur auf den kriegsbedingten und drastischen Veränderungen des Energiemarktes beruhen. Wir müssen ihnen die Chance geben, entsprechende Hilfsprogramme des Bundes abzurufen. So retten wir Betriebe. So retten wir Arbeitsplätze. Wir lassen niemanden allein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich gucke auf die Uhr: Die restliche Redezeit würde ich zur Verfügung stellen; ich glaube, das tut dem Abend vielleicht noch ganz gut. Ich bitte daher um Zustimmung dieses Hauses für beide geplanten Vorhaben: die Abschaffung des Güterrechtsregisters und die temporäre Anpassung des Insolvenzrechts. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Limbacher. Vorbildlich! – Nächster Redner ist der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was haben wir hier? Eingebracht worden ist diese Vorlage als Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters. Den zweiten Teil mit dem Insolvenzrecht haben Sie gestern im Rechtsausschuss erst angeklebt. Einmal mehr pfeifen Sie also auf die Formalien eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, indem Sie nachträglich im Ausschuss ganz disparate Materien zusammenleimen. Immerhin haben Sie diesmal den richtigen Ausschuss getroffen. Nach dem, was wir hier schon erlebt haben, muss man ja froh sein, dass das Insolvenzrecht nicht im Ausschuss für Landwirtschaft oder im Gesundheitsausschuss gelandet ist. ({0}) Inhaltlich ist das, was so mit minimaler Diskussion hier durchgeschleust wird, das reine Déjà-vu. Sie wollen es noch mehr erleichtern, dass Kapitalgesellschaften, die rechnerisch überschuldet sind, dennoch weiterwirtschaften dürfen. Das hat ja mittlerweile schon Tradition. Unter tätiger Mithilfe einer schlechten Politik zieht eine wirtschaftliche Krise herauf, und Unternehmen geraten in Bedrängnis. Anstatt aber nun die schlechte Politik zu ändern, anstatt die Rahmenbedingungen für die Unternehmen wieder zu verbessern, versucht man lieber, die Fallzahlen bei den Insolvenzgerichten künstlich niedrig zu halten. ({1}) Das haben Sie damals in der Bankenkrise so gemacht, das haben Sie angesichts der wirtschaftlichen Folgen Ihrer Coronamaßnahmen so gemacht, und jetzt wollen Sie es schon wieder tun, um die Folgen Ihrer desaströsen Energiepolitik mit fingerdick weißer Salbe zu überdecken. Das halten wir einfach für unseriös. ({2}) Wenn man sich die Stellungnahmen zu Ihrem Entwurf, etwa der Bundesrechtsanwaltskammer oder des Anwaltvereins, so ansieht, sind wir da auch nicht die Einzigen. Zerstören Sie also nicht weiter die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts, sondern sorgen Sie lieber dafür, dass die Energieversorgung der deutschen Unternehmen sichergestellt wird. ({3}) Zu dem ursprünglichen Inhalt des Gesetzentwurfs. Im Güterrechtsregister können Eheleute den Umstand verlautbaren, dass ein Ehevertrag geschlossen wurde, dass also bei Rechtsgeschäften eines Dritten mit einem der Ehegatten möglicherweise Besonderheiten zu beachten sind. Das dient der Sicherheit des Rechtsverkehrs. Dieses Register wollen Sie ersatzlos abschaffen. Nun besteht wohl ein Konsens, dass das Güterrechtsregister in seiner bisherigen Form, also in Papierform bei Hunderten Amtsgerichten geführt, ein Auslaufmodell ist und in dieser Form auch kaum noch genutzt wird. Das ist als Befund erst mal schlüssig. Abhilfe könnte darin bestehen, das Register zentral, etwa beim Bundesamt für Justiz, und rein elektronisch zu führen. Der Deutsche Notarverein hat noch in einer Stellungnahme von 2017 im Einzelnen erläutert, warum ein solchermaßen modernisiertes Register weiterhin sinnvoll wäre. Als Grund, warum Sie diesem Vorschlag nicht folgen wollen, führen Sie an, es müssten dann gewaltige, zu großen Teilen obsolete Altbestände digitalisiert werden. Das überzeugt nicht. ({4}) Denkbar wäre auch, auf eine Digitalisierung dieser Altbestände zu verzichten und die Betroffenen darauf zu verweisen, die noch aktuellen Eintragungen in elektronischer Form erneut vorzunehmen. Durch die ersatzlose Abschaffung schütten Sie das Kind mit dem Bade aus, weshalb wir Ihrem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Jacobi. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Jacobi, vielleicht ist Ihnen in den Sinn gekommen, dass der Deutsche Notarverein auch deswegen das Güterrechtsregister nicht abschaffen will, weil er damit Geld verdienen will. Ich finde es gut, dass wir eine solche überflüssige Regelung jetzt abschaffen, und wünsche mir mehr solche Maßnahmen, die entschlacken und Bürokratie abschaffen. ({0}) Entscheidend ist aber heute die Diskussion, die angehängt ist, die Diskussion über das Insolvenzrecht. ({1}) Erst einmal: Wir haben aktuell keine Insolvenzwelle, ({2}) doch wir müssen davon ausgehen, dass wir in den nächsten Monaten eine schwierigere Situation bekommen. Aber um die Diskussion etwas zu versachlichen: Im September ist die Zahl der Regelinsolvenzen im Vergleich zu August 2022 um 20,6 Prozent gesunken. Trotzdem ist es richtig: Es gibt einen Insolvenztrend, der auf steigende Zahlen hinweist. Deswegen ist es auch richtig, dass wir jetzt Abhilfe schaffen mit der Verkürzung der Frist auf vier Monate, damit Sicherheit für die Unternehmen geschaffen wird; denn das ist es, was die Unternehmen jetzt brauchen: Sicherheit. Darum geht es. ({3}) Welche Ursachen gibt es für Insolvenzen? Zum einen haben wir die Zinswende. Natürlich ist es so, dass Zinssteigerungen der Fed und der EZB auch teurere Unternehmenskredite verursachen. Das kann in der kurzen Frist, in der das jetzt passiert – die USA haben ja noch weitaus höhere Zinssteigerungen als die EU –, dazu führen, dass Unternehmen, zum Beispiel im Immobiliensektor, überfordert werden. Wir erleben durch die Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine einen Konsumeinbruch. Wir haben strukturelle Veränderungen – das Thema Karstadt zum Beispiel steht wieder auf der Agenda –, und wir haben eben diese horrenden Energiepreissteigerungen. Weil Sie von der Union vorhin gefragt haben, was wir da tun: Na, ich finde, 200 Milliarden Euro in den Raum zu stellen und zu sagen: „Die kommen jetzt auch bei den Unternehmen und bei den Verbrauchern an“, das ist schon ein Wort. Das sind 4 bis 5 Prozent der Wirtschaftsleistung. ({4}) Also, wir schaffen einen Abwehrschirm. Wir ändern das Insolvenzrecht da, wo es notwendig ist. Wir schaffen Sicherheit in schwierigen Zeiten. Insofern halte ich es auch so wie mein Vorredner: Ich schenke Ihnen die restliche Redezeit; denn wir haben, glaube ich, noch viel zu tun, um dieses Land sicher zu machen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Janecek. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ja sehr dankbar dafür, wenn im öffentlichen Personennahverkehr meines Wahlkreises in der Sächsischen Schweiz mehr Omnibusse zum Einsatz kommen. Bei der Diskussion um Gesetze hier im Bundestag sind Omnibus-Strategien aber völlig fehl am Platze. Was meine ich damit? Ich nehme mal ein frei erfundenes Beispiel. Die Regierung bringt ein Gesetz zur Regulierung des Fischfangs in der Ostsee ein. Dazu gibt es dann eine erste Lesung, vielleicht auch eine Expertenanhörung. Im Ausschuss legt dann die Koalition einen Änderungsantrag vor, der sich mit der Änderung des Gesetzes zur Förderung des Schienenausbaus in Deutschland beschäftigt. Beides hat ganz offenkundig nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Aber zu dem womöglich umstrittenen Gesetz zum Schienenausbau gibt es keine erste Lesung, gibt es keine Expertenanhörung, und die Öffentlichkeit wird dadurch weitgehend ausgeschlossen. Die Ampelkoalition will heute wieder so einen Omnibus im Parlament halten lassen. Draußen steht dran „Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters“. Dabei geht es um die bei den Amtsgerichten geführten Register, in denen auf Antrag von Ehegatten Eintragungen über deren güterrechtliche Verhältnisse vorgenommen werden können. Mit im Bus sitzt dann, als Änderungsantrag getarnt, ein zweiter Gesetzentwurf, mit dem das Insolvenzrecht novelliert werden soll. Zwei Themen, die nichts miteinander zu tun haben! Und das Thema Insolvenzrecht taucht dadurch in der Tagesordnung überhaupt nicht auf, auch nicht auf unseren Anzeigetafeln hier im Plenarsaal. Für uns als Linke ist das völlig inakzeptabel. ({0}) Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Ampel, gestalten Sie Ihre Politik denn derart intransparent? Dabei liegen Sie in der Sache diesmal durchaus richtig. Wenn ein Verwaltungsinstrument wie das Güterrechtsregister abgeschafft werden soll, weil es keine praktische Anwendung mehr findet, dann können wir als Linke nichts dagegen haben. Und wenn das Insolvenzrecht so verbessert wird, dass Betriebe die Prognose einer drohenden Insolvenz nicht mehr zwölf Monate, sondern nur vier Monate im Vorhinein abgeben müssen, dann ist das vernünftig, weil es den Menschen in einer besonders schwierigen Lebenslage hilft. Wir werden deshalb trotz aller verfahrensrechtlichen Bedenken beiden Punkten des Gesetzentwurfs zustimmen. Letzte Bemerkung: Ich bleibe dabei, Omnibusse gehören in die unterversorgten Regionen im ländlichen Raum, aber nicht in die Abläufe des Parlaments. ({1})

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist unbestritten, dass entwicklungspolitisches Engagement allein die Probleme der Entwicklungsländer nicht wird lösen können. Es bedarf einer langfristigen Politik, um wachstums- und wirtschaftsfreundliche globale Rahmenbedingungen zu schaffen, und das insbesondere in den Ländern des Globalen Südens selbst, um dort privatwirtschaftliches Engagement lokaler Unternehmen und auch Investitionen aus den Industriestaaten zu fördern. Da der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bedeutung der Privatwirtschaft für eine nachhaltige und erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit nicht gerecht wird, bringen wir heute unseren Antrag ein, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Es ist bedauerlich – ich habe es schon einmal gesagt –, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen der FDP dieses wichtige Feld im Koalitionsvertrag unbestellt ließen. Diese Leerstelle in der entwicklungspolitischen Schwerpunktsetzung der Ampelkoalition ist falsch. Das zeigt auch die wirtschaftliche Realität. Neun von zehn Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern werden durch die Privatwirtschaft geschaffen. Dies zeigt eindringlich, dass ohne die Privatwirtschaft die Schaffung von Perspektiven, Arbeitsplätzen und Wohlstand nicht gelingen wird. Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist eine tragende Säule verschiedener Entwicklungsbereiche, seien es Mikrokreditprogramme, die die wirtschaftliche Freiheit und damit auch die persönliche Unabhängigkeit von Frauen stärken, sei es die Förderung dualer Ausbildungssysteme in Entwicklungsländern in Partnerschaften mit Institutionen der Wirtschaft, die einen entscheidenden Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit liefern können und von vielen Ländern bereits kopiert wurden, oder seien es privatwirtschaftliche Investitionen, zum Beispiel im Rahmen und mit Unterstützung des AfricaConnect-Programms, die neben Arbeitsplätzen oft auch zu einer Verbesserung des Umweltschutzes oder des Klimaschutzes führen. Eben weil es bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft um mehr als schlicht ökonomische Erwägungen geht, fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, die vorgenommenen drastischen Kürzungen im Haushaltstitel „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“ zurückzunehmen. ({1}) Wir werben um Unterstützung für eine bessere Koordinierung des öffentlichen und privatwirtschaftlichen Engagements. Wir fordern die Prüfung eines Bürgschaftssystems analog zu den Hermesbürgschaften, um Investitionen in die Entwicklungsländer anzukurbeln. Und nicht zuletzt fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Beitrag zur Steigerung der Infrastrukturinvestitionen aufzuzeigen. Das ist insbesondere im Hinblick auf die chinesische Investitions- und Expansionspolitik in den Ländern des Globalen Südens von Bedeutung. Apropos chinesische Investitions- und Expansionspolitik. Der Hamburger Hafen gehört zwar nicht zum Globalen Süden. Trotzdem braucht es auch hier eine klar ablehnende Haltung gegenüber chinesischer Einflussnahme, liebe Grüne und liebe FDP, gerade in den Ministerien. Sie haben uns hier an Ihrer Seite. ({2}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ja, noch ein Satz.

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft kann uns helfen, unsere entwicklungspolitischen Ziele nachhaltiger zu erreichen. Dafür müssen wir vorhandene Potenziale heben. Deswegen bringen wir unseren Antrag ein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte!

