Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/27/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Morgen haben wir im Kabinett den Entwurf eines Familienentlastungsgesetzes beschlossen. Damit bringen wir ein sehr wichtiges Vorhaben dieser Regierung auf den Weg, auf das wir uns schon lange vorher verständigt haben. Es geht darum, die verfügbaren Einkommen von Familien zu verbessern, sie zu stärken und insbesondere Familien mit geringen und mittleren Einkommen eine bessere Situation zu verschaffen. Dazu erhöhen wir das Kindergeld ab Juli 2019 um 10 Euro pro Kind und Monat. Der steuerliche Kinderfreibetrag wird entsprechend angepasst, und zwar passgenau: 2019 wird die Kindergelderhöhung für ein halbes Jahr berücksichtigt und ab 2020 für das ganze Jahr. Wir stellen weiter sicher, dass das Existenzminimum, also das, was jeder und jede zum Leben braucht, auch weiterhin steuerfrei bleibt. Der Entwurf sieht vor, dass wir den Grundfreibetrag um 168 Euro im Jahr 2019 und um weitere 240 Euro in 2020 anheben. Wir sorgen dafür, dass Lohnsteigerungen im Geldbeutel der Beschäftigten ankommen. Daher gleichen wir für 2019 und 2020 den Effekt der kalten Progression aus, indem wir die Eckwerte des Steuertarifs um den Wert der Inflationsrate von 2017 nach rechts verschieben. Dafür nutzen wir einen Teil der sich aus der letzten Steuerschätzung ergebenden Mehreinnahmen, wie ich das im Mai bereits angekündigt habe. Auch wenn, wie wir wissen, der 12. Existenzminimumbericht und der diesjährige Bericht zur Wirkung der „kalten Progression” noch nicht vorliegen: Wir greifen mit dem Entwurf des Familienentlastungsgesetzes den Ergebnissen vor. Denn wir wollen sichergehen, dass wir früh genug die Voraussetzungen schaffen, damit die Steuersenkungen im kommenden Jahr sofort greifen können. Sollten sich aufgrund der Berichte im Herbst noch Anpassungen bei den konkreten Werten als erforderlich erweisen, werden wir Ihnen vorschlagen, sie im Verlaufe des parlamentarischen Verfahrens noch nachzuzeichnen. Mit den Maßnahmen des Familienentlastungsgesetzes stärken wir die verfügbaren Einkommen von Familien um insgesamt circa 10 Milliarden Euro. Davon profitieren natürlich auch Familien mit höheren Einkommen, die entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mehr Steuern zahlen. Doch es gilt: Für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen ist die Wirkung im Verhältnis der zu zahlenden Steuern deutlich größer. Ich glaube, dass man das gut verstehen kann und dass sich das auch an vielen, vielen Beispielen immer wieder erläutern lässt. Das ist eine sehr bewusste Entscheidung; denn gerade Familien mit mittleren und kleinen Einkommen sollen von unseren Maßnahmen profitieren. Das ist ein Ausdruck gerechter Finanzpolitik, und es ist auch ökonomisch wichtig. Im Übrigen sind all diese Maßnahmen Teil einer größeren Strategie, in der es uns darum geht, die Nettowirkung der Entlastungen zu verbessern. Ein Beitrag dazu werden auch weitere Schritte etwa im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sein, indem wir dort zur paritätischen Finanzierung zurückkehren. Und wir können auch möglich machen, dass angesichts der guten Kassenlage zum Beispiel der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt. Wir werden Sorge tragen dafür, dass die Gleitzone bei den sogenannten Midijobs verlängert wird, sodass gerade im untersten Bereich der Einkommen Entlastungen eintreten. Und natürlich setzen wir die Möglichkeiten des Staates ein, um die Situation von Familien zu verbessern, zum Beispiel mit dem Gute-Kita-Gesetz, das auf dem Weg der Abstimmung ist, mit der Verbesserung des Kinderzuschlags oder mit den geplanten Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket. Am Ende dieser Legislaturperiode wird dann die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, eine Maßnahme zur Entlastung für knapp 90 Prozent all derjenigen, die ihn zu zahlen haben, greifen. Man sieht also deutlich: Es geht um Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger und für Familien, sodass sie mehr verfügbare Mittel haben und von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren können. Mit diesem Gesetz, das wir heute auf den Weg gebracht haben, haben wir dazu einen ganz wichtigen Beitrag geleistet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Die erste Frage hat der Kollege Albrecht Glaser, AfD.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verehrter Herr Finanzminister, die Frage geht dahin, inwieweit es tatsächlich um eine steuerliche Entlastung der Familien geht. Das ist ja das Etikett, unter dem diese Einkommensteuernovelle rangiert. Aber in Wahrheit ist es im Wesentlichen nur eine Vermeidung von Mehrbelastung durch die kalte Progression und die Inflationseffekte. Insofern wird der Status der Familie, was den Steuertarif angeht, gar nicht verändert, sondern es wird nur eine höhere Belastung vermieden. Würden Sie diese Betrachtungsweise teilen?

Not found (Minister:in)

Nein, ich teile Ihre Betrachtungsweise nicht. Die Kindergelderhöhung, die im Mittelpunkt steht, und die erhöhten Freibeträge sind eine unmittelbare Entlastung. Die Reaktion auf die kalte Progression ist auch eine Handlung, die der Staat in früheren Jahren gar nicht vorgenommen hat. Es ist eine Innovation meines Vorgängers, die er auf den Weg gebracht hat, dass wir immer mal wieder überprüfen, ob solche Schritte notwendig sind. Sie führen dann – anders als früher, als es sie nicht gab – dazu, dass tatsächlich ein größeres Einkommen zur Verfügung steht als ohne den gesetzgeberischen Eingriff. Das gilt natürlich auch im Hinblick darauf, dass das Existenzminimum besser berücksichtigt wird. Ich kann also Ihre Einschätzung gar nicht teilen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage hat der Kollege Johannes Steiniger, CDU/CSU.

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister, zunächst einmal – das vielleicht vorausgeschickt – finde ich es sehr gut, dass es gestern zum Thema Baukindergeld eine Einigung gab, die keine Wohnraumbegrenzung vorsieht. Wir machen mit diesem vorliegenden Gesetz eine weitere Entlastung für Familien. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir dies jetzt auch schnell umsetzen müssen – Sie haben darauf hingewiesen –, damit dies nicht rückwirkend, sondern direkt ab dem 1. Januar 2019 greifen kann. Können Sie noch mal näher auf den Zeitplan – die IT in der Verwaltung muss umgestellt werden – eingehen? Welche Probleme, schätzen Sie, könnte es da geben?

Not found (Minister:in)

Zunächst mal begrüße ich wie Sie, dass wir eine umfassende Entlastung auch im Bereich des Wohnens ermöglichen, mit den verbesserten Maßnahmen für den sozialen Wohnungsbau, mit den Verbesserungen im Hinblick auf die steuerliche Berücksichtigung von Investitionen im Mietwohnungsbau und auch mit einem Baukindergeld, das sich im Rahmen der Haushaltsmöglichkeiten des Bundes bewegt. Wir haben gesagt: Es soll einen Impuls geben für drei Jahre, 2018, 2019, 2020, damit diese Zeit von Familien genutzt werden kann, Eigentum zu schaffen. Durch diese zeitliche Einschränkung und Organisation ist es auch möglich, dass das mit den Mitteln, die wir haben, geht. Im Übrigen hoffen wir, dass wir durch den frühen Schritt, das Gesetz jetzt schon auf den Weg zu bringen, alle Dinge – auch zum Beispiel, was die kalte Progression und das Existenzminimum betrifft – rechtzeitig zu Ende führen können, vorausgesetzt die parlamentarischen Beratungen sind entsprechend zügig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das Parlament wird sich alle Mühe geben, Herr Bundesminister. – Ich würde allerdings dafür plädieren, dass wir bei unserer bewährten Übung bleiben, zunächst, in diesem Teil, Fragen zu dem Gegenstand des Berichtes des Herrn Bundesministers zu stellen. Dazu erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Markus Herbrand, FDP.

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie sprechen von großen Entlastungen und sagen auch, das sei eine Leistung dieser Koalition. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es sich in weiten Teilen um die Vorwegnahme einer Selbstverpflichtung handelt, was den Bericht über die Auswirkungen der kalten Progression angeht, und auch darum, verfassungsrechtlich gebotene Entlastungen umzusetzen – Stichwort „Existenzminimumbericht“. Meine Frage an Sie lautet daher: Kommt auch noch eine richtige Steuerentlastung für die Bürgerinnen und Bürger, oder bleibt es bei der Umsetzung von verfassungsrechtlich notwendigen Anpassungen, von denen ich eben sprach und die damals übrigens zwar auch von Ihrem Vorgänger, aber mit tatkräftiger Mitunterstützung der FDP eingeführt wurden?

Not found (Minister:in)

Schönen Dank für Ihre Frage. – Selbstverpflichtungen sind Verpflichtungen, die man sich selbst gegeben hat. Und Sie bringen großes Vertrauen in die Regierung zum Ausdruck, wenn Sie sagen, dass solche Dinge schon fast Gesetzescharakter haben. Aber das ist nicht so; das muss man dann tatsächlich erst einmal zustande bringen. Im Übrigen sind wir davon überzeugt, dass es richtig ist, diese Schritte jetzt zu gehen, obwohl die Berichte dazu noch gar nicht vorliegen. Uns ist ganz wichtig, dass das schnell genug funktioniert, damit die Entlastungsschritte auch möglich sind. Zu Ihrer Frage, ob noch weitere Dinge kommen: Ja, selbstverständlich. Ich habe einige bereits angedeutet, etwa bei den Entlastungen im Bereich der Sozialversicherung. Aber es kommt noch hinzu der große steuerliche Schritt, mit dem wir den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent derjenigen, die ihn heute zahlen, 2021 abschaffen werden. Das sind immerhin 10 Milliarden Euro – ein ganz üppiges Paket.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Lothar Binding, SPD.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe ein Interesse daran, dass Sie noch einmal den Gesamtkomplex darstellen: Abbau der kalten Progression bzw. Kompensation der kalten Progression, Kindergeldanhebungen, Baukindergeldzusage, Wohnbauförderung. Mich würde interessieren, was das im Gesamtkomplex für Familien bedeutet bezogen auf Steuersenkungen und Steuererleichterungen.

Not found (Minister:in)

Es sind sehr viele Maßnahmen auf dem Weg, die dazu beitragen, dass Familien sehr erheblich besser zurechtkommen können. Wir wissen, dass das in den gegenwärtigen Zeiten auch bedeutet, dass sie zum Beispiel von Belastungen durch Gebühren befreit werden. Deshalb ist das Paket, das sich hinter dem Namen „Gute-Kita-Gesetz“ verbirgt, auch eine Entlastung für Familien. Sie werden in einer sehr herausfordernden Zeit besser zurechtkommen können, wenn damit zum Beispiel die Gebühren sinken. Deshalb ist es wichtig, dass wir sagen: Wir schaffen bezahlbaren Wohnraum mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus oder indem wir zum Beispiel die Möglichkeit der Eigentumsbildung für einen Zeitraum von drei Jahren neu schaffen. Selbstverständlich gehören die 10 Milliarden Euro, über die wir heute beraten haben, zusätzlich dazu. Sie werden letztendlich dazu beitragen, dass sich der finanzielle Spielraum von Familien entsprechend vergrößert. Nicht zu vergessen sind auch die vielen Beitragsreduzierungen. Ich habe das bei der Krankenversicherung, bei der Arbeitslosenversicherung und, über alle Versicherungszweige hinweg, bei der Gleitzone, die wir ausweiten wollen, angesprochen. Das kommt denjenigen zugute, die im unteren Einkommensbereich tätig sind.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katrin Werner, Fraktion Die Linke.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Sie sprachen ja vom Anfang einer größeren Strategie. Sie meinen damit die Entlastung von Familien. Ich möchte – das ist das Aktuellste – aus der Pressemitteilung des Deutschen Kinderhilfswerks vom 27. Juni zitieren, das sich dort zum Familienentlastungspaket der Bundesregierung äußert: Problematisch ist aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes auch, dass die besonders bedürftigen Kinder im Hartz-IV-Bezug komplett leer ausgehen, da das Kindergeld voll auf den Regelsatz angerechnet wird. Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuss beziehen, wird das Kindergeld vollständig auf diese Leistung angerechnet. Damit wird keine Verteilungsgerechtigkeit geschaffen, sondern im Gegenteil diejenigen Familien bevorteilt, die ihren Kindern durch höhere Einkommen ohnehin bessere Startbedingungen geben können. Ergänzend dazu möchte ich sagen: Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter sagt in seiner Stellungnahme, dass durch die vollständige Anrechnung des Kindergelds auf Unterhaltsvorschuss und Hartz-IV-Leistungen die geplanten Maßnahmen des Familienentlastungsgesetzes voll an den armutsbetroffenen Einelternfamilien vorbeigehen. Daher ist meine Frage: Inwieweit wird das sogenannte Familienentlastungsgesetz seinem Namen gerecht? Welche Reformen sind für Familien geplant, die auch Einelternfamilien und andere einbeziehen? – Danke.

Not found (Minister:in)

Wir haben sehr viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um zum Beispiel die Situation von Familien zu verbessern, die Grundsicherung beziehen. Dazu gehört natürlich das schon angesprochene Bildungs- und Teilhabepaket, bei dem wir uns vorgenommen haben, Verbesserungen durchzusetzen. Dazu gehören auch all die anderen Maßnahmen, die hier schon in Rede standen, etwa was den Ausbau von Krippen und Kitas, Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten betrifft. Und dazu gehört selbstverständlich auch und vor allem die von uns geplante Verbesserung beim Kinderzuschlag. Das ist, wie ich finde, eine der modernsten sozialpolitischen Leistungen, die der deutsche Sozialstaat zu bieten hat. Sie setzt an bei der Bereitschaft, bei dem Engagement, das sich in einer Berufstätigkeit zeigt, und stellt sicher, dass diese Situation sich eben auch besonders auszahlt. Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag gerade diesen Familien zugutekommen lassen, und viele Alleinerziehende und ihre Kinder werden davon ganz besonders profitieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Annalena Baerbock, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, vielen Dank. – Ich knüpfe an die Frage meiner Kollegin an. Da die Kindergelderhöhung ja gerade nicht Kindern zugutekommt, die im Regelbezug sind, und auch nicht Kindern zugutekommt, deren Eltern – meistens Mütter, Alleinerziehende – den Kinderzuschlag erhalten, stellt sich mir schon die Frage, warum die Erhöhung des Kinderzuschlages nicht Teil dieses Gesetzes­pakets ist. Sie meinen ja mit dem Familienentlastungsgesetz hoffentlich nicht nur Familien, die ein mittleres und hohes Einkommen haben, sondern alle Familien in diesem Land. Warum fehlt das hier, und wann wird diese Entlastung, gerade für Kinder im Regelbezug und deren Eltern oder Mütter, die Kinderzuschlag bekommen, endlich eintreten?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal bedanke ich mich dafür, dass Sie meine Einschätzung teilen, dass der Kinderzuschlag einer der wichtigsten Teile unseres sozialen Sicherungssystems ist, und zwar wegen der Einordnung in das Gesamtsystem und weil er zum Beispiel für Alleinerziehende ganz besonders attraktiv ist und dort eine besonders hohe Wirkung erzielt. Darum haben wir uns eine sehr grundlegende Reform vorgenommen. Die Ministerin arbeitet gegenwärtig daran, das hinzubekommen, damit der Kinderzuschlag nicht nur einfach höher wird und mehr Personengruppen erreicht, sondern damit auch viele der bürokratischen Nachteile, die heute mit der Art und Weise verbunden sind, wie der Kinderzuschlag gewährt wird, abgeschafft werden. Es geht auch darum, die Ausschöpfungsquote zu erhöhen. Das ist ja schlecht, wenn eine so attraktive, so gute und so zielgenaue Leistung, die sich an erwerbstätige Alleinerziehende richtet, nicht wirksam wird, weil so viele Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass sie zu wenige beantragen, obwohl sie es eigentlich könnten. Wer sich in die Sache vertieft, weiß: Damit sind noch viele andere bürokratische Probleme verbunden. Die Ministerin und die Bundesregierung haben sich vorgenommen, das alles zu ändern und einen großen Aufschlag beim Kinderzuschlag hinzubekommen. Der braucht natürlich ein bisschen Zeit, weil das wirklich gute Gesetzgebungsarbeit sein muss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Nicole Höchst, AfD.

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für das Wort. – Herr Minister Scholz, Sie bringen einen Gesetzentwurf ein, vorgeblich zur Stärkung und steuerlichen Entlastung von Familien. Ihre Kindergelderhöhung ab 2019 um 10 Euro pro Kind und Monat plus entsprechende steuerliche Entlastung bedeutet eventuell die Sicherstellung des Existenzminimums, aber gar nicht den angestrebten Ausgleich der kalten Progression und der Inflation. Es ist schlicht zu wenig. Nur zum Vergleich: Eine kleine Kugel Eis kostet in Speyer 1 Euro. Ich frage Sie deswegen mit einiger Dringlichkeit: Wie wollen Sie eine derartige populistische Luftnummer den Familien erklären, die jeden Tag miterleben müssen, dass die kleine GroKo Milliarden vergibt in fremde Länder und an Fremde im eigenen Land? – Vielen Dank.

Not found (Minister:in)

Den Populismus überlasse ich anderen. Die haben da andere Fertigkeiten entwickelt. ({0}) Aber ich will gerne auf Ihre Frage antworten: Es ist völlig unrichtig. Wir tun etwas zur Abfederung der kalten Progression. Wir erhöhen das Existenzminimum, und darüber hinaus erhöhen wir Kindergeld und Kinderfreibetrag, und zwar über das Maß hinaus, das sich eigentlich aus einer bloßen Anpassungsberechnung ergeben würde. Das sind besonders große Schritte, die wir hier gehen, größer als die, die in den letzten Jahren gegangen worden sind, insbesondere wenn Sie im Blick haben, dass die Regierung vorhat, noch mal eine sehr substanzielle Kindergelderhöhung vorzunehmen, und jetzt bereits in der Phase der Planung ist, wie wir diesen zweiten Gesetzgebungsschritt dem ersten folgen lassen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Grigorios Aggelidis, FDP.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Eine kurze Frage – mit einer hoffentlich auch erschöpfenden und guten Antwort –: Warum ist die Kindergelderhöhung nicht auch bereits zum 1. Januar 2019 vorgesehen wie die Erhöhung des Kinderfreibetrages, sondern erst sechs Monate später, zum 1. Juli 2019? Das habe ich bereits in diversen Reden moniert. – Danke.

