Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/12/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich beginnen mit der Coronasituation. Wir sind am Beginn einer Herbst- und Winterwelle. Dies kommt nicht überraschend. ({0}) Wir sind aber auf diese Welle sehr gut vorbereitet. Wir haben zunächst einmal im Rahmen der Beschaffung von Impfstoffen angepasste Impfstoffe beschafft, sodass wir auf die Varianten, mit denen wir derzeit zu ringen haben, gut vorbereitet sind. Die Versicherten haben eine Auswahl zwischen entsprechend angepassten Impfstoffen. Wir haben darüber hinaus den Pandemieradar eingeführt. Der Pandemieradar erlaubt es den Ländern, präzise zu erkennen, wie die jeweilige Situation dort ist, sodass sie relativ früh reagieren können. Wir haben für die besonders vulnerablen Gruppen Arzneimittel beschafft, die die Sterblichkeit der Patienten deutlich senken können. Diese Arzneimittel werden in den Pflegeeinrichtungen gelagert und können durch Hausärzte direkt abgegeben werden, sodass wir dort eine deutlich verbesserte Versorgung der Patienten erwarten können. Schließlich haben wir mit dem geänderten Infektionsschutzgesetz, das wir über den Sommer vorbereitet haben, die Länder in die Lage versetzt, auf der Grundlage der vorhandenen Daten entsprechende Infektionsschutzmaßnahmen vorzunehmen, insbesondere die Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen, diese aber auch, wenn das notwendig wäre, auszudehnen und, wenn es ganz schlimm käme, sogar in Außenbereichen vorzuschreiben. Aber davon gehen wir derzeit nicht aus. Ich appelliere an die Länder, die Verantwortung auch wahrzunehmen. Wir sehen derzeit stark steigende Fallzahlen. Ich höre aber, dass die Länder diese Maßnahmen derzeit diskutieren. Ich gehe daher von einem verantwortungsvollen Handeln aus. Zum Zweiten. Die Krankenhäuser sind in einer Situation, in der sie mit steigenden Energiekosten, insbesondere Stromkosten, aber auch Gaskosten, konfrontiert sind. Darüber hinaus ist die Inflation stärker als das, was die Landesbasisfallwerte an zusätzlichen Einnahmen erwarten lassen. Darauf werden wir reagieren, indem im Rahmen unseres 200-Milliarden-Euro-Schutzpaketes die Länder in die Lage versetzen werden, die Krankenhäuser auch direkt zu unterstützen. Schließlich möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wir haben eine Finanzlücke von 17 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das werden wir in den nächsten Wochen durch das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ausgleichen. Wir sind am Vorabend wichtiger Gesetze. Ich will hier nur numerisch ganz kurz zusammenfassen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten insgesamt zwölf Gesetze ans Netz bringen werden, über die wir dann mit Ihnen diskutieren werden. Wir werden für die Kinderheilkunde die Fallpauschalen überwinden. Bei der Versorgung von Kindern ist das ein wesentlicher Schritt nach vorn. Wir werden in der Geburtshilfe zu Lösungen kommen, sodass die Geburtshilfe auf dem Land sichergestellt werden kann. Wir werden Tages-DRGs einführen, sodass die Patienten nicht im Krankenhaus übernachten müssen, wenn das medizinisch nicht notwendig ist. Wir werden das DRG-System weiterentwickeln, um auch Vorhaltepauschalen berücksichtigen zu können, sodass die Krankenhäuser besser dort platziert sind, wo auch der Bedarf ist. Im Rahmen der Digitalisierung haben wir zwei Schwerpunkte: Die elektronische Patientenakte wird als Opt-out-Akte eingeführt. Wir werden darüber hinaus auch das E-Rezept etwas anders organisieren und nach vorne bringen. Gesundheitskioske – das ist die siebte Maßnahme – werden in den besonders benachteiligten Städten und Stadtteilen die Versorgung ergänzen. Wir werden durch das geplante Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Pflegekräfte deutlich entlasten, und wir werden darüber hinaus auch für die Langzeitpflege eine Finanzierungsreform vorschlagen, die die Langzeitpflege sicherstellt. Die Unabhängige Patientenberatung soll durch ein UPD-Gesetz verbessert werden. Wir werden eine Gesetzgebung zur Legalisierung von Cannabis vorstellen, ({1}) wo insbesondere der Gesundheitsschutz im Vordergrund steht, sodass Cannabis tatsächlich so konsumiert werden kann, dass diejenigen, die es konsumieren, abgesichert sind und dass der Gesundheitsschutz beim Cannabiskonsum im Vordergrund steht. Es geht hier nicht um die Ausweitung des Konsums. Schließlich werden wir Gesetze vorstellen, durch die wir die psychotherapeutische Versorgung verbessern, und zwar sowohl in den Krankenhäusern wie auch im ambulanten Bereich. Es sind also zwölf gesetzliche Grundlagen, die wir derzeit vorbereiten. Ich freue mich auf die Diskussion über diese wichtigen Gesetzentwürfe mit Ihnen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen des Bundesministers, Herrn Dr. Karl Lauterbach, und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettssitzungen und mit allgemeinen Fragen. Schon mal prophylaktisch vorab: Der Fragesteller oder die Fragestellerin hat für die erste Frage jeweils eine Minute Zeit, und der Minister hat dann jeweils eine Minute für die Antwort. Sie sollten also immer auf die Zeit achten. Für die Nachfrage und die entsprechende Antwort haben Sie allerdings jeweils nur 30 Sekunden Zeit. Ich will das nur schon mal vorab sagen, damit alle wissen, wie das Verfahren hier gleich ist. Das Wort hat als erster Fragesteller der Kollege Tino Sorge aus der CDU/CSU-Fraktion.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister, zahlreiche Kliniken, Pflegeheime und Arztpraxen sind durch die Inflation von fast 10 Prozent und massiv gestiegene Energiepreise in ihrer Existenz gefährdet; Sie haben es gerade eben noch mal angesprochen. Die Bundesregierung weiß seit Monaten von dieser Thematik, unternimmt aber leider nichts dagegen. Insolvenzen und Schließungen drohen bereits. Deshalb würde mich konkret interessieren: Wann genau kommt endlich das Rettungspaket für die Infrastruktur im Gesundheitswesen aus dem Bundesgesundheitsministerium?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für die Frage. – Die Grundlage für die Abschätzung, wie groß der Bedarf in den Krankenhäusern ist, ist ja am letzten Wochenende geschaffen worden. Durch das allgemeine Rettungspaket haben wir jetzt einen Fahrplan, wie wir die Energiekosten in Deutschland bremsen werden. Davon werden auch die Krankenhäuser profitieren. Es werden aber wahrscheinlich noch Restbelastungen verbleiben. Wie diese Restbelastungen ausgeglichen werden, wird derzeit von meinem Haus vorbereitet. Ich bin diesbezüglich auch in direkten Verhandlungen mit Finanzminister Lindner, und wir werden Ihnen dann unmittelbar vortragen. Wir haben hier drei Blöcke. Wir haben die steigenden Gaskosten, die steigenden Stromkosten und den Inflationsbereich, der durch die Veränderung der Landesbasisfallwerte nicht abgedeckt ist, und wir werden alle drei Bereiche entsprechend abfedern. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Bundesgesundheitsminister, im Grunde genommen kommen von Ihnen seit Monaten nur Ankündigungen. Ich habe Ihnen bereits im April in einem Schreiben die wirklich kritische Situation in den Kliniken geschildert. Wir als Union haben schon vor der Sommerpause diesbezüglich einen Antrag eingebracht. Deshalb würde mich interessieren, warum Ihr Haus bisher untätig geblieben ist und keine konkreten Maßnahmen vorgelegt hat.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ich habe gerade ausgeführt, dass die Voraussetzung für die Berechnung der Bedarfe in den Krankenhäusern erst am Wochenende geschaffen wurde. Nun liegt das Papier der Expertenkommission vor. Jetzt geht es darum, abzuschätzen, wie hoch die Mehrbedarfe für die sozialen Einrichtungen sind. Wir werden das ins Schutzpaket einbeziehen. Wir haben das Papier erst jetzt am Wochenende bekommen. Ich bitte daher um Nachsicht, dass ich dieses Ergebnis nicht schon vor Monaten vorwegnehmen konnte.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gibt es zu diesem Thema weitere Nachfragen? – Kollege Pilsinger.

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat in dieser Woche deutlich gemacht, dass die Vorschläge der Gaspreiskommission hinten und vorne nicht ausreichen, um die Krankenhäuser zu entlasten. Zwei Drittel der ungedeckten Kosten seien nicht aufgrund der gestiegenen Energiekosten, sondern durch Kostensteigerungen bei Medizinprodukten, Arzneimitteln, Lebensmitteln und Dienstleistungen entstanden. Wie werden Sie sicherstellen, dass unsere Krankenhäuser unter dieser Kostenlast nicht zusammenbrechen? Und auch noch einmal die Frage: Bis wann wollen Sie den Gesetzesvorschlag einbringen? Es darf keinen zeitlichen Verzug mehr bei der Stabilisierung unserer Krankenhäuser geben.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ich hatte eben selbst eingeräumt, dass die Vorschläge der Kommission nicht ausreichen, um das Delta komplett zu beseitigen. Ich hob darauf ab, dass die die Differenz zwischen der Entwicklung der Landesbasisfallwerte und der Inflationskosten, die die Krankenhäuser tragen müssen, abgedeckt werden muss. Ich hatte darauf hingewiesen, dass ich diesbezüglich in Gesprächen mit Finanzminister Lindner bin. Der Mehrbedarf ist bekannt. Der Mehrbedarf wird auch mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und mit einzelnen Kliniken im Detail besprochen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen, wenn Sie möchten; Sie müssen aber nicht.

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Meine Frage war, bis wann Sie das Gesetz vorlegen wollen. Könnten Sie eine zeitliche Einschätzung abgeben, bis wann Sie das machen wollen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ja, das kann ich: Wir werden das rechtzeitig machen. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gibt es zum Thema „Krankenhaus und Energiekostensteigerung“ noch eine Frage? – Der Kollege Irlstorfer, bitte.

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wenn nicht bald etwas passiert, wird es zu einer kalten Strukturreform kommen. Rehakliniken, Pflegeeinrichtungen und Praxen werden schließen. Versorgungsengpässe für breite Bevölkerungsschichten drohen. Mich würde interessieren: Wie genau soll der Rettungsschirm aussehen? Und weil mir Ihre bisherige Aussage nicht ganz reicht, was die zeitliche Schiene betrifft: Wann soll er kommen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ich wies darauf hin, dass die Gespräche mit Finanzminister Lindner bereits begonnen haben und in der nächsten Woche fortgesetzt werden und dass wir auf das Ergebnis der Expertenkommission am Sonntag warten mussten, weil eine Abschätzung des Mehrbedarfs vorher nicht möglich war. Die Ergebnisse der Expertenkommission müssen jetzt in gesetzgeberische Maßnahmen übersetzt werden. Außerdem müssen wir parallel in der Vorbereitung dieser gesetzgeberischen Maßnahmen für den Energiebedarf insgesamt bereits den Krankenhaussektor mit abdecken. Wir haben das voll im Blick, und wir werden die Maßnahmen rechtzeitig auf den Weg bringen. Das war keine polemische Bemerkung. Ich bin mit den Krankenhäusern und mit dem Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft im engen Austausch. Ich habe sehr früh auf dieses Thema hingewiesen. Daher können Sie sich darauf verlassen: Wir haben das im Blick, und wir werden das lösen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Irlstorfer, Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Herr Minister, eine Nachfrage: Teilen Sie die Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dass sich die Finanzierungslücke bei Sachkosten und Energie in diesem und im kommenden Jahr auf rund 15 Milliarden Euro summiert? Können Sie das abschätzen, bitte?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Diese Einschätzung kann ich nicht teilen; denn das würde ja bedeuten, dass ich in der Lage wäre, die Entwicklung der Preise zum Beispiel für Gas und Strom im nächsten Jahr vorherzusehen. Dazu bin ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage. Ich bin auch nicht ganz sicher, ob die Deutsche Krankenhausgesellschaft dazu in der Lage ist. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

So, ich sehe dazu keine weiteren Nachfragen. – Frau Zeulner, Sie dürfen. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, liebe Kollegen, ich stelle die Frage nicht noch mal anders. – Lieber Herr Minister, mir geht es um das Thema Energie und in diesem Zusammenhang um die ambulanten Pflegedienste im ländlichen Raum, für die die Spritpreise ein Problem sind. Darauf haben wir schon vor Monaten hingewiesen. Deswegen die Frage: Was wird konkret für die ambulanten Pflegedienste getan? Denn Sprit ist absolut notwendig, um mit dem Auto von A nach B zu kommen.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für diese Frage, Frau Abgeordnete. – Ja, in der Tat: Sowohl für die stationären Pflegeeinrichtungen wie auch für die ambulanten Pflegedienste ergeben sich Mehrkosten, die durch die jetzigen Verträge, die oft auch langfristigerer Natur sind, nicht abgedeckt sind. Daher planen wir die Möglichkeit, die Verträge kurzfristiger anzupassen, sodass die zusätzlichen Kosten – das sind ja nicht nur Benzinkosten, sondern es sind auch andere Kosten dazugekommen – umgelegt werden können. Es muss durch eine Verkürzung der jeweiligen Vertragsdauer auf jeden Fall gewährleistet sein, dass die Mehrkosten an die Pflegekassen weitergegeben werden können. Die Refinanzierung bei den Pflegekassen refinanziert dann das Delta.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Weil alle zeitlich unter Druck stehen, auch hier die Nachfrage: Wann rechnen Sie konkret mit einem Signal an die ambulanten Pflegedienste gerade in den ländlichen Räumen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Für die stationäre Versorgung haben wir im Kabinett die verkürzte Vertragsdauer beschlossen. Mit dem Wohngeld Plus, das die Pflege mit abdeckt, können kurzfristig Zusatzkosten weitergegeben werden. Eine ähnliche Regelung für die ambulanten Dienste ist in Vorbereitung.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor ich den nächsten Nachfrager aufrufe, will ich noch einmal erinnern: Wir waren ursprünglich beim Thema „Krankenhaus und Energiekosten“. Jetzt wurde das Thema schon auf die ambulanten Dienste ausgeweitet. Daher meine Bitte, bei diesem Thema zu bleiben, damit wir die anderen Fragen auch noch berücksichtigen können. Als Nächstes hat das Wort der Kollege Reichardt aus der AfD-Fraktion.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, ich habe ebenfalls eine Frage zum Bereich der ambulanten Pflegedienste. Mir haben etliche Bürger mitgeteilt, dass sie von ihrem entsprechenden Pflegedienstleister darüber informiert wurden, dass aufgrund der steigenden Energiekosten zum Beispiel gegebenenfalls statt der bisher 4 Stunden Pflegeleistung pro Woche nur noch 3 Stunden erbracht werden können, und Ähnliches. Meine Frage dazu: Haben Sie Informationen darüber, in welchem Umfang das geschieht? Wie sehen Sie diese Situation? Und was planen Sie, um hier den Bürgern Sicherheit zu geben?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Herr Abgeordneter, vielen Dank für diese Frage. – Zunächst einmal: Eine Verkürzung der Pflegeleistungen einseitig durch den Pflegedienst ist natürlich nicht erlaubt. Das ist mir auch nicht bekannt. Das wäre ein Bruch mit den geltenden Regeln. Dann würde sich die Frage stellen, ob der Pflegedienst die Leistungen überhaupt so erbracht hat, dass sie abgerechnet werden können. Grundsätzlich haben Sie aber recht, dass wir mit Mehrbelastungen in der ambulanten Pflege zu rechnen haben. Daher habe ich eben schon in meiner Antwort auf die Frage der Abgeordneten Zeulner darauf hingewiesen, dass wir die Verkürzung der Laufzeiten von Verträgen zwischen Pflegekassen und Pflegediensten planen, sodass die Mehrkosten an die Pflegekassen weitergegeben werden können, und dass wir diese dann im Rahmen der Maßnahmen refinanzieren, die ich eben angesprochen habe.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich entnehme Ihren Aussagen, dass Sie sicherstellen, dass es durch die erhöhten Kosten im Bereich der Pflege nicht zu einem Rückgang der Qualität bei der Pflege der Menschen vor Ort kommt.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Genau, davon gehe ich aus. Ich gehe davon aus, dass die Pflegequalität nicht sinken wird, obwohl wir in dieser Krisensituation sind, weil wir die Leistungen so finanzieren werden, dass sie in der Qualität erbracht werden können, wie sie bisher erbracht wurden. Von daher gehe ich nicht davon aus, dass es zu einem Einbruch oder einem Absinken der Pflegequalität kommt, weder im ambulanten noch im stationären Sektor.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Es gibt eine Nachfrage aus der SPD-Fraktion zum gleichen Thema. Die Kollegin Baradari.

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, vielen herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Für die Investitionskosten der Krankenhäuser sind die Länder zuständig, und in vielen Ländern sind keine Investitionen getätigt worden, auch im Hinblick darauf, was Gebäudesanierung oder erneuerbare Energien angeht. Könnten Sie uns vielleicht darstellen, wo bundesseitig, aber vor allen Dingen bei der Zuständigkeit der Länder, vielleicht auch in Bezug auf Nordrhein-Westfalen, noch Verbesserungsbedarf ist?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – In der Tat ist es so, dass die Länder seit vielen Jahren ihren Verpflichtungen bei den Investitionskosten nicht nachkommen. Das hat zur Folge, dass die Heizkosten zum Teil deutlich höher sind, als sie eigentlich sein müssten, weil die Heizungsanlagen teils veraltet und ineffizient sind, von der Dämmung der Gebäude mal ganz abgesehen. Somit sind die Gebäude im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt und müssen entsprechend geheizt werden. Wir werden jetzt noch viele Gelegenheiten haben, mit den Ländern über dieses Defizit zu verhandeln, zunächst im Rahmen der Umsetzung des Entlastungspaketes, welches ich eben angesprochen habe und für welches wir die Kommissionsvorschläge am Wochenende bekommen haben. Da wird es viele Verhandlungen mit den Ländern geben: Was sind die Verpflichtungen der Länder? Wir werden aber auch im Rahmen der Erarbeitung der von mir eben angesprochenen Krankenhausgesetze diese Gelegenheit haben. Ich hatte ja darauf hingewiesen, dass wir das Fallpauschalensystem bei der Kinderheilkunde überwinden wollen. Wir wollen die Geburtshilfe besser abdecken. Wir wollen die Fallpauschalen so verändern, dass der stationäre Aufenthalt da, wo er nicht nötig ist, nicht erbracht werden muss, und wir wollen das Fallpauschalensystem insgesamt verbessern. Somit: Wir werden jetzt über viele Monate mit den Ländern verhandeln und bei diesen Gelegenheiten immer wieder auch über die Investitionszusagen und Verpflichtungen der Länder verhandeln können.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Ich wüsste ganz gerne, ob es da auch spezielle Gespräche mit Herrn Laumann, dem Gesundheitsminister in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, gibt. ({0}) Es interessiert mich natürlich auch als Abgeordnete aus diesem Land sehr.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

In der Tat ist auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen den Verpflichtungen nicht nachgekommen. ({0}) Herrn Laumann sind – aus früheren Gesprächen weiß ich das – diese Defizite bekannt. Bisher habe ich aber von ihm nicht gehört, wie er diesen Verpflichtungen begegnen möchte. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Vielen Dank. – Ich habe noch eine Nachfrage aus der Fraktion Die Linke zum gleichen Thema. Kollege Gürpinar.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Sie bezieht sich auf die Antwort von Herrn Lauterbach auf die eben gestellte Frage. Herr Lauterbach, Sie haben eben gerade und auch schon in der Einführung gesagt, dass Sie von Ihrem bisherigen Plan im Koalitionsvertrag absehen und dass Sie nur bei der Kinderheilkunde die Fallpauschalen herausnehmen wollen. Sie haben das im Koalitionsvertrag aber festgehalten für die Notfallversorgung, für die Kinderheilkunde und für die Geburtshilfe, und zwar kurzfristig. Jetzt möchte ich noch mal nachfragen, inwiefern Ihre eben gegebene Antwort tatsächlich der Realität entspricht und damit aber dem Koalitionsvertrag widerspricht, in dem festgelegt ist, dass Sie kurzfristig in allen drei Bereichen – das ist uns noch zu wenig, aber immerhin dort – von Fallpauschalen absehen wollen. – Herzlichen Dank.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht genau erkennen konnte, ob Sie verspätet eingetroffen sind. Ich wies ja darauf hin, dass wir in der Kinderheilkunde die Fallpauschalen überwinden wollen, dass wir die Geburtshilfe im ländlichen Bereich durch ein anderes System darstellen wollen, dass wir die Fallpauschalen in der stationären Versorgung verändern wollen, sodass die ambulante Leistungserbringung möglich ist, und dass wir das Gesamtsystem der Fallpauschalen dahin gehend weiterentwickeln oder auch überwinden wollen, dass es Vorhaltepauschalen und auch andere Elemente gibt, die der Sicherstellung der Krankenhäuser genügen. Es ist also insgesamt ein großes Programm zur Verbesserung der Qualität in der Krankenhausversorgung und zur Entökonomisierung. Es ist die größte Reform dieses Systems seit der Einführung der Fallpauschalen, und sie wird im Wesentlichen das jetzt bestehende System der Fallpauschalen überwinden. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Es gibt jetzt wieder mehrere Nachfragen. Ich hoffe aber, dass es nicht das neue Thema Fallpauschalen ist. Wir waren immer noch bei der Energieversorgung. – Aber Sie dürfen jetzt noch eine Nachfrage stellen. ({0})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist mir unangenehm, weil sie in gewisser Weise schon noch mal auf die Antwort von Herrn Lauterbacht zurückführt. Ich war nämlich nicht nur heute schon um 13 Uhr dagewesen, sondern ich kenne, obwohl ich bei den Verhandlungen nicht dabei war, auch die Vereinbarung im Koalitionsvertrag – zumindest habe ich ihn lesen können. Dort habe ich gesehen, dass alle drei Bereiche aus den Fallpauschalen herausfallen sollen, und zwar kurzfristig. Deswegen noch mal die Frage: Wollen Sie die Notfallversorgung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, aus den Fallpauschalen herausnehmen oder nicht?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Die Notfallversorgung ist auch jetzt nicht durch die Fallpauschalen abgedeckt. Es ist eine Bezahlung, die anders organisiert ist. Ich habe in meiner letzten Antwort darauf hingewiesen, dass wir eine Komplettreform für das gesamte Fallpauschalensystem machen, was die Fallpauschalen dahin gehend überwindet, dass dann eben mit Vorhaltepauschalen, mit Sicherstellungszuschlägen und mit einigen anderen Elementen gearbeitet wird. Das kann ich jetzt hier in der Kürze der Zeit nicht diskutieren. Aber somit würde das bestehende Fallpauschalensystem dann für alle Bereiche überwunden. Das würde die von Ihnen angesprochenen Beispielbereiche enthalten. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage zum Thema stellt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Weishaupt. ({0}) – Das ist keine Sabotage. Hier kann sich jeder Abgeordnete melden. – So, und die Frau Weishaupt hat jetzt die Gelegenheit, ihre Frage zu stellen.

Saskia Weishaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005253, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Lieber Herr Minister, Sie haben ja gerade schon die Geburtshilfe angesprochen. Jetzt würde ich da gerne noch mal nachfragen, was das Bundesgesundheitsministerium denn plant, um die Gesundheitsversorgung rund um die Geburt tatsächlich auch konkret zu verbessern. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – In der Tat: In der Geburtshilfe haben wir die Situation, dass die Kliniken, die derzeit den sogenannten Sicherstellungszuschlag bekommen, mit diesem Sicherstellungszuschlag alleine die Geburtshilfe nicht so darstellen können, dass Qualität und Versorgungsangebot gesichert sind. Daher arbeiten wir an Modellen, in denen Zuschläge gewährleistet werden, die auskömmlich sind, sodass die Geburtshilfe dort auch wirklich dargestellt werden kann. Dabei soll auch unterschieden werden, ob das Kliniken sind, wo eine Pädiatrie-, also eine Kinderheilkundestation, gleichzeitig vorgehalten wird oder nicht, sodass wir einen Qualitätsanreiz geben. Aber das zentrale Ziel ist, dass die Kliniken, die die benötigten Einnahmen nicht alleine aus der Geburtshilfe erwirtschaften können, aus diesem wirtschaftlichen Druck komplett herausgenommen und so unterstützt werden, dass die Sicherstellung unabhängig von der Zahl der Geburten gewährleistet ist. Dafür wäre dann der alte Sicherstellungszuschlag zuständig, dann eine zusätzliche Finanzierung und eine dritte Finanzierungssäule, die davon abhängen würde, ob es auch eine Geburtshilfe gibt oder nicht. Das ist der derzeitige Stand der Diskussionen. Wir werden Sie da in Kürze mit einem Gesetzentwurf konfrontieren.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen noch eine Nachfrage stellen. Und wirklich: jetzt keine neuen Themen beginnen. ({0})

Saskia Weishaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005253, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde darauf verzichten, Frau Präsidentin.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie haben auf die Nachfrage verzichtet. – Jetzt lasse ich noch eine Nachfrage zu, nämlich von der FDP. Dann haben wir alle Fraktionen in dieser Runde einmal gehabt. Und dann würde ich wirklich gerne so langsam zur nächsten angemeldeten Frage übergehen. ({0}) Frau Aschenberg-Dugnus, Sie dürfen jetzt noch nachfragen. Ursprünglich war mal das Thema „Krankenhaus und Energiekosten“. Bitte.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es hat natürlich auch mit den Krankenhäusern zu tun. ({0}) Herr Minister, wir haben ja im Koalitionsvertrag die sogenannten Hybrid-DRGs vereinbart, um die Ambulantisierung voranzutreiben. Es gibt von Herrn Professor Schreyögg aus Hamburg ein Modell, das sich dadurch auszeichnet, dass es sehr schnell umsetzbar ist. Meine Fragen sind: Haben Sie das in Ihre Erwägungen miteinbezogen, und können wir damit rechnen, dass wir eben auch zeitnah diese Hybrid-DRGs bekommen? – Vielen Dank.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Das Gutachten von Professor Schreyögg, auch im Auftrag des BMG erstellt, ist mir natürlich bekannt. Und im Rahmen der Vorbereitung der Maßnahme „Hybrid-DRG“, wo es darum geht, dass Fallpauschalen, für die bisher stationäre Aufenthalte notwendig waren, in ambulanter Erbringung abgerechnet werden können, werden wir dieses Gutachten berücksichtigen. Das würde dann auch dazu führen, dass beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen – jetzt spreche ich von den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen –, die an der Versorgung dieser Patienten teilnehmen wollen, diese Möglichkeit bekämen. Wir müssen das System öffnen, sodass also stationäre Leistungen ohne Aufenthalt in der Klinik erbracht werden können. Das setzt Pflegekräfte frei; genauer gesagt: Die Pflegekräfte werden dann dort weiterbeschäftigt, sind aber nicht mehr überlastet. Gleichzeitig müssen wir aber auch die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte nutzen, damit sie stärker in die stationäre Versorgung eingebunden werden können. Da ist dieses von Ihnen erwähnte Gutachten sehr wichtig, und das werden wir selbstverständlich mitberücksichtigen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Das war noch im weitesten Sinne etwas zum Thema Krankenhaus. ({0}) Ich habe aber gesagt, dass ich jetzt, da wir sehr weit in der Zeit fortgeschritten sind, in der Fragestellung weitergehe. Daher gestatten Sie mir, dass ich jetzt weiter zur nächsten Frage übergehe – denn ich glaube, dass auch bei der nächsten Frage wahrscheinlich sehr viele Nachfragen kommen –, sodass wir weiterkommen. Ich habe jetzt als nächsten Fragesteller Johannes Wagner aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Johannes Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, welche Stellung messen Sie dem Vorhaben bei, ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit zu errichten? Und wie planen Sie im Ministerium, das noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für diese Frage. – In der Tat messen wir diesem Vorhaben eine sehr große Bedeutung bei, weil der Öffentliche Gesundheitsdienst derzeit eine Einrichtung benötigt, von der zentral bestimmte Aufgaben übernommen werden können, die bisher nicht genau koordiniert werden können, zum Beispiel die Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, die Entwicklung von Softwarepaketen, die hier hilfreich sind, von Lehrmöglichkeiten, vielleicht auch ein Studienangebot im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Daher hat das eine große Bedeutung. In Deutschland fehlt eine solche Einrichtung. Wir wollen eine solche Einrichtung schaffen. Wir planen das bereits für das nächste Jahr, wenn wir die Vorschläge umsetzen können. Die Arbeiten haben bereits begonnen. Wir sind auch im Austausch mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die bekannterweise zumindest in Teilen in dieses Institut übergehen soll. Die Besprechungen finden in regelmäßigen Abständen statt. Ich kann zusichern, dass wir Ihnen da einen entsprechenden Regierungsentwurf vorlegen können, wahrscheinlich einen ersten Entwurf noch in diesem Jahr.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Johannes Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, inwiefern könnte dieses Bundesinstitut auch dabei helfen, Prävention voranzubringen? Das ist ja ein sehr prominentes Thema im Koalitionsvertrag.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für die Frage, Herr Abgeordneter. – In der Tat, ein solches Institut wäre natürlich für die Stärkung der Vorbeugemedizin ein Segen – das ist ganz klar –, weil wir in Deutschland derzeit kein präventionsorientiertes Bundesinstitut haben. Viele dieser Aufgaben werden in hoher Qualität vom Robert-Koch-Institut mitübernommen, aber eine eigentliche Präventionsinstitution haben wir hier nicht. Dafür ist natürlich ein solches Institut prädestiniert. Hier geht es nicht nur um Suchtprävention, sondern auch um verbesserte Lebensführung. Hier geht es um die Vermeidung von Krebserkrankungen. Hier geht es um die Integration des Wissens, wie man über Kommunikation die Prävention in der Bevölkerung verbessert. Daher ist dieses Institut für die Präventionsleistungen, die wir uns wünschen, ein ganz zentraler und unabkömmlicher Baustein.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gibt es zu diesem Thema Nachfragen? ({0}) Frau Zeulner.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie haben jetzt angesprochen, dass das RKI in Teilen Aufgaben übernimmt und es weitere Institutionen gibt. Vor dem Hintergrund, dass wir ja überall Anspannung im Finanzierungsbereich haben: Welche Möglichkeiten sehen Sie, zukünftig weitere Abteilungen beispielsweise in diesem Institut aufgehen zu lassen? Und mit welchem Stellenzuwachs rechnen Sie gegebenenfalls bzw. in der Hoffnung, dass wir dann vielleicht schlagkräftiger werden und tatsächlich sogar Stellen einsparen können?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Ich kann die präzise Stellenplanung für dieses Institut jetzt natürlich noch nicht vortragen, weil wir noch in der Gestaltungsphase sind. Aber ich will auf einen Punkt aufmerksam machen, der sehr bedeutsam ist: Sie wiesen darauf hin, dass wir die Kostenentwicklung im Auge behalten müssen. Es ist tatsächlich ein Manko, ein Problem, ein Mangel in unserem Gesundheitssystem, dass wir bisher kein solches Institut haben. Durch die bessere Vorbeugung gegen schwere Erkrankungen mit hohen Kostenfolgen könnten wir natürlich sehr viel Geld einsparen. Daher gehe ich davon aus, dass sich ein solches Institut zum Schluss selbst finanziert, weil durch die verbesserte Vorbeugeleistung Kosten vermieden werden können.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Können wir dann davon ausgehen, dass Sie zum Beispiel bei der Akademisierung der Pflege, die natürlich auch einen großen Teil im Bereich der Prävention ausmachen kann, endlich einen Schritt weiterkommen und dass die Kosten für die Ausbildung in diesem Bereich übernommen werden, analog zur Regelung der Akademisierung der Hebammenausbildung?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – In der Tat, die Kosten in der akademisierten Pflege bleiben bei den Studierenden hängen. Daher haben wir eine viel zu geringe Anzahl von Studierenden; und das ist nicht hinzunehmen, weil die Akademisierung der Pflege tatsächlich dringend geboten ist. Wir überlegen uns daher derzeit, wie wir hier eine Lösung finden, sodass die Studierenden wirtschaftlich so unterstützt werden, dass sie nicht schlechtergestellt sind als diejenigen, die in der Ausbildung sind. Da ist beispielsweise eine Fondslösung möglich. Aber ich bitte Sie um Verständnis, dass ich Ihnen das heute noch nicht sagen kann. Auf jeden Fall werden wir dafür sorgen, dass die Studierenden in der Pflege gleichgestellt sind mit den Auszubildenden.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gibt es zum Thema weitere Nachfragen? – Ja, aus der SPD-Fraktion.

Tina Rudolph (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005195, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, zum Institut für öffentliche Gesundheit hätte ich die Nachfrage – vielleicht können Sie das noch einmal kurz skizzieren –, warum ein solches Institut auch wichtig wäre für die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern der Länder und Kreise ({0}) und warum das für unser Gesundheitssystem eine gute Angelegenheit wäre. – Danke. ({1})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Wir haben derzeit das Problem, dass die Gesundheitsämter und die öffentlichen Gesundheitsdienste wenig koordiniert sind. Ich bringe ein Beispiel: Die Software, die im Rahmen der Kontaktnachverfolgung im Pandemiefall verwendet wird, ist nicht einheitlich und wird auch nicht einheitlich weiterentwickelt. Es gibt auch in der Fortbildung der dort Tätigen keine einheitlichen Leitlinien, sodass zum Teil die Vorgehensweise medizinisch nicht abgestimmt ist. Das ist den Gesundheitsämtern und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht vorzuwerfen. Dort wird eine vorzügliche Leistung erbracht. Ich bin dankbar, dass diese Leistung im Rahmen der Pandemie, aber nicht nur dort, erbracht wurde, und ich möchte mich anlässlich Ihrer Frage bei diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch hier noch einmal ganz herzlich bedanken. Diese Leistung ist sehr viel wert; von ihr hängen wir ab. Trotzdem müssen wir dem Öffentlichen Gesundheitsdienst hier helfen, zu einer zentralen Einrichtung zu kommen, wo Dinge gemacht werden können, die einzelne Gesundheitsämter nicht machen können. Dazu zählen zum Beispiel die Vorbereitung der Lehre, Fortbildung, Weiterbildung, gemeinsame Datenpakete und dergleichen und darüber hinaus auch die Möglichkeit, sich zu akademisieren. Das alles ist in diesem Institut abgebildet. Daher messe ich der Schaffung dieses Instituts große Bedeutung für die Verbesserung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Deutschland bei.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Keine Nachfrage mehr. – Dann gehen wir jetzt über zum nächsten Fragesteller aus der AfD-Fraktion, Martin Sichert.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, in der Vergangenheit wurde ja mit der Sicherheit der Impfstoffe sehr fahrlässig umgegangen. Bei AstraZeneca beispielsweise brauchte es erst Todesfälle, bis man ihn jungen Menschen nicht mehr empfohlen hat. Bis heute haben die Impfstoffe keine Vollzulassung, sondern nur eine bedingte, vorläufige Zulassung. 2,5 Millionen Menschen waren allein im letzten Jahr mit Impfnebenwirkungen beim Arzt, und bis heute kennen wir die zugehörigen Diagnosen nicht. Sie machen ja immer wieder Werbung für die Impfung. Daher meine Frage an Sie: Wollen Sie für mehr Aufklärung und Transparenz und einen verantwortungsvolleren Umgang mit den Impfungen sorgen, um so verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Sehr verehrter Herr Abgeordneter, vielen Dank für die Frage. – Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich keine Werbung für die Impfstoffe mache, sondern die Menschen zur Impfung aufrufe, ({0}) die durch die Impfung möglicherweise vor schwerer Krankheit und vor Tod geschützt werden; ({1}) und das ist die Aufgabe eines Gesundheitsministers. ({2}) Ich möchte auch darauf hinweisen, dass diesen Impfstoffen zahlreiche Menschen in Deutschland ihr Leben verdanken. ({3}) Zum Zweiten. Die von Ihnen in der Frage unterstellte mangelnde Prüfung und Sicherheit der Impfstoffe ist wissenschaftlich nicht haltbar. Keiner der Impfstoffe, die wir je eingesetzt haben, ist so gut untersucht worden wie die derzeit von uns eingesetzten Coronaimpfstoffe. ({4}) Wenn ich das noch sagen darf, Herr Abgeordneter: Die Impfstoffe sind milliardenfach eingesetzt worden. ({5}) Auf der Grundlage des milliardenfachen Einsatzes dieser Impfstoffe haben wir präzise Daten zu den Nebenwirkungen dieser Impfstoffe, ({6}) und auf dieser Grundlage empfehlen die internationalen Fachgesellschaften weltweit die Nutzung dieser Impfstoffe. Dem schließe ich mich an. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie haben gerade gesagt, dass es keine Impfstoffe gab, die so gut getestet sind. Wozu momentan aufgerufen wird, ist ja die Impfung mit dem BA.5‑Impfstoff. Während die Impfstoffe am Anfang wenigstens noch an Menschen getestet worden sind, bevor man sie zugelassen hat, haben wir vor der Zulassung des BA.5‑Impfstoffs einen Test an 32 Mäusen gehabt, keinen Test an Menschen. Halten Sie wirklich 32 Mäuse für repräsentativ für die deutsche Bevölkerung? Und halten Sie das für einen verantwortungsvollen Umgang mit Impfstoffen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für diese Frage, Herr Abgeordneter. – Die Verunsicherung der Bevölkerung kann man so nicht stehen lassen. ({0}) Ich entnehme Ihren Äußerungen, dass Sie sich offenbar mit den Impfstoffen beschäftigt haben. Dann wissen Sie ja, dass hier nur sehr wenige Mutationen vorgenommen wurden, dass der Impfstoff im Wesentlichen, also zu mehr als 99 Prozent, der Genomsequenz entspricht, die wir milliardenfach eingesetzt haben. Daher gibt es wissenschaftlich keinen Zweifel daran, dass das Nebenwirkungsprofil dieser Impfstoffe dem Profil der Impfstoffe entspricht, die wir gut getestet haben. ({1}) Daher – auf der Grundlage der Arbeit der internationalen Wissenschaftler – ist das, was Sie hier beschreiben, nicht der Fall. Das Maß der Sicherheit der vorhandenen Impfstoffe, die wir geprüft haben, lässt sich auf die neuen Impfstoffe übertragen, weil sie, gemessen am genetischen Aufbau, fast identisch sind.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Nachfrage aus der AfD-Fraktion stellt Frau von Storch.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, es hat quasi noch nie einen Impfstoff gegeben, der an so vielen Milliarden Menschen verimpft und damit eigentlich gut getestet worden ist? Haben Sie also eigentlich gesagt, dass das Ergebnis der Prüfung das ist, was wir jetzt in der ganzen Welt sehen können, weil man quasi an so vielen Menschen getestet hat? Haben Sie das gerade so gesagt? ({0}) Oder wollen Sie das vielleicht kassieren? Denn so haben Sie es gesagt. ({1})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete. – Die Antwort ist: Nein. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie haben gerade gesagt, Herr Professor Dr. Karl Lauterbach, dass dieser Impfstoff an Milliarden Menschen verimpft worden ist, ({0}) weswegen die Erkenntnisse darüber jetzt so groß sind, aber vorher nicht waren. ({1}) Genau das haben Sie gerade gesagt. ({2}) Wir werden das sicherlich gut zusammenschneiden können. Aber vielleicht können Sie das noch mal klarifizieren, damit die Menschen draußen im Land erfahren, dass sie möglicherweise an einem großen Versuch beteiligt waren. ({3})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich will es Ihnen noch einmal erklären. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht verstanden haben oder ob Sie sich hier – das kann ich wirklich nicht einschätzen – dümmer stellen, als Sie sind; ({0}) aber ich werde es noch einmal erklären: Was ich gesagt habe, ist, dass die Impfstoffe sicher sind, weil sie an sehr vielen Menschen eingesetzt wurden, nachdem sie getestet wurden. Und im Einsatz hat man gesehen, dass die Impfstoffe sicher sind. ({1}) Ich habe aber nicht gesagt, dass die Impfstoffe an so vielen Menschen getestet worden sind. Anders ausgedrückt: Wenn sich aus dem Einsatz des Impfstoffes die Sicherheit ergibt, ist das etwas anderes, als wenn ich bei Milliarden einen Impfstoff teste. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Nachfrage aus der AfD-Fraktion stellt Frau Dr. Baum.

