Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/12/2022

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Robert Habeck (Minister:in)

Politiker ID: 11005074

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Guten Morgen! Lassen Sie mich kurz mit einem aktuellen Ereignis anfangen: Gestern Abend, um ungefähr 22.30 Uhr, hat Putin ein Dekret veröffentlicht, wonach europäische Gasversorger jetzt von Russland sanktioniert werden. In Deutschland sind Gazprom und ihre Töchter betroffen, das heißt, einige der Tochterunternehmen bekommen jetzt kein Gas mehr aus Russland. Aber der Markt bietet Alternativen; sie versorgen sich auf dem Markt mit anderem Gas. Wir monitoren die Situation genau. Wir haben uns auf die Situation vorbereitet, und ich bzw. die Bundesnetzagentur werden Sie im Laufe des Tages informieren. Aber die Situation ist so, dass der Gasmarkt den Gasausfall aus Russland kompensieren kann. Sehr geehrte Damen und Herren, es zeigt sich also, dass die Auseinandersetzung um Energie eine Waffe ist und dass Energie in einem Wirtschaftskonflikt hart eingesetzt werden kann. Insofern sind all die Anstrengungen, die wir im Moment unternehmen und unternehmen müssen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, nicht das Gegenteil dessen, was wir jetzt gleich diskutieren, sondern: Die Voraussetzung dafür, dass wir in Zukunft energiesicher sind, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. ({0}) Es gibt eine direkte Linie von dem Abschied von fossilen Energien aus Russland hin zum Abschied von fossilen Energien insgesamt. ({1}) Das bedeutet: Ausbau der erneuerbaren Energien. ({2}) Das vorgelegte Paket ist die größte Energiemarktreform seit Jahren; ich würde sagen: seit Jahrzehnten. ({3}) Es ist ein Paket, das verschiedene Gesetze zusammennimmt. Das wichtigste und das größte ist das EEG; aber auch das Windenergie-auf-See-Gesetz und die EnWG-Novelle gehören dazu. Es ist eine fundamentale Neuausrichtung des gesamten Energiesektors auf Treibhausgasneutralität; und auch die ist dringend geboten bei allem, was uns in Europa und in Deutschland im Moment mit Blick auf die russischen Lieferungen bedrückt. Wir dürfen den Blick auf den großen Horizont nicht verlieren. Die UN hat vor einigen Tagen gesagt, dass mit einer großen Wahrscheinlichkeit in den nächsten fünf Jahren das 1,5‑Grad-Ziel überschritten wird – vielleicht noch nicht dauerhaft, aber dieses „vielleicht“ hängt ganz maßgeblich vom menschlichen Tun ab, von politischen Entscheidungen. Das heißt, die Zeit läuft uns buchstäblich davon. Der Krieg und die Toten im Krieg in der Ukraine – das ist schlimm, das ist furchtbar. Aber Sie werden mitbekommen haben, dass an anderen Stellen der Erde Ernteausfälle, Hungersnot und Katastrophen drohen, weil die Erdatmosphäre sich in einem dramatischen Ausmaß erhitzt. Wir haben die Chance, dagegen anzuarbeiten; und wir tun es mit diesem Gesetzespaket, das wir heute vorlegen. ({4}) Das Gesetzespaket setzt die Ziele, die die alte Bundesregierung schon beschlossen und die diese Bundesregierung übernommen hat, in konkrete Maßnahmen um. Wir werden die Treibhausgasemissionen damit bis 2030 um 65 Prozent senken und bis 2040 um 88 Prozent. Wir werden die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien bis 2030 auf 80 Prozent anheben und dann in der Mitte der 30er-Jahre im Strombereich die Treibhausgasneutralität erreichen können. Wir richten den Netzausbau diesen Anforderungen entsprechend neu aus. Wir heben die Ausschreibungsmengen für Windenergie auf See, also offshore, an. Wir nutzen dafür neue Instrumente, die noch nicht ausgewiesene Flächen ebenfalls in die Ausschreibung geben, sodass die Industrie dann die Chance hat, diesen Windstrom auch verstärkt für die Produktion von Wasserstoff zu nutzen. ({5}) Wir sorgen außerdem dafür, dass die Beteiligung der Menschen in diesem Land an den erneuerbaren Energien deutlich gesteigert wird: Bürgerwindparks, ({6}) Eigenstromverbrauch, die Möglichkeit der Kommunen, von den Windparks zu profitieren – all das wird deutlich angehoben, sodass die Demokratisierung des Energiesystems, die Teilhabe der Menschen am Energiesystem tatsächlich noch mal deutlich angehoben und erweitert wird, bis an die Grenze des Möglichen. ({7}) Wo ich die Zwischenrufe hier von ganz rechts höre ({8}) – hören Sie mir kurz zu; jetzt wird es interessant: – ({9}) Sie werden vielleicht mitbekommen haben, dass gestern ein schwedisches Unternehmen – Northvolt – eine Investitionsentscheidung von 4,5 Milliarden Euro zur Batterieproduktion in Deutschland getroffen hat. Dieses Unternehmen hat europaweit nach dem besten Standort gesucht. Es hat sich für einen Standort entschieden, ({10}) der die höchste Durchdringung mit erneuerbaren Energien hat. Es hat sich europaweit für den Standort entschieden, wo die meisten erneuerbaren Energien verfügbar sind. ({11}) Das zeigt, dass wir nicht nur das Klima schützen, dass wir nicht nur außen- und sicherheitspolitische Souveränität gewinnen, sondern Wohlstand und Wertschöpfung, Arbeitsplätze und die Industrie der Zukunft jetzt aufbauen. ({12}) Wir schaffen damit auch die Zukunft für den Wohlstand in diesem Land. Alles spricht dafür, jetzt mit großer Geschwindigkeit und mit großer Entschlossenheit den Ausbau der Erneuerbaren und die Klimaneutralität umzusetzen. Vielen Dank. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitens der Unionsfraktion befürworten wir aus Überzeugung und mit Nachdruck das Ziel eines beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien. Es ist eine notwendige Antwort auf die Klimakrise, und es macht uns unabhängiger von fossilen Importen aus Russland. Da muss jetzt beherzt und energisch vorangegangen werden. Das ist unsere Linie in diesen Beratungen. Es geht uns dabei darum, das, was wir hier tun, in einen europäischen Kontext zu bringen, es auch durch globale Energie- und Klimapartnerschaften voranzubringen. Das beherzte Handeln hier in Deutschland und das Bekenntnis zum internationalen Klimaschutz sind zwei Seiten einer Medaille. Wir sollten immer im Kopf haben: Das, was wir hier machen, muss innovativ sein, muss weltfähig sein, muss dazu angelegt sein, dass wir – gemeinsam mit Partnern – Klimaschutz durch eine nachhaltige Energieversorgung voranbringen. Das ist unser Maßstab. ({0}) Herr Minister Habeck, Sie haben ein umfassendes Paket vorgelegt. Das Ziel, Hemmnisse abzubauen, unterstützen wir. Wir stellen aber fest: Viel Papier führt nicht automatisch zu schnellem Fortschritt. Wir stellen fest, dass Sie einen starken Schwerpunkt auf Sonnenenergie und Wind setzen. Das teilen wir; sie werden den größten Beitrag leisten. Wir stellen aber auch fest, dass es in Ihrem Entwurf bei Geothermie, Biomasse und Wasserkraft Regelungen gibt, die die Potenziale auch dieser erneuerbaren Energien nicht ausnutzen. Deshalb ist unser Anspruch, in den Beratungen dazu zu kommen, dass die Potenziale aller erneuerbaren Energien ausgeschöpft werden, dass bestehende Hemmnisse abgebaut werden und dass keine neuen Hürden eingezogen werden. Letzteres nehmen wir aber bei dieser Vorlage wahr. Das ist die grundsätzliche Linie. Ich will aber auch ganz konkret sagen, wo wir diese Hemmnisse sehen. Es soll – aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können – eine Deckelung zur Einspeisung von Biomethan in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen geben. Ich bitte die Vertreter der Koalition zu erklären, warum. Sie haben doch in vielen Reden hier und in der Öffentlichkeit zu Recht gesagt: Wir müssen jetzt alles tun, um von russischem Gas wegzukommen. Wir müssen alles tun, um es durch heimische Produktion zu ersetzen. – Da haben wir eine Möglichkeit, und ausgerechnet die soll jetzt in Ihrem Entwurf gedeckelt werden; das werden wir nicht mittragen. ({1}) Sie wollen auch einen Deckel für Modernisierungen bei der Wasserkraft einziehen. Wir sind der Meinung, dass auch die Wasserkraft mit ihren Möglichkeiten einen Beitrag leisten muss, dass es falsch ist, sie nachrangig zu behandeln, dass es falsch ist, mit Ihren Vorschlägen zur Vergütung Modernisierungen zu verhindern, weil Modernisierungen nicht nur zu mehr erneuerbaren Energien, sondern auch zu besseren Bedingungen bei der Gewässerökologie führen. Sie wollen in Ihren Vorschlägen einen Deckel bei der Wasserkraft einziehen. Die Wasserkraft ist das faule Ei in Ihrem Osterpaket; das muss sich ändern, und so werden wir uns in den Beratungen einbringen. ({2}) Wir unterstützen ausdrücklich alle Vorschläge, die dazu geeignet sind, gerade die Wärmeproduktion durch Geothermie voranzubringen, dabei auch Akzeptanz zu schaffen und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Da ist im Gesetz bereits länger die Ankündigung enthalten, dass es irgendwann eine Degression gibt, ohne zu sagen, wann die kommen könnte. Wir sind der Meinung, dass wir das in einer gemeinsamen Initiative konkretisieren sollten. Denn die Unsicherheit – wann könnte es unter welchen Bedingungen eine Degression geben? – widerspricht der Planungssicherheit; deshalb müssen wir auch da besser vorankommen. Ausdrücklich unterstützen wir die Bemühungen, Sonnenenergie zu nutzen, zum Beispiel auf Dächern, auf Parkplätzen, auf Gewerbeflächen, auf Konversionsflächen, auch in der Doppelnutzung, um Nutzungskonflikte zu vermeiden. Wir glauben aber, dass das, was im Erneuerbare-Energien-Gesetz gemacht wird, durch eine ganz klare Botschaft ergänzt werden muss, nämlich: Steuerfreiheit für die kleinen PV‑Anlagen bis zu einer installierten Leistung von 30 kW. Wir haben in der letzten Periode einen Anfang gemacht bis 10 kW. Es gibt eine Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg, vorgestellt von dem grünen Finanzminister, die wir unterstützen. Es wäre eine ganz klare Botschaft: Wer so eine Anlage auf seinem Dach installiert, zahlt keine Steuern. – Das wäre eine Ermunterung für den Ausbau erneuerbarer Energien, es wäre ein Abbau von Bürokratie und würde automatisch einen Schub bringen. Das werden wir in die Beratungen einbringen. ({3}) Beim Ausbau der Windenergie, die beschleunigt werden muss – auch dieses Ziel teilen wir –, ({4}) machen Sie Vorschläge zum Ausgleich zwischen erneuerbaren Energien und Artenschutz. Bei anderen Vorschlägen im Planungsverfahren, die richtig sind, möchten wir darauf drängen, dass der Gedanke der Regionalplanung verstärkt wird. Die Regionalplanung ist die Möglichkeit, Ziele verbindlich festzulegen ({5}) und diese dann im Planungsverfahren, im Dialog tatsächlich zu erreichen, aber gleichzeitig Akzeptanz für andere Anliegen zu schaffen. Das ist uns ein besonders wichtiges Anliegen, und das kann nur in einer engen Abstimmung mit den Bundesländern erreicht werden. Wir brauchen ein breites gesellschaftliches Bündnis. Das beginnt aber damit, dass Ihrer Reise durch die Bundesländer jetzt echte Verhandlungen folgen, in denen man sich auf Ziele, Instrumente und ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Wir haben die Erwartung, dass das jetzt der nächste Schritt ist. Das haben wir bisher nicht wahrgenommen; es ist aber notwendig, um die Fortschritte, die notwendig sind, mit breiter Akzeptanz voranzubringen. Herzlichen Dank. ({6})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Nina Scheer. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits vor dem russischen Angriffskrieg und den sich anschließenden Maßnahmen zur Beendigung der Importabhängigkeiten von Energie aus Russland war der schnellstmögliche Umstieg auf erneuerbare Energien die zwingende und schlüssige Konsequenz zur Begrenzung des menschengemachten Klimawandels. Nun muss aber vor dem Hintergrund des Angriffskrieges jetzt erst recht gelten, diese Politik beschleunigt zu verfolgen, auch um nicht erpressbar zu werden. Wie Bundesminister Robert Habeck gerade erläuterte, kündigte Russland gestern nun Sanktionen gegen Teile des Gaskonzerns Gazprom Germania an, der seit Anfang April unter der Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur steht. Es ist noch offen, welchen Einfluss dies auf die weiteren Importe haben wird, auch wenn aktuell die Gasversorgung gesichert ist. Genau zu beobachten ist aber an dieser Stelle auch, dass vonseiten der Ukraine zurzeit ein Durchleitungsstopp von Gas aus Russland verfolgt wird. Es muss auch hier ausgeschlossen werden können, dass diese Maßnahmen ein gegen Deutschland gerichtetes Druckmittel sind; auch dies wäre inakzeptabel. ({0}) Wirtschaft und Gesellschaft sind auf eine verlässliche Energieversorgung angewiesen, und zwar weltweit. Bereits die Endlichkeit fossiler Ressourcen bei gleichzeitig steigender Weltbevölkerung und noch dringlicher die Klimafolgenwirkungen aus Verbrennung fossiler Energieressourcen erfordern verstärktes Handeln. Wir brauchen den schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien. Wir brauchen die Beseitigung von Mengenbegrenzungen, die sich über die letzten Jahre angehäuft haben. Und wir brauchen die Beseitigung vieler versteckter Planungshemmnisse. ({1}) In diesem Handeln steckt die Chance auf Energiesicherheit, auf Überwindung von Konflikten und Kriegen um fossile Ressourcen – die wir etwa in den Irakkriegen schon hatten – und auch auf Vermeidung von massiven Gesundheitsschäden, die durch die Verbrennung fossiler Ressourcen sowie weitere Klima- und Umweltfolgewirkungen entstehen. In diesem Handeln steckt außerdem die Chance, Biodiversitätsverluste durch Klimawandel zu vermeiden. Der beste Garant, Arten zu erhalten, ist, den Klimawandel zu stoppen. ({2}) Wenn wir nun mit dem Osterpaket, ({3}) das wir jetzt parlamentarisch verhandeln, für 2030 von 750 Terawattstunden Bedarf an Strom ausgehen, ist das deutlich mehr als die heute benötigten rund 560 Terawattstunden. Und wenn wir dann von diesen 750 Terawattstunden 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien haben wollen – so steht es in unserem Koalitionsvertrag –, ({4}) dann ist das so viel, wie wir heute an Energie dann hätten. ({5}) Das haben wir vor. In acht Jahren wollen wir 80 Prozent erreichen. Das ist die Menge, die auf heute bezogen eine 100-prozentige Versorgung durch erneuerbare Energien bedeutet. Das ist ein großer Kraftakt, das ist aber auch notwendig, um genau diese Schwierigkeiten, die ich gerade erläutert habe, zu überwinden. Es muss uns klar sein: Die erneuerbaren Energien sind die kostengünstigsten Formen, Energie zu gewinnen. ({6}) Je schneller wir es schaffen, auf diese umzusteigen, desto schneller machen wir uns unabhängig ({7}) von Preissteigerungen und desto schneller machen wir uns unabhängig von Erpressbarkeit, die aktuell wegen Importabhängigkeiten bestehen. ({8}) Um noch mal kurz anzuschließen: Die Sonne schickt uns keine 20‑jährigen oder 15‑jährigen Vertragsbindungen ({9}) oder mit Franz Alt gesprochen: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“. Solange die Nutzung fossiler Energien noch nicht gänzlich überwunden wurde und aktuell an einem Umstieg auf alternative Bezugsquellen auch für fossile Energien gearbeitet wird, darf es zu keiner schleichenden, faktischen Bevorzugung von fossilen Energieträgern gegenüber erneuerbaren Energien kommen. Wenn wir heute etwa auch das LNG-Gesetz einbringen, auf das meine Kollegen Timon Gremmels und Bengt Bergt noch eingehen werden, wird es auch darauf ankommen, das hier verbriefte überragende öffentliche Interesse, das angesichts der Notlage für den Bau von LNG-Anlandungsmöglichkeiten verbrieft ist, auch auf erneuerbare Energien zu übertragen. ({10}) Es darf nicht sein, dass wir durch die Prioritätensetzungen, die angesichts des Krieges auf uns hereinprasseln, zu einer schleichenden Zielverschiebung kommen und wir am Ende von solchen Gesetzgebungsverfahren auf einmal erkennen müssen: Wir haben eine Bevorzugung von fossilen Energieträgern gegenüber erneuerbaren. Nein, das muss umgekehrt sein. Die erneuerbaren Energien müssen immer das Bevorzugte sein, ({11}) sonst lähmen wir uns in der Energiewende, statt sie zu befördern. ({12}) Herr Jung, um auch darauf einzugehen: Natürlich darf es auch keine neuen Deckelungen im Kontext der europäischen Rahmensetzung geben, sondern die erneuerbaren Energien sind ohne Deckelung voranzubringen. Das ist das Primat der erneuerbaren Energien. Es stellt sich zudem die Aufgabe, Engpässe zu überwinden. Wir haben massive Lieferkettenschwierigkeiten; diese betreffen natürlich auch die Energiewende. Auch hier müssen wir schnellstens handeln. ({13}) Es darf nicht sein, dass die Auswirkungen sich auch in der Energiewende niederschlagen. Wir haben mit dem Osterpaket enorme Weichenstellungen vor, um die Planungshemmnisse, die Genehmigungshemmnisse zu überwinden. Eine Reihe von Maßnahmen ist dort enthalten. Weitere folgen noch durch weitere Vorlagen, wie auch das Beschleunigungsgesetz für Windkraftanlagen, das uns in den nächsten Wochen erreichen wird. Ich freue mich auf die konstruktive Zusammenarbeit in der Ampelkoalition, die wirklich vieles vorhat und vieles schon angeschoben hat. Jeder ist eingeladen, dies konstruktiv zu begleiten. Vielen Dank. ({14})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Steffen Kotré. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Habeck, wenn die Russen jetzt Gegensanktionen machen, dann ist das doch nur eine Reaktion auf den Umstand, dass Sie angefangen haben, Energie als Waffe einzusetzen. ({0}) Sie haben doch vom Ölembargo gesprochen, das Sie neben vielen anderen Dingen umsetzen wollen. Wenn jetzt der Bumerang zurückkommt, dann muss man sich eigentlich nicht wundern. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist eben kein Abschied von den Fossilen. Das ist einfach nur ein Abschied von der Vernunft, meine Damen und Herren, weil wir ohne die Fossilen gar nicht auskommen. ({1}) Natürlich haben Sie richtigerweise angesprochen, dass wir in der Welt jetzt mit der Versorgung mit Lebensmitteln immer mehr Probleme haben; aber wir sehen auch, dass wir Energiearmut haben. Und wir tragen dazu bei, indem wir unsere Energieversorgung schreddern und mit diesen sogenannten Erneuerbaren Wolkenkuckucksheim machen wollen. Das funktioniert nicht. Wir sehen, dass die Energieversorgung nachlässt und abgebaut wird. ({2}) Und dann ist natürlich klar, dass wir dann keine Energie mehr zur Verfügung haben. Die sogenannte Bürgerenergie, von der ich immer höre, wonach sich die Bürger selber um die Stromerzeugung kümmern sollen, ({3}) ist doch irgendwie ein Zeichen, dass wir wieder zu mittelalterlichen Zuständen zurückkommen. ({4}) Nein, wir haben Arbeitsteilung in unserer Volkswirtschaft. In dieser sind Unternehmen dafür zuständig, den Strom zu erzeugen. ({5}) Frau Dr. Scheer, die erneuerbaren Energien sind nicht billiger als die fossilen, sondern teurer. ({6}) Bestes Beispiel: Streichen wir doch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dann streichen wir damit auch die Subventionen. Sie werden sehen, dass die erneuerbaren Energien dann nicht mehr ausgebaut werden können, weil sie völlig unökonomisch sind. Das ist das beste Beispiel. ({7}) Die Fossilen werden nicht bevorzugt. Nein, im Gegenteil: Sie werden behindert, eben genau durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, weil sie nämlich immer dann zurücktreten müssen, wenn die erneuerbaren Instabilen ins Netz eingespeist werden müssen. Es ist also völliger Kokolores, zu sagen, dass Fossile hier bevorzugt werden. ({8}) Man kann im übertragenen Sinne sagen, dass der Ausbau der Windenergie ein Ausbau von parasitärer Energie ist. ({9}) Denn diese wetterabhängigen Windindustrieanlagen brauchen die fossile Stromerzeugung immer dann, wenn sie aussetzen und keinen Strom erzeugen. Dann springen nämlich die Fossilen ein. So ist das nämlich und nicht anders. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz erhält die erneuerbaren instabilen Energien einfach nur künstlich am Leben, meine Damen und Herren. ({10}) Wenn wir uns die Windindustrieanlagen anschauen, dann sehen wir, dass das Umweltverschmutzer sind: Beton, Stahl, Öl und Kahlschlag in unserer Landschaft, Lärm auf Feld und Flur. ({11}) Nunmehr lesen wir, dass diese Industrieanlagen leider sogar in Naturschutzgebieten aufgestellt werden dürfen. Das ist ein völliges Unding. Es gab mal eine Umweltschutzpartei. Die ist aber leider längst beerdigt. ({12}) – Es gab auch mal eine Friedenspartei. Die ist auch beerdigt. ({13}) Das Gegenteil ist leider der Fall. Wenn wir uns die Windindustrieanlagen noch mal genau anschauen: Es gibt neuste Studien, die sagen, sie führen zu mehr Wärme und Trockenheit im Mikroklimabereich; neuste Studien sagen das. Das ist ja genau das Gegenteil von dem, was Sie vorgeben mit diesen Windindustrieanlagen eigentlich bewirken zu wollen. Insofern ist das wieder ein irrationaler Aspekt in dieser gesamten irrationalen Energiepolitik, in dieser gesamten weltdümmsten Energiepolitik, meine Damen und Herren. ({14}) Woran erkennen wir Diktaturen? Wir erkennen sie an der Einschränkung der Rechte. Woran erkennen wir die Anfänge einer links-grün-gelben Ökodiktatur? ({15}) Eben genau an der Einschränkung der Einspruchsmöglichkeiten für die Bürger. Wenn ich höre, dass schon wieder diskutiert wird, dass man die Abstandsregeln zu Wohnhäusern schleifen will, dass also jeder in seinem Vorgarten so eine Windindustrieanlage hingestellt bekommen kann und dann auch noch der Prozessweg eingeschränkt ist, meine Damen und Herren, dann hat das nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun, so wie wir ihn verstehen und so, wie wir von der AfD ihn auch verteidigen. ({16}) Windindustrieanlagen jetzt noch als Gegenstand der nationalen Sicherheit zu deklarieren, ist ja nun völliger Hohn. Im Gegenteil: Diese Windindustrieanlagen sind ein nationales Sicherheitsrisiko für Mensch, für Tier, für Umwelt und für die Versorgungssicherheit. ({17}) Setzen wir lieber auf Kernenergie. ({18}) Damit kommen wir besser voran. Danke schön. ({19})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Michael Kruse. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kotré, Sie sprechen von den Anfängen einer Diktatur. ({0}) Ich stelle mal fest: In diesem Land besteht Meinungsfreiheit. Die Tatsache, dass Sie von diesem Pult hier jeden Stuss absondern dürfen, den Sie sich so überlegen, ist das beste Indiz dafür, dass in diesem Land Meinungsfreiheit besteht, Herr Kotré. ({1}) Ich kann ja verstehen, dass Sie sich gerne weiterhin auf Russland verlassen möchten. Ein Blick auf die Zahlungsströme, die es in Ihre Richtung gibt, legt nahe: Sie können diesen Abstand auch finanziell nicht gut verkraften. ({2}) Aber wir alle wissen, dass die letzten beiden Großen Koalitionen sich genau wie Sie auf Russland verlassen haben. Ich stelle fest: Jetzt sind wir verlassen, weil wir uns zu lange auf Russland verlassen haben. ({3}) Deswegen unternehmen wir jetzt mit Höchstgeschwindigkeit alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um uns von Russland unabhängig zu machen. Deswegen besprechen wir hier heute das LNG-Infrastrukturbeschleunigungsgesetz. Deswegen gehen wir mit Full Speed voran, wenn es darum geht, jetzt Alternativen zu schaffen zu dem, was Sie gerne noch weiter etablieren würden. ({4}) Wir gehen diesen Weg nicht mit, und zum Glück folgt uns ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wir machen aktuell den größten Ausbau der erneuerbaren Energien, den es in den letzten 25 Jahren oder wahrscheinlich jemals gegeben hat. ({6}) Mit diesem großen Ausbau ist auch eine große Verantwortung verbunden, insbesondere auch für uns hier im Hause im Verfahren. Denn es ist ja nicht üblich, dass – wie in diesem Verfahren – ein Gesetzentwurf durch das Kabinett geht und es an der einen oder anderen Stelle abgestimmterweise noch Diskussionsbedarf gibt. ({7}) Ich bin dem Minister deswegen sehr dankbar, dass er hier an dieser Stelle die entsprechenden Punkte entsprechend eingeordnet hat. Denn die Verantwortung für den Erfolg dieses Gesetzes liegt jetzt bei diesem Haus. ({8}) Und auch die Verantwortung für eine Einigung über wichtige Ziele, ({9}) die wir mit diesem Gesetz erreichen wollen, liegt bei diesem Haus. Gerade in Richtung derjenigen, die hier jetzt immer dazwischenschreien, sage ich auch: Sie liegt nicht nur bei denjenigen, die hier die Regierung tragen, sondern Einfluss auf dieses Verfahren hat jeder einzelne und jede einzelne Abgeordnete. ({10}) Wir haben mit den beiden Gesetzgebungsverfahren, die wir jetzt bereits abgeschlossen haben, im Bereich der Gasspeicher und im Bereich der Energiesicherheit gezeigt, dass wir konstruktive Hinweise aus der Opposition sehr wohl bereit sind nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in unsere Gesetze einzuarbeiten. ({11}) – Herr Kollege, das ist nicht großzügig, sondern das ist klug. ({12}) – Nein, ich tue nicht nur so, sondern wir nehmen gute Ideen auf, auch aus der Opposition; dafür sind wir uns nicht zu fein. ({13}) – Wissen Sie, was das Problem mit Ihnen ist? ({14}) Das Problem ist: Aus Ihrer Richtung ist noch kein einziger konstruktiver Vorschlag für unsere Gesetze gekommen. Das ist das ganze Problem. ({15}) Wir wollen mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz dafür sorgen, dass wir klimaneutrale Energieversorgung erreichen. Wir möchten, dass in Deutschland ein Luxusgut zum Standardgut wird. Das ist das, was wir hier machen. Wir sorgen dafür, dass die erneuerbaren Energien für jeden bezahlbar werden. Wir sorgen auch dafür, dass an den Stellen, an denen es eine riesige Kostendegression gibt – die haben die Erneuerbaren nämlich in allen Bereichen hingelegt; Sie haben das nicht zur Kenntnis genommen; aber das ist ja trotzdem der Fall – und sie so groß ist, dass es möglich ist, auch ein Einstieg in den Ausstieg der Dauersubventionierung erfolgt; denn es ist nicht das Ziel – –

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Kruse, Entschuldigung, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, selbstverständlich. – Aber von wem denn? ({0}) – Ich habe eine Zwischenfrage zugelassen. Vielleicht hören Sie zu, wenn die Präsidentin mit mir spricht oder ich mit ihr spreche! ({1})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben. – Sie haben gesagt, Sie würden konstruktive Vorschläge von uns würdigen. Wir haben gestern erlebt, dass Sie beim EnSiG unseren Vorschlag abgelehnt haben, obwohl wir mehrfach vorher auf das Problem hingewiesen haben, dass es bei den Treuhändern im Bereich der fossilen Energien, also natürlich insbesondere Gazprom Deutschland und Rosneft, ungelöste Rechtsfragen gibt. Wir haben dazu gestern einen Änderungsantrag gemacht; den haben Sie abgelehnt. Das heißt, Ihr Vorwurf, wir würden gar keine Vorschläge machen, ist so wohl nicht zutreffend. ({0}) Die Frage ist also: Warum haben Sie den Änderungsantrag eigentlich abgelehnt?

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das kann ich Ihnen gerne beantworten. – Aber zunächst mal: Alles, was ich hier eben am Rednerpult gesagt habe, hat sich in dieser Sache ausdrücklich nicht an Ihre Fraktion gerichtet, ({0}) vielmehr hatte ich ja darauf hingewiesen, dass es aus Ihrer Fraktion auch konstruktive Hinweise zum EnSiG gab. Nun ist ja die Debatte zum EnSiG heute Abend; deswegen werde ich die nicht in Gänze vorziehen. Aber Sie haben sicherlich zur Kenntnis genommen, dass wir Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion intensiv in den Beratungsprozess zu diesem Gesetz eingebunden haben, auch wesentlich intensiver, als das üblich oder notwendig ist; und das hatte ja Gründe. Die Gründe dafür waren, dass wir dieses Gesetz in wirklich hohem Tempo durch dieses Haus gebracht haben. Und wir haben als Regierungsfraktion eben auch die Verantwortung verstanden, Oppositionsfraktionen auf den Weg mitzunehmen und auch konstruktive Hinweise aus diesem Bereich aufzunehmen. Sie finden das im Bereich des EnSiG etwa wieder bei der Verordnung, die es für den Fall geben muss, dass wir schwerwiegende eigentumsrechtliche Eingriffe vornehmen. In diesem Fall muss eine Verordnung hier auch durch den Deutschen Bundestag; sie ist sogar genehmigungspflichtig. In drei Sitzungswochen muss das passieren. Dieser Vorschlag wurde, wie ich Ihnen sagen kann, explizit in der ersten Lesung hier in diesem Hause von Ihrem Kollegen Jung geäußert. Das ist etwas, das wir aufgegriffen haben, weil es ein sehr kluger Ratschlag war, und wie Sie hören, bin ich mir auch gar nicht zu fein dafür, diese klugen Ratschläge von dieser Stelle aus zu loben. Das heißt allerdings nicht, dass jeder Vorschlag, der aus einer Oppositionsfraktion kommt, am Ende auch im Gesetz drinstehen wird. Ich glaube, das allerdings werden Sie mir nachsehen können. Insofern: Ich habe jetzt erläutert, welche konstruktiven Vorschläge wir wann aufgenommen haben. An dieser Stelle ist es bei diesem einen geblieben. Alles Weitere dazu dann vielleicht in der Debatte heute Abend, Herr Kollege. ({1}) Zurück zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, worüber wir hier eigentlich gerade debattieren. Wir haben schon im Koalitionsvertrag wichtige Weichenstellungen vorgenommen und uns Ziele gesetzt. Wir haben das öffentliche Interesse der erneuerbaren Energien deutlich hervorgehoben, und wir sind auch auf dem wichtigen Weg, uns alle anderen Bereiche, die hier, in der Öffentlichkeit und in der Fachöffentlichkeit kritisch diskutiert werden, noch einmal anzuschauen. Die kleine Wasserkraft ist angesprochen worden. Ich kann für meine Fraktion sagen, dass es uns auch sehr wichtig ist, darauf zu schauen, dass das Geld, das wir hier für den Ausbau der Erneuerbaren einsetzen, auch wirklich die volle Wirkung entfaltet, dass wir also sehr darauf gucken werden, welchen Grenznutzen der eingesetzte Euro hat, dass wir ihn gerade da einsetzen, wo er den maximalen Nutzen erzielt, damit wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren bestmöglich und schnellstmöglich vorankommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Klaus Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht nur ein Gebot der Stunde; denn das war er eigentlich auch schon vorher. Deshalb unterstützen wir natürlich voll die Richtung, in die es jetzt geht. Mich freut es auch, dass jetzt auch die Union voll mitmacht. Herr Jung, das war ja nicht immer so. Im letzten Jahr habe ich den Eindruck gehabt: Sie standen da eher ein bisschen auf der Bremse; das hat auch Ihr damaliger Koalitionspartner oft bemängelt. ({0}) Wenn wir jetzt eine neue Dynamik haben, dann ist es gut und richtig. Die Ziele sind sehr ambitioniert: Windenergie in 8,5 Jahren verdoppeln, dreieinhalbmal so viele Photovoltaikanlagen, mehr als viermal so viel Windenergie auf See, wenn ich es richtig verstanden habe. Ich glaube, wir müssen auch darüber reden, was alles passiert, wenn wir das vielleicht nicht erreichen, und dann über die Schranken reden, die wir versuchen müssen zu beseitigen, dass wir dieses Ziel auch erreichen; denn bis jetzt steht es ja nur auf dem Papier. Bis jetzt ist noch nichts passiert. Das heißt: Bis jetzt haben wir noch genau dieselben Abhängigkeiten wie vorher, und die wollen wir ja ändern. Ich sage Ihnen eins, was dem entgegensteht, was Sie vorhaben. Das ist die Frage „Wie entwickeln sich eigentlich die Preise?“, weil alles, was Sie vorschlagen, ein Höchstmaß an Investitionen erfordert, auch der Privaten. Und wenn ich dann den Privaten zuhöre – wir hatten am Montag eine Anhörung bei uns im Ausschuss für Klimaschutz und Energie –, dann stelle ich fest, dass zum Beispiel die Glasindustrie sagt, dass allein durch die Preissteigerung bei Energie, die wir zurzeit haben, ein sinnvoller Betrieb von Glashütten in der Bundesrepublik kaum noch möglich ist. ({1}) Wir hatten da einen, der hat sogar überlegt, seine künftigen Investitionen in den USA zu tätigen und nicht mehr bei uns. Wir haben gleichzeitig hohe Preissteigerungen bei den Investitionen, die wir brauchen, um das, was wir mit erneuerbaren Energien erreichen wollen, auch umsetzen zu können. Da sage ich: Da müssen wir schon darüber nachdenken, ob das, was wir da momentan machen, auch hinsichtlich der Sanktionen, Herr Habeck, wirklich zielführend ist. Wenn wir den Russen dauernd sagen – wir sind ja die, die das sagen; denn bis jetzt liefern die Russen an uns jedenfalls zuverlässig, bis jetzt! –: „Wir nehmen euch euren Kram nicht mehr ab“, dann ist natürlich auch irgendwann zu überlegen: Was machen dann eigentlich die anderen? Also beim Schach habe ich gelernt: Wenn ich einen Zug mache, muss ich, bevor ich den mache, überlegen: Was macht der andere? Was kommt jetzt? Wie kann der reagieren? Selbstverständlich hätten wir, wie wir jetzt wissen, ein Riesenproblem, wenn das eintritt, was Sie am Anfang Ihrer Rede dargestellt haben, also wenn wir tatsächlich aufgrund dessen, wie die Russen jetzt reagieren, einen Energieversorgungsstopp bei Gas hätten. Also wäre es doch jetzt auch Ihre Aufgabe als Bundesregierung, zu gucken: „Wie können wir das verhindern?“, nicht nur zu fragen: „Wie können wir weiter unsererseits mit Sanktionen drohen?“, sondern auch: „Können wir das verhindern?“ Denn ich habe den Eindruck: Wenn wir so weitermachen, gefährden wir mit unserer Politik auf dieser Seite die Energiepolitik, die wir wollen, auf der anderen Seite, und dann haben wir mit Zitronen gehandelt. Dann haben wir nichts erreicht. ({2}) Ich habe den Eindruck: Das ist noch nicht so richtig klar. Nehmen wir die Raffinerie in Schwedt. Ich war dort, und Sie waren auch dort. Ich war vorher dort. ({3}) – Es war halt so; ich konnte es nicht verhindern. ({4}) Wenn ich mit den Leuten spreche, sagen sie: Ja, wir haben da ein Riesenproblem, weil die Logistik für Alternativen, damit wir die Ölversorgung weiterbetreiben können, überhaupt noch nicht gegeben ist. Wenn ich dann die Vorschläge nachrechne, die es gibt, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass es keineswegs so ist, dass die Raffinerie in irgendeiner Weise gesichert ist. Also, ich bitte Sie einfach, darüber nachzudenken, dass, wenn man die Ziele umsetzen will, die Sie hier vortragen – und die sind ja gut und richtig; die unterstützen wir auch gerne –, wir dann auch alles dafür tun müssen, dass es auch klappt. Und klappen tut es nicht, wenn man durch die Maßnahmen, die wir sonst ergreifen, zu einer Preisentwicklung beitragen, die nicht nur die Bürger in einer unerträglichen Weise belastet, sondern auch die Unternehmen, weil sie die Investitionen, die sie für neue Energien brauchen, nicht haben. Und deshalb überlegen Sie bitte, ob das alles richtig ist, was Sie tun. Ansonsten sind Ihre ambitionierten Ziele, die wir nachdrücklich unterstützen, eigentlich für die Tonne. Herzlichen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Julia Verlinden. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf das angesprochene LNG-Gesetz eingehen, das wir jetzt im Parlament beraten werden. Dabei ist natürlich wichtig, dass wir uns mit den europäischen Partnern abstimmen und auch deren geplante Kapazitäten im Blick haben. Dazu gehört natürlich, dass wir bei den aufzubauenden Kapazitäten sorgfältig auf eine gute Balance zwischen selbstverständlich notwendiger Notfallabsicherung für den Fall der Fälle in den nächsten Jahren und der Wirtschaftlichkeit dieser Kapazitäten achten. Selbstverständlich gehört dazu, dass die Laufzeit für die Nutzung fossilen Flüssiggases auch auf die Klimaziele abgestimmt wird und – last, but not least – dass es eine in dieser Krisensituation angemessene Beteiligung der Träger öffentlicher Belange gibt. ({0}) Denn klar ist doch, dass der Erdgasverbrauch bei uns in Europa in den nächsten Jahren deutlich sinken wird und zugleich die dringend notwendige Infrastruktur auch für Wasserstoff aufgebaut werden muss. Ich denke, wir werden sehr verantwortungsvoll und zügig diesen Gesetzentwurf beraten. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine fundamentale Transformation unserer Gesellschaft steht an. Wir handeln gegen die stetig steigenden Temperaturen und, um die eskalierende Klimakrise abzubremsen. Vorgestern teilte die Weltwetterorganisation mit, dass ein Überschreiten der 1,5‑Grad-Grenze schon bis 2026 möglich sei. In Deutschland haben wir im Jahresdurchschnitt eine Erhitzung um 2 Grad schon fast erreicht, und hier in Berlin und Brandenburg geht es jetzt in das fünfte Jahr der Dürre. Das Gesetzespaket ist ein wichtiger Schritt gegen das Fieber des Planeten und zugleich eine Krisenreaktion gegen hohe Energiepreise, gegen fossile Inflation und gegen fossile Abhängigkeiten. ({2}) Was wir heute im Parlament einbringen, das hätte schon vor Jahren passieren müssen. Wir stellen als Erstes den Zielkorridor neu auf, mit Ausbaupfaden bei Windenergie und Solarenergie, die uns auf den Weg zu einem dekarbonisierten Stromsektor bringen. Es liegen noch einige Wochen Debatten vor uns, bis wir uns hier zum Beschluss dieser Gesetzesnovelle wiedersehen. Aber schon jetzt ist sicher: Wir werden uns dafür einsetzen, die besten Bedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen, die wir in den letzten 20 Jahren hatten. ({3}) Damit ist das Startsignal für den Turboausbau jetzt da. ({4}) Im EEG stellen wir nun auch fest, was in diesen Tagen so offensichtlich ist wie nie: Die erneuerbaren Energien sind im öffentlichen Interesse. – Das stand übrigens bereits in einem Entwurf der EEG-Novelle in der letzten Legislatur. Aber Sie von der Union haben das dann schnell lieber wieder gestrichen. Es ist also ein schönes Beispiel für Ihre energiepolitische Kurzsichtigkeit. Mein Appell an Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen: Machen Sie im Wahlkreis Werbung für die erneuerbaren Energien! ({5}) Setzen Sie sich ein für die Freiheitsenergien vor Ort; denn die dezentrale, die erneuerbare Energieversorgung wird vor Ort gemacht. Das gilt für das Repowering von alten Windrädern genauso wie für die Flächenbereitstellung für neue Solarparks. Wir schaffen hier im Parlament die Grundlagen, aber gebaut wird vor Ort. Also, rauf mit der Photovoltaik auf die Dächer, auch auf Turnhallen und auf Rathäuser! Liebe Kommunen, stellen Sie jetzt dringend die benötigten Flächen zur Verfügung! Ermöglichen Sie die dringend notwendigen Investitionen! Alle müssen mithelfen, damit wir schneller sind als die Klimakrise. ({6}) Mit dem neuen EEG wird es außerdem auch endlich wieder Raum für die Bürgerenergie geben. Die Energiewende hat eine große Unterstützung in der Bevölkerung, und Bürgerenergie ermöglicht, dass alle unbürokratisch selbst bei dieser Transformation mitmachen können, zum Beispiel ohne Ausschreibung loslegen können. Zudem hat die Bundesregierung bereits Eckpunkte für ein separates Förderprogramm der Bürgerenergie nach dem Vorbild von Schleswig-Holstein vorgelegt. Ich bin dafür sehr dankbar. Liebe Freundinnen und – – ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir es an! Ich freue mich auf die Beratungen. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Thomas Heilmann. ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Osterpaket-Gläubigen! Wir unterstützen grundsätzlich die Intention Ihres Osterpaketes, den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland drastisch zu beschleunigen. Und ausdrücklich begrüßen und unterstützen wir auch die von Ihnen heute Morgen wieder genannte Begründung, warum wir das brauchen. Wir glauben allerdings nicht, dass Sie Ihre Ziele und den versprochenen Erfolg mit diesen Maßnahmen allein werden erreichen können. Auch die Folgeinitiativen, die Sie ja schon angekündigt haben und die natürlich grundsätzlich auch den richtigen Zielen folgen, werden diese Ziele nicht erreichen. Ostern ist zwar das Fest der Gläubigen. Aber wir sind noch keine Osterpaket-Jünger, und ich sage ausdrücklich: leider! Vielleicht kriegen wir es ja noch hin, wie auch die Ampelredner gesagt haben. Warum werden Sie Ihre Ziele nicht erreichen? Erstens. Sie setzen zu wenig auf den Markt und stattdessen auf kleinteilige Vorgaben. Der Staat kann nicht alles planen, sondern er sollte den Rahmen und die Richtung vorgeben und innerhalb dessen den Markt die beste Lösung finden lassen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Sie geben ziemlich genau vor, welches Geschäftsmodell Sie unterstützen. Entweder man speist vollständig ein, oder man verbraucht den Strom selbst. Kombinationen etwa mit netzdienlichen Speichern stellen Sie schlechter. Sie wollen keine Biomasse – Andreas Jung hat es erwähnt –, selbst dann nicht, wenn sie aus Strohresten oder anderen Abfällen stammt. Wasserkraft lehnen Sie praktisch auch ab. Und nein, Frau Verlinden, auch die Bürgerenergiegesellschaften sind nicht wirklich zufrieden, und ich werde Ihnen gleich ein Zitat von denen vorlesen. Ich will auch sagen, dass Sie die Innovationsausschreibungen jetzt zwar als Instrument fortsetzen, aber in zu geringem Umfang. Diese Gängelungen sind grundfalsch. Oder anders gesagt, gerade an die Adresse der FDP: Freiheitsenergien brauchen Freiheit. ({0}) Das zweite Grundproblem, das wir sehen, ist: Sie wollen nur den Bau von Windrädern und Photovoltaik auf Dächern beschleunigen, was richtig ist. Aber genauso entscheidend im ganzen System sind Übertragungsnetze, sind die Speicher, sind die Transistoren, sind die neuen digitalen Steuerungen, die Geothermie, Elektrolyseure. Alle neuen Elemente für unsere neue Wirtschaft müssen beschleunigt werden, nicht nur bestimmte Teile. ({1}) Denn die gesamte sich transformierende Wirtschaft leidet unter Langsamkeit, unnötigen Vorschriften, Vielfachdokumentationen, widersprüchlichen Bescheiden und vielem mehr. Wir müssen die Komplexität in unserem Staat insgesamt abbauen. Spezialgesetzliche Änderungen sind richtig und wichtig. Aber wenn das Grundproblem unserer blockierten Verwaltung nicht angegangen wird, dann wird Deutschland zu langsam, zu bürokratisch und zu starr bleiben. Das sagen wir übrigens nicht erst jetzt, sondern das sagen wir seit mehreren Jahren und sind ein bisschen enttäuscht, dass die neue Ampelregierung auch bei ihrer Digitalstrategie die wirklich entscheidenden Schritte offensichtlich nicht gehen möchte. Jetzt werden Sie gleich sagen, diese Kritik sei das Nörgeln der Opposition. ({2}) Bitte lesen Sie einmal die vielen Stellungnahmen zu Ihrem Osterpaket. Wie ein roter Faden zieht sich unsere Kritik durch die Analysen der Fachleute und Betroffenen, übrigens auch oft vorgetragen von Institutionen, die sich seit Jahren für klimaneutrale Wirtschaft starkmachen: Der Bundesverband WindEnergie sagt: In ihrer aktuellen Version tragen die Vorschläge keinesfalls ausreichend zu einer Lösung der bestehenden Blockaden bei. Von einem „Bürokratiekarussell über alle föderalen Ebenen“ stöhnt der für Schwertransporte zuständige Chef beim Güterverkehrsamt. Das Bündnis Bürgerenergie, Frau Verlinden, widmet dem Problem ein ganzes Kapitel zum Osterpaket unter der schönen Überschrift „Bürokratische Hürden bleiben – Lösungen werden vertagt“. Das Gesetz dürfe nicht – so wörtlich – „als Schönheitsreparatur in die Geschichte“ eingehen. Gebraucht würde „die längst überfällige administrative Entschlackung des EEG“. Der Solarenergie Förderverein schreibt in seiner Analyse: Der versprochene Bürokratieabbau ist nur in wenigen Punkten umgesetzt worden. In anderen Fällen wurde der Bürokratieaufwand sogar noch erhöht … Das „Handelsblatt“ resümiert: „Warum Habecks ‚Osterpaket‘ auf der Straße stecken bleibt“. Und schließlich formuliert der BDI zwar am zurückhaltendsten, aber am Ende doch sehr klar: Wichtig für den raschen Zubau von erneuerbaren Energien ist eine Entschlackung und starke Beschleunigung der Genehmigungsprozesse. … Von einer zügigen Neuregelung dieser Fragen wird der Erfolg der Energiewende … entscheidend abhängen. Dem kann man nur zustimmen. Herr Bundesminister Habeck, Sie haben natürlich recht: Wir stehen gemeinsam vor einer enormen Herausforderung, und da stehen wir natürlich auch an Ihrer Seite. Wir müssen die dramatisch fortschreitende Erderwärmung stoppen, und dafür ist der Ausbau der erneuerbaren Energien natürlich richtig. So haben wir keine andere Wahl, als das jetzt gemeinsam als Nation anzugehen. Und auch im Parlament haben wir keine andere Wahl, als zu versuchen, das Osterpaket so gut zu machen, wie es geht, ganz nach der Struck’schen Regel: Kein Gesetz geht aus dem Bundestag so heraus, wie es hineingekommen ist. ({3}) – Ich freue mich, dass Sie sich mit unseren Verbesserungsvorschlägen auseinandersetzen werden. Wir bieten Ihnen umfassende Mitwirkung an – kritisch, aber konstruktiv. Wir stehen natürlich längst im Austausch mit den betroffenen Unternehmen. Aber auch Sie, meine Damen und Herren, die Sie hier im Saal oder an den digitalen Endgeräten zuschauen, können sich an uns wenden, an die Mitglieder unserer Arbeitsgruppe Klima; es gibt auch einen Klimakreis der Fraktion, es gibt die KlimaUnion – alles Anknüpfungspunkte, bei denen Sie Ihre Verbesserungsvorschläge einbringen können. ({4}) Wir Christdemokraten wollen einen Turbo für die Erneuerbaren. Ostern ist für Christen das Fest der Hoffnung. Bleiben wir also auch mit Blick auf das Osterpaket optimistisch! Vielen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Vorbemerkung sei mir gestattet: Ich finde es immer spannend, wenn Redner der Union hier ans Redepult treten und dann erzählen, die Ampelkoalition würde ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreichen. Also, wer hat denn 16 Jahre hier regiert? Diese Frage sollte man Ihnen noch mal mitgeben. ({0}) – Schön wär’s, wenn die SPD 16 Jahre den Kanzler gestellt hätte. Das kommt erst noch. ({1}) Aber Sie haben mit Frau Merkel die Kanzlerin gestellt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Herr Heilmann, die Zeit nehme ich mir jetzt. Wissen Sie, wie es damals war in der Großen Koalition? Peter Altmaier hat zu Beginn der Wahlperiode ein sogenanntes 100-Tage-Gesetz eingebracht, um möglichst schnell kleinste Reformen am EEG vorzunehmen. Und es war Ihre Fraktion, die das blockiert hat. Wir als Sozialdemokraten waren bereit. Die Kollegen Pfeiffer, Nüßlein und Co aus Ihrer Fraktion haben blockiert. ({2}) Es war am Ende so peinlich, dass Herr Altmaier das Gesetz in „Energiesammelgesetz“ umbenannt hat, weil es über 300 Tage gedauert hat, bis wir kleinste Änderungen vorgenommen haben. Die Ampel macht es genau umgekehrt. Sie legt einen großen Entwurf, das Osterpaket, heute hier nach knapp 200 Tagen auf den Tisch. Das ist der Unterschied, meine sehr verehrten Damen und Herren, zwischen der Großen Koalition und der Ampel. ({3}) Es ist die größte EEG-Reform im 21. Jahr des Bestehens des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die wir heute hier einbringen und diskutieren. Wir legen damit den nachhaltigen Turbo zum Ausbau der erneuerbaren Energien ein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Natürlich haben die Ampelparteien und ‑fraktionen einen ganz unterschiedlichen Zugang zu diesem Thema. Die Grünen kommen in erster Linie über die Schiene Klimaschutz. Die FDP hat ihren Weg zu den erneuerbaren Energien über den Begriff der Freiheitsenergie gefunden. Für die SPD steht bei den erneuerbaren Energien eine Demokratisierung der Energieerzeugung an erster Stelle. ({4}) Für uns ist es wichtig, die Menschen mitzunehmen, ein Mitmachprojekt daraus zu machen, die Bürgerenergien voranzubringen, weil das Akzeptanz steigert, die Kommunen mitzunehmen, neue Einnahmequellen zu generieren, die Stadtwerke mitzunehmen, um auch unabhängiger von Gas zu werden, Mieterinnen und Mieter mitzunehmen, also auch Menschen mit kleinerem Geldbeutel, die vom preiswerten Sonnenstrom auf dem Dach ihres Mietshauses profitieren. Das ist der sozialdemokratische Ansatz einer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Neben der Demokratisierung ist der Sozialdemokratie der wirtschaftspolitische Aspekt wichtig; denn Energiewende ist klassische Wirtschaftspolitik. Wir schaffen damit zukunftsfähige, gute Arbeitsplätze, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Voraussetzungen dafür schaffen wir, weil das Handwerk gestärkt wird, weil immer mehr Unternehmen aus der Solarbranche wieder zurückkommen und Module und Wechselrichter in Deutschland produzieren. Wir müssen gemeinsam zusehen, Herr Habeck, dass wir auch die Windenergieindustrie hier in Deutschland behalten und sie nicht abwandern lassen. Wir brauchen gute Standorte auch zur Fertigung von Rotoren und Getrieben von Windkraftanlagen, Turbinen und Ähnlichem. Das ist ganz wichtig. ({6}) Ja, die Ziele, die wir uns als Koalition gesetzt haben, sind immens. Ich nehme nur das Beispiel der Photovoltaik. Wir sehen hier eine Vervierfachung des Zubaus vor: 22 Gigawatt pro Jahr wollen wir schaffen. Und da geht es nicht, dass wir Freiflächen- und Dachanlagen gegeneinander ausspielen. Wir brauchen beides, damit das gelingt. Natürlich müssen wir als Erstes die Dächer voll machen. Aber wir müssen auch gucken, dass wir Freiflächen sinnvoll nutzen, um dieses Ziel zu erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Wenn wir jetzt gesetzgeberisch die Weichen dafür stellen, dass der Zubau gelingt, dann müssen wir industriepolitisch auch gucken, dass wir den Fachkräftemangel, dass wir die Lieferkettenprobleme beseitigen. Ich kenne auch aus meinem Wahlkreis Unternehmen, die gerade im Bereich der erneuerbaren Energien deutlich mehr verkaufen würden, wenn dort der Fachkräftemangel bzw. das Lieferkettenproblem nicht gegeben wäre. Auch darum müssen wir uns kümmern; auch das muss moderne Industriepolitik tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Da wir heute nicht nur über das EEG reden, sondern auch über das LNG-Beschleunigungsgesetz, muss man deutlich betonen: Hier wird der Einsatz fossiler Energien beschleunigt. Das machen wir nicht ganz freiwillig, sondern weil es eine Notwendigkeit ist. Aber die Maßstäbe, die wir beim Ausbau von LNG-Ports anlegen, müssen – natürlich kann man nicht alles mit allem vergleichen – im Grundsatz auch für erneuerbare Energien gelten. ({9}) Wir können nicht zulassen, dass wir hier Sonderwege für die fossilen Energieträger gehen, die einen Lock-in-Effekt verursachen, meine Damen und Herren. ({10}) Bei allem, was wir tun – ja, wir haben mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auch ein Energieversorgungsproblem –, dürfen wir nicht vergessen: Die Klimakrise und die Erderwärmung sind nicht von der Tagesordnung verschwunden. Wir müssen beides, diese Krise und den Konflikt, zeitgleich lösen. Dafür bieten die erneuerbaren Energien gute Voraussetzungen. Ich sage Ihnen abschließend für die SPD-Fraktion zu: Wir haben hier von Herrn Minister Habeck und der Bundesregierung einen guten Gesetzentwurf bekommen. Es ist unsere Aufgabe als Koalitionsfraktionen – und wir laden die Opposition, also die demokratische Opposition, herzlich dazu ein –, einen guten Gesetzentwurf noch besser zu machen. In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf! ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Es geht heute um drei Gesetzentwürfe der grünen Kommunisten; anders kann man die ganze Koalition nicht mehr nennen. Sie alle wollen planwirtschaftlich die Stromerzeugung aus sogenannten Erneuerbaren in kürzester Zeit drastisch erhöhen. Als Begründung wird Alternativlosigkeit genannt und gesagt, dass der Krieg in der Ukraine die Notwendigkeit einer beschleunigten Abkehr von fossilen Energieträgern einmal mehr aufgezeigt habe. Nicht nur, dass Sie das Leid des ukrainischen Volkes durch den Krieg hier in unerträglicher Weise missbrauchen, ({0}) um eine völlig nutzlose, nur Schaden verursachende Sanktionspolitik gegen russische Brennstoffe zu rechtfertigen. ({1}) Sie behaupten auch noch wider besseres Wissen und damit bewusst lügend, weil hundertfach widerlegt, dass andere Länder unserem selbstmörderischen Vorbild folgen. ({2}) Ein Sprichwort der Dakota lautet: Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab. – Statt nun aber von diesem toten Pferd „Energiewende“ abzusteigen, versuchen die grünen Kommunisten ({3}) – Herr Gremlin, ohne Restalkohol geht’s besser –, ({4}) es mittels eines gewaltigen – –

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Hilse.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Entschuldigung. Ich entschuldige mich gerne. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Ich bitte, dass Sie sich erstens entschuldigen und zweitens auch diese Begriffe vermeiden. Weder „Nazi“ noch „Kommunisten“ benutzen wir hier im Hause. Darum würde ich Sie auch bitten. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Also „Kommunist“ ist jetzt verboten? ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Das können Sie gerne zu Protokoll nehmen. Wir haben nämlich gesagt, wir benutzen solche Begriffe hier im Hause nicht. Man muss sich nicht daran halten, aber ich will trotzdem darauf hinweisen und bitte darum. Ich habe die Redezeit angehalten, Herr Hilse. Sie können jetzt fortfahren. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Alles klar. – Ich entschuldige mich vielmals bei Herrn Gremmels. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie unter Restalkohol stehen. ({0}) Also, statt nun von diesem toten Pferd abzusteigen, versuchen die grünen Kommunisten, es mittels eines gewaltigen neuen Schuldenberges namens Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ wieder zum Laufen zu bringen. Da ist die Rede von einem Ausbau der Windenergie im Land auf ein Niveau von 10 000 Megawatt jährlich, um 2030 die Fantasiemenge von 130 000 Megawatt installierter Leistung zu erhalten. Das wären ab sofort 2 000 Vogelkiller der 5‑Megawatt-Klasse – das sind die richtig großen – pro Jahr. Dafür bräuchten wir pro Jahr 5 Millionen Tonnen Beton, 11 Millionen Tonnen Stahl – immerhin ein Viertel der deutschen Jahresproduktion –, 430 000 Tonnen Aluminium, 1 Million Tonnen Kupfer und Zehntausende Tonnen von Rohstoffen, die wir importieren müssen. ({1}) Von gleicher hirnrissiger Qualität sind die Ausbauziele bezüglich der Photovoltaik, bloß noch absurder. Da soll es von rund 65 000 Megawatt installierter Leistung gar auf 215 000 Megawatt gehen – pro Tag! Dazu müssten 60 Megawatt täglich hinzugebaut werden. Grob gerechnet wären das 600 000 Quadratmeter Fläche oder 80 Fußballfelder – jeden einzelnen Tag. Die Stadt Dresden plant sogar, die Frauenkirche und die Semperoper mit dem chinesischen Müll zu verunstalten. Und wenn dann die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, ist der Ertrag trotzdem null. So wie 130 000 Megawatt mal null gleich null sind, sind auch 354 000 Megawatt mal null gleich null. ({2}) Welch ein Irrsinn, welch eine Anmaßung spricht aus diesen Gesetzentwürfen in Anbetracht von 4 300 maroden Autobahnbrücken? Wer in der Regierung denkt sich diese hirnrissigen Zahlen aus? Diese Gesetze wurden von Ideologen und Realitätsverweigerern vorangetrieben. ({3}) Die schamlose Krönung ist, dass in diesem Gesetz steht, für die Bürger gebe es keinen Erfüllungsaufwand – außer natürlich den höchsten Energiekosten der Welt, dem massenhaften Verlust wertschöpfender Arbeitsplätze und der Verelendung weiter Teile des deutschen Volkes. Wer all das nicht will, wendet sich bei den zukünftigen Wahlen von den Altparteien ab und wählt die einzige Alternative. Schönen Tag. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Konrad Stockmeier. ({0})

Konrad Stockmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005234, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition trägt den Titel: „Mehr Fortschritt wagen“. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass Putins Angriff auf die Ukraine weder Titel noch Inhalt des Koalitionsvertrages obsolet gemacht hat; vielmehr wurde unterstrichen, worum es auch gehen muss, nämlich mehr Tempo zu wagen. Das gilt insbesondere für den Netzausbau, der mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien unbedingt einhergehen muss, sowohl bezüglich der Übertragungsnetze als auch der Verteilnetze. Beides packen wir unter anderem mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes an. Ich darf für die Freien Demokraten an dieser Stelle freudig feststellen, dass die Novelle viele Elemente enthält, die in Richtung Digitalisierung gehen. Das wird das Ganze sowohl für Stromproduzenten und Netzbetreiber als auch für Endkunden an vielen Stellen vereinfachen. Die Zeiten, in denen Netzbetreiber Lastwagen mit Unterlagen zu irgendwelchen Behörden fahren, müssen ein Ende finden. ({0}) Ein weiteres Kernanliegen der Freien Demokraten ist sehr wohl, dass die Energiewende so kostengünstig und marktgängig wie möglich ins Werk gesetzt werden muss. Ein entscheidender Hebel, um dies zu realisieren – das möchte ich an dieser Stelle betonen –, ist, dass der Netzausbau bitte nicht nur deutsch, sondern auch europäisch gedacht und realisiert werden muss. ({1}) In diesem Sinne bin ich Ihnen, Minister Habeck, sehr dankbar dafür, dass Sie immer wieder betonen, dass es nicht um deutsche Energieautarkie gehen kann, sondern wir das ganze Projekt auch europäisch denken müssen. Denn wer wären wir denn, wenn wir das Projekt der Freiheitsenergien nur bei uns und nur für uns denken würden? Es muss doch auch darum gehen, nicht nur unsere Freiheit, sondern auch die unserer Partner in der Europäischen Union und darüber hinaus zu sichern. ({2}) Welches Panorama zeigt sich beim Netzausbau, wenn man mit Akteuren im Markt spricht? Ein Panorama, das weit über Deutschland hinausgeht: große Offshorewindkapazitäten beispielsweise in der Ostsee, große Photovoltaikkapazitäten in Südeuropa. Das sind – sagen wir es ruhig – große Geschäftsmodelle. Ich denke an den Klimabeauftragten der US-Regierung John Kerry; das ist jemand, der kein Problem damit hat, so etwas auch „Big Business“ zu nennen. Es stünde uns in Deutschland gut an, wenn wir auch in diese Richtung denken und empfinden würden. ({3}) Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netzausbau werden somit die Europäische Union, ihre Partner und unser aller Freiheit stärken und sichern. Wohlgemerkt, der Netzausbau hat das Zeug, die erneuerbaren Energien auch günstig zu machen, wenn wir das wirklich als Big Business realisieren. Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Bei aller Freude, die wir über den Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich empfunden haben, würde es uns jetzt auch gut zu Gesicht stehen, seine europapolitischen Impulse nicht wieder versanden zu lassen, sondern sie konstruktiv aufzunehmen. Warum bitte schön nicht auch im Bereich der Energiepolitik? Da gibt es viele Chancen. Vielen Dank. ({4})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katrin Uhlig. ({0})

Katrin Uhlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005242, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, dem Energie- und Industrieland. ({0}) In NRW wissen wir, dass für Wirtschaft und Industrie eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung unerlässlich ist. Denn nur so können wir Arbeitsplätze langfristig sichern und den Wirtschaftsstandort attraktiv gestalten. Aktuell steigen die Energiepreise, weil die fossilen Energien noch teurer geworden sind; noch teurer, denn teuer waren sie für Menschen und Umwelt schon immer. ({1}) Dabei sind die Folgekosten der Klimakrise noch nicht einmal berücksichtigt. Wir brauchen jetzt einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren: für das Klima, aber auch für die Wirtschaft. ({2}) Denn wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland in Zukunft wettbewerbsfähig sein soll – der Minister hat es eben schon angesprochen – und wir Arbeitsplätze sichern wollen, brauchen wir erneuerbaren Strom und Grünen Wasserstoff für klimaneutrale Produktionsverfahren. ({3}) Die Wirtschaft steht bereits in den Startlöchern. Mit diesem Gesetzespaket schaffen wir Planungssicherheit für Investitionen und einen verlässlichen Rahmen für den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren. Für deren Umsetzung muss dieser Wind der Veränderung von Bayern bis Schleswig-Holstein, von NRW bis Sachsen wehen. ({4}) Deutschland hat die Kompetenz, das Know-how und die Ideen, mit Sonne und Wind den Wirtschaftsstandort der Zukunft zu gestalten und damit gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung der Klimakrise zu leisten. Lassen Sie uns mit diesem Gesetzespaket die Chance dafür nutzen. Herr Heilmann, das ist sicher erst der Anfang. Herzlichen Dank. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Andreas Lenz. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anteil der erneuerbaren Energien liegt im Strombereich bei 50 Prozent. Wir sind also die letzten Jahre beim Ausbau der Erneuerbaren massiv vorangekommen. Aber wir brauchen auch weiterhin einen massiven Ausbau, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Es ist nicht alles schlecht, was in diesem Paket steht – dem sogenannten Osterpaket –, aber eben vieles auch nicht richtig gut. Insofern beschränke ich mich jetzt erst mal auf die Dinge, die defizitär sind, die man einfach besser machen könnte. Um es gleich zu Beginn zu sagen: Wir brauchen alle Erneuerbaren, und wir müssen die regionalen Gegebenheiten optimal nutzen. Das ist in diesem Osterpaket nicht vorgesehen. Ein Ostergeschenk ist es für viele nicht. So ist es einfach nicht nachvollziehbar, dass die Wasserkraft gegenüber allen anderen erneuerbaren Energien systematisch benachteiligt wird. ({0}) Die Wasserkraft soll als einzige Erneuerbare nicht im überragenden öffentlichen Interesse stehen, Julia Verlinden. Da drängt sich doch die Frage nach dem Warum auf. Man kann sich des Eindrucks einfach nicht erwehren, dass die geplanten Lockerungen beim Artenschutz und bei der Windkraft durch Verschärfungen bei der Wasserkraft quasi eingetauscht wurden. Die Nutzung der Wasserkraft geht aber mit ökologischen Gesichtspunkten einher. In den letzten Jahren wurde bei der Durchlässigkeit und auch beim Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie viel gemacht. Wasserkraft ist grundlastfähig; sie stabilisiert das Energiesystem insgesamt. Es ist eine Energieart, die eine Insellösung darstellt, gerade auch bei Problemen im Energiesystem. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Wir stehen zur Wasserkraft. Ich lade Sie, Herr Habeck, gerne ein, sich entsprechende Praxisbeispiele anzuschauen. ({1})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Herr Lenz, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Lenz, wir wissen ja, dass Bayern sich an der Energiewende und an dieser Entfesselung der Erneuerbaren, was Solar und was Wind angeht, sehr gerne beteiligen würde. Deswegen diskutiert die CSU-Landtagsfraktion ja schon lange über die Frage: Wie können wir mehr Flächen für Windenergie bereitstellen? ({0}) Ich glaube, wir wissen alle, dass es eine einfache Lösung dafür gäbe. Daher würde ich Ihnen gerne die Gelegenheit geben, heute hier im Plenum bei diesem Tagesordnungspunkt die Abschaffung der 10‑H-Windkraft-Abstandsregel zu verkünden. ({1})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Badum, vielen Dank für die Frage. So ergibt sich die Möglichkeit, auch dazu einiges zu sagen. ({0}) Zum Ersten. Sie haben ja heute in der „Bild“-Zeitung quasi verkündet, dass Sie die Abschaffung sämtlicher Abstände sowieso schon vorhaben. Das müssen Sie dann natürlich auch den Bürgerinnen und Bürgern entsprechend erklären. ({1}) Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass wir in Bayern, genauer: die bayerische Landtagsfraktion der CSU jetzt ein Maßnahmenpaket geschnürt hat – übrigens nach Rücksprache zwischen Minister Habeck und Ministerpräsident Söder – mit dem Ziel, dass mehr Flächen in Bayern, die wir natürlich brauchen, ausgewiesen werden. Ich glaube, dass das ein praktikabler Weg ist. ({2}) Lassen Sie mich dazu abschließend eines sagen: Der Ausbau der Windkraft geht nur mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir können trefflich über Abstände diskutieren. Aber dass wir gar keine Abstände zu der Wohnbebauung im Gesetz festschreiben, wird nicht funktionieren. ({3}) Sie haben es geschickt gemacht und jetzt vom Thema Wasserkraft abgelenkt. Dass das Worst-Case-Szenario, also der schlimmste Fall, für die kleine Wasserkraft eingetreten ist ({4}) und sie vor dem Aus steht, das sagen nicht wir, sondern das sagt der Bundesverband Erneuerbare Energien. Wir werden das in der Form nicht akzeptieren, meine Damen und Herren. ({5}) Ebenso wird das Potenzial der Biomasse nicht hinreichend genutzt. Der EEG-Kabinettsentwurf ist ein Ausstiegspfad für den Bestand an Bioenergieanlagen. Es ist ja gar nicht falsch, dass Biomethan stärker genutzt werden sollte, gerade auch für die Spitzenlastkraftwerke. Aber von den 9 000 Anlagen in Deutschland können das eben die allerwenigsten. Es ist doch so, dass die Biomasse Strom und Wärme liefert. Beides brauchen wir. Beides hilft auch, die Abhängigkeiten insgesamt zu reduzieren. Über Biomasse, Biogas könnte übrigens auch sofort mehr produziert werden, könnte man die Abhängigkeit vom russischen Gas sofort minimieren. Aber Sie wollen die Biomasse aus ideologischen Gründen nicht. Auch da muss schlicht nachgebessert werden, und da werden wir unseren Forderungen entsprechend Gewicht verleihen. ({6}) Ebenso wird das riesige Potenzial der Geothermie in keiner Weise adressiert. Wir brauchen da auch weiter Innovation, wir brauchen technische Lösungen und entsprechende Regelungen, um die Energiewende zum Erfolg zu machen. Herr Habeck, Sie sprechen ja häufig vom Energiesparen. Energieeffizienz ist auf jeden Fall wichtig und richtig. Aber es findet sich in dem aktuellen Paket keine einzige Maßnahme, um die Energieeffizienz zu stärken. Sie unterscheiden im geplanten Osterpaket letztlich doch in Erneuerbare erster und zweiter Klasse: Wind gut, Wasserkraft schlecht, PV gut, Biomasse schlecht. Das ist kontraproduktiv, gerade auch in der jetzigen Krise. Wir wollen alle Erneuerbaren, und wir brauchen auch alle Erneuerbaren, um das klar zu sagen. ({7}) Letztlich fehlt bei Ihrem Paket auch eine systemische Betrachtung. Es findet keinerlei Marktintegration statt. Gehandelt wird nach wie vor nach dem Motto „Produce and forget“, also: produzieren und sich dann nicht mehr um die Mengen kümmern. Wir brauchen mehr Anstrengungen bei der Frage des Netzausbaus, auch bei der Frage der Verteilnetze, bei der Marktintegration und bei den Speichern. All diese Punkte stehen übrigens nicht im überragenden öffentlichen Interesse. Man muss also das Richtige auch richtig machen, und dafür stehen wir. Wir brauchen weitere Planungsbeschleunigungen; das ist überhaupt keine Frage. Da könnten wir doch zum Beispiel die Frage der Ausgleichsflächen gleich lösen. Für jede PV‑Freifläche braucht es zusätzlich Ausgleichsflächen. Da bin ich, da sind wir der Meinung, dass wir darauf verzichten können. Wir würden so mit einem Schritt sehr, sehr vieles vereinfachen und erleichtern. Daher unser Vorschlag, das auszusetzen oder abzuschaffen. Die Betriebe, aber auch die privaten Haushalte stöhnen weiter unter den hohen Energiepreisen. Deshalb braucht es auch weitere Entlastungen. Die Abschaffung der EEG-Umlage war ein richtiger Schritt. Aber die Abschaffung der EEG-Umlage kostet den Staat im Moment überhaupt kein Geld. Wir müssen also die Stromsteuer auf das europäische Minimum senken und insbesondere die energieintensiven Unternehmen, die oft im internationalen Wettbewerb stehen, weiter entlasten. Sonst wird die Energiekrise zur Jobkrise, und genau das wollen wir nicht. Wir brauchen also eine Energiewende, die richtig gemacht ist und die vor allem mit den und für die Menschen gemacht ist. Herzlichen Dank. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bengt Bergt. ({0})

Bengt Bergt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005024, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich bin erschüttert, wie tief das Niveau hier rechts noch sinken kann. Nichtsdestotrotz bin ich sehr zufrieden, dass diese Stimme zumindest in einem Landesparlament verstummt ist. In Schleswig-Holstein haben Sie es nicht mehr ins Parlament geschafft. Danke an die Wählerinnen und Wähler! ({0}) Herr Lenkert, ich verstehe auch Ihre Rolle als Mahner hier. Aber wir sind schon längst darüber hinweg. Die Bundesregierung ist schon nicht mehr beim Mahnen und beim Teufel-an-die-Wand-Malen, sondern schon beim Agieren, jedenfalls was das Kurzfristige betrifft. Ob beim Gasspeichergesetz oder dem LNG-Gesetz, da sind wir schon dabei. Jetzt müssen wir uns um die langfristigen Sachen kümmern. Deswegen lassen Sie mich die Tragweite unseres Reformprojektes auf den Punkt bringen. Was wir heute machen, was wir heute auf den Weg bringen, ist nichts Geringeres als das größte Klimaschutz-, Energiesicherheits-, Innovations- und Zukunftspaket dieses Landes. ({1}) Man darf es ruhig einmal mit diesem Pathos sagen: Nach der Dampfmaschine, dem Fließband, dem Computer, der künstlichen Intelligenz schaffen wir mit diesem Gesetzespaket die Voraussetzungen für das Gelingen der fünften industriellen Revolution. ({2}) Denn die Unabhängigkeit von Kohle, Öl und Gas, der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie sind nicht mehr aufzuhalten, und das ist auch gut so. Das ist gut für die Unabhängigkeit von Russland, das ist gut für die Energiesicherheit, das ist gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland, und das ist gut für unsere Kommunen. Vor allem aber, meine Damen und Herren, ist das gut für unsere Kinder und Enkelkinder, und das ist das, was zählt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist das Land der Handwerker und Ingenieure. Wir führen Deutschland jetzt heraus aus den fossilen Energien und machen es dazu noch zu dem weltweit führenden Land der Innovation, der Investition und der klimaneutralen Industrien. Lassen Sie mich das Ganze anhand von drei Punkten verdeutlichen: Erstens. Wir wollen 2045 ein klimaneutrales Industrieland sein. Dafür werden wir alles tun. Wir werden dafür sorgen, dass künftige Generationen noch eine bewohnbare Erde vorfinden und weiter ihre Träume verwirklichen können. Das wird uns allen – so viel ist klar – viel abverlangen, aber das ist es allemal wert. Klimaneutralität bis 2045 bedeutet: Wir müssen richtig Gas geben. Vom Antrag bis zum Bau einer Windkraftanlage gehen in Deutschland durchschnittlich 22 Monate ins Land – nur für die Planung; dann muss noch gebaut werden. 22 Monate – um das einmal zu verdeutlichen –, so lange tragen Elefanten ihre Babys aus. Sie können sich ausrechnen, wie lange es dann noch dauert, bis der Strom fließt. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir wollen runter auf die Tragezeit von Rennpferden: unter einem Jahr; das muss drin sein. Darum werden wir jetzt beschleunigen, und zwar im Jagdgalopp, meine Damen und Herren. ({4}) Zweitens. Diese industrielle Revolution ist eine Riesenherausforderung für unsere ganze Industriegesellschaft – das wissen wir –, aber sie ist auch eine riesige Chance. ({5}) Lassen Sie mich den Unternehmen in diesem Land – vom kleinsten Malerbetrieb bis zum größten IT‑Unternehmen – folgende Botschaft mit auf den Weg geben: Ohne Sie werden wir diese Energiewende nicht schaffen. Nutzen Sie das Innovationspotenzial nachhaltiger Technologien! Entwickeln Sie, forschen Sie, ({6}) installieren Sie! Helfen Sie uns, die Transformation made in Germany zum Erfolg zu machen! Gemeinsam schaffen wir die Wirtschaft von morgen und neue, gute Arbeitsplätze hier in Deutschland und Europa. ({7}) Eines kann ich Ihnen versichern: Diese Ampelkoalition wird Sie mit aller Kraft dabei unterstützen. ({8}) Drittens. Wir stärken unsere Kommunen und beteiligen sie am Ausbau der Erneuerbaren. Wo erneuerbare Energie erzeugt wird, werden die Städte und Gemeinden finanziell profitieren. Davon haben dann alle was. Jeder und jede von uns lebt in einer Kommune – ich glaube, selbst die AfD lebt in einer Kommune – und braucht mal einen Kitaplatz, will gute und sichere Gehwege haben, gut ausgestattete Schulen und Rathäuser. Auch dazu – dafür werden wir sorgen – werden die Erneuerbaren einen Beitrag leisten, ganz direkt vor Ort und für die Menschen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Osterpaket machen wir unser Land fit für eine lebenswerte und sichere innovative Zukunft. Das wird Kraft kosten. Aber wir schaffen das. ({10}) Wir schaffen das, indem wir aufhören, darüber zu schnacken, und endlich anfangen, es zu machen. Vielen Dank. ({11})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner ist der Abgeordnete Stefan Seidler. ({0})

Stefan Seidler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005219

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Moin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Ausbau der Offshorewindanlagen sind uns andere EU-Länder noch einiges voraus. Dänemark gewinnt 56 Prozent seines Stroms aus Wind, Litauen 36 Prozent, Irland 35 Prozent, und Deutschland ist abgeschlagen mit einem Anteil von 23 Prozent. Norwegen ist seit 2015 ein enormer Sprung von unter 200 Watt Windenergiekapazität pro Kopf auf fast 900 Watt in 2021 gelungen. Das zeigt: Wenn der politische Wille vorhanden ist, können große Aufgaben gelingen. ({0}) Zugleich müssen aber die ökologischen Belastungsgrenzen von Nord- und Ostsee berücksichtigt werden. Dennoch setzen wir heute vor allem auf LNG; das ist hier kaum erwähnt worden. Lieber Herr Minister Habeck, lieber Robert, dieses Paket als besonders umweltschonend zu verkaufen, finde ich schon ein bisschen zynisch. Zu allem Überfluss drohen nun Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Beteiligung von Öffentlichkeit und Verbänden beschnitten zu werden. Im Schweinsgalopp die Zementierung der Nutzung fossiler Energien durchzusetzen, ist ein großer Fehler. Es ist, als würde die Bundesregierung in Kutschen investieren, während draußen schon die Eisenbahn rollt. Statt uns wieder auf Jahre an die Fossilen zu ketten, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien im Fokus stehen, damit wir die Klimaziele noch erreichen. ({1}) Lassen wir uns dabei nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Danke schön. ({2})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Markus Hümpfer. ({0})

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss das vielleicht noch mal sagen: Windkraftanlagen sind im Gegensatz zu Atomkraftwerken, die eine Fraktion hier immer wieder anpreist, keine Verschmutzer. Was machen wir denn mit dem radioaktiven Müll? Das ist Verschmutzung. ({0}) Wenn dieses Gesetzespaket ein Motto hat, dann ist es ein Begriff, den man in letzter Zeit häufig hört: das öffentliche Interesse. Denn genau diesem dient es. Es ist im öffentlichen Interesse, dass wir eine stabile Energieversorgung haben. Denn wir müssen uns darauf verlassen können, dass Strom fließt und Wohnungen warm sind. Es ist im öffentlichen Interesse, dass wir eine nachhaltige Energieversorgung haben, weil es nicht sein kann, dass wir Strom und Wärme auf Kosten anderer herstellen und verbrauchen. ({1}) Und es ist im öffentlichen Interesse, dass wir eine bezahlbare Energieversorgung haben. Denn die Versorgung mit Strom und Wärme ist ein absolutes Grundbedürfnis. ({2}) Doch leider haben in der Vergangenheit nicht alle Marktakteure das Ziel einer stabilen, nachhaltigen und bezahlbaren Energieversorgung geteilt. Ich spreche von den Billiganbietern wie Stromio, ({3}) die ihre Kunden einfach im Regen haben stehen lassen. Ihre Praxis besteht darin, Energie am Markt kurzfristig einzukaufen, ohne sich langfristig gegen Preisschwankungen abzusichern. Solange die Marktpreise nicht steigen, niedrig bleiben, ist dies auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher günstig und dadurch attraktiv. Der Haken ist: Als die Marktpreise stiegen, haben die Unternehmen die Lieferungen einfach eingestellt. ({4}) Vielleicht ist das ein tolles Geschäftsmodell. Aber es ist sicher nicht im öffentlichen Interesse; denn am Ende wird es für alle teurer. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Kollege Hümpfer, gestatten Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Markus Hümpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Strom und Wärme sind ein Grundbedürfnis. Deswegen muss der Grundversorger – das sind in der Regel die örtlichen Stadtwerke – in diesen Fällen eine Ersatzversorgung anbieten, und zwar bisher zu den Konditionen der Grundversorgung. Das hat vor allem kommunale Versorger vor große Herausforderungen gestellt; denn die müssen ja kurzfristig Energie zu höheren Preisen einkaufen, und irgendjemand muss das ja bezahlen. Etwa die Bestandskundinnen und Bestandskunden oder die Kommunen oder der Steuerzahler? Das wäre nicht fair. Fair ist aber auch nicht, die Menschen mit scheinbar günstigen Preisen zu locken, die in Wahrheit weder stabil noch nachhaltig noch bezahlbar sind. ({1}) Deswegen werden wir das Energiewirtschaftsgesetz ändern. ({2}) Zum einen stärken wir die Grundversorger. Die Ersatzversorgung darf in Zukunft das kosten, was für die Energie am Markt tatsächlich gezahlt werden muss. Zum anderen stärken wir aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Discounter dürfen in Zukunft die Belieferung nicht mehr einfach einstellen. ({3}) Wenn sie aus dem Markt ausscheiden wollen, müssen sie das mit einem Vorlauf von drei Monaten ankündigen. Das, meine Damen und Herren, ist echter Verbraucherschutz. Das ist der Weg zu einer stabilen, nachhaltigen und bezahlbaren Energieversorgung und damit unser aller öffentliches Interesse. Danke. ({4})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute steht auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion die Situation der Menschen in unserem Land hier auf der Tagesordnung. Die Preise schießen seit Monaten in den Himmel. Diese Entwicklung begann, lange bevor der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine begonnen hat. Aber die Auswirkungen dieses Krieges beschleunigen die Entwicklung. Die Menschen erleben tagtäglich an der Supermarktkasse, wie die Lebensmittelpreise nach oben gehen. Die Menschen erleben das an der Tankstelle bei den Energiepreisen. Ich will den Hinweis geben, dass viele für Strom und Gas Lieferverträge mit Festpreisen haben, die irgendwann enden werden. Das heißt, wir sehen aktuell noch nicht die volle Wirkung der Inflation; ein Teil der Wirkung wird für die Menschen erst in den kommenden Monaten spürbar werden. Es ist unabänderlich, dass das geschieht. Viele Menschen in unserem Land haben für die Zukunft vorgesorgt, haben eine Altersversorgung außerhalb der gesetzlichen Rente aufgebaut und müssen jetzt erleben, dass durch die Inflation das, was sie an Vorsorge für das Alter aufgebaut haben, entwertet wird. Wenn ich die Teuerungsraten sehe, aktuell 7,4 Prozent, dann muss ich sagen, dass das etwas ist, was über meinen Erfahrungshorizont – ich bin jetzt 28 Jahre Mitglied dieses Parlaments – hinausgeht. Seit 40 Jahren haben wir keine solche Entwicklung in Deutschland erlebt. Deshalb müssen wir dringend dagegenarbeiten, meine Damen und Herren. ({0}) Nun ist es richtig, dass die Verantwortung für die Geldpolitik zunächst einmal bei der Zentralbank liegt. Die Unionsfraktion respektiert die Unabhängigkeit der Zentralbank. ({1}) Die Zentralbank hat aber ein Mandat, und wir erwarten, dass die Zentralbank dieses Mandat in dieser außergewöhnlichen Situation entschlossen, kraftvoll und zeitnah wahrnimmt, meine Damen und Herren. ({2}) Es gibt jenseits der Geldpolitik der Zentralbank aber auch eine Verantwortung der Finanz- und Wirtschaftspolitik, und über die Finanz- und Wirtschaftspolitik in diesem Land müssen wir hier diskutieren. ({3}) Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, auf diesem Gebiet die notwendigen Entscheidungen zu treffen. ({4}) Das Thema der Finanz- und Wirtschaftspolitik hat zwei Dimensionen. Die eine Frage ist: Was können wir tun, um die Ursachen der Inflation zu bekämpfen? ({5}) – Herr Brandner, Sie haben auch Gelegenheit, sich einzubringen. Bringen Sie sich sachkundig ein, dann brauchen Sie keine wilden Zwischenrufe zu machen. ({6}) Neben der Frage der Ursachen gibt es die andere Frage der Auswirkungen. Ich glaube, wir stehen in der Verantwortung, dass wir uns um beide Dimensionen des Themas kümmern. Wir müssen die Ursachen bekämpfen, ({7}) damit die Inflation keine dauerhafte Wirkung ausübt, und wir müssen die Auswirkungen auf die Menschen bekämpfen. ({8}) Es hat mich gestern sehr gefreut, Herr Bundesfinanzminister Lindner, dass Sie ein Strategiepapier zur angebotsorientierten Politik vorgelegt haben. Ich glaube, dass solche Gedanken einen Beitrag leisten können, um gegen die Ursachen etwas zu tun. Ich erwarte allerdings, dass es nicht ein Papier des Bundesfinanzministers bleibt, sondern dass die Bundesregierung sich dieses Papier umgehend zu eigen macht und dann nicht nur ein Papier auf den Tisch legt, sondern dass die Maßnahmen, die darin zur angebotsorientierten Politik genannt werden, auch zeitnah umgesetzt werden. ({9}) Da will ich mal ein Beispiel nennen. Wir hätten heute die Chance gehabt, Handelsschranken abzubauen, indem wir über CETA entscheiden. ({10}) Sie haben das leider von der Tagesordnung genommen, ({11}) und wir können nicht entscheiden. Das wäre ein Beitrag zur angebotsorientierten Politik – nicht in einigen Monaten, sondern heute, hier aus diesem Haus. ({12}) Wir stehen vor der Frage: Kommen wir aus einer temporären Inflation in eine dauerhafte Entwicklung hinein, nämlich in eine Lohn-Preis-Spirale? Bisher haben wir sie nicht. Und ich erwarte jetzt von der Bundesregierung, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tut, um gegen eine solche Lohn-Preis-Spirale anzukämpfen; denn es kann nicht sein, dass wir uns dauerhaft in eine Inflationssituation hineinbegeben. Dort stehen Sie in der Verantwortung. Handeln Sie jetzt! ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine Reihe von Themen. Ich will einmal das Thema Staatsschulden herausgreifen. ({14}) Die Bundesregierung beabsichtigt, im Laufe dieses Jahres Ermächtigungen für neue Kredite in Höhe von 300 Milliarden Euro einzuholen. ({15}) Darüber werden wir an anderer Stelle diskutieren. Aber ich erwarte, dass wir die Schuldenbremse ab dem 1. Januar 2023 wieder einhalten. ({16}) Das wäre ein Signal an den Markt, das wäre ein Signal an andere Länder in Europa, und das gäbe der Zentralbank den Spielraum, den sie dringend braucht, um eine vernünftige Geldpolitik zu machen. ({17}) Zum Abschluss, weil mir die Redezeit, Frau Präsidentin, etwas davonläuft – ich hätte noch viel zu sagen –: Auf europäischer Ebene haben wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt außer Kraft gesetzt. Es wäre dringend notwendig, dass auch er am 1. Januar 2023 wieder in Kraft tritt. Ich erwarte, dass man sich als Bundesregierung nicht hinter der Formulierung „Wir warten die Prüfung der Kommission ab“ versteckt. Nein, hier sind klare Signale an den Markt und an die anderen Mitgliedstaaten im Euroraum notwendig. Wir werden die Diskussion an anderer Stelle weiterführen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Verena Hubertz. ({0})

Verena Hubertz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005089, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo soll ich anfangen? ({0}) Sie sprechen von Angst. Ihr Antrag atmet Angst. Wir leben in einer Zeit von Angst: Angst vor Krieg, Angst vor Inflation, Angst vor Wohlstandsverlust. ({1}) Und Sie fragen, was wir tun können. Haben Sie nicht mitbekommen, was wir tun? ({2}) Wir tun eine ganze Menge. ({3}) Ich habe das extra einmal alles ausgedruckt und mitgebracht. Es ist schön, dass Sie das Thema hier aufgerufen haben, dann können wir das jetzt Stück für Stück durchgehen. ({4}) – Ja, wir lernen alle noch etwas hier miteinander. Eins, zwei, drei – zwei Entlastungspakete und ein Wirtschaftspaket – und vieles, was sozusagen gar nicht in Paketen gedacht wird. Wir haben wirklich jede Menge auf den Weg gebracht. Wir werden zum 1. Juli die EEG-Umlage abschaffen. ({5}) Es gibt einen Heizkostenzuschuss, einen Sofortzuschuss. ({6}) – Sie von der AfD, von Ihnen gibt es überhaupt keine produktiven Vorschläge. ({7}) – Nein, da hören Sie bitte auch mal kurz zu! ({8}) Wir haben ein erstes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Wir haben ein zweites Entlastungspaket auf den Weg gebracht mit Maßnahmen, die von der Tankstelle bis zum ÖPNV reichen; heute ist zum Beispiel auch die Lesung für das verkehrsverbundübergreifende 9‑Euro-Ticket. Wir gucken eben nicht auf die eine Sache, die gerade das Leben teurer macht, sondern Inflation entsteht ja aufgrund von Dingen in einem Warenkorb; da sind ja ein paar mehr Dinge drin. Da gibt es jetzt auch nicht die eine Lösung und das eine, was wir tun können. ({9}) In diesen Zeiten ist es vielleicht doch auch ganz angemessen, einen kühlen Kopf zu bewahren. ({10}) Wir können natürlich immer abdämpfen, Stöße abfedern, aber wir müssen auch an die Wurzel der Probleme. ({11}) – Also, jetzt konzentrieren wir uns doch mal kurz auf die Debatte. Ich wusste gar nicht, dass Sie hier auch so aktiv sind. – Wir haben Entlastungspakete auf den Weg gebracht, wir wollen aber an die Wurzel des Problems. ({12}) Wenn es um die Wurzel des Problems geht, bedeutet das natürlich, zu schauen, warum die Märkte Preise an der Tankstelle weitergeben, obwohl die Rohölpreise gar nicht steigen, und bedeutet das auch, dass wir schnell von den fossilen Energieträgern wegkommen müssen, die knapp sind. ({13}) Neben den Entlastungspaketen, die primär auf die Bürgerinnen und Bürger zielen, haben wir jetzt natürlich auch etwas für die Unternehmen auf den Weg gebracht. Zum einen ist das Programm zu KfW-Krediten am Montag gestartet, die Bürgschaftsprogramme letzte Woche. ({14}) Wir haben neben den Möglichkeiten für Kredite aber auch die Möglichkeiten des Temporary Crisis Frameworks genutzt, also von Zuschüssen, weil viele Unternehmen eben nicht mehr in der Lage sind, noch mehr Kredite und noch mehr Kredite aufzunehmen. ({15}) Zur Langfristigkeit. Langfristig agieren bedeutet aber auch – der Kollege Schrodi aus dem Finanzbereich wird darauf gleich eingehen –, dass es Steuerentlastungen geben wird, die rückwirkend ab dem 1. Januar greifen werden, indem wir Freibeträge erhöhen. Wir werden auch an das BAföG herangehen. Sie fragen in Ihrem Antrag auch: Was ist mit den Studierenden? Heute geht es in erster Lesung um die Novelle des BAföG. Es ist nötig, dass auch da endlich mal wieder etwas vorangeht für die Studierenden in diesem Land. ({16}) Die Pakete sind Stoßdämpfer. Die Inflation hat verschiedene Facetten. Die Inflation kommt aufgrund der Preissteigerungen bei der Energie, aber auch aufgrund der Preise verschiedener anderer Warengruppen, die jetzt eben auch steigen. Ich will hier zum Abschluss sagen: Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, ist ein Gemischtwarenladen an Ich-wünsch-mir-Was. ({17}) Dass Sie jetzt sagen, wir müssten mehr entlasten, wir müssten die Steuern noch mehr senken, müssten gleichzeitig aber doch bitte die Schuldenbremse einhalten, das ist doch widersprüchlich par excellence. ({18}) Liebe Ampel, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gute Dinge auf den Weg gebracht. Heute in dieser Sitzung wird in 15 Stunden viel beraten werden. Diesen Antrag aber werden wir gleich ablehnen. ({19}) Ich freue mich noch über gewinnbringende Argumente in dieser doch sehr hitzigen Debatte. Vielen herzlichen Dank. ({20})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hubertz, Kreisverkehr ist wirklich wirksamer als die Ampel. Treten Sie zurück! Das wäre schon mal ein Generalrezept für dieses Land. ({0}) Liebe Kollegen von der CDU/CSU, leiden Sie eigentlich an kollektiver Amnesie? Die Pendlerpauschale haben Sie seit 2004 nicht angefasst. Da gab es sogar noch sozialdemokratische Beteiligung. Sie haben den Tarif auf Rädern angeboten – ein Sachargument. Die CO2-Abgabe ist von Ihnen mitgetragen worden. Der Hals-über-Kopf-Ausstieg aus der Atomkraft von Ihrer Schuldenkönigin und Kanzlerin Merkel, die Eurorettung und Schuldenrettung und der Negativzins gehen auf Ihr Konto, verehrte Kollegen der CDU/CSU! ({1}) Das schlägt dem Fass ja geradezu den Boden aus, was Sie hier treiben! ({2}) Kollege Meister, ich schätze Sie, aber wie können Sie hier so eine Rede halten nach 16 Jahren Regierungskoalition? ({3}) Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Sachargumenten: ({4}) Im vorliegenden Antrag wird leider nicht einer Ihrer sieben Punkte begründet. ({5}) Man hat hier wohl auf die Schnelle tatsächlich auf Populismus machen wollen, oder vielleicht waren Sie in der Kirche und wollen jetzt Buße tun. Die einzige Partei, die seit fünf Jahren hier im Hause etwas gegen Inflation, Eurorettung und Negativzins bringt und erörtert, ist die AfD-Fraktion, meine Damen und Herren. Das gehört den Wählerinnen und Wählern in NRW gesagt: Sie sind die Lösung nicht! ({6}) Alles, was in diesem Antrag zu lesen ist, kritisieren wir seit Jahren. Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin aus der „Welt“ vom 30. August 2021 zitieren: „Das sozialpolitische Erbe der Kanzlerin sind vor allem Schulden“. Herr Meister, zu Ihrem Satz eben mit den 300 Milliarden Euro ist also zu sagen: Da sollten Sie in Sack und Asche gehen. Noch interessanter wird es allerdings, wenn wir uns die gegenwärtige EZB-Politik einmal anschauen. Sie ist nicht nur nicht angemessen, sie ist aus unserer Sicht – und auch da prozessieren wir, Frau Kollegin – auch noch rechtswidrig und mit der Verfassung nicht vereinbar, meine Damen und Herren. Um den Gedanken einmal zu Ende zu bringen: Die aktuelle Geldpolitik der EZB ist nach wie vor das „Whatever it takes“ von Herrn Draghi. „Whatever it takes“ – der Satz heißt „Inflation“, den wir, die Sparerinnen und Sparer, die Rentner und die ärmeren und mittleren Einkommensbezieher in Deutschland jetzt bezahlen. Das ist gleichzeitig das Erbe von Herrn Draghi, meine Damen und Herren. ({7}) Zur kalten Progression. Wir haben hier wieder den Tarif auf Rädern beigestellt. Herr Lindner, auch da haben Sie Amnesie; denn Ihre Partei hat das noch im Wahlprogramm stehen. Wir haben es hier mehrmals eingebracht, das erste Mal am 13. Februar 2019. Als wir am 17. Februar 2022 hier im Hohen Hause über unseren Antrag zu dem Thema debattierten, wurde eines mehr als deutlich: Den eher linkeren Fraktionen hier im Hause gefällt es sogar, dass wir die kalte Progression haben. Sie würden lieber – das ist eben in Ihrer Rede klar geworden – neue Umverteilungsmechanismen erfinden, um das Geld nach Ihrem Gutdünken – und das ist das Gefährliche – zu verteilen. Wer dem Kollegen Schrodi in dieser Debatte aufmerksam zugehört hatte, wird bemerkt haben, dass er große Lust hat, gerade für höhere Einkommen der kalten Progression am besten gar nicht entgegenzuwirken. Meine Damen und Herren, heimliche Steuererhöhung durch die kalte Progressionsküche, das ist ihr Rezept, aber es trifft alle Menschen in diesem Land. Aber gerade die kalte Progression – das ist wissenschaftlich belegt – trifft die ärmeren Menschen, meine Damen und Herren. Genau wegen solch politischen Handelns oder vielmehr Nichthandelns gibt es Länder auf der Welt wie beispielsweise die Schweiz, die die automatische Beseitigung der kalten Progression in ihre Verfassung geschrieben haben. Meine Kollegen von der CDU/CSU, das wäre ein Argument, unserem Tarif auf Rädern doch endlich zuzustimmen. Wenn die Schweiz als Musterland der Demokratie dies – wahrscheinlich mit guten Gründen – in ihre Verfassung hineinschreibt und dies den, sagen wir mal, doch etwas ausgabenfreudigen Händen der Politik entzieht, dann ist das ein guter Grund. Herr Kollege Gutting, die Schweiz ist das Land, das als Vorbild dient, und daher bitte ich Sie mit Blick auf die letzte Debatte: Kommen Sie mit ins Boot und stimmen Sie unserem Antrag zum Tarif auf Rädern zu! Ich habe im Übrigen auch nicht vernommen, dass in der Schweiz debattiert wird, die Verfassung wieder zu ändern, weil dieser Automatismus so gefährlich wäre oder weil ja der Haushalt das Königsrecht des Parlaments ist. Ein kurzes Argument noch in Richtung FDP – ich habe es eben schon erwähnt –: Es wäre Ihre Verantwortung gewesen, Herr Lindner, diese Krabbelgruppe und Experimentiergruppe bestehend aus Grünen und SPD wieder auf den finanzpolitisch richtigen Pfad zu bringen. Schauen Sie in Ihr Wahlprogramm! Dort steht der Tarif auf Rädern noch drin. Entlasten Sie die Menschen wirklich! Und hören Sie auf mit diesen linkssozialistischen Experimenten, meine Damen und Herren! Liebe Wählerinnen und Wähler in NRW, wählen Sie die Partei, die für Sie da ist, und das ist die AfD und keine andere. ({8})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Beck. ({0})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und bei diesem so wichtigen Thema für uns alle in diesem Land auch: Liebe Bürgerinnen und Bürger! ({0}) – Immer. – Manchmal ist das hier einfach ein Debattenraum, um uns über unsere Gesetzesvorhaben auszutauschen. Aber dieses Thema geht wirklich alle an. Danke auch an Sie von der CDU/CSU-Fraktion, dass Sie dieses Thema zu dieser prominenten Uhrzeit aufgesetzt haben. ({1}) 7,4 Prozent – das ist eine relativ abstrakt wirkende Zahl. ({2}) Diese Zahl materialisiert sich gerade bei uns allen im Alltag. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, wie Aline Abboud in den „Tagesthemen“ anhand eines Pausenbrötchens gezeigt hat, dass die Preise für einzelne Produkte wie Gurken und Tomaten sogar um über 40 Prozent gestiegen waren, wodurch klar wurde, wie teuer alles geworden ist. Im Alltag der Menschen ist diese Inflation unfassbar real, unfassbar hoch. Gestern habe ich mit einigen jungen Eltern gesprochen, die nach der Coronakrise endlich in den Urlaub fahren wollen und die sich das Ferienhäuschen oder sogar den Zeltplatz an der Ostsee gar nicht leisten können. Wir haben schon super lange – und das ist auch ein essenzieller Teil des Punktes, den ich heute machen möchte – strukturelle Probleme. Das sieht man beispielsweise auch im Immobilien- und im Wohnbereich. Die Preise dort sind schon lange hoch. Im Energiebereich – das haben wir gerade eben besprochen – ist das Thema wirklich groß. ({3}) Wir sehen es jetzt an den Zapfsäulen, und wir sehen es spätestens im nächsten Jahr auch auf unseren Heizkostenabrechnungen. Wir haben wirklich akute Probleme, aber wir müssen auch strukturell an die Probleme rangehen. Da greift Ihre Problemanalyse der reinen Geldpolitik einfach zu kurz. ({4}) Ja, die Zentralbank sollte agieren. Sie hat aber richtigerweise eine rechtlich verbriefte Unabhängigkeit. Die Zentralbank ist für Preisstabilität da. Aber – und ich wundere mich manchmal, weil Sie sich ja als Wirtschaftspartei darstellen – Preise entstehen doch durch Angebot und Nachfrage – das wissen wir. ({5}) Wir haben wirklich große Probleme, die jetzt auch noch als externe Schocks hinzukommen. Wir haben beispielsweise den Krieg in der Ukraine, den Sie überhaupt nicht erwähnen. Wir haben damit zusammenhängende Energie- und Ernährungsprobleme. Diese Energieprobleme sind doch strukturell. Ich weiß nicht, in welchem Wirtschaftsbereich Sie unterwegs sind, aber wir waren zu 55 Prozent abhängig von einem einzigen Lieferanten. Ich bin ja Finanzpolitikerin. ({6}) Wenn ich einen Fonds gestalten würde, wo ein Titel 55 Prozent ausmachen würde, dann würde der überhaupt nicht gekauft werden, weil das Risikoprofil so schlecht wäre. Das haben Sie uns aber leider vererbt, meine Damen und Herren. ({7}) Ich bin dieser Regierung in ihrer Gänze sehr dankbar, dass sie diese kluge Wirtschafts- und Energiepolitik mitträgt. Wir müssen jetzt mit aller Kraft das Angebot bei der Energie diversifizieren. Wir haben es schon geschafft, von 55 Prozent auf 35 Prozent bei der Abhängigkeit vom Gas runterzukommen – in einer Kraftanstrengung. Sie dagegen haben es in Ihren 16 Jahren hinbekommen, die Abhängigkeit um ein Drittel zu erhöhen. Das ist doch keine kluge Wirtschaftspolitik. Wir aber legen hier in den ersten Monaten schon eine wirklich kluge Energie- und Wirtschaftspolitik vor, meine Damen und Herren. ({8}) Das Thema Ernährung hängt sehr stark mit den Lieferketten, aber auch mit der Energie zusammen. Der größte Preistreiber sind nicht irgendwelche Flächenprozente, sondern der größte Treiber für die gestiegenen Preise bei Getreide und Lebensmitteln sind gerade die Energiekosten, und deswegen ist dieses Thema so wichtig. ({9}) Wir müssen in der Wirtschaftspolitik endlich auch mal darüber sprechen, was Resilienz eigentlich zu bedeuten hat. Globale Strukturen sind wichtig, aber auch regionale und lokale Strukturen; das sehen wir doch jetzt so nachdrücklich. Deswegen ist es gut, dass wir mit unserer Fortschrittskoalition genau diese Kreislaufwirtschaft global, lokal und regional – auch in Europa – denken und uns da zukunftsfähig aufstellen. ({10}) Gerade liegen vor den Küsten der Ukraine große Schiffe voll mit Getreide, die nicht losfahren dürfen. Wir haben ein riesiges Lieferkettenproblem, auch in Schanghai, einem der größten Umschlagplätze der Welt. Das heißt, es ist wichtig, hier klug auszubalancieren, wie wir „global“ und „regional“ zusammendenken. Leider hinterlassen Sie uns in einigen Branchen auch dysfunktionale Märkte. Ich nehme noch einmal das Beispiel der Energie. Wir haben dort leider oligopolistische Marktstrukturen. Es ist komplett unsicher, ob das alles, was wir dort gerade drehen, überhaupt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden kann. Und auch hier: Wir stärken das Kartellamt. Ich bin wirklich für Wettbewerb, aber für guten Wettbewerb mit guten Rahmenbedingungen. Das wird diese Ampelkoalition nach 16 Jahren endlich umsetzen, weil Sie es nicht geschafft haben und uns dysfunktionale Märkte hinterlassen haben. Wir haben – Frau Hubertz hatte es schon gesagt – die Entlastungspakete; denn wir haben ein großes Problem, dass sich Menschen gerade etwas nicht leisten können. Ich rede da vom Kindersofortzuschlag, ({11}) dass man sich vielleicht auch einmal ein Kinoticket leisten kann. Dann rede ich auch von der Energiepreispauschale, auch vom 9‑Euro-Ticket, damit man überhaupt an die Ostsee fahren kann. Das alles bringen wir auf den Weg. Wir machen Wirtschaftshilfen. Wir gehen aber auch die strukturellen Probleme an. Das ist unfassbar wichtig sowohl für die Wirtschaft unseres Landes als auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents, der mit guten Wertschöpfungsketten in eine klimaneutrale und soziale Zukunft gehen kann. Und wir wollen es trotzdem gemeinsam schaffen, die Angebots- und Nachfragestrukturen in funktionierenden Märkten hinzubekommen. ({12}) Somit liegt die Zukunft nicht nur darin, jetzt akut abzufedern und aufzupassen, dass wir nicht neue Inflationsspiralen – Sie hatten es angesprochen – ankurbeln, sondern dass wir tatsächlich die Rahmenbedingungen dieses einen Planeten, auf dem wir zusammen leben, berücksichtigen, dass wir gute Wertschöpfungskreisläufe entwickeln, dass wir gleichzeitig mitdenken und die Balance schaffen, die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen mit großen Wirtschafts- und Finanzhilfen zu unterstützen. Ich bin sehr dankbar, dass diese innovative Dreierkoalition jeweils bei ihren Herzensthemen durchaus auch belastbar ist. Wir kaufen gerade Energie ein, auch da, wo wir es nicht unbedingt gewollt hätten, aber wir tun das zum Wohle dieses Volkes, dieser Gesellschaft und Europas. Auf diesen klugen Weg, auch mit der Inflation umzugehen, freue ich mich in den nächsten Jahren. Vielen Dank. ({13})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Frau Dr. Sahra Wagenknecht. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Preise steigen und steigen, und sie fressen den Menschen Einkommen und Wohlstand weg. Selbst Mittelschichtfamilien müssen sich einschränken, und wer vorher schon mit seinem Gehalt oder seiner kleinen Rente kaum über den Monat kam, der ist am Verzweifeln. Aber diese höchste Inflation seit über 40 Jahren ist nicht vom Himmel gefallen und ist auch nicht nur Ergebnis des Ukrainekriegs, sondern sie ist vor allem Ergebnis eines eklatanten Politikversagens hier in unserem Land. ({0}) Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass der Preis für den Liter Diesel nirgendwo in der EU so stark gestiegen ist wie in Deutschland? Bei Strompreisen sind wir schon lange Spitzenreiter. Trotzdem sind Sie jetzt noch mal 20‑mal so schnell gestiegen wie in Frankreich. Auch bei Lebensmitteln und bei Gas ist das Tempo der Preissteigerung woanders lange nicht so hoch wie hier. Und dem Wirtschaftsminister fällt dazu nur ein: Wir werden alle ärmer werden. Nein, Herr Habeck, wenn Preise steigen, dann werden durchaus nicht alle ärmer, es werden auch einige sehr viel reicher, nämlich die, die die steigenden Preise am Ende kassieren, und die gibt es. Allein im März haben die Ölkonzerne hier in Deutschland zusätzliche Gewinne in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gemacht; 1,2 Milliarden Euro in einem Monat. Bei Gas sahnen doch vor allem die Zwischenhändler ab; denn noch bekommen wir ja das billige russische Gas aus den Langfristverträgen. Das heißt, wir sehen hier: Einige machen schamlos Reibach mit dem Krieg, und die Regierung schaut zu. – Ich finde das empörend. ({1}) Warum steigen die Lebensmittelpreise so rasant? Gleich zu Beginn des Krieges gab es einen heißen Tipp für reiche Leute, wie man jetzt schnell sein Geld vermehren kann: Agrarfonds. Das sind Fonds, die auf steigende Preise für Lebensmittel wetten und mit diesen Wetten die Preise erst so richtig nach oben treiben. Seit Beginn des Krieges hat diese Zockerei regelrecht geboomt. Ich finde, das ist auch völlig unakzeptabel; denn die Rechnung dafür zahlt Otto Normalverbraucher an der Supermarktkasse. ({2}) Das muss man alles nicht laufen lassen. Andere europäische Regierungen lassen es auch nicht laufen. In Spanien und Portugal wurde Anfang Mai per Gesetz der Gaspreis fast halbiert, und auch der Strompreis wurde gesenkt. In vielen Ländern gibt es mittlerweile gesetzliche Preisdeckel für Energie. Nur der deutschen Regierung fehlt offenbar das Rückgrat dazu. Stattdessen wollen Sie jetzt offenbar durch ein Ölembargo die Preise noch weiter in die Höhe treiben. Die grüne Außenministerin will sogar unsere gesamten Energieimporte aus Russland auf null drücken – für immer, wie sie stolz verkündet hat. Und auch die Union unterstützt doch das Ölembargo und teilweise sogar noch weiter gehende Forderungen. Und dann inszenieren Sie sich hier als Vertreter des kleinen Mannes. Wie verlogen ist das denn? ({3}) Merken Sie nicht, dass die ganze Sanktionspolitik uns viel mehr als Putin schadet? Fällt Ihnen gar nicht auf, dass der Euro seit Februar immer mehr an Wert verliert, während der Rubel inzwischen sogar höher steht als zu Beginn des Krieges? Da muss man doch mal drüber nachdenken, warum das so ist. Russland kann seine Energie auch woanders verkaufen; denn der größte Teil der Welt beteiligt sich eben nicht an Ihren Sanktionen. Aber bei uns gehen bei explodierenden Energiekosten wortwörtlich die Lichter aus. Deutschland wird wichtige Teile seiner Industrie verlieren, wenn sich der Kurs von Frau Baerbock durchsetzt. ({4}) Deswegen muss man ganz klar sagen, Herr Bundeskanzler: Stellen Sie Ihre Ampel bei der grünen Energiepreistreiberei endlich auf Rot, und machen Sie Politik für die Menschen hier im Land. ({5})

Bärbel Bas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004006

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Markus Herbrand. ({0})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Inflation ist zurück in Deutschland. Im gesamten Euroraum ist die Inflation im Laufe des vergangenen Jahres vor allem als Folge der Coronakrise sprunghaft angestiegen, ({0}) übrigens sehr viel stärker als auch von vielen Ökonomen erwartet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass weltweit die Lieferketten gestört sind, daneben wirken sich steigende Transport- und auch Produktionskosten belastend aus, und jetzt kommt selbstverständlich auch noch der Krieg zusätzlich hinzu. ({1}) Keine Frage also: Es handelt sich um ein wirklich wichtiges Thema. Die Antwort der antragstellenden Fraktion ist jedoch unseriös. Zum einen deshalb, weil Sie all das, was schon geschehen ist bzw. augenblicklich im parlamentarischen Verfahren ist, unterschlagen, und zum anderen deshalb, weil Sie uns natürlich auch verschweigen, wie Sie denn noch mehr Entlastungen eigentlich finanzieren wollen. ({2}) So weit zum Grundsätzlichen; gerne drei Punkte konkret: Erstens. Der Antrag suggeriert, dass der Staat die Inflation quasi im Alleingang beheben kann. Sie gehen in Ihrem Antrag fahrlässig unsauber mit der Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik um, einem Grundpfeiler unserer Wirtschaftsordnung. Das wissen Sie auch besser. Die Ursachen von Inflation kann nämlich nur die Geldpolitik, also die Zentralbank bekämpfen. ({3}) Deswegen ist Geldwertstabilität im Aufgabenbuch der EZB auch das oberste Ziel. ({4}) Deswegen ist es maximal populistisch, so zu tun, als könne die Fiskalpolitik, also der Staat, die Inflation voll beheben. Sie kann aber, wie der Finanzminister es immer sagt, die Folgen abfedern. Zweitens. Die Ampelkoalition hat innerhalb weniger Monate so massive Entlastungen auf den Weg gebracht wie vermutlich noch niemals zuvor in so kurzer Zeit. Es handelt sich sowohl um einmalige Maßnahmen als auch um dauerhaft wirkende Maßnahmen. Ich muss sie mal auflisten: Mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz schaffen wir 11 Milliarden Euro Entlastung. Mit einem Steuerentlastungsgesetz einschließlich Kinderbonus und Energiepreispauschale werden den Bürgerinnen und Bürgern auf die Dauer der gesamten Legislaturperiode 30 Milliarden Euro zurückgegeben. Mit der Abschaffung der EEG-Umlage werden Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger allein in diesem Jahr um 6,6 Milliarden Euro entlastet. ({5}) Zudem satteln wir mit der temporären Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe noch mal 3,15 Milliarden Euro obendrauf. Unterstellt, meine sehr geehrten Damen und Herren, die EEG-Umlage bliebe ansonsten konstant, setzt die Ampel damit für den Rest der Legislaturperiode rund 67 Milliarden Euro für nachhaltige soziale, zukunftsweisende Entlastungsmaßnahmen an, die natürlich die Inflation abfedern. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Inflation wirkt ungerecht; denn Kosten für Energie und Lebensmittel belasten schwächere Haushalte mehr als die finanzstärkeren Teile unserer Gesellschaft. Deswegen adressieren wir unsere Maßnahmenpakete auch in erster Linie an diejenigen, die diese inflationären Wirkungen härter treffen: Familien, Bezieher von Transferleistungen, aber auch diejenigen, die eigenes Erwerbseinkommen erzielen und sich im unteren Bereich sowie in der Mitte der Einkommensskala befinden. Wir halten das für den richtigen Weg. Dritter Punkt. Vor allem in Bezug auf die Punkte 6 und 7 Ihres Forderungskatalogs, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, sind Zweifel angebracht, ob Anträge bei Ihnen eigentlich noch einmal gegengelesen werden. Unter Punkt 7 fordern Sie – ich zitiere –, „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel … die grundgesetzliche Schuldenbremse … wieder einzuhalten“. Das muss man erst mal wirken lassen. Der Tiefpunkt ist aber der Punkt 6. Hier fordern Sie allen Ernstes für alle EU‑Vorhaben ein Moratorium von zwei Jahren. Das ist absurd. Das Ergebnis einer solchen Forderung macht meines Erachtens die EU gestaltungsunfähig: keine einheitlichen Sanktionen, keine einheitlichen Maßnahmen zur Energiesicherheit, keine weiteren Fortschritte in der Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik oder auf sonstigen Politikfeldern. Das wäre ein faktischer Stillstand für die gesamte Europäische Union. Es erscheint geradezu grotesk, dass ausgerechnet die CDU/CSU die eigene Kommissionspräsidentin entmachten und die EU blockieren und gestaltungsunfähig machen will. Offenbar sind Sie sich nicht zu schade, diese Forderungen gegen die EU einzubringen. Das zeigt, dass Sie im Plenum neben der AfD an der richtigen Stelle sitzen. ({7}) Ich hoffe sehr, dass dieser Punkt ein Versehen war. Es zeigt aber auch: Das Beste an Ihrem Antrag ist die Überschrift. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Jens Spahn jetzt das Wort. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inflation ist stille Enteignung. Sie frisst Ersparnisse auf. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen weniger für ihr Geld. Das spüren sie im Supermarkt, an der Tankstelle, in der Bäckerei. Inflation ist zutiefst unsozial. Sie trifft kleine und mittlere Einkommen, die hart arbeitende Mitte im Land besonders hart. Angesichts einer Rekordinflation hat US-Präsident Biden Inflation zu dem Topthema der amerikanischen Innenpolitik gemacht – „top priority“. Von dieser Regierung, von diesem Bundeskanzler hören wir dazu nichts, weder hier im Deutschen Bundestag noch am Sonntagabend. ({0}) Das Thema, das alle Bürgerinnen und Bürger beschäftigt, geht nicht davon weg, liebe Bundesregierung, liebe Koalition, dass Sie nicht darüber reden oder nicht darüber reden wollen. Und übrigens – weil Sie immer die 16 Jahre ansprechen –: Es gab in den 16 Jahren zuvor nicht einmal die hohe Inflation, die wir hier gerade haben. Handeln Sie endlich bei dem Thema, das die Bürgerinnen und Bürger am meisten beschäftigt, bei der Frage der Preissteigerung! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Spahn, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen?