Not found (Minister:in)

Gut, dass Sie mir die Frage stellen. Dann müssen Sie das in den nächsten Reden nicht mehr vorkommen lassen. ({0}) Es ist so, dass wir uns eine Kindergelderhöhung zum 1. Juli vorgenommen haben und deshalb entsprechend den Kinderfreibetrag anpassen. Das muss gesetzgeberisch mit Wirkung zum 1. Januar vollzogen werden. Aber das wird natürlich erst bei der Endabrechnung, am Ende des Jahres, wirksam, sodass es auch nicht so ist, dass die Freibetragsprofitierenden – wenn man das so sagen kann – vor den Kindergelderhöhungsprofitierenden etwas davon haben. Es passt also gut zusammen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann stellt der Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke, die nächste Frage.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, auch mit dem Familienentlastungsgesetz wird es so sein, dass die Differenz zwischen der maximalen steuerlichen Entlastung über den Kinderfreibetrag und dem Kindergeld, von dem überwiegend Durchschnittsverdiener und Geringverdiener profitieren, also Menschen außerhalb des SGB-II-Bezugs, die von ihrer Hände Arbeit schlechter leben können als Spitzenverdiener, pro Kind um die 100 Euro beträgt. Das heißt, Menschen, die vom Kinderfreibetrag voll profitieren, haben pro Kind um die 100 Euro mehr, als an Kindergeld ausgezahlt wird. Meine Fragen wären: Erstens. Wann schließen Sie diese Lücke? Zweitens. Wann wollen Sie äquivalent auch die Regelbedarfssätze nach dem SGB II für Kinder erhöhen, damit auch arme Kinder was haben und uns alle Kinder gleich viel wert sind?

Not found (Minister:in)

Wie Sie wissen, werden die Regelbedarfssätze immer wieder angepasst. Das ist eine Routinehandlung, die die Bundesregierung vornimmt. In den Zeiträumen dazwischen fragen Sie immer, wann es endlich passiert; aber es passiert immer wieder, ganz regelmäßig, weil es eine richtige Entscheidung eines gut funktionierenden Sozialstaates ist. Deshalb können Sie sich darauf verlassen: Das kommt auch wieder und wird auch regelmäßig weiter so sein. Was die Frage der Differenz, die Sie angesprochen haben, betrifft: Die relative Entlastung durch das Zusammenspiel von Kindergelderhöhung und Kinderfreibeträgen ist bei den Familien mit kleinen und mittleren Einkommen am größten – das kann man sehr genau sehen. Diejenigen, die von dem Kinderfreibetrag am allermeisten profitieren, zahlen wegen ihrer hohen steuerlichen Leistungsfähigkeit, ihres hohen Einkommens, auch schon sehr, sehr hohe Steuern; das sind mehrere Tausend Euro pro Monat. Daran kann man sehen, dass das schon gut zusammenpasst.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, da kann ich ganz gut anknüpfen. Sie haben das Gesetz ja extra Familienentlastungsgesetz genannt, und es stimmt – es wird Familien entlasten. Aber dieses Gesetz wird nichts für die Bekämpfung von Kinderarmut tun. Von daher wüsste ich schon gerne, warum Sie diese Priorität so gesetzt haben. Es ist so, dass Sie den Kinderfreibetrag stärker erhöhen. Es ist so, dass das Kindergeld erst nur für ein halbes Jahr und um 10 Euro erhöht wird. Das heißt: Die größeren Profiteure sind die mit den hohen Einkommen. Die zweiten Profiteure sind die mit den mittleren Einkommen. Diejenigen, deren Kinder den Kinderregelsatz erhalten, bekommen nichts davon. Diejenigen, die auf den Unterhaltsvorschuss angewiesen sind, bekommen auch nichts Zusätzliches. Von daher wird weiterhin oben am meisten verteilt; ein bisschen geht in die Mitte, und unten kommt gar nichts an. – Das ist die Prioritätensetzung dieser Koalition, und die hätte ich gerne von Ihnen erläutert. Ich wüsste auch gerne, warum Sie nicht den Automatismus vollzogen haben, dass zumindest die Alleinerziehenden über den Alleinerziehendenentlastungsbetrag mit profitieren. Auch der bleibt konstant, auch in dem Bereich machen Sie gar nichts. ({0})

Not found (Minister:in)

Ich teile Ihre Einschätzung gar nicht. Ich hatte ja schon bei anderen Nachfragen die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir mit der Entlastung über das Kindergeld und den Kinderfreibetrag einen großen Schritt gehen. Noch mal: Der Kinderfreibetrag greift nicht früher. Er wird ab dem Beginn des Jahres ins Werk gesetzt; aber es wird ja am Ende des Jahres abgerechnet. Dann wird geguckt, ob die Kindergelderhöhung nicht ausreicht, um die Wirkungen in dem Steuerbereich auszugleichen. Also kommt der Kinderfreibetrag nicht früher. ({0}) Es wäre schön, wenn Sie das in Zukunft nicht wieder behaupten würden. Das Zweite ist: Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es sich bei den Steuerpflichtigen, die vom Freibetrag profitieren – das ist ein Thema, das man immer diskutieren kann, und Sie können sich vielleicht vorstellen, dass ich das gut verstehe –, um Männer und Frauen handelt, die schon viele Tausend Euro pro Monat an Steuern zahlen. ({1}) Insofern werden sie – auch durch die höhere Progression im Steuertarif – stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen als andere, was ich auch richtig finde; denn ich glaube, dass unser Steuertarif zu Recht diejenigen, die sehr viel verdienen, mit höheren Steuern belegt als alle anderen und er eine Progression vorsieht. Im Übrigen weise ich noch einmal darauf hin, dass die große wichtige Verbesserung für Familien, neben dem, was wir bei Krippen, Kitas und Ganztagsbetreuung und für Gebührenfreiheit tun, neben dem, was wir für eine bessere Wohnsituation tun, zum Beispiel mit dem sozialen Wohnungsbau, und neben der Beitragsentlastung, kommen soll durch den großen, großen Reformschritt, den wir beim Kinderzuschlag vorhaben. Da Sie die ganze Zeit danach fragen, bin ich überzeugt, dass Sie eine große Unterstützerin dieses Vorschlages sein werden und wir eine breite, über die Regierungsmehrheit hinausreichende Unterstützung im Parlament finden werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Herr Bundesminister, die Uhr im Saal ist die Ermahnung, die eine Minute Redezeit möglichst einzuhalten. Wenn es rot ist, dann ist die Zeit um. Die nächste Frage stellt der Kollege Johannes Huber, AfD.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Minister Scholz, wir begrüßen ja die Absicht, die Situation von Familien in Deutschland zu verbessern. Das ist auch bitter notwendig, wenn man sieht, dass Deutschland bei der Steuer- und Abgabenlast im OECD-Vergleich Platz zwei belegt. Ich frage Sie daher, ob Sie 10 Euro mehr an Kindergeld im Monat – und das auch erst Mitte 2019 – als verhältnismäßig ansehen angesichts der Rekordsteuereinnahmen auf der einen Seite und rund 350 Millionen Euro auf der anderen Seite, die jährlich an Eltern ausgeschüttet werden, deren Kinder im Ausland leben.

Not found (Minister:in)

Sie haben ein paar Dinge vermengt, was aber vielleicht auch Stil ist. – Zur konkreten Antwort: Wir haben ein Entlastungspaket für Familien von 10 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Das ist das, worüber wir gerade beraten. Ich habe Ihnen schon gesagt: Es wird eine weitere große Entlastung geben, zum Beispiel durch die Tatsache, dass 90 Prozent derjenigen, die heute den Soli zahlen müssen, ihn dann nicht mehr zahlen müssen. Das bringt noch einmal eine Entlastung von 10 Milliarden Euro. Darüber hinaus gibt es Entlastungen durch Beitragssenkungen. Dann gibt es Entlastungen, die wir durch den sozialen Wohnungsbau und durch die Gebührenfreiheit für Krippen und Kitas voranbringen wollen. Das alles stellt eine massive Verbesserung der Situation von Familien in Deutschland dar, und das ist auch gut so. Über die Reform des Kinderzuschlags ist schon interessiert diskutiert worden. Was die Frage des Kindergeldbezugs im Ausland betrifft: Ich glaube, es sind sich alle einig, jedenfalls fast alle, dass das eine Leistung ist, die jedermann, der hier in Deutschland erwerbstätig ist, gewährt wird. Die Frage, die die Bundesregierung bewegt, ist, ob es wirklich vernünftig ist, dass wir dabei die sehr unterschiedlichen Lebensverhältnisse in den europäischen Staaten nicht berücksichtigen. Wir wissen, dass wir in unseren Handlungsmöglichkeiten durch europäisches Recht gebunden sind. Schon die letzte Bundesregierung hat dazu Beschlüsse gefasst. Insofern werden wir im europäischen Rahmen die Frage weiter diskutieren. Das ist das, worum es jetzt geht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Bettina Stark-Watzinger, FDP.

Bettina Stark-Watzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004902, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Minister, mir ist es so gegangen wie dem Kollegen Herbrand: Ich habe mir unter dem Familienentlastungsgesetz etwas Großes vorgestellt, musste dann feststellen, dass es im Prinzip die Selbstverpflichtungen, wie Sie es genannt haben, sind, die sich die Regierungen zuvor auch schon gegeben hatten mit Blick auf den Ausgleich in den Bereichen Existenzminimum und kalte Progression. Warum kommt das Gesetz schon jetzt, also bevor die entsprechenden Berichte dazu vorliegen? Man hätte, wenn man auf die Berichte nicht wartet, ja auch mutig sein können und den Ausgleich bei der kalten Progression auf die letzte große Tarifanpassung im Jahr 2010 zurückrechnen können.

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal: Das Paket zur steuerlichen Besserstellung von Familien und zu ihrer Entlastung umfasst ja mehr Punkte als kalte Progression und Grundfreibetrag. Es umfasst auch die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages. Darum kommt so viel Geld dabei zusammen. Das sind Entscheidungen, die nicht vorgegeben sind, sondern die die Regierung aus eigener politischer Einsicht voranbringt, und sie hofft, dass der Deutsche Bundestag ihr in dieser Einstellung folgt. Was die Frage betrifft, warum wir das jetzt schon machen: Wir machen das deshalb schon jetzt, weil wir wollen, dass das Gesetz rechtzeitig in Kraft tritt. Wenn wir den Existenzminimumbericht abwarten würden, würde das Gesetz möglicherweise nicht mehr zum 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten können. Das würden wir sehr bedauern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Ich habe eine ganz kurze Frage. 2,7 Millionen Kinder leben bei uns in Deutschland in ärmlichen Verhältnissen. Sind Sie davon überzeugt, dass die Maßnahmen, die Sie jetzt vorsehen, wirklich ausreichend sind, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen?

Not found (Minister:in)

Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Nein. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, um die Situation von Kindern, die in Deutschland in ärmlichen Verhältnissen leben, zu verbessern. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen der Bundesregierung und auch mir persönlich sehr wichtig. Deshalb weiß ich auch, dass wir noch sehr viel mehr tun müssen. Ich habe schon über den sozialen Wohnungsbau, über gebührenfreie Kitas, über Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten und insbesondere über die Verbesserung des Arbeitsmarktzugangs gesprochen. Das hat ganz viel mit Bildung zu tun, mit einer besseren Arbeitsvermittlung und zum Beispiel auch mit dem Kinderzuschlag, nach dem schon mehrfach gefragt wurde. Dieser Kinderzuschlag ist eine ganz großartige Leistung, durch die sich Erwerbstätigkeit schneller lohnt, sodass Familien schneller aus dieser Situation herauskommen können. Das Wichtigste, was wir tun können, um Kinder aus Armut herauszubringen, ist, ihren Eltern eine Beschäftigung zu verschaffen, und da ist die Bundesregierung mit vielen, vielen Maßnahmen unterwegs, zum Beispiel durch die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes. Das ist eine andere Reform, die in diesem Kontext aber mitgenannt werden muss. – Nein, das ist eine große Aufgabe, und sie erfordert unsere ganze Kraft.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Martin Reichardt, AfD.

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, Sie verwenden in Ihrer Rede, aber auch im Gesetzestext starke Worte: Entlastung, Stärkung, große Schritte. Es ist davon auszugehen, dass bei einer mittleren Familie – Mann, Frau, zwei Kinder – mit mittlerem Einkommen von Ihrer Entlastung etwa 50 Euro pro Monat ankommen. Zum Vergleich: Ein Schulranzen mittlerer Preisklasse kostet 90 Euro, ein Paar Kinderschuhe 50 Euro. Ist vor diesem Hintergrund diese Wortwahl nicht entscheidend zu relativieren und endlich damit aufzuhören, von „großen Schritten“ und „entscheidenden Maßnahmen“ zu sprechen?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal: 50 Euro mal zwölf sind schon 600 Euro. Ich glaube, dass das – wenn man sich das einmal klarmacht – viel Geld ist. Gerade wenn man nicht so viel Geld hat, dann ist das eine Entlastung, auf die man sich sehr freut und die es einem ermöglicht, mit der Situation besser umzugehen. Ich glaube übrigens nicht, dass wir allein mit steuerlichen Maßnahmen die Situation von Familien verbessern können. Da müssen wir viel umfassender vorgehen. Ich habe die Themen ja schon benannt: Es geht um Arbeitsplätze und Einkommenschancen. Es geht um den Mindestlohn, der erhöht wird, wie Sie den Medienberichten entnommen haben. Es geht um die Frage, wie wir es hinbekommen, dass Krippen und Kitas ein Ganztagsangebot haben, dass sie gebührenfrei sind und wir entsprechende Schulangebote haben. – All das ist Teil eines Programms, um sicherzustellen, dass sich die Mühen und Anstrengungen, die viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes jeden Tag erbringen, auch auszahlen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt haben wir noch eine Frage des Kollegen Norbert Müller, Fraktion Die Linke.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, mich würde noch interessieren, wie viele Familien mit wie vielen Kindern nach Schätzung der Bundesregierung nach Inkrafttreten des Familienentlastungsgesetzes aus dem Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II herauskommen, das heißt, durch die Erhöhung von Kindergeld, Kinderfreibetrag, Grundfreibeträgen etc. Wie viele Familien mit wie vielen Kindern insgesamt werden dann weniger auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sein?

Not found (Minister:in)

Wir werden diese Zahlen noch genau berechnen. Ich sage Ihnen aber auch, dass wir das im Zusammenhang mit dem schon angesprochenen Kinderzuschlag noch einmal genau betrachten werden. Das ist nämlich genau die Maßnahme, mit der wir noch mehr Familien den Ausweg aus der Abhängigkeit von der Grundsicherung für Arbeitsuchende ermöglichen wollen. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Wir müssen einen Weg finden, dass jemand, der zum Beispiel für 550 Euro arbeitet, nicht mehr von einer Grundsicherungsleistung abhängig ist. Genau das ist die Frage, die wir bei der Wohngeldreform, dem Kinderzuschlag und den jetzt hier vorgesehenen Erhöhungsschritten mitdiskutieren. Das greift alles ineinander. Ich glaube, wenn wir das Gesamtpaket unserer Reform im Blick haben, wird die Gruppe der Familien, die einen Weg raus aus dem Grundsicherungsbezug finden, sehr groß sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Damit kommen wir zum zweiten Teil der Regierungsbefragung: weitere Themen der Kabinettssitzung und sonstige Fragen. Die erste Frage stellt der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nach Artikel 16a Grundgesetz haben Einreisende aus sicheren Drittstaaten, also unseren Nachbarländern, kein Asylrecht. Nach Dublin III hat der Erstzutrittsstaat in die EU die Asylzuständigkeit zu prüfen. Zurückweisung an der deutschen Grenze ist somit rechtens. Frau Merkel hat mit ihrem nationalen Alleingang – Grenzöffnung 2015 – gegen deutsches und europäisches Recht gehandelt – statt als Ausnahme dauerhaft –, ({0}) europäische Solidarität zerstört und weitere Zuwanderung ausgelöst. Ein Minister, der diesen Zustand wenigstens teilweise korrigieren und rechtskonform schon registrierte Migranten zurückweisen will, wird mit Entlassung bedroht. ({1}) Richtlinienkompetenz steht nicht über geltendem Recht. Wenn Frau Merkel eine auch nur teilweise Wiederanwendung geltenden Rechts verweigert, gebietet es dann nicht die Würde des Amtes, so frage ich die Regierung, dass für solches Handeln die Vertrauensfrage gestellt werden muss, wenn der Mut da ist? ({2})

Not found (Minister:in)

Ich habe Ihnen zugehört, in der Hoffnung, dass ich die Frage entdecke. Am Ende habe ich die Kurve noch gekriegt. ({0}) Ich will versuchen, die Frage, die Sie gestellt haben, zu beantworten: Nein, Deutschland handelt entsprechend den Rechtsordnungen, die wir zu beachten haben – der deutschen und der europäischen –, und den ganzen Verträgen, die wir unterzeichnet haben. Wir alle wissen sehr, sehr gut, dass es uns nur im europäischen Zusammenhang möglich sein wird, die Aufgaben, die wir zum Beispiel bei der Fluchtmigration vor uns sehen, zu lösen. Dazu gehört, dass wir die Außengrenzen stärken. Das ist eine Erkenntnis, die in vielen Staaten Europas Stück für Stück größer wird. Wir haben gemeinsame Außengrenzen. Deshalb müssen auch diejenigen Länder, die wie zum Beispiel Deutschland von diesen Außengrenzen weit weg sind, Mitverantwortung für das, was dort geschieht, übernehmen. Das gilt natürlich auch für die ständige Verbesserung und Effizienz der Verfahren, die wir hier in Deutschland haben. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass die Regierung ein Mandat für gutes Handeln hat und es eine solche Frage nicht braucht. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Martin ­Neumann, FDP.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich frage zum Thema „Autonome Funknetze für Energieversorger“. Wie positioniert sich die Bundesregierung zum Vorschlag der Energieversorger, ab 2020 ein eigenes Funknetz aufzubauen? Begründet wird er mit dem Ziel der Stabilität der Verteilnetze. Ich frage ganz konkret: Welche rechtlichen und insbesondere sicherheitsrelevanten Aspekte wären bei der Umsetzung dieses Projektes zu beachten?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal ist zu beachten, dass es eine große Nachfrage nach diesen Netzfrequenzen gibt und sich die Frage, wie man das auflösen soll, noch nicht von selber beantwortet. Deshalb ist die Regierung dabei, diese Frage zu erörtern und eine gute Lösung zu entwickeln.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Lothar Binding, SPD.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage zur Bankenunion. Was den internationalen Finanzplatz angeht, ist ja die Positionierung Deutschlands und Europas zwischen China und den USA von besonderer Bedeutung. Können Sie etwas über Ihre Verhandlungsergebnisse in Richtung Weiterentwicklung der Bankenunion in Europa berichten?