Nicolas Zippelius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005266, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werbe dafür um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Zippelius. – Als nächster Redner hat der Kollege Manuel Gava, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Manuel Gava (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005062, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher oben auf den Tribünen! Die Transformationsprozesse, die für eine zukunftsfähige Entwicklungszusammenarbeit notwendig sind, brauchen auch unternehmerische Lösungen. Das stimmt. Die Bekämpfung von Hunger, Armut und die Folgen des Klimawandels erfordern sozialstaatliches Handeln. Der Beitrag wirtschaftlicher Akteure wie Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften gehört selbstverständlich mit dazu. Um die Entwicklungsziele und die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, arbeitet das BMZ bereits auf mehreren Ebenen mit der Privatwirtschaft zusammen. Ob national, europäisch oder lokal: Wir mobilisieren durch die gezielte Einbindung des Privatsektors bereits jetzt erhebliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. ({0}) Die wirtschaftlichen Akteure vor Ort unterstützen wir und stehen den Menschen zur Seite, damit wir gemeinsam nachhaltig wirtschaften können. Die Wirtschaft ist und bleibt ein wichtiger Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, um echte Transformation weltweit zu erreichen. Aber, liebe CDU/CSU, Herr Zippelius: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wurde aus meiner Sicht in der Vergangenheit – unter Ihrer Leitung – immer wieder als Instrument zur inländischen Wirtschafts- und Wachstumsförderung missverstanden. ({1}) An einer echten sozialen und ökologischen Transformation gab es aus meiner Sicht auch hier etwas zu wenig Interesse von Ihrer Seite. Diese veralteten Prioritäten wollen und können wir nicht mehr so stehen lassen. ({2}) Auch der vorliegende Antrag steht in dieser Tradition. Sie zählen auf, wie viel Geld Sie gern in den Haushaltstiteln zur Wirtschaftsförderung gesehen hätten. Ich sehe allerdings keine konkreten Vorschläge, woher das Geld hätte kommen sollen. Vielleicht können wir darüber noch einmal ins Gespräch kommen. Es sind ja leider keine Haushälter von Ihnen heute da. ({3}) Aber da bin ich auf den einen oder anderen Vorschlag von Ihrer Seite gespannt. Gestern war der Direktor des World Food Programme, David Beasley, bei uns im Ausschuss. Sie waren ja auch dabei und werden sicherlich aufmerksam zugehört haben. Das World Food Programme spricht von großen Rückschritten bei der Bekämpfung von Hunger. Er hat das auch noch einmal deutlich betont. Laut der Welthungerhilfe müssen aktuell wieder bis zu 828 Millionen Menschen weltweit hungern – jeden Tag! Das sind die Menschen, die jetzt unsere Aufmerksamkeit benötigen. Das sind unsere Prioritäten. Für diese Menschen müssen wir jetzt da sein. ({4}) Wenn ich mir Ihren Antrag so anschaue, finde ich es deswegen befremdlich, dass er an der aktuellen Debatte völlig vorbeigeht. Damit tragen Sie sicher nicht zu einer Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung bei. Währenddessen geht unsere Bundesregierung, insbesondere unsere Ministerin, neue Wege mit ihrem Ministerium. Es wird endlich – und das ist mir besonders wichtig und, ich glaube, der gesamten Ampelkoalition auch – auf Augenhöhe mit den Ländern des Globalen Südens zusammengearbeitet. ({5}) Die Ziele der nachhaltigen Entwicklung können wir nur erreichen, wenn es einen gerechten Zugang zu Kapital, ein Recht auf Landbesitz und Bildung gibt. Im Haushalt haben wir deshalb auf die Priorisierung von Projekten auch geschlechtergerechter Entwicklungszusammenarbeit gesetzt, weil wir wissen, dass im Globalen Süden vor allen Dingen Frauen dafür zuständig sind, dass die Lebensmittelversorgung gewährleistet werden kann. Von daher ist das eine besonders wichtige Schwerpunktsetzung. Unsere Vision von einer modernen, feministischen Entwicklungszusammenarbeit teilen Sie, glaube ich, noch nicht. Aber wir werden daran arbeiten. ({6}) Schade, dass Sie weiterhin an Ihren gestrigen, marktzentrierten Vorschlägen hängen – noch! ({7}) Diese haben in der Vergangenheit schon eher schlecht als recht funktioniert. Aber inmitten einer Hunger-, Armuts-, Klima- und Gesundheitskrise braucht es neue Ansätze, und die verfolgen wir jetzt. Rundum: Ihr Antrag ist angesichts der aktuellen Situation nicht so zielführend aus meiner Sicht. Lassen Sie uns im Ausschuss gut zusammen daran weiterarbeiten. Herzlichen Dank. – Und die letzten 30 Sekunden gehen an die Saaldienerinnen und Saaldiener. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Gava, vielen Dank. Ich schließe auch Sie in mein Nachtgebet heute ein. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Union, ja, eine enge Kooperation mit der Wirtschaft ist das Fundament für die erfolgreiche, anhaltende Entwicklung eines Landes. Mich freut, dass Sie jetzt, wo Sie in der Opposition sind, diese Erkenntnis endlich auch haben; denn unter dem CSU-Mann Gerd Müller, der von 2013 bis 2021 Entwicklungsminister dieses Landes war, sah das bei der Union noch ganz anders aus. ({0}) Unter Müller fing der ganze woke Blödsinn in der deutschen Entwicklungspolitik nämlich so richtig an. Statt enger Kooperationen mit Unternehmen und einer interessengeleiteten Politik gab es unter Müller Gender-Gaga, Klimaunsinn und Geldgeschenke für linke Aktivisten, ({1}) Steuergeld für palästinensische Terror-NGOs, Subventionierung aufstrebender Wirtschaftsmächte, Migrationsberatungen, Sozialhilfe und Wohnungsvermittlung statt Migrationsbekämpfung. ({2}) Als Sie in der letzten Sitzung des Entwicklungsausschusses Ihre Haushaltsanträge vorgestellt haben, da dachte ich, ich höre nicht richtig. Da wettbewerbte Paul Ziemiak mit Deborah Düring darum, wer mehr Geld für Empowerment und Gender-Projekte bezahlen will. Liebe Freunde, das muss die neue konservative Union unter Friedrich Merz sein! ({3}) Sie versuchen ja immer wieder, sich den Bürgern als realistische, konservative Kraft zu verkaufen. In Wirklichkeit schwimmen Sie in links-grünen Gewässern. Als AfD-Fraktion stehen wir ganz klar für eine Entwicklungshilfe, die sich wieder Kernaufgaben widmet, nämlich der Armutsbekämpfung. Das geht mit sehr viel weniger Geld, weswegen unsere Haushaltspläne für dieses Politikfeld auch eine Ausgabenreduzierung von 55 Prozent vorsehen. ({4}) Aus der Armut heraus hilft nur eins: Marktwirtschaft, bezahlbare Energie und das Ende von Korruption. ({5}) In einer interessengeleiteten Außenpolitik, wie wir sie als AfD vertreten, hat die Entwicklungshilfe noch eine weitere Aufgabe: Erschließung von fairen Märkten, Ressourcensicherung und Migrationsbekämpfung. Ihre linke Entwicklungspolitik, die nützt am Ende eigentlich nur Politikmarketing und der Helferindustrie, aber nicht den Menschen in der Dritten Welt und auch nicht Menschen hier in Deutschland. Wir stimmen der Überweisung des Antrags in den Ausschuss zu. Hier wurde der Einwand gemacht: Was ist denn Gender-Gaga? ({6}) Ich sage Ihnen eines mal ganz klar: Wenn Sie in einem Land leben, in dem Sie morgens nicht wissen, wie Sie die Familie ernähren können, dann ist Ihre kleinste Sorge die Solarzelle oben auf dem Dach oder die sorgenfreie Wahl aus 90 oder 100 Geschlechtertypen, lieber Kollege. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jan-Niclas Gesenhues, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Jan Niclas Gesenhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Zippelius, ich lese in Ihrem Antrag ziemlich viel über Wirtschaftsförderung an sich. Dafür, dass Sie diesen Antrag zur Entwicklungszusammenarbeit stellen, lese ich aber ziemlich wenig, nämlich genau nichts zu Menschenrechten, nichts zur Umwelt und nichts zur Partnerorientierung. Das ist ziemlich dünn für einen Antrag, den Sie zur Entwicklungszusammenarbeit stellen. ({0}) Das entlarvt auch schon das Kernproblem der Union: Sie sieht viel zu oft die Entwicklungszusammenarbeit – das war auch in der Vergangenheit so – vor allem als Wirtschaftsförderung für heimische Unternehmen; Kollege Gava hat es gerade schon angesprochen. Wir machen damit Schluss. Wir haben eine andere Leitschnur für unsere internationale Zusammenarbeit. Unsere Leitschnur ist: mehr globale Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass wir uns konsequent ausrichten an den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, meine Damen und Herren. ({1}) Dabei fokussieren wir uns auf wirksame und auf gute Projekte, vor allem auch, weil die Evaluierungen gezeigt haben, dass in der Vergangenheit mit der Wirtschaft vieles nicht so gut gelaufen ist. Zum Beispiel hat das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit Ihnen, liebe Union, ins Stammbuch geschrieben, dass die Ergebnisse oft nicht stimmen, dass die Partnerorientierung fehlt und dass oft auch die entwicklungspolitische Kompetenz der beteiligten Organisationen mangelhaft ist. Ich will mal zitieren aus einem Bericht des Deutschen Evaluierungsinstituts zu den „develoPPP.de“-Projekten. Da steht: Das Potenzial, zu übergeordneten entwicklungspolitischen Wirkungen zu führen, ist insgesamt als gering einzuschätzen. – Das ist eine vernichtende Kritik an Ihrer Politik der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. ({2}) Meine Damen und Herren, wir nehmen diese Kritik sehr ernst und passen deswegen auch die Programme der Entwicklungszusammenarbeit mit der Wirtschaft an. Gleichzeitig will ich noch mal unterstreichen: Das, was gut läuft, das sichern wir ab, zum Beispiel, indem wir mit 194 Millionen Euro pro Jahr den Titel „Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft“ auf hohem Niveau stabilisieren. Für uns ist in der Zusammenarbeit vor allem wichtig, zu betonen, dass wir die duale Berufsausbildung weltweit voranbringen, dass wir Fachkräfte qualifizieren, gerade auch im Bereich von Schlüsseltechnologien, die zum Beispiel für die Energiewende wichtig sind, und auch, dass wir die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt verbessern. Auch in diesem Politikfeld – liebe Union, da müssen Sie jetzt stark sein – braucht es die feministische Entwicklungszusammenarbeit. ({3}) Wir sagen natürlich selbstkritisch: An der einen oder anderen Stelle müssen auch wir besser werden, müssen wir die Wirtschaftspolitik, die Landwirtschaftspolitik noch stärker ausrichten auf die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit, auf die Ziele der Vereinten Nationen. Auch da müssen wir noch mal nachbessern; aber da sind wir dran. Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, mit den professionellen Partnern, in diesem Sinne intensivieren; aber wir wollen Schluss machen mit einem Gemischtwarenladen, der am Ende den Ländern des Globalen Südens ziemlich wenig bringt. ({4}) Ich will abschließend zu einer Behauptung etwas sagen, die Sie in Ihrem Antrag aufstellen. Sie behaupten nämlich, wir würden in unserem Koalitionsvertrag kein Bekenntnis abgeben zur Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Ich würde Ihnen mal einen Blick in den Koalitionsvertrag empfehlen, weil genau das Gegenteil der Fall ist. Ich darf mal zitieren: „Gemeinsam mit … Unternehmen … setzen wir uns für faire und formelle Arbeitsbedingungen sowie existenzsichernde Löhne … ein.“ Oder eine andere Formulierung: „Mit Klima- und Entwicklungspartnerschaften fördern wir beidseitigen Wissens- und Technologietransfer“ und „den Ausbau erneuerbarer Energien“. Wenn Sie noch eine dritte Passage haben wollen, gebe ich Ihnen die gerne: „Wir stärken unser Engagement insbesondere für Grundbildung“, für die Fort- und Weiterbildung und für das, was Ihnen so wichtig ist, für die duale Berufsausbildung. – Genau da werden wir ansetzen. Wir werden das weiter aufbauen und in diesem Sinne die Entwicklungszusammenarbeit weiter stärken. Ihr Antrag hilft dabei in der Sache leider relativ wenig. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Zippelius, mal abgesehen davon, dass Sie weite Teile der Forderungen in Ihrem Antrag in den jüngsten Haushaltsberatungen nicht durch Änderungsanträge untermauert haben, blenden Sie heute hier 16 Jahre Regierungsverantwortung aus. So ziemlich jedes Haus und 14 Ministerien durften vor sich hin werkeln – vor allem, wenn es um den Chancenkontinent Afrika ging –, bis niemand mehr durchgeblickt hat, vor allem die Partnerländer selbst nicht mehr. Ich erinnere Sie: Compact with Africa, Marshallplan mit Afrika, „Pro! Afrika“ im BMWI; das andere im BMZ, das Nächste im BMF, Strategische Partnerschaft Digitales Afrika, Staatssekretärsrunde Afrika usw. usf. Das, was Sie heute hier gesagt haben, und Ihr Antrag sind frei nach dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“, Sie fordern ganz locker Kohärenz und zielgerichtetes Handeln in einem Feld, das von Ihrer damaligen Regierung zersplittert worden ist und von sonst niemandem. ({0}) Es ist doch klar: Ohne privates Kapital, ohne die Einbindung der Privatwirtschaft können entwicklungspolitische Ziele nicht erreicht werden. ({1}) Das bestreitet niemand. Das war schon immer auch Haltung der FDP. ({2}) Das ist Realität. Rein karitative Entwicklungsarbeit, die vom beseelten Minister Müller reichlich gegeben wurde, ist nicht nachhaltig. Ein geschenktes Krankenhaus funktioniert nur, wenn der Staat die Mittel hat, um es zu betreiben. Also braucht es Steuereinnahmen und eine funktionierende Volkswirtschaft, und die funktioniert nicht ohne private Investitionen. Da darf sich niemand Illusionen hingeben. Investitionen, Produktionen, Gewinne, Steuer – das ist eine Kette, die wir fördern wollen. ({3}) Wo sich Unternehmen engagieren, wo sie Mitarbeiter beschäftigen, wollen sie längerfristig aktiv bleiben. Das habe ich zuletzt gesehen in Elfenbeinküste, wo VW ein Montagewerk aufbaut und die Ausbildung der Fachkräfte vom BMZ unterstützt wird. Diese Systeme wollen wir weiterentwickeln. Das macht doch Sinn; es ist erfolgreich, und es ist nachhaltig. Systeme, die funktionieren, sind keine Nice-to-haves, keine „little projects“, wie Herr Müller sie in Gutsherrenart über die Welt verteilt hat. Erfolgreiche Systeme sind aber auch Start-up-Häuser, die privates Kapital anziehen; da kommt Geld in die Kasse. Auch das wird die Bundesregierung ausweiten. Das sind Systeme, die aus sich selbst heraus wachsen. Wir gestalten Systeme für und mit der privaten Wirtschaft, und das haben Sie früher nicht gemacht. ({4}) Wir brauchen auch Infrastruktur für die private Wirtschaft, sprich: Straßen und Bahnen. Deshalb danke ich Ministerin Schulze, dass sie jetzt der Infrastrukturförderung weitaus offener gegenübersteht, als ich es mir von Herrn Müller je erträumt hätte. Der Antrag der Union greift zu kurz. Die Ampel bindet die Privatwirtschaft ein, aber nicht nur unter dem Titel „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Was Sie anmahnen, zum Beispiel, die Förderung dualer Ausbildungssysteme weiterlaufen zu lassen, machen wir doch. Sie fordern etwas, was wir machen. Wir sichern den Austausch unter Wissenschaftlern, aber das steht halt in anderen Titeln drin. Auch das dient der Privatwirtschaft. Das müssen Sie akzeptieren; das ist so. AfricaConnect läuft auch weiter. Was Sie anmahnen, Herr Zippelius, ist also schon fast vollbracht. Wir setzen aber auch mit den Ausgaben des BMZ für Good Governance, also gute Regierungsführung, Transparenz und ein unabhängiges Justizsystem – Korruption soll eliminiert werden – Schwerpunkte. Das sind Voraussetzungen für private Investitionen. Wir arbeiten daran, die Voraussetzungen für private Investitionen zu schaffen. Hier bleiben wir engagiert. Seien Sie auch im Ausschuss, wenn wir Ihren Antrag beraten, versichert: Wir handeln. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hoffmann. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ludwig Erhard hat einmal gesagt: „Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.“ ({0}) Dieser Satz gilt ja nicht nur bei uns, sondern in besonderem Maße auch in den Entwicklungsländern. Denn ohne eine funktionierende Wirtschaft setzt sich eine Spirale in Gang: keine funktionierende Wirtschaft, keine Arbeits- und Ausbildungsplätze, kein Einkommen, Hunger, Destabilisierung, keine Perspektive und am Ende auch Flucht. Das Ziel der internationalen Kooperation, der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit muss es daher sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eben auch der Privatwirtschaft Investitionen ermöglichen und Investitionen absichern. Lieber Kollege Hoffmann, wenn in der Vergangenheit alles, was unser erfolgreicher Entwicklungsminister Gerd Müller gemacht hat, so schlecht war, dann frage ich mich, warum Sie dann gerade seine Programme als die Programme aufgezählt haben, die fortbestehen sollen. ({1}) Das ist das Einzige, was ich bisher von dieser Regierung zum Thema „wirtschaftliche Kooperationen“ gehört habe. Alleine deswegen ist diese Debatte heute Abend meines Erachtens schon wichtig: weil ich endlich einmal ein Bekenntnis von Ihnen höre, dass Sie auch Investitionen der Privatwirtschaft fördern wollen. Wenn Sie das noch haushalterisch unterlegen, was wir im Übrigen auch beantragt haben, dann sind Sie hier auf einem ganz guten Weg. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss für alle noch einmal zum Mitschreiben feststellen: Das Ministerium heißt „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“, es heißt nicht „Entwicklungshilfeministerium“. Deswegen ist das Thema „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ ein ganz entscheidender Aspekt und ein ganz entscheidender Punkt. Lieber Kollege Gava, wenn Sie hier jetzt so hart mit uns ins Gericht gehen, darf ich Sie einmal daran erinnern, dass die SPD mit einer Unterbrechung von vier Jahren seit 1998 dieses Land regiert. ({3}) Und Sie haben auch in Ihrer Regierungszeit in den letzten Jahren einige Punkte mitgetragen. Da waren Sie persönlich noch nicht Mitglied des Hauses; aber Sie sollten sich da vielleicht entsprechend kundig machen, bevor Sie hier mit dem Finger auf andere zeigen. Es zeigen immer drei Finger auf einen zurück. ({4}) Bei den Grünen haben wir heute wieder festgestellt, dass Wirtschaftspolitik nicht ihre Stärke ist. Das zeigt auch der Wirtschaftsminister jeden Tag. ({5}) Aber ich bin froh, lieber Kollege Hoffmann, dass die FDP ihren wirtschaftlichen Sachverstand offenbar doch noch nicht ganz verloren hat. Sie sind in den Zwängen dieser Koalition; aber daraus können Sie sich jederzeit gerne befreien. ({6}) Ich lade alle im Hause, die noch meinen, wirtschaftlichen Sachverstand zu haben, herzlich ein, unseren Antrag zu unterstützen, weil er ein guter Antrag ist – ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und weil er vor allem auch ein wichtiger Antrag für die Entwicklungszusammenarbeit und für die Entwicklungsländer ist. Herzlichen Dank. ({0})

Boris Mijatović (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005155, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Es gibt viele Arten, einen Menschen zu töten. Einige sind sogar verboten.“ Ich erinnere mich gut an dieses Zitat in einem gerahmten Bild an der Wand im Büro meines ehemaligen Chefs am Internationalen Strafgerichtshof, einem Spanier, der mich immer wieder darauf hinwies, wie wichtig es ist, die Verbrechenselemente gut im Auge zu behalten. Wir beraten heute eine Vorlage der Bundesregierung, in der Verbrechenselemente aufgeführt sind, mit denen wir die bisherigen Straftatbestände ergänzen. Und das ist gut so, das ist wichtig. Es zeigt, dass das Gericht arbeitet, und es zeigt, dass die Welt immer wieder neue Wege entwickelt und findet. Wenn Sie sich anschauen, dass das vorsätzliche Aushungern von Menschen in einem innerstaatlichen Konflikt endlich zum Straftatbestand erklärt wird, dann erkennen Sie, dass es gut und richtig ist, dass wir uns heute hier darüber unterhalten. ({0}) Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass 20 Jahre Internationaler Strafgerichtshof eine wirkliche Erfolgsgeschichte sind. Wir haben das Verfahren gegen Thomas Lubanga erlebt, der im Kongo Kindersoldaten rekrutiert hat. Wir haben eine Vielzahl von Fällen und Urteilen und eine Fortsetzung der Ad-hoc-Tribunale aus den 90er-Jahren erlebt. Wir haben mit dem Internationalen Strafgerichtshof eine bedeutsame internationale Einrichtung, die wir wertschätzen, pflegen, erweitern und schützen müssen. ({1}) Gerade in diesen Tagen, wo die Russische Föderation das Gewaltverbot der Vereinten Nationen mit Füßen tritt, mit 180 000 Mann einen Nachbarstaat, die Ukraine, überfällt und in ihn einmarschiert, müssen wir darüber reden, welche Verbrechen wir im Römischen Statut hinterlegen und welche Verfahren zu einer Anklage führen können sollten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir bei den weiteren Fragen immer auch gemeinsam mit unseren Partnern handeln. Ich bin froh, dass unsere Außenministerin hier ist und genau diese Dinge im internationalen Kontext immer wieder anspricht. Diesen Weg sollten wir weiter beschreiten, wir als Mitgliedstaat mit weiteren 122 Mitgliedstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs. ({2}) Das alles ist nicht ohne Geld und ohne Einsatz von Personal zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass wir im letzten Jahr beschlossen haben, Ermittlungsteams in die Ukraine zu entsenden, und den Etat leicht angehoben haben, den wir als Zuschuss zur Verfügung stellen. Ich bin aber genauso froh, dass der Oberstaatsanwalt in Den Haag, Karim Khan, die Ermittlungen in Myanmar, auf den Philippinen und in 14 weiteren Fällen nicht aus den Augen verloren hat und weiterhin daran arbeitet. Jeder Euro, den wir in dieses System hineingeben, schützt die Rechtsstaatlichkeit auf der Welt und sorgt dafür, dass Kriegsverbrecher nicht davonkommen. Das muss unser Vorsatz sein. Deswegen hoffe ich, dass wir hier weiter gemeinsam arbeiten und solche Anliegen interfraktionell vorantreiben können, und freue mich darüber, dass das bisher gelungen ist. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es passiert nicht so oft, dass wir als Außenpolitiker Gesetze machen. Deswegen ist es auch gut, dass die Ministerin heute hier ist. Wir haben es dieses Jahr schon zweimal gemacht, nämlich bei der Ratifizierung der Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO und machen es eben heute bei der Änderung des Römischen Statuts. Wenn man liest, um was es da geht, läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Es wird zukünftig das Herbeiführen einer Hungersnot unter Strafe gestellt; auch im eigenen Lande, etwa im Zusammenhang mit einem Bürgerkrieg. Das ist etwas, was wir in der europäischen Geschichte leider nicht zu selten erlebt haben. Stalins Verbrechen gegenüber der Ukraine sind hierfür ein Beispiel; das war ja damals innerhalb der Sowjetunion. Es wird zum Zweiten als Verbrechen bezeichnet, wenn man mit einer Laserwaffe die Menschen so blendet, dass sie davon blind werden. Das ist auch etwas, was man sich kaum vorstellen mag; aber es ist wirklich grauenhaft, was an Technik möglich ist. Das internationale Strafrecht folgt zumindest jetzt in diesem Punkt ein wenig der Entwicklung. Ich fürchte, es gibt noch ganz andere und noch viel schlimmere Waffen, die eingesetzt werden, die hoffentlich eines Tages auch hier genannt werden. Ich hoffe, dass wir nach dem Krieg Russlands gegen die Ukraine auch Gelegenheit finden werden, die zahllosen Kriegsverbrechen, die dort offensichtlich und augenscheinlich geschehen sind, bestrafen zu können, dass wir die Verantwortlichen vor den Gerichtshof zerren können, dass wir sie dort anklagen können. Das ging los mit Butscha. Aber dieser Tage sehen wir die Bilder von Drohnenangriffen auf die Zivilbevölkerung, wovon Putin behauptet, es gehe hier um irgendwelche wichtigen strategischen Punkte. Wir kennen aber alle die Bilder: Das sind Wohnhäuser in ukrainischen Städten, die aus heiterem Himmel von Drohnen iranischer Herkunft getroffen werden. Polizisten können sich nur dadurch dagegen wehren, dass sie versuchen, mit ihren Pistolen und Gewehren auf diese grauenerregenden Drohnen zu schießen, die tatsächlich zivile, unschuldige Opfer treffen. Das ist aus meiner Sicht eindeutig auch ein Kriegsverbrechen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Gesetz der Bundesregierung, mit dem Deutschland diese Änderungen billigt, selbstverständlich zustimmen. Wir hoffen auf eine ähnlich breite Mehrheit, wie wir sie auch bei der NATO-Aufnahme von Schweden und Finnland gehabt haben. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Larem, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Larem (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute im Deutschen Bundestag über die vertragliche Grundlage einer Institution sprechen, die mir sehr am Herzen liegt: der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag. Es hat wirklich sehr lange gedauert vom ersten formalen Vorschlag bis zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs. Genau genommen hat es 130 Jahre gedauert. 1872 gab es den ersten formalen Vorschlag für einen Internationalen Strafgerichtshof. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen unternahm einige Anläufe, einen Internationalen Strafgerichtshof einzurichten, scheiterte aber immer wieder, bis dann die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1997 den Auftrag erteilte, eine Konferenz zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Rom abzuhalten. Am 17. Juli 1998 konnte endlich das Römische Statut verabschiedet werden. Mit dessen Inkrafttreten am 1. Juli 2002 wurde der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Von 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind 123 dem Statut beigetreten. Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes war somit ein Meilenstein. Seither können schwerste Verbrechen von internationaler Bedeutung verfolgt und bestraft werden. Dazu gehören Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Wenn ein Land ein anderes Land grundlos angreift, also einen Angriffskrieg führt, wie wir es seit dem 24. Februar dieses Jahres in Europa wahrnehmen müssen, dann wird der Gerichtshof tätig. Angeklagt werden können nur Personen, die aus einem Land kommen, das die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes unterstützt. Das sind derzeit 123 Staaten der Welt; die EU-Länder gehören dazu. Die USA haben erklärt, dass sie mit dem Internationalen Strafgerichtshof nicht zusammenarbeiten wollen. Auch China, Indien, Israel, Kuba, Pakistan, weitere andere Staaten und Russland haben ihn nicht anerkannt. Der ungerechtfertigte, brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist auch ein Test für den Internationalen Strafgerichtshof. Denn Russland ist kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes. Jedoch hat die Ukraine dem Gericht die Zuständigkeit für Verbrechen auf ihrem Territorium übertragen, unabhängig davon, wer sie begeht. Das ist die Grundlage für Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs. Er bereitet Anklagen gegen Wladimir Putin, gegen das Oberkommando und gegen Kommandeure der russischen Armee vor. Die Beweise werden gesammelt und die Kriegsverbrechen dokumentiert, und das ist auch gut so. ({0}) Meine Damen und Herren, an dieser Stelle sage ich ganz deutlich: Kein russischer Kommandeur kann sicher sein, dass er nicht wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird. Morde an der Zivilbevölkerung, Folter und Erschießungen von Soldaten, Vergewaltigungen: All das wird eines Tages verfolgt werden; ({1}) ja, auch die Verschleppung von Kindern zur Umerziehung. Oleksandra Matwijtschuk war es, die diesen Weg zum Internationalen Strafgerichtshof für die Ukraine geöffnet hat. Sie dokumentiert schon seit Jahren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Dafür hat sie in diesem Jahr den Alternativen Nobelpreis erhalten. Herzlichen Glückwunsch zum Alternativen Nobelpreis! ({2}) Der Internationale Strafgerichtshof ist noch nicht perfekt. Es braucht wie bei allen Institutionen eine ständige Überprüfung auf Verbesserungsmöglichkeiten. Dennoch bin ich froh und sehr stolz, dass wir diese Institution geschaffen haben. Deutschland zählt zu den größten Geldgebern sowohl bei den Vereinten Nationen als auch beim Internationalen Strafgerichtshof. Wir gehören auch zu den Ländern mit der verlässlichsten Zahlungsmoral. Der 2014 gewählte Richter am Internationalen Strafgerichtshof, Herr Professor Dr. Bertram Schmitt, der übrigens wie ich in Dieburg geboren wurde und lange Jahre am Landgericht in Darmstadt in meinem Wahlkreis gearbeitet hat, ist derzeit der einzige deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. In Deutschland ist das Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 am 30. Juni 2002 in Kraft getreten. Inzwischen hat es einige Änderungen dieses Statuts gegeben, die wir heute mit diesem Gesetz umsetzen wollen. Wichtig ist dabei, dass mit diesem Gesetzentwurf die Verwendung bestimmter Waffen als Kriegsverbrechen geahndet werden kann. Es geht um die Verwendung von Waffen mit mikrobiologischen oder anderen biologischen Agenzien oder Toxinen. Es geht um die Verwendung von Waffen, deren Hauptwirkung darin besteht, durch Splitter zu verletzen, die im menschlichen Körper durch Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können. Es geht um die Verwendung von Laserwaffen, die die dauerhafte Erblindung des unbewehrten Auges verursachen. Wer unter anderem diese Waffen künftig in einem internationalen Konflikt anwendet, kann als Kriegsverbrecher bestraft werden. Eine weitere Anpassung sieht vor, dass diese Waffen auch in einem nicht internationalen Konflikt nicht angewendet werden dürfen, also auch nicht gegen die eigene Bevölkerung. In internationalen Konflikten ist das vorsätzliche Aushungern der Bevölkerung bereits ein Kriegsverbrechen. Mit diesem Gesetzentwurf wird nun die Anpassung vorgenommen, dass auch das Aushungern in nicht internationalen bewaffneten Konflikten ein Kriegsverbrechen ist. Das sind alles, wie ich meine, gute, kluge und richtige Änderungen des Römischen Statuts, die wir unbedingt in deutsches Recht umsetzen sollten. Daher empfehle ich Ihnen diesen Gesetzentwurf zur Annahme. Die einstimmige Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses stimmt mich zuversichtlich, dass auch das ganze Hohe Haus hier dieser Empfehlung folgen wird. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Larem. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Petr Bystron, AfD-Fraktion. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident, Herr Kubicki! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, ich finde es schon sehr mutig, dass Sie hier diesen Gesetzentwurf vorlegen; denn Sie stellen das Herbeiführen einer Hungersnot unter Strafe, und wenn Ihre Bundesregierung so weitermacht, dann werden Sie sich für diesen Straftatbestand vielleicht bald verantworten müssen. ({0}) Aber dieser Gesetzentwurf gibt uns die Gelegenheit, die Institution mal kurz in Augenschein zu nehmen, die das betrifft: den Internationalen Strafgerichtshof. Dieser ist nicht repräsentativ. 41 Länder haben das Römische Statut gar nicht unterzeichnet. Weitere 31 Länder, die es unterzeichnet haben, haben es anschließend nicht ratifiziert, das heißt, das Statut ist gar nicht in Kraft getreten. Darunter waren Länder wie China, Russland, USA, Indien; also die Hälfte der Menschen, die auf der Welt leben, ist gar nicht vertreten. Zu diesen 31 Ländern zählen die USA und Russland; sie haben zwar unterschrieben, sich aber eine Bedenkzeit ausbedungen und sind dann ausgestiegen. Das ist völlig unüblich. Es ist sehr selten im internationalen Recht, dass man etwas unterschreibt und dann nach zwei Jahren – wie die USA – die Unterschrift zurückzieht. Die Amerikaner sind noch viel weiter gegangen. Sie haben ein Gesetz erlassen, den American Service-Members’ Protection Act, in dem die USA die Auslieferung angeklagter US-Bürger verweigern. Das heißt, wenn US-Bürger in anderen Ländern Verbrechen begehen – zum Beispiel in Afghanistan – und der Internationale Strafgerichtshof das verfolgen will, dann sagen die USA: Nein, wir liefern sie nicht aus. – Und die USA gehen noch weiter, sie sagen: Wir nehmen uns heraus, diese amerikanischen Bürger mit militärischen Mitteln zu befreien. Also, das ist die Situation dieses Gerichtshofs. Er ist darüber hinaus auch noch ineffizient und teuer. Als Russland nach 14 Jahren seine Unterschrift zurückzog, hatte der Internationale Strafgerichtshof bereits über 1 Milliarde Dollar verschlungen und nur vier Urteile gefällt, also eine viertel Milliarde Dollar pro Urteil. Und nicht zuletzt: Dieser Gerichtshof zerfällt. Auch die Afrikanische Union hat koordinierte Maßnahmen für den Austritt beschlossen. Fünf Länder haben ihren Austritt angekündigt. Burundi ist schon ausgetreten. Und nicht nur die Afrikaner treten aus, auch die Philippinen sind ausgetreten. Zum Schluss möchte ich sagen: Gleiches Recht für alle. Gerichtsbarkeit funktioniert nur, wenn sie für alle verbindlich ist. ({1}) Ein Gerichtshof, den die USA, Russland, China und Indien nicht anerkennen, ist völlig sinnlos. ({2}) Dieser Strafgerichtshof ist eigentlich die Verkörperung des Scheiterns dieser regelbasierten Ordnung, der Sie sich so verpflichtet fühlen. Sie sollten dieses tote Pferd nicht weiter reiten. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Peter Heidt für die FDP-Fraktion. ({0})

Peter Heidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004948, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die furchtbaren Bilder, die ich ständig im Fernsehen sehe, ob aus der Ukraine, dem Iran, aus Syrien, Armenien, Aserbaidschan – die Liste ist lang und wird immer länger –, machen mich immer wieder fassungslos. Jeden Tag geschehen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der ganzen Welt. Wir Freien Demokraten sind zutiefst davon überzeugt: Jedes Kriegsverbrechen muss bestraft werden, wo auch immer es in der Welt begangen wird und von wem auch immer. Mit den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs tragen wir der Weiterentwicklung der Technik, die immer neue und oft auch grausamere Waffen hervorbringt, sowie weiteren Handlungsformen der Kriegsführung Rechnung. Der Kreativität der Grausamkeiten scheinen ja keine Grenzen gesetzt zu sein. So tragen wir dazu bei, dass der Internationale Strafgerichtshof auch in Zukunft handlungsfähig ist. Wir Freien Demokraten stehen seit jeher für die Einhaltung der universellen Menschenrechte weltweit. Menschenrechte sind für fast alle – wohl nur nicht für die AfD – die Grundlage jeder liberalen, freien Gesellschaft. Sie schaffen die Basis für Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit. ({0}) Gerade in dieser Zeit der Autokratisierung, der Entdemokratisierung von Gesellschaften weltweit – auch hier in Europa – müssen wir zeigen, dass Menschenrechtsverletzungen geahndet werden und die Täter nicht davonkommen. Der Internationale Strafgerichtshof spielt dabei eine zentrale Rolle; deshalb sind die Änderungen, die wir jetzt vornehmen, so wichtig. Aber es bedarf weiterer Reformen, auch bei unserem nationalen Völkerstrafrecht in Deutschland. So sollte zum Beispiel in der Strafprozessordnung das Nebenklagerecht für Opfer von Kriegsverbrechen explizit ausgebaut und aufgenommen werden, und im Gerichtsverfassungsgesetz sollte der betroffenen Bevölkerung die sprachliche Teilhabe an Völkerstrafverfahren ermöglicht werden. Gerade der Ukrainekrieg führt uns die Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten im Bereich des internationalen Völkerstrafrechts deutlich vor Augen. Zwar können wir im Rahmen des Weltrechtsprinzips Kriegsverbrechen überall auf der Welt verfolgen und auch Täter hier in Deutschland vor Gericht bringen, aber ausgerechnet das Verbrechen der Aggression, das Putin begangen hat, also die Ausführung eines Angriffskrieges, kann vom Tribunal in Den Haag derzeit nicht verfolgt werden, da Russland seine Unterschrift unter das Gründungsstatut in Den Haag wohlweislich zurückgezogen hat. Um Russland also zur Rechenschaft zu ziehen, bedürfte es einer entsprechenden Resolution im UN-Sicherheitsrat, zu der es aber nicht kommen wird, da Russland im Sicherheitsrat ein Vetorecht besitzt. Dass ein Land dem Römischen Statut nicht beitritt und als UN-Vetomacht im Sicherheitsrat einen Antrag zur Aufnahme von Ermittlungen gegen sich selbst blockieren kann, ist schmerzlich und untergräbt unsere Glaubwürdigkeit. ({1}) Dass Putin derzeit nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, muss angesichts des unsäglichen Leids, das Russland täglich über die Ukraine bringt, wie ein Hohn auf viele Menschen wirken. Deshalb müssen wir den Internationalen Strafgerichtshof in die Lage versetzen, zum Verbrechen der Aggression künftig auch dann ermitteln zu können, wenn der betroffene Staat nicht Unterzeichnerstaat des Römischen Statutes ist. Damit würden wir der Durchsetzung des Völkerrechts eine enorme Schlagkraft verleihen. Und wir würden als internationale Gemeinschaft auch deutlich machen, dass sich niemand hinter einem Nichtbeitritt zum Statut verstecken kann, dass weder der Nichtbeitritt noch ein Vetorecht davor schützen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch wenn wir hier sicherlich dicke Bretter bohren und jahrelange Überzeugungsarbeit leisten müssen, ist das ein Ziel, für das es sich meiner Auffassung nach lohnt zu kämpfen. Die Freien Demokraten denken aber auch über eine Übergangslösung in Form eines Sondertribunals für die Verbrechen in der Ukraine nach. So – und ich fürchte, nur so – wird es uns gelingen, direkt gegen Putin und seine engsten Vertrauten vorzugehen. Damit zeigen wir nicht nur den Opfern, sondern der ganzen Welt, dass die internationale Gemeinschaft kein zahnloser Tiger ist; gerade auch mit Blick auf Taiwan sollten wir dies als enorm wichtig erachten. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Andrej Hunko das Wort. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist seit 2002 Vertragsstaat des in Kraft getretenen Römischen Statuts, mittels dessen der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet wurde. Er hat Gerichtsbarkeit für die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Jetzt gibt es Änderungen, die wir unterstützen, darunter, dass auch der Einsatz biologischer Waffen unter Strafe gestellt werden kann, der Einsatz von Waffen, deren Hauptwirkung darin besteht, durch Splitter zu verletzen, ohne dass die Verletzungen durch Röntgenstrahlen entdeckt werden können, sowie Laserwaffen, die eingesetzt werden, um Menschen blind werden zu lassen. Des Weiteren zählt das vorsätzliche Aushungern der Zivilbevölkerung als Kriegsverbrechen. Diese Änderungen des Römischen Statuts stehen nicht im Widerspruch zu unserer Kritik am Internationalen Strafgerichtshof. Deswegen werden wir dem Gesetz zustimmen. ({0}) Die USA, die Türkei, China, Indien, Russland, Israel sind einige der Staaten, die das Römische Statut nicht unterzeichnet oder nicht ratifiziert oder die Unterzeichnung wieder zurückgezogen haben. Das führt dazu, dass der Internationale Strafgerichtshof bislang vor allem als Instrument gegen afrikanische Präsidenten, gegen afrikanische Staatsoberhäupter eingesetzt wird, während westliche und andere Kriegsverbrechen und Angriffskriege nicht aufgegriffen werden. Wir fordern zum Beispiel auch die strafrechtliche Aufarbeitung etwa des Irakkriegs, der dortigen Kriegsverbrechen, oder auch der Kriegsverbrechen in Afghanistan. ({1}) Die Drohungen der US-Regierung, gegen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs bei Ermittlungen gegen US-Soldaten Sanktionen zu verhängen, haben wir als inakzeptabel verurteilt. Das ist unsere Kritik: dass dieser Gerichtshof nicht wirklich gleiches Recht für alle sprechen kann. Gleichwohl halten wir die jetzigen Änderungen für sinnvoll und werden ihnen zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kriege und bewaffnete Konflikte sind eine zivilisatorische Tragödie. Umso mehr muss klar sein, dass jeder, der in diesem Zusammenhang Verbrechen begeht, belangt wird und dass am Ende die Gerechtigkeit siegt. Auch die Stärke des Rechts ist eine wichtige internationale Errungenschaft. Dazu gehört auch die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs. Viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit in vielen Teilen der Erde sind von diesem Gerichtshof bereits angeklagt und verurteilt worden. Und ich bin froh, dass wir heute den Katalog der anklagewürdigen Straftaten erweitern können. ({0}) Mit dem heutigen Ratifizierungsgesetz wird beispielsweise auch geregelt, dass jeder, der bei einem internationalen oder einem innerstaatlichen Konflikt Hilfstransporte blockiert, strafrechtlich belangt werden kann. Das gilt ebenso, wenn Hunger als Waffe eingesetzt wird, nicht nur in einem internationalen Konflikt, sondern auch in innerstaatlichen Auseinandersetzungen. Und da wir beim Thema „Hunger als Waffe“ sind, will ich folgende Bemerkung machen: Herr Kollege Bystron, Ihre Einlassungen und Anspielungen in Richtung der Bundesaußenministerin sind jenseits dessen, was wir hier im Deutschen Bundestag akzeptieren können und dürfen. ({1}) Wir richten unseren Blick auch auf die Verbrechen, die in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg verübt werden. Und ja, wir haben hier rechtlich eine schwierige Situation. Weder Belarus noch Russland oder die Ukraine sind Vertragsstaaten des ICC. Es wäre wichtig, dass in diesem Konflikt auch das Verbrechen der Aggression bestraft wird, weil es wesentliche Beweislastschwierigkeiten gibt, wenn es um die Frage der Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht. Auch wenn sich dieser Gerichtshof nicht direkt damit befassen kann – der UN-Sicherheitsrat ist in dieser Frage wohl blockiert –, so ist es dennoch wichtig, dass er Ressourcen bekommt, um Sachverhaltsaufklärung zu leisten, ähnlich übrigens wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ich möchte, dass die Weltgemeinschaft stark ist, dass sie in der UN-Vollversammlung eine Fortentwicklung des Völkerrechts auf den Weg bringt, damit in einem Sondertribunal nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch das Verbrechen der Aggression, das in diesem Krieg begangen wird, abgeurteilt werden kann. Das wäre eine wesentliche Aufarbeitung dieser Grausamkeiten, die in der Ukraine stattfinden. Das Recht muss am Ende stärker sein, und die Gerechtigkeit muss auch in der Völkergemeinschaft zu ihrem Recht kommen. In diesem Sinne stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. ({2})

