Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/30/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Christian Lindner (Minister:in)

Politiker ID: 11004097

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Wir befinden uns in einem Energiekrieg. Knappheiten beim Gas werden zu einer Waffe gemacht. Diese Waffe wird gegen uns eingesetzt – gegen unsere Wirtschaft, gegen die Menschen in diesem Land. Das Ziel ist klar: Es soll unser Wohlstand erschüttert werden, es soll unsere wirtschaftliche Struktur getroffen werden, um am Ende dafür zu sorgen, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt erodiert, mit der Absicht, dass die Solidarität dieses Landes gegenüber der Ukraine endet. Das ist das Kalkül von Putin. Wir senden das klare Signal aus: Er wird mit dieser Absicht scheitern. ({0}) Wir setzen unsere wirtschaftliche Stärke ein, um die Menschen in diesem Land und unsere Wirtschaft zu schützen, um das, was Menschen sich über Jahrzehnte an persönlichem, aber auch an gesellschaftlichem Wohlstand aufgebaut haben, und um unseren Mittelstand, die Industrie, all das, was soziale Sicherheit und wirtschaftliche Stärke in diesem Land ausmacht, zu bewahren. Die temporäre Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und im Übrigen auch Fernwärme fügt sich ein in ein Maßnahmenpaket, das die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und auch in dieser Woche, am gestrigen Tag, noch einmal präzisiert hat. Die Gaspreise steigen, und der Staat darf nicht Profiteur dessen sein, dass für die Menschen das Leben teurer wird. ({1}) Wir unternehmen alles, um die Gaspreise insgesamt zu reduzieren: ({2}) Der Bundeskanzler ist im Ausland unterwegs, um langfristige und günstige neue Lieferquellen zu erschließen. Wir nutzen die durch öffentliches Geld aufgefüllten Gasspeicher im Winter, um ebenfalls Marktsignale zu senden, indem wir auch wieder ausspeichern. Wir sorgen für Energieeffizienz. Und wir beraten, gerade heute übrigens, auf der europäischen Ebene über andere, gemeinsame Maßnahmen. Der Gaspreis muss insgesamt runter; aber er wird immer noch so hoch bleiben, dass er für die Menschen und die Wirtschaft eine Belastung darstellt. Deshalb leistet der Staat seinen Beitrag dadurch, dass er seine Steuerlast auf diesen Gaspreis reduziert. ({3}) Wir haben entschieden, auch die Fernwärme in diese temporäre Steuersenkung miteinzubeziehen. Damit werden den Menschen gesamtstaatlich weitere 2,1 Milliarden Euro Entlastung für die Laufzeit dieser Maßnahme als Vorteil zuteil. Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Maßnahme heute fügt sich in den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Abwehrschirm gegen diesen Energiekrieg ein. Wir mobilisieren über die Ertüchtigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds 200 Milliarden Euro zweck- und zielgerichtet für Maßnahmen, die im engen Zusammenhang mit dem Energiekrieg stehen. Es geht nicht darum, allgemeine Vorhaben der Ampelkoalition, so wünschenswert sie auch seien, zu verwirklichen; sondern es geht darum, jetzt solidarisch mit den Menschen in diesem Land zu sein und unsere wirtschaftliche Stärke zu mobilisieren, um sie für die Zukunft zu erhalten. ({4}) Damit senden wir gewissermaßen ein doppeltes Signal. Das erste Signal ist eines an Putin, dass wir uns in unserer Haltung nicht erschüttern lassen, sondern eine All-in-Strategie wählen, um unser Land zu schützen. Wir senden aber auch ein zweites Signal, ein Signal an die internationalen Kapitalmärkte: Wir stellen einen Abwehrschirm auf, um uns zu schützen. Hinter diesem Abwehrschirm aber werden wir weiter gemäß den Regeln der Schuldenbremse wirtschaften – ein klares Signal an die Kapitalgeber auf der Welt, an diejenigen, die deutsche Staatsanleihen kaufen. Der Goldstandard der Staatsfinanzierung wird weiter Deutschland sein. Hinter dem Abwehrschirm bleiben wir solide. Damit ist ein Signal gesendet, dass wir in der Kontinuität der deutschen Stabilitätspolitik verbleiben werden. ({5}) Hinter diesem Abwehrschirm schützen wir nicht nur unsere Staatsfinanzen in der langfristigen Kontinuität, sondern wir erneuern auch unsere Energieversorgung und bringen alle Kapazitäten ans Netz, die wir haben, etwa Kohle. Wir beschleunigen den Zubau der erneuerbaren, von mir so genannten Freiheitsenergien. ({6}) Und wir sind auch Schritte gegangen, um Kernenergie für diese Krisensituation zu mobilisieren. Es besteht zum Zweiten die Notwendigkeit, unsere Wirtschaft zu stärken und zu erneuern; denn das neue Normalniveau der Gaspreise wird höher sein als das, was wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gehabt haben. Wir nutzen also jetzt den Abwehrschirm mit der temporären Subventionierung von Energie inklusive der Senkung der Umsatzsteuer, ({7}) um dahinter das deutsche Geschäftsmodell zu erneuern. Dafür mobilisieren wir auch im Bundeshaushalt Rekordinvestitionen. Aber das alleine wird nicht reichen; die Wirtschaft selbst muss sich ja erneuern. Der Beitrag, den die Politik dazu leisten kann, ist, sie nicht zusätzlich zu beschweren und zu fesseln. ({8}) Deshalb gehört zu diesem Abwehrschirm, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch, dass zumindest die Bundesregierung auf unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratielasten während der Zeit der Krise verzichten will. Wir haben ein Belastungsmoratorium verabredet. Ich glaube, sinnvoll wäre, über den Verzicht auf zusätzliche Belastungen hinaus, auch die gegenwärtigen Belastungen und Fesseln, die uns bremsen, in den Blick zu nehmen. Da gibt es noch unverändert viel zu tun. Alleine beim Fuel Switch, beim Wechsel von Energieträgern, haben wir unverändert so viele bürokratische Fesseln, die uns bei der Transformation bremsen. Es wäre ein guter Rat an uns, diese Fesseln zu lösen. Vielen Dank. ({9})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Mathias Middelberg. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, das, was wir heute diskutieren, die Absenkung der Umsatzsteuer auf Gas, ist richtig. Wir hätten darüber schon viel früher diskutieren können; denn wir als CDU/CSU-Fraktion haben sie hier im Hause schon im Februar beantragt. Damals waren Sie noch dagegen. ({0}) Dieser Entwurf ist jetzt eine Notlösung, weil Sie inzwischen festgestellt haben, dass Sie mit der Gasumlage die Verbraucher zusätzlich belasten, und sich überlegt haben, wie Sie diese Belastung durch eine gewisse Entlastung wieder ausgleichen können. Dadurch haben wir jetzt hier diese Debatte. Aber immerhin: Das Ganze beruht auf Ihrer Fehlkonstruktion, der Gasumlage. Das haben Sie jetzt glücklicherweise erkannt. Ich will gar nicht die ganze Geschichte wieder hervorholen: Zweimal haben wir hier die Gasumlage zur Abstimmung gestellt, zweimal haben Sie für Ihre Gasumlage gestimmt. Jetzt haben Sie erkannt, dass die Gasumlage – ja, was soll man sagen? – Mist ist, untauglich ist, eine Fehlkonstruktion ist. Sie beerdigen heute Ihre Gasumlage – einen Tag bevor sie morgen in Kraft getreten wäre – und sind stattdessen zu der Auffassung gekommen, eine Gaspreisbremse, eine Entlastung der Bürger sei sinnvoll. Dazu allerdings sagen wir dann tatsächlich: Herzlichen Glückwunsch! Wir hätten uns gewünscht, diese Erkenntnis wäre Ihnen früher gekommen, und zwar deutlich früher. ({1}) Diese Entlastung der Verbraucher, die heute hier zur Debatte steht, ist wichtig; aber ein großer Wurf ist dieser Schritt nun tatsächlich nicht. ({2}) – Nein, nein; es ist so, wie es ist. Die Gaspreise sind so, wie sie sind. Der Bundeskanzler hat doch hier vorgerechnet, es wäre jetzt eine ganz tolle Entlastung. ({3}) Das ist natürlich völliger Käse; denn die Leute sind jetzt mit dem drei-, vier-, fünffachen Gaspreis konfrontiert. Wenn sie vorher eine Gasrechnung über 1 000 Euro hatten und darauf 19 Prozent Mehrwertsteuer gezahlt haben, dann mussten sie 190 Euro Mehrwertsteuer zahlen. Wenn sie jetzt die dreimal so hohe Gasrechnung von 3 000 Euro haben, dann zahlen sie zwar nur 7 Prozent; das sind dann aber 210 Euro Mehrwertsteuer. Das heißt, sie zahlen am Ende sogar mehr Mehrwertsteuer. Und das ist ja Ihr Problem: Sie verstehen einfach nicht, dass Sie aufgrund dieser irren Inflation, ({4}) dieser stattfindenden wahnsinnigen Inflation doch permanent massive Mehreinnahmen haben. Das müssten Sie den Bürgern mal ehrlich sagen. Also, in vielen Bereichen brauchen Sie gar keine Schulden zu machen, sondern Sie müssen nur intelligent mit den Mehreinnahmen umgehen und sie nicht ständig in Gießkannenprogrammen verprassen. ({5}) Jetzt kommen wir mal zum eigentlichen Kern. Sie haben da jetzt ein ganz tolles sechsseitiges Papier vorgelegt. Der eine sagt „Abwehrschirm“, der andere sagt „Doppel-Wumms“; da müssen Sie sich jetzt noch über die Terminologie einigen. ({6}) In erster Linie ist dieses Papier zum jetzigen Zeitpunkt nichts anderes als ein Schulden-Wumms. Das sage ich Ihnen mal ganz deutlich. ({7}) Sie stellen 200 Milliarden Euro neue Schulden ins Schaufenster, aber was Sie damit finanzieren wollen, ist völlig unklar. Es gibt auch gar keine Kalkulation oder irgendeine Berechnungsgrundlage, ({8}) die nachvollziehbar wäre. ({9}) Immerhin haben Sie jetzt erkannt, dass Sie eine Preisbremse brauchen und keine Umlage – dazu noch mal herzlichen Glückwunsch! –, nach vielen Wochen und Monaten. ({10}) Aber dazu, wie Sie jetzt diese Gaspreisbremse konkret ausgestalten wollen, steht nichts in Ihrem Papier. Auch dazu, wie die Strompreisbremse aussehen soll, steht nichts in Ihrem Papier. Wie Sie jetzt konkret Betriebe und Unternehmen in der Krise stützen wollen, wie viel Geld die zu erwarten haben, wie viel Preisentlastung – auch dazu steht nichts in Ihrem Papier. Das ist leider die Wirklichkeit. ({11}) Dann führe ich eben mit Ihrem Kollegen von der FDP draußen ein Gespräch, der dann noch sagt: Die Kernkraftwerke müssen weiterlaufen. – Alles klar, aber dazu steht nichts in Ihrem Papier. ({12}) Sie haben gestern, um das noch mal klar zu sagen, nichts anderes als 200 Milliarden Schulden-Wumms präsentiert. ({13}) Wir warten jetzt aber immer noch auf den Wumms, der dann irgendwann kommt, worin Sie konkret sagen, welche Maßnahmen Sie damit finanzieren und umsetzen wollen ({14}) und wie Sie die Bürger in diesem Land entlasten wollen. Das weiß bis zur Stunde keine Socke. Das ist die Wirklichkeit. Sie haben bisher in dieser Krise Fehler über Fehler gemacht, und das ist wirklich traurig genug. ({15}) Das muss man einfach mal in Erinnerung rufen. ({16}) Sie haben den ganzen Sommer mit Ihren internen Streitereien verdaddelt. Jetzt verweisen Sie auf Ihre Expertenkommissionen. Ja, die hätten doch schon längst fertig sein können mit der Arbeit! ({17}) Die hätten Sie schon vor Wochen einsetzen können. Dann hätten wir die konkreten Vorschläge auf dem Tisch. Die richtige Reihenfolge wäre doch gewesen: Sie hätten die Experten arbeiten, Vorschläge machen lassen, und dann hätten wir uns darüber unterhalten, was diese Vorschläge kosten. ({18}) Jetzt sind Sie doch panisch den anderen Weg gegangen, weil Sie gesehen haben: O Gott, da kommt jetzt die Gasumlage, dieser Blödsinn, den wir beschlossen haben; ({19}) der tritt morgen in Kraft, und deswegen müssen wir in dieser Woche ganz schnell – panisch – noch einen anderen Finanzierungsweg aufzeigen. Deswegen sind Sie doch in diese Panik verfallen, in dieser Woche diese Pressekonferenz zu machen, wo Sie nichts Konkretes mitteilen, außer dass Sie 200 Milliarden Euro Schulden machen. ({20}) Diese Aktion hätte komplett andersherum laufen müssen. ({21}) Sie hätten jetzt ganz konkret sagen müssen, was Sie mit der Gaspreisbremse, was Sie mit der Strompreisbremse machen. ({22}) Wie fördern Sie die Unternehmen in Deutschland? Wie gestalten Sie diesen Abwehrschirm wirklich konkret? Und dann hätten Sie sagen müssen, wie Sie jetzt ganz zügig mehr Kohlekraftwerke ans Netz bringen, um das Angebot zu vergrößern. ({23}) Was machen Sie ganz konkret mit den Kernkraftwerken? Und da sage ich Ihnen auch: ({24}) Es ist naiv und unverantwortlich, gerade das, was die Grünen in Niedersachsen machen. Das sage ich Ihnen einmal ganz deutlich. ({25}) Wir sind in der größten Energiekrise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. ({26}) In dieser Situation darf man überhaupt nicht auf die Idee kommen, auch nur irgendein Kraftwerk abzuschalten, und zwar völlig egal, wie es betrieben ist, ({27}) ob mit Kohle oder mit Kernkraft; das spielt überhaupt gar keine Rolle. ({28}) Sie dürfen jetzt kein einziges Kraftwerk abschalten. Das ist die Wirklichkeit. Der nächste Winter wird schon heftig genug; der übernächste wird wahrscheinlich noch heftiger werden, weil wir dann nämlich keine vollen Speicher haben, die wir in diesem Jahr noch mit russischem Gas vollfüllen konnten. ({29}) Deswegen ist es noch unverantwortlicher, wenn Sie jetzt Kraftwerke abstellen wollen. ({30}) Wir warten immer noch auf Ihre konkreten Vorschläge, wie Sie das Problem lösen wollen. ({31}) Bisher gibt es nur einen Schulden-Wumms und keine konkreten Vorschläge. ({32})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Tim Klüssendorf. ({0})

Tim Klüssendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Middelberg, ich hatte schon in der letzten Sitzungswoche gesagt, dass ich mich eigentlich immer freue, in der Debatte auf Ihre Vorschläge einzugehen. Ich kann mich nur wiederholen: Auch in dieser Debatte habe ich keinen einzigen Vorschlag von Ihnen gehört, wie Sie das besser machen würden. ({0}) Sie haben uns insgesamt drei Vorwürfe gemacht. Der erste Vorwurf ist, wir handelten zu langsam. In Anbetracht dessen, was ich von Ihrer Fraktion in diesem gesamten Jahr an Vorschlägen gehört habe, kann ich nur sagen: Hätten wir all dem zugestimmt, dann wäre dieser Haushalt nicht nur mehrfach überzeichnet, sondern die Maßnahmen würden sich alle auch noch widersprechen. Wir können dankbar sein, dass wir unserem strategischen, gut organisierten Weg gefolgt sind und nicht Ihren Vorschlägen. ({1}) Ein weiterer Punkt. Der Vorwurf, wir seien zu langsam, entbehrt doch jeglicher Grundlage. Wir haben in diesem Jahr bereits – wenn ich das, was gestern vereinbart worden ist, noch als weiteres Entlastungspaket dazuzähle – vier Entlastungspakete verabschiedet. ({2}) Wir sind mittlerweile bei insgesamt fast 300 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, von welcher Regierung Sie mehr verlangen würden. Wir handeln entschlossen, schlagkräftig und schnell, ({3}) und wir tun etwas für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. ({4}) Das entkräftet nämlich genauso auch den Vorwurf, dass das kein großer Wurf sei. Ich erinnere mich noch gut daran, was hier los war, als der Bundeskanzler im Februar das Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro verkündet hat. Bei Ihnen war hier Volksfeststimmung. Aber 200 Milliarden Euro für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen sind kein großer Wurf? Ich weiß nicht, in welchen Dimensionen Sie denken. Das ist deutlich ein großer Wurf und eine wirksame Entlastung. ({5}) Zum letzten Punkt, wir würden keine Details benennen. Ohne jetzt noch einmal auf die Kommission hinzuweisen oder Ähnliches: Ich erinnere mich nur an Ihren Antrag bezüglich eines Inflationsausgleichs. Der wurde in der Anhörung zerrissen – wir alle wissen, wie Anhörungen funktionieren und wie Experten dazu eingeladen werden –; der wurde unisono zerrissen. ({6}) Alle Ihre Vorschläge haben weder Details noch Inhalte. Bitte vertrauen Sie dieser Bundesregierung! ({7}) Sie handelt gut und richtig, schnell und schlagkräftig. ({8}) Jetzt habe ich leider nur noch die Hälfte meiner Redezeit übrig. Ich wollte eigentlich noch so viel zur Mehrwertsteuersenkung sagen. ({9}) Grundsätzlich freue ich mich wirklich – das meine ich jetzt ganz ernst –, dass die Entlastung über die Mehrwertsteuer auch weiterhin Bestand hat. Denn mit dem Abwehrschirm, den wir gestern in der – Große Koalition, sage ich schon – Ampelkoalition vereinbart haben, haben wir natürlich eine ganze Reihe von Maßnahmen vereinbart, aber vor allen Dingen unter Punkt 6 auch weiterhin die Mehrwertsteuersenkung. Die Mehrwertsteuersenkung entlastet die Bürgerinnen und Bürger direkt, und dies vor allen Dingen schon ab dem 1. Oktober. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil die Heizperiode jetzt beginnt und die wirksame Entlastung jetzt schon eintritt. ({10}) Ich freue mich auch darüber hinaus, dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist – der Bundesfinanzminister hat es gesagt –, auch die Fernwärme einzubeziehen. Gerade in Ostdeutschland gibt es eine ganze Menge an Haushalten, die über Fernwärme beheizt werden. Ich denke da zum Beispiel an eine Stadt wie Zwickau, wo über die Hälfte aller Haushalte mit Fernwärme beheizt wird. Ich glaube, diese zusätzlichen 2,1 Milliarden Euro sind auch ein ganz wichtiger Schritt zur Entlastung. ({11}) Insgesamt sind es rund 13 Milliarden Euro an Entlastung über die Senkung der Umsatzsteuer, die die Bürgerinnen und Bürger direkt erreichen und die zusätzlich zum Abwehrschirm wirken. Ich glaube, es ist wirklich ein gutes Gesetz, das ab 1 Oktober gilt und einen Umfang hat, von dem man sagen kann, dass es wirklich ein großer Wurf ist. ({12}) Ein weiterer Punkt ist in diesem Gesetz auch noch untergebracht worden – das möchte ich gerne noch erwähnen –, und zwar ist das die Steuerbefreiung für die Inflationsausgleichsprämie. Wir haben viel darüber gesprochen, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber möglicherweise im Moment nicht in der Lage sind, diese Ausgleichsprämie zu bezahlen. Dazu möchte ich gerne aus einem Artikel zitieren, den ich vor zwei Tagen gelesen habe: Die deutschen DAX-Konzerne haben die Vorstandsgehälter im letzten Jahr um 25 Prozent erhöht. – Das Argument, dass die Unternehmen in Deutschland nicht in der Lage sind, eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen, die wir heute steuerbefreit machen, zählt für mich nicht. ({13}) Wer in der Lage ist, Vorständen 25 Prozent mehr zu bezahlen, der muss auch in der Lage sein, für die breite Belegschaft Inflationsausgleichsprämien zu bezahlen. Die machen wir heute steuerfrei. ({14}) – Die AfD ist wirklich die letzte Fraktion, von der ich Vorschläge brauche. Also vielen Dank, Herr Gottschalk. ({15}) Insgesamt sprechen wir hier also von einem Gesetzespaket, das die Umsatzsteuersenkung und die Steuerbefreiung für die Einmalzahlung vorsieht. Es fügt sich ein in den Abwehrschirm, der gestern vereinbart worden ist. Ich kann mich nur wiederholen: Diese Regierung löst ihr Versprechen ein, das wir gegeben haben, dass wir niemanden in diesem Land alleinlassen. Das lösen wir hiermit ein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({16})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Klaus Stöber. ({0})

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Lassen Sie mich noch einmal kurz auf den Verfahrensweg dieses Gesetzes eingehen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Regieren im Moment nicht gerade einfach ist. Aber es hat Sie auch keiner gezwungen, dieses Amt anzunehmen. Anstatt in den nächsten drei Jahren ein rot-grünes Ideologieprojekt umzusetzen, müssen Sie sich mit der größten Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik befassen. Und man muss feststellen: Sie sind damit total überfordert. ({0}) Sie bringen während der Finanzausschusssitzung einen Änderungsantrag ein, den keiner kennt, und Sie setzen drei Stunden nach der Sitzung eine Sondersitzung an, weil Ihnen plötzlich einfällt, dass Sie die Fernwärme vergessen haben. Das ist doch unprofessionell! Damit zeigen Sie auch, dass Sie auf die Sachverständigen in der Anhörung überhaupt nicht gehört haben; denn dort ist dieser Punkt explizit angesprochen worden. Sie hätten also genug Zeit gehabt, um bis Mittwoch 10 Uhr diesen Punkt einzuarbeiten – haben Sie nicht gemacht. Das zeigt, dass die Anhörungen für Sie reine Alibiveranstaltungen sind. Das finde ich echt traurig für die Demokratie. Und dass im Gesetzentwurf die Laufzeit der Umsatzsteuersenkung immer noch an die Gasumlage geknüpft ist, die ja nun höchstwahrscheinlich wegfällt, ist nicht nur ein handwerklicher Fehler. Trotzdem stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu, weil er ein erster Schritt ist, um zumindest die Privathaushalte, Kommunen, Krankenhäuser usw. von den hohen Gaskosten zu entlasten. Auch der Inflationspauschale von 3 000 Euro stimmen wir zu. Herr Kollege Klüssendorf, dass Sie sich als SPD-Mitglied an den DAX-Konzernen orientieren, das finde ich schon erstaunlich. ({1}) Die Frage ist nämlich, ob alle Unternehmen, insbesondere die kleinen Unternehmen, in der Lage sind, diese Pauschale zu zahlen. Mich haben inzwischen sehr viele angerufen und gefragt: Was beschließt ihr denn da? Da werden natürlich die von hohen Spritkosten und Energiekosten geplagten Arbeitnehmer sehr schnell ihre Chefs fragen: Wann bekomme ich denn diese 3 000 Euro ausgezahlt? Der Kleinunternehmer wird sagen: Ja, würde ich dir gerne zahlen, ich habe aber leider gerade zwei hohe Strom- und Gasrechnungen bei mir auf dem Schreibtisch liegen und kann dir das im Moment nicht auszahlen. – Das geht sehr vielen so. Das wird sehr viel Frust auslösen. Wir können eigentlich nur hoffen, dass bis Ende 2024 jeder diese Pauschale erhalten hat. Und da sind wir bei den Unternehmen, insbesondere bei den KMU, die bereits seit Anfang des Jahres durch die hohen Spritpreise und nun durch die exorbitanten Energie- und Gaspreise belastet sind. Denen hilft Ihre Umsatzsteuersenkung überhaupt nicht. Je nachdem, wie energie- und gasintensiv diese Unternehmen sind, stehen inzwischen viele vor dem Aus. In meinem Wahlkreis müssen heute, am 30. September, drei Bäckereien, alles Familienbetriebe, schließen. In Kahla und Triptis geht am Ende des Jahres eine mehr als 150-jährige Tradition der Porzellanindustrie in Thüringen zu Ende. Was haben Sie für diese Unternehmen für Hilfsangebote? Ihr 200-Milliarden-Paket? Da bin ich sehr gespannt. Kommen wir zurück zum Gas- und Strompreis. Sie bekämpfen mit Ihren teuren Entlastungspaketen nur die Symptome, aber nicht die Ursachen. Zu diesen Ursachen gehört eben auch Ihre total verkorkste Energiepolitik. Es ist eben ein Unding, anzunehmen, man könnte einen Industriestaat wie Deutschland ausschließlich mit Windkraft und Solar am Leben erhalten. ({2}) Während weltweit neue moderne Atomkraftwerke gebaut werden, wollen Sie die letzten AKW in Deutschland abschalten. Dabei hat der Chef des TÜV ausdrücklich festgestellt, dass sowohl die aktuell laufenden AKW weiterbetrieben werden können, als auch mit relativ kurzer Anlaufzeit die letztes Jahr abgeschalteten AKW wieder ans Netz gehen könnten. Aber bei Ihnen geht grüne Ideologie vor Vernunft und vor allem gegen die Interessen des deutschen Volkes. Und das ist, auf die Regierung bezogen ({3}) – Sie können jetzt ruhig sein –, ein Bruch Ihres Amtseides! ({4}) Wir müssen hier auch über Russland und die Sanktionen sprechen. Das füge ich extra für Herrn Schrodi ein, der leider heute nicht da ist; er hatte mich ja als fünfte Kolonne und zukünftigen Pressesprecher von Putin tituliert. ({5}) Eins will ich mal klarstellen, Herr Kollege Klüssendorf: Ich betrachte Putin nicht als Demokraten, und ich verurteile den Angriff auf die Ukraine als völkerrechtswidrig. ({6}) Aber welcher Krieg ist denn nicht völkerrechtswidrig? Etwa der Krieg der USA in Vietnam oder der Angriff auf den Irak? War das nicht völkerrechtswidrig? Ich denke, schon. Wenn wir schon solche Einstufungen vornehmen, dann bitte auch für alle. ({7}) Ich war am Sonntag auf einer Veranstaltung in der Kirche in Farnroda, in meinem Heimatort. Da hat der Superintendent der evangelischen Kirche in Eisenach gesagt: Es gibt keine gerechten, und es gibt keine ungerechten Kriege, weil Kriege bedeuten immer nur Tod und Zerstörung. – Dem schließe ich mich hundertprozentig an. Und was bringen diese Sanktionen? Seriöse Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in Russland in diesem Jahr um 5 bis 8 Prozent zurückgeht. Das ist nicht wesentlich mehr als der Einbruch im Coronajahr 2020 in Deutschland. So wie wir Corona 2020 überstanden haben, so übersteht auch Russland diese Sanktionen. ({8}) Übrigens gehen die gleichen Wirtschaftsinstitute inzwischen davon aus, dass wir im nächsten Jahr einen Rückgang von 7,9 Prozent zu verkraften haben. 7,9 Prozent! Da kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch an die Ampel. Auf die Auswirkungen auf die einheimischen Firmen durch die Russlandsanktionen gehen Sie überhaupt nicht ein. Ich kenne sehr viele Firmen, gerade bei uns in Ostdeutschland, die sehr enge Wirtschaftsbeziehungen sowohl in die Ukraine als auch nach Russland haben. Die stehen im Moment vor leeren Kassen, weil sie aufgrund des Krieges nicht in die Ukraine exportieren können und aufgrund der Sanktionen auch nicht nach Russland. Das ist aber von Ihnen vollkommen ausgeblendet. Über die Sabotage bei Nord Stream freuen sich bestimmt einige Abgeordnete hier im Saal, aber vor allen Dingen die USA, denen unsere bisher guten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland immer schon ein Dorn im Auge waren. ({9}) Aber nun gibt es keine Alternative mehr. Wir müssen das teure Flüssiggas aus den USA und anderswo einkaufen. Kanzler Scholz und Minister Habeck, heute nicht da ({10}) – regen Sie sich doch nicht auf, wir sind doch noch gar nicht fertig –, ({11}) waren jetzt auf Einkaufstour, unter anderem in Katar. Katar – das muss man sich echt mal auf der Zunge zergehen lassen. Wir brechen die Beziehungen zu Diktator Putin ab und lassen uns von einer Diktatur mit Flüssiggas und Öl beliefern. Die in Katar wissen gar nicht, was Menschenrechte sind. Frauen dürfen ohne Zustimmung ihres Mannes überhaupt nichts machen. ({12}) Frauen unter 25 dürfen ohne Zustimmung ihres Mannes nicht aus dem Haus. Frauen dürfen ohne Zustimmung ihres Mannes keine Reisen antreten. Eine Frau, die eine Vergewaltigung anzeigt, riskiert eine Gefängnisstrafe. Homosexualität – das wird hier ja so propagiert – ist eine Straftat und wird mit 100 Peitschenhieben und bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. ({13}) – Das hat etwas damit zu tun. Sie kaufen Gas ein in Ländern, die nicht demokratisch sind. Das müssen Sie sich anhören. ({14}) Die 300 000 Katarer beuten 3 Millionen Gastarbeiter aus, behandeln diese wie Sklaven. Das ist nicht mein Sprech, das ist nicht meine Information, das können Sie der Sendung „Kontraste“ von letzter Woche entnehmen. Und das sind nun unsere neuen Handelspartner, vor denen Minister Habeck einen Bückling macht? Schämen Sie sich! Das ist eine Schande für die deutsche Außenpolitik. ({15})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich möchte zum Schluss noch etwas sagen, gerichtet an den Kollegen Merz. Sie hatten sich intensiv mit den Montagsdemonstrationen auseinandergesetzt und die Teilnehmer denunziert. Ich kann Ihnen eins sagen: Das sind keine AfD-Leute, die dort herumlaufen; das sind ganz normale Bürger, ({0}) darunter auch viele CDU-Mitglieder. Kommen Sie mal nach Eisenach; dort werden Sie keine AfD-Fahne sehen, sondern einfach nur Bürger, ({1}) die die Schnauze voll haben von Ihrer Politik. Vielen Dank. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Beck. ({0})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Zur Union nur so viel: Erst uns von Putins Gas abhängig machen, dann unfassbar viel fordern und überhaupt nicht sagen, wie das finanziert werden soll, das ist unseriös. ({0}) Zum Thema. Die Gaspreise und die Energiekosten müssen jetzt sinken. 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben keine Rücklagen. 33 Millionen Menschen in Deutschland haben also keinen Puffer, jetzt Hunderte von Euro Mehrkosten zu stemmen. Diese krasse Energiepreiskrise trifft Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen deutlich härter als andere; es ist wichtig, das immer vor Augen zu haben. Die circa 13 Milliarden Euro schwere befristete Mehrwertsteuersenkung bei Gas und Fernwärme kann einen Beitrag zur Entlastung leisten. Bei vollständiger Weitergabe an die Endverbraucher/-innen würden die Preise um circa 10 Prozent gedämpft; das ist gut. Aber die Preisentwicklung ist viel extremer. Die Verbraucherpreise beim Gas sind im September um außerordentliche 230 Prozent gestiegen – dramatisch vor allem für die vielen ohne Rücklagen. Daher ist es so gut, dass die Mehrwertsteuersenkung Teil eines größeren Konzepts ist. Nach bisher 95 Milliarden Euro in drei Entlastungspaketen hat die Regierung gestern einen 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm vorgeschlagen, mit dem der Gas- und Strompreiskrise auf der Angebotsseite – das ist so wichtig – mit nie dagewesenen Preisbremsen begegnet werden soll. ({1}) Neben dem herausragenden Kraftakt, die Gasspeicher trotz Putin zu füllen, nun ein weiterer entscheidender Schritt dieser Ampel! Es ist sehr gut, dass bei der Strompreisbremse ein Basisverbrauch, und zwar für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und KMUs, subventioniert werden soll und bei der Gaspreisbremse Ähnliches vorgesehen ist. Auch dass die Zufallsgewinne der Stromproduzenten bei der Strompreisbremse zur Finanzierung herangezogen werden, ist ein sehr guter Mechanismus der breiten Finanzierung. Wir drücken dem Wirtschaftsminister die Daumen, der in diesen Momenten beim Treffen der EU-Energieminister verhandelt, dass eine funktionierende Abschöpfung der Übergewinne, auch der fossilen Energien, beschlossen wird – der Energien, die diese Preiskrise überhaupt erst ausgelöst haben. Diese Übergewinne werden unter anderem auch auf dem Rücken der Autofahrerinnen und Autofahrer erzielt, die nach wie vor fast 50 Prozent an zusätzlicher Gewinnmarge mehr als früher zahlen müssen, und zwar nur wegen der Marktmacht, die wir nun auch endlich mit dem Kartellrecht angehen werden. ({2}) Noch mal zur Umsatzsteuer. Der Gasverbrauch in Deutschland erfolgt zu zwei Dritteln durch die Wirtschaft. Die Mehrwertsteuersenkung beim Gaspreis kommt bei den unter den Preisen leidenden Kleinst- und Kleinunternehmen, bei den Selbstständigen und im Mittelstand leider nicht an; denn die Mehrwertsteuer ist für sie ein durchlaufender Posten. Und auch deswegen ist es so wichtig, dass die Finanzierung für das Energiekostendämpfungsprogramm und für die Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen nun durch den Abwehrschirm gesichert ist. Hier wollen und werden wir nun sehr schnell ins Handeln kommen. ({3}) Wir haben im Bundestag mit dafür gesorgt, dass für die Verbraucher/-innen auch Fernwärme begünstigt besteuert wird. Rund 6 Millionen Haushalte werden in Deutschland mit Fernwärme beheizt, der Großteil Mietwohnungen. Es ist wichtig, gerade diese zu entlasten. Trotzdem muss man objektiv sagen: Umsatzsteuersenkungen sind weder ökonomisch noch sozial die besten Instrumente zur Entlastung. Dass sie an die Verbraucher/-innen weitergegeben werden, kann der Staat leider nicht garantieren, und außerdem entlastet man diejenigen, die viel verbrauchen und tendenziell mehr Geld haben, mehr als diejenigen, die wenig verbrauchen und tendenziell weniger Geld haben. Trotzdem ist das Gesamtpaket sehr, sehr gut. ({4}) Auch wenn es nach einem solch großen Betrag gestern seltsam klingen mag: Ich muss leider warnen und fordere, dass wir weiterschauen, ob wir die vielen Millionen Menschen, die überhaupt keine Rücklagen haben, ausreichend unterstützen. Sie brauchen es am meisten. Darauf müssen wir weiter achten. Ich freue mich auf die weitere sehr gute, konstruktive Zusammenarbeit mit meinen Ampelpartnern und Ampelpartnerinnen und meiner Fraktion. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Christian Leye. ({0})

Christian Leye (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005127, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was für ein Chaos! Zuerst lassen Sie sich ein Gesetz von den Energiekonzernen schreiben, damit die Bürger für deren Ausfälle mit der Gasumlage blechen sollen. Dann wollen Sie die Umsatzsteuer auf die Gasumlage weglassen, damit Ihnen niemand vorwerfen kann, dass der Staat daran auch noch verdient. Dann muss Ihnen die EU sagen: Das dürfen Sie gar nicht. – Also beschließen Sie eine Umsatzsteuerreduzierung bei Gas und verkaufen das als einen großen Ausgleich zur Gasumlage, verschweigen aber, dass ein Drittel der Haushalte trotzdem draufzahlen muss. Dann machen Sie das Ganze auch noch so schlecht, dass gar nicht alle Gaskunden einbezogen sind. ({0}) Und dann erwarten Sie, dass die Konzerne die Steuersenkung eins zu eins weitergeben, obwohl wir doch beim Tankrabatt gelernt haben, dass das nicht funktioniert, wenn es bei Konzernen um viel Geld geht. Schließlich, nur zwei Tage vor der Einführung der Gasumlage, fällt der Groschen, und Sie beerdigen diese Schnapsidee endlich. ({1}) Meine Damen und Herren, es ist gut, dass die Mehrwertsteuersenkung die Menschen entlastet, und es ist gut, dass Sie auch durch Druck aus meiner Fraktion aufgenommen haben, dass Fernwärme einbezogen wird. Aber wegen dieses Chaos und wegen der handwerklichen Schnitzer werden wir uns heute enthalten müssen. Halten wir fest: In der schlimmsten Energiekrise der Bundesrepublik spielt die Ampelregierung absoluten Kreisligafußball, und die Hälfte der Mannschaft weiß nicht mal, auf welches Tor sie schießen soll, meine Damen und Herrn. ({2}) Wir haben hier den Gaspreisdeckel gefordert: Sie haben geschimpft; jetzt übernehmen Sie die Idee. Wir haben hier eine Übergewinnsteuer gefordert: Sie haben geschimpft; jetzt übernehmen Sie die Idee zum Teil und nennen es eine Strompreisbremse. Wir haben hier eine staatliche Preiskontrolle gefordert: und wie Sie geschimpft haben! Ich prognostiziere Ihnen: Sie werden bei einem Gaspreisdeckel eine Preiskontrolle einführen müssen. ({3}) Oder wollen Sie den Energiekonzernen die Milliarden einfach so überweisen, ohne zu gucken, ob das seine Richtigkeit hat? Und wo wir gerade dabei sind: Wir haben gegen die Schuldenbremse geredet. Sie haben dagegengehalten, und heute ist die Schuldenbremse faktisch tot. Sie ist tot; sie ist beerdigt! Die Trauergäste sind auf dem Weg nach Hause, nur Christian Lindner steht noch an ihrem Grabe und versucht, sich mit ihr für 2023 zu verabreden. Tragisch ist das! Herr Lindner, nehmen Sie Abschied. ({4}) Auch wenn Sie unsere Konzepte teilweise übernehmen, die Wahrheit ist doch: Winter is coming. Und Sie haben keine vernünftige Strategie für die kalte Jahreszeit. Und warum nicht? Noch im Juni erklärte Minister Habeck, eine Deckelung der Preise sei bei einem knappen Gut das Signal, Energie sei nicht wertvoll. Haut raus, was ihr wollt! – Das heißt übersetzt: Sie wollten die hohen Preise, damit die Menschen sich das Heizen nicht leisten können, damit sie Gas sparen, weil nicht genug Gas da ist. Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn Sie jetzt Ihre Strategie ändern, wenn Sie den Gaspreisdeckel vernünftig machen, steht die Frage im Raum: Haben wir in diesem Wirtschaftskrieg eigentlich genug Gas für alle? Werden wir im Winter genug Gas für alle haben, ja oder nein? Sie hoffen auf einen warmen Winter in Deutschland. Und Sie hoffen auf einen warmen Winter in Norwegen. Die größte Volkswirtschaft Europas hofft auf eine gute Wetterprognose, ({5}) damit hier nicht das Licht ausgeht und damit hier nicht Tausende Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. ({6}) Ich sage Ihnen etwas, was da draußen alle Menschen schon wissen: Das Hoffen auf eine gute Wetterprognose ersetzt keine Strategie in der Energiekrise. ({7}) Ich sage Ihnen noch etwas: Dieser Wirtschaftskrieg geht für die eigene Bevölkerung immer mehr nach hinten los. ({8}) Ich kenne da draußen außerhalb der Politikblase nicht einen einzigen Menschen, der nicht weiß, dass der russische Überfall auf die Ukraine, der Wirtschaftskrieg und die aktuelle Energiekrise zusammengehören. ({9}) Alle Menschen wissen das. Sie werden über die Sanktionen reden müssen. ({10}) Sie halten das in diesem Winter politisch nicht durch; das fliegt Ihnen um die Ohren. ({11}) Ich komme zum Schluss. Diese Gesellschaft braucht Heizung, Brot und Frieden! Heizung, Brot und Frieden: Darum geht es in diesem Winter. Danke schön. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten verfolgen wir tagtäglich, wie der russische Angriffskrieg in der Ukraine zu unendlich viel Leid bei den Betroffenen vor Ort führt. Jeden Tag sterben Hunderte von Menschen, Familien werden getrennt, das Resultat vom Leben harter Arbeit wird zerstört – das alles im Zuge eines sinnlosen Krieges, für den hauptsächlich ein einziger Mann die Verantwortung trägt. Wenn derartiges Unrecht stattfindet, dürfen wir das nicht einfach hinnehmen. Für uns Freie Demokraten war deshalb von Anfang an klar, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Finanzminister Christian Lindner hat gerade klargemacht, dass das im Kern dem entspricht, was wir wirtschaftlich machen wollen. Wir lassen nicht zu, dass unser Land durch hohe Energiepreise gespalten wird. ({0}) Die Energiepreisentwicklung der vergangenen Monate führt uns deutlich vor Augen, in was für eine unsägliche Abhängigkeit uns die verfehlte Energiepolitik der vergangenen Jahre geführt hat. Und, lieber Kollege Middelberg, Sie haben leider nicht gesagt, wer dafür verantwortlich ist. Nun benutzt Russland Energie als Waffe gegen uns; mit weiteren Gaslieferungen aus Russland ist endgültig nicht mehr zu rechnen. Die Situation spitzt sich deshalb täglich weiter zu. Und der gestern von Bundeskanzler Scholz, Bundeswirtschaftsminister Habeck und Bundesfinanzminister Lindner angekündigte wirtschaftliche Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges nimmt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser enormen Herausforderungen ein. ({1}) Die Ampelkoalition beweist damit ein weiteres Mal Handlungsfähigkeit in einer schweren Krise. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Senkung der Umsatzsteuer auf Gaslieferungen und Fernwärme ist ein wichtiger Teil des eben angesprochenen Abwehrschirms. Die derzeitigen Kosten beim Gas belasten eben nicht nur den Staat und die Betriebe, sondern auch die vielen privaten Haushalte in unserem Land. Immer mehr Menschen erreichen in diesen Tagen Briefe mit unerfreulichen Nachrichten über steigende Abschlagszahlungen. Viele fragen sich, wie das noch bezahlbar sein soll, wenn sich die Preise innerhalb weniger Monate so stark erhöhen. Um es deutlich zu sagen: Wir müssen jetzt handeln, damit die Bürger unseres Landes gut durch den Winter kommen. ({2}) Mit dem vorliegenden Gesetz entlasten wir Millionen Menschen um über 13 Milliarden Euro – 13 Milliarden Euro mehr in den Taschen der Steuerzahler, wo sie mit Blick auf die kommenden Monate auch am besten aufgehoben sind. Deshalb appelliere ich an dieser Stelle an Sie, liebe Kollegen, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen, sodass wir die Entlastung der Bürger schnell auf den Weg bringen können. Vielen Dank. ({3})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alois Rainer. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Woche im Ausschuss sehr ausführlich und lange über die Mehrwertsteuersenkung bei Gas diskutiert. Dann kam nach Beschlussfassung die Bitte um eine Sondersitzung, weil wir auch die Mehrwertsteuersenkung bei Fernwärme noch beschließen sollten. ({0}) Das haben wir auch dementsprechend gemacht. Lieber Kollege, das parlamentarische Verfahren wurde somit auch eingehalten; aber ob eine parlamentarische Diskussion im Vorfeld möglich war, das steht wieder auf einem ganz anderen Papier. ({1}) Nichtsdestotrotz: Einer Mehrwertsteuersenkung bei Gas und Fernwärme können wir als Union guten Gewissens zustimmen. Obwohl Sie unseren Antrag zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas, Strom und – man höre – Fernwärme noch im Februar abgelehnt haben, ({2}) freut es mich umso mehr, dass Sie nun zur Einsicht gekommen sind und unsere Lösungen akzeptieren, die heute abschließend beschlossen werden. Schade eigentlich, dass so viel Zeit verloren gegangen ist. ({3}) Es geht dabei nicht um die Zeit, die wir im Plenum verloren haben, sondern es geht um das Geld der Menschen in unserem Land, das in dieser Zeit verplempert worden ist. ({4}) Etwas weniger Zeit haben Sie gebraucht, um einzusehen, dass immerhin zwei Atomkraftwerke jetzt zumindest im Streckbetrieb – was meines Erachtens nicht reichen wird – weiterbetrieben werden müssen, weil Folgelösungen für Gas und Öl noch nicht vorliegen. Sinnvoll und notwendig bei dem derzeit wachsenden Strombedarf wäre es, ({5}) auch das dritte dafür infrage kommende Atomkraftwerk in Niedersachsen ebenfalls weiterlaufen zu lassen. Aber wer weiß, was alles nach der Wahl in Niedersachsen noch kommt. ({6}) Dafür kommen jetzt zumindest der Strompreisdeckel und der Gaspreisdeckel. Was den Strompreisdeckel und das Abschöpfen der „Zufallsgewinne“ anbelangt, bin ich gespannt, wie das funktioniert und wie auch die Verteilung funktionieren soll. Welcher Doppel-Wumms oder Triple-Wumms es letztlich werden wird, wissen wir noch nicht. Ich plädiere dafür, dass wir auf dem schnellsten Weg in der Europäischen Union auf eine Änderung des Strommarktdesigns, des Merit-Order-Systems, hinwirken; denn dann können wir das Problem, zumindest was den Strom anbelangt, an der Wurzel packen. ({7}) Das Konzept für die Gaspreisbremse soll vielleicht, wenn wir Glück haben, Mitte Oktober vorliegen. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es doch schon brauchbare Modelle in den Nachbarländern, auf die Sie oft verweisen. Kommen wir aber zu einem weiteren Punkt, der an diesen Tagesordnungspunkt, im Ausschuss und auch im Bundestag, noch angehängt worden ist: die Steuerbefreiung der Inflationsausgleichsonderzahlungen der Arbeitgeber in Höhe von 3 000 Euro. Ich habe in einer meiner letzten Reden gesagt: Sie schmücken sich mit fremden Federn. Und auch diesmal ist das der Fall. Die Arbeitgeber werden wieder zur Kasse gebeten und unter Druck gesetzt. Natürlich ist es etwas Gutes für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie einen Bonus von 3 000 Euro erhalten. Aber man darf zurzeit auf keinen Fall vergessen, welche Belastungen die Betriebe in unserem Land sowieso schon haben. Mit der Erhöhung des Mindestlohnes, der sich nicht nur auf die unteren Lohnschichten auswirkt, sondern auch eine Wirkung auf die oberen Lohnschichten hat, haben sie zu kämpfen. Auch mit der Inflation, gestörten Lieferketten und mit Personalmangel haben sie zu kämpfen. Aber vor allem haben sie zu kämpfen mit den erhöhten Energiekosten. Das alles kommt noch dazu. Es ist schön, wie gesagt, ein solches Geschenk zu verteilen. Ich möchte meine abschließende Redezeit noch dazu nutzen, ({8}) den Betrieben in unserem Land mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmal ein ganz großes Dankeschön auszusprechen; denn sie sind es, die dieses Chaos, das Sie verursachen, meistern müssen. Sie sind es, die wettbewerbsfähig bleiben und nicht in den Winterschlaf gehen wollen, die nicht einfach aufhören wollen, zu produzieren, die sich für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzen und Lösungen überlegen, damit diese auch bei teils eingeschränkter Produktion weiterbeschäftigt werden können. ({9}) Die Betriebe mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stemmen momentan einen Großteil der Wertschöpfung in unserem Land. Sie sehen zu, dass weiterhin Dienstleistungen angeboten werden können, und sie versuchen, die mühsam gewonnenen Fachkräfte auch zu halten. Sie halten dahin gehend auch unser Land zusammen. Und, liebe Bundesregierung, ich appelliere an Sie: Geben Sie der Wirtschaft und den Menschen in unserem Land eine klare Linie. ({10}) – Ja, es steht aber noch nichts Genaues fest, was das am Ende bedeuten soll. Wir haben zu den 200 Milliarden Euro zwar ein fünfeinhalbseitiges Papier erhalten; aber wie Sie das letztlich umsetzen, wissen wir noch nicht. ({11}) Die Menschen in unserem Land haben es satt, dass Sie die Probleme immer erst in allerletzter Sekunde angehen und vielleicht auch ein Stück weit lösen. ({12}) Planungssicherheit ist das, was unsere Wirtschaft und die Gesellschaft brauchen. Sorgen Sie für Energiesicherheit in unsrem Land! Sorgen Sie für den Erhalt der Arbeitsplätze, indem genug Energie vorhanden ist, um alle Produktionsstränge aufrechtzuerhalten, um damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern und den Wohlstand in unserem Land zu erhalten. Danke schön. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Carlos Kasper. ({0})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rainer, Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt, wir machten die Politik jetzt wegen des Chaos, das wir verursacht hätten. Ich möchte an dieser Stelle noch mal daran erinnern, dass es Ihr Fraktionsvorsitzender war, der im März Nord Stream 1 schließen wollte, mit allen Konsequenzen: mit leeren Gasspeichern vor diesem Winter, mit horrenden Gaspreisen. ({0}) Sie haben keine Lösung für diese Probleme; das hat man an Ihren Redebeiträgen gerade gemerkt. ({1}) Aber warum machen wir heute diese Politik? Um was geht es bei dieser Politik? Es geht um die Bäcker, die Existenznöte haben, weil ihre Gasrechnungen zu hoch sind, die Angst haben, weil sie kein Brot mehr backen können, und wenn, dann nur noch zu solchen Preisen, die sich niemand mehr leisten kann. Es geht um die Unternehmen. Es geht beispielsweise um Unternehmen der Chemieindustrie, die in meinem Wahlkreis Vorprodukte für Desinfektionsmittel herstellen. Es geht um den Schul-Caterer, der Angst hat vor der Insolvenz. Mit dieser Insolvenz würde einhergehen, dass Kinder kein warmes Mittagessen mehr hätten. Es geht um die Familie, die einfach Angst hat, dass sie ihre Heizkosten nicht zahlen kann. Genau für diese Menschen da draußen, für die Leute im Land machen wir heute diese Politik. ({2}) Deswegen führen wir die Gas- und Strompreisbremse ein. Wir greifen ein in den Markt und stoppen die explodierenden Energiekosten. Wir legen 200 Milliarden Euro auf den Tisch, damit die Gaspreisbremse endlich kommt und mit ihr die Existenznöte gehen. ({3}) Mit dem Abwehrschirm setzen wir den steigenden Energiekosten etwas entgegen und federn die schwersten Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Unternehmen ab. Niemand muss Angst haben, in diesem Winter zu frieren. Niemand muss Angst haben, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Niemand muss Angst haben, dass unsere Wirtschaft diese Krise nicht übersteht. Es gilt, was der Kanzler gesagt hat: You’ll never walk alone. ({4}) Auch das Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beschließen, ist ein weiterer Beweis, dass wir den Menschen gezielt unter die Arme greifen. Mit weiteren 13 Milliarden Euro bekämpfen wir die exorbitanten Energiepreise und senken die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme. Wir greifen gezielt ein, damit niemand Angst haben muss vor einer kalten Wohnung. Und deswegen ist dieses Gesetz zur Mehrwertsteuersenkung so wichtig. Es betrifft nicht nur Menschen mit kleineren Einkommen. Die Energiekrise betrifft auch den Mittelstand, das Handwerk und die Unternehmen generell. Dieses Gesetz ist eine ganz direkte Antwort darauf, dass viele Anbieter von ihren Kundinnen und Kunden bereits horrende Abschlagszahlungen gefordert haben. Diese sind hinfällig und müssen zurückgenommen werden. Ganz besonders möchte ich hervorheben, dass wir auch die Mehrwertsteuer auf Fernwärme senken. Das ist insbesondere für die Menschen im Osten wichtig; denn dort gibt es ein gut ausgebautes Fernwärmenetz, durch das viele Wohnungen in Ostdeutschland beliefert werden. ({5}) In Dresden sind es 40 Prozent, in Zwickau sind es sogar fast 50 Prozent, die ihre Heizung mit Fernwärme betreiben. So schaffen wir eine gerechte Entlastung für einen Großteil der Bevölkerung. Und auch das sollte nicht unerwähnt bleiben: Es war die SPD-Fraktion, die am Anfang des Monats bei ihrer Klausur in Dresden festgelegt hat, dass wir in den Markt eingreifen müssen, um diese enormen Energiepreise zu deckeln. ({6}) Es war die SPD-Fraktion, die unverschämte Gewinne abschöpfen will, und es ist die SPD-Fraktion, die nicht nur Papiere schreibt, sondern diese Politik in Gesetzesform gießt. Das Land ist im Krisenmodus. Krise heißt für die Politik: handeln, Dinge abwägen und Entscheidungen treffen. Das tun wir als Ampelregierung mit vielen Gesetzen. Wir beschließen heute, dass wir den Arbeitgebern in diesem Land ermöglichen, an ihre Beschäftigten 3 000 Euro steuer- und sozialabgabenfrei zu zahlen. Dieses Geld kann bis 2024 gestaffelt ausgezahlt werden und hilft gezielt der arbeitenden Mitte der Gesellschaft. Aber auch mit der Energiepreispauschale, die jetzt mit dem Septemberlohn ausgezahlt wird, helfen wir den Beschäftigten in diesem Land. Auch die Rentnerinnen und Rentner sowie die Studierenden profitieren von unserer Politik. Außerdem reformieren wir das Wohngeld und spannen mit dem neuen Bürgergeld ein starkes soziales Netz auf. Wisst ihr, was heute ist? Heute ist der 30. September. Heute ist der letzte Tag, an dem unverschämte Löhne gezahlt werden. Ab morgen bekommen allein in meinem Wahlkreis 50 000 Menschen mehr Lohn. Ab morgen gilt der Mindestlohn von 12 Euro. ({7})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Sebastian Schäfer. ({0})