Not found (Minister:in)

Gerne. Ich blicke dabei sehr zielgerichtet auf das Redezeitsignal, weil das ein ganz großes Thema ist und ich jetzt natürlich nur wenige Stichworte nennen kann. Wir haben es geschafft, uns auf ein Bankenpaket zu einigen, das mehr Stabilität in das Bankensystem, insbesondere mit Blick auf die großen Banken Europas, bringen wird. Es ist derzeit im Verfahren mit dem Europäischen Parlament. Wir haben Fortschritte bei der Verständigung darüber erzielt, wie es mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus weitergehen soll. Er kann unter parlamentarischer Kontrolle – auch dieses Parlaments – zusätzliche Aufgaben übernehmen, um kurzfristige Kreditlinien zu ermöglichen oder zum Beispiel als Letztsicherung für den Bankenabwicklungsmechanismus zu dienen. Dieser ist eine von Bankenabgaben getragene Einrichtung. Wir wollen in diesem Zusammenhang viele, viele Gesetzgebungsvorhaben der EU und Regelungen durchsetzen, die dazu beitragen, dass das System der Banken in Europa insgesamt weiter gestärkt wird, zum Beispiel indem wir bei notleidenden Krediten geringere Quoten vorschreiben und indem wir festlegen, wie man mit neu auftretenden notleidenden Krediten oder zum Beispiel mit Staatsschulden umgeht. Das alles sind Aufgaben, die anstehen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben die Vorgänge rund um das Rettungsschiff „Lifeline“ in den vergangenen Tagen sicher verfolgt, bestimmt auch die dramatische Situation, in der sich die Menschen an Bord befinden – dazu gehört auch die deutsche Crew, immerhin 17 deutsche Staatsbürger –, die seit sechs Tagen vor der Küste Maltas warten mussten und nicht in einen Hafen einlaufen durften. Eben wurde verkündet, dass sie es nun dürfen. Minister Seehofer hat gerade im Innenausschuss deutlich gemacht, dass das Schiff beschlagnahmt und die Crew zur Verantwortung gezogen werden soll. Deshalb fragen wir ganz direkt: Wird Deutschland – und wenn ja, zu welchen Bedingungen – Flüchtlinge von der „Lifeline“ aufnehmen? Wichtig ist uns der Umstand, zu welchen Bedingungen dies erfolgen soll. Ich habe gerade auf die Ausführungen des Ministers im Innenausschuss rekurriert. ({0}) – Sie sind nicht gefragt.

Not found (Minister:in)

Es stellt sich die Frage, wie wir als Europäische Union mit solchen Herausforderungen umgehen. Hierbei geht es nun um eine auf ein ganz konkretes Schiff bezogene Herausforderung, nicht darum, was wir insgesamt immer diskutieren. Es zeigt sich ja schon, dass die Bereitschaft besteht, gemeinsam zu handeln. Die maltesische Regierung hat das mit Blick auf ihre Kooperationsbereitschaft zur Voraussetzung gemacht, was man gut nachvollziehen kann. Deshalb wird gegenwärtig überall geprüft, wie die Bedingungen sein können, was man zunächst einmal selber machen könnte, um das dann als gemeinschaftliche Reaktion der europäischen Länder zu organisieren. Im Übrigen wird diskutiert, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit man das gut vertreten kann. Dazu zählt zum Beispiel die Frage, ob sichergestellt ist, dass das Schiff hinterher auch festgesetzt wird. Denn es gehört sicherlich auch dazu, dass wir verhindern, ({0}) dass eine Situation entstehen kann, in der Menschen in Gefahr gebracht werden. Das muss man, glaube ich, mitdiskutieren. ({1}) Alle diese Fragen werden jetzt erörtert und, ich hoffe, in kurzer Zeit entschieden. Das alles muss ja, wenn es gut geht, heute geklärt werden. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Martin Sichert, AfD.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, der türkische Staatspräsident Erdogan ist ein islamistischer Autokrat, der Tausende Oppositionelle ins Gefängnis gebracht hat. Er träumt von einem osmanischen Großreich und setzt das auch mit Angriffskriegen wie dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Afrin um. Zwei Drittel der türkischstämmigen Wähler in Deutschland haben jetzt Erdogan gewählt. ({0}) Wenn man die hierzulande lebenden Kurden herausrechnet, kann man sagen: Fast jeder Türke in Deutschland hat Erdogan gewählt. ({1}) Das zeigt: Die Integration ist gescheitert, auch weil die Bundesregierung Organisationen wie DITIB, die direkt von Erdogan gesteuert werden, mit finanziert. Sie haben als Hamburger Bürgermeister letztes Jahr beim G-20-Gipfel selbst gesehen, was passiert, wenn man Extremisten hofiert und finanziert. ({2}) Der Wissenschaftliche Dienst hat jetzt in einer aktuellen Ausarbeitung festgestellt, dass auch künftig Linksextre­misten beispielsweise durch das Familienministerium gefördert werden. Meine Frage an Sie als Finanzminister: Wie lange wollen Sie noch Extremisten und vom Ausland gesteuerte Organisationen finanzieren, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland bekämpfen und untergraben? ({3})

Not found (Minister:in)

In dem Anlauf zu Ihrer Frage ist eine ganze Reihe von Tatsachenbehauptungen enthalten, die ich für fachlich völlig falsch halte. ({0}) Ich glaube, dass das alles auch große Übertreibungen sind. Und welche Träume der türkische Präsident hat, kann ich nicht gut beurteilen. Aber ich will ausdrücklich sagen, dass es darauf ankommt, dass wir wissen, was wir für richtig halten. Dazu gehört ganz sicher, dass wir erwarten, dass diejenigen, die in unserem Land leben, sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und als Staatsbürger dieses Landes zum Beispiel an Wahlen in Deutschland teilnehmen und sich so beteiligen. Das funktioniert ganz gut. Ich finde auch, dass uns die Frage, wie jemand bei einer anderen Wahl abstimmt, nicht ausreichend Auskunft darüber gibt, wie er hierzulande eingestellt ist und welche Parteien er hier wählt. Da gibt es vielleicht auch für Sie überraschende Kombinationen. ({1}) Insofern will ich ausdrücklich sagen, dass das nicht die Betrachtungsweise ist, die wir anlegen sollten. Wir sollten vielmehr jeden daran messen, was er hierzulande tut und sagt und wie er sich zu unserer Verfassung verhält. Ich glaube, das ist etwas, über das wir gut berichten können. Das sollte auch nicht verfehlt werden. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Daniela Kluckert, FDP.

Daniela Kluckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004784, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf die erwarteten Erlöse aus den Versteigerungen der 5G-Frequenzen. Die Bundesregierung hat bisher mit Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe gerechnet. Das ist mit Blick auf die erwarteten Ausgaben, die die Bundesregierung im Bereich Breitbandausbau vorhat, wiedergegeben. Vorgestern hat der politische Beirat der Bundesnetzagentur getagt. CDU/CSU und SPD haben entschieden, dass sehr strenge Auflagen gemacht werden sollen. Das könnte dazu führen, dass die Erlöse deutlich geringer ausfallen. Meine Frage ist: Wie geht die Bundesregierung in Bezug auf den Ausbau mit diesen erwartbaren geringeren Einnahmen um? Wird der dann reduziert, oder würde man versuchen, das Geld anderswo zu bekommen?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal: Ich unterstütze es persönlich sehr, dass wir dafür Sorge tragen, dass in Deutschland eine möglichst flächendeckende Abdeckung gewährleistet wird. Das erreichen wir durch die von Ihnen genannten strengen Auflagen. Wir alle ärgern uns, wenn wir in Deutschland unterwegs sind, über Funklöcher, die es ja sogar in so großen Städten wie dieser gibt, in der wir uns hier versammeln, und man fragt sich: Wie kann es eigentlich sein, dass mitten in einer so großen Stadt plötzlich Gespräche abbrechen? Deshalb müssen wir bei der nächsten Gelegenheit, Frequenzen zu versteigern, auf eine hohe Qualität des Netzes und eine Stabilität der Verbindung setzen, und es ist gut, wenn wir das erreichen. Das muss das hauptsächliche Motiv sein – und kein fiskalisches. Wir wollen aus den erwarteten Mehreinnahmen dieses Jahres 2,4 Milliarden Euro für einen Digitalfonds zur Verfügung stellen, damit es losgehen kann und damit wir jetzt nicht spekulativ die Frage erörtern müssen, wie viel Geld aus diesen Versteigerungserlösen dereinst zur Verfügung stehen wird. Ich glaube, das ist ein guter Weg.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt kommt noch mal der Kollege Lothar Binding, SPD.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Griechenland wurde in diesem Haus ja lange als Problemfall diskutiert. ({0}) Ich habe nun von manchen gehört, dass Griechenland immer noch ein Problemfall ist. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob wir da auf einem guten Weg sind, wie die Zukunft von Griechenland aussieht und was Sie da verhandelt haben.

Not found (Minister:in)

Wir haben in den europäischen Gremien, im Ecofin und in der Euro-Gruppe, darüber gesprochen, wie wir das Griechenland-Programm zu Ende bringen wollen, und herausgefunden, dass es dort im Hinblick auf das, was man noch wenige Jahre zuvor erwarten konnte, eine gute Entwicklung gibt. Viele der Voraussetzungen, die wir genannt haben, um über ein Ende des Programms entscheiden zu können, sind erfüllt. Deshalb ist das Ergebnis, dass es, wie auch bei Portugal und Irland, eine letzte Tranche geben wird und dass wir im Übrigen ein paar Erleichterungen bei der Rückzahlung organisieren, damit die Rückkehr an die Märkte gelingen kann. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft: Die Euro-Gruppe, die europäischen Staaten, die den Euro als Währung haben, hat es geschafft, Portugal, Irland und nach einer ganz langen Programmphase jetzt auch Griechenland wieder an die Finanzmärkte zurückzubringen. Das ist es ja, was jetzt geschehen soll. Wenn wir das erreicht haben, dann ist das, glaube ich, etwas, auf das wir als Europäische Union auch stolz sein dürfen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katrin Göring-­Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben eben in der Beantwortung der Frage von Frau Amtsberg darauf hingewiesen, dass Sie der Meinung sind, dass das Boot „Lifeline“ festgesetzt werden muss. Ich möchte gerne wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Bundesregierung das tun möchte. Es gelten ja das Völkerrecht und das Seerecht. Insbesondere möchte ich Sie auch fragen, ob Sie der Meinung sind, dass es besser gewesen wäre, wenn die „Lifeline“ die Menschen nach Libyen zurückgebracht hätte. ({0}) Das wäre ja eine andere Variante gewesen, eine, wie ich finde, sehr schreckliche und nicht akzeptable Variante. ({1}) – Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht, was diese Geräusche jetzt sollen. Ich möchte gerne daran erinnern, was Herr Gabriel zum Ausdruck gebracht hat, als er noch Außenminister war und die Lager in Libyen besucht hat. Er konnte in seinen Äußerungen gar nicht hart genug sein, um die furchtbaren, menschenverachtenden Zustände dort – Vergewaltigung, Folterung etc. pp. – zu beschreiben.

Not found (Minister:in)

Im Falle eines Falles wäre für die Festsetzung von Schiffen nicht die deutsche Bundesregierung, sondern die maltesische Regierung zuständig. Deshalb hat die Bundesregierung gar keine Kompetenz in dieser Frage. Es wird jetzt diskutiert, wie man die Bereitschaft organisieren kann, Hilfe zu leisten, damit Malta nicht alleine die Aufgaben schultern muss, die aus der Ankunft des Schiffes in einem maltesischen Hafen resultieren. Ich finde, das ist ein Akt europäischer Solidarität. ({0}) Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass wir es natürlich hinbekommen müssen, dass nicht so viele Menschen die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer wählen. Dazu gehören selbstverständlich sichere Außengrenzen und auch, dass man sie schützt. Dazu gehört aber natürlich auch, dass Europa und die europäischen Staaten mit den Staaten Afrikas darüber verhandeln, wie man es zum Beispiel hinbekommen kann, dass Hilfe geboten wird und dass es Möglichkeiten für eine legale Migration gibt. Mit Sicherheit muss bei dieser Gelegenheit aber zum Beispiel auch darüber geredet werden, wie es erreicht werden kann, dass diejenigen, die keine Aufenthaltsberechtigung bei uns haben, weil ihre Asylverfahren erfolglos waren, wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Eine solche geordnete Umgangsweise ist, glaube ich, das, was wir gemeinsam anstreben müssen. Das ist möglich, wenn man das aus einer solidarischen Perspektive heraus verfolgt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Joana Cotar, AfD.

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Letzte Woche hat sich der Rechtsausschuss im Europaparlament für die europaweite Einführung von Upload-Filtern und für ein europaweites Leistungsschutzrecht ausgesprochen. Damit wird das freie Internet, so wie wir es kennen, abgeschafft. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern als unverhältnismäßig abgelehnt. Auf EU-Ebene dagegen setzt sich Axel Voss von der CDU als federführender Berichterstatter maßgeblich für die Einführung solcher Filter ein und hat auch bei der Abstimmung dafür votiert. Meine Frage an Sie lautet: Können Sie im Namen der Bundesregierung uns und den Bürgern heute fest zusagen, dass sich die Bundesregierung in den Triloggesprächen gegen die Einführung von Upload-Filtern aussprechen und für die Meinungsfreiheit einsetzen wird? Können Sie uns zusagen, dass Ihre Kollegen im Europaparlament auch dementsprechend abstimmen werden? Oder ist es so, dass Sie das eine in den Koalitionsvertrag schreiben und auf EU-Ebene etwas anderes machen, in der Hoffnung, dass es der Bürger hier nicht mitbekommt? – Danke. ({0})

Not found (Minister:in)

Ich bin sehr froh darüber, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments seit vielen Jahren in einer eigenen Wahl gewählt werden. Das sind unabhängige Abgeordnete. Sie werden weder den Weisungen der Bundesregierung noch den Weisungen von sonst wem folgen. Das ist, glaube ich, auch das Verständnis, mit dem Sie hier Ihre Arbeit machen. ({0}) Ansonsten ist die Regierung bei Ihrem Handeln dem Koalitionsvertrag verpflichtet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege ­Daniel Föst, FDP.

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich muss noch einmal zum Baukindergeld zurückkommen, dem viele Experten und Wirtschaftsinstitute wenig Vertrauen entgegenbringen. Sie zielen eher auf einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer ab. Ziel des Kompromisses in der Großen Koalition war ja, soweit ich das verfolgt habe, den gesteckten 2-Milliarden-Euro-Rahmen in dieser Legislaturperiode irgendwie einzuhalten. Jetzt sind Sie aber trotz Ihrer Begrenzung auf drei Jahre, wenn man Ihre Zahlen zugrunde legt, also 400 Millionen Euro pro Jahr, bei 3,6 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode gelandet, was erkennbar deutlich über den 2 Milliarden Euro liegt. Jetzt frage ich mich und auch Sie zum einen: Was wird aus den anderen wohnungsbaupolitischen Maßnahmen, die Geld kosten? 2 Milliarden Euro sollen ja noch in den sozialen Wohnungsbau fließen. Was ist mit den restlichen Maßnahmen, die Geld kosten? Zum anderen zum Prüfauftrag zu einem Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Wie überzeugt prüfen Sie denn überhaupt noch? Oder ist da eher die Denke: Mensch, wir liegen sowieso schon 1,6 Milliarden Euro über der Grenze. Auch das kostet wieder Geld. Das bringt vielleicht was, aber das Geld dafür haben wir jetzt nicht. – Was ist in Zukunft mit dem Prüfauftrag hinsichtlich der Grunderwerbsteuer?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal ist es so, dass wir mit der Konkretisierung, die wir gestern unter den Regierungsparteien vorgenommen haben, einen Weg gefunden haben, mit dem vorhandenen Geld auszukommen. Ihre Berechnung kann ich nicht nachvollziehen; aber das muss jetzt erst einmal nichts zur Sache tun. Tatsächlich werden wir dieses Vorhaben in dem gesteckten Rahmen bewältigen können und all die anderen Aufgaben, die wir uns vorgenommen haben, erfüllen können, weil wir die Dauer auf drei Jahre begrenzt haben. Dazu zählt zum Beispiel unser Vorhaben, die Städtebauförderungsmittel zu stabilisieren. Dazu zählt, dass wir für 2019 die Mittel für den sozialen Wohnungsbau noch einmal um 500 Millionen Euro anheben wollen, was zusätzlich zu dem kommt, was wir 2020/21 nach der hoffentlich von Ihnen mit möglich gemachten Verfassungsänderung für den sozialen Wohnungsbau machen wollen. Dazu gehören die Möglichkeiten für die Abschreibung im Bereich des Mietwohnungsbaus; das ist zeitlich befristet. Das hat eine bestimmte Kontinuität in diesen verschiedenen Betrachtungen. Dabei geht es uns auch darum, dass wir natürlich in diesen drei Jahren herausfinden werden, wie die Nachfrage und die Nachfragestruktur konkret sein werden. Wahrscheinlich ist das auch für alle Wissenschaftsinstitute interessant. Mal sehen, welche Beurteilungen sich dann als richtig erwiesen haben werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Meine Nachfrage betrifft noch einmal Ihre Aussage zur „Lifeline“. Sie haben selbst gesagt, dass das Schiff festgesetzt werden soll. Meine Frage ist: Was bedeutet das jetzt für die Crew? Ist es zutreffend, dass im Kabinett, aber auch im Innenausschuss die Haltung der Bundesregierung ist, dass die Mitglieder der Crew nun verhaftet werden sollen? Ich möchte die Bundesregierung, aber auch Sie ganz persönlich fragen, ob es wirklich die angemessene Antwort ist, dass Menschen, die andere Menschen vor dem Ertrinken retten, also Menschenleben retten, dafür verhaftet werden sollen? ({0}) Ist das wirklich die Auffassung der Bundesregierung in dieser Frage? ({1})

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal wiederhole ich, was ich vorhin gesagt habe. Es handelt sich bei der Frage, wie mit dem Schiff umgegangen wird und was im Hinblick auf die Crew geschieht, um Handlungen der maltesischen Regierung. Diese können weder von diesem Bundestag noch von der Bundesregierung bestimmt werden. ({0}) Wir diskutieren gegenwärtig über die Rahmenbedingungen, die eine große solidarische Hilfsaktion aller europäischen Staaten ermöglichen sollen, damit Malta diese Aufgabe nicht allein schultern muss. Die Meinungsbildung dazu ist noch nicht abgeschlossen, wie Sie sichtbar bemerkt haben. Aber alles ist auf dem Weg, um das zu tun. Ich hoffe, dass das zügig geschieht; denn mein Eindruck ist, dass eine Entscheidung bald nötig ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Mich interessiert, ob zu irgendeinem Zeitpunkt bzw. wann die Bundesregierung in Kontakt mit der Besatzung der „Lifeline“ stand und ob sie sich darüber erkundigt hat, wie der Gesundheitszustand oder die Bedrohungssituation der Besatzung aussieht. Es gilt die Grundannahme, dass zumindest das Auswärtige Amt für die Sicherheit der Besatzung mit zuständig gewesen sein sollte.

