Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/28/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ernst der Lage hat sich, glaube ich, herumgesprochen. Wir haben es mit einer deutlich und exponentiell steigenden Zahl von Neuinfektionen zu tun, inzwischen auch mit einer sehr stark steigenden Zahl von Todesfällen und Aufnahmen zur Intensivbehandlung. Das hat dazu geführt, dass die Bundeskanzlerin heute Nachmittag – zu dieser Stunde – eine Besprechung, eine Zusammenkunft mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer durchführt. Dort wird beraten, welche neuen und weiteren Maßnahmen zu ergreifen sind. Selbstverständlich hat dies auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Es war gelungen, nach dem ersten Schock der Coronapandemie im Frühjahr, im zweiten Quartal dieses Jahres, mit einem Wirtschaftseinbruch von fast 10 Prozent einen Wiederaufschwung schneller und früher einzuleiten, als viele es geglaubt hatten. Wir haben erlebt, dass insbesondere das dritte Quartal Anlass zu der Hoffnung gegeben hat, dass der Einbruch für das Gesamtjahr weniger stark sein würde als befürchtet und dass der Aufschwung im nächsten Jahr substanziell voranschreitet. Das alles spiegelt sich in der aktuellen Herbstprognose der Bundesregierung wider, die wir Ihnen übermorgen vorstellen werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass die enorme und starke Zunahme der Zahl der Infektionen und die daraus resultierenden notwendigen Maßnahmen einen Einfluss auch auf die wirtschaftliche Entwicklung haben können und wahrscheinlich auch haben werden. Ich bin als Bundeswirtschaftsminister allerdings davon überzeugt, dass dieser Einfluss umso beherrschbarer sein wird, je besser und effektiver wir mit der Herausforderung umgehen; denn wir sehen, dass in anderen Ländern eine hohe Zahl von Infektionen und ein daraus resultierender Kontrollverlust insgesamt auch die wirtschaftliche Entwicklung beschädigen. Wir haben mit der Hilfe des Bundestages, des Parlamentes, in den letzten Monaten sehr viel Geld in die Hand genommen, um zu helfen: den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Kurzarbeitergeld, den Familien durch Zuwendungen, die wir im Rahmen des Konjunkturpakets beschlossen haben, auch durch den Kinderbonus. Wir haben insbesondere auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die einen Teil der Tradition und der Identität unseres Landes ausmachen – von den Landwirten bis hin zu den Einzelhändlern in den Innenstädten –, umfangreiche Hilfsprogramme auf die Beine gestellt. Wir haben allein an Krediten und Hilfen für diese Unternehmen bereits über 70 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt und ausgezahlt. Wir haben zuletzt eine Überbrückungshilfe eingeführt, die eine stärkere Fokussierung auf diejenigen zum Ziel hat, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind. Wir haben im März und April dieses Jahres mit der Soforthilfe umfassend reagiert, um zu verhindern, dass es zu Unternehmenszusammenbrüchen und anderen unerwünschten Folgen kommt. Wir haben dann mit der Überbrückungshilfe zwar einen Rückgang der Zahl der Antragsteller, aber eine substanzielle Erhöhung der Zuwendungen erlebt. Da geht es in allererster Linie um Fixkostenerstattung. Selbstverständlich ist bei all dem, was man tut, immer noch die Frage, ob man darüber hinaus für weitere Gruppen und für weitere Unternehmen, die sich in Schwierigkeiten befinden, zusätzliche Regelungen schaffen muss. Ich bin überzeugt: Der branchenübergreifende Ansatz war richtig. Aber wir sehen mehr und mehr, dass Unternehmen, die praktisch seit Beginn der Pandemie keine Umsätze mehr hatten, inzwischen ihre Eigenkapitalbasis angreifen müssen und oftmals am Rande ihrer Existenz stehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, denen zu helfen, die jetzt möglicherweise erneut betroffen sein werden durch die Anordnungen der Bundesländer in den nächsten Tagen, aber auch denen, die seit vielen Monaten wenig oder gar keinen Umsatz erzielen konnten, ohne dass es ihre eigene Schuld gewesen wäre. Das vielleicht, Herr Präsident, von meiner Seite als kurze Einführung in die Thematik, die Sie wahrscheinlich am meisten interessiert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Herr Bundesminister. – Die erste Frage stellt der Kollege Hansjörg Müller, AfD.