Dr. Sebastian Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005201, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit 200 Milliarden Euro als Abwehrschirm gegen die Energiekrise handeln wir entschlossen. Wir halten unser Land in dieser schwierigen Zeit zusammen. Wir geben unseren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, indem wir jetzt den Anstieg der Energiepreise für Strom und Wärme so deutlich begrenzen. Wir geben damit unseren Unternehmen, unserer mittelständischen Industrie, unserem Handwerk ein klares Signal: Den Kern unserer Volkswirtschaft, den Kern unseres Wohlstands lassen wir von einem russischen Diktator nicht zerstören. ({0}) Wir lassen uns als Demokratinnen und Demokraten in diesem Land nicht erschüttern, nicht einschüchtern. ({1}) 200 Milliarden Euro sind ein mächtiger Schutzschirm, mit dem wir dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger, der Mittelstand, das Handwerk, aber auch soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Pflegeheime sicher durch den Winter kommen. Zusätzlich entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger durch die Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und Fernwärme um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das ist erheblich, und das hilft sehr direkt. ({2}) Als Finanz- und Haushaltspolitiker schmerzen mich 200 Milliarden Euro neue Schulden sehr, ganz besonders wenn das Geld im Wesentlichen für fossile Energie ausgegeben wird. Wir begleichen damit einen Teil der Rechnung, die wir für unsere Abhängigkeit von Putins Gas bezahlen müssen. Das sind Ihre Schulden, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({3}) Das sind die Konsequenzen Ihrer Zechprellerei, die wir jetzt übernehmen müssen. ({4}) Wir werden die Gaspreisbremse so konstruieren, dass der Anreiz zum Energiesparen erhalten bleibt. Das hat Veronika Grimm, die der Kommission zur Gaspreisbremse vorsitzt, heute in der „FAZ“ sehr deutlich unterstrichen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt auch zusätzlich in Energieeffizienz und erneuerbare Energien investieren; denn ein Zurück zu billigen fossilen Energien, die nie billig waren, wird es nicht geben. ({5}) Unsere Wirtschaft hat bei der Effizienz schon große Fortschritte gemacht und nutzt Effizienzverbesserungen, wo sie kann. Auch viele Bürgerinnen und Bürger sind solidarisch und tun, was sie können, um jetzt Energie zu sparen. Mit der aktuellen Überarbeitung des Energiesicherungsgesetzes legen wir erneut etwas vor – wir werden es später in der Debatte hören –, was den Ausbau und die Nutzung der erneuerbaren Energien noch einmal erheblich steigern wird. Der Biogasdeckel wird wegfallen, und es wird noch bessere Möglichkeiten für PV‑Anlagen geben. Auch steuerlich setzen wir neue Anreize und lösen endlich bürokratische Fesseln. ({6}) Erneuerbare Energien sind der beste Weg, um unsere Energieversorgung in Deutschland abzusichern. So machen wir uns in und nach dieser Krise unabhängiger von teuren Importen von Gas, Öl oder Kohle und schützen obendrein das Klima. ({7}) Denn wir wollen keine Zechprellerei auf Kosten künftiger Generationen betreiben. Deshalb machen wir in dieser Fortschrittskoalition unser Land auch in schwierigen Zeiten zukunftsfest. Herzlichen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Parsa Marvi. ({0})

Parsa Marvi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005143, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen erlebten wir alle, die in den Wahlkreisen unterwegs sind, bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Betrieben, bei den Sportvereinen, bei den sozialen Einrichtungen eine Menge Verunsicherung angesichts bereits eingegangener Energieabschlagsforderungen, die zum Teil mehrere 100 Prozent über dem bisherigen Niveau liegen, oder erwarteter signifikanter Teuerungen. Gleichzeitig erleben wir eine Abkühlung wirtschaftlicher Indikatoren, die auf schwierige kommende Monate hindeuten. Das ist eine kritische Situation, die einer gemeinsamen nationalen Kraftanstrengung bedarf, zu der wir heute schon einiges von der Opposition gehört haben, und die einer entschlossenen und konsequenten Antwort durch die Politik bedarf. Diese Antwort hat die Bundesregierung gestern erneut eindrucksvoll geliefert mit einer großen Geschlossenheit ({0}) zwischen Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck, zwischen den Ampelpartnern. Das war gestern ein „Whatever it takes“-Moment, ein ganz wichtiges Signal in das Land hinein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Diese Bundesregierung, die Ampelkoalition befindet sich seit ihrem Amtsantritt und insbesondere seit der Zeitenwende vom 24. Februar 2022 im permanenten Krisenmodus. Wir wissen, dass es angesichts sich ständig verändernder Lagen, auf die wir stetig und angemessen reagieren müssen, neben einer strategischen Orientierung einer ordentlichen Portion Pragmatismus bedarf, um dieser Krise entgegenzuwirken – Eigenschaften, auf die die Union eigentlich über viele Jahre bei ihrer Krisenkanzlerin Angela Merkel stolz war. Aber diese 16 Jahre scheinen schon lange her zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Seit Monaten steht diese Ampelkoalition voll auf dem Platz, einfach mit „Doppel-Wumms“ und, wenn es sein muss, auch „Dreifach-Wumms“. Wir liefern und bringen Monat für Monat, Plenarwoche für Plenarwoche Gesetze durch das Parlament, und wir haben eine voll handlungsfähige Bundesregierung. ({3}) Was ist in diesem turbulenten Jahr nicht schon alles geschehen oder auf dem Weg – meine Kollegen haben es vorhin angedeutet –: die staatliche Rettung von Uniper, das erste Entlastungspaket im ersten Halbjahr mit über 30 Milliarden Euro, die Einigung im Koalitionsausschuss Anfang September auf Entlastungen von über 65 Milliarden Euro, Direktzahlungen, die Eindämmung der kalten Progression, die große Wohngeldreform, die Anhebung des Grundfreibetrags und vieles mehr. Und jetzt, in dieser Woche, die entscheidend sein könnte, um eine veränderte Stimmung in Gesellschaft und Wirtschaft auszulösen, noch einmal ein Kraftakt mit einem wirtschaftlichen Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro. Wir als Ampelkoalition gehen damit den Preisschock mit den massivsten Entlastungspaketen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an. Angesichts der Tatsache, dass jeder zweite deutsche Haushalt mit Erdgas heizt, dass kleine und mittlere Betriebe eine starke Abhängigkeit von fossilen Energieträgern haben, gehen wir jetzt den entscheidenden Schritt, den Gamechanger an: Wir werden systemisch in den Strom- und Wärmemarkt eingreifen und die Preise deckeln, zum Teil über eine Abschöpfung von Zufallsgewinnen von Energiekonzernen. Damit können hoffentlich die Normalverdienerinnen und Normalverdiener, die Working Class, die Haushalte mit dem kleinen Geldbeutel, die Inhaber kleiner Betriebe, der Bäcker um die Ecke wieder besser schlafen, wenn sie an ihre Energierechnung denken. Für diese Menschen machen wir Politik, meine Damen und Herren. ({4}) Was wir heute als einen weiteren wichtigen Baustein, als große Entlastung im Energiebereich direkt liefern können, ist die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer auf Gas und auch auf Fernwärme, womit immer mehr Haushalte in Deutschland versorgt werden. Das wird zusätzlich dazu beitragen, der Inflation entgegenzuwirken. Das ist nicht die isolierte Lösung für unsere Probleme, aber in der Betrachtung der Gesamtmaßnahmen ein weiterer ganz wichtiger Schritt heraus aus der Krise. Wir sind zuversichtlich, dass Deutschland mit diesen Maßnahmen auch diese Krise packen wird, dass wir durch die schwierigen folgenden Monate kommen werden, dass wir sichere Energie haben werden. Wir freuen uns auf breite Zustimmung im Parlament. Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Fritz Güntzler. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die Lage in Deutschland ist dramatisch. Wer es schwarz auf weiß wissen will, muss sich nur das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute ansehen, die uns klar ins Stammbuch geschrieben haben, dass wir in eine Rezession laufen werden, dass die Inflation auch im nächsten Jahr im Durchschnitt bei fast 9 Prozent liegen wird. Ich erinnere mich an die Debatte hier im Frühjahr, als der Bundesfinanzminister noch von einer „gefühlten Inflation“ sprach. Ich glaube, die Inflation ist mittlerweile wirklich bei den Menschen angenommen und die Erkenntnis wohl auch beim Bundesfinanzminister. Von daher ist es richtig, dass gehandelt werden muss. Wir müssen uns immer die Frage stellen: Ist richtig und zeitnah gehandelt worden? Herr Kollege Marvi hat eben – völlig zu Recht; das erleben wir alle in unseren Wahlkreisen – auf die Riesenverunsicherung der Menschen hingewiesen, auf die Sorgen der Menschen; es geht um wirkliche Existenznöte. Die Menschen haben die Erwartung an Politik, dass sie schnell und zügig und klar reagiert. Dass die Menschen so verunsichert sind, meine Damen und Herren, hat alleine die Ampelkoalition zu verantworten – weil Sie lange nicht reagiert haben und viel zu spät hier die Dinge auf den Tisch legen. ({0}) Jetzt höre ich, es sei sauber gearbeitet worden. Also: Wir haben im Finanzausschuss das Thema „Senkung der Umsatzsteuer auf Gas“ beraten. Morgens gab es in der Ausschusssitzung eine Tischvorlage, laut der es als Inflationsausgleich eine Zahlung geben sollte, die steuerfrei gestellt werden sollte. Wir argumentierten als CDU – dieser Meinung sind wir immer noch –, dass es zu kurz gegriffen ist, die Umsatzsteuer nur auf den Energieträger Gas zu senken, was übrigens auch das Ergebnis der Anhörung war. „Dann könnten wir das auch für Strom machen, dann könnten wir das auch für Fernwärme machen“, so haben wir morgens argumentiert. Da hat die SPD noch argumentiert, eine Umsatzsteuersenkung auf Fernwärme würde ja gar nichts bringen. Fünf Stunden später: andere Lage. Eine Stunde vor dem Ausschuss kriegen wir die Unterlagen. – Das ist keine seriöse Gesetzesberatung. Das ist Chaos pur in dieser Ampel, meine Damen und Herren. ({1}) Inhaltlich ist es richtig und, wie eben gesagt, ein erster Schritt, über die Umsatzsteuer zu stehen. Aber wenn ich jetzt hier in der Rede von Herrn Kasper höre, dass das den Unternehmen hilft, dann möchte ich Sie bitten, sich mal mit dem Umsatzsteuerrecht zu beschäftigen; ({2}) denn den Unternehmern, die vorsteuerabzugsberechtigt sind – und das sind die Bäckerinnen und Bäcker, die bei mir im Wahlkreis Probleme haben, das sind die Gießereien, das sind die Porzellanhersteller –, ({3}) nützt diese Umsatzsteuersenkung rein gar nichts. Da müssen Sie mal ein bisschen was dazulernen. ({4}) Wir haben auch was Konkretes vorgeschlagen. Sie fragen ja immer: Was schlagen Sie denn vor? Sie gehen in dem Papier gar nicht darauf ein, dass man auch bei der Energiesteuer was machen könnte. Wir könnten die Energiesteuersätze auf das Mindestniveau senken. Beim Strom wäre das 1 Cent für Privathaushalte und 0,5 Cent für gewerbliche Unternehmen. Wir liegen bei 2,05 Cent. Das wäre eine einfache Möglichkeit, zu handeln. Auch das tun Sie nicht, weder bei Erdgas, Heizöl, Flüssiggas noch bei Strom. Hier könnten Sie handeln, und hier könnten Sie wirklich was bewegen, wenn Sie was bewegen wollten. ({5}) Das Herbstgutachten hat ja aufgezeigt, was wir tun müssen: Ausweitung des Energieangebotes. Wir lesen in dem Papier: Zwei Atomkraftwerke sollen weiterlaufen bis zum Frühjahr 2023. – Ich höre mir sehr gerne die Pressekonferenzen des Bundeskanzlers, des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesfinanzministers an. Da sagt der Bundesfinanzminister völlig zu Recht: Es müssen alle drei Atomkraftwerke bis Ende 2024 weiterlaufen. – Ich verstehe gar nicht, wie Sie als FDP das mitbeschließen können, wie Sie dieser Verknappung auf der Angebotsseite weiter zustimmen können. ({6}) Lassen Sie mich noch kurz auf die Inflationsausgleichs-Sonderzahlung hinweisen, die ja heute mitberaten wird. Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits finde ich es gut, dass, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Möglichkeit nutzen, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Sonderzahlung zu gewähren, diese Zahlung nicht durch zu hohe Steuern und Sozialabgaben aufgefressen wird. Aber wir erzeugen damit – da müssen wir uns ehrlich machen – auch Druck, gerade bei Unternehmen, die sich das derzeit nicht leisten können, genau diesen Ausgleich ebenfalls zu zahlen. Von daher ist das sehr ambivalent. Wir werden im Endergebnis ja zustimmen; aber wir müssen da mal genau hingucken. Wir haben dieses Instrument gemeinsam in der Großen Koalition bei den Coronahilfen genutzt. Wir wissen mittlerweile durch ein Institut, das uns nicht unbedingt nahesteht – die Hans-Böckler-Stiftung –, wo diese Hilfen tatsächlich gelandet sind. Sie sind nicht da gelandet, wo wir sie am liebsten gesehen hätten, sondern sie sind bei anderen gelandet: bei denjenigen, die schon einen sicheren Arbeitsplatz haben, die ein sicheres Einkommen haben. Von daher müssen wir sehr vorsichtig sein mit dem Instrument. Aber unter Zurückstellung aller Bedenken werden wir auch in dem Punkt zustimmen, meine Damen und Herren. Viel einfacher wäre es gewesen, wenn Sie die kalte Progression nicht erst ab dem Jahr 2023 ausgleichen würden, sondern schon ab dem Jahr 2022. Damit hätten Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich entlastet. Das wäre der richtige Weg gewesen. ({7}) Sie verschieben viel zu viel aufs nächste Jahr. Die Menschen brauchen jetzt Entlastung, sie brauchen jetzt Unterstützung, sie brauchen jetzt Zuversicht, damit wir gemeinsam aus der Krise kommen. Herzlichen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dieter Janecek. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wenn man den Vorschlägen der Union vom 9. März gefolgt wäre, lieber Herr Merz, nämlich Nord Stream 1 abzustellen, ({0}) dann hätten wir heute eine Gasmangellage. ({1}) Weil man den Vorschlägen der Union in Bezug auf die Abhängigkeit von Russland über 16 Jahre gefolgt ist, haben wir heute diese massive Krise, die Sie mitzuverantworten haben. ({2}) Das muss an den Anfang der Rede gestellt werden; denn wenn Sie, Herr Güntzler, sich hierhinstellen und sagen: „Die Probleme sind verursacht durch die Ampel“, dann kann ich nur lachen. Wir haben einen russischen Angriffskrieg in der Ukraine, wir haben eine Energiekrise, auch ausgelöst durch die massiven fossilen Abhängigkeiten, die Sie über Jahrzehnte geschaffen haben, und wir haben jetzt – der Finanzminister hat es ja gesagt – einen Energiekrieg, der geführt wird von Russland gegen die Europäische Union. Deswegen brauchen wir jetzt einen Abwehrschirm. Und deswegen ist es richtig, dass wir zum vierten Mal in diesem Jahr entlasten – mit einem Entlastungspaket von 200 Milliarden Euro. ({3}) Zur Ausgestaltung. Zu fordern, das müsse jetzt alles fertig vorliegen: Ich meine, wir müssen natürlich auch beachten, dass wir uns jetzt auf europäischer Ebene bei der Gaspreisbremse und der Strompreisbremse abstimmen. Wir können hier doch nicht rein national vorgehen. ({4}) Wir müssen uns abstimmen. Es geht darum, dass wir auf der einen Seite die Kosten senken; die Preise müsse runter, ja. Aber damit wir nicht erneut in eine Gasmangellage kommen, müssen wir auf der anderen Seite eben auch Energie einsparen. Deswegen ist es bei der Ausgestaltung des Gaspreisdeckels ja auch so wichtig, abzuwägen, welche Kontingente wir an die Verbraucher/-innen, an die Unternehmen geben und welcher Sparanreiz auch bestehen bleiben muss. Auch das ist wichtig und ökonomisch verantwortungsvoll. ({5}) Und zu sagen, wir hätten nicht gehandelt: Wir haben in Rekordzeit vier Anlandungspunkte für LNG-Terminals geschaffen, ({6}) die diesen Winter an den Markt kommen werden. ({7}) Wir haben in Rekordzeit vier Entlastungspakete – das letzte mit 95 Milliarden Euro – für die Bürgerinnen und Bürger und jetzt auch für die Unternehmen auf den Weg gebracht, um die Preissteigerungen abzufedern. ({8}) Wir haben in Rekordzeit im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, aber auch in den anderen Ministerien zum Teil über die Schmerzgrenze hinaus gearbeitet, um diese Maßnahmen auf den Weg zu bringen. ({9}) Diese Regierung hat gestern noch mal eindrücklich bewiesen, wie schlagkräftig, wie verantwortungsvoll und auch wie handlungsfähig wir sind. Ich bin stolz darauf, dass wir das als Ampel gestern auf den Weg gebracht haben. Es geht jetzt auch darum, dranzubleiben. ({10}) Nichtsdestotrotz ist keine Zeit für Entwarnung. Das war jetzt ein wichtiger Schritt. Der Winter wird hart, und wir müssen den Menschen auch sagen: Es wird Belastungen geben. Wir helfen denjenigen, die sie alleine nicht tragen können. Aber es werden auch Belastungen in Kauf genommen werden müssen in einer solchen Krise. Die Wirtschaftsdaten deuten auf eine Rezession in den nächsten Monaten hin. Wir tun alles, um das abzuwenden, um konkret zu helfen. Und da wünsche ich mir mehr konstruktive Opposition von der Union. ({11}) Viele Dinge tragen Sie mit. Aber bitte schüren Sie nicht zusätzlich Angst in der Bevölkerung. ({12}) Die Bevölkerung braucht jetzt Stabilität. Wir als Ampel schaffen Stabilität. Vielen Dank. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Ich glaube, wir sollten gerade heute noch mal darüber reden, was denn die Ursache von all dem ist. Das war der 24. Februar, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, ein völkerrechtswidriger Krieg. Und heute wird Putin in Moskau verkünden, dass die vier Teilrepubliken annektiert werden, dass die Scheinreferenden als Entscheidung gewertet werden. Er wird die nächste Eskalationsstufe in diesem Krieg zünden. Deswegen gehört unsere Solidarität der Bevölkerung in der Ukraine – nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im politischen Handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Das müssen wir uns bei solchen Debatten vergegenwärtigen. Ich erwarte auch von der großen Oppositionsfraktion, der CDU/CSU, dass sie dann nicht im Klein-Klein herumstochert, sondern die große Linie mitgeht. ({1}) Dieser Krieg ist einmalig, eine solche Situation ist bisher noch nicht da gewesen. Es gibt dafür keine Blaupause in den Schubladen. Wir hätten uns gewünscht, dass der Wirtschaftsminister der Union, Herr Altmaier, eine Blaupause in der Schublade hinterlassen hätte, nämlich für die Frage, wie man Gasspeicher vollmacht, wie man LNG-Terminals anbindet. ({2}) Die Schubladen waren alle leer. Das gehört zur Wahrheit dazu. ({3}) Deswegen: Gestehen Sie denjenigen, die jetzt diese Krise ausbaden, zu, dass noch nicht alles im ersten Schritt sofort klappt, anstatt das zu kritisieren. ({4}) Ihr Gesundheitsminister, Jens Spahn, hat doch in der Coronakrise auch nicht alles richtig gemacht. Und er hat ja für sich damals sozusagen Abbitte eingefordert und gesagt: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Dann gestehen Sie das doch anderen auch mal zu, und seien Sie da etwas konstruktiver. ({5}) Allein diese Woche zeigt doch, dass diese Koalition handelt, und zwar im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich will Ihnen mal aufzeigen, was wir gemacht haben: Wir haben in dieser Woche das Kurzarbeitergeld verlängert, damit sich die Menschen in der Krise keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen müssen. Das haben wir gestern beschlossen. Wir haben gestern von der Regierung verkündet bekommen, dass 200 Milliarden Euro mehr zur Abfederung all dieser Probleme, die jetzt auf uns zukommen, zur Verfügung stehen: für die Wirtschaft, für die Unternehmen. Das ist ein klares, das ist ein starkes Signal. Wir senken jetzt die Mehrwertsteuer auf Gas und auf Fernwärme. Auch das machen wir diese Woche. Und ab morgen gilt die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Genau das sind die Dinge, die zeigen, dass diese Koalition handelt, die zeigen: Die Menschen können sich auf uns verlassen. ({6}) Darüber hinaus haben wir zum 1. Juli zum Beispiel die EEG-Umlage abgeschafft. ({7}) Auch das spüren Sie, meine Damen und Herren auf den Tribünen, in Ihren Geldbeuteln positiv. Wir haben das Energiegeld ausgezahlt: 300 Euro für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und künftig auch für die Rentnerinnen und Rentner. Wir werden dafür sorgen, dass die CO2-Preissteigerung zunächst ausgesetzt wird. ({8}) Auch das bedeutet eine geringere Belastung für die Menschen in diesem Land. Diese Koalition handelt, diese Koalition weiß, wo es den Menschen und den Unternehmen unter den Nägeln brennt, und wir schaffen Abhilfe. ({9}) Wir sorgen gleichzeitig dafür, dass wir unser Energiesystem umbauen. Wir heben noch heute – heute werden wir es beschließen – die Potenziale der erneuerbaren Energien, und zwar nicht für die, die geplant sind, sondern bei denen, die bereits installiert sind. ({10}) Wir werden beim Biogas die Fesseln lösen. Die installierten Biogasanlagen werden mehr verstromen und werden das besser einspeisen können. Wir werden bei der Windkraft die Fesseln lösen. Wir werden Windkraftanlagen nachts länger laufen lassen; um 4 dB soll der Schallpegel erhöht werden. Allein diese Maßnahme wird dazu führen, dass wir aus Windkraft Strom in Größenordnung eines Kernkraftwerks, eines Streckbetriebes, erzeugen und nutzen. Mit dem Energiesicherungsgesetz werden wir den Erneuerbare-Energien-Booster heute zünden. ({11}) Das zeigt: Diese Koalition handelt. Wir werden die Menschen nicht alleine lassen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute und Glück auf! ({12})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In Kürze wird die Europäische Kommission Vorschläge machen für eine Reform der Schuldenregeln in Europa, für eine Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. In Zeiten, in denen sich aktuell fast alle Schleusen öffnen, mag die Debatte seltsam anmuten, aber genau jetzt ist sie richtig. Es geht um finanzielle Nachhaltigkeit über den Tag hinaus, um fiskalpolitische Disziplin und damit am Ende um Preisstabilität. Die Bedeutung gerade dieses Begriffes erfahren wir doch jeden Tag aufs Neue. Ein Rückblick: Während der Pandemie wurde die sogenannte Ausweichklausel des Stabilitäts-und Wachstumspaktes aktiviert – diese Ausnahme wurde bis heute verlängert –; verkürzt bedeutet das: Die Mitgliedstaaten konnten kreditfinanziert zusätzliche Ausgaben tätigen – an den eigentlichen Fiskalregeln vorbei. Die Maßnahme war zugeschnitten auf die besonderen Herausforderungen der Pandemie. ({0}) Deshalb war es richtig, dies alles auf Einmaligkeit und auch nur dort so anzulegen. Nun stehen wir erneut vor Herausforderungen. ({1}) Sie erfordern in Teilen neue Antworten. Aktuell gilt dies insbesondere im Hinblick auf die Energiekosten und die Bekämpfung der Inflation in ganz Europa. Diese Inflation – sie liegt in Deutschland inzwischen bei 10 Prozent – hat verschiedene Ursachen. Ganz sicher heizen jedoch auch Schulden diese Inflation weiter an. So wichtig manche Maßnahme erscheinen mag und wahrscheinlich auch ist, muss uns dies bewusst sein. Gleichzeitig steigen nun die Zinsen zu Recht; auch sie belasten die Haushalte zusätzlich. Ein Teufelskreis droht. Es gilt: Am Ende führen alle Schulden fiskalisch zum selben Ergebnis und engen ganz klar den Gestaltungsspielraum künftiger Generationen ein. ({2}) Alle bisherigen Ausnahmetatbestände und Flexibilisierungen des Paktes – so gut sie gemeint waren –, auch manche Maßnahme der EZB – das gehört zur Wahrheit dazu – führten doch gerade nicht zu einer nachhaltigen Trendwende bei der öffentlichen Verschuldung innerhalb der EU. Oft genug geschah das Gegenteil. Deshalb müssen wir zu den Grundprinzipien zurück. Es kann nicht sein, dass dauerhaft die Ausnahme die Regel bestimmt. Erst Stabilität schafft Vertrauen. Wir wollen Europa mit der Reform als Stabilitätsunion wieder stärken. Eine Schuldenstandsquote von 60 Prozent und ein öffentliches Defizit von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes müssen auch in Zukunft ihre Gültigkeit behalten. ({3}) Wir begrüßen das Bekenntnis der Bundesregierung zu diesen Kriterien durchaus. Es ist aber zu befürchten, dass es ein Lippenbekenntnis bleibt. Wir stellen die von ihr gewünschten – ich zitiere – „Anpassungen der Flexibilitätsklausel“ infrage. Was als „wachstums- und innovationsfreundliche Weiterentwicklung“ bezeichnet vermeintlich immer gut klingt, öffnet der geschilderten Erfahrung nach am Ende zu oft Tür und Tor für neue Schulden ohne sichtbare Steigerung der Produktivität. Es ist auch unnötig; denn solide Haushaltspolitik ist ja erst die Basis für Wachstum und Innovation. Für die Zukunft: Es geht um eine Rückführung auf die grundlegenden Regeln. Sie bieten bereits hinreichend Flexibilität. Es geht auch darum, dass eine grundsätzliche Verpflichtung zur Rückführung von Schulden aufrechterhalten bleibt. Es geht um die Durchsetzbarkeit der Regeln. Unzählige Male wurden sie gebrochen – ohne sichtbare Konsequenzen. Das ist ja geradezu absurd. Und es bleibt natürlich gültig: Verantwortung und Haftung in der Fiskalpolitik müssen künftig an einer Stelle bleiben. Eine Vergemeinschaftung von Schulden darf es nicht geben. ({4}) Kolleginnen und Kollegen, wir sollten die aktuelle Situation wie auch die künftige Rolle des Stabilitätspakts vielleicht auch als Chance begreifen, eine Aufgabenkritik auf den Weg zu bringen – auf europäischer Ebene wie auch im eigenen Land. Es geht um Zuständigkeiten. Es geht um Prioritätensetzung in schwieriger Zeit und um die Zielführung im Ergebnis mancher Maßnahmen. Dabei wären sicher Ressourcen für Entlastungen gegeben, ohne die eigene Verschuldung in derart schwindelerregende Höhen zu treiben wie zurzeit – mit allen Folgen und wie beschrieben. In diesem Sinne: Es braucht den Pakt nicht trotz, sondern auch wegen dieser und künftiger Krisen. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Bettina Hagedorn. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wenn man es freundlich formulieren will, muss man sagen: Der heutige Antrag der Union ist wirklich aus der Zeit gefallen. Wir haben gerade eben über 200 Milliarden Euro gesprochen, die Deutschland in die Hand nehmen will, und zwar zusätzlich zu den fast 100 Milliarden Euro, die wir schon in die Hand genommen haben, um der Krise, vor der wir stehen – das ist ja nicht nur eine nationale, das ist nicht nur eine europäische, sondern auch eine weltweite Krise –, etwas entgegenzusetzen. Wir haben uns in der Vergangenheit, noch in der Großen Koalition, auf Solidarität in Europa verpflichtet und die Weichen dafür gestellt. Diese Solidarität muss genau jetzt und in Zukunft greifen. Darum will ich Ihnen sagen: Der Vorschlag, die Ausnahmeregeln bis 2024 beizubehalten, kommt ja von der EU‑Kommission; wenn mich nicht alles täuscht, heißt die EU‑Kommissionspräsidentin von der Leyen. ({0}) Die Krise, die wir jetzt haben, ist ganz bestimmt nicht kleiner als die, die wir im März 2020 hatten, als dem Aktivieren der Ausnahmeregelung mit Unterstützung der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD hier in diesem Hause das erste Mal zugestimmt wurde. ({1}) Was damals wegen der krisenhaften Zeit richtig war, das ist heute natürlich auch richtig, nämlich Solidarität in Europa zu zeigen. ({2}) Ich möchte gerne mit Genehmigung der Präsidentin etwas zitieren und werde gleich sagen, woraus. Zitat: Für Deutschland ist ein starkes und geeintes Europa der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand. ({3}) So einzigartig die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung ist – ({4}) selbstverständlich ist ihr Fortgang keineswegs. Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, sind enorm … Nur gemeinsam hat die EU eine Chance, sich in dieser Welt zu behaupten und ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen. Nur gemeinsam können wir unsere Werte und unser solidarisches Gesellschaftsmodell … verteidigen … ({5}) Investitionen in Europa sind Investitionen in eine gute Zukunft unseres Landes. Wachstum und Wohlstand in Deutschland sind auf das Engste mit Wachstum und Wohlstand in Europa verknüpft … ({6}) Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir die EU in ihrer Handlungsfähigkeit stärken … Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann. ({7}) Dafür werden wir bei der Erstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens Sorge tragen. Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz … Wissen Sie, woraus dieses Zitat ist? Es ist aus einem Koalitionsvertrag, und zwar nicht aus unserem, ({8}) sondern das sind Zitate aus dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom Februar 2018, ({9}) aufgeschrieben maßgeblich von Martin Schulz von unserer SPD, aber mit Zustimmung durch Ihre Kanzlerin und die gesamte CDU/CSU-Fraktion. ({10}) Diese Sätze waren prägend für die drei Jahre, die wir dann gemeinsam in Europa Politik gemacht haben. ({11}) In der Zeit, als wir die EU-Ratspräsidentschaft innehatten, gab es in Europa die größte Krise, verursacht durch die Coronapandemie. Dank dieser Sätze und dank des gemeinsamen Bekenntnisses zur Solidarität haben wir das größte Finanzpaket mobilisiert, ({12}) das es in der europäischen Geschichte je gab. Der Finanzplan bis 2027 ist unter unserer EU‑Ratspräsidentschaft gemacht worden. Vor allen Dingen: Das 750-Milliarden-Euro-Paket „Next Generation EU“ haben wir gemeinsam gemacht, um Investitionen in Digitalisierung, in den Schutz vor dem Klimawandel, ({13}) in neue Technologien voranzubringen und um unsere europäischen Nachbarn darin zu unterstützen und ihnen die finanzielle Kraft zu geben, all das zu machen. Wissen Sie, das war alles richtig. Kaum sind Sie nach 16 Jahren Kanzlerschaft aus der Regierung ausgeschieden, schon meinen Sie, es sei jetzt – ausgerechnet jetzt, angesichts des Ukrainekriegs, angesichts einer Inflation, die ja nicht nur uns, sondern auch unsere Nachbarn trifft – an der Zeit, das große Lied anzustimmen, es gebe nichts Wichtigeres, als vor einer Schuldenunion zu warnen. Wissen Sie, das Vokabular kenne ich von Ihnen noch aus der Vergangenheit. Aber in unserer Großen Koalition haben wir nicht dieses Lied gemeinsam gesungen, ({14}) sondern das Lied der Solidarität. Das, was Sie hier vorlegen, ist aus der Zeit gefallen. ({15}) Ich möchte vor diesem Hintergrund daran erinnern, dass wir eben nicht nur dieses 750-Milliarden-Euro-Paket gemeinsam geschnürt haben, sondern dass unsere damalige Bundesregierung schon im März 2020 ein 540-Milliarden-Euro-Darlehenspaket auf den Weg gebracht hat, um in Europa in der Coronapandemie für Stabilität zu sorgen. Das waren Darlehen; die müssen zurückgezahlt werden. Es waren nicht nur große investive Mittel dabei, die zum Beispiel über die EIB ausgegeben wurden – darauf hat Patricia Lips schon Bezug genommen –, nein, es war zum Beispiel auch das SURE-Paket mit 100 Milliarden Euro dabei. Das war so etwas wie die Unterstützung eines Kurzarbeitergeldes in unseren europäischen Nachbarländern. Es war unsere Idee. Es war das erste Geld, das tatsächlich geflossen ist, und es hat zur sozialen Stabilität in Europa maßgeblich beigetragen. Dass Sie all das zu vergessen und verdrängen scheinen, ist schon beachtlich. ({16}) – Ja, ich habe Ihren Antrag gelesen. In dem Antrag steht sehr viel, von dem Sie meinen, dass es jetzt auf europäischer Ebene umgesetzt werden soll. ({17}) Ich habe eben gerade schon gesagt, dass Sie der Kommissionspräsidentin offensichtlich misstrauen, weil Sie nicht wollen, dass die Kommission die Kontrollfunktion über den Stabilitäts- und Wachstumspakt wahrnimmt. ({18}) Stattdessen soll es eine wie auch immer geartete externe Institution sein. Die Vorschläge, die Sie hier machen, hätten Sie in all den Jahren, in denen wir gemeinsam regiert haben, durchaus auf europäischer Ebene umzusetzen versuchen können. ({19}) Sie wissen natürlich ganz genau, dass wir in Europa nicht alleine unterwegs sind und dass wir dort Dinge mit unseren 26 Partnern gemeinsam umsetzen müssen und dass es vor dem Hintergrund nicht einfach ist, was Sie hier vorschlagen. Es ist eigentlich nicht umsetzungsfähig. ({20}) Wir müssen aber vor allen Dingen darauf achten, dass es nicht wieder so kommt wie in den Jahren, als Wolfgang Schäuble, den ich unter vielen Aspekten sehr schätze, als Finanzminister von Deutschland in Europa das Bild des Schulmeisters geprägt hat mit einer harten technokratischen Austeritätspolitik. ({21}) Da war es um das Ansehen Deutschlands in Europa schlecht bestellt. ({22}) Wir dürfen nicht so tun, als könnte es uns egal sein, was unsere europäischen Nachbarn von uns denken. ({23}) Wir haben unseren europäischen Nachbarn gerade in den letzten vier Jahren der Großen Koalition mit Angela Merkel und Olaf Scholz die Hand ausgestreckt, und sie haben sie genommen. Das ist gut und richtig so. Dieses Miteinander in Europa, das brauchen wir in dieser Zeit des Krieges mehr als je zuvor. Darum sollten wir ausgerechnet jetzt nicht wieder anfangen, hier den Lehrmeister auf europäischer Ebene zu spielen. ({24}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Sozialdemokratie, die ja diesen Koalitionsvertrag 2018 mit Ihnen ausgehandelt hat, und zwar ganz maßgeblich – ich habe darauf hingewiesen –, braucht Ihre Belehrungen ganz bestimmt nicht. ({25}) Wir werden aber im Gegensatz zu Ihnen genau diese erfolgreiche solidarische Politik in Europa in der neuen Koalition fortsetzen. Wir brauchen keinen Kompass, und Sie haben Ihren offensichtlich verloren. ({26}) Es könnte natürlich sein, dass zu viel BlackRock bei Ihnen zum Blackout führt ({27}) und dass Sie vergessen haben, wofür Sie einmal mit Ihrer Kanzlerin in der Vergangenheit selbst gestanden haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({28})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Albrecht Glaser. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die EU-Staaten sind weit über das Maastricht-Kriterium hinaus verschuldet. Dies war auch schon vor Corona im Jahr 2019 so. Die Zahlen: über 10 Billionen Euro, was einer Schuldenquote von 84 Prozent entspricht, statt der geforderten und vertraglich vereinbarten 60 Prozent. 1997 wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der EU beschlossen. Parallel dazu wurde die Manipulation des Schuldenstandes von Griechenland bekannt, die das Land beitrittsfähig machen sollte. Das entsprechende Dossier über diese Manipulation liegt in der EZB noch immer unter Verschluss, obwohl dagegen geklagt wird; das ist rausgekommen. Der Widerspruch zwischen vertraglichen Verpflichtungen einerseits und dem Handeln von Regierungen und Staaten andererseits ist seither der rote Faden der Schuldenpolitik, und diese mildtätige Betrachtung, die wir gerade gehört haben, ist Ironie. Die Finanzkrise 2008 war in der EU in erster Linie eine Staatsschuldenkrise. Deshalb wurde in 2012 ein Fiskalpakt geschlossen, der alle Vertragspartner verpflichtete, innerstaatliche Regeln zu schaffen, um überbordende Schulden zu verhindern. Seither wird am Rechtsrahmen für Schuldenpolitik in der EU herumgeschraubt bis zu seiner Unkenntlichkeit. Die Folge davon: Frankreich hat Schulden von 113 Prozent, Spanien von 118 Prozent, Portugal von 127 Prozent, Italien von 150 Prozent und Griechenland von 193 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Kluge Köpfe im Centrum für Europäische Politik und in der Bundesbank stellen fest – ich zitiere –: Viele Mitglieder haben sich die Schuldenregel nie zu eigen gemacht. – Hunderte Verstöße sind von den Staaten begangen worden. Das ist rund die Hälfte aller überhaupt möglichen Vertragsverstöße. Nicht eine Sanktion haben die Organe der EU verhängt – bei dieser Zahl der Verstöße, meine Damen und Herren. ({0}) Der CDU-Antrag beschreibt in Ziffer 1 Buchstabe a ein richtiges Ziel, und er benennt viele richtige Einzelforderungen, etwa in den Buchstaben b bis f. Aber er wird schon in diesem Haus keine Mehrheit finden; das liegt nicht an uns. Wenn er sie fände, wäre er in der EU nicht durchsetzbar. Wenn er dort durchsetzbar wäre, würde eine Mehrheit der Mitgliedstaaten sich nicht daran halten. Das ist Ihr Problem. ({1}) Frankreich, Italien und ihr Gefolge in Südeuropa, die in allen EU-Organen, von der Kommission über die EZB bis zum EuGH, eine breite Mehrheit haben, weil zum Beispiel Zypern und Malta das gleiche Stimmengewicht haben wie Deutschland und die Niederlande, wollen das Gegenteil von dem, was der CDU-Antrag will. Alle Staaten des „Club Med“ wollen die Schuldenunion, und damit sind wir bei des Pudels Kern. Mitterrand sprach Anfang der 90er-Jahre von der D‑Mark als Atombombe der Deutschen. Er sagte zu Margaret Thatcher – ich zitiere –: Ohne eine gemeinsame Währung sind wir alle, Sie und ich, dem Willen der Deutschen unterworfen. – Deshalb wurden Lagarde, die vor ihrem EZB-Amt französische Ministerin war, und Trichet, der vorher Berater bei Giscard d’Estaing war, ins Rennen geschickt – wir haben unsere Kandidaten im Regen stehen lassen –, und Draghi betrieb hemmungslose und rechtswidrige Staatsfinanzierung Italiens durch die EZB. Das ist die Neutralität der EZB, zu der Sie als Union fest stehen, wie Sie dieser Tage schreiben. Wir haben in Deutschland also nicht nur einen migrationspolitischen, einen außen- und verteidigungspolitischen, einen energiepolitischen und einen schuldenpolitischen Konkurs, sondern auch einen europolitischen. Das ist das Ergebnis der jahrelangen Politik von allen Parteien in diesem Hause. Deshalb brauchen wir eine neue. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Jamila Schäfer. ({0})