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Wir haben einen Sieben-Punkte-Plan gegen Preissteigerungen vorgelegt und haben dabei drei Ansätze. Der eine ist – kurzfristig – die Entlastung vor allem beim Preistreiber Energie. Steuerentlastung und Energiepreise sind schon angesprochen worden. Und ja, Sie tun etwas – ohne Zweifel, wir haben darüber auch letzte Sitzungswoche schon gesprochen –, es ist nur zu wenig, zu spät und zu bürokratisch; das ist das Problem. Deswegen schlagen wir einmal mehr vor, die Steuern auf die Energie zu senken. ({1}) Das entlastet in der Breite und in der Tiefe die Bürgerinnen und Bürger, die es betrifft. Wenn Sie dann schon die 300-Euro-Pauschale beschließen, wenn Sie an der Stelle richtigerweise entlasten, dann entlasten Sie bitte auch Rentnerinnen und Rentner, ({2}) die Studenten, die Minijobber. Auch die leiden unter der hohen Inflation, und die bekommen von Ihrem Paket gar nichts ab. ({3}) Auch das muss hier thematisiert werden. Wenn es dann heißt, das müsse ja auch finanziert werden, Herr Herbrand: Sie tun an dem Tag, an dem der Finanzminister bei der Steuerschätzung Rekordsteuereinnahmen verkünden wird, ({4}) an dem Tag, an dem klar wird, dass 1 Prozent Inflation etwa 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen für den Staat bedeutet, hier so, als wäre das Geld dafür nicht da. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern vor allem bei den Energiepreisen das zurückzugeben, was sie aufgrund der höheren Preise bei den Steuern gerade mehr zahlen. Darum geht es, und dafür ist das Geld ohne Zweifel auch da. ({5}) Der zweite Ansatz ist: Die Preise sind auch hoch, weil die Nachfrage höher ist als das Angebot. Deswegen geht es darum, das Angebot zu erweitern. Das ist übrigens eine Änderung in der Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre – notwendig geworden eben durch die neue Lage –, bei der es jetzt darum geht, auch stärker wieder wachstums-, angebotsfördernde Reformen in den Blick zu nehmen, was Produktivität angeht. Bürokratieabbau, im Übrigen europäisch wie deutsch, gehört dazu. Es ist gerade schon gesagt worden: Das Angebot wird aber auch erweitert durch freien Handel. Wir haben das hier schon öfter angesprochen, aber ich will es noch mal tun, weil das Thema wirklich grundsätzlich und wichtig ist: Wenn wir mit einem Staat wie Kanada keinen Freihandel treiben können, mit wem denn dann? ({6}) Wir können nicht nach Katar fliegen, um Gas zu kaufen, aber die Beziehung zu Kanada problematisieren. ({7}) Und wissen Sie was? Der entscheidende Teil kommt noch: Das sagt nicht Jens Spahn, das sagt Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. ({8}) Wenn er das so sieht, liebe Grüne, sollten auch Sie es möglich machen, dass wir CETA hier im Deutschen Bundestag endlich ratifizieren können. ({9}) Neben der kurzfristigen Entlastung und der Erweiterung des Angebotes geht es im siebten Punkt unseres Antrags auch darum, die Schuldenbremse ab dem nächsten Jahr wieder einzuhalten und beim Stabilitätspakt in der Europäischen Union zu den Grundzügen zurückzukehren, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Spahn?

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– weil in einer Zeit wie dieser mit dieser Inflation – Frau Präsidentin, den Gedanken will ich noch zu Ende führen – Verschuldung, vor allem mit der EZB-Politik verbunden, eben auch zu höherer Inflation führt. ({0}) Der Finanzminister hat gesagt, ({1}) er wolle sich in der Frage der Schuldenbremse – so das Zitat – am Haushalt 2023 messen lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann ich Ihnen zusagen: Wir werden ihn daran messen, dass die Schuldenbremse im nächsten Jahr, wie zugesagt, wieder eingehalten wird. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt die Frage, ob Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ernst zulassen möchten.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Spahn, dass Sie die Frage zulassen. – Wir reden ja über die Preissteigerungen. Jetzt ist Ihnen sicher genauso bekannt wie mir, dass ein wesentlicher Treiber der Preise zurzeit die Energiepreise sind. Sie haben auch richtigerweise festgestellt: Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. – Jetzt habe ich von Ihrer Fraktion noch nicht wahrgenommen, dass Sie irgendetwas getan hätten, um im Energiebereich die Nachfrage zu erhöhen. Die Nachfrage wäre sehr leicht zu erhöhen, wenn wir mal darüber nachdenken, ob die Sanktionen, die wir verhängen, insbesondere im Energiebereich, uns eher schaden, die Preise treiben, oder uns nutzen. Würde es nicht – sind Sie mit mir der Auffassung? – unabhängig davon, dass der Krieg verbrecherisch ist – das ist unbestritten –, wenn wir, für eine Übergangszeit jedenfalls, weiter Öl und Gas beziehen, die Nachfrage eher erhöhen und damit auch die Preise senken? ({0}) – Entschuldigung: das Angebot erhöhen und damit die Preise auch senken. – Würden Sie darüber nachdenken, ob man, statt solche Anträge einzubringen, ({1}) die teilweise nicht zielführend sind, über ganz normale ökonomische Vorgänge, die wir selbst momentan von der Wirkung her ins Gegenteil verkehren, nicht eine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger hinkriegen würde? ({2}) Also, ganz konkret gefragt: Sind Sie der Auffassung, dass wir über eine Steigerung des Angebots bei Gas und Öl ({3}) – und gegenwärtig sind nur die Russen dazu in der Lage, das zu ermöglichen – auch unsere Preise stabilisieren könnten? ({4})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, Herr Ernst, das kann nicht Ihr Ernst sein; richtigerweise gab es an dieser Stelle gerade den Einwurf. Zuerst einmal: Beim Gas gibt es bis jetzt überhaupt noch gar keine Einschränkung des Angebotes, um das mal klar zu sagen. Wir finden es im Übrigen richtig – und wir tragen das auch ausdrücklich politisch mit, so schwer das in der Abwägung ist –, dass wir schnellstmöglich, aber eben schrittweise, so wie es auch verantwortbar ist, aus der Abhängigkeit von russischer Energie rauskommen, auch wenn das gleichzeitig entsprechende Folgen im Land hat. Wenn Sie das Thema Ideologie ansprechen: Ideologie ist es ja meistens dann, wenn man nicht bereit ist, die eigene Position zu verändern, wenn die Welt sich ändert. Die Linkspartei sollte endlich einmal angesichts dessen, was wir gerade jeden Tag sehen, und vor allem angesichts dessen, was das ukrainische Volk jeden Tag erleiden muss – Tod, Verbrechen, Vergewaltigung –, ihr Verhältnis zu Russland klären, bevor Sie hier kluge Fragen stellen, Herr Ernst. ({0}) Das ist immer noch die fünfte Kolonne Moskaus, bei allem, was Sie tun. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rekordinflation ist das Thema für die Bürgerinnen und Bürger. Es ist übrigens einmal mehr die Unionsfraktion, die die Themen, die die Bürgerinnen und Bürger beschäftigen, in dieser Sitzungswoche anspricht. ({1}) Wir erwarten, dass die Bundesregierung das Thema „Inflation und Preissteigerung“ zu ihrem Thema macht. Wir haben einen Sieben-Punkte-Plan dazu vorgelegt. Handeln Sie endlich! Sie tun es nicht für uns, Sie tun es für die Bürgerinnen und Bürger. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Abgeordnete Kleinwächter hat das Wort zu einer Kurzintervention.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werter Herr Kollege Spahn, Sie haben ja vollkommen recht: Die Inflation hat Toppriorität. Sie ist das absolut wichtigste Thema, gerade für Menschen in meiner Generation, in meiner Altersgruppe. Viele von meinen Studienkollegen, Freunden wissen gar nicht mehr, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. Die Immobilienpreise sind ins Unermessliche gestiegen, jetzt steigen die Lebensmittelpreise, die Energiepreise steigen. Diese Inflation ist unverantwortlich, unverantwortlich den Bürgern in unserem Land gegenüber. Sie haben die Aufmerksamkeit auf Biden gerichtet. Sie haben gesagt, er habe sie zur Toppriorität gemacht. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit mal auf ein Land richten, das weniger weit weg ist. Das ist ein Land, das nicht in der EU ist, das nicht in der Eurozone ist, dafür eine vernünftige Politik und direkte Demokratie hat. Das ist die Schweiz. Während wir in Deutschland mit einer Inflation von 7,5 Prozent kämpfen, hat die Schweiz eine Inflation von lediglich 2,5 Prozent. Das bedeutet, irgendwas ist ja wohl in der Europäischen Union schiefgelaufen. In der Europäischen Union ist schiefgelaufen, dass die EZB ohne Ende Geld gedruckt hat. Diese Inflation fällt doch nicht vom Himmel, sondern sie ist das Ergebnis einer stetigen Geldmengenausweitung. Wenn Sie die Quantitätsgleichung kennen, die man im Grundstudium der Volkswirtschaftslehre lernt, dann wissen Sie: Geldmenge ist gleich Preisniveau. Wenn Sie also die Geldmenge ausweiten, steigt auch das Preisniveau. Das haben wir über Jahre bei den Immobilienpreisen gesehen, das sehen wir jetzt bei den Energie- und Lebensmittelpreisen, das sehen wir auf allen möglichen Märkten. ({0}) Herr Spahn, Sie sind Mitglied des letzten Kabinetts gewesen. Deshalb frage ich Sie: Das Kabinett Merkel hat auf EU-Ebene von der Leyen produziert, es hat auf EU-Ebene eine Christine Lagarde als Chefin der EZB produziert; Christine Lagarde hat Angela Merkel als persönliche Freundin bezeichnet. Was hat die Bundesregierung getan? ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das weitet sich jetzt zu einem Redebeitrag aus. Die Zeit ist um.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich stelle jetzt diese Frage: Was hat die Bundesregierung je getan? Wann hat sie je gesagt: „Wenn diese Geldmengenausweitung weitergeht – mehr als doppelt so viel Geldmenge wie 2005 –, dann werden wir widersprechen, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war ernst gemeint. Das geht jetzt weit über eine Kurzintervention hinaus.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dann werden wir das nicht mittragen, dann werden wir aus dem Euro gehen“? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Spahn, möchten Sie reagieren? – Bitte schön.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich mache es kurz. – Sie haben einmal mehr das gemacht, was Sie hier immer machen: Sie haben eine Rede für Facebook und Youtube gehalten, in der Sie sich mit einer Mär echauffieren. ({0}) Eins ist richtig – der Kollege Meister hat darauf hingewiesen, und auch wir weisen in unserem Antrag darauf hin –: Im Sinne der Geldwertstabilität ist jetzt natürlich auch das Mandat der Europäischen Zentralbank gefragt. Aber in den letzten 16 Jahren hatten wir gesamtwirtschaftlich ein anderes Umfeld in der Eurozone und ein anderes Inflationsumfeld. Wir können gerne über die Inflation von vor fünf, vier, drei, zwei Jahren oder von vor einem Jahr reden. Das war eine etwas andere Situation. Ich bin ja ganz begeistert, dass Frau Weidel so abfärbt, dass Sie jetzt alle Fans der Schweiz geworden sind in der AfD. ({1}) Unabhängig davon ist es jetzt eine andere Phase mit dieser hohen Inflation, und sie macht neben einer veränderten Geldpolitik in jedem Fall auch Reformen und Veränderungen hier in Deutschland notwendig. Darauf werden wir weiterhin hinweisen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Schrodi für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Spahn, wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Sie und Ihre Partei gerade in einer Parallelwelt leben, dann wären das Ihre Rede und Ihr Antrag gewesen. Sie hören nichts zum Thema Inflation von dieser Regierung? Ich gebe Ihnen nur einen Rat: Heute, 17.25 Uhr, zweite und dritte Lesung Steuerentlastungsgesetz 2022. 16 Milliarden Euro setzen wir ein, um die Auswirkungen abzudämpfen. ({0}) Da können Sie dann zuhören. Sie hören nichts? Sie müssen nur die Ohren aufmachen, dann kriegen Sie es auch mit. Stattdessen legen Sie uns hier einen Antrag vor, der eine Mischung aus alten Programmsätzen, wenig tauglichen Vorschlägen und vor allem Maßnahmen, die wir schon längst auf den Weg bringen, ist. Es braucht schon sehr viel autosuggestive Kraft, um diesen Antrag einen hilfreichen Beitrag zur Bekämpfung von Inflation oder Preissteigerung zu nennen. Zunächst einmal sind die Ursachen für die Inflation zu uns importierte Ursachen: importierte Inflation durch Energiepreise, importierte Inflation durch Lieferkettenprobleme infolge der Pandemie. Deshalb wundere ich mich – gerade auch im Anschluss an Ihren Wortbeitrag, Herr Spahn – über die falschen und populistischen Vorwürfe gegenüber der EZB in Ihrem Antrag, die vollkommen deplatziert sind. Wichtig sind jetzt im Moment schnelle gezielte Hilfen und nicht bestenfalls mittelfristig wirksame Forderungen, wie Sie sie in Ihrem Antrag haben. Wir können gerne über neue Handelsabkommen sprechen. Wie die aber jetzt konkret den Menschen helfen sollen, das müssen Sie mir erklären. Das tun sie nämlich nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Die Ampelregierung handelt, und wir wünschen uns Unterstützung für die Maßnahmen, die Sie hier fordern. Die haben wir längst auf den Weg gebracht. Ich sage nur: Sie wollen Anreize für Innovation und Investition. Wir verlängern die Möglichkeit der degressiven Abschreibung nach dem Corona-Steuerhilfegesetz. Ich freue mich über die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. Sie wollen befristete Energiesteuersenkungen, gerade für Benzin und Diesel. Das Energiesteuersenkungsgesetz wird nächste Woche auf den Weg gebracht. Ich freue mich auf die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion. Sie wollen der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale entgegenwirken. Dann dürfen Sie aber nicht vor allen Dingen die Bezieher hoher Einkommen entlasten, was Sie laut Ihrem Antrag wollen, sondern dann müssen Sie gezielt diejenigen unterstützen, die unter den gestiegenen Preisen tatsächlich leiden, die Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen. ({2}) Deswegen bringen wir das Steuerentlastungspaket auf den Weg mit der Erhöhung des Grundfreibetrages, mit dem Kinderbonus und auch mit der Energiepreispauschale. An dieser Stelle muss ich Ihnen übrigens sagen: 44 Millionen Erwerbstätige bekommen 300 Euro. Da sind übrigens auch die Minijobber mit dabei. ({3}) Und Sie reden davon, dass Sie nichts davon hören. Es sind insgesamt 30 Milliarden Euro, die wir angesetzt haben. Da sind auch Maßnahmen dabei, die gerade dazu beitragen, dass wir Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen entlasten, die entsprechend betroffen sind. Verräterisch ist ein Satz in Ihrem Antrag, der besagt: Ja, bei den kleinen und mittleren Einkommen tut ihr ja was; aber ihr macht es nicht in der Breite. – Was Sie damit meinen, ist, dass wir das nicht für die ganz oben machen. Das ist auch richtig so. ({4}) Wir müssen ganz gezielt dort ansetzen, wo gerade die Probleme sind, und die liegen in der Breite, in der Mitte der Gesellschaft, und da machen wir was. ({5}) Dazu, dass Sie zu Beginn ihres Forderungsteils all Ihre Forderungen unter Finanzierungsvorbehalt stellen, kann ich nur sagen: Geschenkt! Als Oppositionspartei muss man die Finanzierungsfrage nicht klären. Dass am Ende Ihres Antrags aber steht, dass die Schuldenbremse eingehalten werden soll, ohne dass Sie sagen, wie Sie das alles finanzieren wollen, dazu muss ich sagen: Das geht so nicht. So geht seriöse Finanzpolitik nicht, Herr Spahn, und das wissen Sie auch ganz genau. ({6}) Ihr Antrag wirkt sehr bemüht. Aber Sie wissen ja, was es bedeutet, wenn in einem Zeugnis steht: Er hat sich bemüht. – Ich will jetzt keine Note für diesen Antrag vergeben; aber hilfreich ist er mit Blick auf das Ziel, das in der Überschrift steht, wahrlich nicht. Einen Schutzschirm wollen Sie spannen. Ihr Antrag ist eher ein Fallschirm, nur ohne Schirm. Deshalb lehnen wir den Antrag auch ab. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bernd Schattner spricht jetzt für die AfD-Fraktion. ({0})

Bernd Schattner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005203, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was Frank Steffel, von und zu Guttenberg, Annette Schavan sowie der Verfasser dieses Antrags gemeinsam haben? Sie sind in großen Teilen gut im Anfertigen von Plagiaten; denn nichts anderes ist Ihr Antrag: eine Kopie mehrerer unserer eigenen Anträge aus den letzten Wochen und Monaten. ({0}) Nehmen wir zum Beispiel die Abschaffung der EEG-Umlage, die Umsatzsteuerabsenkung auch für Kraftstoffe sowie den Verzicht auf die geplante 4‑Prozent-Regelung bei den Stilllegungsflächen. All das habe ich bzw. hat meine Fraktion in den letzten Wochen und Monaten gefordert, und all dies wurde durch Ihre Fraktion konsequent abgelehnt. Heute schreien Sie hier laut herum und versuchen, damit zu kaschieren, dass Sie für die meisten Zustände hier selbst verantwortlich sind. Sie haben doch die letzten 16 Jahre regiert. Da kann ich nur eins sagen: Großes Kino à la CDU. ({1}) Aber zurück zum Antrag. Die Kombination aus hoher Inflation, einer einbrechenden Konjunktur und explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen bei gleichzeitiger Störung der globalen Warenketten ist eine toxische Mischung. Neben den Folgen der Coronamaßnahmen und den gewachsenen geldpolitischen Konflikten aufgrund einer seit knapp zehn Jahren andauernden katastrophalen Geldpolitik der EZB ist die Inflation bereits im April dieses Jahres auf 7,4 Prozent gestiegen. Trotzdem verzögert die EZB die Zinswende, weil die EU dieses Phänomen nicht überleben würde. Ein Anstieg der Zinsen würde in den südlichen Ländern Europas doch zum Zusammenbruch führen. Also opfern Sie lieber die Ersparnisse der deutschen Bevölkerung und schauen einer immer schneller werdenden Verarmung der Mittelschicht zu. ({2}) Während sich eine Familie des gutbürgerlichen Mittelstandes früher noch ein Eigenheim bauen konnte, ist es heute für dieselbe Familie kaum noch möglich, die monatliche Miete zu bezahlen, das Auto zu betanken oder im Supermarkt den Einkaufswagen vollzubekommen. Minister Habeck, wenn Sie den 3 000 Mitarbeitern der Ölraffinerie in Schwedt sagen, dass Sie sie nicht vergackeiern, dann stimmt das nicht mal ansatzweise. Sie vergackeiern nicht nur die Leute dort, sondern eine gesamte Nation. Haben Sie denn nicht im gleichen Zug angedeutet, dass es durchaus zu Engpässen bei der Kraftstoffversorgung in Mittel- und Ostdeutschland kommen kann? Meine Damen und Herren, durch die von der links-grünen Regierung erzeugte grüne Inflation ist es wahrscheinlich, dass wir bald 3 Euro und mehr für den Liter Kraftstoff werden bezahlen müssen. Aber das ist ja auch Ihr erklärtes Ziel: Weg vom Auto, hin zum Lastenfahrrad. Liebe Kollegen der CDU, statt unsere Anträge abzuschreiben, stimmen Sie ihnen doch lieber gleich zu! Damit hätten wir die Bürger in unserem Land bereits vor Monaten spürbar entlasten können. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dieter Janecek hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es ist gut, dass wir heute über das Thema Inflation sprechen, weil es wirklich viele Menschen draußen im Land bewegt und auch konkret trifft. Es ist aber auch wichtig, dass wir uns mit den Ursachen der Inflation auseinandersetzen und darüber reden, was wir als Bundesregierung, als Staat tun können. Wir müssen auch ehrlich sagen, wo wir was nicht tun können; denn wir in der Bundesrepublik Deutschland können einen globalen Angebotsschock nicht komplett allein kompensieren. ({0}) Die Europäische Zentralbank hat eine Zinswende angedeutet; sie wird wahrscheinlich im Herbst kommen. Es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, darüber zu entscheiden, ob eine Zinswende geboten ist. Allerdings muss man auch sagen: Wir erleben nun mal einen externen Angebotsschock, sehr stark getrieben durch Öl und Gas, durch die Preise bei den Rohstoffen, bei Lebensmitteln. Da stellt sich die Frage, inwiefern Geldpolitik gegensteuern kann – ein Stück weit sicherlich; aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Wirtschaft am Laufen halten. Ich wünsche dort also glückliche Entscheidungen. Wir sehen, dass wir in großer Abhängigkeit sind. Constanze Stelzenmüller, Analystin, hat vor Kurzem einmal gesagt: Wir haben uns militärtechnisch von den USA abhängig gemacht, wohlstandstechnisch von China und energiepolitisch von Russland. – Ganz so klar würde ich es nicht benennen; aber wir sind abhängig. Wir sehen heute die Folgen, hören das Echo von Krisen vergangener Zeiten. Insbesondere beim Thema Energie sehen wir jetzt eine Explosion von Preisen, die wir auf Dauer nur abfedern können, indem wir entschlossen in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz investieren. Ich nenne Ihnen mal ein ganz konkretes Beispiel. Ich war letzte Woche mit einer Wirtschaftsdelegation in Irland und habe dort ein neues Wort gelernt: das Wort „Windreserve“. Irland hat 5 Gigawatt Bedarf an Wind, aber 70 Gigawatt – offshore – an Kapazität. Das heißt, da ist Produktion, da ist Export zu stabilen Preisen möglich. Das ist heute noch nicht ausgeschöpft; das ist bei den baltischen Staaten auch so. Das heißt: Das Europa der erneuerbaren Energien ist die eine Antwort auf die Inflation. Da müssen wir investieren. ({1}) Aber natürlich wird das kurzfristig das Problem der hohen Preise nicht lösen; das will ich zugestehen. Deshalb hat Robert Habeck auch etwas getan, was ich mir noch vor einem Jahr nicht hätte vorstellen können, nämlich den Energieeinkauf diversifiziert. Somit können wir davon ausgehen – sicher ist das aber nicht –, dass wir, wenn wir in wenigen Monaten – heute haben wir ja schon die ersten Ergebnisse – einen diversifizierten Gasmarkt haben, auch wieder sinkende Preise sehen können und 2023 wieder in einen Inflationsrahmen reinkommen, der erträglicher ist als heute. Davon können die Menschen dann auch wieder mehr profitieren. ({2}) Eine wirklich fatale Entwicklung – das muss man ehrlicherweise sagen – fand in den letzten Wochen aber auch – ich schaue jetzt mal in Ihre Richtung; das tue ich nicht sehr gern – in China statt. Die Zero-Covid-Strategie von Präsident Xi in China führt dazu, dass wir massive Einbrüche der chinesischen Volkswirtschaft erleben, dass wir Einbrüche in den Lieferketten haben, die uns auch ganz konkret treffen. Auch das können wir nicht aus der Bundesrepublik Deutschland heraus beeinflussen. Das wird wahrscheinlich erst nach dem Volkskongress im Oktober geklärt, wenn China versteht, dass es falsch war, eine Politik zu machen, die dem eigenen Volk und der eigenen Wirtschaft schadet. Wir haben das besser gemacht, indem wir gesagt haben: Wir müssen irgendwann auch mal mit diesem Virus leben, auch mithilfe unserer Impfstoffe, die besser sind als die chinesischen. Was können wir tun? Wir können zum einen konkret entlasten – das haben wir getan –; aber – es wurde von Herrn Schrodi, von Katharina Beck angesprochen – bitte nicht den SUV-Fahrer entlasten, sondern dort, wo es gebraucht wird. ({3}) Die Union hatte eine Energiepreissenkung in Höhe von 40 Milliarden Euro vorgeschlagen und schreibt in ihrem Antrag, dass sie die Schuldenbremse einhalten will. Das ist – mit Verlaub – einfach nicht seriös. ({4}) Das ist keine glaubwürdige Politik gegen die Inflation. Am Ende brauchen wir die Kreativität unserer Volkswirtschaft. Natürlich haben hohe Preise gerade im Bereich Energie einen Lenkungseffekt. Wir sehen gerade Kreativität, zum Beispiel in den Betrieben, die sich darauf einstellen, mit diesen Lenkungseffekten umzugehen, die unsere Volkswirtschaft modernisieren – mit weniger Energie, mit erneuerbarer Energie –, ({5}) die mit den Fähigkeiten, die sie haben, Modernität und Wettbewerbsfähigkeit schaffen. Darum geht es in den kommenden Wochen: Entlastung und Kreativität zusammenzubringen. Dann schaffen wir auch diese schwere Zeit. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Maximilian Mordhorst hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, niemand hier vor Ort bezweifelt die Ernsthaftigkeit der Inflation, die Sie auch in Ihrem Antrag völlig zu Recht ansprechen. Ich will deswegen – der Kollege Herbrand hat das schon sehr gut gemacht – mal sagen, was wir so alles tun. Es wurde zwar schon im Einzelnen aufgezählt, aber ich möchte, dass man auch mal eine Gesamtsumme hat: Wir entlasten Menschen jetzt mit mehreren Paketen um 37 Milliarden Euro, ohne dass wir das so geplant hatten. ({0}) Das ist eine Riesenhilfe für die Menschen in Deutschland, eine große Hilfe für die Menschen, die von den Energiepreisen und von der Inflation belastet sind. ({1}) Ich glaube, das gerät hier gerade ein bisschen in den Hintergrund; auch das ist ja immer wieder ein Punkt Ihrer Kritik. Ich kann verstehen, dass man als Opposition sagt: „Mehr geht immer“, und dann macht man mal so eine Liste, ohne dass man einen Gegenfinanzierungsvorschlag hat – fair enough, alles okay. ({2}) Aber Sie tragen in Ihrem Antrag auch schon wieder – ich will hier mal eine Mär auflösen – die Studenten und die Rentner vor sich her, als würden wir denen nicht helfen. ({3}) Ich kann Ihnen dringend empfehlen, hier gleich einmal sitzen zu bleiben und den nächsten Tagesordnungspunkt noch mit anzuhören; denn dort werden wir das Bundesausbildungsförderungsgesetz verändern, was Sie verpennt haben in den letzten Jahren: eine Riesenhilfe für Studenten in diesem Land. ({4}) Ich kann Ihnen empfehlen, auch morgen früh um 9 Uhr dabei zu sein – auch wieder wunderbar spannend –: Wir werden die größte Rentenerhöhung der letzten 30 Jahre in Deutschland beschließen. ({5}) Diese Zeitspanne ist fast doppelt so lang wie die 16 Jahre, die Sie hier durchgehend in Deutschland regiert haben. So zu tun, als würden wir nicht helfen, nur weil in diesem Paket nicht diese konkrete Pauschale steht, während das 9‑Euro-Ticket, eine zusätzliche Pauschale für die Rentner und Studenten kommt: Ich glaube, das ist nicht ehrlich; da binden Sie den Leuten einen Bären auf, wenn Sie die Studenten und Rentner so vor sich hertragen. ({6}) Wir machen jetzt Schulden. Gerade als Freie Demokraten – das muss ich ganz ernsthaft sagen – machen wir das nicht gerne; aber wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation. Ich glaube, auch das gerät hier gerade ein bisschen in den Hintergrund; manche wollen das sogar relativieren. Die oberste Priorität hat die Hilfe, die wir der Ukraine leisten. ({7}) Da kann ich mich über das ein oder andere wundern. Wir machen ein Öl-, ein Gas- und auch ein Kohleembargo nicht gerne und schnell. Aber wir machen es so seriös, dass wir den Menschen helfen, ({8}) und wir machen es vorrangig, weil wir die Ukraine unterstützen und weil wir das, was Russland treibt, nicht mehr unterstützen wollen. Und ja, das wird Kosten haben. Wir werden dafür sorgen, dass die Kosten vernünftig verteilt werden und dass nicht die Menschen, die sehr wenig verdienen oder die in der Mitte der Gesellschaft stehen, besonders belastet werden. ({9}) Auf der anderen Seite machen wir in Deutschland leider Schulden; das ist völlig richtig. Sie erzählen uns immer wieder etwas von Schulden und werfen es dem Finanzminister vor; Sie sagen: Der Schuldenminister! Und so weiter, und so fort. Aber was machen Sie denn mit Ihrem Antrag? Sie wollen das Geld mit vollen Händen aus dem offenen Fenster werfen und sagen den Menschen in Deutschland nichts darüber, wie das finanziert werden soll. ({10}) Das ist nicht ehrlich. Das macht sich teilweise sogar lustig über die Menschen, die belastet werden. Lieber es seriös machen! Mehr geht immer. Kann ich gut nachvollziehen. Aber wir müssen in Deutschland nun mal regieren. Ich glaube, Sie wussten mal, wie das geht. ({11}) Wir machen es jetzt vernünftig und zeigen den Menschen in Deutschland, wo wir ihnen wirklich helfen, und nicht so, wie Sie das vorgeschlagen haben. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mit einem Zitat des früheren Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl beginnen. Dieser hat gesagt: Mit der Inflation ist es wie mit Zahnpasta: Ist sie erst aus der Tube, bekommt man sie nur schwer wieder hinein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau in dieser Situation befinden wir uns heute. ({0}) 16 Jahre gab es keine Inflation; jetzt ist die Inflation da. Deswegen ist es auch allerhöchste Zeit, dass jetzt gehandelt wird, ({1}) und zwar einerseits bei der EZB, andererseits auch insbesondere bei der Bundesregierung. Wenn ich bei der EZB bin: Es ist wichtig, dass die expansive Geldpolitik und die Anleihekäufe endlich gestoppt werden und der negative Einlagezins so bald wie möglich verschwindet; denn das reduziert Altersversorgung, das reduziert Wohlstand in unserem Land. ({2}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem die Bundesregierung könnte handeln, wenn sie wollte. Lieber Kollege Schrodi, zum Thema „seriöse Finanzpolitik“: Finanzminister Lindner plant in einer Summe aus regulärem Haushalt, Nachtragshaushalt, Ergänzungshaushalt, Sondervermögen über 300 Milliarden Euro Schulden. Das ist eine Belastung der nächsten Generation par excellence; das ist absoluter Negativrekord. Eine solche Neuverschuldung gab es noch nie, weder während der deutschen Einheit noch in der Krise 2008 noch in der Coronakrise. Das ist absoluter Rekord. ({3}) Und wenn es nach Christian Lindner geht – er hat ja diese wichtige Debatte leider verlassen –, müsste es für dieses Haus eigentlich Neuwahlen geben. Ich darf ihn zitieren mit einer Äußerung vom Deutschen Steuerberaterkongress am 2. Mai 2022, also erst kürzlich, auf dem er gesagt hat: „Lieber neue Wahlen als neue Schulden.“ ({4}) Und daran muss er sich dann letztlich endlich mal messen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Christian Lindner geht als Schuldenkönig in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein, und das übrigens bei den höchsten Steuereinnahmen, die wir je hatten: bald 1 Billion Euro in 2025. ({6}) Unser Ziel ist es, die Schuldenlast zu reduzieren und zugleich Spielräume zu erarbeiten, um die private Hand, also die Bürgerinnen und Bürger und die Betriebe, zu entlasten Das ist kein Zitat von Sebastian Brehm; das ist ein Zitat von Christian Lindner. Und auch daran werden wir ihn messen. Er tut genau das Gegenteil. Die Wahrheit ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Inflation frisst sich ohne erkennbaren Widerstand der Bundesregierung in die Mitte der Gesellschaft. Und liebe Kollegen: Deswegen auch unser Antrag. Das darf so nicht bleiben. Wir brauchen einen Schutzschirm gegen Inflation. ({7}) Der Schutzschirm besteht aus Maßnahmen, die jetzt schnell umgesetzt werden können: Inflationsbremse einführen, mit einer Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen und des Mittelstandes durch eine Abschaffung der kalten Progression. Wir werden ja heute Nachmittag beim Steuerentlastungsgesetz darüber reden. Übrigens, Kollege Mordhorst, weil Sie sagen: Es ist nicht finanzierbar. – Alleine die Mehreinnahmen aus der Umsatzsteuer im ersten Quartal dieses Jahres liegen bei über 20 Milliarden Euro, und Sie entlasten insgesamt vielleicht mit 30 Milliarden im Klein-Klein. ({8}) Sie könnten in diesem Jahr wesentlich mehr entlasten, wenn Sie nämlich die Einkommensteuermehreinnahmen und alles hinzunehmen würden. ({9}) Also: Eine Gegenfinanzierung wäre selbstverständlich vorhanden, wenn Sie es wollten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mordhorst zulassen?

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, gerne.

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich wollte mich eigentlich nicht melden. Aber weil Sie mich direkt angesprochen haben, möchte ich zwei Punkte machen: Der erste Punkt zu der inhaltlichen Aussage von Ihnen ist ja völlig klar: Wir machen ja schon Entlastungspakete, die eine gewisse Menge kosten; insofern brauchen Sie die Summen jetzt nicht so zu verrücken. Der zweite Punkt, weil Sie den Bundesfinanzminister angesprochen haben: Er befindet sich gerade in einem Austausch mit dem ukrainischen Außenminister. Auch das vielleicht zu den Prioritäten und als Erklärung, warum er heute nicht mehr – er war ja eben dabei – dabei ist.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu dem Thema Entlastung vielleicht. Lieber Kollege Mordhorst, Sie gleichen mit dem Paket, das Sie jetzt machen, nicht einmal ganz die Preissteigerungen von 2021 aus. Derzeit wird die Inflation 2022 in keiner Weise in irgendeinem Gesetz berücksichtigt. Sie nehmen den Bürgerinnen und Bürgern das Geld ab. ({0}) Denn durch die Inflation und durch die kalte Progression wird das Einkommen reduziert, und durch den Negativzins wird das Ersparte und die Altersversorgung reduziert. Also: Sie nehmen den Bürgerinnen und Bürgern doppelt das Geld ab. Es wäre Zeit, dass Sie unserem Antrag zustimmen, die Abschaffung der kalten Progression und die Entlastung vorziehen und nicht erst, wie angekündigt, nur vielleicht oder ein bisschen im Oktober oder November oder so. Denn bis dahin sind die Steuereinnahmen wesentlich höher. Die Inflation ist bei Weitem nicht ausgeglichen, und die Entlastung kommt bei Weitem insbesondere bei den kleinen und mittleren Einkommen in Deutschland nicht an. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Inflation ist in der Breite der Gesellschaft angekommen – wir werden es heute Nachmittag auch diskutieren –, aber die Breite der Gesellschaft wird nicht entlastet: die Studenten nicht, die Senioren nicht, die Familien nicht. ({2}) Also handeln Sie jetzt, und stimmen Sie unserem Antrag zu! ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Parsa Marvi hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Parsa Marvi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005143, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind zweifelsohne in einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld, in einem großen volkswirtschaftlichen Stresstest, der viele Menschen umtreibt und bei dem das Thema Inflation natürlich eine große Rolle spielt. Wir haben es in vielen Reden heute gehört. Im März hatten wir 39,5 Prozent höhere Energiepreise und 6,2 Prozent höhere Nahrungsmittelpreise als ein Jahr zuvor. Wie immer agieren wir nicht auf einer Insel, sondern genau wegen dieser Entwicklung werden aktuell in der gesamten Eurozone viele Antiinflations- und viele Antistagflations-Schutzschirme aufgespannt. Um im Bild eines Schutzschirmes zu bleiben: Es ist wichtig, dass die Schirme, die wir jetzt bei Regen und Sturm aufspannen, wetterfest und nicht löchrig sind, damit sie ihren Zweck erfüllen. Und dabei lässt sich sagen: Diese Regierung, diese Ampelkoalition sorgt mit ihren Entlastungspaketen, mit ihrer auf Dauer angelegten Strategie, unabhängig von fossiler Energie zu werden, für stabile Schutzschirme. Das hilft den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen in unserem Land deutlich mehr als die löchrigen Schirme, die Sie von der Union hier verteilen wollen. Weder Wut noch Angst sind in dieser Lage angemessen, sondern entschlossenes Handeln, und das macht die Ampel, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wie sehr Sie als Union inzwischen Opposition und nicht mehr Regierung sind, zeigt Ihr im Antrag dokumentierter Umgang mit der Europäischen Zentralbank. Da geht es mir gar nicht um Ihre populistischen Neigungen und Abhandlungen, sondern mir geht es um Ihre Haltung. Zitieren wir doch mal Ihren Antrag. Sie schreiben wörtlich: „Wir stehen fest zur Unabhängigkeit der EZB.“ Das haben wir heute auch von Herrn Dr. Meister gehört. Und dann kommt ein bemerkenswerter Satz: „Dies setzt aber voraus, dass …“ Punkt, Punkt, Punkt. Daraus folgere ich: Die Union steht nur noch unter ganz bestimmten Voraussetzungen zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich frage mich: Was ist eigentlich los mit dieser stolzen Union, die 16 Jahre lang die Kanzlerin gestellt hat? Dieser neue Ton ist jedenfalls beachtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) In Ihrem Antrag, der mehr Sammelsurium – meine Kollegin Hubertz sprach von einem „Gemischtwarenladen“ – ist als ein stimmiges Konzept, sprechen Sie davon, dass die Ampelkoalition nicht die Breite der Gesellschaft entlasten würde. Das ist aber ein ganz schöner Unsinn, was man erkennt, wenn man sich zum Beispiel die aktuelle Studie des IMK anschaut. Demzufolge finden durch unsere Entlastungspakete mit einem Volumen von mehr als 30 Milliarden Euro zielgerichtete und in der Breite der Gesellschaft wirksame Entlastungen statt, wie folgende Beispiele zeigen: ({2}) 90 Prozent der Belastungen aus den Energiepreisen werden bei Paaren mit zwei Kindern und einem Haushaltsnettoeinkommen von 2 000 bis 2 600 Euro monatlich aufgefangen, 77 Prozent bei Paaren mit zwei Kindern und einem Einkommen zwischen 3 600 und 5 000 Euro monatlich, 70 Prozent bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern und einem Einkommen zwischen 2 000 und 2 600 Euro monatlich. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen mit unseren Maßnahmen für Menschen, die Sozialhilfe, Grundsicherung oder ALG II beziehen, für Studierende, auch für die Rentner, die natürlich auch Auto fahren, die Bus und Bahn fahren und entlastet werden, die 46 Prozent der Wohngeldempfänger ausmachen und damit den Heizkostenzuschuss bekommen, die Stromrechnungen bezahlen und somit von der vorzeitigen Reduktion der EEG-Umlage auf null profitieren. Manche von denen haben noch eine geringfügige Beschäftigung und werden dann natürlich auch die Energiekostenpauschale bekommen. Damit zeigt sich: Mit unseren Entlastungspaketen wird genau die Breite und die Mitte der Gesellschaft – und meinetwegen die hart arbeitende Mitte, die Herr Spahn angeführt hat – erreicht. Der Schutzschirm der Ampelkoalition ist also überaus wirksam, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Klar ist: Unsere akuten Maßnahmen können nur Maßnahmen auf Sicht sein. Wir als Ampelkoalition arbeiten mit einer klugen Finanz- und Wirtschaftspolitik bestmöglich gegen Inflation und Stagflation an. Niemand kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einem so unsicheren geopolitischen Umfeld präzise vorhersagen, wie die Zukunft laufen wird – nicht in Bezug auf Inflation, nicht in Bezug auf Wachstum. Wir sind daher gut beraten, auch weiterhin vorausschauend und mit Bedacht zu agieren. Für den Moment gilt: Unser Vorgehen als Ampel zur Bekämpfung der Inflation ist stimmig. Der eher unausgereifte Antrag der Union hilft uns nicht weiter. Wir können ihn daher guten Gewissens zurückweisen. Ich danke Ihnen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Wiener für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus Wiener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005257, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sebastian Brehm hatte ein Zitat eines Bundesbankers mitgebracht. Ich habe auch noch eins – das hat nämlich mal einer gesagt –: Inflation ist wie Spargel. Wenn man ihn sieht, ist es eigentlich schon zu spät. ({0}) Genauso fühlt sich an, was wir hier erleben. Lange Zeit wurden die Gefahren der Inflation kleingeredet, auch hier im Parlament. Noch im Dezember habe ich an dieser Stelle von einer Vertreterin einer der Regierungsparteien gehört, dass es keinen Zusammenhang mehr gibt zwischen der Geldmenge und der Inflation und dass Sondereffekte nicht überschätzt werden dürften. Gewagte Thesen, wie wir heute wissen! ({1}) Die Ursachen für das aktuelle Hochschießen der Preise sind bekannt: Lieferkettenprobleme, Energieverknappung und massive globale fiskalische Impulse. Weil diese Faktoren zeitlich zusammenfallen, kann es sogar sein, dass die Inflation kurzfristig noch weiter steigt. Allerdings dürfte Entlastung spätestens dann kommen, wenn China seine Häfen wieder öffnet. Wäre das dann ein Grund zur Entwarnung? ({2}) Ganz sicher nicht! Zum einen – das klang schon mehrfach an –, weil die Notenbanken in den letzten Jahren unglaublich viel Geld geschaffen haben – nicht nur die EZB. Aber nur im Euroraum beträgt die Überschussliquidität, also das Geld, das wir nicht zur Finanzierung des Wachstums brauchen, 6 Billionen Euro, eine unfassbar hohe Zahl. Sollte dieses Geld einmal nachfragewirksam werden, etwa weil die Kreditvergabe steigt, dann muss die Regierung ihre Inflationsprognose sicher noch mal überdenken; sie hat sie ja gerade schon verdoppelt. Dann würde das aber sicher nicht reichen. Aber auch unabhängig davon sprechen grundlegende volkswirtschaftliche Entwicklungen dafür, dass der Preisauftrieb in den kommenden Jahren sehr viel höher sein wird, als wir das in den letzten 16 Jahren erlebt haben. Ich nenne hier nur die im Trend steigende CO2-Bepreisung – Stichwort „Greenflation“ –, die Rohstoffknappheit – Stichwort „China“ –, auch die neuen geopolitischen Blöcke, die sich gerade formieren und die zu einer Regionalisierung des Handels führen werden, und natürlich auch den Euro, wobei – wenn ich das sagen darf, Frau Wagenknecht –: Da müssen Sie schon ein bisschen länger zurückgucken. Der ist seit 2012 schwach. Damals waren wir bei einem Wechselkurs zum US-Dollar von 1,50, jetzt sind wir bei 1,05. ({3}) Alle diese Faktoren sprechen dafür, dass der Inflationsdruck im Trend deutlich über der Zielmarke von 2 Prozent liegen wird. Hört sich harmlos an, ist es aber nicht! Denn schon bei einer Inflation von 4 Prozent jährlich verlieren Sie nach 18 Jahren die Hälfte Ihres Vermögens. Bei Null- und Negativzinsen ist das ein Riesenproblem für die Altersvorsorge. Was ist daher zu tun? Vieles wurde hier schon genannt. Wir müssen die Angebotsbedingungen durch neue Handelsvereinbarungen stärken, auch mal CETA unterschreiben, liebe Grüne, brauchen Haushaltsdisziplin, liebe FDP, und ein Belastungsmoratorium, liebe SPD. ({4}) Zwei Punkte liegen mir aber besonders am Herzen. Das eine ist die Produktivitätsentwicklung, und das andere ist die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Hohes Produktivitätswachstum dämpft die Lohnstückkosten – wohlgemerkt: die Lohnstückkosten, nicht die Löhne; das ist nämlich ein Unterschied – und bekämpft so wirksam die Inflation. Was den Fachkräftemangel angeht, so muss der durch gezielte und passgenaue Einwanderung bekämpft werden und nicht durch einen wie auch immer gearteten Spurwechsel. ({5}) Den Inflationsschub – das will ich hier noch mal ganz deutlich sagen – hat weder die alte noch die neue Regierung zu verschulden. ({6}) Er ist ein Angebotsschock – man kann sogar sagen: ein klassischer Angebotsschock –, den nahezu die ganze Welt trifft. Wie die Regierung aber darauf reagiert, macht einen großen Unterschied. ({7}) Ich kann Sie deshalb nur auffordern: Schließen Sie sich unserem Antrag an, um die Inflation strukturell und nachhaltig zu bekämpfen und nicht durch eine Reihe von kurzfristig wirkenden Einzelmaßnahmen. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Sebastian Roloff. ({0})

Sebastian Roloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin wieder völlig begeistert, wie breitbeinig die Union heute wieder auftritt, als ob sie die Weisheit gepachtet hätte. Und dann kriegen Sie es noch nicht mal hin, einen Antrag vorzulegen, der aus sich heraus wenigstens logisch ist. Um das herauszufinden, braucht man noch nicht mal volkswirtschaftliche Kenntnisse. Er widerspricht sich schon in den wesentlichen Forderungen. Zum Beispiel zur Europäische Zentralbank, die Sie als zentral bewerten und zu der Sie einerseits fordern: Die EZB müsse unabhängig sein, und das ginge gar nicht, dass da seitens der Staaten reinregiert wird. Auf der anderen Seite machen Sie aber politische Aufforderungen, die Politik zu ändern. Ja, was gilt denn jetzt: Unabhängigkeit oder Vorgaben? ({0}) – Ich rede nicht mit Rechtsradikalen. Sie brauchen nicht dazwischenblöken. ({1}) Ihr Antrag geht von völlig falschen Prämissen aus. Es ist in der Wirtschaftswissenschaft nichts Neues, dass der Auslöser der aktuellen Inflation ein Angebotsschock ist. Steigende Energiepreise, Probleme bei den Lieferketten, Rohstoffengpässe – das sehen wir ja auch alles. Das Problem sind nicht die Zinsen, eher im Gegenteil. Würden wir die Zinsen jetzt erhöhen, wie der Antrag das fordert, würde das bisschen Wirtschaftswachstum, das jetzt hoffentlich wieder kommt, eher abgewürgt. Es wäre also kontraproduktiv, wenn wir diesen Antrag heute beschließen und danach vorgehen würden. Das muss man doch verstehen, und das muss hier auch gesagt werden. ({2}) Außerdem ist es sinnvoll, bei einer Angebotsknappheit zu investieren, mehr Angebote zu schaffen, um beim Preisdruck zu entlasten. Was sagt dazu die Union? Haushaltskonsolidierung! Die heilige Kuh der Schuldenbremse! ({3}) Den Fetisch habe ich nie verstanden. Selbstverständlich müssen in guten Zeiten Haushalte konsolidiert werden, Rücklagen geschaffen werden; aber wir haben eben keine guten Zeiten. Wir haben Krisenzeiten, und da muss investiert werden. ({4}) „Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, soll man den Kopf nicht hängen lassen“ ist ein einigermaßen bekanntes Sprichwort. Wendet man das auf die Schuldenbremse an, ist es so, als wenn man dem Ertrinkenden auch noch die Hände verbindet, sodass er sich gar nicht mehr wehren und agieren kann. ({5}) Dementsprechend konnte man mir noch nicht erklären, was das bringen soll. Wir sollten von diesem Dogma ({6}) in Zeiten, wo Investitionen erforderlich sind, Abstand nehmen. ({7}) Und selbst in dieser Frage ist der Antrag nicht konsistent. Das ist es, was ich meine, dass es keinen Sinn macht: Die CDU möchte Entlastungen und macht konkrete Vorschläge, was jetzt zum Beispiel mit Mehreinnahmen im Steuerbereich passieren soll. Ja, ich denke, wir sollen Haushalte konsolidieren. Dann können wir das Geld nicht ausgeben. Also: Wohin soll die Reise gehen? So gehen wir auf jeden Fall nicht den richtigen Weg. Und mit dem Thema der Wettbewerbsfähigkeit möchte ich jetzt gar nicht anfangen. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss liegt bei 7,5 Prozent, Europa lässt 6 Prozent zu. Aber auch da wird eine Steigerung gefordert. Sonst sind Sie immer für Obergrenzen. Da ist jetzt mal eine sinnvoll; die ignorieren Sie wirtschaftspolitisch. Ich bin offensichtlich nicht begeistert und bin daher froh, dass die Ampel eine ganz Reihe von Maßnahmen entweder schon auf den Weg gebracht hat oder demnächst vorlegen wird: regionale Transformations- und Qualifikationscluster, Klimaverträge für Unternehmen, eine Industriestrategie, Investitionsprogramme für kleine und mittlere Unternehmen, Stärkung von Selbstständigen und die Initiative des BMWK für Fachkräftesicherung zum Beispiel – das sind die Maßnahmen, die wir brauchen. ({8}) Und auch beim Bürokratieabbau oder bei der Reform des Vergaberechts wird es Fortschritte geben. Zu den Entlastungspaketen ist schon viel gesagt worden. Ich glaube, wir brauchen darüber hinaus weitere Unterstützung der Unternehmen in der Transformation. ({9}) Da fällt der Union ja nur ein, gegen den entsprechenden Fonds zu klagen. Das können Sie den Unternehmerinnen und Unternehmern mal erklären, für die Sie hier Sachwalter sein wollen. Ich glaube, dass wir ferner darüber reden sollten, die Kurzarbeitsregeln auch für die Transformation zu verlängern, ({10}) Qualifizierungsmaßnahmen weiter zu fördern und Selbstständige besser abzusichern. ({11}) Schließlich bin ich sicher, dass wir ein Bundestariftreue- und Vergabegesetz brauchen. Ich freue mich auf die weitere Diskussion. Der Antrag heute hilft leider nicht weiter. Vielen Dank. ({12})

Bettina Stark-Watzinger (Minister:in)

Politiker ID: 11004902

Ganz herzlichen Dank. Das schönste Geburtstagsgeschenk ist, dass ich heute einen Gesetzentwurf einbringen darf. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele junge Menschen haben dieser Regierung bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme, ihr Vertrauen gegeben. Deswegen war der Auftrag klar: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist das Chancenministerium, und deswegen stand die Reform des BAföG ganz oben auf unserer Prioritätenliste. ({1}) Das BAföG ist seit 50 Jahren das zentrale Instrument dafür, dass auch diejenigen ihren Bildungsweg frei und selbstbestimmt wählen können, deren Eltern ihn nicht finanzieren können. BAföG bedeutet Freiheit – nicht der Geldbeutel der Eltern entscheidet, sondern der junge Mensch selbst –; BAföG bedeutet Chancengerechtigkeit. Vor Kurzem hat der Berliner Architekt Francis Kéré den renommierten Pritzker-Preis gewonnen. Er stammt aus Burkina Faso und konnte in Deutschland studieren. Was sagte er in einem Interview? „Bildung ist alles“ und: „Ohne BAföG wäre ich heute kein Pritzker-Preisträger.“ Millionen haben vom BAföG profitiert; unser Land hat davon profitiert. Jeder Euro für Bildung ist doppelt investiert. ({2}) Aber wie es so ist: Ausruhen gibt es nicht. Die Zeiten ändern sich; Nachsteuern tut not. Lange ist das beim BAföG versäumt worden, daher jetzt die Dringlichkeit. Wir haben im Koalitionsvertrag eine strukturelle Reform vereinbart. Jetzt gehen wir den ersten wichtigen Schritt, damit möglichst schnell möglichst viele vom Fortschritt profitieren können. 2,3 Milliarden Euro sind für die Reform in dieser Legislaturperiode eingeplant, 2,3 Milliarden für mehr Freiheit, für mehr Chancengerechtigkeit. Das heißt: Wir nehmen die nächste Stufe im Aufstiegsversprechen. Denn niemand kann sich aussuchen, woher er kommt; aber er soll sich aussuchen können, wohin er geht. ({3}) Was ist konkret vorgesehen? Wir werden beides erhöhen: die Fördersätze und die Zahl derer, die sie in Anspruch nehmen. Wir heben die Freibeträge beim Einkommen der Eltern um satte 20 Prozent an; das erhöht die Reichweite des BAföG deutlich. Damit erreichen wir nämlich auch viele, bei denen das Studium auf der Kippe stand, weil die Eltern zwar nicht schlecht verdienen, aber es immer noch nicht reicht, um diese erhebliche Belastung zu stemmen. Und auch der Förderhöchstbetrag wird deutlich steigen, nämlich um 8 Prozent auf 931 Euro. Wir wollen die Bedarfssätze, den Kinderbetreuungszuschlag, aber vor allen Dingen auch den Wohnzuschlag anheben; denn die Mieten und die Energiekosten steigen. Deshalb auch noch außerhalb des BAföG der Heizkostenzuschuss, den wir den Studierenden gewähren. ({4}) Und wir wollen diejenigen unterstützen, die sich später im Leben entscheiden, ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Deswegen heben wir die Altersgrenze auf 45 Jahre an. Klar ist: Das BAföG muss sich dem Leben anpassen, nicht umgekehrt. ({5}) Dazu gehören auch einfache Verfahren. Ich habe mich selbst einmal an einen BAföG-Antrag gesetzt und ihn testweise ausgefüllt. Das ging ganz gut; aber dann kommt der Punkt, an dem man ihn übermitteln möchte. Hier müssen die Studierenden ihn entweder ausdrucken und per Post schicken, oder sie haben einen Ausweis mit einer elD, was man in der Regel nicht hat – Digitalisierung gut gemeint, aber schlecht gemacht. Wo sind wir eigentlich? Mit der Reform klappt das Beantragen dann endlich komplett digital. Wir leben im digitalen Zeitalter. ({6}) Ein Letztes ist mir noch wichtig: Nach 20 Jahren soll es endlich leichter werden, die Restschulden erlassen zu bekommen, ohne kompliziertes Antragsverfahren. Das BAföG kommt in unserer Zeit an: flexibler, attraktiver und moderner. Bereits ab Herbst sollen die Änderungen wirken. Das ist ein Anfang, ein erster, aber er kommt. Weiterhin planen wir, erstens, ein Nothilfeinstrument beim BAföG, um für künftige Krisen besser gewappnet zu sein, zweitens die Studienstarthilfe – wir wollen junge Menschen unterstützen, wenn sie aus Familien kommen, denen Geld für Umzug, Immatrikulation oder IT‑Ausstattung fehlt –, und drittens sind mehr Flexibilität bei der Höchstdauer des BAföG-Bezugs und beim Fachrichtungswechsel geplant, natürlich auch die elternunabhängige Komponente. Eines möchte ich noch sagen – es ist wichtig –: Ab Juni sollen auch geflüchtete Studierende aus der Ukraine BAföG bekommen. Für uns ist klar: Wir schaffen gute Startbedingungen für alle jungen Menschen in unserem Land. ({7}) Jetzt sagen einige: Alles viel zu wenig, vor allem zu wenig Geld! – Ja, das ist wohlfeil, und, ja, jeder Euro in der Tasche ist natürlich auch immer gut. Aber wir brauchen die richtige Balance zwischen denen, die zahlen, und denen, die etwas bekommen, und diese müssen wir immer wieder neu austarieren. Doch der Nutzen der Bildung für alle liegt auf der Hand, und das unterstützen die Menschen in unserem Land auch sehr gerne. Deswegen: Stimmen Sie zu! Dieser erste BAföG-Schritt ist ein Riesenschritt nach vorne. Ich freue mich auf die Debatte. Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Katrin Staffler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu klein, zu wenig, zu kurz gegriffen, Reförmchen – das alles sind Bezeichnungen, die wir im Zusammenhang mit der Novelle, die heute hier vorliegt, gehört und gelesen haben. Dabei haben Sie dieses Vorhaben doch so unglaublich groß angekündigt. Sie wollten es so schnell wie möglich auf den Weg bringen. ({0}) Ich muss leider sagen: Der Effekt ist verpufft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schnell zu arbeiten, nur damit man etwas vorweisen kann, bedeutet nicht immer, dass es auch gut wird, ({1}) wobei man an der Stelle sagen muss: Über Geschwindigkeit kann man ja streiten angesichts der Tatsache, dass dies der erste Gesetzentwurf in dem Bereich ist und inzwischen schon fast ein halbes Jahr im Amt vergangen ist. Es wäre trotzdem vernünftig gewesen, Sie hätten noch mal innegehalten und hinterfragt, ob das, was Sie da geplant haben, wirklich Sinn macht oder ob man nicht doch noch mal darüber nachdenken muss. ({2}) Aber bevor Sie jetzt hier alle rumschreien und sich angefasst fühlen, lassen Sie mich von vorne beginnen. Ich kann ja mit den positiven Dingen anfangen. Die Ministerin hat ja heute Geburtstag. Ich glaube, da darf man auch das eine oder andere Positive vorbringen. Bildung ist der wichtigste Rohstoff für eine gute Zukunft. Das BAföG ist ein essenzieller Teil davon. Es trägt maßgeblich dazu bei, dass wir mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land haben. Daher ist es richtig und gut, dass Sie die Reform des BAföG so frühzeitig auf die Agenda gesetzt haben und dieses Thema als Erstes anpacken. Angesichts der Herausforderungen der letzten beiden Jahre und natürlich auch der aktuellen Situation, in der wir uns befinden, ist es von größter Wichtigkeit, dass wir den Studenten unter die Arme greifen und sie, so gut es irgendwie geht, unterstützen. Aber wenn man sich die Entlastungen genauer ansieht, die hier in letzter Zeit beschlossen worden sind, dann stehen die Studenten ehrlicherweise nicht besonders weit oben auf Ihrer Prioritätenliste, wenn sie da überhaupt zu finden sind. ({3}) Auch in der jetzt vorliegenden BAföG-Novelle ist dazu nicht unbedingt Positives zu bemerken; denn wenn man die Novelle liest, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt einem bestenfalls eine Sache in den Sinn: Kontinuität. Ich habe die Zahlen der Novellen gegenübergestellt. Und was soll ich sagen? Mit dieser Novelle setzen Sie im Endeffekt nichts anderes fort als das, was wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben. ({4}) Sie haben es gerade beschrieben: Die digitale Antragstellung soll nun weiter ausgebaut werden genauso wie die Erlassmöglichkeiten bei Darlehensforderungen. Mit der 26. BAföG-Novelle, die wir 2019 beschlossen haben, waren wir aber, ehrlich gesagt, ein bisschen mutiger. Wir haben den Wohnzuschlag für Auswärtswohnende um 30 Prozent angehoben, den Kinderbetreuungszuschlag um 13 Prozent und die Altersgrenze auf 14 Jahre heraufgesetzt. Sie erhöhen den Wohnzuschlag jetzt noch mal um 10 Prozent und den Kinderbetreuungszuschlag um 5 Prozent, ({5}) wenn man bei der derzeitigen Inflation überhaupt noch von einer Erhöhung sprechen kann. Ich wage das ehrlicherweise zu bezweifeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es soll ja an der Stelle kein Überbietungswettbewerb sein. ({6}) Dafür ist das BAföG zu wichtig – auch wenn Sie darüber jetzt lachen mögen –; dafür ist es uns zu wichtig. Aber vielleicht hätte man sich mal in aller Ruhe hinsetzen und überlegen sollen, warum das BAföG immer weniger Menschen erreicht und welche Erhöhung der Beitragssätze angemessen gewesen wäre. Sie argumentieren jetzt natürlich, dass Sie die aktuelle Lage nicht haben voraussehen können. – Geschenkt! Aber vielleicht hätten Sie dann besser die letzte Novelle evaluieren sollen, um zu sehen, wo wirklich der Schuh drückt. Dann hätten Sie wahrscheinlich gemerkt, dass viele Studierende auch deswegen kein BAföG beantragen, weil antragsberechtigte Personen teilweise schon am Antragsprozedere scheitern. Man hätte also mehr an dieser Stellschraube drehen können. ({7}) Ich möchte sogar sagen: Man hätte an dieser Stellschraube drehen müssen. ({8}) Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den von mir zu Beginn meiner Rede erwähnten Bezeichnungen für Ihre Novelle – Sie erinnern sich vielleicht: „zu klein, zu wenig, zu kurz gegriffen, Reförmchen“ – haben Sie ja ganz groß aufgeschrien, weil Sie gedacht haben, es sei das, was wir über Ihr Gesetz gesagt haben. Mitnichten! Diese Bezeichnungen kamen nicht von uns, sondern überwiegend aus den Reihen Ihrer eigenen Jugendverbände, einem Bündnis von Studierendenverbänden, darunter Jusos, Grüne Jugend, fzs, Juso-Hochschulgruppen, Campusgrün, GEW-Studis und IG Metall Jugend. Sie alle sind nämlich der Meinung, dass sich die Anpassung der Regelsätze immer noch nicht an dem wirklichen Bedarf von Studierenden orientiert. Ich glaube, es sollte Ihnen durchaus zu denken geben, wenn auch aus den eigenen Reihen so massiv Kritik kommt. ({9}) Am Schluss möchte ich aber noch etwas Positives sagen. Am Ende sind wir uns doch alle einig: Das BAföG darf nicht so stehen bleiben. Wir brauchen eine Reform. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass das BAföG weiterhin den Bedürfnissen der Studierenden gerecht wird, statt hier solche halbgaren Novellen vorzulegen. Noch einen Satz zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich hätte noch eine Bitte: Vergessen Sie bitte bei all Ihren Vorhaben die Studenten nicht, weder die, die BAföG beziehen, ({10}) noch die, die kein BAföG beziehen. Sie alle haben in den beiden letzten Jahren enorm gelitten und trotzdem viel geleistet. Auch in der aktuellen Situation brauchen sie unsere Unterstützung, und wir dürfen ihnen diese Unterstützung nicht verwehren. Besten Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Lina Seitzl spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Lina Seitzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Stark-Watzinger! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zeig mir deine Eltern, und ich sage dir, welchen Abschluss du machst. – Das war die Realität vor 100 Jahren, vor 70 Jahren, und das ist sie leider Gottes auch heute noch, im Jahr 2022. ({0}) Wir sind uns hier ja alle einig, und wir sagen das auch immer wieder: Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe, zum sozialen Aufstieg und zur Selbstverwirklichung, und dennoch zieht sich Bildungsungleichheit in unserem Land durch alle Bildungsgänge vom Kindergarten über den Berufsabschluss bis hin zur Promotion. Das Elternhaus öffnet Türen, oder es verschließt sie. Lassen Sie mich dazu eine kleine Bestandsaufnahme machen. Während fast 80 Prozent aller Kinder aus Akademikerhaushalten ein Studium beginnen, schafft das nicht einmal jedes dritte Kind aus nichtakademischen Elternhäusern. Verfügen die Eltern über gar keinen Berufsabschluss, ist der Weg zur Hochschule fast gänzlich verschlossen. Denn diese Hürde zu überwinden, schafft nur noch jedes 50. Kind. ({1}) Natürlich muss nicht jeder an die Hochschule. Aber diese Beispiele zeigen doch, wie sehr der Bildungsweg vom Elternhaus abhängt. In keinem anderen Land in der Europäischen Union ist der Zugang zu Bildung so exklusiv und selektiv wie bei uns, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Dabei war das schon mal anders. Als das BAföG vor über 50 Jahren durch die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt eingeführt wurde, sollte ein Paradigmenwechsel vollzogen werden. Die Idee dahinter: Bildungsgerechtigkeit erreicht man nur durch eine breite Ausbildungsförderung. Der Zugang zu Bildung sollte unabhängig vom Elternhaus werden und eben nicht nur ein Privileg der Oberschicht sein. ({3}) Das BAföG wurde schnell zum Erfolg. Durch die finanzielle Unterstützung wurde der Zugang zur Schul- und Berufsausbildung deutlich erleichtert. Direkt nach seiner Einführung erhielt fast die Hälfte aller Studierenden eine staatliche Vollförderung. Dadurch öffneten sich die Hochschulen für die Breite der Gesellschaft. Die Errungenschaften, die ich gerade aufgeführt habe – das möchte ich insbesondere aufgrund der Rede von Frau Staffler ganz ehrlich sagen –, wurden beginnend mit der Kohl-Regierung wieder umgekehrt. Es ging nämlich darum, den Kreis der Förderberechtigten einzugrenzen, die staatlichen Zuschüsse zu reduzieren. Hürden wurden hochgezogen, Bildung wurde wieder exklusiver. Die Zahl der durch BAföG geförderten jungen Menschen nahm deutlich ab, das Verschuldungsrisiko dagegen zu. ({4}) Gespart wurde am gleichberechtigten Bildungszugang nach dem Motto „Zugang zur Bildung steht immer mehr nur denen offen, die es sich leisten können“. Das ist die Realität. Frau Staffler, ich freue mich sehr, dass die Union da jetzt offensichtlich eine Umkehr vollzogen hat und dass wir gemeinsam für die Studierenden und für das BAföG kämpfen. ({5}) Die Folgen dieser Bildungsungerechtigkeit sind immens – für jeden Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft. Sie gefährdet nicht nur unser gesellschaftliches Klima; sie verschließt über Generationen hinweg Türen, und sie grenzt weite Teile der Bevölkerung aus. Denn fehlende Bildungschancen bringen soziale Exklusion und ein unweigerliches Armutsrisiko mit sich. Sie schränken die freie Berufswahl und den weiteren Werdegang ein. Diesen Teufelskreis müssen wir nachhaltig durchbrechen. Ist das geschafft, dann haben nicht nur die Nachfolgegenerationen wieder die Möglichkeit zur Teilhabe und zum sozialen Aufstieg, sondern dann schaffen wir als Gesamtgesellschaft wieder einen Nährboden, der Talente erkennt und fördert und jungen Menschen die Chance gibt, ihren Weg zu gehen. Darum geht es. ({6}) Davon profitiert nicht nur die einzelne Schülerin oder Studentin oder Auszubildende. Davon profitieren wir alle, wir als Gesamtgesellschaft, wir als Wissenschaftsstandort Deutschland. Das muss unser Ziel sein. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heute vorgelegten Novelle gehen wir nicht nur ein kleines Reformschrittchen, ({8}) sondern beschließen heute den Beginn einer Trendwende. ({9}) Ich sage explizit „Beginn“; denn nach vielen Jahren ohne große Reformanstrengungen drehen wir die Abwärtsspirale im BAföG wieder um. Wir öffnen das BAföG für mehr junge Menschen. ({10}) Wir heben die Freibeträge um 20 Prozent und die Altersgrenze auf 45 Jahre an. Wir erhöhen die Bedarfssätze, den Wohnkostenzuschlag sowie den Kinderbetreuungszuschlag. Und wir erleichtern die digitale Antragstellung. ({11}) Das alles sind Änderungen, die dringend notwendig sind, und deswegen machen wir sie jetzt und nicht erst in zwei Jahren. Wir brauchen sie jetzt. Daher treten sie bereits im Wintersemester in Kraft. ({12}) Aber – das hat die Frau Ministerin gerade schon gesagt – wir ruhen uns darauf nicht aus; denn es gibt dringenden strukturellen Reformbedarf. Die Reformen haben wir fest im Koalitionsvertrag vereinbart; die setzen wir um. Für uns als SPD stehen hier insbesondere die Verlängerung der Förderhöchstdauer und die Absenkung des Darlehenanteils im Vordergrund. ({13}) Sie sehen, meine Damen und Herren: Das BAföG hat absolute Priorität für die Ampelkoalition. Bevor wir uns aber an diese großen Reformen machen, haben wir heute erst mal allen Grund, zu feiern, nicht nur, weil Sie, Frau Ministerin, heute Geburtstag haben – an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch auch von mir! –, sondern vor allem, weil wir mit dieser Novelle den Grundstein für eine echte Trendwende im BAföG legen. Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie ihn uns vervielfältigen! Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Götz Frömming hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn noch ein Wort zu meiner Vorrednerin sagen. Sehr geehrte Frau Dr. Seitzl, das war ja ein wahres Horrorbild, was Sie gezeichnet haben. Welches Land ist denn das, wo man so diskriminiert wird, wo Arbeiterkinder kein Abitur bekommen, wo sie vom Studium abgehalten werden? Ich kann Ihnen nur sagen: Vor Ihnen steht jemand, dessen Eltern kein Abitur hatten und ihrem normalen Beruf nachgegangen sind. ({0}) Ich bin 1968 geboren. Ich bin in Bayern zur Grundschule gegangen und habe dort mein Abitur gemacht. Ich habe später studiert. Das alles ging in diesem Land, und das ging wunderbar. Viele machen das tagtäglich. ({1}) Die Zahl der Abiturienten und der Studenten steigt unaufhörlich. Also hören Sie doch endlich auf damit, dieses Schreckensgemälde zu malen und zu behaupten, dass hier angeblich eine Diskriminierung vorherrschen würde! ({2}) Wenn das so wäre, Frau Kollegin, dann frage ich Sie: Wer ist denn daran schuld? Bildung ist immer noch Ländersache. Wer regiert denn in den Ländern? Nicht die AfD. ({3}) Und die CDU hat das Bildungsressort leider in vielen Bundesländern aufgegeben und es den Linken, Grünen und Roten überlassen. Sie selbst sind es doch, die diese angeblich so schrecklichen Zustände in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben. Also hören Sie auf, sie hier mit Krokodilstränen zu beklagen! ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben diesen Satz x‑fach, auch heute wieder, gehört: Bildung ist unser wichtigster Rohstoff. – Das ist auch richtig; denn bis auf die ach so böse Kohle hat Deutschland kaum Rohstoffe. Die Ursachen für unseren wirtschaftlichen Erfolg liegen ausschließlich in der Intelligenz, der Schöpferkraft und dem Fleiß seiner Bewohner. Ein Land wie unseres tut also recht daran – da sind wir wieder zusammen –, in Bildung und Forschung zu investieren, als hinge unser Leben davon ab; denn das tut es auch, meine Damen und Herren. Aber hier kommen wir zu einem Punkt, an dem wir uns wieder unterscheiden. Wenn wir hier heute über das BAföG reden, dann müssen wir, glaube ich, eines klären: Sie verwechseln, zumindest einige der Redner – auch Sie, Frau Ministerin; das muss ich Ihnen an Ihrem Geburtstag sagen –, teilweise BAföG mit Bildung. Mehr BAföG heißt nicht automatisch, dass dieses Land gebildeter würde. Vielleicht schlagen Sie es einfach mal nach. Wo stehen die Regelungen zum BAföG? Sie sind Teil der Sozialgesetzgebung. Das BAföG ist eine Sozialleistung, nichts anderes. Man kann sich natürlich fragen: Wer freut sich denn, wenn die Zahl der Bezieher einer Sozialleistung steigt? Wer freut sich denn, wenn mehr Menschen vom Staat abhängig werden? Das sind doch die linken Parteien, die sich dann freuen. Wir freuen uns da sicherlich nicht. ({5}) Deshalb darf die Ausweitung des BAföG auch kein Selbstzweck sein. Vielleicht erfüllt sich Ihr Wunsch ja auch durch die nun eintretende Verarmung weiter Schichten der Bevölkerung. Sie haben uns ja faktisch zur Kriegspartei in der Ukraine gemacht, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht. Das bringt enorme Folgekosten mit sich. Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung wird zunehmen und damit natürlich auch die Zahl der BAföG-Berechtigten. Aber ob das ein Grund zum Jubeln ist, weiß ich nicht, meine Damen und Herren. ({6}) In Anbetracht dieser Situation und der Inflation, die übrigens auch nicht vom Himmel fällt, sondern letztlich mit der Politik der EZB usw. zusammenhängt – wir haben lange davor gewarnt –, ist der von Ihnen vorgelegte Entwurf nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben hier schon längst, nämlich in der letzten Legislatur, deutlich mehr gefordert. Sie wollen eine Erhöhung des Regelbedarfs um monatlich 22 Euro. Das gleicht inzwischen nicht einmal mehr die Inflation aus. Das ist deutlich zu wenig für die, die es wirklich brauchen. Eine Sache wundert mich allerdings schon. Herr Brandenburg – Sie sind ja zum Parlamentarischen Staatssekretär aufgestiegen; herzlichen Glückwunsch nachträglich! –, ich erinnere mich noch gut an Ihren Antrag in der letzten Legislatur, wo Sie im Einklang mit den Grünen und der SPD für das komplett elternunabhängige BAföG geworben haben, also das BAföG möglichst für alle. Wenn wir uns jetzt diesen Gesetzentwurf anschauen, fällt auf: Davon ist recht wenig geblieben; die Kollegin Staffler von der CSU hat es schon ganz richtig gesagt. Sie haben gebrüllt wie ein Löwe, landen hier aber als Bettvorleger, meine Damen und Herren. ({7}) Denn elternunabhängig ist das, was Sie hier vorlegen, überhaupt nicht. ({8}) Ich frage mich: Was hat Sie daran gehindert? Wer hat Sie daran gehindert? War das am Ende – ich weiß nicht – die FDP? War es das Bildungsministerium? War es die SPD, waren es die Grünen – kann ich mir gar nicht vorstellen –, oder war es der Finanzminister, der hier vernünftigerweise sein Veto eingelegt hat und letztlich dem folgt, was andere schon in der letzten Legislatur kritisiert haben? Meine Damen und Herren, Ihr BAföG-Gesetzesvorschlag bleibt nach wie vor ein bürokratisches Monster. Ich muss Sie schon fragen, wie Sie das alles bewerkstelligen wollen, wenn die Zahl der Anträge steigt; denn mit dem Antrag ist es ja nicht getan. Auch mit dem digitalen Abschicken des Antrags ist es noch nicht getan; denn auf der anderen Seite sitzen ja Beamte, die diese Anträge bearbeiten müssen. Schauen wir mal nach Nordrhein-Westfalen, wie es dort aussieht. Die FDP stellt dort auch das Bildungsministerium. Unlängst konnten wir der Presse entnehmen: Die Bearbeitungsdauer für BAföG-Anträge von angehenden Erzieherinnen und Erziehern beträgt im Durchschnitt 128 Tage. Im Durchschnitt! Mehrere Monate hängen die angehenden Erzieherinnen und Erzieher also in der Luft – nicht weil sie nicht berechtigt wären, sondern weil sie gar nicht erfahren, ob sie berechtigt sind oder nicht. Und was schlägt da Ihre Kollegin Frau Gebauer von der FDP vor? Die angehenden Erzieher sollten doch einfach Hartz IV beantragen. – Meine Damen und Herren, das ist zynisch. Das ist die Arroganz der Macht. Das ist – das muss ich an der Stelle leider sagen – typisch FDP, und ich hoffe, dass Sie am Wochenende dafür die Quittung bekommen. ({9}) Abschließend noch ein Wort zum Antrag der Linken, den wir heute ebenfalls diskutieren. Sie gehen bei der Altersgrenze noch einen Schritt weiter. Im Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, bis zum 45. Lebensjahr ein BAföG-gefördertes Studium beginnen zu können. Die Linken plädieren dafür, die Altersgrenze komplett abzuschaffen. Das wäre ein wunderbares Leben, das ideale Leben für alle Linken und Grünen: ewig studieren, sich ewig durchhangeln, und im Idealfall wechselt man nach dem Studium direkt in die Rente. Meine Damen und Herren, ich frage mich nur: Wer soll in diesem Land dann noch arbeiten und den Laden am Laufen halten? Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Laura Kraft hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Laura Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005113, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit mehr als 50 Jahren ist das BAföG das wichtigste Instrument, um einen Bildungsaufstieg zu ermöglichen. Seit mehr als 50 Jahren eröffnet das BAföG Chancen und verändert berufliche Lebenswege. Das BAföG macht vieles möglich, aber es erreicht leider immer noch nicht alle, die es eigentlich dringend brauchen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag eine große Reform des BAföG angekündigt. Unseren Worten folgen nun Taten. In mehreren Schritten wird das BAföG jetzt zukunftsfest gemacht. ({0}) Nur noch ein Zehntel der Studierenden erhält BAföG-Leistungen. Daran haben Sie von der Union erheblichen Anteil; denn Sie haben das BAföG heruntergewirtschaftet. ({1}) Dieses Zehntel der Studierenden entspricht absolut nicht der hohen Zahl derer, die dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Bildungsgerechtigkeit darf nicht zu eng berechnet werden; denn derjenige, der in Bildung investiert, investiert in die Zukunft. ({2}) Es ist längst überfällig, dass zum Beispiel die Freibeträge deutlich angehoben werden; der Gesetzentwurf sieht 20 Prozent vor. Denn die Freibeträge – das betrifft insbesondere das Einkommen der Eltern – sind oft der Hauptgrund, wieso BAföG-Anträge abgelehnt werden. Wer von den Studierenden nebenher zu viel arbeiten muss, kommt im Studium nicht mehr hinterher. Und was ist das Resultat? Eine Verlängerung des Studiums, Verlängerung der finanziellen Unsicherheit. Diese Probleme haben Studierende, die aus einem wohlhabenden Elternhaus kommen, nicht. Um genau diese Diskrepanz zu beseitigen, wurde das BAföG doch ursprünglich geschaffen. Die bisherigen BAföG-Sätze sind noch nicht einmal so hoch wie der Hartz‑IV-Satz. Aber das Existenzminimum muss doch für alle Menschen gelten, also auch für Studierende und Auszubildende. Das gleichen wir jetzt endlich an. ({3}) Astronomisch hohe Mieten, Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt, steigende Lebensmittelpreise – gerade jetzt zeigt sich doch, wie wichtig es ist, die Bedarfssätze immer wieder an die tatsächlichen Bedürfnisse der Studierenden anzupassen. Deshalb erhöhen wir die Bedarfssätze um 5 Prozent und die Wohnpauschale um 10 Prozent. Wir werden auch in Zukunft die Förderung kontinuierlich anpassen. Uns Grünen war die Anhebung der Altersgrenze besonders wichtig. Lebensläufe sind vielfältiger geworden; darauf müssen wir reagieren. Wer beruflich neue Wege einschlagen muss, der braucht die Möglichkeit einer Neuqualifizierung, und das, ohne sich dafür verschulden zu müssen. ({4}) Ein wichtiger Schritt ist auch der Wegfall des Schriftformerfordernisses. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung Digitalisierung der Verwaltung und der Antragstellung. Auch wenn es nicht zu diesem Gesetzentwurf gehört, möchte ich betonen, dass ich sehr froh bin, dass wir das BAföG auch für geflüchtete Studierende aus der Ukraine öffnen werden und wir sie unkompliziert unterstützen, damit sie ihre Ausbildung fortführen können. ({5}) Uns ist klar: Der größte Teil der BAföG-Reform liegt noch vor uns. Aber mit dieser Gesetzesänderung erreichen wir das erste Etappenziel und stellen sicher, dass schon zum nächsten Semester mehr junge Menschen unmittelbar vom BAföG profitieren können. Darüber freue ich mich. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Nicole Gohlke hat das Wort für Die Linke. ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Studierende auf der Besuchertribüne! Endlich kommt mal Schwung in die BAföG-Debatte. Die Reformen, die mit der 27. Novelle endlich angegangen werden, sind überfällig. Man muss es wirklich noch einmal sagen: Es war ein schweres Versagen der letzten Bundesregierungen, das BAföG nicht schon viel früher angepackt zu haben. ({0}) Dieses Versäumnis hat Zehntausende junge Menschen in den letzten Jahren Zeit, Geld, Nerven und Gesundheit gekostet. Viele hat es sogar das Studium oder den Abschluss gekostet – ein unfassbarer Umgang mit Begabungen, Perspektiven und Lebensträumen. Das muss hier einfach noch einmal ausgesprochen werden. ({1}) Nun kommen also endlich die Erhöhung der Altersgrenze von 30 auf 45 Jahre, die Erhöhung der Elternfreibeträge, die Erhöhungen bei der Wohnpauschale und den Bedarfssätzen. Frau Ministerin, es ist gut – ganz klar –, dass Sie hier endlich tätig werden. Dieses Engagement unterstützen wir voll und ganz. ({2}) Nun liegt die Tücke aber natürlich wie immer im Detail. Denn leider wird auch diese Reform an vielen Stellen gar nicht so viel verändern, wie hier vielleicht versprochen wird. Die Bedarfssätze werden auch weiterhin den realen Bedarf nicht decken. Das ist die Situation. Die Erhöhung der Bedarfssätze um 5 Prozent wird durch die Inflationsrate von derzeit mehr als 7 Prozent komplett aufgefressen. Das heißt im Klartext, dass auch das neue BAföG unterhalb der Armutsgrenze und unter Hartz‑IV-Niveau liegen wird. Das, Frau Ministerin, können Sie nicht als großen Wurf und bildungspolitischen Aufbruch verkaufen. An diesem Punkt reihen Sie sich schlichtweg ein in die Reihe derer, die die Axt ans BAföG angelegt haben. Das ist die Wahrheit. ({3}) Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, welche Studis in welchen Städten und welche Mietpreise Sie vor Augen haben. Mit den realen Mietpreisen haben Ihre Zahlen nichts zu tun, sonst wären Sie vielleicht endlich auf die Idee gekommen, den Mietkostenzuschuss analog zum Wohngeld regional zu staffeln, weil die Miete in München oder in Stuttgart oder in Berlin eben teurer ist als vielleicht in Cottbus. Das wäre doch mal eine gute Idee. Warum gehen Sie da eigentlich nicht endlich ran, Frau Ministerin? ({4}) Es braucht auch endlich eine automatische Anpassung der BAföG-Sätze an die Inflationsrate, statt wie bisher in völlig willkürlichen Abständen und je nach Stimmungslage in der jeweiligen Koalition die Sätze zu erhöhen, ohne dass systematisch geprüft wird, ob die Summe, die am Ende zur Verfügung steht, den eigentlichen Zweck, die eigentliche Bestimmung des BAföG überhaupt erfüllt. Die eigentliche Bestimmung des BAföG ist, Lebensunterhalt und Ausbildung bedarfsgerecht zu sichern. So steht es in § 11 des BAföG. Das ist der Auftrag des BAföG. Dem müssen Sie endlich nachkommen. ({5}) Bei aller Freude über die deutliche Anhebung der Elternfreibeträge muss man zumindest fragen, ob dadurch die Zahl der BAföG-Beziehenden tatsächlich relevant steigen wird. Denn man muss einmal nach den Gründen fragen, warum Studierende, die jetzt schon förderberechtigt sind, die Förderung nicht in Anspruch nehmen. Das liegt meist daran, dass entweder die Fördersummen so gering sind, dass sich der Aufwand gar nicht lohnt, oder – zweiter Grund – weil die jungen Menschen Angst vor Verschuldung haben. Damit bin ich bei meinem letzten Punkt, den ich hier ansprechen möchte. Wir müssen endlich wieder zurück zum Vollzuschuss. Der Darlehensteil muss dringend gestrichen werden. Die Frage, ob man sich für die Ausbildung oder ein Studium verschulden muss, ist zentral beim Abbau von sozialer Ungleichheit. Dieses Leitmotiv – Abbau von sozialer Ungleichheit – muss sich durch die Politik und ganz besonders durch die Bildungspolitik ziehen. Der Staat muss Diskriminierung abbauen und darf keine neuen Hürden aufbauen. Diesem Leitmotiv wird die Ampelregierung leider noch nicht gerecht. Das muss sich dringend ändern. Vielen Dank fürs Zuhören. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Ria Schröder hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Ria Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. September 1971 trat das BAföG in Kraft. Unüberhörbar müssen damals die Jubelschreie der katholischen Arbeitertochter vom Land gewesen sein; denn bis dahin war ein Studium für sie nur ein kühner Traum. Geld dafür war in der Familie weder vorhanden noch vorgesehen, und sie würde ja ohnehin heiraten. Das BAföG veränderte das Leben dieser jungen Frau. ({0}) Es gab ihr Stift und Papier an die Hand, um endlich selbst Autorin ihrer Bildungsbiografie zu werden. Die Einführung des BAföG war ein echter Meilenstein für das Aufstiegsversprechen. ({1}) Wie steht es 2022 darum? Ist heute alles besser? Von wegen! Und, Frau Staffler, dafür trägt Ihre Fraktion Verantwortung. Seit über zehn Jahren bekommen kontinuierlich immer weniger Menschen BAföG, obwohl die Chancenungleichheit zunimmt. ({2}) Das spricht Bände, aber schreibt keine neuen Aufstiegsbiografien. ({3}) Wir werden jungen Menschen wieder Grund zum Jubeln geben – ({4}) Grund zum Jubeln für Kinder aus den Familien, ({5}) die zu wenig haben, um ihre Kinder unterstützen zu können, aber zu viel, um BAföG zu bekommen. Die sind nicht reich, aber das BAföG erreicht sie nicht mehr. Das ändern wir mit dieser überfälligen Novelle. ({6}) Wir schaffen die krasseste Erhöhung der Freibeträge in der Geschichte des BAföG, eine Erhöhung um 20 Prozent, und machen Studieren so elternunabhängiger. Wir erhöhen die Bedarfsätze, besonders beim Wohnen, um 11 Prozent – das ist mehr als der Inflationsausgleich, Frau Gohlke –, und weil sich die Biografien heute nicht mehr nur mit Stift und Papier schreiben, schaffen wir mit dem Verzicht auf das Schriftformerfordernis endlich die Voraussetzung für echte digitale Antragstellung ohne Medienbrüche oder eID. ({7}) Bildung und Digitalisierung – dafür habt ihr jungen Menschen FDP gewählt. Wir liefern! ({8}) Einen anderen Punkt möchte ich noch ansprechen. 2022 übernehmen wir Verantwortung auch für Bildungsbiografien, die durch den brutalen Angriffskrieg abzureißen drohen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir heute Nachmittag mit dem Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz das BAföG auch für Ukrainerinnen und Ukrainer öffnen. ({9}) Meine Damen und Herren, „Bildung ist Bürgerrecht“, titelte einst Ralf Dahrendorf. Nicht weniger ist unser Anspruch. Darum lassen Sie uns diesen Bildungschancenaufbruch heute gemeinsam auf den Weg bringen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Professor Monika Grütters. ({0})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der berühmte Bildungsforscher und Gelehrte Erasmus von Rotterdam wusste: Nicht um zu studieren, leben wir, sondern wir studieren, um angenehm leben zu können. Dass die Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das BAföG an die steigenden Lebenshaltungskosten anpasst, das ist beinahe selbstverständlich, damit Studium und in Erasmus’ Sinn ein angenehmes Leben weiter Wirklichkeit bleiben können, gerade auch für die jungen Menschen. Das ist richtig und findet selbstverständlich die Unterstützung unserer Fraktion. ({0}) Aber, Frau Gohlke, wir alle hier tun unser Möglichstes und wollen Bildungsaufstiege ermöglichen. Was mich wundert, ist, dass Sie, die schon so lange im Bildungsausschuss sitzen, vergessen konnten, dass zurückliegende BAföG-Reformen, zum Beispiel die von 2019, deutlich mutiger ausgefallen sind als der kleine Wurf heute hier. ({1}) Damals haben wir 30 Prozent Wohnzuschlag ermöglicht, heute sind es 10 Prozent, damals 13 Prozent mehr für Kinderbetreuung, heute nur 5 Prozent. Ich glaube, es gehört zur Redlichkeit dazu, dass man auch die vergangenen Jahre ehrlich einpreist. Dass die jetzige Koalition, die Ampelkoalition, gleichzeitig beim Entlastungspaket die Studierenden prompt leer ausgehen lässt, muss einen an der Ernsthaftigkeit auch dieser Übung doch ein wenig zweifeln lassen. ({2}) Der Zweifel wird umso größer, wenn man sich vor Augen führt – es ist hier bereits angeklungen –, dass die Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur den geringsten Teil einer im Koalitionsvertrag jedenfalls vollmundig angekündigten großen BAföG-Reform umsetzt. ({3}) Die schwierigen Schritte – eine strukturelle Reform der Ausbildungsförderung – werden also vorsichtshalber auf später verschoben. Für dieses Verhalten habe ich eine sehr nette, schöne Erklärung just auf der Seite der Studienberatung der Freien Universität gefunden. Dort hieß es: Der Ausdruck „Prokrastination“ bezieht sich darauf, als dringend und notwendig betrachtete Aufgaben aufzuschieben und stattdessen etwas anderes, von geringerer Priorität und weniger Essenzielles zu machen. Für diese Handlung finden Personen typischerweise Entschuldigungen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das BAföG und damit die soziale Säule im Hochschulsystem unseres Landes zu stärken, ist natürlich richtig. Es wäre aber fatal, wenn sich darin der Anspruch dieser Koalition für eine kluge Bildungspolitik bereits erschöpfen würde. Denn eine Frage bleibt auch nach einem halben Jahr Ampelkoalition bisher in der Bildung unbeantwortet: Hat die Koalition den jungen Menschen an unseren Hochschulen mehr zu bieten als die reine Erhöhung der Sozialleistungen? Frau Seitzl, auch Sie haben es eben angemahnt; vielleicht kennen Sie die Antwort. Was tut die Ampel für die unzähligen bildungshungrigen jungen Menschen an unseren Hochschulen, die leistungsstark und leistungsbereit sind, für jene also, die im besten Sinne Erasmus’ Leistungsethos folgen wollen? Ich kenne jedenfalls viele Studierende, die beides erwarten und möchten: sozial abgesichert sein und ihren Ehrgeiz unter Beweis stellen. ({5}) Zu den großen Aufgaben unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems gehört jedenfalls nicht nur, Chancengerechtigkeit herzustellen, sondern es gewinnt seine Legitimation gerade auch durch die ausdrückliche Förderung von Talent, Begabung und Leistungsbereitschaft. Auch hier vermissen wir entschlossene Impulse. ({6}) Deshalb muss sich diese Koalition sowohl im Hinblick auf eine vollständige BAföG-Reform als auch auf die Begabtenförderung Erasmus’ kritische Frage gefallen lassen: Wie viele Male schaut der Wille durch’s Fenster, ehe die Tat durch’s Tor geht? Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Oliver Kaczmarek spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das BAföG ist Teil des Aufstiegsversprechens für viele von uns gewesen, auch für mich selbst. Das Problem ist aber, dass es für viele Studierende, viele Auszubildende in der gelebten Realität nicht mehr erfahrbar ist. Deswegen müssen wir es wieder zum Teil des Aufstiegsversprechens machen. Dazu wird heute der erste Schritt getan, und der ist richtig und wichtig so. ({0}) Wir wissen: Zu viele Studierende und Auszubildende haben zu wenig Geld. Wir wissen das aus den Erhebungen, die wir im Rahmen der Überbrückungshilfe für Studierende in der Pandemie gemacht haben. Viele Anträge konnten nicht bewilligt werden – nicht weil die Menschen nicht arm waren, sondern weil sie schon vor der Pandemie arm waren. Wenn man sich das vor Augen führt, gibt es doch nur eine Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann: Wir müssen das BAföG für mehr Menschen ermöglichen; denn das BAföG unterstützt sie bei ihrer Ausbildung. Deshalb ist unser Ziel mit diesem Gesetz nicht nur mehr BAföG, sondern vor allen Dingen mehr BAföG für viel mehr Menschen, die an den Hochschulen oder in der Ausbildung sind. ({1}) „Mehr BAföG“, das heißt für uns: Der Höchstsatz steigt jetzt um mehr als 7 Prozent auf 931 Euro. Das ist noch nicht das Ende aller Bemühungen in dieser Wahlperiode, ({2}) aber das ist auch nicht nichts. Vor allen Dingen: Die Fixierung auf die Bedarfssätze führt dann in die Irre, wenn nicht gleichzeitig die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Menschen diese Bedarfssätze dann auch in Anspruch nehmen können. Deswegen heißt für uns „mehr Menschen in BAföG“ – das ist ein wesentlicher Kern dieses Gesetzes neben vielen anderen Bestandteilen –: Freibeträge um 20 Prozent rauf. Das ist ein mutiger Schritt, damit das BAföG auch besser gegen Armut schützen kann und es mehr Menschen in Anspruch nehmen. ({3}) Ich muss an dieser Stelle sagen: Ja, das hätten wir schon längst tun können, und das hätten wir vielleicht schon längst tun müssen. Ich wundere mich ein bisschen – bei aller Wertschätzung, Frau Staffler und Frau Grütters – über Ihre Reden aus der Union. Jeder hier im Saal weiß, dass wir die Gelegenheit schon in der letzten Wahlperiode gehabt hätten. Aber Sie haben sehenden Auges bei sinkenden Gefördertenzahlen dazu beigetragen, dass die Freibetragsanpassung, die wir als SPD in der Koalition mehrfach angeboten haben, nicht angegangen worden ist. Sie haben verhindert, dass wir mit mutigen Schritten die Trendwende schon in der letzten Wahlperiode einleiten konnten, weil Sie das BAföG nicht mehr angefasst haben. Deswegen sind Ihre Reden hier entweder vergesslich oder schlicht bigott. ({4}) Wir wollen, dass wir beim BAföG endlich wieder die Kurve kriegen, dass die Zahlen beim BAföG endlich wieder nach oben gehen. Darauf können sich die Studierenden und Auszubildenden verlassen. Wir werden das Gesetz gegebenenfalls, wenn wir sehen, dass wir nachjustieren müssen, auch noch einmal in die Hand nehmen und nicht sozusagen einsperren, wie es in der letzten Wahlperiode geschehen ist, als man es nicht mehr in die Hand genommen hat. Wir wollen auch, dass das transparent geschieht. Deswegen wird übrigens auch kein BAföG-Bericht verschoben; das hat es hier schon gegeben. Meine Damen und Herren, Studierende und Azubis, Auszubildende, haben in der Pandemie viel Solidarität gezeigt. Sie haben einen Beitrag dazu geleistet, dass wir die Pandemie überwunden haben oder vielleicht überwinden werden. Aber ihre Ansprüche haben sich oft nicht wiedergefunden. Deswegen ist es jetzt angesichts steigender Energiepreise, angesichts steigender Lebenshaltungskosten umso wichtiger, dass wir die Lage und die Belange von Studierenden und Auszubildenden nicht nur sehen, sondern sie auch konkret unterstützen. ({5}) Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen, dass wir ein umfangreiches Paket zur Entlastung von Studierenden und Auszubildenden auf den Weg gebracht haben. Ich will das kurz darstellen. Heute gehen wir den ersten Schritt mit der Erhöhung des BAföG und der Ausweitung des Bezugs auf viel mehr Menschen. Zweitens. Studierende und Auszubildende, die BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe bekommen, teilweise auch Aufstiegs-BAföG, bekommen einen Heizkostenzuschuss von 230 Euro. Das haben wir hier schon beschlossen. ({6}) Drittens. Wir bringen in dieser Woche das 9‑Euro-Ticket auf den Weg. Das wird dazu führen, dass die Studierenden, die eingeschrieben sind und ein Semesterticket haben, bei ihrem nächsten Semesterbeitrag eine deutliche Reduzierung ihrer Mobilitätskosten erfahren werden. ({7}) Viertens. Es ist nicht richtig, was Frau Grütters gerade gesagt hat: dass die Studierenden nicht vom Entlastungspaket profitieren. Denn auch Minijobber werden die Energiepreispauschale von 300 Euro erhalten, das heißt auch Studierende mit Minijob. Wir wissen, dass fast drei Viertel aller Studierenden Nebentätigkeiten nachgehen. Ich behaupte nicht, dass damit alles gelöst ist, aber ich kann sehr selbstbewusst sagen: Das sind echte und wirksame Entlastungen für Auszubildende und Studierende. Wir als Koalition haben die junge Generation im Blick. ({8}) Ein letzter Satz noch. Wir möchten, dass auch die Geflüchteten aus der Ukraine BAföG erhalten können. Ich war erschüttert, als ich im Ausschuss festgestellt habe, dass die Union diesen Schritt nicht mitgehen will. Ich glaube, bei der ganzen Wortgewaltigkeit, die Sie bei dieser Frage ansonsten an den Tag legen, sollten Sie sich einen Ruck geben. Ukrainische Studierende haben, da sie ihr Land verlassen mussten, das Recht, hier ihre Ausbildung fortzusetzen und auch BAföG dafür zu erhalten. Geben Sie sich einen Ruck. Das ist eine wichtige Maßnahme. Es gibt überhaupt keinen Grund, dagegen zu sein. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Nina Stahr hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Nina Stahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005227, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute viel über Chancen: Chancengleichheit, Bildungschancen, Chancengerechtigkeit. Aber was bedeuten gleiche Bildungschancen eigentlich? Schauen wir uns das einmal ganz konkret an. 100 Kinder kommen auf die Welt, gehen in die Kita, gehen zur Grundschule. Alle haben die gleichen Chancen; denn sie haben ja den gleichen Unterricht, die gleichen Lehrkräfte, die gleichen Arbeitsblätter. Trotzdem: Am Ende der Grundschulzeit haben Kinder aus Akademikerhaushalten knapp dreimal so häufig die Gymnasialempfehlung wie Kinder aus Nichtakademikerhaushalten. Chancengleichheit? Offensichtlich nicht. ({0}) Und das setzt sich fort – die Kollegin Seitzl hat das angedeutet –: Von diesen 100 Kindern fangen 74, wenn sie aus Akademikerhaushalten kommen, ein Studium an, 21 aus Nichtakademikerhaushalten. Promotionen machen dann aus den Akademikerhaushalten zehn Kinder und aus den Nichtakademikerhaushalten eins von 100. Ein Kind von 100! ({1}) Natürlich ist das häufig aus finanziellen Gründen so, und genau das werden wir als Ampelkoalition jetzt ändern. ({2}) Denn für uns bedeutet Chancengleichheit eben auch Chancengerechtigkeit. Das heißt nicht, jedem einfach dasselbe vorzusetzen und zu sagen: Bitte schön, was du daraus machst, das ist deine Verantwortung. – Natürlich ist klar: Jeder muss für seinen eigenen Erfolg auch selber arbeiten. Aber es bedeutet eben auch, dass alle wirklich die gleichen Zugänge haben müssen. Da, wo das Elternhaus diese Zugänge nicht bieten kann, sind wir als Staat in der Pflicht, zu unterstützen. ({3}) Deswegen liegt mir persönlich auch das Startchancen-Programm so sehr am Herzen; denn es lässt im schulischen Bereich eben genau dieses Versprechen von Chancengleichheit ein Stück weit wahrer werden. Für diejenigen am Ende der Schulzeit ist diese BAföG-Reform ein Meilenstein für Chancengerechtigkeit. Ich bin deswegen der Ministerin sehr dankbar, dass sie dieses Gesetzesvorhaben mit so viel Nachdruck und so viel Schnelligkeit vorangetrieben hat, dass es deshalb jetzt schon zum Wintersemester wirksam werden kann. ({4}) Mit dieser Reform öffnen wir das BAföG für viel mehr Menschen. Die Anhebung der Altersgrenze, die Anhebung der Freibeträge sorgen dafür, dass nach einem jahrelangen Rückgang der Zahlen endlich wieder mehr Menschen BAföG beziehen können. Da wundere ich mich schon, Frau Staffler, dass Sie hier erzählen, wie viel die CDU in den letzten Jahren getan hat, wenn jetzt nur noch 11 Prozent der Studis und Azubis BAföG beziehen. Das heißt, 89 Prozent beziehen es nicht. Das ändern wir jetzt, insbesondere mit der Anhebung der Freibeträge um 20 Prozent. Wir holen das auf, was die CDU jahrelang versäumt hat. ({5}) Mit der Digitalisierung der Antragstellung bauen wir natürlich auch weitere Hürden ab und sorgen so dafür, dass der Zugang zum BAföG und damit eben auch der Zugang zum Studium einfacher wird. Ich freue mich ganz besonders – das ist heute auch schon mehrmals gesagt worden –, dass wir das BAföG jetzt auch für die jungen Menschen aus der Ukraine öffnen. So geben wir Menschen schnell wieder eine Perspektive, und so gelingt Integration. Ich möchte an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung machen. Die Art und Weise, dieser pragmatische Umgang, die offenen Arme, die wir den Menschen aus der Ukraine gezeigt haben, das wünsche ich mir für die Zukunft für alle Geflüchteten. ({6}) Aber es geht nicht nur um einfacheren Zugang, sondern auch darum, dass alle Studierenden die Sicherheit haben, ganz unabhängig vom Elternhaus, egal ob Akademikerelternhaus oder eben auch nicht, für das Studium finanziell gerüstet zu sein. Dafür muss man vom BAföG auch leben können. Mit der deutlichen Anhebung der Bedarfssätze, des Kinderbetreuungszuschlags und des Wohnzuschlags sorgen wir dafür, dass junge Menschen von dem Geld, das ihnen zur Verfügung steht, auch leben können. Es wurde häufig gesagt, diese BAföG-Reform sei der erste Schritt. Wir werden die Förderhöchstdauer verlängern. Wir werden den Fachrichtungswechsel erleichtern, die Bedarfssätze weiter anpassen und mit der Studienstarthilfe jungen Menschen aus finanziell schwachen Familien den ersten Schritt in die Ausbildung erleichtern. Wir werden die Nothilfe einführen und die Menschen damit auch in Krisen besser absichern. Ich bin mir sicher – das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin –: Mit dieser Reform und den folgenden Schritten tragen wir als Ampelkoalition maßgeblich zum Erfolg und zur Chancengerechtigkeit für junge Menschen bei. Ich freue mich auf die Beratungen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Stephan Albani hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit ein paar Dingen kurz aufräumen. Es ist eine Mär, das BAföG wäre in den letzten 16 Jahren nicht gestiegen. Ich habe eben noch einmal in die Statistiken geschaut. In den letzten 16 Jahren ist der Höchstfördersatz um insgesamt 43 Prozent gestiegen. Der Durchschnittssatz ist in den letzten 16 Jahren sogar um 57 Prozent gestiegen. ({0}) Also, da zu sagen, es sei nichts passiert, ist eine Verballhornung besonderer Form. Das zweite Thema. Es wurde immer wieder gesagt, dass die Anzahl der Bezieher von BAföG sinkt. BAföG ist eine Sozialleistung. ({1}) Das heißt, einer der Gründe, warum die Anzahl derer, die BAföG beziehen, gesunken ist, war die gute Lohnentwicklung, die gute Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 2014 bis 2018. ({2}) Insofern ist das etwas, worüber man sich eher freuen kann. Nicht freuen kann man sich darüber, dass die jungen Menschen sagen, es sei zu kompliziert, es zu beantragen. Da haben wir durch elektronische Verfahren und Ähnliches Abhilfe geschaffen. Also bitte, hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Oliver, du warst acht Jahre mit daran beteiligt; wir haben da eine ganze Menge gemacht. Du solltest jetzt nicht alles deiner Amnesie zuschreiben. ({3}) Die Koalition hat für das Bundesausbildungsförderungsgesetz nun eine großartige Änderung angekündigt. Damit ich mich nicht der Unterstellung bezichtigen lasse, zitiere ich den Koalitionsvertrag: Mit ... einem grundlegend reformierten BAföG legen wir den Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen. Wow! ({4}) Im aktuellen Entwurf ist davon aber nicht viel zu sehen. Ich bitte jetzt darum, nicht wieder den Hinweis zu machen: Da kommt demnächst noch etwas. – Denn selbst die Anpassung durch den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf – des Teilschrittes eines Entwurfs – zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist mit der Einbringung schon von der Realität überholt. Es sollte aber helfen. Es sollte schnell helfen. Aber hilft es denn auch? Beispiel Inflationsausgleich. Im April betrug die Inflation 7,4 Prozent. Die Erhöhungen in der nun vorgelegten Novelle werden von der Inflation völlig aufgefressen. Daher nun auch die massive Kritik an dieser Novelle durch die Studierendenvertretung, die Studierendenwerke, den Deutschen Gewerkschaftsbund und viele weitere. Ich erspare Ihnen an dieser Stelle die Zitate. Beispiel Energiekostenentlastung. Diese kleine Novelle ist ein Versuch, die blinden Flecken oder die Leerstellen im Entlastungspaket zu beseitigen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Hätte man das Entlastungspaket etwas besser durchdacht – mit Sicherheit war es unbeabsichtigt, hier Studierende und Rentner zu vergessen –, müsste man für Studierende an dieser Stelle nicht am BAföG flickschustern. Bitte ordentlich arbeiten! ({5}) Deutliche Kritik gibt es – in die Zukunft gerichtet – an dem Notfallmechanismus, der leider erst für die 28. BAföG-Reform angekündigt ist. Aber was man schon kennt, ist das Verfahren: Erst muss der Bundestag einen Notstand feststellen; dann entwirft das BMBF eine Verordnung; diese wird vom Bundestag beschlossen; anschließend kann man dann die Software ändern. Liebe Leute, das Verfahren ist so kompliziert, dass es einem schon wehtut, wenn man es auf dem Papier liest. Wie es ist, wenn sich die Konsequenzen so komplizierter Mechanismen im Tagtäglichen zeigen, das sieht man momentan in NRW. Dort ist die Bearbeitung des Aufstiegs-BAföG aufgrund der personellen Situation etwa durch Auszeiten aufgrund von Schwangerschaften anscheinend so langwierig, dass die Ministerin Frau Gebauer die Beantragung von Hartz IV empfiehlt. Das ist, ehrlich gesagt, akut erschütternd und nicht förderlich für lebenslanges Lernen. ({6}) Am Ende bleibt dann auch noch ein grundsätzlicher Dissens. Ich habe Ihnen eingangs schon gesagt: BAföG ist eine Sozialleistung. – Dem müssen wir an dieser Stelle auch Rechnung tragen. Denn tun wir das nicht und es wird nicht mehr eine Sozialleistung sein, dann verändern wir unseren Staat vom Grunde her. Das haben die Anhörungen gezeigt. Und als letzter Satz, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das wäre der Schluss gewesen.