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die Bundesregierung zog sicherlich Schlussfolgerungen aus dem ersten Lockdown Anfang des Jahres dahin gehend, dass die Schließungen im Bereich der Wirtschaft selbstmörderisch waren. Welche diversen Lockdown-Komponenten hat das Bundeswirtschaftsministerium konkret identifiziert, die aus den Erfahrungen des vergangenen Frühjahres resultieren, damit diese nicht Bestandteil des zweiten Lockdowns werden? Das heißt: Wo sind die roten Linien, die das Wirtschaftsministerium gegenüber weitreichenden und wahllosen Coronaschutzmaßnahmen verteidigen wird, um die ihm anvertraute Wirtschaft vor erneuten unsinnigen Schäden zu schützen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesminister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Abgeordneter, wir haben – das will ich an dieser Stelle vorweg sagen – in einem sehr breiten gesellschaftlichen, aber auch politischen Konsens festgelegt, dass der Schutz der Gesundheit und des Lebens der einzelnen Bürgerinnen und Bürger einen sehr hohen Stellenwert hat. Dass wir besser als andere durch die Krise gekommen sind, hängt auch damit zusammen, dass wir ein hervorragendes Gesundheitssystem haben und dass es uns durch gemeinsame Anstrengungen, die oftmals schmerzhaft waren – gerade auch für viele Mittelständler und Inhaber von Geschäften –, gelungen ist, den steilen Anstieg der Infektionszahlen im Frühjahr dieses Jahres zu unterbrechen. Wir haben selbstverständlich die Erfahrungen, die damals gemacht wurden, sehr genau beobachtet. Ich möchte den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz nicht vorgreifen; ich darf das auch gar nicht. Aber es ist ganz sicherlich so, dass es Bereiche gibt – ich denke hier insbesondere an den stationären Einzelhandel in den Innenstädten –, wo sich gezeigt hat, dass es mit anspruchsvollen Hygienekonzepten, Abstandsregelungen, Zugangsregelungen möglich ist, den Geschäftsbetrieb auch während einer solch schwierigen Phase aufrechtzuerhalten. Wir haben – –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Okay.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der Kollege Müller möchte eine Nachfrage stellen.

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, ich hatte erwartet, dass Sie mir wenig konkret antworten werden, was Sie jetzt auch getan haben. Aber ich habe die ganz konkrete Frage gestellt, welche Schlussfolgerungen Sie gezogen haben, was für die Wirtschaft schädlich war – in welcher Branche, in welchem Bereich, bei welcher Firmengröße, bei welchem Firmentyp? –, um dann aufgrund der Erkenntnisse aus dem ersten Lockdown diesen zweiten Lockdown, der morgen wahrscheinlich angekündigt wird, zumindest für die Wirtschaft etwas erträglicher zu gestalten. Was Sie gesagt haben, ist etwas anderes, nämlich allgemeine Gesundheitsrhetorik. Dazu möchte ich sagen: Wir wissen inzwischen alle von der Weltgesundheitsorganisation und von Professor Ioannidis, dass sich die Sterblichkeit und die Gefährlichkeit von Corona auf dem Niveau der Grippe bewegen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wegen der Grippe ein ganzes Land sozial und wirtschaftlich ruiniert worden ist. Deswegen bitte ich Sie noch mal um Antwort auf meine konkreten wirtschaftlichen Fragen. – Danke.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr gerne, Herr Kollege. Ich war ja noch gar nicht fertig mit meinen Ausführungen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber, Herr Bundesminister, wir haben die Regel – das Aufleuchten der roten Lampe als Hinweis –: Die Fragen und die Antworten sollen sich jeweils auf etwa eine Minute beschränken.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ich mache den Versuch.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, ich bitte darum.