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Lauterbach, immer mehr Ärzte und Verbände fordern die Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht; auch mehrere Bundesländer haben sich angeschlossen. Das betroffene Personal braucht unbedingt Klarheit. Deshalb frage ich im Namen vieler Mitarbeiter: Haben Sie vor, das Gesetz auslaufen zu lassen, oder wollen Sie es verlängern?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für diese Frage, Frau Abgeordnete. – Wir beschäftigen uns derzeit mit der Entwicklung der Pandemie, also mit der Herbst- und Winterwelle, und wir werden es von dem Verlauf der Herbst- und Winterwelle abhängig machen, wie wir mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht umgehen.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr gerne. – Herr Lauterbach, viele Menschen haben Ihnen geglaubt und darauf vertraut, dass – was Sie immer wieder gesagt haben – die Impfungen keine gesundheitlichen Schäden nach sich ziehen. Nun haben sie zum Teil schwerste Nebenwirkungen. Was sagen Sie diesen davon betroffenen Impfgeschädigten? Es sind unter anderem auch sehr viele junge Leute dabei. Was sagen Sie denen? Ist jetzt von Ihrer Seite endlich mal eine Entschuldigung dazu fällig? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich glaube – wenn ich ganz ehrlich sein darf –, dass hier eine Entschuldigung von Ihrer Seite fällig wäre, wenn Sie diese Gelegenheit nutzen, um die Menschen zu verunsichern. ({0}) Sie stellen die Impfstoffe hier gefährlicher dar, als sie sind. In Wirklichkeit sterben Menschen, wenn sie nicht geimpft sind, und es sterben Menschen, wenn sie nicht mehr ausreichend geimpft sind. Dieser Verantwortung müssten gerade Sie als ärztliche Kollegin gerecht werden. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Nachfrage: aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Heitmann.

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. – Herr Professor Lauterbach, nach allem, was wir wissen, senkt die Impfung das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung. Nichtsdestotrotz sehen wir leider, dass eine Reihe von Menschen deutlich länger als die fünf bis zehn Tage, die man bei einer Infektion in Quarantäne bleibt, mit der Erkrankung zu kämpfen hat. Deshalb an Sie die Frage: Was planen Sie, um die Versorgung für die an Long Covid erkrankten Menschen in diesem Land zu verbessern? Wollen Sie vor allem auch bei den Spezialambulanzen einen Ausbau vorantreiben? Wann genau ist damit zu rechnen? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für diese wichtige Frage, Frau Abgeordnete. – Das Long-Covid-Problem haben wir im Auge, und wir unterschätzen es keineswegs. Der Ausbau von Spezialambulanzen ist geplant, nicht nur an den Universitätskliniken, sondern auch in der Fläche. Darüber hinaus – das möchte ich ankündigen – werden wir uns auch auf den Weg machen, ein Programm aufzulegen, bei dem die Versorgung mit der Erhebung von Forschungsdaten kombiniert wird. Wir haben nämlich in Deutschland das Problem, dass wir die Versorgung verbessern müssen, aber gleichzeitig noch erforschen müssen, welche Versorgungswege die besten Ergebnisse bringen. Dazu werden wir Ihnen in Kürze einen Vorschlag machen können.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Bevor Sie die Nachfrage stellen, sage ich das jetzt noch mal: Die Nachfragen beziehen sich auf die erste Frage. Es kann nicht sein, dass hier andauernd neue Themen aufgemacht werden. ({0}) Sonst kommen wir mit dieser Befragung und dem Recht, die angemeldeten Fragen zu stellen, nicht weiter. Sie dürfen jetzt Ihre Nachfrage, wenn sie zum gleichen Thema ist, nicht mehr stellen. Ich habe Sie jetzt nur nicht unterbrochen. Es war eigentlich ein anderes Thema – auch wenn es ein wichtiges Thema ist; keine Frage. Ich habe nämlich noch eine lange Liste an Nachfragen. Ursprünglich ging es bei der Frage um die Impfpflicht oder um den Impfstoff und Arzneimittelsicherheit, um genau zu sein; das war die Ursprungsfrage.

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde, dass das Thema „Long Covid“ durchaus mit der Wirkung der Impfung in Zusammenhang steht. Jetzt ist der Minister auch noch mal konkret auf die Forschung eingegangen; auch dafür haben wir Geld in den Haushalt eingestellt. Da würde ich gern noch mal nachfragen, wo Sie da die Schwerpunkte in der Erforschung von Long Covid setzen möchten.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für diese Frage, Frau Abgeordnete. – Bei Long Covid ist ja zunächst einmal das Problem, dass es mehrere Krankheiten in der Ausprägung gibt, die nebeneinander bestehen können. Aber es kann auch sein, dass es nur eine Krankheit gibt. Das sind zum einen die Krankheiten, die im Wesentlichen das Gehirn betreffen, also Brain Fog, die darauf hinauslaufen, dass unter bestimmten Bedingungen der Patient gar nicht mehr arbeitsfähig ist. Und dann gibt es wiederum Erkrankungen, die das Lungengewebe oder den Kreislauf betreffen. Wir werden in beiden Bereichen entsprechende Forschungsmodelle vorlegen, und wir werden die unterschiedlichen Spezialisierungen so aufbauen, dass für diese beiden großen Bereiche jeweils Ambulanzen da sind.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage stellt aus der AfD-Fraktion der Kollege Brandner, aber jetzt bitte nicht zum Thema „Long Covid“, sondern zum Ursprungsthema.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ursprungsthema, selbstverständlich. – Um diese Frage geht es ja auch: Wer verunsichert wen, und wer macht Werbung für was? Herr Lauterbach, da ist mir noch Ihre Äußerung von Ende letzten Jahres im Kopf, in der Sie prognostizierten – in Ihrer gewohnt sachlichen Art und Weise, wie Sie so was machen –: Wer sich nicht impfen lässt, der ist im März 2022 tot; der ist gestorben. – Also, da haben Sie Druck ausgeübt, das Ganze sekundiert durch Jens Spahn, der sich ähnlich geäußert hat und der inzwischen für Wirtschaftspolitik zuständig ist – hoffentlich ein bisschen erfolgreicher. Sie haben angekündigt: Jeder Ungeimpfte sei bis März 2022 gestorben. – Ich bin ein Prachtexemplar, ein Prachtbeispiel dafür, dass das nicht der Fall ist. Meine Frage daher: Wie stehen Sie zu dieser Aussage, gerade vor dem Hintergrund, dass der Volksmund ja sagt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Zunächst einmal ist nicht jede falsche Einschätzung eine Lüge. Zum Zweiten ist es nicht eingetroffen. Und so wie Sie mich jetzt zitiert haben, war es auch aus dem Zusammenhang gerissen. Von daher ist das eine Aussage, die ich in dieser platten Form nicht getätigt habe. ({0}) Es ist aber ein wichtiges Thema; man muss offen miteinander umgehen können. Die Omikron-Variante ist wesentlich weniger tödlich verlaufen als die Varianten, die wir damals hatten. Die Omikron-Variante hat damals noch niemand vorhersehen können, auch niemand in Ihrer Fraktion im Übrigen. Darüber, dass wir dann eine leichter verlaufende Variante mit höherer Ansteckungsrate, aber einem deutlich geringeren Risiko, zu versterben, bekommen haben, können wir alle froh sein. Somit: Wenn ich mich in der Prognose irre, weil eine Variante kommt, die weniger gefährlich ist, dann bin ich dafür dankbar und korrigiere mich gerne. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Schön, dass Sie die Fehleinschätzung einräumen. Aber wir gucken noch mal zurück. Als Sie die Äußerung getätigt haben: „Jeder Ungeimpfte ist bis März 2022 gestorben“, waren etwa 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland ungeimpft. ({0}) Das heißt, Sie als Fachpolitiker haben zu 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland gesagt: Ihr werdet sterben, wenn ihr euch nicht impfen lasst. ({1}) Jetzt werden sich wahrscheinlich viele – ich hoffe, nicht allzu viele – von Ihrer Expertise haben beeinflussen lassen. Gesunde Menschen haben sich impfen lassen und wurden danach durch die Impfung krank. ({2}) Ist es daher nicht jetzt mal an der Zeit, sich dafür zu entschuldigen, dass Sie Leute wissentlich in Impfungen gejagt haben, die dann hinterher erkrankt sind – nicht an der Krankheit, sondern an den Folgen der Impfung? ({3})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Herr Abgeordneter, ich habe das so nicht gesagt, wie Sie das hier unterstellt haben. Von daher kann ich auch Ihre Frage nicht beantworten. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Frage zu diesem Thema: aus der AfD-Fraktion der Kollege Ziegler.

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister, ich habe eine Frage an Sie. Sie sagen ja die ganze Zeit: Die Impfstoffe sind sicher, sie sind verträglich, und sie sorgen dafür, dass weniger Leute ins Krankenhaus kommen. – Ihr Staatssekretär hat heute im Gesundheitsausschuss folgende Aussage gemacht: Der Hospitalisierungsindex liegt im Moment bei 12 von 100 000 Einwohnern. – Zum Vergleich: Im letzten Jahr zum selben Zeitpunkt lag der Hospitalisierungsindex bei 1,7. Erklären Sie mir bitte, wie das mit diesen Impfstoffen einhergeht, wie der Hospitalisierungsindex also so ansteigen konnte, wenn denn die Impfstoffe vernünftig wirken würden. – Vielen Dank.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für diese Frage. – In der Tat ist es so, dass wir derzeit eine bedrückende Zunahme der Zahl der Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen in den Kliniken beobachten. Ich habe daher eben darauf hingewiesen, dass die Länder jetzt in der Pflicht sind, die Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes zu prüfen und anzuwenden. Die Tatsache, dass derzeit sehr viele Menschen erkranken, weil sie sich infiziert haben, liegt also an der mangelnden Vorsicht und nicht an den Impfstoffen. Wenn die Impfstoffe nicht im Einsatz wären, dann würden die Verläufe, die wir derzeit beobachten, ganz anders ausgehen. Das heißt, wir haben im Moment zwar eine hohe Hospitalisierungsinzidenz, aber die Zahl der Todesfälle ist deutlich niedriger, als wir sie vor einem Jahr hatten, und das verdanken wir der Wirkung der Impfstoffe. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Kay Uwe Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005265, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Uns wird seit mehr als zwei Jahren erzählt, dass die Impfstoffe vor schweren Verläufen schützen. Daher verstehe ich nicht, wie es mit diesen Impfstoffen überhaupt möglich ist, dass man trotzdem in ein Krankenhaus kommt und der Index deutlich höher als in den Vorjahren ist. Das ist meine Frage: Wie ist es möglich – wenn die Impfstoffe so wirksam sind –, dass die Leute trotzdem im Krankenhaus landen? Und im Krankenhaus landen bedeutet ja: Es ist ein schwererer Verlauf – zumindest nach meinem logischen Verständnis. Dafür hätte ich gerne eine Erklärung.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Ich glaube, ich kann diese Frage beantworten. Der Unterschied liegt darin, dass es einen Unterschied macht, ob ich in ein Krankenhaus komme und dort erfolgreich behandelt werde oder ob ich in ein Krankenhaus komme und versterbe. Und die Impfstoffe – – ({0}) – Nein, es wären mehr gestorben. Frau von Storch, Sie dürfen sich nicht dümmer stellen, als Sie sind. Das mag nicht leicht sein, aber – – ({1}) Die Menschen kommen jetzt in die Krankenhäuser und überleben die Erkrankung, weil sie geimpft sind. Wenn sie nicht geimpft wären, dann wäre der Verlauf sehr viel schwerer, und es würden mehr Menschen versterben. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Die nächste Frage stellt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich weiß es gar nicht: Vielleicht ist es Dummheit, oder vielleicht ist es sogar Absicht. Ich weiß es nicht. Sie haben gesagt: Manche stellen sich dümmer, als sie vielleicht sind. – Das kann auch Absicht sein. ({0}) Ich stelle in dieser Runde fest, wie menschenverachtend Kollegen hier sein können, die mit Zahlen operieren nach dem Motto: Es sind nicht 100, sondern nur 12 auf der Intensivstation. Ich frage mich bei manchen: Was ist eigentlich in Ihrem Leben schiefgegangen, dass Ihnen diese zwölf Leute so was von egal sind? ({1}) Wir reden ja über das Impfen und die Frage der Risiken. Natürlich bringt jeder Impfstoff auch ein Risiko mit sich – andere gibt es aber nicht –, aber er ist auch eine Chance. Ich würde gerne mal von Ihnen wissen, wie Sie die Risiken und Chancen der Impfstoffe in Relation zu den Risiken und Chancen, wenn man nicht geimpft ist, abwägen. ({2}) Ich persönlich kenne auch Leute, die geimpft waren und krank wurden, die danach lange krank sind. Aber Verantwortung und Vorsorgeprinzip heißt ja, das in Relation zu setzen. ({3})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – In der Tat: Ich kann hier nur auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission verweisen, die den über 60-Jährigen jetzt die Vervollständigung des Impfschutzes empfiehlt, weil aus der Perspektive der Ständigen Impfkommission bei diesen der Nutzen der Impfung das Risiko der Impfung bei Weitem überwiegt. Es ist einfach so. ({0}) – Das hängt natürlich immer vom Einzelnen ab. ({1}) – Das Alter spielt eine Rolle, ob man Risikopatient ist. Aber für alle über 60-Jährigen wird jetzt beispielsweise durch die STIKO die vierte Impfung mit den angepassten Impfstoffen empfohlen, weil man davon ausgeht, dass für alle über 60-Jährigen der Nutzen der Impfung größer ist als das Risiko, sich impfen zu lassen. Das gilt auch für diejenigen, die unter 60 sind und Risikofaktoren haben. Wir haben ähnliche Einschätzungen durch Expertenkommissionen in der ganzen Welt, also in fast allen europäischen Ländern, auch in den osteuropäischen Ländern, in den Vereinigten Staaten, in England. Diese Empfehlungen gelten in der gesamten Welt. Somit kann ich es wirklich nicht verstehen, dass die internationale Wissenschaft hier im Haus immer wieder hinterfragt wird. Ich weiß nicht, woher diese Spezialkenntnisse kommen sollen. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich lasse jetzt noch zwei Nachfragen zu diesem Thema zu, auch wenn es noch mehr Wortmeldungen gibt, Frau von Storch. Ich lasse noch zwei zu, und ich sage jetzt schon, dass diese Befragung zum Leidwesen des Ministers um eine Viertelstunde verlängert wird, damit wir noch annähernd durch die angemeldeten Fragen kommen. Ich lasse jetzt noch zwei Nachfrager zu: einmal den Herrn Reichardt aus der AfD-Fraktion, und dann ist die Kollegin Borchardt aus der CDU/CSU-Fraktion gleich auch noch dran.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, ich muss noch mal nachfragen. Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen Sichert, der sagte, dass die neuen Impfstoffe nur an 32 Mäusen getestet worden sind, gesagt, dass dies daran läge, dass der alte und der neue Impfstoff vom Genom her zu 99 Prozent übereinstimmen. Nun ist es aber auch so, dass das Genom von Menschen und Schimpansen zu 97 bis 99 Prozent übereinstimmt. Ich kann daher nicht verstehen, woher Sie diese Leichtfertigkeit nehmen, Herr Minister. ({0}) Könnten Sie dazu vielleicht was sagen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, das brauche ich nicht zu beantworten. Die Genome der Wirkstoffe, die miteinander verglichen werden, beziehen sich ausschließlich auf die Impfwirkung. Beim menschlichen Genom wie auch beim Schimpansengenom bzw. bei tierischen Genomen gibt es beispielsweise sehr große Strecken, die in keiner Weise eine funktionelle Bedeutung haben. Wenn Sie sich damit auskennen: Im Genom sind große Strecken, die im Wesentlichen mit keiner physiologischen Eigenschaft einhergehen. Somit sind diese Vergleiche zwischen den Spezies und den Wirkstoffen vollkommen irrelevant. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. – Das ist nicht der Fall. Dann ist jetzt die Kollegin Borchardt aus der CDU/CSU-Fraktion dran.

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Minister. – Sie haben jetzt ja bereits mehrfach erwähnt, dass Sie sich von der STIKO beraten lassen. Sehen Sie es mir nach: Das ist nicht immer der Eindruck, den ich im Gesundheitsausschuss gewinnen konnte. Sie haben Aussagen zur Auffrischungsimpfung getätigt, die im Widerspruch zur offiziellen Empfehlung der STIKO standen. Warum haben Sie für diese Verunsicherung gesorgt? Glauben Sie, dass dies die Impfbereitschaft fördert und zu mehr Glaubwürdigkeit führt? – Vielen Dank.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Wir haben die STIKO um beratende Mitglieder erweitert, indem wir dort eine weitere Institution ergänzend geschaffen haben, die sogenannte PAIKO, die Pandemieimpfkommission. Dieser Impfkommission wohne ich selbst bei, und wir diskutieren im Einvernehmen miteinander. Mir sind keine Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten in dieser Zusammenarbeit bekannt. Die Arbeit der STIKO hat ein gewohnt hohes Niveau und wird auch von uns als Gesundheitsministerium voll unterstützt.

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen. – Das ist nicht der Fall. Dann gehe ich jetzt zur nächsten angemeldeten Frage über. Die Frage stellt Heike Baehrens, SPD-Fraktion.

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, wie Sie und auch andere renommierte Expertinnen und Experten es ja immer wieder angekündigt haben, steigen die Coronainfektionszahlen spürbar. Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere in Bayern nach dem Oktoberfest, führen in den Kliniken schon jetzt zu sehr belastenden Situationen, nicht nur für das Personal, sondern vor allem auch für die Menschen, die in diesen Krankenhäusern behandelt werden müssen. Werden Ihrer Meinung nach die Länder ihrer Ausführungsverantwortung im Rahmen des Infektionsschutzes ausreichend gerecht, auch wenn sie teilweise zum Beispiel die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Umsetzung sehr lax handhaben? Welche ergänzenden Schritte planen Sie gegebenenfalls für die Bundesregierung, damit wir gut durch den Herbst und Winter kommen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – In der Tat ist es so, dass die Länder auch öffentlich zum Teil sehr schwer nachvollziehbare Ratschläge geben. Ich bin zum Beispiel teils aus Süddeutschland für eine nicht ausreichend strenge Handhabung des Infektionsschutzes kritisiert worden; so etwas höre ich eher selten, aber immerhin. Doch das ist hier nicht der springende Punkt. Zum Teil wurden diese Ratschläge mit dem Maßkrug in der Hand vorgetragen und hatten daher eine geringe Glaubwürdigkeit. Ich glaube, dass die Länder jetzt gut beraten sind, sich den Infektionsverlauf genau anzuschauen. Das Infektionsschutzgesetz bietet hier Möglichkeiten. Ich denke, es ist eine Fehlannahme, zu glauben, dass sich die jetzt beginnende Herbst- und Winterwelle von alleine begrenzt. Daher würde ich mir wünschen, dass die Länder jetzt prüfen, wann der optimale Zeitpunkt ist, Maßnahmen zu ergreifen. Ich hoffe, dass wir mit den Ländern gut zusammenarbeiten können – davon gehe ich aber aus – bei der Verbesserung des Schließens der Impflücken in den Pflegeeinrichtungen. Im Hinblick auf die älteren Menschen arbeiten wir sehr eng mit dem Hausärzteverband zusammen, bei dem ich mich übrigens ausdrücklich für die Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Impfkampagne, aber auch bei der Vorbereitung der besseren Versorgung der Betroffenen mit Medikamenten bedanken möchte. Das ist etwas, was wir gemeinsam schaffen. Ich glaube, wir müssen nach vorne blicken. Wenn wir – Länder, Bund, Hausärzteschaft, Pflegeeinrichtungen – nach vorne blicken, können wir das schaffen. Wir sind besser vorbereitet als im letzten Jahr und haben alle Möglichkeiten. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. Diese Gelegenheit nehme ich gerne wahr. – Herr Minister, Sie haben schon die internationale Dimension der Pandemie angesprochen. Deshalb möchte ich mit Blick auf unsere Nachbarländer nachfragen: Wer hat welche Maßnahmen vielleicht besser umsetzen können als wir? An wem können wir uns ein Beispiel nehmen, um besser durch Herbst und Winter zu kommen? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete. – Mir liegt es fern, andere Länder zu bewerten oder anderen Ländern Ratschläge zu geben. Ich glaube, wir können mit der Art und Weise, wie wir die Pandemie bisher gemanagt haben, insgesamt einigermaßen zufrieden sein, weil wir zum Beispiel erreichen konnten, dass die Sterblichkeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur etwa halb so hoch ist. Somit sind wir zwar nicht perfekt, aber doch besser durch die Pandemie gekommen als viele unserer Nachbarländer. ({0}) Ich will alles in meiner Macht Stehende tun, damit es nicht schlechter wird, sondern besser. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Gibt es zu diesem Thema eine Nachfrage? – Das ist nicht der Fall. Dann gehe ich zur nächsten angemeldeten Frage über. Die Kollegin Kathrin Vogler aus der Fraktion Die Linke hat das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, ich würde jetzt gerne mal zu einem brennenden Thema kommen, das auch im Zusammenhang mit Inflation und Teuerung steht. Es ist ja so, dass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung ein enormes Defizit haben. Sie betonen immer, dass das im Wesentlichen von Ihrem Vorgänger, der teure Leistungsreformen durchgeführt und von Strukturreformen Abstand genommen habe, geerbt wurde. Allerdings war natürlich auch die SPD Teil dieser Regierung, ({0}) und Sie waren als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Gesundheitspolitik. Das heißt also, dass Sie das ein bisschen mitzuverantworten haben. Jetzt kommt aus Ihrem Haus leider keine Strukturreform, die die Sicherung der Krankenkassen nachhaltig gewährleistet. Stattdessen haben Sie dem Bundestag ein Notpaket vorgelegt, durch das die Rücklagen der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds zum größten Teil verbraucht werden, das die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler noch einmal mit mindestens 5 Milliarden Euro durch Beitragssatzsteigerungen belastet und das der GKV einen Milliardenkredit von der Bundesregierung aufzwingt, von dem niemand weiß, wie er wieder zurückgezahlt werden kann. Da möchte ich wissen: Wann sind denn endlich wirkliche Strukturreformen von Ihnen zu erwarten, beispielsweise indem die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenkassen verbreitert wird und mehr Menschen mit höheren Einkommen einbezogen werden, etwa durch Anhebung der Beitragsbemessungs- und der Pflichtversicherungsgrenze?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Wenn ich die Frage richtig verstehe, verwechseln Sie eine Strukturreform mit einer Finanzreform. Sie haben nach einer Strukturreform gefragt und dann gesagt: Wann kommt denn mehr Geld ins System? Aber „mehr Geld ins System“ ist ja keine Strukturreform. Die Strukturreform besteht aus den zwölf Gesetzen, die ich eben angekündigt habe. Sie beinhaltet die Fragen, wie wir die Kinderheilkunde demnächst finanzieren, wie wir die Geburtshilfe finanzieren, wie wir Anreize für Tagesfallpauschalen setzen, wie wir das Fallpauschalensystem weiterentwickeln, wie wir die Digitalisierung durch die elektronische Patientenakte verbessern, wie wir das elektronische Rezept verändern, wie wir die Gesundheitskioske für die bedürftigen Bereiche aufbauen usw. Die Inhalte des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes sind Strukturreformen; denn sie verbessern die Art und Weise, wie Medizin gemacht wird. Ich mache es ganz simpel: Es geht um eine bessere und effizientere Medizin, unter anderem durch eine Entökonomisierung des Krankenhaussektors. Davon abzugrenzen ist die Frage, wie das System bezahlt wird. Die Bezahlung ist ja keine Strukturreform. Da haben wir in der ersten Runde Effizienzreserven gehoben. Der Beitragssatz wird darüber hinaus um 0,3 Beitragssatzpunkte erhöht. Es gibt einen Steuerzuschuss von zusätzlichen 2 Milliarden Euro, ein Darlehen. Aber es ist ganz klar, dass weitere Finanzierungsreformen in dieser Legislaturperiode folgen werden –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Herr Minister, denken Sie bitte an die Redezeit.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

– und auch folgen müssen. Daher kommen die Finanzreformen. Aber jetzt ist erst mal die Effizienzreserve gehoben worden. Und die Strukturreformen habe ich eben mit den zwölf Beispielen benannt.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Vogler, Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, vielen Dank, Herr Minister. Auch wenn ich vielleicht Struktur und Finanzierung verwechselt habe, ist es doch so, dass diese zwölf Reformvorhaben, die Sie gerade genannt haben, nicht unmittelbar zur Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler beitragen werden und auch nicht dazu, die Versorgung unmittelbar effizienter und schlanker zu gestalten. Im Gegenteil: Sie müssen erst mal finanziert werden. Den Aufbau der Gesundheitskioske, die Sie ja genannt haben, halte ich zum Beispiel für ein durchaus spannendes Programm, weil es darum geht, dass die Versorgung gerade in ländlichen Räumen und in benachteiligten Stadtteilen verbessert werden soll. Aber so etwas kostet doch. Sie wollen 1 000 Gesundheitskioske errichten. Wer soll denn das bezahlen? Die Kommunen?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frau Vogler, bitte mal an die Redezeit denken.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Die Gesundheitskioske werden die GKV insgesamt entlasten; denn es geht ja um eine Versorgung in den ärmsten Stadtteilen, wo Patienten, die keinen Zugang zum System haben, oft über die Notfallambulanzen aufgenommen werden und dann übrigens oft sogar stationär versorgt werden müssen. Hier kann man doch durch einfache Mittel verhindern, dass eine Krankheit, die durch kleine Interventionen noch behandelbar ist – beispielsweise indem Blutdruckmedikamente eingenommen werden –, zu einer schweren Krankheit wie einem stattfindenden Schlaganfall wird. Gesundheitskioske sind ein Beispiel für einen Bereich, wo eine neue Struktur mehr Geld spart, als sie kostet.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank. – Wir haben einige Nachfragen. Es beginnt der Abgeordnete Sorge.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundesgesundheitsminister, Sie haben auf die Frage nach dem Finanzdefizit gerade mehr oder weniger ausweichend geantwortet. Wir haben ja nun dieses Defizit in Höhe von prognostizierten 17 Milliarden Euro für das nächste Jahr; in den folgenden Jahren wird es voraussichtlich sogar noch höher. Sie haben in der Vergangenheit ausgeschlossen, die 10 Milliarden Euro, die im System ja fehlen, weil die Krankenkassenbeiträge für ALG-II-Bezieher aus dem Bundeshaushalt nicht in ordnungsgemäßer Höhe in den Gesundheitsfonds abgeführt werden, einzufordern. Das heißt, Sie unternehmen überhaupt nicht den Versuch, die Mittel in Höhe von 10 Milliarden Euro, die dem Gesundheitssystem zustehen würden, beim Bundesfinanzminister einzufordern. Deshalb würde mich interessieren, ob Sie ernsthaft glauben, dass Sie diese 17 Milliarden Euro Defizit durch Effizienzreserven im System, wie Sie es ja immer sagen, kompensiert bekommen, oder ob Sie nicht gleichzeitig die Akteure im System – Ärzte, Apotheker, Pharmaindustrie, forschende Unternehmen – zusätzlich belasten wollen.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Zum Ersten möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich dieses Defizit bekannterweise von meinem Vorgänger geerbt habe. ({0}) Zum Zweiten. Sie werden durch den Abstimmungsverlauf hier im Haus sehen, dass wir dieses Defizit durch das Heben von Effizienzreserven bereinigen können. Zum Dritten. Ich habe nicht gesagt, dass ich auf die Erhöhung der Beiträge für Arbeitslosengeld‑II-Empfänger oder die Dynamisierung des Bundeszuschusses verzichten werde. Ich habe bei einer Veranstaltung nur darauf hingewiesen, dass wir das nicht jetzt machen müssen; aber das muss im Laufe der Legislaturperiode stattfinden. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir das bestehende Defizit durch die Effizienzreserven beheben, die im System noch bestehen. Das werden Sie qua der Abstimmungsergebnisse hier im Haus bald sehen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Gibt es noch eine Nachfrage?

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Natürlich habe ich noch eine Nachfrage dazu. Im Grunde ist es das, Herr Minister, was Sie die letzten Monate quasi mantraartig vor sich hertragen: Sie sagen, alle Probleme, die das Gesundheitssystem in Deutschland hat, hätten Sie von Ihrem Vorgänger geerbt. Es ist bereits angeklungen und ich kann mich dunkel erinnern, dass Sie in der letzten Legislatur als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für den Gesundheitsbereich zuständig waren. ({0}) – Ja, ich weiß, Wahrheit tut weh.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Bitte an die Redezeit denken!

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Insofern würde mich schon interessieren, ob Sie der Meinung sind, dass das Verhalten des damaligen Bundesfinanzministers und jetzigen Bundeskanzlers Olaf Scholz, der diese 10 Milliarden Euro immer gedeckelt hat und nicht abführen wollte, richtig war.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Ich habe nie gesagt, dass mein Vorgänger alles falsch gemacht hat. Das ist nicht meine Meinung, und das würde ich auch nicht vortragen. Ich habe lediglich auf dieses Defizit abgehoben. Das werde ich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen hier im Haus durch Effizienzreserven beseitigen. Wie es dann mit der Finanzierung unseres Gesundheitssystems weitergeht, werden wir im nächsten Jahr gemeinsam entwickeln. Wir werden die Strukturreformen machen – die zwölf Gesetze habe ich eben beschrieben –, wir werden eine Finanzreform machen, und wir werden das Defizit beseitigen. Alles wird gelingen. Effizienzreserven, Strukturreformen und Finanzreform – alle drei Blöcke werden abgearbeitet, und zwar erfolgreich. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dann habe ich eine Nachfrage der Kollegin Lütke.

Kristine Lütke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005136, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, natürlich hängt das Defizit in der Krankenversicherung auch mit den Versäumnissen der Vorgängerregierungen bei Strukturreformen zusammen. Ich bin deswegen sehr froh, dass wir diese jetzt endlich angehen. Was genau haben Sie vor, um die Ambulantisierung voranzutreiben? Und welche Rolle sollen niedergelassene Ärzte und andere Therapieberufe in dem Zusammenhang spielen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Wir wollen in der Tat im Bereich der stationären Versorgung etwas einführen, was in vielen anderen europäischen Ländern schon gelungen ist, nämlich dass die Fallpauschalenleistung, also die Leistung, die stationär erbracht wird, auch erbracht werden kann, indem auf die Übernachtung verzichtet wird. Das kann man mit dem Begriff „Tages-DRG“ beschreiben. Auf jeden Fall führt das dazu, dass bei der Pflege massiv entlastet werden kann. Man kann allerdings auch Leistungen, die bisher stationär erbracht wurden, komplett ambulant erbringen. Da sind natürlich die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gefordert, sich einzubringen. Sie alle kennen den AOP-Katalog. Man könnte sich vorstellen, dass wir diesen Katalog, der ja vorliegt, stärker, ausweitend in die Versorgung einbringen. Wir können es uns nicht länger leisten, die ambulanten und die stationären Bereiche gegeneinanderzustellen. Vielmehr muss hier miteinander gearbeitet werden. Das verbessert die Effizienz der Versorgung und die Versorgungsqualität und ist auch die einzige Art und Weise, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

– wie wir dem Mangel in Zukunft begegnen können.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Haben Sie eine Nachfrage?

Kristine Lütke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005136, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, und zwar noch einmal ganz konkret zu der jetzt vorliegenden Stellungnahme der Regierungskommission zum Bereich Ambulantisierung: Sind die Maßnahmen, die dort aufgezeigt worden sind, Ihres Erachtens ein gangbarer Weg?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Die Stellungnahme der Regierungskommission ist von uns mit großem Wohlwollen aufgenommen worden und beinhaltet das, was wir in den nächsten Monaten entwickeln werden. Die Arbeit hat ja längst begonnen und wird sich sehr eng an dem orientieren, was die Regierungskommission vorgetragen hat. Es sind ja immer mehrere Optionen vorgetragen worden. Wir werden jeweils die Option wählen, die politisch am besten und am effizientesten durchsetzbar ist.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich lasse jetzt noch eine Nachfrage der Linken zu und gehe dann über zur nächsten Frage, weil wir sonst nicht mit einer Runde durchkommen.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit, noch eine Frage zu stellen. Wir reden ja von Finanzierungsdefiziten. Nun haben Sie selbst eingestanden, dass Sie keine Strukturreform anstreben. Es wäre übrigens eine Strukturreform gewesen, eine Bürgerversicherung einzuführen. Das ist mehr als eine Finanzreform; das kann man schon Strukturreform nennen. Aber das haben Sie in dieser Legislatur anscheinend nicht mehr vor und nicht geschafft. Aber kommen wir zu einem Vorschlag von Ihnen vom Frühjahr. Damals haben Sie gesagt, dass eine Idee wäre, wie in anderen europäischen Ländern auf Arzneimittel nur den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu erheben. In manchen Ländern sind es sogar nur 2 oder 0 Prozent; in Deutschland gilt hier nach wie vor der volle Mehrwertsteuersatz. Wieso machen Sie es nicht so wie bei Tierarzneimitteln, aber auch Stadionbesuchen oder Schnittblumen, dass man einen geringeren Mehrwertsteuersatz dafür einführt? Warum haben Sie Ihre Meinung, die Sie noch im Frühjahr hatten, geändert? Oder werden Sie sich vielleicht doch noch mal mit dem Finanzminister in Verbindung setzen? Wenn er insgesamt 200 Milliarden Euro in die Hand nimmt, wäre das vielleicht auch dafür aufzuwenden. Das wäre ja bei solch einem Doppel-Wumms möglich. – Danke schön.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Herr Abgeordneter, für diese Frage. – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das Verfügbarmachen von mehr Geld – mehr Steuern, höherer Krankenkassenbeitrag oder höhere Beitragsbemessungsgrenze – für das existierende System keine Strukturreform ist. ({0}) – Und weniger Geld ist auch keine Strukturreform. – Man muss zwischen einer Strukturreform und der Finanzierung des Systems unterscheiden. Strukturreformen sind die Dinge, die ich eben beschrieben habe: Krankenhausreform, Arzneimittelreform, wie wir die Kinderheilkunde bezahlen, Gesundheitskioske – das hat die Kollegin angesprochen –, die Frage, wie wir mit dem Institut für das öffentliche Gesundheitswesen umgehen. Das sind echte, schwierige Strukturreformen. Und wenn man solche Reformen macht, dann muss man sich mit vielen Lobbygruppen im Gesundheitssystem auseinandersetzen, weil jede Strukturreform Gewinner und Verlierer hat. Mehr Geld in die Hand zu nehmen –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Minister.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

– und zu sagen: „Es bleibt so wie immer“, das kann jeder. Das kann nicht unser Ansatz sein.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Sie haben noch die Möglichkeit der Nachfrage.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich mache es noch einmal ganz konkret, weil Sie die Frage gar nicht beantwortet und auf eine falsche Ansicht zum Begriff „Strukturreform“ hingewiesen haben. ({0}) Die Frage lautet: Möchten Sie in Zukunft auf Arzneimittel nicht doch einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden, wie Sie es im Frühjahr noch selbst behauptet haben?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Ich habe nichts behauptet, sondern diese Maßnahme damals erörtert. ({0}) Wir haben sie auch mit den Ländern erörtert – die Länder sind ja unmittelbar von den Einnahmen betroffen –; sie waren an einer solchen Reform bisher nicht interessiert, kein Land im Übrigen, also auch kein Land, wo der Ministerpräsident durch die Partei Die Linke gestellt wird.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank, Herr Minister. – Dann kommen wir zur nächsten und letzten regulären Frage der Abgeordneten Nicole Westig.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat kürzlich sein Gutachten für eine nachhaltige Reform der Pflegeversicherung veröffentlicht, mit ganz klaren Empfehlungen für die dringend notwendige Reform, gerade mit Blick auf die Generationengerechtigkeit. Im Koalitionsvertrag haben wir geplant, eine Expertenkommission dazu einzusetzen. Welche Reformschritte planen Sie genau, und wann wird diese Expertenkommission eingesetzt?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank, Frau Abgeordnete, für diese Frage. – Wir werden uns im nächsten Jahr mit der Finanzierung der Pflegeversicherung auseinandersetzen. Wir werden bis dahin eine Reform vorlegen, die die Finanzierung der Pflegeversicherung bis zur Mitte des nächsten Jahres absichert, sodass wir kein Defizit haben. Die gesetzliche Krankenversicherung hat ja ein voraussichtliches Defizit von 17 Milliarden Euro. Das wird durch das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das wir hier demnächst beschließen werden, beseitigt. Wir haben ein kleineres, aber doch nennenswertes Defizit von etwas weniger als 3 Milliarden Euro bis zur Mitte des nächsten Jahres in der Pflegeversicherung zu erwarten. Auch da werden wir Ihnen in Kürze einen Vorschlag unterbreiten, wie das beseitigt wird. Aber dann muss eine Finanzierungsreform in der Pflegeversicherung kommen, und da werden wir auf eine gutachterliche Begleitung zurückgreifen.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Haben Sie eine Nachfrage?