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– verbunden mit einem Geburtstagsgruß an die Ministerin: Chance ist die Möglichkeit des Eintreffens eines günstigen Ereignisses.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie die Möglichkeit Realität werden! Das haben die Studenten verdient. Ihnen heute viele Geschenke und nicht die Versprechungen dafür! Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin Jessica Rosenthal. ({0})

Jessica Rosenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns, für diese Koalition, gilt ein Prinzip, und das heißt: Jede und jeder soll das werden können, was sie oder er sich wünscht, und – das ist uns als SPD besonders wichtig – unabhängig davon, was die Eltern auf dem Konto haben. ({0}) Um das vielleicht in die Richtung der Union noch einmal klarzustellen – weil wir nach diesem Prinzip handeln, weil wir nach diesem Prinzip kämpfen, Oliver Kaczmarek genauso wie die gesamte SPD-Bundestagsfraktion –: Insbesondere beim BAföG ist in der letzten Legislatur dank Ihnen genau gar nichts passiert. ({1}) Wenn wir uns die Zahlen ansehen – das wurde gerade auch schon sehr deutlich hervorgehoben –, dann stellen wir fest, dass der persönliche Weg in diesen Tagen vor allem davon abhängt, was die Eltern auf dem Konto haben und welchen Bildungsstand sie haben, und wir eben nicht bei der Chancengleichheit sind, die wir eigentlich brauchen. Die BAföG-Novelle, die wir heute vorlegen, reiht sich ein in eine Reihe von viel mehr Mechanismen und viel mehr Dingen, die wir vorhaben, um das zu ändern. Wir haben den Kindersofortzuschlag schon auf den Weg gebracht – wir bleiben da dran –, und wir wollen die Kindergrundsicherung durchsetzen, die auch ein Vorhaben ist, das daran etwas ändern soll. Diese Kindergrundsicherung ist für uns ein Kernbestandteil von all dem, was möglich macht, dass man den Aufstieg hinbekommt. ({2}) Beim BAföG erhöhen wir außerdem die Elternfreibeträge um 20 Prozent. Trotzdem möchte ich nicht darum herumreden: Die Belastungen sind aktuell immens. Ich will das ganz klar sagen, gerade auch den jungen Menschen, die uns hier vielleicht zuhören: Uns ist es nicht egal, dass man darüber reden muss, dass die Mensa die Preise erhöht; uns ist es nicht egal, dass man vielleicht nicht mehr weiß, wie man das Benzin bezahlen soll, um zu seiner Ausbildungsstelle zu kommen; uns ist es nicht egal, dass man wirklich überlegen muss, wie man die Heizkosten bezahlen soll – sondern wir schauen gerade darauf, dass junge Menschen diese Belastungen stemmen können. ({3}) Deswegen haben wir dafür gekämpft, dass die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro auch für Minijobberinnen gilt. Das will ich auch an den Kollegen Spahn mitgeben: Vielleicht lesen Sie auch einmal, was wir hier diskutieren und beschließen; es gilt nämlich für Minijobberinnen. ({4}) Ich freue mich auch, dass wir jetzt die Bedarfssätze beim BAföG anheben und dass wir etwas beim Wohnungszuschlag für Studierende tun. Das ist alles richtig. ({5}) Ich fange jetzt nicht an, darüber zu reden, was im Hinblick auf den Wohnungsmarkt in der vergangenen Legislatur alles nicht möglich war, um gerade für junge Menschen Entlastungen zu schaffen. ({6}) Es gibt noch ein weiteres Prinzip, das uns leitet – es ist mir gerade im Zusammenhang mit der Novelle des BAföGs ganz besonders wichtig, und es ist übrigens auch in dieser Zeit wichtig, in der wir in der Transformation stecken, in der wir als Koalition Deutschland als Weiterbildungsland, als Innovationsland gestalten wollen –: ({7}) Wir wollen, dass sich jede und jeder jederzeit neu erfinden kann. Wir wollen, dass es eine zweite Chance gibt, einmal etwas ganz anderes zu machen. Genau das brauchen wir, wenn wir Innovationsland sein wollen, wenn wir Weiterbildungsland sein wollen. ({8}) Deshalb ist es gut, dass das BAföG eben nicht nur für Studierende gilt, sondern auch für Schülerinnen und für die Menschen in den Gesundheitsberufen. Es ist genau deshalb so wichtig, dass wir die Altersgrenze anheben. Auch hier haben wir noch viel mehr vor; aber immerhin gehen wir jetzt diesen ersten Schritt. Das ist entscheidend dafür, dass man sich vielleicht auch einfach einmal entscheiden kann, eine Ausbildung zu machen und dann zu studieren oder – das will ich auch klar sagen – einfach nur eine Ausbildung zu machen. Damit meine ich eine Ausbildung, die so wichtig ist, um die Transformation zu stemmen. Es ist gut und richtig, wenn sich junge Menschen in diesem Land für eine Ausbildung entscheiden. ({9}) Deshalb ist es auch wichtig, dass sich all diese Reformen auch auf die Berufsausbildungsbeihilfe beziehen und gerade auch die Frage der Mobilität im Hinblick auf den Ausbildungsmarkt mit angegangen wird. Ich sage hier ganz klar: Das ist ein Anfang und nicht das Ende. Wir haben insbesondere bei der Frage, junge Menschen zum Beispiel dabei zu unterstützen, eine Wohnung zu finden, die man bezahlen kann, wenn man eine Ausbildung macht, oder auch ein Azubi-Ticket zu bekommen und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, noch ganz viel vor. Wir haben auch viel vor, wenn es um die Ausbildungsgarantie geht. Ich will ganz klar sagen: Wenn wir die Transformation schaffen wollen, dann brauchen wir Auszubildende in diesem Land. Dafür brauchen wir vor allem eine hohe Attraktivität der Ausbildungsplätze. Auch darum wird es uns als Koalition gehen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

An dieser Stelle, Herr Reichardt, will ich Ihnen ausdrücklich sagen: Die Bezichtigungen gegenüber der Kollegin Rosenthal entsprechen weder dem Anstand noch unseren parlamentarischen Gepflogenheiten. ({0}) Ich möchte das Wort der Kollegin Professor Anja Reinalter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geben. ({1})

Prof. Dr. Anja Reinalter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005187, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! – Jetzt sehe ich sie nicht mehr. – Liebe Studierende! Liebe Schülerinnen und Schüler! Liebe Auszubildende! Ja, wir reden hier heute viel über Bildungsgerechtigkeit, über Chancengerechtigkeit, über Studium, Universität und Hochschule, und das ist gut so. Wenn wir es aber wirklich ernst meinen mit der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung, dann müssen wir der beruflichen Bildung wie eben auch wirklich einen gleichwertigen Stellenwert in der Debatte einräumen. ({0}) Denn im Jahr 2020 waren ein Drittel der BAföG-Empfänger/-innen Schülerinnen und Schüler, die meisten davon aus der Berufsschule. Dabei denke ich jetzt an das Berufsschulzentrum in meinem Wahlkreis Biberach. Ich kenne sehr viele junge Frauen und Männer, die dort eine Ausbildung machen. Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass sie Pflegekräfte, dass sie Erzieher/-innen werden wollen und zum Glück auch Handwerkerinnen und Handwerker. Einige von ihnen wohnen aus Entfernungsgründen im Wohnheim. Weil sie entweder zu wenig oder keine Ausbildungsvergütung bekommen wie bei den Erzieherinnen und Erziehern, brauchen natürlich auch sie finanzielle Unterstützung. Aber leider sind die Zahlen der BAföG-antragsberechtigten Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren gesunken. Wir sorgen mit dieser Reform dafür, dass mehr Schülerinnen und Schüler förderberechtigt sind, dass sie mehr BAföG, mehr Wohngeld und höhere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge erhalten. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wir machen unsere Hausaufgaben Schritt für Schritt. Ein sehr wichtiger Schritt ist, dass wir zukünftig Menschen bis zu ihrem 45. Lebensjahr die Chance geben, BAföG für eine Ausbildung zu beantragen. Alter, Herkunft, Familien- und Lebenssituation dürfen kein Hindernis sein, sich aus- oder weiterzubilden. ({2}) Damit stärken wir Bildungsgerechtigkeit. Wir machen das nicht nur, weil jeder Mensch ein Recht auf Bildung und Ausbildung hat, sondern wir machen das natürlich auch, weil wir dringend – dringend! – mehr gut ausgebildete Menschen brauchen. Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet damit, dass 2030 5 Millionen Fachkräfte fehlen werden. Wir wissen alle, dass der Fachkräftemangel nicht von heute auf morgen behoben werden kann. Aber diese BAföG-Reform ist ein wichtiges Instrument zur Bewältigung des Fachkräftemangels. ({3}) Dafür braucht es nicht nur mehr Geld, sondern auch eine strukturelle Modernisierung. Deshalb ist es wichtig, dass das BAföG zukünftig digital wird und dass es unbürokratischer wird. Unser Ziel ist ein umfassendes, zielgerichtetes Update des BAföG, und ich freue mich heute schon auf die nächsten Reformschritte. Ja, es sind erste Schritte. Wir können schließlich 16 Jahre nicht in einem halben Jahr nachholen. ({4}) Insbesondere mit dem Aufstiegs-BAföG werden wir die berufliche Weiterbildung stärken. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Berufe ändern sich. Für diese großen Aufgaben und die Herausforderungen unserer Zeit brauchen wir alle Menschen in unserem Land. Vielen Dank und Happy Birthday, Frau Ministerin! ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Sie waren so erstaunt, dass ich jetzt hier sitze, nicht? ({0}) – So schnell kann der Geschlechterwandel funktionieren. ({1}) Nächster Redner ist der Kollege Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist die Gelegenheit, der Ministerin heute gleich mehrfach zu gratulieren: erstens zum Geburtstag, zweitens allerdings auch dazu, dass wir jetzt, nach über fünf Monaten Regierungszeit, die erste Gesetzesvorlage aus Ihrem Hause bekommen haben. ({0}) Es ist allerhand in den letzten fünf Monaten angekündigt worden. Ich gebe es offen zu: Irgendwann wird man dessen auch etwas müde. So wurde zum Beispiel erklärt: Bis Ende März wollen wir den Digitalpakt beschleunigen. – Das Startchancen-Programm wurde hier immer wieder erklärt. Es soll ein Digitalpakt 2.0 kommen bis zum Jahresende; so lese ich es auch in Interviews. Damit geht eine Grundgesetzänderung einher. Ich weiß nicht, wie viel wir schon über das Thema DATI gesprochen haben, das jetzt noch in monatelange Konsultationen geht. Ganz ehrlich: Ich finde, diese Bilanz ist fünf Monate nach der Vereidigung für ein Ressort, das von einer Ministerin aus einer unternehmensorientierten Partei geführt wird, keine wirkliche Performance. ({1}) Umso mehr gratuliere ich Ihnen dazu, dass Sie heute etwas vorgelegt haben. Aber auch das ist eben nicht der große Wurf, von dem einige Rednerinnen und Redner hier so superpathetisch geredet haben, und die krasseste Erhöhung von irgendetwas. ({2}) Ganz ehrlich: Das, was Sie hier machen, ist nichts anderes als das Fortsetzen der Kontinuität. Wir haben das BAföG erhöht 2008, 2010, 2016, 2019 und 2020. Und wenn die Kollegin Rosenthal hier ernsthaft erklärt, wir hätten in der letzten Legislaturperiode nichts gemacht, dann empfehle ich Ihnen, noch einmal nachzugucken, was hier gemacht worden ist. ({3}) - „Zu wenig“ heißt: Wir haben das Wohngeld um 30 Prozent erhöht. Sie erhöhen jetzt um nur 10 Prozent. Wir haben eine Inflation von über 7 Prozent. Sie erhöhen die Bedarfssätze um nur 5 Prozent. Die Studierenden sind bei den Entlastungspaketen vergessen worden. Lieber Kollege Kaczmarek, wenn Sie ernsthaft sagen, die Studierenden profitierten vom 9‑Euro-Ticket, obwohl sie ein Semesterticket haben, dann sind das doch Fake News, die hier verbreitet werden. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer. Von wem?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Von Frau Seitzl aus der SPD-Fraktion.

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Lina Seitzl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005221, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jarzombek, weil ich das jetzt doch des Öfteren aus Ihrer Fraktion gehört habe und es auch in der vorherigen Debatte so gesagt wurde: Haben Sie verstanden, dass es in den Entlastungspaketen nicht nur um das 9‑Euro-Ticket geht, sondern auch darum, dass BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger einen Heizkostenzuschuss von 230 Euro bekommen, dass drei Viertel der Studierenden einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen und dadurch die Energiepreispauschale von 300 Euro bekommen und dass es mitnichten so ist, dass die Studierenden bei den Entlastungspaketen vergessen wurden? ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin, wir werden ja genau sehen, wie viel die Studierenden am Ende aus diesen Bereichen wirklich bekommen werden. Wenn Sie an dieser Stelle den Hinzuverdienst nennen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist etwas, was in dieser BAföG-Reform überhaupt nicht angefasst wurde. 290 Euro ist die Grenze. Das war schon vorher so und wird auch in Zukunft so sein. Und jetzt kommt der Mindestlohn hinzu. Die Inflation kommt obendrauf. Sie ermöglichen mit dieser Novelle niemandem, mehr hinzuzuverdienen. Die Beträge, die jetzt im Zusammenhang mit der Erhöhung des Wohnkostenzuschusses genannt worden sind, reichen in Städten wie Düsseldorf, Berlin, Köln, Hamburg oder München typischerweise nicht, um am Ende eine Wohnung zu finanzieren. Und der Anspruch, mit dem Sie hier ans Werk gehen, ist nicht der, den zum Beispiel Ihre Freunde in der Gewerkschaft haben. Der DGB hat klar erklärt, dass man jetzt eigentlich für alle Studierenden das BAföG um 150 Euro erhöhen müsste. Das bleiben Sie ihnen aber schuldig. Ich will auf einen entscheidenden Punkt Ihrer großen Reform, die immer angekündigt wird, zu sprechen kommen: Ist das BAföG eigentlich eine Sozialleistung – ja oder nein? Ist es elternunabhängig – ja oder nein? Um diese Entscheidung haben Sie sich herumgemogelt. Die haben Sie heute einfach noch nicht getroffen. Ich bin froh, dass die Ministerin im Fernsehen gesagt hat, dass das BAföG eine Sozialleistung bleibt. Aber wenn das BAföG eine Sozialleistung bleibt, dann kann es nicht elternunabhängig werden. Diesen Widerspruch werden Sie irgendwann auflösen müssen, und ich bin sehr gespannt, wie es läuft. Ich möchte Ihnen gerne noch eine Zahl nennen, die mir wichtig ist, weil wir in der Debatte immer wieder gehört haben, dass die Anzahl der BAföG-Beziehenden zurückgegangen ist. Ich erkläre Ihnen auch genau, warum. Das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland ist durch die Politik, die wir hier 16 Jahre lang gemacht haben, nur in den letzten zehn Jahren, von 2011 bis zum Coronajahr 2021, von 34 000 Euro pro Kopf auf 44 000 Euro pro Kopf gestiegen. ({0}) – Nein, die Lebenshaltungskosten sind in den letzten Jahren nicht entscheidend gestiegen. Teilweise gab es ja sogar Deflationsängste. Der Benzinpreis lag teilweise bei 1 Euro. Also: Wir haben das Pro-Kopf-Einkommen von 34 000 auf 44 000 Euro gesteigert. Das hat dazu geführt, dass viele keine Sozialleistungen mehr gebraucht haben. Das ist kein Problem, sondern das ist ein Erfolg unserer Politik. ({1}) Wir werden in der nächsten Woche eine Anhörung haben. Ich bin gespannt, was die Sachverständigen zu all diesen Dingen sagen. Ich bin gespannt, wie sie das Thema Elternunabhängigkeit auflösen werden. Ich sage Ihnen nur eins: Am Ende werden die Leute sagen, diese Reform sei ja ganz nett. Doch „ganz nett“ reicht nicht. Besser ran den Speck. Alles Gute. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ye-One Rhie, SPD-Fraktion. ({0})

Ye One Rhie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005188, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und ganz besonders: Liebe Studierende! Vorab: Liebe Union, bevor Sie bei anderen Amnesie diagnostizieren wollen, sollten Sie Ihre heutigen Reden vielleicht einmal mit Ihrem Handeln der letzten 16 Jahre vergleichen. Aber gut! ({0}) Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Diesen Spruch haben wir alle schon sehr oft gehört. Er gehört zu den Leitzielen der Juso-Hochschulgruppen, und er taucht gerade zu Wahlkampfzeiten in fast allen Parteiprogrammen auf. Und egal wie „ausgelutscht“ diese Aussage vielleicht klingt: Sie ist heute so aktuell wie selten zuvor – heute, im Jahr 2022, mehr als 50 Jahre nach Einführung des BAföG. Dabei steht das BAföG wie keine andere Maßnahme für das Versprechen, dass Aufstieg durch Bildung möglich ist. Es hat für den Studienerfolg vieler Menschen gesorgt, die ohne BAföG gar kein Studium angefangen hätten. Doch das BAföG ist in die Jahre gekommen. Es ist zu bürokratisch, zu aufwendig und zu ungerecht. Statt Erfolgsgeschichten schreibt das BAföG immer mehr Aussagen wie folgende: „Ich muss bei meinen Eltern wohnen. Ich kann es mir nicht leisten, an einen anderen Studienort zu ziehen.“ „Meine Eltern verdienen zu viel für BAföG, sie sind aber nicht bereit, mein Studium zu bezahlen.“ Und: „Ich habe Angst, dass ich meine BAföG-Schulden nicht zurückzahlen kann.“ Das alles habe ich von Aachener Studierenden gehört, die ich vor einigen Wochen zu einer – entschuldigen Sie bitte den Ausdruck – Auskotz-Runde eingeladen hatte. Dass solche Runden überhaupt gebraucht werden, verdanken wir auch unserem ehemaligen Koalitionspartner und einer Bildungsministerin, die viel zu oft weggeschaut hat, wenn es um die Sorgen und Nöte von Studierenden ging, und der viel zu oft die Empathie gefehlt hat, diese überhaupt zu verstehen. ({1}) Die SPD hat von Anfang an gefordert, das BAföG zu öffnen, um die Studierenden wenigstens während der Pandemie zu entlasten. Sie, liebe Union, wollten stattdessen eine „Unterstützung“ durch noch mehr Studienkredite und eine noch höhere Verschuldung. Das zeigt, dass Sie gar keine Ahnung haben, wie es ist, sich schon im jungen Alter verschulden zu müssen, in einem Alter, wo es mehr Unsicherheiten als Gewissheiten gibt, wenn es um die eigene berufliche Zukunft geht. ({2}) Und es zeigt, dass Sie keine Ahnung haben, wie es sich anfühlt, schon in den ersten Semestern wissen zu müssen, ({3}) ob die Studienwahl wirklich die richtige war. Viel zu viele Studierende entscheiden sich genau deshalb dagegen, überhaupt einen BAföG-Antrag zu stellen. Auch die Quote der geförderten Studierenden – das haben wir gerade mehrfach gehört – nimmt immer weiter ab. Das werden wir ändern. Deshalb heben wir die Bedarfssätze beim BAföG an. Wir erhöhen die Grundfreibeträge beim Einkommen der Eltern. Wir steigern die Vermögensfreibeträge, und wir packen endlich auch den BAföG-Antrag an sich an. Wir machen ihn einfacher, wir machen ihn digital. Wir schaffen die riesigen Papierberge ab und entlasten damit nicht nur die Antragsteller/-innen, sondern auch die BAföG-Ämter. ({4}) – Und weil Sie so laut schreien: Wenn Sie das alles schon getan haben, warum sagen dann die BAföG-Ämter immer noch, dass sie überlastet sind und es immer noch viel zu kompliziert ist, nicht nur bei der Antragstellung, sondern auch bei der Antragsbearbeitung? ({5}) Und trotzdem: Auch nach dieser Novelle gibt es vieles, was das BAföG noch besser, noch einfacher und vor allem noch gerechter machen kann. Das wollen wir in dieser Legislatur auch tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen alle: In der Politik ist es wichtig, eine Lobby zu haben, und damit meine ich keine Maskendeals, keine Beraterverträge und keine Nebenverdienste, ({6}) sondern, dass die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse aller Zielgruppen gesehen und berücksichtigt werden. Deshalb, liebe Studierende: Ich und die ganze SPD, die gesamte Ampel wollen und werden eure Lobby sein, wir wollen eure Stimme in diesem Parlament sein, wir wollen Politik für und mit euch machen, damit es weniger Studierende gibt, die sich überhaupt auskotzen wollen und auskotzen müssen. Vielen Dank. ({7})

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Pflegeberufen! Alle kennen sie: Geschichten über den schlimmen Zustand in den Krankenhäusern und Pflegeheimen. Es sind Bücher geschrieben worden; das „Schwarzbuch Krankenhaus“ ist erschienen. Menschen wie Ricardo Lange und Franziska Böhler haben die Skandale aufgeschrieben, unter welchen unmenschlichen Bedingungen sie arbeiten müssen, die Gefühle der Pflegekräfte aufgezeichnet, was sie empfinden, wenn sie trotz ihres übermenschlichen Einsatzes abends nicht einschlafen können, weil sie die Fehler bei sich suchen. Und das sind noch nicht einmal alle Geschichten, sehr geehrte Damen und Herren. Letzte Woche – die Streiks in Unikliniken in NRW hatten gerade begonnen – lud eine Gruppe in Köln zu einem vertraulichen Gespräch ein, weil die Teilnehmer die schlimmsten Geschichten nicht in der Öffentlichkeit erzählen wollten. Liebe Pflegekräfte, es sind natürlich nicht eure Fehler, es sind nicht die Fehler der Beschäftigten, ({0}) es ist das System, das hier in diesem Hohen Hause nicht nur zugelassen, sondern jahrelang erbaut und erschaffen wurde, es sind die Verantwortlichen in den Regierungen, die alles längst wissen und zu lange nichts getan haben, sodass es zu solchen Zuständen kommen konnte, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) Und das Absurde ist doch: Es trifft neben den Beschäftigten die Schwächsten der Gesellschaft, es trifft im wahrsten Sinne die Alten und Kranken, die Menschen in den Pflegeheimen und in den Krankenhäusern, weil das Gesundheitssystem so am Ende ist. Sie sterben, sie siechen vor sich hin, und das in einem der reichsten Länder der Welt. Daher heißt es nun endlich handeln. Lasst uns den 12. Mai 2022, den Tag der Pflegenden, nicht als weiteren Klatsch-, Dank- und Verschiebetag begehen, sondern lasst uns an diesem Tag den Startpunkt setzen für grundlegende Änderungen im Pflegebereich. ({2}) Die Linke hat zwei Anträge eingereicht, die die grundlegenden Probleme in der Pflege angehen. Ich bitte Sie: Beugen Sie sich dem Druck, der uns aus den Kliniken und Pflegeheimen erreicht, der auch heute wieder auf die Straße getragen wird. Lasst uns das ändern! ({3}) In der Krankenhauspflege geht es um Entlastung. Es gibt ein fertiges Instrument, das nur auf seine Umsetzung wartet: die Pflegepersonalregelung 2.0, verpflichtende Regelungen zur Personalbemessung in allen Kliniken. Auch das gilt als Übergangslösung. Aber zumindest das muss doch jetzt endlich passieren. Nur so kommen wir nicht nur zu einer Entlastung, sondern auch zu mehr Pflegekräften. ({4}) Denn viele würden zurückkehren, viele würden wieder in Vollzeit gehen, wenn der Stress nicht mehr so groß wäre. Erst letzte Woche erschien hierzu eine Studie. ({5}) – Ja, aber Lesen alleine reicht nicht für die Verbesserungen. – Wir müssen uns das vorstellen. Ich war in vier der sechs Uniklinikstandorte in NRW, die gegenwärtig für Entlastung streiken. Da geht es nicht um mehr Geld, da geht es einfach nur darum, dass mehr Kolleginnen und Kollegen eingestellt werden. Der Arbeitgeber kämpft mit übelsten Methoden, obwohl es absolut notwendig für die Patientensicherheit ist. Ausbildungskräfte werden bedroht, die sich am Streik beteiligen wollen, Kolleginnen, die gerade erst am Anfang stehen, die wir ja dringend brauchen, weil die Fachkräfte fehlen. Glück auf, liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst euch nicht unterkriegen! Wir stehen an eurer Seite, aber nicht nur dem Wort nach, sondern auch der Tat. Lasst uns das bundesweit einführen und ergänzen um die Bereiche, die bislang bei der PPR 2.0 fehlen. In der Langzeitpflege geht es aber tatsächlich um mehr Geld. Daher kämpfen wir um eine Allgemeinverbindlichkeit bei den Tarifverträgen, dafür, dass das möglich wird, was in der letzten Legislatur leider scheiterte, obwohl der politische Wille sogar da war, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Instrument liegt auf dem Tisch, im Arbeitsministerium geschaffen. Schaffen wir den Rahmen, um es einsetzen zu können. ({6}) Und es geht schließlich und endlich auch um eine bessere finanzielle Ausstattung. Während Herr Lauterbach ankündigte, dass die Kassenbeiträge bei den Normalverdienenden ansteigen müssten, sorgen wir dafür, dass alle in die Pflege- und Krankenversicherung einzahlen. Sehr geehrte Damen und Herren – ich komme zum Schluss –, wir schlagen heute das vor, was sich in der Gesellschaft lang durchgesetzt hat und selbst im Koalitionsvertrag Eingang gefunden hat: eine Entlastung in der Krankenpflege und bessere Bezahlung in der Langzeitpflege. ({7}) Doch das Gesundheitsministerium – das wissen Sie auch –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, jetzt sollten Sie auch zum Schluss kommen.

Ates Gürpinar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005073, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– spielt auf Zeit. Papier ist geduldig, die Beschäftigten sind es nicht mehr. Die Linke greift die Forderungen jetzt auf. Wir freuen uns auf die Debatte und vor allem auf die Umsetzung. Vielen, vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Philippi, SPD-Fraktion, und es ist seine erste Parlamentsrede. ({0})

Dr. Andreas Philippi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005179, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Wir beide haben eine gemeinsame persönliche Geschichte; die erzähle ich Ihnen aber später. ({0}) – Nichts Schlimmes, etwas Angenehmes. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und heute sage ich besonders: Liebe Pflegende! Am heutigen Internationalen Tag der Pflege möchte ich Sie, liebe Pflegende, ganz besonders begrüßen und Ihre Arbeit für andere Menschen und für unsere Gesellschaft würdigen und hier einmal ganz deutlich Danke sagen. ({1}) Ich freue mich, dass ich als Arzt, der nun auch in der Politik tätig ist, heute in meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag die Möglichkeit habe, die Arbeit und die Arbeitsbedingungen von fast 2 Millionen Pflegenden in Deutschland hervorzuheben und hier im Hohen Haus zum Thema zu machen. ({2}) Der heutige Tag fällt nicht aus Zufall auf den Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale im Jahre 1820 und erinnert uns alle an die Pionierin der modernen Krankenpflege. Sie sagte – und ich zitiere –: Pflege ist eine Kunst, und wenn sie zur Kunst gemacht werden soll, bedarf es einer ebenso harten Vorbereitung wie für die Arbeit eines Malers oder Bildhauers. – Damit hat Florence Nightingale Maßstäbe für den Beruf und das Werk der Pflegenden gesetzt, die bis heute gelten bzw. gelten sollten. Denn um diese Kunst erfolgreich auszuüben, bedarf es auch guter Arbeitsbedingungen. Diese Aufgabe und damit das Erbe von Florence Nightingale sind noch lange nicht erfüllt. Was sich die Pionierin der modernen Krankenpflege sicher kaum vorstellen konnte, sind die enormen zusätzlichen Herausforderungen, die auf die Pflegenden heute zukommen und die ich kurz nennen möchte. Zur Umsetzung der guten Kunst gehören heute nämlich auch eine sehr anspruchsvolle fachspezifische Aus- und Weiterbildung sowie enormer zusätzlicher Dokumentationsaufwand neben der eigentlichen Pflege. Meine Damen und Herren Pflegende – und damit meine ich sowohl die professionell Pflegenden als auch die Ehrenamtlichen und die pflegenden Angehörigen –, Sie sind wahrlich systemrelevant. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich selbst war Pflegekraft und sage deshalb selbstkritisch: Es kann und darf nicht bei Sonntagsreden bleiben. Deshalb haben wir als SPD schon in der letzten Wahlperiode viele berechtigte Forderungen des Bündnisses „Fairer Wettbewerb in der Pflege“ umgesetzt – umgesetzt, um eine angemessene Vergütung der Pflegekräfte und deren Refinanzierung sicherzustellen. Wir haben im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege und im Pflegelöhneverbesserungsgesetz politische Weichenstellungen vorgenommen. Der ganzheitliche Ansatz eines allgemeinverbindlichen Pflegetarifvertrages ließ sich in der letzten Wahlperiode allerdings nicht komplett umsetzen. Warum? Da haben die Kollegen von der Linken in ihrem Antrag nicht ganz unrecht: weil es ein ärgerliches Veto der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas gegeben hat. Ich vernehme inzwischen auch andere Stimmen aus dem Präsidium der Caritas, sodass wir begründete Hoffnung haben, diesen Weg eines Branchentarifvertrages mit einer Lohnerhöhung für viele Pflegende in dieser Wahlperiode umzusetzen. ({4}) Zunächst aber verfolgen wir als Ampelkoalition das Zwischenziel aus dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz der vergangenen Wahlperiode, nämlich dass Arbeitgeber in der Pflege ab 1. September 2022 mindestens auf Höhe eines regionalen Tarifvertrages bezahlen müssen, um auch weiterhin im Rahmen der Pflegeversicherung zugelassen zu sein. Sehr geehrte Damen und Herren, nun sind wir aber in der 20. Wahlperiode, und die Pflegenden dürfen berechtigt fragen: Was habt ihr darüber hinaus für uns vor? Hier ist der Koalitionsvertrag eindeutig und ambitioniert; meine Fraktionskollegen werden dies in ihren weiteren Beiträgen noch konkretisieren. Völlig unumstritten ist, dass wir weitere Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Pflegenden umsetzen müssen, dass wir Pflegepersonal durch gute und faire Arbeit halten, zurückgewinnen und neu gewinnen müssen und dass wir – um uns Florence Nightingale würdig zu erweisen – es schaffen müssen, dass man gesund und zufrieden im Beruf der Pflegenden auch gut alt werden kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf! ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Philippi. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Stöcker, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Diana Stöcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der Internationale Tag der Pflege; er ist den Menschen gewidmet, die derzeit weltweit in den Pflegeberufen arbeiten und Kranken und Alten helfen. Allen Pflegerinnen und Pflegern ein großes Dankeschön für diesen ihren Dienst am Menschen, für ihren Einsatz Tag für Tag – ein Einsatz, der viel verlangt: eine hohe fachliche Kompetenz, aber auch soziale Kompetenz, Empathie, Fürsorglichkeit und Zugewandtheit. ({0}) Wir sind uns sicherlich alle einig, dass wir einen großen Mangel an Fachkräften in der Pflege haben und alles dafür tun müssen – gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung –, um sofort mehr Fachkräfte auszubilden bzw. zu gewinnen. Der Antrag der Linken geht dabei jedoch in eine völlig falsche Richtung. ({1}) Er verdreht, warum in der letzten Legislaturperiode beim Pflegelöhneverbesserungsgesetz, mit dem grundsätzlich ein für die Pflege allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in Deutschland möglich gemacht wird, ein Mitspracherecht aufgenommen wurde. Der Antrag verdreht auch, warum die kirchlichen Träger in den Verhandlungen dem vorgelegten Tarifvertrag nicht zugestimmt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, man muss also sehr genau hinschauen und sich kundig machen, bevor man irgendwelche Positionen übernimmt, die keinerlei Hand und Fuß haben. ({2}) Zunächst zur Regelung der Mitsprache und Zustimmung, die Sie als Vetorecht bezeichnen: Die beiden großen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie stellen einen großen Anteil an Pflegeplätzen in Deutschland bereit. Sie haben damit auch eine sehr große Bedeutung für eine für alle gültige Tariftreueregelung. ({3}) Der vorgelegte Tarifvertrag, welcher für alle Träger der Pflegeeinrichtungen gelten sollte und für den die Allgemeinverbindlichkeit beantragt wurde, wurde von einer Minigruppe von Arbeitgebern mit Verdi ausgehandelt. Er war von Anfang an zum Scheitern verurteilt; denn eine Arbeitgebergruppe, die nur 5 Prozent der Pflegeplätze in Deutschland vorhält, kann nur schwerlich einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag verhandeln, der der Mehrheit von 95 Prozent diktiert, was umgesetzt gehört. Solche Konstrukte würden beim Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden. ({4}) Was waren die finanziellen Tarifforderungen? Diese lagen – nun bitte genau zuhören, verehrte Kolleginnen und Kollegen – deutlich unter denen, die die kritisierten kirchlichen Arbeitgeber den Pflegekräften zahlen. Das hätte den Pflegekräften keinen Euro mehr gebracht. ({5}) Im Gegenteil: Es hätte die Gefahr bestanden, dass die Kassen in den Verhandlungen die niedrigen Löhne des neuen Tarifvertrages als Maßstab und mithin zum Normlohn genommen hätten. ({6}) Entweder hätten die kirchlichen Träger die Löhne der Pflegekräfte senken müssen – was natürlich niemand möchte –, oder diese Träger wären in die Unterfinanzierung geraten, ({7}) was zum Beispiel durch kommunale Zuschüsse hätte kompensiert werden müssen. ({8}) Kurzum: Die kirchlichen Arbeitgeber hatten schon immer eine hohe Tarifbindung und Tariftreue mit sehr gutem Lohnniveau. Sie zahlen auch die Altenpflege auf dem Krankenpflegeniveau und unterscheiden eben nicht zwischen Langzeit- und Krankenhauspflegekraft. Es kann also nicht davon die Rede sein, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände eine gute Bezahlung in der Pflege verhindern; das genaue Gegenteil ist der Fall. Das, was Sie heute in Ihrem Antrag fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen, führt also nicht dazu, dass der Pflegeberuf attraktiver wird. Es führt auch nicht dazu, dass die Löhne für die Beschäftigten steigen; denn die Kirchen bilden mit ihrem guten Lohnniveau ein Bollwerk gegen jegliche Nivellierung des Tarifniveaus nach unten. ({9}) Es wäre im Gegenteil wünschenswert, dass alle Arbeitgeber in der Pflege ihren Beschäftigten dieses Niveau zahlten. Nach dem Scheitern der Allgemeinverbindlichkeit war es wichtig, dass auf Betreiben von Gesundheitsminister Jens Spahn zum Ende der letzten Wahlperiode ein Gesetz verabschiedet wurde, das den Pflegerinnen und Pflegern im nicht kirchlichen Bereich ab September dieses Jahres mehr Lohnsicherheit bieten wird. ({10}) Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wurde nämlich geregelt, dass nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen werden, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte auf Basis eines Tarifvertrages bezahlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich habe in meinem Wahlkreis mit sehr vielen Einrichtungen und Pflegekräften sowohl von privaten und kirchlichen als auch kommunalen Trägern gesprochen. Alle haben mir gesagt: Es ist schon lange nicht mehr die Vergütung, die Pflegekräfte von ihrem Beruf abhält und sie in andere Berufsfelder abwandern lässt. Viel, viel wichtiger sind die Arbeitsbedingungen, die verbessert werden müssen. Das zentrale Thema ist: mehr Kolleginnen und Kollegen, eine bessere Personalausstattung und verbindliche Personalbemessung in der Pflege, sowohl in der Langzeitpflege als auch im Krankenhaus. ({11}) Es geht des Weiteren um Themen wie „Zeitdruck in der Pflege“, zum Beispiel durch eine überbordende Bürokratisierung. Es geht darum, dass tatsächlich dem Pflegeberuf die Wertschätzung fehlt, indem man den Pflegeberuf überreguliert und ausgebildeten und erfahrenen Fachkräften nicht die Freiheit gibt, das zu tun, was sie gelernt haben, nämlich Menschen kompetent und gut zu pflegen, auf Augenhöhe mit anderen Gesundheitsfachberufen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss.

Diana Stöcker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn wir das wieder ermöglichen, bin ich mir sicher, dann werden die Fachkräfte weiter mit großer Freude und Engagement in der Pflege arbeiten. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte steht ganz im Zeichen des Tags der Pflegenden, der Pflegenden in den Familien und der professionell Pflegenden, die nicht erst in der Pandemie, sondern auch schon davor Herausragendes geleistet haben und nach wie vor leisten. Wir alle sind ihnen nicht nur Dank schuldig, sondern auch weitgehende Reformen. Diese wollen wir auf den Weg bringen, um trotz steigender Zahlen von Pflegebedürftigen, auf die wir uns einstellen müssen, gute Pflege auch in den nächsten Jahrzehnten sicherstellen zu können. ({0}) Dafür ganz wesentlich sind die Aufwertung der professionellen Pflege, die Weiterentwicklung der Pflegeberufe, attraktive Arbeitsbedingungen und natürlich auch gute Bezahlung. Das Vetorecht der Kirchen abzuschaffen, wie es Die Linke heute fordert, ist rechtlich sehr umstritten. Wir haben uns damit ausführlich befasst. Wir werden gemeinsam mit den Kirchen – das haben wir im Koalitionsvertrag angekündigt, und wir werden das auch umsetzen – zu einem gemeinsamen Weg kommen, und dann werden wir entsprechende Vorschläge hier ins Parlament einbringen. ({1}) Auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen liegt dieser Regierung sehr am Herzen. Ich möchte nur beispielhaft die familienfreundlichen Arbeitszeiten erwähnen. ({2}) Aber die große Herausforderung, meine Damen und Herren, ist: Wir brauchen mehr Personal. ({3}) Wir brauchen mehr Menschen, die bereit sind, in diesen Beruf zu gehen. Daher wollen wir die professionelle Fachpflege mit neuen Berufsbildern und mehr Verantwortung im Gesundheitswesen aufwerten. Wir wollen die Kommunen, die Gemeinden, Dörfer, Stadtteile in die Lage versetzen, mit dem demografischen Wandel umzugehen ({4}) und ihn zu meistern, durch gute Pflege vor Ort, durch die Förderung der Gesundheit, durch die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe in einer Gesundheitsregion. Die neue Qualifikation der Community Health Nurse wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten können und neue berufliche Perspektiven auch für Pflegende eröffnen. ({5}) Hierzu gehören eigenverantwortliches Arbeiten und die Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten, wie wir das vorsehen. ({6}) Und natürlich, meine Damen und Herren, brauchen wir eine angemessene Vertretung der professionellen Pflege in den Entscheidungsgremien des deutschen Gesundheitswesens, unter anderem im Gemeinsamen Bundesausschuss. Deshalb stärken und unterstützen wir den Pflegerat als organisierte Stimme der professionellen Fachpflege im Gemeinsamen Bundesausschuss. Es ist längst überfällig, endlich dafür zu sorgen, dass auch in den Entscheidungsgremien in unserem Gesundheitswesen die Pflege einen angemessenen Platz bekommt, angehört wird und auch mitentscheiden kann, wie gute Pflege für die Zukunft sichergestellt wird. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nunmehr erhält das Wort der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausgaben des Bundes für Gesundheitspolitik haben sich in den letzten drei Jahren verdreifacht. Dabei wird das Gesundheitssystem nicht besser, sondern schlechter. Pharmalobbyisten und einzelne Protagonisten verdienen sich eine goldene Nase, und die Patienten bleiben auf der Strecke. Die Gesundheitsversorgung wird immer schlechter, die Krankenversicherung wird hingegen immer teurer. Viele Menschen bekommen keine Termine bei Fachärzten, und wenn doch, müssen sie oft monatelang warten. Die ärztliche Versorgung auf dem Land weist bedeutende Lücken auf. In der Pflege fehlen über 30 000 Beschäftigte. Die Ampel macht nichts, um diese Probleme anzugehen. Karl Lauterbach ist kein Gesundheitsminister; denn er tut nichts, um die Gesundheit der Menschen zu stärken. ({0}) Karl Lauterbach ist ein Krankheitsminister, der ständig neue Horrorzahlen erfindet, um die Menschen krank vor Angst zu machen. ({1}) Dass die Bundesregierung die echten Probleme im Gesundheitswesen ignoriert, ist eine Katastrophe. Noch katastrophaler sind nur noch die hier vorgelegten Anträge von den Linken. Sie wollen mehr Bürokratie in der Pflege. Dabei ist eines der Hauptprobleme im Pflegebereich, dass sich bereits jetzt jede vierte Pflegekraft mehr als die Hälfte der Arbeitszeit mit Bürokratie beschäftigt. 78 Prozent der Pflegekräfte sind zufrieden mit ihrem Job; aber zugleich jammern 90 Prozent über zu viel Bürokratie. Wenn wir den Beruf attraktiv machen wollen, dürfen wir nicht neue Bürokratie einführen, so wie Sie das wollen, sondern dann müssen wir Bürokratie abbauen. Die Pflegekraft ist doch Pflegekraft geworden, weil sie sich um die Menschen kümmern will. ({2}) Hätte sie einen Job gewollt, in dem sie Formulare ausfüllt, wäre sie stattdessen Schreibkraft geworden. Bauen wir Bürokratie ab! Sorgen wir dafür, dass künftig die Berufsbezeichnung stimmt, weil sich die Pflegekraft endlich mit aller Kraft der Pflege widmen kann! Das ist auch im Sinne der Patienten. ({3}) – Wenn Sie meinen, ich hätte keine Ahnung, wie Sie hier gerade behaupten, dann sollten Sie sich mal mit den Zahlen, Daten und Fakten beschäftigen und mit den Problemen. Die müssen wir angehen. Dass das von jemandem von der Ampel kommt, ist eine absolute Katastrophe und zeigt, wie blind Sie für die wahren Probleme sind, die wir in diesem Land haben. Es gibt noch andere Themen außer Corona. ({4}) Die Linke beantragt hier auch noch, dass die wertschaffende Bevölkerung noch mehr von ihrem hart verdienten Geld an den Staat abdrückt. Die Linke nennt das gerecht. Ich nenne das staatliche Abzocke. Wir sind doch jetzt schon Weltmeister bei Steuern und Abgaben. Steuern und Abgaben müssen endlich runter, nicht noch weiter hoch. Die Menschen arbeiten, oft sogar in zwei oder drei Jobs, und sie verlieren trotzdem immer mehr an Lebensstandard. Die Preise für Lebensmittel, Sprit und Energie explodieren. Die Mieten haben sich in den letzten acht Jahren verdoppelt. Gehen Sie doch mal raus! Schauen Sie bei einem Autohaus vorbei, was da die Fahrzeuge, die auf dem Hof stehen, inzwischen kosten! Und dann fragen Sie mal den Mechaniker, der da arbeitet, wie lange er arbeiten muss, um so viel Geld beiseitezulegen! Die Lebenshaltungskosten geraten aus dem Ruder, weil der Staat ständig in alle möglichen Märkte eingreift. ({5}) Manch einer empfindet Schadenfreude darüber, dass Kevin Kühnert wegen Mietpreisbremse und Mietendeckel keine Wohnung in Berlin findet. Ich persönlich habe eher Mitleid mit den Millionen Mietern, die unter dieser Politik leiden und nichts dafür können. Sie wollen – wie in diesen Anträgen – mehr Bürokratie, höhere Abgaben, also immer mehr staatliche Eingriffe, die Schaden anrichten. Sie lösen kein einziges Problem, Sie schaffen nur immer neue. ({6}) Ihre heutigen Anträge sind wieder typischer Murks von Marx, den Deutschland sicher nicht braucht. Das ist schade; denn wir bräuchten dringend bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Hören Sie, insbesondere von der Ampel, auf, den Pflegekräften immer nur zu danken! Sorgen Sie endlich für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege! ({7}) Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gehört sofort aufgehoben, die Bürokratie muss deutlich reduziert werden, und der Beruf muss finanziell attraktiver werden. Das muss endlich angegangen werden. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sichert. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Nicole Westig, FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns am heutigen Tag der Pflegenden wieder über Pflege reden. ({0}) Wir hätten uns über konstruktive Vorschläge von Ihrer Seite gefreut; ({1}) aber das sind wir nicht gewohnt, und von daher ist es auch nicht so schlimm. Wir sagen allen Pflegenden herzlich Danke. Eigentlich müsste jeden Tag Tag der Pflegenden sein; ({2}) aber wir stehen auch in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen in der Pflege nachhaltig zu verbessern. Deshalb haben wir uns als Fortschrittskoalition auf viele Maßnahmen dazu verständigt. Eine davon ist die zügige Einführung der Pflegepersonalregelung 2.0; denn die derzeit noch bestehenden Personaluntergrenzen sind denkbar ungeeignet. Sie zeigen lediglich, ab wann die Personalbesetzung absolut kritisch wird. Dabei sind die Untergrenzen, wie wir Freien Demokraten immer befürchtet haben, zu Obergrenzen geworden. Was wir wollen, ist eine qualitätsbasierte Personalbemessung. ({3}) Mit der Abschaffung der Untergrenzen allein ist es deshalb nicht getan, und auch die PPR 2.0 wird rote Haltelinien umfassen. Diese dürfen aber nicht mehr die Richtschnur für die Personalbemessung sein. ({4}) Dabei muss klar sein: Die PPR 2.0 ist ein lernendes System. Deshalb ist es uns wichtig, dass nicht an den Pflegenden vorbei, sondern mit ihnen geplant wird. ({5}) Der laufende Prozess muss offen sein für ständige Evaluation und notwendige Anpassungen. Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen Therapieberufen müssen wir stärken; denn eine gute Gesundheitsversorgung gelingt nur im Team. Pflegewissenschaft und Pflegemanagement gehören eingebunden. Die Wissenschaft liefert die Erkenntnisse aus der Versorgungs- und Pflegeforschung, und das ist nicht nur für die Pflegenden relevant, sondern für die Gesellschaft insgesamt, für eine gute und bedarfsgerechte Patientenversorgung. Natürlich müssen die besonderen Versorgungssituationen auf der Intensivstation und in der Pädiatrie personell anders abgebildet werden. ({6}) Wir wissen das alles; wir brauchen da keine Nachhilfe von der Linksfraktion. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, auch die Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege werden wir verbessern. Dieses Problem mit einer Streichung des Vetorechts der Kirchen lösen zu wollen, ist jedoch glatt am Ziel vorbeigeschossen. ({8}) So zu tun, als seien kirchliche Träger für niedrige Löhne in der Langzeitpflege verantwortlich, ist einfach unredlich. Das Gegenteil ist der Fall: Viele kirchliche Träger orientieren sich bei ihren Entlohnungen ohnehin an den Tarifentwicklungen im öffentlichen Dienst. Alle Lohnerhöhungen werden hier in der Regel übernommen. An der Stelle machen Sie es sich zu einfach, liebe Linksfraktion. ({9}) Eines ist klar: Um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, braucht es mehr als angemessene Löhne. Auch hier brauchen wir eine kluge Personalbemessung. Die Studie von Professor Rothgang gibt gute Ansätze. Wir brauchen zum Beispiel eine hohe Anzahl an Pflegefachassistenten. Doch für deren Ausbildung gibt es aktuell noch keine bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards. Deswegen müssen wir das schnell regeln, ebenso wie die Frage, wie die Kompetenzen in der Langzeitpflege verteilt werden. All diese Fragen zeigen, wie falsch und kurzsichtig es ist, bessere Arbeitsbedingungen in unseren Pflegeeinrichtungen durch diesen Antrag der Linken erreichen zu wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch einmal zum Tag der Pflegenden zurückkommen. Immer wieder fordern wir mehr Anerkennung und Wertschätzung für die Pflege. ({10}) Dazu gehört, der schleichenden Deprofessionalisierung des Berufs ein Ende zu setzen. ({11}) Pflege braucht mehr Professionalisierung, nicht weniger. Es ist ein hochkomplexer Beruf, den Menschen nicht nur ergreifen, um sich um andere Menschen kümmern zu können, sondern weil er anspruchsvoll ist und weil sie diesen Ansprüchen gerecht werden. ({12}) Dieser hochkomplexe Beruf braucht eine starke Stimme – eine starke Stimme in unserer Gesellschaft, eine starke Stimme, die von der Politik gehört wird. Die Pflege gehört in die Entscheidungsgremien. Die Pflege gehört in den G-BA, und zwar nicht nur als Stimme, sondern auch mit Stimmrecht. ({13}) Wer mehr Anerkennung für die Pflege will, kann hier ein Zeichen setzen. Vielen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Westig. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Müller, SPD-Fraktion. ({0})

Bettina Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004358, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das A und O guter Pflege ist ausreichendes, gut motiviertes und vor allem gut ausgebildetes Personal ({0}) und ein Personalmix, der sich auf die sich ständig verändernden Pflegesettings einstellt. Die neue, generalistisch orientierte Ausbildung macht die Pflegekräfte fit für die Zukunft in der Kranken- und Altenpflege; beides wächst ja immer mehr zusammen. Aber diese neue Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann ist ja erst im Jahr 2020, und da überwiegend im Herbst, angelaufen. Der erste Ausbildungsjahrgang befindet sich gerade mitten im zweiten Ausbildungsjahr. Mit dem Abschluss der dreijährigen Ausbildung Ende 2023 wird die erste Kohorte dieser neuen Kräfte dann auf den Stationen und in der ambulanten Pflege zum Einsatz kommen, wo sie auch dringend gebraucht werden. ({1}) Natürlich ruckelt es bei einer so tiefgreifenden Ausbildungsreform hier und da noch etwas. Nicht jede Pflegeschule, nicht jeder Träger der praktischen Ausbildung findet auf Anhieb einen passenden Kooperationspartner, und an vielen Stellen gelten noch Übergangsregeln und Öffnungsklauseln der Länder, die ja für die Umsetzung der Pflegeausbildung zuständig sind. Das ist völlig normal und wird sich schnell einspielen; da bin ich mir sicher. Deshalb brauchen wir auch keine Reform der Reform. Ich wundere mich, dass manche so was bereits zur Halbzeit der ersten Ausbildungskohorte fordern. Was wir wirklich brauchen, ist doch Vertrauen in das Gelingen und Vertrauen in die Akteure der Pflegeausbildung. Umgekehrt müssen diese Akteure auch darauf vertrauen können, dass politische Entscheidungen verlässlich sind und Bestand haben. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sinnvolle Nachbesserungen am Pflegeberufegesetz wird es aber an zwei Stellen geben. Das ist zum einen die hochschulische Pflegeausbildung, die ja nicht so recht in die Gänge kommen will. Daher hätte ich mir schon damals gewünscht, dass die hochschulische Pflegeausbildung als duales System angelegt wird. Dann gäbe es auch hier eine Ausbildungsvergütung, ohne die man ja kaum jemanden für eine hochschulische Pflegeausbildung gewinnen kann. Aber leider gab es damals aus der Union massiven Widerstand gegen dieses Vorhaben. Wir wollen auch eine zweite Änderung einbeziehen, und zwar wollen wir es den Rehakliniken und Einrichtungen der Eingliederungshilfe ermöglichen, Träger der Pflegeausbildung zu sein, sodass wir zusätzliche Ausbildungskapazitäten schaffen und die Nachwuchsgewinnung auch in diesen Bereichen erleichtern. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gürpinar?

Bettina Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004358, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Hier wird es dann auch darauf ankommen, die Kostenträger in den Ausbildungsfonds mit einzubinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken also die Fachkraftausbildung weiter, verbessern die hochschulische Pflegeausbildung, und wir haben uns auch vorgenommen – das ist eben schon zur Sprache gekommen –, auf der Ebene darunter die Pflegeassistenzausbildung zu reformieren. Das Rothgang-Gutachten ist schon erwähnt worden; es hat ja deutlich aufgezeigt, dass wir in diesem Bereich einen hohen Personalbedarf haben. Wir haben aber – das ist auch angesprochen worden – leider seit vielen Jahren einen Wildwuchs in den Ländern, einen Flickenteppich an unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen. Deshalb ist eine Vereinheitlichung dieser vielen Ausbildungsvarianten und das Anheben auf ein einheitliches Qualifikationsniveau längst überfällig, auch weil wir damit natürlich die Aufstiegsmöglichkeiten von der Hilfs- und Assistenzkraft hin zur Fachkraft bis zum Pflegestudium deutlich verbessern und damit auch die Berufsperspektiven attraktiver gestalten. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Maßnahmen wird es uns gelingen, diesen schönen Beruf – ich weiß, wovon ich spreche; ich komme ja aus der Pflege – für mehr Menschen attraktiv zu machen. ({1}) – Das können Sie sich sparen. Waren Sie schon mal im Krankenhaus? Haben Sie schon mal da gearbeitet? ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bettina Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004358, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit diesen Maßnahmen wird es uns gelingen, mehr Menschen für diesen schönen Beruf zu gewinnen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Simone Borchardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns eint ein gemeinsames Ziel: den Pflegenden in Deutschland mehr Wertschätzung und Anerkennung zuteilwerden zu lassen und die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Denn früher oder später sind wir alle mittelbar oder unmittelbar davon betroffen. Wir haben zwar nicht alle Kinder, aber letzten Endes alle Eltern. Spätestens dann werden wir am eigenen Leib spüren, mit welchem hohen Einsatz Pflegekräfte sich um die Bedürftigen kümmern. Ich selbst bin bestens mit der Situation vertraut, da ich direkt aus der Praxis komme. Auch ich weiß selbstverständlich, dass Applaus und Worte des Dankes nur ein kleiner Teil aufrichtiger Wertschätzung sind. Dadurch werden wir aber die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht annähernd verbessern. Der Pflegebonus führt auch nicht dazu, dass wir irgendeine unbesetzte Stelle besetzt bekommen. ({0}) Daher ist ein ganzheitlicher Blick auf die Pflege notwendig; viele Redner haben das auch schon vor mir gesagt. Wir müssen das Thema Pflege neu denken. ({1}) In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die kirchlichen Einrichtungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil in unserer Pflegelandschaft. Insofern ist es nur folgerichtig, dass man auch kirchlich geführte Einrichtungen in geplante Veränderungsprozesse mit einbindet. Das gilt es anzuerkennen. Ideologisch motivierte Kritik ist hier völlig unangebracht. ({2}) Sie wollen mit Ihrem Antrag ein faktisches Vetorecht der kirchlichen Kommissionen streichen und führen an, dass das Veto der Caritas einen bundesweit allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Langzeitpflege verhindert hat. Diese Kritik ist für mich nicht nachvollziehbar. Faktisch hätte eine Zustimmung der Caritas nämlich bedeutet, dass die eigenen Beschäftigten schlechtergestellt worden wären; das gehört zur Wahrheit dazu. ({3}) Und bei den Löhnen und Gehältern – auch das gehört zur Wahrheit dazu – bewegen wir uns auch in der Pflege teilweise mittlerweile in wirklich guten Dimensionen. Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr bekommen mittlerweile über 1 000 Euro Ausbildungsvergütung; das ist gut, und das ist richtig. Es reicht also nicht, immer nur nach mehr Geld zu schreien. Wir müssen uns hier an die Rahmenbedingungen und damit an die Arbeitsbedingungen heranwagen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gürpinar aus der Fraktion Die Linke?

Simone Borchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005030, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht. – Wenn wir jetzt auf das Thema PPR 2.0 schauen, kann ich nur sagen: Das Patientenwohl steht für uns als Union an erster Stelle; deswegen ist eine ausreichende Personaldeckung das A und O. ({0}) In den letzten beiden Wahlperioden haben wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz und mit mehreren Pflegepersonal-Stärkungsgesetzen bereits wirksame Maßnahmen entsprechend auf den Weg gebracht. Wenn wir uns jetzt diesem Thema widmen, dann müssen wir auch registrieren, dass wir im medizinischen Bereich und besonders im stationären Bereich bereits jetzt eine Überversorgung haben – immer im Vergleich zu anderen Ländern. Das Problem des Pflegenotstandes ist daher auch teilweise hausgemacht und wird durch eine PPR 2.0 nicht gelöst werden. Wir befinden uns heute in einem System, in dem Krankenhäuser alles an Personal, was mit dem Thema „Pflege am Bett“ zu tun hat, refinanziert bekommen. Das war damals ein wirklich guter Ansatz, den die Große Koalition gemeinsam beschlossen hat. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dies zum Teil falsche Anreize auslöst. Das müssen wir wirklich auch selbstkritisch anerkennen. Aber was bedeutet das für die Praxis? Die Entwicklung geht jetzt dahin, dass ausgegliederte Arbeiten wie Hauswirtschaft mittlerweile von Fachkräften gemacht werden, damit diese refinanziert werden; denn Fachkräfte am Bett werden refinanziert. Das müssen wir uns gedanklich vor Augen führen. Wenn ein Krankenhaus zusätzliche Pflegekräfte einstellt, kriegt es natürlich alles refinanziert. Das ist richtig. Nicht richtig ist, dass das Krankenhaus die Finanzierung bekommt, und zwar unabhängig von den wirklichen Bedarfen. Auch das gehört zur jetzigen Wahrheit dazu. ({1}) Es gibt also keine Anreize mehr im System, Personal effizient einzusetzen. Aber da müssen wir wieder hin. Eine Lösung wäre, dass wir wieder DRGs einführen, die den Pflegeaufwand beinhalten, dass wir das Pflegebudget nicht separat vergüten. Ein weiterer wichtiger Ansatz ist die Abschaffung der Fachkraftquote in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern; denn auch Pflegehilfskräfte erbringen hervorragende Leistungen. Das muss anerkannt werden. Es gibt mittlerweile genug Regularien und Qualitätskriterien, die eine Erfolgskontrolle ermöglichen. Wir werden natürlich auch in Zukunft jede Menge Pflegepersonal brauchen, wenn wir uns die demografische Entwicklung anschauen. ({2}) Aber mit Geld alleine werden wir es nicht schaffen. Hier ist es wichtig, dass wir Bürokratie und Regulierungen abbauen und dem Pflegepersonal mehr Eigenverantwortung möglich machen. ({3}) Wir müssen ihm die Luft zum Atmen lassen; das ist wichtig. Weniger Regularien: Das sollten wir uns wirklich als Ziel setzen. Ich danke Ihnen: Die geplante Umsetzung der PPR 2.0 steht zwar im Koalitionsvertrag der Ampel, aber mittlerweile hört man auch aus dem BMG, dass das nicht unbedingt die Lösung ist. Das ist zu begrüßen, und die CDU/CSU wird beide Anträge ablehnen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Borchardt. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ricarda Lang, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ricarda Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005121, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Pflegende, die heute hier diese Debatte verfolgen! Ich war vor zwei Tagen zu Besuch in Münster bei einem Streikposten von Verdi, wo Pflegende für einen Tarifvertrag „Entlastung“ auf die Straße gehen. Sie haben dort eine für mich besondere Aktion gemacht, und zwar haben sie sich nicht dafür entschieden, uns Politikerinnen und Politiker, die zu Besuch gekommen sind, erst mal reden zu lassen, sondern dafür, dass Menschen aus der Pflege, aus verschiedenen Professionen dort an der Klinik uns von ihren Erfahrungen berichtet haben. Sie haben davon erzählt, warum sie sich für diesen Beruf entschieden haben und warum sie auch immer noch davon überzeugt sind, dass es ein schöner und ein unfassbar wichtiger Beruf ist. Aber sie haben auch von Überforderung gesprochen, von Situationen, wo man Ängste hatte, wo man alleingelassen war, wo die Kollegin gefehlt hat und man alleine für mehrere Patienten zuständig war, und von Momenten, wo sie das Gefühl hatten, dass sie dem Anspruch, warum sie mal in diesen Beruf gegangen sind – Menschen in Krankheit, im Altern Würde zu erhalten –, nicht mehr gerecht werden können. Damit haben sie natürlich nicht nur ihre eigenen Geschichten erzählt, sondern sie haben auch die Geschichten ihrer Patientinnen und Patienten erzählt. Es ist, glaube ich, unfassbar wichtig, dass wir uns immer in Erinnerung rufen – da bin ich auch solidarisch mit den Menschen, die gerade in der Pflege streiken –: Wenn Pflegekräfte streiken, dann tun sie das niemals nur für sich selbst, sondern sie tun es immer auch für ihre Patientinnen und Patienten. ({0}) Sie tun es für ein menschenwürdiges Gesundheitssystem, und damit tun sie es für uns alle. Gleichzeitig reicht es natürlich nicht, als Politikerin nur solidarisch mit Streiks zu sein, sondern wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, die es Menschen ermöglichen, dauerhaft in diesem Job zu bleiben; denn der Beruf ist für viele Menschen nach wie vor attraktiv. Wir haben erst heute wieder Zahlen gesehen, dass sich im Jahr 2022 mehr Menschen für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden, als es 2021 der Fall war. Das ist ein gutes Signal, aber wir sehen auch, dass immer wieder Menschen diesen Beruf nach nur ein paar Jahren verlassen, weil sie mit der Überforderung und mit der Überarbeitung nicht klarkommen. ({1}) – Nicht so aufregen! Das ist nicht gut für den Puls. ({2}) Nach einem großen Stillstand, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, müssen wir es jetzt angehen, diese Rahmenbedingungen zu verbessern. ({3}) Das tun wir mit ganz vielen Maßnahmen, die schon genannt wurden. Das tun wir mit familienfreundlichen Arbeitszeiten, damit es für Menschen auch wirklich besser und einfacher wird, in diesem Beruf zu arbeiten. Das tun wir mit einer Anhebung der Löhne, gerade im Bereich der Altenpflege. Das tun wir mit der Professionalisierung dieser Berufe, und das tun wir selbstverständlich auch, indem wir endlich eine gute Personalbemessung auf den Weg bringen. ({4}) Mit der PPR 2.0 sorgen wir dafür, dass der Ausnahmezustand nicht die Normalität ist, sondern dass die Normalität eine gute Ausstattung mit Personal ist. ({5}) – Wir freuen uns über den Koalitionsvertrag und über Ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag; das ist ja auch sehr schön. Klar ist aber auch: Wir schauen auf die Pflege, aber die Pflege ist immer nur so gut wie das ganze System, in dem sie arbeitet. Auch das war eine Message, die mir die Menschen, die gestreikt haben, noch mal mitgegeben haben: Verbessert unsere Arbeitsbedingungen, aber denkt auch an die Physiotherapeutin, an die Menschen, die in verschiedenen Therapieberufen mit uns zusammenarbeiten, an die Reinigungskräfte in unseren Kliniken und an die Menschen, die hier als Hilfskräfte arbeiten! ({6}) All diese Menschen brauchen bessere Arbeitsbedingungen; denn das Gesundheitssystem wird in einem Gegeneinander von Ärzten und Pflegekräften nicht funktionieren, sondern es wird nur funktionieren, wenn wir all die Professionen in dem unterstützen, was sie können, und wenn sie all das mit guten Arbeitsbedingungen tatsächlich ausüben können. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Lang, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge aus der CDU/CSU-Fraktion?

Ricarda Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005121, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, vielen Dank. – Das bringt mich zu meinem letzten Punkt, und da geht es darum, dass wir hier nicht nur notwendigerweise, sondern sehr gerne über Probleme in der Pflege sprechen ({0}) und dass es auch wichtig ist, über die Fehler, die in den letzten Jahren gemacht wurden, und über Lösungsansätze zu sprechen. Ich würde mir aber wünschen, dass nicht immer – und das kursiert häufig – über die Pflege gesprochen wird, als ob diese Menschen in einer Opferposition seien; ({1}) denn diese Menschen sind keine Opfer, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Ricarda Lang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005121, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– sondern sie sind ganz im Gegenteil Menschen mit einer großen Expertise, mit einem großen Wissen. ({0}) Deshalb sollten wir Pflegekräfte in Zukunft auch als genau das behandeln, was sie sind: Experten für die Zukunft unseres Gesundheitssystems. In diesem Sinne: Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lang. – Herr Kollege Reichardt, Sie sollten sich vielleicht das nächste Mal als Redner nominieren lassen bei den vielen Zwischenrufen zu dem Thema. ({0}) – Ist eine Empfehlung an die AfD-Fraktion. Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Christina Baum, AfD-Fraktion. ({1})

Dr. Christina Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005018, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die immer schlechteren Arbeitsbedingungen in der Pflege und der daraus entstandene Mangel an Pflegekräften sind ganz sicher keine plötzlich aufgetretenen Probleme. Ihre jahrelange Ignoranz trägt jetzt nur immer deutlichere Früchte. ({0}) Die Demografie als potenzierender, aber ebenfalls bekannter Faktor kommt hinzu. Und Ihre Praxis der Vergangenheit, sich einfach an Fachkräften aus dem Ausland bedienen zu können, findet ein Ende. ({1}) Pflegen heißt nicht nur, kranke oder alte Menschen zu verwalten, sondern sich auch liebevoll um sie zu kümmern. Gerade dieser soziale Aspekt ist für viele die eigentliche Motivation, diesen Beruf zu erlernen und auszuüben. Die Dokumentationspflicht ist es ganz sicher nicht. Deshalb kann eine Aufwertung der Pflegetätigkeit nur gelingen, wenn wir endlich wieder Gesundheit und Pflege als Daseinsvorsorge und nicht als Ware betrachten und den Pflegern auch den entsprechenden Freiraum geben, Zeit mit den Pflegebedürftigen verbringen zu können. ({2}) Nur dann wird der Beruf auch wieder attraktiv. Dass es Ihnen allen hier im Parlament – die Linken eingeschlossen – wenig um Wertschätzung oder ein funktionierendes Gesundheitswesen geht, ({3}) zeigte sich besonders an Ihrem Umgang mit den Pflegekräften in der Coronazeit. ({4}) Ob mit dem Coronabonus, bei dem Ungeimpfte ausgeschlossen werden sollen, oder der einrichtungsbezogenen Impfpflicht: Sie haben gezeigt, dass Sie Pfleger als bloße Erfüllungsgehilfen sehen. ({5}) Unzählige Pflegekräfte werden von Ihnen aktuell regelrecht aussortiert, weil sie nicht geimpft sind. ({6}) Und das Schlimmste: Sie beharren auf Ihrer Fehlentscheidung, obwohl die Caritas erst gestern sogar von einem drohenden Pflegekollaps warnte. Überlegen Sie schon mal, wie Sie diese Leute, die Sie wie Aussätzige behandelt haben, jemals wieder in unser Gesundheitssystem zurückholen können; denn sie werden dringend gebraucht. ({7}) Immer mehr Pfleger – unabhängig vom Impfstatus – fordern inzwischen offen laut den Rücktritt von Minister Lauterbach wegen erwiesener Inkompetenz, ({8}) wie die häufigen sich teilweise konträr widersprechenden Äußerungen und Anordnungen mit immer kürzer werdender Halbwertszeit zeigen. Vor allem aber fordern sie seinen Rücktritt – Herr Lauterbach ist leider nicht anwesend – wegen der von ihm betriebenen Spaltung der Pflegekräfte in gute – geimpfte – und schlechte – ungeimpfte. Ich schließe mich dieser Forderung uneingeschränkt an. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Baum. Bevor ich dem Kollegen Professor Ullmann das Wort erteile, eine kleine Anmerkung zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Sorge. Nachlesen hilft in diesem Fall auch weiter. Wenn eine Rednerin Ihre Zwischenfrage nicht zulässt, rechtfertigt das nicht unmittelbar eine Kurzintervention. Diese muss im Übrigen von Ihrem PGF beantragt werden, und ich muss sie genehmigen, was ich nicht getan hätte. Insofern hat sich das schon erübrigt. ({0}) – Herr Kollege Sorge, wenn Sie eine Verständnisfrage an Frau Lang haben, gehen Sie einfach zu ihr. Ich bin sicher, sie wird Ihnen da weiterhelfen. ({1}) Als Nächster hat das Wort der Kollege Professor Dr. Ullmann. ({2})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass der nächste Redner ein bisschen mehr Kompetenz zeigt; denn es geht hier nicht um Impfen oder Nichtimpfen. ({0}) Wenn von einer Partei ein Redner hier vorne steht und sagt: „Die Impfung sorgt dafür, dass keine Leute mehr in der Pflege arbeiten“, dann frage ich mich, welchen Schuss Sie nicht gehört haben, da die Impfungen hier sehr gut funktionieren. ({1}) – Auch die Sachsen sind kluge Menschen und können aufgeklärt werden. Entschuldigen Sie bitte, aber Sie sind hier diskriminierend unterwegs. ({2}) Meine Damen und Herren, heute ist ein wichtiger Tag: der Internationale Tag der Pflege. Die Probleme in der Pflege sind uns allen bekannt. Wir haben eigentlich gar keinen Erkenntnismangel; denn als Arzt, der 35 Jahre lang in der Klinik, in Krankenhäusern gearbeitet hat, sind mir die Probleme in der Pflege nur zu gut bekannt. Auch der Kollege Philippi hat es ja gerade erwähnt. Wir kommen ja aus der Praxis, und die Frustrationen, die auch uns übermittelt worden sind, sind uns nur zu gut bekannt. Die Frustration bei uns, bei der Ärzteschaft, ist genauso groß, weil wir den Pflegenden ja unbedingt helfen wollen; und das gelingt uns nicht immer. Denn eins ist klar: Wir wollen ein Gesundheitssystem, das bedarfsgerecht ist und mit menschlicher Wärme. Ein Weiter-so kann es natürlich nicht geben. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Professor Ullmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge? Der hat ja so unheimlich viel auf dem Herzen.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herrn Sorge kann ich gleich noch mal privat sprechen. Die Planung der Plenarsitzung geht ja heute schon bis nach 1 Uhr. Lieber Herr Sorge, ich glaube, Sie haben Verständnis dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag keine Überstunden machen sollten. ({0}) – Das können wir gleich noch mal privat machen. Ich fahre jetzt mit meiner Rede fort, Herr Präsident. Welche Ansätze haben wir für die Pflege? Wir brauchen mittel- und kurzfristige Lösungsansätze. Wir müssen ein bedarfsgerechtes Personalbemessungsinstrument einsetzen. Dies ist übrigens auch an Die Linke adressiert; denn man sieht, wie wichtig diese Debatte für Die Linke ist: Es sind hier nur 4 von den 39 Abgeordneten anwesend. ({1}) Das scheint nur eine Scheindebatte für Die Linke zu sein, bei der es für sie nicht so wichtig ist, bei ihrem Antrag vollständig dabei zu sein. ({2}) – Ah ja, das ist ja schön. ({3}) – Ich mache hier lieber die Arbeit, anstatt zu streiken. Das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht. ({4}) Ich war letzte Woche im Krankenhaus. Wo waren Sie? Sie waren am Streiken; das ist auch immer gut. Wir müssen mehr ausbilden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen Fachkräfte aus aller Welt. Doch wir müssen uns auch die Frage stellen, wie gut das in den Altenheimen und in den Krankenhäusern klappt. Können ausländische Pflegekräfte diesen Notstand lindern? In dieser Woche hat der Sachverständigenrat für Integration und Migration sein Jahresgutachten veröffentlicht. Eine wesentliche Botschaft dieses Gutachtens war, dass Fachkräfte mit Zuwanderungsgeschichte einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten. Auch an diese Menschen müssen wir denken und ihnen Danke sagen. ({5}) Und wir müssen erkennen – zum Leidwesen der AfD hier zur Rechten –: Deutschland ist ein Einwanderungsland; und das ist auch gut so, meine Damen und Herren. ({6}) Damit weiterhin die Attraktivität für Fachkräfte bleibt, sollten bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgesenkt und vor allem Verfahren beschleunigt werden, wie es übrigens auch im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Zusätzlich – das ist vielleicht wichtig zu wissen – setzen die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, seit 2013 das Programm „Triple Win“ um. Dieses dient der Anwerbung von ausländischen Pflegekräften. Hier sind viele Pflegepartnerländer wichtig: aus Europa, aus Asien und auch aus Afrika. Aber eins muss man hier klar sagen: Das Programm verpflichtet sich, nach den Grundsätzen der fairen Migration und den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation zu handeln. ({7}) Die Partnerländer müssen mit der Rekrutierung einverstanden sein. Es darf dort selbst kein Mangel an Pflegepersonal bestehen. ({8}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Alle drei Koalitionspartner haben sich in ihren Bundestagswahlprogrammen für eine bedarfsgerechte Personalbemessung ausgesprochen. Sie steht so im Koalitionsvertrag. Sie steht in der Vorhabenplanung des BMG für 2022. Wir werden sie gemeinsam mit unserem Gesundheitsminister Lauterbach auch umsetzen. An dieser Stelle: Ich finde auch die Kritik gut, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– die hier geäußert wurde. Ich finde es gut, dass es einen Bundesgesundheitsminister gibt, der sich nicht nur verbal für die Pflege einsetzt, sondern auch handelt. ({0}) Er ist ein Mann aus der Praxis; er kennt die Probleme der Pflegekräfte.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir werden der Überweisung in den Ausschuss zustimmen; aber am Ende werden Ihre Anträge –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege!

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– natürlich abgelehnt. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Professor Ullmann. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christos Pantazis, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! 202 Jahre nach der Geburt der britischen Krankenschwester Florence Nightingale – der Kollege Philippi hat es vorhin gesagt –, einer Pionierin der modernen Krankenpflege, jährt sich am heutigen 12. Mai der Tag der Pflegenden, ein Tag, an dem wir die Arbeit der Menschen würdigen, die Kranke und Alte hingebungsvoll pflegen. Aber – und das sei hier explizit betont – Pflegekräfte leisten nicht nur am heutigen Tag, sondern jeden Tag Großartiges. ({0}) In einer alternden Gesellschaft wie der unsrigen kennt mittlerweile jede und jeder von uns eine Person im Familien- oder im Freundeskreis, die pflegt oder gepflegt werden muss. Dabei sind die Tätigkeiten der Pflegekräfte sehr unterschiedlich: Sie unterstützen beim Anziehen oder Waschen, beim Essen; sie verabreichen Medikamente, messen den Blutdruck, wechseln Verbände oder leisten intensivmedizinische Betreuung. Im Zuge der Coronapandemie und der damit verbundenen Überlastung des Gesundheitssystems waren Pflegekräfte nicht nur einem erhöhten Ansteckungsrisiko, sondern auch erhöhtem körperlichen und psychischen Arbeitsdruck ausgesetzt. Die Pandemie hat uns eindringlich vor Augen geführt, was Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen leisten. Sie waren und sind die kritische Infrastruktur, die unser Land am Laufen gehalten hat; und dafür gebührt ihnen Respekt und Anerkennung. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Fortschrittskoalition bekennen wir uns zu dieser herausragenden Leistung und beraten zurzeit das Corona-Pflegebonusgesetz für Pflegekräfte. Mit diesem ersten Baustein lösen wir das Versprechen ein, das wir mit dem Koalitionsvertrag gegeben haben, und werden kommende Woche den Pflegebonus mit einem Volumen von 1 000 Millionen Euro abschließend beraten. ({2}) Dabei werden wir es aber nicht belassen; wir wollen mehr Fortschritt wagen und mit voller Kraft gute Pflege zu einem integralen Bestandteil unserer Gesundheitspolitik machen. ({3}) Der angespannten Situation in der Pflege werden wir mit Maßnahmen begegnen, die spürbar die Arbeitsbedingungen verbessern. So wollen wir in der stationären Langzeitpflege die Löhne anheben, um Gehaltslücken zu schließen. Wir wollen den Pflegeberuf attraktiver machen – ich zitiere aus unserer Koalitionsvereinbarung –: „mit Steuerbefreiung von Zuschlägen, durch die Abschaffung geteilter Dienste, die Einführung trägereigener Springerpools und einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten für Menschen mit betreuungspflichtigen Kindern.“ ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit meiner Zeit als Arzt am Braunschweiger Klinikum weiß ich, dass gute Pflege Zeit braucht: Zeit, um qualitätsvolle Versorgung und würdevolle Pflege zu gewährleisten, Zeit für die Patientinnen und Patienten. Mehr Zeit kann es allerdings nur mit mehr Pflegepersonal geben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge? ({0})

Dr. Christos Pantazis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005174, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. ({0}) Hierbei sind klar definierte Rahmenbedingungen der Personalbemessung über die Pflegepersonaluntergrenze hinaus essenziell, wenn wir diesem Anspruch gerecht werden wollen. ({1}) Vor genau diesem Hintergrund werden wir den Flickenteppich unterschiedlicher Personalschlüssel durch ein einheitliches, wissenschaftlich basiertes Personalbemessungsinstrument in allen Pflegebereichen ersetzen. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen alles daransetzen, den Pflegeberuf attraktiv und zukunftsorientiert zu gestalten und dadurch gute Pflege zu ermöglichen. Dabei bauen wir auch auf einen konstruktiven Dialog mit der Opposition. Die Instrumentalisierung des heutigen Tages der Pflegenden mit dem hier vorliegenden Schaufensterantrag stellt allerdings keine Grundlage für einen konstruktiven Dialog dar. ({3}) Denn Aktionismus und gute Pflege, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, vertragen sich schlichtweg nicht. Unser gemeinsames Ziel ist und bleibt ein nachhaltiges Personalbemessungsinstrument, das den immensen Herausforderungen der Pflege entgegenwirkt. Daher werden wir unseren Fokus auf gute Arbeitsbedingungen und eine exzellente Versorgung legen. Das ist und bleibt unser Anspruch an eine Gesellschaft des Respekts, und Respekt und Anerkennung haben die Pflegenden nicht nur am heutigen Tag verdient. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. Herr Kollege Sorge, vielleicht versuchen Sie es gleich mal mit einer Zwischenfrage bei dem Kollegen Irlstorfer. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin wirklich gespannt, ob er die Hand raufreißt. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Irlstorfer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge, bevor Sie Ihre Rede begonnen haben? ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Als CSU sollte man der CDU das selber sagen: Nein, erlaube ich nicht. ({0}) Ich möchte in dieser guten Tradition heute bleiben. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Situation ist sehr ernst, und die Anträge, die wir heute bekommen, sind keine Schaufensteranträge. Ich glaube, es ist grundsätzlich immer gut, wenn wir über Pflege sprechen und wenn die Pflege auf der Tagesordnung steht. Wir haben heute nicht nur den Internationalen Tag der Pflegenden, sondern wir haben auch den Internationalen ME/CFS-Tag, der uns allen, glaube ich, auch sehr wichtig sein sollte. Lassen Sie mich zunächst einige Worte zu diesen vorliegenden Anträgen sagen. Die Kirchen sind in meinen Augen nicht das Problem in der Pflege, sondern ein Teil der Lösung, und ich bin froh, dass sich die Kirchen auch weiterhin, bei allen Problemen, die sie haben, in diesen Bereich einbringen und richtig engagiert dabei sind, egal ob Caritas oder Diakonie. Der erste Antrag nimmt diejenigen in die Mangel, die mit die besten Löhne in der Pflege bezahlen und auch zu den beliebtesten Arbeitgebern gehören. Das gehört auch dazu. Die Monatsvergütungen der Beschäftigten in der Altenhilfe sind bereits beim Einstieg über den allgemeinen Medianwerten gemäß der Bundesagentur für Arbeit; auch das sollte man hier nicht verschweigen. Grundprobleme sind nicht die kirchlichen Kommissionen oder die Kirche als Arbeitgeber in der Pflege an sich, sondern natürlich das Damoklesschwert der Finanzierbarkeit und die Tatsache, dass wir – und das zeigt doch auch die Diskussion – zu wenig Hände am Bett haben. ({1}) Das ist das Entscheidende. Wir brauchen hier eine Steigerung der Mengen, weil wir sonst über attraktive Arbeitsbedingungen nicht lamentieren brauchen. Es steht und fällt mit den Menschen, die wir in die Pflege bringen; und das ist das Entscheidende. ({2}) Ein flächendeckender Tarifvertrag und die aktuell prekäre Lage der Pflegeversicherung könnten dazu führen, dass die ohnehin höheren Löhne der Kirchen nicht refinanziert werden. Damit würden wir den Beschäftigten und somit auch den Pflegenden mehr schaden, als sie zu unterstützen. Dazu kommt: Neben dem Gehalt gibt es viele weitere Stellschrauben, die in den Blick genommen werden können und auch müssen: Die Entlastung der Pflegekräfte durch Entbürokratisierung und auch durch Digitalisierung ist ein Ansatz wie auch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weitere Akquirierung von Pflegekräften im In- und auch im Ausland, bessere und auch effektivere Personalplanungen in den Einrichtungen. Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist richtig. Aber ich muss hier auch eine sehr kritische Frage stellen, und ich bin mir sicher, dass sie auch die Frage von Tino Sorge abdeckt. ({3}) Pflege findet überall statt: in Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen, in den eigenen vier Wänden durch die Angehörigen und natürlich auch in der ambulanten Pflege – alles, was dazugehört. Aber der Eindruck ist schon da, dass hier in unserem Bundesgesundheitsministerium unter der neuen Führung Pflege nicht den Stellenwert hat, den sie eigentlich bräuchte. Das ist der Eindruck, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Deshalb greife ich gerne die Kernaussage des zweiten Antrags auf; ich fordere hier wirklich, dass unser Bundesgesundheitsminister endlich seiner groß angekündigten Pflegereform Rechnung trägt und endlich auch die Eckpunkte einmal veröffentlicht. Das wäre doch angebracht, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Anstatt sich des Themas anzunehmen und mit der Öffentlichkeit transparent zu kommunizieren, ist er am heutigen Tag der Pflege nicht hier. Es wäre ja eine ideale Gelegenheit gewesen, dass man hier die Reformvorschläge auch kommuniziert. Das wäre doch heute genau der richtige Tag. Ich kann nur sagen: Ich habe natürlich größten Respekt vor der Pandemie und was da alles für Aufgaben anstehen – vollkommen klar. Dass man hier auch Kapazitäten in Anspruch nehmen muss, ist mir auch vollkommen klar. Aber ich sage schon in aller Deutlichkeit: Wir brauchen nicht nur einen Coronaminister, sondern wir brauchen einen Gesundheits- und Pflegeminister. ({6}) Das ist doch notwendig, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und das haben wir aktuell nicht. ({7}) Und ich möchte um etwas bitten: Wir müssen hier neue Wege beschreiten. Wir brauchen Vorschläge. Und ich frage mich schon – es sind ja viele Ärzte hier vorn am Rednerpult gestanden –: Warum reformieren wir diesen Bereich des Medizinstudiums nicht? Wollen wir nicht sagen, dass ein Jahr der Pflege verpflichtend eingeführt wird und man, wenn man einen medizinischen Beruf ergreifen möchte, mit diesem Jahr startet? Ich glaube, es würde sehr viel bringen, wenn junge Menschen, die anfangen, Medizin zu studieren, mit der Pflege beginnen, weil man dann natürlich auch das Gespür hat, was Pflege leisten kann und wie wichtig Pflege ist. Wenn dann diese Mediziner Ärzte in den Krankenhäusern sind, würde das natürlich auch für das Zusammenspiel, für die Menschlichkeit untereinander viel bringen; da bin ich mir sicher. Ich glaube auch, dass wir in diesem Bereich Luft hätten, und wir würden uns hier durch die Menge an neuen Medizinstudenten mit Sicherheit auch ein Stück weit verbessern. Das kann ich mir gut vorstellen. Für neue Ideen in einem Miteinander sind wir als Union bereit. Ich bitte Sie, diesen Dialog mit uns zu führen. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Irlstorfer. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Saskia Weishaupt, Bündnis 90/Die Grünen ({0})

Saskia Weishaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005253, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer an Pflege denkt, hat mittlerweile oft das Bild der erschöpften Burn-out-Pflegerin im Kopf. Ich habe mich an diesem Bild immer etwas gestört, aber nicht, weil es die Realität des Arbeitsalltages der Pfleger/-innen falsch abbildet, im Gegenteil. Sondern weil der Beruf doch so viel mehr bietet. Pflege erfordert anspruchsvolles Fachwissen und dessen Anwendung in unzähligen Situationen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist auch Pflege. ({0}) Unsere alternde Gesellschaft verlangt nicht nur nach mehr Pflegekräften, sondern die Versorgung wird auch immer komplexer. Die steigende Anzahl an Multimorbiden und chronisch Erkrankten verlangt den professionell Pflegenden immer mehr ab. Deshalb brauchen wir die Pflegewissenschaften und müssen unser Handeln nach ihren Erkenntnissen ausrichten, um all dem gerecht zu werden. ({1}) Bereits 2012 – ich habe damals meinen Führerschein gemacht; das ist schon ein paar Jahre her – hat der Wissenschaftsrat eine Quote von etwa 10 bis 20 Prozent an akademischen Pflegekräften empfohlen. Zehn Jahre später, also heute, sind wir von dieser Zielmarke noch weit entfernt, obwohl wir doch wissen, dass die Komplikationsrate und die Sterblichkeit dadurch sinken. Deshalb ist es für uns als Koalition so wichtig: Wir müssen akademisierte Pflegekräfte mit ihrem Fachwissen und ihrer ganzen Expertise in die pflegerische Versorgungspraxis endlich mit einbeziehen. ({2}) Wer sein Pflegestudium erfolgreich abschließt, der soll Bindeglied zwischen Theorie und Praxis sein. Nur so kann die Pflege den hochkomplexen Aufgaben in Zukunft auch wirklich gerecht werden. Letztendlich ist es doch egal, in welches Berufsfeld wir schauen, ganz wichtig ist immer: Die Möglichkeit zur fachlichen Weiterentwicklung schafft Zufriedenheit und fördert letztlich den Verbleib in dem Beruf. Das ist ein Hebel zur tatsächlichen Verringerung des Fachkräftemangels in der Pflege, nicht aber, irgendwelche Pflegeassistenzberufe jetzt noch auszuweiten. ({3}) Wir brauchen Fachkräfte in der Pflege. Sie sind besonders wichtig, und sie sind die Zukunft. ({4}) Und deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt zusammen mit den Ländern tatsächlich die akademische Pflegeausbildung endlich stärken. Da müssen wir aber auch selbstkritisch sein. Wir müssen der Pflegewissenschaft endlich mehr Platz in den politischen Diskussionen einräumen; denn sie hat doch die Antworten auf die dringenden Probleme. Pflegende wollen und sie sollten auch bei der Ausgestaltung der Pflege mitentscheiden. Und deshalb habe ich mich besonders gefreut, dass seit Anfang letzten Jahres erstmals eine Pflegewissenschaftlerin im Wissenschaftsrat der Bundesregierung sitzt. Aber ehrlich gesagt: Dabei können wir es nicht belassen. ({5}) Auch mit der G‑BA-Reform möchten wir der Pflege endlich mehr Verantwortung einräumen. Ich kann mich da nur Kolleginnen und Kollegen und Vorrednerinnen und Vorrednern anschließen: Wir müssen aufhören, immer über die Pflege zu reden. Wir müssen anfangen, mit der Pflege zu reden, und da auch tatsächlich endlich Schwerpunkte setzen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Weishaupt. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Heidenblut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004295, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eines vorwegsagen, weil der Kollege Irlstorfer angesprochen hat, dass das Ministerium wohl die Pflege nicht ausreichend im Blick hat: Ich bin mir ganz sicher: Der Minister und das Ministerium haben sie im Blick. – Und dass heute unter anderem der Minister bei dieser Debatte nicht hier ist, liegt daran, dass der Minister – ich glaube, das ist auch ganz gut so – wie alle anderen Ministerinnen und Minister nicht festlegt, wann wir im Bundestag welche Debatten zu führen haben, und dass er heute mit dem Pflegenetzwerk Deutschland denjenigen, um die es geht, Rede und Antwort steht. Dass er dort jetzt gerade ist, halte ich durchaus auch für einen vernünftigen Ansatz. ({0}) Dann möchte ich ein Zweites vorab sagen: Ich möchte dem Kollegen Dr. Ullmann ganz herzlich danken, dass er den Sachverhalt mit den ausländischen Pflegefachkräften richtiggestellt und geradegerückt hat, auch unser äußerst sensibles Vorgehen in der Angelegenheit dargestellt hat. Ich kann nur sagen: Mit meinem Menschenbild verträgt es sich nicht, wenn hier davon gesprochen wird, man bediene sich bei ausländischen Pflegekräften. – Bei Menschen bedient man sich nicht und natürlich auch nicht bei ausländischen Pflegefachkräften. Das ist das, was hier von der rechten Seite gesagt wurde, und das ist ein Menschenbild, das ich absolut daneben finde, um das deutlich zu sagen. ({1}) Ich will der Linksfraktion – vielleicht anders als mein Kollege vorhin – auch eher dafür danken, dass sie die Anträge vorgelegt hat; denn dies gibt uns die Möglichkeit, am Tag der Pflege ausführlich über Pflege zu reden. Ich hoffe, Sie sehen es nach, dass man auch ein bisschen von Ihren Antragsinhalten abweicht. Die waren aber ja durchaus auch Bestandteil vieler Reden. Mir persönlich gibt das die Möglichkeit, auch noch mal auf eine Gruppe aufmerksam zu machen, die bei diesen beiden Anträgen tatsächlich nicht erfasst ist. Das liegt auch daran, dass wir dort allerdings eine Personalrichtlinie haben, auch wenn sie aus meiner Sicht durchaus verbesserungswürdig ist. Das ist nämlich der Bereich der Pflegekräfte in der Psychiatrie. ({2}) Für all das, wo „Psychiatrie“ und „Psychosomatik“ draufsteht, hatten wir mit der Psych-PV schon etwas, was sozusagen eine Grundlage war. Das hätten sich andere lange abgucken können. Und glücklicherweise – – nein, nicht glücklicherweise, sondern gezielt ist es uns gelungen, in der letzten Legislatur zu verhindern, dass die Psych-PV ersatzlos ausläuft. Wir haben vielmehr sichergestellt, dass es eine Nachfolgeregelung gibt. Ich hätte mir gewünscht, das Ministerium hätte auf die Vorlage ein bisschen anders reagiert und ein bisschen deutlicher darauf geguckt, dass man da etwas verbessern kann. Aber ich bin guter Hoffnung, dass das beim jetzigen Minister auch in den Blick kommt. Denn eins ist klar: Eine Personalverordnung alleine reicht nicht. Sie muss auch gut und zielführend sein, und das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie den entsprechenden Bereich. Sie darf nicht am Ende dadurch, dass sie zu unflexibel ist, zum Beispiel Strukturen gefährden oder zerstören. ({3}) Insofern kann ich an dieser Stelle nur noch einmal und für meine Fraktion ausdrücklich klar sagen: Wir sind sehr dafür, dass wir in allen Bereichen klare Pflegepersonalordnungen schaffen, dass wir in allen Bereichen auch eine Entlastung durch entsprechende Verordnungen für die Pflegefachkräfte schaffen, aber natürlich – und da bin ich der Kollegin von den Grünen dankbar – auch für die anderen Mitarbeitenden in der Pflege, die es genauso verdienen, vernünftig behandelt zu werden, und die es genauso verdienen, eine ordentliche Personalverordnung vorzufinden. ({4}) Und da komme ich noch mal zur Psychiatrie: Da ist bei den Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten in dieser Psychiatrie-Personalverordnung durchaus auch noch was zu tun. ({5}) Meine Zeit läuft ab; Kollege Sorge hat leider keine Zwischenfrage gestellt, da konnte ich jetzt nichts verlängern. ({6}) Aber vielleicht kommt es ja beim nächsten Mal. Last, but not least will ich eins noch kurz sagen, weil ich aus Nordrhein-Westfalen komme, wie die Kollegin auch, die da in Münster war: Die Mitarbeitenden an den Unikliniken streiken zurzeit, und sie streiken eben gerade nicht für Lohnfragen. Sie streiken für einen Entlastungstarifvertrag. Und das ist richtig, und das müssen wir unterstützen. Ich bin an der Stelle sehr dankbar, dass Thomas Kutschaty sehr klar gesagt hat, dass er einen solchen Entlastungstarifvertrag unterstützen wird. ({7}) Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft da vielleicht auch vom Land dann mehr erleben werden. Vielen Dank. ({8})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Entschuldigen Sie, Herr Präsident, dass ich erst den Wahlvorgang beenden wollte; tut mir leid. Nichtsdestotrotz: Danke schön! Meine Damen und Herren, die Menschen in Deutschland leiden unter einer Rekordinflation. Im April wurde eine Teuerung von 7,4 Prozent gemessen; das ist der höchste Stand seit über 40 Jahren. 7,4 Prozent klingt zunächst abstrakt. Aber im Klartext heißt das, dass Bürgerinnen und Bürger real ein Monatsgehalt oder eine Monatsrente verlieren. Stellen Sie sich vor, der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin streicht einfach ein Monatsgehalt oder die Rentenversicherung eine Monatsrente. Eine inakzeptable Entwicklung! Und jetzt, quasi obendrauf, planen Sie und die EU ein Ölembargo. Damit würden die Lasten vor allem auf die Schwächsten und in besonderer Weise auf Ostdeutschland umgewälzt. Sie haben doch in den vergangenen Wochen als Regierung immer den Grundsatz hochgehalten, dass Sanktionen der russischen Führung mehr schaden sollen als uns. Meinen Sie wirklich, das gilt für dieses Embargo? Meine Damen und Herren, insbesondere in Ostdeutschland werden die Konsequenzen dramatisch sein. Minister Habeck meint, es könne „rumpelig“ werden im Osten. Ich finde, das ist eine unangemessene Verniedlichung eines gewaltigen Problems. ({0}) Alle – Gewerkschaften, IHK und, und, und – sagen klar, dass das nicht sein darf. Wir begrüßen, dass der Minister, Herr Habeck, in dieser Woche in Schwedt war – andere waren auch da –; das war eine richtige Entscheidung. Aber es hätte so sein müssen: Erst einen Plan erstellen, dann mit den Betroffenen Gespräche führen und dann eine Entscheidung treffen. Wenn die Bundesregierung eine solche Entscheidung trifft, muss sie dafür sorgen, dass die 1 200 Arbeitsplätze in Schwedt langfristig gesichert werden. ({1}) Die Raffinerie muss zu 100 Prozent mit Ersatzöl beliefert werden; der Erhalt des Standorts Schwedt muss für die Region garantiert werden. Das ist kein Kann, das ist ein Muss, meine Damen und Herren. ({2}) Gerade in dieser Situation ist eine aktive Industriepolitik lebenswichtig. Meine Damen und Herren, die Raffinerie in Schwedt zu retten, reicht aber nicht aus. Es braucht in der aktuellen Situation einen Schutzschirm für Ostdeutschland, damit die Strategie von Putin, den Westen zu spalten, nicht aufgeht. Auch angesichts des Ölembargos schmilzt Ihr Entlastungspaket in der Maisonne dahin. Wir fordern Sie auf: Überarbeiten Sie diese Pläne! Diese Entlastungspäckchen reichen nicht aus. ({3}) Und beenden Sie vor allen Dingen eine Unverschämtheit, nämlich dass Rentnerinnen und Rentner kein Geld erhalten sollen. Das ist Altersdiskriminierung. ({4}) Und erklären Sie mir auch, warum Studierende nichts erhalten sollen. Das ist inakzeptabel. ({5}) Wir alle wissen: Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen, die wir uns im Moment vielleicht alle gar nicht vorstellen können: Krieg, Klimawandel, schreiende soziale Ungerechtigkeit, die Pandemie und, und, und. Aktuell stellen die Menschen fest: Alles wird teurer, das Leben wird teurer: Brot, Butter, Gemüse. Lebensmittel werden per Lkw in den Supermarkt transportiert, und wenn Sie nichts gegen die explodierenden Spritpreise tun, darf man sich nicht wundern, dass die Lebensmittelpreise steigen. Herr Habeck wollte doch die Mineralölkonzerne zur Verantwortung ziehen. ({6}) Was ist eigentlich daraus geworden? ({7}) In keinem anderen EU-Land ist der Dieselpreis seit Kriegsbeginn so stark gestiegen wie bei uns. Shell und Co machen sich zur Freude ihrer Aktionäre die Taschen voll. 200 Milliarden Euro Gewinn schätzt die Internationale Energieagentur für dieses Jahr. Beenden Sie diese Abzocke! ({8}) Wir brauchen eine Übergewinnsteuer, wie sie im Übrigen in anderen europäischen Ländern, die sogar konservativ regiert sind, wie Griechenland oder Italien, bereits vorhanden ist. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Hartz-IV-Bezieher, Selbstständige haben Einschnitte historischen Ausmaßes zu verkraften. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger verliert von Tag zu Tag an Wohlstand. Liebe Sozialdemokraten, liebe Grüne, was haben Sie noch im Wahlkampf versprochen? Oben nehmen, unten geben. Ich will aus dem SPD-Wahlprogramm zitieren: Wir wollen die Vermögensteuer wieder in Kraft setzen … Wer sehr viel Vermögen hat, muss einen größeren Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten. ({9}) Sehr richtig! Der Beifall ist berechtigt! Ich zitiere aus dem Grünen-Wahlprogramm: Die Einführung einer neuen Vermögensteuer … ist unser bevorzugtes Instrument. Auch sehr richtig! Und wie ist die Realität? Pustekuchen! Veto der FDP. Jetzt erleben wir das Gegenteil: Oben sprudeln die Gewinne, und unten und in der Mitte haben die Leute weniger im Portemonnaie als vor der Wahl. Das ist doch falsch, meine Damen und Herren. ({10}) Es geht in diesem Punkt um eine staatspolitische Verantwortung. Der soziale Frieden ist wichtiger als die FDP und die gute Laune in der Ampel. Entlasten Sie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben Vorschläge gemacht. Besteuern Sie endlich den Geldadel, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartsch. – Nächster Redner ist Herr Staatsminister Carsten Schneider für die Bundesregierung. ({0})