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über einen Antrag zum sogenannten Härtefallfonds. In diesem Antrag der Union geht es um Anerkennung und Gerechtigkeit. Es war und ist uns ein Herzensanliegen, Menschen, die Benachteiligung und Diskriminierung erfahren mussten und auch deshalb nur sehr kleine Renten erhalten, in besonderer Form zu unterstützen. Es geht um Menschen, deren individuelle Situation in der großen Rentenüberleitung Ost-West nicht ausreichend Beachtung fand, Spätaussiedler, die wegen ihrer deutschen Herkunft in der Sowjetunion vertrieben und diskriminiert wurden, und jüdische Zuwanderer, deren Familien unter nationalsozialistischer Verfolgung litten. Aufgrund ihrer bewegten Biografien und Ortswechsel ergeben sich rentenrechtliche Fragen und Härten. Als Union sind wir davon überzeugt, dass Deutschland gegenüber diesen Menschen eine besondere Verantwortung trägt. ({0}) Die unionsgeführte Bundesregierung ist deshalb in der letzten Legislaturperiode dafür eingetreten, für diese Gruppen einen Härtefallfonds aufzusetzen. ({1}) 1 Milliarde Euro wurden dafür in den Haushaltsplan für dieses Jahr eingestellt, und den gleichen Betrag sollten die Bundesländer zuschießen, womit der Fondsumfang insgesamt 2 Milliarden Euro betragen hätte. Entgegen ihrem Versprechen kürzte die Ampel den vorgesehenen Bundesanteil zunächst um die Hälfte auf 500 Millionen Euro. ({2}) Und jetzt nimmt sie sogar ein Scheitern des Härtefallfonds billigend in Kauf. ({3}) Denn eine Beteiligung der Länder ist auch Mitte Oktober nicht abzusehen. Ich muss ganz klar sagen: Es ist feige, die Verantwortung hier den Ländern zuzuschieben. ({4}) Denn es hindert niemand den Bund daran, den versprochenen Anteil von 1 Milliarde Euro auch ohne die Länder zu leisten. ({5}) Wichtig wäre aber, zumindest über den Stand der Ländergespräche zu informieren; denn das sind Sie vor allem den Betroffenen schuldig. Sie wissen, dass von den Betroffenen eine Anerkennung lang und zäh erkämpft wurde. Sie wissen, dass diesen Menschen eine finanzielle Unterstützung durch den Fonds bereits versprochen wurde. Die Menschen hoffen darauf, gerade in diesen Zeiten. Sie, liebe Ampelfraktionen, riskieren, dieses Versprechen zu brechen. Darum fordern wir Sie auf, zu handeln und schnell Fortschritte in den Ländergesprächen zu erzielen. ({6}) Und falls diese scheitern: Setzen Sie den ursprünglich von der CDU/CSU geplanten Bundesanteil schnellstmöglich um, und beweisen Sie, dass Ihnen Altersarmut und das Schicksal dieser Menschen nicht egal sind. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Rasha Nasr für die SPD-Fraktion. ({0})

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich jetzt doch sehr, Frau Klein: Es gab doch auch in der letzten Legislaturperiode die Möglichkeit, diesen Fonds umzusetzen. Warum haben Sie das denn nicht gemacht? ({0}) Warum haben Sie denn nicht mit uns gemeinsam daran gearbeitet, diesen Fonds umzusetzen? ({1}) – Beruhigen Sie sich doch mal. – Ich bitte Sie inständig, anstatt hier große Reden zu schwingen, Ihren Beitrag dazu zu leisten, ({2}) dass die Bundesländer und auch Ihre Regierungschefs endlich zu einer Lösung kommen und sich an der Finanzierung beteiligen, so wie es nicht nur in diesem, sondern bereits im letzten Koalitionsvertrag festgehalten war. ({3}) Es sind mittlerweile auf verschiedenen Ebenen viele Gespräche mit den Ländern geführt worden. Die zuständigen Haushälter/-innen – an dieser Stelle ein großes Dankeschön dafür – sind mehrfach auf die Regierungschefinnen und ‑chefs der Länder zugegangen. Diese verweigern überwiegend eine Antwort. ({4}) Nichts kommt von den Ländern. Je länger diese Blockade aufrechterhalten wird, desto unwahrscheinlicher wird eine zeitnahe Lösung. ({5}) Aber wir brauchen die Länder dringend bei der Realisierung dieses Fonds. Der ursprüngliche Gedanke dieses Fonds war, die verschiedenen Gruppen von Ostrentnerinnen und ‑rentnern mit Zahlungen zu bedenken. 2018 wurden mit den jüdischen Kontingentflüchtlingen und den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern weitere Gruppen im Härtefallfonds bedacht, und das ist richtig so. Ich appelliere an alle – sowohl hier im Haus als auch in den Ländern –: Lassen Sie nicht zu, dass diese Gruppen gegeneinander ausgespielt werden! ({6}) Es ist eben keine Rentenfrage, werte Union. Es geht hier um die Abmilderung von Härten. Das wurde bereits in den verschiedenen Instanzen juristisch ausverhandelt. Dieses Fass jetzt wieder aufzumachen, ist reine Stimmungsmache. ({7}) Es geht hier um den Respekt und die Anerkennung der Lebensleistung der 180 000 bis 190 000 Menschen, die Gelder aus diesem Fonds bekommen sollen. Das ist das Mindeste, was wir jetzt noch tun können und tun müssen, werte Kolleginnen und Kollegen. Das alles ist kein Konflikt Ost/West oder Spätaussiedler/Rest. Ob in Aachen oder in Dresden: Alle empfinden es als ungerecht, im Alter trotz geleisteter Arbeit nicht abgesichert zu sein. Diesen Menschen zumindest ein Stück Gerechtigkeit zu verwehren, ist falsch. Ich stehe hier heute als Verfechterin der Interessen ostdeutscher Rentner/-innen, die seit Jahrzehnten darum kämpfen, Gerechtigkeit zu erfahren. ({8}) Für diese Menschen geht es auch um eine soziale Befriedung der Einheit. Was denken Sie, was es auch mit den Kindern und Enkeln der Betroffenen macht, wenn sie sehen, dass die Bundesländer jetzt nicht mal bereit sind, ihren Eltern und Großeltern die Gerechtigkeit zukommen zu lassen, die ihnen zusteht? ({9}) Es macht mich betroffen, wenn ich die Geschichten der Menschen höre, und es macht mich sauer, dass dieser Fonds nicht schon in der letzten Legislaturperiode umgesetzt wurde, werte Union. Diese Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben, die sich den Herausforderungen der Nachwendezeit gestellt haben und die vor allem darauf vertraut haben, im Alter abgesichert zu sein, stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Sie haben darauf vertraut, dass das für sie neue System sich auch um sie kümmern und ihre Belange hören wird. Deshalb bin ich dankbar, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dass Minister Hubertus Heil und auch die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese mit Hochdruck daran arbeiten, ({10}) zu einer Lösung mit den Bundesländern zu kommen. ({11}) – Entspannen Sie sich doch mal. Es ist gleich schon 21.30 Uhr. Immer mit der Ruhe; denken Sie an den Blutdruck. Die Betroffenen waren immer kompromissbereit, aber sie kommen leider immer wieder unter die Räder der Spielchen mit den Ländern. Der Bund steht bereit. Unsere Hand ist ausgestreckt. ({12}) Lassen Sie uns alle noch einmal Anlauf nehmen und Gespräche mit unseren Bundesländern führen. Lassen Sie uns zusammen mit den Ländern bis Ende des Jahres eine Lösung herbeiführen. Es geht um nicht weniger als den Respekt und die Anerkennung der Lebensleistung der betroffenen Menschen. Das ist eine historische Chance, die sich uns bietet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing für die AfD-Fraktion. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Zunächst einmal: Es freut mich außerordentlich, dass die Union sich doch noch an einige ihrer Rentenversprechen erinnert, nämlich an das Versprechen, eine tragfähige Lösung für die Menschen zu schaffen, die im Zuge der Rentenüberleitung aus dem Rentensystem der DDR in das der Bundesrepublik benachteiligt wurden. Wir haben es eben gehört: Das betrifft vor allem bestimmte Berufsgruppen, aber auch die nach DDR-Recht geschiedenen Frauen. Systematisch anders, aber auch betroffen sind nach wie vor Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge. Nach 30 Jahren deutscher Einheit, nach 16 Jahren CDU-geführter Merkel-Regierung und jahrzehntelangen satten Mehrheiten im Bundesrat: eine reife Leistung. Es hat tatsächlich bis 2018 gedauert, bis CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag versprachen, das Thema anzugehen. Doch passiert ist nichts, zumindest nichts, was sich in Euro und Cent auf dem Konto der betroffenen Menschen gezeigt hätte. ({0}) Und wie wir nun heute sehen, arbeitet die Ampel nach demselben Prinzip: viel reden, wenig handeln. Vielleicht erinnern Sie sich: Wir als AfD waren diejenigen, die bereits 2019 den Antrag „Ostdeutsche Arbeitnehmer würdigen – Fondslösung mit Einmalzahlungen“ vorgelegt haben. Denn wir hatten die Sorge, dass angesichts der vielen betagten Rentner gar keine Zeit mehr bleibt, um für jede einzelne Gruppe ausdifferenzierte Lösungen zu erarbeiten. Deshalb haben wir eine sehr pragmatische und gut umsetzbare Fondslösung vorgeschlagen – außerhalb des SGB VI, mit pauschalierten Einmalzahlungen und steuer- und sozialabgabenfrei. Diesen Antrag haben Sie als CDU/CSU abgelehnt. Damals versprachen Sie und Ihre Kollegen von der SPD allerdings noch eine eigene zeitnahe Lösung. In der Debatte verstieg sich der Kollege Diaby von der SPD sogar zu dem Satz: „Das Problem können wir endgültig nur lösen, wenn die Sozialdemokratie das Sagen hat“. ({1}) Das war im Mai 2021. Nun stelle ich fest: Es ist so weit. Und was ist passiert? ({2}) – Ach so. – Die vorgesehenen Mittel für den Fonds zur Abmilderung der Härtefälle wurden nicht nur halbiert, es besteht sogar die Gefahr, dass sie gestrichen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren warten die betroffenen Rentnerinnen und Rentner auf Gerechtigkeit. Wir haben nicht viel Zeit. Es war ein Lichtblick, als sich die 2018 eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2020 gemeinsam mit den Betroffenenverbänden für einen Härtefallfonds ausgesprochen und damit den Weg für eine zeitnahe Umsetzung bereitet hatte. Endlich schien es, als ob dieses längst überfällige Zeichen der Wertschätzung in greifbarer Reichweite wäre. Und nun erleben wir, wie erneut Bund und Länder gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen. Dass gerade ein Land wie Brandenburg sich mit dem Hinweis „Rentenrecht ist Bundesrecht“ aus der finanziellen Verantwortung stehlen will, ist geradezu erbärmlich. ({3}) Wir als AfD wollen das nicht zulassen. Deswegen sind wir bereit, den hier vorliegenden Antrag mitzutragen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nächster Redner ist Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin schon einigermaßen konsterniert, in welcher Art und Weise eine pragmatische und eigentlich doch fraktionsübergreifend in der letzten Legislatur verhandelte Lösung hier genutzt wird, um Ost-West-Gegensätze aufzubauen ({0}) und auf dem Rücken von Personen, die in der Nähe der Grundsicherung sind – denn von diesen reden wir –, parteipolitische Kleinschlachten zu schlagen. Das muss ich wirklich sagen. ({1}) In der vergangenen Wahlperiode – Anlass war ursprünglich ein gemeinsamer Antrag von FDP, Linken und Grünen zur Situation jüdischer Kontingentflüchtlinge – haben wir, die damalige demokratische Opposition, gemeinsam mit der Großen Koalition viele Stunden und Tage – über einen längeren Zeitraum – verhandelt und sind zu dieser Fondslösung gekommen. Die Linke und wir wollten eigentlich eine Lösung nach dem Fremdrentenrecht. Wir haben uns dann extra auf so einen breiten Konsens verständigt. Dass es damals zu einer Zusammenarbeit zwischen Union und der Linken gekommen ist, zeigt ja, dass das Ganze in einem parlamentarischen Einvernehmen stattgefunden hat und dass wir gerade keine Spaltung dieses Landes wollten. Vielmehr wollten wir ein von den Betroffenen als Gerechtigkeitsproblem, als biografische Wunde empfundenes Problem ein Stück weit heilen – im Grunde in weiten Teilen auch nur symbolisch. Denn tatsächlich bekommen das ja gar nicht alle, die von der Ost-West-Rentenüberleitung betroffen sind, sondern nur bestimmte Gruppen und auch nur dann, wenn sie in der Nähe der Grundsicherung sind. Man muss auch sagen, dass der Betrag – ob die ursprüngliche Summe oder die neu vorgesehene Summe – ({2}) jetzt auch nicht die Welt gewesen wäre. Aber die Betroffenen haben gesagt: Das ist wenigstens ein Zeichen der Anerkennung und zeigt, dass diese Problematik wahrgenommen wird. Ich muss an dieser Stelle auch sagen, dass es verschiedene Länderparlamente gab, wo ebenso fraktionsübergreifend – von Linke über Grüne und SPD bis zur CDU – beschlossen wurde, dass man angesichts der Situation der jüdischen Kontingentflüchtlinge etwas machen muss. Wenn solche Initiativen in Länderparlamenten fast einstimmig beschlossen werden, dann, finde ich, kann man auch die Erwartung haben, dass sich diese Länder beteiligen. ({3}) Es handelt sich um eine gesamtstaatliche Aufgabe und Verantwortung. Der in Rede stehende Betrag – der Länderanteil von jetzt 500 Millionen Euro – ist, wenn man das auf alle Bundesländer verteilt, nicht in einer Höhe, dass es die Landesfinanzen der einzelnen Länder überfordern würde. Anlässlich der akuten Krisen und des Krieges reden wir in anderen Bereichen ja über ganz andere Summen. Wir hätten jetzt die große Chance, ({4}) endlich für verschiedene Gruppen eine Lösung zu finden. Ihnen liegen ja auch besonders die Spätaussiedler am Herzen. ({5}) Es gibt die Problematik in Ostdeutschland. Ich finde, das ist der Punkt, an dem man jetzt wirklich mal springen und sagen muss: Wir zollen ein Stück weit Anerkennung, und wir erkennen mit dieser Zahlung – auch mit Blick auf diejenigen, die nicht in ihren Genuss kommen – an, dass es Verwundungen und Brüche gegeben hat. Ich hoffe, Sie besinnen sich wieder und tragen das jetzt nicht in dem Geiste weiter. ({6}) Dass Sie jetzt hier Ost-West-Fights ausmachen, wird dem Ernst der Lage, den Betroffenen und ihren Gefühlen nicht gerecht. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Beiträge von Sören Pellmann für Die Linke und Kathrin Michel für die SPD nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Das Wort hat Dr. Silke Launert für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Verantwortung, Vertrauen, Verlässlichkeit: Ja, das sind drei Worte, die bezeichnen, worauf es ankommt – nicht nur im Privaten, nicht nur in der Familie, im Freundeskreis, nein, gerade auch, wenn man politische Verantwortung und Regierungsverantwortung hat. Und da hilft es gar nichts, wenn jetzt die beiden Redner der Ampel so tun, als wäre da nichts dran und als wäre das irgendeine Show der Union. Ich kann Ihnen nur empfehlen – Frau Nasr, Sie haben es offensichtlich nicht getan –: Werfen Sie einfach mal einen Blick in den Haushalt, nur mal ganz kurz! Der von der Großen Koalition für 2022 vorgelegte Haushalt hat 1 Milliarde Euro für diesen Härtefallfonds vorgesehen. Was macht die Ampel? Sie reduziert es auf 500 Millionen Euro. Und im Haushalt des nächsten Jahres, 2023, steht drin: Null, nichts! – Wir waren dann alarmiert und haben gesagt: Das geht doch nicht; das war ein Versprechen. – Übrigens war das ein Versprechen, das Sie ja selbst in den Koalitionsvertrag geschrieben haben: ({0}) „Wir setzen den geplanten Fonds aus der 19. Wahlperiode zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung auch für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler um.“ Und dann war da nichts mehr drin. ({1}) – Führen Sie keine alten Kämpfe. Sie haben hier eine Vereinbarung, aber Sie haben nichts Entsprechendes vorgesehen. ({2}) Und der Minister war in der Großen Koalition in der letzten Legislaturperiode derselbe wie in der jetzigen. ({3}) Nur weil wir Druck machen, bewegt sich jetzt etwas. Ich bin ja froh, dass mir jetzt einige im Haushaltsausschuss signalisieren, dass das jetzt kommen soll. Ganz klar aber: Ohne unseren Antrag, ohne das Druckmachen, wäre das nicht passiert. Deswegen: Bitte jetzt noch mal in die Verhandlungen mit den Ländern gehen; denn lieber wären uns die 2 Milliarden Euro. Aber wenn Sie das jetzt nicht mehr zustande bringen, dann machen Sie das Mindeste, was von Anfang an vereinbart war: Planen Sie wenigstens die 1 Milliarde Euro ein, und sorgen Sie dafür, dass sie im nächsten Haushalt, im Haushalt 2023, drin ist. ({4}) Die Leute haben sich darauf verlassen. Enttäuschen Sie sie nicht! Nichts ist schlimmer in der Politik, als wenn man das Vertrauen verliert. ({5}) Schönen Abend. ({6})