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber könnte man nicht jetzt, nach der Veröffentlichung des Gutachtens, diese Expertenkommission direkt einsetzen?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Minister:in)

Politiker ID: 11003797

Vielen Dank für die Nachfrage, Frau Abgeordnete. – Das könnten wir tun, es würde aber wenig Sinn machen. Denn wir müssen erst einmal schauen, wie die Einnahmesituation sich entwickelt, und ich muss erst einmal die Defizite, die ich – ich muss mich etwas vorsichtiger ausdrücken – von der Vorgängerregierung geerbt habe, beseitigen. ({0}) Erst dann kommt die große Finanzierungsreform. Also: In dem Dreiklang „Strukturreform sofort, Defizitbeseitigung sofort und Finanzierungsreform im nächsten Jahr“ gehen wir vor, ({1}) und das ist auch die richtige Reihenfolge. Erst muss die Strukturreform kommen, müssen die Defizite behoben sein, und dann kommt eine wirklich durchdachte Finanzierungsreform im nächsten Jahr.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da jetzt eine Anhörung im Gesundheitsausschuss ansteht und mir schon viele signalisiert haben, dass sie deshalb hier auf heißen Kohlen sitzen, würde ich an dieser Stelle die Befragung der Bundesregierung beenden und keine weiteren Nachfragen zulassen. ({0}) Herzlichen Dank und den Gesundheitspolitikern viel Erfolg bei der Anhörung! Ich beende damit die Befragung.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Augenblick zwei Herausforderungen auf dem Gasmarkt: Das eine sind die deutlich gestiegenen Preise, das andere ist, dass uns in Europa weniger Gas zur Verfügung steht als in den letzten Jahren. Zum Ersten hat die Expertenkommission für Gas und Wärme bis Montag früh um sechs – es ging fast schon die Sonne auf – an einem Zwischenbericht gearbeitet. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle, die daran mitgewirkt haben, auch an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bis zum Ende mit dabei waren und im Hintergrund sehr viel dafür geleistet haben. ({0}) Tatsache ist: Es werden in diesem Zwischenbericht Instrumente für alle Gaskundinnen und ‑kunden, für alle Fernwärmekundinnen und ‑kunden vorgeschlagen. Das heißt, sowohl für die privaten Haushalte als auch für die Bäckereien als auch für die Sportstätten, die Krankenhäuser und natürlich auch für die Industrie gibt es in diesem Bericht Vorschläge, was die Politik jetzt tun kann, um in großem Maßstab zu entlasten. Die Entlastungen sind vor allem für diejenigen wichtig, die gerade in eine besonders schwierige Situation zu geraten drohen. Auch hier sind konkrete Vorschläge gemacht worden. Diese Vorschläge werden jetzt von der Bundesregierung geprüft. Daran sind viele Ministerien beteiligt; denn selbstverständlich sind zahlreiche Ressorts betroffen, die jetzt Umsetzungsprüfungen durchführen müssen, ob Gesetze genau so realisiert werden können oder möglicherweise ein bisschen anders realisiert werden müssen. Es ist allen in den Ministerien, aber natürlich auch hier im Bundestag bewusst: Es braucht eine schnelle Unterstützung. Deswegen werden wir das so schnell, wie es irgendwie geht, auf den Weg bringen. ({1}) Um Missverständnisse zu vermeiden: Das derzeit teure Gas zu subventionieren, wird in der aktuellen, schwierigen Situation nicht ausreichen. Denn die begrenzte Menge wird dadurch, dass man den Verbrauch subventioniert, nicht mehr. Wenn alle genau dieselbe Menge verbrauchen wie in der Vergangenheit, dann könnte im Winter ein Problem entstehen. Leider sind zahlreiche Lebens- und Wirtschaftsbereiche bei uns noch abhängig vom Erdgas. Viel zu viele Gebäude werden mit Gas beheizt. Der Umstieg auf erneuerbare Wärme und Verbesserungen bei der Energieeffizienz sind in den letzten Jahren viel zu langsam vorangegangen. Zahlreiche Menschen arbeiten mit Hochdruck daran, Wärmepumpen einzubauen, Windräder zu planen, Solaranlagen auf die Dächer zu bringen. All das ist ein wichtiger Beitrag; dafür ganz herzlichen Dank! Aber man kann eben auch nicht alles von heute auf morgen herbeizaubern. Alle Speicher in Deutschland sind gut gefüllt. Auch dafür vielen Dank an diejenigen, die daran beteiligt waren, Wirtschaft und Regierung. ({2}) Aber gefüllte Speicher allein reichen nicht, um sich entspannt zurücklehnen zu können; denn je kälter der Winter wird, je mehr geheizt wird, desto weniger Energie steht in den nächsten Monaten für die Industrie zur Verfügung, und das betrifft dann auch die Menschen, die dort arbeiten. Ich hoffe, dass die Bundesnetzagentur als Lastverteiler nicht entscheiden muss, Gas zu rationieren, sodass Großunternehmen in einer Gasmangellage ihre Produktion oder einen Teil davon herunterfahren müssen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir kommunizieren, dass die Lage ernst ist, dass alle einen Beitrag leisten können, indem sie Wärme einsparen. Die Expertenkommission will in ihrem Abschlussbericht Ende Oktober ausführliche Empfehlungen dazu abgeben, was im Hinblick auf Energieeffizienz und Energiesparen jetzt politisch sinnvoll ist. Dazu gehören auch Investitionen; denn Investitionen in die Transformation der Industrie, in den Wasserstoffhochlauf, in energiesparende Technologien, in Gebäudesanierung, in die erneuerbaren Energien sind die beste Versicherung gegen hohe Energiepreise. ({3}) Klar ist: Investitionen sind wichtig. Es gibt auch kleine Dinge, die jetzt parallel von vielen gemacht werden können, ({4}) kleine Dinge, die in der Summe einen riesigen Unterschied machen können. Ein wichtiges Argument ist: Wenn wir den Verbrauch reduzieren, dann hat das auch preisdämpfende Wirkung und hilft, uns alle zu entlasten. Ich finde, eine Sache braucht auch noch mehr Aufmerksamkeit: Wir reden viel über die Verfügbarkeit von Gas und seinen Preis, darüber, dass es wichtig ist, den Menschen Sicherheit zu geben, und sagen: Keiner wird alleingelassen; wir unterstützen alle. – Es ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Erdgas ein fossiler Energieträger ist und wir uns davon befreien müssen; denn neben der Gaspreiskrise stecken wir weiterhin in einer sich täglich verschärfenden Klimakrise. Auch deswegen ist es sinnvoll, wenn wir mit der Transformation schnell voranschreiten. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andreas Jung spricht für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Dr. Verlinden, es muss schnell gehandelt werden, keiner wird alleingelassen, kein Bürger, kein Betrieb. Das waren in etwa die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Pressekonferenz vom 22. Juli. Seine Botschaft war – Zitat –: „You’ll never walk alone.“ ({0}) – Stimmt, es ist richtig zitiert. – Es ist auch richtig, wenn ich dazu sage: Dann hat er aber die Gasumlage vorgeschlagen, die die Preise verteuerte. Hätte Olaf Scholz am 22. Juli das klare Signal gegeben: „Wir lassen keinen allein, deshalb kommt eine Preisbreme, dafür setzen wir eine Kommission ein“, dann würde die Gaspreisbremse uns in diesem Winter helfen können und nicht erst im März oder April. ({1}) Das ist unser Punkt. Wir haben Respekt vor der Arbeit der Kommission. Wir werden ihre Vorschläge sehr konstruktiv bearbeiten. Und wir werden darauf drängen, dass die Gaspreisbremse schnell, unbürokratisch und in einem Gesamtkonzept umgesetzt wird. Fest steht aber auch: Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man einen Vorlauf von vier Monaten braucht. Deshalb werden wir die Gaspreisbremse in diesem Winter nicht haben. Die Kommission schlägt für den Winter, die Zeit bis dahin, vor, mit einer Einmalzahlung eine Brücke zu bauen. Diese Einmalzahlung wirft allerdings, je länger man sich mit ihr beschäftigt, mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Da soll Bezug genommen werden auf den Abschlag im September. In diesem Abschlag sind aber viele Preiserhöhungen noch gar nicht berücksichtigt. Kann eine Einmalzahlung für den September tatsächlich durch den Zeitraum September, Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März – vielleicht kommt die Preisbremse ja erst im April – tragen? Das sei ein sehr sportlicher Plan, hört man aus der Kommission. Bleibt die Einmalzahlung eigentlich gleich hoch, egal ob die Bremse im März oder im April kommt? Da sind viele Fragen unbeantwortet, und die Regierung hat durch ihr verspätetes Handeln die Kommission in diese, von ihr selbst so benannte, unzumutbare Situation gebracht. ({2}) Wir fordern ein Gesamtkonzept. Die Gaspreisbremse ist das eine. Wir erwarten, dass jetzt auch Vorschläge für eine Strompreisbremse, die wir gemeinsam umsetzen, gemacht werden, damit es keine Schieflage gibt zwischen den Menschen, die mit Gas oder Strom heizen, und denen, die mit Öl heizen oder auf Pellets gesetzt haben. Über Preisbremsen bei Gas und bei Strom hinaus brauchen wir eine bessere Unterstützung für Normalverdiener. Das, was vorgeschlagen wird, bedeutet ja trotzdem, dass sich die Gasrechnung im Vergleich zum letzten Jahr mehr als verdoppeln wird. Das können Menschen mit einem geringen Einkommen nicht tragen. Es ist richtig, dass das Wohngeld angepasst wird; diese Menschen brauchen das. Aber es gibt Menschen, die kein Wohngeld bekommen – auch nach Ihrer Reform nicht –, und trotzdem ein so geringes Einkommen haben, dass sie eine Preissteigerung, die auf mehr als eine Verdopplung hinausläuft, nicht tragen können. Deshalb müssen die Preisbremsen durch bessere Hilfen für Normalverdiener ergänzt werden; darauf werden wir in den Beratungen drängen. ({3}) Wir halten es für falsch, was die Bundesregierung angekündigt hat. Die Bundesregierung hat angekündigt – so die Verlautbarung heute Morgen im Energieausschuss –: Das Energiekostendämpfungsprogramm wird zum Jahresende eingestellt. Nach allem, was wir bislang kennen, haben wir nicht die Erwartung, dass all den Betrieben, die jetzt in Existenznot sind, denen jetzt geholfen werden muss, weil sie jetzt mit der Preisexplosion zu tun haben, mit dem, was im März oder April kommen könnte, geholfen werden kann. Wir setzen auf die Zusage von Robert Habeck. Er hat angekündigt: Das Energiekostendämpfungsprogramm wird so geändert, dass es einen leichteren Zugang gibt, dass auch Bäckereien, der Mittelstand und das Handwerk daraus Unterstützung beziehen können. Da nehmen wir den Minister, da nehmen wir die Bundesregierung beim Wort. Die entsprechenden Fragen werden nicht beantwortet durch eine Preisbremse, die vielleicht im März oder April kommt. ({4}) Zu den Pellets. Menschen haben mit Ermunterung der Politik und mit Zuschüssen der KfW in Pelletheizungen investiert und legen uns jetzt ihre Rechnungen vor. Bäckereien haben – ich kenne die Zahlen – Preissteigerungen zu verzeichnen, die mehr als eine Verdopplung, nahezu eine Verdreifachung bedeuten und diese Betriebe in eine existenzbedrohende Situation bringen. Darauf lautet bisher die Antwort der Bundesregierung: Für die machen wir nichts. – Dabei kann es nicht bleiben! Da droht eine Schieflage. Deshalb dringen wir auf ein Gesamtkonzept, und zu diesem Gesamtkonzept muss auch gehören, dass das Angebot erweitert wird. Daher fordern wir Sie auf: Beenden Sie Ihren Streit in der Koalition! Treffen Sie jetzt endlich eine Entscheidung, die das umsetzt, was Ihre eigenen Experten fordern. Ein dringender Rat der Experten der Übertragungsnetzbetreiber lautet: Nutzen Sie jetzt endlich alle Möglichkeiten der Energieerzeugung! Der Biomassedeckel ist abgeräumt; bei der Kohle muss es jetzt schneller vorangehen. Bei der Kernenergie brauchen wir eine klare Entscheidung, dass das, was möglich ist, für diesen Winter, für die Krise, jetzt gemacht wird. Ihr Streit belastet das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates, und deshalb brauchen wir da jetzt eine Entscheidung. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Danke. – Dr. Matthias Miersch hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Andreas Jung, ich finde es vollkommen in Ordnung, dass die Opposition Fragen stellt und Kritik äußert. Aber gerade die CDU/CSU-Fraktion sollte sehr vorsichtig sein, wenn sie hier von den Lösungen spricht. Im März haben Sie hier an dieser Stelle – zusammen mit Ihrem Fraktions- und Parteivorsitzenden – gefordert, dass von der Bundesrepublik Deutschland ein einseitiges Gasembargo gegenüber Russland ausgesprochen werden soll. Wir würden jetzt nicht mehr über Bremsen reden, sondern wir hätten Versorgungsprobleme, die ins Eingemachte, ins Existenzielle gehen würden. ({0}) Deswegen muss man vorsichtig sein, wenn man hier Kritik äußert. Aber ich finde es hervorragend, dass Sie jetzt hier sagen, Sie wollten sich konstruktiv mit Vorschlägen beteiligen. Ich will das im Namen der SPD-Bundestagsfraktion sagen: Unser Dank gilt den Expertinnen und Experten, die aus unserer Sicht eine sehr, sehr gute Grundlage für unsere weiter gehende Beratung aufgestellt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Es ist immer so: Wenn eine Lösung schnell wirken soll, dann wird man in der Bundesrepublik Deutschland bei 80 Millionen Menschen immer Fälle finden, in denen man sagen muss: Das ist nicht gerecht. – Aber das Erste, was uns jetzt wichtig ist, ist, den Menschen Sicherheit zu geben; das steht im Vordergrund. ({2}) Wir lassen diese Bremse aufgrund der einfacheren Strukturen schon ab 1. Januar 2023 in der Industrie wirken und dann vom 1. März bis mindestens zum 1. April 2024 bei allen, die hier in Deutschland einen Anschluss haben. Ihnen wollen wir Sicherheit geben. Dieser Eingriff ins System war der SPD-Bundestagsfraktion ganz wichtig, und wir sind froh, dass die Expertenkommission diesen Ansatz übernommen hat. ({3}) Es ist ebenso richtig – Herr Jung, ich gebe Ihnen da ausdrücklich recht –: Wir müssen zusehen, was wir in der Zwischenzeit, im Winter, machen. Aus meiner Sicht ist der Ansatz der Kommission richtig, dass der Staat im Dezember die Abschlagszahlungen übernehmen soll. Aber es stellen sich weitere Fragen: Was ist zum Beispiel mit Januar und Februar? Ist es eigentlich vor dem Hintergrund der dann gesetzgeberisch klar festgelegten Bremsen überhaupt noch gerechtfertigt, seitens der Versorger siebenmal oder achtmal höhere Abschläge von den Bürgerinnen und Bürgern zu verlangen? Auch das müssen wir in den weiteren Beratungen klären. ({4}) Ich halte es genauso für gerechtfertigt, dass man überlegt: Bedarf es weiterer flankierender Maßnahmen zwischen Dezember 2022 und März 2023? Auch dem werden wir uns stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Genauso ist es aus unserer Sicht natürlich richtig, dass wir uns, weil wir schnell wirkende Maßnahmen ergreifen wollen, die Frage stellen: Wie ist es eigentlich um die Gerechtigkeit im Zusammenhang mit den Anschlüssen bestellt? Wir haben das große Problem, dass die Versorger augenblicklich die entsprechenden Daten nicht kennen. Sie wissen nicht, ob es sich um ein Einfamilienhaus, ein Mehrfamilienhaus oder eine Villa handelt, ob zu fünft oder zu zweit gewohnt wird, ob es sich um einen reichen oder armen Haushalt handelt. Das ist den Versorgern nicht bekannt. Deswegen finden wir es richtig, dass die Kommission auch auf diesen Gerechtigkeitsaspekt eine Antwort findet und vorschlägt, das Steueraufkommen der Haushalte zu berücksichtigen. Auch darüber müssen wir jetzt beraten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich sage aber auch: Es kann weitergehen. Wenn wir von März 2023 bis April 2024 – über ein Jahr – diese Bremse wirken lassen, kann man auch überlegen, eine Obergrenze, wenn weitere Daten vorhanden sind, einzuführen, sodass es bei bestimmten Einkommensklassen gar nicht mehr zu einer Förderung kommt. Auch darüber werden wir reden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Es ist schon zu Recht angesprochen worden: Auch wenn siebenfache, achtfache Steigerungen die Ausnahme sind, sollen diejenigen, die auf Öl oder auf Pellets gesetzt haben, nicht alleingelassen werden. ({7}) Deswegen werden wir im parlamentarischen Verfahren auch diese Gruppe in den Fokus nehmen und hier Härten abfedern. Auch dazu hat die Kommission Vorschläge gemacht – Härtefallfonds und weitere Einrichtungen –, die wir als Grundlage sehen, um auch dieser Gruppe Sicherheit zu geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was die Kommission vorgeschlagen hat, ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt, den Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit zu organisieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die AfD wird von Dr. Rainer Kraft vertreten. ({0})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verehrte Präsidentin! Werte Kollegen! Bevor ich loslege, wieder mal ein kurzer Realitätscheck, heute die jüngsten verfügbaren Daten des Fraunhofer-Instituts: Wind liefert 1,5 Gigawatt, Kernenergie 4 Gigawatt, und Sie verbrennen gerade wieder für 9 Gigawatt Gas zur Stromerzeugung. Das an die Adresse der Kollegen, die meinen, dass die Erneuerbaren die Lösung der Energiekrise wären! ({0}) Die erste Empfehlung der Expertenkommission liegt also vor, und wie zu erwarten, plant die Regierung, mit massivem Einsatz von Steuergeldern die Probleme zu lösen, die es ohne sie natürlich nicht gäbe. Bis zu 200 Milliarden Euro sollen erst aufgewendet werden, um Gas und Fernwärme wieder in den Bereich des Bezahlbaren zu bringen und die Unternehmen sowie die Bürger zu entlasten. Ob diese Summe ausreichen wird, um die Zeche des energiepolitischen Versagens der Regierung zu begleichen, ist dabei vollkommen offen. Das Geld für diese Maßnahmen ist gar nicht vorhanden, und es wird über weitere Schulden refinanziert, ganz egal, welche Umschreibung dafür auch gewählt werden wird. Der Schattenhaushalt – in betrügerischer Absicht auch gern Sondervermögen genannt – von nun 360 Milliarden Euro wird bald größer sein als die Summe im Bundeshaushaltsplan. Das Schlimmste dabei ist: Sie verbrennen dieses Geld der Bürger völlig ziel- und orientierungslos. Sie geben Milliarden von Euro aus für Instrumente, von denen Sie nicht wissen, ob sie funktionieren – Prinzip Hoffnung und blinder, teurer Aktionismus, der wieder einmal nur die Symptome mildern soll, anstatt an die Wurzeln des Problems zu gehen. Und diese Wurzel heißt: Ihre Energiewende ist krachend gescheitert! ({1}) Über 500 Milliarden Euro mussten sich die Stromverbraucher für Wind- und Photovoltaiksubventionen aus den Taschen ziehen lassen, deren Energiebeitrag im kommenden Winter irgendwo zwischen „vernachlässigbar“ und „unzuverlässig“ schwanken wird. Und als ob diese zügellose Verschwendung von Geld, für das Millionen Bürger hart arbeiten müssen, noch nicht ausreichte, verspotten Sie die unermüdlichen Steuerzahler dieses Landes noch mit hochnäsigen Ratschlägen zu Waschlappen, Pullovern und dazu, wie man sich wassersparend in der Dusche erleichtert. Nicht nur, dass Sie die Bürger berauben, Sie machen sich über die Bürger auch noch lustig. ({2}) Aber kommen wir zu dem wenigen, was wir von Ihren Programmen wissen; denn offiziell ist eigentlich noch gar nichts. Die Gasrechnung für Dezember soll übernommen werden, und ab dem Frühjahr irgendwann, wenn die Heizperiode vorbei ist, wollen Sie Teile des Gaspreises für Private und ab Januar für die Industrie deckeln. So weit, so wenig. Ihr Vorhaben, die Rechnung für Dezember zu übernehmen, zeugt aber schon von Ihrem mangelnden Verständnis der Sachlage. Während die Gasverbraucher und Fernwärmenutzer einmalig und völlig unzureichend einen Teil ihrer Kosten ersetzt bekommen, gehen Nutzer von Öl- und Pelletheizungen komplett leer aus; es wurde angesprochen. Dabei sind auch in diesen Bereichen die Brennstoffkosten stark gestiegen: die Kosten für Öl haben sich verdoppelt, und die für Pellets haben sich verdreifacht. Aber was ist eigentlich mit den von Ihnen viel angepriesenen Wärmepumpen? Auch Strom ist extrem teuer geworden. Und jetzt kommen wir zu einer Perversität Ihres Vorschlages; denn Strom wird signifikant aus Gas erzeugt. Das heißt, der Gasverstromer kann seine Dezemberrechnung bei Minister Lindner einreichen, aber der so subventionierte Strom wird in vollem Umfang an die Stromkunden weitergegeben. Dort wird von diesen Subventionen nichts ankommen. Das ist einfach nur Perversität. Das ist die Solidarität à la Ampel. ({3}) Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Wirtschaftsminister keine große Ahnung von der Energie- und Wärmeerzeugung dieser Nation hat. Dazu passt auch die Kommission Gas und Wärme. Hier an dieser Stelle ein Zitat des Präsidenten von Haus & Grund: Die Vorschläge wirken, als wären sie „von Leuten erarbeitet worden, die noch nie eine Heizkostenabrechnung gesehen, geschweige denn erarbeitet haben“. ({4}) Das sagt alles aus. Ihre Kommission ist die Crème de la Crème der bundesrepublikanischen Lebenslügen und Parteibuchwirtschaft. Eine absurde Mischung aus Klimalobbyisten, Gewerkschaftlern, Vertretern der Energieversorger und nicht zuletzt der Caritas diktiert der Regierung nun die Energiepolitik. ({5}) Obwohl also diese Regierung durch diese ungenügenden Maßnahmen eingesteht, dass wir eine Energiekrise haben, ist sie nicht willens, durch eine Mehrproduktion von Energie dieser Krise entgegenzuwirken, und zwar aus rein ideologischen Gründen. Wir haben zu wenig Energie. Sie warnen bereits vor dem Winter 2023/24, verzichten aber generös auf viele Gigawatt an Leistungen aus Kern- und Kohlekraftwerken. Ihre Energiepolitik bewegt sich jenseits der Grenzen des Wahnsinns. Um der drohenden Energieknappheit im kommenden Winter zu begegnen, plant diese Regierung keinesfalls, mehr Energie zu erzeugen, um die Knappheit zu bekämpfen, sondern mithilfe von Steuermilliarden den Energiehändlern das knappe Gut Gas zu vergolden und den europäischen Preiskampf endgültig eskalieren zu lassen. Die Regierung kapituliert dabei nicht nur vor der Mangellage, sondern sie hat diese verursacht. Der Grund dafür liegt in der Starrsinnigkeit der Regierung, die einfach nicht akzeptieren will, sich in der Frage des Kernkraft- und Kohleausstieges fundamental geirrt zu haben. ({6}) Und für diesen irrationalen Starrsinn müssen die Bürger nun Milliarden ihrer Ersparnisse opfern. Kommende Generationen erben die Schulden dieses Regierungsversagens. Unternehmen droht das Ende am Wirtschaftsstandort Deutschland. Und die, die sich das alles dann doch nicht leisten können, werden im Winter frieren, vielleicht sogar hungern. Die Bürger und Unternehmen in diesem Land haben also zuerst den Schaden durch überbordende Energiepreise, dann den Spott einer politischen Nomenklatura, der es an jeglicher Empathie mangelt, und am Ende noch die Kosten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Denn wie immer will die Regierung die selbstverschuldeten Probleme mit Bergen und Bergen von Steuergeld zuschütten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie sind eine Schande für Deutschland. Diese Regierung ist eine Schande. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Lukas Köhler spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn vielleicht ein paar Grundlagen; ich glaube, die gehen in der Debatte öfters mal unter. Das eine ist: Wir wissen, es gibt einen Krieg Putins gegen die Ukraine. Es gibt aber gleichzeitig – auch das muss man immer bedenken – einen Energiekrieg Putins gegen Europa. Das ist die Grundlage dieser Probleme. Das ist das, was wir lösen müssen. Dem müssen wir entgegentreten. Ich weiß, die AfD vergisst immer sehr gerne, dass eben Putin das Problem ist; aus näherer Beziehung oder Freundschaft. ({0}) Aber ich glaube, das muss man dazusagen und mitdenken. ({1}) Ich habe aufgegeben, zu versuchen, der AfD zu verstehen zu geben, was passiert. Der Zug ist abgefahren. Aber zumindest zwei Sachen, Herr Kollege, wollte ich Ihnen schon noch mitgeben: Erstens. Der Vorschlag der Gaskommission ist noch nicht der Vorschlag der Bundesregierung, sondern eben der der Gaskommission. Die Expertinnen und Experten – dabei waren übrigens auch die Versorger, die exakt diese Gasrechnungen geschrieben haben – haben diesen Vorschlag vorgelegt. Ich bin also etwas überrascht – anscheinend haben Sie selber schon Gasrechnungen geschrieben –, dass Sie das hier einfordern. Das Zweite ist – und das ist, glaube ich, wichtig –: Der Vorschlag bezieht sich explizit auf Gas und Fernwärme. Strom bzw. die Strompreisbremse kommt noch. Auch die Art und Weise, wie wir mit Öl und Pellets umgehen, wird von der Kommission besprochen und weiter erarbeitet, und auch da kommen Vorschläge, aber man muss das auseinanderhalten. Ich helfe auch gerne der oppositionellen Demenz der Union ein bisschen auf die Sprünge. Herr Jung, es klang eben so, als ob das jetzt die einzigen Maßnahmen wären, die diese Bundesregierung auf den Weg bringen würde, und Maßnahmen, die wir hier im Parlament schon längst beschlossen hätten. Nein, das ist mitnichten der Fall. Wir haben 96 Milliarden Euro jetzt schon, also zusätzlich zu den 200 Milliarden Euro, in die Hand genommen, um die Menschen zielgerichtet über diesen Winter zu bringen, ({2}) um den Unternehmen zu helfen, um alles dafür zu tun, dass auch Leute mit kleinem Einkommen weiterkommen, aber wir haben – zum Beispiel über die kalte Progression – auch dafür gesorgt, dass die Menschen mit mittlerem Einkommen vor der Inflation geschützt werden. Und das darf und muss man mit nennen, wenn man darüber spricht. ({3}) Wir haben auch dafür gesorgt – die Kollegin Verlinden hat es zum Glück schon angesprochen –, dass die Speicherstände auf 93 Prozent hochgehen konnten. Dafür haben wir gesorgt, damit wir gut über diesen Winter kommen, und das ist wahrlich ein Erfolg. Genauso sorgen wir mit einem gesetzlichen Rahmen dafür, dass die Kohlekraftwerke jetzt im großen Maß ans Netz gehen. Über die Kernkraftwerke diskutieren wir gerade. Ich bin mir sehr sicher, dass es sehr zeitnah zu einer Lösung kommen wird. ({4}) Die Frage, die wir uns bei der Bewertung dieses Konzepts, das die Gaskommission vorschlägt, stellen müssen – noch mal vielen Dank an diese Kommission, die das, finde ich, wirklich sehr, sehr gut erarbeitet hat –, ist: Wir brauchen mehrere Instrumente, die drei Kriterien erfüllen. Erstens. Sie müssen schnell und einfach wirken. Sie müssen so schnell es geht bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei den Unternehmen, bei den Bäckern, bei den Mittelständlern, bei den Handwerkern, aber auch in der Industrie ankommen. Zweitens. Sie müssen unbürokratisch sein. Sie müssen möglichst einfach akzeptiert werden, aber vor allen Dingen müssen sie einfach bei den Leuten und den Unternehmen ankommen. Und drittens – das ist absolut zentral –: Sie dürfen dabei den Sparanreiz nicht über den Jordan gehen lassen. Warum? Wenn wir nicht mehr einsparen, passieren zwei Dinge: Zunächst subventionieren wir gegen die Knappheit, also gegen zu wenig Gas an. Das bedeutet dann, dass das Geld, das wir staatlicherseits in die Hand nehmen würden, gar nicht mehr bei den Menschen ankommt, weil der Großhandelspreis immer teurer werden würde. Das ist ein Problem. Das Zweite ist: Wenn wir nicht genug sparen, meine Damen und Herren, dann haben wir eine Gasmangellage. Dann reden wir nicht mehr über Gaspreisbremsen. Dann reden wir darüber, dass die Bundesnetzagentur zuweist, wer wie viel Gas bekommt. Das ist eine Situation, die wir um jeden Preis verhindern müssen; denn das ist der wirtschaftliche Abgesang dieses Landes. ({5}) Deswegen ist der Sparanreiz – und der ist in diesem Vorschlag enthalten – sehr, sehr wichtig. Jetzt kann man sich fragen: Schafft die Gaskommission diese Rahmenbedingungen? Ja, das tut sie. Mit dem Gaspreisdeckel bei 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs der privaten Haushalte bzw. 70 Prozent bei den Industrieunternehmen sorgt sie dafür, dass Sparanreize gesetzt werden. Sie sorgt dafür, dass insbesondere die Industrie, die schon jetzt einen größeren Teil der Einsparungen schultert und auch in Zukunft schultern wird, beim Gas, das sie auch mit staatlicher Unterstützung bekommt, weiter handeln kann, sodass der Sparanreiz ganz klar bestehen bleibt. Deswegen ist das ein guter Vorschlag. Es ist eine gute Idee, so vorzugehen. Was aber fehlt, sind die drei wesentlichen Punkte. Das ist zum einen – darüber müssen wir jetzt diskutieren –: Wie sieht eine Zukunft aus, in der der LNG-Preis in Deutschland die Strom- und Gaskosten bestimmen wird? Das ist die Zukunft in drei, vier, fünf Jahren. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie das aussehen wird, damit wir vorbereitet sind. Aber das Gute ist: Darüber sprechen wir sowohl mit dem Ministerium als auch in den Fraktionen. Das Zweite ist, dass wir jetzt natürlich über Strom nachdenken müssen. Und da kommt analog zu diesem Vorschlag sehr bald der Vorschlag aus dem Wirtschaftsministerium; da bin ich mir sicher.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und der letzte Punkt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der allerletzte, ganz schnell.

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der allerletzte Punkt ist die Frage, wie wir mit den anderen Heizkosten umgehen. Und auch das werden wir regeln.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin mir sicher, das ist ein sehr guter Vorschlag. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Unbekannt)