Carsten Schneider (Gast)

Politiker ID: 11003218

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag der Linksfraktion die sozialen Folgen eines möglichen Ölembargos in Ostdeutschland und die Forderung nach einem Schutzschirm für Ostdeutschland. Ich will die Gelegenheit nutzen, zum Ursprung zurückzugehen. Wir diskutieren ein Ölembargo, weil es einen russischen Angriffskrieg unter der Führung von Wladimir Putin auf den unabhängigen Staat der Ukraine gibt. Und daraus resultieren Folgen. ({0}) Nun haben wir als Bundesregierung verschiedene Maßnahmen beschlossen, auch mit Unterstützung des Bundestages. Da ist zum einen die Entscheidung, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, um sich zu verteidigen, und zum anderen die Entscheidung, das Land aufgrund seiner Haushaltsmindereinnahmen finanziell zu unterstützen, damit es überlebensfähig bleibt. Dazu gehört die Entscheidung, dass wir gegenüber dem Aggressor Putin und der russischen Nomenklatura Sanktionen durchgesetzt haben, die auf europäischer Ebene abgestimmt sind, um das wirtschaftliche Herz Russlands zu treffen und Putin davon abzuhalten, weiter gegen die Ukraine Krieg zu führen. ({1}) Diese Sanktionen waren zu Beginn personenbezogene Sanktionen – Einfrieren von Vermögen, Jachten etc.; Sie kennen das –; hinzu kam aber auch die Blockade von Projekten, die wir gemeinsam begonnen hatten, als wir von einem friedlichen Europa und einer friedlichen Zusammenarbeit mit Russland ausgehen konnten, wie zum Beispiel Nord Stream 2, die Gasleitung. Wir ergreifen diese Maßnahmen trotz unserer Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung. Diese Abhängigkeit ist fundamental; sie muss in eine Unabhängigkeit und Diversifizierung umgewandelt werden. Aus diesem Grund haben wir uns gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern entschieden, uns von Kohleimporten aus Russland unabhängig zu machen. In einem zweiten Schritt wollen wir uns von Ölimporten aus Russland unabhängig machen; das ist möglich. Dafür hat die Bundesregierung – der Bundeskanzler, der Bundeswirtschaftsminister – auf europäischer Ebene geworben. Dafür haben wir eine Fast-Einigung; es liegt nur noch an Ungarn, das sich bisher nicht dazu bereit erklären kann. Das Ziel ist, Frieden in Europa, Frieden in der Ukraine und letztendlich eine Ordnung und ein System von gleichberechtigten nationalen Staaten wiederherzustellen, die sich verteidigen können und deren territoriale Integrität vor allen Dingen gesichert ist. ({2}) Nur dann, lieber Kollege Bartsch, gibt es aus meiner Sicht die Chance auf eine Entspannung, was die wirtschaftlichen und sozialen Folgen betrifft. Eins ist klar: Wir haben zurzeit eine sehr hohe Inflation. Die hohe Inflationsrate ist zum großen Teil durch erhöhte Energiepreise und steigende Nahrungsmittelpreise bedingt. Das trifft in der Tat, weil es regressiv wirkt, insbesondere die unteren und mittleren Einkommen; denn es gibt keine Ausweichmöglichkeiten. Man muss heizen; man braucht Strom in seiner Wohnung. Man kann den Verbrauch herunterfahren. Ganz viele Menschen machen das und sparen, wo es nur geht. Aber irgendwann ist eben auch Schluss. Die Nahrungsmittelpreise steigen überproportional; auch da kann niemand großartig sparen, insbesondere nicht diejenigen, die sich sowieso kein Biofleisch oder Biolebensmittel leisten konnten, sondern das gekauft haben, was im Discounter sehr günstig war. Ich möchte auf zwei Punkte eingehen. Zunächst auf die Frage der Ölversorgung und der ostdeutschen Raffinerien und in einem zweiten Teil auf die möglichen Entlastungswirkungen. Aus meiner Sicht ist nichts zu tun keine politische Handlungsoption. ({3}) Nichts zu tun, würde bedeuten: Wir sehen dabei zu, wie sich Russland immer weiter in die Ukraine hineinfrisst, sich den Südosten der Ukraine einverleibt. Herr Putin mag politische Ziele im Kopf haben. Unser Ziel muss sein, ihn zurückzudrängen und die Existenz der Ukraine als unabhängigen nationalen Staat zu sichern, sodass normales wirtschaftliches Geschehen wieder möglich ist und vor allen Dingen Frieden herrscht. Zu den sozialen Ausgleichsleistungen. Darüber wird heute im Bundestag diskutiert, und entsprechende Maßnahmen werden auch beschlossen. Vor allen Dingen geht es dabei nicht um Kleckerbeträge, sondern um 30 Milliarden Euro. Wir nehmen 30 Milliarden Euro für verschiedene Leistungen in die Hand: das Senken der Energiesteuer beim Tanken, 100 Euro Kinderbonus – er wird nicht auf Transferleistungen für Kinder und Jugendliche angerechnet –, die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etc., und insbesondere der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. All das führt dazu, dass wir wahrscheinlich 70 bis 80 Prozent der höheren Kosten in diesem Bereich kompensieren können. ({4}) Dazu kommen noch Zuschüsse insbesondere für Unternehmen, die von den hohen Energiepreisen, den hohen Preisen für Gas, besonders betroffen sind. ({5}) Das alles wird in diesem Jahr dazu führen, dass wir die Mehrbelastung zum großen Teil kompensieren können. Wir können sie aber nicht gänzlich ausschließen. Ich glaube, das wäre auch eine Überforderung des Staates. Zum Zweiten: zur Ölversorgung. Warum unterstützen wir ein Ölembargo? Weil wir beim Gas so abhängig sind. Man muss das hier so deutlich sagen: Es war ein Fehler der letzten Bundesregierung, dass wir uns so abhängig gemacht haben von den Gaslieferungen Russlands, dass wir Stand heute nicht sagen können: Wir können darauf verzichten. – Würden wir das tun, würde das die deutsche Volkswirtschaft in eine sehr, sehr schwierige Lage bringen. Ich denke insbesondere an die Grundstoffindustrie, aber auch an die Glasindustrie zum Beispiel bei mir in Thüringen. Einmal abgeschaltet, ist so eine Wanne nie wieder anschaltbar, und die Arbeitsplätze sind weg. Das kann nicht unser Ziel sein. Das würde uns schwerer schaden als Wladimir Putin und seinem Russland. Und aus diesem Grunde schließen wir das aus. ({6}) Neben russischer Kohle werden wir nun außerdem auf russisches Öl verzichten. Russisches Öl wird von zwei Raffinerien in Ostdeutschland bezogen und weiterverarbeitet. Eine davon ist die Raffinerie Leuna. Ich habe mir vor einigen Wochen vom Chemiepark Leuna mit etwa 15 000 Arbeitsplätzen vor Ort ein Bild machen können. Die Raffinerie gehört Total, einem französischen Unternehmen. Dieser Eigentümer hat angesichts des Angriffskriegs Russlands bereits entschieden, dass er auf russisches Öl zum Ende des Jahres verzichten wird. Die Ersatzlieferungen kommen über die Pipeline aus Danzig. Ich danke der polnischen Regierung für die Zusammenarbeit an dieser Stelle. Da zeigt sich, dass Europa zusammensteht. Die Auslastung ist gesichert, sodass auch der Chemiestandort gesichert werden kann, auch wenn das Volumen insgesamt geringer sein wird. Die zweite Raffinerie ist die PCK Schwedt, ein Unternehmen, das zum größeren Teil Rosneft gehört, zum kleineren Teil noch Shell. Dieses Unternehmen raffiniert Öl aus der Druschba-Pipeline aus Russland. Es ist vollkommen darauf angewiesen, von dort versorgt zu werden. Es versorgt insbesondere die Flughäfen Leipzig/Halle und Berlin Brandenburg und stellt den Kraftstoff her für Berlin, Brandenburg und in Teilen für Mecklenburg-Vorpommern. Ich selbst habe gemeinsam mit dem Kollegen Zierke vorige Woche Mittwoch das Gespräch mit den Beschäftigten, mit den Betriebsräten, mit den Bürgerinnen und Bürgern in Schwedt gesucht, weil ich klarmachen wollte, dass eine politische Entscheidung dieser Bundesregierung auch eine politische Verantwortung nach sich zieht. Diese politische Verantwortung bezieht sich nicht nur darauf, dass wir dafür sorgen werden, den Standort Schwedt mit einer neuen Eigentümerstruktur – da liegen alle Optionen auf dem Tisch, auch gegenüber der EU-Kommission – zu erhalten und ihn durch Importe, zum Teil über die Leitung von Danzig – Kollege Kellner wird darauf noch eingehen –, aber auch über den Hafen Rostock, zu versorgen. Das wird eine Mindestsicherung mit sich bringen und dafür sorgen, dass wir die Raffinerie in Schwedt weiterhin in Betrieb halten können. ({7}) Mir ist es wichtig, den Beschäftigten und der ganzen Region, die wirtschaftlich eine gebeutelte Region ist, klar zu sagen, dass diese Bundesregierung zu Schwedt, zur PCK mit einer neuen Eigentümerstruktur steht und dass wir die Arbeitsplätze an diesem Standort nicht nur erhalten wollen, sondern jetzt die Chance nutzen wollen, den Standort auch weiterzuentwickeln und zu transformieren. Dafür gibt es sehr, sehr gute Chancen, weil es ein großes Spektrum ist, das zusätzlich zur Verfügung steht, insbesondere im Bereich Wasserstoff und anderen Technologien, auch Biofuels. Er hat beste Bedingungen, zu prosperieren. ({8}) Aus diesem Grund hoffe ich sehr, dass die ausgestreckte Hand, die wir als Bundesregierung reichen, angenommen wird – so habe ich das in Schwedt auch wahrgenommen –, ({9}) und dass es uns gelingt, uns unabhängig zu machen von der Versorgung aus Russland, die russische Aggression zurückzudrängen und eine entsprechende Perspektive für gute Arbeitsplätze im Rahmen der Energiewende in Schwedt zu haben. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Das war zeitlich hart an der Grenze. – Nächster Redner ist der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein Kind der Wiedervereinigung, ich bin ein Kind der Europäischen Union, und ich bin ein Kind des Strukturwandels, 1989 im Altkreis Gräfenhainichen geboren. Damals waren 12 000 Menschen direkt und indirekt in der Braunkohle beschäftigt. Mit der Friedlichen Revolution und der Gott sei Dank eingetretenen Wiedervereinigung haben von jetzt auf gleich diese Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Die Leerstandsquote betrug 30 Prozent. Von drei Grundschulen blieb nur noch eine übrig. Familien wurden auseinandergerissen, weil Väter „Aufbau West“ geleistet haben, indem sie in die alten Bundesländer auf Montage gefahren sind, um ihre Familie versorgen zu können. ({0}) Es gab Diskussionen mit neuen Eigentümern über gesellschaftliche Herausforderungen und Eigentümerstrukturen von Unternehmen. Das prägte in den 90er-Jahren meine Generation, die meiner Eltern und die Generationen, die dort aufgewachsen sind und sich entschieden haben, dort zu bleiben; denn es ist unsere Region, trotz aller Schwierigkeiten – jetzt reichen warme Worte nicht; wir werden Sie an Ihren Taten messen, Herr Staatsminister Schneider –, aber: Das verändert die Menschen, das verändert die Identität und gibt auch ein anderes Gefühl für Dinge, die von außen eingetragen werden, wenn Veränderung und Strukturbrüche auf der Tagesordnung stehen. Wenn wir uns anschauen, was in der Europäischen Union jetzt aufgrund des Angriffskriegs von Waldimir Putin gegen den freien Staat Ukraine diskutiert wird, nämlich ein Ölembargo umzusetzen, stellen wir fest: Das betrifft nach 32 Jahren Wiedervereinigung insbesondere die Regionen, die in den letzten 32 Jahren Strukturwandel durchgemacht haben. Dass die Menschen vor Ort, sehr geehrter Herr Schneider, Ihrer Ampelregierung keinen Millimeter weit trauen, liegt nicht daran, dass Sie nur einmal dort waren und hier eine flammende Rede gehalten haben, ({1}) sondern das liegt daran, ({2}) dass ein gesamtgesellschaftlicher Kompromiss im Bereich Kohle für das Jahr 2038 getroffen wurde, Ihre Ampelregierung dann aber gesagt hat: „Wir wollen idealerweise 2030 raus“ und es bis heute noch nicht geschafft hat, den Menschen vor Ort eine Antwort auf die Fragen zu geben: Wie geht es weiter mit meinem Arbeitsplatz? Wie werden wir zukünftig versorgt? Was wird aus unseren Existenzen? ({3}) Und deswegen, sehr geehrter Herr Schneider, wird es für uns als Union die Hauptaufgabe sein, Sie beim Wort zu nehmen. Wir werden alles daransetzen, dass in Schwedt kein einziger Arbeitsplatz wackelt. ({4}) Wir werden alles daransetzen, dass der Strukturwandel in Brandenburg und in den neuen Bundesländern nicht wieder wie 1990 falsch angegangen wird, ({5}) sondern auf die richtigen Füße gestellt wird. Dafür werden wir als Union mit aller Kraft nach vorn gehen ({6}) und Sie beim Wort nehmen. ({7}) Dazu gibt es mehrere Ideen, die wir gern von Ihnen gehört hätten. Wir brauchen drei Punkte, um nicht nur Schwedt, sondern auch Leuna fit zu machen und die chemische Industrie im mitteldeutschen Dreieck wieder zu dem zu machen, was sie einmal war, nämlich die Herzkammer der chemischen Industrie Deutschlands. Diese drei Punkte sind auch ohne viel Geld umzusetzen. Wir brauchen Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung beim Ausbau von Netzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({8}) Wir als Union wollen, dass Ihr Sommerpaket bezüglich der erneuerbaren Energien vorgezogen wird. Es gilt, nicht nur Windräder in die Landschaft zu stellen, ({9}) sondern die Netze müssen auch in Richtung Ost und West gehen. Dafür brauchen wir schnellere Genehmigungsverfahren. Wir brauchen kurzfristig ein LNG-Terminal im Rostocker oder im Warnemünder Hafen sowie die Ausbaggerung des Rostocker Hafens. ({10}) Sie wissen ganz genau, dass Schiffe mit Rohöl aufgrund ihres Tiefgangs derzeit nicht im Rostocker Hafen anlanden können. Mittelfristig wollen wir mit Schwedt und Leuna ein Bundeswasserstoffnetz aufbauen. Darum brauchen wir eine Pipeline, die Ost und West verbindet – nicht nur befüllt mit Öl, sondern auch mit Gas. Wir brauchen keinen Schutzschirm und kein Gejammer, liebe Linke, sondern wir brauchen den Turbo für den Osten. Dann sind wir wieder die Herzkammer dieser Industrie. Dann gehen wir in Ostdeutschland voran – mithilfe der Union. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Michael Kellner. ({0})

Michael Kellner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11005102

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns auf eine Zukunft ohne russisches Öl einstellen; das hat Wladimir Putin erzwungen durch den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Wir müssen schneller raus aus den fossilen Energien, und wir müssen schneller raus aus russischem Öl. Und wir dürfen nie wieder so abhängig sein von einem Land, wie wir es von Russland waren und teilweise immer noch sind. ({0}) Das ist eine besondere Herausforderung für Ostdeutschland. Da hängt die Versorgung der Menschen dran, da hängen viele Unternehmen dran, da hängen Arbeitsplätze dran und der Wohlstand in der Region. Ich habe jetzt einige Vorschläge gehört, die gesagt haben: Lasst uns doch eine ungarische Lösung machen, lasst uns doch Ostdeutschland rausnehmen aus einem Ölembargo! – Ich will einmal definieren, was das ökonomisch bedeuten würde. Was würde es für Leuna bedeuten? Dort steht ein großer Chemiepark, nicht nur eine Raffinerie, dort werden für die ganze Welt chemische Produkte produziert. Wer würde denn diese Produkte heute noch kaufen, wenn sie mit russischem Öl hergestellt wären? ({1}) Niemand würde sie mehr kaufen. Dieser Standort wäre in seinem Bestand gefährdet, wenn wir diese ungarische Lösung wählen würden. ({2}) Auch deswegen hat Total ja entschieden, dass die Raffinerie in Leuna den Bezug von russischem Öl bis Ende des Jahres einstellt. Ich war in Leuna, zusammen mit Carsten Schneider. Ich habe dort die Zukunft gesehen. Auf der Fläche der alten DDR-Raffinerie, die riesig groß ist, ist in den 90er-Jahren eine neue Raffinerie gebaut worden. Auf dieser Fläche befindet sich aktuell eine riesige Baustelle. Dort baut UPM, ein finnischer Konzern, der biobasierte Chemie entwickelt, also Grundstoffe für chemische Produkte und für die Pharmazie. Das macht er aus Laubhölzern. Eine gigantische Anlage entsteht dort. Und in Leuna wird gerade der größte Wasserstoffelektrolyseur Deutschlands gebaut. Das ist die Zukunft, die man in Leuna sehen kann, und diesen Weg müssen wir weitergehen. ({3}) Die Versorgung von Leuna ist über Danzig gesichert; das hat Total vereinbart. Wir werden die Transformation in Leuna weiter unterstützen müssen. Wir werden auch die Infrastrukturanbindung des mitteldeutschen Chemiedreiecks weiter unterstützen müssen. Was würde denn eine ungarische Lösung für die PCK, was würde sie denn für Schwedt bedeuten? Das wäre eine Entscheidung gegen Polen. Der Absatzmarkt der PCK, die auch Westpolen beliefert, würde wegbrechen. Es wäre eine Lösung gegen die Ukraine. Es wäre eine Lösung gegen das Baltikum. Es wäre eine Lösung gegen Polen, gegen Osteuropa. Es wäre eine Lösung gegen Gesamteuropa. Wir können doch nicht den gleichen Fehler von Nord Stream 2 wiederholen, indem wir eine falsche Politik fortsetzen. ({4}) Schwedt wäre doch verloren, weil kein Mensch, kein Unternehmen dann in Schwedt investieren würde. ({5}) Ich war schon lange vor dieser Krise in Schwedt. Mein Vater hat dort als junger Mann Pflastersteine verlegt, damit das Kombinat rechtzeitig eröffnet werden konnte. Ich war zuletzt Anfang der Woche mit dem Bundesminister Habeck in Schwedt. Es wird nicht leicht; aber wir haben einen Plan, ({6}) wie es gelingen kann: Wir können Schwedt über Rostock zu ungefähr 60 Prozent versorgen. Das sind zwei Schiffe pro Woche, die aus Wilhelmshaven fahren können. Wir können das in Wilhelmshaven so anmischen, dass es auch verarbeitbar ist. Wir haben in Deutschland dankenswerterweise eine Erdölreserve, die für 90 Tage reicht, und zwar für Gesamtdeutschland. Da wir nur über Schwedt reden, reicht diese Reserve viel, viel länger. Für eine weitere Unterstützung über das Level von 60 Prozent hinaus brauchen wir Hilfe aus Polen. Wir brauchen staatliche Unterstützung für Schwedt, um auch die Kostenstruktur in den Griff zu bekommen. Ehrlicherweise gehört zur Wahrheit dazu: Die PCK ist heute in den Klauen von Rosneft; das macht die Situation so anders und so viel schwieriger als in Leuna. Heute Nachmittag beschließen wir hier in diesem Hohen Haus die Änderung des Energiesicherungsgesetzes. Alle, die den Osten stärken wollen, sollten diesem Gesetz heute Nachmittag zustimmen. ({7}) Diese Änderungen geben uns die Möglichkeit, kritische Infrastruktur unter – ja – Treuhandverwaltung zu setzen oder, als Ultima Ratio, zu enteignen. Wir sollten doch eine Lehre aus dieser Krise ziehen: dass wir nie wieder kritische Infrastruktur in russische Hände oder in die Hände von Staaten, die wie Russland sind, geben. Das ist doch ein Fehler gewesen. Diesen Fehler korrigieren wir mit diesem Änderungsgesetz so, dass wir eine Handlungsmöglichkeit haben. ({8}) Ich will noch etwas zur Zukunft von Schwedt sagen. Ich war auch vor zwei Wochen in Schwedt. Dort gab es eine Präsentation der Stadt, der Bürgermeisterin, über den Standort. Auf der ersten Seite war alles negativ: Alter, Abwanderung, keine innovativen Produkte. Als Wahlkreisabgeordneter habe ich mich darüber geärgert. ({9}) – Sie können die Zahlen nicht lesen. – Nichts Positives kam auf Seite 1 dieser Präsentation. Natürlich ist richtig: Wir werden mit dem Hochlauf der Elektromobilität einen Rückgang des Diesel- und Benzinverbrauchs sehen. Deswegen brauchen wir den Wandel und die Transformation. Ich will einmal die in dieser Präsentation fehlende Seite ansprechen. Die Stärken der PCK in Schwedt sind gut ausgebildete Menschen, Fachkräfte. Anders als in den 90er-Jahren haben wir heute einen Fachkräftemangel; heute scheitern Industrieansiedlungen, weil wir nicht genügend Fachkräfte haben. ({10}) Und wer das Gelände kennt, weiß: Wir haben Platz in Schwedt für Ansiedlungen. Und wir haben viel, viel grünen Strom in Schwedt. ({11}) Grüner Strom war entscheidend für die Ansiedlung von Tesla in Grünheide, von Intel in Magdeburg oder von Northvolt in Schleswig-Holstein. Das PCK-Management hat sich schon vor Jahren auf den Weg gemacht, in Grünen Wasserstoff zu investieren. ({12}) Diese Projekte sind dann gescheitert. Aber Sie können mal überlegen, an wem: an dem Hauptgesellschafter in Schwedt, an Rosneft. Wir werden auch nicht alles elektrifizieren. ({13}) Wir werden die Mähdrescher nicht mit Batterie über die Brandenburger Felder fahren lassen – da könnten wir die Felder gleich zubetonieren. Die Flugzeuge müssen wir mit E‑Fuels, mit Biokraftstoffen, betreiben. Auch das ist eine riesige Chance für Schwedt. Ich will einen Punkt aufnehmen, den ich sehr richtig fand: Wir haben eine große Chance, und das ist der Grüne Wasserstoff. ({14}) Ich will ein Beispiel geben: In Lubmin landet Nord Stream 2 an. Ich habe gesehen, wie Nord Stream 2 in den letzten Jahren dort an Land weitergebaut wurde. Die entsprechende Pipeline heißt EUGAL-Pipeline; sie geht von Lubmin bis runter zur tschechischen Grenze, bis weiter nach Baden-Württemberg, wenn man das quer ziehen will; diese Pipeline gibt es. Aber sie ist ein Rohrkrepierer, sie ist ein gescheitertes fossiles Projekt. ({15}) – Das ist doch nicht wegen uns gescheitert! Es ist wegen des Angriffskrieges von Wladimir Putin gegen die Ukraine gescheitert. ({16}) Wir sollten hier einmal die Wahrheit sagen, woran es gescheitert ist! – Da konnte selbst Die Linke noch klatschen. Nord Stream 2, das sind – ich habe gesehen, wie die Pipeline entstanden ist – zwei Röhren mit einem Durchmesser von 1,40 Meter, riesige Dinger, die in der Landschaft verbuddelt wurden. Diese Röhren können wir nutzen, um daraus ein Wasserstoffprojekt zu machen, ein Grünes Wasserstoffprojekt. Wir können Ostdeutschland zur Erzeugerregion für Grünen Wasserstoff machen. Das ist die Chance für die Region. Daran arbeiten wir gerne mit Ihrer Hilfe. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Steffen Kotré hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staatssekretär Kellner, wollen wir mal Ihre Märchenstunde hier beenden. ({0}) Als ob es die Verbraucher interessierte, welche Vorprodukte irgendwo drin sind! Wahrscheinlich wären Produkte hergestellt in Russland in anderen Ländern, auf anderen Erdteilen sogar ein Verkaufsschlager. Was Sie sagen, ist völliger Quatsch. ({1}) Eine ungarische Lösung bei uns? Ja, warum denn auch nicht bei uns! Warum nicht Ostdeutschland da rausnehmen? Ein Ölembargo, das ist, als würden wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Das ist doch völlig klar. Und es ist völliger Wahnsinn, dass wir über ein Embargo reden, obwohl wir von diesem Öl abhängig sind. Wenn der Ölhahn oder der Gashahn zugedreht wird, dann sind wir das doch, die das machen. Wir schädigen uns doch selber und nicht die Russen – die Russen reagieren nur. ({2}) Die reagieren nämlich auch auf die Quasienteignung durch Unterstellung einiger ihrer Betriebe unter Treuhandverwaltung, was auch nichts anderes als eine Art von Enteignung ist. Wasserstoff als große Chance: Wir haben schon oft darüber geredet, dass das alles andere als eine große Chance ist, sondern Wolkenkuckucksheim. Öl von woandersher importieren: Wir haben gerade doch festgestellt, dass das Öl aus der Druschba-Pipeline besonderes Öl ist. Das kann nicht einfach so ersetzt werden. ({3}) Wenn Sie sagen, wir können das mir nichts, dir nichts einfach so machen, dann ist das Wolkenkuckucksheim. Nein, wenn wir ein Ölembargo gegen Russland verhängen, dann gehen in Schwedt leider die Lichter aus, ({4}) und das ist eine sozialpolitische und auch eine wirtschaftliche Katastrophe. ({5}) Seien Sie bitte ehrlich und sagen Sie das den Leuten. ({6}) Das ist ja auch auf der Betriebsversammlung herausgekommen. Da glaubt Ihnen keiner aus der Belegschaft, dass Sie wirklich ehrlich an einer Lösung arbeiten, weil Sie nämlich genau das Gegenteil machen. Sie sind nicht lösungsorientiert. Sie sind das Problem und nicht die Lösung. ({7}) Auch dass Nord Stream 2 jetzt durch den Krieg beendet worden wäre, ist falsch. Nein, Sie haben schon vorher die Weichen so gestellt, dass das zu den Akten gelegt wird, weil Sie eben kein Gas wollen, weil Sie in einem Wolkenkuckucksheim leben und erneuerbare Energien wollen, die nicht funktionieren und die instabil sind. Das ist doch völlig klar; das liegt auf der Hand. Minister Habeck hat es ja auch gesagt: Wir werden bei einem Versorgungsstopp einen zeitweisen Ausfall haben, und wir werden hohe Preissprünge haben. ({8}) Es ist auch eine sozialpolitische Katastrophe, was hier gerade passiert. Insofern schädigen wir uns selbst. Herr Bundeskanzler Scholz hat zwar gesagt, dass wir keine Sanktionen verhängen, wenn wir uns selbst damit mehr schädigen als den Sanktionierten. Aber genau das passiert doch hier: Wir schädigen uns selbst mehr als den Sanktionierten. ({9}) Insofern müssten Sie eigentlich sagen: Nein, wir wollen kein Ölembargo. – Auf diese vernünftige Politik warten wir: Nein zu einem Embargo. ({10}) Die Folgen für Unternehmer und für Bürger stehen eben in keinem Verhältnis. Schon 2014 haben wir gesehen, dass gerade wir Deutsche unter den Sanktionen leiden. ({11}) Die Exporte der USA nach Russland sind gestiegen; unsere Mittelständler haben in die Röhre geguckt. ({12}) Das sind die Realitäten, wenn wir Sanktionen verhängen. Wir werden die Russen mit unseren Sanktionen doch nicht zu irgendeiner Politik zwingen können; das ist doch völlig illusorisch. ({13}) Insofern ist das völlig überflüssig und wird an dieser Stelle überhaupt nicht Ihrem eigenen Ziel gerecht. ({14}) Was passiert denn, wenn wir in Ostdeutschland Treibstoffnotstand haben? Das würde sich einreihen und würde zum Beispiel zur Berliner Politik passen, wo Parkplätze weggenommen werden, ({15}) wo plötzlich Straßen gesperrt werden. Da wird eben der individuelle Autoverkehr eingeschränkt. Und vielleicht wollen Sie ja das; vielleicht steht das ja dahinter. Denn eine andere rationale Erklärung kann ich mir hier an dieser Stelle nicht vorstellen, meine Damen und Herren. ({16}) Der ungarische Ministerpräsident Orban hat gesagt, dass das Embargo wie eine Atombombe für die Wirtschaft wirkt. ({17}) In ähnlicher Form wäre es auch bei uns so. Aber im Unterschied zu uns haben die Ungarn eine Regierung, die sich an den Interessen der Leute orientiert, ({18}) nicht an irgendwelchen anderen Interessen und vor allen Dingen auch nicht an Zielsetzungen, die nicht zu erreichen sind. ({19}) Wir werden keinen großen Einfluss des Embargos auf den Staatshaushalt der Russischen Föderation sehen; denn sie wird ihr Öl woandershin liefern. Nur wir sind aufgrund der Preissprünge und aufgrund der Lieferengpässe dann wieder diejenigen, die das Nachsehen haben. Und wenn hier heute so getan wird, dass mit der Belegschaft der PCK in Schwedt eine Verständigung erreicht worden ist, muss ich sagen: Nein, am Montag gab es doch eine ganz klare Frage, welche Interessen Minister Habeck eigentlich verfolgt. Das sind die Fragen, die dort gestellt wurden. Und es wurde gesagt: Unsere Arbeitsplätze gehen doch verloren. Wir sind auf dieses Öl angewiesen. – Da kam man nicht, wie Sie suggerieren, zu einer gemeinsamen Lösung. Das war nicht so.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen bitte zum Ende.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Da wird Sand in die Augen der Leute gestreut. Wir sollten uns dem nicht verschließen, dass die Folgen verheerend sein würden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie kommen bitte zum Ende.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und deswegen lehnen wir dieses Ölembargo ab. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Olaf in der Beek hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen nicht nur von einer Zeitenwende, wir durchleben gerade eine Zeitenwende – mit allen planbaren und allen unplanbaren Ereignissen. Deshalb ist die Beantragung dieser Aktuellen Stunde, um breit über die Auswirkung eines Ölembargos zu debattieren, auch angemessen. Dass aber suggeriert wird, dass es sich hier um ein rein ostdeutsches Problem handele, ist mir zu kurz gesprungen. Wenn wir über PCK in Schwedt sprechen, dann sprechen wir nicht über ein rein ostdeutsches Problem, sondern über eine landesweite und sogar grenzüberschreitende Herausforderung; denn PCK in Schwedt beliefert ja auch große Teile Westpolens. Hier wird versucht, Osten gegen Westen und damit die Menschen in Deutschland gegeneinander auszuspielen. Aber damit genug der Worte über Sie, liebe Fraktion der Linkspartei. ({0}) Natürlich besprechen wir an dieser Stelle ein enorm wichtiges Thema. Und wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen, insbesondere in Ostdeutschland, ernst nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich kann Ihnen allen versichern: Die Bundesregierung und auch wir als Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag sind uns dieser Verantwortung bewusst. PCK in Schwedt ist die letzte Raffinerie in Deutschland, die nach wie vor über die Druschba-Pipeline von russischen Ölimporten abhängig ist. Und selbstverständlich, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, so ehrlich müssen wir sein: Ein Embargo für Öl aus Russland ist eine tiefgreifende Entscheidung und eine Kraftanstrengung für ganz Deutschland. ({1}) Genau deswegen war der Bundeswirtschaftsminister bereits am Montag in Schwedt und hat die Pläne der Bundesregierung erklärt. Er hat sich aber auch die Sorgen und Ängste der Menschen angehört. Dafür bin ich ihm ausdrücklich dankbar. Denn eines ist klar: Die Koalition wird alles dafür tun, um den Standort Schwedt und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu erhalten und auch die Kraftstoffversorgung in ganz Ostdeutschland sicherzustellen. ({2}) Da spreche ich auch ganz gezielt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der PCK in Schwedt an: Wir sind uns Ihrer Ausnahmesituation bewusst. Die Ampelkoalition ist sich auch der Bedeutung der Raffinerie für die Region bewusst. Wir sehen auch die gesamte Wirtschaftsstruktur. Ein Zusammenbruch der Versorgung würde die bundesweiten Lieferketten zum Stillstand bringen. Das werden wir auf jeden Fall verhindern. ({3}) Die Bundesregierung bringt uns mit gezielten und entschiedenen Maßnahmen durch die Krise. ({4}) Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor 78 Tagen haben wir bereits einiges geschafft. ({5}) Unsere Abhängigkeit von Russland konnten wir in vielen Bereichen deutlich reduzieren. Vor einiger Zeit kamen rund 35 Prozent unseres Öls aus Russland; jetzt liegen wir bei 12 Prozent. Wenn man das große Ganze betrachtet, sieht man also: Wir sind auf dem richtigen Weg. ({6}) Die Ampelkoalition hat bewiesen, dass sie kurzfristig und schnell Entscheidungen treffen kann. Das gilt für das Gasspeichergesetz, das Energiesicherheitsgesetz, LNG-Terminals, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird auch für den Umgang mit einem Ölembargo gelten. Vor uns liegen nun entscheidende sechs Monate des Ausstiegs. Am Ende dieser Übergangsfrist werden wir auch für den Standort Schwedt eine Lösung gefunden haben. Wir werden alternative Beschaffungswege organisieren, um nicht mehr auf russisches Öl angewiesen zu sein. Das heißt ganz klar: Die Öllieferung nach Schwedt ist über die Pipeline aus Rostock nur für den Mindestbetrieb ausreichend. Es geht um eine logistische Herausforderung. Wir müssen gemeinsam mit unseren polnischen Nachbarn den Dialog fortsetzen und zusätzliche Liefermengen über den Hafen Danzig auch für die PCK vereinbaren. So wollen wir die Kapazitäten wieder erhöhen. Aber auch die Eigentümerfrage wird auf den Prüfstand gestellt. Es kann nicht sein, dass ein russischer Staatskonzern den Daumen auf die Versorgungsinfrastruktur von ganzen Landesteilen hält. ({7}) Wir sollten den Menschen keine Angst machen, sondern müssen sie überzeugen und gemeinsam mit ihnen tragfähige Lösungen erarbeiten. Denn eines möchte ich hier ganz deutlich sagen: Wir brauchen Sie alle, vor allem die Fachkräfte vor Ort. Denn Schwedt hat eine Zukunft; der Minister hat das ja schon in seinem Plan über die Weiterentwicklung der Raffinerie, also hin zu Wasserstoff, skizziert. Der Fokus liegt nun darauf, diese Zukunft schnell und effizient zu gestalten. Lassen Sie uns das gemeinsam in die Hand nehmen; denn ein gespaltenes Land spielt nur einem in die Karten: dem Kriegstreiber und Aggressor Putin. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke hat der Kollege Sören Pellmann das Wort. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde hat bis jetzt schon sehr deutlich gezeigt, dass ein Ölembargo problembehaftet und nicht einfach umzusetzen ist. Herr Kellner, ich möchte darauf eingehen, dass Sie sagen, Sie hätten einen Plan. Das erinnert mich an die Olsenbande. Die hatten auch immer einen Plan: Egon, ich habe einen Plan. – Wie das ausgegangen ist, wissen die meisten, die diese Serie kennen. ({0}) Für Tschechien, die Slowakei und Ungarn werden befristete Ausnahmen vom Ölembargo diskutiert. Es gibt tatsächlich Parallelen zum Osten dieser Republik. Ostdeutschland ist ähnlich abhängig vom russischen Öl. Daher sagen wir als Linke sehr klar und deutlich: Es muss auch für die ostdeutschen Länder Übergangsregelungen geben. ({1}) Ich vermute, wären die westdeutschen Bundesländer vom Embargo auch nur annähernd so betroffen wie die ostdeutschen, würde es umgehend Übergangsregelungen geben. ({2}) Da es aber nur um den Osten geht, geht man die Risiken eines völlig überstürzten Lieferstopps ein. ({3}) Viele Ostdeutsche werden dieses Embargo als eine westdeutsche Entscheidung einer westdeutschen Bundesregierung betrachten. Da Sie sich offenbar nicht für Übergangsregelungen für Ostdeutschland einsetzen werden, brauchen wir umso dringender einen Schutzschirm für die neuen Länder. ({4}) Das Ölembargo ist ein soziales Pulverfass, insbesondere für den Osten, und Sie haben keinen Plan, wie Sie dies entschärfen. Spritpreise von 3 Euro und mehr seien möglich, sagen Experten. Schon die aktuellen Spritpreise von über 2 Euro spalten unsere Gesellschaft. Demnächst soll die Energiesteuer über den Sommer für drei Monate reduziert werden – immerhin besser als nichts. Aber wenn das Embargo auch im Winter gilt, soll die Energiesteuer dann tatsächlich wieder hochgehen? 65 Cent auf Benzin und 47 Cent auf Diesel beträgt aktuell die Energiesteuer. Die Energiesteuer sollte ausgesetzt werden, solange Mondpreise an den Tankstellen verlangt werden. ({5}) Gleichzeitig müssen die Mineralölkonzerne endlich an die Kandare genommen werden. Die Preistreiberei, die den Konzernen obszöne Profite beschert, muss aufhören. Handeln Sie! ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bezahlt das Ölembargo denn letztendlich? Im geplanten Energiesicherungsgesetz – wir haben gerade davon gehört –, um das es heute am Nachmittag gehen wird, steht, dass zum Beispiel im Fall eines Gasembargos die Versorger die steigenden Preise auf die Verbraucher abwälzen dürfen. Hier sieht man, wo die Reise hingeht: Keine staatliche Preiskontrolle, kein Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den Mehrkosten. ({7}) Die Ampel, liebe Kolleginnen und Kollegen, lässt die Bürger bei ihrer Embargopolitik einfach im Regen stehen. Stattdessen bräuchten wir einen Schutzschirm für Verbraucher und Betriebe. ({8}) Die Schwächsten würde es am stärksten treffen, sagt der Ökonom Thomas Straubhaar. Die durchschnittliche Rente von Rentnerinnen und Rentnern, die 40 Beitragsjahre vorweisen können, beträgt im Osten aktuell 1 252 Euro und im Westen 1 428 Euro. Beide Beträge sind viel zu niedrig. ({9}) Aber im Osten sind es eben noch einmal rund 200 Euro pro Monat weniger für ein komplettes Arbeitsleben. Wie soll eine Rentnerin mit 1 252 Euro oder weniger Rente diese aktuellen Preise denn noch bezahlen? Und Sie? Sie helfen nicht. Null Euro gibt es in Ihrem Entlastungspaket für Rentnerinnen und Rentner. ({10}) Dafür sollten Sie sich schämen! ({11}) Wir bringen heute noch einen Antrag ein, der für ein Rentnerehepaar ein Energiegeld in Höhe von 1 400 Euro in diesem Jahr vorsieht. Das wäre eine angemessene Entlastung. Korrigieren Sie Ihren Fehler, und stimmen Sie unserem heutigen Antrag zu! ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, das Ölembargo wird Ostdeutschland um Jahre zurückwerfen, wenn Sie keinen Schutzschirm spannen. Deswegen fordern wir als Linke einen Fünf-Punkte-Plan: Erstens. Die Arbeitsplätze in Schwedt müssen gerettet werden. Zweitens. Die Abzocke der Mineralölkonzerne an den Tankstellen muss gestoppt und die Energiesteuer ausgesetzt werden. Drittens. Die Preise für Lebensmittel müssen sinken. Die Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln soll auf null reduziert werden. Viertens. Wir brauchen einen Rettungsfonds für ostdeutsche Unternehmen, ähnlich wie in der Coronakrise. Insolvenzen aufgrund des Lieferstopps darf es nicht geben. Fünftens. Das Entlastungspaket, über das wir heute schon gesprochen haben, muss drastisch ausgeweitet werden. ({13}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Ölembargo, über das wir heute hier sprechen, hat das Potenzial, im 32. Jahr der Einheit eine neue Ost-West-Spaltung in unserem Land anzurichten. Verhindern Sie das, und schützen Sie die Bürgerinnen und Bürger vor den Folgen dieses Embargos! Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Falko Mohrs spricht jetzt zu uns für die SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen diese Debatte im Lichte des Überfalls von Putin, des Überfalls von Russland auf die Ukraine. Wir müssen über ein Embargo und über Sanktionen sprechen, weil es einen Überfall auf ein souveränes Land gegeben hat und nicht deswegen, weil irgendwer es hier mutwillig riskieren will, meine Damen und Herren. Das ist der Hintergrund dieser Debatte hier. ({0}) Wir müssen die Debatte führen, weil es um die Zukunft und die Existenzen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der PCK-Raffinerie geht, weil es um die Zukunft und die Existenz einer Region geht. Wir müssen die Diskussion auch deswegen führen, weil wir uns in den vergangenen Jahren abhängig – allzu abhängig – von Energie aus Russland gemacht haben. Wir haben es, wenn wir jetzt aufs Öl schauen, in den letzten Wochen und Monaten geschafft, die Abhängigkeit drastisch zu reduzieren. Wir sind von einem Anteil von 35 Prozent von Öl aus Russland auf 12 Prozent heruntergekommen. Das ist das Ergebnis von Arbeit, von planvoller Arbeit, von verantwortungsvollem Agieren dieser Ampelkoalition, meine Damen und Herren. Das ist wirklich eine Erleichterung, wenn es um die Frage geht, wie wir die Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren können. ({1}) Das ist – das will ich hier genauso deutlich sagen – eben auch die Folge von umsichtigem und verantwortungsvollem Agieren. Dazu gehören auch Sanktionen – ganz ohne Frage –, weil wir eben in dem Lichte des Angriffskriegs diese Aggressionen nicht durchgehen lassen können. Völlig klar ist auch – und das ist der Maßstab –: Wir ergreifen Sanktionen, die uns in Deutschland, die uns in Europa nicht härter treffen als Russland. Das ist unser Maßstab. Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Sie können da ruhig den Kopf schütteln. Herr Kotré, ich weiß nicht, ob Sie sich an den peinlichen Moment für Ihre Fraktion erinnern, als wir im Wirtschaftsausschuss über die Sanktionen gesprochen haben. Ihre diesbezügliche Frage wurde ja auch schriftlich beantwortet. ({2}) – Ja, es sind viele peinliche Situationen. – Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Als wir über die Sanktionen im Wirtschaftsausschuss gesprochen haben, war die Frage der AfD-Fraktion, wie wir denn Produkte aus Russland, insbesondere den Hummer, substituieren können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist der Maßstab und die Fragestellung der AfD: wie wir den Hummer aus Russland substituieren. Wir kümmern uns hier um die Energieversorgung für Deutschland und Europa insgesamt. Das ist unser Maßstab, meine Damen und Herren. Wenn wir jetzt auf Schwedt schauen, dann reden wir über eine Raffinerie mit 1 200 Mitarbeitern. Insgesamt sind es 3 000 Menschen, die dort auf dem Gelände direkt oder indirekt beschäftigt sind. Das sind nicht bloß Zahlen, meine Damen und Herren. Das sind 3 000 Jobs und Existenzen. Es ist auch eine Frage der Zukunft einer ohnehin schon gebeutelten Region in Ostdeutschland. Und es ist auch eine Frage der Versorgungssicherheit von Berlin, Brandenburg und einem wesentlichen Teil von Mecklenburg-Vorpommern. Meine Damen und Herren, für uns muss klar sein, in welchen Schritten wir die Frage eines notwendigen Ölembargos insbesondere für die Menschen in der Region, für die Menschen, die bei PCK beschäftigt sind, angehen: Erstens. Wir brauchen Öl aus anderen Quellen. Über die Belieferung aus Rostock, über die Belieferung aus Danzig – vielen herzlichen Dank an die Regierung in Polen für ihre Solidarität – ({3}) sind wir in der Lage, die Versorgung von 70 Prozent des Öls, das in Schwedt raffiniert wird, sicherzustellen. Über 70 Prozent reichen uns, um den Betrieb dieser Raffinerie am Laufen zu halten. Zweitens. Wir haben als Bund gesagt, dass wir die Verluste als Folge dieser reduzierten Menge ausgleichen werden. Das war übrigens, meine Damen und Herren, eine der Bedingungen, die wir als Bundesrepublik gestellt haben, um einem Ölembargo auf europäischer Ebene zuzustimmen: dass wir in der Lage sind, diese Verluste auszugleichen. Drittens. Wir müssen die Frage der Eigentümerschaft, vielleicht sogar die Frage einer Treuhandschaft, dort regeln. Wir wissen, dass Rosneft als russisches Unternehmen, als Mehrheitseigentümer dieser Raffinerie natürlich null Interesse daran hat, unabhängig von russischem Öl zu werden. Deswegen ist es die dritte Aufgabe, die wir haben, die Eigentümerschaft dieser Raffinerie zu klären. ({4}) Und der vierte Schritt, meine Damen und Herren, ist, dass wir Perspektiven aufbauen, dass wir die Raffinerie zukunftsfest machen. Das sind die vier Schritte, denen wir uns verpflichtet fühlen und wo wir verantwortlich sind. Meine Damen und Herren, wir haben die Entscheidung über das Embargo nicht leichtfertig getroffen. ({5}) Es ist eine Entscheidung aus übergeordneter nationaler Verantwortung der Souveränität der Ukraine und den Menschen dort gegenüber. Deswegen – in aller Deutlichkeit, meine Damen und Herren – ist es auch eine Entscheidung, die wir insgesamt als Bundesrepublik Deutschland in Solidarität, in einer großen Verantwortung mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der PCK-Raffinerie, mit den Kolleginnen und Kollegen in der Region auch tragen und verantworten müssen. Es ist keine Entscheidung gegen den Osten, es ist keine Entscheidung gegen die Region.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist eine Entscheidung, mit der wir souverän, verantwortungsvoll und solidarisch umgehen. Herzlichen Dank. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat offensichtlich auch noch einen innenpolitischen Aspekt verbunden mit drei Landtagswahlen, einer Linkspartei in Auflösung, einer AfD im Panikmodus. ({0}) – Nein, Sie flüchten sich hier sehr bewusst in Populismus, um noch zusammenzukratzen, was zusammenzukratzen ist. Das ist doch das, worum es hier heute geht. ({1}) Das ist doch der eigentliche Grund dieser Debatte. Da muss man dann auch etwas klarstellen: Schuld, Verantwortung für das, was passiert, was zu entscheiden ist – im Übrigen auch dafür, dass wir darüber reden müssen, wie es um die Versorgung mit und die Bezahlbarkeit von Energie steht –, trägt einer: Das ist Putin. ({2}) Und dass gerade Sie sich als Linkspartei angesichts von Mord, Vergewaltigung, Raub, angesichts des Überfalls auf ein souveränes Land immer wieder hierhinstellen und eigentlich so tun, als sollte das für Russland, für den Aggressor, folgenlos bleiben, das geht eben gar nicht. ({3}) Den Teil haben wir in Ihrer Rede überhaupt nicht gehört und darum geht es eben auch bei diesen Sanktionen. ({4}) Denn eines ist auch klar: Wir unterstützen die Entscheidung der Bundesregierung, nicht Kriegspartei zu werden. Nicht Kriegspartei zu werden heißt aber nicht, neutral zu sein. Natürlich stehen wir an der Seite des tapferen ukrainischen Volkes. ({5}) Und wir tun das, indem wir Waffen und Unterstützung liefern. Und ja, wir tun das auch durch Sanktionen. Das, was Putin tut, darf nicht folgenlos bleiben. Sie halten hier Reden, als ob es folgenlos bleiben sollte. Das wollen und werden wir nicht akzeptieren. ({6}) Deswegen gehört dazu auch – und das ist die schwierige Lage –, auf die Folgen zu schauen; denn Sanktionen gerade bei Öl und Gas haben Folgen auch für und in Deutschland und für die Bürgerinnen und Bürger. ({7}) Es hat nie jemand bezweifelt, dass das so ist. ({8}) Und diese Folgen tun auch teilweise richtig weh. ({9}) – Es tut übrigens nicht nur, aber es tut ganz besonders weh beim Öl, in Schwedt, in Ostdeutschland. Es tut aber den Bürgerinnen und Bürgern insgesamt in Deutschland und in Europa weh, wenn es um die Bezahlbarkeit beim Tanken und beim Heizen geht. Und die Sorge um Arbeitsplätze gibt es auch in ganz Deutschland. Sie können gerne mal mit mir ins Ruhrgebiet kommen und über die Frage der Gasversorgung reden. Deswegen bringt es hier gar nichts, West gegen Ost auszuspielen. Wir nehmen die Sorgen aller Bürgerinnen und Bürger im Westen wie im Osten sehr, sehr ernst. ({10}) Deswegen geht es ja – diesen Kurs tragen wir mit – um einen schrittweisen Ausstieg. Niemand ist dafür – übrigens auch nicht bezüglich des Ölembargos, das diskutiert wird –, sofort morgen auszusteigen. Wir machen es schrittweise, um auch Alternativen, um eine Perspektive geben zu können. Sepp Müller hat auf etwas sehr Wichtiges hingewiesen. Der Umstand, dass es so wenig Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung gerade in den betroffenen Regionen, wie in Schwedt, gibt, hat etwas damit zu tun, dass beim Kohleausstieg keine Verlässlichkeit bei der Jahreszahl 2038 da ist und dass das Datum nur wenige Monate später infrage gestellt worden ist. Das ist etwas, wo die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbarerweise in den betroffenen Regionen sagen: Wenn ihr es da so schnell infrage stellt, wie sollen wir uns auf die Zusagen, die ihr jetzt gebt, verlassen? – Ich finde, das ist ein sehr berechtigter Punkt, der auch mit berücksichtigt werden muss. ({11}) Wenn man Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen will, dann geht es vor allem auch um einen Plan. Das ist der Teil, den wir kritisieren. Es geht zum einen um einen Plan, um die sozialen Folgen abzufedern. Wir haben heute Morgen schon über die Preise, vor allem über die Energiepreise diskutiert und Steuersenkungen gefordert, um in der Breite und in der Tiefe zu entlasten. Es geht bei den sozialen Folgen aber auch darum, besonders betroffenen Regionen wie etwa in Schwedt zu helfen und ihnen Perspektiven zu geben, so wie es ja auch dargestellt worden ist. Zum anderen – und das will ich dazu sagen – geht es auch um einen Plan für den Umgang mit Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Dieser Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen der SPD, der Grünen, der FDP und der Union vor zwei Wochen die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, einen Ausstiegsfahrplan vorzulegen. Bis heute nichts. Wir hören Interviewäußerungen – auch heute wieder –, man könne durch den Winter kommen ohne Gas. Dann kommen drei große Wenn. Es wird kein Plan vorgelegt: Über wie viel Terawattstunden reden wir? Zu welchem Zeitpunkt, mit welcher Maßnahme soll was entsprechend umgesetzt werden? Es gibt immer nur Interviewäußerungen hier und da, aber keinen durchdachten Plan. Dass man Pläne in einer Krisensituation auch wieder anpassen muss, dass man flexibel sein muss, ist ohne Zweifel klar, aber es bräuchte mal einen Plan, wie wir schrittweise aussteigen aus Öl und Gas, aus der Abhängigkeit, in der wir sind. Das fordern wir seit Monaten ein. Vor zwei Wochen sind Sie uns dabei gefolgt. Der Bundestag hat es beschlossen. Und wenn Sie Glaubwürdigkeit und Vertrauen, auch in der betroffenen Region, zurückgewinnen wollen, dann legen Sie endlich diesen Plan vor. ({12})

Bernhard Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005083, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Breite Einigkeit zumindest dort: Wir müssen der politischen und sozialen Verantwortung gerecht werden gegenüber den Arbeitenden der PCK in Schwedt, gegenüber der Stadt, für die die Raffinerie die zentrale Lebensader ist, und gegenüber den Menschen in Ostdeutschland insgesamt. Und genauso müssen wir unserer Verantwortung gegenüber unseren europäischen Nachbarn gerecht werden und natürlich auch bezüglich des Klimawandels ambitioniert vorgehen. PCK hat eine bewegte Vergangenheit. Seit den 60er-Jahren versorgte sie große Teile der DDR zuverlässig mit Ölprodukten. Durch die wirtschaftlichen Folgen der Wende gingen in der Raffinerie viele Arbeitsplätze verloren. Die Stadt hatte eine Arbeitslosenquote von bis zu 25 Prozent, und die Einwohnerzahl sank rapide ab. Ich verstehe – und das aus eigenem Erleben – die Sorge der Menschen in Schwedt, ihre Angst um ihre eigenen wirtschaftlichen Existenzen, ihre Angst um Stadt und Region. Umso dringlicher ist es doch gerade daher, die Raffinerie endlich auf einen Öllieferstopp vorzubereiten; denn diesen wird es allein schon aus europäischer Solidarität geben müssen. Wir hatten vor zwei Tagen ein Treffen mit jungen Menschen von Fridays for Future Ukraine und Polen. „Every month ten billion euro to the warmachine?“ – jeden Monat 10 Milliarden Euro in die Kriegsmaschinerie? –, fragten uns die jungen Menschen. Auf Erklärung unsererseits – ebenfalls von jungen Menschen – konnten die Polinnen und Polen das dann so leicht verstehen, die Ukrainerinnen und Ukrainer verständlicherweise nicht. Kurz nachdem wir Ostdeutsche uns in der Friedlichen Revolution von der SED-Diktatur befreien konnten, gelang auch den Menschen in der Ukraine der Weg zur Unabhängigkeit. Seitdem haben sie mehrfach auf dem Maidan für Freiheit und Demokratie gerungen, und genau deswegen greift Putin sie an. Es ist der Kampf eines autoritären, inzwischen diktatorischen Systems gegen die Grundlagen auch unserer Gesellschaft. Und, sehr geehrte Damen und Herren der Linken, was bisweilen wieder unter dem Zeichen von Hammer und Sichel daherzukommen scheint, das ist genau das Gegenteil. Putin geht gruselig vor und will konsequent zurück ins Zarenreich. Was denken Sie, warum Sie Beifall von der rechten Seite bekommen? ({0}) Ich zitiere den DGB-Vorsitzenden aus Südwestsachsen ({1}) – Zitate lese ich ab. – Er sagte: Putin war früher angeblich Kommunist, heute schwerreich; zusammengeraubtes Vermögen, Oligarchengünstling. ({2}) Ich vermisste ein Wort zum Angriffskrieg Putins in Ihrer Rede. ({3}) Wir wissen alle sehr genau, dass ein Öllieferstopp mit gravierenden Problemen verbunden sein kann. Wirtschaftsminister Habeck hat Finanzhilfen für PCK in Aussicht gestellt und setzt sich unermüdlich dafür ein, die Probleme zu lösen und sicherzustellen, ({4}) dass auch dort kein einziger Arbeitsplatz verloren geht und von dort weiterhin Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit Ölprodukten beliefert werden. Aber dafür braucht es auch Solidarität, erneut Solidarität aus Polen, nämlich bei der Öllieferung aus Danzig, alles andere als selbstverständlich angesichts der Eigentumsverhältnisse bei PCK. Wir Bündnisgrünen nehmen die Sorgen der Menschen sehr wohl ernst. ({5}) Wir kommunizieren ehrlich mit ihnen und arbeiten an Lösungen. Wir sollten uns davor hüten, uns auf Kosten der Betroffenen zu profilieren, und davon absehen, vorhandene Ängste noch unnötig zu schüren. ({6}) Verfassungs- und europarechtlich untaugliche Steuersenkungen helfen nicht. Regionale Steuersenkungen zu fordern, wo es bisher überhaupt keine Preisunterschiede zwischen Ost und West gibt, ist sachlich grundfalsch. In Europa insgesamt wird verantwortungsvoll mit den Embargofolgen umgegangen. Ein Ölembargo soll erst ein halbes Jahr nach dem Beschluss in Kraft treten und nicht jetzt sofort. Wir als Politik müssen bis dahin gemeinsam mit den Betroffenen alles dafür tun, dass auch in Schwedt die Herausforderungen gemeistert werden. Zu guter Letzt heißt ein verantwortlicher Umgang mit der Raffinerie in Schwedt, anzuerkennen, dass sie endlich einen Plan für Treibhausgasneutralität braucht. In Leuna ist man da viel weiter: Grüner Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe. Wer das nicht unterstützt, wer Angst vor Lösungen hat, wer Angst vor Lösungen stellt, der hat – der Eindruck drängt sich mir leider auf – das Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht wirklich im Blick. ({7}) Minister Habeck und sein Staatssekretär haben sich dem Austausch mit der Belegschaft im Schwedt direkt gestellt. Sie werden das weiterhin tun. Wir weichen schwierigen Fragen nicht aus und arbeiten gemeinsam an Lösungen. Die ganze Region hat Transformationserfahrungen mit industriellem und gesellschaftlichem Wandel. ({8}) Das ist nie einfach; aber das ist ein Erfahrungsschatz, der sogar helfen kann, den Übergang hin zur klimaneutralen Industrie gut zu bewältigen. Wir alle, in Ost und West, stehen hinter den Menschen in der Region und lassen uns nicht spalten. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Lukas Köhler. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bartsch, ich freue mich, dass Sie sich Sorgen um die Laune der FDP machen. Dass Ihnen diese am Herzen liegt, finde ich schön. ({0}) Sie müssen mir noch mal erklären, wie die Vermögensteuer dabei helfen sollte, die Menschen bei solchen Preisentwicklungen, wie sie jetzt durch ein Embargo anstehen, zu entlasten; denn ich habe gehört, dass mehr Steuern selten mehr Entlastung bringen. ({1}) Ich glaube, dass da ein paar neue Ideen von der Linken kommen müssten; ({2}) das würde Ihnen vielleicht auch bei so ein paar Prozentpunkten helfen. ({3}) Die Fragen, die wir uns doch stellen sollten, sind: Warum stehen wir jetzt da, wo wir aktuell sind? Warum ist die Lage so, wie sie ist? Die Lage ist nicht so, weil wir enorme Preisaufwüchse sehen, die Lage ist nicht so, weil wir Probleme in der Verarbeitung von Rohöl sehen, sondern die Situation, in der wir aktuell sind, ist so, weil sich ein Land, ein Machthaber, ein Regime, eine Elite überlegt hat: Wir greifen ein anderes Land völkerrechtswidrig an. Und das ist ein Land, das Sie, meine Damen und Herren von der Linken, ganz explizit unterstützt haben, ({4}) das Sie, liebe Fraktion des Hummers, genauso unterstützt haben. ({5}) Das ist doch das Problem. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen, und das ist der Grund, warum wir überhaupt in dieser Situation sind. ({6}) Reale Politik braucht reale Lösungen; und die liefern wir als Ampel. Wir kümmern uns eben um genau die Fragen und Herausforderungen. ({7}) Wir haben ein riesiges Paket mit Maßnahmen vorgelegt, wie wir die Menschen entlasten. Wir greifen genau das Problem, das hier entstehen wird, gerade ganz explizit mit dem Tankrabatt, der Senkung der Energiesteuer, deren Einführung wir jetzt vorlegen, auf. Das Problem, das bei einem Ölembargo entstehen könnte, ist, dass Preise, insbesondere in dieser Region, in der wir uns gerade befinden, steigen; gerade die Preise für Öl könnten hochgehen. Wenn wir entlasten – übrigens nicht nur über die Absenkung der Energiesteuer, sondern damit auch verbunden über die Mehrwertsteuer, die darauf entfällt –, dann werden die Leute ganz konkret entlastet. Das ist das, was wir kurzfristig richtigerweise tun müssen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass wir den Menschen, die in Schwedt arbeiten, eine Perspektive verschaffen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass eine kontinuierliche Produktion, eine Versorgung mit Treibstoff hier vor Ort gesichert ist. Das funktioniert eben nicht, wenn ein Unternehmen zum größten Teil von Rosneft gehalten wird. Das funktioniert eben nicht, wenn wir unsere eigene kritische Infrastruktur in der Energieversorgung nicht selber kontrollieren können. ({8}) Deswegen ist es richtig, dass das Wirtschaftsministerium, dass die Bundesregierung dafür sorgt, dass wir über das Energiesicherungsgesetz heute eine Möglichkeit haben, unser Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen: ja, auch über Treuhänderschaft, ja, auch über Enteignung. Und ja, es ist nicht schön, das hier als FDPler sagen zu müssen. ({9}) Aber wenn es notwendig ist für die Sicherheit der Menschen in diesem Land, für die Sicherheit unserer Energieversorgung, dann muss auch das manchmal gemacht werden. Meine Damen und Herren, wir haben den Mut, der Realität ins Auge zu blicken. ({10}) Das, liebe Linke, würde ich auch Ihnen einmal empfehlen. Ich glaube, dass das helfen würde. Die Ausnahmeregelung, die Sie als Gegenmaßnahme vorschlagen, Ostdeutschland aus diesen Sanktionen rauszunehmen, ist doch zu kurz gedacht; ({11}) das funktioniert doch nicht, weil Sie dann Preisunterschiede in einem einheitlichen Markt haben, die Sie überhaupt nicht mehr ausgleichen können. Dann haben Sie Probleme mit der Region Westpolen, die aus Schwedt mitbeliefert wird. Was wollen Sie denn da tun? Es ist doch ökonomischer Irrsinn, eine Ausnahme für eine Sonderzone im Osten machen zu wollen. Das hat nicht funktioniert, das funktioniert nicht, und es wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Wir liefern konkrete Lösungen für die Probleme. ({12}) Ja, es braucht eine Zukunft für Schwedt. Klar, wir brauchen die Weiterentwicklung in Richtung synthetische Kraftstoffe, wir brauchen Wasserstoff, wir brauchen in ganz Deutschland erneuerbare Energien. Wir brauchen all das, was wir gerade organisieren und was wir hier vorbringen. Lieber Herr Spahn, eine kleine Anmerkung kann ich Ihnen leider nicht ersparen. Sie haben über den Kohleausstieg 2038 gesprochen. Wir sprechen heute darüber, wie wir Feststellungsverfahren beschleunigen können. Wir organisieren Bürokratieabbau. Aber wenn Sie sagen: „Verlässlichkeit ist notwendig“, dann sage ich Ihnen: „Ja, da haben Sie recht: Verlässlichkeit der Politik ist notwendig. Aber der Verlässlichkeit muss immer die Klugheit vorangehen.“ Einen Kohleausstieg 2038 staatlich festzulegen, obwohl der längst über den Emissionshandel geregelt ist, und dann zu sagen: „Na ja, die klimapolitische Realität holt uns ein; der wird wahrscheinlich früher geschehen“, ist kein Problem von Verlässlichkeit, das ist das Problem von unkluger, schlechter Politik, und die haben Sie noch zu verantworten. Das ist das Problem, vor dem Sie gerade stehen. ({13}) Ich denke, meine Damen und Herren, wir schaffen es als Regierung, die richtigen Lösungen für die Probleme, die vor uns liegen, auf den Weg zu bringen. Perfekt sind wir nicht. Fehler machen wir alle. Aber wir arbeiten ganz real daran, dass es den Menschen jeden Tag ein Stück besser geht und dass Probleme, die es gibt, gelöst werden. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächste hat das Wort die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine ist ein kurzfristiges Ende der Lieferungen von Energie aus Russland nicht ausgeschlossen, weil verschiedene Ursachen, verschiedene Maßnahmen von verschiedenen Seiten dazu führen können, dass dies passiert. Aus aktuellem Anlass, zumal die Dinge sektorübergreifend miteinander zusammenhängen, möchte ich kurz auf das gestern von Russland erlassene Dekret eingehen. Es sanktioniert 31 Unternehmen. Es ist interessant, zu sehen, dass es offenbar nicht auf den Stopp der Versorgung durch Gas zielt, sondern auf die Veranlassung Deutschlands, Gas aus anderen Quellen zu beziehen, was sich natürlich insbesondere preislich auswirkt. Daran sieht man auch, wie instrumentalisierbar Abhängigkeiten sind und dass genau mit diesem Instrument jetzt gespielt wird. Das führt uns noch mal eine neue Dimension im Kontext von Abhängigkeiten vor Augen. Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass alles, was wir an alternativen Gasbezügen auf den Weg bringen, auch Folgen für andere Importländer hat. Wir haben auch eine entwicklungspolitische Verantwortung gegenüber anderen Ländern, die dann auch immer mehr und mehr und mehr zahlen müssen. Deswegen müssen wir dringend etwas gegen die Spekulationen auf Verknappung von Energieressourcen unternehmen – dringend! ({0}) Die Abhängigkeit vom Import von Öl aus Russland konnte immerhin schon von 35 auf 12 Prozent heruntergedrückt werden. Wir erkennen aber, dass wir, wie gerade schon erwähnt, schon vor dem Krieg in allen Sektoren steigende Preise für Energieimporte hatten. Dabei handelt es sich um Preissteigerungen auf dem fossilen Energiemarkt. Das muss immer wieder betont werden: Das ist der fossile Energiemarkt. ({1}) Die Kosten für erneuerbare Energien sinken immer weiter, und wir haben eine Preissteigerung im fossilen Sektor. Die Tendenz zeigt unumkehrbar nach oben, erst recht durch den Krieg. Klar, wir müssen ja auch darauf reagieren. Aber wir dürfen uns nichts vormachen. Auch vor dem Krieg hatten wir schon diese Preisdiskussion. Deswegen müssen wir so schnell es geht umsteigen auf erneuerbare Energien. ({2}) Deswegen ist es konsequent, dass wir heute Morgen weitere Schritte unternommen haben. Mit der Einbringung des großen Osterpakets – es kommt noch ein Pfingstpaket, und es kommen noch weitere Maßnahmen, die nicht unbedingt paketgebunden sind –, ({3}) dessen Kernbestandteil die EEG-Novelle ist, haben wir einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Im Zentrum dieses Pakets steht die Entfesselung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, die Überwindung der Hemmnisse, die Überwindung der ganzen Blockaden. Ich möchte hier einmal erwähnt haben – das wird uns nächste Woche wahrscheinlich noch stärker beschäftigen –, dass die Europäische Kommission auf diesen Zug aufgesprungen ist. Sie wird jetzt verstärkt auf die Förderung erneuerbarer Energien setzen. Sie will auch die Vorrangigkeit der Erneuerbaren kodifizieren und bringt jetzt ein 195-Milliarden-Programm für die nächsten fünf Jahre auf den Weg, um Energieunabhängigkeit mit dem Fokus auf erneuerbare Energien hinzubekommen. Das muss von uns unbedingt unterstützt werden. Da liegt die Zukunft. ({4}) Um es zusammenzufassen: Erneuerbare Energien – das mögen Sie wollen oder nicht – stehen für Konfliktvermeidung, sie stehen für die Beendigung von Erpressbarkeit, sie stehen für Klimaschutz, ({5}) sie stehen für Energiegerechtigkeit, da der Zugang überall möglich ist, sie stehen für heimische Wertschöpfung, ({6}) sie stehen für Arbeitsplätze mit Zukunft. Seit Beginn des Krieges wird auf einen schnellen Stopp der Energieimporte aus Russland hingewirkt; ja, richtigerweise, nichts anderes kann die Konsequenz eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges sein. Aber – ich habe es eingangs schon erwähnt – auch anderweitige Stopps können nicht ausgeschlossen werden. Daher möchte ich kurz auf die öffentliche Anhörung eingehen, die wir als Ausschuss für Klimaschutz und Energie am 9. Mai 2022 durchgeführt haben. Wir hatten 13 Sachverständige aus Wissenschaft und Wirtschaft, von der Bundesnetzagentur und vom Deutschen Gewerkschaftsbund zu Gast. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass die Sorge vor den Auswirkungen weiterer Energieembargos groß ist und sehr deutlich davor gewarnt wurde. Das muss erwähnt werden, weil das von Sachverständigen aus Wissenschaft, Wirtschaft usw. gesagt wurde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das wollte ich abschließend aufgegriffen haben. Das war eine Anhörung im Rahmen des Selbstbefassungsrechts des Ausschusses. Die Redezeit ist beendet. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen hier, weil Krieg in Europa ist. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass die Friedensgespräche aufgenommen werden können. Deshalb reden wir heute auch über das Ölembargo. Es darf keiner davon ausgehen, dass, wenn Krieg in Europa ist, das ohne Folgen bleibt, auch nicht für uns in Deutschland. Wir müssen daher darüber reden, welche Auswirkungen er hat und wie diese Auswirkungen von der Regierung gemildert, abgedämpft werden können. Da fehlt mir einfach das, was auch mein Kollege Spahn vorhin angesprochen hat: die Konsequenz, der Plan und die Umsetzung. Darüber, was wir brauchen, sind wir uns ja einig: höhere energiepolitische Unabhängigkeit und mehr außenpolitische Souveränität. Wir müssen aber aufpassen, dass uns das Ölembargo nicht stärker schwächt als Russland. Deshalb müssen wir zwei Konsequenzen ernst nehmen: Die erste Konsequenz sind die Versorgungsengpässe in Ostdeutschland. Uns muss klar sein: Energie ist die Achillesferse unserer Wirtschaft in Deutschland, aber auch in Europa. Daher brauchen wir dringend einen Plan, wie es weitergehen soll, wie man das gestalten will, und zwar über den Winter hinaus. Es ist zwar schön, dass wir jetzt Reserven haben, aber was kommt danach? Wie will ich die Arbeitsplätze sichern? Wie will ich die Energieversorgung sicherstellen? Dafür brauchen wir ein Gesamtkonzept, und das fehlt mir. Klar gehören die regenerativen Energien mit dazu; aber damit meine ich alle. Wasserkraft gehört genauso mit dazu, auch die regionale Wasserkraft. ({0}) Solarenergie gehört dazu. Windenergie gehört dazu. Dazu gehört aber auch die Überlegung, wie wir weiter mit der Kernenergie umgehen. Macht es nicht vielleicht Sinn, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, um in dieser Zeit der Energieknappheit für Energie zu sorgen? Dazu gehört auch, zu überlegen: Ist 2038 wirklich der richtige Zeitpunkt für den Kohleausstieg? Oder müssen wir schauen, dass wir den Energieengpass mit den Energiequellen, die uns zur Verfügung stehen, beseitigen? Richtig ist auch, dass die Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten sichergestellt werden muss – sprich: Energiesicherungsgesetz –, dass wir eventuell die Treuhand einsetzen können, als Ultima Ratio eine Enteignung möglich ist. Aber, meine Damen und Herren, das sind so starke Eingriffe, dass das Parlament beteiligt werden muss. Schon vor der Umsetzung, schon vor der Planung sollte man, glaube ich, darüber diskutieren, wie Sie das alles sicherstellen wollen. Zweitens – darüber hatten wir heute früh auch schon beim Thema Inflation diskutiert –: Wie gehen wir mit den steigenden Energiepreisen um? Haben wir die Einbrüche in der Industrie im Blick? Wie schaffen wir es, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und der Regionen aufrechtzuerhalten? Hier liefert meines Erachtens die Ampel viel zu wenig. Wir haben Ihnen Entlastungsvorschläge gemacht: Energiesteuer runter, Pendlerpauschale rauf, auch Rentner und Studenten berücksichtigen. Meine Damen und Herren, was für die Opposition gilt, kritisch und konstruktiv zu agieren, das gilt auch für die Ampel. Darum bitte ich Sie: Schauen Sie sich unsere Anträge noch mal an. Das eine oder andere können Sie gerne umsetzen, um die Folgen zu mildern. Unsere Vorschläge sind umfassender, sie sind spürbar und wirkungsvoll für die Menschen vor Ort. Das ist wichtig. Wir haben eine staatspolitische Verantwortung, und die nehmen wir auch wahr. Wir tragen den Kurs mit – Jens Spahn hat es im Vorfeld auch gesagt –, bei den Waffenlieferungen haben wir zugestimmt; aber Sie müssen sich auch bewegen, damit unser Land trotz der Krisensituation weiter vorankommt und wir die sozialen Härten, die es durch die Embargos infolge des Kriegs gibt, abfangen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion und zu seiner ersten Rede gebe ich das Wort unserem Kollegen Jan Dieren. ({0})

Jan Dieren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005041, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den demokratischen Fraktionen! ({0}) Werte Zuschauer/-innen! Heute diskutieren wir über ein Embargo gegen russisches Öl als Reaktion auf den Angriff auf die Ukraine. Ein Ölembargo ist natürlich ein Mittel der Auseinandersetzung mit Russland, aber es ist kein Mittel militärischer Gewalt. Es wirkt aber in beide Richtungen und hätte deshalb auch Folgen hier in Deutschland. Es gibt jetzt sehr unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie und wie hart die Folgen für die Menschen in Deutschland wären. Klar, wenn man nur auf das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland schaut, dann mögen die Folgen noch überschaubar scheinen. Aber wenn wir auf die Lebenswirklichkeit der Menschen in Ostdeutschland blicken, auf die Arbeitsplätze, die Familieneinkommen und die Spritversorgung dort, dann wird klar, dass die Folgen immens wären; das hat mein Kollege Carsten Schneider vorhin ausgeführt. In Ostdeutschland sind heute noch die Einkommen, die Renten und auch die Ersparnisse geringer als in Westdeutschland. Und in ganz Deutschland sorgen sich Menschen gerade um die Folgen des Krieges und der Inflation. Diese Sorgen sind verständlich; in Ostdeutschland sind sie es umso mehr. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abhängigkeit vom russischen Öl, die uns jetzt vor so große Herausforderungen stellt, steht sinnbildlich für unsere Abhängigkeit von fossilen Energiequellen überhaupt. Aus diesen jetzigen Herausforderungen können wir lernen und müssen wir lernen. ({1}) Denn die Unsicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, die viele Menschen jetzt empfinden, gilt ja auch der Zukunft unserer Gesellschaft überhaupt und der Frage: Welche Antworten finden wir eigentlich auf die tiefen Umbrüche, die wir gerade erleben? Natürlich gibt es unvorhersehbare Ereignisse: Nicht jedes Unwetter, nicht jede Pandemie und nicht jeder Krieg sind vorhersehbar. Mit ihren sozialen Folgen müssen wir deshalb im Nachhinein umgehen. Deshalb sind drei Dinge richtig. Es ist erstens richtig, dass wir hier im Bundestag ein erstes Entlastungspaket auf den Weg gebracht haben. ({2}) Deshalb ist es zweitens richtig, dass wir ein zweites Entlastungspaket auf den Weg bringen und dass wir natürlich weiter darüber diskutieren, wie wir mit den sozialen Folgen umgehen, wenn wir auf Rentner/-innen und andere mit sehr geringen Einkommen schauen. ({3}) Deshalb ist es drittens auch richtig, dass wir jetzt und in den nächsten Monaten hier Projekte voranbringen, die die soziale Lage von Menschen dauerhaft verbessern: die Erhöhung des Mindestlohns, das Bürger/-innengeld, die Kindergrundsicherung, die BAföG-Novelle und noch so viel mehr. ({4}) Das hilft Menschen überall, aber natürlich auch und gerade in Ostdeutschland. Als Menschen sind wir lernfähig. ({5}) Wir können lernen, die Natur und ihre Gesetze zu verstehen, sie vorherzusagen und uns an sie anzupassen. Auch gesellschaftliche Entwicklungen, die wir vorhersehen, können wir heute gestalten, bevor sie ihre Folgen zeigen. Wir wissen doch jetzt, dass wir vor so tiefen gesellschaftlichen Umbrüchen stehen. Wir wissen um den Klimawandel. Wir wissen um den Wandel der Arbeitswelt, und wir wissen jetzt auch darum, dass die Welt, in der wir leben, nicht so sicher und friedlich ist, wie das viele geglaubt haben. Auf diese Umbrüche brauchen wir solidarische Antworten. Es kann doch nicht sein, dass Energiekonzerne wie Shell mitten in der Krise 43 Prozent mehr Gewinn machen, während die Menschen an den Zapfsäulen verzweifeln. ({6}) Es kann doch nicht sein, dass Vonovia 1,3 Milliarden Euro an seine Aktionäre und Aktionärinnen ausschüttet, während viele Menschen nicht wissen, wie sie im nächsten Monat die Miete zahlen sollen. ({7}) Es kann doch nicht sein, dass ein Dieter Schwarz mit Lidl sein Vermögen in der Pandemie allein um über 20 Milliarden Euro vermehrt, während gleichzeitig Menschen nicht wissen, ob sie bald noch ihre Lebensmittel bezahlen können. ({8}) Das kann kein solidarischer Umgang mit dieser Krise sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das können wir als Gesellschaft besser. Den Wandel der Arbeitswelt können wir sozial gestalten, wenn wir das im Sinne der arbeitenden Menschen tun. Der Klimawandel ist eine soziale Frage, und wir können eine soziale Antwort darauf formulieren. ({9}) Und wenn sich die bisherige Staatenordnung auflöst, dann kann unsere Antwort nur eine wirkliche Friedensordnung sein, die nicht auf Sand gebaut ist. Das sind große Herausforderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen – größere als die, vor denen wir jetzt stehen. Wenn wir diese Menschheitsaufgaben bewältigen wollen, dann müssen wir aus den Herausforderungen jetzt lernen. Deshalb ist es richtig, dass wir heute über die sozialen Folgen eines Ölembargos für Menschen in Ostdeutschland reden, bevor sie eintreten. Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier bald auch gemeinsam darüber sprechen, wie wir auf die gesellschaftlichen Umbrüche solidarische Antworten finden, solidarische Antworten, durch die Menschen nicht Angst und Unsicherheit empfinden, sondern in den Umbrüchen eine Perspektive auf ein gutes Leben sehen – in Ostdeutschland, in Westdeutschland und anderswo. Das ist unsere Aufgabe. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in unserem Land stehen seit mehr als zwei Jahren vor Herausforderungen und Entwicklungen, von denen sie wahrscheinlich nie gedacht hätten, dass es so kommt. Die Coronapandemie hat alle Menschen getroffen; aber sie hat sie unterschiedlich hart getroffen. Viele haben schlimme Krankheitsverläufe und Tod in den eigenen Familien und Freundeskreisen erlebt, viele haben ihren Job verloren oder in Kurzarbeit gearbeitet, und viele mussten ihre kleinen oder auch größeren Kinder durch Schulschließung und Isolierung begleiten. Gerade für diejenigen, die nicht mit guten und sicheren Einkommen ausgestattet waren und sind, ist die Belastung immens. Jetzt kommt mit den Folgen des Ukrainekriegs noch mehr auf uns zu: Die Preise steigen – nicht nur die Energiepreise, sondern mit ihnen viele andere, vor allem jetzt auch die Lebensmittelpreise. Die Erwartung an uns ist, dass wir helfen und handeln. Das tun wir mit zunächst zwei großen Entlastungspaketen. Wir beschließen heute nicht nur den Sofortzuschlag und die Einmalzahlung, sondern auch Steuerentlastungen, den Kinderbonus und die Energiepreispauschale. Insgesamt entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger mit diesen beiden Paketen um fast 30 Milliarden Euro. ({0}) Wir wollen aber mit unseren Maßnahmen nicht nur aktuell helfen, sondern, wo immer möglich, auch die Weichen für die Zukunft stellen und schnell erste Schritte in diese gehen. Das gilt insbesondere für den Sofortzuschlag für Kinder, die in Armut aufwachsen, die von Grundsicherung leben oder deren Eltern wenig verdienen und deswegen den Kinderzuschlag erhalten. Für sie beschließen wir heute einen monatlichen Aufschlag von 20 Euro. Einmalzahlungen sind wichtige Hilfen. Wo es aber strukturelle Probleme gibt, müssen sie auch strukturell angegangen werden. Deswegen ist diese monatliche Unterstützung für uns auch ein wichtiger erster Schritt hin zu einer Kindergrundsicherung. ({1}) Denn Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen. Sie können nichts für die finanzielle Situation ihrer Eltern. Deswegen werden wir eine eigenständige Leistung für Kinder schaffen, die automatisch ausgezahlt wird, die das Einkommen der Eltern berücksichtigt ({2}) und bei der, anders als bisher, diejenigen, die wenig Geld haben, mehr Unterstützung bekommen als die mit den hohen Einkommen. Corona hat die soziale Spaltung in Bezug auf die Bildungs- und Lebenschancen noch einmal verschärft. Kinder und Jugendliche haben besonders unter der Pandemie gelitten, und sie tun es immer noch. Deswegen bleiben wir auch hier nicht bei einer Geldleistung stehen. Wir nehmen auch Bildung und Teilhabe, Mobilität und Freizeitgestaltung in den Blick. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf. – Wir lassen die Familien eben nicht allein. Niemand darf wegen seiner Kinder arm werden. Jedes Kind in unserem Land muss die gleichen Chancen haben. ({3}) Und wir beschließen eine Einmalzahlung von 200 Euro für alle Erwachsenen, die Grundsicherungsleistungen erhalten, und 100 Euro für Arbeitslose im SGB III und Kinder von Asylsuchenden, die kein Kindergeld erhalten. Das ist erst einmal eine gute Hilfe. Gerade Menschen mit kleinen Einkommen sind besonders stark von den Preissteigerungen betroffen. Sie geben anteilig von ihren Einkommen mehr in den Bereichen aus, die besonders von der Inflation betroffen sind. Deswegen müssen wir auch besonders helfen. Das tun wir mit der 300-Euro-Energiekostenpauschale und mit der Einmalzahlung von 200 Euro für Menschen in der Grundsicherung, damit diese entlastet werden. Aber auch hier brauchen wir langfristig eine strukturelle Antwort und haben uns deswegen mit dem Bürgergeld viel vorgenommen. Sofortzuschlag und Einmalzahlung für die besonders Bedürftigen, insgesamt 30 Milliarden Euro Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger, dann Kindergrundsicherung und Bürgergeld: Wir handeln und werden das auch weiter tun – für einen Sozialstaat auf der Höhe der Zeit. Ich lade Sie ein, den Weg mit uns zu gehen. Glück auf! ({4})

Kai Whittaker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich heute im Kern? Auch hier geht es natürlich wieder um die Inflation, um die steigenden Preise im Land – allein über 7 Prozent im letzten Monat; die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit mehr als 6 Prozent. Was heißt das ganz konkret für den Einkaufszettel der Menschen? Es heißt, dass sie vor einem Jahr mit etwas mehr als 12 Euro das hier kaufen konnten: ({0}) Bananen, Mehl, Käse, Butter, Kartoffeln, Blumenkohl, Tomaten, Brötchen, Gurken, Eier und Milch. Und ein Jahr später können sie für den gleichen Betrag heute nur noch das hier kaufen: ({1}) keine Kartoffeln mehr, keinen Blumenkohl mehr, keine Brötchen mehr, keine Gurken, keine Eier, keine Milch. Das ist die Realität, mit der die Menschen in diesem Land konfrontiert sind. Was man vor einem Jahr in vollen Tüten an zwei Händen nach Hause tragen konnte, kann man jetzt nur noch in einer kleinen Tüte am kleinen Finger nach Hause tragen. Und was machen Sie jetzt? Sie kommen mit Ihrem Entlastungspaket daher, von dem ein Teil der Sofortzuschlag ist. Aber allein schon den Namen „Entlastungspaket“ finde ich eine Zumutung. Es ist eigentlich nur ein Briefumschlag, den Sie da überweisen. ({2}) Dann machen Sie hier ein bisschen was, zum Beispiel mit dem 9‑Euro-Ticket, wo selbst der grüne Verkehrsminister in Baden-Württemberg sagt, dass die Bundesregierung den Ländern jetzt Geld für den öffentlichen Personennahverkehr wegnimmt, um es in das 9‑Euro-Ticket zu investieren. Deshalb können jetzt konkret in Baden-Württemberg über 100 neue Züge für den Nahverkehr nicht gekauft werden; das ist Ihre Politik. ({3}) Sie machen dort dann ein bisschen Tankrabatt. Ich sage Ihnen: Ihr Hilfspaket ist einmalig, weil Sie nur einmalig Hilfen zahlen. Es ist befristet für wenige Monate. Und Sie besteuern auch noch die Leistungen, die Sie den Menschen geben; Sie nehmen sie ihnen wieder weg. ({4}) Darüber hinaus haben Sie auch noch die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner vergessen. ({5}) Liebe Frau Kollegin Schmidt, da reicht es nicht, wenn Sie heute Morgen im „Moma“ dann einfach sagen: Ja, Pech gehabt! Wir hätten es auch gerne anders gehabt; aber es ging nicht. – Sie haben da konkret versagt. ({6}) Jetzt kommen Sie mit dem Sofortzuschlag und mit dem Kinderzuschlag, der im Grunde nach richtig ist, weil wir das als Große Koalition letztes Jahr auch schon gemacht haben. Aber Sie schaffen es noch nicht einmal, die Inflation auszugleichen – das wurde in der Anhörung deutlich –: 30 Euro zu wenig beim Kinderzuschlag, 130 Euro zu wenig beim Sofortzuschlag. Das sind 160 Euro oder – wie man jetzt neuerdings feststellt – so viel wie ein Privatflug im Heli von hier nach Sylt. Liebe Freundinnen und Freunde, so geht das nicht. ({7}) Da muss ich Sie schon fragen: Sie haben Ihren Bazooka-Finanzminister zum Kanzler gemacht. Wo bleibt die Bazooka jetzt? Das ist kein Wumms mehr; das ist maximal ein Rohrkrepierer, den Sie hier vorlegen. ({8}) – Bevor Sie sich noch mehr aufregen: Das sind nicht nur die Worte der CDU/CSU-Fraktion. Das hat sogar der VdK in seiner Stellungnahme gesagt: Dieses Gesetz ist ein – Zitat – „chaotischer Flickenteppich“. Deshalb fordern wir als Union heute noch einmal einen echten Schutzschirm gegen Inflation. Sie müssen die kalte Progression vollständig bekämpfen. Sie müssen die Steuern auf Energie vollständig senken. ({9}) Und Sie könnten auch endlich mal darüber nachdenken, eine gute Idee der Großen Koalition noch mal anzuwenden, nämlich die Senkung der Mehrwertsteuer, ({10}) weil das gerade auch den Geringverdienern massive Entlastung geben kann. Denn es darf nicht sein, dass Lidl Luxus wird. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Audretsch für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Andreas Audretsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005011, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben hier in diesem Haus schon einige Male über das Thema „steigende Energiepreise/ Lebensmittelpreise“ gesprochen, und es passiert immer das Gleiche: Die Kollegen von der Union fordern Steuersenkungen in allen Bereichen. Dann passiert was sehr Interessantes: Wenn man sich die Anträge bei Ihnen anguckt, dann sieht man, dass Ihre Haushälter Ihnen jedes Mal reinschreiben: „Alles unter Haushaltsvorbehalt“, weil Sie nichts finanziert haben, weil Sie keinerlei Ahnung haben, wie Sie das umsetzen wollen, ({0}) weil das nichts mehr mit einer seriösen Finanzpolitik zu tun hat und weil Sie, seit Sie in der Opposition sitzen, vergessen haben, wie man Politik macht. Das, was Sie „Flickenteppich“ nennen, heißt, dass wir ganz konkret Menschen, die es brauchen, Geld zukommen lassen und dass wir es auch noch finanzieren. Das Geld kommt an, und das ist der Unterschied. ({1}) Ganz konkret bedeutet das, dass wir als ganz unbürokratische Hilfe 200 Euro für alle Erwachsenen in der Grundsicherung zahlen. Im Juli kommt das an, dann ist das Geld auf dem Konto, und dann haben die Leute das. Gleichzeitig zahlen wir 100 Euro für Kinder über das Kindergeld. Wir haben dabei auch die Kinder, die kein Kindergeld bekommen, nicht vergessen. Kinder im Asylbewerberleistungsgesetz bekommen genauso 100 Euro, ({2}) weil für uns klar ist an der Stelle: Es gibt nicht Kinder erster und zweiter Klasse. Wir setzen uns als Ampel für alle Kinder in Deutschland ein und haben alle Kinder gleichermaßen im Blick. ({3}) Das, was wir tun, ist nur der Vorbote viel größerer Reformen. Wir haben längst mit der Arbeit an der Kindergrundsicherung begonnen. Wir werden vereinfachen. Wir werden systematisieren. Wir werden entbürokratisieren. Und wir werden das kindliche Existenzminimum ganz neu berechnen. Das braucht ein bisschen, weil wir das anständig und ernsthaft machen; aber wir sind längst dran. Das Gleiche gilt für das Bürgergeld; auch da sind wir an der Arbeit. Wir werden dafür sorgen, dass wir es neu strukturieren, und wir werden gleichzeitig dafür sorgen, dass wir Menschen das zukommen lassen, was sie dauerhaft brauchen, um an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Wir leisten jetzt akute Hilfe, und wir planen die großen Reformen, die dann von der Ampel auf den Weg gebracht werden. ({4}) Ich will zum zweiten wichtigen Punkt in diesem Gesetz kommen. Millionen Menschen müssen fliehen, weil Putin in einem barbarischen Angriffskrieg die Ukraine überfallen hat. Mit diesem Gesetz tun wir etwas, das in Deutschland noch nie zuvor getan wurde: Wir ermöglichen Millionen von Menschen, wenn sie zu uns kommen, ganz direkt in unsere Sozialsysteme zu kommen. Das ist ein Riesenunterschied zu allem, was davor da gewesen ist. Wir verändern gleichzeitig die Wohnsitzauflage so, dass Menschen tatsächlich eine Arbeit finden können, egal wo das in Deutschland ist. Die, die arbeiten wollen, kriegen die Chance. Wir wollen, dass Menschen Teil dieser Gesellschaft werden können. Wir wollen Menschen eine echte Chance geben. So eine Zukunftsgewandtheit und so eine Ernsthaftigkeit in dieser Debatte hat es bislang in Deutschland von einer Bundesregierung noch nicht gegeben. ({5}) Meine Damen und meine Herren, wir schaffen heute beides: Wir schaffen Entlastung für die Menschen in Deutschland, die hier leben, für genau die, die es am meisten brauchen, und gleichzeitig machen wir etwas Neues: Wir schaffen eine Perspektive, die gleichzeitig bedeutet, dass die Menschen, die zu uns kommen, auch im Arbeitsmarkt und in all den Jobs, bei denen wir in der Zukunft Unterstützung brauchen, ankommen. ({6}) Wir als Deutsche werden, wenn wir das so machen, in Zukunft davon profitieren. Auch das ist die Botschaft heute: Wir nehmen die Herausforderung an, und wir wenden sie so, dass sie am Ende gut für uns und für das Land insgesamt wird. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gerrit Huy ist jetzt der nächste Redner für die AfD-Fraktion. ({0}) Sorry; das tut mir leid: die nächste Rednerin.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe mich gefreut; vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich letzte Woche hier zu diesem Gesetz gesprochen habe, hatte ich Sie darauf hingewiesen, dass mehr als jeder Fünfte in Deutschland arm ist. Und schon deshalb halten wir die Einmalzahlungen für die inflationsgeplagten Armen für richtig und auch den Zuschlag für die Kinder. Heute präsentiert sich das Gesetz aber ganz anders; denn ihm wurde ein richtiger Hammer hinzugefügt: die sofortige Aufnahme aller Ukraineflüchtlinge in Hartz IV. Das bedeutet dann 1 000 Euro mehr im Jahr für jeden Flüchtling, nicht einmalig, sondern dauerhaft. Mit der rechten Hand teilt der Staat also einmalig ein Almosen an die schon länger hier lebenden Armen aus. Mit der linken Hand vergibt er gleichzeitig ein dauerhaftes Geschenk an die Ukrainer. Für sie sind die traditionellen Asylbewerberleistungen nicht mehr gut genug. ({0}) Begründet wird das mit der besseren Integration in den Arbeitsmarkt über die Jobcenter. Tatsächlich kommen aber in erster Linie Alte und Mütter mit Kindern. ({1}) Wenn die wirklich hier arbeiten wollen, werden jede Menge zusätzliche Kita- und Kindergartenplätze gebraucht; genügend Betreuungskräfte gibt es schon heute nicht. ({2}) – Unsere Asylbewerber verrecken auch nicht mit dem Asylbewerberleistungsgesetz, oder wollen Sie das behaupten? Dummes Zeug! ({3}) – Frau Präsidentin, können Sie bitte für Ruhe sorgen? So kann ich nicht reden. ({4}) Eine Kostenschätzung für dieses Geschenk liegt seitens der Regierung nicht vor. Stand heute wissen wir, dass knapp 600 000 Ukraineflüchtlinge bei uns im Land sind. Es könnten aber auch deutlich mehr sein; denn es musste sich nur registrieren, wer sich registrieren lassen wollte. Sie sollen jetzt alle Hartz-IV-Leistungen erhalten wie ein deutscher Bürger, der 20 Jahre gearbeitet hat, dann ein Jahr arbeitslos wurde und der einen großen Anteil seiner Hartz-IV-Leistungen selbst erarbeitet hat. Wollen Sie das bestreiten? ({5}) Dieser bekommt nicht mehr als jeder neue Ukraineflüchtling. Ist denn das fair? Wenn der Ukrainer Kinder hat, bekommt er selbstverständlich auch Kindergeld, sogar wenn er gar nicht im Land ist. Das nennt man Anwesenheitsfiktion; denn seine Anwesenheit wird nicht überprüft, so jedenfalls die Bundesanstalt für Arbeit. ({6}) – Ja. – Alle Ukraineflüchtlinge kommen dann auch automatisch in die gesetzliche Krankenversicherung, die chronisch unterfinanziert ist. Denn der Staat zahlt viel zu niedrige Krankenkassenbeiträge für die Hartz-IV-Empfänger; sie decken nicht einmal die Hälfte der tatsächlich anfallenden Leistungen. Das gesamte Defizit beträgt 10 Milliarden Euro im Jahr. Und raten Sie mal, wer dafür aufkommt? Der Beitragszahler! Seit Jahren finanziert er einen Teil der Hartz-IV-Krankenleistungen mit, wurde aber nie dazu gefragt. Dazu passt natürlich ins Bild, dass Minister Lauterbach noch für dieses Jahr weitere Beitragserhöhungen vorausgesagt hat. ({7}) Dieses eine Mal wird Minister Lauterbach wohl recht behalten. Jetzt wage ich auch mal eine Voraussage: Unsere Gerechtigkeitsfanatiker in der Ampel werden sicherlich nicht lange hinnehmen, dass es hier zwei Klassen von Flüchtlingen gibt: ({8}) die alten mit den guten Leistungen und die Ukraineflüchtlinge mit den richtig guten Leistungen. Ist ja irgendwie rassistisch, geht ja gar nicht! ({9}) Daher werden Sie noch in dieser Legislaturperiode ein weiteres Gesetz einbringen: Weg mit dem Asylbewerberleistungsgesetz, ({10}) her mit Hartz IV für alle, die zu uns kommen! ({11}) Geld spielt keine Rolle. Das wäre dann der endgültige Ausverkauf unseres Sozialsystems. Aber schon das heutige Gesetz stellt natürlich einen klassischen Pull-Faktor für neue Flüchtlinge dar, ({12}) erst recht, wenn die Ukraine dann nach jahrelangem Krieg – Außenministerin Baerbock will ja erst mal Putin besiegen – komplett zerstört am Boden liegt. Dieses Signal wird auch andere Länder erreichen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Ende.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ja, letzter Satz –, zum Beispiel die USA, den Anführer unserer westlichen Wertegemeinschaft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Dort lässt man nämlich nur solche Ukraineflüchtlinge ins Land, die einen Bürgen für ihre Kosten nachweisen können –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Ende.