Jamila Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005200, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch die fiskalischen Regeln in der EU setzen wir uns selbst einen Rahmen, um unsere Handlungsfähigkeit zu stärken. Dieser Rahmen muss sich natürlich auch an den Herausforderungen unserer Zeit ausrichten. Dass der derzeitige Stabilitäts- und Wachstumspakt das gerade nicht tut, darin sind wir uns hier sogar weitgehend einig. Doch der Weg, den die Union hier vorzeichnen will, führt uns genau in die falsche Richtung. ({0}) In der Sache gebe ich Ihnen zunächst einmal recht: Eine niedrigere Inflationsrate ist wichtig für die Stabilität des Euro. Aber Sie gehen bei der Problembehandlung von völlig falschen Prämissen aus, und deshalb kommen Sie auch zu den falschen Ergebnissen. ({1}) Erstens. Die aktuelle Inflation kommt nicht einfach nur von der Geldmenge oder der Höhe der Kredite. ({2}) Sie kommt durch unsere Abhängigkeit von fossilen Energien und einen Angebotsschock seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Diese Abhängigkeit von fossilen Energien haben Sie mitverursacht. ({3}) Eine angebotsgetriebene Inflation kann man nicht einfach totsparen. ({4}) Wir müssen jetzt investieren in eine resiliente Energieversorgung, mit der uns kein Autokrat dieser Welt mehr erpressen kann. ({5}) Zweites Problem. Sie missachten die Chancen von Konjunkturstabilisierung. Aber der Rückgang öffentlicher Investitionen ist gerade jetzt, wo wir auch noch mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, eine sehr große Gefahr. ({6}) Aus diesen Krisen herauszukommen, erfordert eine große Kraftanstrengung. Kredite können die Konjunktur stabilisieren. ({7}) Und sie können verhindern, dass reihenweise Unternehmen und Jobs verloren gehen. Einen Staatshaushalt, der sich in dieser Krise selbst die Luft abschnürt, wird seine Wirtschaft ersticken. Deshalb darf man sich in einer Krise kein zu enges Korsett schnüren. ({8}) Was der rapide Abbau der Staatsschuldenstände ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Herausforderungen und die Bedürfnisse der Gesellschaft bedeutet, konnten wir schon seit der Finanzkrise beobachten. ({9}) Die Austeritätspolitik hat vor allem im europäischen Süden zu extremer Jugendarbeitslosigkeit und zu erhöhten Selbstmordraten geführt. ({10}) So. Und außerdem hat ein radikaler Sparkurs in der aktuellen Wirtschaftskrise und auch in vergangenen schon häufig Zukunftsängste geschürt, die dann von autoritären Kräften wie von Ihnen zu meiner Rechten schön instrumentalisiert werden. Es braucht aber Stabilität und Solidarität statt Spaltung. ({11}) Apropos „Stabilität“. Sie schreiben ja selbst in Ihrem Antrag, Sie wollen Stabilität schaffen. Da frage ich mich aber: Welche Stabilität können Sie als Union eigentlich in Europa schaffen, wenn Sie erstens die extrem destabilisierende Sparpolitik mitverantwortet haben, die Europa noch heute spaltet, ({12}) und wenn zweitens Ihr erster Mann in Europa, Manfred Weber, für ein rechtsextremistisches Wahlbündnis in Italien Wahlkampf macht oder wenn der eigene Parteivorsitzende Friedrich Merz ohne Fakten ukrainischen Kriegsflüchtlingen Sozialtourismus vorwirft? ({13}) Das ist eine Wortwahl, die bewusst Spaltung und Empörung sät. Und da kann man nur sagen: Gut, dass Sie nicht Bundeskanzler oder Außenminister sind, Herr Merz! Drittes Problem Ihrer Argumentation. Sie haben eine sehr verkürzte Vorstellung von Generationengerechtigkeit. ({14}) Wie generationengerecht ein Staatshaushalt ist, bemisst sich nämlich nicht nur an einer Schuldenquote, sondern auch an der Krisenfestigkeit und der Höhe seiner Zukunftsinvestitionen. ({15}) Ich will meinen Kindern später einmal nicht sagen müssen: Eure Lebensgrundlagen haben wir leider irreversibel zerstört; aber immerhin gab es davor in Europa ausgeglichene Staatshaushalte für ein paar Jahre. ({16}) Wenn wir jetzt zu wenig Investitionen in erneuerbare Energien und Klimaneutralität vornehmen und zu wenig zukunftsfähige Jobs schaffen, dann hat das mit Generationengerechtigkeit überhaupt gar nichts mehr zu tun. ({17}) Unsere Kinder und Enkel verdienen aber nicht nur intakte Ökosysteme, sondern auch eine Zukunft in demokratischer Selbstbestimmung. Ob die liberale Demokratie als Gewinner dieses Systemwettbewerbs in diesem Jahrhundert hervorgehen wird, hängt davon ab, ob wir in Krisenzeiten entschlossen genug handeln können. ({18}) Wir haben diese Woche doch gesehen, wie hoch allein der Preis für eine naive Energie- und Außenpolitik einer unionsgeführten Regierung ist. Aber wir müssen ihn eben jetzt bezahlen, weil Demokratien handlungsfähiger sein müssen als die Autokraten dieser Welt. Und in dieser Auseinandersetzung dürfen wir unsere Handlungsspielräume jetzt nicht künstlich verkleinern. ({19}) Im Gegenteil: Wir müssen sie vergrößern und ausnutzen. Und dafür brauchen wir jetzt die richtigen fiskalpolitischen Regeln. ({20}) Deshalb schaffen wir einen stabilen Wirtschafts- und Währungsraum, auf den sich die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union auch verlassen können. ({21}) Dazu gehört auch, die Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten sicherzustellen. Und diese Stabilität erreichen wir auch, indem wir Krisenresilienz vorantreiben. ({22}) Darum setzen wir in Zukunft auch auf den präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und ermöglichen mit dem Wegfall der 1/20-Regel schuldengeplagten Mitgliedstaaten, zum Gestalter der Transformation zu werden. ({23}) Ihr Antrag zeigt einmal mehr: Es ist gut, dass nicht Sie in der Bundesregierung mitbestimmen ({24}) und Ihre Vorstellungen von Stabilität in der Mottenkiste bleiben können. ({25}) Wir schaffen mit unseren europäischen Partnern eine Fiskalpolitik, die uns die Krisen bewältigen lässt, statt immer neue zu schaffen. Deshalb werden wir diesen Antrag selbstverständlich ablehnen. Herzlichen Dank. ({26})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir als Linke stehen für ein Europa der Solidarität und des Zusammenhalts – und das heißt auch: für ein Europa der öffentlichen Investitionen. ({0}) Die Union steht genau für das Gegenteil. Ihre Formulierung von der Schuldenunion ist ein ideologischer Kampfbegriff. Man kann ihn auch übersetzen: „Schuldenunion“ heißt: Sparzwang, Privatisierungszwang und Schuldenbremse. Und das lehnen wir ab, meine Damen und Herren. ({1}) Dass die Schuldenbremse ökonomisch in die Irre führt, hat inzwischen selbst Christian Lindner erkannt. Er wagt es nur noch nicht auszusprechen. ({2}) Die Union verweist in ihrem Antrag anklagend auf die Politik der Regierung Schröder. Nun, ich finde, nach 16 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkel ist es doch ein bisschen albern, jetzt auf Gerhard Schröder zu verweisen. Finden Sie nicht? ({3}) Aber ich kann Ihrem Wunsch, in die Vergangenheit zu blicken, gerne nachkommen. Aus der Finanzkrise 2008 und der Politik der Troika haben Sie augenscheinlich nichts gelernt. ({4}) Unter Führung – das ist hier schon erwähnt worden – des CDU-Finanzministers Wolfgang Schäuble wurde Griechenland eine beispiellose Kürzungspolitik aufgezwungen. Das Ergebnis waren Rentenkürzungen, eingefrorene Gehälter im öffentlichen Dienst, eine dramatische Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen. Griechenland wurde eine verantwortungslose Privatisierungspolitik diktiert, worunter das Land heute immer noch leidet. Und als dann bekannt wurde, dass der Hafen von Piräus jetzt einem chinesischen Großkonzern gehört, war der Aufschrei groß – allerdings zu spät, meine Damen und Herren. ({5}) Wie fatal die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur ist, sehen wir jetzt auch in unserem eigenen Land. Darum unsere klare Forderung: Energieversorgung und kritische Infrastruktur gehören in die öffentliche Hand, meine Damen und Herren. ({6}) Jetzt muss der Staat nämlich mit Milliarden diese Fehler reparieren, und das kostet natürlich unser aller Geld. Meine Damen und Herren, Europa im Jahr 2022 steht vor der größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Menschen in Deutschland und ganz Europa sind von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen betroffen. Eine beispiellose Armutsspirale droht. 60 Prozent der Haushalte in Deutschland verbrauchen für die laufenden Ausgaben ihre gesamten monatlichen Einkünfte und teilweise sogar Ersparnisse. In den baltischen Ländern haben wir Inflationsraten von bis zu 25 Prozent. Da ist es doch unsere Aufgabe, die Solidarität in Europa zu stärken, und nicht, wie die CDU es fordert, sie zu untergraben. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren. ({7}) Statt auf starre Fiskalregeln zu setzen, müssen wir auf ein solidarisches Europa mit einem echten Konjunkturprogramm setzen. Es ist doch klar: Deutschland kann nicht den Zuchtmeister Europas spielen. ({8}) Wir sehen doch: Aufgrund unserer geopolitischen Lage und der Energiekrise sind wir auf die Solidarität anderer Länder im Augenblick besonders angewiesen. Russland hat die Ukraine überfallen. Das ist ein schweres Verbrechen. Jeden Tag sterben Menschen und leiden. Und darum muss dieser Krieg wie alle Kriege auf dieser Welt beendet werden. Wir erwarten internationale Anstrengungen, meine Damen und Herren, damit dieser Krieg endlich endet. ({9}) Dieser Krieg hat aber mehr als viele andere Kriege weltweite Auswirkungen: dramatische Auswirkungen auf den Globalen Süden und auch dramatische Auswirkungen auf unser Land. Die Regierungen der vergangenen 30 Jahre haben doch immer folgendes Geschäftsmodell unterstützt: billige Rohstoffe, zum Beispiel aus Russland, kaufen und Hochtechnologien verkaufen. ({10}) Das hat auch in hohem Maße zum Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft beigetragen, und damit wurden andere Länder unter Druck gesetzt. Das droht uns jetzt schmerzhaft auf die Füße zu fallen. Meine Damen und Herren, der Antrag der Union ist derartig aus der Zeit gefallen, dass Sie ihn am besten zurückziehen sollten. ({11}) Denn nur ein solidarisches Europa hat eine Zukunft. Vielen Dank. ({12})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Thorsten Lieb. ({0})

Dr. Thorsten Lieb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005129, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, beginne ich mit einem Zitat: „Der Maastrichter Vertrag ist ein Versprechen; Wirklichkeit ist er noch nicht.“ Mit diesen prophetischen Worten hat Otto Graf Lambsdorff vor fast exakt 30 Jahren, am 8. Oktober 1992, im Deutschen Bundestag auf die besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung und Erfüllung des Stabilitätspaktes von Maastricht hingewiesen – übrigens schon ein Beitrag zu finanzieller Nachhaltigkeit, als noch kaum jemand über Nachhaltigkeit gesprochen hat, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Die Komplexität der ursprünglich doch eher knappen und klaren Regelung hat von Krise zu Krise leider deutlich zugenommen. Die Entschließung von 1997, Sixpack, Twopack, dazu ein Europäisches Semester: Den Stabilitätspakt in seiner heute geltenden Form hier auch nur vorzutragen und zu erklären, würde leider jede denkbare Redezeit sprengen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Entwicklung der so notwendigen Stabilitätskultur in der Europäischen Union hat das leider nicht befördert. ({1}) Im Gegenteil: Das Unterlassen eines Verfahrens wegen Verstößen gegen die Regelung, nur weil es sich um Frankreich handelt, steht dafür eigentlich sinnbildlich. Keinesfalls ist das natürlich auf einzelne Mitgliedstaaten beschränkt. Leider waren wir – Deutschland gemeinsam mit Frankreich – mit die Ersten, die gegen den Pakt verstoßen haben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe ich es als eine besondere Verantwortung Deutschlands, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuhalten. ({2}) Ich bin der Union dankbar, dass sie diesen Antrag heute stellt, weil uns die gemeinsame Sorge um die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion verbindet. Die Debatte ist es wert, geführt zu werden. Sie ist notwendig, und sie wird sicher nicht mit dem heutigen Tag enden; sie beginnt erst. Deswegen hätte ich mich gefreut, wenn Sie den Antrag vor allem auch der Kommissionspräsidentin geschickt hätten – das ist ja schon angesprochen worden –; denn da gehört das hin. ({3}) Weniger dankbar bin ich allerdings den Kolleginnen und Kollegen von der Union für den puristischen Antrag, der, bei Lichte betrachtet, dann doch ganz wenig Konkretes enthält. ({4}) So sprechen Sie natürlich richtigerweise die Komplexität des Regelwerks an; aber die ganz konkreten Vorschläge, wo Sie die Komplexität reduzieren wollen, habe ich leider vermisst. Wo wir dabei sind: Was hat Sie eigentlich daran gehindert, in den vergangenen acht Jahren, in denen – so habe ich das zumindest in Geschichte gelernt – auch die CDU das Finanzministerium mal an der Spitze besetzt hat, die konkreten Vorschläge einzubringen? Es wäre längst die Zeit gewesen, den notwendigen Reformprozess anzustoßen. Es war auch Ihr Versäumnis in den vergangenen Jahren, dass das nicht passiert. ({5}) Stattdessen kritisieren Sie einen Vorschlag des Finanzministers, einen Vorschlag, der dem Koalitionsvertrag folgt, der angemessen ist und, zur Zeit passend, einen realistischen Ansatz fährt. Purismus ist in dieser Zeit nicht angebracht. Es geht jetzt um die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, um die Sicherung von Wachstum in der EU und um den Erhalt der Schuldentragfähigkeit. Gleichzeitig behalten die Vorschläge das Ziel klarer und verbindlicher Regeln im Blick und gehen umfassend auf die eben nicht nur rein fiskalpolitischen Herausforderungen des Stabilitätspaktes ein. ({6}) Es geht weit darüber hinaus, und darauf geben Sie keine Antworten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Einen ganz wichtigen Beitrag zur Stabilität leistet auch die Einhaltung der Schuldenbremse hier in der Bundesrepublik Deutschland ab 2023. Dazu bekennen Sie sich auch. Wenn ich aber die Haushaltswoche hier noch mal Revue passieren lasse und die Mengen an Mehrausgabenwünschen, die gerade die Kolleginnen und Kollegen der Union hier vorgetragen haben, ({8}) dann muss ich mir schon die Frage stellen, ob das, was Sie hier richtigerweise aufgeschrieben haben, überhaupt ernst gemeint ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Natürlich hat die Einhaltung der Regeln auch inflationsdämpfende Wirkung. Das wird ja manchmal etwas kompliziert formuliert – es gibt auch eine abweichende Mindermeinung –, aber das Desaster um das Britische Pfund in den vergangenen Tagen zeigt uns doch noch mal deutlich, wie fehlgeleitet expansive Fiskalpolitik in diesen Zeiten ist. Deswegen müssen wir bei Stabilität und bei der Schuldenbremse bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Die besondere Verantwortung gerade der Bundesrepublik Deutschland beim Thema Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht nur eine politische, sie ist auch eine rechtliche. Das Bundesverfassungsgericht hat uns das 1993 im Maastricht-Urteil ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben: Die … Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes. Das dürfen wir nie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Maastricht ist damit auch ein Versprechen für den Zusammenhalt der Europäischen Union. Deswegen komme ich mit einem weiteren Zitat von Otto Graf Lambsdorff zum Ende: Dennoch muß es uns klar sein, um was es in dieser Stunde geht. Europa steht vor einer historischen Wegscheide. Es gibt keine andere Möglichkeit als den Kurs der europäischen Integration. Das war vor 30 Jahren richtig, und das ist heute richtig. Unsere Generation bleibt genau deshalb aufgerufen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten, auch für Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa. Vielen Dank. ({10})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Yannick Bury. ({0})