Politiker ID: 11003034

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir angesichts der Dimension, vor der wir hier stehen, nicht eine Aktuelle Stunde, sondern wirklich eine Regierungserklärung zu diesem Problem gewünscht. ({0}) Das wäre sinnvoll gewesen. Wir alle wissen doch, dass die Bürgerinnen und Bürger und die Betriebe in unserem Land aufgrund der explodierenden Preise mit dem Rücken zur Wand stehen; das ist uns allen hier bekannt. Und immer mehr Menschen fragen sich: Wie sollen wir denn diese Krise stemmen? Ehrlich gesagt, Herr Köhler, es ist nicht die einzige Maßnahme; das ist wahr. Nur, die Bürgerinnen und Bürger haben immer mehr das Gefühl, dass es zugeht wie auf dem Basar. Was Sie gerade zum Beispiel bei der Atomkraft veranstalten, ist doch der Wahnsinn. Das sind parteipolitische Ränkespiele, das ist Geschacher. Es geht nicht mehr um die Sache – das ist das Problem. Und der Kanzler duckt sich weg. Er muss Therapiegespräche mit Herrn Lindner und Herrn Habeck führen; deswegen sind die offensichtlich alle nicht da. Das ist das Problem. ({1}) Die Menschen draußen erfahren was anderes als das, was Sie hier darlegen. Seit Monaten explodieren die Gaspreise. Die Bürger bekommen teilweise Rechnungen, bei denen sie zunächst denken: Das ist ein Druckfehler. – Aber das ist die Realität. Wir stehen vor der größten sozialen und wirtschaftlichen Krise der Nachkriegszeit, meine Damen und Herren. Das ist die Realität. Und der Bundeskanzler beschwört dann: „You’ll never walk alone“ und „Wumms“ und „Doppel-Wumms“ und „Bazooka“. Die Realität: immer weiter steigende Preise und immer mehr wachsende Unzufriedenheit im Land. Das, was wir heute hier diskutieren, was Sie diskutieren, das hätte im Juni diskutiert und vor allen Dingen entschieden werden müssen. ({2}) Ich habe hier dreimal das Wort „schnell“ gehört. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Das ist eben nicht schnell gewesen. Zu Beginn der Heizsaison im Oktober hätte das vorliegen und die Gaspreisbremse gelten müssen – das wäre richtig, lieber Matthias Miersch –, und nicht erst im März. ({3}) Was ist denn die Realität gewesen? Die Realität ist gewesen, dass hier bis vor Kurzem noch über eine vermurkste Gaspreisumlage geredet worden ist; ich erinnere mich noch an den Wirtschaftsminister und die „Muss-weg-Opposition“. Was ist denn das für ein Agieren? Das ist das Problem. Sie haben untereinander über Monate hinweg gestritten und sich um die Menschen nur beiläufig gekümmert. Das ist verantwortungslos. ({4}) Sie sind eine Zu-spät-Koalition, meine Damen und Herren. ({5}) Das ist alles nach dem Motto von Mark Twain: „Verschiebe nicht auf morgen, was du auch übermorgen kannst besorgen.“ ({6}) Das ist leider die Wahrheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt soll die Gaspreisbremse im März kommen; sie tritt für Private also in Kraft, wenn die Heizsaison – das habe ich doch richtig verstanden? – im Wesentlichen vorbei ist. Wie absurd ist das eigentlich? ({7}) Ich bin ja sehr froh, Matthias Miersch, dass du sagst – und ich bin da auch sehr einverstanden –: Ja, wir müssen über weitere Maßnahmen nachdenken. – Da bin ich sehr gespannt, die will ich dann gerne sehen. Deswegen lasse ich das jetzt mal offen. Denn wenn das so stehen bleibt, dann ist das eine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe, dass es wirklich weitere Maßnahmen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt der Punkt. Die erste Stufe soll dann heißen: Im Dezember wird die Gasrechnung für alle übernommen. – Was heißt denn das? Das heißt, wer eine Villa mit acht Zimmern und Pool hat und richtig mollig warm heizt, der bekommt einen fetten Rabatt vom Steuerzahler, und die Rentnerin, die schon über Jahre gespart und eine kleine Wohnung hat, bekommt fast nichts. ({8}) Das, meine Damen und Herren, ist nicht gerecht. Ich kann der Koalition nur sagen: Millionäre und im Übrigen auch Minister brauchen keine Hilfe. Das ist eine absurde, das ist eine unsoziale Gießkanne, was Sie hier vorschlagen. ({9}) Sie sind nicht nur die Zu-spät-Koalition, Sie sind auch eine Sozial-ungerecht-Koalition, meine Damen und Herren. Ich will jetzt über die Strom- und die Spritpreise nicht weiter reden. ({10}) Ihre Gaspreisbremse droht zu einer Luftnummer zu werden, und deswegen, sehr einverstanden: Sie muss dringend parlamentarisch nachgearbeitet werden. Ja, wir sind ausdrücklich bereit, uns da konstruktiv einzubringen. Das ist überhaupt keine Frage. Nur, der jetzige Vorschlag ist wirklich zutiefst sozial ungerecht. ({11}) – Ich kann Ihnen nur sagen – weil Sie ja nach Vorschlägen rufen –: Wir haben immer ein Grundkontingent vorgeschlagen, ({12}) 8 000 Kilowatt pro Haushalt, 4 000 Kilowatt für jedes weitere Haushaltsmitglied, preislich auf Vorjahresniveau deckeln. ({13}) Damit könnten die Familien planen, und dann würden sie auch deutlich entlastet werden, meine Damen und Herren. ({14}) Aber als Zu-spät-Koalition und Sozial-ungerecht-Koalition betreiben Sie halt viel zu viele machtpolitische Spiele und führen das Land damit nicht durch die Krise. Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr! Und dabei müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht die Konzerne. Für die ist das eher vernünftig, für viele Menschen nicht. Herzlichen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Nina Scheer hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartsch, wenn Sie jetzt aufzählen, was Sie alles an den Konzepten vermissen, die ja wohlgemerkt erst mal erste Vorschläge sind – das sind ja noch nicht mal die Konzepte, das sind erste Vorschläge –: ({0}) Das ist jetzt ein weiterer Bereich in einer Reihe von sehr, sehr vielen Maßnahmen, die wir schon beschlossen haben. Das unterschlagen Sie dabei immer. ({1}) Aber wenn Sie jetzt auf vermeintliches Fehlen abstellen: Ich habe bei Ihren oberflächlich dargestellten Vorschlägen jetzt nicht herausgehört, dass die Villenbesitzer nicht profitieren würden. Das habe ich nicht herausgehört. Also insofern: Es gibt bei Ihnen natürlich genau das gleiche Problem wie bei uns allen: Wenn wir Maßnahmen schnell machen wollen – und ich will Ihnen gar nicht absprechen, dass Sie das auch wirklich beabsichtigen –, dann bekommt man Schwierigkeiten, es wirklich ganz zielgenau zu machen. Das ist das Hauptproblem, das wir alle haben. Und es ist einfach unredlich, in Diskussionen wie den hiesigen angesichts dieser so dramatischen Situation immer wieder zu unterstellen und der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass dieses Problem nicht existiert. Das ist unredlich. Deswegen möchte ich hier noch mal darauf hinweisen: Das Hauptproblem, das wir bei der Ausgestaltung der Gaspreisbremse und auch weiterer Hilfen haben – das war schon das ganze Jahr über die Herausforderung –, ist, dass wir die Menschen schnell entlasten wollen. Das haben wir auch getan: einmal mit 30 Milliarden Euro, dann noch mal mit 65 Milliarden Euro. Wir haben schon über 95 Milliarden Euro beschlossen und jetzt den Abwehrschirm noch mal mit 200 Milliarden Euro für die nächsten Jahre gestreckt. Bei all den Maßnahmen ist die Herausforderung immer die gleiche: Wir wollen es möglichst schnell hinbekommen – wir haben es bisher auch immer schnell geschafft –, aber es muss zielgerichtet sein. Deswegen haben wir natürlich vor, dass es gesteuert wird bzw. dass es ein Steuerungsinstrument gibt, damit eben nicht die Reichen überproportional davon profitieren, sondern weniger davon profitieren, dass es zuallererst an die Bedürftigen geht. Und natürlich haben wir längst auf dem Schirm, dass es nicht nur Gasverbraucherinnen und ‑verbraucher gibt. Es gibt auch Verbraucherinnen und Verbraucher, die Tanks haben, die am Öl hängen, die mit Holzpellets heizen; selbstverständlich gibt es die. Aber wir müssen natürlich schauen, dass die Menschen nicht überfordert werden; das ist für uns maßgeblich. Es darf auch nicht zu einer überproportionalen Überförderung von anderen kommen, sondern es muss wirklich gerecht zugehen. Alle müssen gleichermaßen entlastet werden, gemessen am Maßstab ihrer Überforderung, und genau das wird die Ausgestaltung unserer Arbeit in den nächsten Wochen sein. ({2}) Wenn man dazu übergeht, die Stufe auszugestalten, dass sich ein bestimmter Prozentsatz vom Jahresverbrauch in einer Gaspreisbremse wiederfindet, ist aber auch klar: Ja, das ist erst mal schon ein großer Einsparanreiz – wenn man mit Prozenten eines Jahresverbrauchs arbeitet, ist das schon mal ein guter Einsparanreiz –, aber wir sind frei darin, und die Konzepte liegen auf dem Tisch, auch weiter gehende Anreize zu geben. Denn wir wissen natürlich, dass Anreize, die zum Einsparen von Gas führen, nicht nur die individuelle Rechnung herunterdrücken, sondern das, was an Gas insgesamt eingespart wird und jetzt nicht dazugekauft werden muss, ist eine Entlastung für alle, weil die Preise einfach so horrend hoch sind. Deswegen ist natürlich auch das etwas, was überprüft wird. ({3}) Und es geht um klare Obergrenzen. Es kann nicht sein, dass man sagt: „Es wird einfach gemessen am Verbrauch gefördert bis ins Uferlose“; denn dann würden tatsächlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher noch weiter gefördert, die aufgrund ihrer Bedarfssituation bisher sehr viel Energie verbraucht haben. Selbst bei einem verminderten Anteil wäre das nicht das richtige Signal. Deswegen braucht man eine Obergrenze bei der Unterstützung; denn sonst würde sie nicht zielgerichtet funktionieren. ({4}) Ich möchte ganz zum Schluss noch mal auf einen Punkt eingehen, und zwar: Eine ganz wichtige Aufgabenstellung wird hierbei auch sein, dass bei all den Notfallmaßnahmen, die wir jetzt erneut auf den Weg bringen und die flankieren, dass wir eine fossile Energiepreiskrise haben, diese Unterstützungsmaßnahmen nicht bewirken, dass wir die erneuerbaren Energien zurückdrängen. Das darf nicht passieren. Es muss nach wie vor einen stärkeren Anreiz und eine Privilegierung für erneuerbare Energien geben. Also, wir müssen sehr genau darauf achten, dass diese Privilegierung, die wir auch gesetzlich verankert haben, bei alldem erhalten bleibt. Da darf keine Überförderung in eine Richtung gehen, die uns von diesem Pfad abbringt. Es würde die Menschen auf mittel- und längerfristige Sicht massiv belasten, wenn wir ihnen die Möglichkeit nehmen, schnellstmöglich auf erneuerbare Energien umzusteigen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Andreas Lenz ist jetzt der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommission Gas und Wärme hat ihre Ergebnisse vorgelegt. Auch ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken. Letzten Endes wurde hier Arbeit gemacht, die eigentlich die Regierung leisten muss. Dass die Opposition hier nicht involviert war, haben wir zwar bedauert, aber wir freuen uns natürlich auch, dass viele unserer Vorschläge sich in den entsprechenden Entwürfen der Gaskommission wiederfinden. Das sage nicht nur ich, das sagt auch Frau Professor Grimm heute im „Handelsblatt“. Frau Professor Grimm bedauert, dass diese Kommission nicht früher eingesetzt wurde; und das bedauern wir auch. Unsere Vorschläge liegen seit Sommer vor. Wir haben noch im September einen Antrag zur Abstimmung stellen wollen, in dem wir eine Preisbremse für Gas, einen Bürgerbasispreis, mit dem wir Anreize zum Energiesparen setzen wollten, und eine Energiepauschale von 1 000 Euro für das untere Einkommensdrittel gefordert haben. Leider haben damals die SPD, die Grünen und die FDP nicht zugestimmt. Schon Anfang 2022, Anfang dieses Jahres, hat die CSU übrigens eine Gaspreisdeckelung gefordert, einen Budgetansatz. Die Ampel schaltet also wieder einmal zu spät, zu langsam. Sie waren den ganzen Sommer mit einem Gasumlagechaos beschäftigt. Sie könnten die Entlastungen jetzt schon einführen, wenn Sie nicht die Zeit vertrödelt hätten. Dann würden die Entlastungen auch nicht erst im April nächsten Jahres gelten, sondern schon jetzt. Wie gesagt: Das geht auf Ihr Konto. ({0}) Im April ist schließlich die Heizperiode weitestgehend vorbei. Dann erst greift eine Vielzahl der entsprechenden Entlastungen. Im April kann es für viele Unternehmen aber bereits zu spät sein. Das geht, wie gesagt, alles auf Ihr Konto; das geht auf Ihre Untätigkeit zurück. Jetzt mal konkret zu den Vorschlägen: Der Mittelstand soll zukünftig 12 Cent pro Kilowattstunde Gas zahlen – genauso viel wie die Verbraucher. Das ist natürlich gut, weil es eine Reduzierung ist. ({1}) Aber jetzt ist es so: Wenn ich die Vorschläge zu Ende lese, dann könnte das bedeuten, dass der Bäcker zukünftig 12 Cent pro Kilowattstunde zahlt, aber der Großbäcker 7 Cent. Das geht doch nicht zusammen. Das benachteiligt doch den Mittelstand, das benachteiligt doch gerade die Kleinen gegenüber den Großen. ({2}) Übrigens entlastet die SPD beim Gaspreis den Einkommensmillionär – das muss man sich auch mal vergegenwärtigen; wie das erklärt werden soll, da bin ich noch gespannt –, wohingegen die niedrigen Einkommen letzten Endes nur mit einem Gießkännchen entlastet werden sollen. Das ist weder sozial noch gerecht. Da muss doch, lieber Matthias Miersch, das Herz eines aufrechten Sozialdemokraten bluten. ({3}) Gleichzeitig werden die Haushalte, die unter hohen Preisen für Heizöl und Pellets leiden, nicht entlastet. Wie passt denn das zusammen? ({4}) Das passt überhaupt nicht zusammen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Die Reduzierung des Gaspreises pro Kilowattstunde um 1 Cent kostet pro Jahr 8 Milliarden bis 10 Milliarden Euro. Das ist enorm, und das ist dauerhaft auch nicht zu leisten. Umso wichtiger ist es, dass jetzt alle Ressourcen auf der Angebotsseite auch wirklich genutzt werden, nutzbar gemacht werden. Wir brauchen Ersatzbeschaffungsmaßnahmen. Da wird viel gesprochen, aber wenig geliefert – im wahrsten Sinne des Wortes. Übrigens: Auch was den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke betrifft, brauchen wir jetzt wirklich Planungssicherheit. Auch die Betreiber brauchen entsprechende Planungssicherheit. Da liefern sich Lindner und Habeck einen Schaukampf auf offener Bühne; das ist nicht verantwortungsvoll, meine Damen und Herren. Letzten Endes ist es doch so: Je höher das Angebot ist, desto niedriger ist der Preis. Das ist auch die günstigste Form, um die Preise zu senken. Ja, wir brauchen schnell Ergebnisse. Die Vorschläge sind noch längst nicht umgesetzt. ({6}) Es gilt jetzt wirklich, das schnell, zielgenau und unbürokratisch zu machen. ({7}) Wir hoffen sehr, dass es kein nächstes Fiasko wie bei der Gasumlage gibt. Damit wäre niemandem geholfen. Wir fordern Sie auf: Handeln Sie wirklich schnell, und handeln Sie zielgerichtet! Sonst ist es für viele in diesem Land zu spät. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dieter Janecek hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Abwehrschirm, den die Menschen in der Ukraine bräuchten, ist einer vor dem schrecklichen Angriffskrieg der russischen Armee mit Bomben. Wir diskutieren heute über den Abwehrschirm für unsere Volkswirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger, für kleine und mittelständische Unternehmen. Das ist wichtig. Aber es ist auch wichtig, das in den Kontext zu stellen. Wir diskutieren das deswegen heute hier, weil Russland, weil Putin in der Ukraine diesen schrecklichen Krieg führt. ({0}) Ich möchte mich bei den Mitgliedern der Unabhängigen Kommission Gas und Wärme bedanken. Ich finde, sie haben kluge Vorschläge geliefert. Natürlich sind wir jetzt gefordert, diese im Verfahren zu bewerten und auch noch zu prüfen – Herr Miersch sagte das zu Recht – im Hinblick auf die sozialen Auswirkungen für den Einzelnen. Aber grundsätzlich ist eine Botschaft ganz wichtig: Wir haben als Bundesregierung, als Koalition vorgesorgt. Wir kommen gut durch den Winter, vor allem dann, wenn wir auch kraftvoll weiter daran arbeiten, Energie einzusparen und auf der anderen Seite das Angebot auszuweiten und die Entlastungsmaßnahmen jetzt auch umzusetzen. Das heißt, wir haben mit einem klaren Kurs reagiert, und das wird entscheidend dafür sein, dass wir gut durch den Winter kommen. ({1}) Wenn man sich die Vorschläge anschaut, stellt man fest: Der Einspareffekt ist vorgesehen. Die Industrie soll nach Vorschlägen von Frau Professor Grimm und anderen jetzt 70 Prozent ihres Verbrauchs des Jahres 2021 gedeckelt bekommen, für die ein Beschaffungspreis von 7 Cent pro Kilowattstunde gelten soll. Lieber Andreas Lenz, das eine ist der Beschaffungspreis von 7 Cent, das andere ist der garantierte Verbrauchspreis. Da kommen nämlich noch Netzentgelte und anderes dazu; ich glaube, das wissen Sie ziemlich genau. Deswegen ist die Spreizung zwischen dem Industriepreis und dem Mittelstandspreis nicht so hoch, wie Sie es darstellen; es kann im Einzelfall sogar gleich sein. Das ist einfach die Frage, wo man ansetzt. Diese 70 Prozent bedeuten aber auch, dass weiter eingespart werden muss. So ist es auch bei den Verbrauchern. Deswegen halte ich es auch für richtig, dass wir jetzt nicht rückwirkende Entlastungsmaßnahmen beschlossen haben, sondern den Menschen sagen: Es gibt jetzt eine Einmalzahlung. Investiert die, wenn ihr müsst, auch in eure Ausgaben für Gas und Strom, ({2}) aber bitte spart auch ein in diesem Winter, soweit ihr das könnt! – Das ist eine ganz wesentliche Botschaft; denn – Lukas Köhler hat das völlig zu Recht gesagt – das schlimmste Szenario, was wir haben können, ist, dass wir durch einen erhöhten Verbrauch doch noch in eine Gasmangellage kommen. Dann haben wir wirklich mit Zitronen gehandelt. Dann sind wir in einer veritablen Wirtschaftskrise, die wir nicht mehr aufhalten können. ({3}) Jetzt ist ja die Frage, was wir aus den Prozessen lernen können. Eins können wir lernen: Als wir die Regierung übernommen haben, fehlten uns viele Daten, zum Beispiel zu den Gasverbräuchen; Staatssekretär Wenzel weiß das genau. ({4}) Uns fehlen heute noch die Daten, wie wir beispielsweise Einmalzahlungen übertragen können, also die Systematik von Entlastungsmöglichkeiten; Christian Lindner weiß das auch. Es wird daran gearbeitet, dass das in der Zukunft besser wird, damit man Instrumente zur Verfügung hat, um zu reagieren, die wir heute nicht haben. Deswegen sind bestimmte Maßnahmen, die wir heute tätigen, eben auch davon abhängig, wie wir sie realisieren können. Auch das gehört zur Wahrheit. Deswegen ist dieser Punkt der Einmalzahlungen im Dezember ein richtiger und wichtiger, weil er unbürokratisch ist, den Menschen etwas in die Hand gibt, dass sie durch den Winter kommen, aber auch das klare Signal sendet, dass am Ende des Winters ein garantierter Preis auf Gas und Strom – ich denke, bei Strom werden wir analog handeln – zur Verfügung steht. ({5}) Das schafft Planungssicherheit für die Industrie, für die Wirtschaft, für die Kunden, für die Verbraucher. Wie wir im Gesamtkontext gehandelt haben, mit den 95 Milliarden Euro, die wir jetzt schon an Entlastungen beschlossen haben, ist eine Strategie, die sich sehen lassen kann. Sie ist richtig, und sie ist auch ökonomisch sinnvoll. Es ist übrigens auch sinnvoll, zu sagen, dass wir dadurch auch die Inflation bekämpfen; denn wenn wir die Preise senken, wird auch die Inflation runtergehen. Das ist ein erster Schritt. Sie wird nächstes Jahr noch nicht unter 5 Prozent kommen, aber wenigstens auf 7 Prozent. Auch das ist ein Schritt, den wir tun. Also, das ist alles durchdacht und eine gute Strategie, die die Koalition hier vorlegt. ({6}) Jetzt ist natürlich immer die Frage: Kann man es allen recht machen? Nein. Ehrlich, man kann es nicht allen recht machen. Das ist auch die Aussage der Kommission. Sie können keine einzelfallgerechte Maßnahme in einem Vorschlag unterbringen. Wenn jemand zum Beispiel – Thema Heizöl – einen Heizöltank im letzten Winter zu den alten Kosten vollgemacht hat, dann hat er den vielleicht jetzt noch für den nächsten Winter ausreichend gefüllt. Solche Fälle gibt es; dann hat er die alten Preise gezahlt. Wenn jetzt jemand für 150 Euro gekauft hat, hat er damit höhere Kosten zu decken. Wie soll man darauf als Staat reagieren? Durch Entlastungen für die Allgemeinheit. Aber man kann das nicht fallbezogen entscheiden. Deswegen ist das Signal der Debatte heute: Das ist ein guter Vorschlag. Den schauen wir uns jetzt an. Wir werden da zügig entscheiden. Wir werden auch nach sozialen Kriterien entlasten. Aber noch mal: Wir kommen gut durch den Winter – das ist schon mal das Signal, das wir durch die Arbeit der Bundesregierung der letzten Monate gegeben haben –; die Gasspeicher sind voll; LNG-Terminals kommen; Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber entscheidend bleibt, dass wir gemeinsam Energie einsparen. Das ist entscheidend, um gut durch den Winter zu kommen, und entscheidend auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Kruse ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind im Bereich der Energie ja nun mal in eine große Abhängigkeit geraten, und deswegen ist es unser Ziel als Regierung und als regierungstragende Fraktionen, aus dieser Abhängigkeit schnellstmöglich rauszukommen und wieder in die Energieunabhängigkeit zu kommen. Bei dem Entzug einer Ressource, bei der hier die Abhängigkeit besonders groß ist – und das ist das Gas –, entstehen nicht nur jede Menge gesetzgeberische Aktivitäten, sondern es entsteht bei einem großen Teil der Wirtschaft und der Bevölkerung auch große Sorge. Und hier kommt Politik ins Spiel. Wir haben die Möglichkeiten, Sorgen zu vergrößern, oder wir haben die Möglichkeiten, Sorgen ernst zu nehmen und daran zu arbeiten, dass wir die Probleme, die diese Sorgen begründen, in den Griff bekommen und lösen. Diejenigen, die hier am Rand sitzen, waren auch heute in der Debatte wieder damit beschäftigt, auf Sorgen draufzusatteln, sie zu vergrößern, sie herbeizureden, viel Zeit darauf zu verwenden, zu beschreiben, warum man sich diese Sorgen machen muss und warum die Regierung nicht handelt. ({0}) Oder: Diejenigen, die hier eher in der Mitte des Hauses sitzen, sind – so wie wir – damit beschäftigt, Lösungen zu erarbeiten, um den Menschen in diesem Land die Sorgen zu nehmen. Das ist unsere Aufgabe als verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker. ({1}) Genau solche Lösungen hat die Kommission in ziemlich hoher Geschwindigkeit erarbeitet. Dafür gebührt ihr Dank und Respekt; das ist etwas, was wir anerkennen. Inhaltlich haben wir ja schon einiges gehört heute. Wir haben wichtige Ziele, die es mit diesem Maßnahmenset zu erreichen gilt. Wir müssen die Sparanreize hochhalten. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere konkrete Gesetzgebung fair ausgestaltet ist. Wir wollen eine schnelle Umsetzung, und wir wollen eine unbürokratische Umsetzung. Die Messlatte liegt hoch. Und ich kann Ihnen versprechen: Wir werden über diese Latte springen. ({2}) Mit den klaren Zielen, die wir hier formulieren, nehmen wir den Menschen ihre Sorgen, nämlich dass es – das ist die größte Sorge – so schlimm bleiben könnte, wie es aktuell ist: Die Gaspreise könnten so hoch bleiben, wie sie in diesem Sommer gewesen sind. Wir ergreifen konkrete Maßnahmen, um aus der Abhängigkeit rauszukommen und um damit auch die Sorgen der Menschen in diesem Land in den Griff zu kriegen. Ich nenne nur mal das Thema LNG-Speicher. Wir haben sie gefüllt. ({3}) Dem zugrunde lag unser Gesetz, verabschiedet bereits im März dieses Jahres. Heute sind wir bei einem Füllstand von über 94 Prozent. Wer hätte das ernsthaft gedacht? Der Ausbau der LNG-Terminals erfolgte in einer Rekordgeschwindigkeit. Wilhelmshaven: 28 Kilometer Leitung sind schon unterwegs. ({4}) Es gab eine Einsparkampagne, wie sie dieses Land noch nicht erlebt hat, ({5}) und natürlich – in diesen Tagen mit der Sorge wegen der Anschläge, die wir im Moment sehen – auch den Schutz der kritischen Infrastruktur dieses Landes als Basis für die Versorgung der Menschen in diesem Land. Wenn man das jetzt mal alles zusammennimmt, dann kann man bestimmte Wirkprinzipien erkennen, die wir hier zur Anwendung bringen: Das erste Prinzip ist das klare Ziel, aus der Energieabhängigkeit rauskommen. Das zweite Prinzip ist ein großes Engagement. Da verstehe ich, ehrlich gesagt, die Kritik der Opposition nicht; denn natürlich ist es gut, die Versorger, die Ökonomen, die Wissenschaftler, alle mit am Tisch zu haben, um gemeinsam etwas zu erarbeiten, um gemeinsam das beste Konzept zu erarbeiten. Da verstehe ich wirklich nicht, was da eigentlich die Kritik sein soll. Andersrum: Wenn wir uns das alles im stillen Kämmerlein ausgedacht hätten, dann hätten Sie doch einen Grund zur Kritik. Wir haben hier mit dem größtmöglichen, auch gesellschaftlichen Engagement dafür gesorgt, ({6}) dass hier gute Konzepte erarbeitet werden. ({7}) Klarheit, Engagement, Geschwindigkeit: Am Ende produzieren diese drei Werte Verlässlichkeit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Das wird an den Märkten ja auch schon deutlich. Wir haben in diesem Sommer am Spotmarkt für Gas Höchstpreise von 320 Euro gesehen; aktuell schwanken wir um 100 Euro. Wir sind von 320 Euro auf 100 Euro gefallen. Das ist das Ergebnis einer Politik, die in diesem Land sichtbar wird. Das ist immer noch zu viel – das möchte ich Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen –; aber es ist nicht mehr ruinös für unsere ganze Volkswirtschaft. Deswegen werden wir diesen Weg auch weiter gehen, nämlich mit verantwortungsvollen Maßnahmen den Menschen in diesem Land ihre Sorgen zu nehmen. Und wo es Sorge gibt, da gibt es immer auch Hoffnung. Ich frage mich bei jedem einzelnen Redner und bei jeder einzelnen Rednerin: Was tragen Sie eigentlich dazu bei, den Menschen in diesem Land in dieser schwierigen Situation Hoffnung zu machen? Mit entschlossenem Handeln, mit beherztem Eingreifen und mit guten gesetzgeberischen Maßnahmen werden wir diese Hoffnung erarbeiten. ({8}) Deswegen freue ich mich auf den weiteren gesetzgeberischen Prozess zur Einführung von Gaspreisbremse und Strompreisbremse. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Julia Klöckner das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kruse, Sie sprachen von „Hoffnung machen“. Also, eines kann ich Ihnen sagen: Was den Bürgern keine Hoffnung gemacht hat, war Ihr Geeiere rund um die Gasumlage. Sie tun so, als wenn dieser – so nenne ich es mal – „Stuhlkreis der Ampelkoalition“ hier zu den Ergebnissen der Kommission Hoffnung machen soll. ({0}) – Ja, Sie müssen auch mal ertragen, dass man Sie kritisiert. - ({1}) Es ist sehr bezeichnend, wie Sie heute hier reingegangen sind und von den LNG-Speichern sprachen, die gefüllt sind. ({2}) Ich gehe davon aus, dass das ein Fehler war und nicht Ihr Erkenntnisgewinn ist. Noch mal: Sie haben von LNG-Speichern gesprochen. Um die geht es hier nicht. ({3}) Dann lassen wir das; dann stellen wir das einfach mal klar. ({4}) Aber es gehört auch dazu, dass wir den Sorgen der Menschen wirklich Ernsthaftigkeit entgegenkommen lassen. Der Bundeskanzler kommt ja nicht so gerne zu uns ins Parlament, wie wir festgestellt haben. Wenn nicht jetzt, wann dann wäre Zeit für eine Regierungserklärung, in der der Kanzler einmal über die Lage in diesem Land spricht und diese auch einmal erklärt? ({5}) Das, was die Kollegin von den Grünen, Frau Verlinden, vorhin sagte: „Wir können nicht von einem auf den anderen Tag zaubern“, das verlangt auch keiner. Nur, bei einer Zeitspanne von Februar bis Oktober kann man nicht von „von einem auf den anderen Tag“ sprechen, und zaubern müssen Sie auch nicht. ({6}) Dazwischen ist ein Sommer gewesen. Wir als Oppositionsfraktion haben Ihnen angeboten: Wir stehen parat und kommen zu jeder Sondersitzung hierher. Sie haben es vorgezogen, über den Sommer sich zu streiten, sich auszutauschen, zu diskutieren. Und was machen Sie jetzt, nachdem die Kommission ihren Zwischenbericht vorgelegt hat? ({7}) „Wir tauschen uns aus; wir schauen uns das an; wir diskutieren das.“ Wissen Sie, wofür die Bürgerinnen und Bürger gar keine Zeit mehr haben? Zum Zuschauen und zum Abwarten; denn davon werden in diesem Land ihre Rechnungen nicht bezahlt. ({8}) Damit Sie mal eine Vorstellung davon haben, wie es den vielen Unternehmen in diesem Land geht: Die haben überhaupt nicht Ihre Zeit. Bei diesen Unternehmen laufen jetzt, am Ende des Jahres, die Kontrakte, die Verträge, aus. Diese Verträge können sie, wenn sie Glück haben, verlängern, aber nicht zu einem Preis, den sie bisher kannten, sondern zu einem vielfach höheren Preis. Ich habe einen Unternehmer bei mir im Wahlkreis; der soll statt 700 000 Euro Energiekosten im nächsten Jahr 2,5 Millionen Euro zahlen. Der braucht jetzt von Ihnen eine Antwort. Bekommt er einen Zuschuss, und, wenn ja, welchen? Was heißt das für ihn? Ansonsten muss er in die Insolvenz gehen. Wir hatten schon im September ein Drittel mehr Insolvenzen. Wir haben keine Zeit. Das, was Sie hier gerade machen, ist ein Outsourcing von Verantwortung an eine Kommission. ({9}) Diese Kommission hätten Sie im Frühjahr, im Sommer einsetzen können. Sie haben Sie jetzt, kurz vor Schluss, eingesetzt, um dann wieder zu sagen: Wir schauen uns das erst einmal an. ({10}) Das ist Verantwortungslosigkeit; das ist Outsourcing von Verantwortung. Wir schauen es uns in Großbritannien und in Frankreich an. Dort hat man schon über eine Gas- und Strompreisbremse entschieden. ({11}) Sie zusammen wissen noch nicht einmal, wie Sie die Vorschläge dieser Kommission gemeinsam beurteilen. Ich sage: Danke, Frau Grimm. Ich sage: Danke, Herr Russwurm. Und ich sage: Danke, Herr Vassiliadis. – Diese mussten Ihnen nämlich etwas unter einem erheblichen Zeitdruck liefern. Und wir hören die Koalition schweigen. Wo bleibt denn Ihr Fahrplan? Heute haben wir nichts von einem Fahrplan gehört, sondern wieder das, was wir die vergangenen Wochen gehört haben: Sie diskutieren, Sie reden, Sie schauen es sich an. – Hier muss gehandelt werden. Man braucht eine Regierung, die Krisen erkennt, die anpackt, die nicht planlos ist, sondern schnell entscheidet, sodass die Wirkung auch ankommt. ({12}) Aus diesem Grund: Schauen wir uns doch mal die Zahlen an. Sie haben ein Energiekostendämpfungsprogramm aufgelegt. Wissen Sie, wie viele Unternehmen davon überhaupt profitiert haben? Heute im Ausschuss haben wir die Zahl bekommen: 29 Unternehmen in Deutschland. Sagen Sie mal, das ist doch ein Witz hier! Sie hatten eine Blaupause von der vergangenen Regierung. Natürlich hat es bei unseren Coronahilfen ab und zu gerüttelt. Aber wir haben gehandelt. Das Geld kam an, und die Leute hatten erst mal Luft zum Atmen. Das, was Sie hier machen, ist, uns zu beschimpfen, die AKWs nicht länger laufen zu lassen, die Stromsteuer nicht zu senken. Es gibt so viele Dinge, die Sie jetzt machen könnten. Jetzt geht es um die Angebotserweiterung, damit der Strompreis, damit der Energiepreis sinkt. Stattdessen lassen Sie weiterhin Gas verstromen. ({13}) Das ist kein Konzept. Das ist Spielen mit den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Sie beschimpfen uns. Sie machen nette öffentliche Darstellungen. Aber am Ende wird es darum gehen, ob Existenzen in Deutschland gesichert werden. Zur Kommission, die diese Arbeit unter diesem Druck gemacht hat. Übrigens, Frau Grimm kann ihre Expertise noch weiter einbringen. Sie haben es nur nicht zugelassen. Frau Grimm kann Ihnen sehr gut berechnen, was es bedeutet, wenn wir die Kernkraftwerke, die wir haben, erst mal länger laufen lassen: dass der Strompreis sinkt und dass vor allen Dingen auch die schädlichen CO2– Ausstöße sinken. Also, kommen Sie uns, gerade Sie von den Grünen, nicht mehr mit dem Thema Klimaschutz! Sie verbrennen lieber Schweröl. Sie blasen lieber Kohlekraft raus, statt die AKWs länger laufen zu lassen. Sie nehmen alle nur für Ihre parteipolitische Ideologie in Geiselhaft. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür ist dieses Land zu schade. Dafür ist diese Industrie zu schade. Ich kann Ihnen nur sagen:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hier geht es um Existenzen. Hier geht es darum, dass Menschen ihre Arbeit nicht verlieren. Machen Sie Ihre Arbeit bitte! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Schrodi hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von diesem Bericht der Kommission geht eine wichtige, eine zentrale Botschaft aus. Nach milliardenschweren – fast 100 Milliarden Euro umfassenden – Entlastungspaketen, die wir schon auf den Weg gebracht haben, um Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu unterstützen, nach einem Abwehrschirm mit bis zu 200 Milliarden Euro, den wir spannen wollen, ({0}) haben wir jetzt von dieser Kommission den Vorschlag eines Instruments, einer Gaspreisbremse, unterbreitet bekommen, mit dessen Umsetzung wir nicht nur Kosten dämpfen, sondern auch einen Systemeingriff vornehmen, der den Gaspreis massiv senken wird. Das gibt den Menschen Sicherheit, das gibt den Unternehmen Sicherheit. Das ist ein ganz wichtiges Signal in die Gesellschaft hinein, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir lassen niemanden alleine. ({1}) Frau Klöckner, von einer Fraktion, die hier in diesem Parlament seit dem Angriffskrieg Putins nur zwei Dinge auf den Weg gebracht hat – das eine ist der Vorschlag, ein Gasembargo zu beschließen, das die Krise nur verschärft hätte, ({2}) und das andere ein Antrag auf Inflationsbekämpfung, der von den Experten verrissen wurde, der nicht hilfreich war, weil alles zu spät gekommen wäre –, lassen wir, die wir ständig dran sind und auch jetzt handeln, uns nicht sagen, wie wir dieses Problem anzugehen haben. Sie haben in Ihrer Oppositionsrolle auch die Verantwortung, konstruktiv und substanziell einen Beitrag zu leisten. Davon ist nichts zu spüren, bis heute nicht. Daran müssen Sie sich messen lassen, Frau Klöckner. Wir machen die Arbeit. Sie blöken nur, und das ist der falsche Weg, den Sie hier beschreiten. ({3}) Ich habe jetzt auch keine Alternative von Ihnen gehört. Wo ist sie denn? Wo ist, Frau Klöckner, nur einmal eine Alternative dazu? ({4}) Wo ist denn Ihr Vorschlag für Direktzahlungen, wo der, dass der Preis wirklich gesenkt wird? Es ist keine Alternative, nichts zu tun. ({5}) Das können sich Reiche leisten. Aber die Gaspreisbremse, so wie wir sie auf den Weg bringen werden, hilft vor allem den Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, weil sie keinen finanziellen Puffer haben, weil sie keine Rücklagen haben, weil sie nicht sparen können. Natürlich hilft es dann, wenn ich statt 28 Cent nur 12 Cent zahlen muss. Das hilft Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Und es hilft auch der Wirtschaft, den kleinen und mittleren Unternehmen, der energieintensiven Industrie, die unter großem Kosten- und Wettbewerbsdruck steht, wenn wir jetzt auch da den Preisdruck nehmen. ({7}) Dieses Instrument ist ein Schutz für die Wirtschaft, für Arbeitsplätze und für den sozialen Zusammenhalt. Deswegen werden wir es zeitnah und schnellstmöglich auf den Weg bringen. ({8}) Auf einen weiteren wichtigen Effekt, den diese Gaspreisbremse hat, wenn wir die Gaspreise wirklich senken, möchte ich noch eingehen. Dazu muss man sagen: Die CDU/CSU kommt mit der Kritik, diese Entlastungspakete, der Abwehrschirm seien inflationstreibend. Wir würden Geld in die Hand nehmen und inflationstreibend wirken. Der Bundesbankpräsident Nagel, der zuletzt bei uns im Ausschuss war, hat im „Geldpolitischen Dialog“ deutlich gemacht: Nein, die Maßnahmen gleichen die hohen Kosten und die Kaufkraftverluste aus. Sie sind nicht inflationstreibend. – Im Gegenteil – das ist auch eine ganz wichtige Botschaft an die Menschen draußen –: Diese Gaspreisbremse senkt Produktionskosten für Unternehmen. Sie senkt Preise für Konsumenten. Sie sorgt für eine spürbare Senkung der Inflationsrate. Auch das ist wichtig; denn Inflation ist eine soziale Frage. Diese Gaspreisbremse wird inflationsdämpfend wirken und hilft den Menschen im Land auch deshalb. Das ist eine wichtige Botschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({9}) Zuletzt noch: Natürlich geht es auch um die soziale Balance, um die Gerechtigkeit. Deswegen werden wir genau hinschauen, wie wir damit umgehen und welche Lösungen wir dafür haben, dass Menschen mit hohen Einkommen besteuert werden, wenn sie solch einen Rabatt für Abschlagszahlungen bekommen, und inwieweit wir hier mit einer Obergrenze für das Gaskontingent ein Instrument einführen können. Aber lassen Sie mich noch auf eins eingehen: Wir haben europäische Vereinbarungen und jetzt auch eine Verordnung – und auch national werden wir eine Strompreisbremse und eine Gaspreisbremse umsetzen –, nach der wir krisenbedingte Übergewinne abschöpfen ({10}) und dazu benutzen werden, alle Hilfsmaßnahmen mit zu finanzieren. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit: dass die Unternehmen, die hohe krisenbedingte Gewinne haben, ihren Teil dazu beitragen. Das werden wir ebenfalls national und auch zeitnah umsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({11}) Das alles sind konstruktive Beiträge dieser Ampelkoalition, die wir zeitnah auf den Weg bringen werden. Ich würde mich freuen, wenn sich die Opposition auch einmal konstruktiv und substanziell daran beteiligen würde. Danke schön. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich unterbreche die Sitzung bis 16.30 Uhr. Durch Klingeln wird Ihnen in zwölf Minuten angezeigt, dass es weitergeht. ({0})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Putins Krieg ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, sondern eine Attacke gegen Europa als Ganzes, gegen unsere Freiheit, unsere wirtschaftliche Stabilität und unseren sozialen Frieden. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir ein starkes Signal für ein soziales Europa. Dazu trägt auch dieser Gesetzentwurf bei, mit dem wir die Bestimmungen der sogenannten Umwandlungsrichtlinie im Hinblick auf die Mitbestimmung umsetzen. Die unternehmerische Mitbestimmung ist ein hohes Gut in Deutschland und in vielen anderen EU-Ländern. Doch wir erleben leider immer wieder, dass sie ausgehöhlt oder gezielt umgangen wird, auch indem Unternehmen ihren Standort in ein anderes EU-Land verlagern. Mit diesem Gesetzentwurf machen wir deutlich: Die europäische Niederlassungsfreiheit darf nicht zum Vehikel für den Abbau von Arbeitnehmerrechten werden; denn beides ist wichtig, ({0}) und beides ist möglich: unternehmerische Freiheit und hohe soziale Standards. Dafür steht auch diese Bundesregierung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir in erster Linie die Mitbestimmung in Gesellschaften deutscher Rechtsform, die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehen. Ein Beispielsfall für eine solche Herein-Umwandlung wäre zum Beispiel der Formwechsel einer österreichischen GmbH in eine GmbH deutschen Rechts. Nun wird es erstmals Regelungen zur Sicherung der Mitbestimmung für solche Fälle geben. Dabei orientieren wir uns an bereits bestehenden Regelungen. Im Falle einer grenzüberschreitenden Umwandlung gilt nun auch das, was bereits für die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft, der SE, gilt: Ein besonderes Gremium der Beschäftigten soll mit der Unternehmensleitung in Verhandlungen zur Mitbestimmung treten. Das Ziel ist eine Mitbestimmungsvereinbarung. Scheitern diese Verhandlungen, gelten gesetzliche Auffangregelungen. In jedem Fall sieht der Gesetzentwurf vor, dass bestehende Mitbestimmungsrechte umfassend geschützt werden: das sogenannte Vorher-nachher-Prinzip. Damit ist sichergestellt, dass die Beschäftigten keine Mitbestimmungsrechte verlieren, wenn es zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung kommt. Auch im Fall einer nachfolgenden innerstaatlichen Umwandlung, also beispielsweise bei einer Verschmelzung zu einer inländischen Kapitalgesellschaft, wollen wir die Mitbestimmung wirksam schützen. Ich bitte Sie um Unterstützung dieses Vorhabens, mit dem wir in schwierigen Zeiten den Beschäftigten in Europa den Rücken stärken und für mehr soziale Sicherheit sorgen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Unionsfraktion spricht jetzt Axel Knoerig. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt viele gute Argumente für die Mitbestimmung in Unternehmen. Firmen mit Betriebsräten tun mehr für duale Ausbildung und somit auch für die Fachkräftesicherung. Sie setzen sich außerdem weitaus stärker für Investitionen und nachhaltige Strategien ein; das haben auch Untersuchungen bestätigt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Manager peilen mit Blick auf ihre Boni kurzfristige Erfolge an Aktienmärkten an, und Belegschaften haben ein Interesse daran, den Betrieb und vor allem die Arbeits- und die Ausbildungsplätze langfristig zu erhalten. Ich sage ganz klar: Für dieses Mitbestimmungsrecht lohnt es sich zu kämpfen. ({0}) Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich: 2017 wurde vor dem Europäischen Gerichtshof infrage gestellt, ob die deutsche Unternehmensmitbestimmung rechtmäßig ist. Dieser Klage haben Arbeitgeber und Gewerkschaften widersprochen. Diese gemeinsame Unterstützung war ein eindeutiges Signal für das bewährte Modell der Mitbestimmung. Wir als Union haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, unser Mitbestimmungsrecht zu erhalten, gerade auch in Zeiten europäischer Anpassung. Mit Blick auf den gemeinsamen Binnenmarkt brauchen wir aber gewisse einheitliche Standards. Das gilt auch für grenzüberschreitende Umwandlungen von Kapitalgesellschaften. Angesichts der vielfältigen Regelungen in den 27 Mitgliedstaaten ist das eine große Herausforderung. Mit der Umwandlungsrichtlinie hat die EU einen gemeinsamen Rahmen für die Unternehmensmitbestimmung festgelegt. Das ist begrüßenswert; denn für das bestehende nationale Mitbestimmungsrecht gilt ein Bestandsschutz. Das reicht von einfachen Ansätzen bis hin zu fortschrittlichen Modellen, wie wir das in Deutschland haben. Dabei können auch unterschiedliche Regelungen aneinander angepasst werden – im Rahmen sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen. Jedoch darf das jeweils geltende Mitbestimmungsrecht im Kern nicht beeinträchtigt werden. Auch wichtig: Mit der Umwandlungsrichtlinie der EU wird die bestehende Mitbestimmung nicht ausgeweitet. Darüber entscheiden die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst. Richtig zudem ist: Es gibt gewisse Schutzmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Unternehmen, die sich umwandeln, gesetzliche Schwellen umgehen können und sich somit aus der Mitbestimmung herausstehlen. Für Deutschland heißt das: Wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft ihren Sitz hierher verlegt, prüfen unsere Registergerichte, ob ein Missbrauch vorliegt. Meine Damen und Herren, wir müssen im parlamentarischen Verfahren vor allem auf eine praktikable Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht achten. ({1}) Offen bleibt jedoch, Frau Kollegin, was die Ampel eigentlich beim Schutz der Mitbestimmung erreichen will. Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, dass die Mitbestimmung gerade bei Europäischen Gesellschaften weiterzuentwickeln ist. Das wird in diesem Entwurf aber in keiner Weise realisiert. Also, werte Kolleginnen und Kollegen der Ampel: Legen Sie nach! Es gibt noch einiges zu tun. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Beate Müller-Gemmeke spricht für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Europa wächst zusammen. Das gilt einerseits für die Beschäftigten. Sie können dank der Freizügigkeit ohne große Hürden europaweit arbeiten. Das gilt natürlich andererseits auch für die Wirtschaft. Unternehmen können überall in Europa Niederlassungen gründen, fusionieren oder Unternehmensteile abspalten. Wenn so in Deutschland neue Unternehmen entstehen, dann muss für diese Unternehmen natürlich auch die Mitbestimmung geregelt werden. Deshalb gibt es heute das Gesetz. Es geht um unternehmerische Freiheit und um die Rechte der Beschäftigten. Beides ist wichtig, und beides muss in Europa Hand in Hand gehen. ({0}) Das Thema ist nicht ganz einfach; es ist ein bisschen sperrig. Deshalb zeige ich mit einem Beispiel, warum das Gesetz heute wichtig ist. In Österreich haben die Beschäftigten ab einer Unternehmensgröße von 300 Beschäftigten einen Anspruch auf ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat. In Deutschland ist das erst ab 500 Beschäftigten der Fall. Wenn jetzt ein österreichisches Unternehmen mit 400 Beschäftigten den Firmensitz durch Umwandlung, Spaltung oder Fusion nach Deutschland verlagert, dann gilt für das Unternehmen natürlich deutsches Recht. Und wenn dann über die Mitbestimmung für diese 400 Beschäftigten verhandelt wird, dann gilt zukünftig mit dem heute vorliegenden Gesetz ein strenger Bestandsschutz. Die 400 Beschäftigten haben also die gleiche Mitbestimmung wie im bisherigen Unternehmen in Österreich. Diese Regelung, dieser Bestandsschutz ist gut und vor allem fair. ({1}) Damit schafft das Gesetz klare Regeln für grenzüberschreitende Unternehmen. Firmen können natürlich weiterhin fusionieren und sich abspalten, wie sie möchten. Die neuen Regelungen zur Mitbestimmung müssen dann aber mindestens so gut sein wie die alten. So wird die Mitbestimmung effektiv geschützt. Das ist wichtig; denn das schafft – trotz Veränderung – bei den Beschäftigten Vertrauen. Ich komme zum Schluss. Es ist gut, dass die Europäische Union mit der Umwandlungsrichtlinie bei grenzüberschreitenden Unternehmen die Mitbestimmung absichert. Es ist noch besser, dass die Bundesregierung ein präzises Gesetz vorlegt, mit dem die Richtlinie gut umgesetzt wird. Deshalb werden wir das Gesetz – da bin ich mir sicher – auch bald beschließen können. Dann sind wir beim sozialen Europa wieder ein Stück weitergekommen. Und das ist gerade jetzt, in diesen Zeiten, besonders wichtig. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jürgen Pohl spricht für die AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen! Werte Zuschauer daheim an den Geräten! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die EU-Richtlinie 2019/2121, die sogenannte Umwandlungsrichtlinie, in innerstaatliches Recht umgesetzt. Die Umwandlungsrichtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132, der sogenannten Gesellschaftsrechtsrichtlinie, in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten und muss nach EU-Forderungen bis zum 31. Januar 2023 in deutsches Recht umgesetzt werden. Mit der neuen Richtlinie wird ein einheitlicher Rechtsrahmen für die drei Hauptanwendungsfälle grenzüberschreitender Umwandlungen, nämlich Formwechsel, Verschmelzung und Spaltung, von Kapitalgesellschaften innerhalb des Binnenmarktes angestrebt. Es geht um die Regelung der betrieblichen Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen von Kapitalgesellschaften. Zwecke der Richtlinie sollen sein: Erleichterung bei der Ausübung der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen sowie Schutz der Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer. Positiv zu bewerten ist, dass das Ziel von mehr Klarheit und Übersichtlichkeit förderlich für die Mitbestimmungspraxis ist. Der Schutz von Arbeitnehmerrechten, hier der Vorrang einer Verhandlungslösung gegenüber einer rechtlichen Lösung, ist positiv. Auch Rechtsklarheit und leichtere Rechtsanwendung stehen im Mittelpunkt. Kurzum: Angestrebt wird eine vernünftige Vereinbarung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen. – So weit die schöne Theorie. Wir als AfD werden diesen Gesetzentwurf ablehnen. Es ist unklar, ob hier überhaupt ein Regelungsbedarf bestanden hat. ({0}) Es gibt keine Rechtslücke. Wozu braucht es ein neues Gesetz? Wieso übernimmt man nicht einfach die bestehende Regelung aus dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, dem MgVG? Es gibt bereits ein innerstaatliches Gesetz, das man im Wege der Analogie auch auf andere Sachverhalte anwenden kann. Wieder einmal mischt sich die EU in innerstaatliches Recht ein. ({1}) – Rufen Sie doch dazwischen! Sie müssen sich, auch nach der Wahl in Niedersachsen, überlegen, wen Sie hier vertreten: die deutschen Arbeitnehmer oder die Technokraten aus Brüssel. Das ist die Frage, die hier im Raum steht. ({2}) Für uns, die Alternative für Deutschland, gilt der Grundsatz: In Deutschland gilt einzig deutsches Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrecht. Es muss sichergestellt werden, dass das deutsche Mitbestimmungsrecht und die Arbeitnehmerrechte nicht durch die überbordenden Regularien aus Brüssel oder Arbeitgeber aus dem Ausland geschleift werden. ({3}) Über deutsches Arbeitsrecht entscheidet einzig und allein der deutsche Souverän und nicht die Brüsseler Bürokraten, ({4}) die mit ihrer technisch-bürgerfernen Sprache die Arbeitnehmer längst nicht mehr erreichen. ({5}) Wenn also der deutsche Gesetzgeber der Ansicht ist, dass hier wirklich eine Regelungslücke zu schließen ist, dann soll er von sich aus tätig und aktiv werden; dann ist das eine Sache der Regierung und unseres Deutschen Bundestages. ({6}) Eine willfährige wie völlig unreflektierte Nachvollziehung von Rechtsakten der EU lehnen wir ab. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Carl-Julius Cronenberg. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Also, Herr Pohl, dann müssen Sie schon ehrlich sagen: Wir wollen raus aus der EU. – Sagen Sie es doch! ({0}) Anders geht das ja nicht; denn eine Richtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. Das sind die Spielregeln. Heute Nachmittag debattieren wir zum Thema Arbeitnehmermitbestimmung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen – wir haben es gehört –, sei es durch Formwechsel, Verschmelzung oder Abspaltung. Es geht um Arbeitnehmerrechte im europäischen Kontext, Arbeitnehmerrechte vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Dynamik des europäischen Binnenmarkts, der zwangsläufig und wünschenswerterweise zusammenwächst. Es geht darum, sicherzustellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf globalen Märkten gestärkt wird und gleichzeitig Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer gewahrt bleiben. Das ist die Aufgabe, und die haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelöst, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Die Materie ist komplex. Alle 27 Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Historien im Mitbestimmungsrecht. Mit der Umwandlungsrichtlinie hat die EU 2019 einen einheitlichen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen geschaffen, und den müssen wir bis zum 31. Januar 2023 in deutsches Recht umsetzen. Ein einheitlicher Rechtsrahmen, der Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen schafft, die europäischer werden wollen: Das ist eine gute Botschaft, insbesondere für den deutschen Mittelstand, die tragende Säule des Wohlstands in Deutschland. Das ist eine gute Botschaft für unsere mehr als 1 500 Hidden Champions, die auch in ihrer Unternehmenskultur nicht mehr allein deutsche Champions sein wollen, sondern immer häufiger europäische Champions werden wollen. Gerade diesen Unternehmen fällt es aber oft genug schwer, sich in fremdes Recht einzuarbeiten oder die Kosten für hohe Beraterhonorare aufzuwenden, um international rechtskonform zu agieren. Deshalb ist ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen ein Fortschritt, insbesondere für den Mittelstand, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Materie ist komplex. Uns allen ist bewusst, dass das BMAS seine geballte juristische Kompetenz aufwenden musste, um den arbeitsrechtlichen Anforderungen an die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gerecht zu werden. Für die Freien Demokraten darf ich feststellen, dass wir an dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts auszusetzen haben. ({3}) Bei uns im Sauerland heißt es: Nicht gemeckert ist Lob genug. Aber im Ernst: Wir begrüßen die Eins-zu-eins-Umsetzung. Sie erfüllt die Erwartung der Kommission, die Mitbestimmungsrechte zu schützen, und sie erfüllt die Erwartung der Wirtschaft hinsichtlich eines einheitlichen Rechtsrahmens bei Umwandlungen. Wir begrüßen die Eins-zu-eins-Umsetzung, und wenn Sie mir die kleine Spitze gestatten: Das hätte ich mir in der Vergangenheit öfter gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Dass sich die Umwandlungsrichtlinie und das Umsetzungsgesetz an der europäischen Rechtsform der Societas Europaea orientieren, ist effizient und zu begrüßen. Wir bringen den Gesetzentwurf übrigens genau 50 Jahre nach der letzten großen Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, der Mitbestimmungsreform von 1972, ein. Das waren, lieber Bernd Rützel, sozialliberale Zeiten, und das waren gute Zeiten für Deutschland. ({5}) Ja, mir ist bewusst, dass es einige Kolleginnen und Kollegen im Hohen Hause geben mag, die sich in Europa mehr paritätische Mitbestimmung wünschen würden. Aber so erfolgreich Deutschland Waren und Dienstleistungen in die Welt exportiert, so müssen wir doch feststellen: Die paritätische Mitbestimmung ist nie ein Exportschlager geworden. Die große Mehrheit unserer europäischen Freunde und Nachbarn pflegt nach wie vor ein eher distanziertes Verhältnis zur Unternehmensmitbestimmung nach deutschem Muster: Sie haben gar keine Mitbestimmung oder maximal eine Drittelbeteiligung. Das mag man richtig oder falsch finden, aber so ist das nun mal. Das ist die souveräne Entscheidung unserer europäischen Partner. Das ist gelebte Subsidiarität. Man kann für mehr Unternehmensmitbestimmung werben, man kann die Vorteile anpreisen und auf gute Erfahrungen von großen Unternehmen verweisen. Aber wir sollten uns immer bewusst machen: Unser abgestuftes Modell von der Drittelbeteiligung bis zur echten paritätischen Mitbestimmung ist bis heute ein Alleingang in Europa geblieben. Von allen großen Wirtschaftsräumen ist der europäische Binnenmarkt der sozialste. Nirgendwo auf der Welt sind Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt so hoch wie in Europa, nirgendwo sind Standards höher, und nirgendwo ist Mitbestimmung stärker. Darauf können wir stolz sein, und das sollten wir bewahren und weiterentwickeln. ({6}) Diesem Ziel dient die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens wie der, den wir heute debattieren. Wenn in Europa die Wirtschaft zusammenwächst – und das ist wünschenswert –, dann ist es gut und richtig, grenzüberschreitende Lösungen unter Achtung europäischer Subsidiarität zu erarbeiten. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. ({7}) Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke hat der Kollege Pascal Meiser jetzt das Wort. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Globalisierung, Digitalisierung und der dringend notwendige ökologische Umbau unserer Wirtschaft lösen große Sorgen bei vielen Beschäftigten aus, die sich fragen, was diese Umbrüche für sie und ihren Arbeitsplatz mit sich bringen – und das leider häufig aus gutem Grund. Ein Garant, dass die Beschäftigten bei diesen Umbrüchen nicht unter die Räder kommen, ist eine starke Mitbestimmung. Und dabei geht es nicht nur um die betriebliche Mitbestimmung, sondern insbesondere auch um die Mitbestimmung in zentralen wirtschaftlichen Fragen, wie sie – zumindest begrenzt – die Unternehmensmitbestimmung in Deutschland für große Unternehmen ermöglicht. ({0}) Denn Mitbestimmung kann nicht nur heißen, hinterher im Betrieb die Scherben aufzukehren, die einsame Managemententscheidungen verursachen können. Mitbestimmung heißt auch, dass die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften im Vorhinein über grundsätzliche Fragen, zum Beispiel wenn es um zukünftige Investitionen geht, mitentscheiden können müssen. ({1}) Aber bereits seit vielen Jahren wird in Deutschland die Unternehmensmitbestimmung regelrecht unterlaufen. Hatten 2002 noch 767 Unternehmen mit über 2 000 Beschäftigten einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat, so waren es 2021 nur noch 656 Unternehmen. In jedem dritten Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten fehlt so inzwischen der mitbestimmte Aufsichtsrat. Die grenzübergreifende Mobilität europäischer Unternehmen und uneinheitliche Regelungen für unterschiedliche Unternehmensrechtsformen haben diesen Prozess massiv verstärkt. Das ist unhaltbar; deshalb müssen die Schlupflöcher und Lücken dringend geschlossen werden. ({2}) Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf, der ja nur grenzübergreifende Umwandlungen und Aufspaltungen tangiert, wird nur ein kleiner Teil des Problems adressiert; dieser geht aber in die richtige Richtung. Im parlamentarischen Verfahren werden wir schauen müssen, wo wir die Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes dazu aufgreifen und den Gesetzentwurf noch ein bisschen nachfeilen können. Doch das eigentliche Problem, dass im Rahmen der grenzüberschreitenden Mobilität von Unternehmen weiterhin unternehmensmitbestimmungsfreie Zonen entstehen, wird nicht adressiert. Erstens. Unternehmen wie H&M, Primark und Bauhaus, die eine ausländische Rechtsform besitzen, aber hier ihren Verwaltungssitz haben, werden von dem bestehenden Unternehmensmitbestimmungsrecht nicht erfasst. Das ist ein Problem. Das muss sich ändern. Auch auf ausländische Unternehmensrechtsformen von Firmen, die in Deutschland ihren Verwaltungssitz haben, muss die Unternehmensmitbestimmung erstreckt werden. ({3}) Zweitens. Noch gravierender ist der Befund bei der Europäischen Aktiengesellschaft, kurz: SE. In Deutschland sind inzwischen – nach den letzten mir bekannten Zahlen – 107 Unternehmen mit mehr als 2 000 inländischen Beschäftigten als SE registriert. Doch 86 dieser SE-Gesellschaften vermeiden die paritätische Mitbestimmung und deutsche Mitbestimmungsgesetze, obwohl sie über den jeweiligen Schwellenwerten liegen. Das ist ein Problem, und das können wir so nicht länger zulassen, meine Damen und Herren. ({4}) Dabei sind auch prominente Beispiele: Deichmann, Zalando, auch die Tesla Manufacturing in Brandenburg sind solche SE, die die bestehenden Mitbestimmungslücken nutzen, um zu verhindern, dass die Beschäftigten auf Augenhöhe über zentrale Fragen mitbestimmen. Wenn Sie es ernst meinen mit ein klein wenig Demokratie in der Wirtschaft, mit ein klein wenig Demokratie in Unternehmen, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– dann lassen Sie uns dafür sorgen, dass es nicht nur beim Klein-Klein bleibt, wie es der vorliegende Gesetzentwurf adressiert, sondern dass wir die großen Fragen adressieren: Alle Lücken, die die Mobilität europäischer Unternehmen schafft –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– ich komme zum Schluss –, müssen endlich geschlossen werden. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich danke Ihnen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie natürlich an diesem Nachmittag erst mal herzlich grüßen und gebe sofort das Wort an Mathias Papendieck für die SPD-Fraktion. ({0})