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und rät: Stellt euren Antrag besser in Deutschland. Da geht es leichter. – Genauso ist es.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Gerrit Huy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005091, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jens Teutrine hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Jens Teutrine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005238, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Anmerkung nur zur AfD: Anstatt hier herumzunörgeln, ({0}) dass wir solidarisch mit den ukrainischen Geflüchteten sind, sollten Sie stattdessen mit den Putin-Freunden in Ihrer Fraktion reden. ({1}) Denn der ist verantwortlich für die ukrainischen Geflüchteten, und nicht unsere Solidarität. ({2}) Im Gesetz – vielmehr möchte ich jetzt dazu kommen – geht es darum, dass in Deutschland 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche in Haushalten aufwachsen, die eine Grundsicherung nach SGB II empfangen, umgangssprachlich besser bekannt als Hartz IV. 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche! Für diese Kinder und Jugendlichen, für ihre Chancen im Leben, für ihre Zukunftsperspektiven sind zwei Tatsachen besonders demotivierend: Die erste Tatsache ist, dass es laut einer Studie in Deutschland bis zu sechs Generationen dauert, bis Nachkommen einer Familie sich von einem niedrigen bis zu einem mittleren Einkommen hocharbeiten können. Fast zwei Generationen hinter dem OECD-Durchschnitt! In den skandinavischen Ländern sind es zwei Generationen. Der Traum von Aufstieg durch Leistung ist in Deutschland häufig nur eine Seifenblase. Die zweite Tatsache, die diese 1,7 Millionen jungen Menschen in Haushalten mit SGB‑II-Bezug besonders demotiviert, ist, dass der Bildungserfolg in Deutschland im internationalen Vergleich immer noch maßgeblich und viel zu stark vom Bildungsgrad der Eltern abhängt. Wenn es eine Schnittmenge gibt, die ich bei den Kindern von SGB-II-Beziehern zwischen geringer Qualifikation, geringem Bildungsgrad und SGB-II-Bezug finde, dann bedeutet das für diese Kinder und Jugendlichen eine Falle, nämlich dass sozialer Aufstieg viel zu häufig ein Traum bleibt, dass ihre Biografie im Sozialstaat stecken bleibt, weil sozialer Aufstieg durch Bildung nicht möglich ist, und dass die Abhängigkeit von Sozialleistungen viel zu häufig weitervererbt wird. Hinzu kommt, dass eine weitere Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergeben hat, dass es bei Familien, die Kinder haben und im SGB-II-Bezug sind, doppelt so unwahrscheinlich ist, dass sie den SGB-II-Bezug verlassen. Also: Wenn ich keine Kinder habe, ist es doppelt so wahrscheinlich, dass ich selbst aus SGB II rauskomme. Kinder sind also auch noch eine Chancenbremse für die Erwachsenen, sich selbst aus dem Leistungsbezug herauszuarbeiten. ({3}) Dann kam die Pandemie dazu und hat für diese jungen Menschen, für diese 1,7 Millionen jungen Menschen in Haushalten im SGB‑II-Bezug, noch dazu geführt, dass sie Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, weil die Zahl der Ausbildungsverträge zurückgegangen ist. ({4}) Zudem hat die Caritas erforscht, dass jedes dritte Kind psychisch auffällig ist und dass sich Bildungsungerechtigkeiten verschärft haben. Deswegen handeln wir in der Ampel jetzt auch für diese 1,7 Millionen Menschen, für Kinder und Jugendliche. ({5}) Für diese entscheidet nämlich die Preissteigerung, die jetzt noch zu den Verschärfungen der Pandemie, zu den Chancenungerechtigkeiten, die ich vorhin schon erwähnt habe, hinzukommt, über das Gewicht der Brotdose in der Schulpause. Sie entscheidet darüber, ob ich als Kind in den Sommerferien ins Freibad gehen und einen Ausflug machen kann. Sie entscheidet darüber, ob ich es schaffe, mich rauszuarbeiten oder nicht und die Möglichkeit von sozialer Teilhabe habe. ({6}) Ja, für einige sind 200 Euro mehr oder weniger lapidar. Für einige sind 20 Euro Kinderbonus nicht erwähnenswert. Für einige sind 100 Euro – noch mal ein Sofortzuschlag, den wir im übernächsten Tagesordnungspunkt behandeln – nicht entscheidend. Für eine vierköpfige Familie, ein Paar, das noch zwei Kinder hat, bedeutet dieses Entlastungspaket, das wir jetzt und zwei Tagesordnungspunkte später beschließen, aber 600 Euro Einmalzahlungen und jeden Monat noch mal 40 Euro zusätzlich. Für die bedeutet das: Freizeitmöglichkeit, ja oder nein? ({7}) Ich weiß, es sind keine großen Sprünge bei den aktuellen Preissteigerungen möglich. Aber es ist trotzdem ein Beweis dafür, dass diese Ampel zeigt, dass wir genau diese jungen Menschen in den Blick nehmen, und es ist auch weiter wichtig, dass wir das machen. ({8}) Wir werden – das ist eine Brücke zur Kindergrundsicherung – etwas machen, was Sie nicht gemacht haben – das haben wir heute auch schon gemacht –, nämlich die BAföG-Reform anstoßen. Das haben Sie in der Pandemie nicht gemacht. ({9}) Wir werden eine Kindergrundsicherung für die 1,7 Millionen Kinder und Jugendlichen einführen. Wir werden die Bildungs- und Teilhabepakete so reformieren, dass nicht nur 30 Prozent des Geldes für Nachhilfeunterricht und Sportverein bei den Kindern und Jugendlichen ankommen, sondern dass sie durch ein digitales Chancenportal 100 Prozent abrufen können. Das ist der Unterschied. Wir sind bereit, zu reformieren. Sie halten hier Reden in der Opposition, die nicht mit Ihrem Regierungshandeln in Einklang zu bringen sind. ({10}) Hätten Sie eine dritte Hand, dann hätten Sie sich selbst gefilmt und das als Wahlkampfrede bei Instagram hochgeladen. Ich freue mich auf die weitere Debatte und auf den Beschluss. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Jessica Tatti bekommt jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ampel schlägt Einmalzahlungen für Erwachsene im Sozialleistungsbezug vor: einmal in Höhe von 100 Euro für Coronamehrbedarfe und weitere 100 Euro wegen der hohen Inflation bei Strom und Lebensmitteln. Das ist völlig unzureichend. ({0}) Sie sind alleine schon deshalb unzureichend, weil sie nicht mal die aktuelle massive Inflationsrate ausgleichen. Das sagt Ihnen nicht nur Die Linke, sondern das haben Ihnen bei der Anhörung hier im Bundestag die Wohlfahrts- und Sozialverbände in allergrößter Einigkeit bestätigt. Diakonie, Paritätischer, Familienbund der Katholiken, Zukunftsforum Familie – alle sagen: Die Einmalzahlungen sind viel zu niedrig. – Sie sind zwar besser als nichts, okay. Sie taugen aber nur für eine kurze Übergangslösung. Auch der DGB hat klipp und klar gesagt – ich zitiere –: Wir brauchen einen dauerhaften Zuschlag. Die Regelsätze müssen grundlegend neu ermittelt werden und deutlich angehoben werden, damit sie einen wirksamen Schutz vor Armut bieten. ({1}) Das unterstreichen alle, die nahe dran sind und die die Lebenssituation von Menschen in Hartz IV gut kennen. Hören Sie auf diese Leute! ({2}) Die seit Jahren kleingerechneten Regelsätze lassen sich nicht mit Ihren lumpigen Einmalzahlungen reparieren. Geben Sie sich einen Ruck! Berechnen Sie die Regelsätze neu, ohne Tricksereien! Die Linke hat das gemacht: Inklusive eines Inflationsausgleichs muss der Regelsatz auf ehrliche 687 Euro erhöht werden. So sieht Respekt aus. ({3}) Die Leistung muss doch dafür reichen, dass sich die Menschen nicht Tag und Nacht Sorgen um ihre Existenz machen müssen; denn sie brauchen all ihre Kraft für die Arbeitssuche oder für eine Weiterbildung. Das Ziel muss doch sein, dass die Leute aus Hartz IV kommen, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Es darf nicht sein, sie in Armut zu halten. ({4}) Herr Minister, erhöhen Sie die Regelsätze, verdammt noch mal! ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Bundesminister Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entlasten mit dem gesamten Paket im Umfang von 30 Milliarden Euro Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wir helfen Menschen in der Grundsicherung, wir helfen Familien, wir helfen Kindern, übrigens auch Rentnerinnen und Rentnern. Es ist viel drin in diesem Gesamtpaket. Aber eines will ich deutlich sagen: Ich bin diesem Hause sehr dankbar, dass wir es heute ermöglichen, in doppelter Hinsicht Solidarität zu üben: gegenüber Menschen in unserem Land, die bedürftig sind, gerade in der Zeit der Preissteigerungen, aber auch gegenüber geflüchteten Menschen, die nicht aufgrund eines Pull-Faktors zu uns gekommen sind, Frau Kollegin von der AfD, sondern wegen Putins furchtbarem Krieg. ({0}) Unabhängig davon, dass Ihre Rede nicht von Fachlichkeit geprägt war – es geht nämlich um die Gleichstellung von Menschen, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind und Aufnahme in die Grundsicherungssysteme erlangt haben, mit anerkannten Asylbewerbern; das ist der sachliche Hintergrund –, sage ich Ihnen Weiteres sehr deutlich: Eine Partei, die hier in größeren Teilen die propagandamäßig fünfte Kolonne Moskaus ist ({1}) und geflüchtete Menschen gegen bedürftige Menschen ausspielt, sollte sich schämen und sich nicht an dieser Debatte beteiligen. Das ist unmöglich, was Sie hier machen. ({2}) Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Diese Bundesregierung wird nicht zulassen – denn es geht um doppelte Solidarität –, dass in diesen schwierigen Zeiten Menschen, die Hilfe in Deutschland brauchen, dass einheimische Menschen, die bedürftig sind, gegen Geflüchtete ausgespielt werden. ({3}) Es geht an dieser Stelle um die Frage: Wie kriegen wir es hin, dass die geflüchteten Menschen bei uns aus einer Hand durch die Jobcenter betreut werden? Übrigens stellt sich hier auch die Frage der Solidarität mit den Ländern und Kommunen. Der Bund lässt die Kommunen mit diesem Rechtskreiswechsel eben nicht im Regen stehen. Es ist eine nationale Kraftanstrengung, sich vernünftig und anständig um die geflüchteten Menschen zu kümmern. Ja, wir verbessern ihren Krankenversicherungsschutz – das ist auch richtig so –, und wir sorgen dafür, dass sie eine Perspektive auf dem deutschen Arbeitsmarkt bekommen. ({4}) Ich sage Ihnen: Es ist vernünftig, dass wir in diesen Zeiten auf der einen Seite Solidarität organisieren, dass wir für die Menschen, die von Preissteigerungen betroffen sind, Härten abfedern, und dass wir auf der anderen Seite dafür sorgen, dass Europa und auch Deutschland ihrer nachbarschaftlichen Pflicht gerecht werden, anständig mit geflüchteten Menschen umzugehen. Und wir haben gehandelt. Wir haben in Europa dafür gesorgt, dass, anders als in anderen Krisen, die Menschen in allen europäischen Mitgliedstaaten einen Schutzstatus bekommen. Durch diesen Status durchlaufen sie eben kein Asylverfahren. Sie kämen ja nie aus der Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz raus; auch das wissen Sie nicht. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Übergang in die Grundsicherungssysteme organisieren, dass wir die Berufsanerkennung voranbringen, dass wir Kinderbetreuung organisieren, dass wir den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch ermöglichen. ({5}) Das ist es, was diese Koalition macht. Union, entschuldigt bitte: Ich durfte ja in der letzten Legislaturperiode mit dieser Fraktion zusammenarbeiten; ({6}) wir haben an der einen oder anderen Stelle durchaus sozialen Fortschritt hinbekommen. Aber ich kann mich erinnern: Bei jeder Verbesserung im sozialen Bereich musste meine SPD-Fraktion das hart gegen die CDU erkämpfen. ({7}) Das war bei der Grundrente so, das war bei Hilfen für Grundsicherungsbezieherinnen und ‑bezieher so, das war beim Mindestlohn so – jedes Mal. ({8}) Wenn man sich jetzt in der Opposition hinstellt und „Mehr! Mehr! Mehr!“ fordert, dann, finde ich, sollte man mit Herrn Merz die Vergangenheit der CDU mal aufarbeiten. ({9}) An dieser Stelle ein klares Bekenntnis: Die Entlastungspakete, die wir jetzt auf den Weg bringen, helfen konkret den Menschen in einer schwierigen Lebenssituation. Wenn die Preissteigerungen länger anhaltend sind, dann werden wir strukturell weiter entlasten müssen. ({10}) Das wird auf dem Weg des Bürgergeldes zu diskutieren sein; das betrifft auch anderes, was wir für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Weg bringen. Übrigens ist es wichtig, dass der Mindestlohn ab 1. Oktober auf 12 Euro steigt. Auch dafür werden wir als Koalition sorgen. ({11}) Damit beweist diese Koalition: In schwierigen Zeiten können sich die Menschen in diesem Land auf den Sozialstaat verlassen. ({12}) Das ist unsere Politik. Was ist Ihre? Herzlichen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Dr. Ottilie Klein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 600 000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg zu uns gekommen. Sie fliehen vor Bomben, sie fliehen vor Leid, sie fliehen vor Schrecken. Sie kommen in ein für sie fremdes Land, und das Erste, was sie in Deutschland sehen und erleben, ist die große Hilfsbereitschaft der vielen Ehrenamtlichen. ({0}) Egal ob an den Bahnhöfen oder in den Aufnahmeeinrichtungen, überall engagieren sich die Menschen in unserem Land. Dafür danke ich, dafür danken wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihnen von Herzen. ({1}) Die ehrenamtlichen Helfer leisten einen unschätzbaren Beitrag, und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden zeigen großartigen Einsatz. Es ist richtig, dass der Bund sich hier stärker beteiligt. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen wir ausdrücklich den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. Wir begrüßen, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch erhalten. Wir begrüßen, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge einen einfacheren Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Mit Blick auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Rechtskreiswechsel ist aber auch festzustellen: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Viele Fragen sind noch offen, insbesondere mit Blick auf die Umsetzung. Genau deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, um Fehler beim sogenannten Rechtskreiswechsel zu vermeiden. ({2}) Das Gesetz schafft in seiner derzeitigen Fassung unnötigen bürokratischen Mehraufwand für Menschen, die gerade erst vor Krieg geflohen sind. Wir haben die ganz große Sorge, dass durch den Übergang von 600 000 Menschen in die Grundsicherungssysteme innerhalb kürzester Zeit ein enormer Verwaltungsaufwand entsteht. Wir haben auch große Sorge, dass die Wohnsituation vieler Geflüchteter aufgrund des Übergangs ins SGB II ungewiss werden könnte. ({3}) Auch eine gerechte Verteilung ist nach derzeitigem Stand nicht gegeben. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, dass sowohl Geflüchtete als auch Kommunen und Länder mit dem Rechtskreiswechsel nicht überfordert werden. Wir erwarten vom Bund, dass die technischen und die rechtlichen Voraussetzungen für die Datenmigration geschaffen werden. ({4}) Hier braucht es deutlich mehr Unterstützung von Bundesseite für die zuständigen Behörden. Das gilt nicht nur hier. Herr Bundesminister, Sie haben die Kinderbetreuung angesprochen. Ich konnte dazu nichts in dem Gesetzentwurf finden. Deswegen jetzt hier mein Appell: Bitte vergessen Sie die Kinderbetreuung und die Schulen nicht! Denn die, die zu uns kommen, sind zum großen Teil Frauen und Kinder. Auch hier dürfen Länder und Kommunen nicht alleine gelassen werden. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie kommen zum Ende, bitte.

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sehr gerne zum Schluss. – In der jetzigen Situation kommt es vor allen Dingen auf schnelle und unbürokratische Hilfe an. Da würde ich mir wünschen, dass sich die Bundesregierung bei den Helferinnen und Helfern, –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Ottilie Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– die schnell und unbürokratisch helfen, ein Beispiel nimmt. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Linda Heitmann hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Eine krebskranke Frau flieht aus der Ukraine. Wochenlang muss sie in Berlin auf Behandlung warten. Ihr Schicksal ist kein Einzelfall …“ So beginnt diese Woche eine Reportage auf „Zeit online“, und sie könnte aktueller nicht sein. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt handeln und mit diesem Rechtskreiswechsel konkrete Verbesserungen für ukrainische Geflüchtete mit Krebs, Tuberkulose, Hepatitis, HIV oder auch Anspruch auf eine Substitutionstherapie beschließen. Das sind Menschen, die dauerhaft Anspruch auf eine gute medizinische Versorgung haben, die auf sie angewiesen sind. Die müssen wir ihnen in diesem Lande auch bieten können. ({0}) Meine Damen und Herren, als Gesellschaft haben wir mittlerweile Erfahrung damit, vor Gewalt und Krieg Geflüchtete in unserem Land zu integrieren und auch angemessen zu versorgen. Aber die Menschen, die jetzt zu uns kommen, unterscheiden sich von den Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren gekommen sind. Ja, es sind Frauen und Kinder, es sind aber auch viele alte Menschen. Es sind Menschen mit Behinderung, es sind Waisen, die vor diesem schrecklichen Krieg nach Deutschland fliehen. Gerade diese Menschen haben doch das Recht auf eine kontinuierliche gesundheitliche und auch pflegerische Versorgung, nicht nur in Notfällen, sondern dauerhaft. Das ist dringender denn je. ({1}) Wir setzen heute den MPK-Beschluss um, wonach die Geflüchteten aus der Ukraine ab dem 1. Juni nicht nur Anspruch auf Grundsicherung haben, sondern auch auf eine vernünftige Gesundheitsversorgung, die durch die Krankenkassen finanziert wird. ({2}) Ich muss sagen: Ich bin sehr froh über das schnelle und politisch breit getragene Handeln, ({3}) das wir hier an den Tag legen. Ich möchte aber, dass wir da nicht stehen bleiben. Das nächste Projekt aus dem Koalitionsvertrag, das wir jetzt angehen müssen, ist, Sprachmittlung als gesetzlichen Anspruch ins SGB V zu bringen. ({4}) Denn nur wer sich beim Arzt verständlich machen kann und wer versteht, was ihm erzählt wird, kann vernünftig und adäquat behandelt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich freue mich daher sehr, dass die Ampel hier Beschlüsse gefasst hat und wir in diesem Punkt vorankommen –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Heitmann!

Linda Heitmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005078, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– und dass wir wirklich eine gute Gesundheitsversorgung für alle schaffen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Heidi Reichinnek. ({0})

Heidi Reichinnek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Butter kostet gerade 3 Euro – nur ein Beispiel für Lebensmittelpreise, die durch die Decke gehen. In Deutschland wächst bereits jetzt jedes fünfte Kind in Armut auf. Für diese Familien ist die Inflation ein Grund zur Panik. Ein Kindersofortzuschlag, der auch was bringt, ist also zwingend notwendig. Sozialverbände sagen klar, dass Kindern bei der Berechnung der Sozialleistungen 78 Euro vorenthalten werden. Das war schon vor Corona so. Das auszugleichen, wäre doch das absolute Minimum, was ein Kindersofortzuschlag leisten muss. ({0}) Hinzu kommen nun seit Monaten Mehrbedarfe und Preisexplosionen. 100 Euro fordern wir deswegen rückwirkend zum Januar. Das wäre ein erster Schritt im Kampf gegen Kinderarmut. ({1}) Aber wofür klatscht sich die Ampel jetzt auf die Schulter? Für 20 Euro. Ist das Ihr Ernst? Ich zitiere Minister Heil: 20 Euro, das klingt für viele Menschen, vor allen Dingen auch hier im Deutschen Bundestag, die viel mehr verdienen, ziemlich wenig. Es ist ziemlich wenig. ({2}) Aber netter Versuch, die Kritik an der Höhe abzuwürgen! Mal ehrlich: Wenn 20 Euro ab Juli wirklich Ihr großer Wurf zur Bekämpfung der Kinderarmut ist, dann wünsche ich Ihnen allen, dass Sie niemals arm werden und auf eine Regierung wie diese angewiesen sind. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Rasha Nasr. Sie hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! ({0})

Rasha Nasr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für den Glückwunsch. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Koalition hat sich auf den Weg gemacht, unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt zu respektieren und allen Menschen, die Hilfe brauchen, auch wirklich zu helfen. Ich habe in den Jahren 2016/17 erst als Asylkoordinatorin, später als Integrationsbeauftragte im sächsischen Freiberg gearbeitet und durfte in dieser Zeit Asylsuchende auf ihrem Weg in ein neues Leben bei uns in Deutschland begleiten. Und glauben Sie mir: Das war nicht immer einfach, vor allem für jene, die zu uns geflüchtet sind. In einem fremden Land anzukommen, eine fremde Sprache zu lernen, erst mal nicht arbeiten zu dürfen, mit völlig fremden Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung ohne Privatsphäre zu wohnen, das ist alles kein Zuckerschlecken. Und glauben Sie mir: Niemand, wirklich niemand sucht sich das freiwillig aus; denn eine Flucht ist niemals freiwillig. ({0}) Ich hoffe inständig, dass niemanden von uns je so eine Situation ereilt; denn wir tun ja gerne so, als sei das alles ganz weit weg, als hätte das alles nichts mit uns zu tun. Wir merken aber dieser Tage sehr schmerzlich, wie nah so eine Situation auf einmal sein kann. Deshalb ist mir das Folgende besonders wichtig: Menschen im Asylbewerberleistungsgesetz sind keine Nummern im System; sie sind Menschen. ({1}) Sie haben harte Schicksale hinter sich und sind teils schwer traumatisiert. Sie haben ihr Zuhause, ihre Familien, ihre Freunde und Freundinnen verloren. Sie haben Dinge erlebt und gesehen, die sie nie wieder loswerden. Sie haben Kinder, die zuerst gelernt haben, was Krieg und Tod bedeuten, bevor sie gelernt haben, was es überhaupt heißt, zu leben. Asylsuchende sind Menschen wie Sie und ich, und sie haben unseren Respekt verdient. ({2}) Mit der heutigen Lesung des Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetzes nehmen wir sie endlich auf, die über 380 000 Menschen, die bei uns Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Das war nicht einfach, und deswegen möchte ich an dieser Stelle meinem Kollegen Martin Rosemann und allen voran meiner Kollegin Annika Klose danken, die dafür gesorgt haben, dass dieser Personenkreis im vorliegenden Gesetzentwurf bedacht wird. Vielen Dank dafür! ({3}) Denn für die Menschen im Leistungsbezug ist das ein unglaublicher Gewinn. 200 Euro bedeuten gerade hier eine kleine Welt. Jeden Monat 20 Euro zusätzlich für die Kinder, das mag wenig klingen – wir haben es gerade wieder gehört –, kann aber sehr viel bewirken; denn es kann genau dieses eine zusätzliche Spielzeug sein, mit dem ein Kind die nächsten Jahre spielen wird und kurz dem eigenen Trauma entfliehen kann. Vielleicht denken Sie mal so rum. ({4}) Deshalb ist es richtig, dass diese Regierung alle Menschen im Leistungsbezug ungeachtet ihrer Herkunft mit dem Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz bedenkt. Und erlauben Sie mir, mit nicht weniger als Artikel 1 unseres Grundgesetzes zu schließen – liebe AfD, bitte passen Sie auf –: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht: Die Würde der deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ist unantastbar. ({5}) Das gilt auch für jene, die mal deutsche Staatsbürger werden wollen. Mit der Aufnahme der Asylsuchenden in dieses Gesetz sagen wir ganz klar: Wir sehen euch und unterstützen euch. Genau das ist der Geist dieser Koalition. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Detlef Seif hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Huy, es ist unfassbar, mit welcher Gefühlskälte gegenüber ukrainischen Flüchtlingen Sie vorhin gesprochen haben. ({0}) Wir haben es hier doch mit unermesslichem Leid zu tun, welches der russische Angriffskrieg den Menschen in der Ukraine zugefügt hat. Und deshalb ist es richtig, dass wir unbürokratisch sagen: Es werden hier Leistungen nach SGB II und SGB XII gewährt. Das ist richtig, und das ist ein wirklich starkes Signal in Richtung Ukraine und in Richtung der Menschen. ({1}) Die Ampelkoalition geht, wenn man sich den Text anguckt, weit über das hinaus, was die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen hat. So sollen die Leistungen nicht nur für die ukrainischen Flüchtlinge erfolgen. Vielmehr hat man das abstrakt ausgedrückt und auf alle Anwendungsfälle der Massenzustrom-Richtlinie bezogen. Da muss der Eindruck entstehen, Sie wollten Pflöcke für das Asylrecht insgesamt einschlagen. Wir haben bisher hohe Anreize, die unser System aufgrund der verfassungsrechtlichen Grundlagen, die auch das Bundesverfassungsgericht definiert hat, schafft. Die Asylbewerberleistungen sind im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten schon jetzt exorbitant hoch und verursachen Pull-Effekte. Wir sollten alles unterlassen, das in Zukunft in die falsche Richtung zu bringen, meine Damen und Herren. ({2}) Der Gesetzentwurf sieht auch neue Ausnahmetatbestände bei der Wohnsitzregelung nach § 12a Aufenthaltsgesetz vor. Die Wohnsitzregelung soll die nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und eine gleichmäßige Verteilung auf die Bundesländer fördern. Bislang ist eine Ausnahme von dieser Regelung möglich, wenn eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit nachgewiesen wird und der Unterhalt sichergestellt ist; auch bei Ausbildung und Studium ist eine Ausnahme möglich. Sie erweitern den Ausnahmekatalog jetzt um einen Integrationskurs, um einen Berufssprachkurs, um eine Qualifizierungsmaßnahme. Merken Sie nicht, was Sie tun? ({3}) Sie entwerten die Wohnsitzregelung vollkommen, und das erhöht das Risiko der Belastung für Bundesländer und einzelne Kommunen. ({4}) Meine Damen und Herren – das gilt Ihnen; hören Sie gut zu! –, in der Krise soll man helfen. Dieser Verpflichtung sind wir uns alle bewusst. Aber nutzen Sie die Krise nicht, um grundsätzliche Dinge in der rechtlichen Struktur unseres Asylgesetzes so zu verändern, dass uns das nachher auf die Füße fällt! ({5}) Dieses Vorgehen verdient deutliche Kritik. ({6}) Die Union unterstützt den vorliegenden Gesetzentwurf; das werden wir in der nachfolgenden getrennten Abstimmung auch deutlich machen. Aber wegen des unbegrenzten Rechtskreiswechsels und auch wegen der Ausnahmetatbestände bei der Regelung zur Wohnsitzauflage können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Weltpolitik, aber auch unsere nationale Politik grundlegend verändert. Wir spüren das in fast jeder Debatte hier, auch in dieser Sitzungswoche. Die brutale Dimension dieses barbarischen Krieges verlangt nach einer raschen, besonders deutlichen und konsequenten Antwort der Völkergemeinschaft. Neben der Unterstützung der Ukraine in ihrem Freiheitskampf durch Waffenlieferungen sind Wirtschaftssanktionen und ähnliche Maßnahmen die wichtigste und die potenziell wirksamste Reaktionsmöglichkeit unseres Rechtsstaats auf die russische Aggression. Es reicht deshalb nicht, wenn wir im Verbund der Europäischen Union Sanktionen nur aussprechen; sie müssen in den einzelnen Mitgliedstaaten auch mit klarer Kante durchgesetzt werden. Bislang haben sich die Sanktionen in unserem Land aber zu einem nicht unerheblichen Teil als zahnloser Tiger erwiesen. Andere Staaten wie Italien gehen hier viel konsequenter und damit auch erfolgreicher vor. Beispielsweise hat auch ein Gericht auf den Fidschi-Inseln jüngst die Beschlagnahme einer Oligarchen-Superjacht angeordnet, nachdem die Vereinigten Staaten das Land darum ersucht hatten. Unterdessen können in Deutschland aufgrund unklarer Zuständigkeiten, aufgrund fehlender Ermächtigungsgrundlagen Oligarchen mit ihren Flugzeugen oder Jachten immer noch das Weite suchen. Wenn unsere Sanktionsmaßnahmen bei den betroffenen russischen Oligarchen nur ein müdes Lächeln auslösen oder wenn wir gar zum sicheren Hafen für Putins Wirtschaftsfreunde werden, dann wollen jedenfalls wir in der Union das nicht hinnehmen, meine Damen und Herren. ({0}) Es ist schon einmal gut, dass die Ampelkoalition nun endlich einen eigenen Gesetzentwurf zur besseren Sanktionsdurchsetzung vorlegt; mir ist jedoch nicht ersichtlich, warum man die Debatte darüber in die späten Abendstunden verlegt. Sie machen damit zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Mit unserem Antrag zeigen wir Ihnen allerdings, was wirklich nötig ist, damit die Sanktionen spürbar und wirksam werden. So können Vermögenswerte wie teure Häuser oder Schiffe der russischen Oligarchie in unserem Land bislang lediglich nicht veräußert oder anderweitig gegen Geld verwertet werden; aber sie können weiterhin ungestört genutzt werden. Wir wollen die Eigentümer von jeglicher, auch unentgeltlicher, auch privater Nutzung definitiv und konsequent ausschließen. ({1}) Wir sehen hier auch einen offensichtlichen Widerspruch: Wenn Geldvermögen in keiner Form mehr genutzt werden können, ist es weltfremd, bei Realwerten noch künstlich zwischen verbotener Verwertung und erlaubter Nutzung zu unterscheiden. Das ist ja geradezu die Einladung zum Unterlaufen der Sanktionen. Wie sollen denn unsere Behörden etwa feststellen, ob eine Jacht zu einem privaten Segeltörn einen Hafen verlässt oder um im Ausland ungestört verkauft zu werden? Nur wenn wir wie etwa in Italien die Eigentümer von jedweder Nutzung ausschließen, werden die Sanktionen in Deutschland erfolgreich sein. ({2}) Meine Damen und Herren, gerade bei Luxusimmobilien in mutmaßlich russischer Hand brauchen wir mehr Klarheit und Transparenz über die Eigentumsverhältnisse. Deswegen muss der Bundesjustizminister als zuständiges Ressort jetzt endlich auf die Länder zugehen, um sie wirksam bei einer schnelleren Umsetzung des Datenbankgrundbuchs zu unterstützen. Das steht seit, ich glaube, acht Jahren im Bundesgesetzblatt. Die Umsetzungsfrist ist in der Tat noch nicht ausgelaufen; aber jetzt müssen wir wirklich einen Zahn zulegen. Das muss auch mit Unterstützung des Bundes passieren; da kann man nicht einfach auf die Länder verweisen. Das ist auch unsere Verantwortung als Bund, hier zu unterstützen, hier zu helfen. ({3}) Die Große Koalition hat in der letzten Wahlperiode bei der Bekämpfung der Geldwäsche schon einiges erreicht. Das waren wirklich Quantensprünge, die wir ins Gesetz geschrieben haben. Aber auch da gibt es noch einiges zu tun. Wir wollen etwa eine Geldwäscheverdachtsdatenbank einrichten, die vor dem Abschließen von Immobiliengeschäften vom Notar heranzuziehen ist. Und wir wollen Schluss damit machen, dass Immobiliengeschäfte mit Bargeld abgewickelt werden können. Die allermeisten Menschen in diesem Land kaufen maximal einmal, wenn überhaupt, in ihrem Leben ein Haus oder eine Wohnung. Sie erwarten bestimmt nicht, dass sie das mit einem Geldkoffer in der Hand machen können. Meine Damen und Herren, uns ist ferner wichtig, dass wir auch den Medienorganisationen, die der russische Staat zum Zweck der Kriegspropaganda in Deutschland lenkt, die materielle Arbeitsgrundlage entziehen. Wenn russische Nachrichtendienste bestimmen, was gesendet wird, wenn Internet-Trolle ihre zynischen Fake News von Berlin aus nach Deutschland und in viele andere Teile der Welt schicken, dann geht es dabei nicht um Pressefreiheit, sondern dann müssen wir das konsequent stoppen. ({4}) Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Sanktionen vor dem Hintergrund eines nahezu beispiellosen Völkerrechtsbruchs und der nicht enden wollenden russischen Kriegsverbrechen für ihre volle Wirksamkeit nicht nur ökonomisch spürbar sein müssen. Der Zweck ist ja gerade, dass sie dem russischen Volk insgesamt zeigen, dass seine politische Führung international vollkommen geächtet ist und dass seine politische Führung ihr Land in die absolute Isolation führt. Genau deshalb sieht unser Antrag auch vor, dass wir die Ruhegehälter von ehemaligen Regierungsmitgliedern streichen, wenn sie genau diese Ächtung von Aggressoren unterlaufen, wie aktuell Gerhard Schröder, der für den Kriegstreiber im Kreml immer noch öffentlich Verständnis zeigt. Diese Kumpanei kann nicht mit deutschen Pensionsansprüchen ausgestattet werden. ({5}) Das Verhalten dieses Altkanzlers schadet dem Ansehen Deutschlands massiv, ({6}) auch weil es geeignet ist, die wichtige psychologische Wirkung unserer Sanktionen abzuschwächen. Ein letzter Gedanke: Man kann sich eben nicht gleichzeitig von Putin aushalten und vom deutschen Steuerzahler alimentieren lassen. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über unsere Reaktionen auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führen wir hier im Hohen Haus jede Menge Diskussionen, auch diese Woche. Es geht um die Frage von Energielieferungen, es geht um die Frage von Waffenlieferungen, es geht um die Einheit innerhalb Europas; aber wir reden auch über die wirtschaftliche Perspektive dieses Konflikts. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir hier auch frühzeitig entschiedene Sanktionen gegenüber Russland erlassen haben. Jetzt geht es natürlich auch darum, diese Sanktionen durchzusetzen. Wir begrüßen durchaus den Antrag der Unionsfraktion, die genau dies fordert. Sie fordert die Bundesregierung auf, tätig zu werden. Das ist gut und richtig. Ich freue mich – ich schaue zur Kollegin auf der Regierungsbank –, dass die Bundesregierung genau das bereits getan hat. Wir als Ampelkoalition haben in dieser Woche das erste Sanktionsdurchsetzungsgesetz in den Bundestag eingebracht. ({0}) Wir haben es gestern im Finanzausschuss diskutiert und werden es heute – ich gebe es zu, Herr Kollege, zu später Stunde – auch hier gemeinsam diskutieren. Wir müssen – das ist richtig – beispielsweise bei Immobilien in Deutschland für Aufklärung sorgen, die russischen Oligarchen gehören, bei denen die Eigentumsverhältnisse aber möglicherweise über Familienmitglieder verschleiert werden, über windige Konstruktionen. Da brauchen wir – vollkommen richtig – mehr Transparenz. ({1}) – Ein Immobilienregister wäre eine hervorragende Sache. ({2}) Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam als Ampelkoalitionäre genau das bereits im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Deswegen wird es das auch geben. Der Antrag der Union – das hat mich dann doch ein bisschen überrascht – vollzieht an ganz vielen Stellen eine 180-Grad-Kehrtwende. ({3}) Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke, dann wäre Ihre Reaktion auf ein Immobilienregister mit Sicherheit gewesen: Das ist überbordende Bürokratie, das stellt Immobilienbesitzer unter Generalverdacht. – Das wäre so die Klaviatur gewesen, die man normalerweise von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, erwartet hätte. Aber es ist auch schön, dass so etwas Schlimmes wie dieser aktuelle Konflikt – der Krieg Russlands gegen die Ukraine – bei Ihnen zu einem Positionswechsel geführt hat. Deswegen unterstützen wir das auch und werden vieles davon in unseren Gesetzentwurf aufnehmen. ({4}) Was ich auch durchaus spannend finde, ist, dass Sie in Zukunft den Immobilienerwerb mit Bargeld verbieten wollen. Auch das ist, finde ich, eine hervorragende Idee. Aber auch da muss ich sagen: Sie haben sich hier doch immer als die großen Verteidiger des Bargelds aufgeführt, ({5}) und jetzt wollen Sie den Leuten ans Bargeld. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange dieser Mut am Ende halten wird. Aber wir nehmen Sie da sehr gerne beim Wort. Bei der Durchsetzung der Sanktionen haben wir in Deutschland eine schwierige Situation – das ist klar –; das ist einmal wieder dem Föderalismus geschuldet. Ich kann Ihnen da leider nur zustimmen, Herr Kollege Krings. Wir haben 16 Bundesländer, die an dieser Stelle auch viele Zuständigkeiten haben. Wir sagen ganz klar: Es braucht bei der Sanktionsdurchsetzung am Ende auch klare Bundeszuständigkeiten – das ist leider, wie so oft, nicht ganz so einfach; wir sind dran –; aber am Ende des Tages muss auch klar sein, dass Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Das werden wir in unserem Gesetzentwurf, den wir heute Abend einbringen, auch noch einmal klarziehen. Am Ende des Tages ist eine konsequente Durchsetzung der Sanktionen ein wichtiger Beitrag im Kampf der Ukraine gegen Russland und auch eine ganz klare Warnung für alle zukünftigen Aggressoren. Ich glaube, das muss jeder, der in Zukunft Ähnliches plant, auf dem Zettel haben: Es wird eine scharfe, eine klare, eine entschiedene Reaktion all derer geben, die diese Sanktionen am Ende durchsetzen. Ich hoffe, dass wir in Deutschland bei der Durchsetzung von Sanktionen auch an der Spitze stehen werden. Herzlichen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Das Wort erhält für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die CDU/CSU trifft da durchaus den Nagel auf den Kopf. Aber es ist, wie es der Kollege Zimmermann angedeutet hat: Das stellt eine 180-Grad-Wende der CDU/CSU in vielen Themenbereichen, die ich hier abarbeiten möchte, dar. Aber der Reihe nach. Bereits im Juni 2020 hat die Europäische Kommission eine Stellungnahme herausgegeben, wie beim Einfrieren von Vermögenswerten in der EU agiert werden soll. Das Bundesfinanzministerium definiert auf dieser Grundlage das Einfrieren von Vermögenswerten als „Verhinderung der Verwendung von wirtschaftlichen Ressourcen für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen“. Das bedeutet, dass – Sie haben es beschrieben – beispielsweise eine Villa weiterhin bewohnt werden darf; sie darf allerdings nicht verkauft, vermietet oder grundbuchrechtlich belastet werden. Erst wenn der Eigentümer der Villa gegen dieses sogenannte Verfügungsverbot verstoßen würde, beispielsweise indem er versucht, die Immobilie zu veräußern, kann diese beschlagnahmt werden. Auch wenn es einen konkreten Strafverdacht im Zusammenhang mit der Immobilie gibt, kann im strafrechtlichen Sinne und Verfahren die Immobilie eingezogen werden. Ansonsten – das ist auch gut so – gibt es nach dem aktuellen Recht in Deutschland keine Möglichkeit, dem auf der Sanktionsliste benannten Eigentümer tatsächlich die Nutzung zu verbieten. Im Gegensatz dazu, verehrte Kollegen der CDU/CSU, nehmen Sie in Ihrem Antrag ein komplettes Aus-den-Angeln-Heben der grundgesetzlich garantierten Position des Artikels 14 Absatz 1 Satz 1 vor. Neben vielen anderen Grundrechten unterscheidet uns gerade die Gewährleistung von Eigentum von einem Grundrechtsstaat. ({0}) Meine Damen und Herren, Sie können darüber diskutieren. Aber selbst straffällig gewordenen Schwerkriminellen oder Mördern in Deutschland wird das Eigentum nicht genommen. Das ist eine grundgesetzlich garantierte Position. Die können wir an dieser Stelle nicht so einfach über den Haufen werfen; denn das ist die Garantie des deutschen Rechtsstaates. ({1}) Somit stellt Ihr Antrag, verehrte Kollegen von der CDU/CSU, einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte dar, den eben, wie schon beschrieben, nicht einmal andere hier einfordern; denn der verfassungsrechtliche Begriff des Eigentums – vielleicht eine kleine Nachhilfestunde an dieser Stelle – geht weit – weit! – über den privatrechtlichen Eigentumsbegriff hinaus und ist auch sehr eindeutig im Grundgesetz gefasst. Enteignungen funktionieren nämlich nur dann, wenn das Allgemeinwohl Vorrang hat, und auch dann geht es nur mit entsprechenden Entschädigungen. Oder wollen Sie allen Ernstes, weil Sie hier enteignen wollen, plakativ den starken Mann spielen wollen, am Ende des Tages einen Oligarchen auch noch entschädigen? Das würde, glaube ich, ein bisschen – wie sagt man? – dem Fass den Boden ausschlagen. Ich frage mich sowieso an dieser Stelle, was aus der Partei der sozialen Marktwirtschaft, für die Eigenverantwortung und Eigentum einmal ein hohes Gut war, geworden ist, die eine für mich so sozialistische Forderung aufstellt. Bei allem Verständnis für harte Sanktionen gegen die Verantwortlichen und Unterstützer des Angriffskrieges – das sagt auch meine Fraktion – sind wir am Ende trotzdem nicht in der SBZ, in der 1945 bis 1946 unter dem Begriff der Bodenreform eine entschädigungslose Enteignung durchgeführt wurde, meine Damen und Herren. Also, was ist aus Ihnen und Ihrer Stellung zur sozialen Marktwirtschaft und zu den Eigentumsrechten geworden? Da müssen Sie in sich gehen, verehrte Kollegen der CDU/CSU. ({2}) Am Ende möchte ich noch einige Worte zu Punkt 15 Ihres Antrags sagen, zu Herrn Schröder. Es scheint vor allem ein sozialdemokratisches Problem zu sein: Die „FAZ“ bezeichnet den Ex-Kanzler Schröder – ich zitiere – als „Putins treuester Kamerad“. Im Übrigen: Österreichs Ex-Kanzler Kern, ebenfalls Sozialdemokrat, verwendete sich als Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn RZD. Die AfD hat schon in ihrem Grundsatzprogramm 2016 verabschiedet, sich gegen derartigen Lobbyismus auszusprechen, weshalb wir die Idee, Übergangsgelder und Ruhegehälter einzufrieren, an dieser Stelle nicht diskutieren. Dazu wäre es gar nicht erst gekommen, wenn es Schamfristen für Regierungsmitglieder gegeben hätte, die dafür sorgen würden, nicht vom Staatsamt in ein Aufsichtsamt treten zu können, meine Damen und Herren. ({3}) Manchmal macht es eben Sinn, nicht der Presse oder Ihrer eigenen Meinung über uns zu folgen, sondern einfach einmal in das Grundsatzprogramm der AfD zu gucken. ({4}) Da steht viel Kluges drin, was Ihnen viel Leid hier erspart hätte. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004255

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind es den Ukrainerinnen und Ukrainern schuldig, die Sanktionen, die seit Beginn des furchtbaren Krieges verhängt wurden, effektiv durchzusetzen. In Deutschland läuft die Sanktionsdurchsetzung ganz gut. Wir haben extra eine Taskforce eingerichtet, aber auch gemerkt, wo die Lücken sind. ({0}) Wir haben Lücken. Deswegen legen wir jetzt ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz I vor, das heute Abend hier debattiert wird. ({1}) Ich möchte hier nur einige wenige Neuerungen gesondert erwähnen. Erstens. Wir befugen die zuständigen Behörden, Zeugen zu vernehmen, Beweismittel sicherzustellen, Wohnungen und Geschäftsräume zu durchsuchen oder öffentliche Register einzusehen. Zweitens. Wir führen neue Möglichkeiten zur Sicherstellung von Vermögensgegenständen ein. Drittens. Wir verbessern die Möglichkeiten, Konten abzufragen oder Wertpapierdepots zu ermitteln. Viertens. Wir werden sanktionierte Personen bei Strafandrohung dazu verpflichten, ihr Vermögen unverzüglich offenzulegen. Fünftens und letztens. Wir verbessern auch den Informationsaustausch zwischen den Behörden über die föderalen Ebenen hinweg. Aber dabei werden wir es nicht belassen. Wir arbeiten schon am zweiten Reformpaket. ({2}) Wir arbeiten hier so schnell, wie es seit Jahrzehnten nicht der Fall war. ({3}) Wir haben uns vorgenommen, ein nationales Register für Vermögen unklarer Herkunft einzuführen, eine Hinweisgeberstelle zu schaffen und noch viele weitere Maßnahmen. Wir brauchen nämlich ein dauerhaft wirksames Sanktionsdurchsetzungsgesetz. ({4}) Damit werden wir gleichzeitig auch die Bekämpfung der Geldwäsche verstärken. Liebe Unionsfraktion, auch ich freue mich, bei Ihnen die „Zeitenwende“ zu sehen. Ihr Antrag geht eindeutig in die richtige Richtung. ({5}) Sie haben viele Vorschläge, die wir schon umsetzen, und weitere, die im zweiten Paket kommen; Stichwort „Immobilienbarkauf verhindern“ oder die Frage bei Käufen „Wo sitzen eigentlich die Notare?“ oder die Frage „Was passiert eigentlich, wenn man auch nach einer langen Prozedur immer noch nicht feststellen kann, wem eigentlich ein Betrieb gehört?“. Das sind Fragen, die Sie aufmachen, die wir auch beantworten wollen. Von daher hoffe ich, dass Sie sich konstruktiv in die Beratung der Gesetzentwürfe einbringen, ({6}) auch in die Beratung des Gesetzentwurfs, den wir heute Abend hier gemeinsam diskutieren werden. Sie können gern Änderungsanträge schreiben. Darauf freuen wir uns. Ich freue mich auf die Unterstützung und möchte gern enden mit einem Zitat von Ivan Krastev. Er hat gesagt: … keeping the money of corrupt leaders in your banks does not civilize them; it corrupts you. Ich übersetze: Das Geld von korrupten Leadern in Ihren Banken zu haben, zivilisiert nicht diese korrupten Leader; es korrumpiert Sie. ({7}) Deswegen: Es ist unsere Aufgabe sicherzustellen, dass wir generell hier endlich auch aufräumen. Ich danke Ihnen und freue mich auf die weiteren Debatten. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Und ich freue mich über alle, die ihre Redezeit einhalten. Vielen Dank dafür. – Für Die Linke erhält das Wort Pascal Meiser. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Verbrechen und durch nichts zu rechtfertigen. ({0}) Die Linke spricht sich deshalb auch weiterhin für konsequente Sanktionen gegen die russischen Führungseliten aus, damit dieser Krieg umgehend beendet wird und Russland seine Truppen zurückzieht. ({1}) Doch mit Blick auf die Umsetzung genau dieser Sanktionen ist die Bilanz Deutschlands bislang äußerst beschämend. Nach der letzten veröffentlichten Zwischenbilanz der EU-Kommission aus dem April hat allein Frankreich Vermögenswerte in Höhe von 23,5 Milliarden Euro eingefroren, in Belgien waren es 10 Milliarden Euro, in Italien waren es immerhin noch 1,1 Milliarden Euro. In Deutschland waren es zum gleichen Zeitpunkt lediglich 341 Millionen Euro. Ich finde, das ist ein klares Zeichen, dass auch hier in Deutschland endlich konsequent gehandelt werden muss. ({2}) Wir alle wissen aber auch, dass das tiefer liegende Gründe hat; denn wer über das Versagen bei der Umsetzung der Sanktionen klagt – und das zu Recht –, darf nicht darüber schweigen, dass Deutschland schon lange als Paradies für Geldwäsche und schmutziges Geld aus aller Welt gilt. Wir als Linke haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf dieses Problem hingewiesen – nicht als Einzige, aber ich glaube, am Vehementesten. Doch passiert ist so gut wie nichts. Auch die konsequente Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen scheitert bisher unter anderem daran, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse großer Vermögenswerte häufig durch extrem undurchsichtige Unternehmensstrukturen verschleiert werden und die Offenlegung der Verfügungsberechtigten nicht wirklich erzwungen werden kann. Es ist doch absurd, dass es bis heute möglich ist, Immobilienkäufe, Unternehmenserwerbe mit Bargeld in unbegrenzter Höhe vorzunehmen, dass auf diese Weise kofferweise schmutziges Geld weißgewaschen werden kann. ({3}) Ich sage: Mit all dem muss endlich Schluss sein, völlig unabhängig davon, ob es um die Durchsetzung von Sanktionen gegen die Eliten Russlands – hoffentlich auch um Sanktionen gegen Verantwortliche anderer verbrecherischer Kriege – oder um die Bekämpfung von Geldwäsche und Organisierter Kriminalität geht. ({4}) Uns allen fällt doch jetzt auf die Füße, dass die Großen Koalitionen, dass weder Wolfang Schäuble noch Olaf Scholz als Finanzminister den Kampf gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität jemals ernsthaft aufgenommen haben. Ich will Sie von der Union an dieser Stelle nur daran erinnern, dass es Wolfgang Schäuble war, der als Finanzminister für den desaströsen Start der Financial Intelligence Unit verantwortlich war, die uns in der Folge bekanntermaßen riesige Probleme bereitet hat. Wir als Linke haben schon lange auf diese Probleme hingewiesen. Wir haben nicht nur hingewiesen, wir haben auch immer wieder konkrete Vorschläge unterbreitet. Bereits im Jahr 2013 haben wir die Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde vorgeschlagen. ({5}) Und zuletzt, 2019, haben wir einen Masterplan gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität vorgelegt. ({6}) Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass Sie jetzt doch eine ganze Reihe unserer Vorschläge übernommen haben, nachdem Sie sich dagegen solange gesträubt hatten. ({7}) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Wir als Linke werden in jedem Fall weiter Druck dafür machen, dass Sanktionen gegen die russischen Eliten konsequent umgesetzt werden und dass endlich Schluss damit gemacht wird, dass Deutschland ein Paradies für Geldwäsche und Finanzkriminalität ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Maximilian Mordhorst. ({0})

Maximilian Mordhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, mich heute nicht zu sehr in der parteipolitischen Profilierung zu verlieren; denn ich glaube, das Thema ist dafür viel zu ernst. Wir haben ein Sanktionspaket beschlossen und setzen die Maßnahmen zu einem großen Teil sehr wirksam durch; das zeigt die wirtschaftliche und soziale Lage in Russland, und das zeigt sich daran, wie sehr das Volk unter diesem Regime leiden muss. Was hier teilweise insinuiert wird, entspricht also nicht ganz der Realität. Ich glaube schon, dass die Maßnahmen, die wir gegen Russland durchsetzen, wichtig und auch wirksam sind. Dennoch möchte ich gar nicht viel darum herumreden, dass wir für Teile Ihres Antrags durchaus Sympathien haben. Es gibt bei den Punkten, die Sie vorbringen, gute Punkte, mit denen wir in Deutschland die Sanktionen besser durchsetzen können – wir werden auch mit einem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II das Ganze noch weiter voranbringen –, das Einfrieren von Vermögenswerten, bestimmte Offenbarungspflichten. Dafür habe ich große Sympathie. Wir werden das, was Sie hier heute vorschlagen, in unser Paket, wie wir die Sanktionen durchsetzen wollen, ganz konstruktiv einfließen lassen. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit und zur Gemeinsamkeit dabei, wenn man gegen das Regime in Russland vorgehen will, dazu. ({0}) Dass die AfD ziemliche Probleme damit hat, wenn wir den Verbleib russischer Gelder in Deutschland besser aufklären, ({1}) ist, glaube ich, auch offensichtlich; ich kann mir das jedenfalls sehr gut vorstellen. ({2}) Ich muss sagen: Ich habe auch persönliche Sympathie dafür, dass wir darüber reden, ob ehemalige Regierungsmitglieder, die mittlerweile Günstlinge eines Staates sind, der offensichtlich verbrecherisch agiert, von uns noch alimentiert werden sollten. ({3}) Ich denke schon, dass das ein Thema ist, das wir noch mal ernsthaft diskutieren müssen; denn hier gibt die Bundesrepublik Deutschland gerade insgesamt kein gutes Bild ab. Zu einem Punkt in Ihrem Antrag möchte ich etwas anmerken. Er wirkt wie eine Idee, die man in der Hardliner-Fraktion CDU/CSU schon länger hatte ({4}) und die man jetzt durch die Hintertür durchbringen möchte. Ich glaube, es ist der fünftletzte Punkt in Ihrer Aufzählung. Sie möchten eine Geldwäscheverdachtsdatenbank einführen, Sie möchten, dass jeder Mensch, der in Deutschland wegen eines Vermögensdeliktes verurteilt wurde, in einer Geldwäscheverdachtsdatenbank abgespeichert wird und überprüft werden kann. ({5}) Das, glaube ich, ist in einem Staat, der auch auf Resozialisierung setzt, gerade bei Vermögensdelikten, ein wirklich großes Problem. Das sollten wir ablehnen, insbesondere weil Sie nicht ein Mal auf das bereits laufende europäische Programm verweisen, das bereits eine Datenbank hat, die von den Mitgliedstaaten gespeist wird, für die aber ganz andere, viel höhere rechtsstaatliche Anforderungen als bei Ihrem Vorschlag gelten. Allein deswegen denke ich, dass Ihr Antrag nicht ganz ausgereift ist. Was Sie dort vorschlagen, ist rechtsstaatlich sehr schwierig. ({6}) Ich will die letzten zwei Minuten gar nicht ausreizen. Die Sanktionsdurchsetzungsgesetze sind angekündigt. Wir werden das alles konstruktiv einfließen lassen. Ich freue mich sehr, dass die demokratischen Fraktionen dieses Hauses sehr stark daran arbeiten, möglichst konstruktiv und gemeinsam eine klare Kante gegen Russland weiterhin beizubehalten und die Menschen in der Ukraine bestmöglich zu unterstützen. Vielen Dank. ({7})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für die SPD-Fraktion der Kollege Carlos Kasper. ({0})

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Unionsabgeordnete, man muss immer wieder staunen, wann Sie eigentlich mit solch einem Antrag um die Ecke kommen. Es ist doch seltsam: Vergangenen Donnerstag legt der Finanzminister einen Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Sanktionen vor. Exakt eine Woche danach fällt Ihnen auch mal ein, zum Thema etwas sagen zu müssen, nur Stunden bevor wir hier das neue Sanktionsdurchsetzungsgesetz in erster Lesung beraten. ({0}) Ich weiß nicht, ob Sie mit so einer Leistung zufrieden sind; aber ich zumindest wäre es nicht. ({1}) Wenn man den Gesetzentwurf der Ampel und Ihren Antrag einmal gegenüberstellt, stellt man fest: Mensch, die haben ja eine große Übereinstimmung. – Ich würde sogar sagen: Sie haben wieder einmal abgeschrieben. ({2}) Schauen wir doch mal genauer hinein: In Punkt 2 wollen Sie eine Offenbarungspflicht für vorhandene Vermögenswerte von sanktionierten Personen. Wir werden das in § 23a Außenwirtschaftsgesetz regeln. In Punkt 5 wollen Sie eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Ermittlung und Beschlagnahme von Vermögen. Das werden wir in den §§ 9a ff. Außenwirtschaftsgesetz festschreiben. Und in Punkt 7 wollen Sie einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Behörden. Wir werden das in § 24 AWG ermöglichen. ({3}) Verehrte Damen und Herren, um was geht es denn eigentlich? Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar haben wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern starke Sanktionspakete verabschiedet. Um es hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Diese Sanktionen sind ein sehr effektives Mittel, und sie zeigen bereits jetzt ihre Wirkung. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir sind in Deutschland noch nicht gut genug bei der Umsetzung dieser Sanktionen. Deswegen wurde eine Taskforce eingerichtet. Diese hat nun einen ersten Vorschlag erarbeitet, den wir heute auch in Gesetzesform hier beraten. Mit diesem Gesetz machen wir einen ersten Schritt zu einer besseren Datenübermittlung zwischen den Behörden, stärken die Kompetenzen in diesem Bereich und klären ausdrücklich Zuständigkeiten. Genau deshalb können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen; weil Sie sich vor klaren Aussagen drücken, wer hier eigentlich die Sanktionen umsetzen soll. Aber uns ist auch klar, dass wir noch tiefere Reformen auf den Weg bringen müssen; wir brauchen ein echtes und starkes Transparenzregister bei der Durchsetzung der Sanktionen. Und wir stärken auch die Bundesbehörden, zum Beispiel den Zoll, bei der Umsetzung und binden sie so mit ein. Da unser Gesetzentwurf viel weiter geht als Ihr Antrag, liebe Unionsabgeordnete, ({4}) freuen wir uns schon auf Ihre Zustimmung zum Sanktionsdurchsetzungsgesetz. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Alexander Radwan. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das System Putin ist eine Bedrohung für die Sicherheit in Europa, es bedeutet Krieg in Europa. Deswegen werden zurzeit viele Maßnahmen ergriffen, um dem zu begegnen. Eine ist, dieses System Putin mit seinen Personen entsprechend zu bekämpfen. Herr Dr. Zimmermann, wenn Sie zum Thema „Positionswechsel der Union“ sprechen: Ich glaube, es gibt sehr viele Kollegen in der Ampelkoalition, die mit Positionswechseln in den letzten Wochen und Monaten viel Erfahrung gemacht haben, und manche rotieren, glaube ich, immer noch bei dem, was sie momentan vertreten müssen. ({0}) Zu meinem Vorredner: Ich weiß nicht, wie genau Sie unseren Antrag gelesen haben; aber er geht viel weiter. Sie haben ja bereits ein neues Gesetz angekündigt, weil Sie gemerkt haben – möglicherweise aufgrund unseres Antrages –, dass das, was bisher vorgelegt wurde, nicht ausreicht. Wir wollen Sanktionen gegen diejenigen richten, die vom System Putin profitieren, die es stützen und die teilweise sogar sehr gut bei uns im Westen, in Europa, in Deutschland, leben. Am 28. Februar wurde eine neue Liste vorgelegt. Ich hatte damals noch rechtzeitig der Außenministerin geschrieben, Personen zu prüfen, deren Namen bereits auf der Liste von Nawalny und auf der US-Liste standen; das ist dann auch erfolgt. Weil ich „natürlich“ – in Anführungszeichen – bei mir im Wahlkreis den einen oder anderen habe, dessen Name auf der Liste steht, konnte ich verfolgen, wie langsam und wenig hier umgesetzt wird. Teilweise sind Luxuskarossen auf einmal aus der Garage verschwunden. Kollegen haben schon gesagt, dass Italien und Frankreich dabei sehr viel weiter sind. Hier wurde eine Taskforce eingerichtet, die erst im Kanzleramt ansässig war und dann zurückverlagert wurde. Es ist alles sehr zaghaft und sehr langsam gewesen, wie auch die Erarbeitung des Gesetzentwurfs. Was wir brauchen, sind Informationen über die Eigentümer, über die Vermögenswerte, die von den Oligarchen gehandelt werden. Wir brauchen Transparenz bei den Verantwortlichen, am Schluss auch in persona. Wir müssen das sogenannte Einfrieren durchsetzen. Die Bund-Länder-Zuständigkeit und die Finanzpolizei wurden angesprochen; aber wir müssen weitergehen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Bitte schön.

Carlos Kasper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005097, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben ja schon ganz viel dazu gesagt, was alles nicht gut läuft. Mich würde jetzt interessieren, was die Haltung der CDU/CSU-Fraktion ist, wer diese Sanktionen umsetzen soll, wer die Daten sammeln soll und wer vor Ort die Autos oder Villen in Ihrem Wahlkreis beschlagnahmen soll. Vielen Dank.

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen die Maßnahmen so gestalten, dass es einen schnellen Datenaustausch gibt, dass auf Bundesebene die Zuständigkeit bei der Finanzpolizei liegt, die dann zielgerichtet an die jeweiligen Behörden herantreten kann. Jetzt haben wir die Situation bei den Grundbuchämtern, dass gar keine Informationen vorliegen. Die sind komplett damit überfordert, herauszufinden, wer die eigentlichen Eigentümer sind. Also, wir brauchen die Informationen, und wir brauchen die entsprechenden Zuständigkeiten. ({0}) Danke für die Nachfrage. – Aber es geht noch weiter. Wir müssen die Nutzung einschränken bei den Immobilien, bei den Pkws, bei den Flugzeugen. Die Person in meinem Wahlkreis, von der ich gesprochen habe, ist noch rechtzeitig herausgekommen. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir brauchen die Einziehung von Vermögenswerten. Herr Kollege Gottschalk, Ihre grundgesetzliche Argumentation konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Bei Clans, die nicht nachweisen können, woher ihr Vermögen kommt, kann das Vermögen eingezogen werden. Dafür werden sie nicht entschädigt, so wie Sie das hier vorgetragen haben. Nichts anderes ist meine Forderung, nämlich dass wir eine entsprechende Rechtsgrundlage in diesem Bereich brauchen. ({1}) Meine Damen und Herren, da ich beim Thema Einziehen bin: Die Amerikaner und die Briten arbeiten an entsprechenden Maßnahmen, um das System Putin zu treffen. Lassen Sie mich abschließend den Vorsitzenden der SPD zitieren, der ausgerechnet in Gmund am Tegernsee – möglicherweise genau mit Blick in Richtung der betreffenden Immobilien –, gesagt hat: Ich finde, dass diejenigen, die das System Putin unterstützt haben, diejenigen, die Geld verdient haben mit dem System Putin, dass die auch ihren Anteil leisten müssen, die Ukraine wieder aufzubauen. … Das, was Putin mit diesem brutalen Krieg angerichtet hat, das muss auch mit Putins Geld und mit dem Geld seiner Vasallen wieder aufgebaut werden. ({2}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion fordert dies gegenüber den Oligarchen mit einer usbekischen oder einer russischen Staatsbürgerschaft; aber zu den Vasallen, die Putin bis heute verteidigen, zählen wir auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Erlassen Sie ein Gesetz, mit dem die entsprechenden Pensionsansprüche eingestellt werden und das Mögliche auch dort abgeschöpft wird. Da sollten wir nicht zwischen Nationalitäten unterscheiden. Ich nehme Ihren Parteivorsitzenden beim Wort, dass er sich bei der weiteren Gesetzgebung entsprechend einbringt. Besten Dank. ({3})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Das Wort erhält für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Helge Limburg. ({0})

Helge Limburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser, willkürliche Morde, Folterungen, Plünderungen, Verschleppen von Menschen – das russische Vorgehen in der Ukraine ist quasi ein Ritt durch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch und die internationalen Konventionen. All diese Untaten sind nicht erst seit ein paar Jahren, sondern spätestens seit 1907 – seit dem Inkrafttreten der Haager Landkriegsordnung – verboten. Deshalb ist es richtig – so wie es hier Vertreterinnen und Vertreter aller demokratischen Fraktionen betont haben –, dass die Rechtsstaaten dieser Welt darauf mit internationalen strafrechtlichen Ermittlungen reagieren, aber eben auch mit effektiven Sanktionen, die durchgesetzt werden müssen. ({0}) Die Union legt – das ist bereits ausgeführt worden – einen Antrag vor, von dem die Fortschrittskoalition, die Ampel, sicherlich viele interessante Anregungen mindestens diskutieren und mit Sicherheit auch aufnehmen wird. Vieles von dem – das haben Sie ja auch schon angekündigt, Kollege Krings – ist ja bereits in unserem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, enthalten. Sie haben selber gerade in Form eines Zwischenrufs Konrad Adenauer angesprochen: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“ In der Tat ist der Positionswechsel der Unionsfraktion in dieser Frage bemerkenswert. ({1}) Aber ich will ausdrücklich sagen: Wir leben, Herr Kollege Krings, in einer Zeitenwende. Da bricht niemandem von uns ein Zacken aus der Krone, wenn wir alte Positionen hinterfragen – niemandem von uns! - ({2}) und zu neuen Positionierungen kommen. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir als demokratische Fraktionen das hier gemeinsam in dieser Sache tun. Das Tempo, das die Europäische Union bei den Sanktionsbeschlüssen vorgelegt hat, ist in der Tat bemerkenswert; das muss man ausdrücklich festhalten. Ich glaube, weltweit haben viele der Europäischen Union eine solche Dynamik, ein solch schnelles Tempo nicht zugetraut. Ebenso bemerkenswert ist das Tempo der Bundesregierung mit der Einrichtung der Taskforce. Stellvertretend für die Bundesregierung geht mein ganz herzlicher Dank an die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Brantner, die das geleitet hat. Sie haben organisatorisch schnell reagiert. Schließlich legt die Ampel schnell einen ersten wichtigen Gesetzentwurf vor. ({3}) Ausdrücklich: Es ist ein erster Gesetzentwurf. Wir werden mit einem weiteren folgen. Aber wichtig ist, dass dieser erste Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt auch schnell beraten und schnell beschlossen wird. Natürlich wollen wir gründliche Gesetzgebung. Nur, in dieser Frage – das ist in der Debatte auch schon angeklungen – kommt es auf Tage an. Denn wenn wir einen Gesetzentwurf, mit dem Vermögen eingefroren werden soll, erst dann beschließen, wenn das infragekommende Vermögen weitgehend ins Ausland verbracht ist, dann würde er in der Tat ins Leere laufen und sinnlos werden. ({4}) Ich freue mich auf schnelle, konstruktive Beratungen über diesen ersten Gesetzentwurf, den die Ampel hierzu vorgelegt hat. Und ich freue mich, dass wir zeitnah ein zweites und, wenn es notwendig sein sollte, auch ein drittes Gesetzespaket vorlegen werden. Wir dürfen diesen russischen brutalen Angriffskrieg nicht unbeantwortet lassen. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Nadine Heselhaus. ({0})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Neben konkreter humanitärer, wirtschaftlicher und militärischer Hilfe für die Ukraine hat Deutschland im Rahmen der EU mehreren Sanktionspaketen zugestimmt, um ein unmissverständliches Signal Richtung Russland zu senden: den ungerechtfertigten Angriffskrieg gegen die Ukraine unverzüglich einzustellen. ({0}) Die Sanktionen zielen dabei auf die russische Staatsführung und ihre Militärs. Neben Oligarchen sind russische Banken, der Handel und besondere Wirtschaftszweige im Blick dieser Aktionen. Sie sollen die Finanzierung des Krieges durch Russland erschweren und die dortige Elite dazu bewegen, ihren Einfluss zur Beendigung des Krieges zu nutzen. Die umfangreichen Sanktionen müssen von den Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden. In unserer föderalen Struktur arbeiten hierfür verschiedene Behörden in Bund und Ländern zusammen. Die Bundesregierung hat Mitte März eine Taskforce eingerichtet, die koordiniert für eine effektive Sanktionsdurchsetzung arbeitet. Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag viele Punkte aufgenommen, die bereits im Regierungsentwurf des Sanktionsdurchsetzungsgesetzes I zu finden sind. Dieser Entwurf wurde aus den Lösungsvorschlägen der Taskforce erarbeitet und wird am Montag in einer öffentlichen Anhörung mit Sachverständigen diskutiert. Wir schließen Zuständigkeitslücken. Die Sanktionsbehörden erhalten zusätzliche Befugnisse und Informationen, beispielsweise durch erweiterte Auskunftspflichten. Die FIU erhält so die Möglichkeit, Transaktionen zu unterbinden. Ganz klar ist: Im Bereich der Informationsgewinnung und auch des Informationsaustauschs haben wir Verbesserungsbedarf. Dies nehmen wir hier ganz besonders in den Blick. Kurzfristig schaffen wir mehr Möglichkeiten zur Datenabfrage für die Sanktionsbehörden. Und weil wir sehen, dass es umfassender struktureller Reformen bedarf, die wir mittelfristig umsetzen müssen, bringen wir danach ein zweites Gesetz auf den Weg. Das erste bringen wir jetzt auf den Weg, um kurzfristige Erfolge bei den Sanktionen gegen Russland zu erzielen, und das zweite wird Verbesserungen bei den Behördenorganisationen und ihren Zuständigkeiten bringen. So stärken wir dauerhaft nicht nur die Durchsetzung von Sanktionen, sondern auch den Kampf gegen Geldwäsche. Das ist mir persönlich ein sozialdemokratisches Herzensanliegen. Danke schön. ({1})

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in der letzten Sitzungswoche nach der zweiten und dritten Lesung die Abschaffung der EEG-Umlage beschlossen, in dieser Sitzungswoche beraten wir über das Steuerentlastungsgesetz in zweiter und dritter Lesung, und in der nächsten Sitzungswoche werden wir die zweite und dritte Lesung für das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz und das Energiesteuersenkungsgesetz haben. Wir bringen in diesen Wochen die parlamentarischen Beratungen zur Umsetzung unserer Entlastungspakete zum Abschluss. Insgesamt entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger um 44 Milliarden Euro. Das kann sich wirklich sehen lassen. ({0}) Wir werden im Herbst das Thema „kalte Progression“ angehen, um weiter gegen den Inflationsdruck vorzugehen; das kann ich jetzt hier schon ankündigen. Beim Steuerentlastungsgesetz haben wir drei zentrale Entlastungspunkte: Die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages bei der Einkommensteuer um 200 Euro auf 1 200 Euro jährlich ist die erste Erhöhung seit elf Jahren, seit 2011. Man fragt sich wirklich, was die Vorgängerregierungen in den letzten acht Jahren gemacht haben. ({1}) Wir heben den Grundfreibetrag um 363 Euro an. Das ist der absolut höchste Betrag in 18 Jahren. Auch da tun wir das, was die Vorgängerregierung vielleicht längst hätte tun können. Und wir ziehen die Anhebung der Fernpendlerpauschale auf 38 Cent vor – und das alles rückwirkend zum 1. Januar 2022. Das bedeutet aufgrund der vollen Jahreswirkung eine Entlastung von jährlich 4,5 Milliarden Euro, insgesamt 18 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode. Neben diesen drei konkreten Entlastungsmaßnahmen beraten wir heute auch über die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro, den Kinderbonus in Höhe von 100 Euro zusätzlich zum Kindergeld. Das sind noch einmal 12 Milliarden Euro, und zwar an gezielten Entlastungen, nicht mit der Gießkanne. Wir helfen den Menschen, die Unterstützung brauchen, mit dem ersten Entlastungspaket durch direkte Zahlungen und entlasten parallel auch die breite Mitte unserer Gesellschaft, ({2}) und zwar über die Abschaffung der EEG-Umlage, die Energiepreispauschale, die Steuersenkung bei den Kraftstoffen und das 9‑Euro-Ticket. Und auch die Rentenerhöhung von gut 5 bzw. 6 Prozent in diesem Sommer wird eine entsprechende Entlastung bringen. Wir machen uns aber auch ehrlich. Wir können nicht alle Entwicklungen bei den Energiepreisen auf dem Weltmarkt mit entsprechenden Entlastungsmaßnahmen ausgleichen. Wenn man sich die Ergebnisse der Steuerschätzung von heute vergegenwärtigt, dann sieht man, dass wir sehr, sehr viele Unsicherheiten haben: Entwicklung der Energiepreise, Lieferkettenprobleme, deren Auswirkungen auf die Weltmarktpreise und Inflation. Die guten Zahlen von heute werden uns keine Spielräume für neue Ausgabenprojekte geben; denn wir werden uns im Herbst darauf konzentrieren müssen, dass wir die kalte Progression angehen. ({3}) Genau das ist das, was diese Koalition macht: Auf der einen Seite haben wir die Leistungsfähigkeit des Staates im Auge, damit wir in den nächsten Jahren wieder zu einer Art haushalts- und finanzpolitischen Normalität kommen können – das haben wir nämlich seit 2019, wenn wir uns alle ehrlich machen, nicht mehr gesehen –, ({4}) auf der anderen Seite entlasten wir da, wo wir das tun können, und wir werden im nächsten Jahr natürlich auch zusehen, entsprechende Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen auf den Weg zu bringen. ({5}) Wir fangen jetzt mit dem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz an, mit dem wir die degressive AfA auch 2022 ermöglichen werden. Wir werden im nächsten Jahr die „Superabschreibung“ für Investitionen in Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter auf den Weg bringen. Das sind vernünftige Schritte, mit denen wir auf der einen Seite entlasten und auf der anderen Seite die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Auge haben. Ich kann Sie alle nur herzlich einladen, uns hier zu unterstützen. Der Dreisprung an Entlastung, den wir jetzt auf den Weg bringen, ist zielgerichtet für die Empfänger kleiner und mittlerer Einkommen. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in Milliardenhöhe entlasten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Olav Gutting. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach monatelangem Drängen der CDU/CSU-Fraktion ({0}) ist die Regierung nun endlich tätig geworden und legt hier ein Steuerentlastungsgesetz vor. ({1}) Nur leider erreicht dieses Gesetz überhaupt nicht die selbstgesteckten Ziele. ({2}) Es ist ein schlecht gemachtes Gesetz, und Sie von der FDP wissen das auch, wenn Sie sich ehrlich machen. Es ist ein schlechtes Gesetz, obwohl es 4,5 Milliarden Euro kostet. ({3}) Ich sage Ihnen auch, warum. Die Anhebung des Grundfreibetrages fällt viel zu niedrig aus. Die Inflation aus dem Jahre 2022 haben Sie hier überhaupt nicht berücksichtigt. Und Sie haben vor allem vergessen, den Tarifverlauf anzupassen. Das führt dazu, dass wir eine Stauchung im Anfangsbereich des Tarifs haben. Damit kommt es zu erheblichen Verwerfungen beim Einkommensteuertarif. Diese Maßnahme erzeugt einen noch steileren Anstieg des Tarifverlaufs in der ersten Progressionszone. Sie schaffen es damit, dass noch weniger Anreize bestehen, eine Beschäftigung im niedrigeren Lohnbereich anzunehmen. Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass von der Mindestlohnerhöhung zu Beginn dieses Jahres knapp 50 Prozent in Form von Abgaben und Steuern beim Staat landen. Und wenn Sie im Herbst 12 Euro als Mindestlohn einführen, dann wird ein großer Teil dieser Erhöhung nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen, sondern beim Finanzamt landen. Dieser eigentlich wichtige Lohnzuwachs, den wir ja auch unterstützen – es ist richtig, dass es diesen Lohnzuwachs gibt –, wird durch die von Ihnen unterlassene Änderung des Steuertarifs dazu führen, dass es zu einem dicken Begrüßungsgeld beim Fiskus kommt. Die gesamten Tarifeckwerte in der Einkommensteuer müssen angepasst werden; sie müssen nach rechts verschoben werden. Sie wissen das eigentlich. Die Anpassung an die Inflation muss jetzt und darf nicht erst im Herbst oder im nächsten Jahr oder irgendwann erfolgen. ({4}) Jetzt muss die Anpassung erfolgen, jetzt haben wir Inflationsraten von knapp 8 Prozent! Die Erhöhung des Werbungskostenpauschbetrages, die 1,7 Milliarden Euro Entlastung bringt, ist eine ziemlich teure Gießkanne. Mit der sogenannten Energiepreispauschale wird dieses Gesetz nun aber tatsächlich zur Farce; denn es wird zu einem Belastungsgesetz für Arbeitgeber und die Finanzverwaltung. Wenn Sie sich Ihr eigenes Ziel vor Augen halten – die kurzfristige und soziale Abfederung von Härten aufgrund der sprunghaft und drastisch gestiegenen Energiekosten –, dann stellen sich doch drei Fragen bei den Betroffenen: Erstens. Wieso leiden denn in Ihren Augen nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter dieser gestiegenen Inflation, während Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten, Bezieher von Lohnersatzleistungen und Versorgungsbezügen außen vor bleiben? Zweitens. Wenn die Auszahlung sowieso erst in einigen Monaten kommt: Warum wurde dann kein anderes Verfahren gewählt? Warum haben Sie dieses bürokratische, die Finanzverwaltung und die Arbeitgeber belastende Verfahren gewählt? Drittens. Wieso nehmen Sie durch die sowieso schon rechtlich fragwürdige Besteuerung dieser Pauschale in Kauf, dass die Finanzverwaltung in einer Flut zusätzlicher Arbeit erstickt? Das wird übrigens zur Folge haben, dass im Frühjahr 2023 die Bearbeitungsdauer bei den Steuererklärungen noch länger dauert und dass viele Menschen in diesem Land, die auf die Steuererstattung warten und auf diese dringend angewiesen sind, dann noch länger warten müssen. ({5}) Entgegen Ihren Behauptungen und Beteuerungen – wir haben es ja heute Morgen in der Debatte schon gehört – ist die Regelung zur Energiepreispauschale eben nicht sozial ausgewogen. Elterngeldbezieher, junge Familien, Rentnerinnen und Rentner, gerade auch mit niedrigen Renten, Studentinnen und Studenten bleiben beim Bezug außen vor. Die werden doch von den steigenden Energiepreisen mindestens genauso hart getroffen wie alle anderen. ({6}) Die Auszahlung, so sie denn kommt, kommt zu spät. Wenig verdienende Minijobber und Soloselbstständige bekommen die Energiepreispauschale frühestens im Frühjahr 2023 ausbezahlt, nachdem sie eine Steuererklärung abgegeben haben. Für viele Minijobber bedeutet das, dass sie das erste Mal eine Steuererklärung abgeben müssen, um überhaupt an diese Energiepreispauschale zu kommen. Diese bekommen sie dann nach über einem Jahr, nachdem wir heute diese Debatte führen. Über ein Jahr müssen diese Menschen auf die Entlastung warten. Heute führen wir die Debatte, im Mai 2023 soll dann vielleicht Geld kommen. Wir jedenfalls werden dem Gesetzentwurf der Ampel nach all dem nicht zustimmen. Stattdessen bringen wir einen eigenen Entschließungsantrag ein, der aus drei Elementen besteht.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Wir wollen den Steuertarif jetzt an die hohe Inflation anpassen; Betonung auf „jetzt anpassen“. Zweitens. Wir brauchen eine Energiepreispauschale für alle Bürgerinnen und Bürger. Drittens. Wir brauchen ein Verfahren, das weit unbürokratischer ist als das, was Sie hier heute vorgelegt haben. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt der Abgeordnete Michael Schrodi für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Steigende Energiepreise durch den Angriffskrieg auf die Ukraine, unterbrochene Lieferketten durch die Pandemie: Das sind die Treiber der Preissteigerungen, die besonders stark Bürgerinnen und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen treffen. Deshalb bringen die Regierungsfraktionen umfangreiche Maßnahmen auf den Weg, die ganz gezielt die Belastungen abfedern sollen. In der Expertenanhörung haben alle Sachverständigen das Paket begrüßt ({0}) und dann an manchen Stellen gesagt, man solle hier und da mal an einem Rädchen drehen. Ich möchte mal eines verdeutlichen: Wir haben aus zahlreichen Maßnahmen ein Gesamtpaket mit einem Entlastungsvolumen von über 30 Milliarden Euro geschnürt, ein riesiges Paket zur Abfederung der hohen Preise. ({1}) Einiges von dem, was nicht in dem Paket enthalten ist, will ich nennen: die Abschaffung der EEG-Umlage, die 200 Euro Extrazahlung zur Grundsicherung, die vorher erst auf den Weg gebracht wurden, das 9‑Euro-Ticket für den ÖPNV, ({2}) Energiesteuersenkung, Heizkostenzuschuss. Und mit diesem Entlastungsgesetz bringen wir jetzt eine Entlastung von 16 Milliarden Euro auf den Weg. Das sind massive, umfassende, in dieser Situation aber notwendige und angemessene Maßnahmen. Dazu gehören neben der Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags auf 1 200 Euro und der Erhöhung der Entfernungspauschale für Fernpendler ({3}) drei Maßnahmen, die ich mal herausheben will, weil sie zeigen, dass die Maßnahmen ausgewogen, sozial gerecht sind und in der Breite auch wirken. Wir erhöhen den Grundfreibetrag rückwirkend zum 1. Januar 2022 auf 10 347 Euro, über 300 Euro Erhöhung. Das Ganze wirkt für all diejenigen, die Steuern zahlen, gleichmäßig. Es ist nicht so, dass die Bezieher der höchsten Einkommen am meisten profitieren, sondern es ist so, dass gleichmäßig entlastet wird. ({4}) Wichtig ist, dass hiervon vor allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen profitieren, ähnlich wie beim Kinderbonus. Ab Juli 2022 bekommt jede Familie, ähnlich wie in der Pandemie, einmalig 100 Euro als Kinderbonus, der nicht auf die Grundsicherung, wohl aber auf den Kinderfreibetrag angerechnet wird, sodass die Steuerentlastung für Bezieher höchster Einkommen abgeschmolzen wird. So bekommen diesen Bonus genau diejenigen, die ihn auch brauchen, nämlich die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. ({5}) Und wir sind dabei, mit der Energiepreispauschale 44 Millionen Erwerbstätige in der Bundesrepublik Deutschland direkt zu unterstützen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Das sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das sind Selbstständige, das sind aber auch Minijobber, übrigens auch die Rentnerinnen und Rentner. Auch der Studierende mit Minijob bekommt die Energiepreispauschale, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({7}) Allein das sind 13 Milliarden Euro Entlastung, die wir auf den Weg bringen. Die diesbezügliche Besteuerung ist deswegen gerecht, weil Bezieher höchster Einkommen dann weniger davon haben, aber Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen mehr. Auch das ist ausgewogen und sozial gerecht und wirkt direkt, weil wir diese Pauschale direkt auszahlen – eine schnelle Unterstützung. ({8}) Eine wenig beachtete, aber wichtige Vereinbarung in diesem Paket möchte ich hier noch mal herausheben. Bis Ende des Jahres soll das Bundesfinanzministerium eine Lösung finden und uns vorschlagen, wie wir direkte Auszahlungen vereinfachen können. Eine solche Möglichkeit der direkten Auszahlung gibt es bisher nämlich nicht. Deswegen müssen wir jetzt Wege finden, wie wir diese Direktzahlungen zu den Bürgerinnen und Bürgern bringen, zum Beispiel indem wir den Kinderbonus mit dem Kindergeld auszahlen. Mein Dank gilt den Fachbeamtinnen und Fachbeamten des Finanzministeriums. Frau Staatssekretärin, auch Ihnen gilt mein Dank, aber ebenso den Koalitionären. Wir haben es geschafft – das muss man doch anerkennen –, eine Auszahlungsmöglichkeit zu finden, um 44 Millionen Menschen zu erreichen. Die nun gefundene Lösung, dass – bis auf wenige Ausnahmen – allen die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro im kommenden September ausgezahlt wird, ist eine Leistung. Da muss man vielen Dank an die Arbeitgeber sagen, die wir einbeziehen und die das mit auf den Weg bringen müssen. Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass diese nicht in Vorleistung gehen, nicht vorfinanzieren müssen. Es ist insgesamt eine Leistung, die wir in gemeinsamer Arbeit erbracht haben. Auch das ist ein guter Grund, dieses Paket mit einem Entlastungsvolumen von 16 Milliarden Euro mit breiter Mehrheit in diesem Parlament auf den Weg zu bringen. Die Menschen warten auf diese Unterstützung. Sie werden von der Ampelkoalition genau die Unterstützung bekommen, die sie in dieser Situation brauchen. ({9})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Vielen Dank. – Es folgt für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Klaus Stöber. ({0})

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie vielleicht wissen, arbeite ich ja schon seit 30 Jahren als Steuerberater. Da unterhält man sich auch öfter mal mit den Mandanten über Steuerpolitik. Oft wird man natürlich gefragt: Warum ist das alles so kompliziert in Deutschland? Da wird ja nicht nur die Höhe der Steuer bemängelt, sondern eben auch die Intransparenz und die Ungerechtigkeit, die viele empfinden. Ich bin jetzt sechs Monate im Bundestag, und ich denke, ich kann meinen Mandanten diese Frage inzwischen beantworten. Es liegt wahrscheinlich daran, dass einige hier schon mehr als zwölf Jahre im Bundestag sitzen und den Bezug zur Realität verloren haben. Es liegt vielleicht auch daran, dass in den Fachausschüssen nicht unbedingt Fachleute sitzen, was ja gar nicht despektierlich gemeint ist. Man kann ja nicht erwarten, dass im Finanzausschuss 42 Steuerexperten sitzen. Aber was man erwarten kann, ist zumindest, dass sich diejenigen bei Fachleuten kundig machen; und Fachleute gibt es ja. Es gibt das schöne Instrument der öffentlichen Anhörung. Und, Kollege Schrodi, da muss man schon eine ganz dicke rosarote Brille aufsetzen, um den Eindruck zu gewinnen, dass die Experten in der Anhörung der Meinung waren, Ihr Gesetzesvorschlag sei super. Richtig ist doch – ich denke mal, die CDU/CSU sieht das genauso –, dass fast alle Sachverständigen Zweifel geäußert haben, insbesondere an der Entfernungspauschale. Sie haben Zweifel geäußert, ob die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer gerecht ist. Sie haben Zweifel geäußert, ob die 3 Cent, die Sie ab dem 21. Kilometer gewähren, angesichts der derzeitigen Inflation ausreichend sind. Und – ich habe das in meiner Rede schon mal angeführt; ich will es Ihnen noch mal sagen – bei 3 000 Euro brutto und 30 Kilometern Entfernung sind das gerade mal 19 Euro im Jahr. Und da wollen Sie von Entlastung sprechen? Das ist doch lächerlich. ({0}) Noch größere Kritik gab es an der Energiepreispauschale. Das haben Sie als große Erfindung der Koalition dargestellt. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat auf vier Seiten dargestellt, dass Ihr Gesetzentwurf praktisch nicht umsetzbar ist. ({1}) Der Deutsche Finanzgerichtstag – das ist nicht irgendjemand; das ist jemand, der zum Beispiel, wenn jemand klagt, zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem entscheidet; das sind Leute, die sich auskennen – empfiehlt angesichts der Kompliziertheit der Energiepreispauschale, diese steuerfrei direkt auszuzahlen. ({2}) – Das können Sie nachlesen, Herr Schrodi. Frau Hessel – Ihr Kollege Lindner ist heute nicht da –, mit der Energiepreispauschale grenzen Sie auch eine ganz große Bevölkerungsgruppe aus. Rentner werden überhaupt nicht bedacht. Das sind 21 Millionen Bürger, die keine Energiepreispauschale erhalten, und von diesen 21 Millionen zahlen schon jetzt rund 8 Millionen Steuern. Wieso bekommen die keine Energiepreispauschale? ({3}) Nun könnte man ja erwarten, dass nach den Vorschlägen der Experten in der Anhörung dieser Gesetzentwurf überarbeitet und in geänderter Form wieder vorgestellt wird. Aber nichts dergleichen: Der Gesetzentwurf wird so, wie er eingebracht wurde, hier auch beschlossen. Das, denke ich mal, ist das, was die Bürger nicht verstehen können, dass, wenn es Einwände gegen ein Gesetz gibt und Fachleute sagen: „Das ist nicht umsetzbar, das ist auch nicht freundlich den Bürgern gegenüber“, das trotzdem eins zu eins umgesetzt wird. Das geht so nicht. Wir als AfD-Fraktion haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Er sieht unter anderem 40 Cent ab dem ersten Kilometer vor. Das gilt zum Beispiel auch für Arbeitnehmer, die nicht die Möglichkeit haben, für 100 Euro mit dem Hubschrauber zur Arbeit zu fliegen. ({4}) Wir wollen den Grundfreibetrag auf 12 600 Euro erhöhen. Das würde nicht nur die kleinen und mittleren Einkommen – Ihre Klientel, Herr Schrodi – entlasten, sondern auch die Anzahl der steuerpflichtigen Rentner deutlich reduzieren. Die müssen nämlich jetzt auch schon Steuererklärungen abgeben; jedes Jahr werden es ungefähr hunderttausend mehr. Wir wollen alle Freibeträge und Pauschbeträge zum 1. Januar 2022 inflationsbedingt anpassen. Und die Energiepreispauschale muss so ausgestaltet werden, dass sie auch praktisch umsetzbar ist. Aus unserer Sicht wäre sie am besten umsetzbar, wenn sie steuerfrei ausgezahlt würde. Sie hätten die Möglichkeit, das ganz unkompliziert über die Steuer-Identnummer über die Rententräger an die steuerpflichtigen Rentner auszuzahlen.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Klaus Stöber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005232, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Dieser Gesetzentwurf entspricht nicht der Realität. Wir lehnen ihn deswegen ab. Vielen Dank. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Sascha Müller. ({0})

Sascha Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon so viel zu den beiden Entlastungspaketen der Bundesregierung gesagt worden, auch hier im Hohen Haus. Die Koalition schafft zweierlei: Erstens entlasten wir die Breite der Gesellschaft, und zweitens unterstützen wir dort besonders, wo die hohe und überwiegend fossilgetriebene Inflation besonders wehtut. Die Sachverständigen bewerteten in unserer Anhörung zum Steuerentlastungsgesetz die Entlastungspakete der Koalition tatsächlich insgesamt als gut, und sie begrüßten die Richtung, in die wir damit gehen. ({0}) Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatten wir bereits eine Erhöhung des Grundfreibetrags, eine Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages und eine zeitlich befristete höhere Pendlerpauschale für Fernpendler/-innen vorgesehen. Mit dem Entlastungspaket II nehmen wir nun auch noch zwei weitere Maßnahmen in das Gesetz auf: erstens den Kinderbonus in Höhe von 100 Euro pro Kind – damit bekommen speziell Familien die notwendige Unterstützung – und zweitens die Energiepreispauschale für Erwerbstätige in Höhe von 300 Euro. Diese wird der Einkommensteuer unterliegen. Das bedeutet, dass Menschen mit geringem Einkommen am Ende mehr davon haben als Menschen mit hohem Einkommen. Ja, die Energiepreispauschale wurde in der Anhörung zum Gesetz besonders intensiv diskutiert, vor allem im Hinblick auf die Ausgestaltung. Noch haben wir keinen Auszahlungsmechanismus, um den Bürgerinnen und Bürgern direkte Zahlungen zukommen zu lassen. Aber wie Sie wissen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, arbeitet die Bundesregierung daran, dass so etwas in der Zukunft zur Verfügung steht. Was sind gerade wir Grünen im Wahlkampf wegen dieser Idee kritisiert worden! Jetzt machen wir das als Ampelregierung; so geht gute und vorausschauende Politik nahe am Menschen. ({1}) Da wir die Auszahlung allerdings derzeit gezwungenermaßen für Arbeitnehmer/-innen noch über die Arbeitgeber/-innen vornehmen, mussten wir – auch nach den Erkenntnissen der Anhörung – eine Lösung finden, die auf Arbeitgeberseite nicht zu Härten durch eine Vorfinanzierung führt. Ich finde, dass uns das sehr gut gelungen ist; da schließe ich mich dem Kollegen Schrodi absolut an. ({2}) Was natürlich richtig ist: Ja, Rentnerinnen und Rentner bekommen diese Energiepreispauschale in ihrer Eigenschaft als Rentnerinnen und Rentner nicht. Aber wir haben sie nicht vergessen. ({3}) Zahlreiche andere Entlastungsmaßnahmen kommen Rentnerinnen und Rentnern zugute; und auch die 300 Euro können unter Umständen Rentnerinnen und Rentner erhalten. Ich möchte noch kurz was zu dem sagen, was unter dem Stichwort „Enkeltrick“ durch die Medienlandschaft ging. Ich gönne jedem Rentner und jeder Rentnerin, die sich was dazuverdienen möchten oder auch dazuverdienen müssen, die 300 Euro; in diesem Fall stehen ihnen diese 300 Euro auch zu. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass das Beschäftigungsverhältnis selbstverständlich ernst gemeint sein muss und die Finanzbehörden da sicherlich auch genau hinschauen werden. ({4}) Insgesamt ist uns als Ampel – davon bin ich überzeugt – ein rundes Paket gelungen. Jetzt liegt es abschließend beim Bundesrat. Hier im Bundestag bringen wir dieses Gesetz zur Entlastung von unserer Seite auf den Weg. Die Menschen bauen in schwierigen Zeiten auf uns, und sie können sich auf uns verlassen. Vielen Dank. ({5})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für Die Linke erhält das Wort der Kollege Christian Leye. ({0})

Christian Leye (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005127, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Steuerentlastungsgesetz der Ampelkoalition macht Schritte in die richtige Richtung. Aber es sind Trippelschritte, und sie reichen nicht aus. ({0}) Es ist richtig, Erwerbstätige durch Steuerentlastungen zu unterstützen. Aber was ist mit denen, die noch nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind, wie Studierende und Rentnerinnen und Rentner? ({1}) Jeder fünfte Mensch über 65 Jahre ist arm. Ein Rentner mit weniger als 900 Euro im Monat bekommt gerade mal 9 Prozent der Energiemehrkosten vom Staat zurück. ({2}) Jetzt frage ich Sie: Warum zum Teufel kommt es wirklich in jeder Krise zu diesen politischen Härten gegenüber denen, die am meisten auf politische Unterstützung angewiesen sind? ({3}) Vor den Wahlen „Respekt“ plakatieren und nach den Wahlen 100 Milliarden in die Rüstung stecken, aber mit den Älteren so umgehen – so nicht, meine Damen und Herren! ({4}) Gleichzeitig gehen die Profite der Energiekonzerne durch die Decke. Heute hat Shell den höchsten Profit in der Geschichte seines Unternehmens verkündet. Wir sagen: Im Interesse der Menschen ist es unsere Aufgabe, dass wir hier misstrauisch werden. Ein Steuerentlastungsgesetz müsste doch an diese Krisengewinne rangehen; das wäre gerecht. ({5}) Die Regierung muss da jetzt handeln, bevor es zu schweren politischen Verwerfungen oder sogar zu sozialen Unruhen im Land kommt. Deswegen beantragen wir auch, dass die Energiepreise staatlich gedeckelt werden, dass es eine Profitbremse gibt. Das wäre gerecht, meine Damen und Herren. ({6}) Der Punkt ist: Das hat es in Deutschland alles schon gegeben. Ludwig Erhard hat durch Preiskontrollen und Profitbremsen die Inflation gebremst und gilt heute als Vater der sozialen Marktwirtschaft. Was würden Sie ihm denn heute sagen, wenn er das Gleiche hier noch einmal versuchen würde? Als die Energiepreise 1973 durch die Decke gingen, da hat die Bundesregierung im Energiesicherungsgesetz ermöglicht, Höchstpreise staatlich festzulegen. Das war damals eine Koalition aus SPD und FDP, also quasi eine Zweidrittelampel. Warum geht das dann nicht bei einer ganzen Ampel? ({7}) Der Witz ist: Genau dieses Gesetz wird in dieser Woche im Bundestag diskutiert. ({8}) Die Möglichkeit staatlicher Höchstpreise steht da bis heute drin. Sie müssen das nur anpassen; dann können wir das anwenden. Warum machen wir das nicht? ({9}) Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist ganz einfach: Weil die Interessen von Kapital und Konzernen seit Jahren in diesem Hohen Hause Vorfahrt haben. Man traut sich so was gar nicht mehr. Deswegen sagen wir an dieser Stelle: In dieser Inflation wird es zu Enteignungen kommen. Entweder die Menschen da draußen zahlen durch Kaufkraftverlust, oder man geht an die Profite der Großen heran. – Das ist die politische Frage, um die es geht. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu! Danke schön. ({10})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächste folgt für die SPD-Fraktion die Kollegin Dagmar Andres. ({0})

Dagmar Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005009, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ({0}) Zusammenfassend könnte man sagen: Wie man es macht, macht man es falsch. – Dass es eine unterschiedliche Wahrnehmung bei Sachverständigenanhörungen gibt, ist völlig klar. Natürlich konzentrieren sich sowohl die Sachverständigen als auch die Fraktionen besonders gerne auf die Punkte, die die eigene Meinung unterstützen. Die Ausgestaltung der einzelnen Punkte ist diskutabel; aber an den Fakten kommt man nun mal nicht vorbei. Und Fakt ist: Alle Sachverständigen haben betont, dass sie dieses Steuerentlastungsgesetz begrüßen. Natürlich hätten manche Interessenvertreter gerne mehr; es wäre aber auch merkwürdig, wenn alle Interessenvertreter ausnahmslos zufrieden wären. Zur Kritik an den Auszahlungsmodalitäten für die Energiepreispauschale. Einerseits wird beklagt, dass die Auszahlung durch die von uns vorgesehene Art der Auszahlung zu spät komme. Andererseits wird aber gleichzeitig ein neuer Auszahlungsmechanismus gefordert. Ja, wer glaubt denn bitte schön ernsthaft, dass die Auszahlung schneller laufen würde und das Geld schneller bei den Menschen wäre, wenn wir uns jetzt noch zuerst auf einen neuen Austeilungsmechanismus einigen müssten? Richtig ist, dass wir eine solche vereinfachte Art der Direktauszahlung zukünftig brauchen, für Fälle wie zum Beispiel das Klimageld. Richtig ist aber auch, dass die Menschen jetzt schnellstens diese Energiepreispauschale erhalten sollen. Alle Arbeitnehmer, alle Minijobber und alle, die auf ihre Einkünfte Einkommensteuervorauszahlung leisten, erhalten diese Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro spätestens im Oktober. Ja, es wird wenige Menschen geben, die die Energiepreispauschale erst mit der Jahresveranlagung erhalten, ({1}) zum Beispiel bei Arbeitgebern, die ausschließlich Minijobber beschäftigen. Trotzdem können wir mit diesem System die meisten Menschen am schnellsten erreichen, und das ist uns wichtig. ({2}) Die Kritik, Rentner und Rentnerinnen und Studierende würden keine Energiepreispauschale erhalten, ({3}) stimmt teilweise; denn Rentner/-innen und Studierende mit Erwerbstätigkeit, wie zum Beispiel einem Minijob, erhalten natürlich die Energiepreispauschale. Rentner/-innen und Studierende ohne Erwerbstätigkeit erhalten keine Energiepreispauschale. Und nein, wir haben diese nicht vergessen. Wir wollen mit dieser Energiepreispauschale diejenigen unterstützen, die durch die höheren Energiepreise mehr ausgeben müssen, um zur Arbeit zu kommen. ({4}) Weil Rentner und Studierende auch unter den hohen Energiekosten leiden, haben wir sie selbstverständlich bei anderen Maßnahmen berücksichtigt: 9‑Euro-Ticket, Abschaffung der EEG-Umlage, Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe, Heizkostenzuschuss. Natürlich werden diese Personengruppen auch entlastet, aber eben nicht für einen Weg zur Arbeit, den sie gar nicht haben. ({5}) Das Totschlagargument – immer wieder gerne vorgebracht – heißt: Bürokratie und Verwaltungsaufwand. Ja, stimmt. Alles, was wir entscheiden, erzeugt Verwaltungsaufwand. Wie soll es denn bitte ohne Verwaltung gehen? Die Verwaltung setzt um, was hier beschlossen wird. ({6}) Die Verwaltung sorgt damit dafür, dass die Entlastung genau da ankommt, wo sie ankommen soll, und zwar genau in der Höhe, in der sie ankommen soll. ({7}) Und das wird hier kritisiert? Die Hilfe sei nicht zielgerichtet, wird kritisiert. ({8}) Das ist schlicht falsch. ({9}) – Nee, das ist falsch. ({10}) Hören Sie zu! Ich erklären Ihnen auch, warum. – Die Anhebung des Grundfreibetrags entlastet alle relativ und die Personen mit besonders kleinem Einkommen mehr. Genau das wollen wir. Der Kinderbonus kommt Familien mit Kindern zugute, weil diese von den gestiegenen Energiepreisen besonders hart getroffen wurden. Aber durch die Verrechnung mit dem Kinderfreibetrag haben Familien mit geringem Einkommen mehr von diesem Kinderbonus als die Gut- und Besserverdienenden. Genau das wollen wir. ({11}) Die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages reduziert den Verwaltungsaufwand und stellt für rund zwei Drittel der angestellt beschäftigten Arbeitnehmer/-innen eine Verbesserung dar. Das wollen wir. ({12})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der AfD-Fraktion?

Dagmar Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005009, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, aber nein, danke. Die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro wird mit dem individuellen Steuersatz besteuert. Das bedeutet, dass Personen mit geringem Einkommen mehr von dieser Energiepreispauschale haben als die Gut- und Besserverdienenden. Und genau das wollen wir. Alles in allem wurde dieses Steuerentlastungsgesetz von allen Sachverständigen grundsätzlich positiv bewertet. ({0}) Diese über 30 Milliarden Euro kommen zielgerichtet dort an, wo sie ankommen sollen. Das ist ein sehr gutes Gesetz. Wie man es macht, macht man es falsch. Aber der größte Fehler wäre, dieses Gesetz nicht zu beschließen. Vielen Dank. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Das Wort erhält für eine Kurzintervention der Abgeordnete Kay Gottschalk.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für das Zulassen. – Frau Andres, ich weiß es nicht, aber Sie waren wahrscheinlich auch nicht in der Anhörung. Mein Kollege Stöber hat eben gesagt: Wenn man keine Ahnung hat, dann sollte man sich wenigstens einarbeiten. ({0}) Erstens. Das 9‑Euro-Ticket – da brauchen Sie nicht zu lachen – ist befristet auf drei Monate. Das heißt, Sie unterstellen wahrscheinlich, dass in drei Monaten in der Energiewelt und mit der Inflation wieder alles in Ordnung ist. Zweitens. Zu dem, was Sie hier als Wohltat verkaufen, nämlich den Grundfreibetrag anzuheben, sind Sie nach verfassungsgerichtlichem Urteil verpflichtet. Sie sind dazu verpflichtet, das Existenzminimum freizustellen. Alle – ich betone: alle – Sachverständigen in der Anhörung haben ausdrücklich betont, dass diese Anhebung, die Sie jetzt angeblich großzügig vornehmen, die jetzt schon erreichte Inflationsrate nicht wird ausgleichen können. Das heißt, da werden Sie nachlegen müssen. Selbst der DGB hat in dieser Anhörung gesagt, dass er die Anhebung für nicht angemessen hält. Leben Sie in einer Parallelwelt an der Stelle? Des Weiteren verschweigen Sie, dass Sie für den Anstieg der Energiekosten verantwortlich sind. Sie reden von einer fossilen Inflation. ({1}) Fahren Sie mal in die europäischen Nachbarländer! Und Sie haben wohl vergessen, dass Sie festgelegt haben: 25 Euro pro Tonne CO2 ab 2021, 30 Euro pro Tonne CO2 ab diesem Jahr, 35 Euro ab 2023, 45 Euro ab 2024 und gar 55 Euro im Jahr 2025. Ihre Regierung und Ihre Politik sind die größten Preistreiber im Bereich der Energie. ({2}) Das sollten Sie vielleicht den Menschen da oben auf der Tribüne mal sagen. Ganz zu schweigen von Ihrer Energiesteuer. Ganz zu schweigen davon, dass Sie Mehreinnahmen von mehr als 1 Milliarde Euro durch die gestiegenen Energiepreise beim Sprit haben. ({3}) Und dann zu sagen, dieser sogenannte Heizkostenzuschuss solle den Menschen zugutekommen, die pendeln, das zeigt Ihre Ahnungslosigkeit. Das sagen Sie mal einem Rentner, der auf dem Land wohnt, der auch einkaufen muss! Also bitte, Sie leben wirklich in einer Parallelwelt, und Ahnung haben Sie nicht; tut mir leid. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Möchten Sie erwidern? – Bitte schön.