Not found (Minister:in)

Soweit ich informiert bin, hat der Krisenstab des Auswärtigen Amtes Informationen über die Situation. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesminister, Sie haben geantwortet?

Not found (Minister:in)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dann stellt die Kollegin Beatrix von Storch, AfD, die nächste Frage.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Minister, ich habe eine Frage zur Presseberichterstattung vom 21. und 22. Juni. Da ist unter Angabe des Aktenzeichens von Fällen aus dem Sicherheitsreferat des BAMF berichtet worden. Es geht um Asylantragsteller, die angedroht haben, sie könnten eine Bombe legen oder sie würden einen Anschlag begehen und dann zu Allah gehen, sie würden im Fall einer Abschiebung alle töten und ein Flugzeug zum Absturz bringen, sie seien zum Selbstmordtäter ausgebildet worden usw., sie hätten 40 Menschen ermordet, sie hätten Frauen und Kinder misshandelt und gefoltert, sie hätten schwere Körperverletzungen begangen, sie würden in ihrem Land wegen Mordes gesucht. Das alles sind Fälle von Asylantragstellern, die während der Antragstellung im BAMF diese Aussagen gemacht haben. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung spätestens nach der Berichterstattung am 21. und 22. Juni den Fällen nachgegangen ist. Ich möchte gerne von Ihnen wissen: Wo sind jetzt die Menschen, die mit Anschlägen gedroht haben bzw. Morde gestanden haben, für die sie in ihren Heimatländern verfolgt werden würden? Sind alle abgeschoben?

Not found (Minister:in)

Über die Fälle, die Sie genauso wie ich nur aus der Presse kennen, kann ich Ihnen im Detail nichts sagen. Es findet ein gesetzmäßiges Verfahren statt, bei dem sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entsprechend den rechtlichen Vorgaben, die wir in Deutschland haben, handelt als auch Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland mit den Informationen, die sie haben, umgehen. Sie haben diese Fälle deshalb genannt, weil es sich um Verhaltens- und Vorgehensweisen handelt, die wir alle nicht billigen können. ({0}) Deshalb können Sie davon ausgehen, dass wir im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten, die wir haben, agieren werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Meine Frage lautet, ob die Bundesregierung nun gegenüber den europäischen Partnern eine Zustimmung zur Verteilung der Flüchtlinge auf dem Schiff „Lifeline“ nach Deutschland gegeben hat und wenn ja, um wie viele Flüchtlinge es sich dabei handelt. Wer hat eigentlich verhindert, dass eine solche Zustimmung schon am Montag gegeben werden konnte, und damit 17 deutsche Staatsbürger auf hoher See einer konkreten Gefährdung ausgesetzt?

Not found (Minister:in)

Der Willensbildungsprozess zu dieser Entscheidung ist noch nicht abgeschlossen, wie Sie selbst in Ihren Fragen teilweise berichtet haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Martin Renner, AfD.

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Am liebsten würde ich natürlich die Frau Bundeskanzlerin fragen. Aber ich behelfe mich mit Ihnen. Danke schön.

Not found (Minister:in)

Das ist okay.

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es gibt ein Kommuniqué von Meseberg zum Abschluss des Treffens von Präsident Macron und der Frau Bundeskanzlerin. Ich zitiere wörtlich aus diesem Abschlusskommuniqué: Rein nationale und unabgestimmte Maßnahmen führen nur zu Misserfolg und Entzweiung. Das ist eine sehr gute Darstellung. Jetzt frage ich Sie: Beschreibt dieser Satz aus dem Kommuniqué von Meseberg Ihre Erfahrung, dass die rein nationalen, mit keiner anderen Regierung in Europa abgestimmten Maßnahmen zur Öffnung der deutschen Grenzen im September 2015 und das, was daraus resultierte, nämlich Mordserien bei Mädchen, jungen Frauen, Asylanten und importierter Antisemitismus – um nur diese Probleme zu erwähnen –, als gewaltiger Misserfolg zu bewerten sind und der Entzweiung Europas in nie dagewesener Weise Vorschub geleistet haben? Ich beziehe mich auf den zitierten Satz aus dem Meseberger Kommuniqué.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte schauen Sie auf die Uhr.

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bin fertig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der Bundesminister hat das Wort.

Not found (Minister:in)

Schönen Dank. – Wir können europäisch nur gemeinsam handeln. Wie sehr das der Fall ist, haben wir zum Beispiel 2015, 2016, 2017 gelernt; denn das hatte ja eine Vorgeschichte, zum Beispiel, als viele Flüchtlinge über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien und Portugal kamen und in Europa viele Staaten von Spanien und Portugal gefragt wurden, ob sie ihnen wohl helfen würden. Darauf haben viele gesagt: Wohl nicht. – Als schon einmal viele Flüchtlinge über Italien, über Malta, über Griechenland auf das europäische Festland zu kommen versucht haben und gefragt wurde, ob man ihnen helfen könnte, haben viele gesagt: Wohl nicht. – Als dann viele Flüchtlinge über die Balkanroute nach Österreich, nach Deutschland, nach Schweden, in die Niederlande und in einige andere Länder kamen und diese alle – wir auch – gefragt haben, ob man das gemeinsam hinbekommen könnte, haben die anderen gesagt – wir erinnern uns ein wenig –: Wohl nicht. Deshalb ist die Lehre aus dieser Situation, dass europäische Kooperation immer angesagt ist, und nicht gerade dann, wenn sie einem selber als richtig erscheint.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt noch vier Fragen. Angesichts des regen Interesses würde ich die mit Ihrem Einverständnis gern noch zulassen. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen.

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich frage die Bundesregierung: Welches Ministerium hat bereits Kontakt aufgenommen mit der maltesischen Regierung? Ist es richtig, dass – auch vor dem Hintergrund der mittlerweile öffentlichen Erklärung einiger Bundesländer – die humanitäre Aufnahmeaktion wie in der bisherigen Tradition über das Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen erfolgen soll?

Not found (Minister:in)

Ich kann sagen, dass es ständig Kontakte gibt. Das ist eine Aufgabe des Auswärtigen Amts und der Bundesregierung. Sie haben deshalb ja auch davon gehört, dass diese Kontakte stattfinden, und die Tatsache, dass Sie davon gehört haben, auch schon zum Gegenstand von Fragen gemacht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Thomas Ehrhorn, AfD.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, im August 2015 hat der Bundestag mit großer Mehrheit dem dritten Griechenland-Rettungspaket zugestimmt, dies allerdings unter einer einzigen – wichtigen – Voraussetzung, nämlich der, dass sich der Internationale Währungsfonds, IWF, an diesem Rettungspaket beteiligen werde. Auch der damalige Finanzminister, Herr Schäuble, hielt das damals für unabdingbar. Nun wissen wir alle, dass der IWF sich niemals beteiligt hat und dies auch nicht tun wird. Damit ist – dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von dem CDU-Kollegen von Stetten – die Geschäftsgrundlage für die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an diesem Hilfspaket erloschen und damit die Zustimmung des Deutschen Bundestages nichtig. Deswegen frage ich Sie: Was werden Sie unternehmen, um die Fortsetzung des Hilfspaketes bzw. weitere Auszahlungen von Tranchen bis zum August 2018 zu unterbinden? Wie wollen Sie sicherstellen, dass die deutschen Gelder zurückgezahlt werden können, wo es doch offensichtlich ist, dass der IWF nicht mehr daran glaubt? – Danke schön.

Not found (Minister:in)

Die zugrunde liegende Tatsachenbeschreibung trifft nicht zu. Der IWF hat etwa 10 Milliarden Euro für Kredite ausgegeben. Die sind auch alle noch da und sind zu bedienen und ungefähr 2024 zurückzuzahlen. Deshalb ist der IWF dabei. Das ist die Botschaft, die ich Ihnen mitteilen kann. Er wird sich übrigens auch an der Nachprogramm­überwachung beteiligen, die wir miteinander vereinbart haben. Das betrifft die Institutionen, aber eben auch den IWF. Wir sind für die Expertise, die der Internationale Währungsfonds in diesem Zusammenhang zur Verfügung stellen wird, auch sehr dankbar; denn es geht ja auch darum, dass all die Vereinbarungen, die eingegangen worden sind, auch in der Zukunft noch eingehalten werden – ein wichtiger Punkt für die Schuldentragfähigkeit der Griechischen Republik.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr, Herr Präsident. – Herr Minister, ich war richtig schockiert ob Ihrer Antwort auf die Frage von Luise Amtsberg. Sie sagten – das Protokoll wird es bestätigen –: Die Verteilung der Flüchtlinge auf europäische Staaten hat eine Bedingung, nämlich dass das Schiff festgesetzt wird. – Jetzt antworten Sie im Auftrag der Bundesregierung. Ich nehme an, dass das Meinung der Bundesregierung ist. Gleichzeitig muss ich natürlich im Umkehrschluss feststellen, dass Sie verhindern wollen, dass Menschen in Seenot gerettet werden. Das ist etwas, was ich von Ihnen erklärt haben möchte: Wie ist es möglich, kann diese Regierung tatsächlich sich hierhinstellen und sagen: „Wir missachten internationales Seerecht“? Denn das internationale Seerecht schreibt vor, dass Menschen gerettet werden. ({0})

Not found (Minister:in)

Schönen Dank für die Nachfrage. – Ich kann Ihnen kurz antworten: Die Bundesregierung ist dafür, dass Menschen in Seenot gerettet werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Frage stellt der Kollege Dr. Dirk Spaniel, AfD. – Ist der Kollege Spaniel nicht da? – Dann schließe ich hiermit die Regierungsbefragung. Herr Bundesminister, wir haben Sie reichlich strapaziert. Ich danke Ihnen. Jetzt wechseln wir in der Sitzungsleitung.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Michel Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004679, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine Frage von Leben und Tod, berichtete uns der Kapitän der „Lifeline“ vor wenigen Stunden. Was wir gerade erleben müssen, ist eine menschliche Tragödie. Aber viel mehr ist es eine Schande für Europa und eine Schande für diese Bundesregierung. ({0}) – Was heißt „eijeijei“? – Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben angeboten, Gerettete der „Lifeline“ aufzunehmen. Der Bundesinnenminister stimmt dem aber nur zu, wenn dafür die „Lifeline“ nie wieder in See sticht. Die Crew soll verklagt werden. Sind Seenotrettung und Menschlichkeit etwa kriminell? Beschäftigen Sie sich bitte mal mit dem See- und Völkerrecht. ({1}) Sind Sie wirklich bereit, Herr Seehofer, Menschenleben zu opfern für ein gutes Wahlergebnis der CSU in Bayern? Das ist doch unerträglich! ({2}) Frau Merkel, veranlassen Sie die bedingungslose Aufnahme dieser Menschen. Beenden Sie die rechte Irrfahrt, und schmeißen Sie diesen Seehofer endlich raus! ({3}) Ich war in der Nacht vom vergangenen Sonntag auf Montag an Bord der „Lifeline“. ({4}) Was ich da erleben musste, ist unmenschlich. Vor Malta müssen 234 geflüchtete Menschen seit fast einer Woche auf dem Schiff ausharren – Körper an Körper, dicht gedrängt. ({5}) Sie hätten schon Stunden nach der Rettung an Land gebracht werden müssen. ({6}) In den letzten Stunden hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Immer mehr Menschen an Bord sind schwer erkrankt, unterernährt und seekrank. Vor kurzem sind Menschen dehydriert. So weit musste es also kommen. Vor diesen Menschen hat Europa die Mauern hochgezogen, und das mit Unterstützung der Bundesregierung. Sie reden von europäischen Werten und Menschenrechten, während Leichen an die Mauern von Europa gespült werden. ({7}) Das sind ein politischer Skandal und eine Bankrotterklärung dieser Bundesregierung. ({8}) Übrigens: Italien war für das Rettungsgebiet zuständig und hat die Verantwortung abgelehnt. ({9}) Malta war von Beginn an der nächstgelegene sichere Hafen und hat die Einfahrt verweigert; so sieht es aus. ({10}) Die Zustimmung zu den Bundeswehrmandaten auf dem Mittelmeer vorletzte Woche hier im Bundestag wurde doch auch damit begründet, dass Menschen gerettet werden sollten. Aber ich frage Sie: Wo waren denn die Schiffe der Bundesmarine, während die „Lifeline“ eine Woche hilflos auf dem Mittelmeer festhing? Wo waren sie denn, als in den letzten Tagen Hunderte Menschen im Mittelmeer ertrunken sind? ({11}) Die Katastrophe auf der „Lifeline“ ist aber leider kein Einzelfall. Die Katastrophen sind mittlerweile grausamer Alltag auf dem Mittelmeer. Sie müssen es endlich begreifen: Es ist egal, wie hoch Sie die Mauern bauen, wie viele Zäune Sie ziehen, wie viele Soldaten Sie an die Grenzen schicken und wie viele Rettungsschiffe Sie vom Mittelmeer verbannen – hilfesuchende Menschen werden fliehen. Die Frage ist nur, ob sie lebend ankommen. Wann sind Sie endlich bereit, die Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, die Sie mitverursachen. Ihre Politik bedeutet, dass weiter Menschen leiden und ertrinken. ({12}) Sie sehen weiter zu, wie Tausende Geflüchtete in libysche Folterlager gebracht werden, von libyschen Milizen, die Sie auch noch ausbilden. ({13}) Wir verlangen, dass Sie endlich zur Menschlichkeit zurückkehren. ({14}) Wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie die zivilen Seenotretterinnen und -retter auf dem Mittelmeer umfassend unterstützt. Die Retterinnen und Retter sind die letzte Bastion der Menschlichkeit zwischen Afrika und Europa. Hören Sie endlich auf, diese mutigen Leute wie Kriminelle zu behandeln! Das ist zynisch und ein Skandal. ({15}) Um sie zu diffamieren, werden die zivilen Helferinnen und Helfer gezielt mit Schlepperbanden in Verbindung gebracht. Der Bundesinnenminister verlangt die Festnahme von Kapitän und Crew und die Beschlagnahmung des Schiffes. ({16}) – Wir führen hier eine Debatte über Menschenrechte; gehen Sie doch vielleicht einfach raus. ({17}) Der Regierungssprecher rückte die Seenotretterinnen und -retter in die Nähe von Piraten. Diese Bundesregierung macht sich zum Handlanger dieser Rechtspopulisten und Menschenhasser. Das ist unerträglich. ({18}) Außerdem haben wir Hinweise, dass die Seenotretterinnen und -retter von deutschen Geheimdiensten beobachtet werden. ({19}) Wenn das stimmt, ist das so niederträchtig. Diese Bundesregierung ist so absurd; sie handelt so zynisch. ({20}) Die Linke fordert die sofortige Einsetzung einer staatlich organisierten zivilen Seenotrettung. ({21}) Wir fordern die Bundesregierung auf, die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache sofort zu beenden. Die Linke dankt den engagierten Seenotretterinnen und -rettern, die sich unermüdlich für Menschen einsetzen, die auf dem Mittelmeer in Not geraten sind. ({22}) Sie sind den täglichen Anfeindungen von rechten Hetzern und europäischen Regierungen ausgesetzt. Sie sind im Einsatz, weil die europäischen Staaten ihren menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Die zivilen Seenotretterinnen und -retter setzen sich da ein, wo Europa und wo die Bundesregierung versagt. Die Linke sagt: Weg mit der Festung Europa und freie Fahrt für die „Lifeline“! Danke schön. ({23})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Abgeordnete Thorsten Frei für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandt, da haben Sie hier am Rednerpult wirklich eine kabarettreife Leistung hingelegt. ({0}) Mit den Fakten hat es erstens nicht viel zu tun, und zum Zweiten ist es eben auch so, dass Sie sich ganz genau anschauen sollten, in welchen Rahmenbedingungen wir uns eigentlich bewegen. ({1}) Wenn Sie sich das anschauen, dann sehen Sie, dass im ersten Halbjahr dieses Jahres etwa 40 000 Menschen vom afrikanischen Kontinent nach Europa gekommen sind: nach Spanien, nach Griechenland, nach Italien. ({2}) Das ist halb so viel wie letztes Jahr, und es sind vielleicht 20, 25 Prozent gegenüber den Zahlen aus dem Jahr 2016. ({3}) Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in den vergangenen Jahren vielfältige Maßnahmen ergriffen haben, um insbesondere die Hilfs- und Rettungsinfrastruktur zu verbessern. Das gilt für Europa, das gilt für Italien. Ich danke an dieser Stelle beispielsweise den deutschen Marinesoldaten, die im Rahmen von EUNAVFOR MED Operation Sophia 22 500 Menschenleben im Mittelmeer gerettet haben. Ich danke auch denen, die im Rahmen von Frontex aus Helikoptern, aus Flugzeugen das Mittelmeer scannen und damit Rettungsaktionen organisieren und ermöglichen. Fakt ist aber eines: Es ist tatsächlich so, dass trotz der zurückgehenden Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer gekommen sind, die Zahl der Toten immer noch hoch ist: 850 Tote im Mittelmeer alleine in diesem Jahr. ({4}) Da sage ich Ihnen ganz klar: Das, was Sie wollen, und das, was Sie machen, ist vielleicht gut gemeint, aber es ist das Gegenteil von gut, ({5}) weil es letztlich einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen im Mittelmeer sterben, aber nicht nur im Mittelmeer, sondern auch, wenn sie aus Subsahara-Afrika kommen und die Wüste durchqueren. Deswegen, glaube ich, ist es richtig, dass wir alles unternehmen müssen, damit die Menschen diesen gefährlichen Weg über das Mittelmeer gerade nicht nehmen. ({6}) Daran arbeiten wir. Wir haben viel Geld zur Verfügung gestellt – Sie können mal einen Blick in den Bundeshaushalt werfen –, dass Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden. Deswegen möchten wir beispielsweise den europäischen Grenzschutz verstärken. ({7}) Wir möchten dazu beitragen, dass es für die Menschen keine Anreize gibt, über das Mittelmeer zu kommen. Wir möchten dafür sorgen, dass ihnen dort geholfen wird, wo sie leben. Dafür schaffen wir die, wie ich finde, richtigen Voraussetzungen. ({8}) Wir brauchen, glaube ich, zum einen viel Geld und viele Möglichkeiten, um in den Herkunftsländern zu helfen. Zum anderen müssen wir die europäischen Grenzen schützen. Das tun wir auch. ({9}) Bis zum Jahr 2020 wollen wir Frontex auf 10 000 Grenzschützer aufstocken. Ich glaube, dass wir dort noch viel mehr brauchen, um einen effektiven Grenzschutz zu ermöglichen. Wir jedenfalls wollen dafür die Möglichkeiten geben. Und es ist auch klar, dass diejenigen, die im Mittelmeer gerettet werden, selbstverständlich gerettet werden müssen, aber nicht zwangsläufig an das europäische Ufer gebracht werden müssen, ({10}) sondern an das nächstgelegene. ({11}) Das ist auch ein Punkt, den man hier ansprechen muss. ({12}) Es geht darum, nicht Handlanger für Schlepper zu sein, sondern es Regierungen zu ermöglichen, Ursachen für Wanderungsbewegungen und Migration zu vermeiden. Das ist der entscheidende Unterschied. ({13}) Wenn Sie jetzt fragen: „In welche Länder denn?“, dann gebe ich gerne zu, dass da noch eine ganze Menge Arbeit vor uns liegt. ({14}) Wir müssen daran arbeiten. Das ist richtig. Als Vorbild dient beispielsweise der EU-Türkei-Pakt. ({15}) Wir haben die Möglichkeit, mit den Ländern zu sprechen. Das wird viel Geld kosten; aber die Chancen sind da. Das gilt im Übrigen nicht nur für die afrikanische Mittelmeerküste, sondern das gilt auch für den Süden der Maghreb-Länder. ({16}) – Bitte schön, wenn Sie eine Frage haben, dann stellen Sie eine Frage, aber quatschen Sie nicht die ganze Zeit dazwischen. Dieser nicht vorhandene Anstand, den Sie hier an den Tag legen, ist ja unerträglich. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht im Ergebnis darum, Menschenleben zu retten. Das, was Sie wollen, rettet keine Menschenleben, sondern bringt sie in Gefahr. Das ist der entscheidende Punkt. ({18}) Und deswegen ist das, was Sie wollen, auch abzulehnen. Im Übrigen ist es tatsächlich so, dass auch der libysche Grenzschutz allein seit letztem Mittwoch 2 000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet hat. Dem sollten Sie vielleicht auch Rechnung tragen. ({19}) – Ja, die glaube ich. – Vor diesem Hintergrund ist es ganz entscheidend – das gehört auch zur Wahrheit –, dass die Nichtregierungsorganisationen, die im Mittelmeer unterwegs sind, bis in die libyschen Küstengewässer hi­neinfahren und damit natürlich den Schleppern das Handwerk erleichtern. Das ist ohne Frage so, und das müssen wir verhindern. ({20}) Dafür brauchen wir den richtigen europäischen Rahmen. Ich hoffe, dass auch die nächsten zwei Tage in Brüssel helfen, dass wir dort einen ordentlichen Schritt weiterkommen. Vielen Dank. ({21})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht Andreas Mrosek für die AfD, der heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. ({0})