Mathias Papendieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren! Wir debattieren heute in der ersten Lesung ein Gesetz, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, die wir jetzt in deutsches, nationales Recht umsetzen; die Frau Staatssekretärin hat schon einiges dazu gesagt. Ich möchte vorab aber was Positives sagen, und zwar: Europa wächst mehr und mehr zusammen. Die Unternehmen können sich überall niederlassen. Sie können sich jetzt spalten, sie können sich verändern. Wir wollen die Mitbestimmung der Kolleginnen und Kollegen, also die Arbeitnehmerrechte im Bereich der Unternehmensmitbestimmung, sichern, und zwar europaweit. ({0}) Für mich als langjährigen Betriebsrat ist das ein Herzensthema. Wir haben im Koalitionsvertrag gemeinsam vor einem Jahr vereinbart, dass wir die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickeln wollen. Wir wollen gerade nicht, dass die Verhinderung von Unternehmensmitbestimmung durch die Gründung von SE-Gesellschaften weiter um sich greift. Wir können jetzt nach einem Jahr sagen: Wir haben mit diesem Gesetz Wort gehalten. ({1}) Eine Verbesserung ist zum Beispiel, dass aufgrund der Vier-Fünftel-Regelung bei Spaltungen ein Gremium gebildet werden muss und die Verhandlungen mit den Kolleginnen und Kollegen aufgenommen werden müssen. Das ist eine bessere Regelung als im deutschen Recht; das sei an dieser Stelle deutlich gesagt. ({2}) Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Arbeitgeber auf eine Vereinbarung einigen, dann – das haben wir in das Gesetz geschrieben – hat das vier Jahre Bestand. Auch wenn Unternehmen sich strukturell noch mal verändern wollen, ist das festgehalten. Das ist für sie gesichert, da kommt auch keiner mehr ran. Ein zweiter Punkt ist auch enthalten, und zwar: Was passiert, wenn sie sich nicht einigen? Dann gilt in der Tat deutsches Arbeitnehmerrecht. An der Stelle haben wir noch mal eine Sicherung eingezogen. Für uns sind Gewerkschaften in der Mitbestimmung elementar, genauso wie die Betriebsräte. Sie sind im Gesetz fest verankert: dass sie in das Gremium der Verhandlung gewählt werden können und dass sie am Ende über das Ergebnis informiert werden; das ist verpflichtend. Wenn die Information nicht kommt, werden Strafen verhängt; die stehen im letzten Paragrafen. Man muss sagen, dass wir hiermit Missbrauch nach allen Seiten verhindern wollen. Die Kollegen und Kolleginnen dürfen nicht schutzlos sein. Wir wollen sie absichern, und wir wollen, dass ihre Rechte Bestand haben. Gerade in europäischen Unternehmen, die an verschiedenen Standorten unterwegs sind, ist es teilweise besonders prekär, diese Rechte auch umzusetzen. Wir sind unseren Überzeugungen und unseren politischen Absichten treu geblieben. Wir werden das auch weiterhin tun – bei jeglichen Gesetzen der Mitbestimmung. Wir werden wissen, wo wir als SPD stehen. Wir stehen mit den Kollegen für ihre Rechte ein, und wir werden uns immer für diese Rechte einsetzen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herzlichen Dank. Sie haben die überschrittene Redezeit des vorherigen Kollegen wieder ausgeglichen. ({0}) Ich gebe das Wort an Maximilian Mörseburg für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag möchte ein neues Gesetz beschließen. Das ist ja nicht immer eine gute Nachricht für die Betriebe und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserem Land. Zuletzt hat die Ampelregierung zum Beispiel bei der Umsetzung der Nachweisrichtlinie Papierberge bei Millionen von Beschäftigten und in allen deutschen Betrieben produziert, anstatt die Prozesse rund um den Arbeitsvertrag zu digitalisieren. ({0}) Also schauen wir doch mal, wie die Bewertung heute ausfällt. Die Bundesregierung muss die Regelungen der EU-Umwandlungsrichtlinie, die sich mit der Mitbestimmung in den Betrieben befassen, in deutsches Recht umsetzen. Die EU bestimmt, welche Regelung anzuwenden ist, wenn ein Unternehmen aus der Rechtsform eines EU-Landes in die Rechtsform eines anderen umgewandelt wird. Wenn zum Beispiel eine italienische S.r.l. in eine deutsche GmbH umgewandelt werden soll, muss beispielsweise geklärt werden, wie viele Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsgremien sitzen. Richtet sich das nach italienischen Regeln oder nach deutschen? Dieselbe Frage stellt sich, wenn ein Unternehmen aufgespalten wird und die neue Gesellschaft im EU-Ausland eine andere Rechtform hat und dort die Arbeit weiterführt, wenn also die italienische S.r.l. aus unserem Beispiel in eine italienische Gesellschaft und eine deutsche Gesellschaft aufgespalten wird. Für die Verschmelzung von zwei Unternehmen gibt es mit dem MgVG bereits ein Gesetz, das nun entsprechend den neuen Regeln angepasst wird. Zunächst einmal stelle ich fest, dass es richtig ist, das einheitliche europäische Regelwerk für die Wahrung der Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weiterzuentwickeln; denn ein solches Regelwerk schafft Rechtssicherheit für Unternehmen und schützt die Belange der Arbeitnehmer. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, mit Ihnen wollte ich mich heute eigentlich gar nicht beschäftigen; ({2}) aber ich muss sagen: Diese Form von Vereinheitlichung in der EU liegt in unserem ureigenen Interesse. Dieses Ziel verfolgten die Gründungsstaaten mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es geht nicht um die Einmischung in innerstaatliche Dinge, sondern das ist wirklich Harmonisierung im Binnenmarkt. ({3}) Das ist es, was unsere Wirtschaft braucht. Durch einen großen und möglichst einheitlichen europäischen Markt haben wir in Europa einen riesengroßen Wettbewerbsvorteil. Deswegen ist es vor allem für die Wirtschaft wichtig, dass wir uns weiter mit der Vereinheitlichung, der Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes beschäftigen. Es geht aber auch darum, dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Vertretungen im Betrieb haben, unterstützen, damit sie diese Vertretungen nicht durch einen Wegzug des Unternehmens in ein anderes Land und eine entsprechende Rechtsformänderung verlieren. Wenn das passiert, wird in Zukunft ein Verhandlungsprozess zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgelöst; den kennen wir bereits von der Verschmelzung, von der SE. Dieser Verhandlungsprozess wird bereits dann ausgelöst, wenn das Unternehmen im Heimatland vier Fünftel der Betriebsgröße erreicht, die notwendig wäre, um vom dortigen Mitbestimmungsgesetz erfasst zu werden. So soll verhindert werden, dass ein Unternehmen aus einem EU-Land wegzieht, kurz bevor es seine Mitarbeiter in Aufsichtsgremien schicken müsste. Natürlich finden sich auch Kritikpunkte. Zum einen schaffen Sie eine Missbrauchsregelung, die in dieser Art und Weise nicht von der Richtlinie gefordert ist, meines Erachtens rechtlich überflüssig zu sein scheint und vermutlich einfach ins Leere laufen wird. Zum anderen scheint es ebenfalls unnötig zu sein, ein Mitglied der Leitung mit dem Bereich „Arbeit und Soziales“ zu betrauen, da die Leitung sowieso mit dem Bereich „Arbeit und Soziales“ betraut ist. Abgesehen von diesen Kleinigkeiten, die wir im Ausschuss noch mal anschauen können, muss ich das BMAS heute ausnahmsweise mal loben. Sie setzen eine EU-Richtlinie nahezu eins zu eins um, ohne viel zusätzliche Bürokratie bei den Unternehmen auszulösen, und Sie sorgen mit dem neuen MgFSG für Klarheit im Recht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der aktuellen Krise vollziehen wir bei jeder Maßnahme, die wir beschließen, einen Balanceakt zwischen finanzieller Entlastung und Inflationsgefahr: Geben wir zu wenig Geld aus, laufen wir Gefahr, dass Unternehmen insolvent werden und Verbraucher ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Beschließen wir zu viele Entlastungen, dann bürden wir nicht nur nachfolgenden Generationen diese Schulden auf, sondern unterstützen gleichzeitig auch die Inflation, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Das Einzige, was der Wirtschaft in dieser Situation ganz sicher hilft, ist das Entlasten von Bürokratie, der Abbau von Bürokratie. ({4}) Deshalb ist es gerade für uns Arbeitsmarktpolitiker ganz entscheidend, keine unnötigen Belastungen für unsere Unternehmen und Mitarbeiter einzuführen und endlich Bürokratie abzubauen. ({5}) Setzen Sie sich auch in Brüssel dafür ein, dass wir endlich ein Belastungsmoratorium bekommen. Unserer Wirtschaft steht das Wasser bis zum Hals. Jede weitere Belastung lässt weitere Unternehmen absaufen. ({6}) Korrigieren Sie also Fehler der Vergangenheit, indem Sie zum Beispiel Unternehmen die Nachweise zum Arbeitsvertrag digitalisieren lassen und sie damit entlasten. ({7}) Und setzen Sie in Zukunft alle Richtlinien eins zu eins um, ohne zusätzliche Bürokratieberge zu produzieren, so wie Sie es hier ausnahmsweise getan haben. Dann, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, werden Sie auch öfter von der Opposition so gelobt, wie ich das heute gerne getan habe. Vielen Dank. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Jetzt erhält für Bündnis 90/Die Grünen Frank Bsirske das Wort. ({0})

Frank Bsirske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005034, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Die Ampel hat in ihrer Koalitionsvereinbarung vereinbart, die missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts verhindern zu wollen und dafür zu sorgen, dass auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, bei Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften nationale Beteiligungsrechte gesichert werden. In diesem Sinne enthält der vorliegende Gesetzentwurf Regelungen zur Herein-Umwandlung von Gesellschaften nach Deutschland. Insbesondere enthält der Gesetzentwurf eine antizipierende Betrachtung von Schwellenwerten für die Unternehmensmitbestimmung. Verhandlungen zwischen dem Unternehmen und einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer/-innen werden bereits erforderlich, wenn die Zahl der Beschäftigten mindestens vier Fünftel des Schwellenwertes entspricht. Dies ist in der Tat hilfreich, um missbräuchliche Umgehung von Mitbestimmungsrechten zu verhindern. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Einfrieren einer schlechten Mitbestimmung aus dem Ausland mithin erstmals wirksam unterbunden. Insofern wird das Mitbestimmungsrecht, anders als unser Kollege Axel Knoerig das sehen wollte, vor dem Hintergrund des Binnenmarktes sehr wohl weiterentwickelt. ({0}) Noch wichtiger für die Verhinderung missbräuchlicher Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts ist die sogenannte Heraus-Umwandlung von deutschen Unternehmen und Gesellschaften ins europäische Ausland. Dieser Teil der EU-Richtlinie wird in einem Gesetzentwurf aus dem Justizministerium umgesetzt. Bei der Heraus-Umwandlung von deutschen Unternehmen werden die deutschen Registergerichte künftig prüfen, ob ein Unternehmen die grenzüberschreitende Umwandlung zu missbräuchlichen Zwecken durchführt. Hierzu gehört auch und insbesondere die missbräuchliche Umgehung der deutschen Mitbestimmung. Nun werden die Registergerichte bisher ja nicht mit Fragen der Unternehmensmitbestimmung befasst. Umso wichtiger ist es daher, den gesetzlichen Prüfauftrag mit klaren Anhaltspunkten zu versehen, die für die missbräuchliche Umgehung der deutschen Mitbestimmungsrechte sprechen. ({1}) Es ist erklärtes Ziel der EU-Richtlinie und muss in der Folge auch Ziel des Umsetzungsgesetzes sein, ein Absenken des Status quo bei der Mitbestimmung gegen den Willen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszuschließen. ({2}) Daraus wird für den Gesetzentwurf zur Heraus-Umwandlung folgen, dass für Formwechsel und Spaltung ein absoluter Bestandsschutz vorzusehen ist und für die Verschmelzung ein Absenken der Mitbestimmung nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer/-innen möglich sein kann. ({3}) In diesem Sinne schauen wir auf das, was uns bevorsteht, und blicken auf das, was jetzt hier vorgelegt wird. Zu Recht werden wir zustimmen. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Letzter Redner in dieser Debatte ist Jan Dieren für die SPD-Fraktion. ({0})