Yannick Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hagedorn, die Diskussion, die wir heute führen, ist aktueller denn je. Wir haben am Wochenende die Parlamentswahlen in Italien gesehen, bei denen erneut ein Vertrauensverlust in Europa zum Ausdruck kam. ({0}) Wir sehen seit Wochen und Monaten, dass in Osteuropa auf der einen Seite ein neuer Zusammenhalt entsteht, gleichzeitig aber auch Zweifel aufkommen an der Handlungsfähigkeit, an der Perspektive, die Europa geben kann. Beides zeigt, dass wir dringend Antworten geben müssen, wie wir uns die Zukunft der Europäischen Union vorstellen, ({1}) und dass wir auch und gerade in den aktuellen Tagen der Krise den Blick über den Tag hinaus richten müssen. Das gilt auch und gerade für die zentrale Frage, wie der Weg in der gemeinsamen Finanz- und Haushaltspolitik nach 2024 aussehen soll, ob Europa dauerhaft zu einem realistischen Weg solider Haushaltspolitik zurückkehren soll oder ob wir zunehmend den Weg hin zu weiterer Verschuldung gehen, mit allen Konsequenzen, die das für die Stabilität der Währungsunion und damit für den Zusammenhalt in Europa hat. ({2}) Das, meine Damen und Herren, gilt heute mehr denn je, weil die Diskussion um die Reform des Stabipaktes nächste Woche starten wird mit den Vorschlägen der Europäischen Kommission. ({3}) Es ist entscheidend, dass Deutschland in dieser Diskussion eine konstruktive Führungsrolle einnimmt, dass die Bundesregierung sich mit Vorschlägen einbringt, mit denen wir das Signal einer Perspektive nach Italien, nach Osteuropa senden, mit denen wir deutlich machen, wie wir die Währungsunion weiterentwickeln wollen, und mit denen wir zeigen, dass das geht, sowohl mit Blick auf Solidität als auch mit Blick auf Realismus. ({4}) Darum hätte ich mir gewünscht, dass es die Bundesregierung ist, die diese Diskussion ins Parlament bringt, dass Sie Ihre Vorstellungen hier im Plenum auch mit den Parteien der Opposition diskutieren. Bis heute haben Sie das nicht getan. Darum haben wir das heute auf die Tagesordnung gesetzt. ({5}) Dass Sie dieses Thema nicht ins Parlament gebracht haben, ist umso erstaunlicher, als Sie diese Diskussion innerhalb Ihrer Koalition ja durchaus geführt haben und daraus ja auch Ihr Prinzipienpapier als Verhandlungsgrundlage auf europäischer Ebene entstanden ist. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Ihr Papier enthält Elemente, bei denen die Richtung im Grundsatz auch erst mal stimmt. ({6}) Aber es zeigt sich leider auch hier das Muster, das sich ein bisschen durch die gesamte Finanzpolitik Ihrer Koalition zieht, nämlich dass die Ansätze im Finanzministerium zwar erst einmal in die richtige Richtung gehen, das aber dann nur so lange hält, bis Sie zu einer abgestimmten Position in der Koalition kommen müssen ({7}) und Sie dann immer am entscheidenden Punkt falsch abbiegen. ({8}) Darum schreiben Sie auch in Ihren Vorstellungen zur Reform des Stabipaktes erst mal gute Ansätze auf, biegen dann aber gerade an der entscheidenden Stelle falsch ab. Anstatt den präventiven Arm zu stärken – das wäre der richtige Ansatz –, wollen Sie die Verpflichtungen zum verbindlichen Schuldenabbau abschaffen; Kollegin Schäfer hat es eben noch mal bestätigt. Anstatt die Regel durch einen insgesamt stärkeren Fokus auf die Ausgaberegel durchsetzbarer zu machen, schlagen Sie zusätzliche Ausnahmen, zusätzliche Flexibilitätsklauseln vor. Sie machen das Regelwerk damit nur noch komplizierter. Und anstatt die Verfahren bei Regelverstößen zu verschlanken, gibt es überhaupt keine Vorschläge, wie die Verfahren besser und effektiver werden sollen. ({9}) Darum muss man leider sagen: Auch wenn die Ansätze des Finanzministers erst mal in die richtige Richtung weisen, verwässert der Formelkompromiss, bei dem Sie auch hier mit Ihren Koalitionspartnern enden, im Ergebnis die europäischen Schuldenregeln. Er macht sie noch komplexer und damit noch weniger durchsetzbar, als sie es heute sind. Darum machen wir Ihnen mit unserem Antrag konkrete Vorschläge, zu welchen Schlussfolgerungen Sie in Ihrem Papier eigentlich hätten kommen müssen, wie man, statt die Regel zum Schuldenabbau außer Kraft zu setzen, den Abbaupfad realistischer ausgestalten kann und damit, gerade nach Italien beispielsweise, das Signal setzen kann, dass Realismus und Solidität zusammengehen. Wir schlagen ganz konkret vor, wie man die Verfahren verschlanken und straffen kann und damit durchsetzbarer macht, wie man die Transparenz, ob die Regeln eingehalten werden, verbessern kann. Mein herzlicher Appell, insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der FDP, lautet darum: Sorgen Sie dafür, dass bei der Reform der europäischen Fiskalregeln nicht nur die finanzpolitischen Ansätze stimmen, sondern ausnahmsweise auch mal das Ergebnis. Die passenden Vorschläge dazu liegen jetzt vor. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johannes Schraps für die SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Schriftführerinnen und Schriftführer! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat gerade mal etwas mehr als ein Jahr her, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, dass wir noch in einer gemeinsamen Koalition regiert haben. Vor knapp fünf Jahren haben wir den damaligen Koalitionsvertrag ausgearbeitet und seine Bestandteile anschließend Schritt für Schritt umgesetzt. Gerade das bereits erwähnte Europakapitel war damals maßgeblich. Wir haben uns damals dazu bekannt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft unser Kompass bleiben soll. „Stabilität und Wachstum bedingen einander und bilden eine Einheit“, so hieß es damals im Koalitionsvertrag. ({0}) Und wir waren uns einig, gemeinsam dafür einzutreten, dass Deutschland seiner europäischen Verantwortung in einem Geist partnerschaftlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Solidarität gerecht wird, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Deutschland hat Europa unendlich viel zu verdanken. Auch deshalb sind wir seinem Erfolg verpflichtet. Für Deutschland ist ein starkes und geeintes Europa der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand. ({1}) Bettina Hagedorn hat es zitiert; das ist der Koalitionsvertrag von 2018. Auch wir in der aktuellen Koalition wollen weiter ein starkes und stabiles Europa. Und insbesondere jetzt, wo zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder ein brutaler Angriffskrieg auf dem europäischen Kontinent stattfindet, brauchen wir dieses Europa mehr denn je, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Aber ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Union: Kann man ein starkes und stabiles Europa weiterentwickeln und weiter verbessern? Oder – wir sprechen ja über einen Unionsantrag; ich sollte mich vielleicht etwas weniger progressiv ausdrücken –: Kann man ein starkes und stabiles Europa bewahren, indem man die EU‑Mitgliedstaaten ohne finanzielle Unterstützung und jegliche Stabilität in einer Energie- und Wirtschaftskrise einfach so dastehen lässt? Ich sage mal so – es ist ja auch schon angesprochen worden –: Das konservative Krisenmanagement der Austeritätspolitik hat in der Europäischen Union nicht immer zu mehr Zusammenhalt, zu Stabilität und zur Eindämmung von Krisen geführt. ({3}) Im März 2020 haben wir – damals übrigens auch noch in einer gemeinsamen Koalition – die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aktiviert. Sie merken in Ihrem Antrag völlig zu Recht an, dass es den EU‑Mitgliedstaaten damit möglich war, durch kreditfinanzierte zusätzliche Ausgaben ihre Volkswirtschaften in der Krise zu stabilisieren. Das ist ja deshalb offensichtlich unstrittig. Nun stellen Sie auch fest, dass diese Ausnahmeregelung als Reaktion auf die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekrieges von der EU‑Kommission um ein weiteres Jahr bis 2023 verlängert wurde. Sie kritisieren das, indem Sie feststellen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt damit seit fast vier Jahren außer Kraft gesetzt sei, und fordern, in den bestehenden fiskalischen Regelrahmen zurückzukehren und die Ausweichklausel zu deaktivieren. Ich darf mal versuchen, das in etwas einfachere Sprache zu übersetzen: Also Sie stellen fest, dass die Möglichkeiten dieser Ausweichklausel vielen Ländern und der Europäischen Union insgesamt geholfen haben, sich in einer akuten Krisensituation zu stabilisieren, und haben das ja als Teil der vorherigen Koalition richtigerweise mitgetragen. Heute, mit diesem Antrag, wollen Sie das, was damals funktioniert hat, indem es stabilisierend gewirkt hat, in einer Situation, wo wir es sogar mit multiplen Krisensituationen zu tun haben, so schnell wie möglich nicht mehr weitermachen und lieber wieder auf das Pferd setzen, das schon früher nicht so richtig etwas gebracht hat. Ich weiß ja nicht so recht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Kollege Lieb von der FDP hat es angesprochen, und auch ich kann in Ihrem Antrag, ehrlich gesagt, keinerlei konkrete Lösungsvorschläge erkennen, wie die EU‑Mitgliedstaaten bei dann wieder strengeren Vorschriften in der aktuellen akuten Krisenlage für finanzielle Stabilität sorgen könnten. Einige wirtschaftlich starke Länder – in Klammern: Deutschland – könnten das möglicherweise hinbekommen, ({5}) andere aber möglicherweise nicht. Ich sage mal: Zumindest mit dem Geist der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Solidarität aus dem Koalitionsvertrag von 2018, zu dem Sie sich damals bekannt haben, kann ich Ihre jetzigen Forderungen nicht mehr verbinden. Es ist schade, das zu hören. ({6}) Dabei will ich gar nicht bestreiten, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt reformiert und weiterentwickelt werden muss. Das ist, wenn ich es in Ihrem Antrag richtig lese, ja auch bei Ihnen Konsens. Wenn man sich die Geschichte seit der Einführung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vor knapp 30 Jahren anschaut, dann muss man ja tatsächlich feststellen: Die Maastrichter Kriterien sind nicht immer eingehalten worden. ({7}) In den Jahren nach der Staatsschulden- und Eurokrise fand in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwar eine fiskalische Konsolidierung statt, nun – im Angesicht der Covid‑19-Pandemie und der Inanspruchnahme von massiven fiskalischen Konjunktur- und Investitionsprogrammen – sind zahlreiche Mitgliedstaaten aber teilweise erneut weit entfernt von der Einhaltung der EU‑Fiskalregeln. Reformbedarf ist also in der Tat klar. Die Europäische Union hat das aber offensichtlich auf dem Schirm; denn mit ihrer Mitteilung aus dem vergangenen Oktober hat sie ja eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes angeregt und die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament zu einem Diskussionsprozess hierzu eingeladen. Man könnte auch sagen: sie dazu aufgefordert. Als Sozialdemokraten haben wir uns mit unseren Koalitionspartnern auf eine weitere Vorgehensweise verständigt. Die Prinzipien der Bundesregierung für die Reformdiskussion zu den EU‑Fiskalregeln sind ja in Ihrem Antrag und auch hier in der Debatte schon mehrfach angesprochen worden. Denn es ist in der Tat enorm wichtig, gerade jetzt an gemeinsamen Lösungen zur Stärkung und Vertiefung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu arbeiten, um die europäische Stabilität in diesen Krisenzeiten zu gewährleisten, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Und dabei geht es keineswegs darum, dass irgendwie Geld aus dem Fenster geschmissen werden soll, wie Sie mit Ihren Vorwürfen immer so ein bisschen untergründig suggerieren. Vielmehr geht es darum – da will ich gerne Kanzler Olaf Scholz aus der Europaausschusssitzung am Mittwoch, zu der er aus Coronagründen digital zugeschaltet war, zitieren –: Transformationsinvestitionen müssen auch in diesen Zeiten möglich sein! – Und damit hat er vollkommen recht. ({8}) Zukunftsinvestitionen sind nicht nur notwendig, um in Zukunft Investitionsschulden – Kollegin Schäfer hat darauf hingewiesen – zu vermeiden, sondern sie zahlen sich auch aus; denn sie führen letztlich zu einer Stärkung unserer Volkswirtschaft in der Zukunft. Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag ganz klar verankert, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wir wollen die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur, – in notwendigen Ausbau und Sanierung – auch um die deutsche Wirtschaft zukunftsfest und nachhaltig aufzustellen und Arbeitsplätze zu sichern. ({9}) Es ist wichtig, dass es den Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt. Denn die exzessive Verschuldung eines Mitgliedstaates kann natürlich auch Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten mit sich bringen und damit möglicherweise die Stabilität der gesamten Währungsunion gefährden. Fiskalregeln sind in einem gemeinsamen Währungsraum notwendig. Genauso wichtig ist es aber auch, dass der Stabipakt kein starres Gebilde ist und dass er weiterentwickelt wird. In diesem Sinne gehört die hohe Flexibilität, die wir mit der Ausweichklausel nutzen, gerade zu den großen Stärken des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. ({10}) Das hat dieses fiskalische Regelwerk der Europäischen Union zuletzt in der Pandemie eindrucksvoll bewiesen, indem es an zentralen Stellen die Berücksichtigung spezifischer Umstände erlaubt hat und damit Möglichkeiten eröffnet hat, wo es sonst nur Stillstand gegeben hätte. Auf dieser Grundlage kann man aufbauen und die Vorschläge aus dem Prinzipienpapier der Bundesregierung für die Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspakts nutzen. Mit mehr Transparenz und Effizienz, mit einer Konkretisierung der Kriterien bei der Anwendung der allgemeinen Ausweichklausel oder auch mit der Herstellung einer größeren organisatorischen Unabhängigkeit des European Fiscal Boards von der Europäischen Kommission. All das sind Vorschläge, die man diskutieren kann. Die Schuldentragfähigkeit und die Sicherung solider öffentlicher Haushalte bleiben dabei aber wichtige Kernziele. Es braucht deshalb klare und schrittweise Pläne für den Abbau von Schulden. Schuldenabbau bleibt das Ziel, aber – und da ist der große Unterschied – ohne dabei die Herausforderungen von Inflation und Krisensituationen aus dem Blick zu verlieren, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Das ist der einzige Weg, wie wir sowohl wirtschaftliche als auch politische Stabilität innerhalb der Europäischen Union beibehalten können. In der aktuellen Krise ist die Stärke Europas auch unsere Stärke, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und zwar mehr denn je. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Kollegen der Union! Herr Merz, das ist ja fein: Sie fordern, dass Regeln wieder eingehalten werden, nachdem Sie von der Union 16 Jahre lang unter Angela Merkel wirklich jede Norm, die Ihnen politisch nicht in den Kram gepasst hat, über Bord geworfen haben. ({0}) – Da können Sie den Saal verlassen; aber das ist die Wahrheit! Hätte sich die Union mit Angela Merkel von Anfang an für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ausgesprochen, dann hätten wir heute nicht die Probleme der Inflation, der Geldentwertung, die wir in der Eurozone sehen. Hätte die Union damals unter Angela Merkel – hören Sie ruhig zu, Herr Merz! – zum Beispiel den Atomausstieg nicht spontan gegen jegliche Normen beschlossen, dann stünden wir heute, im Winter, nicht vor diesen Energieversorgungsproblemen. ({1}) Hätte die Union damals unter Angela Merkel nicht gleichzeitig Schengen, Dublin, das Asylgesetz, das Grundgesetz über Bord geworfen und massenhaft illegale Migranten importiert, dann hätten wir auch kein Problem mit „Sozialtourismus“, Herr Merz, ({2}) und dann hätten wir auch kein Problem mit demokratischer Stabilität, Zufriedenheit und Wohlstand in unserem Land. ({3}) Deswegen ist es wohlfeil, dass Sie das fordern, nachdem Sie sogar noch vor drei Jahren eine Ursula von der Leyen in die EU‑Kommission befördert haben, eine Frau, die jetzt die Aushöhlung des Fiskalpakts fordert, und gleichzeitig eine Christine Lagarde an die Spitze der Europäischen Zentralbank, die beide nur ein zentrales Ziel haben, meine Damen und Herren: auf der einen Seite die Schuldenunion in Europa zu ermöglichen und gleichzeitig die Souveränität der Nationalstaaten zu untergraben und abzugraben, koste es, was es wolle, „whatever it takes“, und wenn es unser Wohlstand ist. ({4}) Aber kommen wir doch tatsächlich zu Ihrer Kernforderung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt – wenn wir jetzt mal daran glauben, dass er tatsächlich eingehalten werden könnte – tatsächlich eingehalten werden soll. Er schreibt zum Beispiel eine Maximalgrenze von 60 Prozent Schuldenniveau im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt vor. Wir müssen an dieser Stelle feststellen: An keinem einzigen Tag während der Existenz der Eurozone haben alle Euromitgliedsländer die Konvergenzkriterien eingehalten. An keinem einzigen Tag war das der Fall! 60 Prozent ist die aktuelle Obergrenze. Wir stehen in Griechenland schon bei 189,3 Prozent, in Italien bei 152,6 Prozent, in der Eurozone im Schnitt bei 95,6 Prozent. Italien hatte bei seinem Beitritt schon 106,36 Prozent. Wie wollen Sie bitte schön politisch wie auch wirtschaftlich diese Absenkung auf 60 Prozent hinbekommen? Wie wollen Sie das machen? Ich sage Ihnen was: Der Zug ist abgefahren, und er ist abgefahren, weil Sie das damals ermöglicht haben, ({5}) weil Sie Programme wie EFSF aufgelegt haben, die einmalig sein sollten wie jetzt „Next Generation EU“, die sich aber zum ESM verfestigt haben. Ich sage Ihnen was: Wir brauchen den Fiskalpakt nicht auszuhöhlen; wir brauchen ihn auch nicht zu fordern. Wir müssen sagen: Weg aus diesem ganzen System; weg vom Euro! Uns muss es egal sein können, ob Italien Schulden macht. Hauptsache, wir haben Normen, an die wir uns halten, die wir demokratisch legitimiert haben, ({6}) und die für Wohlstand und Wachstum in unserem Land sorgen. Und das geht nur auf nationaler Ebene mit nationaler Legitimation und nationaler Entscheidung. Haben Sie herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Andreas Audretsch das Wort. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lage in Europa ist ernst dieser Tage, und sie ist ernst angesichts eines Gaskrieges von Wladimir Putin ({0}) und einer drohenden Rezession, die wir in ganz Europa sehen. In Italien sehen wir, was passiert, wenn populistische Kräfte – in dem Fall faschistische Kräfte – ({1}) einfache Antworten anbieten. Genau das haben wir hier von der rechten Seite wieder in der gesamten Debatte erlebt, auch gerade von Herrn Kleinwächter. ({2}) Deswegen geht es jetzt darum, in diesem Friedensprojekt Stabilität und Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen. Das muss der Kern der Debatte sein, die wir hier führen. ({3}) Wir dürfen Länder nicht gegeneinander ausspielen – das wäre das Schlimmste, was wir jetzt machen könnten –, sondern wir müssen uns ernsthaft mit den Krisen beschäftigen, die auch in den europäischen Mitgliedstaaten stattfinden, ({4}) und wir müssen den Raum schaffen, dafür Lösungen zu finden. Deswegen verstehe ich auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, warum Sie es wagen, heute einen solchen Antrag hier zu stellen – völlig aus der Zeit gefallen und völlig ignorant gegenüber den Fragen, die sich derzeit in ganz Europa stellen. ({5}) Wie kommen Sie auf die Idee, in einer Zeit wie dieser, die wir gerade erleben, einen Antrag zu stellen, in dem – ich zitiere – „vom Krisen- in den Regelmodus“ übergegangen werden soll. Haben Sie gemerkt, was um Sie herum passiert? Merken Sie, was wir hier in Deutschland gerade machen? ({6}) Merken Sie, dass wir gestern 200 Milliarden Euro in den Pott getan haben und in die Vollen gehen, weil wir einen Gaskrieg haben? ({7}) Ist es tatsächlich Ihr Ernst, dass, wenn wir hier in Deutschland in die Vollen gehen, wir gleichzeitig sagen sollen, dass Spanien, dass Griechenland, dass Frankreich in einen Normalmodus übergehen sollen? Das ist von einer Ignoranz geprägt, das ist von einer Selbstbezogenheit geprägt, die nicht zu ertragen ist. ({8}) Was Sie hier andauernd vortragen, ist eine ideologische Selbstbezogenheit, die keine Lösung bietet. ({9}) Sie wollen zementieren, was in Europa über Jahre falsch gelaufen ist. Sie wollen zementieren, dass Sanktionen und das Spardiktat im Mittelpunkt stehen und nicht das Gestalten. Sie stellen sich hier an das Pult und fordern jeden Tag neue Milliarden für Maßnahmen, ({10}) jeden Tag werden von Ihnen neue Fantastilliarden ins Schaufenster gestellt, ohne jegliche Gegenfinanzierung. ({11}) Sie finanzieren nichts von alledem gegen. Und dann gehen Sie auch noch los und sagen, dass jetzt in anderen Ländern gespart werden muss. ({12}) Das passt hinten und vorne nicht zusammen; das ist überhaupt kein Konzept. ({13}) Genau dieses Agieren führt dazu, dass Sie Europa auseinandertreiben. Es ist schlimm genug, wenn Sie völlig unseriöse Politik in Deutschland machen. Es ist schlimmer, wenn Sie gleichzeitig versuchen, Missgunst in Europa zu säen; und das werden wir Ihnen so nicht durchgehen lassen. ({14}) Sich in Krisen reinzusparen, führt am Ende zu höheren Schuldenquoten. Wir haben das nach der Finanzkrise 2008 so oft gesehen; das ist so oft diskutiert worden. Ich hatte gehofft, dass Sie das irgendwann mal wahrnehmen in der Debatte, dass Sie mal Zeitung lesen, dass Sie sich mal angucken, was da passiert – tun Sie leider nicht. ({15}) Wenn wir jetzt nicht in ganz Europa in erneuerbare Energien investieren – wissen Sie, was dann passiert? Dann kommen wir nie weg von den fossilen Energien von Putin. Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir souveräner werden. ({16}) Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir klimaneutraler werden. Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir auch die Inflation in den Griff kriegen. Sie haben 16 Jahre lang dafür gesorgt, dass Putin jetzt eine so große Macht hat, ({17}) um das auszulösen, was im Moment in Europa los ist. Wenn wir das befolgen, was Sie sagen, dann wird uns das auch in den nächsten Jahren weiter drohen. Sie haben nichts gelernt, und das zeigen Sie genau mit dem Antrag, den Sie hier heute vorlegen. ({18}) – Es ist schön, dass Sie sich so aufregen. Dann merkt man, dass es Sie bewegt und dass Sie sich damit auseinandersetzen. ({19}) Wir führen eine sehr konkrete Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Und ja, es ist richtig: Wir brauchen Reformen. Es ist klar: Das Regelwerk muss einfacher werden, es muss verschlankt werden; das ist völlig klar. ({20}) Wir brauchen mehr Transparenz; wir brauchen mehr Nachvollziehbarkeit. Die Zwanzigstel-Regel zum Beispiel ist so starr, dass sie nicht funktioniert. Auch das muss reformiert werden; das ist völlig klar. Aber wir müssen dabei eins im Fokus behalten. Wir müssen im Fokus behalten, dass wir nicht mit einer ideologischen „One size fits all“-Regelung versuchen, irgendwelche Diktate über ganz Europa zu legen. Vielmehr müssen wir uns mit den Problemen in den Ländern auseinandersetzen, Lösungen finden und Investitionen ermöglichen, um dann auch aus den Problemen herauszukommen. ({21}) Angesichts der aktuellen Krisen – und angesichts der größten politischen Krise, die auch noch auf uns wartet gelöst zu werden, der Klimakrise – ({22}) müssen wir zum einen stabilisieren, damit wir jetzt durchkommen, und zum anderen investieren, um in Zukunft nicht mehr in solche Krisen zu kommen. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Das haben Sie nicht verstanden, und deswegen ist es gut, dass wir das tun. Ich danke Ihnen. ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, dass, wenn es Sie nach einer Frage oder Bemerkung drängt, das noch während der Redezeit anzuzeigen. ({0}) – Herr Brandner, ich muss erst einmal überhaupt nichts. ({1}) Es gibt jetzt überhaupt nichts zu verhandeln. Jede Fraktion hat auch Parlamentarische Geschäftsführer. Wenn das Präsidium anderweitig beschäftigt ist, ist es möglich, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer die Interessen ihrer Fraktionsmitglieder vertreten und auch Frage- und Redewünsche direkt anmelden. Wir fahren jetzt fort in der Debatte. Das Wort hat der Kollege Florian Oßner für die CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Audretsch, trotz aller rhetorischen Schulung war Ihre Rede ein Beweis des völligen Fehlens von sachlichem Hintergrund und hatte wirklich überhaupt nichts mit dem von uns vorgelegten Antrag zu tun, den wir heute diskutieren. ({0}) Besser könnte es wirklich nicht passen: Wir haben die Woche der Nachhaltigkeit, und zumindest die CDU/CSU-Fraktion hat dies mit Aktionen belebt und brachte zum Beispiel regionale Produkte aus der Heimat mit. ({1}) Die Ampel zeigte hier relativ wenige Ambitionen. Das spiegelt sich ja auch komplett in der Finanzpolitik wider: Seit Ludwig Erhards Zeiten ist die finanzielle Nachhaltigkeit fest in der DNA unserer Union verankert; bei Rot-Grün ist dies nicht erkennbar. ({2}) Man hat das heute wieder bei allen Vorrednern aus Ihren Reihen bemerkt: Die Forderungen nach Auflösung von Schuldenbremsen und zusätzlichen Milliardensummen aus dem Bundeshaushalt überschlagen sich förmlich im täglichen Rhythmus. ({3}) Das ist der fundamentale Unterschied zwischen einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik von CDU und CSU und einer rot-grünen Schulden- und Umverteilungspolitik. ({4}) Einem Aufweichen der Schuldenbremse werden wir uns als Union entschlossen entgegenstellen. ({5}) Ihre Einhaltung ist für uns auch kein bloßer Selbstzweck, wie uns immer wieder vorgeworfen wurde, oder ein sogenannter Fetisch, wie es auch mal bezeichnet wurde, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit. Solange nicht alle verzichtbaren Ausgaben in der jetzigen Krisensituation auf den Prüfstand gestellt werden, so lange verbietet es sich, über neue, exorbitante Schulden zu sprechen. Auch der von Bundeskanzler Scholz gestern verkündete neue Doppel-Wumms dürfte sehr teuer werden: ({6}) 200 Milliarden Euro nur für die Senkung des Gaspreises – das sind 2 500 Euro neue Schulden für jeden Bundesbürger und sogar 13 000 Euro neue Schulden für jeden Nettosteuerzahler. Das ist einfach Wahnsinn. ({7}) Solide Haushalte bedeuten hingegen Generationengerechtigkeit, Handlungsspielräume in der Zukunft und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. ({8}) Finanzielle Nachhaltigkeit darf jedoch nicht nur für Deutschland, sondern muss natürlich für die gesamte Europäische Union gelten. ({9}) Derzeit ist der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt bis Ende 2023 außer Kraft gesetzt – um zum Thema zurückzukehren –, ({10}) vorher wegen Corona und jetzt wegen des Krieges in der Ukraine. Dies darf jedoch kein Dauerzustand bleiben. ({11}) Deshalb finden in der EU Überlegungen statt, wie der Pakt reformiert werden kann. Deutschland kommt in dieser Reformdebatte eine Schlüsselrolle zu. Als größte Volkswirtschaft Europas haben wir hier eine Vorbildfunktion einzunehmen. ({12}) Eine Positionierung der Ampel, wie sie erst im August erfolgt ist, war daher längst überfällig. Allerdings sind diese Vorschläge zweifelhaft und machen ein ohnehin kompliziertes Regelwerk noch komplizierter. So zielt die Ampel auf eine Aufweichung der EU‑Fiskalregeln ab. Der Schuldenabbaupfad soll aufgegeben werden. ({13}) Die Flexibilitätsklauseln für Investitionen und damit auch die Ausnahmetatbestände sollen ausgeweitet werden. ({14}) Das alles führt nicht zu einem Mehr an Vertrauen. Exakt das aber bräuchten der Euro sowie die Europäische Union in dieser schwierigen Zeit! ({15}) Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehen wir ebenfalls einen dringenden Reformbedarf. Entscheidend ist dabei für uns: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss auf wenige Grundregeln verschlankt werden, ohne dabei die Fiskalregeln zu verwässern. Neuverschuldung bei maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und der Schuldenstand bei höchstens 60 Prozent – das sind verlässliche Größen seit Theo Waigel. ({16}) Auch die verbindliche Zielsetzung eines Schuldenabbaus muss weiterhin Bestand haben, ganz konkret zum Beispiel durch eine Glättung des Abbaupfads. Darüber hinaus erteilen wir allen Formen von Plänen der Vergemeinschaftung von Schulden in der EU eine klare Absage. Das gilt vor allem in Zeiten der Inflation. Ich komme zum Schluss. Um abschließend nochmals Ludwig Erhard zu zitieren: Die Inflation ist eine unverzeihliche Sünde. – Das Vertrauen in eine stabile und verlässliche Fiskalpolitik ist entscheidend für private Investitionen, aber auch für einen dauerhaften Zusammenhalt in Europa. Deshalb ist unser Antrag richtig. Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Karsten Klein das Wort. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist wichtig, dass wir vielleicht noch einmal darauf hinweisen, dass die Bundesregierung einen Vorschlag zur Reform des Stabilitätspaktes gemacht hat und darin feststellt, dass an den Zielen von maximal 60 Prozent Staatsverschuldung und 3 Prozent Defizit nicht gerüttelt wird. Das ist die zentrale Botschaft in diesem Vorschlag. ({0}) Und ich möchte in die Richtung der Union sagen: Das ist vielleicht für uns als Freie Demokraten eine Selbstverständlichkeit, aber für Sie sicher nicht. Wenn man sich die Verhandlungsstrategien der von Ihnen geführten Bundesregierungen auf europäischer Ebene in den letzten Jahren angeschaut hat, konnte man mitverfolgen, dass Sie von Mal zu Mal unsere Kriterien für solide Staatsfinanzierung auf europäischer Ebene gebrochen haben. Denen sind Sie eben nicht nachgekommen. ({1}) Deshalb ist es wahrscheinlich für die einen oder anderen europäischen Partner fast schon eine Überraschung gewesen – für uns nicht, aber für die europäischen Partner und wahrscheinlich auch für die Kolleginnen und Kollegen der Union –, dass die Bundesregierung überhaupt einen Vorschlag unterbreitet hat. ({2}) Deutschland ist doch als Reformmotor in Europa in den letzten Jahren unter Führung von Angela Merkel ausgefallen. Bei jeder Debatte zu Reformen in Europa, wenn zum Beispiel Vorschläge aus Frankreich gekommen sind, herrschte doch Stille vonseiten des Kanzleramts. Deshalb, finde ich, sollten Sie das in Ihrem Antrag mal lobend erwähnen, bevor Sie hier den Schulmeister spielen. ({3}) Dann möchte ich darauf hinweisen, dass es nicht nur wichtig ist, das Richtige zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, sondern dass man es auch zum richtigen Zeitpunkt tun muss. Der richtige Zeitpunkt wäre gewesen, als „Next Generation EU“ verhandelt worden ist. Damals hätte man gleichzeitig auch Eckpunkte für die Reform des Stabilitätspaktes verhandeln können. Damals, als die Bundesrepublik etwas in die Waagschale gelegt hat, als wir Garantien für den Wiederaufbaufonds in Europa gegeben haben, hätten wir über diese Eckpunkte verhandeln müssen. Fehlanzeige bei der Union! Da haben Sie geschlafen, statt sich für die Interessen des Steuerzahlers einzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Nun zu den von Ihnen so oft zitierten Vertretern der Union: Theo Waigel hätte auch in dieser Situation eingefordert, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingehalten wird. Wo war denn die deutsche Bundesregierung in den Jahren zwischen Finanzkrise und Coronakrise, als zwar in Deutschland die Schulden im prozentualen Verhältnis zum BIP reduziert worden sind, aber eben nicht in Europa? Wo waren denn die deutsche Bundesregierung und die Kanzlerin? Da herrschte Stillschweigen im Kanzleramt. Deshalb brauchen wir jetzt keine schlaumeierischen Empfehlungen vonseiten der Unionsfraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich will noch einmal festhalten: Der Blick nach Großbritannien, der Blick in die Vereinigten Staaten zeigt, was expansive Fiskalpolitik auslösen kann: enorm hohe Inflationsraten, steigende Renditen und damit steigende Zinskosten für den Staat. Das alles zeigt doch, dass wir eben gut beraten sind, nicht nur in Deutschland die Schuldenbremse einzuhalten, wie diese Bundesregierung es sich vorgenommen hat, sondern auch an den Kriterien des Stabilitätspakts – 3 Prozent und 60 Prozent – festzuhalten. Das ist die Basis, das ist das Fundament für eine handlungsfähige Europäische Union. ({6}) Deshalb, liebe Kollegin Lötzsch, auch an Ihre Adresse noch einmal deutlich formuliert: Für uns sind Freiheit, Verantwortung und Solidarität Grundpfeiler der Europäischen Union und unseres Gemeinwesens. ({7}) Aber wer solidarisch sein will, der braucht einen handlungsfähigen Staat. Einen handlungsfähigen Staat gibt es aber nur, wenn man stabile und solide Staatsfinanzen hat, wenn man die Schuldenbremse und den Stabilitätspakt einhält. ({8}) Deshalb ist die Grundvoraussetzung für Solidarität, ({9}) eine solide Finanzpolitik zu machen und nicht zuzulassen, dass diese Ziele auseinanderdriften. ({10}) Deshalb will ich am Ende meiner Rede Folgendes in den Mittelpunkt stellen: Wer die Daueraufgaben eines Staates finanzieren will – soziale Sicherung, äußere Sicherheit, Bildungschancen, Klimaschutz und Digitalisierung –, der muss sich an soliden Staatsfinanzen, der Einhaltung der Schuldenbremse und am Stabilitätspakt orientieren. ({11}) Dazu hat die Bundesregierung auf europäischer Ebene gute Vorschläge gemacht; die finden auch unsere Unterstützung. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben seit 1999 eine gemeinsame Währung, den Euro. Wir haben seit 1999 eine gemeinsame Geldpolitik, aber wir haben keine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Deshalb ist es bei 27 verschiedenen Finanz- und Wirtschaftspolitiken dringend notwendig, dass es dafür einen Rahmen gibt, um sie zusammenzuhalten, und dafür brauchen wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt in Europa. ({0}) Ein solches Experiment mit einer Währung ohne gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt es sonst nirgendwo auf der Welt, ({1}) und das zeigt die zentrale Bedeutung des Themas, das wir hier diskutieren. Deshalb, liebe Frau Hagedorn, ist das, was wir heute hier machen, nicht aus der Zeit gefallen. ({2}) Die Bundesregierung hat einen Vorschlag gemacht; die EU‑Kommission kündigt für nächsten Monat einen Vorschlag an. Wer muss denn über diese Frage diskutieren? Dieser Deutsche Bundestag! ({3}) Und wir haben die Debatte hierher geholt, und das ist nicht aus der Zeit gefallen, sondern es ist dringend notwendig. Wir haben 10 Prozent Inflation in diesem Land, wie wir seit gestern wissen; seit 70 Jahren lag sie nicht mehr in dieser Dimension. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll dafür sorgen, dass die Finanzpolitik nicht zu expansiv ausfällt. Und was machen wir aktuell? Wir machen eine expansive Finanzpolitik in Europa, wie wir sie auf der Welt noch nicht hatten. ({4}) 500 Milliarden Euro hat diese Koalition in einem Jahr an neuen Schulden ausgewiesen. ({5}) 500 Milliarden Euro! ({6}) Die Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland vor Herrn Lindner haben es auf rund 1 200 Milliarden gebracht. Machen Sie sich mal klar, was das bedeutet: 500 Milliarden Euro. ({7}) Wir sind ein schlechtes Vorbild für Europa; deshalb brauchen wir in dieser Debatte – – ({8}) – Jetzt hören Sie doch mal auf zu schreien und hören zu. Ich habe die ganze Zeit auch intensiv zugehört. ({9}) Deshalb brauchen wir in dieser Debatte dringend Orientierung, und Sie als Bundesregierung und als Koalitionsfraktionen haben bisher diese Orientierung vermissen lassen. Wir sehen Reformbedarf an diesem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Aus unserer Sicht ist er zu komplex, und deshalb muss Komplexität herausgenommen werden. Die Bindungswirkung der Regeln ist offensichtlich nicht stark genug. Wir geben uns Regeln und halten uns nicht daran; ({10}) also muss die Bindungswirkung gestärkt werden. Und ein weiterer Punkt ist: Es muss einen Schiedsrichter auf dem Platz geben, ({11}) der für die Durchsetzung der Regeln sorgt, und das ist nicht geschehen; da haben Sie aber auch eine massive Verantwortung. Der Erste, der dafür gesorgt hat, dass das nicht geschieht, war der Bundeskanzler Gerhard Schröder, der damals diese Linie übertreten und diesen Pakt nicht eingehalten hat. ({12}) Damals fing es mit dem schlechten Vorbild an, und darunter leiden wir noch heute, meine Damen und Herren. Was wir als Union nicht mitmachen werden, ist das Herausrechnen einzelner Positionen aus der Ausgabenseite. Das kann nicht sein, weil da niemand ein Ende finden und niemand eine klare Definition finden wird. Jetzt argumentieren Sie, na, man müsse doch investieren. Schauen Sie doch mal Ihren eigenen Bundeshaushalt an! Der leidet doch nicht unter der Tatsache, dass zu viel investiert würde. Er leidet darunter, dass zu viel konsumtiv ausgegeben wird. ({13}) Wenn Sie schon für Investitionen werben, dann tun Sie es doch in Ihrem Haushalt, und setzen Sie den Schwerpunkt bei Investitionen und nicht beim Konsum. Das ist das Problem an der Stelle. ({14}) Wir sind klar gegen eine Individualisierung des Regelwerks. Es kann nichts bringen, wenn jedes Land eigene Regeln hat. Wir sind dafür, dass wir das Primärrecht nicht ändern. Darüber herrscht große Einigkeit: Die Grenzen von 3 Prozent und 60 Prozent bleiben bestehen. Dazu haben wir eine klare Position. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss. Wir sind in Deutschland nicht der Schulmeister. ({15}) Aber wir sind als größte Volkswirtschaft das Vorbild Europas, ({16}) Und deshalb sollten wir uns auch vorbildlich verhalten. Vielen Dank. ({17})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte vier Punkte ansprechen. Erstens möchte ich daran erinnern, dass wir hier gemeinsam im Juli einen riesigen Booster, ein Energiepaket, verabschiedet und damit die Weichen für einen massiven, schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien gestellt haben. Dass das dringend notwendig ist, sehen wir auch wieder in den Debatten der letzten Wochen und Monate: wie wichtig es ist, dass wir uns von fossilen Rohstoffimporten unabhängig machen, und wie wertvoll es ist, dass wir diese günstige Energieform hier massiv ausbauen. ({0}) Zweitens. Jetzt sind die Kommunen dran, sind die Länder dran. Insbesondere in Bayern merken wir, wie die Debatte darüber hochkocht, ob denn genug Strom da ist und auch genug Strom durch die Leitungen transportiert wird usw. usf. Ich glaube, viele fangen an, nachzudenken, ob die Position, die sie in den letzten Jahren vertreten haben, wirklich die richtige war. Jetzt geht es darum, zusätzlich die bereits bestehenden Anlagen für erneuerbare Energien zu nutzen, um von dieser günstigen Energieform noch mehr quasi aus den bestehenden Anlagen herauszuholen; denn es gab in der Vergangenheit politische Fehlentscheidungen, die Deckel eingezogen haben, die besagten: Okay, du darfst zwar eine Solaranlage auf dein Dach setzen, aber sie darf nicht 100 Prozent Leistung ins Netz einspeisen. – Das war wirklich eine Absurdität. Damit räumen wir jetzt vernünftigerweise auf. ({1}) Der dritte Punkt, den ich verdeutlichen möchte, ist, dass wir selbstverständlich noch sehr viel mehr tun werden und bereits dabei sind, auch in den Bereich Energiesparen/Energieeffizienz zu investieren. Vieles können natürlich die Menschen bereits jetzt selber tun. Wir haben in den letzten Tagen erneut den aktiven Aufruf von der Bundesnetzagentur gehört, wie wichtig es ist, dass Unternehmen, die das bereits tun, dies fortsetzen, dass aber auch Privatpersonen noch viel mehr Energie sparen sollten, damit wir gut über diesen Winter kommen. Die Gasspeicher sind durch das gute Management unserer Regierung und das der Bundesnetzagentur dankenswerterweise voll. Aber es muss eben noch mehr getan werden beim Energiesparen. Das nützt allen, auch in Bezug auf ihre Geldbeutel. ({2}) Was wir nicht vergessen dürfen, ist: Es müssen auch Investitionen fließen, Investitionen in moderne Heizungen, in neue Technik. Da haben wir glücklicherweise gute Förderprogramme, auf die zurückgegriffen werden kann. Den vierten und letzten Punkt, den ich im Zusammenhang mit dem Energiesicherungsgesetz machen möchte, ist: Ich möchte Danke sagen, Danke an die Oppositionsfraktionen der Linken und der Union, weil sie mit dazu beigetragen haben, dass wir hier im Bundestag ein sehr zügiges Verfahren gehabt haben. Wir haben zu sehr unkonventionellen Zeiten, um sieben Uhr morgens, eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss gehabt. Es ist im Augenblick eine Herausforderung für dieses Parlament, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausschüssen, in den Abgeordnetenbüros, in den Fraktionen. Auch für die Sachverständigen ist das keine normale Uhrzeit. Ich glaube, dass wir damit als Parlament zeigen, dass wir in dieser Krise handlungsfähig sind. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Energiemangel bedroht unsere Wirtschaft. Explodierende Energiepreise bedrohen den sozialen Frieden. Wir teilen die Einschätzung des Bundesfinanzministers, dass wir einen Energiekrieg erleben. Wir teilen übrigens auch die Einschätzung des Bundeskanzlers, dass es eine große Kraftanstrengung braucht – aber nicht erst seit gestern. Wir unterstützen notwendige Maßnahmen, wenn sie Vertrauen, Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität bieten. Aber es reicht schlichtweg nicht alleine aus, Energiepolitik durch Finanzpolitik ersetzen zu wollen, meine Damen und Herren. ({0}) Es ist notwendig, zu entscheiden, mit wie viel Geld der Staat bereit ist in der Krise einzuspringen. Aber es ist noch wichtiger, zu erfahren, bei wem dieses Geld ankommt. Das zu erklären, haben Sie gestern leider versäumt. Haushalte, Mittelstand, Wirtschaft – sie wissen nicht, was ankommt, sie haben keinen doppelten Wumms verspürt. Denn Sie haben nur ein doppeltes Fragezeichen aufgestellt. ({1}) Sie machen eine Politik der großen Zahlen. 200 Milliarden Euro – das ist zugegebenermaßen erst einmal beeindruckend. ({2}) Sie können aber leider nicht erläutern, wie sich diese Zahl zusammensetzt. Das schafft neue Unsicherheiten. Wir unterstützen Sie dabei, eine Gaspreisbremse einzuführen. Wir haben Sie schon vor Monaten dazu aufgefordert, dieses Instrument zu nutzen. Sie haben das lange Zeit nicht für notwendig erachtet. Jetzt wollen Sie einen Bürgerbasispreis einführen. ({3}) Wir hatten Ihnen das vorgeschlagen. Sie sagen aber nicht, welche Preissenkungen bei den Haushalten ankommen sollen. Jeden Tag bekommen aktuell die Haushalte, die Gaskunden Vorauszahlungsbescheide geschickt mit Preissteigerungen in Höhe des Drei-, Vier- und Fünffachen der bisherigen Zahlungen. Diese Menschen brauchen doch endlich Klarheit, was auf sie zukommt! Sie aber verweisen auf eine Kommission, die Ende nächsten Monats irgendwelche Ergebnisse präsentieren soll. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sagen Sie den Menschen, wie sie entlastet werden! Dann wissen wir, was das kostet, und nicht umgekehrt, meine Damen und Herren. ({4}) Aber vielleicht fällt Ihnen diese Reihenfolge deswegen so schwer, weil Sie monatelang einen toten Gaul geritten haben. Sie feiern sich hier schon den ganzen Vormittag für den Stopp der Gasumlage. Verzeihung, meine Damen und Herren, aber Herr Habeck ist nicht der Erlöser, sondern er ist der Erschaffer der Gasumlage. Das ist doch die Wahrheit! ({5}) Sie haben die Gasumlage an die Wand gefahren. Wir haben Sie hier im Deutschen Bundestag aufgefordert, übrigens mehrmals, diese Gasumlage zu stoppen. Bundesminister Habeck hat uns als Opposition noch in der letzten Woche im Deutschen Bundestag dafür beschimpft, er hat uns als die „Muss-weg-Opposition“ bezeichnet. Heute schaffen Sie die Gasumlage ab. Offensichtlich sind Sie die „Muss-weg-Koalition“, und da sollte der „Muss-weg-Minister“ sitzen, meine Damen und Herren. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Dobrindt, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Herrmann aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. ({0})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dobrindt, wir teilen das Schicksal, in Bundesländern zu leben, in denen es mit dem Windkraftausbau überhaupt nicht vorangeht. ({0}) – Ich kann es Ihnen nicht ersparen, folgende Ergänzung zu machen: Wir haben es in Chemnitz mit Unterstützung von VW Sachsen trotz schwierigster Mehrheitsverhältnisse geschafft, einen Beschluss für mehr Windenergie in der Stadt zu fassen. Wenn Sie das als albern ansehen, dann tut mir das wirklich leid. Es ist industrieschädigend, was Sie hier tun. ({1}) Herr Dobrindt, eine konkrete Frage: Wann ging in Ihrem Wahlkreis zuletzt ein Windrad ans Netz? Danke schön. ({2})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Kollege, herzlichen Dank für Ihre Frage. – Ich will auf eine Antwort der Bundesregierung verweisen, ganz aktuell aus diesem Monat. In dieser Antwort teilt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit: An der Spitze beim Ausbau der erneuerbaren Energien aller Bundesländer steht das Bundesland Freistaat Bayern. – Erste Feststellung. ({0}) Zweite Feststellung. Aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz heißt es zu den einzelnen Technologien: Bei Biomasse steht an erster Stelle: Bayern. Bei Solarenergie steht an erster Stelle: Bayern. Bei Geothermie steht an erster Stelle: Bayern. Bei Wasserkraft steht an erster Stelle: Bayern. Bei Windkraft steht Bayern deutlich vor Baden-Württemberg. Beim Ausbau der erneuerbaren Energie steht dieses Jahr vorne: Bayern. Das Einzige, wo Bayern wirklich nicht gut ist, das ist bei der Windkraft auf See, meine Damen und Herren, sonst überall. ({1}) Ich leite die Antwort des Bundesministeriums übrigens gerne auch noch schriftlich weiter. Der Bundesfinanzminister hat gestern auf der Pressekonferenz zutreffend erklärt, je höher die Senkung der Energiepreise am Markt ausfällt, desto weniger würde von den 200 Milliarden Euro benötigt. Ich stimme ihm da ausdrücklich zu. Aber dazu muss man auch bereit sein, das Angebot zu erhöhen, die Kapazität bei der Energieerzeugung auszuweiten, um die Preise zu senken. Um in der Sprache des Finanzministers zu bleiben: All-in bei allen Energieerzeugern. Aber was sagt der Bundeswirtschaftsminister dazu in dieser Woche? Wir hätten nicht zu wenig Strom, wir hätten nur keine Netzstabilität. Vielleicht kann man diese Kontinuität im Irrtum endlich mal beenden, meine Damen und Herren! ({2}) Weil Sie von den Grünen hier so laut schreien: Die grüne Spitzenkandidatin in Niedersachsen hat diese Woche behauptet, Atomstrom blockiere das Netz. Meine Damen und Herren, falls es noch nicht allen klar geworden ist: Wir haben nicht zu viel Strom im Netz, sondern zu wenig. Das Einzige, was im Moment das Netz blockiert, ist die ideologische Verweigerungshaltung der Grünen, wenn es darum geht, die Kernkraft um zwei Jahre zu verlängern. Daran scheitert es in diesem Land! ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, dass die Zeit für die namentliche Abstimmung in fünf Minuten zu Ende geht. Sollte es Kolleginnen und Kollegen geben, die noch nicht die Gelegenheit hatten, die Stimme abzugeben, dann sollten sie es jetzt tun. Als Nächstes hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon erschreckend, wie aus den Reihen von CDU/CSU mit tosendem Beifall überdeckt werden soll, ({0}) dass im Land Bayern und auch unter den Leitlinien von CDU/CSU eine rückwärtsgewandte Energiepolitik gemacht wurde – eine rückwärtsgewandte Energiepolitik! ({1}) Wir als SPD-Fraktion hatten wirklich alle Mühe, wenigstens mit kleinen Schritten zu erkämpfen, dass die Fehlstellungen wieder rückgängig gemacht werden. Da hilft es auch nicht, wenn Sie in Ihrer Rede jetzt quasi Reiskörner suchend auf kleine Fehlstellungen in einzelnen Bundesländern hinweisen. Sie täuschen damit darüber hinweg, dass in Bayern systematisch, aber wirklich systematisch, die Energiewende schon seit Jahren ausgebremst wird. ({2}) Die Frage der Gasumlage ist ebenfalls Teil dieses Tagesordnungspunktes. Ich möchte kurz darauf eingehen: Wir haben jetzt eine Einigung, die zügig erfolgt ist – nach langem Ringen. Es ist eine große Aufgabe, die in Rede steht, weil die Gas- und Energieversorgung insgesamt aufgrund der fossilen Energiepreiskrise über die letzten Monate verschärft zum Problem geworden ist. In dieser Situation ist es auch kein Spaziergang, eine Lösung so zu organisieren, dass sie rechtssicher Bestand hat. Insofern danke ich in Richtung Bundesregierung, dass nun ein rechtssicherer Weg gefunden wurde. Es ist ein stabiles Volumen, das wir an die Hand bekommen, damit Energiesicherheit tatsächlich auch preislich gewährleistet werden kann. In diesem Sinne haben wir jetzt einen gemeinsamen Weg gefunden. Ich danke dafür und bin auch frohen Mutes, dass wir jetzt in dieser Situation eine Wende hinbekommen, sodass Energie über die nächsten Monate auch verlässlich verfügbar und bezahlbar sein wird – zumindest in dem Rahmen, in dem das zusicherungsfähig ist. Es ist natürlich zu betonen, dass wir alle gehalten sind, weiterhin so viel, wie nur irgendwie geht, einzusparen. Das Energiesicherungsgesetz, das bei diesem Debattenpunkt ebenfalls zur Beratung mit aufgerufen wurde, ist der viel wesentlichere Tagesordnungspunkt. Mit der Änderung des Energiesicherungsgesetzes, mit dem Erneuerbare-Energien-Booster, schaffen wir mehr Auslastungsmöglichkeiten für erneuerbare Energien und den Umstieg auf erneuerbare Energien, den wir dringend brauchen, um der fossilen Energiepreiskrise zu entkommen. Wir arbeiten also verstärkt daran, um diesen Ausbau, um diesen Umstieg auf Erneuerbare und die größere Auslastung der Erneuerbaren hinzubekommen. ({3}) Es muss jetzt insbesondere darum gehen, weil natürlich jede Energie, die wir über die nächsten Monate noch mehr gewinnen können – auch mit schon bestehenden Anlagen – Gold wert ist. Dazu gehört etwa, dass wir Repowering vereinfachen, dass bei Veränderungen der Anlagen nicht extra Genehmigungen eingeholt werden müssen. Dazu gehört, dass man Nachtabsenkungen für Windenergie temporär aussetzt, weil andernfalls einfach enorme Potenziale verloren gehen. Dazu gehört auch, dass wir in den Ausschreibungen, die für Photovoltaik vorgenommen werden, die möglichen Mengen erhöhen. Ich möchte außerdem noch mal ein ganz dickes Dankeschön unserer Bauministerin Klara Geywitz aussprechen, die einen Teil Ihrer Novelle aus dem Herbst vorgezogen hat und uns zur Verfügung gestellt hat, ({4}) sodass wir jetzt auch bei der Bioenergie die enormen Potenziale mit bestehenden Anlagen durch mehr Biomasse, die eingesetzt werden kann, ausnutzen können. Die Menge der einsetzbaren Biomasse wird also erhöht. Die Normkubikmetergrenze wird temporär ausgesetzt, und zwar bis einschließlich 2024. Das ist ein enormes Potenzial, das wir dadurch ergänzt bekommen. Herzlichen Dank an dieser Stelle noch einmal an Klara Geywitz! In diesem Sinne: Wir sind mit einem kräftigen Energiebooster durch diese Änderung des Energiesicherungsgesetzes auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich mache darauf aufmerksam, dass ich die namentliche Abstimmung nach dem nächsten Redebeitrag schließe und frage noch einmal: Sind Mitglieder des Hauses anwesend, die noch nicht die Gelegenheit hatten, ihre Stimme in der namentlichen Abstimmung abzugeben? – Dann haben sie jetzt noch exakt vier Minuten dazu Zeit. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Marc Bernhard für die AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die Reisegruppe merkte, dass sie sich verlaufen hatte, erhöhte sie das Tempo: Genauso kommt mir der Aktionismus der Bundesregierung vor. Wenn man merkt, dass man auf dem falschen Weg ist, nützt es nichts, die Geschwindigkeit zu erhöhen. Man kann ein Industrieland eben nicht mit Sonne und Wind allein betreiben. ({0}) Das hat jeder in diesem Land verstanden, nur ganz offensichtlich die Bundesregierung nicht. Obwohl angeblich jede Kilowattstunde zählt, geht es in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf einzig und allein darum, instabile Energien weiter auszubauen, Deutschland mit Solar- und Windindustrieanlagen zuzupflastern, aber in keiner Weise darum, die Menschen unbeschadet über diesen und den nächsten Winter zu bringen. ({1}) Wo aber die Energie herkommt, wenn es Nacht ist und kein Wind weht, und vor allem, wie die Menschen die Energiekosten bezahlen sollen, darauf gibt es von Ihnen keine Antwort. Seit Beginn des Jahres haben sich die Gaspreise mindestens verdreifacht, die Strompreise verdoppelt, die Lebensmittelpreise extrem erhöht, und wir haben eine Inflationsrate von über 10 Prozent. Das Geld der Bürger wird immer weniger wert. Diese Regierung verdient sich durch diese Preisexplosion und die dadurch immer weiter steigenden Mehrwertsteuereinnahmen am Leid der Menschen dumm und dusselig. ({2}) Jetzt wollen Sie uns doch tatsächlich vorgaukeln, Sie würden die Menschen mit Ihrer Mehrwertsteuersenkung bei Gas von 19 Prozent auf 7 Prozent entlasten. Wenn sie bisher für Gas 119 Euro im Monat bezahlt haben, also 100 Euro fürs Gas plus 19 Euro für die Mehrwertsteuer, dann müssten sie theoretisch nach der Steuersenkung auf 7 Prozent nur noch 107 Euro bezahlen. Da sich der Gaspreis aber verdreifacht hat, müssen die Menschen trotz des geringeren Steuersatzes zukünftig für die gleiche Menge Gas 300 Euro plus 21 Euro Mehrwertsteuer bezahlen. Wo ist hier also bitte die Entlastung? ({3}) Für die Sicherung der Millionen von gefährdeten Arbeitsplätzen bringt diese Regelung sowieso überhaupt gar nichts, sodass die Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland ungebremst weitergeht. Das bisherige Energiesicherungsgesetz hat den Menschen offensichtlich keine Sicherheit gebracht. Die hier debattierte Novelle geht in die gleiche Richtung und verstärkt damit alle Fehler. Das ist so, als ob man einem Ertrinkenden einen defekten Rettungsring zugeworfen hat und ihm jetzt zur finalen Rettung den nächsten defekten Ring hinterherwirft. Wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, die Versorgung der Menschen mit bezahlbarer Energie sicherzustellen, warum nutzen Sie dann nicht unsere eigenen Gasvorkommen, die russisches Gas für viele Jahrzehnte vollständig ersetzen können? Warum geben Sie den saubersten Kohlekraftwerken der Welt keine Laufzeitgarantie? Warum schalten Sie unsere drei kürzlich abgestellten Kernkraftwerke nicht wieder ein, sondern hoffen auf Stromlieferungen aus ukrainischen und französischen Atomkraftwerken? Und vor allem: Warum lassen Sie dann nur zwei der drei sichersten Kernkraftwerke der Welt weiterlaufen? Können Sie es nicht, oder wollen Sie es einfach nicht? ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist nun vorbei. Gleichwohl stelle ich noch einmal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Michael Kruse für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche in diesem Haus sehr viel über Energiepolitik gesprochen; kein Wunder, das ist ein wichtiges Thema. Wir haben in den Reden sehr wenig Zeit darauf verwendet, die Frage zu besprechen, die mir die meisten Menschen in persönlichen Gesprächen stellen, nämlich: Was tut ihr denn jetzt eigentlich? ({0}) Ich habe viele Reden aus der Opposition und – ehrlicherweise – auch aus den Regierungsfraktionen dazu gehört, wer die Verantwortung trägt. Wahlweise sind es die Kanzlerin und die Politik der letzten 16 Jahre oder aber die aktuelle Regierung. Ich habe das Gefühl, darauf wird hier im Haus im Moment 90 Prozent der Zeit verwendet. In den Gesprächen, die ich persönlich außerhalb dieses Hauses führe, wird darauf ungefähr 10 Prozent der Zeit verwendet; die anderen 90 Prozent widmen sich der Fragestellung: Wie kommen wir jetzt da raus? Und ich meine, dass diese Fragestellung eigentlich die relevantere für uns alle hier ist; denn die Menschen haben uns ja aus einem Grund in dieses Parlament gewählt, nämlich damit wir ihre Probleme lösen. Deswegen meine ich, dass wir das auch in dieser Debatte in den Mittelpunkt stellen sollten. ({1}) Viele Menschen sagen: Tut doch jetzt alles, was notwendig ist. – Das ist genau der Grund, warum wir in diesem Jahr zum dritten Mal an das Energiesicherungsgesetz von 1975 herangehen. Wir heben jetzt den Biomassedeckel. ({2}) Ich bin der Union dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat, wie notwendig das ist, hier aber leider noch keine Worte dazu gefunden hat, dass wir es ja jetzt tun und dass das eine sehr wichtige Maßnahme ist. ({3}) Wir geben eine Garantie dafür, dass die Kohlekraftwerke bis 2024 ans Netz zurückkehren, weil wir wissen, dass wir das brauchen, obwohl niemand in diesem Haus – nicht mal die Opposition – dafür Wahlkampf gemacht hat im letzten Jahr. ({4}) Wir sorgen dafür, dass in kritischen Phasen einer Gasmangellage auch mehr Windenergie zur Verfügung steht. Wir sind sicher, dass die Abwägung vieler Menschen in diesem Land lautet: Bevor wir in eine Mangellage geraten, sind wir bereit, auch weitere Einschränkungen zu akzeptieren. Und ja, auch dem Thema Verlängerung der Kernenergie widmet sich diese Koalition. Ich glaube, schon das ist Ausdruck großen Verantwortungsbewusstseins. Alle sind sich völlig im Klaren, welche hohen Hürden es gibt und welche hohen Sicherheitsauflagen hier zu berücksichtigen sind, dass dieses Land aber vor einer Situation steht, in der genau eine solche Verlängerung in den nächsten Wintern notwendig sein könnte. Und wir bereiten mit allen diesen Maßnahmen das Land darauf vor, dass es gut durch die nächsten Winter kommt. ({5}) Wenn ich eine Bitte äußern dürfte, dann würde ich ehrlicherweise insbesondere Sie, Herr Kollege Dobrindt, ansprechen wollen. Dieses Land braucht in dieser Situation keine Büttenreden, sondern es braucht eine verantwortungsvoll handelnde Regierung, die jetzt die richtigen Maßnahmen ergreift, damit wir gut durch den nächsten Winter kommen. ({6}) – Ja, was sage ich zur Kernenergie, Herr Dobrindt? Das kann ich Ihnen genau sagen. Wenn all das, was Sie hier eben so ulkig dargestellt haben, zutreffen würde, dann müssten Sie mir eigentlich sagen: Nee, die Kernkraftwerke können vom Netz, weil wir in Bayern so viel erneuerbaren Strom haben, dass wir gar kein Problem haben. ({7}) Aber, Herr Dobrindt, wir stimmen ja darin überein: Sie können nicht vom Netz, weil Sie im Süden nicht genug ausgebaut haben. ({8}) Und da müssen Sie sich irgendwann auch bei der Kritik entscheiden: Entweder Sie haben so viel ausgebaut und haben alles so toll im Griff, oder aber die Kernkraftwerke müssen länger laufen. Beides geht nicht. ({9}) Und zu einer verantwortungsvollen Oppositionsarbeit gehört dann auch dazu, sich in der Kritik zu entscheiden und nicht wahlweise das vorzutragen, was einem gerade am besten passt. ({10}) Aber wir ergreifen ja nicht nur wichtige Maßnahmen im Bereich der Energiepolitik, sondern wir sorgen auch dafür, dass wir die Menschen in diesem Land entlasten. ({11}) Denn auch hier ist die Fragestellung: Was tut ihr denn dafür, dass wir uns das noch leisten können? ({12}) Und in dieser Situation haben wir – erstmalig übrigens, etwas, das Sie sich auch immer gewünscht haben – die kalte Progression voll ausgeglichen. Ich erwarte Beifall an dieser Stelle. Sagen Sie es doch: Liebe Ampel, toll, dass Sie das hingekriegt haben. Wir hätten es Ihnen nie zugetraut, aber Sie haben es ja gemacht! ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Kollege Kruse, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Glauben Sie nicht, dass neben dem Ausbau der Erneuerbaren auch Grundlast gebraucht wird? Und deckt sich das nicht mit Parteitagsbeschlüssen der FDP, dass man die Atomkraftwerke unabhängig vom Ausbau der Erneuerbaren braucht? ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, ich denke nicht, dass wir hier jetzt die Beschlusslagen einzelner Parteien miteinander diskutieren sollten. ({0}) Sie haben ja den Anfang meiner Rede gehört, wo ich darauf hingewiesen habe, dass sich die Menschen jetzt eben gerade nicht die Frage stellen, ({1}) wer wann was beschlossen hat, wer welchen Teil der Verantwortung und Schuld trägt, sondern dass sich die Menschen vor allem die Frage stellen: Wie kommen wir denn jetzt aus diesem Schlamassel, in dem wir stecken, wieder raus? ({2}) Ich kann Ihnen natürlich zu unserer Beschlusslage sagen, dass wir Ende April dieses Jahres einen Parteitag hatten, bei dem wir schon darauf hingewiesen haben, dass die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke eine weitere Option sein könnte. Und das haben wir nicht getan, weil wir der Meinung sind, dass wir das jetzt für alle Zeit als Technologie weiterverfolgen wollen, ({3}) sondern das haben wir getan, weil es eine Konsequenz des russischen Angriffskriegs ist, dass wir jetzt alle Optionen prüfen müssen und nichts ausschließen dürfen. Insofern, ja, das ist unsere Beschlusslage. Aber noch mal: Hier geht es nicht um parteipolitische Beschlusslagen. Hier geht es darum, dass sich jeder selbst die Frage stellt: Was kann ich jetzt dazu beitragen? ({4}) Und wenn Ihre Kollegen aus Bayern hier dann Büttenreden halten, ({5}) dann muss ich ehrlicherweise sagen: Sie sollten sich auch die Frage stellen, was Sie dazu beitragen können, dass wir aus dieser Situation herauskommen, ({6}) und vielleicht nicht Ihre Reden und jetzt auch Ihre Zwischenfragen darauf verwenden, welche Partei denn nun zu welchem Zeitpunkt was beschlossen hat. ({7}) Diese Frage stellen sich die Menschen nicht. Und sie stellen sich auch nicht die Frage, ob Sie diejenigen sind, die jetzt mit solchen Reden vielleicht ein paar Punkte auf Kosten der Regierung machen können. Das ist am Ende dieser Woche einfach nicht angemessen, das möchte ich Ihnen wirklich sagen. ({8}) Wir gehen jetzt das dritte Mal an ein Gesetz ran, ({9}) das wir eigentlich gar nicht zur Anwendung bringen möchten und das seit den 70er-Jahren überhaupt nicht angefasst worden ist. Und wir tun das, weil wir in großer Verantwortung für dieses Land handeln. ({10}) Ich vermisse, ehrlich gesagt, Ihre Beiträge, in denen Sie diese Verantwortung zeigen, weil Sie als Opposition eigentlich Regierung im Wartestand sein müssten und dafür kämpfen müssten, wieder in die Regierung zu kommen. ({11}) Und das kann ich an Ihren Redebeiträgen in diesem Haus in dieser Woche zu diesem Thema leider gar nicht erkennen. ({12}) Neben der kalten Progression, auf die ich eben eingegangen bin und die wir abbauen, haben wir ja noch eine ganze Menge mehr gemacht. Gerade haben wir die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas beschlossen. In diesem Monat, in diesen Tagen kommt die Energiekostenpauschale bei den Menschen an. Wir haben außerdem die EEG-Umlage abgeschafft, schon zum 1. Juli dieses Jahres, um die Menschen zu entlasten. ({13}) Und wenn es weitere Probleme gibt, dann werden wir mit der Stromkostenbremse und der Gaskostenbremse weitere Entlastungen herbeiführen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({14})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe ja einen kleinen Reflex, Herrn Dobrindt zu verteidigen, ({0}) weil mir eine solche Rede lieber ist als manche Reden, bei denen einem vor Langeweile die Füße einschlafen. ({1}) Wenn die Faktenlage stimmt – wir müssen alle nachgucken, ob die Faktenlage so stimmt; darum bitte ich –, dann muss man die eine oder andere Geschichte überdenken. Ich habe auch immer gedacht, die Bayern sind hinten. Ich habe mich schon geschämt, dass ich einer bin. Aber wenn das so ist, dann ist natürlich die Lage – – ({2}) – Regen Sie sich nicht auf, es geht um Fakten und nicht ums Dazwischenbrüllen. ({3}) Das Dazwischenplärren ist eher eine bayerische Sache, die beim Oktoberfest angebracht ist, aber nicht im Bundestag. ({4}) Das wollte ich jetzt hier einmal sagen. ({5}) – Das gilt auch für Sie: Erst einmal anschauen, bevor man brüllt. – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, gerne. – Erster Punkt. ({6}) Zweiter Punkt. Wir reden über die Gaspreisanpassungsverordnung. Die Gaspreisanpassungsverordnung – ich weiß nicht, warum wir noch darüber reden – ist doch toter als ein Toter. Die kommt doch nimmer. Die ist doch erledigt. Aber wir müssen darüber reden. Warum? Weil die Bundesregierung und die sie tragende Koalition nicht in der Lage war, die Fehler, die mit dieser Gasumlage gemacht worden sind, rechtzeitig zu korrigieren. ({7}) – Jetzt sind Sie ja schon wieder da. ({8}) Das Oktoberfest geht noch bis Montag. Also bitte, Sie haben noch eine Chance. Sie sind nicht in der Lage gewesen, diese Gasumlage ordnungsgemäß zurückzunehmen. Wie wollen Sie denn jetzt damit umgehen? Wir beraten hier einen Punkt, der schon lange erledigt ist und der natürlich ein Drama war. ({9}) Erst einmal ist die Verordnung offensichtlich geschrieben worden von Unternehmen und von Leuten, die ansonsten eher einer Beschäftigung bei Ratingagenturen nachgehen. ({10}) Insbesondere wurden Trittbrettfahrer begünstigt. Letztendlich wurde durch die Übernahme von Uniper und anderen die Gasumlage vollkommen obsolet, vollkommen überflüssig. Trotzdem halten Sie an ihr fest. ({11}) Wir beraten hier einen Gegenstand, der sich vollkommen erledigt hat. Da sage ich: Warum müssen wir das eigentlich machen? Ich kann es Ihnen sagen: Weil Sie Ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht haben. Die Gasumlage ist eine Katastrophe, und das merken wir bis heute. ({12}) Wir haben immer gesagt: Lasst diesen Unfug. – Nein, Sie haben den durchgezogen bis heute. Mein Gott, die Zeit, sie rinnt, deshalb muss ich natürlich noch zu einem anderen Punkt kommen. Wenn es jetzt erledigt ist, ist es gut. Dann haben wir sie los. Aber das Zweite, was Sie jetzt machen, ist richtig: die 200 Milliarden Euro und auch, was Sie mit den Begrenzungen der Energiepreise machen. Das ist ja alles okay. Aber wie wollen Sie das denn eigentlich machen? Glauben Sie tatsächlich, dass 200 Milliarden Euro bis 2024 ausreichen? Ich sage Ihnen: Die 200 Milliarden Euro werden nicht ausreichen. Und sie werden dazu führen, dass insbesondere Bezieher kleinerer Einkommen besonders belastet werden, weil die in der Regel einen höheren Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben und nicht in der Lage sind, die ganzen Maßnahmen zu treffen, die zum Energiesparen notwendig sind. Das ist das Problem. ({13}) Deshalb sage ich Ihnen: Was Sie machen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das Beste war, dass wir diese Gasumlage beerdigt haben. Das Glöckchen haben wir schon länger läuten hören, nur Sie nicht. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Ingrid Nestle für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Ernst, langsam wird die Debatte etwas kurios. ({0}) Sie sagen: Wenn es so ist, dass Bayern genug Windstrom hat, dann ist ja alles gut. – Als norddeutsche Energiepolitikerin habe ich bisher dafür gekämpft, dass die Industrie in ganz Deutschland bezahlbare Strompreise vorfindet und dass in ganz Deutschland die Windenergie ausgebaut wird. ({1}) Ich werde auch weiterhin dafür kämpfen, dass in ganz Deutschland die Windenergie ausgebaut wird. Aber, Herr Dobrindt, wenn Sie meinen, dass das reicht, was Sie in Bayern heute an bezahlbarem Strom haben, so kann ich nur die herzliche Einladung an die Industrie aussprechen: Bei uns im Norden gibt es deutlich mehr davon. ({2}) Wie gesagt, das ist jetzt nicht meine Position. Ich finde, bei Ihnen sollte es das auch geben. Sie meinten, das sei ausreichend. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, weil es schon zweimal wieder erwähnt wurde, betrifft die Behauptung, man bräuchte „irgendeine Grundlast“. ({3}) Dieser Begriff ist nun wirklich tiefste Vergangenheit der Energieversorgung. ({4}) Was man braucht zur Ergänzung der wetterabhängigen und kostengünstigen Erneuerbaren, ist eben nicht Grundlast – die ist nur im Weg –, das ist Flexibilität. ({5}) Die unter uns, die ein bisschen mitbekommen, was in Wissenschaft und Forschung abgeht, wissen, dass es längst erneuerbare Gase gibt, dass es natürlich Flexibilität bei Erneuerbaren gibt, auf die wir setzen. ({6}) Dann möchte ich gerne noch bei einem weiteren Punkt von Ihnen einhaken, Herr Dobrindt. Sie sagten zu Recht: Wir sind in einem Energiekrieg, und wir brauchen eine Kraftanstrengung. – Das teile ich. Sie meinten dann aber, wir bräuchten sie nicht erst seit gestern. Da frage ich Sie: Wo waren Sie denn bis gestern? ({7}) Haben Sie nicht mitbekommen, dass diese Regierung, seit sie die Verantwortung übernommen hat, eine gigantische Kraftanstrengung auf den Weg gebracht hat? ({8}) Haben Sie nichts gemerkt von Gasspeichergesetz, LNG-Gesetz, Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, Energiesicherungsgesetz, EEG, Netzausbaugesetz? ({9}) Haben Sie nicht gemerkt, wie wir Gazprom Germania und Rosneft Putins Krallen entrissen haben, wie Uniper verstaatlicht worden ist? Haben Sie all das nicht mitbekommen? ({10}) Was Sie jetzt mitbekommen, ist, dass wir neben vielen Entlastungspaketen, weil wir die Menschen in diesem Land und die Unternehmen in diesem Land unterstützen wollen und müssen, weitere 200 Milliarden Euro in die Hand nehmen müssen. Diese 200 Milliarden Euro, Herr Dobrindt, gehen auf Ihre Rechnung. Das ist die Rechnung für die Abhängigkeit von den fossilen Energien, von Putin. ({11}) Diese Rechnung müssen wir jetzt bezahlen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegen Nestle, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Abgeordneten von Storch? ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– Nein? Doch.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen herzlichen Dank, dass Sie entgegen der Warnungen aus Ihrer eigenen Fraktion die Frage zulassen. Ich finde, das hat Größe. Wenn Sie jetzt meine Frage noch beantworten, dann fände ich das noch größer. Sie haben gerade von Grundlast gesprochen, die wir so irgendwie nicht brauchen. Sie haben in der letzten Aktuellen Stunde zum Thema Blackout etwas Ähnliches gesagt. Sie haben gesagt: Wir haben eine Energiekrise. Und Sie haben gesagt: Der Grund der Energiekrise ist, dass die französischen Atomkraftwerke so schlecht liefern. ({0}) Ich frage Sie: Anerkennen Sie also, dass der Strom, den wir brauchen, die Grundlast, die wir brauchen, doch wohl jetzt aus Atomkraftwerken kommen muss und dass es deswegen ein strategischer Fehler gewesen ist, insbesondere Ihrer Partei, die Atomkraftwerke in Deutschland abzustellen, also die modernsten, sichersten Kernkraftwerke der Welt abzustellen, um jetzt auf die französischen Kernkraftwerke zu schimpfen, dass sie – alt und marode – jetzt nicht mehr so viel liefern, wie wir jetzt brauchen?