Benjamin Strasser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004908

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der europäische Binnenmarkt ist der Grundpfeiler unseres Wohlstands. Von europäischen Unternehmen, die die Freiheit haben, sich grenzüberschreitend zu organisieren und damit ihre Kraft zum Wohle aller zu entfalten, profitieren wir, profitiert ganz Europa. Es muss daher unser Ziel sein, die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf den internationalen Märkten zu stärken. Und genau das tun wir mit dem Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie. Wir schaffen damit erstmals einen sicheren Rechtsrahmen. Dabei haben wir drei Hauptanwendungsfelder grenzüberschreitender Umwandlungen im Blick: den Formwechsel, die Verschmelzung und die Spaltung von Kapitalgesellschaften. – Wir erweitern die Handlungsräume für Unternehmen, damit sie ihre Ressourcen optimal einsetzen und bündeln können. Zugleich stärken wir die Rechte von Gesellschaftern, Arbeitnehmern und Gläubigern. Lassen Sie mich kurz die Kernpunkte des Gesetzes nennen: Erstens. Für grenzüberschreitende Umwandlungen führen wir ein rechtssicheres, europaweit kompatibles Verfahren ein, bei dem die beteiligten Handelsregister digital miteinander kommunizieren. In Zukunft wird die Umwandlungsbescheinigung direkt über das Europäische System der Registervernetzung übermittelt. Zweitens. Wir vereinheitlichen die Rechte der Minderheitsgesellschafter. Bislang behandelt das Gesetz die Gesellschafter der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft unterschiedlich, wenn es um ihren Rechtsschutz geht. Diese Ungleichbehandlung wird von der Praxis schon seit Jahren kritisiert. Wir schaffen sie endlich ab. ({0}) Das Spruchverfahren steht künftig in gleicher Weise beiden Gruppen von Minderheitsgesellschaftern zur Verfügung. Drittens. Wir ermöglichen es Aktiengesellschaften, zusätzliche Aktien auszugeben, wenn eine Gesellschaftergruppe im Zuge der Umwandlung nicht genug Anteile erhalten hat. Bislang räumt das Gesetz in solchen Fällen nur die Möglichkeit einer baren Zuzahlung ein. Diese Geldschuld belastet aber die Liquidität der Gesellschaft. Dem helfen wir ab. Die Ausgabe neuer Aktien schont das Gesellschaftsvermögen, erleichtert Investitionen und gewährt den Aktionären volle Teilhabe. Viertens. Arbeitnehmer erhalten bei grenzüberschreitenden Umwandlungen ihrer Arbeitgeber eigene Rechte auf frühzeitige und umfassende Informationen über das Umwandlungsvorhaben, um ihre Rechte effektiv wahrnehmen zu können. Bei Vorliegen von Anhaltspunkten müssen die Gerichte insbesondere im Rahmen einer Missbrauchskontrolle prüfen, ob die grenzüberschreitende Umwandlung zu missbräuchlichen, betrügerischen oder kriminellen Zwecken vorgenommen werden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir modernisieren als Koalition das Umwandlungsrecht umfassend. So wird beispielsweise das Spruchverfahren insgesamt effizienter ausgestaltet. Dieses Gesetz leistet wichtige Beiträge zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, des nachhaltigen Wachstums und zur Erschließung neuer Märkte. Wir stärken mit diesem Gesetz zudem das weitere Zusammenwachsen Europas, indem wir wieder ein Stück mehr Rechtssicherheit schaffen. In diesem Sinne bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich um Ihre Zustimmung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Stephan Mayer das Wort. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir als CDU/CSU-Fraktion begrüßen vom Grundsatz her die Vorlage dieses Novellierungsgesetzes zum Umwandlungsgesetz. Aber, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich muss sagen: Mit der Zustimmung ist es noch nicht so weit. Wir sind in der ersten Lesung, und es kommt noch eine Anhörung, bei der wir uns sehr intensiv mit den Sachverständigen und mit den eingegangenen unterschiedlichen Stellungnahmen der Interessenverbände beschäftigen werden. Wir stehen leider, Herr Staatssekretär, unter Zeitdruck, weil die Bundesregierung es nicht verstanden hat, diesen wichtigen Gesetzentwurf früher vorzulegen. Die Umwandlungsrichtlinie vom 27. November 2019 ({0}) sieht eine Umsetzungsfrist bis zum 31. Januar nächsten Jahres vor. Aus meiner Sicht wäre es dringend erforderlich gewesen, dass uns dieser Gesetzentwurf frühzeitiger vorgelegt worden wäre. ({1}) Ich kann Ihnen eines sagen: Für uns als CDU/CSU-Fraktion stehen bei diesem Gesetzentwurf der Schutz der Gläubiger, der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Schutz der Minderheitsgesellschafter vor allem. Wir begrüßen es durchaus, Herr Staatssekretär, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf teilweise sogar über die Umwandlungsrichtlinie hinausgeht, indem auch rein innerstaatliche Fälle von Umwandlungen, Aufspaltungen bzw. Verschmelzungen mit umfasst werden. Ich glaube, das ist aus Gründen der Rechtssicherheit und der Planungssicherheit für die Unternehmen durchaus von Vorteil. Wir haben aber auch noch bestimmte Punkte, die wir uns sehr intensiv ansehen wollen. Ich darf Ihnen kurz drei Punkte nennen: Der erste Punkt ist die Frage: Wie gehen wir mit Anwartschaften um, die im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge erworben wurden? Es ist ein wichtiger Punkt, insbesondere auch bei Spaltungen von Unternehmen, die einen Auslandsbezug aufweisen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ihrer berechtigten Ansprüche aus der betrieblichen Altersvorsorge verlustig gehen, wenn es zu einer internationalen Aufspaltung eines Unternehmens kommt. Ein zweiter sehr wichtiger Punkt ist das Thema der Missbrauchskontrolle, das Sie angesprochen haben. Wir begrüßen es, dass nach diesem neuen Gesetzentwurf die Registergerichte verpflichtet werden, zu prüfen, ob Umwandlungen oder Spaltungen zu missbräuchlichen, kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorgenommen werden. Das ist vom Grundsatz her zu begrüßen. Was aber aus meiner Sicht sehr vorsichtig zu behandeln ist, ist die Frage, wie man mit berechtigten Verschwiegenheitsverpflichtungen von Notaren oder auch von Rechtsanwälten bei dieser Missbrauchskontrolle der Registergerichte umgeht. Dritter Punkt. Wir begrüßen es vom Grundsatz her auch, dass das Spruchverfahrensgesetz im Rahmen dieses Gesetzespaketes mit novelliert wird. Das Spruchverfahren insgesamt muss schneller, unbürokratischer ablaufen. Deswegen begrüßen wir es, dass der anwaltschaftliche Vertretungszwang im Spruchverfahrensgesetz mit eingeführt wird. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie gesagt, der Gesetzentwurf war dringendst überfällig; er ist jetzt endlich bei uns im Bundestag. Wir werden uns in den nächsten Wochen, zeitnah, damit beschäftigen. Aber ich sage auch ganz offen: Hier darf die Eilbedürftigkeit des Gesetzgebungsverfahrens – Stichwort „31. Januar kommenden Jahres“ – die Qualität des Gesetzes nicht unterminieren. Deswegen werden wir als Unionsfraktion auch sehr intensiv darauf blicken, ob hier nicht durchaus auch noch Fehler behoben werden müssen, die sich derzeit im Regierungsentwurf befinden. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag von Esra Limbacher für die SPD nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Fabian Jacobi für die AfD-Fraktion. ({1})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einmal mehr befinden wir uns als Deutscher Bundestag in der Situation, dass wir etwas praktizieren dürfen, das man vielleicht „betreute Gesetzgebung“ nennen könnte. Die EU hat eine Richtlinie erlassen. Über das, was uns damit vorgegeben ist, müssen wir nicht mehr groß nachdenken. Wir müssen halt ausführen, was uns aufgetragen wurde, und dürfen dabei die Einzelheiten noch ein wenig nach unserem Gusto ausschmücken. Das ist bequem, und wenn etwas sich hinterher als weniger gelungen herausstellt, nun, dann trägt im Zweifel halt Brüssel die Verantwortung, aber nicht wir. ({0}) Verminderte Verantwortung bei vollen Bezügen: Wer wüsste das nicht zu schätzen? Als AfD lehnen wir keineswegs die friedliche Zusammenarbeit der Völker Europas ab – ganz im Gegenteil –, wohl aber die EU in ihrer gegenwärtigen Form. Dies aus zwei Gründen: weil jede Abtretung von Gesetzgebungszuständigkeiten von einem nationalen Parlament an die EU ein Weniger an Demokratie bedeutet und weil die EU als zentralistische Organisation ihrem Wesen nach auf Vereinheitlichung aus ist. ({1}) Man nennt es zwar euphemistisch „Harmonisierung“, gemeint ist mit diesem blumigen Ausdruck aber ganz banale Gleichmacherei. Wenn aber das Wesen Europas gerade in der Vielgestaltigkeit seiner Völker und Kulturen liegt, dann zerstört die EU notwendigerweise das, was Europa eigentlich ausmacht. ({2}) Dieses vorweggeschickt – denn das Richtige kann man gerade hier nicht oft genug sagen –, muss man bei dem vorliegenden Gesetzentwurf vielleicht etwas weniger Bauchschmerzen haben als bei anderen Gegenständen; denn es geht hier um die Verschmelzung, Aufspaltung oder Umwandlung von Kapitalgesellschaften über Staatsgrenzen hinweg, also um etwas, bei dem auch ein gewisses Maß an Übereinstimmung der beteiligten Rechtsordnungen sinnvoll erscheinen kann. Der Überweisung in den Rechtsausschuss stimmen wir natürlich zu. Wir haben dort auch bereits die Durchführung einer Sachverständigenanhörung zum Inhalt des Gesetzentwurfs beschlossen. Der sehen wir mit Interesse entgegen. Dabei kann dann hoffentlich auch der eine oder andere Punkt noch näher beleuchtet werden, der nach dem jetzigen Stand des Entwurfs problematisch erscheint. Um nur ein Beispiel zu nennen – der Kollege hat es gerade auch schon getan –: Es wird in einigen Stellungnahmen auf die Gefahr hingewiesen, dass bei der formwechselnden Verlagerung einer Gesellschaft aus Deutschland ins Ausland womöglich die Ansprüche von Arbeitnehmern aus einer betrieblichen Altersversorgung in ihrer Werthaltigkeit und Durchsetzbarkeit gefährdet sein könnten. Solche Bedenken müssten natürlich ausgeräumt werden, bevor eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf in Betracht gezogen werden kann. Nach der Anhörung nächsten Monat wissen wir dazu hoffentlich mehr. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag von Dr. Till Steffen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Das Wort hat der Kollege Pascal Meiser für die Fraktion Die Linke. ({1})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer wieder hebeln auch große deutsche Unternehmen die wirtschaftliche Mitbestimmung der Beschäftigten und der Gewerkschaften aus, indem sie ihre deutsche Rechtsform in eine ausländische Rechtsform umwandeln, für die das deutsche Mitbestimmungsrecht leider nicht gilt. Mit der Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie gäbe es nun die große Chance, genau solchen Tricksereien einen Riegel vorzuschieben. Doch leider ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung in dieser Frage eine einzige Enttäuschung. An anderer Stelle versprechen Sie vollmundig den Schutz der Unternehmensmitbestimmung, aber an dieser Stelle, wo Sie es könnten, wollen Sie nichts dafür tun; dafür fehlt mir wirklich jegliches Verständnis, meine Damen und Herren. ({0}) Ihrem Gesetzentwurf zufolge sollen die zuständigen Registergerichte bei einem Wechsel der Unternehmensrechtsform die Ausstellung von Formwechselbescheinigungen bei Hinweisen auf missbräuchliche Zwecke verweigern. Richtig so! Doch was Sie nicht tun, ist, festzuschreiben, dass ein solcher Missbrauch vorliegt, wenn der Wechsel der Rechtsform allein mit dem Ziel vorgenommen wird, die deutsche Unternehmensmitbestimmung zu umgehen – und das, obwohl die EU-Umwandlungsrichtlinie gleich mehrfach auf die Notwendigkeit des Schutzes der Mitbestimmung abhebt. Ich sage Ihnen: Das muss dringend korrigiert werden. Das hat Ihnen ja auch der Deutsche Gewerkschaftsbund heute noch einmal unmissverständlich mit auf den Weg gegeben. ({1}) Schreiben Sie deshalb im weiteren Gesetzgebungsprozess unzweideutig fest, dass die Registergerichte die Ausstellung einer Formwechselbescheinigung verweigern müssen, wenn es Hinweise auf einen solchen Missbrauch gibt, und stellen Sie explizit klar, dass dies der Fall ist, wenn im Zielland – also in dem Land, in dessen dort geltender Rechtsform die Rechtsform des Unternehmens umgewandelt werden soll – keine Wertschöpfung erbracht wird oder der Verwaltungssitz der Gesellschaft in Deutschland verbleibt! ({2}) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Nur so kann das vorliegende Gesetz dazu beitragen, dass Mitbestimmungstricksereien künftig ein Riegel vorgeschoben wird und die Mitbestimmung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften zumindest ein klein wenig besser geschützt wird. Vielen Dank. ({3})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der Linkenfraktion, ({0}) die Mindestrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben zu erhöhen. Der Antrag wurde schon am 18. März 2022 eingebracht, und zwischenzeitlich hat auch eine Anhörung stattgefunden. In der Anhörung gab es die Wünsche verschiedenster Seiten, dem Ansinnen beizutreten. Auch wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben grundsätzlich Sympathie dafür. Aber grundsätzlich muss man auch feststellen: Das bedeutet dann auch – das ist natürlich die Kehrseite der Medaille – eine Beitragserhöhung für die in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten. Daneben müssen wir feststellen, dass uns persönlich die Form der Finanzierung der Erhöhung der Mindestrücklage angesichts der Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger in der jetzigen Zeit nicht gefällt. Deswegen ist hier der verständliche Wunsch der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben anzuheben, meines Erachtens nicht zu erfüllen, noch dazu, weil wir derzeit und wohl auch weiterhin – die Rentenversicherung hat die Zahlen noch nicht bekannt gegeben; die warten ja mit ihren eigenen Zahlen, bis die Steuerschätzung kommt; aber ich bin da optimistisch – 1,6 Monatsausgaben als Rücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung zu verzeichnen haben. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Wir wissen, dass zum 1. Januar 2023 die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,3 Prozent steigen werden. Möglicherweise muss auch der Beitrag zur Pflegeversicherung steigen. Der Arbeitslosenversicherungsbeitragssatz steigt von 2,4 auf 2,6 Prozent. Von daher passt es, glaube ich, nicht in die Landschaft – noch dazu bei einer Rücklage von 1,6 Monatsausgaben, die wir derzeit haben –, hier jetzt eine Erhöhung der Mindestrücklage zu verfolgen. Deshalb werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag der Linken leider ablehnen müssen. Herzlicher Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Straubinger, es stimmt, dass die gesetzliche Rentenversicherung im Moment auf eine gut gefüllte Rücklage zurückgreifen kann und deswegen akut kein Anlass besteht, die Mindestrücklage anzuheben. Aber es schadet ja nie, in die Zukunft zu blicken und ein bisschen vorauszuschauen – auch mehrere Jahre. Dann stellen wir fest: Eine Mindestrücklage von 0,2 Monatsausgaben kann dazu führen oder wird sogar wahrscheinlich dazu führen, dass die Deutsche Rentenversicherung gezwungen sein wird, auf Liquiditätshilfen des Bundes zurückzugreifen. Diesen Fall hatten wir schon mal. Das ist lange her; das war vor fast zwanzig Jahren, ({0}) in meiner ersten Wahlperiode, wie ich mich noch erinnere. ({1}) Keineswegs war an dieser Stelle die Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung infrage gestellt, aber natürlich überschlugen sich die Schlagzeilen in der Presse: Rentenversicherung ist pleite, kein Geld mehr da. – Eine enorme Verunsicherung der Rentnerinnen und Rentner war die Folge. Um das zu vermeiden, ist eine Anhebung der Mindestrücklage grundsätzlich erst einmal sinnvoll. ({2}) Das hat die Rentenkommission der Großen Koalition, an der wir gar nicht beteiligt waren, deswegen auch nicht umsonst erkannt und aufgeschrieben. Ich erinnere mich, auch wenn es schon ein bisschen zurückliegt, dass sich in der Anhörung zum Antrag der Linken auch die Sozialpartner einig waren, dass eine Mindestrücklage von 0,2 Monatsausgaben nicht genug ist. Ich habe dann die Arbeitgeberseite, die BDA, ganz ausdrücklich gefragt, ob denn eine Anhebung beispielsweise auf 0,3 Monatsausgaben plus eine bessere unterjährige Verteilung der Beiträge und auch eine möglicherweise daraus resultierende leichte Erhöhung des Beitragssatzes, wenn der Rückgriff erfolgt, um 0,1 Prozent für sie okay wäre. Das hat die Arbeitgeberseite deutlich bejaht. Diese Anhörung – darum ist es gut, dass sie stattgefunden hat – hat sich die Ampelregierung durchaus zu Herzen genommen. Wir werden nach dem ersten Rentenpaket zusammen ja auch ein zweites Rentenpaket schnüren, samt einer Kapitalrücklage – vulgo Aktienrente – und einer Stabilisierung des Rentenniveaus. In diesem Zusammenhang werden wir auch die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben anheben. ({3}) Das ist etwas niedriger als das, was Die Linke vorschlägt, aber wir können darauf verzichten, sie auf 0,4 Monatsausgaben anzuheben, wenn, wie gesagt, die Liquidität unterjährig der Rentenversicherung zufließt. Sie wissen alle: Die Rentenversicherung ist eine umlagefinanzierte Versicherung. Das macht sie volkswirtschaftlich sinnvoll und stabil. Deswegen muss aber auch der Geldfluss gut organisiert sein; denn das, was eingezahlt wird, wird auch sofort wieder ausgezahlt. Darum braucht es einen Liquiditätspuffer – eben diese Nachhaltigkeitsrücklage –, am besten, wie jetzt, sehr gut gefüllt. Wenn auch aufgrund des demografischen Wandels und der Veränderungen eines Tages im Laufe der 20er-Jahre auf den Mindestwert zugesteuert werden muss, dann sollte das Kissen so dick sein oder der Puffer so groß sein, dass die Deutsche Rentenversicherung nicht auf Liquiditätshilfen des Bundes angewiesen ist. Um fünf vor zehn kann man das alles so schön technisch erklären; das war schön. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing für die AfD-Fraktion. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Ich erinnere mich gut daran, wie wir hier im März über diesen Antrag debattiert haben; denn wie ich waren viele der Kollegen hier von einer großen Ratlosigkeit befallen. Da wurde vor allem gerätselt: Was möchte Die Linke mit diesem Antrag eigentlich erreichen? – Nun, dieses Rätsel blieb letztlich ungelöst. ({0}) In der ersten Lesung bezeichnete die junge Kollegin von der FDP den Antrag als „langweilig“ und, ich zitiere, nicht „trashig“ genug, was eine erschütternde Einstellung gegenüber der Ernsthaftigkeit der Aufgabe ist, die ich hier nicht weiter kommentieren möchte. ({1}) Aber, Herr Birkwald, auch Sie haben der Rentenversicherung mit diesem Antrag keinen Gefallen getan; denn es stellt sich wirklich die Frage, wie ausgerechnet Die Linke, die zum Thema Rente bis heute kein einziges sinnvolles Konzept entwickeln konnte, ({2}) sich ausgerechnet an einem technischen Detail abarbeiten kann, das sicherlich nicht unwichtig ist, aber mit Sicherheit auch kein Instrument, um, wie Sie meinten, damit die Stabilität der Rentenversicherung zu erhöhen, selbst wenn man, wie Sie es tun, noch über die 0,3 Monatsausgaben hinausgeht, wie es die Rentenkommission gefordert hat. Vielleicht hört sich „verdoppeln“ einfach besser an. Natürlich muss die Rentenversicherung zahlungsfähig sein, und natürlich gehört dazu auch eine angemessene Mindestrücklage, die derzeit aber vorhanden ist. Die Frage ist deshalb, ob es in der derzeitigen beispiellosen Krise wirklich angebracht ist, Beitragszahler und Unternehmen zusätzlich zu belasten; denn genau das wäre der Effekt. Ich sage hier ganz klar: Nein. Und diese Frage stellt sich heute noch weit deutlicher als im März; denn die wirtschaftliche Lage hat sich seitdem erheblich verschlechtert. Sie rechnen mit Mehrkosten von knapp 5 Euro pro Monat für einen Durchschnittsverdiener. Fragen Sie einmal die vielen mittelständischen Unternehmen, die derzeit um ihre Existenz kämpfen und vielleicht Hundert qualifizierte und deshalb überdurchschnittlich verdienende Beschäftigte haben, was die davon halten. So verquer und überflüssig Ihr Antrag auch ist, Herr Birkwald, es ist – und das ist das eigentlich Schlimme – immer noch mehr als das, was der Regierungskoalition bislang zum Thema Rente eingefallen ist. ({3}) Die FDP jubiliert über ganze 10 Milliarden Euro als Einstieg in die Aktienrente; aber noch nicht einmal das kommt, jedenfalls nicht 2023; denn im Haushalt sind keine Mittel dafür eingeplant – auch nicht die 500 Millionen Euro, die zur Stabilisierung der Rentenversicherung gesetzlich vorgeschrieben wurden. Das ist erschütternd und durchaus wert, angegangen zu werden. Wir als AfD haben nach nur einer Legislaturperiode ein tragfähiges Rentenkonzept erarbeitet, ({4}) auf ein Konzept der Linken warten wir bis heute. Deshalb sage ich: Solche Fingerübungen wie dieser Antrag sind entbehrlich. Deswegen lehnen wir ihn ab. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag der Kollegin Anja Schulz für die FDP nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Das Wort hat Matthias W. Birkwald für die Fraktion Die Linke. ({1})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) – Hier sind unsere Rentenkonzepte 2015, erste Fassung, und 2017, zweite Fassung. ({1}) Das Rentenkonzept der AfD hat nur 100 Zeilen. Und da steht nichts Anständiges drin! – Das, Frau Schielke-Ziesing, waren wirklich Fake News. Die Linke ist im Bundestag die Vorkämpferin für eine gute Rente in Ost und West. Die Ampel träumt davon, zukünftig viele Milliarden Euro Steuergelder auf den Aktienmärkten zu parken, um angeblich in zehn Jahren aus Zinsen bzw. Renditen die gesetzliche Rente zu finanzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, ich bitte Sie: Lassen Sie die Finger davon! ({2}) Mit der gesetzlichen Rente darf nicht an der Börse gezockt werden; denn im Unterschied zum DAX entwickeln sich die Beitragseinnahmen und damit die Rentenfinanzen aktuell sehr gut. Das liegt zum einen daran, dass SPD, FDP und Grüne für die Rentnerinnen und Rentner viel zu wenig ausgeben. Aber es liegt auch daran, dass in diesem Jahr knapp 1 Milliarde Euro mehr an Beitragseinnahmen reinkamen, und zwar Monat für Monat. Aktuell befinden sich knapp 40 Milliarden Euro in der Nachhaltigkeitsrücklage, also der Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung. Das sind etwas mehr als eineinhalb Monatsausgaben. Diese gute Entwicklung müssen wir nutzen, und zwar für eine außerordentliche Rentenerhöhung, einmalig um 10 Prozent. ({3}) Für einen wirksamen Schutz der Rentenkasse vor plötzlichen Kriseneinbrüchen schlagen wir Linken vor, die Mindestrücklage von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben anzuheben. Damit die Rentenversicherung auch in schwierigen Zeiten aus eigener Kraft die Renten auszahlen kann, braucht sie eine höhere Reserve. Das stärkt das Vertrauen in die gesetzliche Rente. ({4}) In der Sachverständigenanhörung gab es dazu deshalb auch die allerbreiteste Zustimmung: des DGB, des Sozialverbandes Deutschland, der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Ich zitiere den Sachverständigen Alexander Gunkel, er sagte: Wir unterstützen ausdrücklich die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, die unterjährige Liquidität der Rentenversicherung besser abzusichern, als das bislang der Fall ist. Mehr Zustimmung kann man für einen vernünftigen Vorschlag nicht erreichen. Darum: Handeln Sie jetzt, stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Ich danke Ihnen. ({5})

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das 8. SGB IV-Änderungsgesetz, das wir heute hier um diese späte Uhrzeit in den Bundestag einbringen, ist ein Thema, das trocken klingt, aber ganz viele Lebensbereiche betrifft. Es bezieht sich nämlich auf viele Bereiche der Sozialversicherung und wirkt sich damit auch auf viele Lebensbereiche positiv aus. Worum geht es? Digitalisieren, Verbessern, Vereinfachen, das soll bei den Regelungen zum Beitrags- und Melderecht möglich gemacht werden. Wir werden die Digitalisierung weiter vorantreiben und die Verfahren, bei denen es immer noch Papierbescheinigungen gibt, auf elektronische Verfahren umstellen. ({0}) Das betrifft den Datenaustausch zwischen den Arbeitgebern und den Trägern der sozialen Sicherung, aber auch der Träger untereinander. Bisher bestehende digitale Meldewege werden wir noch weiter verbessern. Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern bewirkt erhebliche Entlastungen. Hier wird viel über Geld geredet, aber es gibt mit diesem Gesetz auch eine andere schöne Entlastung, nämlich eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger um – das hat jemand ausgerechnet – 2,3 Millionen Stunden jährlich; das sind 2,3 Millionen Stunden, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger anderen Dingen widmen können: der Familie, dem Beruf, der Freizeitgestaltung. ({1}) Die Digitalisierung bringt aber auch Entlastungen für die Arbeitgeber, mit diesem Gesetz um 155 Millionen Euro jährlich. Gerade in diesen Zeiten ist das ein wichtiges Signal für die Unternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz überarbeiten wir auch die vermögensrechtlichen Vorschriften der Sozialversicherungen. Die Anlagegrundsätze Sicherheit, angemessener Ertrag und ausreichende Liquidität bleiben dabei unangetastet. Die Möglichkeiten zur Vermögensanlage werden angepasst und maßvoll erweitert. Das hilft den Sozialversicherungsträgern, die Risiken der Vermögensanlage zu begrenzen; das bedeutet Sicherheit in den Sozialversicherungen und damit Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger. ({2}) Dieses Gesetz ist ein großer Omnibus – vielleicht sogar ein Zug, wie ich mit Blick auf den Ausschussvorsitzenden, der Züge mag, sage –, in dem es um viele Themen geht: Ein weiterer wichtiger Bereich sind nämlich die Änderungen beim Künstlersozialversicherungsgesetz. Hier setzen wir einen Auftrag des Koalitionsvertrages um, indem wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Versicherte bei einer weiteren, nichtkünstlerischen selbstständigen Tätigkeit dauerhaft erweitern. Wir haben das in der Coronazeit gemacht und führen das jetzt weiter, ({3}) damit auch Kreative mit sogenannten hybriden Erwerbsbiografien, also beim Wechsel zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung, besser abgesichert werden. ({4}) Ein weiterer wichtiger Punkt. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten werden im Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung zum 1. Januar 2023 grundlegend neu geregelt. Die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten entfällt ersatzlos. Damit schaffen wir bei Altersrenten volle Flexibilität für den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente und setzen neue Anreize, länger im Erwerbsleben zu bleiben. Auch für die Erwerbsminderungsrentner werden die Hinzuverdienstgrenzen deutlich angehoben; sie orientieren sich künftig am Durchschnittsverdienst aller in der Sozialversicherung Versicherten. ({5}) Das kann auch eine Brücke zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein. Ein weiterer Punkt. Mit diesem Gesetzentwurf wird auch die weitere Umsetzung der EU-Barrierefreiheitsrichtlinie erfolgen, durch Änderungen im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Mit den geplanten Regelungen soll eine vollständige Umsetzung dieser Richtlinie erreicht werden – und damit mehr Barrierefreiheit. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen gezeigt: Das Thema klingt nur trocken – es sind ganz lebensnahe Themen; das waren die Kernthemen aus dem Entwurf des 8. SGB IV-Änderungsgesetzes. Ich bin mir sicher, dass uns dieses Gesetz auf dem Weg zu einem fortschrittlichen Sozialstaat in vielen Punkten weiterbringt. Ich bitte um gute Beratung und Unterstützung. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Maximilian Mörseburg das Wort. ({0})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Entwurf des 8. SGB IV-Änderungsgesetzes. Die Parlamentarische Staatssekretärin hat einen Ritt durch die Themen unternommen: Es sollen Abläufe digitalisiert werden. Wir hätten uns diesen Esprit für und diese Motivation zur Digitalisierung natürlich auch anderer Stelle, zum Beispiel beim Nachweisgesetz, gewünscht. ({0}) Es ist aber natürlich super, dass Sie die hier haben. Auch das Vermögensrecht der Sozialversicherung soll geändert werden. Sehr zu begrüßen ist – Sie haben es angesprochen –, dass bei der Künstlersozialversicherung quasi eine Lücke geschlossen werden soll. Das ist schön und gut, aber spektakulär war es bisher noch nicht. Eine positive Überraschung, bei der es ein bisschen spannend wurde, gab es dann aber doch: Es steht eine wirklich größere Änderung in der gesetzlichen Rentenversicherung an, nämlich der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner. Bisher regelte eine Vorschrift, wie viel jemand, der früher als zum eigentlichen Renteneintrittsalter in Rente ging, neben seiner Rente verdienen darf, bis er das Renteneintrittsalter erreicht. Es ist etwas Positives, dass Sie diese Hinzuverdienstgrenzen abschaffen wollen. Ich glaube, das ist eine Chance. Es ist jedenfalls richtig, an dieser Stellschraube zu drehen. Nachdem die SPD das in der Vergangenheit ja eher nicht so sehr wollte, hatten wir uns gefreut, dass Sie gemeinsam mit uns bereits in der Coronapandemie diese Hinzuverdienstgrenzen deutlich erhöht hatten. ({1}) Wenn Sie jetzt noch weiter gehen, ist es umso besser. Von der Neuregelung haben in der Vergangenheit schon die Mitarbeiter in der Pflege, an die wir in der Coronapandemie vor allem dachten, aber auch die Mitarbeiter des Einzelhandels und der Industrie sowie viele andere profitiert. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich seitdem ja noch deutlich verschlimmert; ich muss Ihnen das nicht sagen. Wir haben in Deutschland die Situation, dass wir in vielen Bereichen gar nicht mehr produzieren können, weil wir die Leute nicht mehr haben, um die entsprechenden Tätigkeiten auszuführen. ({2}) Die Schreiben aus den Unternehmen mit den Sorgen, überhaupt noch Personal zu bekommen – und das, obwohl die Babyboomer ja jetzt erst anfangen, in Rente zu gehen –, erhalten Sie ja auch. Vor dem Hintergrund dieser aktuell schwierigen Situation auf den Arbeitsmärkten ist es auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, mit der geplanten Abschaffung jetzt fortzufahren. Trotzdem müssen wir aber auch über das Thema reden, welchen Anreiz wir da setzen. Wir finden, wir haben noch nicht ausreichend beleuchtet, inwieweit der Anreiz, vielleicht auch noch früher in Rente zu gehen, damit gesetzt wird. Ich glaube, wir müssen uns das im Ausschuss noch mal genauer anschauen, bis wir zur zweiten Lesung kommen, und ich glaube, dass wir bei der Anhörung noch mal einen ganz genauen Blick darauf werfen müssen, dass wir mit einem gutgemeinten Gesetzentwurf nicht falsche Anreize setzen. Wir denken, dass diese Regelung richtig sein wird, wenn wir diese offenen Fragen – insbesondere die, was wir damit bewirken – beantwortet haben. Dann können wir mit so einem Gesetzentwurf, glaube ich, sehr gut leben. Bis dahin freuen wir uns jetzt auf die öffentliche Expertenanhörung und die Diskussion mit Ihnen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat seine Rede zu Protokoll gegeben. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion. ({1})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ganze 28 Gesetze und Verordnungen will die Bundesregierung hier auf einen Streich ändern. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Frau Staatssekretärin: Wer so eine Vorlage hier ins Parlament zu einer 26‑Minuten-Debatte einbringt, der ist an einer ernsthaften, detaillierten Debatte hier im Parlament leider nicht interessiert. ({0}) Ich will zwei Punkte aufgreifen, die eine ganz eigene Diskussion verdient hätten: Den ersten hat Herr Kollege Mörseburg schon angesprochen; das ist der Wegfall der Hinzuverdienstgrenze, die gilt, wenn man vor seinem eigentlichen Renteneintrittsalter in Rente geht. ({1}) Die Koalition, die Bundesregierung will, dass man in Zukunft unbegrenzt hinzuverdienen kann. Das kann man ja diskutieren; aber das müsste man auf der Basis von Fakten diskutieren. ({2}) Was ich vonseiten der Bundesregierung wirklich vermisse, ist eine Evaluation der Anhebung der Hinzuverdienstgrenze, die Sie 2020 vornahmen. Ab da durfte man deutlich mehr hinzuverdienen als vorher. Sie haben aber nie analysiert: Was bedeutet das für die Sozialversicherung? Gibt es mehr Rentenantragsteller? Gibt es weniger? Gibt es mehr Rentner, die tatsächlich hinzuverdienen? Eine Analyse liegt nicht vor. Wir bräuchten sie aber, um diesen Schritt ernsthaft zu beurteilen. ({3}) Der zweite Aspekt, den ich aufgreifen möchte, ist die Umgestaltung der Vermögensanlagevorschriften für die Sozialversicherungen. Sie wissen ja, dass die Rentenversicherung, die Krankenversicherung usw. auch Vermögen anlegen können. Hier ändern Sie die Vorschriften. Warum? Das ist interessant: Weil Sie feststellen, dass im Niedrigzinsniveau, das uns umgibt, einige Anlagen nicht verlustfrei getätigt werden können. ({4}) Da muss ich Ihnen schon zurufen: Genau deshalb haben wir schon vor Jahren den Austritt aus dem Euro gefordert, werter Herr Kollege. Statt dass wir irgendwelche Sozialversicherungsvorschriften ändern, sollten wir doch einfach die Geldpolitik ändern! ({5}) Das wäre viel einfacher: eine stabile Geldpolitik mit einer stabilen D‑Mark mit einem hohen Zinsniveau. ({6}) Das wäre möglich gewesen und hätte unsere Rentner nicht in die Armut geschickt, werter Herr Kollege. Das muss man an dieser Stelle mal feststellen. ({7}) Die Art und Weise, wie Sie versuchen, diesen Anlagekatalog zu erweitern, ist außerdem sehr, sehr interessant. Bislang waren es ja vor allem Schuldverschreibungen, in die zu investieren möglich war. Jetzt nehmen Sie Immobilien und Aktien hinzu, kommen da aber wieder mit Ihrem typischen links-grünen Hammer, nämlich: Auf Nachhaltigkeit soll geachtet werden, ({8}) also grüne Anlagen, nachhaltige, Ökoanlagen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie müssen sich schon eine Sache aussuchen: Entweder soll das Geld der Rentner vernünftig angelegt werden – oder halt grün; das ist dann aber auch verlusthaltig, weil grüne Anlagen letztendlich nichts bringen. ({9}) Zuallerletzt – ich finde das ja süß –: Sie schreiben Liquiditätsprüfungsvorschriften bei Investitionen in den privaten Kapitalmarkt vor. Aber solche Vorschriften gibt es nicht bei der Investition in EU-Staatsanleihen oder Sondervermögen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Dass die Rentenversicherung die Sondervermögen aufkauft, die diese Bundesregierung auflegt, Fonds, die die EU auflegt, aufkauft, Staatsanleihen von Pleitestaaten wie Italien und Griechenland aufkauft, ganz ehrlich: Ich möchte das nicht für unsere Rentnerinnen und Rentner, ich möchte Wohlstand für sie. Deswegen brauchen wir da eine ganz andere Politik. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. ({10})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Volles“ Haus bei einer Debatte über die Änderung des Bundeszentralregistergesetzes – was Sie von den Altparteien machen, ist Arbeitsverweigerung. ({0}) Die Bundesregierung gibt plötzlich Reden zu Protokoll, Sie alle geben Reden zu Protokoll – jeder Maurer, jeder Arbeiter draußen muss arbeiten für das Geld, das er verdient. ({1}) Sie setzen sich hier abends rein, denken: 22 Uhr, wir sind durch, reden nicht mehr. ({2}) Es ist Ihre Kernaufgabe, hier zu reden und zu debattieren, vor allem über so wichtige Gesetze! ({3}) Wenn ich ins Plenum schaue, muss ich sagen: Ich bin stolz auf meine Alternative für Deutschland, dass wir darauf gedrungen haben, über diesen Tagesordnungspunkt auch zu debattieren; denn Sie wollten in Ihrer Arbeitsverweigerung ja noch weiter gehen, Sie wollten gar nicht darüber debattieren. Was Sie hier machen, ist Arbeitsverweigerung, und das müssen wir den Leuten draußen mal zeigen. ({4}) Also, zum Bundeszentralregistergesetz. Eigentlich sind die Änderungen relativ unspektakulär; wir hätten uns kraftvoll enthalten. Es geht zunächst einmal um den internationalen Austausch von Strafregisterinformationen; das ist eigentlich kein Problem. Aber dann kommen Sie wieder aus dem Gebüsch und machen ein Omnibusgesetz daraus. Wir hatten das Thema ja vorhin schon; der Kollege Jacobi hat wunderbar dazu ausgeführt. Wir hatten das in der Vergangenheit schon öfter: Das Infektionsschutzgesetz wird plötzlich mit dem Stiftungsrecht verbunden. ({5}) Das Infektionsschutzgesetz wird plötzlich mit dem Hochwasser-Aufbauhilfefonds verbunden, vorhin wurde das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters mit der Insolvenzordnung verbunden. Und hier verbinden Sie plötzlich das Bundeszentralregistergesetz mit einer Änderung des § 130 StGB „Volksverhetzung“. Sie versuchen also, einen Paragrafen, den nicht nur wir von der AfD kritisch betrachten, ({6}) durch die Hintertür weiter auszudehnen, einen Paragrafen, zu dem Sie – stellvertretend für viele – einen wunderbaren Aufsatz von Wolfgang Mitsch von der Universität Potsdam in der „Kriminalpolitischen Zeitschrift“ 4/2018 lesen können. Er sagt: Der § 130 StGB „Volksverhetzung“ hat schon jetzt einen „unmöglichen Zustand“ erreicht, er sei „gesetzestechnisch schlecht gemacht“ und müsse „entweder gründlich überarbeitet oder … abgeschafft werden“. ({7}) Das sind keine Äußerungen der AfD, das sind Zitate aus der „Kriminalpolitischen Zeitschrift“. Und was machen Sie? Sie denken nicht darüber nach, die Formulierung des Paragrafen zu verbessern, Sie dehnen ihn auch noch aus – mit unsäglichen Worthülsen, unbestimmten Rechtsbegriffen, die niemand richtig wird einordnen können. ({8}) Und weil Ihnen das so peinlich ist, weil Sie genau wissen, was für einen Murks Sie da machen, versuchen Sie, diese Änderung an ein Omnibusgesetz dranzuhängen, ohne erste Lesung, ohne ordentliche Behandlung im Ausschuss. ({9}) Es ist einfach schäbig, was Sie in diesem Bundestag machen. ({10}) – Ja, einfach schäbig. Jetzt bereut Herr Fechner wahrscheinlich, dass er hier arbeitsverweigernd tätig war und keine Rede gehalten hat. ({11}) Ich will noch mal darauf hinweisen, dass wir eine namentliche Abstimmung beantragt haben. Wir lehnen das ab. Der § 130 müsste mal gründlich reformiert werden, man müsste mal über den Inhalt nachdenken und eine Regelung aus einem Guss formulieren. Das machen Sie gerade nicht, Sie blähen ihn weiter auf, machen ihn noch undurchsichtiger. Das ist schlecht für die Gesetzgebung und schlecht für unser Land. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Bayram das Wort. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hass ist keine Meinung. ({0}) Das öffentliche Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen muss strafbar sein, weil es zu Hass und Gewalt aufstacheln und den öffentlichen Frieden stören kann, meine Damen und Herren. ({1}) Das gilt in anderen europäischen Ländern und demnächst auch bei uns. Mit diesem Gesetz wollen wir § 130 Strafgesetzbuch so erweitern, dass jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch in Deutschland endlich strafrechtlich verfolgt werden kann. ({2}) Alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus sind sich einig, dass das strafbar sein sollte. Es ist doch, umgekehrt, ein Skandal, dass solche Äußerungen bisher noch nicht strafbar waren, meine Damen und Herren. Die Verharmlosung und Leugnung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch darf nicht weiter straflos bleiben! ({3}) Es ist doch noch keine zwei Wochen her, dass Sie von der AfD und Ihre Anhänger vor dem Parlament mit Neonazis und Hitlergrüßen gestanden haben. ({4}) Jemand aus Ihrer Partei hat auf dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas getanzt. „Geht’s noch?“, frage ich da. ({5}) Wie kann man sich selbst feiern auf einem Symbol, das an die Ermordung von Millionen von Menschen erinnern soll! Nein, meine Damen und Herren, entgegen der Behauptung eines gewissen Bernd Höcke ({6}) ist das Mahnmal kein „Denkmal der Schande“, sondern Sie von der AfD sind eine Schande für dieses Parlament und für dieses Land. ({7}) Deswegen müssen wir die Menschen vor Hass und Hetze mit guten Gesetzen schützen, meine Damen und Herren. ({8}) Aber wen wundert es, dass die AfD dagegen ist? Es ist doch Ihr Geschäftsmodell, das Sie durch dieses Gesetz gefährdet sehen, meine Damen und Herren. Ihre Politik besteht doch nur daraus, durch ständige Provokationen ({9}) die Grenze des Sagbaren weiter nach rechts zu verschieben. ({10}) Sie wollen Menschen zu Hass und Gewalt aufstacheln. Damit machen wir jetzt Schluss, meine Damen und Herren. ({11}) Denn in diesem Haus gibt es, so wie in unserer Gesellschaft, keine Mehrheit für Ihre Hetze und Ihren Hass. ({12}) Es gibt keine Mehrheit für Holocaustleugnung und Verharmlosung von Kriegsverbrechen, und es gibt kein Recht auf Nazipropaganda, weder in Deutschland noch in Europa, meine Damen und Herren. ({13}) Deswegen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Gesetz zu! ({14})