Jan Dieren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005041, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den demokratischen Fraktionen! Liebe Kolleginnen und Kollegen in Betrieben und Unternehmen! Mein geschätzter Kollege Cronenberg hat gerade zu Recht darauf hingewiesen: Wir diskutieren dieses Gesetz zur Unternehmensmitbestimmung heute, 50 Jahre nach der letzten großen Reform der betrieblichen Mitbestimmung, 50 Jahre nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes. Deshalb lohnt es sich, das in einen größeren Rahmen einzuordnen. Die Mitbestimmung in Deutschland bröckelt. Vor 20 Jahren wurden noch 50 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 42 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland von einem Betriebsrat vertreten. Heute sind es noch 39 Prozent im Westen und 34 Prozent im Osten. Das ist ein Problem für uns alle; ({0}) denn die Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen ist nicht einfach ein nettes Gimmick, sondern ein grundlegender Pfeiler der demokratischen Ordnung. ({1}) Deshalb ersetzen weder Coffee Corner noch Obstboxen in der Etagenküche Partizipationsmöglichkeiten und auch kein Kicker im Pausenraum das Recht auf Mitbestimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele für uns als Gesellschaft wichtige Entscheidungen treffen wir demokratisch. Das macht sie in der Tendenz ausgewogener und erhöht ihre Legitimation. Aber nicht alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gerade demokratisch, zum Beispiel unternehmerische Entscheidungen in der Wirtschaft. Das trägt übrigens nicht immer zu deren Akzeptanz bei, wie man an öffentlichen Diskussionen über Preise gerade gut sehen kann. Aber auch in der Wirtschaft kann es demokratisch zugehen. Dafür spielt die Mitbestimmung der Kolleginnen und Kollegen eine Schlüsselrolle. Sie stärkt die Unternehmen: Mitbestimmte Unternehmen sind krisenfester, produktiver und haben zufriedenere Beschäftigte als nicht mitbestimmte. Und sie stärkt unsere Gesellschaft: Denn wo die Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen stark ist, ist es auch das Vertrauen in demokratische Prozesse überhaupt. Trotzdem gibt es jetzt Unternehmensleitungen, die sich der Mitbestimmung lieber entziehen, weil sie auch mal ungemütlich sein kann. Ein Beispiel: Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat von Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten zu gleichen Teilen von Arbeitnehmer/-innenseite und Arbeitgeber/-innenseite zu besetzen. Manche Unternehmensleitungen umgehen das jetzt, indem sie ihre Rechtsform ändern, zwischen den Gesetzen verschiedener europäischer Länder hin und her springen. Mehr als 300 große Unternehmen mit insgesamt mehr als 2 Millionen Beschäftigten in Deutschland haben so die Mitbestimmungsrechte ihrer Beschäftigten ausgehebelt. Mit dem vorliegenden Gesetz und der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie der EU wollen wir genau das verhindern. Das sorgt übrigens auch für mehr Fairness unter den Unternehmen und ist richtig für uns alle. Denn die Vermeidung von Mitbestimmung ist nicht nur unsolidarisch gegenüber den vielen Unternehmen in Deutschland, die die Mitbestimmung ihrer Beschäftigten wertschätzen und achten. Es untergräbt auch einen Grundpfeiler jedes wirklich demokratischen Zusammenlebens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des Vorrückens faschistischer Strömungen in unserer Gesellschaft ({2}) – Sie fühlen sich zu Recht angesprochen – ({3}) braucht es gerade heute nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung, mehr Demokratie. ({4}) – Ja, reden Sie weiter! Sie bleiben weiter angesprochen. ({5}) Wer sich dem entgegenstemmt, gießt Wasser auf die Mühlen genau derjenigen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Jan Dieren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005041, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. – Ob man das will, muss jetzt jede Person und jede Partei für sich entscheiden. Wir haben das. Wir wollen mehr Fortschritt, mehr Demokratie und mehr Mitbestimmung wagen. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein herzliches Willkommen an Vertreterinnen der iranischen Gemeinde, die heute bei uns hier auf der Zuschauertribüne sind! ({0}) Wir bringen heute einen Antrag zur Situation der Frauen im Iran ein, weil wir der festen Überzeugung sind, dass Deutschland mehr tun kann. Die Lage im Iran wird jeden Tag schlimmer seit dem Tod von Mahsa Amini vor fast einem Monat, am 16. September. Es sind mittlerweile fast 200 getötete Protestierende, Tausende wurden verletzt und inhaftiert. Sie alle sind auf die Straßen des Iran gegangen, ob in Teheran, Isfahan oder Ghom, um für ihre Freiheit und ihre Menschenwürde zu kämpfen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir alle hier fest an der Seite der Frauen im Iran stehen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich das wirklich ganz deutlich sagen: Die aktuelle Lage im Iran ist auch ein richtungsweisender Testfall für deutsche Außenpolitik. Zeigen Sie uns, liebe Bundesregierung, wo Ihre neue frauenorientierte Außenpolitik – Sie nennen es „feministische Außenpolitik“ – wirklich einen Unterschied macht. Zeigen Sie uns, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um den Unterdrückten dort zu helfen. Zeigen Sie uns die Schritte, die Sie gehen wollen. Wir wollen Sie gerne auf diesem Weg unterstützen. Wir sind dazu bereit. ({2}) Frau Außenministerin – sie ist leider heute nicht hier –, Sie haben in Ihrer Rede vor zwei Wochen im Deutschen Bundestag gefordert – ich zitiere –: Die iranischen Behörden müssen ihr brutales Vorgehen gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten unverzüglich einstellen. Aber es sind genau diese Behörden und Institutionen, die diese staatlichen Femizide zu verantworten haben, die unsere Bundesregierung offenbar nicht allzu sehr verstimmen möchte. Wir haben den Eindruck, dass das Außenministerium und das Bundeskanzleramt eine zu starke Konfrontation vermeiden wollen, vielleicht auch, um die Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm nicht in Gefahr zu bringen. Und wir alle sind natürlich Fans von Verhandlungen zum Atomprogramm; aber vielleicht müssen wir auch nach Jahren der Verhandlungen mit dem Mullah-Regime eingestehen – das ist eigentlich längst klar –, dass der Iran gar kein Interesse an echten Verhandlungen hat. Wie passt das alles in eine kohärente Strategie? ({3}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen über die Proteste das Große und Ganze nicht aus den Augen verlieren – genau das haben wir eben auch mit den Vertreterinnen der iranischen Exilgemeinde besprochen –; denn der Iran ist eben nicht erst seit den letzten Wochen ein Terrorregime, das Menschenrechte mit Füßen tritt. Es ist ein Regime, das seine Bevölkerung unterdrückt, das jegliche Opposition seit 40 Jahren knallhart niederschlägt. Und nicht nur das: Es ist auch ein Regime, das neuerdings bewaffnete Drohnen an Putin liefert für den Einsatz in der Ukraine. Mit der Wahl von Raisi zum Präsidenten im letzten Jahr hat sich die Lage nochmals verschärft. Auch das müssen wir alles mitdenken. Liebe Bundesregierung, wir sind gerne bereit, uns konstruktiv einzubringen. Noch mal: Sie haben uns bei diesem Anliegen an Ihrer Seite. Denn auch wir wollen eine Außenpolitik, die sich für verfolgte Frauen einsetzt, die hinschaut und ihre Lage zum Thema macht. Genau deshalb begrüßen wir auch, dass Sie Sanktionen auf den Weg bringen, wenn auch, wie alles, was Sie machen, sehr, sehr langsam. Die Sanktionen sind trotzdem wichtig. Und wenn das Thema am Montag beim Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ auf der Tagesordnung steht, dann machen Sie da bitte auch wirklich Druck. Die Amerikaner und die Briten sind, wie immer, bereits mit Sanktionen gegen die Verantwortlichen vorausgegangen. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass die Europäische Union nachzieht. ({4}) Lassen Sie uns auch über Sanktionen hinaus Maßnahmen ergreifen. Wir haben in unserem Antrag – bitte lesen Sie ihn, bitte nehmen Sie ihn zur Kenntnis – konkrete Vorschläge gemacht: Setzen Sie sich ein für einen Sonderrat der Europäischen Union zur Lage im Iran. Schließen Sie das Islamische Zentrum Hamburg. Unterstützen Sie Exiliraner, die wichtige Oppositionsarbeit aus Europa heraus machen. Helfen Sie den Protestierenden, indem Sie sichere Kommunikationswege bereitstellen. Es gibt viel mehr, was wir tun können, als das, was die aktuelle Bundesregierung tut. Es liegt jetzt an Ihnen, den politischen Willen dazu aufzubringen, damit feministische Außenpolitik – ich möchte ein letztes Mal unsere Bundesaußenministerin zitieren – eben nicht „nur eine kurze empathische Geste“ bleibt. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über 40 Jahren erlebte der Iran eine islamische Revolution, angeführt von Männern, die „Gott ist groß“ riefen. Heute steht das Land vor einer neuen Revolution, diesmal angeführt von Frauen. Sie rufen: „Frauen, Leben, Freiheit“. Der Mut dieser Frauen ist kaum fassbar. Sie verbrennen Kopftücher, schneiden ihre Haare ab und reißen Bilder geistlicher Führer von den Wänden. Sie nehmen dafür Schläge, Tränengas, Verhaftung, ja, sogar den Tod in Kauf. Dieses Aufbegehren bei höchstem Risiko für Leib und Leben wird überall bewundert. Deshalb sehen wir bei uns und weltweit: Menschen solidarisieren sich über die Grenzen Irans hinaus mit den Demonstrierenden. Seit Jahrzehnten leben Frauen im Iran fremdbestimmt und in Unfreiheit. Sie werden systematisch unterdrückt. Seit Jahrzehnten rütteln Frauen am Fundament eines scheinbar einsturzsicheren Gerüsts, von Männern gebaut und aufrechterhalten. Und jetzt schmettern sie dem Regime ihre Wut und Ablehnung mit aller Wucht entgegen. Aber etwas hat sich verändert: Früher gingen die Frauen allein auf die Straßen, um für ihre Rechte einzustehen. Heute stehen Frauen und Männer Seite an Seite im Kampf um Freiheit. Denn darum geht es derzeit im Iran. Nicht nur um Solidarität, sondern um das Menschenrecht auf Freiheit. Selten zuvor hat sich die Wut und Ablehnung gegen die Unterdrückung so flächendeckend durch so breite Teile der Gesellschaft gezogen – quer über alle Religionen, Bevölkerungsgruppen und gesellschaftliche Schichten. Gestern wurde gemeldet, dass es zu Streiks und Protesten in der Öl- und Gasindustrie im Süden des Landes gekommen sein soll. Denn die Demonstrationen für Freiheit bedeuten auch: Die Iranerinnen und Iraner wollen nicht in der Vergangenheit verharren – in einem Land, das von den Mullahs in großen Teilen systematisch isoliert wurde. Sie wollen Chancen, Perspektiven und bessere Lebensbedingungen. Sie verlangen eine Zukunft. Männer und Frauen im Iran kämpfen gemeinsam für ihre Freiheit; denn sie wissen: Der Weg dorthin führt immer und überall über Gleichberechtigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, feministische Außenpolitik enthält Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. ({0}) Und das möchte ich an dieser Stelle noch mal ganz deutlich betonen: Von Geschlechtergerechtigkeit profitieren wir alle. Eine Unzahl von Studien belegt: Je stärker die Frauen missachtet und unterdrückt werden, desto schlechter steht es um das Land, in dem sie leben. Geringere Wirtschaftsleistung, weniger Ernährungssicherheit, schlimmere Konflikte sind die Folgen. Eine stabile Demokratie, in der alle in Frieden und Sicherheit leben, ist eine Demokratie, in der Frauen gleichberechtigten Zugang zu ihren Rechten haben. Eine feministische Außenpolitik ist deshalb eine Politik, die eine Gesellschaft als Ganzes sieht. Deshalb muss man sich auch nicht davor scheuen, das Wort „feministisch“ in den Mund zu nehmen. ({1}) Es ist ja schon bezeichnend, dass Sie sich in Ihrem Antrag offenbar nicht trauen, von feministischer Außenpolitik zu reden, ({2}) sondern sie in Anführungszeichen setzen. Hinken Sie da nicht ein bisschen der Debatte hinterher? Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich bin schon darüber gestolpert, dass Sie die Iranerinnen und Iraner, die gerade unter Gefahr für Leib und Leben auf die Straßen gehen, als „Testfall“ bezeichnen. ({3}) Was wir jetzt brauchen, sind konkrete Maßnahmen zur Unterstützung vor Ort. Erstens: gezielte Sanktionen gegen Verantwortliche. Vorschläge für Sanktionen gegen ausgewählte Personen, Organisationen und Einrichtungen liegen auf dem Tisch. Die EU-Außenministerinnen und ‑minister werden – Sie haben es gesagt – am kommenden Montag voraussichtlich darüber abstimmen. Zweitens: praktikable Lösungen, um die Internetzensur zu umgehen, wie Sie auch völlig zu Recht vorschlagen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen vor Ort wieder freien Zugang zu Informationen bekommen. Auch, um ihren Protest zu organisieren. Und drittens: Es darf bis auf Weiteres niemand mehr in den Iran abgeschoben werden. Es ist gut, dass Innenministerin Nancy Faeser die Länder dazu aufgefordert hat, über einen Abschiebestopp nachzudenken und zu entscheiden. Zuletzt möchte ich sagen: Ihr Antrag ist durchaus interessant. Der Vorwurf gegen die Außenministerin, der damit verbunden ist, ist: alles schneller, alles besser, alles weiter. Aber es sind interessante Vorschläge, und deshalb möchten wir diesen Antrag in den Ausschuss verweisen, damit wir weiter darüber diskutieren können. Und ganz zuletzt: Unsere Solidarität mit den Demonstrierenden muss ungebrochen bleiben. Das ist auch heute unser Signal an die mutigen Menschen, an die Frauen und Männer im Iran: Wir sehen euch, wir hören euch, und wir stehen an eurer Seite. Danke schön. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Stefan Keuter für die AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Union einmal mehr demonstrieren möchte, dass sie nicht mehr als einen opportunistischen Scheinoppositionsantrag hier einbringt, dann wohl mit diesem Antrag. Da regiert in diesem Land eine linksliberale Ampelkoalition, die den ideologischen Unfug jedes durchschnittlichen linken Aktivisten als seriöse Politik verkaufen möchte, und die Union meint, diesen infantilen Ungeist auch noch überbieten zu müssen. Sie fordern: „Den Testfall einer frauenorientierten Außenpolitik zum Erfolg machen“. Bemerkenswert ist, dass Sie den Begriff „feministisch“ vermeiden, obwohl der Kollege Hardt aus Ihren Reihen in einer Pressemitteilung vom 26.09. dieses Wort sehr wohl schon verwendet hat. ({0}) Sie vermeiden es offensichtlich jetzt, um Ihre ideologische Nähe zu den Grünen hier nicht allzu offensichtlich zur Schau zu tragen. Und um die Scheinheiligkeit der Diskussion um die Entwicklung im Iran zu entlarven, reicht ein Blick auf die politischen Entscheidungen dieser Regierung. Während Sie nun den Iran als schlimmstes theokratisches Terrorsystem aller Zeiten stilisieren, verkaufen Sie weiter via EU-Deals Waffen nach Saudi-Arabien, einem Land, in dem die Scharia herrscht. Wo ist denn da der Aufschrei, Ihr Ruf nach einem Regime Change und nach mutigem Widerstand? Wo ist da der Aufruf an die Frauen, ihre Gewänder und Kopftücher abzulegen und offen gegen den Staat zu rebellieren? Er bleibt aus. Und weshalb bleibt er aus? Weil Saudi-Arabien ein strategischer Partner der USA ist und bisher im transatlantischen Narrativ einfach verschont wurde. Und hier sehen wir wieder einmal: Realpolitik triumphiert über angebliche Wertepolitik. ({1}) Die emotionsgeladenen Phrasen, die Sie in diesem Zusammenhang immer gerne bringen und auspacken, passen dann halt hier nicht. Der Iran wäre ein potenzieller Alternativlieferant für russisches Öl, das Sie ja nicht mehr wollen. Aber anstelle hier Verhandlungen anzustreben, um die Energieversorgung Deutschlands abzusichern, fordert unsere Außenministerin weitere Sanktionen gegen Teheran. Sie sagen: weil es ein sogenannter Schurkenstaat sei. Da frage ich mich: Seit wann interessiert Sie das? War das etwa ein Thema, als Vizekanzler Habeck in Katar den Kniefall machte und um Öl und Gas bettelte, das es gar nicht gab? Bei dem Staat, wo wir die Fußball-WM austragen wollen, aber Frauen immer noch die Erlaubnis ihrer Männer brauchen, um das Haus zu verlassen? Der Testfall frauenorientierter Außenpolitik hat hier bereits stattgefunden, und Sie haben hier kläglichst versagt. ({2}) Die Bilder aus dem Iran sind zweifelsohne verstörend und besorgniserregend. Ich bzw. meine Fraktion zollen jedem Mädchen und jeder Frau, die hier auf die Straße gehen, Respekt. ({3}) Die islamischen Werte, die im Iran von den Mullahs vertreten werden, sind eindeutig nicht unsere westlichen Werte. Jedoch müssen wir offensichtlich die Herrschaften in diesem Hohen Haus daran erinnern, dass Teheran nicht in der Bundesrepublik liegt. Der Raum, in dem Sie dafür sorgen können, dass Frauen sich nicht um ihre Gesundheit in diesem Land sorgen müssen, ist hier in Deutschland. Doch ausgerechnet in unserem Land interessieren Sie Islamisierung, Ehrenmorde, Beschneidungen von Mädchen und Zwangsehen nicht die Bohne. Setzen Sie Ihren scheinheiligen Werteimperialismus erst einmal auf die Parallelgesellschaften in deutschen Großstädten an. Sie können in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, oder hier in Berlin gerne damit anfangen, ({4}) bevor Sie sich mit Ihrem Werteimperialismus auf andere Staaten stürzen. Lassen Sie die Moral in sauren Phrasen sein, und kümmern Sie sich um die Probleme in Deutschland – denn dafür und nur dafür wurden Sie gewählt! ({5}) Die Außenministerin ist heute nicht da, aber einen Ratschlag gebe ich ihr noch: Bevor sie hier vorgaloppiert mit Forderungen, sollte sie erst einmal ihr Haus auf Kurs bringen, weil offensichtlich die führenden Beamten im Auswärtigen Amt dies alles auch ein bisschen anders sehen als unsere Außenministerin. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Lamya Kaddor für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lamya Kaddor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005095, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich danke Ihnen, dass wir heute erneut die Gelegenheit haben, den mutigen Frauen, Schülerinnen, Studentinnen, Studenten und allen Iranerinnen und Iranern aus dem Deutschen Bundestag heraus unsere volle Solidarität zu zeigen. Inzwischen haben ja auch Proteste die Ölindustrie des Landes erreicht, und wir bangen und hoffen mit den Menschen im Iran. Ich bin froh, dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Rahmen der EU an einem Sanktionspaket mit Einreiseverboten und dem Einfrieren von Konten und Finanzströmen arbeitet. Natürlich sprechen wir uns mit den internationalen Partnern ab und drängen auf eine Verurteilung und unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Darüber hinaus – das ist mir besonders wichtig – setzen wir uns in der Ampel für einen umgehenden Abschiebestopp in den Iran ein. Zugleich sollten wir es Frauen und anderen Verfolgten im Iran leichter machen, in Deutschland und im Rest der Europäischen Union Schutz zu erhalten. Das gehört auch zu einer feministischen Außenpolitik gegenüber dem Iran. Aber so etwas ist im Antrag der Union, den ich übrigens gelesen habe, leider nicht vorgesehen. Es sind die von Ihrer Partei geführten Bundesländer, die sich gegen einen schnellen Abschiebestopp stemmen. Das ist weder menschlich noch politisch für uns nachvollziehbar. ({0}) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, entlarven Sie Ihr eigenes Kalkül: Sie wollen Frauen vor einem gewaltvollen Machtapparat schützen, indem Sie auf das iranische Regime einwirken. Ihre angeblich frauenorientierte Außenpolitik soll die Lage von Frauen auf der Welt verbessern, aber es soll nicht darum gehen, diesen hier bei Bedrohung Schutz zu bieten. Der Schleier muss fallen, dann ist im Iran alles gut? Das ist viel zu kurz gedacht aus meiner Sicht. Sie sollten endlich im Hier und Jetzt ankommen. Denn jenseits des Schleiers geht es eigentlich um Freiheit für alle, es geht um den Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft, es geht um den Kampf gegen das Unrechtsregime der Mullahs. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, ein weiterer Punkt ist mir in diesem Zusammenhang noch unklar. Letzte Sitzungswoche bekräftigte Herr Röttgen an dieser Stelle, wir müssten das Atomabkommen retten und zugleich die Frauen unterstützen. Der Kollege Hardt erklärte hier indes vor Kurzem, das JCPoA sei bereits gescheitert und jetzt sollten wir das alles neu bewerten. Ja, wie lautet denn nun Ihre Analyse? Was wäre denn die Alternative zu Verhandlungen über das Atomabkommen mit dem Iran? Was wären denn die Konsequenzen? Auch hierzu leere Zeilen in Ihrem Antrag. Das iranische Regime ist schon lange, auch ohne die Bombe, ein destabilisierender Faktor in der Region; das zeigen neben seiner Unterstützung für gewalttätige Aktivitäten im Libanon, in Syrien oder im Jemen auch die iranischen Drohnen- und Raketenangriffe auf die autonomen Kurdenregionen im Irak; seit dem Ausbruch der Proteste im Iran kamen dadurch mehr als 15 Personen ums Leben. Wir dürfen die jahrelangen Bemühungen um ein Atomabkommen nicht ad acta legen. Wenn der Iran eine Nuklearmacht würde, wäre dies ein Gamechanger für den gesamten Nahen und Mittleren Osten und gewiss alles andere als eine Verbesserung für die leidgeplagten Kinder, Frauen und Männer vor Ort. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt Gökay Akbulut für Die Linke. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini Mitte September halten die landesweiten Proteste im Iran an. Mit der Parole der kurdischen Frauenbewegung „Jin – Jiyan – Azadi“, übersetzt: „Frauen – Leben – Freiheit“, demonstrieren Bürgerinnen und Bürger gegen die Frauenfeindlichkeit und die Repression des Regimes im Iran. Diesen Menschen, vor allem den mutigen Frauen und Mädchen, gilt unsere Solidarität. ({0}) Gegen die Proteste der Bevölkerung gehen die iranischen Sicherheitskräfte mit äußerster Brutalität vor. Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden bislang mindestens 154 Menschen von staatlichen Sicherheitskräften getötet und unzählige verletzt. Allein in der Stadt Zahedan sind mindestens 82 Menschen bei den Protesten getötet worden. Vertrauliche Dokumente verdeutlichen, dass die brutale Vorgehensweise der iranischen Sicherheitskräfte System hat und vom Generalhauptquartier der Streitkräfte angeordnet wurde. Ich fordere die Verantwortlichen auf: Diese Gewalt und diese Repression gegen friedliche Demonstrierende müssen sofort beendet werden! ({1}) Alle Personen, die bei den Protesten festgenommen wurden, müssen umgehend freigelassen werden. Die Presse- und Meinungsfreiheit muss gewährt und der Zugang zum Internet wiederhergestellt werden. ({2}) Meine Damen und Herren, die starke Demokratiebewegung im Iran braucht unsere Unterstützung. Solidaritätskundgebungen alleine reichen aber nicht aus. Die Bundesregierung muss endlich handeln und ihrem Anspruch einer feministischen Außenpolitik auch gerecht werden. Sie muss sich dafür einsetzen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür schlagen wir, wie hier schon angesprochen wurde, eine Reihe von Maßnahmen vor. Wir fordern erstens, dass die Bundesregierung sich auf internationaler Ebene dafür einsetzt, eine UN-Untersuchungskommission zu gründen. Denn die Verbrechen der iranischen Behörden bei der Niederschlagung der friedlichen Proteste müssen auf internationaler Ebene untersucht und dokumentiert werden; vor allem müssen die Verantwortlichen benannt werden. ({3}) Zweitens brauchen wir personenbezogene Sanktionen, die sich umfassend und nicht nur in symbolischer Größenordnung – von 16 oder so – dauerhaft gegen Angehörige des iranischen Machtapparats richten. Wer für Menschenrechtsverletzungen im Iran verantwortlich ist, darf kein Visum für Deutschland erhalten, darf keine Konten und kein Eigentum hier in Deutschland haben. ({4}) Zuletzt: Wer vor dem iranischen Regime fliehen muss, muss hier Schutz und Aufnahme erhalten. Abschiebungen in den Iran müssen sofort gestoppt werden. Einige Bundesländer gehen hier mit gutem Beispiel voran. Es wird Zeit, dass die CDU-geführten Länder dem endlich zustimmen. ({5}) Derzeit leben zehntausend Iranerinnen und Iraner in Deutschland mit dem prekären Status einer Duldung. Ihnen muss endlich dauerhafter Schutz und eine Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt kommen wir zur FDP-Fraktion. Rainer Semet erhält das Wort. ({0})

Rainer Semet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005223, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September sehen wir, wie iranische Frauen an der Spitze einer Freiheitsbewegung todesmutig auf die Straße gehen. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger, als ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne Bevormundung gestalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen und alle, die im Iran mit ihnen kämpfen, verdienen nicht nur unseren tiefsten Respekt, sie verdienen ohne Wenn und Aber unsere Solidarität, ({0}) und genau diese Solidarität möchte ich ihnen von dieser Stelle aus nochmals versichern. Klar ist: Der Iran befindet sich an einem Punkt der Entscheidung. Lassen Sie uns gut eine Woche nach dem Tag der Deutschen Einheit einmal innehalten und sagen: Es ist etwas Gutes, wenn Menschen aufstehen und sich die Freiheit nehmen, die ihnen zusteht. ({1}) Diesen Mut bringt wahrlich nicht jede unterdrückte Bevölkerung auf. Die Frage, die wir uns als politisch Verantwortliche in Deutschland in aller Ehrlichkeit stellen müssen, ist: Wie unterstützt deutsche Außenpolitik iranische Frauen konsequent bei ihrem Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung? Das Regime steht auf der Seite der Vergangenheit und sieht seinem Ende entgegen. Geeignete Maßnahmen sind zum Beispiel harte Sanktionen gegenüber Profiteuren des Systems, die ähnlich der russischen Oligarchie häufig im Ausland leben und auf Kosten der iranischen Bevölkerung ihren erschlichenen Wohlstand genießen; ein Stopp der Verhandlungen des Atomabkommens JCPoA, da ja ersichtlich ist, dass keiner weiter ernsthaft über dieses Format diskutieren möchte – mit diesem Regime lassen sich derzeit offensichtlich keine Verhandlungen führen –; und der Schutz iranischer Menschen in Deutschland, indem wir Duldungen ausweiten. Man kann über einzelne Maßnahmen geteilter Ansicht sein. Ich kann für die Freien Demokraten sagen: Wo immer sich Menschen ihre Freiheit gegen ein mittelalterliches Regime erkämpfen, sind wir als Verbündete zur Stelle. ({2}) Stellen wir also sicher, dass die Freiheitsbewegung im Iran überall auf der Welt gehört und gesehen wird. Nie waren die Menschen im Iran so nahe daran, sich selbstbestimmt eine Zukunft zu geben. Die Hoffnungen auf Liberalisierung seitens des Systems, die Präsident Rohani noch in der Bevölkerung geweckt hat, sind mit Präsident Raisi endgültig verflogen. Die Frauen – und mit ihnen alle anderen Protestierenden – zeigen durch ihre Ausdauer und ganz deutlich durch das Verbrennen ihrer Kopftücher, dass sie nicht mehr in einer Diktatur leben wollen; sie zeigen sich als Individuen, sie fordern Freiheit und das Ende der Diktatur. Dabei müssen wir sie mit allen Möglichkeiten unterstützen. Je länger der intensive Druck auf das Mullah-Regime ausgeübt wird, desto schwächer wird es werden. Meine Damen und Herren, der Weg, den der Iran jetzt nimmt, geht in eine klare Richtung. Und es bleibt nicht dabei; denn das ganze Land, zumindest große Teile des Landes, solidarisiert sich mit seinen Frauen und steht an ihrer Seite. Zur feministischen oder frauenorientierten Außenpolitik. Ich halte es für keine gute Idee, sie in diesem Zusammenhang ins Spiel zu bringen. Am 25. Juni 2021 hat der Bundestag mit einer Mehrheit der schwarz-roten Koalitionsfraktionen sowie FDP und Grünen einem Antrag genau dieser vier Fraktionen zugestimmt. Mit dem damaligen Antrag „Menschenrechte ins Zentrum der Iranpolitik stellen“ war es gelungen, sich zusammenzuschließen, einander ins Boot zu holen, Fraktionsgrenzen zu überwinden, weil es um eine wichtige gemeinsame Sache geht. Ich verstehe, dass Ihnen von der Union dafür in Ihrer Findungsphase in der Opposition die Ruhe fehlt, ({3}) aber ich bedaure dies. Denn genau das hätte es gebraucht: einen gemeinsam gestellten Antrag einer breiten Mehrheit dieses Parlaments, zu dem alle hätten beitragen können, ein Zeichen der Geschlossenheit der Bundesrepublik in den Iran, dass wir gemeinsam an der Seite der Freiheitsbewegung stehen. Stattdessen konfrontieren Sie uns am Vorabend der Debatte mit einem Antrag, der uns erst gestern Abend überhaupt zugegangen ist. Ursprünglich wollten Sie über Wahlen in Libyen diskutieren, bis Ihnen am Dienstagmorgen einfiel, dass die Situation im Iran vielleicht mehr Aufmerksamkeit bringt. Lassen Sie uns daher im Ausschuss eine gemeinsame Position der breiten Mehrheit dieses Hauses erarbeiten, verbliebene Fragen klären und zu der Geschlossenheit kommen, die dieses Thema verdient. ({4}) Und das im Sinne der mutigen Menschen im Iran. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Und das Wort erhält Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 16. September ist Mahsa Amini im Iran an den Folgen der brutalen Übergriffe der Religionspolizei gestorben. Am 19. September gab es die ersten Proteste sehr mutiger Frauen. Seitdem weiten sich die Proteste Stück für Stück aus. Am Anfang war es die Jugend; es sind inzwischen die Basarhändler, es sind die Arbeiter in der Ölindustrie, die sich den Protesten anschließen. Die deutsche Außenpolitik hat hier sehr spät reagiert. Ich möchte nur daran erinnern: Jake Sullivan hat noch am Todestag entsprechend reagiert und sich geäußert. Seitdem gab es wohlabgewogene Worte der Außenministerin, zuletzt in der „BamS“, wo es hieß, die falsche Seite der Geschichte sei der Platz, wo sich dieses Regime befinde. Also, nach heftiger Kritik wurde hier entsprechend reagiert. Anfangs hatte man das Gefühl – das hat man auch bis heute –, dass das Ziel eines Atomabkommens nach wie vor im Vordergrund steht. Aber die Bundesaußenministerin hat die Absicht, ihr Etikett zu retten, und deswegen hat sie nachlegen und entsprechend formulieren müssen, weil die Unglaubwürdigkeit zum Greifen war. Man braucht sich ja nur die Artikel auch in linken Medien anzuschauen, die das Nichtssagen der Außenministerin gegeißelt haben. Meine Damen und Herren, wir reden dauernd über ein Abkommen, das gerade gar nicht verhandelt wird. Der Iran ist eine außenpolitisch sehr komplexe Herausforderung. Es wird immer wieder betont, der Iran zündle in der Region. Das ist richtig. Auch die Ukraine wurde erwähnt, wohin entsprechendes Material geliefert wird. Es ist Israel, es ist der Irak, es ist der Libanon, und es sind die Angriffe auf die Ölfelder Saudi-Arabiens, die vom Iran ausgehen. Darauf brauchen wir von der deutschen Außenpolitik eine Antwort. ({0}) Die Realität ist, dass der Iran konsequent gegen unsere Interessen in Deutschland und in Europa arbeitet. Die Verhandlungen zum Atomabkommen sind notwendig, wie es auch der Kollege Röttgen gesagt hat, und sie müssen fortgeführt werden. Der Kollege Hardt hat das Thema aufgegriffen, und da muss man dann auch nach dem Plan B fragen: Was passiert, wenn dieses Abkommen nicht zustande kommt? Wie reagieren wir in dieser Situation auf dieses Abkommen, auf die Situation vor Ort? Ziel von Außenpolitik muss es sein, Sicherheit und Stabilität in der Region zu schaffen. Es geht aber dieser Regierung und dieser Außenministerin anscheinend nur um das Etikett. Wir müssen erkennen, dass die Formulierungen einer Klimaaußenpolitik, einer feministischen Außenpolitik Etiketten sind, die für diese komplexen Herausforderungen nicht ausreichen. ({1}) Wir brauchen eine reale Politik, die unsere Interessen berücksichtigt. Ich hoffe von der Außenministerin, dass, wenn jetzt entsprechende Sanktionen verhandelt werden, diese schneller erfolgen, dass sie effektiv sind und dass sie auch ein Stück weit mutig sind. Die Amerikaner haben relativ schnell dafür gesorgt, dass die Kommunikation im Iran wieder funktioniert, dass diejenigen, die mutig auf die Straße gehen, eben nicht von den Kommunikationsmedien abgeschnitten werden. Dies würde ich mir auch von der Bundesregierung erwarten, meine Damen und Herren. ({2}) Ich möchte noch ganz kurz etwas zum Thema Abschiebestopp erwähnen, wobei ich das Thema jetzt nicht vertiefen werde. ({3}) Aber die Behauptung von Ihnen, Frau Kaddor, die unionsgeführten Bundesländer hätten hierzu nichts gesagt, ist nicht richtig. Das wissen Sie möglicherweise. Das möchte ich hier noch mal betonen und entsprechend berichtigen. ({4}) Mir geht es bei dieser Frage darum, dass wir eine Außenpolitik machen, die die Menschen, die Sicherheit und die Region im Auge hat, also eine Außenpolitik, die eben nicht abwägt, auf der einen Seite ein Abkommen oder auf der anderen Seite die Menschen zu unterstützen. Wir müssen mit dem Problem im Iran entsprechend umgehen. Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt, die feministische Außenpolitik und die Klimaaußenpolitik dieser Bundesregierung seien nur Etiketten, die nicht ausreichen. Die Frauen im Iran, die empfinden das Ganze als Etikettenschwindel. Besten Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Nächster Rednerin ist für die SPD-Fraktion Derya Türk-Nachbaur. ({0})

Derya Türk-Nachbaur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005241, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen und andere! Da kämpfen mutige, junge, entschlossene Iranerinnen um ihre ureigenen Menschenrechte, um ihre Freiheit, um ihre Selbstbestimmung und ihre Würde. Trotz massivster Repressalien gehen sie auf die Straßen, zünden Kopftücher an, schneiden sich die Haare ab, um der ganzen Welt zu zeigen: Wir haben genug! So nicht, und so nicht mit uns! – Ich verneige mich, wir verneigen uns alle vor dem Mut und der Entschlossenheit dieser Frauen. ({0}) Wut und Mut setzen ungeahnte Kräfte frei; das haben Frauen in der Geschichte immer und immer wieder bewiesen. Und dann kommt ein Unionsantrag und will den Testfall einer frauenorientierten Außenpolitik initiieren. Diese Frauen sind kein Testfall und auch kein Spielball, von nichts und niemandem. ({1}) Was genau mit frauenorientierter Außenpolitik gemeint ist, weiß ich nicht. Ich vermute, Sie haben das Wort ganz bewusst gewählt, um unsere Außen- und Entwicklungspolitik, die wir als Koalition verfolgen, nicht als feministisch bezeichnen zu müssen. ({2}) Keine Sorge, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, man wird nicht gleich feministisch – und es bleibt auch nichts kleben, und man steckt sich auch nicht mit Feminismus an –, wenn man es ausspricht oder ausschreibt. ({3}) Sie wissen nämlich ganz genau, was das Wort „feministisch“ auch bedeutet: dass nicht mehr nur die sogenannten alten weißen Männer oder in dem Fall die alten bärtigen Männer allein die Spielregeln der internationalen Politik diktieren. In Zukunft werden wir Frauen selbst unsere Themen laut und deutlich äußern, noch deutlicher und noch viel lauter als zuvor. ({4}) Wir brauchen kein System des Patronats, das uns an die Hand nimmt und sagt, was wir zu tun haben. Genau das zeigen uns die mutigen Iranerinnen. Als Koalition wissen wir ganz genau, was unsere politischen und menschlichen Werte und Ziele sind, um eine erfolgreiche feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu betreiben. Keine Sorge, „feministisch“ bedeutet auch, alle Menschen und deren Bedürfnisse gleich zu achten und allen die gleichen Rechte zu gewähren. ({5}) Es heißt nicht, andere zu unterdrücken oder zu bevormunden. Von daher: Bitte keine Angst vor feministischer Außenpolitik. Unsere Ministerinnen gehen dabei mit großen Schritten voran. Unsere Außenministerin hat weitere Sanktionen gegen das repressive Regime im Iran angekündigt, darunter Einreisesperren, das Einfrieren von Vermögen in der EU. Dabei stimmen wir uns mit den internationalen Partnern ab. Viele der im Antrag aufgelisteten Forderungen sind in der Mache – Sie haben es erwähnt –, und weitere werden folgen. Da sind sinnvolle Vorschläge dabei. ({6}) Es scheint mir in dem Fall aber so zu sein, dass es der Union nicht unbedingt um Frauenrechte geht, sondern einzig allein um politisches Kalkül oder, um Sie zu zitieren: um Etiketten. Einige Frauen Ihrer Fraktion waren genau wie viele meiner Kollegen und Kolleginnen vor zwei Wochen am Brandenburger Tor bei der großen Kundgebung nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Wir waren und sind uns hoffentlich in diesem Punkt einig: Frauenrechte sind Menschenrechte. ({7}) Wenn es der Union tatsächlich um die Unterstützung und den Schutz von Frauen geht, die sich gegen Gewalt auflehnen, die sich gegen Unterdrückung stellen, die vor Gewalt fliehen: Wie kann es dann sein, dass Ihr Fraktionsvorsitzender noch vor wenigen Tagen in Bezug auf Frauen, die mit ihren Kindern vor einem brutalen Angriffskrieg geflohen sind und Schutz bei uns gesucht haben, von Sozialtourismus spricht? ({8}) Wie kann es sein, dass Ihr Landrat in Passau unter Vorspielung falscher Tatsachen einen gut integrierten Iraner, der in der Pflege arbeitet, in Abschiebehaft lockt? ({9}) Wie kann es sein, dass Sie erst vor einigen Tagen mit Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten in Niedersachen auf Stimmentourismus gingen? Es ist Ihnen nicht gelungen, und ich sage: Was für ein Glück! ({10}) Frauenrechte und somit Menschenrechte sollten auch für die Union überall gelten, auch vor der eigenen Haustür. Für mich ist dieser Antrag tatsächlich nur ein Etikett. Liebe Frauen im Iran, lasst euch von nichts und niemandem instrumentalisieren! Lasst euch nicht zum Etikett machen! Wir stehen nicht nur an der Seite der unterdrückten Frauen, sondern an der Seite aller unterdrückten und marginalisierten Gruppen und aller Andersdenkenden im Iran. Wir sehen euch; wir hören euch, wie es meine Kollegin gesagt hat. Danke. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen Merle Spellerberg. ({0})

Merle Spellerberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005226, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen gerade Menschen im Iran, die angeführt von mutigen Frauen ihr Leben riskieren, um für ihre Freiheit und ihre Rechte, um gegen einen repressiven und massiv gewaltvollen Staat zu kämpfen, die den Tod von Jina Mahsa Amini nicht einfach hinnehmen, die kämpfen trotz ihrer Angst, dass ihre Freundinnen, ihre Schwestern, ihre Kinder nicht lebend von einem Protest nach Hause kommen. Diese Angst wird zu Wut, zu Mut und zu Wandel, zu einer Revolution, in der Tausende Menschen – es wurde schon angesprochen –, von jungen Schülerinnen bis zu Arbeitern aus der Ölindustrie, jeden Tag im gesamten Land gegen das unterdrückende Regime kämpfen. Liebe Unionsfraktion, ich freue mich, dass wir an dieser Stelle über das Thema sprechen können, aber ich finde es schon amüsant, dass Sie es nicht schaffen, in Ihrem Antrag über eine feministische Außenpolitik zu sprechen. Ich finde, es zeigt in einem gewissen Rahmen das tiefgreifende Missverständnis von feministischer Außenpolitik, wenn Sie denken, dass Sie „feministisch“ mit „frauenorientiert“ austauschen können. Das zeigt, dass einige von Ihnen denken, dass dieser Ansatz irgendwie zu unterkomplex oder der falsche wäre. ({0}) Aber eine feministische Außenpolitik zielt eben darauf ab, ungerechte Machtstrukturen und menschliche Unsicherheit zu erkennen, zu benennen und zu durchbrechen. ({1}) Und genau das sehen wir in den feministischen Protesten im Iran. Das betrifft natürlich Frauen, aber eben auch andere Gruppen von Menschen, die in unseren gesellschaftlichen Systemen, hier genau wie dort, immer wieder den Kürzeren ziehen und immer wieder bewusst unterdrückt werden; ({2}) und das sind eben nicht nur Frauen. Die Kollegin Türk-Nachbaur hat es gerade angesprochen: Es hat schon einen bitteren Beigeschmack, wenn Sie uns über feministische Politik belehren wollen, obwohl man in Ihrer Politik – ich wünschte, es wäre anders – häufig kein Interesse erkennen kann, den Status quo von Ungerechtigkeit zu ändern; das Stichwort „Sozialtourismus“ wurde genannt. ({3}) Und deswegen möchte ich ganz klar sagen, dass wir eben keine frauenorientierte Außenpolitik wollen, wir wollen eine feministische Außenpolitik. Das ist ein Unterschied. ({4}) Auch im Iran sehen wir keine frauenorientierten Proteste, sondern feministische Proteste. Menschen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft stehen Seite an Seite der Frauen und riskieren ihr Leben, weil sie wissen, dass es nicht nur darum geht, wer wann wo ein Kopftuch trägt, sondern darum, ein unterdrückendes Regime zu stoppen, darum, Freiheit und Selbstbestimmung für alle Menschen zu erwirken. An die Menschen im Iran: Wir hören euch, wir sehen euch, wir stehen an eurer Seite. Wir trauern mit euch um die Liebsten, die ihr verloren habt. Wir geben alles, um eure Stimme in die Welt zu tragen und den Blick der Welt weiter auf euch zu richten. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich schließe die Aussprache.

Lisa Paus (Minister:in)

Politiker ID: 11004127

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende! Das ist die erste Lesung des KiTa-Qualitätsgesetzes. In Kitas starten Kinder in eine ganz neue Welt. Dort wird das Fundament gelegt für Bildung, für eine gesunde Entwicklung, für soziale Teilhabe. Ich will, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen haben, egal ob sie in Flensburg aufwachsen oder in Frankfurt/Oder, in der Eifel oder im Erzgebirge. Wir wollen gute Startchancen für alle, soziale Gerechtigkeit von Anfang an. ({0}) Dabei ist es nicht nur wichtig, dass wir überall Kitas haben; vielmehr brauchen wir auch gute Qualität in den Kitas. Die ist ganz zentral. Alle Bildungswissenschaftler/-innen bestätigen: Frühkindliche Bildung zählt, und sie zahlt sich aus. Die Bundesregierung stellt mit dem KiTa-Qualitätsgesetz in den nächsten beiden Jahren 4 Milliarden Euro bereit, damit die Länder die Qualität ihrer Kitas verbessern können. Wir setzen damit ein zentrales Vorhaben unseres Koalitionsvertrages um. ({1}) Folgende Bereiche sind besonders wichtig: Erstens. Wir investieren in sprachliche Bildung; denn in der Kitazeit wird die Grundlage für eine gute Sprachentwicklung gelegt. Und bevor jemand erneut behauptet, wir zögen uns aus der sprachlichen Bildung zurück: Nein, das tun wir nicht. Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz geben wir den Ländern die Möglichkeit, die Sprach-Kitas in die Landesstrukturen zu überführen, und genau dort gehören sie hin, meine Damen und Herren. ({2}) Zweitens. Wir fördern Gesundheit, Ernährung und Bewegung in Kitas. Das ist nicht nur, aber auch wegen der Coronajahre dringend notwendig. Drittens ermöglichen wir einen besseren Betreuungsschlüssel. Der bedeutet ganz konkret: mehr Zeit für jedes einzelne Kind. ({3}) Und viertens fördern wir die Personalentwicklung und die Entwicklung von Fachkräften. Mehr sprachliche Bildung, mehr Gesundheit und Bewegung, ein besserer Betreuungsschlüssel und mehr Personal in Kitas und Kindertagespflege – das sind die wichtigen Bereiche in diesem KiTa-Qualitätsgesetz. Künftig müssen mehr als 50 Prozent der Bundesmittel messbar in genau diese Bereiche fließen. Sofern einzelne Länder die Fördermittel des Bundes bislang vornehmlich genutzt haben, um Kitabeiträge zu senken: Dann müssen diese Länder jetzt umsteuern. Das alles ist die Quintessenz, das Fazit der Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation des Gute-KiTa-Gesetzes, das wir hatten. Genau das wurde uns aufgetragen. Es ist auch völlig klar, dass es sich lohnt; denn von guter Qualität profitieren die Kinder und übrigens gerade auch die Kinder aus belasteten Familien. ({4}) Und wir wollen eine gerechte Staffelung der Beiträge, Beitragsfreiheit für Transferempfänger, für Wohngeldempfänger, für Kinderzuschlagsempfänger. Ansonsten sollen die Kitabeiträge nach Einkommen und nach Anzahl der Kinder gestaffelt werden. Ich verstehe, dass die Länder dafür Zeit brauchen, und diese Zeit geben wir ihnen auch. Sie haben bis zum 30. Juni Zeit, also noch rund ein Dreivierteljahr, um das entsprechend umzusetzen. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Das KiTa-Qualitätsgesetz ist eine Investition in die Zukunft unserer Kinder, ein wichtiger Schritt hin zu einem Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards. Deswegen bitte ich Sie um die Unterstützung für dieses Gesetz. Danke schön. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Hermann-Josef Tebroke. ({0})

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein – Sie nennen das so – KiTa-Qualitätsgesetz. Der Name hört sich erst mal wunderbar an; nur leider steckt auch hier nicht das dahinter, was man mit einem KiTa-Qualitätsgesetz verbinden oder dahinter vermuten würde. ({0}) Sehr geehrter Herr Kollege Seestern-Pauly von der FDP, vielleicht erinnern Sie sich, dass Sie bei der Verabschiedung des Gute-KiTa-Gesetzes vorgeschlagen haben, nicht von einem „Gute-KiTa-Gesetz“ zu sprechen, sondern von einem „Verpasste-Chancen-Gesetz“. ({1}) Und genau daran mussten wir uns erinnern, als wir uns mit diesem Gesetzentwurf befasst haben. ({2}) Aber kommen wir zum Inhalt des Gesetzentwurfs. Positiv hervorzuheben ist sicherlich, dass für 2023 und 2024 wieder jeweils 2 Milliarden Euro in die Hand genommen werden, um die Länder und die Kommunen zu unterstützen, die Bundesmittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität in der Kinderbetreuung vor Ort zu nutzen. Das ist gut so. ({3}) Aber ist der Gesetzentwurf überhaupt dazu geeignet, und entspricht er überhaupt den verfassungsrechtlichen Vorgaben, Frau Ministerin? Sie sprechen von gleichen Lebensverhältnissen in Flensburg und in der Eifel. Ja, zur Begründung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes – und ich erinnere, dass das auch damals berechtigterweise und kontrovers debattiert worden ist – müssen Sie auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse abstellen. Aber wenn ich mir den Gesetzentwurf anschaue, dann bin ich doch mindestens irritiert. Im Kern, meine Damen und Herren, geht es natürlich um die Frage, wofür die Bundesmittel verwandt werden: zur Verbesserung der Qualität oder aber zur Absenkung der Elternbeiträge. Laut Gesetzentwurf wird in den Bundesländern, in denen bis zum 31. Dezember 2022 noch keine Bundesmittel aus dem Gute-KiTa-Gesetz für die Senkung von Elternbeiträgen eingesetzt wurden, wie zum Beispiel im Bundesland Baden-Württemberg, dies auch zukünftig nicht möglich sein. Das gilt auch dann, wenn alle bundesweit empfohlenen Qualitätskriterien erfüllt würden. Andererseits werden qualitätssteigernde Maßnahmen nicht mehr finanziert, wenn sie nicht ausdrücklich auch priorisiert sind. Im Gegensatz dazu – und hier zeigt sich eigentlich der eklatante Widerspruch sehr deutlich – dürfen Länder wie zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern die Bundesmittel weiterhin für die Beitragsentlastung verwenden, auch wenn sie bundesweit den schlechtesten Fachkraft-Kind-Schlüssel aufweisen. Ich frage Sie, liebe Ampel: Wie sollen auch nur im Ansatz im Bundesgebiet vor diesem Hintergrund gleichwertige Lebensverhältnisse hergestellt werden können? Ist es im Gegenteil nicht gerade so, dass durch diese Regelung im Gesetz – ich hoffe, dass wir sie ändern können – die Lebensverhältnisse sich weiter auseinanderentwickeln, weil die einen Länder weiter Beitragsentlastungen mit den Geldern ermöglichen und die anderen Länder weiter in Qualität investieren? Dann haben wir noch größere Unterschiede zwischen unseren Bundesländern, und gerade das wollten wir doch nicht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der FDP und auch aus Bündnis 90/Die Grünen, Sie werden sich an einige kritische Beiträge erinnern, die Sie damals dazu vorgetragen haben, dass die Bundesmittel auch zur Beitragsentlastung verwendet werden dürften, ({5}) und Sie wissen auch, dass wir als Union damals die Bundesmittel lieber ausschließlich in die Qualität investiert hätten. ({6}) Sie haben an einigen Stellen durchaus berechtigterweise darauf hingewiesen. Ich darf einen Beitrag aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zitieren. Frau Baerbock: Diejenigen, die vorher 100 oder 200 Euro gezahlt haben und das jetzt nicht mehr tun müssen, weil Sie sie davon befreien, sagen: Super, für die 200 Euro gehe ich jetzt in die private Kita nebenan, wo der Schlüssel stimmt. – Die Eltern, die sich das nicht leisten können, bleiben dann in den Kitas, wo eine Fachkraft auf 20 Kinder aufpasst ... Und so weiter, und so weiter. Allerdings – und das ist der große Unterschied, meine Damen und Herren –: Zu dieser Zeit gab es zu den Bundesmitteln für das Gute-KiTa-Gesetz zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität in der Kinderbetreuung. Damals gab es noch das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“, damals gab es noch die „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“, und damals gab es noch das Bundesprogramm „Kita-Einstieg“. Und jetzt stehen alle diese Programme vor dem Aus, auch das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“. Das kann es nicht sein, meine Damen und Herren, und wir als Union werden uns mit Nachdruck dagegen wenden. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt und auch heute noch einen Änderungsantrag zum Einzelplan 17 präsentiert. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Sprach-Kitas als Bundesprogramm erhalten bleiben. ({7}) Mit dem Hinweis, liebe Ministerin, das würde ja alles in dem neuen KiTa-Qualitätsgesetz aufgenommen werden, machen Sie sich einen schlanken Fuß. Ich kann nicht erkennen, dass irgendwo eine Aufstockung des Programms geplant ist. Denn Sie müssten zum einen um rund 200 Millionen Euro aufstocken, wenn Sie die Maßnahme weiterführen würden, und zum anderen haben Sie nicht erklärt, wie zur Mitte des kommenden Jahres, wenn denn dann das KiTa-Qualitätsgesetz greift, die Kapazitäten wiederaufgebaut werden können, insbesondere die Personalkapazitäten, die gerade zusammengebrochen sind. Sie verantworten den Zusammenbruch hochwertiger Strukturen, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und das müssen Sie sich vorhalten lassen. Wir werden alles dafür tun, dieses Gesetz, das KiTa-Qualitätsgesetz, abzuändern, damit es zu einem Qualitätsgesetz wird, –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und darum bitten wir um angeregte, konstruktive Beratung.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege.