Andreas Mrosek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004827, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer an den Bildschirmen! ({0}) Wir hören immer wieder das Wort „Seenot“. Aber was genau ist Seenot? Ich selbst bin viele Jahre meines Lebens zur See gefahren. Ich selbst habe Schiffe unter meiner Verantwortung gehabt – und das weltweit. Ich selbst bin schon in Seenot geraten, und ich habe auch schon Menschen aus Seenot gerettet. ({1}) Ich spreche also aus beruflicher Erfahrung. Seenot ist im internationalen Seerecht ganz klar und eindeutig definiert. Für jeden Kapitän ist es eine festgeschriebene Pflicht, Menschen in Seenot zu helfen. Das entspricht auch einer guten seemännischen Tradition. ({2}) In einem internationalen Übereinkommen von 1982 haben sich Küstenanrainerstaaten verpflichtet, in küstennahen Gewässern eine Seenotrettung aufzubauen. In den meisten Staaten ist diese Seenotrettung sogar staatlich organisiert. In Deutschland zum Beispiel übernimmt diese Aufgabe die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Um die Überlebenswahrscheinlichkeit für die Schiffsbesatzung von in Seenot geratenen Schiffen zu erhöhen, gibt es internationale Abkommen wie das SOLAS-Übereinkommen; das heißt: Safety of Life at Sea. Dort ist unter anderem geregelt, dass jedes Schiff Rettungsmittel an Bord haben muss. Die von den Migranten genutzten Boote sind ohne alle Rettungsmittel, wenn sie die nordafrikanische Küste verlassen. Mit solchen Booten überhaupt eine Fahrt aufs Mittelmeer zu beginnen, ist leichtsinnig, grob fahrlässig und natürlich auch lebensgefährlich. ({3}) Das wissen auch die Menschen, die sich an Bord dieser Schlauchboote vorsätzlich in Lebensgefahr begeben. Die organisierten Schlepper und die Migranten nehmen das Risiko für Leib und Leben auf sich. ({4}) Sie nehmen es deshalb in Kauf, weil sie sicher sind, dass sie rechtzeitig gerettet werden. ({5}) – Regen Sie sich doch nicht auf. ({6}) Gehen Sie mal zum Parlamentsarzt und lassen sich Beruhigungstropfen geben. ({7}) Das Wort „gerettet“ muss in Anführungszeichen gesetzt werden. Es wird nämlich immer auf gutes Wetter und ruhige See gewartet, bevor die Schleuser die Migranten abkassieren und die Schlauchboote in See stechen. Schauen Sie sich diese Boote einmal genau an, die dann auf See zurückgelassen werden. Sie machen das ja bewusst, weil sie ganz genau wissen: Sie werden ab einer gewissen Entfernung vom Festland abgeholt. ({8}) Sie sind ohne eigenen Antriebsmotor, sie haben keinen Kraftstoffvorrat; das reicht aus, um zu sagen: Ich bin in Seenot. – Sie sind dann tatsächlich in Seenot, weil sie manövrierunfähig sind. Diese Seenotsituation ist aber wissentlich und bewusst herbeigeführt worden. ({9}) Der österreichische Regierungschef Sebastian Kurz hat es schon vor zwei Jahren erkannt – Zitat –: Die Nichtregierungsorganisationen mit ihren Hilfsschiffen betreiben die Geschäfte der kriminellen Schleuser. – Zitat Ende. ({10}) Warum ist das so? Weil sie schon in kurzer Entfernung zur libyschen Küste auf der Lauer liegen und die Migranten mit ihrem Radar beobachten. Sie können sie dann natürlich auch aufpicken. ({11}) Das müssten übrigens die Grünenabgeordneten Lisa Paus und Manuel Sarrazin bestätigen können, wenn deren Besuch dort überhaupt einen Sinn gehabt haben sollte. Wir nennen das Flüchtlingsboottourismus. ({12}) Ich habe eine Frage: Warum nehmen die Flüchtlingshelfer diese Schlauchboote nicht wieder ins Schlepptau und bringen sie auf dem kürzesten Weg an Land zurück? Das wäre echte Seenotrettung. ({13}) Warum passiert das nicht? Weil die Flüchtlingshelfer mit dem sogenannten Refoulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention argumentieren. Dieses Verbot bedeutet aber, dass Migranten nicht in ihre Herkunftsländer gebracht werden dürfen, wenn ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht. Nun sind aber die nordafrikanischen Staaten keine Länder, auf die dieses Refoulement-Verbot Anwendung finden kann. Die sogenannten Flüchtlinge, die sich in diese Schlauchboote setzen, haben bereits Monate, teils Jahre an der Mittelmeerküste gewartet ({14}) und auf ihre Schleusung gespart. Deshalb kann man sagen: Sie warten in sicheren Ländern. ({15}) – Frau Lemke, da machen Tausende von Touristen in jedem Jahr Urlaub. ({16}) Auch die dort wartenden Migranten aus Ghana, Nigeria und anderen afrikanischen Staaten können in ihre Heimat zurückkehren. ({17}) Ganz sicher: Nirgendwo in Afrika gibt es den Straftatbestand der Republikflucht, wie wir ihn aus der DDR kannten. ({18}) Die bewusst herbeigeführte Seenot ist nur ein Vorwand, um Tausende von Migranten nach Europa zu holen, insbesondere nach Deutschland. Da machen sich die Schlepperkapitäne auf den Flüchtlingsschiffen genauso strafbar wie die Banden, die die Schiffe heraustreiben. ({19})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, auch wenn das Ihre erste Rede ist, müssen Sie jetzt zum Schluss kommen. ({0}) Ich war sehr großzügig.