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau von Storch, dass ich das noch einmal ausführen darf. – Also, das Problem an den französischen Kraftwerken ist, dass wir Strommenge brauchen und dass diese Strommenge jetzt nicht bereitsteht, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien über die letzten Jahre nicht stattgefunden hat. Das Problem ist nicht, dass wir Atomstrom bräuchten. Das Problem ist, dass wir überhaupt Strom brauchen und dass in der Vergangenheit dieser Ausbau nicht stattgefunden hat. Man dachte, die Franzosen könnten sich mit ihrer Atomenergie selbst versorgen. Das können sie nicht. Das sieht man jetzt, weil sie plötzlich Strom von uns brauchen. Das ist das Gegenteil von dem, was eben behauptet wurde, wir würden auf den Atomstrom von Frankreich schielen. ({0}) Nein. Wir müssen Frankreich unterstützen, weil deren Atomkraftwerke nicht laufen. Für eine sichere Stromversorgung braucht man selbstverständlich keine Grundlast. ({1}) Eine sichere Stromversorgung funktioniert so, dass der große Teil aus viel bezahlbarerem Strom, als es Atomkraftwerke oder irgendeine fossile Quelle bereitstellen können, aus Wind und Sonne kommt. Ja, das ist wetterabhängig. ({2}) Deswegen muss man den Rest des Stromsystems ({3}) darauf einstellen. Da können zum einen flexible Verbraucher flexibel reagieren. Auch alle Unflexiblen haben etwas davon, wenn die flexiblen Verbraucher in die Zeiten gehen, in denen viel da ist. Man kann sich über die Region hinweg austauschen und gegenseitig unterstützen. Aber das ist etwas, was Ihnen vielleicht eher fremd ist. ({4}) Ja, dann bleiben selbstverständlich diese zwei Wochen im Jahr, in denen es trotzdem schwierig ist. Das erkennen wir seit Jahren an, und darauf hören Sie nie. Das erklären wir Ihnen seit Jahren. Sie kommen immer wieder mit der gleichen Frage und behaupten, wir hätten diese Frage nicht beantwortet. Seit Jahren haben wir sie beantwortet. In diesen zwei Wochen im Jahr kann die Energieversorgung selbstverständlich über Gaskraftwerke sichergestellt werden mit erneuerbaren Gasen. Wir brauchen keine fossile Flexibilität. ({5}) Neben den Flexibilitäten haben wir Speicher. ({6}) – Ich versuche tatsächlich gerade, Ihnen das zu erklären. Durch Austausch überbrücken wir die letzten paar Tage im Jahr, an denen wir das nicht hinbekommen. ({7}) Für diese paar Tage im Jahr, an denen wir das nicht hinbekommen, ist es kein Problem, erneuerbare Gase zu erzeugen. Natürlich sind die knapp. Natürlich ist es energieintensiv, Wasserstoff zu produzieren. Aber für die Versorgungssicherheit braucht man nur wenig Wasserstoff, ({8}) und den können wir bereitstellen, wenn wir endlich auf die Energiewende setzen. Wenn Sie nicht ständig die Energiewende ausbremsen würden, ({9}) dann hätten wir schon heute viel mehr von diesen Grünen Gasen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit ist fast abgelaufen. Deswegen bleibt mir nur, noch mal zu sagen, dass wir auch heute wieder, mit diesem Energiesicherungsgesetz, alles tun, was in unserer Macht steht, um die Knappheit des Gases zu reduzieren, um mehr Erneuerbare noch für diesen Winter bereitzustellen, um mehr Strom noch in diesem Winter in die Stromleitungen zu bekommen und, ja, so sehr es mir auch wehtut, auch mehr Kohlestrom noch für diesen Winter zu bekommen. ({11}) Wir alle können das zusammen schaffen. Die Preise sind so hoch, weil Gas so knapp ist. Wir alle können Putin die Stirn bieten, indem wir weniger davon verbrauchen. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie gehen mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf das an, was wir seit Monaten immer wieder hier vorbringen. Herr Kollege Kruse, insofern scheinen unsere Beiträge so gut zu sein, dass Sie sie jetzt sogar umsetzen. ({0}) Das ist erst mal gut, das unterstützen wir auch; aber leider – das muss man hinzufügen – tun Sie das einmal mehr zu spät und zu halbherzig. Ich will das gerne kurz erläutern. ({1}) Das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf machen, ist richtig; deswegen werden wir zustimmen. ({2}) – Wenn es vernünftig ist, machen wir auch mit. – Es ist richtig, in den Bereichen Wind, Biogas, Photovoltaik mehr Potenziale zu nutzen. Übrigens, es ginge noch mehr, wie wir in unserem Entschließungsantrag deutlich machen. ({3}) Aber das ist eben nur ein Teil. Der Befund ist ja, auch jenseits aller Unterstützungsmaßnahmen: Wir brauchen erst mal mehr Angebot. ({4}) „Jede Kilowattstunde zählt“, sagte der Minister richtigerweise. Wissen Sie, was ich mir da wünschen würde? Ich würde mir mal einen Dreifach-Wumms wünschen: Erneuerbare ausbauen, Kohlekraftwerke ans Netz und die Kernkraftwerke länger laufen lassen. ({5}) Das wären Maßnahmen, die in dieser Krise einen Unterschied machten. Das ist etwas, was wir hier seit März – seit März! – vorschlagen und vorbringen. ({6}) Zweitens sollte die Gasumlage weg. Das haben Sie jetzt gemacht oder machen Sie; so muss man das sagen, noch ist sie ja in Kraft. Die Gasumlage muss weg; das fordern wir seit Monaten. Wir hatten hier letzte Woche einen, wie ich finde, denkwürdigen Auftritt des Ministers dazu; aber vor allem haben wir drei Monate Chaos, Verwirrung, Durcheinander gesehen. ({7}) Herr Kollege Kruse, nur um das noch mal zu sagen: Sie haben am Mittwoch, vor zwei Tagen, im Ausschuss noch für diese Umlage gestimmt. Jetzt soll sie bis heute 13 Uhr durch einen Umlaufbeschluss abgeschafft werden. ({8}) Wenn man sich so schnell, in so kurzer Zeit korrigieren muss, dann wären etwas weniger oberlehrerhafte Belehrungen und etwas mehr Demut vielleicht angebracht. ({9}) Immerhin, die Gasumlage kommt jetzt weg, was wir seit drei Monaten fordern. Auch das unterstützen wir in der Sache. Es ist richtig. Der Gasgrundbedarf soll jetzt kommen. Das schlagen wir auch seit März vor, und nicht nur wir. Letzte Woche haben Sie zur Gasumlage gesagt: „Sie bleibt“, und beim Gasgrundbedarf haben Sie gesagt: Kommt nicht. – Beides passiert jetzt, aber genau andersherum, als Sie es letzte Woche gesagt haben. ({10}) Es ist gut, dass Sie erkennen, dass Sie da falsch lagen; aber ich finde, dann muss man hier etwas anders auftreten und sich einlassen. Beim Gasgrundbedarf und dem, was Sie hoffentlich jetzt entwickeln, geht es darum, dass wir Sicherheit geben. Morgen beginnt offiziell die Heizperiode in Deutschland. Die meisten haben wahrscheinlich die Heizung angesichts der Temperaturen schon hochgedreht. Die Menschen, die Betriebe, die Handwerksunternehmen gehen in diesen Winter hinein und wissen nicht, was beim Gaspreis, bei den Energiepreisen auf sie zukommt. Deswegen ist es so wichtig, dass es beim Gasgrundbedarf jetzt schnell geht. Wenn es schnell geht und es vernünftig ist, werden wir auch das unterstützen; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Monaten ist einfach viel Vertrauen verloren gegangen durch Unsicherheit, die noch verstärkt worden ist, und durch sozialen Unfrieden, der entstanden ist, den wir alle in den Diskussionen vor Ort erleben. Nun also heißt es: Doppel-Wumms. Olaf Scholz ist ja irgendwie der Kanzler der markigen Worte: „Bazooka“, „Zeitenwende“, „Doppel-Wumms“. Nur leider folgen zu oft zu wenige Taten. Man muss die Flughöhe dieser Worte dann auch halten. ({11}) Deswegen kommt es in den nächsten Tagen – hoffentlich nicht Wochen – auf die Umsetzung an; denn das, was Sie planen, ist, wenn man auf das schaut, was vor uns liegt, Ihre letzte Patrone. Es ist die letzte Chance, in unserem Land in stressiger Zeit Vertrauen, Sicherheit, Perspektive zu geben. Sie haben sich, um im Bild zu bleiben, die Munition zurechtgelegt. 200 Milliarden Euro, heißt es, sollen genutzt werden. Ob Sie treffen mit dem, was Sie tun, bleibt nach den Erfahrungen der letzten Monate noch abzuwarten. Es bleibt bei unserem Angebot – Sie sehen es heute Morgen einmal mehr –: Wenn das Richtige vorgelegt wird, sind wir dabei und stimmen zu. Unser Angebot zur Zusammenarbeit und vor allem zum gemeinsamen Erarbeiten von Lösungen steht. Wir machen dann gerne mit. Wenn Sie sagen: „Nein“, ist das auch okay, Sie haben die Mehrheit. Aber nach den Rohrkrepierern der letzten Monate wäre es gut, wenn dieser letzte Schuss sitzt und Sie einmal ins Schwarze treffen. Dieses Land braucht dringend Sicherheit, Verlässlichkeit in stressiger, in krisenhafter Zeit. Es ist etwas angekündigt worden. Es ist einmal mehr Salamitaktik. Ich verstehe sowieso nicht, warum man gestern so eine Pressekonferenz gemacht hat: Die Summe ins Schaufenster stellen und danach Vorhang zu, alle Fragen offen. ({12}) Wir geben Ihnen jetzt noch ein Stückchen Vorschuss an dieser Stelle, auf dass Sie jetzt was Vernünftiges daraus machen. Aber machen Sie es schnell, und machen Sie es diesmal bitte richtig. Das Land braucht es dringend. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Markus Hümpfer das Wort. ({0})

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lage ist dramatisch. Herr Spahn, das haben wir, glaube ich, alle verstanden. Das brauchen wir auch nicht zu beschönigen. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um das, was wir angekündigt haben, jetzt auch schnell umzusetzen. ({0}) Die Anschläge auf Nord Stream 1 und 2 zeigen, wie verwundbar unsere Infrastruktur ist, unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft. Die Menschen in unserem Land haben Angst, Angst davor, im Winter frieren zu müssen, Angst davor, dass der Strom ausfällt, Angst vor Jobverlust und Armut. Diese Angst schwingt in jedem Gespräch mit, das ich zurzeit führe. Ich kann Ihnen sagen: Ich will nicht, dass Deutschland ein Land der Angst ist. ({1}) Nehmen wir zum Beispiel Kerstin. Die alleinerziehende Mutter lebt in einem schlecht gedämmten Altbau mitten in Schweinfurt, heizt ihre kleine Zweizimmerwohnung mit Erdgas. Viel einsparen kann sie nicht. Viel mehr bezahlen für Strom und Gas kann sie auch nicht. Wenn Kerstin vom Energiesicherungsgesetz hört, fragt sie sich vielleicht: Was nützt mir das? Senkt das meine Heizkosten? Das nützt mir doch gar nichts. – Ich will Ihnen sagen, Kerstin hat nicht ganz unrecht. Die Maßnahmen in diesem Gesetz allein reichen nicht aus. Deswegen haben wir für über 90 Milliarden Euro Entlastungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. ({2}) Mit der Strom- und Gaspreisbremse sorgen wir jetzt dafür, dass Energie bezahlbar bleibt. ({3}) Das ist aber nur eine Seite. Auf der anderen Seite müssen wir gleichzeitig das Energieangebot erweitern. Deshalb zünden wir den Booster für die erneuerbaren Energien. ({4}) Wir tun alles Mögliche, um die Situation zu entspannen und das Ruder herumzureißen. Genau deshalb haben wir das Energiesicherungsgesetz jetzt noch einmal verbessert. Wir sorgen dafür, dass kurzfristig mehr Strom über unsere Stromautobahn transportiert werden kann. ({5}) Von dieser Maßnahme profitiert auch Kerstin; denn damit können wir mehr Strom von Norddeutschland nach Bayern transportieren. ({6}) So verhindern wir Blackouts in den Bundesländern, die kaum eigene erneuerbare Energien haben ({7}) und die den Bau von Stromtrassen seit Jahrzehnten verhindern. ({8}) Und wir nutzen heimische Ressourcen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, Ressourcen, die CO2-neutral sind und nachwachsen. Ich spreche von Biogas. Von nun an können Biogasanlagen mehr produzieren. Bisher standen dem langwierige Genehmigungsverfahren entgegen. Damit ist jetzt erst einmal Schluss. Wir können uns das in der aktuellen Lage nicht leisten. ({9}) Deshalb ändern wir das Baugesetzbuch und ermöglichen so die zusätzliche Produktion –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hümpfer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hilse?

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– nein – von 17 Terawattstunden Gas; das entspricht 7 Terawattstunden Strom oder, mit anderen Worten ausgedrückt, dem Stromverbrauch von 2 Millionen Haushalten. ({0}) Das schafft Versorgungssicherheit in diesem Winter, meine Damen und Herren. Wir machen Energie bezahlbar und weiten das Angebot aus. Wir tun alles dafür, die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Wir tun alles dafür, dass aus Angst wieder Zuversicht wird in diesem Land. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Hilse das Wort.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Herr Hümpfer, Sie haben gerade gesagt, es werde viel Strom aus dem Norden in den Süden transportiert. Agorameter: Schauen Sie einfach einmal rein, dann sehen Sie, was passiert. Im Moment werden 0,9 Gigawatt von Onshorewindanlagen produziert, und davon wird vielleicht etwas in den Süden transportiert. Auf der anderen Seite stehen bei uns in Sachsen Braunkohlekraftwerke, die zurzeit 23 Gigawatt liefern. Das heißt, der Strom wird nicht aus dem Norden von Windkraftanlagen, von Vogelschreddern, in den Süden geliefert, vielmehr liefern wir gerade dem Norden Strom; ansonsten würden bei euch die Lichter ausgehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung. ({0})

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hilse, hätten Sie zugehört, hätten Sie gemerkt, dass ich gesagt habe: Wir ermöglichen mit diesem Gesetz, dass wir zukünftig mehr Strom vom Norden in den Süden transportieren können. ({0}) Das liegt daran, dass es Bundesländer gibt, die den Netzausbau seit Jahren verschleppen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der voraussichtlich letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bengt Bergt für die SPD-Fraktion. ({0})

Bengt Bergt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005024, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Anschlag auf Nord Stream ist ein Anschlag auf unsere Umwelt. Diese 500 Millionen Kubikmeter Erdgas, die jetzt ausgetreten sind, sind so viel wie 29 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht dem Jahresausstoß von Dänemark. Das ist furchtbar, und das muss verfolgt werden, meine Damen und Herren. ({0}) Einen positiven Aspekt hat das aber. Im Gegensatz zu früher sind wir jetzt vorbereitet. Wir sind abgenabelt und gut gerüstet für den Winter. ({1}) Wir haben die Mindestfüllstände erreicht, und die Gasspeicher sind voll. Wir bauen LNG-Ports, und sie werden im Winter fertig. Wir boostern Wind-, Solar- und Biogas, und das wird richtig viel Leistung ins System schieben. Und ja, auch Kohle und Gas werden gebraucht, weil wir nicht nur Verantwortung für uns haben, sondern auch solidarisch mit unseren europäischen Nachbarn sind. ({2}) Die Ampel führt dieses Land durch diese Krise, und niemand wird zurückgelassen. Versorgungssicherheit wird gewährleistet, und bezahlbare Energien werden kommen. Zufallsgewinne werden abgeschöpft, und der Ausbau der Infrastruktur wird beschleunigt. Wir bauen Stromnetze und geben jetzt Gas, wo Deutschland die letzten Jahre gepennt hat. Meine Damen und Herren, in diesem solidarischen Kraftakt liegen unglaubliche Chancen für unser Land. Wir holen aus den bestehenden Windenergieanlagen noch 2 Terawattstunden heraus, indem wir den Betriebsmodus ändern. Das ist so viel Strom, wie ein halbes Atomkraftwerk liefert. Allein durch die Beschleunigung der Verfahren für die Windkraft ebnen wir den Weg für 10 Gigawatt mehr Leistung, ein Potenzial, das seit Jahren in den Genehmigungsverfahren festhängt. Wir beschleunigen damit ganz konkret die Wertschöpfung hier in Deutschland mit Produktion hier bei uns, ({3}) und das ist leider bitter nötig; denn bei Siemens Gamesa werden schon wieder 300 Stellen in Deutschland und 2 500 in ganz Europa gestrichen. ({4}) Wir brauchen Offshoreturbinen aus Cuxhaven. Wir brauchen Onshoreturbinen aus Rostock und Rendsburg, Wälzlager aus Schweinfurt, Getriebe aus Friedrichshafen. Installateure, Dienstleister und Zulieferer, und ja, auch den Bäcker, der den hart arbeitenden Menschen die Maurermarmelade auf die Bemme schmiert – die brauchen wir alle. ({5}) Bitte verstehen Sie, dass diese EnSiG-Novelle ein riesiges Beschleunigungsprogramm für die Wertschöpfung hier vor Ort ist. Liebes Wirtschaftsministerium, bitte versteht, dass wir nicht nur die Fossilen stützen müssen, sondern endlich die Zukunftsenergien. Wir erleben gerade – direkt vor unseren Augen – in der Windindustrie ein ähnliches Debakel wie bei der Solarindustrie. Wir müssen jetzt schnell vorgehen; denn der Rest der Welt schläft nicht. Die Amerikaner legen mit massiven Subventionen vor, und China schert sich um gar nichts. Selbst unsere Nachbarländer bauen massiv aus und fördern, was das Zeug hält. Trotz der Förderung der fossilen Energien, die wir gerade mit dem Doppel-Wumms vornehmen, bleibt es richtig, dass wir als Ampel damit die Härten abfedern, dass wir die Preise deckeln. Deswegen wäre es allzu richtig, als Staat endlich in die Erneuerbaren einzusteigen. ({6}) Wir haben für viele Milliarden Euro gerade einen Gasriesen übernommen und kaufen fossile Rohstoffe, weil wir sie leider noch brauchen. Wir können aber – nach dem absichtlichen Herunterwirtschaften der letzten Jahre – die Wind- und Solarindustrie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Für einen Bruchteil der Kosten für Uniper könnten wir 100 000 Arbeitsplätze hier in Deutschland retten. Denn wenn wir das nicht tun – die Arbeitsplätze sind nicht weg; sie sind nur woanders –, geraten wir in die gleiche Abhängigkeit, aus der wir uns jetzt befreien müssen. Vielen Dank. ({7})

Maik Außendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005012, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Komischerweise drängen Sie als Union erst seit dem Regierungswechsel auf eine schnelle Ratifizierung dieses Handelsabkommens. Wenn Ihnen das so wichtig ist: Warum haben Sie das eigentlich nicht längst erledigt? ({0}) Sie wissen ganz genau, dass die Koalition einen Zeitplan verabredet hat. Diesen konnten Sie schon im Koalitionsvertrag nachlesen ({1}) und können das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der handelspolitischen Agenda. ({2}) Im März 2022 hat das Bundesverfassungsgericht einige Rechtsfragen geklärt. Man muss auch sagen: Einige sind noch nicht geklärt. Und es gehört zur Wahrheit dazu: Die endgültige Entscheidung steht erst nach den bereits angekündigten Klagen für den Fall einer Ratifizierung durch das Hohe Haus an. ({3}) Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes die Gespräche über eine Ratifizierung innerhalb der Koalition aufgenommen. Dabei haben wir uns als Grüne auf zwei Punkte konzentriert: erstens die Sonderklagerechte für Konzerne auf direkte Enteignung einzugrenzen, zweitens für zukünftig zu ratifizierende Abkommen die Aufnahme von verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien, sozialen und ökologischen Standards zur Voraussetzung zu machen. ({4}) Für die Sonderklagerechte wird eine Erklärung des Gemeinsamen Ausschusses angestrebt. Der Text ist zwischen der Kommission und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz abgestimmt und setzt den Rahmen für die Schiedsgerichte entsprechend. Die Bundesregierung hat hier in kürzester Zeit geliefert und jahrelang fehlgeleitete Außenwirtschaftspolitik bestmöglich korrigiert. Wir Grüne haben hier für eine fundamentale Verbesserung gesorgt. Die Verabschiedung dieser Erklärung durch den Gemeinsamen Ausschuss ist dabei zwingende Voraussetzung für unsere Zustimmung zum Ratifizierungsgesetz. ({5}) Für uns sind gründliche und demokratische Prozesse und enge parlamentarische Einbindung wichtig. Daher stärken wir, wie vom Bundesverfassungsgericht angemahnt, die parlamentarische Einbindung, indem wir einen Unterausschuss zur besseren Kontrolle der Außenwirtschaftspolitik der Bundesregierung einsetzen. So stärken wir die parlamentarische Kontrolle – nicht nur bei CETA, sondern auch bei allen zukünftigen Handelsverträgen. ({6}) Um an dieser Stelle der Realität zu begegnen, nehmen wir uns für die Zukunft die Nachhaltigkeitskapitel des fertig verhandelten Abkommens mit Neuseeland zum Vorbild. So stellen wir uns gute und faire Handelsabkommen vor. Unmittelbar nach einer endgültigen Ratifizierung von CETA durch alle Partner werden wir daher die Review-Klausel aufrufen, um den Prozess zur Weiterentwicklung von CETA und zur Aufnahme von Nachhaltigkeitskapiteln einzuleiten, um auch mit Kanada den Goldstandard nach Vorbild des Abkommens mit Neuseeland zu erreichen. Für uns Grüne gehörten gemeinsame Werte, Menschenrechtsfragen sowie ökologische und soziale Aspekte schon immer zu den Grundpfeilern der Außenhandelspolitik – für uns ein unabdingbarer Selbstzweck. Jetzt wird angesichts des Angriffskriegs Russlands vielen Kritikerinnen und Kritikern klar: Das war und ist der richtige Ansatz; denn Handelsbeziehungen mit Wertepartnern und dem gemeinsamen Interesse am Klimaschutz führen zu besonders verlässlichen und stabilen Handelsbeziehungen, auf die wir uns auch in Krisen- und Kriegssituationen verlassen können. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Stefan Rouenhoff das Wort. ({0})

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich in diesen Wochen die Bundesregierung anschaut, dann kommt man aus dem Staunen wirklich nicht mehr heraus. ({0}) Das gilt nicht nur für die Regierungsirrungen und ‑wirrungen in der Energiepolitik, sondern auch in anderen Politikbereichen. ({1}) Jetzt erzählen Sie, Herr Außendorf, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg genau der richtige ist. Ihr Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärt am Dienstag beim Parlamentarischen Abend von BDI, BDA und DIHK, er und die Bundesregierung seien die treibende Kraft bei der Ratifikation von CETA. ({2}) Ganze 15 Stunden später aber verhindern Sie – SPD, Grüne und FDP –, dass der Gesetzentwurf der Unionsfraktion zur CETA-Ratifikation im Wirtschaftsausschuss zur Sprache kommt. ({3}) Leiden Sie an Amnesie, leiden Sie an Schizophrenie, oder was sehe ich da bei der Ampel? ({4}) Ihre Spielchen erleben wir nicht zum ersten Mal ({5}) und nicht zum zweiten Mal und nicht zum dritten Mal. Nein, seit zehn Sitzungswochen – seit März 2022 – weigert sich diese Regierung, den Gesetzentwurf im Wirtschaftsausschuss zu beraten. ({6}) Seit einem halben Jahr verhindert diese Bundesregierung die Ratifikation des EU‑Freihandelsabkommens mit Kanada, einem unserer engsten Verbündeten. Das ist ein Armutszeugnis. Das hat nichts mit einer treibenden Kraft in der Handelspolitik zu tun, wie Robert Habeck es darstellt. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, regen Sie sich doch nicht so auf! ({8}) Ich bin mir nicht sicher, ob Sie merken, was so abgeht draußen in der Welt. Sonst hätten Sie auch nicht so geredet, Herr Außendorf. Ihre Politik sorgt für Irritation und Frustration, und das nicht nur bei uns als Oppositionsfraktion. Im August reisten Kanzler Scholz und Minister Habeck nach Kanada, um der kanadischen Regierung die deutschen Sonderwünsche für die Ratifikation von CETA mitzuteilen. ({9}) Sie haben es erwähnt. Es geht um die Interpretationserklärung zu den CETA-Investitionsschutzbestimmungen. Ich kann Ihnen sagen: Die Begeisterung darüber war riesengroß – riesengroß! –, genauso übrigens wie bei der Europäischen Kommission. Warum ist das so? Weil diese Erklärung ausschließlich parteipolitisch motiviert ist, einer grünen Parteipolitik geschuldet ist und nur noch einmal das unterstreicht, ({10}) was der CETA-Vertragstext ohnehin schon längst vorsieht. ({11}) Sie suggerieren hier etwas Falsches. Ich sage an dieser Stelle auch: So geht man nicht mit engsten Verbündeten wie Kanada um. ({12}) Wer einmal den Blick nach Europa richtet und genau zuhört, der stellt fest, dass einige EU-Mitgliedstaaten die Nase gestrichen voll haben, dass Deutschland immer eine Extrawurst-Politik hier hat. ({13}) Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Lage in unserem Land hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Lieferketten sind durch den Krieg in der Ukraine und durch die Coronapandemie nachhaltig gestört. Die Inflation schießt durch die Decke. Deutschland steuert auf eine Rezession zu. Liebe Ampelkollegen, eine deutsche Extrawurst-Politik ist wirklich das Letzte, was wir jetzt brauchen. ({14}) Machen Sie endlich das, was in dieser krisenhaften Zeit dringend erforderlich ist! Sorgen Sie dafür, dass Deutschland endlich wieder eine proaktive Rolle in der EU‑Handelspolitik einnimmt! Treten Sie in Brüssel mit Nachdruck für neue Freihandelsabkommen ein, um neue Absatzmärkte zu erschließen, die Exportchancen der deutschen Wirtschaft zu vergrößern, unsere Handelsbeziehungen zu diversifizieren, also auf ein breiteres Fundament zu stellen, und um Wohlstand und Beschäftigung in unserem Land zu sichern! Meine Damen und Herren, CETA ist das eine. CETA ist ein wichtiges Abkommen. Ich hoffe sehr, dass Sie es nicht noch weiter auf die lange Bank schieben. Aber eine noch größere ökonomische und strategische Bedeutung hat das EU-Mercosur-Abkommen. Mit über 700 Millionen Menschen und einem Anteil von fast 20 Prozent an der weltweiten Wirtschaftsleistung ist es das größte jemals von der EU‑Kommission ausgehandelte Abkommen. Es ermöglicht uns neue wirtschaftliche Beziehungen zu bisher stark abgeschotteten Ländern. Das Abkommen ist bereits seit mehreren Jahren ausgehandelt. Aber auch hier stockt die Ratifikation. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, stellen Sie unter Beweis, dass Sie die Zeichen der Zeit erkannt haben! Springen Sie über Ihren parteipolitischen Schatten, und beenden Sie endlich – endlich! – die Blockade bei der CETA-Ratifikation! Stärken Sie die EU‑Handelspolitik, indem Sie in Brüssel für die Ratifikation des EU‑Mercosur-Abkommens mit Nachdruck eintreten und es vorantreiben! Denn wir brauchen auch mit dieser Weltregion eine viel engere Zusammenarbeit, und das nicht nur, um die Folgen der vor uns liegenden Wirtschaftskrise abzufedern, sondern auch, um geostrategisch nicht unter die Räder zu kommen. Herzlichen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Markus Töns das Wort. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe elf Minuten. Das wird reichen, um ein paar Dinge klarzustellen. Vielleicht brauche ich die auch gar nicht. Ich versuche mal, es auf elf Minuten zu bringen. Die Chance, dass ich überziehe, ist eher gering. ({0}) – Ja, Frau Klöckner, das ist ja das, was Sie im Ausschuss immer haben: nichts zu sagen. Das stellen wir doch immer wieder fest, oder? Das ist doch so, Frau Klöckner. ({1}) – Herr Rouenhoff, es ist schon interessant: Von Ihnen sind zehn Abgeordnete da. Bei diesem Punkt, der Sie so interessiert? Das muss ja eine Herzensangelegenheit sein, die Sie hier heute Mittag abziehen! ({2}) Was ist los? Ist das das wichtige Thema, das Sie jetzt hier vertreten? Es ist doch lächerlich, Frau Klöckner. Machen Sie sich doch nichts vor! ({3}) Ich will Ihnen noch etwas sagen. ({4}) – Wir ratifizieren in diesem Jahr, ({5}) ganz in Ruhe, ganz geschmeidig. ({6}) – Hören Sie mir doch mal zu! Vielleicht hilft das bei der Wahrheitsfindung. ({7}) Übrigens hätte es auch etwas genutzt, ein bisschen in die Dinge zu schauen, die wir dazu schon veröffentlicht haben. Dann wüssten Sie auch, wohin der Weg geht. ({8}) Aber lassen wir das mal. Herr Rouenhoff, Sie stellen sich hierhin und sagen, dass wir mit der Erklärung, die wir jetzt auf den Weg bringen, die europäischen Partner alle verunsichern. ({9}) Ich frage mal nach: Was hat denn Ihre Union in 16 Jahren unter Angela Merkel hier an Verunsicherung in Europa gemacht? ({10}) Ich will Sie nur daran erinnern: Die Finanzkrise hat zur größten Verunsicherung geführt, weil Ihr Finanzminister und Ihre Kanzlerin nämlich nicht in der Lage waren, da für Ruhe zu sorgen. ({11}) Griechenland aus dem Euro ausschließen zu wollen, war ein Beispiel dafür, warum wir in Europa beispielsweise kritisch gesehen werden. Das sollten Sie sich mal auf die Fahne schreiben und hier nicht solche merkwürdigen Anträge stellen. ({12}) Was haben wir denn hier vorliegen? Wir haben einen Gesetzentwurf der Union, der seit zehn Wochen geschoben wird. Sie haben nach § 62 der Geschäftsordnung das Recht, einen Bericht zu verlangen. Sie bekommen den Bericht heute; der Bericht ist jener. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, nachdem wir uns das Verfassungsgerichtsurteil in Ruhe angeschaut haben. ({13}) Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, diesen einzubringen. Der ist eingebracht. Mittlerweile hat der Wirtschaftsausschuss – das wissen Sie auch – eine Anhörung für den 12. Oktober beschlossen; nur zur Erinnerung, falls Sie den Termin schon wieder vergessen haben. Dann will ich Sie noch hieran erinnern: Sie hätten Ihren Gesetzentwurf auch an diese Anhörung anhängen können. ({14}) Das haben wir Ihnen angeboten. Das wollten Sie aber nicht. ({15}) – Nein, Sie nehmen an der Anhörung teil, aber Sie wollen Ihren Gesetzentwurf nicht in der Anhörung haben. Warum denn nicht? Dafür gibt es doch keine Begründung. ({16}) – Nein. Es ist einfach nur so: ({17}) Sie wollen hier heute Mittag ein bisschen Klamauk veranstalten. Und wenn Sie das so gerne wollen, ({18}) dann frage ich Sie ernsthaft, wo Ihre staatspolitische Verantwortung ist als Union. ({19}) Wir werden weitere Beratungen haben, nachdem die Anhörung stattgefunden hat. Wir werden uns das ganz in Ruhe ansehen, und dann werden wir das in diesem Herbst beschließen. ({20}) Darauf können Sie sich verlassen. Was in der Erklärung steht, beinhaltet nichts anderes, als dass wir noch einmal klären, dass das auch im Vertrag vorhanden ist. Und es ist im Vertrag vorhanden; also müssen wir da überhaupt gar nicht nervös werden. ({21}) Dann will ich noch auf einen Punkt hinweisen, der aus meiner Sicht wichtig ist, warum man übrigens auch auf dem richtigen Weg ist, nicht nur in der Koalition, sondern auch mit diesem Vertrag. Wir sind in einer vollkommen anderen Situation als noch vor vielen Jahren. Vielleicht noch eine Bemerkung am Rande: CETA ist seit fünf Jahren in der vorläufigen Anwendung; diesen September sind es genau fünf Jahre. Die vorläufige Anwendung funktioniert. ({22}) Es gibt keine Verwerfungen bei diesem Vertrag, keine großen Probleme, und wir werden deshalb auch ratifizieren. ({23}) Aber ich will auf etwas Weiteres hinweisen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Töns, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Rouenhoff?

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. ({0})

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Töns, jetzt hören wir vieles auf Brüsseler Ebene. Es gibt sehr kritische Stimmen von den Mitgliedstaaten zu genau dieser deutschen Interpretationserklärung. Ich möchte gerne wissen, wie Sie die Situation in Brüssel einschätzen, ob Sie glauben, dass Sie auf Brüsseler Ebene mit Ihrer Interpretationserklärung durchkommen, und ich möchte gerne wissen, ob Sie durch Ihre Interpretationserklärung auch eine Präzedenzwirkung sehen. Das ist nämlich genau das, was viele Mitgliedstaaten in der Europäischen Union fürchten: dass Deutschland immer wieder Extrawürste anmeldet. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Frage. – Ich will darauf – es war zweigeteilt – folgendermaßen antworten. Es ist keine Extrawurst, Herr Rouenhoff, sondern es geht darum, dass wir das, was im Vertrag steht, in einer Erklärung mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Europäischen Union diesem Vertrag anhängen. Das ist keine Vertragsänderung. Daher ist damit auch nicht verbunden, dass sich irgendetwas ändert, ({0}) sondern wir erklären noch einmal, was sich inhaltlich in diesem Vertrag befindet. Wissen Sie eigentlich, warum wir das tun? Das ist nämlich etwas, worauf wir eingehen. Sie wissen ganz genau, dass es vor vielen Jahren, als CETA in der Endverhandlung war, erhebliche Proteste aus der Bürgerschaft gab. ({1}) Diese Proteste haben uns dazu gebracht, genau hinzuschauen und den Menschen mit auf den Weg zu geben, dass wir hier einem Vertrag zustimmen, der auch ihren Interessen entspricht. Darum geht es inhaltlich in dieser Sache. ({2}) Ich bin da übrigens auch ganz nah bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Franziska Brantner, die sehr eindeutig in dem Bericht, der Ihnen im Ausschuss auch vorliegt, erklärt hat, dass die Gespräche auf einem guten Weg sind und dass die Partnerinnen und Partner dem am Ende auch zustimmen. Ich kann nicht erkennen, dass wir da nervös werden müssen. Vor diesem Hintergrund: Eine Extrawurst ist das nun wirklich nicht, Herr Rouenhoff. ({3}) Lassen Sie mich zum Abschluss vielleicht einmal auf den Multilateralen Investitionsgerichtshof zu sprechen kommen. Dieser Multilaterale Investitionsgerichtshof ist nämlich genau das, was diesen Vertrag zu etwas Besonderem macht. Wenn uns das gelingt, ihn zu ratifizieren – ich bin zutiefst überzeugt, dass das in diesem Herbst passieren wird –, dann werden wir diesen Multilateralen Investitionsgerichtshof bald auf den Weg bringen, und zwar dann, wenn es alle Staaten in Europa – wir sind übrigens nicht die letzten, wie Sie wissen – ratifiziert haben. Das ist eine substanzielle Verbesserung des Rechts und eine substanzielle Verbesserung von dem, was ist. Investoren müssen sich dann nämlich vor ein Gericht bewegen, das wirklich mit Richterinnen und Richtern ausgestattet ist, das Recht spricht und nicht ein intransparentes Schiedsverfahren beinhaltet. Alleine deshalb ist es gut, dass wir in diesem Herbst ratifizieren. Sie können ganz beruhigt sein. Setzen Sie sich wieder hin, ({4}) und nehmen Sie an der Anhörung teil! Wir freuen uns darauf, auf Ihre Fragen, und wir werden am Ende diesen Vertrag ratifizieren, ({5}) ganz in Ruhe. Glück auf! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Schattner für die AfD-Fraktion. ({0})