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir stehen zur Verfügung. Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es sind ja die nachfolgenden Redner Ihrer Fraktion, die dann auf Redezeit verzichten müssen. Also, ich kann ja nur darauf hinweisen. – Es folgt jetzt für die SPD-Fraktion Erik von Malottki. ({0})

Erik Malottki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Das Gute-KiTa-Gesetz war ein Meilenstein: Zum ersten Mal investierte der Bund in Milliardenhöhe und auf Dauer angelegt in die frühkindliche Bildung. Wir knüpfen heute als Koalition an diesen Erfolg an und entwickeln das Gute-KiTa-Gesetz weiter. Diese Teamleistung wäre ohne das erfolgreiche Verhandeln der 2 Milliarden Euro jährlich durch die Bundesfamilienministerin nicht möglich. ({0}) Der Entwurf für das KiTa-Qualitätsgesetz schafft dabei einen wichtigen Balanceakt: Fokussierung auf Qualitätsverbesserung und die Möglichkeit, Familien mit Kitakindern weiterhin zu entlasten. Warum ist es uns wichtig, dass Entlastung weiterhin möglich ist? Für uns sind drei Punkte entscheidend: Bildungsgerechtigkeit, Gleichstellung, gute Löhne. ({1}) Erstens: Bildungsgerechtigkeit. Als Sozialdemokraten wollen wir die kostenlose Bildung von der Krippe bis zur Hochschule. ({2}) Für uns sind Kitagebühren das Gegenteil von Bildungsgerechtigkeit. ({3}) Diese Gebühren führen gerade in Familien mit mehreren Kindern im Kitaalter zu einer folgenschweren Abwägung: Lohnt es sich für beide Eltern, arbeiten zu gehen, um dann einen hohen Anteil des Einkommens für Kitagebühren zu verwenden? Muss ich für meine Kinder aus finanziellen Gründen auf frühkindliche Bildung verzichten? Das darf nicht sein. Zweitens: Gleichstellung. Die ungerechte Verteilung von Sorgearbeit führt häufig dazu, dass die Mutter zu Hause bleibt und die Betreuung übernimmt. Hohe Kitagebühren sind deswegen ein Bremsklotz für Gleichstellung. ({4}) Drittens: gute Löhne. 92,5 Prozent aller Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen sind Frauen – 92,5 Prozent! Sie sind die Leidtragenden der schlechten Bezahlung in der frühkindlichen Bildung. Wie hilft aber der Wegfall von Kitagebühren nun den Erzieherinnen? In Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung mit den Mitteln aus dem Gute-KiTa-Gesetz ab 2020 die Kitas kostenlos gestellt. Damit wurde erreicht, dass in den Platzkostenverhandlungen die drohende höhere Belastung von Familien einer Refinanzierung von guten Löhnen nicht mehr entgegensteht. Dies hat den Gewerkschaften ermöglicht, gute Tarifabschlüsse für die Erzieherinnen zu erreichen. Natürlich kenne auch ich die Kritik an der Gebührenentlastung aus der Praxis. Aber bevor Sie und bevor wir in diese Kritik einstimmen, sollten Sie sich die Lohnentwicklung der Erzieherinnen in Bad Doberan, in Ludwigslust und in Wolgast seit 2020 ansehen. Diese Erzieherinnen haben jetzt dank Gebührenentlastung und starker Gewerkschaften 200, 300, 400 Euro monatlich mehr im Portemonnaie, weil sie endlich einen guten Tarifvertrag haben. ({5}) Die Gebührenfreiheit hat uns ermöglicht, diese Erzieherinnen aus dem Niedriglohnsektor herauszuholen. ({6}) Ich war selber als Tarifreferent dabei, ich habe die Tarifverträge selber geschrieben und verhandelt. Deshalb dürfen wir Gebührenentlastung und Qualität nicht gegeneinander ausspielen; wir brauchen beides. Genau dieser Balanceakt gelingt uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Was bewirkt das Gesetz für die Qualität in den Einrichtungen? ({7}) In meinem Bundesland plant die Landesregierung eine Fachkräfteoffensive, das Absenken des Fachkraft-Kind-Verhältnisses im Kindergarten und die Einführung eines landeseinheitlichen Mindestpersonalschlüssels. Mit dem Geld des Bundes ermöglichen wir in Mecklenburg-Vorpommern also kleinere Gruppen, eine bessere Betreuung der Kinder und eine Entlastung der Beschäftigten durch neue Fachkräfte. Auch in allen anderen Bundesländern sehen wir zusätzliche Qualitätsmaßnahmen dank der Mittel des Bundes. Wo werden wir in den nächsten Wochen im parlamentarischen Verfahren noch einmal genauer hinschauen? Aus meiner Sicht gibt es eine zentrale Frage: Wie schaffen wir einen guten Übergang für die Sprach-Kitas und deren langfristige Absicherung? Die Bundesfamilienministerin verhandelt gerade mit Hochdruck, damit die Sprach-Kitas eine schnelle und langfristige Perspektive bekommen. ({8}) Dafür hat sie die Rückendeckung der SPD-Bundestagsfraktion. Bund und Länder müssen sich endlich einigen und eine Bestandsgarantie für die Sprach-Kitas schaffen. Die Beschäftigten brauchen jetzt Sicherheit. ({9}) Wir sollten diese Bestandsgarantie in die zu verhandelnden Staatsverträge zwischen Bund und Ländern aufnehmen und dafür eine Grundlage im Gesetz schaffen. So können wir das Wissen und die Kompetenz der Sprach-Kitas langfristig im Rahmen des KiTa-Qualitätsgesetzes erhalten. Wir können mit dem KiTa-Qualitätsgesetz also eine Menge erreichen: Entlastung von Familien, kleinere Gruppen, mehr Fachkräfte, eine langfristige Absicherung der Sprach-Kitas. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Packen wir es an! Danke schön. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die AfD-Fraktion Gereon Bollmann. ({0})

Gereon Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005029, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer an den Schirmen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Die Ampel zeigt uns mit ihrem heutigen Entwurf einmal mehr, was sie kann: Sie kann teuer. Die Kindergartenbeiträge konnten bisher unabhängig vom Einkommen der Eltern gesenkt oder abgeschafft werden. ({0}) Nun sollen Eltern also zur Kasse gebeten werden. ({1}) Die betroffenen Familien dürfen dann einen vierstelligen Betrag pro Jahr zusätzlich aufwenden. Das haben Sie ja wirklich prima hinbekommen. ({2}) Nun, der Ansatz ist ja im Grunde richtig: Wer mehr verdient, kann auch mehr leisten, und ihm muss der Staat nicht unter die Arme greifen. Dafür sind die Sozialstaffeln ja da. Aber passt das denn auch in die heutige Wirklichkeit? Mit Ihrer verkorksten Krisenbewältigung muten Sie den Familien unbezahlbare Strompreise zu. Bei den Gaspreisen wollen Sie mit Doppel-Wumms kurzfristige Kosmetik betreiben. Bei den Benzin- und Dieselpreisen haben Sie das schon aufgegeben ({3}) – es geht um die Kosten; warten Sie es doch ab –, und gegen die dramatische Inflation fällt Ihnen überhaupt nichts mehr ein. Es ist doch wirklich eine aus der Zeit gefallene Maßnahme, in dieser Situation den berufstätigen Eltern noch einmal in die Tasche zu greifen. Mit Ihrem Entwurf sorgen Sie für eine weitere Belastung des Mittelstandes. Wer hat denn die Kosten zu tragen? Es sind diejenigen, die täglich zur Arbeit fahren, die wertschöpfend tätig sind, denen Sie Steuern abknöpfen, um sie anderen in die Tasche zu stopfen. ({4}) Ja, ich spreche vom Mittelstand, den Sie entweder vergessen haben oder den Sie vorsätzlich ausdünnen wollen. ({5}) – Hauptsache Sie. Wir sind für Gerechtigkeit. Ihr Entwurf ist ungerecht. ({6}) Sie wollen nur die Eltern fördern, die ihre Kinder in staatliche Obhut geben. Aber wenn die Eltern ihre Kinder selbst betreuen, haben sie von Ihrem Entwurf gar nichts. ({7}) Das ist schreiend ungerecht. Wir wollen die Unterstützung von Elternarbeit. Wenn die Eltern ihre Kinder selbst betreuen, dann ist das Arbeit für die Allgemeinheit, und diese Arbeit muss genauso unterstützt werden wie die Kindergärten. ({8}) Auch diese Eltern müssen mindestens das bekommen, was ein Kindergartenplatz gekostet hätte. ({9}) Wir fordern eine fortschrittliche Familienpolitik. ({10}) Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Deshalb brauchen wir ein hohes Bildungsniveau. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Bildung und Ausbildung nicht nur sehr gut, sondern vor allem kostenfrei sind. Herr von Malottki, nur zu fordern, bringt es nicht; Sie müssen es in der Ampel umsetzen. Das wäre wirklich achtsam und nicht Ihre einseitigen ideologischen Stärkungsprogramme, für die Sie eine Kleinigkeit von 200 Millionen Euro zulasten der Familien aufnehmen. Fangen Sie doch endlich einmal an, die Erzieher- und die Kinderpflegeausbildung kostenfrei zu stellen! ({11}) Mit einem solchen Fortschritt können Sie qualifizierte Fachkräfte deutlich leichter gewinnen. Fangen Sie doch endlich einmal mit einer gerechten Bezahlung an, und zwar, Herr von Malottki, in der Ausbildung! Und fördern Sie Quereinsteiger, zum Beispiel Mütter und Väter, die ihre Erfahrung einbringen können! Die Familien brauchen eine echte Unterstützung – nicht mit Peanuts wie 18 Euro mehr Kindergeld, sondern zum Beispiel mit Darlehen zum Erwerb von Wohneigentum, deren Schuld sich mit jedem neugeborenen Kind vermindert. Das wäre fortschrittlich und gerecht. ({12}) Dann hätten Sie etwas gekonnt. Versuchen Sie es doch mal! Vielen Dank. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Matthias Seestern-Pauly. ({0})

Matthias Seestern-Pauly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004890, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der umfassenden Weiterentwicklung – „Weiterentwicklung“, Herr Dr. Tebroke – des von der Union im Übrigen mitbeschlossenen Gute-KiTa-Gesetzes gehen wir einen wichtigen Schritt zu mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung und setzen ein klares Signal für mehr Aufstiegschancen, und zwar unabhängig von der eigenen sozialen Herkunft. ({0}) Als Bund bleiben wir damit nicht nur verlässlicher Partner der Länder bei der Kinderbetreuung, sondern machen wir auch einen großen Sprung hin zum Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundeseinheitlichen Standards, das wir im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben. Wir als Freie Demokraten haben uns schon lange dafür eingesetzt, den Fokus auf echte Qualitätsverbesserungen zu legen. Daher freut es mich sehr, dass wir dies nun gemeinsam in der Ampelkoalition angehen. ({1}) Der Bundesfinanzminister stellt für die Jahre 2023 und 2024 insgesamt 4 Milliarden Euro für Investitionen in die frühkindliche Bildung durch das KiTa-Qualitätsgesetz zur Verfügung – 4 Milliarden Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, die im Übrigen in der Finanzplanung der vorherigen Regierung ebenso wenig eingeplant waren wie Mittel für die Fortführung des Sprach-Kita-Programms, was ja gerade Thema war. Weder das eine noch das andere haben Sie finanziell abgesichert. Von daher sind das alles Sonntagsreden, die Sie hier halten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, somit unterstützen wir trotz der schwierigen Haushaltslage des Bundes die Länder in den kommenden Jahren weiter, und zwar, weil wir uns als Koalition die Förderung der Startchancen unserer Kinder so enorm auf die Fahnen geschrieben haben. Hierfür liegt uns – das muss man sehr deutlich sagen – ein richtig guter Gesetzentwurf vor. Ich sage Ihnen auch gerne, warum. Zum einen kommt der Gesetzentwurf nämlich den zentralen Kritikpunkten der Sachverständigen aus der letzten Legislaturperiode am Gute-KiTa-Gesetz nach. Zum anderen orientiert er sich klar an den wissenschaftlichen Empfehlungen des Evaluationsberichtes der Bundesregierung zum KiTa-Qualitäts- und ‑Teilhabeverbesserungsgesetz. Daran sieht man, dass uns als Ampelkoalition die Wünsche der Erzieherinnen und Erzieher, der Eltern, der Familien und der Kinder wichtig sind. ({3}) Was heißt das jetzt aber konkret? Erstens. Wir als Freie Demokraten haben uns dafür eingesetzt, dass neue Maßnahmen der Länder für die pauschale Beitragsentlastung auf Kosten der Qualität ab dem 1. Januar 2023 nicht mehr durch den Bund – „durch den Bund“, Herr Bollmann; den Ländern ist das weiterhin möglich – finanziert werden. Das ist sinnvoll; denn wir wollen einen klaren Fokus auf mehr Qualität legen. Bundesländer, die im Zuge des bisherigen Gute-KiTa-Gesetzes in Beitragsentlastungen investiert haben, müssen nun mindestens 50 Prozent der Mittel in die vorrangigen Handlungsfelder investieren. Bei den sieben prioritären Handlungsfeldern geht es um wirkliche Qualitätsverbesserungen. Hierzu zählen beispielsweise ein guter Betreuungsschlüssel, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Fachkräften, die Stärkung der Kitaleitung und der Kindertagespflege oder die deutlich stärkere Förderung der sprachlichen Bildung. Zweitens. Nachdem wir als FDP ausdrücklich dafür geworben haben, müssen künftig die Kitagebühren bundesweit nach verpflichtenden Kriterien gestaffelt werden. Damit werden finanziell schwächere Familien spürbar entlastet. Diejenigen Eltern, die beispielsweise Wohngeld, Kinderzuschlag oder Unterhaltsvorschuss erhalten, sind bereits seit 2019 im gesamten Bundesgebiet von den Gebühren befreit. In diesem Zusammenhang appelliere ich dringend an die Bundesländer, diesem richtig guten Gesetzentwurf zuzustimmen, um zu zeigen, dass ihnen die Qualität in der frühkindlichen Bildung ebenso wichtig ist wie uns. Es kann nicht sein, dass einige Länder immer neue Forderungen aufstellen und ihren landeseigenen Verpflichtungen nicht ausreichend nachkommen. ({4}) Um es ganz klar zu sagen: Die Aufgabe der Länder ist es, die Kitas und Schulen hervorragend auszustatten. Das ist ihre Aufgabe. Wir als Bund unterstützen mit dem Gesetz die Länder in ihren Aufgaben, weil wir sehen, wie wichtig es ist, dass alle Kinder in ihren Talenten gefördert werden und dass Fachkräfte in ihrer Arbeit unterstützt werden, damit wir Aufstiegschancen und weltbeste frühkindliche Bildung für alle ermöglichen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf sind wir auf einem sehr guten Weg in Richtung eines gemeinsamen Qualitätsentwicklungsprozesses mit bundesweiten Standards. Ich freue mich auf das weitere parlamentarische Verfahren und besonders auf die öffentliche Anhörung der Sachverständigen. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für Die Linke erhält das Wort die Abgeordnete Heidi Reichinnek. ({0})

Heidi Reichinnek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Bund sich engagiert, um die Kitasituation zu verbessern, ist dringend geboten. Die Idee des KiTa-Qualitätsgesetzes ist also völlig richtig. Aber wie Sie das machen, ist typisch für die Ampel: nette Idee, komplettes Chaos in der Umsetzung. ({0}) Es war klar, dass das Gute-KiTa-Gesetz zum 31. Dezember 2022 auslaufen wird. Trotzdem legen Sie erst Mitte August einen Gesetzentwurf vor. Hätte dieser wenige Änderungen beinhaltet, wäre das vielleicht machbar gewesen. Doch mit dem Gesetzentwurf produzieren Sie einen erheblichen Umsetzungsaufwand, der nicht zu stemmen ist. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, stampfen Sie mal eben das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ ein. ({1}) Länder, Kommunen, Träger – sie alle wissen nicht, wie es nach dem 31. Dezember damit weitergehen soll. Dass Sprachförderung als Qualitätsmerkmal in das KiTa-Qualitätsgesetz und von der Projektförderung in die strukturelle Förderung überführt werden soll, ist ja richtig; aber niemand hat einen Plan, wie das so schnell gehen soll. Es läuft halt typisch für die Ampel: nette Idee, absolutes Chaos in der Umsetzung. ({2}) Übrigens wissen auch die 6 800 Fachkräfte, die über das Programm finanziert werden, nicht, wie es weitergeht; die orientieren sich neu. Mit Blick auf Ihre groß angekündigte Fachkräfteoffensive in Erziehungsberufen nur ein Tipp: Die Idee wäre, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, nicht zu verprellen. ({3}) Die Verbände hatten, nachdem Sie Monate mit internen Beratungen zubrachten, ganze zwei Tage Zeit, um zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Zwei Tage! Das können vielleicht große Industrieverbände leisten, zu denen Sie ja traditionell die besten Kontakte haben und die – aus Gründen – sowieso schon riesige Juraabteilungen beschäftigen. Aber für ehrenamtliche und gemeinnützige Organisationen, denen es nicht um wirtschaftliche Interessen geht, sondern darum, dass ihre Kinder in einem guten Umfeld aufwachsen, ist es eine ziemliche Höchstleistung, mitten in der Sommerpause so einen Gesetzentwurf durchzuarbeiten. ({4}) Dennoch haben die in der Kürze der Zeit zahlreiche Kritikpunkte herausgearbeitet, die wir voll und ganz unterstützen. ({5}) Besonders fatal: Das Kitasystem ist chronisch unterfinanziert; jedes Jahr steigt das Defizit um weitere 3 Milliarden Euro. Statt zumindest die Inflation aufzufangen, legt die Bundesregierung einen Sparhaushalt vor und stellt nicht einmal die Summe des Vorjahres für den Kitabereich bereit. Sie tun schlicht so, als gäbe es die Inflation nicht. Dabei hat sie doch zumindest für den Finanzminister eine richtig positive Seite: Im ersten Halbjahr sind durch die hohen Preise die Einnahmen allein aus der Mehrwertsteuer um 30 Milliarden Euro angestiegen. Wegen 260 Millionen Euro stellen Sie das Programm „Sprach-Kitas“ ein, haben aber gleichzeitig zig Milliarden Euro für Steuererleichterungen übrig, die in erster Linie Gut- und Besserverdienenden zugutekommen. ({6}) Man muss festhalten: Sie haben Prioritäten, und das sind die falschen. ({7}) Da passt es auch wirklich zu gut, dass die Gebührenfreiheit in Zukunft kein förderfähiges Kriterium mehr sein soll. Aber gut – das wurde gesagt –: Als Sie die Eckpunkte angekündigt haben, haben Sie zumindest beteuert, dass bei den Gebühren eine Einkommensstaffelung verpflichtend sein soll. Aber schon damals habe ich mich gefragt, ob Sie das mit den Ländern abgesprochen haben. Nun kam die Stellungnahme des Bundesrats: Die Länder tragen das so nicht mit, die wussten nichts von ihrem Glück. Ich sage mal: Typisch für die Ampel – nette Idee, Chaos in der Umsetzung. Dabei brauchen wir dringend gute frühkindliche Bildung und Betreuung für alle. Wir helfen Ihnen gerne, aus den netten Ideen auch Gesetze zu machen, die funktionieren. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt das Wort Nina Stahr. ({0})

Nina Stahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005227, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Ampelkoalition haben wir mit dem Koalitionsvertrag der jungen Generation ein Zukunftsversprechen gegeben, und das lösen wir jetzt ein. ({0}) Gerade jetzt, wo Krieg, Energiekrise und Inflation die Debatten prägen, rücken wir Familien in den Fokus. Die Bundesfamilienministerin hat in den Verhandlungen zu den drei Entlastungspaketen sehr viel erreicht: Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag, Kinderbonus, Energiepauschale, und natürlich profitieren besonders viele Familien auch von der Ausweitung der Berechtigung zum BAföG- und zum Wohngeldbezug. Wir unterstützen Familien gezielt in dieser Krise. Aber dabei werden wir es nicht belassen. Mit dem KiTa-Qualitätsgesetz werden wir das Versprechen des Koalitionsvertrages weiter einlösen und in die Zukunft investieren. ({1}) Worum geht es? Mit dem KiTa-Qualitätsgesetz überweist der Bund in den nächsten zwei Jahren 4 Milliarden Euro an die Länder, die prioritär in die Qualität investiert werden müssen. Dieser Fokus auf Qualität ist die entscheidende Weiterentwicklung vom Gute-KiTa-Gesetz hin zum KiTa-Qualitätsgesetz. Für uns ist klar: Jetzt ist die Zeit, um in Qualität zu investieren. Denn eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung legt das Fundament für das spätere Leben, für Schule, Ausbildung und Beruf. ({2}) Gerade weil durch Corona in den vergangenen Jahren besonders Kinder aus finanziell benachteiligten Familien noch mehr abgehängt wurden, wodurch Erzieher/-innen auf dem Zahnfleisch gehen, weil die Belastungen immer größer werden, müssen wir dieser Entwicklung mit Investitionen in die Qualität entgegensteuern, und das machen wir jetzt. ({3}) Wir müssen doch zuerst ausreichend Fachkräfte in den Kitas haben, damit Zeit ist, auf jedes Kind individuell einzugehen, um Bildung und Chancengerechtigkeit wirklich zu ermöglichen. Wir brauchen ausreichend Plätze und Öffnungszeiten, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich ermöglichen. Erst wenn wir insgesamt ausreichend Qualität in der frühkindlichen Bildung haben, dann können wir über Gebührenfreiheit für alle sprechen. Bis dahin soll dieses Gesetz die soziale Staffelung der Elternbeiträge vorschreiben. Damit entlasten wir gezielt diejenigen, die es wirklich brauchen, und das ist gut so. ({4}) Deshalb mein Appell an die CDU/CSU-Fraktion in diesem Haus: Überzeugen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, die Politik umzusetzen, die Sie zu Recht hier auf Bundesebene fordern, womit Sie erfreulicherweise den Kurs der Ampelfraktionen unterstützen. Lassen Sie uns gemeinsam in die Qualität in den Kitas investieren! ({5}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist der erste große Schritt für gleichwertige frühkindliche Bildung von Mecklenburg-Vorpommern über Berlin bis Bayern. Im nächsten Schritt werden wir zusammen mit den Ländern ein Kitagesetz mit bundesweiten Qualitätsstandards erarbeiten. Ich danke dem Ministerium sehr für diesen sehr guten Gesetzentwurf. Ich freue mich auf die Beratungen. Lassen Sie uns gemeinsam die Priorität auf die Qualität in Kitas legen! Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Anke Hennig. ({0})

Anke Hennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005081, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin qualifizierte Kindertagespflegeperson. Im Volksmund nennt man uns Tagesmütter oder Tagesväter. Was bedeutet das? Die Kindertagespflege ist eine familienähnliche Betreuungsform, die als Alternative zur Kita vor allem von Eltern mit Kindern unter drei Jahren in Anspruch genommen wird. Bevor ich im September letzten Jahres in den Bundestag gewählt wurde, habe ich zwölf Jahre als sogenannte Tagesmutter an einer Grundschule in meinem Heimatort Bramsche in Niedersachsen gearbeitet. Obwohl die meisten Kindertagespflegepersonen Kleinkinder betreuen, habe ich im Rahmen der Ganztagsbetreuung Schülerinnen und Schüler der ersten bis vierten Klasse begleitet. Nach einem gemeinsamen Mittagessen folgten die Hausaufgabenbetreuung und verschiedene AG-Angebote. Ich habe sehr gerne als Kindertagespflegeperson gearbeitet. Fakt ist jedoch: Die Rahmenbedingungen dieser Arbeit sind in Deutschland alles andere als einheitlich. Die Betreuungsqualität ist sehr unterschiedlich, und die Arbeitsbedingungen für Tagesmütter und Tagesväter sind häufig, sagen wir mal, alles andere als rosig, und das, obwohl die Kindertagespflege in Deutschland einen wichtigen Bestandteil unseres Betreuungssystems darstellt. ({0}) Schon jetzt entscheidet sich jede sechste Familie mit Kleinkindern in Deutschland für dieses Modell. Die Kindertagespflege ist damit eine entscheidende Entlastung für berufstätige Eltern und somit zentral für die Weiterentwicklung der Qualität der Kindertagesbetreuung. Klar ist jedoch: Es muss sich noch einiges auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene verändern, damit die wertvollen Betreuungsplätze der Kindertagespflege gehalten werden können. ({1}) Ich bin froh, dass wir mit dem KiTa-Qualitätsgesetz heute ein Gesetz in die erste Lesung im Bundestag einbringen, das finanziell dazu beitragen kann, die Rahmenbedingungen für die wertvolle Arbeit von Kindertagespflegepersonen zu verbessern. ({2}) Ganz besonders begrüße ich die Fokussierung des Gesetzentwurfes auf die Weiterentwicklung der Qualität der Kindertagesbetreuung und der Kindertagespflege, für die der Bund 4 Milliarden Euro in die Hand nehmen will. Das Baukastensystem des Gesetzes erlaubt es den Bundesländern, aus verschiedenen qualitätssteigernden Maßnahmen zu wählen und diese durch Bundesmittel finanziell zu unterfüttern. Durch die Priorisierung des Handlungsfeldes 8 – dahinter verbirgt sich die Stärkung der Kindertagespflege – wird genau diese gesondert in den Fokus des Gesetzes gerückt. Ich erhoffe mir ganz persönlich, dass durch diese Maßnahme nun auch mehr als acht Bundesländer Mittel aus dem KiTa-Qualitätsgesetz in den Ausbau der Qualität der Kindertagespflege investieren, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Land weiterführend zu verbessern. ({3}) Klar ist: Dieses Gesetz kann und wird nicht alles sein, was der Bund tun kann, um die Arbeits- und Betreuungsbedingungen in der Kindertagespflege zu verbessern. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Aber dieses Gesetz und die Priorisierung der Kindertagespflege sind ein wichtiger erster Schritt. Vielen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion gebe ich nun das Wort an Dr. Katja Leikert. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Paus, seit fast einem Jahr wartet das Land darauf, dass die Ampel endlich ein inhaltliches Gesetz im Familienbereich vorlegt. Heute hat das Warten ein Ende; denn wir diskutieren das sogenannte KiTa-Qualitätsgesetz. Mein Kollege Hermann-Josef Tebroke hat es bereits erwähnt: Es ist wirklich positiv zu bewerten, dass in den nächsten zwei Jahren jeweils 2 Milliarden Euro vom Bund in den Kitabereich fließen sollen. Man könnte meinen, dass dort, wo Qualität draufsteht, auch wirklich 100 Prozent Qualität drin ist. ({0}) Laut Ihrem Gesetz muss die gesamte Förderung aber gar nicht, Herr Seestern-Pauly, für Qualität ausgegeben werden. ({1}) Mit einem großen Teil der Förderung können die Länder zum Beispiel den Wegfall jeglicher Elternbeiträge bezahlen. Ein Wegfall der Elternbeiträge bedingt aber logischerweise nicht zwingend eine bessere Qualität. Das sagt auch der Familienbund. Deshalb klingt das für uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirklich nach einer Mogelpackung. ({2}) Aber vielleicht haben wir auch grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen davon, was Qualität bedeutet. Für mich war immer zentral, dass meine Kinder gut geschultes Personal, ein gutes pädagogisches Angebot und ein kinderfreundliches Umfeld haben. Zentral für die Politik sind hier Begriffe wie der Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Fachkräftegewinnung. Das kann ich wieder an Sie richten: Wären Sie mal so oft vor Ort wie meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, würde das Gesetz mit Sicherheit anders aussehen. ({3}) Dabei gibt es eine große wissenschaftliche Evaluation – das ist ein dickes Buch – vom Familienministerium, das genau hingeschaut und die Zustände beschrieben hat. Hätten Sie mal einen Blick in diese Evaluation geworfen, hätten Sie gesehen, dass die Personalfrage in den Kitas besondere Priorität hat. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, liebe Ampel, dann bitte gerne auf diese offizielle Evaluation. ({4}) Hinzu kommt noch eine echte Ungerechtigkeit. Es gibt Länder, die das Geld schon seit jeher in niedrigere Elternbeiträge gesteckt haben, und die dürfen das Geld weiter dafür nutzen. Andere Länder, die es für den Qualitätsausbau genutzt haben, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, dürfen das nicht. Das bestraft ja geradezu diejenigen Bundesländer, die in den vergangenen Jahren kreativ und fleißig waren. Das ist für uns der falsche Weg. ({5}) Herr von Malottki, Sie leiden ja genauso wie wir von der CDU/CSU-Fraktion unter dem Wegfall der Sprach-Kitas. Heute Morgen haben wir im Familienausschuss einen Antrag dazu gestellt. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, dem zuzustimmen und die Finanzierung der Sprach-Kitas auch im nächsten Jahr sicherzustellen. Und auch wenn Sie noch so oft das Gegenteil behaupten, Frau Ministerin Paus – es ist leider so festzustellen –: Sie stellen eben keine zusätzlichen Mittel bereit, sondern schieben die Sprach-Kitas nach wie vor zwischen dem Bund und den Ländern hin und her. Das geht aus unserer Sicht so nicht. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, es ist, wie ich bereits zu Beginn erwähnt habe: Dieses KiTa-Qualitätsgesetz wird seinem Namen nicht gerecht. Das können Sie besser. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

So, jetzt noch mal alle aufwachen! Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Sarah Lahrkamp für die SPD-Fraktion. ({0})

Sarah Lahrkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, jetzt aber. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen: Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis. Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume. Willst du für ein Jahrhundert planen, so bilde Menschen. ({0}) Dieses Zitat stammt von dem chinesischen Philosophen Guan Zhong und ist aktueller denn je. Bildung, gerade die frühkindliche Bildung, legt das Fundament für die Entwicklung unserer Kinder und für unsere Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um die kognitive Entwicklung, sondern auch um die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder. Der Besuch einer Kindertageseinrichtung gehört heute fast zum gesellschaftlichen Selbstverständnis. Circa 3,8 Millionen Kinder besuchen eine Kindertagesbetreuung, und die Betreuungsquote von Drei- bis Sechsjährigen liegt bei 91,9 Prozent. Vor Jahren wäre das fast noch unvorstellbar gewesen. Die Kindertagesbetreuung nimmt also einen immer höheren Stellenwert im Leben der Kinder und Familien ein. In der Kitazeit machen unsere Kinder häufig ihre ersten Erfahrungen außerhalb der Familie. Sie treffen auf andere Kinder, bekommen neue Bezugspersonen, lernen neue Regeln und entwickeln eigene Stärken und Fähigkeiten. Es handelt sich hierbei um eine prägende Phase unserer Jüngsten, und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Kitas Orte sind, wo sich Kinder unbeschwert und kindgerecht entfalten können. Dabei ist der Alltag von Kitas von zentraler Bedeutung; denn er wird zur Lerngelegenheit. Hören, Sehen, Fühlen, Nachahmen oder Experimentieren – Kinder lernen schnell und mit allen Sinnen. Um ihnen dies zu ermöglichen, ist es notwendig, dass der Qualität in Kitas ein höherer Stellenwert eingeräumt wird; denn es geht hierbei auch um die Chancengerechtigkeit unserer Kleinsten. Der Zugang zu guter und qualitativ hoher Bildung ist entscheidend für den weiteren Lebensverlauf. Deshalb ist 2019 das Gute-KiTa-Gesetz in Kraft getreten. Damit wurde das Fundament für eine gute Bildung von Anfang an gelegt. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf eines KiTa-Qualitätsgesetzes gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir werden die guten Vorhaben aus dem Gute-KiTa-Gesetz weiterentwickeln und konkretisieren. Bedarfsgerechte Angebote, ein besserer Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Gewinnung und Sicherung von qualifizierten Fachkräften sind nur ein paar der möglichen Maßnahmen. Aber nicht nur das! Wir stärken ebenfalls den Bildungsauftrag der Einrichtungen, indem auch ein Schwerpunkt auf die ganzheitliche Bildung gelegt wird. Die Bereiche kindliche Entwicklung, Gesundheit, Ernährung, Bewegung und auch die sprachliche Bildung können mit diesem Gesetz weiterentwickelt und gefördert werden. ({1}) Ich freue mich, dass wir jetzt in das Gesetzgebungsverfahren eingestiegen sind, und hoffe auf konstruktive Gespräche zum Wohle unserer Kinder und damit auch zum Wohle unserer Zukunft. Vielen Dank. ({2})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tage erreichen uns wieder Nachrichten über einen dramatischen Anstieg bei der illegalen Migration an deutschen Grenzen: wieder explodierende Zahlen, hinter denen sich auf der Balkanroute und beim Nadelöhr Türkei erhebliche weitere Migrantenmassen aufstauen. Neben der Hilfe für Ukraineflüchtlinge, die Deutschland leisten will, wird es damit umso dringlicher, sämtliche sozusagen „klassischen“ illegalen Migrationsbewegungen nach Deutschland zu stoppen. Wie das Beispiel 2015 zeigt, wäre es irrig, hier Hilfe von der EU zu erwarten. Dem bisherigen System ist durch Deutschlands pauschalen Selbsteintritt damals der Todesstoß versetzt worden. Das EU-Asylsystem ist durch Merkels Rechtsbruch bei Dublin III komplett zerstört worden. ({0}) Dem deutschen Negativbeispiel folgend, missachten seither einzelne Mitgliedstaaten systematisch die Vorgaben zur Zuständigkeit. Faktisch bestimmt inzwischen nicht das geltende Recht, sondern der einzelne Asylbewerber, wo sein Verfahren läuft bzw. er sich niederlässt. Das vorrangige Kriterium für die Bestimmung der Zuständigkeit, über welchen Staat die Ersteinreise in die EU erfolgte, kann meist nicht ermittelt werden. Die vorgesehene Erfassung ist zuletzt bei drei Vierteln der Anträge unterblieben. Und wenn das zuständige Land ermittelt werden kann, scheitern 80 Prozent und mehr der Rücküberstellungen. Als Folge hiervon trägt Deutschland eine deutlich überproportionale Last in der EU. Dabei lag 2021 laut BAMF die Schutzquote nur bei 40 Prozent. Bei 60 Prozent der Antragsteller lag Asylbetrug vor. Das sind keine Zustände, meine Damen und Herren. ({1}) Dazu kommt die rechtswidrige Sekundärmigration nach Deutschland von Personen, die schon anderswo ihr Verfahren hatten. Der Wille, sich an die Regeln zu halten, fehlt. Das Instrument, um Regeln durchzusetzen, fehlt. Das kann nicht funktionieren. Hinter einer Fassade der Rechtsstaatlichkeit dominieren Willkür und Rechtsbruch. Damit muss Schluss sein. ({2}) Eine Lösung der Problematik auf EU-Ebene ist nicht zu erwarten. Die Vorschläge der Kommission verhindern weder die illegale Migration in die EU noch die Binnenmigration innerhalb derselben. Sie schaffen vielmehr neue Pull-Faktoren durch die geplante Legalisierung der privaten Schleppertätigkeit im Mittelmeer, wo linke Gruppen nachgewiesenermaßen aktiv mit Schleusern kooperieren, durch erleichterte Familienzusammenführung, was die Praxis von Großfamilien verstärkt, ({3}) minderjährige Ankerkinder vorzuschicken, die der gesamten Familie unabhängig vom Schutzbedürfnis Nachzug ermöglichen. Da die osteuropäischen Staaten eine Aufnahme kulturfremder Migranten ablehnen, die Mittelmeerstaaten einfach nach Norden durchwinken, wird der Großteil wieder an Deutschland hängen bleiben, dem Deutschland, das bisher schon mit mangelndem Abschiebewillen bei üppigen Sozialleistungen nach illegaler Zuwanderung förmlich schreit. ({4}) Und Faesers bereits in Aussicht genommene „Koalition der Willigen“ zeigt, dass Planerfüllung beim Import illegaler Migration der Ampel einfach über alles geht, Marke „Zur Not nehmen wir sie eben alleine“. ({5}) Eine klare Mehrheit der Bundesbürger will aber laut Umfrage eine Begrenzung der Migration Unqualifizierter, will verstärkten Schutz der Außengrenzen, will das Gegenteil des Kommissionsentwurfs, in dem jegliche Obergrenzen fehlen. Konträr zu dem einzig sinnvollen Ansatz heimatnaher Zuflucht ist dieses EU-Asylsystem klar auf transkontinentale Migration ausgerichtet. Selbst Menschen, die durch zig sichere Staaten und vor allem aus wirtschaftlichen Gründen kommen, sollen da uneingeschränkt Aufnahme finden. Ein Austritt aus einem solchen System ist unabdingbar. ({6}) Ein effektives Schutzsystem ist nur außerhalb der EU möglich. Großbritannien hat mit Ruanda vereinbart, dass illegal einreisende Asylbewerber ihr Verfahren in Ruanda durchlaufen, und bei Anerkennung verbleiben sie dort. Schutzanspruch heißt nicht freie Auswahl eines Ziellandes. Dänemark hat unter dem sozialdemokratischen Integrationsminister mittels nationaler Politikgestaltung Lösungen gefunden und rät den Kollegen in der EU, es Dänemark gleichzutun. Man leiste viel effektivere Hilfe vor Ort in der Krisenregion für die tatsächlich Hilfsbedürftigen. Dänemark sagt, es wolle die Zahl der unberechtigten Asylbewerber Richtung null reduzieren – rechtsstaatlich eine Selbstverständlichkeit –, und der Ansatz wirkt: Letztes Jahr gab es in Relation zur Bevölkerung nur ein Fünftel der in Deutschland gestellten Anträge. Und hier soll das nicht gehen? Es ist was faul im Staate Germany. ({7}) Handeln auch wir endlich im Interesse Deutschlands! Gewinnen wir die nationale Souveränität zurück! Steigen wir aus dem GEAS aus mit Fokus auf Hilfe vor Ort und heimatnahe Zuflucht für viel mehr und wirkliche Schutzbedürftige, mit lückenlosem Grenzschutz für Freizügigkeit innerhalb der EU, mit Ausrichtung an deutschen Interessen statt europäischer Vergemeinschaftung der Frage, was nicht nur kein Mehrwert ist, sondern ein gehöriger Klotz am Bein! Deshalb: Treten wir ein in Verhandlungen, bringen wir Deutschlands Gewicht zum Tragen! Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Ausreden. Tun wir es für die wirklich Schutzbedürftigen! Tun wir es für Deutschland! Ich danke Ihnen. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Hakan Demir für die SPD-Fraktion. ({0})