Andreas Mrosek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004827, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Aydan Özoğuz für die SPD. – Bitte sehr. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandt, Sie haben eben noch einmal Italien angesprochen. Ich möchte schon sagen: Wenn wir wirklich Lösungen näherkommen wollen, dann müssen wir die Geschichte auch immer wieder im Ganzen betrachten. Sie wissen selber, dass Italien 2013, als über 360 Leute vor der Küste der Insel Lampedusa ertrunken sind, das Programm Mare Nostrum aufgesetzt hat. Die Italiener haben das allein gemacht und auch allein bezahlt. Es gab keinen EU-rechtlichen Rahmen dafür, und es gab auch keine Unterstützung durch andere Mitgliedstaaten. ({0}) Ich finde, wir sollten zumindest versuchen, da mit einer gewissen Nüchternheit draufzuschauen. Wenn die flüchtlingspolitische Antwort Europas – jetzt gehe ich mal einen Schritt weiter – eben nur Dublin III lautet, dann machen viele europäische Staaten nicht mit, andere fühlen sich alleingelassen. Damit alle mitmachen, brauchen wir diese gegenseitigen Anreize, und wir brauchen eine sinnvolle Aufgabenteilung in Europa. Das machen ja jetzt einige schon vorbildlich vor. ({1}) – Natürlich, aber wir müssen ja auch einer Lösung näherkommen. Im Juni 2015 – das wurde eben erwähnt – begann ja dann die gemeinsame Mission EUNAVFOR MED, welche Schleuser-Netzwerke bekämpfen sollte und Migranten und Flüchtlinge von dieser lebensgefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer abhalten sollte. Wir haben über diese Einsätze hier nun schon zweimal sehr ausführlich debattiert. Deswegen möchte ich nur noch einmal sagen: Auch wenn es nicht der eigentliche Auftrag ist, wurden dadurch über 48 000 Menschen gerettet, allein 22 500 – der Kollege Frei hat es gesagt – durch deutsche Schiffe, durch unsere Soldatinnen und Soldaten. Das waren wichtige Einsätze und lebensrettende Maßnahmen, und dafür kann man an dieser Stelle doch auch Danke sagen, dass das funktioniert. ({2}) Private Initiativen wie jetzt auch die Mission Lifeline ergänzen diesen Einsatz. Ich stimme Ihnen übrigens an dieser Stelle ausdrücklich zu, dass ich überhaupt nicht verstehen kann, warum man nicht mal genauer hinschaut, was das eigentlich für Menschen sind. Es sind ehemalige Matrosen, es sind Mittelständler, es sind Kapitäne, die einfach nicht mehr zusehen wollen, wie Menschen ertrinken. Deswegen muss ich schon sagen: Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man diese Menschen hier kriminalisieren kann. ({3}) Wir sollten ihnen gemeinsam danken, dass sie es tun. Aber wir erleben eben das, was wir jetzt erleben: Sie dürfen zum Beispiel an keinen Hafen heranfahren, oder es ist Glückssache, welches Land sich gerade beteiligt. Deswegen sage ich jetzt noch einmal: Unsere Aufgabe muss es sein, Lösungen so zu gestalten, dass diese privaten Initiativen nicht sein müssen. Diese Aufgabe muss komplett in staatlicher Zuständigkeit bewältigt werden. Es muss eine klare Struktur herrschen, welchen Hafen mit entsprechender Infrastruktur die Schiffe jeweils anfahren und welche Verfahren ganz genau in europäischer Zielsetzung erfolgen. Würden wir diese Aufgabe allein verschiedenen zivilen Organisationen überlassen, wäre die Abschreckung für Schleuser und Kriminelle – auch das muss man sagen – deutlich geringer. Wir alle miteinander, die dort schon Gespräche geführt haben, wissen sehr genau, welche falschen Versprechungen den Menschen gemacht werden und dass sie auch daran glauben. Damit würden wir noch mehr Menschen in Gefahr bringen. Deswegen wäre es jetzt eine wichtige Aufgabe des Bundesinnenministers, endlich Verhandlungen mit Staaten zu führen, aus denen die Menschen ohne Asylchancen kommen. Denn wenn bei uns schnelle und faire Verfahren durchgeführt werden, dann müssen Menschen, die keine Chance auf Asyl haben und kein Asyl bekommen, wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Da müssen wir das klare Signal senden, dass es nicht Glückssache ist, ob man hier Asyl bekommt, sondern es klare Verfahren sind, die darüber entscheiden, ob man in einem europäischen Land – und auch nicht in einem Land, das man sich aussucht, sondern in einem europäischen Land, dem man zugewiesen wurde – dann auch wirklich bleiben darf oder nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa muss für Rationalität stehen, nicht für Einfallslosigkeit und schon gar nicht für Abschottung, wie es einige hier gerne wollen. Wir brauchen doch mehr europäischen Mut und mehr europäische Solidarität und weniger nationalstaatliche Angst und Einmauerung. Das brauchen wir in allen Hauptstädten Europas und nicht nur bei einigen Mutigen, die sich in diesen Tagen wieder zeigen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Özoğuz. – Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion in dieser Aktuellen Stunde: Gyde Jensen. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist dabei, sein humanistisches Erbe zu verspielen, nämlich genau dann, wenn es untätig ist und wenn es bei Menschenrechten nicht bereit ist, eine Solidargemeinschaft zu sein. Wer keine europäische Haltung in der zentralen Frage der Migrations- und Asylpolitik entwickeln kann, verwirkt jegliche Gestaltungsansprüche in einer Welt, die sich immer mehr vernetzt. ({0}) Europa braucht mehr Zusammenarbeit, nicht weniger Zusammenarbeit, meine Damen und Herren. Wir müssen aufhören, nur von einer französischen, von einer spanischen, von einer maltesischen Küste zu sprechen, und endlich anfangen, von einer Küste Europas zu sprechen. Die Haltung muss im Grundsatz europäisch sein. ({1}) Die Realität sieht aber häufig ganz anders aus. Das zeigt auch der Fall der „Lifeline“, die nach tagelanger Irrfahrt noch immer nicht in einen europäischen Hafen eingelaufen ist – die Updates kommen ja stündlich, fast minütlich rein. Einen Zustand, in dem wir nicht wissen, wie wir mit so einer Situation umgehen sollen, einen Zustand von Regellosigkeit dürfen wir uns in Europa nicht erlauben. Wir müssen uns also die grundsätzliche Frage stellen, wie wir in Zukunft welche Absprachen in Europa treffen wollen: Wollen wir uns immer erst bei Gefahr im Verzug irgendwie zusammenraufen, um am Ende nur kurzfristige Kompromisse zu bekommen, oder wollen wir ein Europa, das gemeinsam agiert und sicherstellt, dass Menschen nicht mehr im Mittelmeer ertrinken? – Es gibt hier viele gute Vorschläge. Ein erster Schritt wäre, endlich das Mandat von Frontex auszuweiten und Frontex zu einer echten europäischen Grenzpolizei weiterzuentwickeln. ({2}) Eine Aufstockung der Zahl der Mitarbeiter an der europäischen Grenze – wie auch von Frau Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron vorgeschlagen – ist ein Anfang; sie allein löst aber das Problem nicht, da die Mitarbeiter weiterhin einzelnen Mitgliedstaaten unterstellt sind. Es geht darum, die Grenzen Europas als gemeinsame Grenzen zu verstehen. Wir brauchen europäische Grenzbeamte, wir brauchen europäische Verfahren, europäische Entscheider und europäische Solidarität bei der Aufnahme und Verteilung. ({3}) Der Widerstand einzelner Mitgliedstaaten hilft nicht in der Sache, und er greift am Ende auch den Geist von Schengen an, den größten und höchsten Wert unseres freien Europas, den wir haben, und das müssen wir uns hier immer wieder bewusst machen. Meine Damen und Herren, eine europäische Lösung funktioniert auch deshalb nicht, weil der Bundesinnenminister in dieser zentralen Frage an einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik kein gesteigertes Interesse zeigt. ({4}) Es müssen erst einzelne Bundesländer die Aufnahme von Geflüchteten von der „Lifeline“ anbieten, um zu zeigen, wie pragmatische Lösungen möglich sind, und Vorschläge machen, um die Situation der Menschen zu verbessern. Bei einer Frage, bei der es um Leben und Tod, um schnelle Nothilfe geht, kann der Bundesinnenminister nicht mehr blockieren. ({5}) Ich bin sehr froh, dass auch meine Landesregierung in Schleswig-Holstein hier Haltung zeigt und Menschen vor Machtpolitik stellt. ({6}) Untätigkeit spricht Sie, Herr Innenminister – er ist leider gerade nicht da –, aber nicht von Ihrer Verantwortung frei. Statt eines Masterplans für die deutsche Grenze, den wir alle noch nicht kennen, sollten Sie, Herr Innenminister, einen Masterplan für den Schutz der gemeinsamen europäischen Grenze auflegen. ({7}) 68 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen eine europäische Lösung. Statt ganz Europa für Ihren innerdeutschen Kamikazekurs in Mithaftung zu nehmen, sollten Sie lieber das tun, was die Menschen von Ihnen verlangen. Meine Damen und Herren, Europa ist nicht für alle schrecklichen Dinge, die auf dem und um das Mittelmeer herum passieren, verantwortlich. Aber Europa darf die drängenden Probleme auch nicht einfach von sich schieben, wie die Bundesregierung das so lange Zeit getan hat und teilweise auch noch tut. Seenotrettung durch NGOs als Pflaster für eine fehlende organisierte Migrationspolitik ist Europas unwürdig. ({8}) Denn in diesem Fall ist fast jede Lösung besser als keine Lösung. Wenn wir Migrationspolitik in Europa wirklich ganzheitlich fassen wollen, brauchen wir ein Bewusstsein dafür, wie viel Kraft von Europa ausgehen kann. Die innerdeutsche Kleintümelei einer bayerischen Regionalpartei – das muss ich hier leider so sagen – ist das Gegenteil davon. ({9}) Migration ganzheitlich zu fassen, bedeutet, die Frage von Migration, von Freizügigkeit und von Asyl in einem abgestimmten Regelwerk zusammenzufassen. Hier hätte Deutschland selbst schon längst seine Hausaufgaben machen und ein Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen können. Ein abgestimmtes Regelwerk für eine schnellere Arbeitserlaubnis, für einen Spurwechsel, für Fleiß und Integration, das ist die Antwort von uns Freien Demokraten an dieser Stelle, und das muss auch die Antwort des Deutschen Bundestags auf das Chaos der Bundesregierung sein. Ich verstehe wirklich nicht, warum ein guter Vorschlag, nur weil dieser aus der Opposition kommt, aus Prinzip abgewiegelt wird. ({10}) Das sagt im Übrigen auch Ministerpräsident Daniel ­Günther aus Schleswig-Holstein. ({11}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Auch wenn es nicht so aussieht, als würde sich kurzfristig eine ganzheitliche Lösung in Europa abzeichnen, dürfen wir nicht aufhören, das Richtige zu fordern. Wir müssen zu den Dublin-III-Regeln zurückkehren. Wir brauchen aber mehr Multi- und weniger Bilateralismus. Wir brauchen legale Wege für Schutzsuchende in Zusammenarbeit mit den europäischen Anrainerstaaten, Bildungsmöglichkeiten und gemeinsame Standards für humanitäre Hilfen; denn was Menschen am meisten brauchen, das sind Perspektiven vor Ort. Humanität ist da die beste Sicherheitspolitik. Das müssen wir immer wieder betonen. Ich werde nicht müde, auch an dieser Stelle immer wieder zu sagen: Es gibt keine Menschenrechte light. Das werden Sie hier noch einige Male hören. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Jensen. – Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Kollegin Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. – Ich finde, dass in dieser Debatte die Bundesregierung nicht hinreichend vertreten ist. ({0}) Wir führen eine Debatte, in der es um Fragen von Leben oder Tod geht, in der es um eine europäische Integrations- und Migrationspolitik geht und in der Bundesinnenminister Seehofer massive Kritik von mehreren Fraktionen entgegengehalten wird. Ich beantrage deshalb im Namen meiner Fraktion seine Herbeirufung. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Laut Geschäftsordnung werde ich jetzt über diesen Antrag abstimmen lassen. Wer stimmt dem Antrag zu, den Innenminister herbeizuzitieren? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Wir sind uns hier im Präsidium einig: Das Erstere war eindeutig die Mehrheit. ({0}) – Moment, Moment! ({1}) – Nein, ich unterbreche nicht für 80 Minuten. Ich unterbreche jetzt die Sitzung. Wir versuchen, Kontakt aufzunehmen. Wir werden sehen, wie schnell Herr Seehofer kommen kann. Ich sage Ihnen so schnell wie möglich Bescheid. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Herr Seehofer ist jetzt im Raum. Ich begrüße Sie, Herr Minister, und bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich rufe die nächste Rednerin auf. Das ist Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was die „Lifeline“ und vor allen Dingen die Menschen auf diesem Schiff in den letzten Tagen erleben mussten, ist in so vielen Punkten unwürdig und beschämend; man kann es nicht zusammenfassen. Sechs Tage unter schlimmsten Bedingungen einfach nur, weil Europa sich nicht einigen konnte, wer zuständig ist! Die Seenotrettungsleitstelle in Rom sagt, es sei die Leitstelle in Libyen, die libysche Leitstelle sagt: „Ja, wir sind zuständig“, und meldet sich dann drei Tage lang nicht – auch nicht auf Nachfragen. Sechs Tage, in denen Menschen unter schlimmsten Bedingungen dicht gedrängt und zum Teil auch noch im Unwetter darauf warten mussten, dass endlich jemand die Courage hat, zu sagen: „Wir nehmen auf“! Die „Lifeline“ ist in diesem Moment wieder unterwegs zurück nach Malta. Sie hat die Einfuhrerlaubnis bekommen, und ich möchte hier an dieser Stelle – auch im Namen meiner Fraktion – der Crew, der Besatzung, dieses Schiffes ausdrücklich dafür danken, ({0}) dass sie es in einer solchen Situation geschafft hat, Menschenleben zu schützen und dafür zu sorgen, dass niemand über Bord geht und niemand sein Leben verliert. Wir hoffen wirklich, dass sie sicher im Hafen von Malta ankommen. ({1}) Wir sind auch dankbar für die Solidarität und die Aufnahmebereitschaft der anderen europäischen Staaten und dafür, dass sie sich, wenn auch spät, entschieden haben, hier eine gemeinsame europäische Lösung zu finden. Man muss aber eben auch klar sagen: Das ist nicht Ihr Verdienst, Herr Seehofer – vielen Dank, dass Sie jetzt hier sind –, sondern im Gegenteil: Sie haben die Lösung verzögert und durch eine deutsche Verweigerungshaltung über Tage auch die Sicherheit von Menschen aufs Spiel gesetzt. ({2}) Sie haben einmal mehr bewiesen, dass Sie nicht an einer europäischen Lösung interessiert sind; denn jetzt, genau in dieser Sekunde, hätten Sie zeigen können, dass Sie dazu fähig sind, mit anderen Staaten zu kooperieren, aber das haben Sie nicht getan. ({3}) Ihnen war es vermutlich wichtiger, die Kanzlerin genau in Bezug auf dieses Anliegen, das sie hat und in den nächsten Tagen auf einem EU-Gipfel verhandeln muss, nämlich die gemeinsame Asylpolitik, zu schwächen Ich sage noch mal ausdrücklich: Sie müssen aufhören mit diesem Streit. Sie müssen aufhören, sich über diese Frage zu zerlegen; denn das gefährdet das Leben von Menschen und verhindert eine gemeinsame europäische Lösung in der Asylpolitik. ({4}) Herr Seehofer, Sie sind Bundesminister – Bundesinnenminister –, der die Interessen der Bundesrepublik vertreten muss. Sie sind nicht der Wahlkampfmanager der CSU. Sie sind verantwortlich für die Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Ich bin dankbar und froh, dass aus den Bundesländern die Courage, die humanitäre Geste und das wirklich europäische Verhalten kamen. Dafür bin ich den Ländern ausdrücklich dankbar. ({6}) Als Begründung für Ihre Untätigkeit sagen Sie unter anderem, dass Sie keinen Präzedenzfall schaffen wollen. Ich frage mich wirklich: Wo waren Sie eigentlich die letzten Jahre, als nicht nur, aber auch zivile Seenotretter Tausende von Menschen vor dem Ertrinken bewahrt haben und immer in europäische Häfen einlaufen durften? Von welchem Präzedenzfall sprechen Sie hier? ({7}) Wenn, dann ist der ganze Vorgang rund um die „Lifeline“ ein Präzedenzfall für eine europäische Verteilung, an der die Bundesrepublik Deutschland wegen Horst Seehofer eben nicht teilgenommen hat. ({8}) Noch mal zu dem Argument, die zivile Seenotrettung sei Schlepperei und Beihilfe zur illegalen Einreise; das hört man von Teilen der Bundesregierung, aber auch von den Kolleginnen und Kollegen der Union immer wieder. Wenn der ehemalige Außenminister von „KZ-ähnlichen Zuständen“ in Libyen spricht, wenn man sich die Geschichten der Geflüchteten aus Libyen anhört – von der massiven Gewalt, die sie erlebt haben – und wenn man weiß, dass es über 2 000 bewaffnete Milizen im Land und eine Küstenwache gibt, die sich ebenfalls an menschenrechtsverachtenden Agitationen gegen Menschen beteiligen, dann können Sie doch nicht ernsthaft sagen, dass es sich bei Tripolis in Libyen um einen sicheren Hafen handelt. Sie können auch nicht verantworten, dass ein ziviles Schiff in diesem Hafen anlegt. ({9}) Herr Frei, ja, die Küstenwache in Libyen rettet auch Menschen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den letzten zwei Wochen so viele Leichen in Libyen angespült wurden wie noch nie zuvor. Das gehört auch zu dieser Wahrheit. Das lässt auch Rückschlüsse auf die Seenot­rettungspolitik der libyschen Küstenwache zu. Ich frage wirklich: Wollen Sie das verantworten? Oder sagen Sie wirklich, das ist Ihre Lösung? Wir wollen, dass die Schiffe in sichere Häfen zurückkehren, und Tripolis ist einer dieser sicheren Häfen. – Wenn nicht, dann müssten Sie Tunesien bitten oder andere Staaten finden, Flüchtlinge aufzunehmen. Finden Sie aber nicht. ({10}) Das ist keine Lösung, was Sie hier vorschlagen. Das ist allerhöchstens das Überdauern einer medialen Debatte, ({11}) die vor allen Dingen von rechts geführt wird. Ich finde, das ist unfassbar. Es spottet den Werten, auf denen sich unser Europa gründet. Die Realitäten anzuerkennen, wirklich dafür zu sorgen, dass Fluchtursachen bekämpft werden und Libyen zu einem sicheren Land wird, das wären die Maßnahmen, die vielleicht dazu beitragen könnten, dass das Elend auf dem Mittelmeer gelindert wird. ({12}) Bis das nicht der Fall ist, gibt es nur eine einzige Antwort, und sie ist alternativlos. Sie heißt: Seenotrettung, also Menschen in Not auf dem Mittelmeer retten. Sie fliehen aus Libyen, weil sie dort schlichtweg nicht mehr existieren können, ({13}) weil sie so viel Gewalt und Brutalität erlebt haben, dass sie freiwillig in Kauf nehmen, im Zweifel ihr Leben auf dem Mittelmeer zu verlieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an die Redezeit.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine Realität, die wir anerkennen müssen, wenn wir wirklich Menschrechtspolitik machen wollen. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung muss endlich ein Ende haben. Sie tun nämlich das, was jeder Mensch tun sollte: Menschenleben retten. Und sie haben dafür unsere vollste Solidarität. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Luise Amtsberg. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Josef Oster. Herr Oster, bitte. ({0})