Bernd Schattner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005203, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da die Koalition zehnmal die Aussprache im Wirtschaftsausschuss verweigert hat, befassen wir uns heute also mit dem Bericht der Koalition zu dem hier vorliegenden Antrag der CDU/CSU. Zusammengefasst kann man zu diesem Antrag sagen: Bei der CDU/CSU ist man frei nach dem Motto vorgegangen: Je mehr, desto besser. Anders ist es nicht zu erklären, dass man von CETA über den Handel mit den USA über Japan bis nach Mexiko, Chile und die anderen Andengemeinschaften einfach alle einbinden möchte. Liebe Kollegen der CDU/CSU, Sie sollten sich schon entscheiden, was Sie überhaupt wollen. Wie wichtig Handel ist, erleben wir gerade in unserer heutigen Zeit. Auch wir als AfD stehen dem freien Welthandel grundsätzlich positiv gegenüber. ({0}) Aber – und das sage ich deutlich –: Handel mit Augenmaß. Das scheinen Sie in diesem Antrag verloren zu haben, ({1}) insbesondere auch im Hinblick auf über 200 000 Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht. Die geplante Installation von supranationalen Schiedsgerichten ist nichts anderes als die Aufgabe unserer nationalen Gerichtsbarkeit. Erneut fordert die Europäische Union, dass wir Teile unserer Judikative an sie übertragen. Eine weitere Abgabe nationaler Souveränität ist mit uns eben nicht zu machen. ({2}) Diese Übertragung wäre ein weiterer Schritt in Richtung Aushöhlung unseres Nationalstaates. Gott sei Dank teilt das Bundesverfassungsgericht hier unsere Auffassung, dass diese Übertragung mit dem Grundgesetz eben nicht vereinbar wäre. Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt in diesem Abkommen, dem wir so nicht zustimmen werden, ist die zollfreie Einfuhr von 45 000 Tonnen Rindfleisch, 75 000 Tonnen Schweinefleisch und 100 000 Tonnen Weichweizen. Bereits in den letzten Jahren standen unsere Bauern mit dem Rücken zur Wand. Vor allem die unterbrochenen Lieferketten, die Coronamaßnahmen und nicht zuletzt auch der Krieg in der Ukraine haben unsere Bauern an den Rand der Existenz gebracht. Die Lage verschlechtert sich täglich weiter. Durch die immer weiter steigenden Preise für Dünger und für Energie wäre der billige Import nur noch der letzte Sargnagel, der das Schicksal unserer Bauern endgültig besiegeln würde. Das kann nicht in unserem nationalen Interesse sein. Unsere Priorität muss es sein, zuerst die heimische Landwirtschaft zu schützen, bevor wir Fleisch und andere landwirtschaftliche Produkte importieren. ({3}) Hier gilt es, zuallererst unsere Bauern zu schützen. Und wenn uns die letzten zwei Jahre eines gezeigt haben, dann doch die Notwendigkeit, eine gewisse Eigenversorgung der Bevölkerung sowohl mit Nahrungsmitteln als auch sonstigen wirtschaftlichen Gütern sicherzustellen. Dies würde sowohl Deutschland als Marktmacht in der Welt stärken als auch die eigene Bevölkerung im Versorgungsbereich absichern. Dieses Ziel würde mit den hier vorgetragenen Inhalten unterminiert werden. Als demokratische Oppositionspartei stehen wir, wie ich vorhin erwähnt habe, Handelsbeziehungen grundsätzlich offen gegenüber. Mit uns wird es aber weder eine Aufweichung des Verbotes von genveränderten und hormonbelasteten Lebensmitteln geben, noch werden wir Maßnahmen unterstützen, die die heimische Landwirtschaft noch stärker belasten. Sie verzögern hier im Übrigen bewusst einen Antrag der Opposition, liebe Koalition, nur weil Sie bei Ihrem eigenen Antrag zu langsam waren und das der CDU/CSU anlasten. Dies ist wieder ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Sie der Aufgabe, in der Regierung zu sein, nicht gewachsen sind. Ihre geplante ökologische Transformation wird auch hier wieder als Katastrophe entlarvt. An Ihrem links-grünen wirtschaftspolitischen Irrweg kleben Sie genauso fest wie die Klimaaktivisten von Extinction Rebellion bei uns in Berlin auf den Straßen. ({4}) Sie sollten sich doch besser überlegen, Ihre Regierungsverantwortung zur Verfügung zu stellen, damit dieses Land wieder eine Aussicht auf bessere Zeiten hat, bevor Sie es komplett heruntergewirtschaftet und an die Wand gefahren haben. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ich grüße Sie. Hier kommt die Schlussrunde. – Das Wort erhält für die FDP Carl-Julius Cronenberg. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ganz ehrlich: Ihre Debattenbeiträge, wenn ich sie so vergleiche mit denen der letzten Jahre, haben mir bis vorhin in dieser Wahlperiode eigentlich besser gefallen als in der letzten. ({0}) Ich nehme an, das hängt mit Ihrer neuen Rolle auf der Oppositionsbank zusammen. Möge diese neue Arbeitsteilung – Sie halten gefällige Reden, wir ratifizieren endlich CETA, bauen LNG-Terminals auf und erneuerbare Energien aus – noch lange Zeit erhalten bleiben. Die Bürgerinnen und Bürger werden das zu schätzen wissen. ({1}) Mit dem Freihandel verhält es sich ähnlich wie mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, wird durch Putins Krieg noch wichtiger und noch dringlicher. Die Demokratien der Welt werden ihre Allianz stärken und ihre Abhängigkeiten überwinden: im Energiesektor, im Rohstoffsektor, im Halbleitersektor. Wir werden mehr Handelsabkommen schließen, untereinander und mit dem Rest der Welt. Das ist das Gebot der Stunde. ({2}) Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien, Handelspartnerschaften sind Freiheitspartnerschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Die baldige CETA-Ratifizierung ist ein starkes Signal für die deutsche Wirtschaft. Die Zölle sind schon weg, die Potenziale aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Investoren auf beiden Seiten des Atlantiks stehen seit Jahren in den Startlöchern und warten auf Rechts- und Planungssicherheit, übrigens nicht nur Konzerne, sondern auch der deutsche Mittelstand. Seit der vorläufigen Anwendung von CETA hat sich der Marktzugang positiv entwickelt. Ohne Zölle und Doppelzertifizierungen stieg das deutsch-kanadische Handelsvolumen allein im letzten Jahr um 9 Prozent. Ich sage: Da geht noch mehr. Ich wünsche mir, dass wir in weniger als zehn Jahren mehr aus Kanada importieren als aus Russland. Da müssen wir hin. ({4}) Sie wissen: Was die CETA-Ratifizierung anbetrifft, hatten die Koalitionspartner unterschiedliche Ausgangspositionen. ({5}) Für uns Liberale hätte es keiner zusätzlichen Klarstellung bedurft. Für die Grünen war die Zustimmung zur Ratifizierung ein weiter Weg. Wir Liberale sehen die Chancen von umfassenden Handelsabkommen. Wir sind überzeugt, dass sie bessere Standards bringen. CETA ist ein Beleg dafür: Kanada hat zwei weitere ILO-Übereinkommen angenommen. Andere sehen das Risiko, dass über die missbräuchliche Anwendung von Investitionsschutzstandards Standards geschliffen werden oder Staaten in ihrer Klimapolitik eingeschränkt werden können. ({6}) Wir teilen diese Bedenken nicht, und doch nehmen wir sie sehr ernst. Es ist uns wichtig, dass am Ende des Prozesses ein breiter Konsens über die Vertiefung der Partnerschaft mit Kanada steht, ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist uns wichtig. ({7}) Und wenn es so ist, dass für diesen breiten Konsens eine Interpretationserklärung in Form einer Klarstellung hilft, dann ist es auch gut, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, die es braucht. ({8}) Mir ist das wichtig, und ich sage Ihnen auch, warum. Wir dürfen und wollen nicht bei Kanada stehen bleiben. Vielmehr soll dieser Prozess ermutigen, Sprungbrett sein für weitere Freihandelsabkommen, zum Beispiel mit Chile – dort liegen wichtige Rohstoffe für Halbleiter und Batterien für Elektroautos; ohne Lithium keine Batterien und weniger Chips – und mit Mexiko – Mercosur ist schon angesprochen worden; dort wollen wir voranschreiten –, mit Australien, mit Indien, mit dem Chancenkontinent Afrika. Zeitenwende soll für Europa heißen: weniger Abhängigkeiten durch mehr Resilienz, durch mehr Diversität im Handel. Waren Handelsabkommen schon immer ein Gebot der ökonomischen Vernunft, so sind sie heute ein Gebot der neuen geopolitischen Realität. ({9}) Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und die größte in Europa. Deutschland macht allein mehr als 25 Prozent des EU-Außenhandels aus. Unsere Partner erwarten, dass Deutschland in Europa Verantwortung übernimmt und entschlossen voranschreitet. Was sie nicht mehr wollen, sind deutsche Alleingänge à la Nord Stream 2. Ich rate dringend davon ab, in der Handelspolitik die Fehler der Energiepolitik zu wiederholen. Verantwortung übernehmen ist etwas anderes, als Alleingänge durchzudrücken. Nicht alles, lieber Maik Außendorf, was mit Neuseeland geht, wird auch mit Indien sofort gelingen. Mit gesundem Selbstbewusstsein sagen wir: Wir sind die bessere Alternative zu China im Globalen Süden, und noch besser mit Handelsabkommen als ohne. Das sollte uns auch leiten, wenn wir nicht alles, was wünschenswert ist, gleich im ersten Schritt erreichen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In diesem Herbst ratifizieren wir CETA. Das ist ein gutes Zeichen in schlechten Zeiten. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Man weiß ja manchmal nicht, welchen Satz Sie jetzt einläuten. – Als Nächstes erhält Christian Leye für Die Linke das Wort. ({0})

Christian Leye (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005127, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worum geht es? Es geht darum, dass mit CETA internationale Konzerne die Möglichkeit bekommen sollen, gegen demokratische Entscheidungen, zum Beispiel hier im Bundestag, vor Sondergerichten zu klagen. ({0}) Das müsste doch eigentlich zu einem Aufschrei unter allen Demokratinnen und Demokraten führen. Wollen Sie als Gesetzgeber wirklich beschließen, dass Sie Konzernen keine Gesetze mehr vorgeben können, ohne dass die Sie vor ein Sondergericht ziehen? Frage in die Runde: Wenn Sie denken, dass Sie als Gesetzgeber für Konzerne nicht geeignet sind, warum sagen Sie das nicht Ihren Wählerinnen und Wählern? Aber darüber wird kaum gesprochen. Stattdessen reden wir über Werte. Und Sie wollen uns weismachen, dass gerade jetzt, in der Energiekrise CETA notwendig sei. Ich will mal anhand von Fallbeispielen erklären, warum genau das Gegenteil richtig ist. So gab es in Kanada vollkommen zu Recht Widerstand der Bevölkerung gegen Fracking durch den Öl- und Gaskonzern Lone Pine. 100 Bürgerinitiativen wehrten sich; mehr als 130 000 Menschen unterzeichneten Onlinepetitionen. Die Provinzregierung stoppte das Fracking und fand sich vor einem Sondergericht wieder, wo sie von dem Konzern auf Millionensummen verklagt wurde. Frage in die Runde: Warum wollen Sie sich beim Abwägen zwischen Energieförderung und Umweltschutz derartig die Hände binden lassen? ({1}) Aktuelles Beispiel aus Italien. Da verklagt das Ölförderunternehmen Rockhopper den italienischen Staat, weil nach Protesten aus der Bevölkerung in einer 12‑Meilen-Zone vor der Küste kein Öl mehr gefördert werden darf. Vor einem privaten Schiedsgericht hat der Konzern dann Recht bekommen. Der italienische Staat muss 190 Millionen Euro zahlen, weil er seine Bevölkerung schützen wollte. Frage in die Runde: Wollen Sie in Sachen Ölförderung wirklich die Konzerne fragen, bevor Sie Ihre eigenen Wählerinnen und Wähler fragen? ({2}) Den Vogel abschießen tut der Energiekonzern Uniper; denn das Unternehmen verklagt gerade den niederländischen Staat vor einem Schiedsgericht. Der Konzern fordert knapp 1 Milliarde Euro, weil in den Niederlanden die Regierung bis 2030 aus der Kohle aussteigen will. Frage in die Runde: Wenn Uniper jetzt verstaatlicht werden soll, verklagt dann die deutsche Bundesregierung die niederländische Bundesregierung, ({3}) weil die etwas wollen, was wir so ähnlich auch wollen? Das ist doch der Wahnsinn in Tüten. ({4}) Zur Energiekrise und zu CETA. Sie ändern doch gerade im Wochentakt Ihre Energiepolitik, weil Sie, ehrlich gesagt, keinen Plan haben, wie wir durch diesen Winter kommen sollen. Gaspreisdeckel, Verstaatlichung, ein neues Strommarktdesign, Übergewinnsteuer, Preiskontrollen – für welche dieser Maßnahmen könnte man sich eigentlich vor einem Sondergericht wiederfinden, weil sie irgendeinem Energiekonzern nicht passen? Das ist doch der absolute Wahnsinn. Deswegen: Kein Demokrat und keine Demokratin haben das Recht, vor dem internationalen Kapital derartig auf den Knien zu rutschen. Sagen Sie Nein zu diesem Abkommen! Danke schön. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für Bündnis 90/Die Grünen bekommt Dieter Janecek das Wort. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kanada ist ein enger Freund und Partner der Bundesrepublik Deutschland. In der Substanz reden wir hier über das Freihandelsabkommen CETA, das, wie Herr Cronenberg gesagt hat, seit fünf Jahren in der vorläufigen Anwendung ist, das als gutes Abkommen funktioniert und im letzten Jahr zu einem Zuwachs im Freihandel von 9 Prozent geführt hat. Die Frage, warum wir jetzt über die Ratifizierung reden, hat ja mit der großen Skepsis der Zivilgesellschaft und auch Teilen des Parlaments in Bezug auf die Schiedsgerichte zu tun. ({0}) Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele, wo Schiedsgerichtsbarkeiten zu Missbrauch eingeladen haben, und es gab auch Fälle, wo dieser Missbrauch stattgefunden hat. Deswegen war es uns, wie übrigens auch elf weiteren Staaten der Europäischen Union, ein Anliegen, eine Verabredung zwischen Deutschland und Kanada, aber letztlich auch innerhalb der gesamten Europäischen Union zu treffen, um den Bereich der Schiedsgerichte ausschließlich auf den Bereich der direkten Enteignung einzugrenzen und so keinen Missbrauch mehr vorkommen zu lassen. Darum ging es in der Substanz in den letzten Wochen. Ich danke der Staatssekretärin Brantner, der Bundesregierung und der gesamten Koalition, dass wir diesen Weg gegangen sind und jetzt diesen Passus formuliert haben. ({1}) Es gilt darüber hinaus, dass wir Skepsis ernst nehmen. Wir wollen den Freihandel vertiefen und werden noch schwierige Diskussionen haben. Auch das Mercosur-Abkommen werden wir nicht abschließen können, wenn wir nicht zu Regelungen für den Schutz des Amazonas kommen; auch die Wahlen in Brasilien werden da eine Rolle spielen. Wir können uns die Partner auf der Welt zwar nicht aussuchen, aber wir müssen für unsere Werte einstehen in der Welt; das gehört zusammen. ({2}) Wir wollen auch die parlamentarische Kontrolle stärken. Es wird einen Unterausschuss geben, der sich regelmäßig mit den bestehenden Freihandelsabkommen befasst. Das ist der richtige Weg, um nicht nur unsere Werte und Interessen, sondern auch das Funktionieren von Freihandelsabkommen parlamentarisch zu kontrollieren. Genau diesen Weg werden wir gehen. ({3}) Das Thema Nachhaltigkeit, das Sie, liebe Union, ja oft als Nebenschauplatz versucht haben zu formulieren, ist ein ganz zentrales. Selbst im Freihandelsabkommen CETA stehen dazu ja sehr relevante Sätze drin: Das Freihandelsabkommen ist auch dazu da, dass wirtschaftliche Entwicklungen, soziale Entwicklungen und Umweltschutz sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. – Das ist ein Momentum, das wir auch für künftige Freihandelsabkommen – der Goldstandard ist Neuseeland – nutzen wollen. Es geht darum, dieses Level Playing Field im Bereich Klimaschutz, Nachhaltigkeit, ILO-Arbeitsnormen, soziale Standards zu verhandeln. ({4}) Wir wissen: Die Welt ist nicht immer so, wie wir sie uns wünschen. Aber Sie können davon ausgehen, dass es die Position der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und dieser Bundesregierung ist, künftige Freihandelsabkommen darauf zu überprüfen, dass wir möglichst viel von dem durchsetzen, was zum Wohle der gesamten Welt ist: Wir wollen eine Klimaebene finden, auf deren Basis wir gemeinsamen Handel betreiben. Wir wollen nicht Handel treiben und die Umwelt zerstören oder soziale Standards schleifen, sondern wir wollen Handel treiben, um Wohlstand zu schaffen, sozial und ökologisch. ({5}) Ich bedanke mich für diese Debatte. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält abschließend in dieser Debatte Thomas Silberhorn das Wort. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssten diese Debatte nicht führen, wenn die Bundesregierung und diese Ampelkoalition endlich entscheiden würden. ({0}) Das CETA-Abkommen ist 2016 paraphiert worden. Damit wurde der Vertragstext als verbindlich fixiert. Es wird seit 2017 angewandt, also seit über fünf Jahren. Ja, es gab verfassungsrechtliche Bedenken aus der SPD-Fraktion. Aber die sind mittlerweile ausgeräumt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden und die Organstreitverfahren am 9. Februar dieses Jahres zurückgewiesen. Das ist über sieben Monate her. Sie haben ganze fünf Monate gebraucht, um einen Gesetzentwurf vorzulegen, ({1}) und den wälzen Sie jetzt ein ums andere Mal hin und her und kommen nicht zu Potte. ({2}) Wir reden über zwei Artikel mit jeweils zwei Sätzen. Das ist nicht einmal eine halbe DIN-A4-Seite, und das kriegen Sie nicht auf die Reihe, meine Damen und Herren. ({3}) Sie haben heute immerhin – das ist neu – in Aussicht gestellt, dass Sie ratifizieren werden. ({4}) Mit dieser Debatte aber haben Sie deutlich gemacht, dass Sie nach wie vor alle mit sich selbst beschäftigt sind. Diese Ampelkoalition und diese Bundesregierung müssen endlich in den Arbeitsmodus schalten, meine Damen und Herren. Die Ratifikation des CETA-Abkommens ist längst entscheidungsreif. ({5}) Aber statt zu entscheiden, wird das monatelang hin- und hergewälzt, und der Bundeswirtschaftsminister beklagt sich öffentlich, seine Leute litten unter Burn-out, nach nicht einmal einem Jahr unter seiner Führung. Also, mich wundert das nicht. Wenn man selbst einfache Vorhaben monatelang und ohne Ergebnis hin- und herschiebt, dann muss das ja krank machen. Es fällt schon auf, dass Sie bei Katar und bei Saudi-Arabien nicht so pingelig sind, meine Damen und Herren. ({6}) Die Europäische Union teilt mit Kanada so viele Normen und Standards wie mit kaum einem anderen Land außerhalb der Europäischen Union. Mit dem CETA-Abkommen entfallen 98 Prozent der Zölle zwischen der EU und Kanada. Das ist nach Schätzungen der EU‑Kommission eine Entlastung von fast 600 Millionen Euro jährlich. Mit der Ratifizierung würden Europäische Union und Kanada ihr öffentliches Auftragswesen auf Landes- und Kommunalebene gegenseitig öffnen. Die sozialen und ökologischen Standards, die auf beiden Seiten hoch sind, würden angeglichen. Und ja, es würde auch ein moderner Investitionsschutz eingeführt, der, meine Damen und Herren, keine kanadische Idee ist, sondern auf eine Initiative der Europäischen Union zurückgeht, weil man sich unter den damals 28 Mitgliedstaaten eben nicht darauf verständigen konnte, eine nationale Rechtsordnung für Streitigkeiten aus diesem Abkommen zu berufen. ({7}) Das alles jetzt zu ratifizieren, liegt natürlich in unserem Interesse. Unsere Volkswirtschaft funktioniert nur mit Rohstoffen und Energie. Davon haben wir aber zu wenig in Deutschland. Deshalb brauchen wir Partner innerhalb und außerhalb der Europäischen Union, mit denen wir tragfähige Lieferbeziehungen unterhalten können. Kanada ist hier ein zuverlässiger transatlantischer Partner, der für uns künftig noch wichtiger sein wird. ({8}) Umgekehrt können wir als Deutsche Produkte anbieten, die weltweit gefragt sind. Dafür investieren wir in Bildung und Forschung. Dafür entwickeln wir neue Technologien und neue Materialien. Darauf, dass es für unsere Produkte, für „made in Germany“ auf der ganzen Welt Kunden gibt, beruht nämlich unser Wohlstand. Das ist das wirtschaftliche Rückgrat für Deutschland und für den europäischen Binnenmarkt. Deshalb sind insbesondere wir als Exportnation auf gute Handelsbeziehungen angewiesen. Meine Damen und Herren, diese Grundlage unserer Wirtschaftsordnung – Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand – wird in diesen transatlantischen Beziehungen weiter erheblich an Bedeutung gewinnen, auch weil Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine das Feld völlig verändert hat und weil mit China neue Herausforderungen ins Haus stehen: Anhaltende Lieferengpässe und Abhängigkeiten auch von China sind ja spätestens seit der Coronapandemie für jedermann sichtbar geworden. Wenn wir uns aus Abhängigkeiten von autokratischen Staaten befreien wollen, dann müssen wir unsere Wirtschafts- und Handelspolitik neu ausrichten. Das bedeutet insbesondere, dass wir die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen ausbauen müssen. ({9}) Die Ratifikation des CETA-Abkommens ist dafür nur ein Auftakt. Weitere Schritte müssen folgen: Das Mercosur-Abkommen muss ratifiziert werden, die Verhandlungen mit Chile müssen fortgeführt werden, das Abkommen mit Mexiko muss aktualisiert werden.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen einen neuen Aufbruch in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen mit Kanada, auch mit den USA und auch mit dem Globalen Süden. Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt einen schwierigen Winter vor uns haben –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– mit hoher Inflation und drohender Rezession, dann werden die Löcher, die dadurch gerissen werden, nicht allein mit Steuergeld gestopft werden können. Es braucht auch einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch. ({0}) Dafür weist der Antrag der Union den richtigen Weg.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Danke.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und dafür ist die Ratifikation des CETA-Abkommens dringend notwendig. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Damit schließe ich die Aussprache.

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wirkt sich nicht zuletzt auch auf die Lebensmittelpreise aus. Jeder von uns kann dieses Phänomen aktuell in den Lebensmittelmärkten beobachten. Besonders betroffen davon sind die Schwächsten unserer Gesellschaft, weil sie einen besonders hohen Anteil ihres Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel aufwenden müssen. Wir als Ampelkoalition haben den Handlungsbedarf erkannt und schon vor Monaten begonnen, Entlastungs- und Unterstützungspakete zu schnüren. Die Erhöhung des Sparerpauschbetrags, die vorgezogene Entlastung bei der EEG-Umlage, der Heizkostenzuschuss, die Energiepreispauschale, der Kinderbonus, die Einmalzahlungen an Empfänger von Sozialleistungen und Arbeitslosengeld, die temporäre Energiesteuersenkung, das 9‑Euro-Ticket, die Verbesserung und Entfristung bei der Homeoffice-Pauschale und die Verlängerung des Spitzenausgleichs für energieintensive Unternehmen – all das werden oder haben wir bereits innerhalb von kürzester Zeit umgesetzt. Mit dem dritten Entlastungspaket und dem wirtschaftlichen Abwehrschirm werden es insgesamt bis zu 300 Milliarden Euro an Entlastungen und Unterstützungen sein, von denen die Menschen in unserem Land profitieren. Damit geben wir den Menschen in unserem Land wieder mehr Handlungsspielraum. ({0}) Es ist erstaunlich, wie die aktuellen Zeiten das Hufeisen wieder zusammenbringen. Linke und AfD sind sich einig: Sogenannte Grundnahrungsmittel sollen von der Umsatzsteuer befreit werden. Für die Umsatzsteuer tut mir das leid. Jedes Mal, wenn sich unser Land einer Herausforderung gegenübersieht, wird diese arme Sau durchs Dorf getrieben, ({1}) mal von rechts, heute mal von links. Lieber würde ich mit Ihnen darüber sprechen, die Umsatzsteuer endlich zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Eine Besteuerung, die davon abhängt, wie viel Milch in meinem Kaffee ist oder ob ich die Brezel in der Bäckerei oder davor zu mir nehme, ist schwer zu erklären. Auf diese Unstimmigkeiten verweisen Sie ja selbst; nur die richtigen Schlüsse ziehen Sie nicht. Anstatt gute Oppositionsarbeit zu machen und darauf hinzuweisen, dass man die Schwächen des Umsatzsteuersystems endlich grundlegend angehen sollte, machen Sie das Gegenteil. Sie wollen den Kreislauf immer neuer Verschlimmbesserungen einfach weiterführen. Ein Flickenteppich kann aber nicht dadurch besser werden, dass immer neue Flicken angenäht werden. ({2}) Dabei ist Ihnen doch offenkundig selbst ein ganz grundlegendes Problem mit Ihrer Initiative aufgefallen. Im Juni bringen Sie Ihren Antrag zur Senkung der Umsatzsteuer auf Grundnahrungsmittel ein. Einen Monat später fällt Ihnen auf, dass es bei der dafür grundlegenden Definition eines Grundnahrungsmittels hakt, und Sie reichen einen zweiten Antrag nach. Schön wäre natürlich gewesen, direkt zu Beginn einen ganzheitlichen Vorschlag zu machen. So ist es nur ein Klein-Klein geworden, das wir nicht unterstützen. ({3}) Im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer gibt es viel zu tun. Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir abgesprochen, noch in dieser Wahlperiode das Besteuerungsverfahren umfassend zu digitalisieren. Damit entlasten wir die Betriebe dieses Landes und setzen Steuerbetrug in hohem Milliardenbereich endlich ein Ende. In der Ampelkoalition sind wir gerade mit der Umsetzung des dritten Entlastungspakets und des wirtschaftlichen Abwehrschirms beschäftigt, womit die Bürger unseres Landes um viele Milliarden Euro entlastet werden. Ihre Anträge leisten in diesem Zusammenhang keinen Beitrag. Deshalb lehnen wir sie ab. In der Tat müssen wir bei unseren Gesetzen am meisten auf die schauen, die es schwer haben. Deshalb danke ich Ihnen für die Gelegenheit, in der Diskussion über Lebensmittelpreise den Blick auf den Rest der Welt zu öffnen und insbesondere auf den afrikanischen Kontinent zu schauen. ({4}) In Ägypten kommen 90 Prozent der Weizenimporte aus der Ukraine oder aus Russland, die jetzt zu großen Teilen wegfallen. Im Zusammenhang mit der Energiepreiskrise sind außerdem die Preise für Düngemittel um 21 Prozent gestiegen. Im Sudan ernten die Menschen dieses Jahr nur halb so viel, in Äthiopien, was die Grundgetreidearten angeht, sogar 70 Prozent weniger. Während Anfang dieses Jahres noch 276 Millionen Menschen akut Hunger litten, sind es nach sechs Monaten Krieg in der Ukraine bereits 345 Millionen Menschen. Warum sage ich Ihnen das? Ich sage Ihnen das, damit Sie sich daran erinnern, warum wir diese Diskussion führen müssen und wer die eigentliche Schuld daran trägt, damit Sie sich, wenn Sie uns vorwerfen, wir würden zu wenig tun, daran erinnern, dass nicht diese Bundesregierung, sondern ein außer Kontrolle geratener Diktator in Russland schuld an den ausufernden Lebensmittelpreisen ist, ({5}) ein Verbrecher, der einen sinnlosen, menschenverachtenden Krieg gegen die Ukraine führt und sich dabei nur gegenüber den von Lebensmittelimporten abhängigen Millionen von Menschen in Afrika noch rücksichtsloser und menschenverachtender verhält und der leider von den beiden radikalen Flügeln dieses Hauses immer noch zu viel Unterstützung bekommt. Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes folgt Dr. Hermann-Josef Tebroke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Empore und an den Empfangsgeräten! Wir beraten heute abschließend den Antrag der Linken mit dem Titel „Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel aussetzen“, jetzt kombiniert mit dem Antrag „Grundnahrungsmittel zeitgemäß definieren“. Liebe Antragssteller, ich darf Ihnen für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass Ihr Antrag willkommen ist, aber … Dazu möchte ich drei Punkte ausführen. Erster Punkt. Ihr Antrag ist willkommen, weil er Druck gemacht hat und immer noch Druck macht auf die Ampel, sich zur Inflation etwas überzeugender zu äußern. Einige Menschen sind besonders von der Inflation betroffen, zum Beispiel, weil sie nicht auf die veränderten Preise reagieren können, weil sie nicht auf andere Produkte ausweichen können oder weil das Einkommen viel zu niedrig ist, um das mal eben so wegzustecken. Sie haben mit Preissteigerungen von 8 Prozent argumentiert; mittlerweile sind wir bei 10 Prozent angekommen. Was noch viel schlimmer ist: Bei Nahrungsmitteln haben wir eine Preissteigerung von 16 Prozent zu verzeichnen. Die Preise für Brot und Teigwaren sind noch deutlicher gestiegen, und bei Molkereiprodukten wird eine Preissteigerung von etwa 30 Prozent gemessen. Aber – das ist das erste Aber – die Preissteigerungen sind deutlich zu hoch, als dass man glauben kann, dem allein mit einer Mehrwertsteuersenkung begegnen zu können. Natürlich müssen wir darauf hinweisen, dass Ihr Antrag leider zu wenig darauf verweist, wie man die Ursachen bekämpfen könnte, die diesen Preissteigerungen zugrunde liegen und die diese Menschen so treffen. Wir haben festgestellt, dass insbesondere der Mangel an Energie eine Ursache ist. Darum glauben wir, dass es besser ist, stärker die Energiepreissenkung voranzubringen und das Angebot an Energie auszubauen. Dazu gibt es einige Anträge unserer Fraktion; einigen Anträgen ist die Ampel auch gefolgt, worüber wir uns sehr freuen. Zweiter Punkt. Ihr Antrag ist willkommen, weil er die Diskussion über die Systematik der Mehrwertsteuer wieder anheizt. Der Kollege Mansmann hatte darauf verwiesen, und auch in der letzten Ausschusssitzung gab es Einvernehmen dahin gehend, dass wir uns unbedingt damit beschäftigen müssen. Damit wird wiederum einem Wunsch entsprochen, den wir als Fraktion immer wieder geäußert haben. Spätestens nachdem EU-rechtlich neue Möglichkeiten eröffnet worden sind, sollten wir uns genauer anschauen, welche Produkte und Dienstleistungen unter den normalen Steuersatz, welche unter den ermäßigten Steuersatz und welche vielleicht sogar unter den Nullsteuersatz fallen sollten. Aber – das ist das zweite Aber; darauf gehen Sie im Grunde schon durch Ihren beigestellten Antrag ein – was genau sind denn Grundnahrungsmittel, und reicht es, wenn man in einen Antrag schreibt, irgendjemand möge definieren, was Grundnahrungsmittel sind? Die Abgrenzung ist in jedem Fall schwierig. Sie ist auch schwierig mit Blick auf die Antworten des Wissenschaftlichen Dienstes auf Ihre Fragen, in denen Sie offensichtlich noch andere Überlegungen angestellt haben hinsichtlich der Zuordnung zu den verschiedenen Kategorien. Möglicherweise wollen Sie nicht nur die Grundnahrungsmittel selbst platzieren, sondern auch Kriterien wie ökologische und andere Aspekte anwenden. Das macht die Debatte noch schwieriger und verbietet eine Ad-hoc-Entscheidung auf der Grundlage Ihres Antrags. Ein dritter Punkt. Ihr Antrag ist willkommen – das sage ich ausdrücklich –, weil er die Umsatzsteuersenkung insgesamt in die Diskussion bringt, die wir an anderen Stellen auch aufgenommen haben. Aber – an dieser Stelle kommt das letzte und dritte Aber – was kostet eine solche Umsatzsteuersenkung? Ich muss diese Frage stellen. Wer profitiert denn tatsächlich davon? Und wer zahlt eigentlich für die entgangenen Einnahmen des Staates? Auf etwa 12 Milliarden Euro belaufen sich die Umsatzsteuereinnahmen des Staates bei den Nahrungsmitteln. Betrachtet man die Grundnahrungsmittel, die wir ja noch nicht definiert haben, dann reden wir von vielleicht 2 Milliarden, 3 Milliarden Euro, die dem Staat entgehen, wenn man den Umsatzsteuersatz bei Fleisch, Brot und Milchprodukten auf null setzt. Aber viel wichtiger ist: Wer profitiert von dieser Umsatzsteuersenkung? Mein Kollege hat ja schon darauf hingewiesen: Das sind nicht nur diejenigen mit niedrigen Einkommen, die Sie im Blick haben, sondern es profitieren alle davon, die Milch, Brot oder Butter konsumieren. Damit ist diese Maßnahme nicht so zielgenau, wie wir uns das vorstellen, und deswegen findet sie auch nicht unsere Unterstützung. ({0}) Nicht zuletzt: Wer bezahlt das Ganze? Die Ampelregierung hat ein neues Paket aufgelegt. 200 Milliarden Euro werden aufgerufen und als Sondervermögen ausgewiesen. Es sind Sonderschulden. ({1}) Wer übernimmt die Tilgung dieser Schulden? Das ist die nachfolgende Generation. Diese sollten Sie im Blick haben, wenn Sie über eine Umsatzsteuersenkung nachdenken. Sollten wir eine Umsatzsteuersenkung vornehmen, die die Aufnahme von neuen Krediten erforderlich macht, die die nachfolgende Generation zu tilgen hat? Das erscheint uns noch nicht ausgegoren. Fazit: Die Anträge sind grundsätzlich willkommen, die Bedenken allerdings zu groß, sodass wir die Anträge ablehnen müssen. Aber wir laden ausdrücklich dazu ein, über die Umsatzsteuer grundsätzlich zu diskutieren, wie das ja auch von Vertretern der Ampelfraktionen angeboten wird. Wir als Unionsfraktion stehen dafür gern zur Verfügung. Ihre Anträge lehnen wir ab. ({2})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Ich bitte, doch ein wenig auf die Redezeit zu achten. Es ist ja nicht wenig, was alle schon an Redezeit schon haben. Als Nächstes erhält der Kollege Armand Zorn für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Armand Zorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit dem 24. Februar dieses Jahres führt Putin einen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine, einen sinnlosen Krieg, bei dem es einem Präsidenten Putin nur darum geht, seine imperialistischen Vorstellungen, seine machtpolitischen Vorstellungen mithilfe von Militärgewalt auszuweiten. Inzwischen ist dieser Krieg aber auch ein Energie- und ein Wirtschaftskrieg geworden. Putin versucht auf diese Art und Weise, uns hier in Europa, uns hier in Deutschland zu destabilisieren, und setzt dafür die Waffe Energie ein. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja nicht so, dass die Ampelkoalition bis jetzt nicht tätig geworden ist. Wir haben bereits drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht; man kann es nicht oft genug sagen. ({0}) – Ich wiederhole das gerne noch mal für Sie, wenn Sie das wollen. ({1}) Wir haben drei Entlastungspakete in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Ich sage es auch gerne noch mal, weil wir im Finanzausschuss mehrfach darüber diskutiert haben: Bei den Inflationspaketen geht es nicht darum, die Inflation zu bekämpfen. ({2}) Es geht darum, die Auswirkungen der Inflation zu bekämpfen; das ist der feine Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) – Nein, das ist überhaupt kein Problem, weil es bei den steigenden Preisen und der Inflation – wir haben es gestern gesehen; wir sind inzwischen bei 10 Prozent angekommen – nicht nur darauf ankommt, auf der Angebotsseite etwas zu tun. Ja, das ist richtig. Es kommt auch darauf an, auf der Nachfrageseite etwas dafür zu tun, ({4}) dass insbesondere die Haushalte, die über eine geringe Kaufkraft verfügen, abgefedert und entlastet werden. ({5}) Wir als Ampelkoalition sind uns sicher: Wir werden insbesondere Menschen mit kleinen und niedrigen Einkommen besonders unterstützen. ({6}) Und weil es auch struktureller Anpassung bedarf, haben wir im dritten Entlastungspaket einen Eingriff in den Strompreismarkt beschlossen. Wir wollen auch Zufallsgewinne abschöpfen. Gestern haben der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister noch mal eindrucksvoll gesagt: Wir nehmen 200 Milliarden Euro in die Hand, um Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische, sowie soziale Einrichtungen und Privathaushalte zu unterstützen. Das ist das, was wir in der Krise gerade brauchen. Wir sagen deutlich: Wir werden die Menschen nicht im Stich lassen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Anträgen der Fraktion Die Linke – vielen Dank dafür –: Wir sehen das ähnlich wie die CDU/CSU. Das mag überraschen, aber wir finden: Die Intention ist gut. Leider ist es noch nicht ausgereift genug, um das heute beschließen zu können. Eines können wir alle miteinander feststellen, nämlich dass unser Mehrwertsteuersystem so nicht mehr funktioniert. Es ist inzwischen sehr intransparent und inkohärent geworden, und keiner begreift eigentlich noch, was da vor sich geht. Ich war vor zwei Wochen in meinem Wahlkreis in Frankfurt unterwegs und habe einen Nahrungsmittelhersteller besucht. Dort wurden mir verschiedene Produkte gezeigt: Kuhmilch, Sojamilch und Hafermilch. Und ich sollte erklären, warum die Steuersätze so unterschiedlich sind. Ich habe dafür keine Erklärung gefunden. Wenn mir das heute einer erklären kann, dann höre ich sehr gerne aufmerksam zu. ({8}) Was aber für mich eine große Überraschung war – da habe ich wieder was dazugelernt –, ist die Tatsache, dass dieses Unternehmen auch medizinische Nahrungsmittel produziert. Das heißt, es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Gesundheit darauf angewiesen sind, bestimmte medizinische Produkte im Rahmen ihrer Ernährung zu konsumieren. Und auch diese Produkte werden mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt. Das ist ungerecht. Wer auf medizinische Produkte angewiesen ist, um sich zu ernähren, der darf am Ende nicht mehr bezahlen als Menschen, die Grundnahrungsmittel konsumieren. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. ({9}) Das heißt: In der Intention sind wir absolut bei Ihnen. Wir glauben, wir brauchen eine Reform; aber um eine solche Reform sinnvoll auszugestalten und auf den Weg zu bringen, müssen wir uns noch drei Punkte genauer anschauen. Erstens. Wir brauchen eine Mehrwertsteuer, die der gesellschaftlichen Realität besser entspricht. Das sehen wir ja bei der Definition von Grundnahrungsmitteln. ({10}) Wir glauben, dass wir da rangehen müssen, sind aber auch der Meinung, dass man das nicht per Gesetz einfach so regeln und mal eben alle Produkte aufschreiben kann, die einem gerade einfallen. Nein, das muss tiefgründiger erfolgen. Zweitens. Mit dem jetzigen Mehrwertsteuersystem verlieren wir absolut die Lenkungswirkung. Steuern – darauf habe ich stets hingewiesen – haben ja eine grundsätzliche Lenkungswirkung. Ich glaube, dass wir mit der Mehrwertsteuer das Konsumverhalten der Menschen in eine bestimmte Richtung lenken können, indem wir dafür sorgen, dass nachhaltige, ökologisch neutrale, aber auch gesundheitsfördernde Produkte zu einem ermäßigten Steuersatz angeboten werden. Hier stellt sich auch die Frage, wie wir unsere Steuerpolitik eigentlich betreiben wollen, um unsere gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Drittens: die Frage der Finanzierung. Sie wissen es: Die Umsatzsteuer ist eine der größten Einnahmequellen des Bundes. Sie ist eine Gemeinschaftsteuer. Das heißt, wir teilen uns die Einnahmen mit den Ländern. Im Jahr 2021 haben wir ungefähr 190 Milliarden Euro eingenommen; davon gingen 51 Prozent an die Bundesländer. Wir sehen ja, dass die Zahl der Aufgaben zunimmt. Wir sehen aber auch, dass die Bundesländer zunehmend mehr Aufgaben übernehmen müssen. Deswegen halte ich es schon für richtig, dass wir die Reform so gestalten, dass wir keine Engpässe haben, dass wir finanziell nicht wesentlich schlechter gestellt sind und dass wir natürlich auch das Gespräch mit den Bundesländern suchen; denn am Ende wird eine solche Reform nur funktionieren, wenn wir auch die Profiteure der Umsatzsteuer mit ins Boot holen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns hier von der Linkspartei bis zur Union grundsätzlich einig, dass wir bei der Frage der Mehrwertsteuer definitiv was machen müssen. Unsere Fraktion steht dafür zur Verfügung. Wir werden die Debatte weiter verfolgen, und wir wollen mit allen Fraktionen dieses Hauses konstruktiv zusammenarbeiten, damit es uns gelingt, eine Reform auf den Weg zu bringen. Vielen Dank. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herzlichen Dank. – Das endete ganz genau mit Ende der Redezeit. Jetzt folgt Frank Rinck für die AfD-Fraktion. ({0})

Frank Rinck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005189, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Linken wollen heute den Begriff der Grundnahrungsmittel neu definieren. Von Soja und Fleischersatzprodukten ist die Rede in Ihrem Antrag. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen bitte eines erklären: Diese Produkte sind woke, grün-linke, wohlstandsverwahrloste Luxusartikel und keine Grundnahrungsmittel. ({0}) – Sicherlich kein Soja, Frau Künast. ({1}) Da wir gerade bei Soja sind – das scheint Sie ja in Rage zu bringen –, kann ich Ihnen noch etwas sagen: Soja ist in Deutschland hauptsächlich ein Futtermittel zur Schweinehaltung. So viel dazu. Das kann ich als Landwirt Ihnen mit Sicherheit sagen. ({2}) Unter Grundnahrungsmitteln, meine Damen und Herren, versteht man Produkte, die man hier in unserem Land, in Deutschland, anbaut, erntet und weiterverarbeitet. Das sind Grundnahrungsmittel. ({3}) Ihr Antrag hat leider ebenso ideologische wie auch planwirtschaftliche Defizite. Meine Damen und Herren, sicher meinen Sie es gut. Aber wo will man da beginnen? Ihr Antrag wirft mehr Fragen auf, als er Lösungen anbietet. Zum Beispiel bleiben Sie in Ihrem Antrag eine Antwort schuldig, wo die Besteuerung mit 0 Prozent beginnen soll: beim Landwirt, der beim Erzeugen der Produkte Mehrwertsteuer zahlen muss, oder bei den weiterverarbeitenden Betrieben, bei den Schlachtern, bei den Bäckern oder bei den Müllern? ({4}) Natürlich braucht es Entlastungen. Nur sehen wir bei Ihrem Antrag leider nicht den Effekt, den Sie sich davon versprechen. Lieber sollten wir die wirklichen Kostentreiber bekämpfen. Meine Damen und Herren, hören Sie auf mit der Symptombehandlung! Lösen wir die Probleme, vor denen wir stehen! Das sind die Energiekosten. Die Energiekosten sind es, die unserer Bevölkerung das Leben unbezahlbar machen. Die Energiekosten sind es, die dafür sorgen, dass die Preise explodieren, und die Energiekosten sind es, die unserer Wirtschaft so massiven Schaden zufügen. Die Abschaffung der CO2-Steuer oder die Absenkung der Energiesteuer – das wären Maßnahmen, mit denen man deutliche und schnelle Entlastung schaffen würde, nicht solche staatlichen Preisbeobachtungsstellen, wie Sie sie fordern. ({5}) Mit Ihrer Forderung schaffen Sie nur noch mehr Bürokratie – Bürokratie, die es abzubauen gilt, um dem Handel und den Lebensmittelproduzenten ihre Arbeit nicht noch weiter zu erschweren. Eine Sache in Ihrem Antrag ist gut, und da bin ich bei Ihnen: Babynahrung darf natürlich nicht mit einem höheren Mehrwertsteuersatz als andere Grundnahrungsmittel belegt werden. ({6}) – In Babynahrung ist kein Soja, keine Sorge, Herr Kollege. ({7}) Da können wir nachher mal zusammen in den Supermarkt gehen und nachgucken; aber da werden wir wohl wenig finden. Meine Damen und Herren, Sie haben mal von sich behauptet, dass Sie die Partei der Arbeiter und der kleinen Leute sind. Mit dieser Art von Anträgen gelingt Ihnen das in Zukunft aber mit Sicherheit nicht. Besinnen Sie sich auf das, was die Menschen in diesem Land brauchen: ein Auskommen, mit dem man sein Leben sorgenfrei bestreiten kann, ein Auskommen, das reicht, um sein Auto volltanken zu können, und, meine Damen und Herren, ein Auskommen, mit dem man seinen Kühlschrank vollkriegt, ohne zur Tafel zu müssen. ({8}) Diese Ziele erreicht man mit Steuersenkungen – mit Steuersenkungen, so wie die AfD sie fordert – ({9}) und mit Steuerabschaffungen, beispielsweise mit der Abschaffung der CO2-Steuer. Auch dem Rest in diesem Haus kann ich nur sagen: Reden Sie nicht mehr von Hilfspaketen! Das haben wir ja gerade von Herrn Zorn gehört. ({10}) Und schütten Sie nicht weiter mit der Gießkanne Almosen aus, ({11}) sondern entlasten Sie die Bürger und den Mittelstand in diesem Land! Hören Sie auf, die Menschen zu berauben! Geben Sie ihnen die Mehreinnahmen, die Sie haben, als Steuererleichterungen direkt zurück, nicht als Almosen. ({12}) Beenden wir so die Kostenexplosion! Retten wir unseren Mittelstand, und statten wir die Bürger mit dem Geld aus, das ihnen gehört! Vielen Dank. ({13})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Sebastian Schäfer. ({0})