Dagmar Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005009, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, erstens sollten Sie hier keine Unterstellungen machen, sondern sich ausschließlich auf das beziehen, was ich auch wirklich gesagt habe, und nicht auf das, was Sie meinen gehört zu haben. ({0}) Zweitens haben Sie jetzt gerade wieder überzeugend dargestellt, dass Ihre Ansichten und Aussagen durchaus unterirdisch sind und meistens zum Fremdschämen. ({1}) Drittens. Der Existenzminimumbericht, der von Ihnen erwähnt wurde, kommt im Oktober. Wir haben schon im Vorfeld den Grundfreibetrag zum Ausgleich der kalten Progression um die Inflationsrate angepasst. Sie haben hier gerade, wie Sie es immer machen, einzelne Punkte aus einem Gesamtpaket herausgenommen und dabei mal wieder nicht den Gesamtzusammenhang beachtet. Das ist ({2}) Populismus, oder? – Danke für den Hinweis. – Man kann es auch so sagen: Die Intelligenz ist woanders einfach breiter gestreut. Danke. ({3})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Punkte zu diesem Gesetz. Der Name des Gesetzes ist irreführend. Sie sagen: Es ist ein Steuerentlastungsgesetz 2022. – Sie gleichen aber nicht einmal die Teuerungsrate aus dem Jahr 2021 aus, ganz zu schweigen davon, dass die Inflation und die Bewegungen aus 2022 in diesem Gesetz überhaupt keine Berücksichtigung finden; wir haben heute früh schon darüber diskutiert. ({0}) Den Grundfreibetrag erhöhen Sie, aber Sie ändern die Tarifeckwerte nicht. Das heißt, ab der zweiten Stufe im Steuertarif steigt der Steuersatz sozusagen wesentlich steiler, ({1}) sodass bei den 300 Euro Bonus die Inflation und die kalte Progression zuschlagen; ich komme später noch mal darauf zurück. ({2}) Auch zur Entfernungspauschale muss man fairerweise schon mal sagen, dass in der Anhörung nahezu alle Sachverständigen, selbst der DGB, dieses Gesetz kritisiert haben und gesagt haben, die Entlastung komme nicht zielgerichtet genug an. ({3}) Ein Punkt war die Entfernungspauschale. 80 Prozent aller Pendlerinnen und Pendler fahren unter 20 Kilometer und haben natürlich auch Mehrkosten. Diese berücksichtigen Sie überhaupt nicht. Das Zweite ist: Das, was Sie an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben, ist viel zu wenig. Wenn Sie die aktuellen Steuereinnahmen nehmen: Allein aus der Umsatzsteuer im ersten Quartal dieses Jahres haben wir eine Erhöhung um 34,3 Prozent; das sind 20 Milliarden Euro allein aus der Umsatzsteuer. Wenn man noch die Einkommensteuer mit 17,3 Prozent Steigerung hinzunimmt, dann haben wir wesentlich höhere Einnahmen beim Staat im Vergleich zu dem, was Sie jetzt an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben müssten. ({4}) Deswegen ist es eben kein Steuerentlastungsgesetz, sondern ein Steuerbelastungsgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Drittens. Das, was Sie wenigstens geben, ist so kompliziert und so bürokratisch – so was haben wir selten erlebt. ({6}) Das Einkommensteuergesetz hat 111 Paragrafen. Sie fügen jetzt – Achtung! – für eine einmalige Pauschale von 300 Euro elf ganze Paragrafen ins Einkommensteuergesetz ein; das sind 10 Prozent vom Einkommensteuergesetz für eine einmalige Auszahlung – extrem kompliziert. ({7}) Dann ist diese Energiepreispauschale auch noch brutto, das heißt, der Staat nimmt noch mehr Steuern ein; denn von dem, was Sie an die Bürgerinnen und Bürger geben, holen Sie sich gleich die Steuer ab. ({8}) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich stimmt das, natürlich ist das brutto. Schauen Sie doch mal in Ihren eigenen Gesetzentwurf hinein. ({9}) Also, man hätte wirklich eine einfachere Auszahlung und auch eine Nettoauszahlung machen können. ({10}) Denn wenn man mal berechnet: Man kriegt eine Energiepreispauschale von 300 Euro, ({11}) die die Bürgerinnen und Bürger versteuern; dann bleiben vielleicht 160 Euro bis 170 Euro übrig. Durch die kalte Progression, die zuschlägt, bleiben vielleicht knapp 100 Euro übrig, die an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden. Die Belastung beträgt aber 500, 600 oder 700 Euro für eine Familie. Apropos Familien: Sie lassen diejenigen aus diesem Gesetz heraus, die die Energiepreispauschale eigentlich dringend bräuchten: Studenten bekommen sie nicht, Rentnerinnen und Rentner bekommen sie nicht, und junge Familien, die Elterngeld beziehen, bekommen sie auch nicht. Das ist wirklich skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Sie machen Studenten, Rentnerinnen und Rentner und Familien zum blinden Fleck in der Inflationspolitik. So geht es nicht. Deswegen haben wir heute einen Entschließungsantrag vorbereitet. Sie können dokumentieren, ob Sie dazu stehen, alle Menschen in diesem Land zu entlasten. Dann müssten Sie unserem Antrag zustimmen. Wenn Sie nicht zustimmen, sagen Sie ein klares Nein zu den Studenten, ein klares Nein zu den Rentnerinnen und Rentnern und ein klares Nein zu den jungen Familien, die Elterngeld beziehen. Diese kriegen keine Energiepreispauschale. Sie werden mehrbelastet durch die kalte Progression. Sie werden mehrbelastet durch die Inflation. Sie nehmen genau den Menschen, die es brauchen, das Geld weg und schaffen keine Entlastungen im Haushalt. Letztlich muss man noch eins sagen: Wissen Sie, wo die Mehreinnahmen hingehen? ({13}) Die gehen in den Haushalt. Sie schaffen 3 433 neue Stellen in den Ministerien und in den Verwaltungen; das geht aus einer Anfrage von uns hervor. Dort ist das Geld vergraben. Die Bürgerinnen und Bürger bräuchten dieses Geld dringend. Geben Sie es ihnen zurück! Herzlichen Dank. ({14})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als letzte Rednerin in dieser Debatte folgt für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Beck. ({0})

Katharina Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005019, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja selber eine Familie, und es ist schon fast unredlich, lieber Herr Brehm: Mit dem Kinderbonus entlasten wir selbstredend auch Familien; das muss hier einfach mal gesagt werden. ({0}) Zum Abschluss der Beratung dieses Gesetzes noch mal ein ganz wichtiger Punkt: Die hohen Kosten, vor allem für fossile Energien, treiben natürlich die Preise nach oben – wir haben heute Morgen ausführlichst über die Inflation gesprochen –; wir wissen das, und wir entlasten die Menschen mit Milliardenbeträgen. Vieles ist gesagt worden. Wir Grünen tragen sogar Maßnahmen mit, die uns vielleicht nicht so gut gefallen – zum Beispiel die genannte Erhöhung der Fernpendlerpauschale –, um die Menschen zu entlasten. ({1}) Die ist nämlich nicht unbedingt klimapositiv; aber wir sind eine sozial-ökologische Regierung, ({2}) und wir möchten auch da eine Entlastung schaffen. Ich möchte noch einmal auf einige Punkte eingehen. Wir sind mit unserem Gesetz nicht nur reaktiv, sondern wir sind auch vorausschauend, zum Beispiel bei der Pendlerpauschale: Die wollen wir nämlich – das haben wir auch vereinbart – sozial und ökologisch weiterentwickeln. Die Relevanz ist uns doch vor wenigen Tagen noch mal vor Augen geführt worden: Die Erderwärmung um 1,5 Grad, dieser krasse Kipppunkt der Klimakatastrophe, kann schon in den nächsten fünf Jahren erreicht werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt vorausschauen und unsere Instrumente weiterentwickeln. Es ist total erschreckend – ich möchte noch einmal auf die Flutkatastrophe eingehen –, welche finanziellen Auswirkungen das auch hat. Natürlich hat sie in den Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auch menschlich und sozial große Auswirkungen; das war und ist ja nicht zu ertragen. Aber es ist eben auch wirtschaftlich und finanziell eine Katastrophe. Wir reden hier gerade über ein Steuerentlastungsgesetz, und es geht um Finanzen und Haushalt. Der Wiederaufbaufonds, den wir für die betroffenen Regionen kreiert haben, enthält 30 Milliarden Euro. Das ist absolut notwendig; ({3}) aber das bedeutet umgerechnet auch, dass jede und jeder in diesem Land pro Kopf 360 Euro dazuzugeben hat. Das ist also mehr als die Energiepreispauschale, die wir jetzt auszahlen. ({4}) Das zeigt aber auch: Wenn wir den Klimaschutz richtig angehen, dann können wir solche Ausgaben in Zukunft verhindern. Das schützt uns vor zukünftigen Belastungen, und deswegen ist die ökologische Weiterentwicklung der Pendlerpauschale und anderer Maßnahmen auch ein ganz essenzieller Bestandteil unseres Gesetzespakets; das ist noch nicht so prominent gesagt worden, aber er ist wirklich wichtig. ({5}) Dazu gehört auch das geplante Klimageld für alle Bürgerinnen und Bürger, um hohe CO2-Kosten auszugleichen. Bei der Energiepreispauschale – es ist schon etwas dran – ist es noch etwas kompliziert, die Auszahlung zu organisieren. Das können wir mit unseren rechtlichen Rahmenbedingungen heute einfach noch nicht so gezielt. Um das beim Klimageld besser hinzubekommen, haben wir im jetzigen Paket einen zweiten, sehr vorausschauenden Punkt vereinbart, nämlich einen einfachen und unbürokratischen Weg für Direktzahlungen. Das ist weitsichtige Politik. Dieses Gesetzespaket entlastet jetzt, hat aber auch vorausschauende Elemente. Das ist kluge Politik, wie ich sie mir von dieser Regierung wünsche und wie ich sie hier auch mitgestalten kann. Darüber freue ich mich mit Ihnen allen zusammen. Herzlichen Dank für dieses tolle Gesetz. ({6})

Takis Mehmet Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben über diesen Antrag hier ja schon mal gesprochen, und ich hatte schon beim ersten Mal gesagt, dass dieser Antrag grundsätzlich ein Rundumschlag von zusammengewürfelten Vorschlägen und Forderungen ist, die teilweise wortgleich von Verbänden übernommen worden sind, auch mit denselben orthografischen Fehlern. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, wenn ich mich nicht ganz falsch erinnere, ist es so, dass wir sehr lange zusammengearbeitet haben. Ich denke an das Bundesteilhabegesetz; ich denke an die letzten Jahre. ({0}) Sie fordern jetzt Dinge, bei denen man sich dann doch ziemlich wundert, warum das erst jetzt alles kommt. Im Übrigen war in der öffentlichen Anhörung sehr, sehr interessant, dass mindestens aus einer Selbstvertretungsorganisation sogar der Einwand kam, warum Sie ausgerechnet jetzt damit kommen. Das wundert doch ziemlich. ({1}) Vor allen Dingen die progressiven Punkte, die Sie in Ihren Forderungen haben, zeigen, dass Sie schon sehr lange mit uns zusammengearbeitet und den Wunsch nach sozialdemokratischer Inklusionspolitik haben. ({2}) Inhaltlich handelt es sich bei Ihrem Antrag zwar um eine Auflistung konkreter Maßnahmen zur Unterstützung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aber wenn man dann doch konkret hinschaut, sieht man, dass überwiegend die Arbeitgeberperspektive eingenommen wird. Keiner der 20 Punkte enthält tatsächlich eine Verpflichtung für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz anzubieten. All jene Maßnahmen, welche verbindliche Vorgaben für Unternehmen beinhalten und die Stellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung wirklich stärken würden, werden hier schlicht und ergreifend ausgenommen. Und wenn ich mir Ihren Antrag dann noch mal genauer anschaue, dann ist es ja so: In Ihrem Antrag stehen ganz viele progressive Forderungen. Ich denke jetzt an unsere Regierungskoalition, an das, was wir gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP vereinbart haben. Ich muss Ihnen sagen, Herr Oellers: Ich freue mich auf Ihre Zustimmung in der Zukunft. Sie können ja nichts anderes machen, als unseren Anträgen in der Zukunft zuzustimmen; ({3}) denn wenn Sie das nicht tun, dann machen Sie sich erst recht sehr, sehr unglaubwürdig. ({4}) In diesem Zusammenhang vielleicht noch ein kleiner Exkurs. Ich kann Ihnen eine sehr, sehr nette Lektüre empfehlen, etwas, das Sie unbedingt mal lesen sollten. Die Lektüre heißt „Mehr Fortschritt wagen“ von den Autoren SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, auch bekannt als Koalitionsvertrag. Deshalb mache ich noch ein paar wichtige Ergänzungen und nenne, was wir noch alles vorhaben. ({5}) Wir werden die einheitlichen Ansprechstellen für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber weiterentwickeln. Wir werden echte Teilhabe am Arbeitsleben durch die Einführung der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe schaffen und diese Mittel zur Unterstützung und Förderung der Beschäftigung einsetzen und im Übrigen auch einiges ausprobieren müssen. Ich glaube, darum werden wir gar nicht herumkommen, um auch mal ein paar Projekte zu wagen. Aber ich möchte es nicht nur bei Ihrem Antrag belassen. Ich habe mir natürlich auch den Antrag der Linken durchgelesen und mir noch mal genauer die Intention angeschaut. Herr Pellmann, es ist ja grundsätzlich so: Die Intention Ihres Antrages ist wirklich zu würdigen. Aber eins stört mich dann doch ziemlich – das hatte ich, glaube ich, schon gestern im Ausschuss erwähnt –: Mir ist da einfach zu wenig Fleisch am Knochen. – Wir können gerne gemeinsam daran arbeiten, dass mehr Fleisch an den Knochen kommt, wenn Sie dann künftig unseren Anträgen zustimmen. ({6}) – Sie werden gut sein, keine Sorge. Es ist selbstverständlich so, dass wir alle uns mehr Partizipation für Menschen mit Behinderung wünschen. Aber in dem Antrag gibt es halt sehr, sehr wenig Präzision. Deshalb freue ich mich, wenn wir dann in gemeinsame Gespräche gehen und vieles präzisieren können. Um aber Missverständnissen etwas vorzubeugen, empfehle ich auch hier noch mal die Lektüre „Mehr Fortschritt wagen“, um anhand dessen, was wir im Koalitionsvertrag ausgeführt haben, zu ein paar Erkenntnissen zu gelangen. ({7}) Wir werden die Mittel des Partizipationsfonds erhöhen und verstetigen. Wir werden einen Sprachendienst in einem eigenen Bundeskompetenzzentrum für leichte und Gebärdensprache einrichten. Und vom Bundesprogramm „Barrierefreiheit“ hatte ich ja schon gesprochen. Vielleicht noch mal zum Duktus der Inklusion bei uns in der Gemeinschaft – ich glaube, auch das hatte ich gestern erwähnt –: Wer macht denn die Inklusion? Kommt das aus der Gesellschaft? Oder machen das immer die Menschen mit Behinderung? Oftmals ist es so, dass die Menschen mit Behinderung immer auf die übrigen Mitglieder der Gesellschaft zugehen müssen. Es sind die Einrichtungen, es sind die sozialen Dienste, es sind die Freunde, die Eltern, die Inklusion machen müssen. Aber zu wenig kommt von den Unternehmen, zu wenig von den Vereinen. Die Intention müsste sein, dass Menschen mit Behinderung mitgenommen werden können. Da müssen wir ganz viel machen. ({8}) Zudem, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es so, dass man beobachtet: Was passiert mit diesen Ausgleichsabgabemitteln? Ich gebe Ihnen ein supergutes Beispiel aus Baden-Württemberg. Ich habe mir das heute noch mal kommen lassen, damit ich nicht Falsches erzähle; das will ich ja nicht. Wenn man sich das näher anguckt, dann sieht man: Es werden Mittel der Ausgleichsabgabe beispielsweise dafür eingesetzt, dass Wohnheime mit Mitteln nach § 24 Schwerbehinderten-Ausgleichsverordnung gebaut werden. Das muss man sich mal reinziehen. Und dann steht in den Förderbescheiden aus Baden-Württemberg – bestes Beispiel –: „Wohnheim für WfbM-Beschäftigte“, weil sie dann die Argumentation herleiten: Wenn in diesem Wohnheim WfbM-Beschäftigte wohnen, dann kann man die Ausgleichsabgabe für 24er-Wohnheime ausgeben. 24er-Wohnheime – bei aller Liebe, diese haben in diesem Zeitalter nichts mehr mit Selbstbestimmung zu tun – gehören weg. ({9}) Wir werden immer solche Angebote brauchen; aber die Ausgleichsabgabe dafür einzusetzen, gehört sich nicht. ({10}) Vielleicht muss man hier auch darauf hinweisen – Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig –, dass wir noch mal die Evaluation des Bundesteilhabegesetzes angehen müssen. Dafür ist es umso wichtiger – weil das Länderangelegenheit ist –, dass wir in den Ländern soziale Mehrheiten haben. Umso mehr freue ich mich auf Sonntag und darauf, dass wir mehr soziale Mehrheiten zusammenkriegen. Vielen Dank fürs Zuhören. ({11})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin immer eine Anhängerin engagierter Debatten; aber im Moment brauchen wir laut der Tagesordnung schon bis nach 1 Uhr nachts. Also: Versuchen Sie doch bitte, Ihre Redezeiten einzuhalten. Sie haben ja genug Minuten. Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Wilfried Oellers. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. ({0}) Man weiß nie, was man bekommt.“ Gewiss kennen Sie alle dieses Zitat aus dem Film „Forrest Gump“, der die persönliche Lebensgeschichte eines Mannes mit einer kognitiven Behinderung erzählt. Ja, die erfolgreiche Lebensgeschichte, weil er seine Potenziale nutzen konnte und dabei die entsprechende Unterstützung hatte. Was im Film spielerisch, ja quasi federleicht erscheint, nämlich die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung, bedarf in der Realität gewisser Anstrengungen und stößt auf nicht unwesentliche Hindernisse und Schwierigkeiten. Zum Beispiel vergehen oft Wochen, bis geklärt ist, welche Träger für die Finanzierung von Arbeitsplatzausstattung und Assistenzen zuständig sind, und dies, obwohl wir als Gesetzgeber im Bereich inklusiver Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren viele Dinge vorangebracht haben und fraktionsübergreifend ähnliche Ziele verfolgen. Dennoch bedarf es weiterer Verbesserungen. Zum einen braucht es eine bessere Unterstützung von Arbeitnehmern mit Behinderung, damit diese sich entsprechend ihren Stärken und Fähigkeiten am ersten Arbeitsmarkt etablieren können. Zum anderen bedarf es mehr Kooperation, mehr Ansprache der Arbeitgeber, mehr Verzahnung der Förderinstrumente und einer Stärkung der digitalen Teilhabemöglichkeiten. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir hierzu die Einrichtung einheitlicher Ansprechstellen für Arbeitgeber beschlossen. ({1}) Ziel der trägerübergreifenden Lotsen ist es, Fördermöglichkeiten der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen aufzuzeigen. Damit besagte Ansprechstellen zeitnah aktiv werden können, braucht es aber eine konkrete Zeitplanung und eine gute Umsetzungsstrategie. ({2}) Ich denke aber auch an Rechtssicherheit für Inklusionsbetriebe, zum Beispiel bei der Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für ihre Dienstleistungen und Produkte, bei der Inanspruchnahme von Wirtschaftshilfen, bei der bevorzugten Vergabe an diese Unternehmen durch öffentliche Auftraggeber und bei der notwendig werdenden Angleichung beim Nachteilsausgleich aufgrund der anstehenden Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. In der öffentlichen Anhörung hat die BAG Inklusionsfirmen diese Vorschläge aus unserem Antrag ausdrücklich begrüßt. Denn es läuft noch nicht alles überall so gut wie zum Beispiel hier mitten in Berlin im neuen Berliner Humboldt Forum, wo das Inklusionsunternehmen Lebenswelten in einem europaweiten Verfahren die Ausschreibung für den dortigen Gastronomiebetrieb gewonnen hat. Zudem gilt es, beim Budget für Arbeit und beim Budget für Ausbildung die Anwendungsmöglichkeiten zu erweitern und die Antragstellung zu erleichtern und weitere Brücken wie die von uns vorgeschlagenen Außenausbildungsplätze zu bauen, damit Werkstattbeschäftigte den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt finden. Mit Blick auf die Werkstattbeschäftigten, die es nicht auf den ersten Arbeitsmarkt schaffen, brauchen wir aber auch die Verbesserung der Einkommenssituation aller Werkstattbeschäftigten, indem das Arbeitsförderungsgeld und nicht der Grundbetrag mit dem Ausbildungsgeld steigt und nicht mehr gedeckelt wird. Schließlich: Die Digitalisierung darf vor Menschen mit Behinderungen nicht haltmachen und muss als Chance verstanden werden, damit Menschen mit Behinderung noch besser auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Wir brauchen daher Förderprogramme für barrierefreie digitale Kompetenzen und die entsprechende Infrastruktur am ersten Arbeitsmarkt und in außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen. Unsere Vorschläge im Antrag „Potentiale nutzen – Inklusive Arbeitswelt stärken“ erhielten von den Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung überaus positive Bewertungen. Unsere Vorschläge bieten eine gute Grundlage, die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verbessern. Denn es ist für unsere Gesellschaft insgesamt wichtig, dass wir die Potenziale der Menschen mit Behinderung nutzen, ({3}) so wie Forrest Gump seine Potenziale nutzen konnte, damit die Menschen mit Behinderung nicht nur mitten in Berlin – Stichwort „Humboldt Forum“ – mitten in der Gesellschaft stehen, sondern in ganz Deutschland. Wir werben daher um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({4})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Ganz herzlichen Dank. – Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Corinna Rüffer. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Sehr häufig haben Abgeordnete und auch Regierungsvertreter von dieser Stelle aus betont, dass die oberste Prämisse, würde ich sagen, der UN‑Behindertenrechtskonvention „Nichts über uns ohne uns!“ in diesem Land gilt. Gleichzeitig haben wir sehr häufig erlebt, dass die Praxis des Regierungshandelns dem nicht entsprach. Fristen für die Abgabe von Stellungnahmen zu komplexen Gesetzentwürfen lagen manchmal bei wenigen Tagen. Das ist für alle Verbände und für alle, die zur Stellungnahme aufgerufen sind, natürlich eine Zumutung. Aber kleine Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen, die in der Regel wesentlich auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind, haben unter diesen Bedingungen kaum eine Chance, ihre Expertise ernsthaft einzubringen. Wie gravierend das sein kann, sehen wir gerade im aktuellen Drama um die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gesetzgebung zur sogenannten Triage, für den Fall also, dass zum Beispiel pandemiebedingt die überlebensnotwendigen intensivmedizinischen Ressourcen nicht mehr für alle ausreichen und entschieden werden muss – ich bitte um Aufmerksamkeit! –, wer überleben darf und wer sterben muss. Ich glaube nicht, dass irgendein Minister oder irgendeine Ministerin dieses Kabinetts ernsthaft auf die Idee einer Ex-post-Triage gekommen wäre; das heißt, jederzeit könnte jemandem der Stecker gezogen werden, wenn einer anderer kommt, dessen Überlebenswahrscheinlichkeit besser eingeschätzt wird. Totschlag per Gesetz, könnte man sagen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand diese Erwägung ernsthaft angestellt hätte, ({0}) wenn man die Beschwerdeführer/-innen und ihre Selbstvertretungen von Anfang an in einen ernsthaften Beteiligungsprozess miteinbezogen hätte. ({1}) Stattdessen hat man diese gesellschaftlich so unglaublich relevante Debatte von Anfang an gesundheitspolitisch verengt und sie wesentlich von denjenigen steuern lassen, die die Verfassungsbeschwerde ursprünglich verursacht haben: privaten medizinischen Fachgesellschaften nämlich. Sie erahnen: Wir finden das Anliegen der Fraktion Die Linke absolut richtig. Ihre Forderungen sind aber im Wesentlichen im Koalitionsvertrag verankert, und wir hoffen, dass wir zusammen an einer wirklichen Partizipation behinderter Menschen im Gesetzgebungsverfahren und darüber hinaus arbeiten werden. ({2}) Und jetzt zum Antrag der Union. Ich halte echt gar nichts davon, irgendwie darüber zu lamentieren, ob Sie in 16 Jahren Regierungszeit nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, all das umzusetzen, was Sie heute und auch beim letzten Mal an guten Dingen vorgelegt haben. Und darauf kommt es ja an: dass die Dinge, die in so einem Antrag stehen, gute Dinge sind. Wenn wir die inklusive Gesellschaft voranbringen wollen – und ich lese Ihren Antrag so –, brauchen wir alle Kräfte in diesem Land; denn es ist eine Mammutaufgabe, die wir vor uns haben. Da können wir auch auf die Unionsfraktion nicht verzichten. Deswegen herzlichen Dank an Hubert Hüppe, Herrn Oellers und alle anderen für diesen Antrag. ({3}) In den letzten Jahren jagte eine akute Krise die nächste: die Klimakrise, die Pandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine. Und wir werden diese großen Herausforderungen unserer Zeit auf Dauer nur dann meistern können, wenn wir alle Menschen mitnehmen und nicht zulassen, dass Gruppen gegeneinander in Stellung gebracht werden. Die Entwicklung eines inklusiven Arbeitsmarktes, auch und gerade angesichts des demografischen Wandels, ist dabei enorm bedeutsam; denn es geht darum, unsere Arbeitswelt so zu gestalten, dass immer mehr älter werdende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund bleiben. Wir können und wollen auf sie nicht verzichten. Deshalb ist es notwendig, das betriebliche Eingliederungsmanagement, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, verbindlicher zu regeln, Prävention, Rehabilitation und Teilhabeleistungen viel stärker auf den Arbeitsmarkt auszurichten. Und es ist notwendig, die Schwerbehindertenvertretung als ganz wichtige Ressource in den Betrieben endlich zu stärken. ({4}) Sie sehen: Unser Thema reicht weit über den Antrag der Union hinaus. In der ersten Beratung zu Ihrem Antrag habe ich ausgeführt, dass entgegen den gesetzlich bindenden Vorgaben der Behindertenrechtskonvention immer mehr Menschen auf Sonderwelten wie Werkstätten für behinderte Menschen verwiesen werden. Viele von ihnen wünschen sich das nicht; sie wünschen sich etwas anderes. Neulich, irgendwo in Deutschland, berichtete mir eine Mutter – ich zitiere –: Meine Tochter arbeitet bereits seit über 20 Jahren in einer Behindertenwerkstatt. Ich zwischenzeitlich auch – aufgrund einer psychischen Erkrankung. Sie sagt, sie möchte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt sein. Aber sie weiß, sie kann es nicht. Und die nächste Rednerin: Natürlich möchte ich außerhalb der Werkstatt arbeiten. Aber bin ich denn einem Arbeitgeber zuzumuten? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie das hören, dass ein Mensch befürchtet, anderen Menschen nicht zuzumuten zu sein. Ich finde, das muss uns alle wütend machen. Wir müssen dieser Person zurufen: Du musst so nicht empfinden! Du hast ein Recht auf inklusive Arbeit! – Das muss dieses Parlament all diesen betroffenen Personen zurufen. ({5}) Wir haben alle Möglichkeiten, Regelungen zu finden, nicht Maßnahmen von der Stange anzubieten, wegzukommen von der Ausschreiberitis hin zu Personenzentrierung, uns an den guten Beispielen der Inklusionsbetriebe zu orientieren, die es landauf, landab gibt, und es einfach zu machen. Das wäre die Aufgabe dieser Zeit, eine wichtige Aufgabe, einen inklusiven Arbeitsmarkt, eine inklusive Gesellschaft voranzutreiben. Herzlichen Dank. ({6})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Für die AfD-Fraktion folgt der Abgeordnete René Springer. ({0})

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerne hätte Jürgen Pohl, unser behindertenpolitischer Sprecher, zu Ihnen gesprochen; leider ist er kurzfristig erkrankt. Aber das Thema ist eben zu wichtig, als dass man diese Rede einfach zu Protokoll gibt. Und deswegen wird mir die Ehre zuteil, die wesentlichen Punkte und Positionen der AfD-Fraktion vorzutragen. ({0}) – Es ist ein wichtiges Thema, und ich finde, da können Sie ruhig ein bisschen Aufmerksamkeit zeigen. Danke schön. Die Zahlen – es geht hier um die Inklusion von Behinderten in den Arbeitsmarkt – sind erschreckend. Seit Jahren finden Menschen mit Behinderung wesentlich schwerer einen Arbeitsplatz als Menschen ohne Behinderung. Und wenn wir mal an die Lockdown-Politik erinnern, muss man sagen, dass das Problem dadurch auch noch verschärft wurde. Ich möchte daran erinnern, dass wir im ersten Lockdown-Jahr, 2020, einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung um 10 Prozent hatten. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das ist ein katastrophales Ergebnis, und dafür sollte sich eigentlich auch mal jemand rechtfertigen. ({1}) Das darf sich nicht wiederholen. Zugleich müssen wir natürlich zukünftig andere und bessere Anreize setzen, wenn es um die Integration von behinderten Menschen in den Arbeitsmarkt geht. Wir haben im vergangenen Jahr einen Vorschlag unterbreitet, das sogenannte Bonus-Malus-System, dass also Unternehmen nicht nur abgestraft werden, wenn sie die Beschäftigtenquote nicht erfüllen, sondern dass Unternehmen auch belohnt werden, wenn sie die Quote übererfüllen, ({2}) und zwar mit 250 Euro monatlich pro Beschäftigtem. Dieser Antrag wurde von Ihnen abgelehnt, was in gewisser Weise auch zeigt, wie ernst Ihnen dieses Thema ist: ({3}) offenbar nicht ernst genug. ({4}) Jeder Mensch weiß doch, dass Unternehmen, „Marktakteure“ genannt, besser auf Anreize reagieren als auf Strafen. Das zeigt ja im Grunde auch der begrenzte Erfolg bei der Ausgleichsabgabe, also dem Strafteil dieses Unterfangens: Jedes vierte Unternehmen, das eigentlich verpflichtet wäre, Behinderte zu beschäftigen, tut das nicht. Das ist nicht gerade ein Erfolgsmodell. ({5}) Meine Damen und Herren, Fakt ist: Arbeitslosigkeit belastet das Leben von Menschen schwer. Das Leben von Menschen mit Behinderung wird noch ungleich schwerer belastet. Obwohl es einen enormen Mitteleinsatz gibt, um Behinderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist Deutschland im europäischen Vergleich auf dem letzten Platz, was die Lücke angeht zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung. Das ist ein Armutszeugnis. Außerdem muss man festhalten, dass jeder sechste Mensch mit Behinderung in Deutschland über keinen Schulabschluss verfügt, jedenfalls in der Altersgruppe 25 bis 44 Jahre. ({6}) Das ist auch ein Grund, warum deren Teilhabe am Arbeitsleben so hinter der Normalität der Menschen zurückliegt, die keine Behinderung haben. Auch hier gibt es also einen grundlegenden Handlungsbedarf; auch hier könnte man eigentlich mal eine Zeitenwende fordern. Aber das Thema scheint Ihnen nicht wichtig genug zu sein. Generell muss umgedacht werden. Es ist also eine gesamtgesellschaftliche, vor allem eine politisch wichtige Aufgabe, Menschen mit Behinderung stärker in den Fokus zu rücken. Wir als AfD-Fraktion werden uns weiterhin intensiv für eine Chancenverbesserung für Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt einsetzen und auch sinnvolle Vorschläge unterbreiten, wie zum Beispiel eine Ausweitung des Budgets für Ausbildung und Arbeit, sowie eine existenzsichernde Entlohnung für die Beschäftigten unterstützen. Da kommen wir zu einem wichtigen Thema. Das sind nämlich Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten beschäftigt sind. Wir reden hier immer alle von Menschenwürde – Sie besonders gern und besonders viel. Aber wie kann es eigentlich sein, dass die Mehrzahl der Werkstattbeschäftigten mit dem, was sie verdienen, den eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten können? Da läuft Ihre ständig wiederholte Floskel „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ völlig ins Leere, und dafür sollten Sie sich auch schämen! ({7}) Meine Damen und Herren, es gibt noch viel zu diesem Thema zu sagen, aber die Redezeit ist mit vier Minuten eng bemessen. Wir brauchen Verbesserungen beim Budget für Ausbildung, bei der Eingliederungshilfe. Wir müssen entbürokratisieren, um die Antragsverfahren und die Zugänge zu Zuschüssen für Arbeitgeber zu verbessern. Wir als AfD-Fraktion sagen ganz klar: Junge Menschen, vor allem junge Menschen mit Behinderung, müssen gefördert werden; wir brauchen sie als Fachkräfte von morgen. Auch das könnte ein Beitrag zur Fachkräftesicherung sein. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004124

Als Nächstes folgt für die FDP-Fraktion der Kollege Jens Beeck. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Springer, ich freue mich zunächst darüber, dass Sie wenigstens in der 20. Wahlperiode auch für die AfD-Fraktion betonen, dass es ein wichtiges Thema ist, und dass Sie sogar in der Sache das eine oder andere Richtige gesagt haben. Aber wenn sich irgendeine Fraktion in diesem Hause für die Dinge schämen muss, die sie im Zusammenhang mit Inklusionspolitik schon veröffentlicht hat, ({0}) dann ist das nur Ihre Fraktion und keine andere hier in diesem Hause. ({1}) Deswegen: Die Stelle hätte man sich tatsächlich vielleicht sparen können. Sie waren in der 19. Wahlperiode auch schon dabei. Sie wissen, wovon ich rede. ({2}) Aber kommen wir zu den Anträgen der Linken und der Union, die sie zu den zentralen Fragen des inklusiven Arbeitsmarktes und der Partizipation eingebracht haben. Wir sind dankbar, dass Sie das getan haben; denn – das muss man mal sagen – bei der ersten Einbringung hier haben es nahezu alle Reden zu diesem Tagesordnungspunkt – ungewöhnlich genug – in den Youtube-Channel „Best of Bundestag“ gebracht. Wir waren alle ein bisschen erregt über die Frage, wo Sie Ihre Ideen eigentlich hernehmen und warum Sie die in den letzten 16 Jahren nicht umgesetzt haben. Das haben wir jetzt aber hinter uns gelassen. Wir haben eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema gemacht, was im Übrigen immer wieder gut ist. Das war nicht die erste; aber auch sie hat wieder Erkenntnisse gebracht. Wir nehmen noch einmal zur Kenntnis, dass die Fortschritte, die wir bis in die Jahre 2018/19 bei der Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt, die Teilhabebedarfe haben, gemacht hatten, durch die Coronapandemie einen deutlichen Rückschlag erlitten haben. Deswegen stellt sich die Frage, wie wir den inklusiven Arbeitsmarkt in Deutschland nach vorne bringen, heute noch einmal anders als zuvor. Wir haben nach der Coronapandemie aktuell eine weitere Krise, mit der wir uns heute hier den ganzen Tag befasst haben und auch in der nächsten Woche befassen werden. Auch daraus erwachsen weitere Aufgaben; denn es kommen auch Geflüchtete mit Teilhabebedarfen und Behinderungen aus der Ukraine in unser Land. Auch da ist noch nicht alles gelöst. Wir werden uns auch mit vielen traumatisierten Menschen beschäftigen müssen. Aber all diese Krisen ändern nichts daran, dass wir uns vorgenommen haben, in einer Fortschrittskoalition die Dinge anzugehen, die in den letzten Jahren liegen geblieben sind. Das werden wir umfassend tun, auch bei der Frage des inklusiven Arbeitsmarktes, und zwar das ganze Portfolio betrachtend. Das fängt an beim betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement und der Begleitung durch das Hamburger Modell, möglichst mit einer Stärkung der Schwerbehindertenvertrauensleute in den Betrieben, damit die Menschen, die noch bzw. schon im Arbeitsleben stehend zu einer Behinderung kommen, im Betrieb verbleiben können. Da haben wir deutlich Luft nach oben. Das geht bei der Frage der Inklusionsunternehmen im ersten Arbeitsmarkt weiter. Wir haben uns darüber beim letzten Mal ausgetauscht. Sie schlagen vor, auf der europäischen Ebene etwas mit einer Mehrwertsteuerrichtlinie zu bewegen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart: Wir wollen eine umsatzsteuerliche Privilegierung in Deutschland festschreiben. – Das werden wir auch tun. Auf jeden Fall sind wir uns einig, dass wir die Inklusionsunternehmen deutlich stärken wollen, weil sie eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sind. ({3}) Und wir gehen weiter über die Frage der Modernisierung der Werkstätten bis hin zu den Möglichkeiten qualifizierterer Beschäftigung. Herr Oellers, Sie kommen aus dem Wahlkreis Heinsberg, wo eine sehr innovative Werkstatt tätig ist, die ich gerade auch besuchen durfte, wo das Potenzial, zu einer deutlich hochwertigeren Beschäftigung zu kommen, noch lange nicht ausgereizt ist und wo wir noch vieles zu tun haben, um das zu ermöglichen. Auch das werden wir tun, weil wir allen, die nicht in der Werkstatt verbleiben wollen, ermöglichen möchten, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Allerdings darf das dann sozialversicherungsrechtlich kein Nachteil sein, wie das heute zum Teil noch der Fall ist. ({4}) Auch das müssen wir lösen. Aber ebenso wollen wir denjenigen, die sich in der Werkstatt wohlfühlen und dort verbleiben wollen, die Perspektive geben, dort nach ihren Qualifikationen tätig zu werden, und diese sind häufig höher als das, was heute passiert. Wir wollen außerdem – auch das ist ein Päckchen, das wir gemeinsam aus der 19. Wahlperiode mitgenommen haben – das Werkstattentgelt so reformieren, dass es erstens nicht auf dem Mindestlohnniveau stehen bleiben muss und dass es zweitens so ist, dass man von seiner Arbeit, der Vollzeittätigkeit in der Werkstatt, leben kann. Auch das werden wir hoffentlich gemeinsam angehen. Das alles geht nur in gemeinsamer Bündelung unserer Kompetenzen. Und wenn wir uns daran erinnern, dass die Inklusionspolitik auch in den letzten Wahlperioden diejenige war, bei der es häufig Einigkeit in diesem Haus gegeben hat, dann begrüße ich ausdrücklich, Herr Kollege Oellers, Herr Kollege Hüppe, dass – und das glaube ich tatsächlich – wir konstruktiv an diesen Themen arbeiten können, dass wir mit dem ernstgemeinten Angebot, das sich in Ihrem Antrag verbirgt, den Fortschritts- und Zukunftsgedanken aus dem Koalitionsvertrag, was aber offensichtlich auch von Ihnen gemeint ist, in den nächsten Jahren Wirklichkeit werden lassen. Ich freue mich an dieser Stelle auf diese Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({5})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Unionsfraktion hat mich tatsächlich überrascht, und ich würde ihn mit der Überschrift „Selbstabrechnung“ versehen. Oder wo kommt der Erkenntnisgewinn her? ({0}) Insbesondere sind in Ihrem Antrag gute Ideen für einen inklusiven Arbeitsmarkt enthalten. Aber wenn Sie auf die 19., 18. und auch 17. Wahlperiode zurückschauen, werden Sie feststellen: Da gab es schon ähnlich gute Vorschläge von unterschiedlichen Fraktionen hier aus dem Haus. Die jetzt vorgelegte Flickschusterei greift unserer Meinung nach deutlich zu kurz, ({1}) und insbesondere stellt sich die Frage, warum diese Ideen jetzt als gut gelten, die vor wenigen Monaten noch als sehr schlecht und nicht umsetzbar angesehen wurden. Genauso wenig glaubwürdig, liebe Ampelkoalition, ist angesichts der vielen Ankündigungen – der „ob“, „wollte“, „könnte“ und „wir prüfen“ aus dem Koalitionsvertrag – Ihr Optimismus, was Ihre Ankündigungen von echten Fortschritten für Menschen mit Behinderung betrifft. Bisher ist da leider noch nicht so viel angekommen, und jetzt müssen Sie endlich mal liefern. ({2}) Ein Beispiel will ich nennen, den am Samstag – Corinna Rüffer hat es angesprochen – durchgestochenen Gesetzentwurf des Gesundheitsministers zur Triage. Plötzlich wurde das Wegnehmen von Behandlungsinstrumenten als Ex-Post-Triage ins Wort gehoben. Das sorgt insbesondere für massive Verunsicherung und für Ängste bei Menschen mit Behinderung. Hier wurde erneut unser aller Vertrauen in die Politik bewusst zerstört. Die dort vorgeschlagene Lösung ist für uns als Linke völlig inakzeptabel. ({3}) Dabei dachte ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Ampel aus ihren Beteiligungsdesaster zur Triage gelernt hat. Zum ersten internen Arbeitsgespräch des Ministeriums wurden aber klägerseitig nicht mal alle eingeladen. Ähnlich lief es auch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss. Weitere Betroffenenakteure wurden ebenfalls nicht beteiligt. So geht Teilhabe nicht. ({4}) Wir haben – und das begrüße ich – dazu jetzt eine interfraktionelle Arbeitsgruppe gebildet, in die ich viel Optimismus stecke. Aber daraus macht sich weder die Ampel noch die SPD mit ihrem Gesundheitsminister etwas. Partizipation von Menschen mit Behinderung spielt scheinbar doch nicht die Rolle, von der immer gesprochen wird. Alle von mir angefragten Verbände und Vereine haben mir bestätigt, dass sie zu dem jetzt in Rede stehenden Entwurf keine Entwürfe oder irgendwelche Anfragen auf inhaltliches Zuarbeiten oder auf Partizipation gekriegt haben. Das ist der falsche Weg. ({5}) Liebe Ampelkoalition, Sie werden damit auch Ihren Ankündigungen nicht gerecht. Denn im Ergebnis heißt das: Partizipation von Menschen mit Behinderung muss nach Auffassung der Linken endlich Rechtskraft bekommen. ({6}) Die Vergangenheit offenbarte hier bereits weitere erhebliche Defizite – Corinna Rüffer hat sie angesprochen –: viel zu kurze Fristen, Texte nicht in leichter Sprache und wenig Beteiligung. Mit dem heute hier vorgelegten Antrag der Linken zur vollen und wirksamen Partizipation könnten endlich notwendige verbindliche Rahmen geschaffen werden. Und liebe Ampelkoalition und insbesondere liebe Grüne und liebe FDP: Wir haben in der letzten Wahlperiode etwas gemeinsam auf den Weg gebracht. Einiges davon steht in unserem Antrag. Haben Sie den Mut, und stimmen Sie unserem Antrag heute zu. Das tut nicht weh. Danke. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Angelika Glöckner spricht für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir beraten heute zum zweiten Mal über Anträge der Union und der Fraktion Die Linke zu dem, wie ich finde, doch sehr wichtigen Thema: Inklusion und Partizipation, Beteiligung von Menschen mit Behinderungen. Ich erkenne an, dass Ihre Anträge in Teilen durchaus wichtige Impulse setzen, und der Antrag der Union wurde auch viel gelobt. Aber trifft der Antrag in seiner Gesamtheit wirklich die Erwartungen von Menschen mit Behinderungen? Ich habe viele Gespräche mit Menschen mit Behinderungen geführt, und ich will auf vier Punkte eingehen, die mir immer wieder genannt wurden und die ich jetzt in dieser Debatte noch gar nicht gehört habe. Erstens. Menschen mit Behinderungen haben die Erwartung, dass sie selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden wohnen können. Für uns als Gesetzgeber bedeutet das, Wohnraum ohne Barrieren zu schaffen. Das gilt für Neubauten genauso wie für Bestandssanierungen. Ich bin daher sehr froh – ich will das noch einmal hervorheben –, dass wir in unserem Koalitionsvertrag wichtige Punkte vereinbart haben, wie wir Deutschland, unser Land, barrierefrei gestalten und insbesondere im Bereich Wohnen mehr Barrierefreiheit erreichen. ({0}) Zum Vergleich: Im Antrag der Union findet sich kein Wort zu barrierefreier Wohnmöglichkeit; das wird nicht erwähnt. ({1}) Zweitens. Menschen mit Behinderungen wollen auch mobil sein, Menschen mit Behinderungen wollen reisen. Wie funktioniert das momentan? Bei der Deutschen Bahn müssen sie sich 24 Stunden vorher anmelden. Ehrlich gesagt: Ich finde, das ist aus der Zeit gefallen. Es wird Zeit, dass wir da mehr für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen tun. ({2}) Wir haben das im Koalitionsvertrag vorgesehen; im Antrag der Union ist nichts davon zu lesen. Drittens. Menschen mit Behinderungen – das wurde mehrfach erwähnt – wollen zu Recht eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt und – ja, das ist eindeutig – auch gute Löhne. Wir werden das Werkstattentgelt detailliert überarbeiten. Wir wollen kein Flickwerk, wie die Union es in ihrem Antrag vorgeschlagen hat. Und wir tun noch mehr. Ich will das noch mal erwähnen: Der Mindestlohn wird auch vielen Menschen mit Behinderungen nützen. Es geht ja an den Menschen mit Behinderungen nicht vorbei, dass wir ab Oktober den Mindestlohn anheben werden. ({3}) Aber zu den Instrumenten „Budget für Arbeit“ und „Budget für Ausbildung“. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Instrumente weiter ausbauen und weiterentwickeln. Sie haben es angesprochen, Herr Oellers: Betriebe sollen besser beraten werden. Es ist wichtig, dass Unternehmen diese Beratung erhalten. Auch das haben wir in unserem Koalitionsvertrag vorgesehen. Vielen Dank dafür, dass Sie diese Punkte übernommen haben! Sie haben das BEM genannt. Ich habe es ausgeführt: Es ist wichtig, dass die Menschen im Arbeitsprozess bleiben und uns als Fachkräfte nicht verloren gehen. Deswegen ist es absolut notwendig, dass wir das BEM verbindlicher ausgestalten; und das werden wir tun. ({4}) Ich will aber noch auf etwas eingehen, worüber Sie überhaupt nichts gesagt haben. ({5}) Es ist nun mal ein Faktum, dass es viele Betriebe gibt, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, obwohl sie Menschen mit Behinderungen beschäftigen müssen. Ich will Ihnen mal was sagen: Kein Wort dazu findet sich in Ihrem Antrag. In der letzten Wahlperiode haben Sie sich verweigert, eine vierte Stufe der Ausgleichsabgabe einzuführen. Sie haben einfach nicht den Mut, den Arbeitgebern, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, auch mal auf die Füße zu treten. ({6}) Wir haben diesen Mut, und wir werden eine vierte Stufe der Ausgleichsabgabe einführen. ({7}) Viertens will ich sagen, dass es total wichtig ist, dass Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen die Beratung und die Antragstellung bei den Behörden so einfach gemacht werden, wie es nur geht. Ich bin durch meinen Vater auch persönlich betroffen und weiß sehr genau, wovon ich da rede. ({8}) Das ist einfach sehr, sehr wichtig. Wir haben mit der Einführung des Bundesteilhabegesetzes ja auch vorgesehen, dass Leistungen sozusagen aus einer Hand gewährt werden. Damit das Gesetz nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch funktioniert, ist es sehr gut, dass wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dieses umfassende Regelwerk zu evaluieren; denn nur so kann es vor Ort auch funktionieren. ({9}) Natürlich werden wir auch digitale Antragsverfahren auf den Weg bringen. Auch das, was Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Linken, gesagt haben, ist alles richtig und wichtig. Aber insgesamt muss ich sagen: Unser Koalitionsvertrag ist weiterführend und ganzheitlich betrachtend. Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen. Aber ich fordere Sie sehr gerne auf: Schließen Sie sich unseren Vorhaben an! Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hubert Hüppe hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Menschen mit Behinderungen müssen eine echte Chance auf einen Ausbildungsplatz und einen Job im ersten Arbeitsmarkt haben. Deswegen haben wir mehrere konkrete Vorschläge in unserem Antrag gemacht. Ich gebe zu: Es ist nicht alles drin. Es wird ja auch von der SPD kritisiert, wir hätten nicht alles aufgenommen. Die Grünen haben gesagt, der Antrag sei zwar nicht perfekt, aber gut. Die FDP hat gesagt, das seien eigentlich ihre Forderungen. Trotzdem sagen Sie Nein. Sagen Sie doch einfach Ja, wenn er so gut ist, oder ergänzen Sie ihn! Dann wären wir bei der Inklusion einen Schritt weiter, meine Damen und Herren. ({0}) Wir haben jede Menge Vorschläge gemacht, insbesondere bei der beruflichen Bildung, weil es uns wichtig ist, dass gerade junge Menschen mit Behinderungen eine Chance im ersten Arbeitsmarkt haben, sodass sie nicht unbedingt in eine Sondereinrichtung müssen. Wir wissen – und das zeigen die Zahlen –: Sind sie einmal in der Sonderwelt, kommen sie aus dieser Sonderwelt so gut wie nie wieder raus. Deswegen müssen wir da etwas tun, meine Damen und Herren. ({1}) Deswegen sage ich Ihnen auch ganz deutlich: Das Budget für Ausbildung muss verbessert werden. Es kann nicht sein, dass wir in den ersten 19 Monaten gerade mal 31 Budgetvereinbarungen hatten. Da kann man auch konkret was machen. Es muss zum Beispiel auch dann möglich sein, dass ein Mensch mit Behinderung ein Budget für Ausbildung bekommt, wenn er keine Vollausbildung und keine Werkstattausbildung machen kann; denn wenn er eine Vollausbildung macht, gehört er ja eigentlich auch gar nicht in die Werkstatt. Was soll ein Mensch, der eine Vollausbildung macht, in der Werkstatt? Deswegen müssen wir – erstens – auch Menschen, die nicht in der Lage sind, eine Vollausbildung zu machen, die Möglichkeit geben, hinterher einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Zweitens. Die betreffende Person braucht die Zusage für das Budget bereits vor dem Ausbildungsvertrag, nicht hinterher. Denn welcher Unternehmer verlässt sich darauf, wenn er nicht weiß, ob das Budget hinterher tatsächlich genehmigt wird? ({2}) Drittens. Mir wäre es am liebsten, dass wir den Eingangs- und Berufsbildungsbereich grundsätzlich budgetfähig machen. Dann kann jeder Mensch mit Behinderung, jeder Jugendliche mit Behinderung selbst entscheiden, auf den ersten Arbeitsmarkt zu gehen, das Geld mitzunehmen und entsprechend einzusetzen oder in die Sonderwelt zu gehen. ({3}) Da ich gerade bei der beruflichen Bildung bin: Wenn sich die Sachverständigen – bis auf die Berufsbildungswerke – irgendwo einig waren, dann in dem Punkt, dass die Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation ein Hindernis für die Betriebe ist und dass sie unsere Forderung, diese Zusatzqualifikation zu straffen sowie kostenlos und freiwillig für die Betriebe zu machen, richtig finden. Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt ist, dass wir den Rehaauftrag – den haben nämlich die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen – stärken wollen. Deswegen möchten wir auch erreichen, dass der Übergang von der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt einfacher wird. Dafür, meine Damen und Herren, brauchen wir andere Anreize. Es muss sich für eine Werkstatt lohnen, wenn sie es schafft, einen Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Heute ist es noch so, dass es für sie wirtschaftlich eher schlechter ist. Deswegen müssen andere Anreize gesetzt werden. Ich möchte, weil mir das Sorgen macht, noch eins sagen: Die Zahl der Tagesförderplätze steigt immer weiter. Das sind Plätze für Menschen mit schweren Behinderungen, die nicht die Erlaubnis bekommen, in einer Werkstatt zu arbeiten, und noch einmal ausgesondert werden. Ich bin an dieser Stelle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen sehr dankbar; denn Nordrhein-Westfalen ist das einzige Land, wo diese Menschen das Recht haben, in einer Werkstatt zu arbeiten. ({4}) Ich bin sicher, dass Herr Laumann als Arbeitsminister das so weiterführen wird. Das ist einfach so, meine Damen und Herren. ({5}) Jetzt noch ein Letztes zur Ausgleichsabgabe. Wir wollen, dass das Geld, das am ersten Arbeitsmarkt eingenommen wird, weil Unternehmen nicht genug Menschen mit Behinderungen beschäftigen, auch wieder nur für Menschen mit Behinderungen im ersten Arbeitsmarkt ausgegeben wird. Ich muss Ihnen sagen, Herr Mehmet Ali: Es ist Ihr Minister, Hubertus Heil, der auf den Ausgleichsfonds zugreift und der dafür verantwortlich ist. Das macht nur das BMAS. Es ist schon komisch, wenn Sie sagen: „Wir brauchen mehr Geld für den inklusiven Arbeitsmarkt“, aber derselbe Minister das Gutachten, das immerhin 700 000 Euro kostet, zur Veränderung des Werkstattlohns nicht aus Steuergeldern, sondern aus der Ausgleichsabgabe bezahlt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das, meine Damen und Herren ist nicht in Ordnung. ({0}) Deswegen: Arbeiten Sie mit. Wir unterstützen Sie, wenn Sie Vorschläge zur Förderung einer inklusiven Arbeitswelt machen. Vielen Dank. ({1})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Schöne an dieser Regierung ist: Sie regiert. Gestern erst hat Putin wieder einmal gezeigt, dass er bereit ist, kritische Infrastruktur, die im Besitz von russischen Unternehmen ist oder war, als Kriegswaffe einzusetzen. Wir hören heute nicht: Oh ja, stimmt, da muss man etwas tun, wir analysieren die Lage. – Nein, wir haben heute bereits in der zweiten und dritten Lesung einen Gesetzentwurf vorliegen, der Werkzeuge vorsieht, um genau mit solchen Situationen besser umgehen zu können. ({0}) Ganz spannend fand ich vorhin die Debatte in der Aktuellen Stunde, die Sie von der Linksfraktion zum Thema „Versorgung Ostdeutschlands mit Erdöl“ eingebracht haben. Auch für die Raffinerie Schwedt, die Arbeitsplätze dort und für die Versorgungssicherheit Ostdeutschlands ist dieser Gesetzentwurf definitiv eine sehr gute Nachricht. Wir handeln. ({1}) Der Gesetzentwurf sieht vor, dass dort, wo die Versorgungssicherheit gefährdet ist, Unternehmen in Treuhandverwaltung genommen oder als Ultima Ratio auch enteignet werden können, damit sie eben nicht von Putin oder anderen als Waffe gegen uns verwendet werden können. Um in einem Fall von Gasmangel – also wenn aus Russland kein Gas mehr geliefert wird – eine Kaskade von Insolvenzen zu vermeiden, sieht der Gesetzentwurf Preisanpassungsrechte vor. Und er sieht vor, dass Gasspeicher nur nach einer Prüfung stillgelegt werden dürfen. ({2}) Denn wenn sie einmal stillgelegt sind, kann man sie nicht so einfach wieder in Betrieb nehmen. Das ist ein sehr sinnvolles Gesetz. Wir haben noch eine ganze Reihe von weiteren Verbesserungen eingefügt, die der Vollständigkeit halber einmal zu benennen sind: Wir haben den Verbraucherschutz im Bereich der Preisanpassungsrechte noch einmal deutlich gestärkt, indem es zum einen ein Recht gibt, regelmäßig eine Preisrückanpassung überprüfen zu lassen. Zum anderen müssen die Preise nach Ende der Notfalllage ohne weitere Aufforderung wieder auf den alten Level zurückgesetzt werden, alles andere muss gut begründet werden, und das auch nur in einem angemessenen Spielraum. Auch diesen Rechtsbegriff haben wir präzisiert. Die digitale Plattform darf jetzt auch früher kommen. Die Rechte des Bundestages haben wir durch eine Verordnungsermächtigung in § 23 des Energiesicherungsgesetzes gestärkt. Ja, wir haben auch noch genauer aufgeschrieben, dass die enteigneten Unternehmen zu reprivatisieren sind, soweit es der Versorgungssicherheit und der Bundeshaushaltsordnung nicht entgegensteht. Ich bin sehr stolz, dass wir diesen Gesetzentwurf hier heute vorlegen, dass wir so schnell handeln in einer Lage, die wirklich schwierig ist. Ich möchte noch einmal ganz kurz für die lieben Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, die ja noch einen Änderungsantrag eingebracht hatten, begründen, warum wir ihn nicht annehmen konnten. Denn tatsächlich teilen wir ihn im Inhalt, finden ihn sehr sympathisch, aber uns wurde gesagt – sehr viel Zeit blieb ja nicht mehr, um ihn zu prüfen –, dass er juristisch nicht funktioniert. Aber wir sind gerne bereit, an diesem Thema weiterzuarbeiten; denn das Anliegen teilen wir. ({3}) Damit ist meine Redezeit zu Ende. Ich bedanke mich ganz herzlich und hoffe sehr, dass heute Abend dieser Gesetzentwurf beschlossen wird. Danke. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mark Helfrich ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben derzeit am Energiemarkt in Deutschland eine nie dagewesene Situation. Die Preise, die Unsicherheit und die Risiken sind hoch. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage auf dem Energiemarkt weiter zuspitzt. Mit dem Energiesicherungsgesetz schafft die Ampel eine Reihe von Instrumenten zur Krisenbewältigung, die wir mit Ausnahme eines Instrumentes begrüßen. Wir alle sind uns einig: Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, ist existenziell. Das Energiesicherungsgesetz der Ampel sieht vor, dass Unternehmen der kritischen Energieinfrastruktur unter eine treuhänderische Verwaltung gestellt oder sogar enteignet werden können, wenn nur so die Energieversorgung gesichert werden kann. Treuhänder einzusetzen und als Ultima Ratio auch Enteignungen anzuordnen, sind schwerwiegende hoheitliche Grundrechtseingriffe. Sie sind im Einzelfall leider alternativlos. Sie sollten aber immer das letzte Mittel der Wahl sein. Deshalb hätten wir uns als Union gewünscht, dass für Energieversorgungsunternehmen mit mehrheitlich deutschen Anteilseignern in einem verpflichtenden ersten Schritt Finanzhilfen gegriffen hätten. Um Rechtssicherheit für Energieversorgungs- und Kommunalunternehmen zu gewährleisten, wäre es außerdem richtig gewesen, das Enteignungsverfahren und die Entschädigung mit Verabschiedung dieses Gesetzes und nicht erst später zu regeln. ({0}) So besteht die Gefahr, dass in Zukunft Unternehmen davor zurückschrecken, in kritische Energieinfrastrukturen in Deutschland zu investieren. Der eine Punkt, der uns als Union massive Bauchschmerzen bereitet, ist und bleibt das Preisanpassungsrecht bei verminderten Gasimporten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Energielieferanten das Recht zur sofortigen Preiserhöhung über die gesamte Lieferkette bis zum Endkunden haben, wenn die mittlere Stufe im Notfallplan Gas ausgerufen wird. Ob diese Regelung überhaupt flächendeckend funktioniert, daran gibt es unter Experten ernsthafte Zweifel. Sinnvoller wäre es gewesen, die Gaslieferanten direkt zu stützen oder zumindest über ein Stufenmodell der Kostenteilung nachzudenken. Aber selbst wenn das Preisanpassungsrecht funktioniert, wird aus einem Großbrand leicht ein Flächenbrand, der sich einem schnellen, geballten Löschangriff entzieht. Denn die Weitergabe sprunghaft steigender Gaskosten an die Letztverbraucher führt dazu, dass Industrie, Mittelstand und unsere Bürger diese Kosten am Ende allein tragen müssen. Die Ampel setzt damit ganze Wirtschaftsbranchen einer drohenden Insolvenzwelle aus, mit unkontrollierbaren Folgen für die Versorgung Deutschlands. Auch viele Bürger werden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Sie von der Ampel haben diese Gefahr doch auch erkannt. Warum sonst würden Sie in Ihrem Entschließungsantrag die Bundesregierung auffordern, schnelle und unbürokratische Unterstützungsmaßnahmen vorzubereiten? Ihre Ministerien werden jetzt vermutlich wochenlang über neue Hilfsprogramme sinnieren. Dabei gibt es viele schnellere und unbürokratischere Maßnahmen, zu denen wir Sie seit Wochen gebetsmühlenartig auffordern: die Senkung der Stromsteuer sowie der Umsatzsteuer auf Strom, Gas und Fernwärme. Handeln Sie jedoch erst, wenn die Gasmangellage tatsächlich eintritt und es zu weiteren Preisexplosionen kommt, dann werden Sie nicht mehr Herr der Lage sein. Dann ist der Flächenbrand nämlich nicht mehr einzudämmen. Auch die auf den letzten Metern aufgenommene Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen zur Preissenkung bei Wegfall der Gasmangellage ist Augenwischerei. Denn Sie haben den Energielieferanten ein Türchen offengelassen, höhere Preise beizubehalten. Hier wäre eine Verpflichtung zur Rückkehr in den alten Vertrag und zum alten Preis das richtige Mittel gewesen. Meine Damen und Herren, wir von der Union wollen die Versorgungssicherheit unseres Landes für den sich zuspitzenden Krisenfall absichern und hätten die Ampel wirklich gern dabei unterstützt. Deshalb haben wir die Regierungsfraktionen gebeten, das aus unserer Sicht kritische Preisanpassungsrecht aus dem Gesetz herauszunehmen. Das lehnen Sie leider ab. Daher können wir dem Gesetz so nicht zustimmen und müssen uns heute enthalten. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Andreas Rimkus hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Rimkus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004387, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute die wirklich dringend benötigte Überarbeitung des Energiesicherungsgesetzes von 1975, flankiert durch einige weitere Anpassungen im Energiewirtschaftsgesetz, in der Gassicherungsverordnung und im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Vorweg möchte ich allerdings meinen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich für die hervorragende Zusammenarbeit danken, insbesondere Dr. Ingrid Nestle von den Grünen und Michael Kruse von der FDP sowie meinen Mitberichterstattern in der eigenen Fraktion: Bengt Bergt und Markus Hümpfer. ({0}) Darüber, dass wir dieses sehr wichtige und weitreichende Gesetz in so kurzer Zeit, nicht einmal in drei Wochen, zu einem so guten Ergebnis führen konnten, ({1}) bin ich sehr froh. Noch viel fröhlicher werde ich sein, wenn wir im Rückblick feststellen dürfen, dass wir dieses Gesetz niemals zur Anwendung bringen mussten. Ich arbeite eigentlich sehr ungern, sprichwörtlich, für die Tonne. Aber in diesem Fall ist die Vorsicht nicht nur die Mutter der Porzellankiste und besser als Nachsicht. Angesichts der leider sehr bedrohlichen Lage ist die Vorsicht gar Imperativ einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Politik. ({2}) Der völkerrechtswidrige und verachtenswerte Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Energiepreiskrise drastisch verschärft. Zugleich erleben wir, wie unklare Verflechtungen, Einfluss- und Rechtsverhältnisse in Teilen der kritischen Infrastruktur unsere Versorgungssicherheit aktiv bedrohen. Ein Szenario, in dem existenziell wichtige Elemente unserer Energieversorgung gegen uns eingesetzt werden, kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir setzen hier mit der Novellierung des Energiesicherungsgesetzes ein klares und wichtiges Signal: So nicht! Unsere Demokratie ist nicht nur streitbar, sie ist auch wehrhaft. Und so bringen wir das Energiesicherungsgesetz heute nicht nur auf den neuesten Stand und ergänzen es um einen bisher fehlenden Instrumentenkasten für den Energieträger Gas. Wir schaffen darüber hinaus neue Möglichkeiten, uns mittels Treuhandverwaltung oder als allerletzter Ausweg durch Enteignungen zur Wehr setzen zu können gegen Dritte, die versuchen, Teile unserer kritischen Infrastruktur gegen unser Gemeinwohl einzusetzen. ({3}) Mit der Formulierungshilfe zur Novellierung des EnSiG, wie es abgekürzt heißt, hat die Bundesregierung in kürzester Zeit eine sehr gute Vorlage geliefert. Dafür gilt mein Dank dem Maschinenraum des BMWK und auch dem Minister Robert Habeck. Das Struck’sche Gesetz gilt allerdings auch hier; denn wir haben auf der Grundlage der Bundesregierung aufbauend im parlamentarischen Verfahren noch einige sehr wesentliche Verbesserungen und Ergänzungen erarbeitet, auf die ich noch kurz zu sprechen kommen möchte. Zunächst erlauben Sie mir aber die kurze Bemerkung, dass es gut ist, dass wir für Maßnahmen des Bundeslastverteilers auf Basis dieses Gesetzes den Rechtsweg vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf vorgesehen haben. ({4}) Ich komme aus Düsseldorf und weiß: Da konzentriert sich geballte Kompetenz. ({5}) Das ist auch kein Wunder; denn ich bin ja meist in Berlin. Darüber hinaus haben wir – jetzt kommen wir wieder zurück zur Ernsthaftigkeit – unter anderem die Frist für die Einführung neuer Definitionen von kritischen Komponenten und Funktionen im Energiesektor verkürzt. Wir kommen damit schneller als ursprünglich vorgesehen zu einer Erweiterung des KRITIS-Schutzschirms und verbessern unsere technische Souveränität. Wir beschleunigen auch die Einführung der digitalen Plattform, welche im Falle der Notfallstufe die Grundlage für die Lastverteilung durch die BNetzA darstellt. Im Bereich der Preisanpassungsrechte haben wir neue Schranken und Leitplanken für Preiserhöhungen eingeführt, um die Netzverbraucher im Falle des Falles vor Missbrauch zu schützen und Preisrückanpassungen herbeizuführen, nachdem die aktuelle Notlage beendet ist. An diesem Punkt ist es für mich als Sozialdemokrat von besonderer Wichtigkeit, eine zentrale Schlussfolgerung noch einmal ganz besonders herauszustellen. Die mit diesem Gesetz ausnahmsweise und vorübergehend eingeräumten Möglichkeiten für außerordentliche Preisanpassungen sind notwendig, um im Notfall kaskadenhafte Ausfälle der Energieversorgungsketten zu verhindern. Dies und nur dies ist die Funktion dieser Regelung. ({6}) Wenn wir diese Regelung zur Anwendung bringen müssen, befindet sich unsere Energieversorgung in einem absoluten Ausnahmezustand. Darin liegt zugleich das unvermeidbare Risiko unzumutbarer finanzieller Mehrbelastungen der Endkunden durch die besagten Preisanpassungsrechte. Das betrifft gleichermaßen private Haushalte, Gewerbe und Industrie. Falls es tatsächlich zu einer aktuellen Notlage kommen sollte, dann müssten die durchgereichten Preiserhöhungen abgefedert werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass in einem solchen Krisenszenario schnelle, unbürokratische, zielgerichtete Maßnahmen durch die Bundesregierung ergriffen werden müssen, um das Ausmaß sozialer Härte und schwerwiegender Folgen zu mindern. So haben wir es im Entschließungsantrag auch zum Ausdruck gebracht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wünsche den Bürgerinnen und Bürgern, Ihnen allen und mir selbst, dass wir nicht in die Situation kommen, den Instrumentenkasten ausschöpfen zu müssen. Wir sind allerdings für alle Fälle gerüstet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Rainer Kraft hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kollegen! Verehrte Gäste! Vor zwei Wochen haben wir hier den Entwurf Ihres Gesetzes debattiert. Seitdem hatten wir dazu eine öffentliche Anhörung. Aufgrund der dort kritisierten Mängel Ihres Entwurfs gab es dann zwei Änderungsanträge und einen Entschließungsantrag, den die Koalition während der laufenden Ausschusssitzung gestern noch schnell durch die offene Tür zur Beratung hineingeschmissen hat. Aber es musste ja, wie Sie sagten, schnell, schnell gehen. Die AfD-Fraktion versteht die Notwendigkeit einer Anpassung des Energiesicherungsgesetzes sehr gut und stimmt einer solchen prinzipiell zu. Allerdings sollte sie schon gut gemacht sein. Wie allerdings die Anhörung am Montag gezeigt hat, ist Ihnen das bisher nicht gelungen. Auch Ihr hastig verfasster Änderungsantrag ändert daran nichts. Der Entwurf enthält weiterhin zum Beispiel die Beweislastumkehr bei der Stilllegung von Gasspeichern, und er ignoriert, dass viele Energielieferverträge gar nicht deutschem Recht unterliegen. Sie verweigern außerdem die Aufnahme von zum Beispiel Atom-, Wasserhaushalts-, Kohleausstiegsgesetz und anderer Gesetze in die Liste derjenigen Gesetze, die nach dem Energiesicherungsgesetz befristete Ausnahmen zulassen können. Die Bürokratiekosten von jährlich circa 7 Millionen Euro sind dabei fast schon eine Randnotiz. Also: zu wenig, zu hastig, zu schlecht. Das ist das Motto dieser Bundesregierung. ({0}) Schon vor zwei Wochen habe ich genau hier dargelegt, dass Sie immer noch, und zwar aus rein ideologischen Gründen, viel zu viel Gas verheizen. Vor wenigen Tagen erst musste das Kraftwerk Jänschwalde den Weiterbetrieb gerichtlich erstreiten und damit verhindern, dass ab Mitte Mai – das ist am Wochenende – täglich über 9 Millionen Kubikmeter Gas am Tag zusätzlich verheizt werden müssen, um die Stromerzeugung dieses Braunkohlekraftwerks zu ersetzen – und das in einer Situation, in der die deutschen Industriebetriebe bereits anfangen, ihre Produktion einzustellen. In dieser Situation wollen Sie also das drittgrößte Kraftwerk mit einer Jahresproduktion von über 13 Milliarden Kilowattstunden durch Gasverstromung ersetzen. ({1}) Ja, die Gaslieferanten der Länder Katar, Russland und anderer Länder haben in Ihnen anscheinend die besten Verbündeten. Ihnen ist das offensichtlich egal. ({2}) Sie reden von den Opfern, die die Bevölkerung wird erbringen müssen, schaffen es aber nicht einmal, sich von Ihrer falschen Energiepolitik, die immer noch auf den Konsum riesiger Gasmengen als Übergang setzt, zu verabschieden. Seit über zwanzig Jahren treiben deutsche Regierungen mit ihrer Energiepolitik das Land in russische Energieknechtschaft. De facto stellt sich hier die Frage, ob diese gezielt geförderte Abhängigkeit nicht erst zu einer Ermunterung Russlands geführt hat, einen Angriffskrieg in Europa durchzuführen. ({3}) Diese Frage stellen nicht nur wir uns, ({4}) die stellen sich auch unsere NATO-Verbündeten, vor allem in Osteuropa. Die handwerklichen Fehler Ihres Gesetzentwurfes ließen sich korrigieren, Ihre neokommunistischen Ideen dahinter allerdings nicht. Ihr Entwurf erlaubt im nicht näher genau definierten Ernstfall, auch Vorschriften zur Reduzierung des Verbrauchs zu erlassen. Statt Ihrer Pflicht und Schuldigkeit gegenüber dem deutschen Volk nachzukommen, hegen Sie offensichtlich den Wunsch, mittels des Energiesicherungsgesetzes ganz unverfroren zum Beispiel ein Tempolimit, ein Verbot von Einfamilienhäusern, Eingriffe in die Tierhaltung oder eine Regulierung der Zimmertemperatur vorzuschreiben. Den Bürgern raten Sie zum Energiesparen, während Sie weiter fleißig teures russisches Gas statt günstiger deutscher Kohle verheizen. Ihr Gesetzentwurf ist wie Ihre Energiepolitik ein beeindruckendes Eingeständnis des Scheiterns. ({5}) Fast möchte man daher die Bürger dazu auffordern, in warme Wolldecken zu investieren, brächte dies den Bürgern doch mehr Versorgungssicherheit als Ihre Energiepolitik. ({6}) Und Sie selbst? Sie selbst lassen uns in Ihrer Entschließung wissen, dass Gas bei der Vermeidung eines Blackouts höchste Priorität hat. Auf Ihre viel gepriesenen Erneuerbaren vertrauen Sie bei der Versorgungssicherheit Deutschlands also überhaupt nicht – die sind vollkommen nutzlos in dieser Frage, und Sie wissen das. Trotzdem investieren Sie weiter viele Milliarden Euro deutsches Steuervermögen in den Ausbau von genau diesem Schrottstrom. ({7}) Ich allerdings kann Ihnen die Versorgungssicherheit Ihrer Erneuerbaren in zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahren bei Nacht und Windstille heute schon exakt vorhersagen: Die Versorgungssicherheit wird dann genau null sein. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie sind fertig? – Vielen Dank. Der Wunsch nach Zwischenfragen, wenn es ihn gibt, immer nur innerhalb der Redezeit. Aber das sieht man ja nicht von außen; deswegen habe ich gar nicht danach gefragt. Ich gebe jetzt für die FDP-Fraktion dem Kollegen Michael Kruse das Wort. ({0})

Michael Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005117, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als anti-rechtsgeschwurbel-politischer Sprecher meiner Fraktion ({0}) habe ich ja das große Glück, hier regelmäßig den Debattenplatz nach Ihnen zu belegen. Ich muss wirklich sagen, dass Sie es hier heute zum zweiten Mal geschafft haben, sich selber zu toppen: indem Sie unser westliches Verhalten hier als ursächlich für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine dargestellt haben. Das macht mich wirklich fassungslos, macht mich einfach nur fassungslos. ({1}) Wir beschließen hier die erste Novelle des EnSiG, und das ist dringend notwendig, weil das EnSiG in eine neue Zeit überführt werden muss. Der brutale russische Angriffskrieg in der Ukraine zwingt uns alle in eine neue Realität. Manche sind mitgekommen – die meisten hier im Haus –, einige nicht. ({2}) Das Gesetz ist von dem Gedanken geleitet, dass niemand kritische Infrastruktur in Deutschland gegen die deutschen und europäischen Interessen missbrauchen darf. Deswegen ergreifen wir wichtige Maßnahmen. Einige sind erwähnt worden, etwa dass die Gasspeicher jetzt erstmalig auch Teil der kritischen Infrastruktur sind. Wir haben im Bereich des Gases bereits in diesem Winter erlebt, dass Russland gezielt aus deutschen Speichern ausgespeichert hat. Wir haben erlebt, dass Russland parallel dazu am Spotmarkt sehr wenig Gas angeboten hat und damit, durch diese beiden Maßnahmen, de facto schon einen wirtschaftlichen Angriff auf unser Land verübt hat. Parallel dazu gab es Hacking-Angriffe, etwa auf große Windparkbetreiber, auf Verteilstationen von Öl. Wer das alles im Zusammenhang sieht, der stellt fest: Nicht nur der Angriffskrieg in der Ukraine ist von Russland verübt worden, sondern auch der gezielte Versuch, im Westen Europas den wirtschaftlichen Schaden parallel dazu möglichst groß zu machen. Eine solche Abhängigkeit und eine solche Gefahr, die damit einhergeht, darf es nie wieder geben! Marktmacht ist immer gefährlich. Aber Marktmacht von autokratischen Regimen ist nicht nur gefährlich, sie ist lebensgefährlich. ({3}) Wir haben als Ampel die Regierung übernommen in einer Zeit, in der Deutschland in diesem Alptraum mittendrin war. Aus diesem Alptraum der Energieversorgung holen wir das Land jetzt raus, und zwar mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen: mit dem Gasspeichergesetz, das wir schon verabschiedet haben; mit der Änderung des Energiesicherungsgesetzes, die wir jetzt gleich verabschieden werden; mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz, das wir hoffentlich nächste Woche verabschieden können; und selbstverständlich auch mit der größten marktwirtschaftlichen Reform der erneuerbaren Energien, die dieses Land je erlebt hat. Als Ultima Ratio sind in diesem Gesetz auch Maßnahmen angelegt, die nicht zum kleinen Einmaleins des politischen Liberalismus gehören, die lediglich als Ultima Ratio angewendet werden dürfen. Aber Europa ist durch diesen Krieg in eine neue Realität gezwungen, und Teil dieser neuen Realität ist es eben auch, dass wir uns Instrumenten nähern müssen, deren Einsatz wir grundsätzlich sehr kritisch sehen. Sie sind nur Ultima Ratio, aber auch die Möglichkeiten der Treuhand und der Enteignung von in Händen ausländischer Staaten befindlichen Unternehmen, die gegen die deutschen Interessen missbraucht werden, sind hier auf dem Tisch. ({4}) Wir haben dafür gesorgt, dass, wenn diese Instrumente angewendet werden, sie unter klaren Leitlinien angewendet werden. Enteignete Unternehmen müssen wieder reprivatisiert werden. Die Rechtsverordnung, die das Ganze regelt, muss nicht nur durchs ganze Kabinett, sondern sie muss auch vom Deutschen Bundestag beschlossen werden, innerhalb von drei Sitzungswochen. Über den Stand der Privatisierung muss das zuständige Ministerium dann regelmäßig berichten. Die Reprivatisierung muss erfolgen, wenn und sobald die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Dieses Gesetz bringt Deutschland die Energiesouveränität zurück. Selbst mit diesen Instrumenten sorgen wir kurzfristig genau dafür. Und mittelfristig stärken wir damit sogar den Wettbewerb; denn wir bauen die Marktmacht ab, die an fataler Stelle entstanden ist in den letzten Jahren. ({5}) Wir sorgen mit einer digitalen Plattform dafür, dass wir guten Überblick darüber bekommen, wer welche Gasmengen verbraucht, um mit den Unternehmen, die große Verbraucher sind, auch ins Gespräch zu kommen. Wir behalten, und das ist ganz wichtig, hier auch Preissignale intakt. Da habe ich mich etwas über die Ausführungen der Union gewundert; denn selbstverständlich müsste es auch in Ihrem Interesse sein, dass gerade bei einer großen Knappheitssituation Preissignale bestehen bleiben, damit die entsprechenden Anpassungsprozesse möglichst effizient im marktwirtschaftlichen Sinne erfolgen können. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Die Linke hat jetzt der Kollege Matthias Birkwald das Wort. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Flächendeckender Stromausfall über mehrere Tage, Tankstellen ohne Benzin, Firmen ohne Energie, kalte Wohnungen, ({0}) das droht in Deutschland nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. 12. Juni 2019: Zwei Stromhändler verkauften Strom, den sie gar nicht bestellt hatten. Zu wenige Anlagen produzierten für den Bedarf. Über Stunden bestand im europäischen Stromnetz eine Blackout-Gefahr. 8. Januar 2021: Eine falsch interpretierte Datenlage beim Stromhandel führte zum Ausfall einer Umspannanlage. Nach einer Stunde und der Abschaltung mehrerer Industrieanlagen war die Blackout-Gefahr vorbei. Winter 2021/2022: Gazprom nutzte sein Eigentum, um eine Gasmangelsituation in Europa herbeizuführen. Der milde Winter und die starke Windenergieerzeugung verhinderten den Zusammenbruch der Gasversorgung ({1}) und machten eventuelle Pläne Putins, Deutschland mit Gasmangel zu erpressen, vorerst zunichte. Erst die Liberalisierung und die Privatisierungen des Energiesektors insbesondere im Gasbereich ermöglichten Spekulationen und Machtmissbrauch und damit das steigende Risiko des Zusammenbruches der Gas-, Strom- und der gesamten Energieversorgung. ({2}) Private Profitinteressen dürfen nicht unsere Gesellschaft gefährden! Ich zitiere aus dem Grundgesetz. In Artikel 14 Absatz 2 heißt es: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Folgerichtig muss ein Missbrauch des Eigentums zum Schaden der Gesellschaft zu Enteignungen führen. ({3}) Das ist schon immer der Standpunkt der Linken. Für Die Linke gehört die Daseinsvorsorge, beispielsweise das Gesundheitswesen oder die Energiewirtschaft, unter gesellschaftliche Kontrolle. ({4}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren, mein sehr geschätzter Kollege Ralph Lenkert hat verschiedene Regierungskoalitionen wegen falscher Maßnahmen oft kritisiert. Er kann diese Rede heute hier nicht selber halten, weil er heute seine Stimme vorübergehend verloren hat. Darum danke ich den Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP in seinem Namen; denn in der heutigen schwierigen Lage haben Sie die Zusammenarbeit mit der Opposition gesucht und Hinweise aus der Anhörung und von uns Linken aufgenommen. Sie haben Missbrauchsmöglichkeiten bei Preisanpassungen reduziert, ja, sogar eine partielle Preiskontrolle eingeführt. Das ist gut und ein erster Schritt zur Preisaufsicht. ({5}) Sie ermöglichen Enteignungen von Unternehmen, ({6}) welche die Versorgungssicherheit gefährden. Richtig so! Und nicht nur Wladimir Putin, sondern allen Spekulanten und Spekulantinnen wird jetzt klar: Bei Missbrauch ist das Eigentum weg. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Okay, Ralph Lenkert konnte Sie leider nicht von der Reprivatisierung enteigneter Betriebe abbringen. Aber immerhin darf diese nur erfolgen, wenn erneuter Missbrauch ausgeschlossen ist. ({0}) Die Linke wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich danke Ihnen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank und – ich glaube, das kann ich für uns alle sagen – gute Besserung an Ralph Lenkert. ({0}) Das ist mit das Schlimmste, was man als Politiker erleben kann. Ich gebe jetzt das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Oliver Krischer. ({1})

Oliver Krischer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004081

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon verrückt: Wir verabschieden hier ein Gesetz, von dem wir alle hoffen, dass wir es nicht anwenden müssen. ({0}) Denn normalerweise will man ja, dass ein Gesetz möglichst oft angewendet wird. Aber wir sind dazu gezwungen, ein Gesetz, das fast 50 Jahre alt ist, zu novellieren, weil Wladimir Putin uns mit seinem Angriffskrieg und der Drohung, fossile Energien als Waffen einzusetzen, dazu zwingt, uns vorzubereiten. Dass wir es nicht anwenden wollen, hat klare Gründe. Denn in diesem Gesetz müssen wir schwierige Entscheidungen treffen, um uns auf diese Krisensituation vorzubereiten. Die Kolleginnen und Kollegen haben es angesprochen: Treuhänderschaft, Enteignung – das alles sind schwierige Dinge, die man tun muss, um in einer solchen Situation reagieren zu können. Zu den schwierigen Dingen gehört auch die Preisanpassungsklausel. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das ist eine Frage, über die man sehr kontrovers und kritisch diskutieren kann. Wir in der Ampel und als Bundesregierung sind aber zu dem klaren Schluss gekommen, dass wir eine solche Regelung brauchen, um zu verhindern, dass Unternehmen zusammenbrechen. Wir brauchen diese Regelung jetzt; denn jeden Tag sieht man – die aktuellen Meldungen zeigen es –, dass wir einen solchen Instrumentenkasten haben müssen. Deshalb können und wollen wir keine weitere Verzögerung in Kauf nehmen. Das wäre aus unserer Sicht unverantwortlich. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte aber ausdrücklich betonen – ich glaube, das zeigt die Stärke der deutschen Demokratie und des Bundestages –, wie konstruktiv nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch die Fraktion der Linken und die Fraktion der Union mit uns als federführendem Haus und mit der Bundesregierung insgesamt zusammengearbeitet haben. Ich glaube, das ist genau die richtige Antwort, die wir mit diesem Gesetz jetzt geben, auch wenn es bei Ihnen von der Union am Ende nicht zur Zustimmung reicht. Ich kann gut verstehen, dass es da Bedenken gibt, dass Sie das noch mal wägen mussten. Aber das Signal in Richtung Wladimir Putin ist klar: Deutschland ist gewappnet für den Fall, dass fossile Energien als Waffe eingesetzt werden. Ich sage hier ganz klar: Unser größter Wunsch ist, dass wir es schaffen, dass dieses Gesetz am besten wieder 50 Jahre oder noch länger da schlummert, wo es in den letzten 50 Jahren geschlummert hat. Das bedeutet: Wir müssen zulegen in den Bereichen Einsparung, Effizienz und erneuerbare Energien. ({2}) Das ist die Antwort auf Wladimir Putin: dass wir nie wieder in eine solche Situation kommen. Daher zeigen wir jetzt klare Handlungsfähigkeit mit diesem Gesetz. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andreas Lenz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat zu einer äußerst angespannten Situation auf den Energiemärkten geführt. Wir alle wissen: Die Preise sind hoch und die Unsicherheiten ebenso. Die Risiken sind zweifelsohne vorhanden und gerade für die nächste Zukunft immens. Deswegen muss der Staat hier kräftig reagieren. Oberstes Ziel muss dabei die Versorgungssicherheit sein. Gleichzeitig müssen wir russisches Gas so schnell wie nur irgendwie möglich ersetzen. Nach wie vor glauben wir, dass es eine gesetzliche Regelung braucht, um die zahlreichen Folgen in vielerlei Hinsicht händeln zu können. Wir brauchen einen Instrumentenkasten, damit wir schnell auf womöglich schnell stattfindende Schocks reagieren können. Viele Punkte im Gesetz sind dabei richtig und werden von uns mitgetragen. Diese betreffen die Fragen der Treuhänderschaft und – wenn keine milderen Mittel möglich sind – im äußersten Fall auch das Mittel der Enteignung. Wir begrüßen, dass enteignete Unternehmen wieder privatisiert werden. Den Punkt haben wir gefordert, und er wurde im parlamentarischen Verfahren eingebracht. Wir begrüßen außerdem, dass die Rechte des Parlaments gestärkt wurden. Auch wenn man das eine oder andere hätte etwas besser machen können, ist es ein Schritt in die richtige Richtung und stärkt auch insgesamt das Parlament. Es ist richtig, dass eine Stilllegung von Gasspeicheranlagen zukünftig bei der Bundesnetzagentur angezeigt und dann auch genehmigt werden muss. Wir haben das Beispiel Rehden und anderer Speicheranlagen, wo kontinuierlich über Monate, über Jahre hinweg von Russland diese Situation herbeigeführt wurde, auch nach Aussagen der Bundesnetzagentur. Jetzt haben wir wirksame Mittel, um dagegenhalten zu können. Auch die geplante digitale Plattform ist richtig und ein wichtiger Schritt. Wir werden so schneller feststellen können, wo der Energieeinsatz reduziert werden kann. Wir haben letzten Endes immer noch die große Aufgabe, bei einer etwaigen Gasmangellage zu schauen, wo die Priorisierung stattfindet, wo die Gasverbraucher eingeschränkt bleiben. Das ist eine Aufgabe, die schwierig ist, die gut abgedeckt werden muss, die aber hoffentlich ebenso wie das Gesetz nie Anwendung finden muss. Wir wären glücklich, wenn die Plattform früher fertig wäre, nicht erst am 1. Dezember. Wir werden letztlich alles unterstützen, was dazu beitragen kann. Wir verlangen auch – die Bundesnetzagentur hat das zugesichert –, dass die Länder Zugriff auf die Daten dieser Plattform bekommen werden. Wir nehmen die Bundesnetzagentur hier beim Wort. Wir haben im Verfahren mitgewirkt, um einen schnellen Abschluss des Gesetzes zu ermöglichen. Leider wurden unsere Punkte, insbesondere bei der Frage der Preisanpassungsrechte, nicht hinreichend berücksichtigt. Es war bei der Anhörung ja offensichtlich, dass die Frage der Preisanpassung nicht so einfach ist. Gerade wenn sich die Händler beispielsweise auf internationales Recht berufen, ist es nicht so einfach, staatliche Eingriffe in der Art und Weise, wie Sie sie vorsehen, umzusetzen. Das zweite Argument, das noch viel schwerer wiegt, ist das einer möglichen Kettenreaktion, die unserer Meinung nach nicht auszuschließen ist. Die Wirkung ist nicht absehbar. Wir konnten auch das mit der Regierungskoalition nicht hinreichend klären. Es könnte im schlimmsten Fall so sein, dass die Wirkung des neuen § 24 Energiesicherungsgesetz die eines Brandbeschleunigers ist – quasi soll ein Brand mit Benzin gelöscht werden; das funktioniert nicht. Es ist mit diesem Paragrafen letzten Endes immer noch ein hohes systemisches Risiko verbunden. Wir halten also den § 24 in der jetzigen Form für defizitär, für nicht ausgegoren und die Folgen für nicht absehbar. Wir haben außerdem im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht bezüglich der Frage der treuhänderischen Haftung, der Haftungsfreistellung in dem Kontext. Wir sind dankbar, dass die Inhalte aufgenommen werden und im weiteren Verfahren noch Berücksichtigung finden können. ({0}) Wir haben übrigens angeboten – das möchte ich noch betonen –, dem Gesetz ohne den § 24 zuzustimmen. Das wurde in der Form von der Ampel leider abgelehnt. Insofern können wir heute nicht zustimmen. Wir werden uns aus den bereits genannten Gründen enthalten. Wir halten viele der zu treffenden Regeln trotzdem für richtig. Ich kann den Vorrednern nur zustimmen, dass es wünschenswert ist, wenn man dieses Gesetz möglichst nicht braucht. Insofern ist es vielleicht eine Ausnahme zu der ja immer noch gültigen Regel von Montesquieu, der mal gesagt hat: Ein Gesetz, das man vielleicht nicht braucht, darf man nicht machen. – In dem Fall ist es anders: Obwohl wir hoffen, dass wir das Gesetz nicht brauchen, machen wir das Gesetz. In diesem Sinne werden wir uns aus den genannten Gründen enthalten, aber wir waren im Verfahren natürlich konstruktiv. Das Thema sollte uns nicht häufiger beschäftigen, wird uns aber trotzdem noch beschäftigen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Nina Scheer hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute gab es noch mal eine neue Zahl dazu, inwieweit die schon deutlich reduzierten Importmengen noch immer zu einer Gewinnsteigerung auf russischer Seite führen. Für den März ist eine Steigerung um 4,4 Milliarden Euro taxiert worden; das ist ein Einnahmenzuwachs von 77,7 Prozent, den Russland zu verzeichnen hat. Das zeigt, wie dringend es ist, konsequent den Weg fortzusetzen – natürlich immer, so lange und so gut wir das können –, die Importe weiter zu reduzieren, insbesondere weil die Preisspirale sich gerade nach oben dreht. Wir dürfen uns nicht überfordern, und die Versorgungssicherheit muss Priorität haben, aber wir sind in einer Zwickmühle und müssen uns natürlich weiter auf dem Weg bewegen, so gut es geht und so schnell es geht, diese Importmengen zu reduzieren – auch mit Blick auf die Einnahmen, die wir auf russischer Seite nicht sehen wollen. ({0}) Insofern müssen wir auch ganz unabhängig von Energieembargos – das hat auch die Entwicklung in dieser Woche gezeigt – darauf vorbereitet sein, dass Lieferstopps kommen. Wir haben erst gestern ein russisches Dekret vernehmen müssen, das tatsächlich schon mal damit blinkt, wie eine solche Entwicklung aussehen könnte. Es ist, um es mit den Worten des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, zu sagen, ein „chirurgisches Dekret“ von russischer Seite gewesen. Damit hat Klaus Müller zum Ausdruck gebracht, dass offenbar ganz gezielt noch kein Lieferstopp gemacht wurde, während gleichzeitig aber ein empfindlicher Preisanstieg aufgrund der Sanktionierung von 31 Unternehmen bei uns zu spüren ist. In der Tat, ein Preisanstieg von 14 Prozent seit gestern ist zwar noch innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite; wenn das allerdings so weitergeht, wird natürlich genau damit von russischer Seite das Erpressungsinstrument Importabhängigkeit ausgespielt. Dagegen müssen wir uns wehren. ({1}) Wenn wir uns jetzt dagegen wehren, muss das natürlich insbesondere durch den schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien gehen. Wir wissen aber auch, dass wir noch eine Weile – nämlich solange wir diesen Umstieg noch nicht vollzogen haben – von fossilen Energien abhängig sind. In dieser Zeit diversifizieren wir. Wir haben die Importmengen aber eben noch nicht auf null reduziert. Genau in dieser Zeit brauchen wir einen Notnagel wie das Energiesicherungsgesetz, das jetzt ja schon verschiedentlich als ein Gesetz bezeichnet wurde, das nicht angewendet werden sollte. ({2}) Ich möchte ganz kurz skizzieren, was die Anwendung dieses Gesetzes bedeuten würde: Die Gasflüsse erreichen unser Land an nur wenigen Punkten. Diese müssen aber das ganze Land erreichen. Wenn zu wenig Gas oder kein neues Gas mehr reinkommt, dann werden natürlich erst mal die Speicher bemüht. Die sind jetzt gerade mal zu 40 Prozent gefüllt und befinden sich wieder in der Auffüllphase. Wir dürfen sie jetzt nicht entleeren. Wenn das jetzt der Fall wäre, dann hätten wir im Winter ein Problem. ({3}) Wenn diese Speicher nicht zur Verfügung stehen, dann haben wir unmittelbar eine wirklich drastische Situation. Wenn die Gasflüsse nicht mehr gewährleistet sind, dann bedeutet das, dass manche Unternehmen ihre Produktionsmöglichkeiten gänzlich verlieren. Es gibt von europäischer Seite die Priorisierung, dass die Privatmenschen, die Bürgerinnen und Bürger, prioritär zu versorgen sind. Es ist mir wichtig, das auch noch mal deutlich zu sagen. ({4}) Die Bürgerinnen und Bürger sind aber natürlich auch mittelbar betroffen, weil sie ja auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. ({5}) Wenn die Unternehmen nicht mehr produzieren können, dann werden wir in schnellster Zeit eine große Arbeitslosigkeit zu beklagen haben. ({6}) Genau deswegen müssen wir dieses Energiesicherungsgesetz nun schnell verabschieden und in dieser Ausgestaltung in der Rückhand haben, damit die Bundesnetzagentur in die Situation versetzt wird, auf der Grundlage der dritten Notfallstufe mit dem Instrument der digitalen Plattform, die jetzt unter Hochdruck erarbeitet wird, schnell agieren und eine Priorisierung vornehmen zu können, wie in dieser Notlage vorgegangen wird. Ganz am Ende meiner Redezeit, die schon zu Ende ist, ({7}) bitte ich die Union, doch noch mal zu überlegen, ob sie nicht zustimmt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gerade noch mal in einem Halbsatz gesagt, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass die Ausgestaltung dieses Gesetzes das Problem sei.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist aber nicht das Problem, was wir haben. Bitte stimmen Sie zu! Diese Solidarität brauchen wir an dieser Stelle, diese Geschlossenheit. Vielen Dank. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man wolle keine Eskalation provozieren, heißt es von Regierungsmitgliedern seit Wochen, und das ist vollkommen richtig. Die Linke verurteilt diesen verbrecherischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine aufs Schärfste. ({0}) Das Leid der Menschen muss umgehend beendet werden, die Waffen müssen schweigen. ({1}) Möglich ist das aber nur, wenn man miteinander redet. Und die Beschlüsse dieses Hauses, aber auch einige Taten sprechen leider eine andere Sprache. Am 28. April wurde hier eine weitere hochgefährliche Entscheidung getroffen. Nach leichten sollen nun auch schwere Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert werden, und mittlerweile werden ukrainische Soldaten auf deutschem Gebiet ausgebildet. ({2}) Meine Damen und Herren, allein innerhalb der ersten acht Kriegswochen wurden Rüstungsgüter im Wert von mindesten 192 Millionen Euro an die Ukraine geliefert. Waffen führen aber nicht dazu, dass dieser schreckliche Krieg endet. Sie führen zu noch mehr Tod, Leid und Zerstörung. Fragen Sie gerne meinen Kollegen Gregor Gysi und Gerhard Trabert. Sie wurden auf ihrer Reise in die Ukraine von Betroffenen vor allem nach humanitärer Hilfe, nach medizinischer Versorgung und Nahrung gefragt und nicht nach Kriegsgerät. ({3}) Sie aber riskieren eine gefährliche Ausweitung dieses Krieges, vielleicht sogar nach Deutschland. Ich zitiere Ihnen gerne auch den Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes zu Ihrem Beschluss. Zitat: ... wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen. Sie machen Deutschland zunehmend zur Kriegspartei, und das ist unverantwortlich. ({4}) 28 Prominente warnen in einem offenen Brief Kanzler Scholz, mittlerweile haben diesen Brief auch fast 270 000 Menschen unterzeichnet, sie warnen vor dem Irrtum, die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt gehe alleine den ursprünglichen Aggressor an. Nehmen Sie endlich die berechtigten Sorgen der Bevölkerung ernst. ({5}) Kommen Sie der besonderen historischen und politischen Verantwortung Deutschlands für den Frieden in Europa nach. ({6}) Der Kanzler selbst hat ja gewarnt und versprochen, alles zu tun, um eine Eskalation zu verhindern, die möglicherweise zu einem dritten Weltkrieg oder gar Atomkrieg führen könnte. Nur 72 Stunden später wurde auf innerkoalitionären Druck alles über Bord geworfen. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Spiel und kein Gerangel innerhalb der Ampelkoalition. Es ist bitterernst. ({7}) In dieser Zeit braucht es einen kühlen Kopf und gut abgewogene Entscheidungen. Da hat Olaf Scholz völlig recht. Lassen Sie also bitte wieder die Vernunft regieren. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Johannes Schraps. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken! Fangen wir mal mit dem Positiven in Ihrem Antrag an. Es gibt zwei Sätze, die absolut zutreffend sind: Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen und muss sofort beendet werden. Russische Soldaten und Militärgerät müssen aus der Ukraine abgezogen werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so weit vollkommen richtig. ({0}) Und der Applaus, der hier durch die Reihen geht, unterstreicht, dass diese Haltung vom allergrößten Teil des Hauses auch getragen und geteilt wird. In diesem Sinne haben sich nach meinem Eindruck die Äußerungen der antragstellenden Fraktionen in den letzten Wochen ein bisschen verändert, weil in den Debatten der letzten Wochen, ebenso heute hier und dankenswerterweise auch im Antrag, ebenfalls klare und in der Form richtige, weil deutlich verurteilende Worte für diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine gefunden wurden. Sehr gut, dass hier eine klare Haltung vorhanden ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Diese Sätze zu Beginn Ihres Antrags sind aber insofern bemerkenswert, als wir es in vielen Debatten der letzten Jahre zu häufig von Ihnen gewohnt waren, dass vorbehaltslos prorussische Ansichten und ein Verteidigen der Putin’schen Politik an der Tagesordnung waren, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Da ist eine Änderung zu sehen. ({2}) Wenn ich dann nämlich den Antrag weiterlese, öffentliche Äußerungen und auch den Beitrag der Kollegin Nastic hier zu Beginn dazunehme, dann kommen mir doch wieder Zweifel an einer möglicherweise veränderten Einstellung bei Ihnen. Denn wenn die Kollegin Nastic hier sagt, die Ampelkoalition und die Union hätten Deutschland mit ihrem Bundestagsbeschluss, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern und darüber hinaus auch ukrainische Soldaten in Deutschland oder auf NATO-Gebiet auszubilden, ({3}) zur aktiven Kriegspartei gemacht, dann ist das schlicht falsch, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Sie haben hier eben ausgeführt, dass Sie sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages beziehen. Dort heißt es – da müssen wir wirklich genau auf die Formulierung schauen –: ... wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, dann würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen. ({5}) Der erhebliche Unterschied in der Formulierung, die Sie gerade verwendet haben – zur aktiven „Kriegspartei“ zu werden –, und der Formulierung – möglicherweise den „gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen“ – müsste selbst Ihnen deutlich auffallen. ({6}) Vor einiger Zeit hätte ich persönlich noch gesagt: Die einzige Handlung, die im gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung liegt, ist die Nichthandlung, also gar nichts zu tun, wirklich niemanden zu provozieren und nichts herauszufordern. ({7}) Heute wissen wir aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass selbst die Nichthandlung nicht davor schützt, ({8}) Opfer eines unprovozierten Angriffskriegs zu werden, so wie es die Ukraine geworden ist. Denn Russland hat gegen das UN-Gewaltverbot verstoßen und hat die territoriale Integrität eines friedliebenden Nachbarlandes, nämlich der Ukraine, infrage gestellt und verletzt. Russland hat Völkerrecht gebrochen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Laut der UN-Charta ist der Verteidigungskrieg die einzig legitime Form eines Krieges. Und als Unterstützer, auch in Form einer Ausbildung, wird man nicht automatisch zur Kriegspartei. Die Schwelle zur Kriegspartei, so sagt es die UN-Charta, wird dann überschritten, wenn eigene Soldaten denen einer anderen Kriegspartei unmittelbar Schaden zufügen. Das ist hier ganz klar nicht der Fall. Wir unterstützen vielmehr die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und das ist auch richtig und gut so. ({10}) Einen Aspekt, der in Ihrem Antrag völlig außer Acht gelassen wird, möchte ich aber gerne noch mal ansprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken: Das ist Wladimir Putin. Im Laufe seiner Präsidentschaft hat Putin ja schon viele Kriege geführt: den zweiten Tschetschenien-Krieg, den Krieg in Georgien, die Annexion der Krim, den Krieg in der Ostukraine und nun den flächendeckenden Angriffskrieg gegen die Ukraine, um nur ein paar zu nennen; es könnten noch mehr sein. Es gibt kaum Grundsätze des internationalen Rechts, die Putin in diesen Kriegen nicht gebrochen hat; das muss man ganz klar so sehen. Wenn wir aus diesen vielen Auseinandersetzungen, die Putin geführt hat, spätestens jetzt eines gelernt haben sollten, dann ist es die Tatsache, dass Putin sich überhaupt nicht um die Regeln des friedlichen Zusammenlebens schert. Auch rationales Handeln kann man ihm überhaupt nicht attestieren; denn dann hätte er diesen wahnsinnigen Angriffskrieg nie begonnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Wir wissen es nicht sicher, aber möglicherweise ist es für Putins Handeln ja völlig unerheblich, wie wir uns verhalten. Sollte er irgendwann die persönliche Entscheidung treffen, Deutschland, die EU, die NATO oder wen auch immer als Kriegspartei zu sehen, dann ist es jedenfalls sehr unwahrscheinlich, dass er das aus rationalen Erwägungen heraus tun wird. Und er wird da sicherlich auch keine Paragrafen des Völkerrechts bemühen, um das zu erklären, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Denn sein Regime baut seit Jahren auf Desinformation und Propaganda, und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind leider leere Worte für ihn. Insofern ist dieser Diskurs, den wir hier heute Abend führen und den Sie mit diesem Antrag hier gestartet haben, ein Diskurs, der vielleicht für uns und für unsere eigenen moralischen Ansprüche ein guter und wichtiger ist, aber nicht für Putin, der das Völkerrecht offensichtlich verachtet, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Was unsere eigenen moralischen Grundsätze angeht, da befinden wir uns in der Tat in einem schwierigen Dilemma. Das spüre ich wie wahrscheinlich ganz viele Menschen in unserem Land ganz persönlich. Ich habe ehrlicherweise ein wirklich ungutes Bauchgefühl, wenn ich daran denke, dass ich hier vor einiger Zeit Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zugestimmt habe. Da habe ich ein ungutes Bauchgefühl, und es wird vielen Kolleginnen und Kollegen so gehen. Ich habe aber ein mindestens ebenso ungutes Bauchgefühl, wenn ich mir vorstelle, wir würden einfach nur zuschauen, wie ein Land von einem feindlichen übermächtigen Aggressor angegriffen wird, und wir würden nur danebenstehen. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das geht nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssten zum Ende gekommen sein.

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Deswegen müssen wir alles tun, was wir nach unserem sorgsamen Abwägen moralisch mit uns vereinbaren können. Zum Glück sind wir mit vielen Ländern –

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass wir die Ukraine nicht einfach sich selbst überlassen können, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Knut Abraham ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Knut Abraham (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit mehr als dem ohnehin gebotenen Interesse habe ich mir Ihren Antrag angesehen. Ich muss doch sagen, dass mich die klare Verurteilung des russischen Angriffs durch viele Politiker der Linken beeindruckt hat, so auch – Kollege Schraps hat darauf hingewiesen – in den ersten beiden Sätzen dieses Antrags. Was dann aber folgt, Frau Kollegin Nastic, ist eine krasse Verdrehung der Realität, mit der sie zurückfinden in ihre ideologischen Gräben. Da ist zu lesen, Sie fürchten sich, dass – Zitat – „eine Unterstützung durch NATO-Staaten die militärische Entwicklung außer Kontrolle geraten lassen kann.“ Was für ein verdrehter Blick auf die Realität! Die alleinige Verantwortung für den Krieg liegt bei Russland und seinem Machthaber Putin. ({0}) Einzig und allein von ihm geht die Gefahr für unseren Kontinent aus. ({1}) Meine Damen und Herren, wir müssen doch vom Opfer her denken. Das Opfer braucht unsere Unterstützung. Das lehrt die deutsche Geschichte. Grundlos, aus purem Eroberungstrieb hat Russland sein Nachbarland überfallen. Und mehr: Putin negiert die Existenz der ukrainischen Nation. Mir ist völlig rätselhaft – völlig rätselhaft! –, wie Sie von den Linken aus der deutschen Geschichte ableiten wollen, es sei richtig, einem überfallenen Opfer bei der Verteidigung gegen einen brutalen Aggressor nicht zu helfen. Eine solche Haltung ist doch ein Schlag gegen die Menschen, die in der Ukraine um ihr Leben und um ihre Heimat kämpfen. ({2}) Nein, unsere Geschichte verpflichtet uns, Partei für das Opfer zu ergreifen. ({3}) Es ist gut, dass wir ukrainische Soldaten ausbilden. Es ist gut, dass Deutschland endlich schwere Waffen liefert. Wir müssen noch viel mehr ausbilden und noch viel mehr liefern. Wir müssen zeigen, wo wir stehen. ({4}) Ich bin froh, dass nach der Reise unseres Partei- und Fraktionsvorsitzenden die Gesprächskanäle zwischen Kiew und Berlin wieder funktionieren. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen?

Knut Abraham (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege, vielen Dank, dass ich die Zwischenfrage stellen darf. – Auch Ihr Vorredner hat gesagt, das Problem sei, dass manche Entscheidungen auf einer emotionalen Ebene getroffen werden. Dem kann ich zustimmen; denn das, was hier passiert, basiert auf dem Gefühl, man sei völlig im Recht. Man hat entschieden, wer der Gute und der Böse ist, ({0}) und deswegen sei fast alles moralisch erlaubt, bis hin zur Gefährdung der deutschen Bevölkerung durch den drohenden Krieg, den man möglicherweise befördert. Der Vorredner hat auch festgestellt: Der Wissenschaftliche Dienst hat ganz klar benannt, dass wir mit der Ausbildung fremder Soldaten in unserem Land möglicherweise schon längst die Grenze des Völkerrechts überschritten haben, die uns zur Kriegspartei macht. Ich muss Sie fragen: Wo ist die Verantwortung dieser Bundesregierung? Ich muss hier ganz offen benennen: Beim letzten Mal wurde das deutsche Volk wenigstens gefragt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ ({1}) Aber in diesem Falle – das muss ich ganz ehrlich sagen – scheint es mir so zu sein, als ob diese Ampelkoalition glaubt, sie könnte diese Frage mal eben entscheiden, sie könnte unser Volk in allerhöchste Gefahr bringen. ({2}) Da frage ich Sie: Wo bleibt die Verantwortung dieser Bundesregierung? ({3}) Es muss doch, wenn es hier um Gesinnungsethik geht, auch Ihnen klar sein, ({4}) dass es ethisch Ihre Verpflichtung ist, zuallererst auf das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung zu achten und dann erst auf alles andere. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, den Vergleich mit dem Nationalsozialismus und den furchtbaren Machenschaften von Adolf Hitler weise ich in aller Form zurück. ({0}) Sie können erwidern, Herr Kollege.