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schätze ja die Kolleginnen und Kollegen der Grünen durchaus. Aber einen Geschäftsordnungsantrag während eines WM-Spiels zu stellen, stellt meine Sympathie dann doch auf eine harte Probe. ({0}) Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht heute um eine ernste Thematik. Es geht um Menschen in Not. Ich räume ein: Da ist Fußball tatsächlich eine echte Nebensache. ({1}) Ich bin durchaus dankbar, dass wir dieses Thema heute in einer Aktuellen Stunde erörtern können, weil wir gar nicht oft genug über die schwierige Situation im Mittelmeer debattieren können. Ich sage: Für unser christlich geprägtes Europa ist die Lage dort unwürdig und muss für uns alle eine Mahnung sein, eine Mahnung, endlich zu einem klaren europäischen Migrationssystem zu kommen. ({2}) Meine Damen, meine Herren, Seenotrettung an sich ist eine humanitäre Selbstverständlichkeit. Das ist nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern das ist vor allem auch eine moralische. Leider werden die in Not geratenen Menschen aber immer wieder auch für taktische Manöver benutzt, ({3}) benutzt von Teilen der europäischen Politik. ({4}) Das ist unwürdig. Aber sie werden teilweise eben auch von ideologisch motivierten Hilfsorganisationen benutzt. Genau das erleben wir in diesem Fall. ({5}) Eine solche Situation, ein solches Verhalten muss man hier klar benennen. Auch das ist ein unwürdiges und vor allem gefährliches Verhalten. ({6}) Wir wissen, dass die libysche Küstenwache ganz in der Nähe gewesen ist. Ob es hilfreich war, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich dort einzelne Kollegen aus dem Bundestag inklusive Kamerateam auch noch an Bord gedrängt haben, darf man zumindest bezweifeln. Ich glaube, das spielt den Schleppern eher in die Hände. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser gemeinsames Ziel ist dabei aber ganz sicher unumstritten: Kein einziger Flüchtling soll auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken müssen. Das muss unser gemeinsamer Anspruch sein. ({8}) Um dieses Ziel zu erreichen, ist mehr denn je eine gemeinsame europäische Lösung in der Asyl- und Flüchtlingsproblematik notwendig. Die in Not geratenen Menschen führen uns jeden Tag vor Augen, dass damit einzelne Nationen alleine überfordert sind. Eine europäische und damit auch deutsche Flüchtlingspolitik muss dabei in den Herkunftsländern beginnen. In Abstimmung mit unseren europäischen Freunden müssen wir die Zusammenarbeit mit den Regierungen in den Herkunftsländern weiter intensivieren, um damit Fluchtursachen aktiv zu bekämpfen. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass es für Schleuser unmöglich wird, von Staaten Nordafrikas aus ihr schmutziges Geschäft zu betreiben. Deshalb müssen wir mit Marokko, Algerien und Tunesien, aber auch mit Libyen verhandeln und nach Lösungen suchen, ({9}) nach Lösungen, die im Ergebnis ähnlich erfolgreich sind, Herr Brandt, wie das Deutschland-Türkei-Abkommen. Genau das muss unser Ziel sein. ({10}) Eine Schlüsselrolle kommt dabei für mich der Agentur Frontex zu. Ich trete für eine massive Ausweitung von Frontex ein. Frontex soll dabei natürlich auch in Zukunft Menschen aus Seenot retten; das ist für mich selbstverständlich. Frontex soll aber mehr denn je illegale Migration von vornherein verhindern und Schleuserkriminalität bekämpfen. Derzeit hat Frontex rund 1 000 Mitarbeiter. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron sind sich einig, dass Frontex zu einer echten Grenzpolizei ausgebaut werden muss. Es geht um einen Aufwuchs auf 10 000 Personen bei Frontex. Ich bin der Auffassung: Es werden noch sehr, sehr viel mehr Kräfte notwendig sein. Ich bin überzeugt: Kooperationen mit den nordafrikanischen Staaten und eine konsequente Kontrolle unserer europäischen Außengrenzen, das wird dafür sorgen, dass weniger Menschen in unsichere Boote steigen. Damit werden auch weniger Menschen in Seenot geraten. Zu unserer Verantwortung gehört eben auch, keine falschen Signale zu setzen. Von unserer Politik muss daher das klare Signal in Richtung Schleuser und Armutsflüchtlinge ausgehen: Mit dem Besteigen eines illegalen Fluchtbootes wird nicht automatisch der Wohlstand Europas erreicht. ({11}) Am Ende sage ich es noch einmal: Unser Anspruch muss bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen, sein, dass auf dem Mittelmeer nach Möglichkeit kein einziger Flüchtling ertrinken muss. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Oster. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Jürgen Braun. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Auftritt des Linken-Staatsschauspielers Michel Brandt „Theater“ zu nennen, ({0}) wäre eine Beleidigung jeder Provinzbühne. Auch für eine schlechte Daily Soap hat’s nicht gereicht. Tut mir leid, Herr Brandt. ({1}) Vorhin im Plenum bei der Beantwortung einer Frage von Frau Amtsberg zur zweifelhaften Mission der „Life­line“ kam der Bundesfinanzminister ins Stottern. Die Bundesregierung – so führte er aus – will verhindern – ja, was will sie denn verhindern? –, dass Menschen in Gefahr gebracht werden. So rettete sich Herr Scholz über die Beantwortung der Frage hinweg, die ihm sichtlich unangenehm ist. Denn er müsste jetzt ein Bekenntnis abgeben: Will er menschenverachtende Schleuserkriminalität verhindern oder nicht? ({2}) Warum nennt er das Kind nicht beim Namen? Warum sagt Herr Scholz nicht, dass der Sumpf der kriminellen Schleuserei ausgetrocknet werden muss und dass die Besatzung der „Lifeline“ dringend verdächtig ist, sich mit solcher Schleuserei gemein gemacht zu haben? ({3}) Fehlen der Bundesregierung dafür die Informationen? Nein. Ich kann es Ihnen sagen: Der Bundeskanzlerin fehlt der Wille, und das ist ein Skandal. ({4}) Die Bilder von leidenden Menschen rühren unser aller Herz. ({5}) – Herr Hofreiter, Ihnen glaubt eh kein Mensch mehr was. Ihre Zeit ist vorbei, Herr Hofreiter. ({6}) Doch es sind fast immer junge Männer und nicht die gerne gezeigten Frauen und Kinder, die sich auf den Weg nach Europa machen. Es geht auch Ihnen – das will ich nicht in Abrede stellen – um die Linderung von Leid; das nehme ich Ihnen ab. Doch es geht Ihnen darüber hinaus um pure Alltagspolitik, ja Alltagspolemik. Sie zeigen jetzt doch mit dem Finger nach Italien, weil dort eine neue Regierung ist, die Ihnen nicht passt. Das ist Ihr Zweck. Deswegen die Aktuelle Stunde heute. Sie möchten der neuen italienischen Regierung plump vors Schienbein treten. ({7}) Dabei sollten Sie dem italienischen Innenminister Salvini vielleicht mal zuhören und auch darüber nachdenken: Hat der Mann vielleicht doch recht, wenn er die unkoordinierten Rettungsschiffe, die über das Mittelmeer geistern, als „Helfershelfer der Schleuser“ bezeichnet? Haben Sie meinem Fraktionskollegen Mrosek vorhin überhaupt zugehört? Der ist ein erfahrener Seefahrer, ein Kapitän und übrigens auch ein Ingenieur. Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass Seenotrettung etwas anderes ist als diese Suche nach Menschen, die unter falschen Versprechungen auf Boote gelockt und in Lebensgefahr gebracht werden? Hier handelt es sich doch ganz klar um Verbrechen der Schleuser und bestimmter Hilfsorganisationen. ({8}) Schleuserei ist und bleibt ein Verbrechen. Nur wenn das klare Signal überall bekannt ist, dass Menschen, die von Booten gerettet werden, sofort und umgehend zurückgebracht werden, kann die menschenverachtende Schleuserei aufhören. ({9}) Wie glaubwürdig sind eigentlich die angeblichen Retter im Mittelmeer? Wie glaubwürdig sind die Schilderungen dieser schillernden, selbsternannten Gutmenschen? Warum verbreiten die großen deutschen Medien ungeprüft die Propaganda der angeblichen Retter? Und unsere Kanzlerin plappert immer wieder gerne die märchenhaften Geschichten nach. ({10}) Die Lügen der angeblichen Retter im Mittelmeer kennen wir in Deutschland spätestens, seitdem ein Journalist namens Elias Bierdel das Erbe des verdienstvollen Rupert Neudeck in den Schmutz gezogen hat. Bierdels Sudan-Lüge schon vor 14 Jahren hätte allen Gutgläubigen die Augen öffnen müssen. Aber Sie wollen es auch heute nicht sehen, weil Ihnen alles recht ist, um illegale Migration zu ermöglichen. Sie holen lieber Chaos und Gewalt mitten ins bisher friedliche Europa, statt illegale Zuwanderung zu stoppen. ({11}) Unser Weg ist dagegen: Im Meer die Menschen retten, und dann sofort zurück nach Afrika bringen, ({12}) die Schleuserboote sofort zerstören. So geht es. Das ist wahre Humanität. Und dann hört auch die Schleuserei endlich auf, und dann hören auch endlich die Menschen auf, sich auf diesen unsäglichen Weg aus der Mitte Afrikas oder aus dem Mittleren Osten nach Europa zu begeben. Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Herren. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bevor Minister Seehofer das Wort ergreifen wird, hat Dr. Lars Castellucci für die Fraktion der SPD das Wort. Herr Castellucci. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese privaten Hilfsorganisationen machen die Arbeit, die die Regierungen in Europa nicht bereit sind zu übernehmen. ({0}) Wir sollen ihnen deshalb danken, aus tiefstem Herzen danken, anstatt ihre Arbeit zu behindern. ({1}) Die Menschen auf diesen Schiffen sind in Not, und sie kommen aus der Not. Wenn einer auf der Straße liegt, dann zählt nicht, wie er dorthin gekommen ist, ob er selbst schuld ist. Es zählt nicht mal, wer er ist. Es gibt nur eines: Liegt jemand auf der Straße, hilf ihm auf! Hilf ihm auf, wenn du kannst! ({2}) Das ist, was ich für richtig halte, und das ist auch das, was das internationale Recht uns vorgibt. Ja, wir sprechen wieder über Menschen, die auf Schiffen zu uns den Weg suchen. Aber es geht nicht nur um die. Hilfsbereitschaft, aufeinander achten, die Hand reichen, das ist doch für uns alle wichtig. Ich will, dass wir diese Werte bewahren, und zwar für uns alle. ({3}) Manche sagen mir: Dort soll nun wieder geholfen werden. Wird mir denn auch geholfen oder denen, die sonst Unterstützung benötigen? – Ich finde, solche Fragen sind völlig berechtigt. Ja, mir ist klar: Auch bei uns warten viele Menschen darauf, eine zweite Chance zu erhalten oder überhaupt mal wahrgenommen zu werden. Da müssen wir viel mehr tun. Meine Kollegin Ulli Nissen hat dafür einen Slogan, der heißt: Laut für die Leisen und stark für die Schwachen. – Ich finde diesen Slogan großartig, und nach ihm sollten wir gemeinsam handeln. ({4}) Unsere Werte beweisen sich nicht in Schönwetterperioden; sie beweisen sich auf hoher See im Sturm, wenn der Sturm aufzieht, und das ist vor der Küste Maltas der Fall. Deswegen musste dort gehandelt werden. Wir dürfen die Menschen nicht einfach im Meer ertrinken lassen. Wir dürfen Kranke und Schwangere nicht auf untauglichen Schiffen festhalten, wie es geschehen ist und noch geschieht. Am allerwenigsten dürfen wir das tun, um politischen Druck auszuüben. Wir müssen handeln, wenn Handeln geboten ist. Deswegen bin ich froh, dass spät, aber immerhin für dieses Schiff, die „Lifeline“, vor Malta eine Lösung gefunden werden konnte. ({5}) Aber es ist natürlich keine Lösung; es ist nur ein Gebot der Menschlichkeit. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, nach dem wir handeln mussten, aber es ist noch keine Lösung; denn Menschlichkeit allein reicht nicht aus für die Fragen, denen wir uns stellen müssen, und das muss man dieser Bundesregierung auch nicht erzählen. Als mich 2015 die Leute gefragt haben: „Herr Castellucci, wie geht denn das jetzt weiter? 1 Million Menschen sind gekommen. Gut, wir sind hilfsbereit, aber geht es nun weiter? Kommen denn jetzt jedes Jahr 1 Million Menschen?“, da habe ich gesagt: Ich weiß es im Moment nicht. – Aber ich habe auch gesagt: Ich werde alles dafür tun, dass das nicht so weitergeht, dass wir helfen können, dass sich die Situation verbessert. Und nun schauen wir doch miteinander auf die Zahlen! Schauen wir auf die Zahlen von 2016! ({6}) Schauen wir auf die Zahlen von 2017! Schauen wir, wie viele Menschen im Moment an unseren Grenzen ankommen! Es ist ja auch nicht so gekommen. Diese Regierung hat gehandelt. Die Zahlen sinken. Die Probleme sind nicht gelöst, ({7}) aber es wird wirksam daran gearbeitet. Wegen mir können wir das auch weiter so tun. ({8}) Auch mit Blick auf die Schiffe und Hilfsorganisationen müssen wir klar sagen: Es geht jetzt nicht einfach so weiter. – Es wird zu Recht gesagt. Es wird Alarm geschlagen. Es gibt am Rande von EU-Gipfeln Krisentreffen. Wir machen Aktuelle Stunden. Nein, das kann jetzt nicht so weiterlaufen. Aber die Antwort liegt nicht in einer Kriminalisierung von Ehrenamtlichen. ({9}) Die Antwort muss heißen, dass die Staatengemeinschaft die Frage selbst in die Hand nimmt. Und auch da haben wir schon einiges getan. Wir haben Frontex ausgestattet. Die Militäroperationen retten auch Menschen. Aber die SPD-Bundestagsfraktion ist für einen weitergehenden Vorschlag: Wir fordern ein eigenständiges europäisches Seenotrettungsprogramm – das ist es, was wir brauchen –, ({10}) mit Schiffen, die auch in der Lage sind, die Menschen an Bord zu nehmen. Was wir von den italienischen Missionen wissen, die die Kollegin Özoğuz hier erwähnt hat, ist: Diese Seenotrettung geht mit Schlepperbekämpfung einher. Es ist also kein Gegensatz zwischen Seenotrettung und Schlepperbekämpfung, sondern wir können mit einer engagierten Seenotrettung auch zur Schlepperbekämpfung beitragen, und das ist genau richtig. ({11}) Aber eines müssen wir natürlich miteinander klären, und das ist auch der offene Punkt. Ich spreche Herrn Frei an, der davon gesprochen hat, wie viele immer die Überschrift nennen: Wohin denn dann mit den Menschen, wenn wir sie aufgesammelt haben? – Auch da möchte ich Ihnen zusagen: Ob das nun innerhalb Europas ist, ob es an den europäischen Außengrenzen ist, ob es sogar auf dem afrikanischen Kontinent ist – mein Blick ist: Was ist mit den Menschen? Wer kümmert sich um die? Welchen Schutzstatus haben die dort? Welche Angebote haben sie dort? Sind die dort wirklich in Sicherheit? Sind die Staaten denn bereit, diese Zentren dort aufzunehmen? Ich fordere alle auf, nicht nur mit Überschriften zu hantieren, ({12}) sondern Konzepte vorzulegen. Diesen Konzepten wird sich die SPD-Bundestagsfraktion dann auch zuwenden, und dann können wir das gemeinsam so entscheiden. Wer politisch verfolgt ist oder einem Bürgerkrieg entflieht, der muss eine Chance auf Schutz haben. Die anderen brauchen Perspektiven und Alternativen. An diesen Fragen müssen wir weiter arbeiten, und dazu fordere ich uns auch auf. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Castellucci. – Das Wort hat jetzt der Bundesinnenminister Horst Seehofer. ({0})

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Die Bundesregierung hat seit etlicher Zeit diese Frage sorgfältig geprüft, und ich möchte einige Grundsätze hier dem Parlament mitteilen: Erstens. Über die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen entscheiden nicht die Schlepper, sondern demokratisch gewählte Regierungen. Das muss immer ganz klar sein. ({1}) Zweitens. Der bedauernswerte Fall der „Lifeline“ zeigt, wie notwendig es ist und wäre, dass wir endlich ein Regelwerk in Europa bekommen, das den Umgang mit solchen Fällen umfasst. Wir haben beim deutsch-französischen Ministertreffen darüber gesprochen. Und es ist auch die Zielsetzung der österreichischen Ratspräsidentschaft. Die zwei wichtigsten Dinge, die wir nicht national alleine lösen können, sondern nur die Völkergemeinschaft, sind: ({2}) erstens endlich eine wirksame Kontrolle und den Schutz der Außengrenzen Europas vorzunehmen, wobei wir national natürlich die Länder unterstützen müssen, die an den Außengrenzen diese Arbeit für alle tun, und zweitens bei der Frage des Mittelmeers den politischen Konsens herzustellen: Wir müssen hier die Kraft zur Einrichtung von Schutzzonen aufbringen. Diese Menschen müssen zurückgebracht werden in robuste Schutzzonen, wo sie geschützt sind, wo sie versorgt werden und wo sie auch rechtsstaatliche Verfahren bekommen. ({3}) Das ist die einzig wirksame Lösung. ({4}) Alles andere, meine Damen und Herren, wird uns in regelmäßiger Abfolge immer wieder mit der gleichen Problematik beschäftigen. Drittens. Wir haben heute mit verschiedenen Mitgliedern des Kabinetts, auch mit dem Außenminister, darüber gesprochen, dass man bei einem solchen Fall schon abklären muss: Wie verhindert man, dass dies ein Präzedenzfall wird? Was geschieht mit dem Schiff? Was geschieht mit der Besatzung? Wie verhält es sich mit anderen Mitgliedstaaten? ({5}) Das ist eine Sache, die wir als Bundesregierung auch unter dem Gesichtspunkt der Humanität prüfen. Wir sollten uns hüten, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Parlament aufzuteilen: Die einen sind für Humanität, und die anderen sind dagegen. ({6}) Ich weise darauf hin, dass in den Jahren 2016 und 2017 die Bundesrepublik Deutschland mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als die gesamte Europäische Union. ({7}) Viertens. Ich bin sehr dankbar dafür – das sage ich im Namen der ganzen Bundesregierung –, in welch großartiger Form die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sich in der Flüchtlingsarbeit, in der Zuwendung gegenüber Menschen engagiert. Auch das ist Ausdruck der Humanität in der Bundesrepublik Deutschland. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, einfach zuzuhören. Es kommen ja noch weitere Rednerinnen und Redner. ({0}) – Ja. Aber jetzt zeigen wir mal, wie sich ein Bundestag benimmt. ({1})

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Bei mir kommt es jedenfalls verstehbar nicht an.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aus Bayern sind Sie es ja gewöhnt. ({0})

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Fünftens. Das Allerwichtigste auch in dem von mir geschriebenen Masterplan, den ich irgendwann schon noch veröffentlichen kann ({0}) – das zeigt auch dieser Fall –, und somit das Humanste und Christlichste ({1}) ist die Bekämpfung der Fluchtursachen dort, wo die Menschen leben, damit nicht nur diese Menschen, sondern auch die Länder, in denen sie leben, eine Zukunftsperspektive haben. Das ist das Wichtigste. ({2}) Nun erfahren wir über Agenturmeldungen, dass das Schiff die Genehmigung für die Einfahrt in den Hafen erhalten hat. Weiterhin erfahren wir, dass acht EU-Staaten zur Aufnahme aller Menschen auf diesem Schiff bereit sind, sodass sich nach momentanem Stand eine Handlungsnotwendigkeit für die Bundesrepublik Deutschland nicht ergibt. Wir werden das im Auge behalten. Gehen Sie davon aus, dass bei allem, was wir bei uns diskutieren, es einen ganz starken Grundsatz für das Handeln der Bundesregierung insgesamt gibt. Dieser Grundsatz heißt: einerseits Humanität und andererseits Ordnung. ({3}) Humanität und Ordnung sind unser Leitprinzip. Danach werden wir uns auch künftig richten. Ich danke. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Horst Seehofer. – Nächste Rednerin: Katja Kipping für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie, Herr Seehofer, sich hier erleichtert über Agenturmeldungen äußern, die Sie gelesen haben, dass das Schiff mit 234 geretteten Geflüchteten und 17 deutschen Besatzungsmitgliedern jetzt in Malta einfahren kann, dann kann ich nur sagen: Das schlägt dem Fass den Boden aus an Verlogenheit; das ist ungeheuerlich. ({0}) Sie wissen doch genau, dass eine Woche lang die Menschen dort auf diesem Schiff in Lebensgefahr schwebten, dass alle anliegenden Länder einen sicheren Hafen verweigert haben. Malta hatte eine Bedingung, die lautete: Andere Länder, andere Städte sollten sich bereit erklären, Menschen aufzunehmen. In dieser Situation hat sich als Erstes das Land Berlin bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen. Zum Glück folgten danach noch andere: Brandenburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein. ({1}) Diesen Ländern gehört unser Dank. Das Problem jedoch war, dass ohne eine Genehmigung durch das Bundesinnenministerium keines dieser Länder auch nur einen Geflüchteten aus Malta zu sich holen durfte. Das heißt: Das Leben von 234 Menschen hing an einer Anweisung aus Ihrem Haus, die Sie verweigert haben. ({2}) Wenn es infolge von schlechten Witterungsbedingungen zum Kentern gekommen wäre und Menschen dabei draufgegangen wären, wäre jeder Tote auf Ihr Konto ganz persönlich gegangen, Herr Seehofer. ({3}) Sie haben sich entschieden; Sie haben sich an dieser Stelle gegen das Leben entschieden. ({4}) Ich nehme zur Kenntnis, dass die AfD gesagt hat: Er hat es gut gemacht, dass er sich gegen das Leben entschieden hat. Als Die Linke diese Aktuelle Stunde beantragt hat, ging es uns ganz konkret darum, dass 234 Menschen in Lebensgefahr schwebten, darunter Väter, Mütter, kleine Kinder. ({5}) Mein Kollege Michel Brandt hat diesen Menschen ganz konkret ins Auge gesehen. Wir wissen: Diese Menschen überlebten nur, weil die Besatzung der „Lifeline“ sich entschieden hat, sie zu retten. Hätte sie das nicht gemacht, hätten wir von diesen Menschenleben womöglich erst erfahren, wenn sie als Leichen angespült worden wären. ({6}) Vor diesem Hintergrund danken wir allen, die vor Ort waren, um sich ein Bild von der Lage zu machen: Abgeordneten, Medien. Dank ihnen wurde das Licht der Öffentlichkeit auf diese Menschen gerichtet, und die Politik wurde unter Druck gesetzt, diese Menschenleben konkret zu retten. ({7}) Worum es dabei ging, war doch was total Selbstverständliches. Ich zitiere: Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte … So lautet der zweite Artikel des EU-Vertrages. Ich füge ganz klar hinzu: Dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt eben nicht nur zu Lande, sondern das gilt auch auf dem Wasser, konkret: im Mittelmeer. Um es ganz klar zu sagen: Die EU verletzt ihre eigenen Grundlagen, wenn sie denjenigen, die Menschenleben retten, die Einfahrt in einen Hafen verweigert. ({8}) Das zentrale Argument gegen die Rettung dieser Menschen lautet – auch Sie, Herr Seehofer, haben das bedient –: Wir wollen keinen Präzedenzfall schaffen. Wenn wir die jetzt aufnehmen, kommen ja weitere. Wir müssen Flüchtlinge abschrecken. – Abschreckung ist also ein übergeordnetes Ziel, auch für Abgeordnete in diesem Hohen Hause. Ich finde, diese Logik muss man zu Ende denken. Die Abschreckungsargumentation bedeutet nämlich in ihrer Konsequenz: Es müssen möglichst viele Menschen im Mittelmeer ertrinken. Deswegen frage ich die Abgeordneten der CSU ganz konkret: Wie viele Tote reichen Ihnen denn? ({9}) 2 000? 20 000? 200 000? Wie viele kleine Kinder sollen dabei sein? ({10}) Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Wer auf Abschreckung setzt, setzt auf massenhaften Tod. ({11}) Die zivilen Retter, die Besatzung der „Lifeline“, hingegen haben Menschenleben gerettet. Dafür gehören sie nicht kriminalisiert, sondern dafür gehört ihnen einfach mal laut und deutlich Danke gesagt. ({12}) Zum Abschluss noch eine Bemerkung zur Ehre und Zukunft Europas. Überall in Europa gibt es gerade junge und alte Menschen, die sich entschlossen haben, anderen in Not zu helfen. Sie tun das auf dem Land, auf den griechischen Inseln, in Italien. Sie tun es auch auf See. Es sind diese Freiwilligen, diese Europäerinnen und Europäer, die gerade nicht hinnehmen wollen, was mit Menschen in diesem Europa passiert. Es sind diese Ehrenamtlichen, die das leisten, wozu die Regierenden in Europa offensichtlich nicht in der Lage sind. Sie retten nicht nur Menschen. Nein, sie retten auch die europäische Idee. Sie retten die europäische Idee vor den rechtspopulistischen und nationalistischen Totengräbern. ({13}) Ich sage: Diese Ehrenamtlichen sind die modernen Heldinnen und Helden unserer Zeit, und ihnen gehört unser höchster Respekt. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke Frau Kipping. – Nächster Redner: Philipp ­Amthor für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon entsetzt, wie wir diese Empörungsdebatte führen – frei von Fakten bzw. auf der Grundlage von falschen Fakten. ({0}) Ich werde gleich zum Thema „Lifeline“ kommen. Ich kann Ihnen von den Linken und Grünen aber nur empfehlen: Machen Sie in Europa doch mal die Augen auf! Sie zitieren Horst Seehofer hierher, der Verantwortung übernommen hat für ein Flüchtlingsschiff, für das wir nicht zuständig sind. ({1}) Ihre linken Helden, Macron in Frankreich, Tsipras, ihr Kumpel in Griechenland, was ist denn mit denen? Was ist mit der linken Regierung in Spanien? Von denen lässt keiner dieses Schiff einlaufen. Und Horst Seehofer kritisieren Sie. Das ist das Allerletzte. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So. Das ist eine sehr emotionale Debatte, aber ich bitte darum, dass wir hier oben hören können, was Herr ­Amthor sagt. ({0}) Ich bitte jetzt, ihm zuzuhören.