Dr. Sebastian Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005201, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Aspekte in unserem Steuersystem sind mit Logik ja nur schwer zu begreifen, und ich fürchte, das betrifft vor allem auch die Umsatzsteuer. ({0}) Eine systematische Herangehensweise bei den Ausnahmen und Regeln wurde in den letzten Wahlperioden leider nie erreicht. Stattdessen wird hier und da ein wenig herumgeschraubt, hier eine Ausnahme neu eingeführt, dort etwas klargestellt. Ich will gar nicht über lobbygetriebene Ausnahmen sprechen, und ich will auch gar nicht mit dem Finger auf irgendjemanden zeigen. Wir brauchen eine echte Umsatzsteuerreform. Eine solche Reform muss systematische Ungleichbehandlungen abschaffen und soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen. Die Europäische Union hat uns da mit der Reform der Richtlinie zum Mehrwertsteuersystem vom April dieses Jahres deutlich mehr Spielraum gegeben; Kollege Tebroke hat es angesprochen. Insbesondere eine deutliche Vereinfachung der Regeln ist erstrebenswert. Eine Reform der Umsatzsteuer sollte in sich konsistent sein ({1}) und das Leben der Bürger/-innen, der Unternehmer/-innen und auch der Verwaltung einfacher machen. ({2}) Als Finanz- und Haushaltspolitiker komme ich aber an einer Feststellung nicht vorbei: Gerade mit Blick auf die aktuelle Situation und auch vor dem Hintergrund der gewaltigen Summe des Abwehrschirms und der Neuverschuldung, die wir in diesem Jahr vornehmen müssen, muss eine solche Reform zumindest aufkommensneutral für den Fiskus sein. Die Umsatzsteuer ist für gezielte Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger nicht das richtige Instrument. ({3}) Wir machen das jetzt bei Gas und Fernwärme, weil die Preisentwicklung dort so extrem ist. Zum Teil kommt es dort zu einer Vervielfachung der Preise, was dazu führt, dass die Bürgerinnen und Bürger selbst bei einem niedrigeren Umsatzsteuersatz am Ende mehr Umsatzsteuer zahlen als im vergangenen Jahr. Deshalb führen wir zusätzlich die Gaspreisbremse ein, die gezielt entlasten wird. Diese Regierung hat bereits umfangreiche Entlastungspakete beschlossen, mit vielen zielgerichteten Maßnahmen wie zusätzlichen Zahlungen von 200 Euro für alle Menschen in der Grundsicherung, dem Kinderbonus von 100 Euro, den alle Familien über das Kindergeld bekommen, einem höheren Wohngeld und Heizkostenzuschüssen. Auch die 300 Euro Energiekostenpauschale wirken zielgerichtet, weil sie der Progression unterliegen. Wir werden zum 1. Januar 2023 das Bürgergeld einführen und eine Erhöhung in historischer Dimension umsetzen. Und – das will ich gerade am heutigen Tag auch ansprechen – ab morgen gilt ein deutlich erhöhter Mindestlohn; das hilft Millionen von Menschen in unserem Land direkt und unmittelbar. ({4}) Wir sollten dennoch dringend eine Umsatzsteuerreform angehen. Der Bundesrechnungshof fordert das seit zehn Jahren. Lassen Sie uns das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, gern gemeinsam machen. Herzlichen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält Ina Latendorf für Die Linke. ({0})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier Skepsis, aber auch Offenheit für das Thema vernommen. Dr. Schäfer hat eben ausgeführt: Die Mehrwertsteuer ist ein Mittel, um schnelle Hilfe bei extremen Preissteigerungen zu generieren. – Und die haben wir. ({0}) Ich möchte appellieren, Ihre Entscheidung, die Sie angekündigt haben, doch noch einmal zu überdenken. Sie haben die Chance, mit der Zustimmung zu unseren Anträgen im Land schnell und unbürokratisch zu helfen. Vielleicht sollten Sie noch einmal in sich gehen. ({1}) Sie wissen auch, dass der Bundeslandwirtschaftsminister dies ebenfalls gefordert hat. Worum geht es? Es geht darum, dass die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren auf Höchststände geklettert sind. Aktuell liegt die Inflationsrate – das wissen wir seit dieser Woche – bei Lebensmitteln bei 18,7 Prozent. Es geht darum, dass viele Menschen diese Preise einfach nicht mehr zahlen können. Es geht darum, dass in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik 14 Millionen Menschen in Armut leben bzw. von Armut betroffen sind. 2 Millionen Menschen in Deutschland sind auf Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen, weil sie sich selbst Discountpreise nicht mehr leisten können. Und das ist ein Skandal. ({2}) Unsere Anträge sind nachvollziehbar. Der erste Antrag fordert einen Gesetzentwurf, also einen Auftrag an die Bundesregierung, zur Herabsetzung der Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln auf null. Seit der Überarbeitung der EU‑Mehrwertsteuersystemrichtlinie im April 2022 ist dies möglich. Andere haben es getan, und wir Linke sagen: Es ist auch erforderlich, ({3}) um Armut zu stoppen, um Armutsgefährdung zu begegnen, um Grundnahrungsmittel für alle zu gewährleisten. Dass wir dies im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hier betonen müssen, das macht mich echt fassungslos. ({4}) Der zweite Antrag fordert, ebenfalls als Auftrag an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf, der regelt, welche Nahrungsmittel in Deutschland üblich sind und damit als Grundnahrungsmittel zu bewerten sind. Das sind jetzt Getreideprodukte, Obst, Gemüse, Fleisch, Eier, Käse, Milch, Butter, Salz und Zucker. Aber darüber hinaus wollen wir eine zeitgemäße Anpassung an die aktuellen Verzehrgewohnheiten. Bei den Lebensmitteln sollen aus unserer Sicht Milch- und Fleischersatzprodukte, Obstsäfte, Mineralwasser, medizinische Nahrungsmittel sowie – aus meiner Sicht besonders wichtig – Babynahrung ebenfalls als Grundnahrungsmittel definiert werden. ({5}) Meine Damen und Herren, die Lage ist dramatisch; das kann hier ja keiner leugnen. Preissteigerungen abzufedern, ist das eine. Das andere – und das ist aus meiner Sicht mindestens ebenso wichtig – ist, die Preisbildung selbst zu kontrollieren und regulierend einzugreifen. Das ist möglich, und wir Linken sagen erneut: Auch das ist erforderlich. ({6}) Die Einrichtung einer staatlichen Preisbeobachtungsstelle, wie von uns schon lange gefordert, ist dafür der erste Schritt. Der zweite Schritt sind Gesetzesregelungen, die die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne einschränken, und der dritte Schritt ist schließlich die politische Aushandlung allgemein sozialverträglicher Verhältnisse, um Lebensmittelproduzenten sowie Verbraucherinnen und Verbraucher zu einem System der ausgeglichenen Ernährungssicherheit zu bringen. Nur damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es uns gelingen, Armut zu bekämpfen und sozialen Frieden in unserem Land zu erhalten.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stimmen Sie bitte zu! ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt erhält das Wort Lennard Oehl für die SPD-Fraktion. ({0})

Lennard Oehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005170, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren die Senkung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Lebensmittel nicht zum ersten Mal, besonders deshalb, weil die bisherige Definition, was Grundnahrungsmittel angeht, ja wirklich aus der Zeit gefallen ist. Es werden hier im Plenum immer wieder groteske Beispiele für Produkte mit reduzierten Mehrwertsteuersätzen zum Besten gegeben. Ich erspare Ihnen jetzt mal meine Beispiele, die ich bei meiner Recherche gefunden habe. ({0}) Aber diese Beispiele machen deutlich, dass es einen großen Reformbedarf beim aktuellen Flickenteppich im Mehrwertsteuersystem gibt. Wir brauchen eine grundlegende Reform der Mehrwertsteuer. Aber da eine schnelle Umsetzung einer solchen Reform nicht abzusehen ist, eignet sich die Mehrwertsteuer eben nicht als Stellschraube für eine schnelle Entlastung; ({1}) denn darum geht es ja eigentlich in der Debatte. Wir wollen aufgrund der hohen Preissteigerungen eine schnelle und unbürokratische Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Die Anträge der Linken suggerieren, dass die Ampelkoalition da bisher zu wenig getan hätte. ({2}) Aber die Ampelkoalition hat geliefert, und wir werden auch weiter liefern. Zwei Entlastungspakete sind bereits umgesetzt. Das dritte ist in der Diskussion, und wir haben gerade gestern verkündet, dass es zu einem Abwehrschirm für Bürgerinnen und Bürger sowie für Betriebe kommen wird, der vor den hohen Energiekosten schützen wird. Es geht hier um ein Volumen von insgesamt über 290 Milliarden Euro. ({3}) Wir werden eine Strompreisbremse für den Grundbedarf einführen, die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen vor den hohen Strompreisen schützt. Auch den Anstieg der Gaspreise werden wir bremsen. Aber wir werden uns natürlich auch die Angebotsseite ansehen. Wir werden das Energieangebot durch den Anschluss der neuen LNG-Terminals, aber auch durch neue Lieferverträge erweitern. Das alles sind wichtige Maßnahmen, die genau jetzt zur richtigen Zeit kommen. ({4}) Wir müssen vor allem diejenigen unterstützen, die besonders betroffen sind, so Familien durch die Erhöhung des Kinderzuschlages, des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages – all das trägt dazu bei, dass besonders zielgerichtet entlastet werden wird – oder stark belastete Mieterinnen und Mieter durch einen Heizkostenzuschuss. Außerdem ist eine umfassende Reform des Wohngeldes in Planung. Das Wohngeld wird so weit ausgeweitet wie noch nie zuvor, damit das Dach über dem Kopf diesen Winter nicht gefährdet wird. ({5}) Hinzu kommen weitere Maßnahmen wie die Entfristung und die Verbesserung der Homeoffice-Pauschale. Dies entlastet eben auch Familien mit kleineren Wohnungen, die bisher kein Arbeitszimmer absetzen konnten. Und auch das ist mir wichtig zu betonen: Ausgaben erfordern immer auch Einnahmen. Um die Einnahmenseite zu stärken, werden wir in dieser Wahlperiode ganz intensiv gegen Steuerbetrug, Steuervermeidung und Geldwäsche vorgehen. Vor allem in Europa setzen wir uns zudem dafür ein, die Zufallsgewinne, die in der Stromerzeugung aktuell generiert werden, endlich abzuschöpfen. ({6}) Es gibt aber auch ganz klassische ökonomische Gründe, die gegen die Anträge der Linksfraktion sprechen. Es ist ja zunächst gar nicht sichergestellt, in welchem Umfang die Aussetzung der Mehrwertsteuer tatsächlich an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird. ({7}) Wir haben 2020 während der Coronapandemie die Mehrwertsteuer befristet abgesenkt – das war ja in der damaligen Situation richtig –, weil wir die Konjunktur damit stimulieren wollten. Im Rückblick sehen wir, dass dies für die Konjunkturstimulation zwar richtig war, die Steuersenkung aber nur zu 60 bis 70 Prozent weitergegeben wurde. Wir können es uns in der aktuellen Situation und in Anbetracht der hohen Kosten nicht erlauben, dass ein Drittel einer solchen Steuersenkung gar nicht bei den Menschen ankommt. Bei einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf 0 Prozent wären wir geschätzt bei Kosten im zweistelligen Milliardenbereich. Für dieses Geld gibt es effizientere Entlastungsmaßnahmen; ich habe sie eben aufgezählt. Die Ampelkoalition wird sie auf den Weg bringen. ({8}) Bei all den Entlastungsmaßnahmen, die in dieser Krise notwendig sind, brauchen wir auch eine hohe Zielgenauigkeit. Es ist ja richtig, dass die Mehrwertsteuer regressiv wirkt und Menschen mit geringerem Einkommen bei der Senkung, relativ gesehen, stärker entlastet werden. Aber genauso gut werden natürlich Spitzenverdiener entlastet, die die Steuersenkung gar nicht nötig haben und, absolut gesehen, wahrscheinlich noch stärker davon profitieren. ({9}) Zum Schluss möchte ich noch Folgendes anmerken: Die Forderung, die Liste der Grundnahrungsmittel im Mehrwertsteuerrecht zu überarbeiten, ist grundsätzlich sinnvoll. Aber seien wir ehrlich: Auch danach würde diese Liste nie abschließend fertig sein. Es werden sich auch dann immer wieder Lebensmittel finden, für die erneut eine Steuersenkung gefordert wird. Wir werden das Problem nicht lösen, indem wir weitere Ausnahmen schaffen. Daher werden wir den Antrag ablehnen. Vielen Dank. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Und jetzt erhält Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den aktuellen Zahlen der Herbstprognose der renommiertesten Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland wird für dieses Jahr eine Inflation von durchschnittlich 9 Prozent – gerade sind wir bei über 10 Prozent – und für das nächste Jahr eine Inflation von 9,6 Prozent vorausgesagt; so wurde es gerade diese Woche veröffentlicht. Darüber, dass die Inflation auch durch die Energiepreise getrieben ist, sind wir uns einig. Wir haben es mit einem Angebotsschock zu tun. Aber anstatt eine Angebotsausweitung vorzunehmen – ganz im Sinne von vernünftigen marktwirtschaftlichen Instrumenten –, ergreift die Bundesregierung Maßnahmen rein auf der Nachfrageseite, die verkonsumiert werden. Also: Das Angebot bleibt knapp, und Sie erhöhen die Nachfrageseite. Damit heizen Sie die Inflation weiter brutal an. ({0}) Die 500 Milliarden Euro neue Schulden, die Sie in diesem Jahr aufnehmen wollen, gießen weiteres Öl ins Feuer der Inflation. Sie machen die Menschen mit Ihrer Politik ärmer, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ludwig Erhard hat einmal dazu gesagt: Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen. ({2}) Das Chaos, das Sie anrichten, Ihr dauerndes Hin und Her – der eine sagt, wir senken die Mehrwertsteuer; der andere sagt, wir senken sie nicht; gerade haben wir gehört, die Mehrwertsteuer zu senken, sei schwierig; eine Stunde vorher haben Sie die Mehrwertsteuer auf Gas gesenkt –, dieses Durcheinander macht die Menschen in unserem Land Tag für Tag ärmer. ({3}) Sie löschen Feuer mit Benzin, und die Inflation wird durch Ihre Politik weiter steigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Übrigens ist die Diskussion über eine temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf null Prozent, um die Menschen in unserem Land kurzfristig zu entlasten, richtig. Sie haben gesagt: Das ist kein Instrument. – Vor zwei Stunden haben Sie es noch als Instrument verkündet und es hier im Bundestag beschlossen: bei der Senkung der Mehrwertsteuer auf die Gaspreise. Es ist also völlig unlogisch, wie Sie hier argumentieren. ({4}) Übrigens, dass Die Linke mal Steuersenkungen im Bundestag fordert, das muss ich mir wirklich heute – natürlich mit roter Farbe – im Kalender anstreichen. ({5}) Ich wünsche mir, dass Sie, wenn wir Steuersenkungen vorschlagen, auch mal diesem Gedanken beitreten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU hat die Möglichkeit geschaffen, die Umsatzsteuer im Bereich der Lebensmittel sogar weiter zu senken. Deswegen ist es richtig, sich darüber Gedanken zu machen. Wir haben ja schon im Februar gefordert, die Umsatzsteuer auf Gas zu senken. Im Februar! Sie hätten die Bürger schon wesentlich früher entlasten können. Aber Sie haben es nicht getan, sondern gezögert, gezaudert und in der Koalition diskutiert. Heute haben Sie es gemacht. Ein richtiger Schritt! Wenn man aber die Umsatzsteuer auf Lebensmittel senkt, dann muss man systematisch vorgehen. Deswegen ist der Ansatz richtig, sich alle diese Sonderfälle einmal anzuschauen, ({6}) zum Beispiel für Kartoffeln 7 Prozent und für Süßkartoffeln 19 Prozent. Man könnte die Liste der Beispiele, die hier schon genannt wurden, beliebig fortführen. Lassen Sie uns zusammenarbeiten. Sie haben gesagt: Es ist notwendig, hier etwas zu tun. – Sie sind an der Regierung. ({7}) Tun Sie etwas! Handeln Sie! Wir werden mit Ihnen sprechen und uns hier mit unserem steuerlichen Verstand in die Diskussion einbringen. Bislang ist es ja bei Ihnen in der Ampel so, dass Sie auf unsere Expertise komplett verzichten. Es gibt ja nicht einmal Gespräche. ({8}) Also: Fangen Sie an, mit uns zu sprechen! Gerade in der jetzigen Zeit wäre es notwendig, dass Sie uns einbinden, um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu entlasten. Das ist doch unsere erste Pflicht, anstatt solchen Streit und solches Chaos in der Regierung hervorzurufen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Ich sage Ihnen: Ich habe, ehrlich gesagt, die Befürchtung, dass man jetzt anfängt, zu sagen: Wir müssen mit der Mehrwertsteuer sozusagen den Konsum leiten. – So ist es ja vorhin gesagt worden. Auf Gemüse fordern die Grünen 7 Prozent Mehrwertsteuer, aber beim Fleisch wollen sie sie erhöhen. ({10}) – Ja, das war in Ihren Forderungen enthalten. – Das wäre doch falsch. Die Staatssekretärin hat es einmal gesagt: Wir begünstigen damit die Ananas aus Südamerika, und wir belasten die guten Landwirte im Bereich der regionalen Fleischproduktion in Deutschland. ({11}) So können Sie das doch nicht machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn, dann lassen Sie uns wirklich systematisch vorgehen. Wenn die FDP übrigens sagt: Wir können da ganz schwierig mitmachen. – Sie haben diese ganze Senkungsdiskussion damals mit der Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie auf 7 Prozent begonnen. ({12}) Wir können miteinander diskutieren und uns abstimmen. Lassen Sie uns in ruhigen und fachlichen Gesprächen im Finanzausschuss zusammensitzen. Aber Sie sind am Zug; Sie müssen uns die Gespräche anbieten. Bislang haben Sie alle Gespräche ausgeschlagen, um erst mal Ihre eigenen Streitigkeiten auszutragen. ({13}) Ich freue mich auf die Diskussionen im Finanzausschuss. Herzlichen Dank. ({14})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Zum Abschluss der Debatte bin ich gespannt, wie weit wir in der Historie zurückgehen. Letzte Rednerin ist Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Danke, dass Sie mich an meinen Zwischenruf von vorhin erinnern; aber darauf gehe ich gar nicht ein. Als Erstes in meinen wenigen Minuten wende ich mich an meinen Vorredner. Ich bin ein bisschen verwirrt, Herr Brehm. ({0}) An manchen Stellen hatte ich das Gefühl: Was Sie sagen, passt nicht zu Herrn Tebroke. Dann kommen Sie mit der Ananas aus Südamerika – ich dachte, die kommt ganz woanders her –, und stattdessen kommt aus Südamerika steuerbegünstigtes Futtersoja für die Landwirtschaft mit intensiver Tierhaltung hier. ({1}) Das war, glaube ich, alles ein ganz bisschen verschoben, und ein bisschen war es auch – so nenne ich das mal – ein inneres Endlosband. ({2}) Von der CDU/CSU kommt ja anscheinend im Augenblick immer ein inneres Endlosband. Wer immer nach vorne kommt, erklärt, was wir in den neun Monaten nicht schon alles hätten machen können usw. ({3}) Sie sagen nie, was Sie selber machen würden. Sie rechnen es nie selber durch. Ich verzeihe es Ihnen natürlich, dass Sie nie auf die letzten 16 Jahre blicken. Aber wer 16 Jahre am Stück regiert hat, hat jetzt das Fachwissen, der Kritik auch mal einen Vorschlag folgen zu lassen. ({4}) Jetzt sage ich etwas, was Die Linke als Antragstellerin neidisch macht. Sie wissen ja, dass ich immer dafür kämpfe, bei Gemüse, Hülsenfrüchten usw. die Mehrwertsteuer runterzusetzen; da werde ich auch noch jahrelang dranbleiben. Aber ihr von Der Linken, guckt mal! ({5}) – Sieht das nicht cool aus? Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel runter! Man sieht ein Brot, einen Salat, eine Milch. An der Hintergrundfarbe sieht man: Die ist nicht rot; das kommt nicht von euch. – Das Bild passt zwar nicht zu der Rede der beiden CDU- bzw. CSU-Redner hier, ist aber vom 29. September von der EVP-Fraktion. Ja, was gilt denn jetzt eigentlich bei Ihnen von CDU und CSU? Bescheidene Frage. ({6}) Also, Sie müssen sich das schon mal überlegen, und Sie dürfen in Ihren Vorschlägen auch gerne national und europäisch konsistent sein. Ich will zu den Vorschlägen der Linken was sagen. ({7}) Wovon ich wirklich keine Anhängerin bin und wozu ich sage: „Das hat eine vollkommene Fehlorientierung“, ist unserer Mehrwertsteuersystem – mal unabhängig von der Frage, was aus welchen kuriosen Gründen jemals eingeführt wurde. Aber eines finde ich in der Debatte ganz wichtig. Ich finde, dass die Diskussion viel zu eng und auch nicht ganz richtig geführt wird. Das haben viele Vorrednerinnen und Vorredner ja angesprochen, als wir darüber gesprochen haben: Wie entlastet man zielgenau? Deshalb, glaube ich, ist das gar kein passendes Thema für unser akutes Problem der Preissteigerungen, der teurer werdenden Energie, der Lebensmittel usw. Wenn wir über Mehrwertsteuerveränderungen reden, müssen wir doch bitte die Themen Klima, Biodiversität und Gesundheit einbeziehen. ({8}) Das sind für mich die Punkte. Wie kann es sein, dass das Ungesündere den gleichen Mehrwertsteuersatz hat wie das Gesunde? Wie kann es sein, dass Milch einen besseren Mehrwertsteuersatz hat als zum Beispiel Haferdrinks? Das ist die zentrale Frage. ({9}) In dem Kontext will ich eines sagen: Wir sehen doch, wie viel Adipositas und Fettleibigkeit wir bei den Kindern haben. Das geht auch nicht an den Älteren und auch nicht an allen Bundestagsabgeordneten vorbei. ({10}) Wir müssen doch sehen: Dass Fleisch bei der Mehrwertsteuer mit Gemüse gleichgesetzt ist, ist ökologisch falsch und auch gesundheitlich falsch. Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle: Ja, wir wollen eine Reform. Sie ist in der Vergangenheit immer an der Union gescheitert, sage ich mal. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt bitte der letzte Satz.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was wir jetzt brauchen, ist eine Definition, nach welchen Kriterien wir die Mehrwertsteuer verändern wollen – weit über den Grundnahrungsmittelbereich hinaus – und was eigentlich Grundnahrungsmittel sind. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Danke schön.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dass Sie nun mit der Tüte Zucker kommen und sagen, das sei ein Grundnahrungsmittel, passt weder zu Klima noch zu Gesundheit noch zu Biodiversität. ({0})

Mareike Lotte Wulf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Deutschland ein Jahr nach der Bundestagswahl“: Für mich persönlich heißt das auch: ein Jahr im Deutschen Bundestag. Ich glaube, wir alle haben uns das erste Jahr dieser Legislaturperiode anders vorgestellt und sicherlich auch anders gewünscht. Wir sind gewählte Abgeordnete, und Sie, Sie sind die gewählte Regierung in diesem Land. Ihr Job ist es, dieses Land gut zu führen. Unsere Aufgabe ist es dabei, diese Regierung zu kontrollieren, und diese Aufgabe nehmen wir als gute Demokraten natürlich auch mit Freude wahr. „Mehr Fortschritt wagen“, das war Ihr Anspruch vor knapp einem Jahr, und Sie haben dazu wahnsinnig viele schöne Bilder produziert. Aber wo stehen wir heute? Von dem anfänglichen Glanz ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Lassen Sie mich eins anmerken: Ich persönlich finde, infantil anmutende Wortschöpfungen eines SPD-Bundeskanzlers ziehen Ihre politischen Programme eher ins Lächerliche, als dass sie den Menschen im Land mehr Sicherheit verleihen. ({1}) Ein Jahr danach kann man sich des Eindrucks einfach nicht erwehren, dass Sie wahrscheinlich schon alle irgendwie fortschreiten wollen; aber alle drei Regierungsfraktionen wollen anscheinend in unterschiedliche Richtungen fortschreiten. Statt Klarheit und mehr Führung erleben wir nichts als öffentliche Uneinigkeit, Zögern und Zaudern. Wir erinnern uns: Zum Beispiel beim Thema „allgemeine Impfpflicht“, da war sich die Regierung so uneins, dass der Kanzler und der zuständige Minister zwar eine Meinung haben durften, aber keinen eigenständigen Gesetzentwurf. Das Ergebnis war viel Lärm um nichts. Mangelnde Führung auch in Bezug auf die Waffenlieferungen an die Ukraine: Das Zögern des SPD-Bundeskanzlers wird begleitet von lauter Kritik aus der eigenen Fraktion, von der FDP und von den Grünen, bis er schließlich nachgeben muss und vom Zögerer zum Getriebenen wird. ({2}) Dann der beschämende Tiefpunkt, der gerade mir als neuer Abgeordneten bis heute tief in den Knochen sitzt. Das war am 17. März 2022: Der Präsident der Ukraine richtet eindringliche Worte an den Deutschen Bundestag und bittet um Unterstützung. Im Anschluss hätte das ein großer nationaler Moment werden können – wahrscheinlich sogar werden müssen. Aber diese SPD-geführte Regierung lässt stattdessen lieber die Geburtstage verlesen. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die SPD in diesem Land nicht führen will, dann gehört sie auch nicht an die Spitze einer Regierung. ({4}) Wir erleben multiple Krisen, und gerade in dieser Situation, da wäre es doch Ihre Aufgabe, die Menschen und auch die Fraktionen in diesem Parlament zusammenzuführen. Aber dass Ihnen das nicht mal ansatzweise gelingt, das zeigt das Gerangel und das Ringen um die Gasumlage. Die Männerrivalitäten zwischen den Ministern von SPD und Grünen, zwischen Herrn Lindner und Herrn Habeck, blockieren einfach mal die Lösung. Meine Herren, ich muss einfach mal sagen: Auch für Sie gilt: Nur gut aussehen, das reicht nicht! Wir erwarten einfach auch Ergebnisse. ({5}) Ich entschuldige mich für diesen unangemessenen Sexismus hier im Parlament. Während die SPD-Führung bis zur letzten Minute, bis einen Tag vor Inkrafttreten der Gasumlage mit nichts etwas zu tun haben möchte, flattern den Bürgerinnen und Bürgern weiter astronomische Energierechnungen ins Haus. Ich glaube, man kann festhalten: Die Ampel wird den aktuellen Herausforderungen schlichtweg nicht gerecht. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Niedersächsin hoffe ich deshalb inständig, dass meinem Bundesland ein solches Bündnis tatsächlich erspart bleibt. ({7}) Was wir jetzt brauchen, ({8}) ist Klarheit, ist Führung, ist Zusammenhalt, und es ist entschiedenes Handeln. Wer führt, gibt den Kurs für eine bessere Zukunft vor. ({9}) Und darum geht es. Es geht nicht um Ausflüchte oder Ausreden über 16 Jahre Regierungsverantwortung der Union. Wer heute diesen Terminus verwendet, der sagt uns doch eigentlich nichts anderes als: Wir wollen nicht führen, und wir können auch nicht führen. – Führen heißt: mit Zuversicht und mit Verantwortung dieses Land zu führen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Mareike Lotte Wulf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mache ich. – Genau das ist der Anspruch, mit dem wir hier ein Jahr nach dieser Bundestagswahl Politik machen werden. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nur darauf hinweisen: Es ist eine Aktuelle Stunde. Bitte achten Sie jetzt wirklich auf die Zeit, weil jeder von Ihnen exakt die gleiche Redezeit hat, nämlich fünf Minuten. Als Nächstes erhält das Wort Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Sie, Frau Wulf, jetzt auch noch den Versuch gestartet haben, hier einen Wahlkampf ins Plenum zu ziehen, also, das hat jetzt noch mal den Gipfel der – – ({0}) Mir fehlen – – Ich komme fast ins Stottern, dass Sie tatsächlich sogar noch in diese Klamottenkiste greifen. Sie holen jetzt noch den Wahlkampf ins Plenum hinein; also gut. Sie wollten die Aktuelle Stunde, möglicherweise aus diesen Gründen; aber es ist schlimm genug. ({1}) Kommen wir zurück zum Thema. Es sind ernste Zeiten, und wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung für unser Land. Ich hatte eigentlich teilweise den Eindruck, dass der russische Angriffskrieg und die Solidarität, die es der Ukraine zu zeigen gilt, weil es hier auch um gemeinsame Werte geht – wir wollen nicht nur ein Land retten; das alleine wäre schon Anlass genug; aber wir wollen gemeinsame Werte, auch demokratische Werte, retten –, Anlass genug sind, um hier – auch mit der Opposition – aus diesem Haus heraus Solidarität ausstrahlen zu können. Aber das haben Sie gerade mal mit einem Federstrich beseitigt. ({2}) Es ist angesichts der Ernsthaftigkeit dieser Lage polemisch, billig und überhaupt nicht angemessen gewesen. ({3}) Dafür brauchen Sie irgendeinen Anlass. Sie setzen dann mal schnell eine Bilanzziehung auf die Tagesordnung; es soll jetzt um die Bilanz gehen. ({4}) Die Anlässe, die in den letzten Monaten, wie Sie wissen, nicht nur Deutschland, sondern Europa und die ganze Welt in Atem gehalten haben, habe ich genannt. ({5}) Mit diesen ernsthaften Voraussetzungen, die wir uns nicht ausgesucht haben – keiner hat sie sich ausgesucht –, müssen wir umgehen, und zwar verantwortlich umgehen. Hinter allem bzw. vor allem, wenn man es auf der zeitlichen Achse sieht, steht auch noch eine fossile Energiepreiskrise. Das heißt, wir haben noch mal – diesmal deutlicher denn je – vor Augen gehalten bekommen, dass uns, wenn Energie sicher gehalten werden will, bezahlbar gehalten werden will, einzig und allein der Weg bleibt, schnell, beschleunigt auf erneuerbare Energien umzusteigen und diesen Wechsel auch systemisch hinzubekommen. ({6}) Wir haben auch deswegen heute noch mal einen weiteren Erneuerbare-Energien-Booster beschlossen – ergänzend zum Osterpaket, das im Sommer ein Bündel von Maßnahmen wie das Wind-an-Land-Gesetz, das Windenergie-auf-See-Gesetz, Gesetze zur Beschleunigung des Netzausbaus und die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz mit über 300 Seiten umfasst. Wir haben ein überragendes öffentliches Interesse für erneuerbare Energien verankert. Wir haben den Stromverbrauch, den wir bis 2030 aus erneuerbaren Energien decken wollen, auf 80 Prozent hochgesetzt, und wir haben vieles, vieles mehr, was gar nicht alles aufzuzählen wäre, verankert, damit dies beschleunigt gelingt. Wir haben zudem die Stromkunden geschützt, die mit „Hire and fire“-Angeboten ihrer Anbieter bildlich auf die Straße gesetzt wurden, damit sie mit Stromtarifen nicht ins Leere fallen. Wir haben ein Gasspeicherfüllstandsgesetz beschlossen. Wir haben ein LNG-Beschleunigungsgesetz gemacht, damit wir diversifizieren können. Wir haben die Novelle zum Energiesicherungsgesetz hinter uns gebracht. Wir haben ein Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken gemacht, damit auch tatsächlich fossile Kapazitäten für eine Übergangszeit herangezogen werden, und vieles mehr. Das ist so viel an Gesetzgebung. Die Tatsache, dass Sie diesen Sitzungstag mit dieser Aktuellen Stunde beenden und eine solche Bilanz ziehen wollen, heißt, dass Sie das alles offenbar gar nicht mitbekommen haben. Das haben Sie offenbar gar nicht mitbekommen! ({7}) Sie wollen jetzt von uns noch mal dargelegt bekommen, was in dieser Zeit passiert ist? Das ist nicht Ihr Ernst; das kann ich eigentlich gar nicht glauben. Aber Sie fordern uns dazu auf, und wir tun unser Bestes, um Ihnen noch mal zu erläutern, welche Dinge wir bereits auf den Weg gebracht haben. Natürlich: Eine weltweite Preiskrise muss auch mit Entlastungspaketen beantwortet werden. Wie anders wäre es möglich? Wir sind auch dabei, den Preisentwicklungen so zu begegnen, dass die Preise eben nicht ins Uferlose steigen. Dafür wird mit Strom- und Gaspreisbremsen gearbeitet. Die Entlastungspakete wurden jetzt gerade angekündigt: 200 Milliarden Euro werden obendrauf gesetzt. Auf 90 Milliarden Euro haben wir uns sowieso schon verständigt. Was wollen Sie denn noch? ({8}) Aber Sie wollen trotzdem noch eine Bilanz über das Jahr dargelegt bekommen. Gerne tun wir das; gerne zeigen wir Ihnen das alles noch mal auf. Es betrifft zwar nicht meinen Fachbereich, die Energiepolitik, aber weil es mit dem morgigen 1. Oktober kurz bevorsteht und es mit Sicherheit auch noch Gegenstand der Reden anderer Kolleginnen und Kollegen sein wird, möchte ich noch sagen: Die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro kommt zum 1. Oktober, und das Bürger/-innengeld haben wir auch im Blick. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Matthias Moosdorf erhält für die AfD-Fraktion das Wort. ({0})

Matthias Moosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005157, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr standen wir am Abgrund. Nach 16 Jahren Merkel, verfehlter Eurorettungs-, Migrations-, Energie- und Außenpolitik, nach Coronawillkür, Grundrechtseingriffen bis zur Rücknahme von Wahlen konnte es eigentlich nicht schlimmer kommen. Heute jedoch sind wir einen Schritt weiter. Die Abbruchkante liegt hinter uns. Der deutsche Abwärtstrend gleicht nun einem Absturz: chaotisch, kakofon, ein Desaster. Mittendrin ist eine Regierung, die – um mit Karl Kraus zu sprechen – vorgibt, Probleme zu lösen, deren Ursache sie ist. ({0}) Eine nahezu perverse Energiepolitik. Der deutsche Sonderweg reißt nun alles mit sich, was bisher noch eine Chance hatte. Vor dem Krieg schon auf Weltniveau, gibt es jetzt auch bei uns in Neuverträgen Strom nicht unter 50 Cent pro Kilowattstunde. Da träumen die, denen man hier beim Denken zuschauen kann, von Elektromobilität obendrauf, von Wasserstofftechnik, deren Wirkungsgrad so gering ist, dass sie mit Strompreisen über 5 Cent unrentabel wird. Meine Damen und Herren, in diese Energiewende wurde bisher fast 1 Billion Euro gegeben, und das Resultat ist nun, dass wir frieren sollen, stinken und trotzdem noch verarmen. ({1}) Euro und Konsumklima fallen ins Bodenlose, Erzeugerpreise und Inflation sind auf einem Allzeithoch. Das – noch – viertgrößte Industrieland, das Land der Dichter und Denker, wird jetzt von Studienabbrechern, Märchenbuchautoren und Völkerballspezialistinnen auf das Durchhalten eingeschworen; auf zu erbringende Opfer in einem Krieg, der dem Frieden dient; auf Blackouts, deren Dauer von drei Stunden hinnehmbar sein sollen; auf Sonderschulden, die eigentlich Vermögen genannt werden, auf Meinungen, die angeblich nicht auf die Straße gehören; auf weitere Coronawellen ohne jede Überlastung des Gesundheitssektors und auf Waschlappen statt Duschen. ({2}) Apropos, diese Grünen hier, Pazifisten der ersten Stunde, schreien nach Krieg, nach Waffen ohne Begrenzung, und jetzt wollen sie auch noch einen Wirtschaftskrieg gegen das größte und rohstoffreichste Land der Erde. Das hilflose Maskottchen der Ampel wollte ein Superministerium und denkt selbst über den großen Stromausfall nur als ein verlängertes Weihnachten bei Kerzenschein. Atomkraft bringe nichts, sagt er. Nun lässt er zwei Kraftwerke weiterlaufen – erst Wärmeproblem, dann Stromproblem, eigentlich aber Intelligenzproblem. ({3}) Meine Damen und Herren, selbst europäische Grüne anderer Länder wollen einem so verwahrlosten Deutschland nicht mehr beistehen. Zitat: Solidarität kann man nur einfordern, wenn man sich nicht selbst und mit Absicht in die Notlage gebracht hat. – Waffenlieferungen und Sanktionen sind dabei, einen Weltenbrand zu entfachen. Atomkrieg ja, Atomkraft nein – das ist ein Wahn! Ihre Politik ist falsch, weil unwirksam. Sie ist verbrecherisch, weil immer mehr Menschen als Opfer hochpräziser Westwaffen sterben. Sie ist ein Fehler, weil allen voran Deutschland seine Substanz zerstört. Und sie ist vor allen Dingen ein Verrat an Ihrem Amtseid: Sie wenden hier keinen Schaden ab. Sie fügen unserem Volk Schaden zu – jeden Tag und mit jeder Entscheidung. Ihre Politik ist Versagen. In Ihrer Politik hat selbst die Dummheit jede Scham verloren. ({4}) Deswegen können Sie auch nicht anders, als reflexhaft auf die Opposition einzuschlagen, wobei ich nicht diese Union meinte, die noch auf der Suche nach ihrer Rolle ist, die uns alle für blöd genug hält, ihre lange Verantwortung für diesen Scherbenhaufen zu vergessen. Dieses Jahr hat auch eins gezeigt: Friedrich Merz kann nicht Kanzler, er kann noch nicht mal führen. Die Wahlen in Berlin sind wohl verfassungswidrig gewesen; das schmerzt besonders Die Linke. ({5}) Dabei hat ihr planvolles Agieren Berlin erst zu einem Failed State gemacht. Aber jede Revolution frisst ihre Kinder. Drei Direktmandate sind wenig, sogar mit langer Expertise in Wahlfälschung. ({6}) Der Bundeskanzler lieferte bezeichnenderweise eine der schönsten Possen der letzten Woche: Der mit den Emiraten ausgehandelte Deal über Flüssiggas umfasst seiner Menge nach etwa einen halben Tag geliefertes Gas aus Nord Stream 1. Bravo! Schon die Reise an sich hat wahrscheinlich mehr Energie verbraucht, vom Schadstoff und vom CO2-Abdruck nicht zu reden. ({7}) Das nennt man jetzt „nachhaltig“! Gäbe es einen Preis für politischen Dilettantismus, Olaf Scholz wäre sein Kandidat. ({8}) Von Bismarck bis Scholz, das ist der bisherige Weg unseres Landes. Und sind das die Opfer, die wir bringen wollen? Wenn nicht, stehen wir dagegen auf! Führung wäre schön. Für heute würde dem Land und uns ein Rücktritt schon genügen. ({9}) Am 8. Oktober demonstrieren wir dafür hier in Berlin. Dieses Land braucht endlich Alternativen! Schönes Wochenende. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Also, ich werde jetzt die Aneinanderreihung von Beleidigungen nicht kommentieren; aber vielleicht schaffen Sie es ja, in Zukunft ein bisschen darauf zu verzichten. Das wäre eigentlich ganz schön. Als Nächste erhält das Wort Dr. Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Zeit für Klarheit und Führung“, der Titel Ihrer Aktuellen Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, trifft das Lebensgefühl vieler Menschen in Deutschland, und zwar vor der Bundestagswahl im letzten Jahr. ({0}) Denn genau darum ging es im September 2021, genau das haben die Leute damals vermisst: Klarheit und Führung. Ich finde es eigentlich ganz gut, dass wir jetzt im Rahmen dieser Aktuellen Stunde wirklich mal die Gelegenheit haben, Danke sagen zu können: danke an Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck, Annalena Baerbock ({1}) und das gesamte Bundeskabinett, das gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen in der Ampel diesem Führungsauftrag mit all seiner Kraft, beherzt und mit Verstand nachkommt. ({2}) Stellen wir uns einmal vor, wir müssten all diesen Krisen noch mit derselben unionsgeführten Regierung begegnen – ein Albtraum, meine Damen und Herren: ({3}) eine unionsgeführte Regierung, die Europa und internationale Beziehungen verwaltet statt gestaltet hat, Kuschelkurs statt Klarheit, keine Spur von wertebasierter Außenpolitik. ({4}) Sie haben sich weggeduckt, als Putin seine Aggression begonnen hat! Sie haben ihn gewähren lassen: „Billiges Gas first, Völkerrecht second.“ ({5}) Sie haben die Versorgung unseres Landes mit Ihrer rückwärtsgewandten Energiepolitik in die Hände des Aggressors gelegt, der die Ukraine mit diesem schrecklichen Angriffskrieg überzieht, und diese Abhängigkeit gilt es nun in mühevoller Kleinarbeit zu beenden. Und nein, wir sehen den fossilen Weg, der uns erst in diese aktuelle Energiekrise geführt hat, nicht als Ausweg, sondern als historischen Holzweg, Herr Frei, den wir so schnell wie möglich verlassen müssen. ({6}) Wir können uns das Stolpern von Krise zu Krise nicht mehr leisten. Die Folgen des Klimawandels, sie sind greifbar, sie sind sichtbar, sie sind evident, meine Damen und Herren. Es ist ein Sinnbild, wenn französische Atomkraftwerke aufgrund des Wassermangels immer weniger Energie erzeugen. Leider verstehen Sie von der Union dieses Sinnbild offenbar nicht und sagen: More of the same. Wir sagen: Nicht mit uns! ({7}) Es ist Zeit für Klarheit und Führung, und zwar hinein in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. ({8}) Es ist natürlich in gewisser Hinsicht eine bittere Ironie der Geschichte, dass nun gerade wir als Ampel in diesem Jahr kurzfristig und pragmatisch dafür sorgen mussten, die Energieversorgung in unserem Land sicherzustellen und unser Land aus der Abhängigkeit des Aggressors zu befreien. Unser Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich im wahrsten Sinne des Wortes die Hacken abgelaufen und dafür gesorgt, ({9}) dass die Gasspeicher, die Sie uns annähernd leer hinterlassen haben, jetzt praktisch zu 100 Prozent befüllt sind. Das ist eine großartige Leistung, und ich mag mir gar nicht vorstellen, wo wir heute stehen würden, wenn sein Vorgänger noch im Amt wäre. ({10}) Nun geht es darum, unsere Gesellschaft, die Menschen, die Wirtschaft, unser Land gut durch diesen Winter zu bringen. Dafür spannen wir jetzt auch den 200-Milliarden-Abwehrschirm auf. Gemeinsam wollen wir Putin zeigen, dass unsere Werte von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Würde und Humanität stärker sind als sein grausamer Chauvinismus. ({11}) Aber genau diesen Geist vermisse ich bei der Union schmerzlich. Sie suchen lieber den billigen Punktgewinn, als ob es keine Krisen gäbe, als ob es keinen Krieg in Europa gäbe. Wie sonst ist es denn zu erklären, dass die einst so staatstragende Volkspartei sich in die Fundamentalopposition verabschiedet hat? Wie geht das? Vielleicht können Sie das gleich mal erklären? ({12}) Anstatt pragmatisch mit uns nach Lösungen zu suchen und die Menschen endlich zu entlasten, spricht Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz bei Geflüchteten aus der Ukraine von „Sozialtourismus“. Das ist Treibstoff für die Propagandamaschinerie von Wladimir Putin, und man fragt sich schon, in welchen Blasen Sie da eigentlich unterwegs sind. Dabei braucht es die Union dringend, und zwar als konstruktive, demokratisch-konservative Kraft. ({13}) – Doch, wir brauchen die Union. – Wir brauchen eine Union, die sich eben nicht nach rechts ziehen lässt, sondern die Menschen auch für die Mitte gewinnt. ({14}) Die demokratische Mitte zu stabilisieren, ist nämlich die Aufgabe von uns allen in dieser besonderen Zeit, und dieser Aufgabe müssen wir alle zusammen gerecht werden, meine Damen und Herren. ({15})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jan Korte erhält das Wort für die Fraktion Die Linke.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Mihalic, da muss man erst mal drauf kommen, Robert Habeck nach diesem Gasumlagedesaster, das hier aufgeführt wurde, als leuchtendes Beispiel für Klarheit und Führung zu preisen. Das ist wirklich selten behämmert; das muss ich schon in aller Klarheit hier so sagen. ({0}) Die Freunde der CDU/CSU haben beantragt, heute über Deutschland, ein Jahr nach der Bundestagswahl, zu sprechen. Zunächst möchte ich natürlich über Sie sprechen. Ein Jahr danach sieht die Situation so aus – die Kollegin Mihalic hat es gerade schon gesagt –, dass Ihr Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz am Wochenende offenbar zu lange in irgendeinem AfD-Youtube-Channel rumgesurft ist und ukrainische Flüchtlinge als „Sozialtouristen“ diffamiert hat. Und dem ist noch nicht genug. Einige Abgeordnete der CDU/CSU beklagen sich darüber, dass Demokraten den Faschisten in Italien nicht zum Wahlsieg gratulieren wollen. Das ist der Zustand ein Jahr nach der Bundestagswahl. Das ist sehr, sehr traurig, liebe CDU/CSU. ({1}) Nun aber zu den eigentlichen Problemen nach einem Jahr dieser Bundesregierung. Ich möchte es sinnbildlich zusammenfassen mit zwei dpa-Meldungen vom 28. September. In der ersten dpa-Meldung konnte man lesen: DAX-Manager mit 25 Prozent Lohnplus. Im Durchschnitt verdienen diese Leute 4 Millionen Euro. Das muss man sich mal reinziehen: 4 Millionen Euro. Das bedeutet, dass diese DAX-Manager im Schnitt 53‑mal so viel verdienen wie ihre Angestellten. Die TU München schreibt dazu: „Der Gehaltsanstieg wurde getrieben durch die Explosion der Gewinne im abgelaufenen Geschäftsjahr.“ Diese Summen sind im Übrigen eine Verhöhnung für jeden, der hart arbeiten geht, um das auch mal in aller Klarheit zu sagen. ({2}) Am selben Tag, 20 Minuten später, kam die nächste dpa-Meldung, in der es heißt – ich zitiere –: Mehr als 1 Million Menschen versorgen sich bei den Tafeln. – Dort gibt es übrigens mittlerweile fast flächendeckend Aufnahmestopps, weil sie die Menschen nicht mehr versorgen können. Was sind das nach einem Jahr – das ist Ihre Verantwortung – für perverse Zustände in diesem Land? Was für perverse Zustände! ({3}) Wenn Sie – Sie bezeichnen sich ja als „Fortschrittskoalition“; ich glaube, das steht über Ihrem Vertrag – wirklich eine Fortschrittskoalition wären, dann würden Sie ein großes Bündnis und all Ihre Macht in die Waagschale werfen, damit kein Mensch mehr auf Tafeln in diesem reichen Land angewiesen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist mal die Sachlage. ({4}) Dann kann ich Ihnen nur empfehlen, also insbesondere auch den FDPlern: Gehen Sie doch mal in einen normalen Discounter, samstagmorgens, zu Aldi oder so. Da sollten Sie mal hingehen. ({5}) – Sie hängen wahrscheinlich meistens in der Delikatessenabteilung im KaDeWe oder so rum. ({6}) Aber der Austernpreis interessiert mich herzlich wenig. ({7}) Ich meine das schon ernst: Gehen Sie mal bitte in den Discounter, und dann gucken Sie sich da mal die Menschen an. Die stehen vor dem Kühlregal und überlegen, ob sie sich das Pfund Butter jetzt noch leisten können oder nicht. Dann stehen sie an der Kasse. Man muss doch mal zuhören, wie Menschen miteinander reden. Sie sprechen darüber, dass sie für denselben Preis – sagen wir mal: 50 Euro – bei Aldi oder Lidl – was weiß ich, wo man am Wochenende einkauft – früher einen Wagen voll hatte für die Woche; jetzt ist er nur noch halb voll. Das müssen Sie doch mal zur Kenntnis nehmen, und dieser Koalition fällt dazu überhaupt nichts ein. Wenn Ihnen überhaupt noch irgendwas einfällt – das gilt übrigens auch für ehemalige Bundespräsidenten, die im Jahr 250 000 Euro Ehrensold bekommen –, dann kommen Sie mit zynischen Spartipps, wie zum Beispiel der große Waschlappenhinweis des politischen Waschlappens Kretschmann, und sagen: Spart mal bitte! ({8}) Wie wirkt das denn bitte auf Leute, die schon ihr Leben lang sparen müssen? Was für ein Zynismus! Das ist wirklich nicht zu fassen. ({9}) Insofern haben wir nicht nur ein Armutsproblem, sondern wir schlittern in ein grundsätzliches Demokratieproblem rein. Das scheint ja bei einigen hier überhaupt gar nicht anzukommen. ({10}) Noch mal ganz grundsätzlich: Ein grüner Minister lädt die Bosse ein, um eine Verordnung zur Gasumlage zu schreiben, was übersetzt heißt: Da kommen die Bosse und Unternehmer und schreiben in eine Verordnung der Bundesregierung, wie viel die Bevölkerung jetzt zahlen soll, damit sie ihre Gewinne irgendwie klarhaben. Das ist die Sachlage. Da packst du dir doch an den Kopf, was hier eigentlich los ist! ({11}) Auf der anderen Seite – ich will einen konstruktiven Vorschlag machen – könnte man doch mal die Wohlfahrtsverbände, die Volkssolidarität, die AWO, einladen, dass sie vielleicht mal eine Verordnung schreiben, wie man dem 1 Prozent der Reichsten in diesem Land etwas abnehmen kann, um es den Armen zu geben. Das wäre doch vielleicht etwas ganz Neues. ({12}) Denn 1 Prozent in diesem Land besitzt ein Drittel des gesamten Vermögens. ({13}) Nun verstaatlichen Sie – um damit abzuschließen – Uniper. Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren. Das ist der richtige Weg. Aber bitte jetzt nicht halb machen, sondern wenn Sie jetzt schon dabei sind: Es ist an der Zeit, die Energieversorgung in diesem Land –