Knut Abraham (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie irren in jedem Wort, das Sie gerade gesprochen haben. ({0}) Sie irren in jedem Wort. Lassen Sie sich von einem Erstsemester des Völkerrechts erklären, wie die Lage ist. Es ist nämlich so: Es gibt ein Richtig und Falsch hier. ({1}) Putin hat das Völkerrecht auf brutalste Weise gebrochen. Das ist klar; das ist nicht emotional, das ist Völkerrecht. ({2}) Ich bin jetzt wieder bei den Gesprächskanälen. Das war doch interessant: In Kiew wird genau verfolgt, was wir diskutieren, was wir sagen und was wir eben auch manchmal nicht sagen. Wir haben die Bundesregierung viel zu lange um die Positionierung ringen sehen. Das Ansehen Deutschlands in vielen Teilen Ostmitteleuropas ist doch mächtig ramponiert. Es gab Demonstrationen vor unseren Botschaften im Baltikum, in Ostmitteleuropa. Wenn das Vertrauen erst mal weg ist, ist es unglaublich schwer, es wieder aufzubauen. Dazu, dass das Vertrauen wieder wächst – und das möchte ich Frau Staatsministerin deutlich sagen –, hat die Bundesaußenministerin mit klaren und deutlichen Worten in Kiew viel beigetragen; das war richtig gut. Aber neben den Worten braucht es Taten. Die Ausbildung der rund 100 ukrainischen Soldaten ist eine solche Tat, die uns verlorene Glaubwürdigkeit zurückbringt. Wir müssen insgesamt viel deutlicher sagen und zeigen, was Deutschland für die Ukraine tut, aus voller Überzeugung und in Konsequenz unserer Geschichte. ({3}) Unser bestes Gegenmittel ist aber ein politisches: der Ukraine eine Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft anzubieten. Hier können wir Deutschen jetzt das politische Heft des Handelns in die Hand nehmen und entschlossen für diesen Weg werben. Der Weg wird nicht leicht, und er wird lang sein. Dennoch: Bereits die EU-Perspektive bringt Orientierung und Stabilisierung, ({4}) weil jedem klar wird, wo die Zukunft der Ukraine liegt: in der EU; um es noch mal zu sagen: in der EU und nicht in irgendeiner europäischen Wartekammer von rein symbolischen Wert oder einem Klub der schwierigen Nachbarn. Bekäme die Ukraine diese Perspektive nicht, wären die Folgen absehbar schlimm; niemand möchte nach dem Krieg seine Zukunft in einer grauen Zone in einem irgendwie europäisch dekorierten Puffer gestalten. Ein Junktim zum Westbalkan, meine Damen und Herren, ist nicht fair und nicht sachgerecht. Jedes Kandidatenland muss seinen eigenen Weg in die Europäische Union gehen können. Hier kann und muss die Bundesregierung Führungswillen zeigen. Je länger die russische Armee in der Ukraine wütet, desto schwieriger wird das Nachkriegsszenario. Dessen Eckpunkte sollten uns heute schon beschäftigen, insbesondere die Frage nach wirksamen und zuverlässigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Klar ist auch, dass die Kriegsverbrechen untersucht und die Täter verurteilt werden müssen. Russland wird in erheblicher Höhe zum Wiederaufbau des von ihm verwüsteten Nachbarlandes beitragen müssen. ({5}) Vor all dem verblasst der überflüssige und falsche Antrag der Linken, den wir natürlich ablehnen werden. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jürgen Trittin redet für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 78 Tagen tobt der Vernichtungskrieg Putins gegen ein Land, dem er die Existenzberechtigung – übrigens anders als Stalin – abspricht. Ich nehme es Ihnen ab, dass Sie gesagt haben: Sie sind dagegen, Sie möchten, dass er abzieht. Aber warum legen Sie dann einen Antrag mit dem Titel vor: „Kein Eintritt Deutschlands in den Ukraine-Krieg“? Das ist doch eine infame Unterstellung. ({0}) Wer will denn in diesen Krieg eintreten? Niemand, kein deutscher, kein europäischer, kein NATO-Soldat wird dort eingreifen. ({1}) Was tun Sie damit? Sie verbreiten das Narrativ von Wladimir Putin, ({2}) genau das Narrativ, mit dem er seinen Vernichtungskrieg betreibt. Dann berufen Sie sich auf den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages. Mit dem kann man so umgehen wie der Scheuer Andi. Der hat gesagt: Die haben nichts auf dem Kasten. – Er hat nicht auf ihn gehört, dann hat er verloren, und wir müssen jetzt die Millionen dafür bezahlen. ({3}) Oder man kann das so machen wie Sie: Sie nehmen das Gutachten, zitieren einen Satz, machen es zum Kronzeugen und beantragen dann das Gegenteil von dem, was da drinsteht. ({4}) Das Gutachten erklärt ausdrücklich, dass die Lieferung von Waffen einen Staat nicht zur Kriegspartei macht. Unberührt von dieser Feststellung beantragen Sie in Ziffer 3 Ihres Antrags, dass man das sofort beenden soll. Das Gutachten geht noch weiter. Es hält fest, dass Staaten, die der Ukraine bei ihren Rechten nach Artikel 51 UN-Charta helfen, auf der Seite des Völkerrechts stehen, dass diese Hilfe zur Selbsthilfe legal ist. Und das Gutachten unterstreicht, dass auch die Ausbildung an Waffen durch das Völkerrecht gedeckt ist. Kann man alles in diesem Gutachten nachlesen. Und es unterstreicht: Der Aggressor, also Putin, hat kein Recht, solche Maßnahmen selber zum Anlass für kriegerische Maßnahmen gegen die Unterstützer zu nehmen; das wäre völkerrechtswidrig. ({5}) All das sparen Sie einfach aus, weil es Ihnen nicht passt. Bei Ihnen wird das ius belli zum iocus belli. Sie verleugnen damit ein Stück weit auch Ihre eigene Geschichte. Meine Generation ist ja im Kampf gegen den Vietnamkrieg sozialisiert worden. Wir alten Linken wissen – das zitiere ich jetzt mal –: „Als die USA (Atommacht) – Vietnam bombardierten und mit 500 000 Soldaten dort Krieg führten, lieferten die Volksrepublik China und die Sowjetunion Waffen, Militärberater und Bautrupps für Vietnams Verteidigung. Hätten sie das lassen sollen, weil das möglicherweise einen Atomkrieg provoziert hätte?“ Die Antwort bei uns war eindeutig: Nein, das hätten sie nicht lassen dürfen. Ich will Ihnen auch sagen, wo dieses Zitat her ist. Es stammt von Stefan Liebich, unserem ehemaligen Kollegen, aber auch Mitglied Ihrer Partei. Er hat übrigens, liebe Frau Nastic, ausführlich aufgelistet, warum Ihr Satz, dass Waffenlieferungen noch nie einen Krieg beendet hätten, falsch ist. Er hat dafür Beispiele genannt. Angefangen beim Vietnamkrieg bis zur Gründung des Staates Israel – in all diesen Fällen haben Waffenlieferungen von Verbündeten zu einer Beendigung dieser Kriege beigetragen. ({6}) Es kommt wohl doch, wenn man konkrete Lagen betrachtet, auf den Einzelfall an. Aber man muss eben mehr machen, als nur falsche Prinzipien zu reiten. Vielleicht hat Bodo Ramelow Sie gemeint, als er sagte – ich zitiere aus dem „Morgenmagazin“ –: „Wir können das Völkerrecht nicht individuell anpassen, wie gerade unsere Stimmungslage ist.“ Ich finde, treffender kann man Ihren Antrag nicht kritisieren. ({7}) Bodo Ramelow hat noch einen allgemeineren Satz hinzugefügt: „Es geht nicht, dass wir dann erst mit der Ethik anfangen, wenn ein Überfallener sich verteidigen will.“ Deshalb ist er für Waffenlieferungen. Ich finde, Bodo Ramelow hat recht. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hannes Gnauck spricht jetzt für die AfD-Fraktion. ({0})

Hannes Gnauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005066, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Krieg in der Ukraine dauert an, und die Eskalation – sowohl rhetorisch als auch materiell – nimmt ihren Lauf. Am 28. April wurde in diesem Haus die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine beschlossen. Die US-Streitkräfte bildeten laut Aussage des amerikanischen Verteidigungsministeriums bereits zu diesem Zeitpunkt ukrainische Soldaten auf deutschem Boden aus. Am 6. Mai verkündete Ministerin Lambrecht, dass auch die Bundeswehr ukrainische Truppen ausbilden wird. Die deutsche Öffentlichkeit wurde hierüber erst im Nachgang informiert, und auch der Deutsche Bundestag hat über Teile dieser Vorgänge überhaupt gar nicht entschieden. Das, meine Damen und Herren, ist ein nicht hinzunehmender Prozess. ({0}) Die Bürger unseres Landes fragen sich: Wie lange sollen die ukrainischen Soldaten von der Bundeswehr ausgebildet werden? Was kostet das Ganze uns? Wie schlägt sich dies auf die Materialplanung unserer Streitkräfte nieder? Und was hat die Bundesregierung der ukrainischen Regierung im Detail zugesagt? Meine Damen und Herren, wann informieren Sie endlich das deutsche Volk über all diese höchst brisanten Dinge? ({1}) Hinzu kommt – es wurde angesprochen –, dass in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages festgestellt wird, dass man mit der Einweisung einer Konfliktpartei bzw. der Ausbildung an solchen Waffen den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen würde. Nun müssen sich die Bürger Idar-Obersteins fragen, ob ihre Heimatstadt durch Ihr Handeln zu einem möglichen militärischen Ziel geworden ist, da in der dortigen Kaserne die ukrainischen Soldaten ausgebildet werden. ({2}) Wie können Sie den Bürgern dieses Landes wirklich versichern, dass Deutschland nicht zum Schlachtfeld wird? ({3}) Wir brauchen Deeskalation, um Deutschland definitiv vor einem Krieg zu bewahren. ({4}) Werte Kollegen der Regierungsfraktionen, begreifen Sie doch endlich mal eines: Sie können noch so oft auf völkerrechtliche Einschätzungen Ihrerseits verweisen, letztendlich geht es aber um die Bewertung solcher Eskalationen seitens der Kriegsparteien. Das heißt, wenn Russland zu einer Bewertung wie jener des Wissenschaftlichen Dienstes kommt, dann haben wir uns auf dem Pfad zum Kriegseintritt ein großes Stück bewegt. Und das, meine Damen und Herren, ist absolut unverantwortlich. ({5}) Zur Erinnerung: Sie haben laut Eid ausschließlich dem deutschen Volk zu dienen und Schaden von diesem abzuwenden. Also hören Sie endlich auf, uns in einen Krieg schlafwandeln zu lassen, und nehmen Sie endlich mal eine souveräne deutsche Position ein! ({6}) Die beginnt bei der Energie- und Wirtschaftspolitik und geht über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es brauchte doch nicht erst den Krieg in der Ukraine, um zu wissen, dass unsere Bundeswehr ausgerüstet und in Wehrfähigkeit gesetzt gehört. Ein Umdenken hat offenbar immer noch nicht stattgefunden. Schwere Waffen benötigen wir; doch Sie reichen Gerät und Material weiter in die Ukraine, so nach dem Motto: Wir hatten es ja sowieso nicht. – Mit der ausufernden Bereitschaft, eine fremde Armee in einem fremden Krieg auszurüsten, umgehen Sie mal wieder Ihre Verantwortung, nämlich erst einmal unsere Streitkräfte kampffähig zu machen und vor allem unsere Sicherheit zu gewährleisten. ({7}) Die Vorschläge der Linksfraktion sind in diesem Zusammenhang tatsächlich auf den ersten Blick richtig und nachvollziehbar. Jedoch sind Sie ja bekanntlich keine Freunde der Bundeswehr oder der nationalen Landesverteidigung. Machen Sie sich eines klar: Weltfremder Pazifismus und Antimilitarismus können eine Nation nicht schützen und erhalten. ({8}) Doch eine Regierung, welche aufgrund ihres ambivalenten Verhältnisses zum eigenen Volk uns alle in einen fremden Krieg zu treiben bereit ist, aber zugleich die eigenen Streitkräfte strukturell vernachlässigt, die, meine Damen und Herren, kann unser Land aber eben auch nicht schützen. Deshalb gilt: Deutschland zuerst, die Bundeswehr zuerst, keine Waffenlieferungen, sondern Diplomatie und damit vor allem keine Kriegsbeteiligung Deutschlands! Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Alexander Müller hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat eine ganz eigene Strategie, den Krieg zu beenden. Sie fordert die Einstellung der Unterstützung der Ukraine und die Konzentration auf Diplomatie. Liebe linken Kollegen, Sie haben aber schon mitbekommen, dass sowohl der Kanzler als auch die Außenministerin kurz vor Ausbruch des Krieges in Moskau waren, alle westlichen Regierungschefs, aber Putin den Krieg schon lange vorher minutiös geplant hatte? Sie haben mitbekommen, dass schon seit vielen Wochen kein westlicher Regierungschef mehr in Moskau empfangen worden ist? Sie haben mitbekommen, dass vergangene Woche Papst Franziskus versucht hat, in Moskau ein Gespräch mit Putin zu bekommen, aber keinen Erfolg gehabt hat? Was glauben Sie denn eigentlich? Wer soll da mit wem reden? ({0}) Dass Sie hier mehr Diplomatie fordern, ist doch total naiv. Dabei fällt mir ein, dass in diesem Jahr gar kein Dienstreiseantrag der Linksfraktion für die Truppenparade zum 9. Mai in Moskau gekommen ist. Warum wollten Sie denn dieses Jahr nicht Putins Panzer und Raketenwerfer anschauen? Kann es sein, dass nicht mal mehr Ihre Drähte nach Moskau für die Diplomatie nutzbar sind? ({1}) Putins Interesse ist natürlich, die Unterstützung für die Ukraine zu beenden, damit er seine mörderische Gewalttour ungestört fortsetzen kann. Und Sie tanzen nach seiner Pfeife. ({2}) Putin zeigt immer wieder auf seinen Atomkoffer und die roten Knöpfchen darin, und schon zucken hier viele zusammen und wollen alles tun, was er verlangt, weil er das Wort „Atom“ gesagt hat. Aber was ist das für eine Weltordnung? Wir haben eine internationale Rechtsordnung mit gültigem Völkerrecht, begründet durch die UNO. Wer Kriegsverbrechen begangen hat, wer gegen Völkerrecht verstößt, wer Zivilisten abgeschossen und Massenvergewaltigungen organisiert hat, der wird konsequent geächtet und sanktioniert – außer von Nordkorea, Iran, Syrien und der Linkspartei. ({3}) Jetzt braucht nur irgendjemand „Atom“ zu sagen, und wir zucken alle zusammen und gehorchen? Es gibt neun Atommächte auf der Welt. Dürfen die sich ab jetzt alles erlauben, ohne dass es Folgen hat, nur weil wir vor Angst erstarren? Gilt ab jetzt wieder: „Wer die größte Waffe hat, wer die meisten Sprengköpfe hat, der darf Gewaltexzesse und Kriegsverbrechen verüben, und wir stören dabei nicht.“? Das kann doch nicht die neue Weltordnung sein. ({4}) Wir müssen uns klarmachen, warum die Verbrecher von Butscha vertrieben wurden und woran das lag; warum sie nicht bis Kiew kamen und auch dort Zivilisten auf offener Straße erschießen konnten. Der Grund ist, dass die Ukrainer sich erfolgreich verteidigt haben. Das können sie angesichts der russischen Übermacht nur mit materieller Unterstützung. Mit diesem Antrag will Die Linke die Hilfe Deutschlands und der NATO sofort beenden. ({5}) Es ist eine zynische Botschaft an die Menschen in der Ukraine: Gebt doch endlich auf und ertragt das, was Russland euch antun will. Den wenigen von euch, die Gewaltexzesse und Bombardierungen überleben werden, winkt ein Marionettenstaat wie Belarus mit einem Gewaltherrscher an der Spitze, der die Freiheit unterdrücken wird. – Es ist diese Tradition der Linksfraktion, die ich unmöglich finde. Als die Linkspartei noch den Namen SED trug, hatte sie die Stasi und die Mauerschützen zu verantworten. Die Linke hat sich von dieser Historie nie distanziert. ({6}) Jetzt wollen Linke den Menschen in der Ukraine erneut zumuten, was die Bürger der damaligen DDR erlitten und im heutigen Belarus erleiden: die Unterdrückung und Unfreiheit. ({7}) Sie halten das Wort „Solidarität“ in Sonntagsreden immer ganz hoch; aber den Frauen und Kindern in den U-Bahn-Schächten in der Ukraine entziehen Sie die Solidarität. Das ist zum Fremdschämen. ({8}) Sie wollen zurück in eine Zeit, die wir glücklicherweise überwunden hatten. Der rechte Rand in diesem Haus will zurück in die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Aber ich sage Ihnen: 85 Prozent dieses Hauses – die ganz große und breite Mehrheit – unterstützt die Ukraine bei der Verteidigung ihrer Freiheit und ihres Traums von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und bei ihrem tapferen Kampf gegen Kriegsverbrecher und den Aggressor. ({9}) Ihr Antrag ist symptomatisch für die antidemokratische Minderheit in diesem Haus. Aber ich bin froh, dass die große Mehrheit hier in der Lage ist, die Täter von den Opfern klar zu unterscheiden und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Thomas Erndl hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linkspartei fordert in ihrem Antrag, die Unterstützung der Ukraine einzustellen. Das heißt nichts anderes, als dass die Ukraine sich ergeben soll. Das heißt nichts anderes, meine Damen und Herren, als dass in Europa keine regelbasierte Ordnung mehr gilt, sondern das Recht des Stärkeren. Und das heißt nichts anderes, als dass in den besetzten Gebieten Filtrieren, Verschleppen, Foltern, Vergewaltigen und Morden zugelassen wird. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! ({0}) Wie wir gerade vernommen haben, gilt das nicht nur für die Position der Linken, sondern auch für die Einlassungen der AfD. Das Aufgezählte ist nämlich die Realität, meine Damen und Herren. Realität ist auch, dass in Russland niemand zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist. Absolut unannehmbare Forderungen sind keine Grundlage für einen diplomatischen Weg. Wer verhandeln will, der zerstört nicht täglich lebenswichtige Infrastruktur. Wer verhandeln will, verschleppt keine Kinder, und wer verhandeln will, vergewaltigt nicht. ({1}) In Ihrem Antrag schreiben Sie: „Deutschland mit seiner Geschichte trägt eine historische und politische Verantwortung dafür, zum Frieden in Europa und der Welt beizutragen.“ Da gebe ich Ihnen recht. Aber was Sie eben nicht verstanden haben: Der konkrete Beitrag zu dieser historischen Verantwortung sind jetzt Waffen und Panzer für die Ukraine; denn sie muss sich jetzt verteidigen. Sie muss einen Völkermord verhindern, und wer da jetzt nicht liefert, der macht sich mitschuldig. Das ist die Lehre aus der Geschichte, meine Damen und Herren. ({2}) Frieden entsteht nie, wenn man einen Aggressor einfach gewähren lässt. Eine Verantwortung Deutschlands ergibt sich auch daraus, dass wir das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa sind. Die stärksten Schultern sollten mehr tragen; das ist die Erwartung unserer osteuropäischen Freunde, und das ist auch meine klare Erwartung an die Bundesregierung. Das muss auch für die Unterstützung mit schweren Waffen gelten. Da ist die Bundesregierung meiner Ansicht nach weiterhin zu zögerlich unterwegs, meine Damen und Herren. ({3}) Die Ukraine braucht keine politischen Blendgranaten, sondern echte Waffenhilfe. Der Bundestag hat hier vor zwei Wochen mit großer Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen gefordert. Seitdem ist leider wenig geschehen. Die sieben Haubitzen und die Ausbildung dazu – ja, das ist der richtige Weg, aber das muss umfassender geschehen. Bei den zugesagten Gepard-Panzern ist noch nichts passiert. Da, meine Damen und Herren, verstehe ich sowieso nicht, wie die Verteidigungsministerin beim Ramstein-Treffen im Namen der Bundesregierung diese Zusage macht und hinterher sagt, die Lieferung gehe sie gar nichts an, sondern sei Sache der Industrie. Welches Bild gibt unser Land damit ab? So geht es doch nicht, meine Damen und Herren! ({4}) Zudem gibt es seit Wochen keine Entscheidung beim Leopard 1 und beim Marder. Die Panzer stehen bei der Industrie, sind lieferbar. Die „Zeitenwende“ darf kein rhetorischer Kniff bleiben, sondern muss endlich umgesetzt werden. Das muss sichtbar sein, und das muss auch kommuniziert werden. Es geht eben nicht nur darum, dass wir irgendwas liefern, dass wir irgendwie dabei sind. Es geht darum, ein Ziel zu erreichen, nämlich: Putin darf in der Ukraine nicht gewinnen. Die Ukraine kämpft auch für die europäische Sicherheitsordnung. Die tapferen ukrainischen Soldatinnen und Soldaten kämpfen auch für uns, für ein freies und ein sicheres Europa. Dabei müssen wir sie mit voller Kraft unterstützen. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Joe Weingarten das Wort. ({0})

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich hier zu meiner Rede komme, will ich noch mal sagen, als welch außerordentliches Maß an Unverschämtheit ich es empfunden habe, unseren demokratischen Diskurs hier mit dem Sportpalast zu vergleichen. ({0}) Herr Kollege Gauland, Sie schwadronieren hier ab und zu vom Westfälischen Frieden. Erklären Sie diesem Haufen doch mal, was der Sportpalast war und wer Herr Goebbels war, damit so ein Unsinn hier nicht mehr vorkommt. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Krieg in der Ukraine berührt Deutschlands und Europas Sicherheitsinteressen. Der verbrecherische Überfall des Putin-Regimes hat aber auch zu einer Geschlossenheit des Handelns geführt, die die besten Zeiten Europas deutlich macht. Wir sind das Europa der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität. ({2}) Das gilt auch für die militärische Unterstützung. Die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, ist durch die Rechtsordnung der Vereinten Nationen gedeckt und entspricht unserer Vorstellung vom Beistand freier Völker. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern in der NATO stehen wir der Ukraine in ihrem Überlebenskampf bei. Wir tun das mit allen Waffen, die wir mobilisieren können. Dazu gehört auch die Panzerhaubitze 2000, die Deutschland und die Niederlande liefern – zu Recht; denn diese Waffe ist in der Lage, heimtückischen russischen Artillerieangriffen auf zivile und militärische Ziele massiv zu begegnen und diesen Terror einzudämmen. Zu dieser Lieferung gehört logischerweise auch eine angemessene Ausbildung. Es wäre sinnlos, Waffen zu liefern ohne die notwendige Qualifizierung dazu. Das ist eine Frage der politischen Redlichkeit und Ehrlichkeit, und dazu steht diese Koalition. ({3}) – Haben Sie gerade einen Spiegel vor sich, weil Sie von „Haufen“ reden? ({4}) Zur politischen Ehrlichkeit gehört natürlich auch, festzuhalten, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Teilen unserer Bevölkerung Sorgen hervorruft, vor allen Dingen die Sorge, in den Krieg hineingezogen zu werden und durch Russland unmittelbar bedroht zu werden. Diese Ängste muss man ernst nehmen, aber man muss ihnen sachlich begegnen. In meinem Wahlkreis, dem Naheland in Rheinland-Pfalz, liegt die Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein, wo heute ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 ausgebildet werden. ({5}) Das ist ein richtiger Schritt und Ausdruck der hohen militärischen Wertschätzung, die die Artillerieschule als Ausbildungsstätte des deutschen und des niederländischen Heeres genießt. Wir danken allen Verantwortlichen und allen Ausbilderinnen und Ausbildern für ihre Arbeit dort. ({6}) Die Frage, die mir von Menschen in meiner Heimatstadt Idar-Oberstein gestellt wird, bewegt natürlich viele Menschen in Deutschland. Werden wir jetzt zum Ziel russischer Angriffe? Wohin führt das alles? Wann hört dieser blutige Krieg endlich auf? ({7}) Ich nehme diese Frage sehr ernst und weiß, dass unsere Koalition und der Bundeskanzler das genauso tun. Deshalb bin ich dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er zum Tag der Befreiung am 8. Mai dazu klare Antworten gegeben hat: ({8}) Erstens. Es gibt keine deutschen Alleingänge. Zweitens. Unsere eigene Verteidigungsfähigkeit bleibt erhalten. ({9}) Drittens. Wir unternehmen nichts, was uns und unsere Partner mehr beeinträchtigt als Russland. Viertens. Wir treffen keine Entscheidung, die die NATO in den Krieg hineinzieht. ({10}) Deutschland und die NATO werden keine Kriegspartei, weder durch Waffenlieferungen noch durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Waffen. Aber wir geben Russland die Antwort, die der Kreml versteht: Wer Freiheit und Demokratie angreift, muss mit massiven Gegenreaktionen rechnen, wirtschaftlich und militärisch. ({11}) Der Antrag der Linken ist vor diesem Hintergrund ein seltsames Dokument politischer Selbstgerechtigkeit. Er fügt sich ein in das Bild, das diese Partei seit Längerem bei diesem Thema zeigt: Endloses Herumgeeiere um die Schuldfrage Russlands, ({12}) eine peinliche Unterstützung für Putin durch einen Teil von Partei und Fraktion und der stetige Versuch, irgendeine Kriegsschuld der NATO herbeizukonstruieren, das ist Ihre Position, ({13}) und das in seltsamer Bruderschaft genau zu diesem Haufen, der uns eben hier alle beleidigt hat. ({14}) Wir können das gerne mal grundsätzlich diskutieren. Sie berufen sich, jedenfalls theoretisch, auf die geistigen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung und des Sozialismus. ({15}) Wer aber dessen grundsätzliches Prinzip, die Solidarität für die Bedrohten und Schwachen, derart mit Füßen tritt, disqualifiziert sich dauerhaft selbst.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Haltung zu Russlands Überfall ist ein Schandfleck in der Geschichte für alle, die sich in Deutschland jemals „links“ genannt haben. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssten schon zum Ende gekommen sein.

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen ist für uns völlig klar: ({0}) Wir lehnen diesen Antrag ab.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Joe Weingarten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Er ist ein Tiefpunkt in der Diskussion um den Ukrainekrieg. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Weingarten, bei allem Engagement und bei aller inhaltlichen Auseinandersetzung ist es, glaube ich, angebracht, Fraktionen in diesem Haus nicht als „Haufen“ zu bezeichnen; darum würde ich Sie bitten. ({0})

Valentin Abel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005001, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Monate lang für jeweils 9 Euro in ganz Deutschland einfach und unkompliziert den ÖPNV benutzen: Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland möchte dieses Angebot wahrscheinlich wahrnehmen, wie eine Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergeben hat. Dieses gigantische Interesse zeigt mir eins: Unser 9‑Euro-Ticket ist ein großer Erfolg schon jetzt. Es ist vor allem aber eine Riesenchance – eine Riesenchance für die Verkehrsverbünde, viele Neukundinnen und Neukunden von ihrem Angebot zu überzeugen und zu zeigen, was in einem modernen ÖPNV tatsächlich möglich ist. ({0}) Es ist eine Riesenchance für Länder und Kommunen, herauszufinden, ob, wie viele und welche Fahrgäste bei einem vergünstigten ÖPNV-Ticket tatsächlich umsteigen. Es ist eine Riesenchance aber auch für die Bürgerinnen und Bürger, die wir einerseits entlasten, andererseits aber auch herausfordern, ihre bisherigen Mobilitätsgewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen, und ermutigen, einfach mal was Neues auszuprobieren. Schließlich sind diese drei Monate auch eine Riesenchance für uns alle, einen denkbaren Weg hin zu klimafreundlicher Mobilität auszuprobieren und praktisch zu testen. ({1}) Im Idealfall gewinnen wir wertvolle Erkenntnisse – Erkenntnisse, wie wir den ÖPNV für die Zukunft aufstellen müssen, damit mehr Menschen täglich in Bus und Bahn einsteigen wollen. Mit dem 9‑Euro-Ticket entlasten wir also nicht nur, mit dem 9‑Euro-Ticket starten wir darüber hinaus eine Art bundesweiten Feldversuch. Unter anderem deshalb ist es so wichtig, dafür eine Nulltariflösung auszuschließen und dafür zu sorgen, dass ein Ticket ausgestellt wird. Nur so sind die Verkehrsunternehmen in der Lage, effektive Marktforschung zu betreiben und, basierend darauf, neue Kundengruppen anzusprechen. Wäre das Ticket kostenlos, wir bekämen keinerlei Überblick darüber, wo wie viele Menschen es genutzt haben, in der Stadt oder auf dem Land, Jung versus Alt, Pendler oder Touristin. Mit dem 9‑Euro-Ticket setzen wir Maßstäbe. Das ist ein Modellvorhaben mit einer Strahlkraft weit über unser eigenes Land hinaus. ({2}) Das bevölkerungsreichste Land der EU schafft ein völlig neues Angebot, bundesweit Bus und Bahn zu nutzen. Und was mich am allermeisten begeistert, ist die Dynamik von der Ankündigung dieses Tickets bis zum heutigen Tag, wie in ganz Deutschland Menschen daran gearbeitet haben, dieses Ticket auf den Weg zu bringen – eine Dynamik, die zeigt, was wir zu leisten in der Lage sind. Wir haben ein Ticket auf den Weg gebracht, das einheitliche Vertriebswege kennt, das eine Lösung für alle Bestandskundinnen und ‑kunden kennt, unabhängig von der Ausgestaltung deren persönlicher Abos, vom Schüler über die Studentin bis hin zur Angestellten, für alle, die auf den ÖPNV angewiesen sind. Ich glaube, in einer Situation wie der aktuellen brauchen wir genau solche Initiativen. ({3}) Ich bin überzeugt, dass diese Dynamik auch weit über den August – dann endet das 9‑Euro-Ticket – anhalten wird. Diese Dynamik wird den ÖPNV in Deutschland beflügeln, und das muss sie auch. Bis 2030 müssen wir im Verkehrssektor erheblich besser werden. Wir müssen Emissionen senken. Ein starker und attraktiver ÖPNV ist einer der wesentlichsten Bausteine dafür. ({4}) Weil wir das wissen, gleichen wir gemeinsam, Bund und Länder Hand in Hand, die pandemiebedingten Einnahmeausfälle erneut aus und starten mit dem 9‑Euro-Ticket ein Projekt, das bei den Menschen auf größtes Interesse stößt und das von Fachleuten im In- und Ausland sehr aufmerksam verfolgt wird; denn wir müssen dafür sorgen, dass der ÖPNV aus dieser Krise gestärkt hervorgeht. ({5}) Was Bund und Länder in den vergangenen Wochen geleistet haben, zeigt, was wir auf die Beine stellen können, wenn wir wirklich wollen. Ich will dieses 9‑Euro-Ticket gemeinsam mit Ihnen zu einem Erfolg machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Donth hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wollen die Verkehrsleistungen im öffentlichen Verkehr bis 2030 verdoppeln. Und nicht nur deshalb steht der ÖPNV in Deutschland vor großen Herausforderungen. Dichtere Takte, attraktivere und digitalere Angebote, moderne klimaneutrale Fahrzeuge, aber auch explodierende Energiepreise, Fachkräftemangel – das sind die größten Herausforderungen derer, die jeden Tag dafür sorgen, dass Millionen von Menschen schnell, ökologisch, günstig und sicher in Deutschland zur Schule, zur Arbeit oder auch in den Urlaub kommen. Auf die Frage, wie die Bundesländer und die Branche diese Herausforderungen meistern sollen, liefert die Regierungskoalition mit dem vorliegenden Entwurf zum Regionalisierungsgesetz eine klare Antwort, nämlich gar keine. Sie machen es lieber billig nach dem Motto „Verramschen statt verbessern“. ({0}) Das ist der attraktive ÖPNV, den Sie sich offensichtlich vorstellen. 2,5 Milliarden Euro Steuergeld für das 9‑Euro-Ticket – das ist ein Viertel dessen, was der Bund jedes Jahr für den gesamten ÖPNV der Länder zur Verfügung stellt. Was könnte man mit diesem Geld in dem Bereich nicht alles gestalten: neue On-Demand-Verkehre, neue attraktivere Busse und Bahnen, ein deutlich besseres Verkehrsangebot auf dem Land. Aber stattdessen: Status quo für 9 Euro im Monat. Wenn Sie damit den treuen Kunden im öffentlichen Nahverkehr in diesen Zeiten etwas zukommen lassen wollen, okay. Das gönne ich jedem Abokunden von Herzen. ({1}) Aber mir fehlt der Glaube an die nachhaltigen Effekte. Meinen Sie denn wirklich, Kollege Abel, dass der passionierte Autofahrer, der sich das Schnäppchen gönnt und tatsächlich am Wochenende mit der Familie von Berlin an die Ostsee oder von Reutlingen an den Bodensee fährt, nach der Erfahrung im vollgestopften Nahverkehrszug oder Bus sagen wird: „Mann, war das ein tolles Erlebnis, wie die Sardine in der Ölbüchse zu stehen und durchs Land zu gondeln!“? Ist das die attraktive Erfahrung im ÖPNV, die einen Autofahrer nachhaltig zum Umstieg animiert? Zumal das Schnäppchenticket auf diesen Strecken dann auch noch das Potenzial hat, die langjährigen treuen Kunden zu verärgern; denn für mehr Angebot, für mehr Fahrer, für mehr Material ist kein Geld vorgesehen. Und was sagen Sie den Busunternehmern, deren Familienunternehmen eigenwirtschaftliche Verkehre im ÖPNV betreiben und die schon jetzt wegen der Dieselpreise am Existenzminimum sind? Auch für die gibt es keine Antwort. Sie lassen sie im Regen stehen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Donth, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Für einen Marketinggag verpulvern Sie, werter Herr Minister, 2,5 Milliarden Euro und riskieren für den ÖPNV in Deutschland den Stillstand, wenn nicht sogar eine Rolle rückwärts. ({0})

Martin Kröber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den tollen Einstieg. – Unsere Welt hat sich am 24. Februar verändert, drastisch verändert. Ein feiger, völkerrechtswidriger Angriffskrieg in Europa verändert die Welt, ein Krieg, der für alle Folgen hat und haben wird. Eine Folge wird bereits jetzt sichtbar: Viele Familien blicken auf ihr Konto und können ihre Rechnungen nicht zahlen. Steigende Heizkosten, Lebensmittelpreise und Kraftstoffpreise bereiten vielen Familien Sorgen. Wir als Ampelkoalition nehmen diese Sorgen ernst. ({0}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht, ein Teil davon ist das 9‑Euro-Ticket. Wir müssen die Löcher in den sehr kleinen Haushaltskassen unserer Bürgerinnen und Bürger stopfen. Das wird zu Recht von uns gefordert, und dem kommen wir auch nach. Die Ampelkoalition hat versprochen, zu liefern, und heute liefern wir. Mit diesem Gesetzentwurf machen wir Mobilität möglich und vor allem wieder bezahlbar. Vom 1. Juni bis zum 31. August kann jeder und jede mit dem öffentlichen Nahverkehr in Deutschland mobil sein, und das für 9 Euro pro Monat. Für eine vierköpfige Familie in Stuttgart kostet der öffentliche Nahverkehr in der Stadt, wenn man das hochrechnet, aktuell etwa 180 Euro. Mit dem 9‑Euro-Ticket werden es 36 Euro sein. In Leipzig sind es sogar 280 Euro. Mit dem 9‑Euro-Ticket werden es auch für sie 36 Euro sein. Man kann davon ausgehen, dass wir diese Familien mit 244 Euro pro Monat entlasten. Insgesamt spart diese Familie also in den drei Monaten 732 Euro. Macht diese Familie dann noch im Sommer eine Reise, beispielsweise nach Usedom, wäre mit Kosten von 270 Euro zu rechnen. In diesem Fall entlasten wir eine solche Familie mit über 1 000 Euro. Ich glaube, das kann sich sehen lassen. Sehr geehrter Herr Donth, ich bin sehr deprimiert, dass Ihnen das Geld dafür anscheinend nicht wert ist. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wollen wieder mobil sein. Wir müssen zur Arbeit, wir wollen aber auch wieder zum Geburtstag, wir wollen wieder zu den Großeltern, wir wollen die Menschen in unserem Umfeld besuchen. An dieser Stelle möchte ich auch in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass aus meiner Sicht in der öffentlichen Debatte aktuell etwas schiefläuft. Hier geht es nicht nur darum, wie man den Weg zur Arbeit schafft. Für mich stellt sich genauso die Frage, wie man für eine Familie im Sommer den Besuch im Zoo gewährleisten kann, vielleicht auch einen Ausflug zu den Großeltern. Das darf nicht an den Kosten der Mobilität scheitern. Dafür bringen wir diesen Entwurf heute ein. Dafür stehen wir. ({2}) Darüber hinaus – das darf man bei diesem Gesetzentwurf nicht vergessen – wollen wir nicht, dass die Preise danach dauerhaft in die Höhe schnellen. Um das zu verhindern, haben wir den Coronarettungsschirm mit 1,2 Milliarden Euro ausgestattet. Vielen Dank, dass das möglich ist. Als SPD-Abgeordneter stehe ich für eine soziale Verkehrspolitik. Ich bin mir sehr sicher: Mit dem Gesetzentwurf, den wir hier heute einbringen, machen wir dies wahr. Das ist „Soziale Politik für Dich“. Das ist es, was wir versprochen haben. Vielen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kröber. – Nächster Redner ist der Kollege Mike Moncsek, AfD-Fraktion. ({0}) – Oh, das ist die erste Rede des Kollegen.

Mike Moncsek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005156, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Für 30 Cent pro Tag von München nach Rügen oder von Stuttgart nach Sylt – das klingt wie aus dem sozialistischen Wunderland. ({0}) Es ist auch nicht verwunderlich, dass viele Bürger diesen Fahrschein super finden. Ich freue mich ebenfalls für jeden, der damit fast kostenlos unsere schöne deutsche Heimat bereisen darf. Die Fahrt ist das Ziel, drei Dinge in einem: Abenteuer, Spaß und Überraschungen mit der Deutschen Bahn. ({1}) Aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es eine Irrfahrt. Noch leben wir in einer sozialen Marktwirtschaft und nicht in der sozialistischen Planwirtschaft, werte FDP. ({2}) Hier muss jede Leistung – ein Wort, das viele von Ihnen hier nicht mehr kennen – hart erarbeitet werden. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade die FDP diesen Fahrschein ins Leben ruft. Laut dem Gesetzentwurf der Ampel sollen die Bürger entlastet werden. Aber das ist eine Scheinentlastung, welche durch Ihr Steuergeld, liebe Bürger, von allen finanziert wird. Der von Politik und Medien behauptete Anreiz zum Umstieg auf Bus und Bahn ist reine sozialistische Propaganda. ({3}) Pendler können sich durch einen überlasteten ÖPNV sogar Gedanken über Alternativen machen. Nach drei Monaten, also 92 Tagen, wird das Geld von den Verkehrsbetrieben wieder reingeholt – durch höhere Preise natürlich. Die Linke möchte in ihrem Antrag das 9‑Euro-Ticket bis Ende 2022 verlängern und den Ausbau des ÖPNV beschleunigen. Eine Verlängerung bis Dezember wäre zwar ein tauglicher Test für alle Beteiligten, würde aber in erster Linie die Schwächen dieser Idee klar aufzeigen. Wir teilen die Forderung nach einem größeren Angebot im ÖPNV, aber alles muss finanziert werden, und zwar auf seriöser Basis. ({4}) Und wir, die AfD, sind gegen die Verknüpfung von Verkehrspolitik mit grüner, linker und sozialistischer Klimaideologie. ({5}) Die AfD kritisiert den Gesetzentwurf und den 9-Euro-Fahrschein aus folgendem Grund: Es gab im Vorfeld keine klare Abstimmung zwischen Bund und Ländern, zwischen der Regierung und den Verkehrsbetrieben. Auf Rügen und Sylt schlägt man jetzt Alarm wegen des 9-Euro-Kundentsunamis, und ganz normale Berufspendler müssen sich um ihren Platz Gedanken machen. Ich komme zum Schluss. – Der 9-Euro-Fahrschein ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Bürger, die den ÖPNV gar nicht oder nur kaum nutzen, der Großteil der arbeitenden Bevölkerung im ländlichen Raum – das sind unsere Wähler –, werden im Entwurf überhaupt nicht berücksichtigt. Wichtig ist, dass Verkehrspolitik mit Fachleuten und nicht mit sozialistischen Ideologen gemacht wird. Glück auf, gute Fahrt und schöne Reise! ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Moncsek. – Ich ahnte schon, dass Sie das rote Lämpchen ignorieren, weil es rot ist; aber es deutete darauf hin, dass Sie zum Ende kommen müssen. – Alles gut. Bei der ersten Rede dürfen Sie gerne überziehen, aber nur bei der ersten. Nächste Rednerin ist die Kollegin Nyke Slawik, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Nyke Slawik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005224, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mal sagen: Ein bisschen mehr Sylt für alle ist vielleicht gar nicht so schlecht; aber das ist nur meine Meinung. ({0}) Ich möchte Ihnen kurz ein ernstes Thema schildern, das mir diese Woche sehr große Sorgen bereitet hat und in den aktuellen Debatten über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, über die Inflation hierzulande und über die Verteidigungsfähigkeit unserer Bundeswehr nicht untergehen darf. Minister Robert Habeck hat es heute Morgen kurz angesprochen: Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit, dass unser Planet sich bereits vor 2026 erstmalig um 1,5 Grad erhitzen wird. Wir dürfen nicht vergessen: Die Klimakrise macht keine Pause, ist immer noch akut und verdient unsere höchste Aufmerksamkeit. ({1}) Auch deshalb ist es so wichtig, dass wir für Menschen Anreize schaffen, sich klimafreundlich fortzubewegen. Deswegen hat die Koalition mit dem 9‑Euro-Ticket für den ÖPNV als Teil des Entlastungspakets beschlossen, Menschen zu entlasten und finanziell zu belohnen, die jeden Tag in unserem Land mit Bus und Bahn klimafreundlich unterwegs sind. Unser deutschlandweit gültiges 9‑Euro-Ticket ist nicht nur ab 1. Juni überall frei verkäuflich erhältlich; die Preissenkung wird auch an die Bestandskundinnen und ‑kunden weitergegeben, an die Menschen mit Abos, an die Studierenden mit ihren Semestertickets. Verkehrsminister Wissing hat bekräftigt, dass die Entlastung auch an die Studierenden weitergegeben werden soll. Das ist ein großer sozialpolitischer Erfolg dieser Koalition für junge Menschen. ({2}) Aber lassen Sie mich jetzt generell zum Zustand des ÖPNV in Deutschland kommen, dazu, was das System braucht. Mit der Änderung des Regionalisierungsgesetzes gibt es eine Übernahme der durch das 9‑Euro-Ticket entstehenden Kosten durch den Bund. Es gibt eine Fortsetzung der Coronahilfen, um die Einnahmeausfälle aufgrund von gesunkenen Ticketverkäufen im Zuge der Coronapandemie und der Meidung öffentlicher Verkehrsmittel auszugleichen. In Summe sind das 3,7 Milliarden Euro. So weit, so gut; aber das sichert aufgrund der aktuell steigenden Energie- und Personalkosten erst mal nur das bestehende Angebot, wenn überhaupt. Was wir zusätzlich brauchen und worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben, ist doch ein Ausbau des Angebots. ({3}) Denn was bringt mir ein 9‑Euro-Ticket, wenn bei mir keine Bahn und kein Bus fahren oder diese nur selten fahren? Hier kommt auch der ländliche Raum ins Spiel. Dann sind Menschen weiterhin aufs Auto angewiesen, und das kann keine Lösung sein. ({4}) Wir wollen, dass bis 2030 deutlich mehr Wege mit Bus und Bahn zurückgelegt werden. Das brauchen wir, um unsere Klimaziele zu erreichen. Das brauchen wir, wenn wir unabhängig werden wollen von Öldiktatoren wie Putin und anderen Ölstaaten wie Saudi-Arabien. Damit das funktioniert, brauchen wir Gelder, um das ÖPNV-Angebot auszubauen. Sehr geehrter Herr Donth, liebe Unionsfraktion, vielleicht haben Sie es nicht mitbekommen, aber der Bund hat jetzt einen Prozess in die Wege geleitet, Qualitätsstandards im ÖPNV sicherzustellen ({5}) und den ÖPNV-Ausbau gemeinsam mit den Ländern zu vereinbaren. ({6}) Im Zuge dieses Ausbau- und Modernisierungspaktes wollen wir dann die weitere Erhöhung der Regionalisierungsmittel vereinbaren. Aktuell sind diese Gelder noch nicht im Haushalt veranschlagt; da haben Sie recht. Ich habe das schon im Ausschuss angemerkt; wir Grüne haben es angemerkt. ({7}) Deswegen sage ich es auch hier noch mal: Es ist essenziell, dass diese Gelder jetzt veranschlagt werden und gemeinsam mit den Ländern eine Einigung über den zukünftigen Ausbau der ÖPNV-Finanzierung erfolgt. Lassen Sie uns Tempo machen beim Ausbau der Öffis!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Nyke Slawik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005224, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Helfen wir den willigen Bürgerinnen und Bürgern, umzusteigen auf Bus und Bahn! ({0}) Denn nur so haben wir eine realistische Chance, unsere Klimaziele zu erreichen. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Slawik. – Nächster Redner ist der Kollege Bernd Riexinger, Fraktion Die Linke. ({0})

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das 9‑Euro-Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Begrenzung auf drei Monate, dazu noch in der Ferienzeit, ist jedoch mutlos und halbherzig. ({0}) Dafür haben wir aber keine Zeit mehr, wenn wir die Klimakatastrophe verhindern wollen. Das 1,5-Grad-Ziel scheint schon bald gerissen zu werden. Ein zentraler Beitrag, das abzuwenden, ist eine nachhaltige Verkehrswende. Das Konzept dafür ist längst klar: gute Mobilität für alle, aber weniger Pkw- und Lkw-Verkehr, sprich: massiver Ausbau der Bahn und des ÖPNV, damit möglichst viele Menschen umsteigen können, Kinder und Jugendliche mit nachhaltiger Mobilität aufwachsen. Milliardenschwere Kaufprämien für Käufer teurer und PS-starker E-Autos sind das Gegenteil von sozial und klimagerecht. ({1}) Angesichts der bedrohlichen Lage müsste die Devise doch klar sein: Kräftig in den ÖPNV investieren, Ticketpreise senken, die Kommunen so ausstatten, dass sie eine wirkliche Verkehrswende stemmen können! Ich verstehe auch nicht, warum die Grünen die halbherzigen Maßnahmen des Verkehrsministeriums nahezu kritiklos hinnehmen, anstatt auf einen größeren Wurf zu drängen. Bei der militärischen Aufrüstung ist diese Zurückhaltung leider nicht zu spüren. Schade eigentlich! ({2}) Wir wollen das 9‑Euro-Ticket bis 31. Dezember 2022 verlängern, damit eine wirkliche Evaluation möglich ist. Vor allen Dingen sollte in dieser Zeit ein vernünftiges und angemessenes Finanzierungskonzept für eine wirkliche Mobilitätswende mit guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten vorgelegt werden. ({3}) Es wäre ein schlechter Witz, wenn die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel nach Auslaufen des 9‑Euro-Tickets mit steigenden Ticketpreisen rechnen müssen. Machen Sie endlich Nägel mit Köpfen! Danke schön. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Riexinger. – Nächster Redner ist der Kollege Jan Plobner, SPD-Fraktion. ({0})

Jan Plobner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Für mich und meine Generation ist der 24. Februar 2022 neben dem schleichenden Klimawandel der vielleicht größte Einschnitt seit dem Ende des Kalten Krieges. Der zerstörerische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ein krasser Bruch des Völkerrechts. Die Kriegsverbrechen, das Leid, die unermessliche Gewalt, die gerade in der Ukraine passieren, erschüttern uns alle zutiefst. Auch hier in der Bundesrepublik spüren wir die Auswirkungen dieses Krieges, insbesondere bei den hochschnellenden Energiepreisen, an der Zapfsäule, an den Supermarktkassen oder bei den Heizkosten. Als SPD ist es uns wichtig, schnell für eine Entlastung der Menschen zu sorgen, gerade für die Menschen, die zurzeit besonders unter den Preissteigerungen leiden. Genau das machen wir doch unter anderem mit dem 9-für-90-Ticket, einem Ticket, das es ermöglicht, für drei Monate den ÖPNV zu nutzen, und für das nur 9 Euro im Monat zu bezahlen sind. Das ist wirklich einmalig. Natürlich werden wir in diesen drei Monaten den ÖPNV und den Regionalverkehr vor Herausforderungen stellen. Natürlich ist uns bewusst, dass es an manchen Stellen zu vollen Zügen und Bussen kommen wird, gerade auf Sylt, gerade auch auf anderen schon ausgelasteten Strecken. Aber das ist doch nicht der Punkt. In erster Linie geht es um die Menschen in diesem Land, die in der aktuellen Lage vor enorme Schwierigkeiten gestellt sind. Wir sorgen damit aber nicht nur für eine Entlastung im Geldbeutel vieler, die ja spürbar sein wird, sondern treiben auch aktiv die Mobilitätswende voran. ({0}) Der öffentliche Nahverkehr wird dadurch gerade in der aktuellen Situation für viele Bürger/-innen eine notwendige, leistungsfähige und kostengünstige Alternative zum eigenen Pkw. Gleichzeitig ist er auch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel neben dem Fahrrad. Ebenso bleibt wichtig, dass allein ein günstiges Ticket keinen leistungsfähigen ÖPNV schafft; das ist uns klar. Gerade auf dem Land mangelt es an der passenden Infrastruktur. Wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt und das dann noch ein Schulbus ist, bleibt auch das günstigste Ticket wirkungslos. Dennoch ist dieser Schritt eine unfassbare Chance für die Mobilitätswende; denn das Ticket ist nicht nur eine bloße Entlastung für 90 Tage, sondern auch Grundlage für uns, wertvolle Erkenntnisse über die Potenziale des ÖPNV zu gewinnen. ({1}) Wir werden die Nachfrage und die Nutzung in diesem Zeitraum evaluieren und Schlüsse für das weitere Vorantreiben der Mobilitätswende daraus ziehen können. Es ist ein nie dagewesenes Projekt mit einem riesigen Potenzial. Manchmal brauchen wir den Mut, in außergewöhnlichen Situationen Außergewöhnliches zu tun. Genau das bringt Fortschritt. Vielleicht bringt es auch den einen oder anderen Kollegen von uns dazu, zu Hause in den Wahlkreisen zu dem einen oder anderen Termin statt mit dem Auto mit Bahn oder Bus zu fahren. Auch das wäre Fortschritt. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Plobner. Der SSW-Abgeordnete Stefan Seidler hat seine Rede zu Protokoll gegeben, ({0}) was mich – genau – zu folgenden zwei Bemerkungen veranlasst: Erstens. Zu später Stunde bekommt man manchmal für eine Rede, die man zu Protokoll gibt, mehr Beifall, als wenn man sie hält. ({1}) Zweitens, und das ist der Trick: Eine Rede, die man zu Protokoll gibt, hat keine zeitliche Beschränkung. Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Henning Rehbaum, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbau von Bus und Bahn ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Klimaziele von Paris, und das ist jede Anstrengung wert. ({0}) Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es zwei politische Denkschulen, die im Wettstreit miteinander liegen. Die einen sind für die Verbilligung von Tickets, die anderen sind für die Verbesserung des Fahrplanangebotes. Die Ampel gehört eindeutig zur ersten Gruppe. Wir erleben gerade die Sturzgeburt einer milliardenschweren bürokratischen Rabattaktion vor allem für die Kunden, die ohnehin schon Bus und Bahn nutzen, eine Aktion, die für den Klimaschutz relativ neutral bleiben wird. Dabei werden dringend zusätzliche Mittel im System gebraucht. Gründe dafür sind die Flottenumstellung auf Elektro oder Wasserstoff, die Ausbildung Zehntausender neuer Busfahrer, die Aufwertung des Busfahrerberufs durch höhere Löhne, der Ausgleich coronabedingter Fahrgastausfälle und der Ausgleich explodierender Kraftstoffkosten. Ich habe selten Stellungnahmen von Sachverständigen wie die vom heutigen Tage gelesen, die gleichzeitig so freundlich, aber auch knallhart sind. Den Verkehrsunternehmen steht das Wasser bis zum Hals, und die Ampel lässt sie am langen Arm verhungern. ({1}) Vor allem brauchen die Verkehrsunternehmen Geld für den Ausbau des Angebots; denn die unangenehme Wahrheit ist: Mit dem 2,5 Milliarden Euro schweren 9‑Euro-Ticket entsteht kein Meter zusätzliche Strecke, kein einziger zusätzlicher Fahrplan. Und wo heute kein Bus fährt, da haben die Bürger im ländlichen Raum gar nichts vom 9‑Euro-Ticket. ({2}) Ich war zweimal in Estland, um mir den kostenlosen ÖPNV in Tallinn anzugucken. Bei der Umstellung 2013 hat man enttäuschende 3 Prozent an zusätzlichen Fahrgästen gewonnen. Ganz anders war es dagegen in Wien 2012. Da hat man es richtig herum gemacht: Man hat erst den ÖPNV massiv ausgebaut und dann ein attraktives Ticket draufgesattelt. Das Fazit in Wien war eine Verdopplung der Zahl der Jahreskartenbezieher. Auch in Deutschland gibt es Regionen, die zeigen, wie man es macht, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen: ({3}) Seit 2017 hat die CDU/FDP-Koalition mit Verkehrsminister Wüst eine Aufholjagd begonnen und gemacht, worauf es ankommt: Reaktivierung von Eisenbahnen. Die Westfälische Landes-Eisenbahn, die Teutoburger Wald-Eisenbahn, die Tecklenburger Nordbahn, die Eifel-Bördebahn fahren bereits. Es gibt neue Schnellbuslinien, nachfrageorientierte Door-to-Door-Systeme, Mobilstationen und 600 Kilometer Radwege für die letzte Meile. Und für alle, die den Tarifdschungel als Hürde haben, gibt es noch das NRW-weite Handyticket mit Best-Price-Garantie obendrauf. So macht man guten ÖPNV. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. – Ich gratuliere allen Dauerkartenbesitzern zur Rückerstattung in den nächsten Monaten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich muss Ihnen jetzt bedauerlicherweise das Wort entziehen. Sie haben 25 Sekunden überzogen.

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann sage ich einen letzten Satz.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie dürfen sich verabschieden, ja.

Henning Rehbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke allen Busfahrern, Lokführern und Zugbegleitern für ihren tagtäglichen Einsatz für den ÖPNV. Nicht die Ampel, sondern sie sind die wahren Helden des ÖPNV, sie sind die Klimaschützer in unserem Land. ({0})

Manuel Gava (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005062, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum eine Rede in diesem Haus ist seit dem 24. Februar 2022 ohne einen Verweis auf den Krieg in der Ukraine ausgekommen – eine bewaffnete Auseinandersetzung mitten in Europa, die jedes Ressort, jede politische Debatte betrifft. Dass dieser zerstörerische und völkerrechtswidrige Krieg Russlands in der Ukraine verheerende Folgen für viele Länder auslösen würde, war uns früh bewusst. Die langfristigen Folgen des Krieges werden wir auch in Deutschland zu spüren bekommen – einige spüren wir heute schon –, jedoch bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie Menschen im Globalen Süden, die akut von Hunger bedroht sind. Zusätzlich zu den rund 800 Millionen Menschen, die bereits jetzt an Hunger leiden, könnten als Folge des Krieges noch viele Millionen Menschen den Zugang zur Grundversorgung mit Lebensmitteln verlieren. Diese Zustände dürfen und werden wir nicht hinnehmen. Wir werden jetzt zügig und unbürokratisch unterstützen müssen. Jetzt ist zielgerichtetes Handeln ohne Umschweife erforderlich. ({0}) Apropos Umschweife: Trotz einer weltweiten akuten Hungerkrise fordern Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, das Stiftungskapital des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt von 380 Millionen US-Dollar um weitere 500 Millionen auf 880 Millionen US-Dollar aufzustocken. Damit solle sich der Treuhandfonds künftig durch seine eigenen Zinsen finanzieren, um so die weltweite Lebensmittelversorgung abzusichern. Das ist ein frommer Wunsch; er geht aber aus meiner Sicht völlig an der Realität vorbei. Ihre Rechnung berücksichtigt weder die aktuelle Inflationsrate noch die zu erwartenden Leitzinserhöhungen. Verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich unterschätze keineswegs die langfristige Bedeutung dieses Fonds. Er ist unerlässlich, um Saatgutbanken weltweit gegen Klimawandel und kriegerische Zerstörung abzusichern. Dass Deutschland bereits der größte Geldgeber des Treuhandfonds ist, zeigt, welchen Stellenwert wir diesem Projekt beimessen. Der Nutzen von Saatgutbanken zeigt sich allerdings nur langfristig. ({1}) Die schnelle und effektive Bekämpfung des Welthungers findet mit anderen Mitteln statt. Auch der Direktor des Treuhandfonds, Stefan Schmitz – Sie werden ihn sehr gut kennen –, betont den reinen Zukunftsnutzen dieses Projekts. Aktuell verhandeln wir in diesem Haus nicht eine, sondern mehrere dringende Krisen, denen es auch durch neue, weitere Haushaltsmittel zu begegnen gilt. Gäbe es diese Krisen nicht, könnten wir uns den „Luxus“ – in Anführungszeichen – leisten, über Ihren Antrag ernsthaft zu sprechen. Aber vor dem aktuellen Hintergrund ist dieser Antrag schlichtweg befremdlich und sicherlich nicht zielführend. Zurzeit ist unsere höchste Priorität, unsere wichtigste Aufgabe, schnell Antworten auf die gewaltigen Probleme zu finden, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. ({2}) Darum bin ich dem BMZ und der Bundesregierung sehr dankbar, dass im Entwicklungsetat überplanmäßige Ausgaben von 600 Millionen Euro im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bewilligt wurden, 430 Millionen Euro davon zur Ernährungssicherung des Globalen Südens. Zudem sind die Mittel für das Sofortprogramm für die Ukraine noch einmal auf 185 Millionen Euro erhöht worden. Darüber hinaus stehen 1 Milliarde Euro aus dem Ergänzungshaushalt für die Folgen des Krieges in der Ukraine zur Verfügung. Statt uns mit der Kapitalaufstockung einer stabil finanzierten Stiftung zu befassen, sollten wir uns tatsächlich den aktuellen Problemen widmen. Durch die gesicherte Finanzierung ist der Erhalt der Artenvielfalt von Nutzpflanzen gegeben; die Arbeit des Treuhandfonds ist nicht gefährdet. Von daher: Die Idee kann ich nachvollziehen; sie ist aber aus meiner Sicht aktuell deplatziert. Der Antrag ist aus dem Januar. Ich glaube, in Anbetracht der Aktualität hätte man das sicher anders machen können. Lassen Sie uns gemeinsam die aktuellen Probleme angehen! Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend und irgendwann auch einen schönen Feierabend. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gava. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gava, ja, der Antrag ist aus dem Januar. Der Hintergrund ist, dass Ihre Koalition den Ausschuss auf nachmittags verlegt hatte und wir deswegen die Behandlung des Antrags x-mal vertagt haben. ({0}) Also, Sie sehen: Die wichtigen Themen wurden von der Ampel die ganze Zeit vertagt. Aber Gott sei Dank – dank unserer Hartnäckigkeit – tagt der Ausschuss wieder vormittags, sodass wir die Themen entsprechend behandeln können. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Hunger ist Mord, weil wir die Technik haben und das Wissen.“ Diese Aussage unseres früheren Entwicklungsministers Gerd Müller, finde ich, passt sehr gut zu dem Thema, das wir heute behandeln, nämlich „Saatgutvielfalt als Grundlage einer ausreichenden Welternährung sichern“. Wir haben die Technik und das Wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und wir von der Union wollen mit unserem Antrag beides stärker fördern und unterstützen, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Wir wissen, dass zunehmende Hitzewellen, vermehrte Stürme, Überschwemmungen und Bodenerosionen landwirtschaftliche Flächen gefährden und die Bewirtschaftung von Böden in vielen Entwicklungsländern erschweren oder gar unmöglich machen. Es ist ganz klar, dass die Ernährungssicherung untrennbar mit Klimaveränderungen verbunden ist. Deswegen geht es uns darum, eine tragfähige und nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen, Lösungen zu entwickeln, die auf die Regionen und auf die Klimazonen abgestimmt sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das Wissen darüber, dass die biologische Vielfalt eine entscheidende Rolle spielt, und wir haben die Technik, um widerstandsfähige und an klimatische Veränderungen angepasste Nutzpflanzen zu züchten. Daher fordern wir in unserem Antrag, ebendiese Vielfalt zu fördern und einen wesentlichen Beitrag zum Kampf gegen den Hunger zu leisten. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei der Globale Treuhandfonds, der elf Saatgutbanken weltweit unterstützt. In diesen Banken, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt ein Schatz, ein Schatz für die Menschheit, und womöglich der Schlüssel zum Kampf gegen den Hunger. ({2}) Deshalb braucht es eine nachhaltige, gesicherte Finanzierung aus Deutschland, von den internationalen Partnern und natürlich auch von den privaten Geldgebern. Es braucht alle Anstrengungen, um Saatgut zu lagern und innovative Methoden zu entwickeln. Liebe Kollegen von der Ampel, Sie haben gestern im Ausschuss auch den Bericht des World Food Programme gehört. Sie wissen, wie wichtig gerade das Thema Saatgutvielfalt ist. Ich finde es schon sehr spannend, mit welchen Verrenkungen Sie jetzt gerade versuchen, diesen Antrag schlechtzureden. Sie sind angetreten mit einem angeblich neuen Stil. Vielleicht wäre es angebracht, dass Sie jetzt diesen neuen Stil auch leben –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und einem guten Antrag von uns zustimmen. Denn eine Welt ohne Hunger ist möglich.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte, Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss! Sie haben noch einen Satz.

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben die Technik und das Wissen, und mit der Zustimmung zu unserem Antrag würden Sie beides stärken. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Deborah Düring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Deborah Düring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005045, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weizen, Mais und Reis, diese drei Getreidearten machen die Hälfte der global produzierten Agrargüter aus. In der Finanzwelt wird Anlegerinnen und Anlegern immer geraten, ihr Portfolio zu diversifizieren, um Verlustrisiken zu minimieren. Ich würde sagen: Bei den Nahrungsmitteln haben wir das richtig schlecht gelöst. Wie anfällig uns die mangelnde Nahrungsmitteldiversität für Krisen macht, zeigt sich auf tragische Art und Weise in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen für die Welternährung. Die Ursachen für Hunger sind vielfältig. Neben Krieg und der Klimakrise ist Hunger vor allem die Folge von ungerechter Verteilung und eines sozialen, politischen und ökonomischen Machtgefälles. Saatgutvielfalt – ja, liebe Union – ist essenziell für Ernährungssouveränität. ({0}) Deshalb begrüßen wir Ihre Initiative auch, liebe Union. Aber Ihr Antrag ist so einseitig wie unsere Getreidesorten. Darin geht es fast ausschließlich um die Finanzierung des Global Crop Diversity Trust. Ich habe nichts gegen diese Institution. Wir haben gerade schon gehört: Sie wird umfassend finanziert. Aber Vielfalt, die lediglich in Tresoren und Saatgutbanken eingelagert ist, während auf den Feldern der Welt Monokulturen jegliche Diversität verdrängt haben, bringt uns herzlich wenig. ({1}) Ihr Antrag, liebe Union, hat nicht eine einzige strukturelle Komponente. Mit keinem Wort erwähnen Sie die bäuerlichen Saatgutsysteme. Dabei haben gerade sie enorme biologische und kulturelle Bedeutung in vielen Ländern des Globalen Südens. Saatgut zu lagern, zu nutzen und zu handeln: Diese Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern erwähnen Sie mit keinem Wort, und das, obwohl all diese Rechte in ganz vielen Ländern zurückgedrängt werden zugunsten von Hybridsaatgut der großen transnationalen Konzerne. Diese kommerziellen Saatgutsysteme haben in den vergangenen 20 Jahren nicht nur dramatisch die Diversität der Sorten verringert, patentiertes Saatgut hat unzählige Menschen in Verschuldung und Abhängigkeit getrieben. ({2}) Saatgut muss als Gemeingut anerkannt werden. Wir müssen das Züchten und den freien Austausch traditionellen Saatgutes stärken. Dafür müssen wir uns auch für die Stärkung der Rechte von Bäuerinnen und Bauern im FAO-Saatgutvertrag einsetzen. Liebe Union, wir Grünen haben Sie, als Sie noch in der Bundesregierung waren, jahrelang aufgefordert, endlich die UN‑Kleinbauernerklärung zu ratifizieren; denn in ihr ist das Recht auf Saatgut als Menschenrecht definiert. Das hätten Sie tun können; das haben Sie aber nicht gemacht. Auch das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht. Das umzusetzen, bedeutet nicht nur, bäuerliche Saatgutsysteme zu stärken und die agrarökologische Forschung in den Partnerländern zu unterstützen; es heißt auch, sich damit zu beschäftigen, wie wir Agrarökosysteme resilienter gegen den Klimawandel machen. Es heißt, Land Grabbing zu verhindern und Landrechte zu stärken, ({3}) Lagerkapazitäten im Globalen Süden auszubauen, endlich lokales Wissen, das vorhanden ist, anzuerkennen und zu nutzen. Und es heißt auch – ja, ich wiederhole mich –, Lebensmittelverschwendung endlich zu verringern und Importe von Futtermitteln und Rohstoffen zur Herstellung von Treibstoff massiv zu reduzieren. ({4}) Die deutsche und europäische Agrarpolitik muss konsequent neu ausgerichtet werden. Genau das gehen wir als Ampel an. Statt monothematische, profitorientierte Landwirtschaftspolitik treiben wir gemeinsam auf allen Ebenen und mit allen Häusern – da hatten Sie auf jeden Fall noch Nachholbedarf – die agrarökologische Transformation voran, um weltweit Ernährungssouveränität zu schaffen und nicht immer nur davon zu reden, so wie Sie das die letzten 16 Jahre getan haben. Wir packen es an. Ich freue mich, mit Ihnen daran weiterarbeiten zu dürfen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Düring. – Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktion. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Ernährungssicherheit und die Bekämpfung des Hungers auf der Welt mit der damit verbundenen Erhaltung der dringend benötigten Saatgutvielfalt. Damit die Saat meiner Rede auf fruchtbaren Boden fällt und wir erkennen, dass das Thema wesentlich komplexer ist, fangen wir einmal von vorne an. ({0}) In der Bibel wird berichtet, dass in Eden ein Strom entspringt. Dieser Strom teilt sich in vier Flüsse, einer davon ist der Euphrat, ein anderer der Tigris. Diese bilden im Irak und in Syrien das sogenannte Zweistromland, den Garten Eden. Hier, in den mesopotamischen Sümpfen, gab es Wasserreichtum. Hier wurde der Getreideanbau kultiviert, von hier stammen die ältesten Getreidesorten. Das alles hat sich nun leider in sehr kurzer Zeit extrem verändert. Die Kornkammern in Syrien und im Irak können nicht einmal mehr ihre eigenen Länder versorgen. Was ist passiert? Im Zuge des Irakkrieges wurde die in Abu Ghraib vorhandene zentrale Saatgutbank des Iraks zerstört. Dazu kommt, dass es im Irak, von den Siegermächten ausgehend, Auflagen gibt, die es den Landwirten verbietet, das Saatgut wiederzuverwenden. Es müssen also Hybridpflanzen verwendet werden, die sie von großen westlichen Konzernen kaufen müssen, inklusive Dünger und Pestiziden. Das bringt die Bauern in maximale Abhängigkeit und macht es für sie zu teuer, gewinnbringend arbeiten zu können, zumal immer mehr Importe von Getreide ins Land kommen, die wesentlich günstiger sind. Darüber hinaus ist es mit der Wasserversorgung auch nicht gut bestellt, da es oberhalb des Iraks immer mehr Stauseen gibt, einer davon ist der umstrittene Stausee Ilisu in der Türkei. Wie Sie sehen, kann man in unserer immer schnelleren, globalen Welt nichts isoliert betrachten. Das führt zu falschen Ergebnissen. Deswegen kann man schon sagen, liebe Union, dass Ihr Antrag etwas zu kurz gepflanzt ist. ({1}) Aber der Ansatz ist richtig und sinnvoll; deswegen unterstützen wir den Antrag. Wir müssen die Saatgutbanken schützen und stärken, sind sie doch Sicherheit, Schutz und Freiheit gleichermaßen. Fakt ist: 60 Prozent unserer Nahrung stammen aus hybriden Mais-, Weizen- und Reispflanzen, also aus Pflanzen, die keine Saatgutvermehrung zulassen. Drei Großkonzerne diktieren mittlerweile mit ihren Saatgutpatenten die Nahrungswelt. Wir ernähren uns also von immer weniger Saatgutreichtum von immer weniger Unternehmen, was eigentlich fatal ist; denn die lokalen, heimischen, samenfesten Kulturen sind wesentlich resilienter gegen zum Beispiel Viren und invasive Pflanzenarten. Umso mehr Ursaatgut, Wildsaatgut wir haben, umso geringer wird die Wahrscheinlichkeit eines durchaus möglichen Erntegesamtausfalls. Wollen wir nachhaltiger und gesünder leben, wollen wir unser Ernährungssystem resilienter gestalten und wollen wir die Bauern und damit die Menschen in der Welt freier handeln und gestalten lassen, dann müssen wir die Saatgutbanken in der Welt nicht nur schützen und stärken, sondern das Wissen und die Möglichkeiten auch vor Ort aktiv ein- und umsetzen. Danke schön. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Friedhoff. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Unionsantrag adressiert ein wichtiges Thema, Saatgut und Ernährung, aber er greift viel zu kurz, da Sie sich einzig und allein auf die Förderung des Global Crop Diversity Trust kaprizieren. Ein einziger Punkt ist viel zu wenig; denn das Thema hat eine ganz andere Dimension. Wir erleben auch bei der Nahrungsmittelversorgung eine Zeitenwende: keine Ernte, kein Saatgut für Sonnenblumen in der Ukraine mehr wegen brandschatzender Russen. Russische Kräfte verbrennen und stehlen Weizen in der Ukraine und verhängen einen Exportstopp für das eigene Getreide. Gleichzeitig hamstert China und legt sich größere Weizenreserven zu. Beide Autokratien werden sich dann, wenn Hungersnöte in Subsahara-Afrika drohen, als Retter aufspielen und sich neue geostrategische Freunde erzwingen. Wir sehen: Nahrungsmittelproduktion und Saatgut sind Teil einer perfiden Geostrategie geworden. Wir liberale Demokratien brauchen eine eigene Strategie. Wir dürfen uns also nicht nur auf einen Punkt konzentrieren, sondern wir brauchen eine umfassende Strategie, ein Bündnis für die Sicherung der Welternährung, multilateral und human, wie es Ministerin Schulze auch vorgeschlagen hat. ({0}) Zur Sicherung der Welternährung – hören Sie gut zu; jetzt lernen Sie etwas – gehört erstens, fruchtbare Böden zu sichern. Herr Stefinger hat darauf hingewiesen; aber Sie haben unsere Anträge zur Sicherung der Böden und zur Verbesserung des regionalen Klimas in der Sahelzone, zum Beispiel zur Großen Grünen Mauer, stets abgelehnt. Das waren Sie. Die Ampelregierung wird das jetzt ändern und die entsprechenden Projekte unterstützen. ({1}) Zur Sicherung der Welternährung gehört aber auch das Schützen der genetischen Ressourcen. Die besten Saatgutbanken sind die tropischen Wälder in Süd- und Mittelamerika, im Kongobecken und in Indonesien. Der Schutz dieser Wälder wegen ihrer unvergleichlichen Funktionen für das Weltklima – die CO2-Speicherung – ist wichtig. Aber fast noch wichtiger ist, die genetischen Ressourcen dort zu sichern. Wir in der Ampel siedeln den Schutz der Biodiversität sehr hoch an. Die Ampel macht nun das, was Sie nie gemacht haben. ({2}) Zur Sicherung der Welternährung gehört eine verbesserte Saatgutlagerung in den Entwicklungsländern. Viel Saatgut und Getreide geht durch schlechte Lagerung verloren. Über Entwicklungszusammenarbeit bringen wir mit afrikanischen Start-ups Methoden ein, die Lagerung schnell zu verbessern, sodass nahezu 100 Prozent der Nahrung und des Saatgutes erhalten bleiben und nicht von Pilzen oder Mäusen aufgefressen wird, wie es bisher bei 40 Prozent der Ernte der Fall war. Die Ampelregierung handelt und verbessert die Zustände. ({3}) Zur Sicherung der Welternährung gehört, das Saatgut zu verbessern. Das führt zu besseren Erträgen, zu weniger Verbrauch von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Züchtungserfolge haben die Erträge von Mais, Reis und Weizen in den letzten 20 Jahren um über 23 Prozent verbessert; nur so konnte die Menschheit überhaupt noch ernährt werden. Wenn wir auf gleicher Fläche nachhaltig mehr produzieren, nimmt das den Druck von den Wäldern, die die genetischen Ressourcen darstellen. Aber gleichzeitig müssen wir diversifizieren und vor allem die indigenen Arten in den Entwicklungsländern – Yams, Maniok, Sorghum – wieder fördern und durch Forschung dazu beitragen, dass sie ertragreicher werden. Damit erhalten die Länder eine strategische Unabhängigkeit bei der Nahrungsmittelversorgung. Das ist der Geist der Freiheit. Und die Ampel macht das; darauf können Sie sich verlassen. ({4})

Ina Latendorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005123, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorgelegte Antrag der Unionsfraktion zur Saatgutvielfalt liest sich im ersten Absatz wie eine Analyse grundlegender Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse. Alle Achtung! Da ist die Rede vom Klimawandel, von nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion, von Milliarden von Menschen ohne ausreichende gesunde Ernährung und eben von gesunder Ernährung als Voraussetzung für ein gesundes Leben. Leider geht es im weiteren Verlauf der Argumentation der Union nur ganz am Rande um die Ernährungssicherheit durch die Saatgutvielfalt. Saatgutpatente müssen aus unserer Sicht staatlicherseits freigegeben werden. ({0}) Damit wären die Entwicklungsländer endlich nicht mehr auf die überteuerten Einkäufe von Saatgut in Europa und Nordamerika angewiesen. Aber Sie leiten ganz schnell zur Arbeit des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt über. Die Arbeit des Fonds ist nicht unerheblich; das stimmt. Durch ihn werden die pflanzengenetischen Ressourcen von Kulturpflanzen systematisiert und aufbewahrt; das ist wichtig. Ja, und der Fonds arbeitet mit den Vereinten Nationen und der Welternährungsorganisation FAO zusammen, aber auf privatwirtschaftlicher Basis einer Stiftung. Wenn Sie dauerhaft etwas gegen den Hunger in der Welt tun wollen, dann muss dies aus meiner Sicht als staatliche Aufgabe betrachtet werden ({1}) und gelänge zum einen durch die bessere Ausstattung der UN‑Organisationen durch höhere Mitgliedsbeiträge der OECD-Staaten und zum anderen durch den Abbau rechtlicher Hürden beim Zugang zu Saatgut für die am wenigsten entwickelten Länder der Welt. ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Saatgutvielfalt als Überlebensthema hängt natürlich von staatlicher Förderung ab, von gesamtgesellschaftlichem Interesse und von zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Dies sehe ich aber in Ihrem Antrag nicht aufgegriffen. Und mit Verlaub: Dass die Welternährungskrise coronabedingt sei, wie im Text unterstellt, ist einfach nicht wahr. ({3}) Die gab es schon vorher. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der fraktionslose Kollege Matthias Helferich.

Matthias Helferich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005079

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seien Sie unbesorgt, insbesondere bei der SPD-Fraktion: Heute sprechen wir nicht über Ihre faulen Früchtchen der Clans, heute sprechen wir ganz sachlich über Äpfel und Birnen, nämlich den Globalen Treuhandfonds. Nicht der von Ihnen und von der CDU angeführte Klimawandel ist die größte Bedrohung für die Vielfalt in der Landwirtschaft, sondern die von Ihnen allen bejubelte Globalisierung. Die globale Angleichung der Lebensart verdrängt die lokalen Nutzpflanzen. Wenn kein Bedarf an Nutzpflanzen besteht, weil sie nicht mehr konsumiert werden, dann werden sie auch nicht mehr angebaut. Um diesen Effekt zu sehen, müssen wir nicht erst ins Ausland schauen. Allein in Deutschland finden weniger als 20 Apfelsorten den Weg in unsere Läden; vor rund 100 Jahren waren es noch über 1 000. Laut der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt haben wir in Mitteleuropa allein mehr als 90 Prozent der Sortenvielfalt bei Kulturpflanzen verloren. Weltweit sind es über 70 Prozent, die unwiederbringlich ausgestorben sind. Um diesen Trend aufzuhalten, helfen aber auch nicht 500 Millionen Dollar. Wenn globalistische Anywheres in alle Winkel der Erde ihre One-World-Ideologie tragen, wie sollen diese Weltbürger dann die Vielfalt der Welt erhalten? Der Maler Niederreuther wusste schon: „Der Weltmann kann von einem Bauern lernen, nicht aber der Bauer von einem Weltmann.“ Vielfalt bei Nutzpflanzen erhält man nicht, indem man sie in einen Kühlschrank steckt, sondern indem man sie in den tatsächlichen Wirtschafts- und Konsumkreislauf einbindet. Sorgen Sie also dafür, dass lokale Kulturpflanzen wirtschaftlichen Ertrag bringen, dass sie kulturell wertgeschätzt werden! Dann bleiben sie auch allen Menschen auf ihrer heimatlichen Scholle erhalten. Vielen Dank.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Lehmann, SPD-Fraktion. ({0})

Sylvia Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004953, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genetische Vielfalt von Tieren und Pflanzen ist der Motor der Evolution und sorgt für einen funktionierenden Naturhaushalt. Wir sind uns bewusst, dass wir diesen Motor beschädigen und unser Verhalten daher ändern müssen, weil Arten gegenwärtig immer schneller in gravierendem Ausmaß sterben, weil fast jedes vierte Tier, jede vierte Pflanze weltweit akut gefährdet sind und weil allein in den letzten 100 Jahren drei Viertel aller Kulturpflanzen unwiederbringlich verloren gegangen sind. Als Berichterstatterin für Biodiversität, Ackerbaustrategie und Saatgut weiß ich um das Dilemma. Unsere leistungsstarke Landwirtschaft – das möchte ich an dieser Stelle würdigen – wäre bei gerechter Verteilung in der Lage, die Menschheit zu ernähren. Gleichzeitig trägt sie mit den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen maßgeblich zum Rückgang der Artenvielfalt bei. Ein Schritt für nachhaltige Veränderung war und ist die Gründung des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt im Jahr 2004 als Stiftung internationalen Rechts. Sie betreibt drei Saatguttresore im ewigen Eis von Spitzbergen, in denen die Samen zahlreicher Pflanzen als eine Art Back-up gelagert und regelmäßig ausgetauscht werden. Mit der Finanzierung von elf Saatgutbanken ermöglicht die Stiftung unter anderem Kleinbauern in Ländern des Globalen Südens, sich von lizenzierten Samen großer Konzerne unabhängig zu machen. Sie engagiert sich international im Bereich der nachhaltigen Züchtungen, um neues Saatgut resilienter gegen die klimatischen Veränderungen, Schädlinge oder Krankheiten zu machen. Dieser Fonds sichert also den Schatz, der uns ernährt. Die CDU/CSU fordert eine zusätzliche Förderung des Treuhandfonds nach Haushaltslage. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, das machen wir. Wir fördern immer nach Haushaltslage. Ihr Antrag ermöglicht zwar die Debatte heute hier im Deutschen Bundestag, ({0}) aber vom Anliegen her ist er abzulehnen; denn die von Ihnen geforderte finanzielle Beteiligung weiterer internationaler Partner und die Schaffung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten, diesen Weg geht man längst. Deutschland gehört bereits zu den größten Geldgebern. Was auch noch ein wichtiges Element ist: Selbst der Vorsitzende des Treuhandfonds sagt, dass gerade jetzt die Aufstockung der Programme zur weltweiten Ernährungssicherung Vorrang hat. Das sehen wir auch so. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lehmann. – Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! 276 Millionen Menschen leiden akut an Hunger. Das berichtet uns das World Food Programme. Die globale Ernährungssituation erfährt im Moment eine dramatische Verschärfung durch den Krieg gegen die Ukraine. Der Wegfall der Getreideexporte aus der Ukraine und aus Russland führt uns in dramatischer Weise vor Augen, wie fragil und abhängig unser globales Ernährungssystem ist. Die Bundesregierung steht in besonderer Verantwortung, entschieden auf diese Hungerkrise zu reagieren. Deshalb haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachdrücklich mehr Geld für die Bekämpfung des Hungers in der Welt eingefordert. ({0}) Neben der Linderung der akuten Hungersnot muss es aber auch darum gehen, die langfristige Widerstandsfähigkeit in den Agrarsystemen der verschiedenen Länder zu stärken; denn neben Kriegen und Problemen in Lieferketten durch die Coronapandemie fordert vor allem der Klimawandel unser Agrar- und Ernährungssystem in besonderer Weise heraus. Wir brauchen nachhaltige, langfristige Lösungen für die Landwirtschaft in den verschiedenen Regionen und vor allem den Klimazonen unseres Planeten. Entscheidend ist hierfür erstens die Sicherung der biologischen Vielfalt und zweitens die Entwicklung klimaresilienter Nutzpflanzen, die auf die Bedingungen der jeweiligen Regionen angepasst sind. Die Landwirte in der Welt müssen unterstützt werden bei ihrem Einsatz für die regionale Ernährungssicherheit; denn einerseits haben wir es mit einer wachsenden Weltbevölkerung zu tun, und andererseits kämpfen wir gegen die katastrophalen Folgen des Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen. Um die regionale Ernährungssicherheit in allen Teilen der Erde zu stärken, müssen wir die Vielfalt der Nutzpflanzen erhalten. Dafür setzt sich die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem sachbezogenen Antrag ein. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft, Deutschland eingeschlossen, mit dem SDG 2 zum Ziel gesetzt, genetische Vielfalt von Saatgut und Kulturpflanzen zu bewahren. Dazu leistet der Globale Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt , wie mein Kollege Wolfgang Stefinger vorhin schon betont hat, einen ganz wichtigen Beitrag; denn wir wollen die Artenvielfalt sichern. In den globalen Saatgutbanken werden nicht nur die heute genutzten Pflanzen, sondern auch wilde artverwandte Pflanzen eingelagert. Wir haben es hier quasi mit einer Art Sicherungskopie aller wichtigen pflanzengenetischen Ressourcen dieser Erde zu tun. Herausragend steht dafür der Globale Saatgut-Tresor auf Spitzbergen in Norwegen. Und weil das so wichtig ist, erwarten wir als Christdemokraten und Christsoziale von der neuen Bundesregierung, dass sie einen erneuten Beitrag zur Aufstockung des Stiftungsfonds leistet. Denn wir möchten das Naturerbe der Menschheit sichern und Hunger durch langfristige Ernährungssicherheit bekämpfen. Herzlichen Dank. ({2})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen im Zivilrecht. Im Kern geht es dabei um rechtliche Vorgaben, bei denen wir in Deutschland durchaus ein hohes Niveau haben, auch im europäischen Vergleich. Der Gesetzentwurf enthält deswegen keine grundlegenden arbeitsrechtlichen Neuerungen. Aber wir nutzen die Möglichkeiten der Richtlinie, um die dort angesprochenen Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verbessern, ganz konkret und wirksam. Das betrifft zum Beispiel den Bereich der Nachweispflichten. Egal ob Probezeit, Arbeit auf Abruf oder vereinbarte Überstunden, im Grundsatz gilt: In Zukunft muss der Arbeitgeber auch diese wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich dokumentieren. Das schafft Transparenz und Rechtssicherheit gerade in Fällen, in denen kein schriftlicher Arbeitsvertrag vorhanden ist. Auch die Nachweispflicht über die Schriftform einer Kündigung und die Nennung der Frist für Kündigungsschutzklagen ist eine echte Verbesserung. ({0}) Auf dieser Grundlage können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer damit rechtzeitig die Möglichkeit einer Klage in Betracht ziehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch auf dem Arbeitsmarkt müssen Recht und Ordnung gelten, nicht nur im Gesetzblatt, sondern auch in der Praxis müssen sie durchgesetzt werden. Verstöße gegen die Nachweispflichten sollen daher zukünftig mit einem Bußgeld geahndet werden; denn die beste Regel nutzt nichts, wenn sie nicht eingehalten wird. Mit diesem Vorhaben schaffen wir aber noch weitere Verbesserungen für die Beschäftigten. Dabei geht es um die Mindestvorgaben zu einzelnen Arbeitsbedingungen. Lassen Sie mich das an vier Punkten umreißen: Erstens. Eine Probezeitvereinbarung bei befristeten Arbeitsverhältnissen muss in Zukunft verhältnismäßig sein. Bezugspunkte sind hier die Befristungsdauer und die Art der Tätigkeit. Zweitens. Für die Abrufarbeit müssen vorher Referenzstunden und Referenztage festgelegt werden. Drittens. Wenn Beschäftigte den Wunsch nach Teilzeit oder Entfristung übermitteln, muss der Arbeitgeber dazu auch tatsächlich Stellung nehmen, und zwar auch hier in Textform. Und viertens. Pflichtfortbildungen sollen in Zukunft für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kostenlos sein und möglichst während der individuellen Arbeitszeit stattfinden. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um Regelungen, die zu vielen Fragen im Arbeitsalltag einen ganz praktischen Nutzen bieten. Das ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen, gerade in diesen Zeiten. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin – ich bin begeistert! Nächster Redner ist der Kollege Maximilian Mörseburg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maximilian Mörseburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005159, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Ich habe auf meinem Manuskript noch die Anrede „Präsidentin“ stehen. Ich glaube, richtig ist: „Sehr geehrter Herr Präsident!“ ({0}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute habe ich ein Schreiben aus meinem Wahlkreis erhalten, von einem Kleinunternehmer, der Gastwirt ist; er ist bereits seit zwei Jahren in einer schwierigen Situation. Die Einnahmen blieben in der Pandemie lange weg, aber die Rechnungen kommen jeden Monat. Jetzt kommen dazu hohe Lebensmittelpreise, Inflation, steigende Energiepreise und Fachkräftemangel. Auch Sie bekommen täglich solche Schreiben aus allen Branchen, weil viele unserer Unternehmen sich nur langsam vom Coronaschock erholen. ({1}) Wenn wir heute über unser gemeinsames Ziel diskutieren, die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer in Deutschland zu verbessern, müssen wir das auch im Kontext der wirtschaftlichen Situation tun und dürfen die Menschen, die die Arbeitsplätze, über die wir hier sprechen, erst schaffen, nicht vergessen, so auch nicht den Gastwirt aus Stuttgart, der sich heute an seinen Abgeordneten gewandt hat. ({2}) Die Arbeitsbedingungenrichtlinie der EU ist ein Schritt in die richtige Richtung, für Fairness, Transparenz und Klarheit in der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die EU harmonisiert damit Gesetze ihrer Mitgliedstaaten. Viele Voraussetzungen erfüllen wir ja in Deutschland bereits. Ich möchte deutlich machen: Als CDU/CSU-Fraktion sind wir für bessere Arbeitsbedingungen; wir begrüßen die Richtlinie. Aber über die Umsetzung müssen wir schon sprechen. Grundsätzlich sollten EU-Richtlinien ja am besten eins zu eins in deutsches Recht übernommen werden. Wenn aber eine Richtlinie reinflattert, die das BMAS umsetzt, kann man sich ziemlich sicher sein, dass sie nicht eins zu eins umgesetzt wird, sondern dass möglichst bei jeder Gelegenheit zulasten des Arbeitgebers eine Regelung obendrauf kommt, Bürokratie obendrauf kommt, um den Unternehmer maximal zu ärgern. Wir sprechen über die Ruhepausen, die gesetzlich festgelegt sind, jetzt vereinbart werden müssen, über das AÜG, wo der Erörterungsanspruch völlig ausgeweitet wird. Dabei ist die Abwägung zwischen Interessen der Wirtschaft und Interessen der Beschäftigten auf EU-Ebene eigentlich schon vorgenommen worden. Während die EU jetzt zum Beispiel bei den Informationspflichten über die Rechte der Arbeitnehmer auf digitale Kommunikation setzt, ist es so, dass in Deutschland § 2 Absatz 1 Satz 3 Nachweisgesetz weiterhin gilt: „Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist ausgeschlossen.“ Die Frau Staatssekretärin war ja ganz stolz darauf. Für den Gastwirt in Stuttgart bedeutet das, dass er in Zukunft – ganz toll – ganz viele Schriftstücke an seine Mitarbeiter rausschicken muss, weil er diesen Prozess – genauso wenig wie ganz viele andere kleine Unternehmen und auch Großunternehmen in Deutschland – nicht digitalisieren darf. ({3}) In Ihrem Koalitionsvertrag steht aber: Digitalisierungshemmnisse und Formvorschriften abbauen, ({4}) EU-Recht „effektiv“ und „bürokratiearm“ umsetzen. Die Staatssekretärin hat sich gerade über die ganzen Schriftformerfordernisse gefreut, liebe Grüne, liebe FDP. Sie haben das Herrn Heil bisher vermutlich nur per E‑Mail mitgeteilt. Versuchen Sie es doch einfach mal per Post, mit einem Brief ans Arbeitsministerium. Bis zur zweiten und dritten Lesung haben Sie noch ein bisschen was zu tun. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mörseburg. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, ich glaube, wir bekommen gerade alle die gleichen Briefe aus der Wirtschaft. Ich habe das Gefühl, Sie haben gerade einen dieser Briefe vorgelesen. Das geht gar nicht. ({0}) Das Gesetz, über das wir heute reden, hat einen sperrigen Namen, und die Umsetzung steht auch nicht gerade im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist ein bisschen ein Gesetz für Nerds, die gerne in den Tiefen des Arbeitsrechts unterwegs sind. Aber gerade deswegen ist das Gesetz wichtig; denn hier schaffen wir wirklich echte Verbesserungen, von denen viele Menschen gerade in prekären Beschäftigungsverhältnissen profitieren werden. ({1}) Es geht darum, dass Beschäftigte umfangreicher und vor allem schriftlich über die wichtigsten Rahmenbedingungen ihrer Arbeit informiert werden müssen. ({2}) Das mag banal klingen, ist es aber nicht. Es ist eine echte Verbesserung für die Beschäftigten. ({3}) Diese Verbesserungen sind wichtig, weil allein schon 10 Prozent der Unternehmen ihren Beschäftigten gar keinen schriftlichen Arbeitsvertrag aushändigen. Es gelten dann mündliche Vereinbarungen, die rechtlich schwer angreifbar und auch nicht durchsetzbar sind. Genau an dieser Stelle werden wir die Beschäftigten stärken. Es geht in dem Gesetz beispielsweise um Minijobber/-innen in der Gastronomie oder im Einzelhandel, die auf Abruf arbeiten. Sie müssen nun schriftlich informiert werden, wie viele Stunden ihnen mindestens in der Woche bezahlt werden, welche Fristen beim Abruf eingehalten werden müssen oder wie eben Überstunden vergütet werden. Das ist gut; denn so wird auch Arbeit auf Abruf für die Beschäftigten berechenbarer. ({4}) Ein anderes Beispiel ist eine Regelung für entsandte Beschäftigte. Sie kommen häufig aus osteuropäischen Ländern und sprechen weder Deutsch, noch kennen sie ihre Rechte hier in Deutschland. Das Gesetz sieht jetzt eine Informationspflicht vor. Entsandte Beschäftigte müssen durch Beratungsstellen wie beispielsweise Faire Mobilität informiert werden. Das ist wichtig; denn die Beschäftigten aus anderen EU-Ländern wissen ja nicht, dass es hier solche Stellen gibt, wo sie kostenlos Beratung, Hilfe und Unterstützung bekommen. Das Gesetz wird die Situation von entsandten Beschäftigten an dieser Stelle wirklich – zumindest ein bisschen – verbessern. ({5}) Viele Informationen müssen jetzt schriftlich gegeben werden. Das ist gut. Es geht aber noch besser. Bei Minijobs wissen wir, dass viele Beschäftigte ihre Rechte gar nicht kennen, beispielsweise dass sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub haben. Wir könnten das im parlamentarischen Verfahren ändern, indem wir vorsehen, dass Minijobber/‑innen schriftliche Arbeitsverträge bekommen müssen, also dass Arbeitsverträge verbindlich werden. Der Bundesrat hat angeregt, kleine und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung mit einer Mustervorlage zu unterstützen. Auch dieser Vorschlag ist gut; wir sollten ihn auf jeden Fall prüfen. ({6}) Gut ist auch, dass die Fristen, in denen Arbeitgeber informieren müssen, verkürzt werden. Aber auch hier geht es noch besser. Beschäftigte sollten doch eigentlich an ihrem ersten Arbeitstag wissen, wie viel sie im neuen Job verdienen und ob ihr Arbeitsverhältnis befristet ist, und nicht erst eine Woche später, also nach sieben Tagen. Deshalb sollten wir uns im parlamentarischen Verfahren die Fristen noch einmal ganz genau anschauen. ({7}) Ich sagte es bereits am Anfang: Das Gesetz ist kleinteilig und etwas sperrig, aber es geht hier um Mindestrechte, es geht um Information, es geht um Ansprüche, um sozialen Schutz, es geht darum, Transparenz und Sicherheit in Arbeitsverhältnissen zu verbessern. Deshalb ist das Gesetz gut, und es ist wichtig vor allem für die Beschäftigten. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss, die Berichterstattergespräche. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich sollte sich zu diesem Thema der Thüringer Kollege Jürgen Pohl äußern. Er ist allerdings kurzfristig erkrankt, sodass Sie mit mir vorliebnehmen müssen. Aber, ich glaube, wir kommen gut miteinander aus. Jürgen Pohl, von dieser Stelle aus gute Besserung! Meine Damen und Herren, die Richtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparente und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassung des Arbeitsmarktes bürokratiearm gewährleistet werden soll. Das ist eigentlich ein gutes Ziel. Zur Erreichung dieses Ziels sieht diese Richtlinie oder – besser gesagt – das Gesetz, das Sie daraus machen wollen, verschiedene Regelungen vor, die aus unserer Sicht jedoch nicht zustimmungsfähig sind. So dürfen etwa Zeitarbeitnehmer und befristet Beschäftigte ab dem sechsten Monat ein Übernahmegesuch zur Fortbeschäftigung abgeben. Der Arbeitgeber muss künftig begründet antworten, statt wie bisher nur informieren. Völlig unklar bleibt, was der Unterschied zwischen begründeter Antwort und bloßer Information sein soll. Was ist, wenn der Arbeitgeber einfach schreibt, der Arbeitnehmer sei ungeeignet? Kann sich dann der Arbeitnehmer dagegen wehren und seine Übernahme einklagen? Reicht für die begründete Ablehnung die Mitteilung, dass der Arbeitgeber gar nicht will? Wie konkret muss diese Ablehnung aussehen? All das bleibt offen, und jedem ist klar, dass hier nichts klar ist und eine Klarstellung dringend geboten ist. ({0}) Ein weiterer Schwachpunkt betrifft die Regelungen zur Mehrfachbeschäftigung und Arbeit auf Abruf. Zwar werden hier einige Arbeitnehmerrechte gestärkt; aber nach Ansicht der AfD sind derartig atypische Beschäftigungsverhältnisse grundsätzlich nicht zu fördern, also auch nicht durch die Stärkung von Arbeitnehmerrechten in diesen Bereichen. Diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse müssen einfach aufhören zu existieren. Und schließlich ist diese Richtlinie wieder einmal eine übergriffige Einmischung der Europäischen Union in innerstaatliche Angelegenheiten. Sie ist ein weiterer Beitrag zur Verbürokratisierung des Arbeitsrechts, und sie ist sehr kostenintensiv. Für die Wirtschaft werden Umstellungskosten von 6,4 Millionen Euro veranschlagt. Jährlich sollen Kosten von etwa 4,5 Millionen Euro dazukommen. Für die Verwaltung drohen wahrscheinlich Umstellungskosten in ähnlicher Höhe anzufallen. Die jährlichen Kosten werden auf ungefähr 8 Millionen Euro geschätzt. Wir meinen, dass, wenn die Bundesregierung schon Arbeitnehmerrechte stärken möchte, sie doch bitte selber ein Gesetz machen soll, das maßgeschneidert auf die Zustände in unserem Land ist. Sie sollten nicht einfach willfährig eine EU-Richtlinie vollziehen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Vielen Dank – mit Einhaltung der Redezeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brandner. – Es ist ungewöhnlich, dass Sie sich mal an Regeln gehalten haben. ({0}) Vielen Dank. Nächster Redner ist der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. ({1})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde debattieren wir heute in erster Beratung das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts. Das klingt nicht nach einem Gassenhauer, und – ganz ehrlich – das ist es auch nicht. Aber wir kommen der Verpflichtung nach, bis zum 31. Juli die neue Nachweisrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. So sperrig der Name klingt, so überschaubar sind die Anpassungen, die wir an unserem bestehenden Recht tatsächlich vornehmen müssen. Das ist gut so; denn das zeigt – Frau Staatssekretärin Kramme hat darauf hingewiesen –, dass wir in Deutschland ein weit entwickeltes Arbeitsrecht mit hohen Standards haben. Für den weit überwiegenden Teil unserer 40 Millionen Beschäftigten sind gute Arbeitsbedingungen nicht nur ein Versprechen, sondern bereits heute Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die EU hat gute Gründe, die Nachweisrichtlinie zu überarbeiten. Die europäischen Arbeitsmärkte haben seit 1991 fundamentale und tiefgreifende Veränderungen erfahren. Noch nie war Arbeit mobiler, innovativer und digitaler als heute. Deshalb begrüßen wir, dass die Richtlinie neben ihrem Kernziel – der Verbesserung der Arbeitsbedingungen – bereits in Erwägungsgrund 4 ebenso die Aufwärtskonvergenz in den Mitgliedstaaten, die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes und die Digitalisierung in den Blick nimmt. Genauso wie es nicht sein darf, dass in Mitgliedsstaaten unlautere Wettbewerbsvorteile durch das Unterschreiten von Mindeststandards möglich sind, darf es eben auch nicht passieren, dass durch wohlgemeinte, aber überzogene Schutzvorschriften neue Handelsbarrieren errichtet werden und der Binnenmarkt geschwächt wird. ({0}) Es kommt, wie so oft, auf die richtige Balance an. Genau das respektiert die Richtlinie, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich, dass die Richtlinie Tariföffnungsklauseln vorsieht. Das ist im Sinne von Tarifautonomie und Subsidiarität rich-tig. Die Sozialpartner wissen besser als der Staat, wie man einvernehmlich ausgewogene Arbeitsbedingungen schafft. Deshalb ist es unser Job, dafür die notwendigen Spielräume offenzuhalten. ({1}) Damit stärken wir die Tarifbindung, und das haben wir im Koalitionsvertrag auch so vereinbart, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gestatten Sie mir noch zwei Anmerkungen als Familienunternehmer und als Familienvater. Meine Kinder kommen jetzt in ein Alter, in dem sie ihren ersten Job antreten. So hat unser Sohn mir auf Nachfrage heute bestätigt, dass er seinen Arbeitsvertrag mit allen wesentlichen Bedingungen in elektronischer Form mit elektronischer Signatur bekommen hat, und er findet das völlig normal. O-Ton: Das machen doch alle so. – Nein, bei uns im Unternehmen zu Hause im Sauerland machen wir das nicht so. Aber, ganz ehrlich: Ich habe mich nicht getraut, ihn auf § 2 Absatz 1 Satz 3 Nachweisgesetz hinzuweisen: „Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist ausgeschlossen.“ ({2}) Er hätte entweder an der Seriosität seines Arbeitsgebers gezweifelt oder mich für verrückt erklärt, oder beides wäre geschehen. Beides ist nicht gut. Die junge Generation macht alles digital, bis hin zu Bankgeschäften. ({3}) Ich habe Zweifel, ob meine Kinder überhaupt einmal in der Woche den Briefkasten leeren. Wenn ich denen mit Tinte auf Papier komme, laufen die weg. ({4}) Als Unternehmer habe ich schon viele Menschen eingestellt. Onboarding ist immer eine sensible Zeit, eine spannende Zeit für beide Seiten. Es geht ganz viel um Unternehmenskultur und Vertrauenskultur. Machen wir möglich, dass sich die Betriebe so digital präsentieren dürfen, wie die neuen Beschäftigten – ob jung oder weniger jung oder ob Fachkraft aus dem Ausland – das von ihren Arbeitgebern erwarten. Dazu gehören heute eben auch elektronische Arbeitsverträge. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. Sagen Sie Ihrem Sohn: Ein Briefkasten hat keine Firewall. ({0}) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susanne Ferschl, Fraktion Die Linke, das Wort. ({1})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, liebe Bundesregierung, dass Sie diese Richtlinie umsetzen, und das auch noch fristgerecht. Aber Sie haben es tatsächlich geschafft, bei der ohnehin sehr dünnen Vorgabe nur das absolute Minimum zu regeln. ({0}) Das kann doch nicht der Anspruch Deutschlands in der EU sein. Bei sozialen Standards und Arbeitnehmerrechten müssen wir eine Vorbildfunktion einnehmen. ({1}) Das Umsetzungsgesetz soll Regelungen für prekär Beschäftigte treffen, also für Leiharbeitnehmer, befristet Beschäftigte, Minijobber und für Arbeit auf Abruf. Wenn ich mir den Gesetzentwurf allerdings anschaue, zeigt sich, dass sich bezüglich dieser Beschäftigungsverhältnisse nicht viel verändern wird. Vielmehr werden sie weiterhin zementiert. Zudem sind die Durchsetzungsmöglichkeiten für die wenigen Verbesserungen viel zu gering. Es fehlt zum Beispiel bei den Ordnungswidrigkeiten ein Bußgeldkatalog und somit die abschreckende Wirkung für die Arbeitgeber und somit der Schutz für die Beschäftigten. ({2}) Es fehlt die kollektivrechtliche Ebene bei der Umsetzung der Richtlinie. Dabei sind es doch die Betriebsräte, die die Rechte der Beschäftigten durchsetzen und die auch gestärkt werden müssen. Hier müssen Sie nachbessern! ({3}) Noch dazu sind die Regelungen kompliziert. Die Union hat bereits Entbürokratisierung gefordert, und auch ich frage mich: Warum machen Sie es sich nicht einfach? Schaffen Sie die sachgrundlosen Befristungen ab, so wie es Grüne und SPD im Wahlkampf versprochen haben. ({4}) Verbieten Sie Leiharbeit, und machen Sie Minijobs sozialversicherungspflichtig! Das sind doch klare Regelungen, die den Beschäftigten in diesem Land wirklich helfen würden. ({5}) Die Bundesregierung plant aber nichts gegen sachgrundlose Befristungen, nichts bei Leiharbeit, und Minijobs weitet sie sogar aus. Deswegen, Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, will ich zum Schluss meiner Rede an euch appellieren: Organisiert euch! Tretet in die Gewerkschaften ein, und gründet Betriebsräte! Wir müssen selber schauen, dass wir die Arbeitswelt in Deutschland und in Europa gerechter machen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Ferschl. – Nächster Redner ist der Kollege Jan Dieren, SPD-Fraktion. ({0})

Jan Dieren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005041, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den demokratischen Fraktionen! ({0}) Werte Zuschauer/-innen! – Ja, es ist witzig, dass Sie sich aufregen. Sie wissen schon, dass Sie gemeint sind, ({1}) auch wenn ich es nicht gesagt habe. Sie wissen selbst am besten, welches fragwürdige Verhältnis Sie zur Demokratie haben. ({2}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir die sogenannte Arbeitsbedingungenrichtlinie der Europäischen Union um. Diese Richtlinie setzt für alle Staaten der EU Standards für vorhersehbare und transparente Bedingungen am Arbeitsmarkt. Wenn Arbeitgeber/-innen und Beschäftigte über einen Arbeitsvertrag verhandeln, geht es natürlich in erster Linie ums Gehalt. Aber später spielen noch ganz andere wichtige Dinge eine Rolle: Arbeits- und Ruhezeiten, Überstunden oder Probezeiten. Wer dringend einen Job braucht, denkt an diese Fragen vielleicht nicht zuerst. Wir alle kennen das: Wenn wir im Internet etwas kaufen, bestätigen wir mit einem Klick die AGB. Wenn es später Probleme gibt, denken wir uns vielleicht: Hätte ich die mal besser gelesen. – Das ist ärgerlich, wenn ich eine neue Jacke nicht mehr umtauschen kann. Aber es ist mehr als ärgerlich, wenn es um meine Beschäftigung geht, von der mein Lebensunterhalt und der meiner Familie abhängt. ({3}) Deshalb ist es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen informiert werden müssen – und zwar schriftlich, lieber Kollege Mörseburg –, damit sie die Informationen in der Hand halten und nicht schnell wegklicken können. ({4}) Lieber Kollege Cronenberg, wenn wir jetzt alles digital machen, freue ich mich, dass wir bald auch die digitale Arbeitszeiterfassung hinbekommen. ({5}) Insbesondere, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beschäftigten in Plattform- und Digitalunternehmen – Crowdworker, Clickworker, Gigworker –, die in sich schnell wandelnden Beschäftigungsverhältnissen stecken, haben das Recht darauf, zu wissen, unter welchen Bedingungen sie eigentlich einen Job annehmen. Deshalb wollen wir auch für sie heute Rechtsklarheit und Rechtssicherheit durch mehr Transparenz schaffen. Drei Punkte möchte ich kurz anreißen. Erstens. Bald müssen die Arbeitgeber/-innen alle Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen informieren. Die Arbeitnehmer/-innen, die weniger als einen Monat angestellt sind, bilden dann keine Ausnahme mehr. Das ist gut so. Zweitens. Der Katalog der Informationspflichten wird erweitert. Arbeitgeber/-innen müssen ihre Beschäftigten bald unter anderem auch informieren über Arbeitszeiten, Überstunden, Abrufarbeit, Probezeit und die Befristung von Arbeitsverträgen. Und drittens. Wer eine Kündigung erhält, ist davon natürlich erst mal geschockt. Bis man sich berappelt hat, sind häufig wichtige Fristen verstrichen. Deshalb müssen Beschäftigte wissen, wann und wie sie gekündigt werden können und welche Rechte sie dann haben, um rechtzeitig gegen die Kündigung vorzugehen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns bei der Umsetzung dieser Richtlinie insbesondere um bessere Arbeitsbedingungen. Beschäftigte müssen ihre Rechte kennen. Sie müssen ihnen verständlich erklärt werden, damit sie sie wahrnehmen können. Das ist nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch im Interesse der Unternehmen, die ihre Beschäftigten fair behandeln. Deshalb ist es richtig, dass die Unternehmen, die ihre Nachweispflichten verletzen und damit gesetzeswidrig handeln, bald auch Geldbußen bekommen können. ({7}) Am Ende ist es auch in unserem gesellschaftlichen Interesse, weil Beschäftigte, die ihre Rechte kennen und wahrnehmen, besser gemeinsam für eine sozial gerechte Entwicklung unserer Gesellschaft sorgen können, und das wollen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. ({8})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Demokratie verleiht Ämter, Macht und Privilegien auf Zeit, so die Theorie. Doch manche sind da gleicher als andere, ehemalige Bundespräsidenten und Bundeskanzler beispielsweise. Wir wissen alle: Ehemalige Bundespräsidenten erhalten bis zur Bahre ihre ungekürzten Bezüge weiter, etwa 20 000 Euro im Monat, egal ob sie im Amt sind oder nicht. Dazu kommen Büro und Mitarbeiter. Ähnlich ist es bei Bundeskanzlern. Die bekommen zwar gekürzte Bezüge – sie werden wie ein Beamter behandelt –, aber immerhin auch noch ungefähr 12 000 im Monat, und ein Übergangsgeld von ungefähr 220 000 Euro dürfte sich Frau Merkel eingesteckt haben oder noch einstecken. Dazu kommen auch Büros und Mitarbeiter. Um den letzten Punkt geht es. Wir wollen nicht an die Rentenansprüche ran – noch nicht –, wir wollen einfach mal das Privileg „Büro und Mitarbeiter“, was unseren Bundeskanzlern lebenslang eingeräumt wird, dringend gesetzlich regeln; denn es ist noch nicht gesetzlich geregelt. Das, was da in den letzten Jahren passiert ist, ist nicht gut. Die Selbstbedienungsmentalität ist aus dem Ruder gelaufen. Deshalb ist dringend eine gesetzliche Regelung erforderlich, und die legen wir heute vor. ({0}) Dabei fing das Ganze ganz harmlos an. Wenn man an Bundeskanzler Adenauer denkt, der etwa 14 Jahre regierte: Er ging in den Ruhestand und beschäftigte danach ein Sekretariat, was noch von der CDU finanziert wurde. Alle Vorgänger Merkels, also Schmidt, Kohl und Schröder, kamen mit etwa sechs Mitarbeitern aus. Wir haben Zahlen von 2015. Danach wurden etwa 1,5 Millionen Euro für diese drei Bundeskanzler an Mitarbeiterkosten aufgewandt. Das schafft Frau Merkel jetzt ganz alleine. Sie hat bei ihrem Auszug aus dem Bundeskanzleramt so ein kleines Bundeskanzleramt mit nach Hause genommen: neun hochbezahlte Mitarbeiter, für etwa 100 000 Euro Lohnkosten im Monat – und keiner weiß, wofür. Wir haben die Bundesregierung gefragt: Was trieben denn so die Mitarbeiter von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder in ihrer Zeit? ({1}) Da kam die Antwort der Bundesregierung: Wir wissen es nicht. Weil der Bundeskanzler nicht mehr im Amt ist, können wir auch nicht fragen, was die Mitarbeiter, die aus Steuergeldern bezahlt werden, da so machen. Ähnlich ist es bei Frau Merkel. Wir bekommen sie eigentlich gar nicht mehr mit – was ich jetzt nicht bedauere, aber so ist es nun mal – und hören von ihr eigentlich nur noch nach Shoppingtouren, bei denen sie sich ihr Portemonnaie klauen lässt. Ansonsten ist von Merkel nichts mehr zu hören. Und wir fragen: Was sollen diese neun Mitarbeiter für etwa 1,5 Millionen Euro im Jahr? ({2}) Meine Damen und Herren, das ist ein erhebliches Problem, was hier gelöst werden muss, und wir gehen das Problem an. Das Problem hat ja beispielsweise auch der Kollege Kubicki erkannt, nachdem wir es angesprochen hatten, in seiner bekannten Art, auf populistische Züge aufzuspringen. Kollege Lindner hat sich dafür interessiert, Frau Mihalic von den Grünen, Frau Haßelmann, meine spezielle Freundin, auch. Alle sagen: Das muss jetzt gesetzlich geregelt werden. Wir legen einen Gesetzentwurf vor. Wir labern nicht nur, wir handeln. Wir sagen: Vier Jahre sind genug. Vier Jahre, drei Mitarbeiter, ein Fahrzeug, ein Fahrer und das Ganze für fortwirkende Amtsaufgaben, das muss reichen. – Vier Jahre Begrenzung: Das ist etwa so lang wie eine Legislaturperiode.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kollege Brandner, kommen Sie zum Schluss.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danach sollten Bundeskanzler auch die letzten Privilegien verlieren; denn – das habe ich am Anfang gesagt – die Demokratie lebt dadurch, dass Ämter und Privilegien nur auf Zeit vergeben werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, bitte.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Redezeit ist jetzt um. ({0}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich darf Ihnen ja leider nicht antworten auf dieses nette Wort von Ihnen; aber das schadet meiner Karriere nicht. ({0}) Der Kollege Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben, ebenso der Kollege Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion. ({1}) Deshalb hat jetzt das Wort der Kollege Philipp Amthor, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss schon sagen, es ist wirklich das Geheimnis der AfD, wie man beim Thema „Amtsausstattung ehemaliger Bundeskanzler“ nicht über Gerhard Schröder, sondern über Angela Merkel reden kann. ({0}) Da muss man wirklich sagen, Herr Brandner: Vielleicht ist das was Pathologisches, so ein bisschen das Merkel-Trauma der AfD; ich weiß nicht. Ich glaube, Angela Merkel und das ständige Angela-Merkel-Bashing fehlen Ihnen. Sie haben anscheinend keine anderen Themen. Das ist auch den Wählern in Schleswig-Holstein aufgefallen. Deswegen hat man Sie aus dem Landtag abgewählt – eine gute Entscheidung. ({1}) Man muss zur Sache selbst natürlich sagen: Ich finde schon, dass man über die Amtsausstattung reden kann. Und ich will für unsere Fraktion sagen: Wir finden, gegenwärtig ist die Amtsausstattung der Bundeskanzlerin a. D. Angela Merkel, die Sie problematisieren, angemessen. ({2}) Angela Merkel hat – das sage ich gerade auch als Vorsitzender der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern – viel erreicht für unser Land, ({3}) und dafür sind wir Angela Merkel dankbar. ({4}) Ich sage aber abstrakt und auch jenseits von Angela Merkel: Es gibt Reformbedarf bei der Amtsausstattung ehemaliger Bundeskanzler. Unsere Kollegen im Haushaltsausschuss haben das immer wieder problematisiert, werden das auch jetzt problematisieren und Anträge dazu stellen. Ich finde, insbesondere bei der Kontrolle der Mitarbeiter der Bundeskanzler a. D. muss man genauer hinschauen. Denn richtig ist: Diese Mitarbeiter sind nicht persönliche Mitarbeiter der Bundeskanzler a. D., sondern sie sind Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes. Das ist in der Kontrollverantwortung des Bundestages. Da werden wir hinschauen, und unsere Kollegen im Haushaltsausschuss werden das auch problematisieren. ({5}) Ich sage Ihnen aber schon: Wenn man über die Amtsausstattung der Bundeskanzler a. D. redet, dann müssen wir dieser Tage natürlich auch über Gerhard Schröder reden. ({6}) Es spricht doch Bände, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die SPD drückt und hier noch dafür applaudiert, dass ihr Redner seine Rede zu Protokoll gegeben hat. Dass Sie zu diesem Thema nichts zu sagen haben, das ist auch ein Offenbarungseid. ({7}) Ich will ganz offen sagen: Mit Blick auf Gerhard Schröder gibt es problematischere Fragen als die Amtsausstattung. Darüber werden wir reden. Unsere Fraktion wird dazu Anträge stellen. Dann können Sie sich auch dazu verhalten. Ich finde aber, wenn man die Causa Gerhard Schröder auflösen will, dann muss man darüber hinausgehen. Es gibt – konkret berechtigt aus meiner Sicht – die Erwartung, dass wir darüber reden, für Herrn Schröder und seine Tätigkeit für russische Konzerne öffentlich-rechtlich ein Tätigkeitsverbot zu verhängen. Kollegen aus unserer Fraktion um Thomas Heilmann haben dafür Vorschläge erarbeitet. Das ist ein Thema, bei dem auch Sie Farbe bekennen müssen, und ich hoffe, diese Rede geht dann nicht zu Protokoll. ({8}) Wir finden, der Fokus dieser Diskussion, der richtet sich nicht auf Angela Merkel, der gilt Gerhard Schröder, und da werden wir dranbleiben. Den Gesetzentwurf der AfD lehnen wir ab. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Amthor. – Nächster Redner ist der Kollege Bruno Hönel, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die AfD nichts von unserer Demokratie und ihren höchsten Vertreterinnen und Vertretern hält, das wissen wir ja jetzt schon seit Langem. Dummerweise für die AfD leben wir aber in einem funktionierenden Rechtsstaat mit freien Wahlen. Übrigens – der Kollege Amthor hat es angesprochen; ich komme aus Schleswig-Holstein –, herzliche Grüße aus dem echten Norden, wo man ja bekanntlich am zufriedensten und auch besonders stabil gegen rechts ist! Das ist gut so. Auf den echten Norden kann man setzen, nicht wahr, Herr Kubicki? ({0}) Bekanntermaßen ist es ja so, dass Bundeskanzler/-innen irgendwann abgewählt werden, manche sogar selbstbestimmt aufhören, nach ihrer Abwahl aber natürlich immer noch ein Stück weit unser Land repräsentieren, und dafür brauchen sie natürlich eine angemessene Amtsausstattung. Ich glaube, darin sind wir uns hier einig; das ist klar. ({1}) Bevor ich inhaltlich auf Ihren Gesetzentwurf eingehe: Es ist ja nicht so, als hätte die AfD unser Hohes Haus bislang mit besonders vielen klugen Debattenbeiträgen bereichert oder auch nur irgendetwas für die Menschen in Deutschland getan oder zustande gebracht. ({2}) Dass die parlamentarische Faulheit der AfD aber so weit geht, dass sie Anträge von anderen Parteien mehr oder weniger schlecht kopiert und dann als ihre eigenen ausgibt, ({3}) das hat mich dann doch etwas überrascht. Ich kann Sie aber beruhigen: Längst haben sich die demokratischen Parteien in diesem Haus des Themas angenommen. ({4}) Und ja, selbstverständlich haben die indiskutablen und unsäglichen Verquickungen des Altkanzlers Schröder mit russischen Energiekonzernen und mit dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin dieses Ansinnen noch einmal untermauert. Von daher wird die Frage der Amtsausstattung natürlich auf der Fachebene diskutiert, also da, wo sie hingehört, im Haushaltsausschuss; da sitze ich drin. Von Ihnen da rechts habe ich dazu überhaupt nichts gehört, keinen Mucks, keinen sachlichen Debattenbeitrag. ({5}) Sie wollen hier lieber Schaufensterdebatten führen. So ist es doch! ({6}) Sie demonstrieren damit eben auch einmal mehr Ihre Verachtung für die demokratischen Institutionen, Ihre Verachtung für den Deutschen Bundestag, ({7}) für die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Bevölkerung. Damit wir uns nicht falsch verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD: ({8}) Kopieren Sie gerne weiter Anträge der Grünen und auch aller anderen demokratischen Fraktionen. Ich kann verstehen, dass Sie von Ihren wirren Thesen langsam selbst die Nase voll haben; das ist bei uns allen so. Von daher können Sie von all den Anträgen der demokratischen Fraktionen, die Sie kopieren, nur profitieren. Das ist Ihrer Arbeit zuträglich. ({9}) Nun aber zum eigentlichen Punkt, worum es hier wirklich geht. Wie gesagt, die Demokratieverachtung der AfD ist hinlänglich bekannt. Vor allem unsere ehemalige Bundeskanzlerin, Frau Merkel, wird von vielen der hier anwesenden Rechtsnationalisten und ihren Anhängerinnen und Anhängern aus vollem Herzen gehasst.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der AfD?