Hakan Demir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade gehört, dass Deutschland etwas wollen soll, und es ist ganz klar: Wir als Deutschland wollen, dass das Recht auf Asyl weiterhin gewährleistet bleibt. Das sind wir auch den Menschen hierzulande schuldig. Wir haben internationale Verträge, wir haben unser Grundgesetz, wir haben unseren Rechtsstaat, und da ist dieses Recht verbrieft. Ich glaube, wir handeln im Interesse aller Menschen hier in Deutschland, wenn wir diesen Rechtsstaat weiterhin verteidigen und schützen, ({0}) und das ist es, was wir auch als Fraktion wollen. ({1}) Ein Satz noch zur Seenotrettung. Ich verstehe einfach nicht, was Sie da wollen. Wenn jemand in Seenot ist, müssen wir – auch da nach internationalem Recht, nach unserem Recht – diese Person retten. Da gibt es keine Alternative, Punkt. Das ist so. ({2}) Als ich im Februar am Berliner Hauptbahnhof war, waren die Bahngleise voll von Menschen, die vor Putins Raketen geflohen waren. Einige wollten weiterreisen nach Spanien, Italien, in die Niederlande oder nach Frankreich. Es sind Momentaufnahmen, es ist nur eine Seite des brutalen Angriffskriegs, den Russland gegen die Ukraine führt: 14 Millionen Menschen mussten infolge des Krieges ihre Heimat verlassen, 7,5 Millionen flohen ins Ausland. Schutz finden sie in ganz Europa: Von Finnland bis Portugal, von Irland bis Rumänien empfangen Staaten Geflüchtete, organisieren Wohnraum, schulen Kinder ein und öffnen ihre Arbeitsmärkte. Niemand kann behaupten, dass die Aufnahme von 7,5 Millionen Menschen einfach ist; das sagt auch niemand. Aber ohne das enorme zivilgesellschaftliche Engagement wäre die Aufnahme nicht möglich. Dass es überhaupt funktioniert, liegt auch ganz zentral an etwas, das die AfD-Fraktion mit ihrem Antrag heute aufkündigen will: an der europäischen Solidarität. Die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter sollte uns vor Augen führen, was Europa leisten kann, wenn alle Staaten zusammenstehen. Vor diesem Hintergrund einen Rückzug Deutschlands aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zu fordern, wie die AfD es tut, ist Wahnsinn. Ein sogenannter Opt-out, also die Nichtteilnahme an einem auf EU-Ebene geregelten Politikbereich, wird vor Inkrafttreten von Verträgen verhandelt. Ein nachträglicher Ausstieg ist gar nicht möglich. Das, was Sie fordern, ist also nicht möglich, außer Sie wollen aus der EU austreten; das müssten Sie dann halt einfach sagen. ({3}) – Gut, dann haben Sie es jetzt noch mal gesagt. ({4}) Ein Opt-out wäre auch falsch, weil gerade das Gemeinsame die Stärke in der Asyl- und Migrationspolitik ist und ein Ausstieg Deutschlands aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem das gesamte System ins Wanken bringen würde. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, muss man Schutz gewähren. Das ist eine große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Verwirklichen lässt sich dieses Recht nur gemeinsam. Auch dank der europapolitischen Führungsrolle unserer Innenministerin Nancy Faeser gibt es vielversprechende Ansätze, ein gemeinsames solidarisches Vorgehen auf europäischer Ebene zu organisieren. 19 EU-Staaten sowie Norwegen und die Schweiz haben den freiwilligen Solidaritätsmechanismus für aus Seenot gerettete Menschen auf den Weg gebracht. Gleichzeitig – das muss man auch sagen – finden menschenrechtswidrige Pushbacks statt, Gewalt gegen Schutzsuchende an den Außengrenzen und die Aussetzung von schutzlosen Menschen auf hoher See. Diese Situation zu beenden und wieder Sicherheit für alle Menschen an den Außengrenzen zu schaffen, muss ein unverhandelbares Ziel aller Anstrengungen um die GEAS-Reform bleiben. Und wir müssen aufpassen, dass neue Rechtsakte nicht Schlupflöcher bieten, um das Recht auf Asyl an den Außengrenzen auszuhöhlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bilder vom Berliner Hauptbahnhof sind heute nicht mehr die gleichen. Aber deutschland- und europaweit wird weiterhin mit großer Kraft daran gearbeitet, dass Unterkünfte hergerichtet und Schulplätze organisiert werden. Auch das sind Momentaufnahmen, aber sie zeigen: Wenn die Europäische Union zusammenhält, wenn alle Länder zusammenhalten, wenn wir solidarisch sind, dann funktioniert vieles viel besser. Danke schön. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält das Wort der Kollege Detlef Seif. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag verlangt die AfD ein Opt-out Deutschlands aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem entsprechend dem Vorbild Dänemarks. Das wäre schlicht rechtswidrig. Das Recht zu einem Opt-out, also zur Nichtanwendung des europäischen Rechts, muss – das ist gerade schon zutreffend gesagt worden – durch Protokollerklärung festgehalten werden. Das hat das Vereinigte Königreich gemacht, ebenso Irland, Polen und Dänemark, aber Deutschland nicht, und deshalb könnte Deutschland auch nicht aus diesem Rechtsbereich austreten. ({0}) Meine Damen und Herren, Dänemark will zukünftig die Unterbringung der Asylbewerber im Asylverfahren in Drittländer auslagern und hat sich zwischenzeitlich mit Ruanda auf eine Erklärung verständigt, die ein solches Verfahren vorbereiten soll. Herr Curio, Sie haben gerade gesagt, irgendwas sei faul im Staate Germany. Der Spruch heißt: „Es ist was faul im Staate Dänemark“, und das merkt man auch in diesem Punkt. ({1}) Jetzt kommt die eigentliche Kernaussage: Unabhängig vom europäischen Recht verstößt eine derartige Verbringung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu einer vorgesehenen Verbringung eines Menschen vom Vereinigten Königreich nach Ruanda hat gezeigt, dass dies wahrscheinlich keinen Bestand haben wird. Ruanda ist im Übrigen – lassen Sie das mal auf sich wirken – nicht, zumindest für mich nicht, als außerordentlicher Rechtsstaat oder zuverlässiger Partner bekannt. Dort gibt es auch keine außerordentlich guten oder einfach nur durchschnittlichen Aufnahmebedingungen. Wie kann die AfD überhaupt auf die Idee kommen, dass wir Menschen im Zuge eines Asylverfahrens von Deutschland nach Ruanda verbringen könnten? Sie haben doch sicherlich zur Kenntnis genommen, dass wir im letzten Jahr verschiedene Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zu den Aufnahmebedingungen in Griechenland und Italien hatten. Wir haben anerkannt Schutzberechtigte, die wir nicht von Deutschland in diese Länder zurückführen können, sondern die hier nochmals einen Antrag stellen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren! Das wird unter dem Gesichtspunkt nicht möglich sein. ({2}) Aber eines ist klar – Sie haben die Zahl genannt –: Wir haben in den letzten Jahren eine Gesamtschutzquote von 40 Prozent. Das heißt, hier sind tatsächlich 60 Prozent, die unser System ausnutzen. Und leider ist festzustellen, dass die Ampelregierung hier die erforderlichen Schritte zurzeit nicht geht. ({3}) Stattdessen werden durch einen Systemwechsel noch neue Anreize geschaffen, höhere Standards, erweiterte freiwillige Aufnahmen, einfachere Möglichkeiten zur Erlangung eines Aufenthaltstitels, Stichwort „Chancen-Aufenthaltsrecht“. Das schafft zusätzliche Anreize und ist kontraproduktiv. ({4}) Der überwiegende Teil der EU-Mitgliedstaaten will eine restriktive Asylpolitik. Der österreichische Bundeskanzler hat gestern gesagt: Jetzt ist endgültig Schluss. Meine Damen und Herren, meine Fraktion will im Gegensatz zur AfD nicht das Ende der Humanität und des Flüchtlingsschutzes, sondern nur das Ende des Missbrauchs. Da liegt der große Unterschied. ({5}) Die frühere Bundesregierung hat geeignete Maßnahmen vorgeschlagen, die auch von der EU-Kommission übernommen wurden. Ganz wichtiges Kernelement ist das Grenzverfahren: Prüfung vor Ort, erkennungsdienstliche Behandlung, Sicherheitsüberprüfung, Gesundheitsprüfung und vor allen Dingen eine Vorabprüfung des Asylverfahrens, damit die Menschen, die erkennbar keinen Anspruch haben, noch von der Grenze aus zurückgeführt werden.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Abgeordneter Seif, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Demir aus der SPD-Fraktion?

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Hakan Demir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Es geht um das Chancen-Aufenthaltsrecht, das besagt, dass Menschen, die seit fünf Jahren hier geduldet sind, im Anschluss ein Bleiberecht bekommen sollen. Was haben Sie dagegen, dass eine Person, die jetzt hier geduldet ist und offenbar momentan auch nicht zurückgeführt werden kann, danach beispielsweise als Pflegekraft oder als Koch oder Köchin hier arbeitet? Ich frage Sie ganz offen: Was haben Sie gegen dieses Gesetz?

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darunter fallen auch Menschen, die zwar nicht über ihre Identität getäuscht haben, aber deren Identität wir nicht kennen. Ich habe nicht im Ansatz Verständnis dafür, dass uns jemand nicht seine Vita erklärt, seinen Hintergrund, und dann noch erwartet, dass er hier einen Vorteil bekommt. ({0}) Das Entscheidende ist – man kann es in einem Wort sagen –: Ihr Vorhaben ist so, wie es vorgelegt wurde, Murks; denn Sie berücksichtigen nicht, dass es Asylverfahren gibt, die in Gänze länger als fünf Jahre dauern. Viele Verfahren sind noch bei den Gerichten anhängig; es steht noch eine Prüfung an, ob hier ein Schutzanspruch besteht oder nicht. Wenn Ihr Gesetz in Kraft tritt, werden ganz viele Menschen ihre Anträge zurücknehmen und dann hier ein Chancen-Aufenthaltsrecht haben. Das ist eine Umgehung des Rechtsstaates. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Allein das ist schon Grund, warum wir als Fraktion das ablehnen. ({1}) Setzen Sie sich als Ampel bitte für einen Punkt ein, der wirklich wichtig ist, das Grenzverfahren. Ich habe es vorhin gesagt: Das ist ein Kernelement. Ich höre jetzt, dass S&D – dazu gehört ja auch die SPD – und Grüne in Brüssel jetzt nicht mehr anstreben, dass das ein verbindliches Verfahren wird, sondern dass es freiwillig ist, was auch innerhalb der Europäischen Union durchgeführt wird. Das ist eine komplette Entwertung eines Systems, das hier auch nur halbwegs funktionieren kann. GEAS würde dann lauten: gescheitertes europäisches Asylsystem. Sie sind in der Pflicht.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie uns alle daran arbeiten, dass das System funktioniert! Aber ich bitte die Ampel, in Brüssel mit Nachdruck vorzugehen. Das ist der nächste Schritt, der uns wirklich weiterhilft. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen Leon Eckert. ({0})

Leon Eckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005047, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die AfD hat hier einen Antrag eingereicht, der absolut durchschaubar ist und die Menschenfeindlichkeit der Fraktion noch einmal offen zeigt; das haben wir auch im Redebeitrag gerade gehört. Unverblümt werden illegale Pushbacks verharmlost und wird versucht, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. ({0}) Man wird hier zum verlängerten Arm Putins, weil man auch gegen die ukrainischen Kriegsflüchtlinge Stimmung macht, passend zu den Demonstrationen am Wochenende. Das ist eine Profilierung auf dem Rücken von Menschen, die zu uns kommen, um Schutz zu erhalten, die ein Recht darauf haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Solidarität, das ist ein Grundwert Europas. Das muss die Grundlage sein für das Gemeinsame Europäische Asylsystem, für das Finden gemeinsamer Regeln, wie wir Menschen Schutz bieten können, die auf ihrer oft lebensgefährlichen Flucht Schlimmes erlebt haben und ertragen mussten. Es ist der Geist der Solidarität, der global mit der Genfer Flüchtlingskonvention das internationale Flüchtlingsrecht festlegt. Hier wird geregelt, wem Flüchtlingsstatus zuerkannt wird, wer Schutz braucht und wer welche Rechte hat. Es ist kein Geheimnis, dass die Regelungen zu Migration und Asylverfahren in Europa verbessert werden müssen. Die unterschiedlichen nationalen Anwendungen, obwohl es einheitliche Regelungen in der EU gibt, sind auch ein Versagen der Mitgliedsländer. Daher muss es unser Ziel sein, dass die Bedingungen für das Asylverfahren, die Unterbringung, den Zugang zu Sozialleistungen und andere Aspekte in allen Mitgliedstaaten menschenwürdig werden. ({1}) Wir sollten auch die Verteilung innerhalb der EU stärken, um solidarisch mit den Ländern an den EU-Außengrenzen zu sein. Wenn jedes Land der EU seinen fairen Teil übernimmt, können wir doch ganz selbstbewusst in Europa den Menschen Schutz gewähren. Es muss in Europa doch das gelten, was auch im Kleinen überall in unserem Land gut funktioniert. Egal ob es die Feuerwehr, das THW oder das Rote Kreuz ist: Wenn jemand in Not ist, dann wird ihm geholfen, dann werden die Probleme gelöst und wird nicht gefragt, woher jemand kommt. ({2}) Es gibt in Europa und in Deutschland ein Recht auf Asyl, und das werden wir verteidigen, auch gegen Angriffe von rechts. Wir sehen in Europa leider eine zunehmende Verschärfung der Auslegung der nationalen Gesetzgebungen und Praktiken im Umgang mit Migration. Das finde ich beschämend. Im zentralen Mittelmeer setzt sich das Sterben von Menschen auf der Flucht leider fort. Auf der sogenannten Balkanroute erfahren Flüchtende weiterhin wiederholt illegale Zurückweisungen und Gewalt durch Grenzbeamtinnen und ‑beamte. Aber wir haben im Koalitionsvertrag einen klaren Kompass vorgelegt: für eine faire Verteilung von Verantwortung, für bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren, für die Erleichterung bei der Integration und für eine Beendigung von illegalen Zurückweisungen und des Leids an den Außengrenzen. Für all diese Maßnahmen, für all diese Ziele hat unsere Innenministerin meine volle Unterstützung. Es geht darum, solidarische und menschenwürdige Lösungen auf europäischer Ebene zu verhandeln und Verbesserungen für Flüchtende zu erreichen, egal woher sie kommen. Deswegen lehnen wir den Antrag ab. Vielen Dank. ({3})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Die Linke hat das Wort Gökay Akbulut. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwas Gutes hat dieser grauenhafte Antrag der AfD: Er gibt uns die Gelegenheit, den Stand des europäischen Asylsystems und die systematischen Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen zu thematisieren. Das ist dringend notwendig; denn auf EU-Ebene werden derzeit entscheidende Weichen für das künftige EU-Asylsystem gestellt. Die Ampelparteien möchten sich damit aber nicht auseinandersetzen. Seit Monaten blockieren sie im Innenausschuss den Antrag der Linken, zu diesem wichtigen Thema eine Sachverständigenanhörung stattfinden zu lassen. Ich habe angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Asylpolitik überhaupt kein Verständnis dafür. ({0}) Diese Verweigerungshaltung verdeutlicht, was die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Ampel zu diesem Thema wert sind, nämlich nichts. Zur Erinnerung: Die Ampel wollte illegale Pushbacks und das Leid an den EU-Außengrenzen beenden. Das waren ihre großen Versprechungen. Und was ist passiert? Im Juni gab es in Melilla ein Massaker mit mindestens 37 toten Geflüchteten. Im August ist ein fünfjähriges syrisches Mädchen auf einer Insel im Grenzfluss Evros gestorben. Sie hätte gerettet werden können; doch weder Frontex noch der griechische Grenzschutz wollten helfen. Und das Massensterben auf dem Mittelmeer geht weiter; es wird kaum noch wahrgenommen. Mehr als 1 300 Menschen sind dieses Jahr bei dem Versuch, Europa zu erreichen, bisher ertrunken. Wir Linke werden uns niemals mit der Brutalität des europäischen Grenzregimes abfinden. Wer fliehen muss, verdient sicheren Schutz und unsere Unterstützung. ({1}) Auf EU-Ebene hat die Bundesregierung bereits negative Fakten in der Asylpolitik geschaffen. Sie stimmte im Rat der Screening-Verordnung und dem Schengener Grenzkodex zu. Damit werden die menschenunwürdigen Hotspot-Lager, wie wir sie von den griechischen Inseln kennen, ausgeweitet und zur Normalität an den europäischen Außengrenzen werden. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte staatlich koordinierte Seenotrettung wird auf EU-Ebene nicht umgesetzt. Auch von einer fairen Verteilung von Schutzsuchenden kann keine Rede sein. Durch den sogenannten Solidaritätsmechanismus der EU wurde bislang keine einzige Person in Deutschland aufgenommen. Das ist die Politik der Ampel: schöne Worte, die letztendlich unverbindlich bleiben. In der Praxis aber verbessert sich nichts, vor allem nicht für die betroffenen Geflüchteten. Hier besteht Handlungsbedarf. Handeln Sie endlich, sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer Ebene! Vielen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Stephan Thomae. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Ampelkoalition will einen Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik wagen. Der AfD-Antrag gibt vor, ein komplexes Problem mit einfachen Antworten lösen zu können. Leider gibt es Menschen, die dieser Verheißung einer einfachen Antwort auf schwierige Fragen folgen und sich täuschen lassen. ({0}) Für die AfD sind mehr oder weniger alle Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, Asyl- und Sozialbetrüger, die auf Kosten anderer auf der faulen Haut liegen wollen. Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, weil sie sich in Europa Arbeit oder ein besseres Leben erhoffen, ist das für sich genommen noch kein Betrug. Das Problem besteht darin, dass der Weg in unseren Arbeitsmarkt nur sehr schmal ist und mit sehr vielen Hürden versehen ist, und das, obwohl unser Arbeitsmarkt, unsere Gesellschaft Arbeitskräfte eigentlich dringend nötig hätte, meine Damen und Herren. Deshalb will die Koalition mehr reguläre und legale Migration möglich machen. ({1}) Denn wenn es legale und reguläre Wege gibt, um bei uns Arbeit und Ausbildung zu finden, und wenn wir diesen Weg auch aktiv bewerben, dann werden weniger Menschen Schlepper und Schleuser mit viel Geld bezahlen und in der Wüste und auf dem Meer Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit aufs Spiel setzen. ({2}) Herr Kollege Seif, ich fand vieles von dem, was Sie sagten, durchaus richtig. ({3}) Aber wir entlasten doch unser Asylsystem, wenn wir aus irregulären Asylbewerbern reguläre Arbeitseinwanderer machen. ({4}) Wir geben Menschen eine faire Chance, wenn sie in Europa ein besseres Leben suchen. Das nützt doch unserer Wirtschaft, die händeringend nach Arbeitskräften sucht. Und wir entlasten unsere Sozialsysteme, wenn wir aus Hilfeempfängern Erwerbstätige machen, die Steuern bezahlen und in die Sozialversicherungssysteme einzahlen. Zugleich nützt es auch den Verbrauchern, wenn Arbeitsstellen im Handwerk und in Dienstleistungsberufen wieder besetzt werden. Deswegen sollten wir diesen Weg beschreiten, der das Potenzial hat, vielen Menschen in Deutschland zu nützen. ({5}) Wir erklären aber zugleich nicht wie die AfD alle Asylbewerber zu Betrügern. Anders als die AfD stehen wir auch zu unseren humanitären Verpflichtungen. Anders als Dänemark und andere Staaten erklären wir uns auch nicht für unzuständig und überlassen die Lösung des Flüchtlingsproblems anderen. Wir bekennen uns zum Recht auf Asyl. Wir prüfen gewissenhaft jeden Asylantrag und gewähren Schutz und Hilfe da, wo die Voraussetzungen vorliegen. ({6}) Wir wollen aber auch konsequenter sein, wenn wir zu dem Ergebnis gelangen, dass kein Asylgrund vorliegt. Deshalb wollen wir Asylverfahren beschleunigen. Wir wollen die Rückkehrberatung verbessern. Wir wollen eine Rückführungsoffensive starten. Wir wollen, dass ein Sonderbevollmächtigter Migrationsabkommen mit wichtigen Herkunftsländern schließt, in denen auch Abschiebungsregelungen vereinbart werden. ({7}) Ein solcher Paradigmenwechsel ist ein großes Vorhaben. Die ersten Komponenten sind schon im Kabinett behandelt worden und befinden sich zurzeit in der Ressortabstimmung. Vor allem: Anders als die AfD blicken wir auch nicht ablehnend auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem. In Dänemark funktioniert der Opt-out nur deshalb, weil andere Staaten ihre humanitären Pflichten ernster nehmen als die Dänen. Denn wenn sich alle einen schlanken Fuß wie Dänemark machen, dann stauen sich die Probleme doch an anderer Stelle auf. Das wäre auch nicht unsere Vorstellung von einem Europa, in dem man Probleme gemeinsam löst, meine Damen und Herren. ({8}) Nun ist die Große Koalition zusammen mit der Union in der letzten Wahlperiode beim Thema Erwerbsmigration mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sogar einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Uns fehlen allerdings nicht nur qualifizierte Fachkräfte und Akademiker, sondern zunehmend auch ganz einfache Arbeitskräfte für Berufe, in denen keine Spezialisierung oder hohe Qualifikation notwendig ist. ({9}) Ein Teil dieser Menschen lebt schon bei uns im Land. Sie haben aber das Problem, dass sie die Hürden des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht überwinden konnten. Sie können aber auch nicht abgeschoben werden und können als Geduldete nun nicht richtig bei uns im Arbeitsmarkt integriert werden. Dieses Problem wollen wir nun endlich lösen für diejenigen Menschen, die zum Beispiel während der Flüchtlingswelle 2015 ins Land kamen und seit Jahren mit Kettenduldungen im Ungewissen leben. Wir wollen eine pragmatische Lösung, die auch funktioniert, –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– für Menschen, die sich bei uns gut integriert haben. Das ist es, was die Koalition beabsichtigt. Deshalb werden wir den Antrag der AfD ablehnen. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Dr. Silke Launert. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „In jeder Schwierigkeit lebt die Möglichkeit.“ Worte, die zum Handeln motivieren, die der Resignation entgegenwirken und die von Albert Einstein stammen. Und ohne Zweifel: Die Herausforderungen, vor denen die EU-Mitgliedstaaten stehen, sind gewaltig und von Schwierigkeiten geprägt. Ebenso schwierig und zugleich mühsam – quasi oft erfolglos – sind die Debatten über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Die aktuelle Lage zeigt uns wieder, dass es erheblichen Verbesserungsbedarf und dringenden Handlungsbedarf gibt. Nein, die gemeinsame EU-Migrations- und -Asylpolitik funktioniert leider nicht einwandfrei: Einige der EU-Staaten werden über die Maßen belastet. Geltendes Recht wird nur zum Teil angewandt, zum Teil wird es nicht durchgesetzt. Nur ein Bruchteil der Rückführungen ist erfolgreich; selbst bei uns werden nur 6 Prozent der Überstellungen letztlich vollzogen. Der EU-Außengrenzschutz funktioniert nur lückenhaft, ebenso die Registrierung. Klar ist also: Die Reform ist überfällig. Nur – das sage in Hinblick auf Ihren Antrag – glauben wir nicht, dass die Lösung ein deutscher Sonderweg, ein nationaler Alleingang ist. Eigentlich sollten wir aus 2015 gelernt haben, dass das nicht so gut ist, sondern dass es wichtig ist, sich in der EU abzustimmen, so mühsam, so schwierig das auch ist. ({0}) Denn in der Schwierigkeit liegt irgendwann die Möglichkeit der Chance. ({1}) – Wie gesagt, vielleicht steigen wir mit aus. Das ist die Frage. Auch wir müssen uns vielleicht bewegen. ({2}) Ich baue trotzdem auf die Ampel, dass sie es als links-grüne Regierung in der Hand hat, diesen Schritt zu machen. So wie vielleicht nur eine Regierung mit grüner Beteiligung eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke durchsetzen kann, können Sie vielleicht einen restriktiveren und dann von den meisten Mitgliedsländern der EU getragenen Kurs gehen. ({3}) Denn Fakt ist: Wir leben nun einmal in einem Schengenraum. Es ist schon angesprochen worden: Diese gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik ist Primärrecht. Wir können eben nicht sagen: Wir gehen einfach raus; wir machen das, was wir wollen. – Das ist natürlich ein Problem. Bedenke die Folgen! Wenn Deutschland, das Mitverursacher der letzten Jahre war, plötzlich sagt: „Wir gehen aus diesem wesentlichen Teil raus. Es ist uns doch egal, was andere EU-Länder alles sagen und denken“, dann haben wir ein Problem. Deshalb halten wir diesen Lösungsweg nicht für den richtigen. Schauen wir uns die aktuelle Lage an. Wir haben in diesem Jahr durch diesen schrecklichen Krieg bedauerlicherweise über 1 Million registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine, die wir natürlich aufnehmen, wenn in der Nachbarschaft Krieg ist. ({4}) Wir haben absehbar wahrscheinlich über 200 000 irreguläre Asylgesuche. Heute erst haben wir den Bericht der Innenministerin im Innenausschuss gehört. Uns erreichen Hilferufe der Bürgermeister und der Landräte, die die Regierung anflehen: Bitte helft uns! Wir schaffen es nicht mehr. Wir haben keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr. Unterstützt uns finanziell! Wir schaffen es nicht mehr. ({5}) Die Zahlen gehen jetzt schon in Richtung von 2015. Es ist nun einmal so – der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hatte recht –: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. ({6}) Ich würde ergänzen: Effektiv helfen kann nur, wer sich nicht selbst überfordert. Deshalb verstehe ich die weiteren Signale nicht. Sie meinen es gut; aber Sie werden das Land überfordern. Sie werden dazu beitragen, dass immer mehr Leute AfD wählen. ({7}) Ich verstehe es nicht! Die Leute sind unzufrieden. Die Leute haben Ängste. Leider haben die Leute Ängste ob der aktuellen Entwicklung, und leider werden einige einen Sündenbock suchen. Deshalb müssen wir versuchen, die Ängste ernst zu nehmen ({8}) und das überschaubar zu halten, damit wir helfen können. Nun zu einigen Vorschlägen der gemeinsamen Lösung, die wir unterbreiten. Es sollten – das ist von meinem Kollegen schon angesprochen worden – Vorabprüfungen der Asylverfahren an den Außengrenzen vorgenommen werden, sodass diejenigen, deren Schutzgesuche keine Aussicht auf Erfolg haben, von Vornherein keinen Zutritt in die EU haben. Es braucht ein funktionierendes System in der EU. Sekundärmigration müssen wir unterbinden. Das ist schwierig, aber wir müssen nun einmal reden, reden, reden. Das hilft mehr, als immer nur kluge Reden – – mit anderen reden. ({9}) Schließlich geht es auch um die Erweiterung des Familienbegriffs. Auch das führt zu einer Sogwirkung, die wir im Moment – leider Gottes – nicht gebrauchen können. Sie sehen: Es ist sehr viel zu tun.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben vielleicht mehr Möglichkeiten als eine andere Regierung. Fast alle anderen Länder der EU wollen einen restriktiven Kurs. Blockieren Sie diesen gemeinsamen Weg nicht – zum Wohle Europas, zum Wohle des Landes. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gülistan Yüksel. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob Asylantrag, Aufenthaltsrecht oder Familiennachzug – in meiner langjährigen ehrenamtlichen Arbeit im Integrationsrat meiner Stadt habe ich viele Menschen mit Rat und Tat unterstützt. Mit der Zeit stapelten sich meine Notizen und Unterlagen zu den vielen Schicksalen – Schicksale von Menschen, die teilweise jahrelang von ihrer Familie getrennt sind, die vor Krieg und Zerstörung fliehen mussten. Am Ende standen in meinem Büro mehrere dicke Ordner, Ordner mit Namen und Sorgen, voll mit Hoffnungen und Ängsten. Auch heute fliehen Menschen vor Krieg und Zerstörung. Wir wollen ihnen Schutz bieten. Dabei sind mir drei Aspekte für eine humanitäre Flüchtlingspolitik besonders wichtig. Erstens. Wir arbeiten erfolgreich an europäischen Lösungen. So haben wir gemeinsam mit der EU die Richtlinie über den temporären Schutz aktiviert. Wir bauen – ebenfalls mit unseren europäischen Partnern – winterfeste Unterkünfte in der Ukraine, damit Menschen auch dort Schutz finden. Und: Unsere Innenministerin Nancy Faeser drängt auf eine „Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten“, um die Weiterentwicklung des europäischen Asylsystems in Gang zu bringen. Zweitens. Unsere Bundesregierung hilft den Kommunen vor Ort, und das schnell, entschlossen und pragmatisch. ({0}) So haben wir 2 Milliarden Euro an Unterstützung bereitgestellt. Wir helfen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Verteilung und Registrierung. Auch öffnen wir viele weitere Bundesimmobilien zur Unterbringung von Geflüchteten. Drittens. Wir schützen Menschen vor Rassismus und Hetze. ({1}) Wir halten dagegen, wenn das Grundrecht auf Asyl infrage gestellt wird. ({2}) Wir empören uns, wenn der CDU-Vorsitzende mit der unsäglichen Vokabel des „Sozialtourismus“ hantiert. ({3}) Und wir widersprechen dem AfD-Antrag, der behauptet, dass zu viele Asylbewerber aus Syrien staatliche Leistungen bezögen, gleichzeitig aber verschweigt, dass viele dieser Menschen zunächst gar nicht arbeiten dürfen. Das ist leider wie immer verlogen und populistisch. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein: Sehen Sie nicht nur die dicken Ordner meiner Migrationsberatung, öffnen Sie die Ordner, sehen Sie die Menschen, die dahinterstehen, hören Sie die Schicksale von Krieg und Flucht. Ich bin sicher, dann werden wir nicht auf die wenigen Angstmacher und Hetzer hereinfallen ({5}) und gemeinsam das humanitäre Recht auf Asyl verteidigen – in Deutschland und in Europa. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Misbah Khan. ({0})

Misbah Khan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005104, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während in der Ukraine Wohnhäuser, Krankenhäuser, Spielplätze und Kindergärten bombardiert werden und durch Putins Handeln in der Konsequenz die explodierten Weizenpreise für eine massive Not im Globalen Süden – – Entschuldigung. Also: Während durch Putins Handeln die explodierenden Weizenpreise die soziale Not im Globalen Süden massiv verschärfen, betreiben Sie hier fröhlich Ihre Hetze, nicht nur mit diesem Antrag, sondern schon die ganzen letzten Wochen. ({0}) – Das macht ja nichts. – Dass Sie in dieser Zeit überhaupt Ihre blaue Stunde wittern, ist widerlich. ({1}) Ich sehe hier viereinhalb Fraktionen vor mir, die alle auf ihre eigene Art und Weise versuchen und das Ziel haben, das Leben der Menschen zu verbessern, nicht nur im Allgemeinen, sondern auch gerade jetzt, wo wir mit der Krise konfrontiert sind. Das Einzige, was ich bei Ihnen sehe, ist Hetze, ich sehe Spaltung, und ich sehe Verunsicherung. ({2}) Seit Wochen spielen Sie mit der Angst. Sie instrumentalisieren diese Angst, erst beim Krieg, dann bei der Energie, und jetzt versuchen Sie, auch die Asylkrise für sich dahin gehend zu instrumentalisieren. Ehrlich gesagt, es ist schade, dass Herr Merz nicht da ist, weil er jetzt auch seine Strategie und damit den Grund für seine Wahlniederlage am vergangenen Wochenende hätte erkennen können. Es ist keine Frage, dass wir gerade eine Situation haben, in der die Kommunen teilweise stark belastet sind. Es läuft nicht alles so, wie es soll. Wir haben hier auch schon deutlich gemacht, es muss besser laufen. ({3}) Trotzdem haben wir doch folgende Situation: Wenn es auf der Welt brennt, dann suchen Menschen Schutz. Dass Flucht ein dynamisches Phänomen ist, ist kein Geheimnis. Unsere Strukturen müssen so ausgelegt sein, dass sie eine Reaktion auf ebendiese Dynamik ermöglichen. Das Grundrecht auf Asyl darf niemals gegen die Sorgen und die Ängste der Bevölkerung ausgespielt werden. ({4}) Wer das tut, greift in die unterste braune Schublade. Die europäische Migrationspolitik, um die es auch in diesem Antrag geht, ist das kleine Einmaleins der Abschottung. Wir haben Pushbacks, wir haben zwielichtige Abkommen mit Drittstaaten, und wir haben die faktische Inhaftierung von Geflüchteten auf der Tagesordnung stehen. Der einzige Lichtblick, den wir haben, ist der freiwillige Solidaritätsmechanismus ({5}) für Geflüchtete, die aus Seenot gerettet worden sind. Auch da scheitern wir tatsächlich noch an der Umsetzung. ({6}) Dass wir überhaupt Menschen aus Seenot retten müssen und es nicht schaffen, vorher in irgendeiner Form eine solidarische Antwort zu finden, ist doch das eigentliche Problem. ({7}) Wir brauchen Lösungen, die das europäische Miteinander möglich machen. Wir wollen und wir müssen grundlegende Reformen auf der europäischen Ebene bezüglich dieser Frage anstoßen. Das machen wir. Wir wollen faire und wir wollen zügige Verfahren. Was wir aber nicht wollen, ist die Aushebelung des Asylrechts auf dem Umweg über die EU. Das sind wir den Geflüchteten schuldig. Danke schön. ({8})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat weder Grenzschutz noch Europa noch Dänemark noch Logik noch nationale Interessen verstanden. Das muss man erst mal hinbekommen; das muss man erst mal schaffen. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Sie haben Grenzschutz nicht verstanden – weil das, was Sie vorschlagen, auf das Konzept hinausläuft, das der hochproblematische Martin Wagener vorgeschlagen hat, nämlich einen Schutzwall um Deutschlands Grenzen, weil lückenlos kontrolliert werden muss, mit mehreren Zehntausend Grenzbeamtinnen und Grenzbeamten. Diesen Vorschlag, analog zur Situation in der DDR – das können Sie alles nachlesen, 7. September 2018 –, hat Alice Weidel ausdrücklich in einer Pressemitteilung gewürdigt. Das ist Ihre Vorstellung von Grenzschutz. Sie haben Europa nicht verstanden. Dänemark kann überhaupt nur via Maastricht die Opt-out-Regelung in Anspruch nehmen. Deutschland kann das gar nicht, selbst wenn es wollte, ansonsten begeht es Rechtsbruch. Sie haben selbst Dänemark nicht verstanden. Denn sogar Dänemark, dieses migrationspolitisch hoch fragwürdige, restriktive Dänemark – das wüssten Sie, wenn Sie sich mal die Mühe machten, in die Papiere zu schauen –, hat konzediert und zugeben müssen, dass man, solange in Ruanda keine rechtsstaatlichen Verhältnisse herrschen und dort keine Verfahren sichergestellt werden können, ein Asylzentrum in Ruanda überhaupt nicht aufbauen kann. Deshalb funktioniert dies auch nicht. Also haben Sie selbst Ihr heißgeliebtes Dänemark nicht verstanden. Und noch etwas: Dänemark agiert damit auf Kosten Deutschlands – Boris Pistorius hat das selbst im dänischen Parlament gesagt –; denn Leidtragender ist nicht Dänemark, sondern die anderen Länder, die dann entsprechend einspringen müssen. Sie haben aber auch Logik nicht verstanden. Es erschließt sich mir rein logisch nicht, warum, wenn sich das größte Land Europas migrationspolitisch komplett aus der Solidarität verabschiedet, in einem wundersamen, logischen Schluss und aus tiefster Dankbarkeit ganz Europa sagen sollte: Wir bauen jetzt extra für Deutschland eine lückenlose Grenzsicherung an Europas Außengrenzen; wir schicken die Leute nicht mehr durch, sondern aus Dankbarkeit für die Unsolidarität Deutschlands sind wir besonders solidarisch und registrieren die Menschen. – Diese Logik muss man mir mal erklären. ({1}) Als Letztes – das werden Sie als selbsternannte Patrioten ganz besonders gerne hören –: Sie verstoßen zutiefst gegen nationale Interessen Deutschlands. Zum einen wäre ein so grenzgesichertes Deutschland ein DDR-artiges Deutschland, in dem niemand in diesem Raum leben möchte. Außerdem würde das bedeuten, dass kein deutscher Bahnhof mehr durch Bundespolizisten gesichert wäre, weil alle ihr ganzes Berufsleben an deutschen Grenzen verbringen müssten. Sie verstoßen ferner gegen deutsche Interessen, weil wir alle Vorteile Europas, die wir jetzt genießen, nicht mehr nutzen könnten.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie verstoßen weiterhin gegen nationale Interessen Deutschlands, weil Sie genau das Land in Europa beweihräuchern und loben, das gegenwärtig integrations- und migrationspolitisch auf Deutschlands Kosten lebt. – Herzlichen Glückwunsch zu dieser Komplexleistung! Schönen Abend. ({0})