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– endlich wieder im Sinne der Demokratie und der Menschen in öffentliche Hand zu übertragen. Übersetzt gesagt: zu verstaatlichen. ({0}) Dafür werden wir kämpfen; denn nur so können wir die Demokratie schützen und Armut bekämpfen. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die Freien Demokraten erhält jetzt das Wort Dr. Lukas Köhler. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fortschrittskoalition ist angesprochen worden. Ich meine, man kann jetzt viel rumschreien über die aktuelle Situation, aber man muss sie auch betrachten. Man muss darüber nachdenken, was wir alles tun, was wir in dieser Woche auf den Weg gebracht haben, was wir in den letzten Monaten auf den Weg gebracht haben. ({0}) Man kann auch einfach mal in das Land gucken. Man kann nach Niedersachsen und Wilhelmshaven gucken. Wenn man nach Wilhelmshaven fährt, dann sieht man etwas, das man nicht geglaubt hätte und von dem keiner gedacht hätte, dass das in Deutschland möglich ist. Wir bauen gerade in einer Geschwindigkeit, die nie dagewesen ist, Infrastruktur in diesem Land, von der wir niemals gedacht hätten, dass die in einem halben Jahr da steht. Wir schaffen es jetzt, 28 Kilometer Pipeline, Wasserstoff-ready, zu bauen, damit wir in kürzester Zeit die Versorgungssicherheit dieses Landes in den Griff bekommen. Das ist doch ein Erfolg einer solchen Fortschrittskoalition. ({1}) Wenn ich mir diese tolle Aktuelle Stunde anschaue, dann sehe ich, wie schnell sich dieses Land in die richtige Richtung entwickelt. Aber natürlich haben wir im Moment Krisen. Wir sind gestartet in der Coronapandemie mit einer neuen Welle und haben während des ersten Teils der Koalitionsverhandlungen, wo noch alle gemeinsam in der Findungsphase waren, darüber diskutiert und schon entschieden, in welche Richtung es mit der Coronapolitik weitergeht. Das hat uns begleitet bis in den Februar. Dann kam etwas, das es seit ziemlich langer Zeit nicht mehr gegeben hat, nämlich ein Krieg auf europäischem Boden, etwas, das wir historisch eigentlich nicht mehr sehen wollten; wir hatten gehofft, das nie wieder sehen zu müssen. Jetzt sehen wir, dass ein Energiekrieg ungeahnten Ausmaßes gegen Europa geführt wird. Darauf reagieren wir, meine Damen und Herren: mit einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von 96 Milliarden Euro, damit es nicht so schlimm wird, jetzt mit 200 Milliarden Euro, mit einer Infrastruktur, die so schnell gebaut wird, wie wir es noch nie gesehen haben. Wir arbeiten aber auch an der Zukunftsfähigkeit, dadurch, dass wir im EEG – Nina Scheer hat es erwähnt – enorm schnell weiterkommen, dass wir Infrastruktur ins überragende öffentliche Interesse packen, dass wir schnell das angehen können, was wir für die Zukunft brauchen. Aber wir vergessen dabei die anderen Themen nicht. Ich glaube, das ist etwas, das man immer wieder in den Blick nehmen muss. Wir arbeiten und sorgen zum Beispiel mit der Debatte um das Bürgergeld dafür, dass wir die nächsten Schritte Richtung Freiheit und sozialen Frieden gehen. Wir sorgen dafür, dass wir zum Beispiel Ehrenamtler, wie die Menschen, die Bürgerbusse fahren, nicht alleine lassen. Wir sorgen dafür, dass wir in dieser Zeit den Menschen das an die Hand geben, was wir brauchen, um weiterzukommen. Aber natürlich ist es eine gigantische Krise von ungeahntem Ausmaß. Da muss man, liebe Union, auch mal ein bisschen über die Kultur sprechen, mit der wir regieren und wie wir diese Demokratie weiterentwickeln. Ich glaube, es gibt eine Sache, über die wir hier auch mal sprechen müssen. Es gibt in der Öffentlichkeit, in den Medien, in der Debatte, auch in der Debatte in diesem Haus, zunehmend eine Kultur der Schärfe und des gegenseitigen Angriffs. Ich glaube, man muss unterscheiden. Ich glaube, man muss das hier explizit unterscheiden. Ja, wir diskutieren viel in dieser Koalition, wir debattieren, wir streiten auch mal, aber in der Sache. Es geht uns darum, die beste Lösung zu finden. Das ist ein Demokratieverständnis, ohne das wir einen Staat nicht werden aufbauen können. ({2}) Wir müssen in der Sache streiten. Wir müssen den richtigen Weg finden. Es ist doch klar, dass wir eine Koalition aus unterschiedlichen Ideen und Vorstellungen bilden. Und es ist doch richtig, dass wir darüber streiten, aber in der Sache. Darum muss es immer gehen. Liebe Union, ich weiß: Das ist für Sie etwas Neues. Streit in der Sache haben Sie sich 16 Jahre lang abtrainiert. ({3}) Sie haben keine programmatische Linie mehr, und Sie suchen die gerade. Das finde ich gut. Ich freue mich, dass Sie den richtigen Weg finden. ({4}) Ich freue mich darüber, dass Sie eine solche Debatte ansetzen, weil Sie vielleicht in einer der nächsten Reden mal darüber berichten können, in welche Richtung Sie vorwärtsgehen wollen. Bisher – das haben wir in den letzten Jahren von Ihnen gesehen – ging es Ihnen beim Streit immer um die Person, ({5}) und das ist – das findet die Bevölkerung zu Recht – der falsche Weg. Deswegen: Streit und Debatte um die Sache, den richtigen Weg suchen, demokratisch darum ringen, was wir machen, die Opposition auch einbeziehen – das tun wir mit Ihnen ja zum Glück oft genug –, aber Streit eben immer nur in der Sache und nicht um die Person. Ich glaube, so geht gutes Regieren. Ich glaube, es geht darum, nicht zu sagen: „Wir haben schon den perfekten Weg“, sondern: Wir suchen ihn. Wir finden ihn, und wir entscheiden zielgerichtet, sorgen dafür, dass es bei den Erneuerbaren schnell vorwärtsgeht, dass wir in der Infrastruktur weiterkommen, dass wir in den sozialen Fragen weiterkommen, dass wir mit den Finanzen und dem Haushalt weiterkommen. Dafür sorgen wir gemeinsam. Das funktioniert nur, weil wir eben zusammenarbeiten und dann auch ab und zu mal in der Sache streiten. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Vielen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält Andrea Lindholz das Wort. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das erste Jahr der Ampel steht ganz im Zeichen von Putins verbrecherischem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und es ist für uns keine Frage: Deutschland muss dem ukrainischen Volk in seinem mutigen Freiheitskampf mit aller Kraft zur Seite stehen. ({0}) Rund 1 Million Menschen aus der Ukraine, vor allem Frauen und Kinder, haben bei uns Schutz gefunden. Diese Hilfe war, ist und bleibt richtig. ({1}) Im Schatten dieses Krieges und der Energiekrise spitzt sich aber seit Monaten auch die Migrationskrise zu. Weltweit sind zum ersten Mal über 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Lage für Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon und in der Türkei wird immer prekärer. Serbien hat für über hundert Staaten die visumsfreie Einreise verfügt. Die illegale Migration in Richtung Deutschland nimmt nicht nur auf der Balkanroute stark zu. Tschechien hat gestern daher Binnengrenzkontrollen zur Slowakei eingeführt. Die Bundespolizei berichtet von bis zu 500 illegalen Einreisen nach Deutschland pro Tag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesinnenministerin muss daher endlich handeln, sie darf das Thema nicht länger verschweigen, und sie muss sich auch auf Binnengrenzkontrollen im tschechisch-deutschen Grenzraum vorbereiten. ({2}) Wir haben über 200 000 zusätzliche Asylanträge in diesem Jahr – zusätzlich zu den schutzberechtigten Ukrainerinnen, die wir erwarten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist schon zu viel. Die Länder und Kommunen, sie können nicht mehr. Und das schon zum jetzigen Zeitpunkt. ({3}) Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnte bereits am 23. August 2022 – ich zitiere –: „Wir haben bereits jetzt mehr Geflüchtete als in der Flüchtlingskrise 2015.“ Bereits Anfang September haben 12 von 16 Bundesländern den zeitweisen Aufnahmestopp erklärt. ({4}) Letzte Woche, Herr Kuhle, forderten die kommunalen Spitzenverbände in einem Brandbrief an Kanzler Scholz seine Hilfe und seine Führung. Passiert ist bislang schlicht und ergreifend fast nichts. Die Bilanz der Ampel in der Migrationspolitik ist, auch wenn Sie es wieder nicht hören wollen, katastrophal. Sie ignorieren seit Monaten die Warnungen der Länder und Kommunen. Anstatt für Entlastung zu sorgen, schaffen Sie neue Aufnahmeprogramme. Sie vergrößern die Fehlanreize für die illegale Weiterreise nach Deutschland, und die Verteilung in unserem Land ist teilweise ungeordnet. Die Länder melden sich im EASY-System an und ab, und man hat wenig Planungssicherheit. ({5}) Fast ein Jahr nachdem Frau Faeser den Staatssekretär für Migration abberufen hat, schafft sie es heute, den Posten neu zu besetzen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat viel zu lang gedauert. In Europa sind Sie auf einer asylpolitischen Geisterfahrt. ({6}) In EU-Staaten wie Italien und Griechenland erhalten anerkannte Flüchtlinge kaum Leistungen. Bei uns hingegen vergrößern Sie mit dem Bürgergeld die Anreize, nach Deutschland zu kommen, anstatt sich, was richtig wäre, um europäische Standards an dieser Stelle zu kümmern. ({7}) In Frankreich will man die Gültigkeit von Abschiebebescheiden auf drei Jahre verlängern. Bei uns schaffen Sie mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber, die ihre Identität verschleiern. ({8}) Und nach einem Jahr gibt es weder eine Rückführungsoffensive noch den angekündigten Rückführungsbeauftragten. ({9}) Die Asylverfahren werden mit einer solchen Politik tatsächlich zur Farce. ({10}) Anstatt den Ländern und Kommunen endlich zu helfen, und zwar endlich, streichen Sie die Finanzierung der Sprach-Kitas. ({11}) Sie vergiften das Bund-Länder-Verhältnis. Sie speisen die Kommunen gerade mal mit einem Treffen in der übernächsten Woche – endlich – bei der Bundesinnenministerin ab, obwohl sie für zentrale Fragen hier gar keine Befugnisse hat. ({12}) Wir fordern Sie daher auf, wir fordern den Bundeskanzler auf, diese asylpolitische Geisterfahrt zu beenden. Wir fordern ihn auf, Migration zur Chefsache zu machen und vor allen Dingen endlich Druck auf Erdogan auszuüben, ({13}) damit das EU-Türkei-Abkommen gerettet werden kann. Wir fordern ihn dazu auf, endlich einen vollwertigen Flüchtlingsgipfel einzuberufen. Wir fordern ihn auf, die illegale Einreise zu unterbinden und gemeinsam in Brüssel das europäische Asylsystem voranzutreiben. ({14}) Scheinlösungen wie der freiwillige Solidaritätsmechanismus von Frau Faeser verschleppen nur die Probleme, und es beteiligt sich außer uns keiner an diesem Solidaritätsmechanismus. Wir gehören seit fünf Jahren zu den wichtigsten Aufnahmeländern weltweit. Wir brauchen in der Flüchtlingspolitik Humanität und Ordnung. Dazu fordern wir Sie auf, liebe Ampel. ({15}) So darf es in der Flüchtlingspolitik nicht weitergehen. Wir brauchen Mut, wir brauchen Klarheit, und wir brauchen Führung.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Frau Kollegin. Sie haben schon überzogen.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und, Frau Kollegin Dr. Scheer, noch zum Abschluss: Es reicht nicht, die Menschen in unserem Land mit Geld zuzuschütten. ({0}) Es reicht auch nicht, hier heute zu sagen, Sie hätten gestern für uns 200 Milliarden Euro verabschiedet. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kümmern Sie sich um die Menschen! ({0}) Sorgen Sie dafür, dass die soziale Spaltung nicht weiter vorangetrieben wird, und tragen Sie endlich zu zeitgemäßen und zeitnahen Lösungen bei! ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die SPD-Fraktion die Kollegin Rasha Nasr. ({0})

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr ist seit der Bundestagswahl vergangen. Für mich war es, ehrlich gesagt, nie selbstverständlich, dass Menschen wie ich dieses Land politisch mitgestalten: eine junge Frau aus Dresden mit Migrationsbezug. Dass ich nun tatsächlich hier sein darf, ist für mich jeden Tag aufs Neue ein großes Abenteuer, und ich will, dass zukünftige Generationen es als selbstverständlich ansehen, hier zu sitzen; denn wir sind hier, um zu bleiben. ({0}) Es ist ja schon interessant, dass die Union heute diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Aber gut, ich schaue gern mit Ihnen auf das letzte Jahr zurück. Ich habe auch ein paar Beispiele für Sie mitgebracht. Ich darf als stellvertretende Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion seit gut einem Jahr die großen Projekte in diesem Bereich mitbearbeiten. Für mich gibt es kaum einen spannenderen Bereich; denn wir haben so wahnsinnig viel zu tun. Ich bin dankbar, mit Hubertus Heil einen Minister im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu wissen, der sich wirklich um die Belange der Menschen kümmert. ({1}) Wir haben eine stabile Arbeitsmarktlage, und auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist gestiegen. Das hat mit kluger und vorausschauender Politik zu tun. Das Kurzarbeitergeld zum Beispiel hat in der Pandemie Tausende Arbeitsplätze gerettet. Ich weiß nicht, ob Sie es schon wieder vergessen haben, aber Sie haben erst gestern gegen die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes gestimmt. Wie Sie sich noch in den Betrieben in Ihren Wahlkreisen blicken lassen wollen, das sei ganz Ihnen überlassen. ({2}) Nächstes Beispiel. Ab morgen werden 6 Millionen Menschen in diesem Land von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro profitieren, alleine bei mir in Dresden über 51 000 Menschen, in ganz Sachsen über 420 000. Das war ein zentrales Wahlkampfversprechen. Wir reden eben nicht nur, wir machen. Wer hat sich bei der Abstimmung zum Mindestlohn heldenhaft enthalten? Ausgerechnet die, die Klarheit und Führung verlangen! ({3}) Wir führen zum 1. Januar 2023 das neue Bürgergeld ein und setzen damit mal eben eine der größten sozialpolitischen Reformen der letzten 20 Jahre um. Und da ärgert es mich schon, dass die Debatte hier immer nur auf die Sanktionen und den Regelsatz verengt wird. Den einen ist es immer zu wenig, die schwadronieren hier in einer Tour vom bedingungslosen Grundeinkommen, und die anderen wollen munter weiter durchsanktionieren. Dass Sie diese Lügen immer noch verbreiten und wahrscheinlich sogar selbst glauben, ({4}) stimmt mich wirklich traurig und zeigt noch mal mehr, dass dieses Land nach 16 Jahren CDU im Kanzleramt nach Veränderung gelechzt hat. ({5}) – Wenn Sie es nicht hören wollen, beantragen Sie nicht so eine Aktuelle Stunde; das ist nicht mein Problem. Wir sorgen endlich für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das seinen Namen auch verdient hat. Viel zu lange haben wir klugen und gut ausgebildeten Menschen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt. Deshalb bauen wir Bürokratie ab, vereinfachen Visabestimmungen und werden mit der Chancenkarte dafür sorgen, dass Menschen hier eine echte Chance auf eine eigene Perspektive in Deutschland bekommen. ({6}) Und ja, das soll auch für Geflüchtete gelten, Frau Lindholz. Auch ihnen wollen wir einen einfacheren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen. Es ist schlicht unfair, Menschen, die ihre Heimat verlieren und hier ein neues Leben aufbauen wollen, dann auch noch die Chance zu nehmen, das wirklich umzusetzen. ({7}) Wir wollen, dass Menschen hier ein selbstbestimmtes Leben führen und sich eine eigene Perspektive aufbauen können. Das war in Ihren Reihen nie wirklich gewünscht, oder, liebe Union? Ich kann zumindest bis heute keine konsistente oder klare Position Ihrerseits zum Thema Einwanderung erkennen. ({8}) – Das doch nicht funktioniert hat. ({9}) – Okay, reden wir über Unsinn. Wir haben alle die Aussage Ihres Fraktions- und Parteivorsitzenden vernommen, der letztens allen Ernstes von Sozialtourismus in Bezug auf ukrainische Geflüchtete gesprochen hat. ({10}) Schämen sollte er sich. Was fällt ihm eigentlich ein? ({11}) Noch im Frühjahr ist er in die Kriegsgebiete gefahren und hat große Solidarität demonstriert. Jetzt schlägt er allen ukrainischen Geflüchteten mit diesem Wort – das gefällt übrigens der AfD sehr gut; herzlichen Glückwunsch dazu! – mit voller Breitseite ins Gesicht. ({12}) Was fällt ihm ein? ({13}) Da braucht er sich im Nachhinein auch nicht hinzustellen und sich zu entschuldigen, als ob er nicht wusste, was er mit diesem Wort sagt. Das ist doch wirklich unanständig. Und Sie schreien jetzt hier rum ({14}) und verteidigen das auch noch. Also wirklich! ({15}) Es mag wirklich unterschiedliche Gründe geben, weshalb Herr Merz in seiner langen politischen Laufbahn noch nie Regierungsverantwortung getragen hat. ({16}) Aber die letzten Monate und Tage zeigen in jedem Fall, dass es sehr viele sehr gute Gründe gibt, dass Herr Merz niemals Regierungsverantwortung tragen sollte. ({17}) – Das sagen Sie. Ja, ist in Ordnung. Jetzt hören Sie mir vielleicht noch kurz zu; es sind nur noch 10 Sekunden. ({18}) Ich bin dankbar, dass wir einen Bundeskanzler Olaf Scholz haben, der in schwierigen Zeiten standhält und uns besonnen, sachlich und kompetent durch schwieriges Fahrwasser navigiert. ({19}) Denn es macht eben einen Unterschied, wer regiert. Vielen Dank. ({20})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich ja gefragt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was hat Sie geritten, am Freitagnachmittag diese Aktuelle Stunde zu beantragen? Ich habe eine Antwort darauf: Es scheint Masochismus zu sein. ({0}) Denn „ein Jahr nach der Bundestagwahl“ heißt: ein Jahr CDU/CSU in der Opposition. Für dieses Land ist das ein Grund, zu feiern. ({1}) Im tiefen Innern glauben Sie doch, es sei gottgewollt, dass die Schwarzen regieren – ist es aber nicht. ({2}) Der Kern Ihres Konservatismus lautet doch: Inhalte egal, Hauptsache, wir stellen den Kanzler. – Das hat unter Helmut Kohl geklappt; das hat 16 Jahre unter Angela Merkel geklappt. ({3}) Aber was ist jetzt? Sie haben keinen Kanzler. Sie haben Friedrich Merz. ({4}) Führung. Das haben wir ja erlebt, als Sie sich beim Mindestlohn enthalten haben. Aber ich will auch in aller Ernsthaftigkeit ({5}) sagen: Wir als Koalitionsfraktionen sind mit Ihnen als Opposition nicht unzufrieden. ({6}) – Nein, das ist jetzt keine lustige Bemerkung. – Ich finde, angesichts der Herausforderungen durch Putins Angriffskrieg haben Sie sich in entscheidenden Punkten richtig verhalten. Sie haben den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Lieferung schwerer Waffen ohne jede Änderung mitgetragen. ({7}) Sie haben mit dafür gesorgt, dass das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen trotz Schuldenbremse ins Grundgesetz gekommen ist. Sie haben die 96 Milliarden Euro für drei Entlastungspakete unter Absingen schmutziger Lieder am Ende passieren lassen. Und was sagen Sie zum 200-Milliarden-Abwehrschirm? ({8}) Sie wollen ihn auch unterstützen, und Friedrich Merz raunt davon, dass sich die Verabschiedung verzögern könnte. Das wäre in der Tat schlecht. Wir könnten uns mit Ihnen noch darauf verständigen, wie wir diesen Abwehrschirm nennen. Ich schlage vor: Peter-Altmaier-Gedächtnisschirm. ({9}) Denn er war es, der Deutschland in den letzten Jahren in diese fürchterliche Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen gebracht hat. ({10}) Gerade in diesen schweren Zeiten will ich mit Ernsthaftigkeit sagen ({11}) – nein, das ist wirklich ernst gemeint –: Das ist keine Selbstverständlichkeit, was Sie da gemacht haben. Überall in den Staaten des demokratischen Kapitalismus erleben wir tiefe Spaltung, unüberbrückbare Polarisierung. In Italien, in Spanien, in Schweden paktieren konservative Parteien, ({12}) teilweise mit Ihnen in der EVP versammelt, mit rechten Populisten, ja sogar mit Faschisten. Und schauen wir uns auf dem Kontinent um, dann stellen wir fest: Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich stark; wir sind inzwischen auch ein Bollwerk demokratischer Stabilität, eben weil es dieses Paktieren mit den Rechten hier nicht gibt. ({13}) Ich finde, wir sollten uns das bewahren. ({14}) Das sollten wir auch nicht nach Aufforderung durch Bild TV gefährden. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Man kann darüber schmunzeln, wenn Friedrich Merz twittert, die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit sei eine Zensurkultur, eine „Cancel Culture“, wie in den USA. Aber hier verrutschen nicht nur die Maßstäbe. Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit sind autoritäre Regimes, die Medien kontrollieren, die das Internet abschalten ({15}) oder in eine von der Gedankenpolizei bewachte Zone verwandeln. Die größte Gefährdung der Meinungsfreiheit finden wir in Nordkorea, in China, in Russland, in Iran und leider zunehmend auch bei Ihrem ehemaligen Parteifreund Viktor Orban in Ungarn. Solche Tweets erfüllen neben der Verzerrung der Wirklichkeit ein Weiteres: Sie bedienen die Erzählung von rechts außen, von der AfD bis zur „Bild“. ({16}) Und ja, Friedrich Merz hat sich für das Wort „Sozialtourismus“ entschuldigt. Er hat es mit Bedauern zurückgenommen, denn es sei ein Missverständnis. Ich will nur darauf hinweisen: Er hat damit diesen Begriff gesetzt. ({17}) Und, mit Verlaub, liebe Frau Kollegin Lindholz, Sie sollten bei Reden zu Migrationsfragen aufpassen, dass Sie nicht zufällig die Manuskripte von Beatrix von Storch erwischen. ({18}) Der Begriff „Sozialtourismus“ ist eine Steilvorlage für jene rechten Montagsdemonstranten, die meinen, nicht Putins Krieg sei für die Inflation verantwortlich, sondern Sozialleistungen für Menschen, die vor diesem Krieg geflohen sind. Mein Wunsch nach einem Jahr Bundestagswahl ist: Liebe CDU, kritisieren Sie uns knüppelhart – dann müssen wir das nicht selber machen –, ({19}) aber bedienen Sie nicht die Narrative rechter Antidemokraten, auch nicht, wenn Sie dafür von Springer eine Schlagzeile bekommen. Dann erst recht nicht! ({20})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt Pascal Kober für die FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland ein Jahr nach der Bundestagswahl – Zeit für Klarheit und Führung“ ist in der Tat ein bemerkenswerter Titel, der die Situation ganz zutreffend beschreibt, wie sie damals war, nach 16 Jahren. Vor allen Dingen: Nach monatelangen quälenden Personalstreitigkeiten in der Union war es Zeit für Klarheit und Führung. Der Wähler hat entschieden, und diese Koalition hat sich gebildet. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen – Frau Mihalic hat es zu Recht gesagt, auch Jürgen Trittin ist darauf eingegangen –, jede Regierung, jedes Parlament braucht eine starke Opposition. Aber das müssen Sie als Opposition – ein Jahr nach dieser Regierungsbildung – noch sehr viel besser lernen. ({1}) Wir haben es in den Haushaltsberatungen erlebt: Zu jedem Einzelplan haben Sie Mehrausgaben gefordert. Ob in der Innenpolitik, der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik, der Verkehrspolitik, ob in der Sozialpolitik, beim Entwicklungsministerium – überall haben Sie Mehrausgaben gefordert, ohne einen irgendwie gearteten Finanzierungsvorschlag zu machen. Orientieren Sie sich mal an der FDP in der Opposition. Wir haben beim Bundeshaushalt 2021 mit 527 Änderungsanträgen gezeigt, wie man die Verschuldung halbieren und noch 36 Milliarden Euro finden kann, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, und das mit 80 Abgeordneten. Sie sind mehr als doppelt so viele. Bemühen Sie sich in Zukunft! Das wäre diesem Haus würdig. ({2}) Oder ich erinnere an den 17. März 2022. Es war gut, dass Sie sich der Thematik des inklusiven Arbeitsmarktes gewidmet haben. Aber ich darf Sie daran erinnern, dass Sie damals in Ihrem Antrag 20 Forderungen aus dem Koalitionsvertrag abgeschrieben haben und die anderen sechs aus FDP-Anträgen der vergangenen Legislaturperiode. ({3}) Das ist zwar inhaltlich überhaupt nicht falsch, zeigt aber nicht, dass Sie in der Opposition angekommen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, das muss besser werden. ({4}) Schlussendlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, darf man auch nicht vergessen, sich ein Jahr nach der Bundestagswahl immer mal wieder in Erinnerung zu rufen, in welchem Zustand wir dieses Land übernommen haben. ({5}) Platz 13 im Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft ist ein Armutszeugnis für eine Volkswirtschaft wie die Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Man kann hier ein Unternehmen noch immer nicht digital gründen, geschweige denn einen Personalausweis beantragen oder einen Wohnortwechsel vollziehen. ({7}) Diese Regierung hat nach nur wenigen Monaten im August eine Digitalstrategie verabschieden können. Das ist eine Leistung dieser Regierung; ({8}) daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen. ({9}) Nach 16 Jahren ist dieses Land erleichtert, einen Regierungswechsel zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Oder denken Sie an die Bildungspolitik: Das BAföG ist 1971 gestartet ({11}) und kurz darauf haben 44 Prozent der Studierenden BAföG beziehen können. 2022 waren wir bei 11 Prozent angelangt. Das ist auch ein Armutszeugnis, dem sich die Union in 16 Jahren nicht gestellt hat. Wir haben das Thema angepackt: für mehr Bildungsgerechtigkeit, für mehr Bildungschancen und für eine erfolgreiche Zukunft dieses Landes, die auf Bildung gründet; daran führt ja nun kein Weg vorbei. Wir haben die Verdienstgrenze bei Minijobs, die seit 2013 unverändert bei 450 Euro eingefroren war, endlich auf 520 Euro erhöht. Morgen wird das in Kraft treten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, auch da war Ihre Bilanz leer. Weil es bei den Diskussionen in den vorhergehenden Debatten ja bei der Frage des Fachkräftemangels heiß herging, möchte ich auch noch mal an folgende Leistung der Regierungszeit der jetzigen Opposition erinnern: ({12}) Sie haben 2019 ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, bei dem Sie in den Text geschrieben haben, dass Sie damit eine Zuwanderung von 25 000 Menschen im Jahr erzielen wollen. Dabei hatte schon 2011 Ihre damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass der Fachkräftemangel das größte Risiko für den Wohlstand dieser Gesellschaft in den nächsten Jahren sein würde. Obwohl Sie wussten, dass wir eine Zuwanderung von 400 000 Menschen im Jahr brauchen, haben Sie 2019 noch ein Gesetz beschlossen, mit dem Sie nur 25 000 Menschen ansprechen wollten, nach Deutschland einzuwandern. ({13}) Das zeigt, mit welcher Realitätsverweigerung Sie Politik gemacht haben. ({14}) Es ist gut, dass wir in den nächsten Tagen mit unserer Fachkräftestrategie und auch mit unserem neuen Zuwanderungsgesetz an die Öffentlichkeit kommen können, um hier etwas auszugleichen, was Sie 16 Jahre versäumt haben. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zugestimmt haben, ist ehrenwert. Es war auch notwendig, dass Sie Ihre Entscheidungen der Vergangenheit korrigiert haben, nachdem ja Ihr Verteidigungsminister Thomas de Maizière noch 2011 sagte, dass die Bundeswehr nur 70 Prozent Ausstattung bräuchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es war Zeit für Klarheit und Führung. ({16}) Ja, dieses Land hat Klarheit und Führung bekommen. Jetzt hoffen wir noch auf eine gute Opposition. Vielen Dank. ({17})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Jetzt erhält das Wort der fraktionslose Abgeordnete Matthias Helferich. ({0})

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ukrainische Volk führt einen mutigen Kampf für sein Recht auf Selbstbestimmung. Die Ukrainer sind bereit, für dieses Recht zu sterben. Ihr Opfergeist ist bewundernswert. Auch Russland versucht, sich in einer entstehenden multipolaren Weltordnung, möglicherweise aus dem Gefühl der Bedrängnis durch den Einfluss raumfremder Mächte, selbst zu behaupten. Russland agiert völkerrechtswidrig, und trotzdem muss ihm zugestanden werden, selbstbewusst seine Interessen zu artikulieren. Auch die USA versuchen ebenso, sich in dieser sich wandelnden Welt zu behaupten, ihre alte Hegemonialstellung zu verteidigen. Dies sicherlich auch nicht immer konform mit dem Völkerrecht, wohl aber verständlich aus ihrem Machtinteresse als Weltmacht heraus. Sie alle eint, dass ihre Eliten fähig und willens sind zur Führung und klaren Artikulation nationaler Interessen. „Führung“ bezeichnet das Staatspolitische Handbuch als das politische, militärische, religiöse und soziale Anleiten menschlicher Gruppen. Doch all dies fehlt unserer Führung. Es ist dabei unbedeutend, in welche Couleur sie sich hüllt. Deutschlands Führung, Sie, sind nicht in der Lage, die Interessen unseres Volkes zu artikulieren. Ihnen fehlt es am Willen zur Selbstbehauptung, am Willen zur Souveränität. Sie sind nicht in der Lage, klar und deutlich Deutschlands Position als europäische Mittelmacht und auch als Mittler konkurrierender Großräume zu festigen. Sie haben uns militärisch, politisch und auch geistig den Interessen fremder Mächte ausgeliefert. Aufgabe von Führung kann es daher zukünftig nur sein, die Interessen unseres Volkes selbstbewusst und selbstbestimmt zu formulieren und die Zeit des nationalen Souveränitätsverzichts zu beenden. Der Autor Tomasz Froelich schreibt, dass derjenige souverän sei, wer Alternativen habe. Noch hat unser Volk die Chance, sich selbst zu behaupten, den Souveränitätsverzicht zu überwinden. Trotz allem ist es weiterhin souverän, weil es eine Alternative hat. Ich habe die Hoffnung, dass unser Volk diese Alternative wählen wird, und ich bin mir gewiss, dass immer mehr Menschen in unserem Land diese Hoffnung teilen. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die Unionsfraktion Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir diesen Einleitungssatz, weil wir in dieser Debatte jetzt so oft gehört haben: „die letzten 16 Jahre“, in dem ich Ihnen nur eines sagen kann: ({0}) 2005 war die Situation so, dass „The Economist“ getitelt hat: „Deutschland, der kranke Mann Europas“. Wir haben dann in unserer Regierungszeit die Arbeitslosigkeit halbiert. Wir haben die höchste Beschäftigung in der Geschichte unseres Landes erreicht. ({1}) Wir haben das erste Mal die Staatsverschuldung reduziert. Wir haben erfolgreich regiert und insbesondere die Ausgaben für Bildung und Forschung verdoppelt. ({2}) Und jetzt machen Sie einen Bundeshaushalt für das nächste Jahr, wo Sie das erste Mal wieder in die andere Richtung gehen. – So viel nur dazu. Lassen Sie mich aber auch auf Folgendes eingehen: Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit davon gesprochen, dass ein neuer Ton in die politische Auseinandersetzung Einzug halten muss, dass Vertrauliches vertraulich bleiben muss, dass man miteinander und nicht übereinander redet und dass sozusagen immer alles in Ordnung sein muss. Wenn wir jetzt, ein Jahr später, resümieren, dann ist es eben mitnichten so, lieber Herr Kollege Köhler, dass Sie nur in der Sache streiten, sondern tatsächlich ist es so, dass die Herren Lindner, Habeck und Klingbeil kämpfen wie die Kirmesboxer. Das ist das, was Sie hier im Deutschen Bundestag abspulen. ({3}) Deswegen: Wenn Sie fordern, wir sollten als Opposition in dieser Situation die Regierung stärker unterstützen, ({4}) kann ich nur feststellen: Wir machen das immer dann, wenn es irgendwie vertretbar erscheint. Aber lassen Sie mich einmal auf ein Problem hinweisen: Wenn Sie bei allen relevanten Themen in dieser Republik die komplette Bandbreite der vertretbaren Meinungen in Ihrer Koalition abbilden, ({5}) dann wissen wir doch gar nicht, was wir da eigentlich unterstützen sollen, wohin Sie dieses Land führen wollen, ({6}) ob Sie Klarheit haben oder nicht. Sie haben sie nicht, und deswegen funktioniert es nicht. ({7}) Mir fällt vor allen Dingen eines ein: Der Bundeskanzler hat zu Beginn der Regierungsarbeit gesagt, diese Koalition habe einen Auftrag nicht nur für vier Jahre, diese Koalition habe einen Auftrag für eine ganze Dekade. ({8}) Ich glaube, wenn wir heute, ein Jahr später, resümieren, dann muss man sagen: Diese Sätze dürften in den Ohren eines Großteils der Bevölkerung eher wie eine Drohung klingen als wie eine Verheißung. ({9}) Deswegen müssen wir wirklich konstatieren: Sie haben unser Land nicht in eine gute Verfassung gebracht. Und das kann man an vielen Beispielen sehen. Wir haben einen überforderten Wirtschaftsminister, obwohl der eigentlich eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser Krise spielen sollte. ({10}) Das hat im Übrigen auch Auswirkungen auf die Gesetzgebungsprozesse. Wir erleben eine Chaotisierung der Gesetzgebungsprozesse, wie wir sie noch nie erlebt haben – ({11}) übrigens nicht nur aktuell, sondern beispielsweise auch beim Osterpaket. Schauen wir uns das mal an. Ich finde es interessant, dass Sie von den Grünen hier so reagieren. Denn Ihnen als Verteidiger des Parlamentarismus müsste es doch die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn Sie sehen, ({12}) dass Ihre Fraktionsvorsitzende zu Beginn dieser Regierungszeit noch gesagt hat: Wir machen den Bundestag wieder zu einem Ort der politischen Debatte. ({13}) Und was ist heute passiert? Sie schaffen es, 17 Minuten vor einer Ausschusssitzung 328 Seiten Änderungsanträge abzuwerfen. ({14}) Damit machen Sie den Bundestag nicht zum Ort der Debatte. Damit machen Sie die Koalitionsfraktionen zu einem Ort der Zwerge. ({15}) Und man könnte weitermachen. Wenn wir mal eine spontane Debatte hier im Bundestag haben, so wie Mittwoch letzter Woche, dann stürmt der Wirtschaftsminister hier in den Plenarsaal und beschimpft die Opposition als Muss-weg-Opposition. ({16}) Drei Tage später räumen FDP und SPD das Thema Gasumlage ab, ({17}) und heute beerdigt die Regierung diese Gasumlage. ({18}) Das ist erratische Politik. Das missbraucht das Vertrauen der Menschen in die Lösungskompetenz dieser Regierung. ({19}) Genau das Gleiche erleben wir übrigens in der Kernenergiepolitik. Was hat der Wirtschafts- und Energieminister dazu gesagt? Erst hat er gesagt, wir brauchen keine Laufzeitverlängerung, weil wir ja gar kein Problem mit dem Strom haben. Dann hat er gesagt: vielleicht, vielleicht ein bisschen, vielleicht in Reserve. – Jetzt werden für die ersten zwei, drei Monate des neuen Jahres zwei Kernkraftwerke weiterbetrieben. Was wollen dieser Minister und diese Regierung eigentlich? Das ist eine erratische Politik. Wissen Sie was? Da fällt mir ein Satz von Winston Churchill ein. Der hat einmal über die Deutschen gesagt: Sie machen am Ende immer das Richtige – aber erst, nachdem sie alle falschen Möglichkeiten ausprobiert haben. ({20}) So verhalten Sie sich hier in dieser Regierung und wollen uns das auch noch als Ausweis guten Regierens verkaufen. ({21}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine vernünftige Politik. Deswegen kann ich nur aufrufen: Kommen Sie zurück zu Führung und Stabilität und Klarheit! ({22})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen sollten Sie die Probleme, die das Land hat, doch tatsächlich tatkräftig angehen, sich aber nicht in Scheinthemen verlieren. Herzlichen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Zum Abschluss dieser Aktuellen Stunde erhält Professor Dr. Lars Castellucci das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Frau Lindholz, ({0}) die Landtagswahlen stehen bevor, und die Migrationspolitik wird von der Unionsfraktion wiederentdeckt. Es ist sehr vorhersehbar. ({1}) Ich bin ja schon froh, wenn Sie nicht wieder Unterschriftenlisten auslegen, wo man gegen Ausländer unterschreiben kann. ({2}) In der Sache will ich Ihnen sagen, auch wenn Sie, Herr Frei, das nicht ertragen mit den 16 Jahren: Wir mussten in den letzten Jahren mit Ihnen regieren. Innenpolitik unter CDU/CSU-Führung hat dafür gesorgt, dass wir ein Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten, das schon überfordert war, als noch gar keine Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Damit mussten wir dann in der Krise von 2015 starten. ({3}) Sie haben das völlig vernachlässigt. Es gab Stillstand auf der europäischen Ebene, ({4}) dazu ausgrenzende Debatten in Deutschland, ausgrenzende Debatten, die die Migration als die Mutter aller Probleme oder den Islam als eine Religion, die nicht zu Deutschland gehört, sehen. Obwohl wir doch in diesem Land auf Zusammenhalt angewiesen sind angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, haben Sie immer spalterische Reden hier in diesem Parlament mitgehalten, ({5}) und ich bin froh, dass diese Art von Führung jetzt abgelöst worden ist. ({6}) Schauen wir mal auf die Führung der Union: Die ist gerade abwesend, was uns immer das jetzt gerade sagen soll. ({7}) – Sie haben diese Debatte hier beantragt. Am Wochenende hatten wir Wahlen in Italien. Dort kommen nun wahrscheinlich Postfaschisten an die Regierung, Menschen, die sagen, dass sie auf den Faschismus stolz sind. ({8}) Das ist auch mit Unterstützung von Leuten aus Ihren Reihen passiert. Ich sage Ihnen: Wer Führung beansprucht, der braucht erst einmal einen Kompass, und der scheint Ihnen hier gründlich verloren gegangen zu sein. ({9}) Ich werde auch noch einmal diesen Begriff „Sozialtourismus“ aufgreifen, den Sie diese Woche in die Debatte geworfen haben, und zwar sehr absichtlich in die Debatte geworfen haben. Ich sage Ihnen klar – das können Sie Herrn Merz ausrichten –: Seine halbherzige Entschuldigung wird nicht akzeptiert; denn es war eine kalkulierte Überschreitung einer Grenze, wie wir sie sonst hier nur aus den Reihen ganz rechts erleben. ({10}) Ich sage Ihnen: Das ist keine Führung, sondern das ist eine Bankrotterklärung für christliche Politik, was man da erlebt hat. ({11}) Eine Sache zum Thema Führung möchte ich heute einfach in den Mittelpunkt stellen, und zwar das Thema Verlässlichkeit. Denn, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, das ist eigentlich im Kern das, was mir bei Ihnen fehlt. Worauf soll man sich eigentlich bei Ihnen verlassen? Wenn Sie ein klares konservatives Profil hätten, dann würde man sich jeden Tag ärgern, aber da könnte man argumentieren, und man könnte sich damit auseinandersetzen. Ich habe aber den Eindruck, Sie springen einfach munter populistisch auf jedes Thema, von dem Sie den Eindruck haben, es könnte Ihnen helfen, Punkte zu sammeln. Und das ist unzureichend. Führung braucht Verlässlichkeit. Deswegen macht diese Regierung das, was sie vorher angekündigt hat. Deswegen sorgen wir für stabile Renten. Deswegen sorgen wir dafür, dass Wohnungen gebaut werden – eine Sache, die Sie Jahrzehnte bekämpft haben. ({12}) Deswegen sorgen wir für Einwanderung. Das Einwanderungsgesetz, auf das Sie eben in Ihrem Zwischenruf verwiesen haben, als die Kollegin Nasr geredet hat, mussten wir gegen Ihren Widerstand in den Koalitionsvertrag bringen und konnten es dann gegen Ihren heftigen Widerstand in diesem Bundestag verabschieden. Das gehört doch zur Wahrheit dazu. ({13}) Wir sorgen dafür: Am 1. Oktober steigt der Mindestlohn. Das ist verlässliche Politik, und das ist die Führung, die dieses Land braucht. ({14}) Die Menschen können sich auch darauf verlassen: Wir werden alles tun, um Versorgungssicherheit bei der Energie in diesem Land sicherzustellen, und wir werden dafür sorgen, dass wir niemanden in diesem Land alleinlassen. Deutschland, unser Land, ist mit Olaf Scholz und mit dieser Bundesregierung in guten Händen. Vielen Dank. ({15})