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, auf keinen Fall. ({0}) Nie werden Sie verzeihen können, dass die CDU durch Merkel einen Teil ihres Wertekompasses wiedergefunden hat und dass auch die CDU begriffen hat, dass Deutschland ein weltoffenes Einwanderungsland ist, auf das die Menschen in Deutschland im Übrigen stolz sind; das sagt die Demoskopie. Frau Merkel ist nun nicht mehr unsere Bundeskanzlerin; doch selbst jetzt kann die AfD in ihrem Merkel-Hass nicht ruhen. Wenn man sich den vorliegenden Gesetzentwurf genau durchliest – auch die Begründung –, dann wird klar, dass er eben nicht aus den Diskussionen um die Schröder’sche Russlandverfehlungen gespeist ist. Die Frage, ob jemand, der selbst einen Angriffskrieg nicht als Grund sieht, mit alten Bünden zu brechen, noch weiter aus öffentlichen Mitteln finanziert werden soll, interessiert die AfD eben überhaupt nicht. Kein Wunder! Keine andere Partei steht so geschlossen hinter dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin wie die AfD. ({1}) Selbst dokumentierte Tötungen von Zivilistinnen und Zivilisten, Verschleppungen und Vergewaltigungen sind für Sie kein Problem. Sie entlarven sich immer wieder selbst hier im Deutschen Bundestag. ({2}) Und weil das so ist, haben Sie letzten Sonntag in Schleswig-Holstein Ihren eigenen Niedergang eingeläutet. Glauben Sie mir: Niemand wird Ihnen eine Träne nachweinen – nicht in Schleswig-Holstein, auch nicht hier – und auch Ihrem Gesetzentwurf natürlich nicht, den wir selbstredend ablehnen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stattdessen werden wir uns fachlich und sachlich mit diesen Fragen dort beschäftigen, wo es hingehört, und zu guten gemeinsamen Beschlüssen kommen. Dafür brauchen wir Sie schon gar nicht. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hönel. – Ich gestatte eine Kurzintervention der AfD-Fraktion durch den Kollegen Brandner. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eine kurze Kurzintervention. – Herr Kollege Hönel, Schleswig-Holstein war bitter für uns. Aber schöne Grüße aus dem Saarland soll ich Ihnen auch ausrichten. Fragen Sie mal Ihre Kollegen, wie es denen da geht. ({0}) Ich bin ja aus Thüringen, und da haben wir eigentlich nur Mitleid mit den Grünen, gerade in Gera, wo ich herkomme und Sie, glaube ich, 3 Prozent oder so was erreicht haben. Da können Sie weiterwirken und machen, was Sie wollen. Ich habe aber eine Frage; ich wollte eine Zwischenfrage stellen. Meine Frage war eigentlich: Sie sind darauf so herumgeritten, wir hätten irgendwelche Anträge abgeschrieben. Können Sie mir mal im Zusammenhang vielleicht nur ein, zwei Sätze aus dem Gesetzentwurf zitieren, den wir jetzt hier zu dieser späten Stunde debattieren, die wir irgendwo abgeschrieben haben sollen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie können antworten, müssen aber nicht, Herr Kollege Hönel.

Bruno Hönel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005086, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann das ganz kurz machen, sehr geehrter Herr Präsident. – Sie müssen Ihren Gesetzentwurf auch mal selbst lesen, Herr Brandner, und Sie wissen doch sehr gut, wo Sie sich da bedient haben. ({0}) – Der Kollege Hahn hat es gerade richtigerweise reingeschrien: Das fußt auf einem Antrag der Grünen vor einiger Zeit. – Aber ich habe es ja bereits ausgeführt: Es ist Ihrer Arbeit nur zuträglich, wenn Sie von den demokratischen Fraktionen Ideen übernehmen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit ist das auch geklärt. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klare und transparente Regelungen für die Amtsausstattung ehemaliger Bundespräsidenten, Bundestagspräsidentinnen und Bundestagspräsidenten sowie Bundeskanzler/-innen sind kein neues Thema, sondern werden seit Jahren diskutiert, und das völlig zu Recht. Natürlich sollen frühere Spitzenpolitiker angemessen leben können. Sie sollen auch in der Lage sein, bestimmte Aufgaben nach dem Ausscheiden aus dem Amt, wie die Weiterführung von Schirmherrschaften, die Beantwortung von Bürgeranfragen oder repräsentative Aufgaben im Auftrag des Bundes, wahrzunehmen. Und natürlich muss auch für ihre Sicherheit Sorge getragen werden. Dafür bekommen sie Büros, Personal und Dienstwagen gestellt. Aber was ist das rechte Maß? Im Prüfbericht des Bundesrechnungshofes von 2018 an den Haushaltsausschuss wurde moniert, dass sich bei ehemaligen führenden Repräsentanten ein Automatismus lebenslanger Vollausstattung entwickelt habe und sich die Ausstattung nicht an den Grundsätzen von Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit orientiere. Ihre vom Staat bezahlten Büros erledigten für sie auch private Angelegenheiten. Unter den Reiseanlässen erfasste der Bundesrechnungshof auch Geburtstage von Bekannten und Ehefrauen, Aufenthalte in Freizeitparks. Wegen der begleitenden Mitarbeiter kamen da auch sehr schnell mehrere Tausend Euro zusammen. Frau Merkel ist angesprochen worden. Die ansonsten sehr bescheiden wirkende Frau Merkel hat eine Büroausstattung zugebilligt bekommen, die kaum nachvollziehbar ist, und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bundesrechnungshof, wenn er das prüft, zu einem anderen Ergebnis kommt. Das ist keine Neiddebatte; das will ich ausdrücklich sagen. Für Die Linke will ich ganz klar abschließend sagen: Ein wenig Bescheidenheit wäre gerade jetzt angebracht – in einer Zeit, in der immer mehr Menschen unter Existenznot leiden, Kinder- wie auch Altersarmut sowie Zukunftssorgen zunehmen und viele notwendige Vorhaben in den Bereichen „Bildung“ und „Infrastruktur“ wegen knapper Kassen nicht umgesetzt werden können.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Hahn, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, deshalb brauchen wir endlich eindeutig gesetzliche Regelungen, mit denen Rechte und Pflichten ehemaliger Spitzen des Staates geregelt und auch der Missbrauch von Steuergeldern unterbunden werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Hahn, bitte.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es geht nicht um Strafmaßnahmen gegen einzelne Ex-Kanzler. Wir brauchen Regeln, die befristet sind und für alle gleichermaßen gelten. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Der Kollege Stephan Thomae, FDP-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben. ({0}) Damit schließe ich die Aussprache.

Katja Hessel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004750

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verzinsung von Steuernachzahlungen und ‑erstattungen nach § 233a Abgabenordnung wurde bereits mit dem Steuerreformgesetz 1990 eingeführt. Hierbei hielt der Gesetzgeber an dem seit Jahrzehnten geltenden Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat fest. Dieser fand einheitlich für Nachzahlungs- wie auch für Erstattungszinsen Anwendung. Ziel der Vollverzinsung ist es, einen Ausgleich für die durch eine spätere Steuerfestsetzung verbundenen Vor- und Nachteile zu schaffen. Sie dient somit unter anderem auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 die Verfassungsmäßigkeit der Regelung über die Vollverzinsung grundsätzlich bestätigt. Es hat aber festgestellt, dass der Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat spätestens seit 2014 an das allgemeine Zinsniveau hätte angepasst werden müssen. Das Gericht ordnete allerdings für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 eine Weitergeltung der bestehenden Regelung an. Für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 hat es den Gesetzgeber jedoch verpflichtet, rückwirkend an das aktuelle Zinsniveau anzupassen. Dieses muss bis zum 31. Juli 2022 erfolgen. Außerdem soll gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber die Höhe des jeweiligen Zinssatzes regelmäßig überprüft. Die Bundesregierung hat zur Umsetzung dieser Entscheidung am 30. März 2022 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung beschlossen. Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass der Zinssatz der Vollverzinsung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 erheblich abgesenkt und auf das aktuelle Zinsniveau angepasst wird. ({0}) Hierbei hat die Bundesregierung Wert darauf gelegt, eine für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft, aber auch für die Finanzverwaltung möglichst einfache und rechtssichere Regelung zu schaffen. Es soll wie bisher am Prinzip eines einheitlichen Zinssatzes festgehalten werden; zu Beginn des Jahres ist dieser somit bekannt. Dieser gilt dann für alle Steuerpflichtigen wie auch für die Finanzverwaltung und gibt ihnen Planungssicherheit. Außerdem handelt es sich bei dem Zinssatz auch weiterhin um einen Mischzinssatz. Er gilt somit gleichermaßen für Erstattungs- wie auch für Nachzahlungszinsen. Der neue Zinssatz soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung 0,15 Prozent pro vollem Monat betragen. Er liegt damit in der Mitte zwischen Guthaben- und Darlehenszinsen für Konsumentenkredite und basiert auf von der Bundesbank veröffentlichten Angaben. Durch eine bereits im Gesetz geregelte regelmäßige Evaluation der Höhe des Zinssatzes wird zudem gewährleistet, dass die Anpassung an ein geändertes Zinsniveau vom Gesetzgeber zeitnah vorgenommen werden könnte. Es kann dann nicht mehr passieren, dass der Zinssatz über Jahrzehnte unverändert bleibt, ohne dass dies auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht. Der neue Zinssatz gilt bereits für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019. Bei dieser rückwirkenden Neuregelung wird jedoch gewährleistet, dass es, bezogen auf bereits festgesetzte Erstattungszinsen, nicht zu einer Schlechterstellung für die Steuerpflichtigen kommt. Der Regierungsentwurf enthält hierzu eine entsprechende Vertrauensschutzregelung. Das Gesetzgebungsverfahren muss nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bis Ende Juli 2022 abgeschlossen sein. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um Unterstützung für dieses wichtige Steuervorhaben für Steuerpflichtige. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. ({0}) – Der Kollege Brehm kann seine Rede auch auswendig. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir zu später Stunde über die Abgabenordnung sprechen, sage ich immer den Satz: Die Abgabenordnung ist die stille Erotik des deutschen Steuerrechts. ({0}) – Ja, das kommt ins Protokoll, selbstverständlich. – Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung. Um was geht es konkret? Es geht um den Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 8. Juli 2021 und um die Vollverzinsung nach § 233a Abgabenordnung – die Frau Kollegin Hessel hat es vorgestellt –, also um Zinsen für Steuernachzahlungen und Steuererstattungen. Der Zinssatz betrug 0,5 Prozent pro Monat. Wir hatten in der letzten Periode mehrmals versucht, ihn anzupassen. Das ist leider immer an den Kolleginnen und Kollegen der SPD gescheitert. Nun hat das Bundesverfassungsgericht den Zinssatz schon ab 2014 für verfassungswidrig erklärt, bis zum Veranlagungszeitraum 2018 das aber so belassen und ab 2019 die Zinsen ausgesetzt. Es werden derzeit keine Zinsen mehr erhoben. Nun legen Sie diesen Gesetzentwurf vor. Wir haben dazu am Montag eine Anhörung. Ich glaube, hier sind zwei wesentliche Punkte zu diskutieren: Erstens: die Frage der Grundlage der Berechnung der Zinsen. Sie nehmen den Marktzinssatz und den Zinssatz der Konsumentenkredite, also minus 0,88 Prozent, und schlagen 2,7 Prozent drauf. Genau diese Berechnung mit den Konsumentenkrediten hat das Bundesverfassungsgericht schon in seinem Beschluss für verfassungsmäßig bedenklich gehalten. Insofern muss man da noch mal nachbessern, nicht dass wieder eine Klage kommt und dieses Gesetz am Ende wieder gekippt wird. ({1}) Wenn wir schon bei der Berechnung des Zinssatzes sind, muss ich sagen: Der Zinssatz ist trotzdem zu hoch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Bundesratsinitiativen aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, ({2}) die besagen: Wenn wir schon beim Zinssatz sind, dann setzen wir ihn doch gleich auf null, und zwar aus dem Grund, dass die Kosten für die Erhebung der Zinsen – zu jedem Einkommensteuerbescheid muss ein Zinsbescheid erlassen werden; dazu kommen die IT-Kosten für die Umstellung; alle drei Jahre wollen Sie den Satz ja anpassen – höher sind als die Einnahmen aus den Zinsen in den jeweiligen Ländern. Insofern könnten Sie einen Beitrag zur Bürokratievereinfachung leisten und die Zinsen einfach auf null setzen. Wir würden sogar den Antrag stellen, die Zinsen ganz abzuschaffen. ({3}) Zweitens. Wenn Sie an die Zinssätze herangehen, dann müssen Sie die anderen Zinssätze im Steuerrecht ebenfalls anpacken. Da gibt es Stundungszinsen, Prozesszinsen, aber auch die Abzinsung von Forderungen, die Abzinsung von Pensionsrückstellungen. Sie müssen also an alle Zinsen herangehen. Das werden wir in der Anhörung besprechen. Ich freue mich auf die Beratungen. Aber das sind, glaube ich, die zwei wesentlichen Punkte, die wir besprechen müssen. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Bei den Beratungen erklären Sie uns dann, was die laute Erotik des Steuerrechts ist. Dazu fehlt mir gerade die Fantasie. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Heselhaus, SPD-Fraktion. ({1})

Nadine Heselhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005084, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie haben ihre Steuererklärung pünktlich abgegeben und erwarten eine hohe Erstattung; doch die Festsetzung lässt sehr lange auf sich warten. Beträgt der Zeitraum zwischen Steuerentstehung und Festsetzung mehr als 15 Monate, wird der Erstattungsbetrag für darüber hinausgehende Monate verzinst. Selbiges gilt auch für eine Steuernachzahlung. Die Coronapandemie hat neben Steuerberaterinnen und Steuerberatern auch den Steuerpflichtigen Mehrarbeit abverlangt. Deshalb hat der Gesetzgeber die Frist für die Abgabe der Steuererklärung verlängert, auch mit Auswirkung auf die eben benannte zinsfreie Karenzzeit. Sie verlängerte sich ebenfalls. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere dafür, ob die Steuerpflichtigen oder das Finanzamt hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich. Die Zinsen gleichen nicht gerechtfertigte Liquiditätsvorteile und ‑nachteile wieder aus. Anderenfalls entstünde eine ungleiche Behandlung durch den unterschiedlichen Zeitpunkt der Steuerfestsetzung. Das Verfahren schafft also Gerechtigkeit. Darum halten wir daran fest. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat die Verzinsung von Steuererstattungen und Nachzahlungen nach einer Karenzzeit auch im Grundsatz bestätigt. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr entschieden, dass die Höhe dieser Verzinsung bis Juli 2022 mit einer Rückwirkung zum 1. Januar 2019 neu geregelt werden muss. Es hat allerdings in seinem Urteil nicht konkret vorgegeben, wie hoch dieser Zinssatz sein soll. Bereits seit 60 Jahren liegt der Zinssatz bei 6 Prozent pro Jahr. ({1}) Auch in Hochzinsphasen wurde keine Anpassung des Zinssatzes vorgenommen. Da die Niedrigzinsphase bereits lange anhält und die Zinsen inzwischen sogar im Minus liegen, ist eine realitätsnahe Anpassung durchaus erforderlich. Wie muss er jetzt also aussehen, der neue gerechte Zinssatz? Es sind grundsätzlich verschiedene Varianten denkbar, zum Beispiel ein sich automatisch dem Marktgeschehen anpassender Zinssatz. Hierzu könnte der Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank um einen festgelegten Wert erhöht werden. Doch wie würden sich mögliche unterjährige Anpassungen auf das Vertrauen in den Zinssatz ({2}) oder die Umsetzbarkeit in den Finanzämtern auswirken? Die Bundesregierung hat einen Entwurf vorgelegt, der rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 einen fixen Zinssatz von 1,8 Prozent pro Jahr vorsieht. Dabei handelt es sich um einen Mischzinssatz zwischen Guthabenzinsen und Verzugszinsen. Das ist auch logisch; denn es handelt sich ja um einen gemeinsamen Zinssatz sowohl für Nachzahlungen als auch für Erstattungen. Dieser Zinssatz soll regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Für uns steht dabei fest, dass ein schlüssig und transparent berechneter Zinssatz zur Akzeptanz bei den Steuerpflichtigen führt. Zu diesem Entwurf werden wir in der öffentlichen Anhörung am kommenden Montag mit Sachverständigen die offenen Fragen klären und den Zinssatz dann auch schnell anpassen. Danke. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner erhält der Kollege Stephan Brandner das Wort. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das eben von der „leisen Erotik des Steuerrechts“ hörte, da konnte ich nicht an mich halten und musste einfach zum Rednerpult eilen und Ihnen heute Abend mal zeigen, was die „laute Erotik des Steuerrechts“ ist. Zum Gesetzentwurf, meine Damen und Herren. Als Sparer, wenn man angesichts der explodierenden Preise und der Inflation heute überhaupt noch sparen kann, kann man sich wohl kaum daran erinnern, dass es mal so etwas wie positive Zinsen gab. Seit 2008 sind sie ungefähr bei null oder sogar unter null, was in der Geschichte des Geldes in den letzten 2 000 oder 3 000 Jahren einzigartig sein dürfte. Ganz anders bei den Finanzbehörden in Deutschland. Hier beträgt die Höhe der Zinsen für Steuernachzahlungen und ‑erstattungen saftige 6 Prozent pro Jahr. Bei einer Erstattung profitiert davon manchmal, aber auch nur sehr selten der einzelne Steuerzahler, was allerdings wieder aus Steuergeldern finanziert wird. Bei Nachzahlungen, was ganz häufig der Fall ist, profitiert der Staat von diesem Märchenzins. Allein 2017 kamen so verfassungswidrig rund 367 Millionen Euro zusammen, insgesamt also Milliarden, die dem Steuerzahler in den letzten Jahren verfassungswidrig abgepresst wurden. Damit ist nun endlich Schluss. ({0}) – Es geht auch mal ohne Aufforderung. Klasse! – Am 8. Juli 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht die gänzlich realitätsferne Zinshöhe für verfassungswidrig. Aber – Sie ahnen es –: Wir von der Alternative für Deutschland wussten es schon lange vorher, und Sie alle von den Altfraktionen haben es ignoriert. Zur Geschichte. Bereits im November 2018, also vor dreieinhalb Jahren, versuchten wir, mit einem Gesetzentwurf die Ausplünderung der Steuerzahler durch Wucherzinsen der Finanzverwaltung zu stoppen, Drucksache 19/5491. Schon im Jahr zuvor, nämlich im April 2017, also vor fünf Jahren, hatte – man höre und staune – die Thüringer Landtagsfraktion der AfD den Antrag „Für eine angemessene Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen“ in den Landtag eingebracht. Beide Initiativen wurden – Sie ahnen es – jeweils von allen Altparteien abgelehnt. Sie stellten blöde Ideologie über Verfassungsrecht – zulasten der Steuerzahler. ({1}) So sind Sie nun mal, Sie von den Altparteien. Einmal mehr also können wir sagen: Hätten Sie auf uns von der AfD gehört, hätten wir heute diese Nachtschicht nicht, jedenfalls nicht zu diesem Thema, und Sie die Probleme nicht und der Steuerbürger hätte seit vielen Jahren mehr Geld in der Tasche. Jetzt kann man sagen: Gut, aus Schaden wird man klug. Sie haben gelernt. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. – Der ist allerdings wieder falsch, orientierten Sie sich da besser an unserem Gesetzentwurf. Sie wollen wieder einen fixen Zinssatz ins Gesetz schreiben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder mal, wahrscheinlich gegen Mitternacht, hier stehen, darüber debattieren und ich Ihnen sagen kann: Hätten Sie mal auf die AfD gehört. ({2}) Aber Sie können es noch verbessern; denn wir überweisen den Gesetzentwurf heute ja nur in den Ausschuss, und im Ausschuss können Sie sich dann intensiv mit unserem Gesetzentwurf auseinandersetzen. Im Ausschuss bin dann auch nicht ich Mitglied, sondern der Kollege Klaus Stöber.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich glaube, der wird Ihnen die Vorteile unseres Gesetzentwurfes ganz genau erklären. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen guten Abend von meiner Seite! – Der nächste Redner in der Debatte: Sascha Müller, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sascha Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005162, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung legt heute einen Gesetzentwurf zur Änderung der Verzinsung nach § 233a der Abgabenordnung vor. Damit kommen wir dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Beschluss vom Juli des letzten Jahres nach – einem Beschluss, den wir als Grüne, letztes Jahr bekanntlich noch in der Opposition, begrüßt haben. Seit Jahrzehnten war der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von 6 Prozent nicht mehr angepasst worden, was natürlich schon längst hätte geschehen müssen. ({0}) Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein Zinssatz in Höhe von 1,8 Prozent pro Jahr bzw. von 0,15 Prozent pro Monat festgesetzt, und zwar rückwirkend ab 2019. Was aber viel wichtiger ist: Der in dem Gesetz vorgesehene Zinssatz soll nun alle drei Jahre evaluiert werden. Letzteres ist eine sinnvolle Herangehensweise, und es ist aus unserer Sicht auch besser als eine automatische Kopplung an den Basiszinssatz oder an andere Kriterien, was sich schon aus Praktikabilitätsgründen verbietet. Wenn jetzt gesagt wird, dass wir uns doch gleich auch andere Zinstatbestände anschauen könnten, so sei darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht sich in seinem Beschluss eben nur explizit auf die Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung bezogen hat. Bei anderen Zinstatbeständen gelten andere Voraussetzungen, und sie müssen deshalb getrennt vom Beschluss betrachtet werden. ({1}) Haushalterisch macht sich die Absenkung des Zinssatzes in diesem Gesetz natürlich bemerkbar, ab dem kommenden Jahr aber nur in geringem Maße. Die für dieses Jahr kalkulierten Mindereinnahmen von insgesamt 2,5 Milliarden Euro sind zu einem großen Teil der rückwirkenden Anwendung ab 2019 zuzuschreiben, beruhen also auf einem Einmaleffekt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage. Wir freuen uns auf die Anhörung und die weitere Beratung im Ausschuss. Für heute Abend schenke ich Ihnen angesichts der späten Stunde die restliche Redezeit. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Vielen Dank für die Großzügigkeit, uns zwei Minuten Ihrer Redezeit zu schenken. – Der nächste Redner, Christian Görke von der Linken, gibt seine Rede zu Protokoll. ({0}) Hier am Rednerpult spricht nun als Nächster Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann fast fragen: Was kann es Schöneres geben, als abends noch über die Abgabenordnung zu diskutieren? ({0}) Die Vollverzinsung hat ihren Sinn. Sie soll einen Ausgleich schaffen bei potenziellen Liquiditätsvorteilen oder ‑nachteilen, die dadurch entstehen, dass die Steuerzahlung zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig ist. Dabei sollte es keine unangemessenen Vorteile geben. Wichtig ist dabei, dass wir einen sogenannten realitätsgerechten Zinssatz haben; der Kollege Brehm hat zur Bewertung ja schon einiges gesagt. Ich bedauere, dass es notwendig war, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass wir was ändern müssen. Denn wir als Unionsfraktion haben schon mehrere Anträge eingebracht und entsprechende Diskussionen geführt, aber unser damaliger Koalitionspartner war leider nicht bereit, darauf einzugehen. ({1}) Es war eindeutig und klar – das Bundesverfassungsgericht hat es ja nun auch gesagt –: Die 6 Prozent Zinsen, die ja seit über 50 Jahren bestehen, sind absolut realitätsfern. Folglich ist es gut, dass wir jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen haben. Wir verstehen unsere Aufgabe als Opposition ja so, dass wir konstruktiv auf Probleme hinweisen. ({2}) Ich muss Ihnen wirklich sagen: Den Zinssatz mit 1,8 Prozent zu berechnen, wie Sie es tun, ist hoch problematisch. Sie nehmen als Referenzwert nämlich die Konsumentenkredite, was das Bundesverfassungsgericht als höchst zweifelhaft angesehen hat. ({3}) Daher verstehe ich nicht, dass die Bundesregierung genau diesen Wert nimmt. Das gilt insbesondere, wenn man doch weiß, dass die meisten Zinstatbestände bei Unternehmen nach Betriebsprüfungen verwirklicht werden. Insofern wären die Unternehmenskreditzinsen wahrscheinlich ein besserer Maßstab als dieser. Ich sehe die große Gefahr, dass es wieder massenhaft Einsprüche gibt und dass wir wieder in Karlsruhe landen. Angesichts dessen müssen Sie hier entscheidend nachbessern, zumindest jedenfalls in der Begründung. So sind die 1,8 Prozent Zinsen meines Erachtens nicht nachvollziehbar. ({4}) Ich möchte aufgrund der Kürze meiner Redezeit noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir sollten diesen Gesetzentwurf dazu nutzen, darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, dass wir hier wieder die Symmetrie zwischen Nachzahlungs- und Erstattungszinsen herstellen. Sie wissen vielleicht, dass man gezahlte Nachzahlungszinsen nicht als Betriebsausgaben geltend machen kann, dass aber ausgezahlte Erstattungszinsen steuerpflichtig sind. Das kann man keinem erklären. Ich habe auch noch nie herausgefunden, warum das so ist. Diese Asymmetrie könnten wir in diesem Gesetz vielleicht beseitigen. Für die Ampelkoalition wäre es vielleicht klug, den Gesetzentwurf dahin gehend zu verbessern. Aber wichtig wäre, dass wir bei Steuernachforderungen und ‑erstattungen einen Zinssatz bekommen, der weit unter 1,8 Prozent liegt. Wenn das der Fall ist, dann ist der Aufwand für die Erhebung des Zinssatzes unverhältnismäßig hoch im Vergleich zum Ertrag für den Staat. Von daher sind die 0 Prozent Zinsen, wie es der Kollege Brehm schon angesprochen hat, ein kluger Vorschlag. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Marco Buschmann (Minister:in)

Politiker ID: 11004023

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Digitalisierung des Rechtswesens“, „Digitalisierung des Gesellschaftsrechts“, das klingt alles wahnsinnig abstrakt, das klingt nach lebensfernen Angelegenheiten; aber genau das Gegenteil ist der Fall. Es geht in dieser Legislaturperiode bei diesen Stichworten um den Zugang zum Recht. Es geht darum, den Menschen ihre Rechte einfacher zur Verfügung zu stellen, viele rechtsförmige Verfahren zu verbessern, und zwar – das ist mir ganz wichtig – ohne dass Substanz und Qualität des Rechts darunter leiden. ({0}) – Vielen Dank. Wenn wir zum Beispiel ein zivilgerichtliches Onlineverfahren für kleine Forderungen einführen, dann sorgt das ganz praktisch dafür, dass man kleine Forderungen eben leichter und schneller durchsetzen kann. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Wir haben gerade einen Entwurf zur Ausweitung von Onlinebeurkundungsverfahren und Onlinebeglaubigungen im Handels- und Gesellschaftsrecht vorgelegt. Das macht demnächst zum Beispiel Onlinegründungen von Gesellschaften, auch bei Sachgründungen, leichter. Das ist nichts Abstraktes, sondern es führt ganz konkret dazu, dass wir Gründern und Start-ups das Leben leichter machen, ({1}) und das ist ja eine gute Sache. In diese Reihe gehört auch das, was wir heute beraten, nämlich einen weiteren Schritt zur dauerhaften Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Wir wollen nämlich die Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung als dauerhafte Regelung im Aktienrecht verankern. Auch das heißt erst mal etwas ganz Praktisches. Das bedeutet nämlich, dass zum Beispiel Aktionäre, die in Hamburg wohnen, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen wollen, nicht nach München reisen müssen, wo sonst die Hauptversammlung stattgefunden hätte. Eine solche Reise ist ein relativ großer Aufwand. In der Pandemie gab es dabei quasi als Notnagel eine provisorische Lösung; das ging unter den Umständen auch nicht anders, weil die Hauptversammlung improvisiert war. Aber in der Praxis der Pandemie haben wir gelernt, dass dieses Format sehr gut angenommen worden ist. Die Zahl der Anfragen hat sich sogar erhöht. Das Niveau der Antworten auf die Fragen ist besser geworden; die Teilnehmerzahlen sind gestiegen. Das sind ganz positive Erfahrungen, und deshalb wollen wir dieses Pandemieprovisorium jetzt auch auf ein dauerhaftes Fundament stellen. ({2}) Aber zur Wahrheit gehört dazu – nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ –: Es gab bei dem Pandemieprovisorium eine ganze Reihe von Kompromissen – das muss man so ehrlich sagen – zulasten der Aktionärsrechte. Wenn wir vom Provisorium zu einem dauerhaften Fundament kommen wollen, dann müssen die Aktionärsrechte bei der dauerhaften Lösung uneingeschränkt erhalten werden. ({3}) Deshalb stärkt unser Entwurf die Aktionärsdemokratie gegenüber dem Provisorium. Mehr noch – das möchte ich sagen –: Wir gehen sogar einen weiteren Schritt: Wir stärken die Aktionärsdemokratie; denn im virtuellen Format wird es auch Regeln geben, um die Information und die Auskunft durch den Vorstand, die Meinungsbildung, die Stellungnahmen vorzuverlagern – vor die eigentliche Hauptversammlung. Das ist auch im Sinne der Aktionäre, weil dann eine dynamischere und bessere Debatte möglich ist. Das möchte ich an dieser Stelle auch sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil es gelegentlich Kritik gibt: Aktionäre, das sind keine Bittsteller; das sind die Eigentümer eines Unternehmens. ({4}) Das sind auch nicht nur irgendwelche reiche Menschen, sondern immer mehr junge Menschen sparen mit Aktien, mit Fondsanteilen, um etwas für ihre Altersvorsorge zu tun. Insofern möchte ich mit dem Gedanken schließen: Wenn ein Fortschritt den Alltag vieler Menschen erleichtert, wenn er es ihnen erleichtert, ihre Rechte wahrzunehmen, dann sollten wir diesen Schritt tun. Deshalb werbe ich für die vorliegende Novelle zum Aktiengesetz. Herzlichen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort Dr. Martin Plum, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Plum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich 18 Jahre alt wurde, herrschte in Deutschland Euphorie, nicht etwa, weil der Junge aus Dülken endlich volljährig war, sondern weil die T‑Aktie gerade durch die Decke ging. So entschloss auch ich mich, einige wenige Aktien eines deutschen DAX-Konzerns zu kaufen. Statt des erhofften Gewinns brachten die aber erst mal nur Verluste, und so entschied ich mich, die Aktien zu halten. Seitdem trudelte Jahr für Jahr die Einladung zur Hauptversammlung bei mir ein. Hingefahren bin ich nie; zu teuer, zu umständlich wäre das aus meiner Heimat im Kreis Viersen gewesen. ({0}) So wie mir wird es vielen Kleinanlegern gegangen sein, bis im Jahr 2020 im Zuge der Coronapandemie virtuelle Hauptversammlungen erstmals ermöglicht wurden. Ich stimme dem Bundesjustizminister ausdrücklich zu: Man kann heute sagen: Dieser Schritt hat sich bewährt. Die Teilnahme ist für alle Beteiligten leichter. Sie sparen Zeit und Geld, und die Qualität der Antworten auf die Aktionärsfragen ist genauso gestiegen wie die Anzahl der Aktionärsfragen. Deswegen ist es vollkommen richtig und vor allem auch zeitgemäß, aus der pandemiebedingten Sonder- eine Dauerregel zu machen. Dabei müssen wir aber einerseits beachten, dass virtuelle Hauptversammlungen eine andere Dynamik als Präsenzhauptversammlungen haben und mit anderen technischen und organisatorischen Herausforderungen verbunden sind. Andererseits rechtfertigen aber gerade diese Unterschiede nicht, aus ihnen Hauptversammlungen zweiter Klasse zu machen. Umso verwunderter musste man sich Anfang des Jahres beim Blick in den Referentenentwurf die Augen reiben. Von der im Koalitionsvertrag und auch gerade angekündigten uneingeschränkten Wahrung von Aktionärsrechten war der noch meilenweit entfernt. Die Kritik war deshalb zu Recht groß, und die Nachbesserungen waren es zum Glück auch. Der Regierungsentwurf hat deutlich dazugelernt: Reden können die Aktionäre jetzt auch ohne Voranmeldung. Gegenanträge und Nachfragen sind auch spontan möglich, und Fragen zu aktuellen Themen sind erlaubt. Es bleiben aber noch viele offene Fragen: Sollen die Aktionäre die Entscheidung über das Format der Hauptverhandlung wirklich für fünf Jahre aus der Hand geben können? Braucht es da nicht zumindest ein Minderheitenquorum zur Einberufung einer Präsenzhauptversammlung? Sind zwei Tage für Aktionäre wirklich ausreichend, um zum Vorstandsbericht schriftlich Stellung zu nehmen? Reicht umgekehrt ein Tag für die Unternehmen, um auf möglicherweise teils Hunderte Aktionärsfragen zu antworten? Wie können die Teilnehmer rechtssicher identifiziert werden? Wie muss der virtuelle Meldetisch konkret ausgestaltet werden? Und welche Rechte hat der Versammlungsleiter, wenn gleichzeitig mehrere Hundert Wortmeldungen eingehen? Auf all diese Fragen müssen wir in den kommenden Wochen praktikable und rechtssichere Antworten geben; denn diese Antworten werden letztlich darüber entscheiden, ob virtuelle Hauptversammlungen, wie die schon heute möglichen Hybridhauptversammlungen, ein Schattendasein fristen oder eine echte Alternative zu Präsenzhauptversammlungen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronapandemie hat uns deutlich gezeigt: Hybride und virtuelle Versammlungen können im Aktienrecht, aber auch weit darüber hinaus eine echte Alternative sein. Sorgen wir gemeinsam in den nächsten Wochen dafür, dass sie es auch in Zukunft bleiben! ({1})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner ist Esra Limbacher, SPD-Fraktion. ({0})

Esra Limbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005131, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Titel unseres Koalitionsvertrages lautet: „Mehr Fortschritt wagen“, und dafür steht diese Koalition. Das Gesetzesvorhaben, das wir heute Abend hier diskutieren, ist exemplarisch für dieses Motto dieser Koalition. Digitale Hauptversammlungen: Das ist Fortschritt. In Zeiten, in denen selbst Kanzlerkandidaten online gewählt werden, darf die Digitalisierung eben nicht vor dem Aktienrecht haltmachen. Wir setzen das um und bringen die Digitalisierung auch in dieses Rechtsgebiet. ({0}) Seit Beginn der Pandemie können Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften digital stattfinden. Herr Minister, Sie haben es schon erwähnt: Es ist völlig egal, wo man dann an diesem Tag ist, ob man sich im Sauerland befindet oder auf Sylt; man muss nirgendwo von fern abreisen. Diese Regelung wird überall gelten, und man kann von zu Hause aus an den Hauptversammlungen teilnehmen. Diese Regelung wollen wir nun dauerhaft im Aktiengesetz verankern. Anders als bei den pandemiebedingten Sonderregelungen werden wir jetzt sicherstellen, dass die Aktionärsrechte in den virtuellen Hauptversammlungen genauso stark sind wie bei Präsenzveranstaltungen. Als internationaler Wirtschaftsstandort ist dieses Vorhaben für Deutschland ein wichtiger Schritt: für die Digitalisierung, für die Modernisierung unserer Strukturen, für einen starken, zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Vorhaben wollen wir das Aktiengesetz anpassen. Wir wollen es so anpassen, dass künftig neben Präsenzveranstaltungen und hybriden Formaten auch rein virtuelle Versammlungen von Aktionärinnen und Aktionären möglich sind. Das soll für Aktiengesellschaften genauso wie für verwandte Rechtsformen gelten. Wichtig ist bei dieser Gesetzesänderung vor allen Dingen eines: Aktionärsrechte dürfen nicht eingeschränkt werden. – Konkret bedeutet das: Das Auskunftsrecht, das Rederecht, das Antragsrecht, das Stimmrecht und das Recht zum Widerspruch gegen Beschlüsse der Hauptversammlung müssen auf virtuellen Treffen gewährleistet werden. Das haben wir gemeinsam mit unseren Koalitionspartnerinnen und ‑partnern im Koalitionsvertrag festgehalten, und daran werden wir uns auch halten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Weil es derzeit sehr viele Kontaktaufnahmen aus verschiedenen Verbänden gibt, möchte ich an dieser Stelle noch ganz deutlich sagen, dass ich selbstverständlich alle Rückmeldungen, die zu diesem Entwurf gekommen sind, sehr, sehr ernst nehme. Für mich ist aber auch klar, dass Ausgangspunkt für die gesetzliche Anpassung im Aktiengesetz natürlich nicht die pandemiebedingten Sonderregelungen sind, sondern die Regelungen, die wir im Aktiengesetz vor diesen Sonderregelungen hatten, nämlich die für die Präsenzveranstaltungen. Das ist der Ausgangspunkt, woran wir uns orientieren, und es freut mich, dass das BMJ die kritischen Stellungnahmen verschiedener Verbände jetzt ernst genommen und nachjustiert hat im Vergleich zum Referentenentwurf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt sicherlich viele Einzelheiten, die wir heute noch ansprechen könnten. Wir schauen auf die Uhr und wollen vor allen Dingen eines sagen: Wir sorgen mit diesem Vorschlag dafür, dass es kein weiteres Hin und Her mehr gibt. Wir könnten die Sonderregelungen genauso gut auslaufen lassen, aber wir haben uns dazu entschieden, jetzt schnell nachzujustieren und vor der nächsten Hauptversammlungssaison wirklich zu sagen: Wir wollen eine neue Regelung finden, wir wollen eine rechtssichere und praktikable Regelung, und wir wollen eine planbare Grundlage für Gesellschaften und für die Aktionärinnen und Aktionäre schaffen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich noch eine wichtige Anmerkung machen: So wichtig es auch ist, die Aktionärsrechte zu wahren – wir alle haben heute Abend schon mehrfach darauf hingewiesen –: Die Grundlagen für digitale Hauptversammlungen müssen natürlich so gestaltet werden, dass sie praktikabel sind. Was bringen Aktionärinnen und Aktionären starke Rechte auf dem Papier, wenn das Format für Emittenten überhaupt nicht umsetzbar ist? Es ist jetzt unsere Aufgabe hier im Parlament, ein Gleichgewicht zu schaffen. Aktionärsrechte müssen auf jeden Fall gewahrt werden. Gleichzeitig müssen wir die Regelung aber auch so gestalten, dass Hauptversammlungen in der Praxis tatsächlich virtuell stattfinden können. Ich freue mich auf das parlamentarische Verfahren und die anstehenden Verhandlungen. Vielen Dank und einen schönen Abend. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner: Fabian Jacobi, AfD-Fraktion. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Und es begab sich nun also zu der Zeit, die man späterhin „die Große Panik“ nennen sollte, dass die Regierung wie auch dieses Parlament der Meinung waren, es sollten die Menschen ihre Behausung, wenn überhaupt, so allenfalls zum Zwecke der Erwirtschaftung von Steuern verlassen, keinesfalls aber sich zu anderen Zwecken draußen herumtreiben oder gar miteinander versammeln. Und so erließ man Gesetze, welche das Sich-Versammeln untersagten. Da nun aber manche Art von Versammlung für die Erwirtschaftung von Steuern halt doch nötig erschien, so machte man flugs ein weiteres Gesetz, dass entgegen bisherigem Gebrauch solche Versammlungen einstweilen virtuell stattfinden sollten. ({0}) Das galt auch für die Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften. Nun ist die Große Panik – man darf hoffen: endgültig – vorbei, und das Gesetz tritt demnächst außer Kraft. Der zuständige Minister aber ist der Meinung, die Abhaltung von Hauptversammlungen als virtuelle sei eine feine Sache und habe sich in der Zeit der Panik bewährt. ({1}) Er möchte diesen Zustand auf Dauer stellen. ({2}) Das verwundert jetzt nicht, gehört er doch zu einer Partei, die sich selbst als Patronin alles Digitalen verkauft ({3}) und sowieso am liebsten alles digitalisieren möchte, was nicht bei drei auf dem Baum ist. ({4}) Draußen im nichtvirtuellen Leben ist die Begeisterung für diesen Plan nicht ungeteilt. Jedenfalls gibt es dort auch jene, die Kritik daran äußern, wie die Mitwirkungsmöglichkeiten der Aktionäre in der Hauptversammlung durch die Coronagesetze beschnitten worden sind, und demgemäß bestreiten, dass sich die virtuelle Hauptversammlung tatsächlich bewährt habe. Nun hat man sich im Ministerium diese Kritik offenbar in Teilen zu Herzen genommen und an dem ursprünglichen Referentenentwurf noch etliche Änderungen vorgenommen. Ob das ausreicht, um den nun vorliegenden Koalitionsentwurf schon zustimmungsfähig zu machen, dazu wird die geplante Sachverständigenanhörung hoffentlich noch Erkenntnisse beitragen. Beispielhaft möchte ich nur einen Punkt erwähnen, an dem ich meine Zweifel habe. Das ist die vorgesehene Neufassung des § 243 Absatz 3 Aktiengesetz über den Anfechtungsausschluss bei technischen Störungen. Darüber, dass die beiden Sätze der Vorschrift sich streng genommen widersprechen, kommt man mit wohlwollender Auslegung vielleicht noch hinweg; schlampig gemacht ist das an der Stelle aber schon. Dass aber nach der Vorschrift eine Anfechtung auch in dem Fall ausgeschlossen sein soll, dass im Rahmen einer rein virtuellen Hauptversammlung durch eine unverschuldete technische Störung ein substanzieller Anteil der Aktionäre sein Stimmrecht nicht ausüben kann und das Beschlussergebnis dadurch evident verfälscht wird, das erscheint im Hinblick auf das Eigentumsrecht der Gesellschafter verfassungsrechtlich dann doch problematisch.

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Unter anderem darüber sollte im Ausschuss gesprochen werden. Vielen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Till Steffen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner in der Debatte. ({0})

Dr. Till Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005228, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist richtig gesagt worden: Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die virtuellen Hauptversammlungen auf Dauer ermöglichen wollen. Aber wir wollen eben die Rechte der Aktionärinnen und Aktionäre sichern; die sollen nicht ausgehöhlt werden. Das ist ein ganz klarer Grundsatz. Deswegen muss man sich diese zwei Bestandteile der Koalitionsvereinbarung ganz klar anschauen. Warum wollen wir das auf Dauer verstetigen? Weil es eben eine gute Sache ist, wenn es möglich ist, solche Hauptversammlungen auch digital abzuhalten. ({0}) Aber – und das ist ganz wichtig – das darf eben nicht dazu genutzt werden, dass die Rechte von Aktionärinnen und Aktionären leerlaufen. Dafür gab es eben Beispiele jetzt in der Pandemiezeit. Insofern war das ein interessantes Testfeld, um zu gucken, worauf man achten muss. Wir haben sehr deutlich gelernt: Man muss darauf achten, dass die Rechte nicht ausgehöhlt werden, zum Beispiel dadurch, dass es nur möglich ist, Fragen vorher unter Einhaltung von Fristen zu stellen, weil das in der Praxis eben bedeuten kann, dass die Frage in der Sache gar nicht beantwortet wird und weitere Nachfragen ausgelöst werden, diese aber nicht zulässig sind. Dann ist das Fragerecht der Aktionärinnen und der Aktionäre ausgehöhlt. Und das darf natürlich nicht passieren. Diese Möglichkeit wollen wir auf keinen Fall eröffnen. ({1}) Diesen Grundsatz – alles, was man dazu sagen muss, haben wir im Koalitionsvertrag eigentlich schon festgehalten – hat der Referentenentwurf, der ja auf dem Tisch lag, nicht ganz erfüllt. Wir haben aber heute gelernt, dass dieser Gesetzentwurf so was wie eine legislative Vollwaise ist. Alle hier sind also der Meinung, dass es so gar nicht geht. Deswegen hat ja der Entwurf, den die Regierungsfraktionen eingebracht haben, das richtigerweise ganz anders gemacht. Es gibt noch ein paar Anhänger, die uns jetzt schreiben und tatsächlich sagen: Schade, es wäre so schön gewesen, wenn man das so gemacht hätte und man die Rechte der Aktionäre ein bisschen hätte einschränken können. – Denjenigen sage ich: Wer sich nicht mit Aktionärinnen und Aktionären auseinandersetzen möchte, der sollte keine Aktiengesellschaft gründen. ({2}) Das ist genau der Punkt. Natürlich braucht es die Möglichkeit, mitzuwirken. Das ist das Recht, das sich eben aus dem Eigentum ergibt. Das ist das Spezifikum der Aktiengesellschaft, und deswegen muss es natürlich auch möglich sein. Das gilt dann sowohl virtuell als auch bei einer Präsenzveranstaltung. Und das ist ja das, was der Gesetzentwurf ermöglicht: dass eben durch den Beschluss der Aktiengesellschaft auf einer Hauptversammlung entschieden wird, wie man das künftig halten möchte. Die dritte Variante, nämlich die Hybridvariante, spielt auch eine wichtige Rolle. Wir haben Hinweise gekriegt, dass man an einzelne Formulierungen noch mal rangehen sollte, um das tatsächlich rechtssicher zu gestalten. Denn es macht ja Sinn, dass man es so gestalten kann, dass diejenigen, die vor Ort sein wollen, dazu auch die Möglichkeit haben. Wir haben vorhin über die unterschiedlichen Formen der Naturaldividende gesprochen, je nachdem, bei wem man die Anteile hält. Bei einer Aktiengesellschaft, die Bier produziert, mag es beispielsweise interessant sein, vor Ort zu sein. ({3}) Bei anderen Aktiengesellschaften gibt es vielleicht auch was zum Mitnehmen. Und andere sagen dann: Ich möchte lieber aus der Ferne digital teilnehmen. – Wunderbare Sache! Einen Punkt würden wir in der Sache in der Tat gerne noch vertiefen, nämlich die Frage, ob wir das bei der Gelegenheit gleich auch auf die Genossenschaften ausdehnen. Denn wir kriegen ganz klar Hinweise, gerade aus dem Start-up-Bereich, dass es hochinteressant wäre, in Form einer Art von Crowdfunding die Genossenschaften zu nutzen, um Anteile im geringen, überschaubaren Umfang zusammenzubringen, um neue Unternehmen auf die Beine zu stellen. Das wird aber nur gehen, wenn das ohne großen Reiseaufwand möglich ist, wenn das tatsächlich digital möglich ist. Ich glaube, wir haben eine richtige Chance, bei dieser Gelegenheit eine richtige Renaissance der Genossenschaften anzustoßen. Ich würde mich über die Diskussion im Ausschuss freuen. Vielen Dank. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Seine Rede zu Protokoll gibt Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke. ({0}) Der letzte Redner in der Debatte ist Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft hat bedeutende Aufgaben: Satzungsänderungen zu beschließen, über den Bilanzgewinn zu befinden, Kapitalmaßnahmen herbeizuführen und auch Vorstand und Aufsichtsrat zu entlasten. In der Notsituation der Pandemie ist die virtuelle Hauptversammlung eingeführt worden, um die Funktionsfähigkeit der Aktiengesellschaften aufrechtzuerhalten. Ein Wermutstropfen war, dass die Aktionärsrechte im Rahmen der virtuellen Hauptversammlungen nicht dergestalt waren, wie sie vorher bei den physischen Hauptversammlungen gegolten haben. Ich finde, dass die Kapitalmarktkontrolle auch über das Fragerecht und die Präsenz von Kleinaktionären auf den Hauptversammlungen ausgeübt werden sollte. Deswegen ist es gut, dass dieser Gesetzentwurf auch den Kleinaktionär im Blick hat, der vielleicht die Fahrtkosten zu einer Hauptversammlung scheut, aber dennoch dabei sein möchte, wenn über seinen Anteil an der Gesellschaft geredet wird. Es ist wichtig und entscheidend, dass im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung auch die Kleinaktionäre künftig ihre Rechte wieder stärker wahrnehmen können und damit die virtuelle Hauptversammlung künftig ähnlich gestaltet wird wie die physische Hauptversammlung vor Coronazeiten. Das ist ein Fortschritt im Gesellschaftsrecht. ({0}) Ich freue mich, dass zwischen Referentenentwurf und dem heute vorliegenden Gesetzentwurf die Rechte der Aktionäre deutlich gestärkt worden sind. Ich meine, diesen Weg müssen wir auch zukünftig weiter beschreiten. Es geht um die Frage, wie wir den Kapitalmarkt, aber auch die Kontrolle der Aktiengesellschaften nach wie vor attraktiv halten. Es geht nicht nur um die Frage der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts, sondern auch um die Attraktivität der Aktie und der Rechtsform der Aktiengesellschaft. Ich kann Sie nur ermuntern, weiterzudenken. Die Frage ist: Wie können wir die Aktienkultur in unserem Land noch deutlicher stärken? Lassen Sie uns doch über vierteljährliche Dividendenausschüttungen sprechen, über die Frage einer weiteren Erhöhung des Sparerfreibetrags. Es werden in Deutschland etwa 50 Milliarden Euro von den DAX-40-Konzernen ausgeschüttet. Ich meine, das ist auch ein Anlass, über die Vermögensbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu sprechen. Insgesamt ist dieser Gesetzentwurf ein guter und deutlicher Schritt in Richtung der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. ({1}) Wir sollten da aber nicht stehen bleiben, sondern die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, auch im Bereich des Gesellschaftsrechts vollumfänglich ausschöpfen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Florian Toncar (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003856

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Energie- und Klimafonds, der weiterentwickelt werden soll zum Klima- und Transformationsfonds. Der Energie- und Klimafonds ist ein Sondervermögen, das 2011 mit dem Ziel geschaffen worden ist – übrigens unter einer schwarz-gelben Bundesregierung –, die Energieversorgung nachhaltiger zu entwickeln und die Klimaziele voranzubringen. Die Zielsetzung dieses Fonds war damals schon richtig, aber sie hat heute, wo die Zeit drängt, wo wir jetzt zügig vorankommen müssen, wo wir aber auch die wirtschaftlichen Chancen nutzen müssen, die mit dieser Transformation verbunden sind, natürlich eine ganz neue Bedeutung bekommen. Deswegen werden wir diesen Fonds zu einem zentralen, investiven Instrument hinsichtlich der Nutzung der wirtschaftlichen Chancen und der Verbesserungen beim Klimaschutz umbauen. ({0}) Wir werden deshalb die Förderzwecke und die Verwendungsmöglichkeiten dieses Fonds erweitern. Wir werden dafür sorgen, dass er auch Investitionen in Energieeffizienz – insbesondere im Gebäudebereich – ({1}) und Investitionen in CO2-neutrale Mobilität finanzieren kann. Was hilft es, wenn die Autoindustrie es schafft, gute, wettbewerbsfähige Elektroautos zu konstruieren, aber es zum Beispiel an der Infrastruktur scheitert und sie diese Technologie in Deutschland nicht in ausreichender Zahl zur Anwendung bringen kann? Deswegen geht es bei diesem Fonds auch darum, dass wir es schaffen, gute technologische Anwendungen hier in Deutschland auf die Straße zu bringen – im buchstäblichen Sinne. Darin liegen große Chancen und große Notwendigkeiten. ({2}) Die Entwicklungen, die wir aufgrund der Pandemie erleben – die Wirtschaft verlässt die Pandemie nun mal in einer geschwächten Situation –, und die Entwicklungen aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine, wodurch die Umstellung auf CO2-neutrale Energieversorgung und zum Beispiel auch die Abschaffung der EEG-Umlage, die wir ab 1. Juli aus diesem Fonds finanzieren, noch dringender geworden sind für die Menschen und auch für die Betriebe, ({3}) bestätigen den Weg, den wir gehen. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass wir unsere Wirtschaft, die durch die Pandemie geschwächt ist und durch den Krieg und seine Folgen weiter vor große Herausforderungen gestellt wird, jetzt wieder stärken und voranbringen müssen. Die Idee, wie das zu tun ist – nicht irgendwie, sondern indem wir gerade auch klimafreundliche Technologien fördern und voranbringen, indem wir die Menschen und die Betriebe bei den Energiepreisen entlasten –, ist keine deutsche Sonderidee, sondern es ist eigentlich der internationale Standard, dass man sagt: Wir wollen mittelfristig gerade auch mithilfe von Klimaschutz- und Umwelttechnologien aus der Pandemie, aus der Krise herauswachsen. ({4}) Das heißt im angelsächsischen Sprachraum „Building Back Better“, was bedeutet: Wir wollen die Wirtschaft nicht dahin zurückbringen, wie sie 2019 war; wir wollen sie fitmachen für 2030. – Deswegen in aller Deutlichkeit: Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man bestreiten kann, dass gerade eine durch die Pandemie geschwächte Wirtschaft jetzt Building Back Better braucht. Es geht darum, sie so aufzustellen, dass sie die nächsten zehn Jahre hinbekommt, statt sie wieder zurückzubeamen in ein Jahr 2019, das so nicht wiederkommen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen – insbesondere auch von der Union. ({5}) Man kann ja über den zweiten Nachtragshaushalt 2021, der einen Teil der Mittel dieses Fonds bereitstellt, diskutieren. Aber was man nicht ernsthaft bestreiten kann, ist, dass wir nach der Pandemie eine wirtschaftliche Entwicklungsstrategie und Investitionen brauchen, die auf die Bedürfnisse von heute und morgen und nicht auf die von gestern gerichtet sind. Das machen wir – so wie fast alle anderen Industrieländer in Europa, aber auch im angelsächsischen Raum – unter anderem mit den Investitionen dieses Fonds. Es werden in den nächsten fünf Jahren Programmausgaben im Fonds bereitstehen – das ist so eingeplant –, die bis 2026 von 21 Milliarden Euro auf 47 Milliarden Euro aufwachsen werden – einschließlich der Entlastung bei den Strompreisen durch die Abschaffung der EEG-Umlage. Davon profitieren eine ganze Menge Menschen in Deutschland. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen wir durch diesen Gesetzentwurf, wenn Sie ihn in den nächsten Wochen so beschließen. Darum bitte ich Sie sehr herzlich im Namen der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({6})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Ich erteile das Wort Andreas Mattfeldt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir widmen dieser Debatte 26 Minuten. Wenn man sich die Summen anhört, dann stellt man fest, dass es sicherlich auch etwas länger hätte ausfallen können. Wegen dieser knappen Zeit will ich mich auf drei Punkte beschränken. Herr Toncar, der erste Punkt ist „blinder Aktionismus“. Ich kann ja verstehen, Frau Brantner, Herr Toncar, dass man, gerade wenn man neu im Amt ist, Akzente setzen muss. Die erste Amtshandlung hier, den Energie- und Klimafonds jetzt in „Klima- und Transformationsfonds“ umzubenennen, bezeichne ich aber eher als blinden Aktionismus denn als eine wirkliche Neuerung. ({0}) Klug, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es gewesen, hier ganz neue Akzente zu setzen – nicht unkoordiniert, sondern abgestimmt mit der Wirtschaft, mit wirklichen Fachleuten und auch mit Wissenschaftlern. ({1}) Bei dieser Summe augenscheinlich selbsternannte Experten mit wenig Erfahrung agieren zu lassen, halte ich schlichtweg für fahrlässig. ({2}) Auf langjährige Erfahrung in den Häusern konnten Sie ja aber nun auch nicht zurückgreifen; denn Sie haben ja sofort nach der Regierungsübernahme nahezu alle wichtigen Abteilungsleiter durch parteipolitische Kollegen ausgetauscht. ({3}) Der zweite Punkt ist, dass Sie bei Ihrer Vorgehensweise erneut den Fehler machen, den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun. Sie agieren hier nach der Devise: Ich habe eine lose Idee, setze hier erst mal anständige Summen in Haushaltstitel ein, und dann schaut man mal, was man hier an Projekten zusammensammeln kann und vor allen Dingen, welche Preisschilder man auf die einzelnen Produkte klebt. Und dann hofft man, dass die Haushaltssumme, die man sich vorher schlichtweg wahrscheinlich ausgewürfelt hat, ungefähr erreicht wird. Meine Damen und Herren, ich habe mal Industriekaufmann gelernt, und da habe ich gelernt, dass man Projekte gründlich kalkuliert. Man schaut, was umsetzbar ist, und dann setzt man hierfür ein Budget ein. Sie agieren allerdings komplett andersrum, wie wir vor allen Dingen am Berichterstattergespräch zum EKF am Montag bei zahlreichen Titeln erfahren konnten. Der dritte Punkt ist, dass Sie bei der Begründung zur Einsetzung des Sondervermögens argumentativ – und Sie haben es eben wieder getan, Herr Toncar – vollkommen falsch agieren. Sie begründen, dass Sie mit den zusätzlichen 60 Milliarden Euro die Volkswirtschaft, die durch Coronamaßnahmen massiv gelitten hat, aus der Pandemie führen wollen. Die Wahrheit ist aber doch, dass Sie mit diesem EKF – auch mit den 60 Milliarden Euro – Wirtschaftszweige fördern werden, die überhaupt nicht unter der Coronapandemie gelitten haben. Im Gegenteil: Sie fördern hier Branchen, die nicht mehr wissen, wie sie die Arbeit bewältigen sollen und die nahezu schon überhitzen. ({4}) Das ist inflationsfördernd, was Sie hier machen. Das ist nicht klug. Klug wäre es gewesen, wenn Sie unserem Antrag hier gefolgt wären und zum Beispiel die gebeutelte Hotellerie und Gastronomie entlasten –

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Mattfeldt.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und in die Lage versetzen würden, sich mit klugen Investitionen neu aufzustellen. Das wollten Sie nicht. Ich kann Ihnen nur sagen: Die ganze Sache mit Ihrem sogenannten Klima- und Transformationsfonds ist derartig unausgegoren!

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Letzter Satz, bitte.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin mir ganz sicher, dass auch Karlsruhe das im anhängigen Verfahren so sehen wird. Herzlichen Dank. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Frank Junge, SPD-Fraktion, gibt seine Rede zu Protokoll. ({0}) Der nächste Redner in der Debatte ist Wolfgang Wiehle, AfD-Fraktion. ({1})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Fast 107 Milliarden Euro! Davon könnte man den Flughafen BER 18‑mal zu seinen tatsächlichen Kosten oder 56‑mal zu den ursprünglich geplanten Kosten bauen. 107 Milliarden Euro stecken in Deutschlands größtem Schattenhaushalt. Der Energie- und Klimafonds, von dem ich spreche, soll künftig in „Klima- und Transformationsfonds“ umbenannt werden; wir haben es gerade schon gehört. Hier werden also riesige Summen gehortet, und zwar für eine große Transformation der deutschen Wirtschaft im Namen einer ideologischen Klimapolitik. ({0}) Was noch vor Kurzem als Verschwörungstheorie gegolten hätte, wird also vor aller Augen in Wirklichkeit umgesetzt. Das im globalen Maßstab kleine Deutschland soll nach dem Willen seines politischen Establishments diese Transformation auch noch schneller vollziehen als die allermeisten seiner Wettbewerber auf den Weltmärkten. Die gewaltige Teuerung, insbesondere im Energiebereich, die jetzt schon einsetzt, ist auch ein Vorbote dessen, was unserem Land droht: wirtschaftlicher Niedergang und der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen. ({1}) Da ist es fast schon nebensächlich, dass die Wortakrobatik rund um die Geburtssünde des zweiten Nachtragshaushalts 2021 nun auch in Gesetzesform gegossen werden soll. 60 Milliarden Euro, die 2021 übrig blieben und nicht für Coronahilfen eingesetzt wurden, hat die Koalition kurzerhand zweckentfremdet und für ihre Klimaideologie in den EKF gesteckt. Und so sollen diese Milliarden nun doch noch gegen die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns helfen? Nein, meine Damen und Herren, verlorene Arbeitsplätze werden gerade dadurch ganz sicher nicht wieder entstehen, und das wird Ihnen auch das Verfassungsgericht sicher nicht glauben. ({2}) Das Beste, was man für die Arbeitsplätze in unserem Land machen kann, ist etwas anderes, nämlich, diesen Fonds aufzulösen, egal ob er nun „EKF“ oder „KTF“ heißt. Einzelne sinnvolle Projekte, wie die Erzeugung synthetischer Kraftstoffe, kann man transparent in die Haushalte der zuständigen Ministerien übertragen. Den großen Rest des Geldes aber sollten wir denjenigen ersparen, die es erbringen müssen, nämlich den deutschen Steuerzahlern. ({3}) Darauf, meine Damen und Herren, wird die AfD-Fraktion in der Beratung dieses Änderungsgesetzes und in den laufenden Haushaltsberatungen bestehen. So tun wir etwas für die Zukunft unseres Landes. ({4})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Der nächste Redner in der Debatte: Felix Banaszak, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Felix Banaszak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mattfeldt, ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich und Ihrer Fraktion mit der Rede gerade einen Gefallen getan haben. ({0}) Sie haben das Wort „Transformation“ ausgesprochen, als wäre das etwas Unanständiges. ({1}) – Oha, das ist spannend! Sie sagen: Das ist unanständig. Ich will Ihnen folgende Zitate vorlesen: Wir unterstützen unsere Unternehmen bei der Transformation. Und vorher: Klimaschutz und Industrie zu versöhnen, um gute Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu gewährleisten, ist die größte Aufgabe unserer Generation. Wer hat es gesagt? – Hendrik Wüst, Ihr Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen, ({2}) vorhin im TV-Duell. ({3}) Sie müssen sich schon entscheiden: Ist die Transformation jetzt eine Aufgabe, der wir uns stellen wollen, oder ist sie irgendwie: „Igitt, bäh, damit wollen wir nichts zu tun haben“? Was Sie machen, ist nämlich Letzteres. ({4}) Ich will Ihnen meine These nennen: Sie haben in den 16 Jahren unionsgeführter Regierung alles dafür getan, um so zu tun, als wären diese Aufgaben nicht da, als wäre die Klimakrise ein Nebenphänomen, dem man sich mal nachmittags, am Ende widmen kann, und als wäre der Erhalt des Industriestandorts Deutschland eine Selbstverständlichkeit. ({5}) Und jetzt wollen Sie mit Ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die Regierung daran hindern, Ihr Nichtstun der letzten Jahre zu korrigieren und dieses Land endlich auf den Pfad zu führen, den es braucht, nämlich, klimaneutral zu werden, der Verantwortung, den kommenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen, gerecht zu werden, und gleichzeitig Industriestandort zu bleiben. Man kann nämlich beides verfolgen, man kann aber auch nur eines anstreben. ({6}) – Jetzt bleiben Sie doch mal ganz ruhig! Es ist Ihre Variante, zu sagen: Wir wollen den Industriestandort erhalten, aber mit der Klimaneutralität haben wir nichts zu tun. – Man könnte aber auch sagen: Klimaneutralität setzen wir über alles. ({7}) Dann machen wir alles mit Ordnungsrecht, schrauben überall die Grenzwerte hoch. Oder man macht es auf dem Weg, den wir hier gehen: Wir investieren in die Transformation Deutschlands zur Klimaneutralität und erhalten Deutschland als Industriestandort. ({8}) Meine Damen und Herren, ich komme aus Duisburg. ({9}) – Ich weiß gar nicht, was bei Ihnen los ist. Herrgott! Nur weil es so spät ist? ({10}) Duisburg ist der größte Stahlstandort Europas, und es wäre schön, wenn das so bleiben würde. Der Stahlstandort Duisburg, der Stahlstandort Salzgitter, die saarländischen Hütten und all die anderen haben aber keine Chance auf dem Weltmarkt, wenn sie einfach so weitermachen wie bisher. Die haben enorme Investitionen vor sich, nämlich dafür, die Hochofenroute zu ersetzen durch Direktreduktionsanlagen, die dann mit Grünem Wasserstoff – also Wasserstoff aus erneuerbaren Energien – betrieben Stahl produzieren, ohne als Nebenprodukt CO2 auszustoßen. Allein am Stahlstandort Duisburg sparen wir damit ein CO2-Äquivalent vom Zehnfachen des gesamten innerdeutschen Flugverkehrs. Und jetzt wollen Sie mir sagen: „Es ist ein unausgegorenes Programm dieser Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Investitionen gelingen können“? ({11}) Mit diesem Energie- und Klimafonds, der jetzt zum Klima- und Transformationsfonds wird, ermöglichen wir den Unternehmen, durch sogenannte Carbon Contracts for Difference, Klimaschutzdifferenzverträge, ({12}) Investitionssicherheit zu haben für die Investitionen, die bei ihnen anstehen. ({13}) Denn solange die CO2-Vermeidungskosten höher sind als die Produktionskosten bei der jetzigen Technologie, werden sie dabei unterstützt, diese Differenz auszugleichen. ({14}) Der CO2-Preis wird steigen, ({15}) die CO2-Vermeidungskosten werden geringer werden, weil wir größere Mengen von Grünem Wasserstoff zur Verfügung haben werden. Auch das ist etwas, was wir mit dem Klima- und Transformationsfonds fördern. In der Summe funktioniert es dadurch, diesen Industriestandort zu erhalten und gleichzeitig klimaneutral zu werden. ({16}) Wenn Sie ein Interesse daran hätten, diese beiden Ziele zu erreichen, dann würden Sie nicht versuchen, diese Regierung mit Ihrer Klage daran zu hindern. Sie werden damit scheitern, und wir werden dieses Land mit dem, was wir uns vorgenommen haben, in eine klimaneutrale, in eine sozial gerechte und in eine zukunftsfähige Richtung führen. Vielen Dank. ({17})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bestimmt viele unserer Debatten, viele Themen. An vielen Stellen helfen wir der Ukraine und versuchen wir, Russland weiter unter Druck zu setzen. Man könnte sagen, die Union hat heute Mittag, um 16 Uhr, ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz bestellt, und kurz vor Mitternacht liefert die Ampel bereits ein solches Gesetz. Das ist wirklich schnelles Regieren, meine Damen und Herren. ({0}) Wir haben heute schon darüber diskutiert, dass es eine Herausforderung ist, gemeinsam mit unseren europäischen und vielen weiteren Partnern weltweit Sanktionen gegenüber Personen aus Russland durchzusetzen. Das ist bei uns in Deutschland manchmal nicht so leicht. Aber ich habe gerade auf „Spiegel Online“ gelesen, dass in Hamburg heute eine Luxusjacht im Wert von über 400 Millionen Euro festgesetzt worden ist. Das zeigt: Es ist möglich, Sanktionen durchzusetzen. Die Bundesregierung hat eine Taskforce eingesetzt. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen danken, die in dieser Taskforce dafür sorgen, dass wir die Sanktionen in Deutschland auch durchsetzen. Wie gesagt, wir haben gesehen, das funktioniert. Aber bei dieser Arbeit ist auch deutlich geworden, dass wir, um eine effektive Sanktionsdurchsetzung gewährleisten zu können, weitere Instrumente brauchen. Dazu gehört – das ist keine ganz so große Überraschung –, Zuständigkeiten klar zu regeln; das betrifft vor allem die Länder. Wir werden im Übrigen – das können wir hier schon ankündigen – auch noch ein zweites Sanktionsdurchsetzungsgesetz auf den Weg bringen, wonach es auch eine klare Bundeszuständigkeit geben wird. Dazu gehört auch das Thema Datenaustausch. In Deutschland liegen an vielen Stellen wichtige Daten vor, und es geht auch darum, diese in den Behörden zusammenzuführen, um sie dann auch nutzbar zu machen. Wir müssen das Ganze natürlich vor allem deswegen machen, um Vermögenswerte zu ermitteln, festzustellen, damit wir sie am Ende auch sicherstellen können. Es gibt – das wissen Sie alle – windige Konstruktionen. Auch in unserem gemeinsamen Kampf gegen Geldwäsche, den wir seit vielen Jahren führen, haben wir immer wieder die Situation, dass wir feststellen müssen, wer wirtschaftlich Berechtigter ist. Auch hier reagieren wir mit dem ersten Sanktionsdurchsetzungsgesetz. ({1}) Es kommt auch eine Anzeigepflicht. Personen, die möglicherweise unter diese Sanktionen fallen, müssen selbst mitteilen, wenn sie Vermögenswerte hier in Deutschland haben. Das Ganze werden wir strafbewehrt machen. Wir ergreifen mit diesem ersten Sanktionsdurchsetzungsgesetz also eine ganze Reihe von Maßnahmen. Wird das schon das Ende sein? Nein, es ist der Anfang. Ich habe es gesagt: Es wird ein zweites Sanktionsdurchsetzungsgesetz brauchen und möglicherweise auch ein drittes. Ich will hier sagen: Ich freue mich sehr, dass es ganz offensichtlich – und das haben wir bei der Diskussion über den Antrag der Union heute Nachmittag gesehen – plötzlich einen großen Konsens hier im Haus gibt, dass wir unseren Behörden mehr Möglichkeiten geben müssen, um Vermögen aufzudecken, damit wir zum Beispiel Sanktionen am Ende auch effektiv durchsetzen können. Ich hoffe deswegen auf eine breite Unterstützung dieser Ampelinitiative. Herzlichen Dank. ({2})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Redner. ({0})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 77 Tagen tobt ein schrecklicher Krieg in der gesamten Ukraine. Die russische Aggression verursacht in der Ukraine unendliches Leid mit Tausenden Toten und mit unvorstellbaren Zerstörungen. Dafür verantwortlich ist vor allem der russische Präsident. Er stützt seine Macht weniger auf das russische Volk als vielmehr auf ein Netzwerk von Profiteuren. Während das ukrainische Volk leidet, sonnen sich Putins Günstlinge in ihrem Reichtum, den sie auf Kosten des russischen Volkes angehäuft haben. Die Netzwerke dieser Profiteure erstrecken sich nicht nur auf Russland, sie reichen bis in westliche Staaten, auch bis nach Deutschland. Nun bringt die Ampelregierung endlich ein Gesetz ein, um die EU-Sanktionen gegen diese Netzwerke besser durchzusetzen. Eine effektive Durchsetzung der Sanktionen wäre in der Tat wünschenswert und auch dringend notwendig. Die Bundesregierung hat viel Zeit verstreichen lassen. Heute ist der 77. Tag nach der Invasion; gleich wird es schon der 78. sein. Presseberichten war schon früh zu entnehmen, dass andere EU-Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der Sanktionen deutlich erfolgreicher agieren als Deutschland, gerade was das Einfrieren von Vermögenswerten russischer Oligarchen angeht. Die meisten europäischen Länder gehen härter gegen Putins Günstlinge vor als Deutschland. Ich habe die Bundesregierung kürzlich gefragt, welche Geldbeträge in Deutschland zum Stichtag 30. April 2022 und in der gesamten EU denn bislang eingefroren wurden. Die Antwort ist aus deutscher Sicht ernüchternd: Weniger als 138 Millionen Euro in Deutschland stehen circa 9,71 Milliarden Euro in der gesamten EU gegenüber. 138 Millionen Euro in der mit Abstand größten Volkswirtschaft der EU, weniger als 1,5 Prozent dieser 9,71 Milliarden Euro: Das ist wirklich beschämend. ({0}) „Bisher ist Deutschland ein wahres Paradies für russische Oligarchen“ – Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern das stellte sogar die linke „taz“ diese Woche fest. Leider ist diese Feststellung völlig zutreffend. ({1}) Obwohl die Ampel im März eine Taskforce eingesetzt und Bundesfinanzminister Lindner bereits Anfang April das Sanktionsdurchsetzungsgesetz angekündigt hat, passierte erst mal nichts. Die Ampel hat sich wochenlang Zeit gelassen, um das Gesetz jetzt im Eiltempo durch den Bundestag zu bringen. Heute Einbringung, Montag Anhörung im Finanzausschuss und am Donnerstag dann bereits die Verabschiedung. ({2}) Den Zeitdruck haben Sie selbst verursacht. Obwohl es berechtigten Unmut wegen dieses Verfahrens gibt, tragen wir als Unionsfraktion es mit; denn wir stehen immer bereit, wenn es darum geht, die Sanktionen besser durchzusetzen, auch jetzt um Mitternacht. Das Gesetz der Ampel ist nur ein kleiner Schritt, aber zumindest in die richtige Richtung. Die Regelungen reichen nämlich bei Weitem nicht aus. Das weiß auch die Bundesregierung, und das haben wir gerade noch mal vom Kollegen Dr. Zimmermann gehört; denn ein zweites Sanktionsdurchsetzungsgesetz ist schon in Aussicht gestellt. Wir als CDU/CSU haben bereits einen Antrag vorgelegt, der weit über die Vorschläge der Ampel hinausgeht. Der Ampelentwurf will erst mal Eigentumsverhältnisse klären, Anzeigepflichten einführen, Informationen austauschen, Behördenkommunikation verbessern. Vieles davon ist sinnvoll. ({3}) Das kann aber nur der erste Schritt sein; denn Nutzungsverbote oder Verwertungsverbote sieht die Ampel ausdrücklich nicht vor. Wenn trotz des Ampelgesetzes Putins Günstlinge weiterhin unbehelligt mit ihren Luxuskarossen herumfahren oder auch das Leben in teuren Villen genießen dürfen, ({4}) dann ist das, glaube ich, nicht das, was wir wollen. Andere EU-Mitgliedstaaten, allen voran Italien, sind diesbezüglich schon deutlich weiter. Der Antrag der Unionsfraktion enthält dazu viele Vorschläge, und wir hoffen, dass die Ampel möglichst viele davon übernimmt. Auch vermisse ich in Ihrem Gesetzentwurf eine Regelung, dass frühere Mitglieder der Bundesregierung ihr Ruhegehalt verlieren können, wenn sie der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Schaden zufügen, ({5}) indem sie sich auf die Seite eines Staates wie Russland stellen. Die Ampel hat offensichtlich kein Interesse daran, Gerhard Schröder trotz Lobbyarbeit für den Kriegsverbrecher Putin zur Verantwortung zu ziehen. Noch vor wenigen Tagen hat die Ampel auf meine ausdrückliche Frage, ob die Bundesregierung eine Aufnahme von Gerhard Schröder in die Sanktionsliste anstrebt, nur ausweichend geantwortet. Das Mindeste allerdings wäre doch, dass man nicht noch weiteres deutsches Steuergeld in seine Tasche fließen lässt. ({6}) Wir als Union wollen nicht nur die Informationsgrundlage für Behörden verbessern, sondern wir wollen, dass die Sanktionen in Deutschland tatsächlich hart durchgesetzt werden. ({7}) Dazu haben wir einen weitreichenden Antrag vorgelegt, den die Ampel dringend aufgreifen sollte. Wir verzichten gerne auf unser Copyright, wenn es der Sache dient. In diesem Sinne gehen wir gerne in die Beratung in den Finanzausschuss. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kay Gottschalk, AfD-Fraktion, ist der nächste Redner in der Debatte. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das hat ja wenig Bezug. – Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mal ein bisschen Wasser in den Wein schütten – ich glaube, Herr Hönel ist jetzt nicht mehr da –; wir sprechen nämlich heute über ein Gesetz, das so schnell und so überraschend kam, dass ein zweites hinterherkommen muss. Wenn die sogenannten demokratischen Parteien dieses Verhalten, das ich Ihnen einmal schildern möchte, zur Regel machen, dann sind wir als Legislative und Kontrollorgan, sehr verehrte Kollegen von der CDU/CSU, am Ende. Dieses Gesetz ist so zustande gekommen: Am Dienstagabend um 19.41 Uhr bekamen wir den Gesetzentwurf übersandt. Am Mittwochmorgen hatten wir dann eine Finanzausschusssitzung. Da wurde eine Anhörung für Montagmorgen, um 9 Uhr, beschlossen. Ich finde, alleine das ist schon ein Unding. ({0}) Dass Ihr Wort von der „Demokratie“ eine relative Worthülse ist, zeigt sich daran, wie Sie hier mit Gesetzen umgehen, meine Damen und Herren. ({1}) Aber es geht noch weiter. Sie haben tatsächlich die Stirn, ganz selbstverständlich auch von Sachverständigen – wir können dankbar sein, wenn diese kommen und ihren Rat geben; auch wenn die Politik Sachverständige oft nicht wirklich hören möchte – zu erwarten, dass diese sich bis Montag äußern. Das Gutachten von einem Sachverständigen liegt immerhin schon vor. Dennoch werden diese sicherlich Zweifel haben, wenn Sie so schnell ein Gesetz umsetzen wollen, ob sie mit ihren Vorschlägen noch gehört werden – wenn sie denn überhaupt gehört werden. ({2}) Meine Damen und Herren, was Sie hier mit diesem Prozess tun, ist, das parlamentarische Recht von uns Abgeordneten, unsere Kontroll- und Beratungsfunktion wahrzunehmen, ad absurdum zu führen. Das ist angesichts dessen, dass Sie sich hier immer auf Ihr hohes Ross setzen, wahrlich nicht demokratisch. ({3}) Als vom Volk gewählter Abgeordneter werde ich ein weiteres Vorgehen in dieser Form auf jeden Fall nicht hinnehmen und für meine Fraktion immer wieder den Finger auf die Wunde legen. ({4}) Unter anderem werden wir – ich sage es nochmals – als Volksvertreter hierher entsandt, um der Regierung bei ihrem Handeln, gerade wenn es um Gesetze geht, sehr genau – das ist gerade bei der Ampelkoalition auch notwendig – auf die Finger zu schauen. ({5}) Insoweit werden wir uns erst ein abschließendes Urteil zu diesem Gesetz erlauben, wenn die Anhörung am Montag stattgefunden hat. ({6}) – Das sagt der ehemalige Justizsenator von Hamburg, der wirklich erfolgreich und toll gearbeitet hat, wenn man sich in den Behörden mal umhört. Also, Herr Steffen, da sollten Sie sich zurückhalten!

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Ende. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ich komme gleich zum Ende. – Meine Damen und Herren, wir werden die Beratung in der Anhörung abwarten und dann ein Urteil abgeben, mahnen aber an, in Zukunft etwas deutlicher und besser mit den demokratischen Rechten der Fraktionen hier umzugehen. Vielen Dank. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Stunde will ich es kurz und, soweit möglich, schmerzlos machen. Erstens. Für uns als Linke ist klar: Die Sanktionen gegen die russischen Führungseliten müssen konsequent umgesetzt werden. Nur so kann ernsthaft Druck ausgeübt werden, damit Russland den Krieg gegen die Ukraine beendet und seine Truppen zurückzieht. Zweitens. Die Bilanz Deutschlands ist mit Blick auf die Umsetzung dieser Sanktionen im europäischen Vergleich bislang äußerst blamabel. Bisher ist bestenfalls die Spitze des Eisberges des in Deutschland geparkten Vermögens – des Immobilienvermögens, der Unternehmensbeteiligungen usw. – bekannt und selbst davon nur ein Teil tatsächlich eingefroren. Und dass sanktionierte Oligarchen über eingefrorene Vermögenswerte, wie ihre Luxusvillen oder Luxuskarossen, weiter frei verfügen können, solange dies einzig ihrem privaten Vergnügen dient, kann man da draußen wirklich niemandem mehr erklären. Drittens. Das Kernproblem ist: Deutschland ist schon lange ein Paradies für Geldwäsche und schmutziges Geld aus aller Welt. Jetzt rächt sich, dass die Große Koalition und hier speziell Olaf Scholz als Finanzminister den Kampf gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität nicht konsequent angegangen sind. ({0}) Viertens. Als Linke haben wir bereits 2019 einen Masterplan gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität vorgelegt. Wir begrüßen, dass die Ampelkoalition, wenn auch spät, jetzt zumindest ein erstes Gesetz zur erleichterten Durchsetzung bestehender Sanktionen vorgelegt hat. Aber auch hier stellt sich eine Reihe von Fragen. Warum straffen Sie nicht bereits jetzt die Zuständigkeiten, sondern belassen es erst einmal bei einem Zuständigkeitswirrwarr, in dem sich Bundes- und Landesbehörden, wie wir es in den letzten Wochen erlebt haben, die Verantwortung wie eine heiße Kartoffel hin und her schieben können? Wie stellen Sie sicher, dass die zuständigen Behörden, insbesondere in den Ländern, die notwendige personelle Ausstattung erhalten? Aus den Ländern haben uns dazu schon einige Sorgen erreicht. Sanktionsdurchsetzung und Geldwäschebekämpfung gibt es jedenfalls nicht zum Nulltarif, wie es die Kostenschätzung Ihres Gesetzentwurfs suggeriert. Warum sorgen Sie nicht dafür, dass die Verfügung über eingefrorenes Vermögen gänzlich, also auch zur privaten Nutzung, untersagt werden kann, so wie dies in anderen europäischen Ländern bereits geschieht?

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Als Linke werden wir diesen Gesetzgebungsprozess weiter kritisch begleiten und alles dafür tun, dass die bestehenden Sanktionen tatsächlich konsequent umgesetzt werden und Deutschland nicht länger ein Paradies für Geldwäsche und schmutziges Geld aus aller Welt bleibt. Vielen Dank. ({0})

Benjamin Strasser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004908

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland wird ja viel über Bürokratieabbau gesprochen. Und so stellt konsequenterweise der Jahresbericht 2021 des Nationalen Normenkontrollrats fest – ich zitiere –: Der jährliche Erfüllungsaufwand für Wirtschaft und Verwaltung ist in den letzten zehn Jahren gestiegen. Die Fortschrittskoalition nimmt sich diese Mahnung des NKR sehr zu Herzen. Deshalb wollen wir als neue Bundesregierung gerade in diesem Punkt vom Sprechen ins Machen kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das schaffen wir mit einer Rechtsetzung, die vor allem praxistauglich und wirksam ist. Wir wollen den finanziellen und zeitlichen Aufwand für Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen und auch für die Verwaltung deutlich verringern. Dabei setzen wir explizit auf die Expertise des Nationalen Normenkontrollrats, seiner erfahrenen Mitglieder und vor allem des designierten Vorsitzenden Lutz Goebel, der als selbstständiger Familienunternehmer viel Erfahrung aus der Praxis mit- und einbringen wird. ({1}) Das Bundesjustizministerium wird in dieser Frage gerade als Rechtsetzungsministerium der erste Ansprechpartner des fachlich unabhängigen NKR sein. Und wir werden seine Expertise deutlich ernster nehmen, als dies in den letzten Jahren unter einer anderen Zuständigkeit getan wurde. Die Rechtsetzungsexpertise unseres Hauses steht schon immer im Dienste besserer Rechtsetzung. Auch aus diesem Grund freue ich mich, dass der NKR nunmehr im BMJ angesiedelt ist und das Thema „bessere Rechtsetzung“ von dort aus weiter vorantreibt. ({2}) Zudem wollen wir die Arbeit des NKR insgesamt stärken. Wir schaffen beispielsweise die Karenzregelung für Personen ab, die in der Vergangenheit in gesetzgebenden Körperschaften tätig waren, um so die Expertise noch vielfältiger zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinem ersten Interview als designierter Vorsitzender des NKR sagte Lutz Goebel dem „Handelsblatt“ am 12. April dieses Jahres – ich zitiere –: Schneller ginge es bei Planungs- und Genehmigungsverfahren auch, wenn parallel gearbeitet würde, statt sequenziell hintereinander. Da hilft besonders die Digitalisierung. Das ist der Schlüssel zum Bürokratieabbau. ({3}) Wir rennen also mit dem vorliegenden, im Ausschuss eingebrachten Änderungsantrag zum Digitalcheck offene Türen beim zukünftigen NKR ein. ({4}) Er ist ein weiterer Beitrag, um staatliches Handeln durch die Möglichkeiten der Digitalisierung zu modernisieren, zu vereinfachen und schlanker zu gestalten. ({5}) Zukünftig soll der NKR darlegen, inwieweit die Möglichkeiten der digitalen Ausführung neuer Regelungen geprüft wurden. Derzeit arbeitet das Bundesinnenministerium mit Hochdruck an einer inhaltlichen Konzeptionierung des Digitalchecks für alle Häuser der Bundesregierung. ({6}) Ab Januar 2023 wird der NKR den Digitalcheck nach einer ausreichenden Vorbereitungszeit dann erstmals prüfen. ({7}) Damit ist ein klarer Zeitplan für die Umsetzung des Digitalchecks festgelegt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf stärken wir die Arbeit des Nationalen Normenkontrollrats. Wir als Fortschrittskoalition ({9}) werden den Bürokratieabbau energisch vorantreiben. Deshalb bitte ich Sie an dieser Stelle herzlich um Ihre Zustimmung. Vielen herzlichen Dank. ({10})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Martin Plum, CDU/CSU-Fraktion, ist unser nächster Redner. ({0})

Dr. Martin Plum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11005182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vierten Staffel der Serie „Stromberg“ wird deren Hauptfigur aus der Zentrale in die Außenstelle der Capitol Versicherung in Finsdorf versetzt. Ähnlich ergeht es heute Nacht dem Nationalen Normenkontrollrat, nur dass der nichts, aber auch rein gar nichts für seine Degradierung kann. ({0}) Im Gegenteil, der NKR war ein Erfolg. Die Bürokratiekosten in der Wirtschaft hat er allein in den ersten sechs Jahren um ein Viertel reduziert, die Bürokratiebremse „One in, one out“ eingeführt und erstmalig Gesetze systematisch evaluiert. Dass dem NKR all das gelungen ist, hat maßgeblich damit zu tun, dass er 2006 als unabhängiges Gremium nicht irgendwo in der ministerialen Peripherie, sondern unmittelbar beim Bundeskanzleramt angesiedelt worden ist. Das entsprach einerseits der Logik; denn eine ressortübergreifende Aufgabe wie Bürokratieabbau kann nur mit ressortübergreifendem Personal bewältigt werden, also im Kanzleramt. Andererseits war damit ein klares und eindeutiges politisches Signal verbunden: Bürokratieabbau ist nicht Aufgabe eines einzelnen Ressorts, sondern Aufgabe der gesamten Bundesregierung, sie ist Chefinnen- bzw. Chefsache. ({1}) Gründe, diese Zuordnung nunmehr zu ändern, gibt es nicht. Bezeichnenderweise fallen auch der Bundesregierung keine Gründe ein. Blickt man in den Gesetzentwurf: Fehlanzeige! Der verweist allein auf den Organisationserlass des Bundeskanzlers. Blickt man da rein: Fehlanzeige! Und fragt man die Bundesregierung: Fehlanzeige! ({2}) In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage verweist sie lapidar auf eine interne Organisationsentscheidung. Daraus kann man nur eines folgern: Es gibt keine sachlichen Gründe. ({3}) Der Rauswurf des NKR aus dem Kanzleramt ist einzig und allein dem Posten- und Zuständigkeitsgeschacher Ihrer Koalition geschuldet. ({4}) Ausgerechnet die FDP erweist dem Bürokratieabbau damit einen Bärendienst. Ja, das Thema ist bei Ihnen zweifellos besser aufgehoben als bei Ihren Koalitionspartnern. ({5}) Aber glauben Sie denn – bei allem Respekt – im Ernst daran, dass sich regelungswütige Ministerien und Minister wie die für Arbeit, für Umwelt oder für Landwirtschaft auch nur irgendetwas von einem Gremium, das dem BMJ nachgeordnet ist, sagen lassen? Und viel schlimmer, der Rauswurf des NKR aus dem Kanzleramt zeigt doch eines ganz eindeutig: Die Spitze dieser Regierung hat alles, aber sicher kein Interesse an Normenkontrolle. Auch das verwundert nicht; denn Sozialdemokraten haben immer viel mehr von Normen als von Normenkontrolle gehalten. Wer gerne und viel reguliert, der möchte dafür kein Preisschild haben. ({6}) Die heutige Nacht zeigt schließlich auch eines wieder ganz deutlich: Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei dieser Bundesregierung meilenweit auseinander. Noch im Januar kündigten die Minister Habeck und Lindner an, durch gezielten Bürokratieabbau alte Zöpfe abzuschneiden und unser Land zu entfesseln. Und passiert ist seitdem: nichts. ({7}) Statt schleunigst ein Bürokratieentlastungspaket auf den Weg zu bringen, schmeißt man lieber den NKR aus dem Kanzleramt und legt damit die Schere aus der Hand, um alte Zöpfe überhaupt abschneiden zu können. So werden Sie alles, aber sicherlich nicht dieses Land entfesseln. ({8})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Carmen Wegge, SPD-Fraktion, gibt ihre Rede zu Protokoll; vielen Dank. ({0}) Der nächste Redner in der Debatte ist Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({1})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der „stillen Erotik des Steuerrechts“ kommen wir jetzt zur „stillen Erotik der nationalen Normenkontrolle“. Auch ein schönes Thema um Mitternacht: der Nationale Normenkontrollrat. ({0}) Ich muss gestehen: Dieses Gremium hatten wir in letzter Zeit nicht so richtig auf dem Schirm. Angesichts dieses Gesetzentwurfes haben wir uns ein bisschen in die Historie und in die Aufgaben des Nationalen Normenkontrollrats vertieft. Es ist ja ganz einfach herauszufinden: 2006 gegründet, 10 Ehrenamtler; sie kommen wohl irgendwie alle 14 Tage zusammen, flankiert von 15 Mitarbeitern, die noch im Bundeskanzleramt angesiedelt sind. Wir haben versucht, herauszufinden, wo genau. Sie arbeiten, offenbar irgendwie versteckt im Bundeskanzleramt. Die Aufgabe des Nationalen Normenkontrollrats waren die Qualitätssteigerung in der Rechtsetzung und der Abbau der Bürokratie. Man hat 2006 sozusagen eine „Bürokratieabbaubürokratie“ installiert, und die wursteln da seit 2006 vor sich hin. Ich habe nichts gefunden, was da schon jemals an Bürokratieabbau oder an Qualitätssteigerung in der Rechtsetzung passiert sein soll. ({1}) – Was gibt es denn da zu lachen, Martin? Im Gegenteil: Man schaue sich insbesondere mal an, was insbesondere in den letzten Monaten vor der Bundestagswahl hier passierte: absurde Omnibusgesetze; wir hatten dermaßen viele Korrekturbitten, gerade im Rechtsausschuss, im Hinblick auf Rechtschreibfehler, falsche Verweise und dergleichen. Da hat entweder das Justizministerium versagt oder der Normenkontrollrat oder alle. Also, es ist eine Geschichte, die hinten und vorne nicht so richtig funktioniert. Gleichwohl sind wir von der AfD positiv eingestellt. Wir haben ja wirklich auch für den größten Unsinn Verständnis ({2}) und haben uns überlegt: Nein, die Geschichte hier hat durchaus gute Ansätze, die man wirklich verfolgen kann. Dass der Einfluss des Justizministeriums steigt, ist per se ganz in Ordnung. Das Bundesjustizministerium hat 300, 400 hochqualifizierte Juristen. In den letzten sechs, sieben, acht Monaten haben die so gut wie nichts gemacht – so erscheint es zumindest, wenn man sich die Tagesordnung des Rechtsausschusses anschaut. Also da sind durchaus noch Kapazitäten vorhanden. Vielleicht kann man tatsächlich Stellen einsparen, indem man sagt: Wir verlagern nicht die 15 Stellen vom Bundeskanzleramt ins Justizministerium, sondern wir streichen die einfach und stellen eigene Ressourcen zur Verfügung. – Das hätte dann natürlich auch zur Folge, dass dieser Protzbau des neuen Bundeskanzleramtes vielleicht etwas kleiner werden kann, weil der Normenkontrollrat da nicht mehr so viel Platz wegnimmt. ({3}) Also, das sind ganz gute Ansätze. Deshalb haben wir uns vorgenommen: Wir werden hier nichts ablehnen. Wir werden uns bei dieser Thematik kraftvoll enthalten ({4}) und in den nächsten zwei, drei Jahren mal genau anschauen, was der Normenkontrollrat konkret so treibt und ob er tatsächlich seinen Aufgaben, die Bürokratie abzubauen und die Qualität der Rechtsetzung noch besser zu machen, nachkommt. Wir sind gespannt und stehen erst dann auf, wenn es in der dritten Beratung um Stimmenthaltung geht. Vielen Dank. ({5})

Yvonne Magwas (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004346

Dr. Till Steffen, Bündnis 90/ Die Grünen, gibt seine Rede zu Protokoll, ebenso wie Clara Bünger, Fraktion Die Linke. ({0}) Somit ist der letzte Redner in der Debatte Philipp Amthor, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte sagen: Für die Zukunft des Nationalen Normenkontrollrates ist es fünf vor zwölf, im metaphorischen Sinne. Tatsächlich sind wir aber jetzt schon nach zwölf in dieser Debatte, ({0}) und dementsprechend ist auch die Qualität des Gesetzentwurfes, der uns vorliegt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen schon sagen: Es ist ein Trauerspiel. Die Ampel, selbsterklärte Fortschrittskoalition, ({1}) hat tatsächlich mehrfach diese Debatte verweigert. Sie wollte nicht über den Nationalen Normenkontrollrat debattieren. ({2}) Dann haben Sie dieses Thema in eine Nachtsitzung verbannt. Das zeigt vor allem eines: Bürokratieabbau ist für Sie vor allem ein Thema für Sonntagsreden, aber kein echtes Herzensanliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Man muss es so klar sagen – Martin Plum hat es angedeutet; es ist völlig richtig –: Die Verlagerung des Normenkontrollrates vom Bundeskanzleramt ins Justizministerium, das ist nichts anderes als ein Verschachern dieses wichtigen Themas auf dem Basar der Koalitionsverhandlungen. ({4}) Es ist doch ganz offensichtlich: Das Justizministerium hat die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz verloren. Also wollte man noch ein kleines Zückerchen dazuhaben. ({5}) Dann hat man gesagt: Na gut, dann vielleicht den Nationalen Normenkontrollrat. – Und da muss man sagen: So kann man mit diesen Themen nicht umgehen. Das ist kein richtiger Umgang mit dem Nationalen Normenkontrollrat. ({6}) Diese Verlagerung bringt inhaltlich keinen Mehrwert. Die Debatte heute, die Debatten, die wir insgesamt erlebt haben, und auch der Vortrag des Staatssekretärs haben gezeigt: Es gibt keinen inhaltlichen Grund für diese Verlagerung des Nationalen Normenkontrollrats. Das ist kein Beitrag zum Bürokratieabbau. Es ist Postenschieberei. Ich finde, Sie haben mit diesem Thema etwas anderes sehr, sehr deutlich gezeigt. Anstatt Bürokratieabbau entstehen rechnerisch 1 400 Arbeitsstunden für die Verlagerung, für den Umzug des Nationalen Normenkontrollrates. Diese Arbeitszeit wäre in Facharbeit besser angelegt gewesen. Was der Normenkontrollrat braucht, ist Wertschätzung. Von uns gab es die immer. Deswegen sage ich für meine Fraktion auch einen ganz besonders herzlichen Dank an den langjährigen Vorsitzenden Dr. Johannes Ludewig. ({7}) Das war ein echt guter Beitrag, diese Aufbauphase im Kanzleramt. Es ist jetzt ein schwerer Start für den neuen Nationalen Normenkontrollrat; gleichwohl freuen wir uns auf eine gute Zusammenarbeit mit Lutz Goebel. ({8}) Aber wir müssen schon sagen: Wenn man sich die Debatte heute anschaut, wenn man sich Ihre Schwerpunktsetzung anschaut, dann gilt nicht nur angesichts der Uhrzeit, sondern auch angesichts Ihrer Themensetzung für den Bürokratieabbau in Deutschland: Gute Nacht! – Das ist die Maßgabe des Tages. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. ({9})