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich erläutere Ihnen das gleich noch mit dem Völkerrecht. Dann können Sie das dahin gehend applizieren, wie das mit Macron und allen anderen ist. Sie haben eine Aktuelle Stunde zum Thema „Seenotrettung im Mittelmeer“ beantragt. Anstelle dieser Empörung, die ich von Ihnen hier nur höre, hätte ich mir gewünscht, dass Sie mal einen herzlichen Dank und Anerkennung für unsere Soldaten in den Missionen Sophia und Sea Guardian, die Leben retten, und das zu Zehntausenden, aussprechen. Das vorwegzuschicken, wäre gut gewesen. ({0}) Ich habe den Eindruck: Sie wollen gar nicht abstrakt über diese Debatte reden. Ihnen geht es einzig und allein um die Mission „Lifeline“. ({1}) Ich sage Ihnen angesichts der Rhetorik, die Sie hier wählen – „Bedrohungslage“, „völkerrechtswidriges Verhalten von Italien“ und sonst was – eines: Dieses Schiff, Herr Brandt – das hätten Sie vielleicht mitbekommen können –, ist flaggenlos, und ein flaggenloses Schiff ist illegal. ({2}) – Zu den Fake News kann ich nur sagen: Unterhalten Sie sich nicht nur mit Ihren NGO-Kumpels, sondern fragen Sie doch mal die niederländische Regierung. ({3}) Die niederländische Regierung hat nämlich festgestellt – das ist vielleicht mal gut zu wissen, liebe Kollegen –: Dieses Schiff ist in den Niederlanden registriert, aber als Sportboot. Herzlichen Glückwunsch! Die Flaggenführungsbefugnis wurde diesem Schiff entzogen. Es ist illegal. Es ist ein flaggenloses Schiff, und ein flaggenloses Schiff gehört beschlagnahmt. ({4}) Das ist völkerrechtlich dazu zu sagen. Natürlich ist es so, dass es im allgemeinen Völkerrecht ein Nothafenrecht gibt. Ich finde es einfach unverschämt, wie Sie unseren europäischen Partnern Malta, Italien und anderen unterstellen, dass sie sich an diese Verpflichtungen nicht gehalten hätten. ({5}) Es war schlicht so, dass völkerrechtlich – da kann ich Sie nur auffordern, das einmal fachlich zu prüfen – die Voraussetzungen für dieses Notstandsrecht noch nicht vorlagen. Jetzt haben wir dafür eine Lösung gefunden. Das aber auf dem Rücken der italienischen und maltesischen Regierung auszutragen, ist, glaube ich, der absolut falsche Weg. ({6}) Ich sage Ihnen vor allem eines: Sie und wir sollten diese Debatte vielleicht einmal ein Stück weit weg von diesem konkreten Fall führen und uns das große Ganze angucken. Das Grundproblem ist doch – und das wollen Sie mit solchen Aktionen legitimieren –, dass es eine Migration aufgrund einer aufgedrängten Seenotrettung gibt. Das ist sicherlich alles andere als eine europäische Lösung. ({7}) Schauen Sie sich das doch an! Das Schiff „Aquarius“ ist wieder so ein Fall: in Valencia aufgenommen. Ich würde als Bürgermeister von Valencia auch sagen: „Wir sind weltoffen. Wir nehmen die alle“, wenn ich wüsste, dass ein Drittel dieser Flüchtlinge, weil die Binnenmigration nicht geregelt ist, statistisch betrachtet ein paar Tage später in Deutschland ist. ({8}) Das ist doch das beste Beispiel dafür, dass wir genau das brauchen, was Horst Seehofer gesagt hat: Wir brauchen zur Ordnung der Binnenmigration Steuerung und Begrenzung. ({9}) – Ich will Ihnen das noch einmal sagen: Jeder Tote auf dem Mittelmeer ist für uns einer zu viel. Deswegen finde ich es auch schlimm, Frau Kipping, wie Sie hier versucht haben, die Toten auf dem Mittelmeer zu instrumentalisieren, um ihre Willkommenspolitik durchzusetzen. Das ist nicht akzeptabel. ({10}) Und ich sage Ihnen auch, dass wir uns völlig klar darüber werden müssen: Wenn es Ihnen wirklich um das Leben von diesen sogenannten Flüchtlingen geht, was im Übrigen zu klären ist – – ({11}) Das ist ein Rechtsstatus. Ich frage mich, ob jeder von denen anerkannt ist. Da gibt es ein Rechtsverfahren. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich bitte Sie!

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie das klären wollen, dann sollten wir das am besten in den Herkunftsländern tun. Wir stehen für die Lösung, dafür europäische Hotspots einzurichten. Das ist der richtige Weg. Wir werden das Ganze ordnen und nicht diesem Chaos und diesen emotionalen Diskussionen überlassen. ({0}) Das ist der falsche Weg. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Philipp Amthor. – Herr Amthor hat jetzt wieder Wellen gemacht. Das ist vielleicht das falsche Bild in dieser Debatte. Entschuldigen Sie bitte! Wir haben noch zwei Redner in der Debatte. Nächste Rednerin: Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion. – Frau Glöckner, Sie haben das Wort. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte alle, erst einmal durchzuatmen. Nach mehrtägiger Irrfahrt auf dem Mittelmeer ist die „Lifeline“ auf dem Weg nach Malta. Doch die Menschen samt der Besatzung müssen noch immer auf dem Schiff ausharren. Ich sage deutlich: Ich halte das für einen unerträglichen Zustand. ({0}) Meldungen über Tragödien auf dem Mittelmeer erreichen uns immer wieder, und die neue rechtspopulistische Regierung Italiens setzt auf Abschottung und Zurückweisung. ({1}) Damit wird in der Seenotrettung ein weiteres trauriges Kapitel aufgeschlagen. Die Situation, wie sie sich derzeit im Mittelmeer darstellt, ist letztlich doch Symptom dafür, dass Europa in der Flüchtlingsfrage noch immer um gemeinsame Lösungen ringt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau diese brauchen wir doch. Die Dublin-Regeln sind beim Praxistest durchgefallen. Die Flüchtlingskrise hat gezeigt: Sie führen zwangsläufig zur Überlastung der Ersteintrittsländer, weil alle Flüchtlinge, die dort erstmals registriert werden, ja auch dort ihren Antrag stellen müssen. Und wer dennoch auf diese praxisuntauglichen Regelungen pocht, nimmt billigend in Kauf, dass diese Länder schnell überfordert werden. Wenn Herr Seehofer in Deutschland die Zurückweisung an deutschen Grenzen fordert, befeuert er zusätzlich in den Mittelmeerländern die Schließung der Häfen. Die SPD hat vielfach auf Lösungsansätze hingewiesen: Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen, Schleppern das Handwerk legen, menschenwürdige Aufnahmestationen mit ausreichend Personal schaffen, um rasch über Asylanträge zu entscheiden, ({2}) Asylberechtigten kontrollierten Zugang nach Europa ermöglichen, Außengrenzschutz sukzessive ausbauen; das wurde bereits öfter genannt. Das alles sind aus unserer Sicht die richtigen Ansätze. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen und anerkennen, dass wir in Europa noch um gemeinsame Lösungen ringen müssen. Dies mit einem Ultimatum zu verknüpfen, wie es die CSU tut, hilft meines Erachtens in der Sache nicht weiter. ({3}) Noch einige Anmerkungen zu den Fluchtursachen Hunger, Durst, Kriege, Klimakatastrophen – das sind doch die Ursachen dafür, dass Menschen ihr Zuhause verlassen –: Damit Menschen in ihren Ländern leben können, dort, wo sie doch alle bleiben wollen, braucht es eine europäisch eng abgestimmte Außen- und Entwicklungspolitik mit zielgerichteten Hilfsprogrammen nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. ({4}) Abschottung und Zurückweisung an Grenzen hingegen lösen keine Kriege, füllen keine Brunnen mit Wasser und bringen auch keinem einzigen Kind ein Stück Brot auf den Tisch. ({5}) Deshalb sage ich Ihnen, verehrte Kollegen von der CSU und von ganz rechts außen: Hören Sie endlich auf, den Menschen weiszumachen, dass wir mit nationalen Alleingängen und Zurückweisungen an der Grenze all diese Probleme beseitigen! ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Europa muss gemeinsam handeln. Wenn wir von Deutschland aus als führende Nation jetzt das Signal senden, dass wir unser eigenes Süppchen kochen wollen und uns abschotten, werden es uns andere Mitgliedstaaten gleichtun. Aber die Herausforderungen sind so groß, dass wir sie nur gemeinsam lösen können. Deshalb sage ich: Wir müssen praktikabel und schnell mit den EU-Staaten zusammenarbeiten. Und ich sage an dieser Stelle auch: Mitgliedstaaten, die nicht kooperieren, dürfen nicht hofiert werden wie Herr Orban von Herrn Seehofer. ({7}) Ich bin sehr dafür, dass wir diesen Staaten ganz schnell klarmachen: Wer nicht bereit ist, mit der EU an einem Strang zu ziehen, dem werden Zuwendungen gestrichen. ({8}) Solidarität ist nämlich keine Einbahnstraße, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Mit dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU haben wir ein Instrument an der Hand, um den unsolidarischen und unwilligen Mitgliedstaaten genau dies zu verdeutlichen. ({10}) Ich fasse zusammen: besser ausgestattete Ankunftszentren, schnellere Asylverfahren durch mehr Personal, beschleunigte und transparente Rechtsverfahren durch Rechtsbeistände, fairer Verteilungsschlüssel für anerkannte Asylbewerber und rasche Abschiebung der Menschen, die als Asylbewerber abgelehnt wurden. Es gibt Lösungen, wir müssen sie nur gemeinsam umsetzen. Vor allem aber müssen wir eines in Europa: Wir müssen zusammenhalten. Zusammenhalt heißt die Devise, nicht Abschottung. ({11}) Ich sage an dieser Stelle auch, Herr Seehofer: Ich erwarte von Ihnen als Bundesminister, dass Sie alles unternehmen, was unserem Land nicht schadet, dass Sie Schaden von ihm fernhalten. Sie haben einen Schwur darauf geleistet als Minister. Im Moment sehe ich das nicht. ({12}) Kolleginnen und Kollegen von der CDU und CSU, ich appelliere an Sie: Beenden Sie den Streit! Sorgen Sie, wie es in unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag steht, für einen „neuen Aufbruch für Europa“. So lauten die ersten Worte unseres Koalitionsvertrages. Wenn wir uns daran halten, dann werden wir Europa weiterbringen, und das wird auch den Flüchtlingen helfen. Vielen Dank. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Angelika Glöckner. – Der letzte Redner in dieser Aktuellen Stunde: Michael Kuffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Reden aus der SPD-Fraktion zuhört, hat man das Gefühl, dass Sie sich an der Regierung überhaupt nicht mehr beteiligen. ({0}) Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind Opposition mit Ministern, ({1}) denen Sie – Sie stellen den Außenminister, Sie stellen die Justizministerin – mit den Reden, die Sie hier halten, dauernd in den Rücken fallen. Das müssen Sie intern klären. ({2}) Das ist nicht mein Problem; aber Erfolg wird Ihnen das nicht bringen. ({3}) Vom Kollegen Castellucci sind wir es gewöhnt. Der hat da einen gewissen humoristischen Freibrief. Aber, Frau Glöckner, was Sie heute hier wieder abgeliefert haben, war wirklich eine großartige Vorstellung, wie man auch ohne Ahnung einfach hier vorne losparlieren kann. ({4}) Wenn Sie hier vorne von Abschottung reden, wenn es um die Art und Weise geht, wie die Grenzkontrollen, die jetzt geplant sind, stattfinden, fällt mir nichts mehr dazu ein. Lesen Sie das Zeug einfach mal! Befassen Sie sich mal inhaltlich damit, bevor Sie große Reden halten und dauernd der eigenen Bundesregierung in den Rücken fallen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt zum Thema: Das Mittelmeer ({6}) ist kein Ort, um sich mit Schlauchbooten, Nussschalen oder Seelenverkäufern ohne jede nautische Ausrüstung, erst recht nicht mit Kindern, auf den Weg zu machen. Unter solchen Bedingungen ist die See, ist das Mittelmeer ein nasses Grab. ({7}) Viele sind unter diesen Bedingungen in dem Moment dem Tode geweiht, in dem sie sich auf diesen Weg begeben. ({8}) Wer wie die Schlepper Menschen auf eine solche Reise in den Tod schickt, wer ein Grab zur Hoffnung umzufunktionieren versucht, der begeht ein Verbrechen. Und wenn wir Menschenleben retten wollen, dann ist es unsere erste Aufgabe, dieses Verbrechen zu bekämpfen und den Verbrechern, also den Schleppern, das Handwerk zu legen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht in die Hände solcher Verbrecher begeben ({10}) und dass sie eine solche Reise in die Lebensgefahr oder gar in den Tod gar nicht erst antreten. Natürlich ist es richtig und selbstverständlich, alles zu tun, um ein Menschenleben zu retten. Aber dabei darf es nicht aufhören. Wenn Sie ein Menschenleben retten und es durch diese Rettung wahrscheinlicher machen, dass sich Hunderte Menschen neu in dieselbe Gefahr bringen, ({11}) dann ist das zwar kein Widerspruch zur Rettung – die bleibt immer richtig –, ({12}) aber Sie dürfen dabei nicht enden. Sie müssen dann Ihr Gesamtkonzept überdenken, und Sie müssen sich mal die Frage stellen, ob Sie sich nicht zum Werkzeug derer machen, die immer mehr Menschen in Lebensgefahr bringen oder in den Tod schicken wollen. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt ist überwiegend Herr Kuffer dran.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Uhr läuft noch, Frau Präsidentin. Ich wäre dankbar, wenn Sie sie bei dem Geschrei ab und zu mal anhalten. Das kann, glaube ich, nicht auf meine Redezeit gehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kuffer, Sie sind jetzt dran.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb gibt es aus diesem Dilemma, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur einen Ausweg: Die Rettung muss funktionieren, kontrolliert durch den Staat und durch offizielle Stellen, ({0}) nicht planmäßig durch NGOs. Sehen Sie sich doch die Rettungsschiffe mal an – die „Lifeline“ ist das beste Beispiel –: Dort werden in vielen Fällen weder die Mindeststandards an Seetauglichkeit, Sicherheit und Hygiene eingehalten. ({1}) Über die Flaggenfrage will ich gar nicht reden. Zu dem Ausweg gehört weiter: Die Rettung darf nicht gleichzeitig das Geschäft der Schlepper vollenden. ({2}) Zudem muss die Rettung die Rettung von Menschenleben zum Ziel haben und darf nicht in Wahrheit in der Vollendung einer Erpressung bestehen. ({3}) Es gibt für mich keinen Zweifel daran, dass der einzig richtige Weg auf Dauer darin besteht, dass die Menschen gerettet und dann mittelfristig in Schutzzonen jenseits, also an den Südküsten des Mittelmeers, verbracht werden und eben nicht nach Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das ist der Kern; denn wenn Seenotrettung der Schlüssel nach Europa wird, dann wird Seenot zum Selbstzweck, ({5}) dann wird Lebensgefahr zum Selbstzweck, und dann wird der Tod weiterhin der engste Gefährte dieses Systems bleiben. Das ist paradox, und es ist menschenverachtend, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Deshalb bitte ich Sie auch zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, weil ich weiß, dass Sie leider häufig in die Falle tappen, dass Sie human handeln wollen und dann naive Inhumanität die Folge ist – ich bitte Sie wirklich –: Verlieren Sie nicht die Lösung aus den Augen! Schaffen Sie keine falschen Illusionen! Erzeugen Sie keine Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können, und befördern Sie damit bitte nicht weiterhin das unheilvolle Geschäft krimineller Schlepperbanden! Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Michael Kuffer. – Damit schließe ich die Aussprache in dieser Aktuellen Stunde. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Sie wissen, wann die Sitzung morgen anfängt: Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, 9 Uhr, ein. Ich würde allen, die morgen reden, empfehlen, schon bei der Vorbereitung auf die Rede an die Einhaltung der Redezeit zu denken, weil die Tagesordnung im Moment vorsieht, dass die Sitzung bis 3 Uhr morgens geht. Wolfgang Kubicki wird alles dafür tun, dass wir vielleicht um 2.45 Uhr fertig sind. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und bedanke mich bei Ihnen herzlich. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.19 Uhr) Berichtigung 40. Sitzung, Seite 3943 B, im dritten Absatz ist wie folgt zu lesen: „Die Stiftung Wissenschaft und Politik, eine der bedeutendsten Denkfabriken Westeuropas, wie es schwärmerisch beispielsweise bei Wikipedia heißt, erhält 12 Millionen Euro Zuwendungen, beschäftigt 140 Mitarbeiter und macht gute Arbeit.“