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Wir haben erstens daraus gelernt, dass es für die Wirtschaft sehr schädlich war, dass Lieferketten in Europa zerbrochen sind durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, durch lange Staus an den Grenzen, durch unzureichende Zusammenarbeit mit den Ländern, aus denen diese Lieferungen kamen. Der europäische Binnenmarkt kann nur funktionieren, wenn diese Lieferketten gesichert sind. Daraus haben wir bisher die Konsequenz gezogen, dass wir dem Funktionieren des Binnenmarktes einen hohen Stellenwert einräumen. Wir haben zweitens aus der langen Schließung der Schulen und der Kindergärten die Konsequenz gezogen, dass wir in diesem Bereich nicht vordringlich handeln wollen, sondern sicherstellen wollen, dass Gesundheitsschutz und Ausbildung und Betreuung der Kinder gewährleistet sind. Ich hatte Ihnen drittens schon beantwortet, dass wir erkannt haben, dass es einzelne Bereiche gibt, die geöffnet bleiben können, ohne dass es zu einem erhöhten Infektionsrisiko kommt. Nach der Empfehlung aller Gesundheitsexperten, die die Bundesregierung beraten, geht es aber vor allen Dingen darum, soziale Kontakte zu reduzieren. Das ist das Ziel der heutigen Besprechung, und dazu werden Beschlüsse gefasst.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dazu möchte der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD, eine Nachfrage stellen.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Wirtschaftsminister, es ist heute bekannt geworden, dass ein Labor, das in Augsburg Tests durchführt, 97 Prozent falsche positive Tests abgeliefert hat. Die Maßnahmen, die Sie uns jetzt vorstellen und die möglicherweise morgen verkündet werden, berufen sich aber natürlich auf die Ergebnisse dieser Tests. Daher die Frage: Inwiefern sind Ihre Zahlen durch Sekundärtest, durch Blindproben und durch Vergleichsproben verifiziert? Wenn Sie hören, dass ein Labor 97 Prozent falsche positive Tests abgeliefert hat – auf diese Zahlen begründen sich Ihre Maßnahmen –: Wie begründen Sie Ihre einschneidenden Maßnahmen, die wirtschaftlich Existenzen gefährden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Abgeordneter, Sie ziehen, wie ich finde, einen unzulässigen Schluss, indem Sie von einem Vorkommnis an einer Stelle auf rund anderthalb Millionen Tests schließen, die in einer Woche vorgenommen werden. Wir haben erlebt, dass in fast allen europäischen Ländern um uns herum die Infektionszahlen stark gestiegen sind. Das hat nach meiner Erkenntnis nichts damit zu tun, dass eine größere Zahl von Tests unzuverlässig wäre. Aber ich bin überzeugt, dass das zuständige Gesundheitsministerium den einzelnen Fragen nachgehen wird und die Antwort auf Ihre Frage vielleicht noch schriftlich konkretisieren wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Timon Gremmels, SPD.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, zu einem anderen Themenkomplex, und zwar zum Thema „erneuerbare Energie“. Sie haben ja eine Charta aufgelegt und aufgefordert, diese zu unterzeichnen – sehr abstrakt. Ich will Sie aber konkret am EEG messen und da an der Frage des Mieterstromansatzes. Sie haben uns in einem Schreiben vom letzten Jahr zugesagt, dass wir ein Mieterstromgesetz bekommen, bei dem nicht nur das Gebäude betrachtet wird, sondern das ganze Quartier, dass wir in Quartieren denken, dass wir die Energiewende auch in die Städte bekommen. Nun muss ich Ihrem Gesetzentwurf entnehmen, dass der Quartiersansatz bei dem Mieterstrom nicht aufgegriffen worden ist und wir da jetzt großes Potenzial verspielen. Meine Frage ist: Warum haben Sie entgegen Ihrer ursprünglichen Zusage das Thema Mieterstrom, insbesondere den Quartiersansatz, nicht mitberücksichtigt? – Danke schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Herr Präsident. – Soweit ich mich erinnern kann, haben wir durchaus das Thema Mieterstrom adressiert. Beim Thema Quartiersansatz mögen Sie recht haben. Wir haben mit der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag die Herrschaft über denselben an das Parlament übergeben. Wenn das Parlament möchte, dass wir zu einzelnen Fragen Formulierungshilfen vorlegen, damit die parlamentarischen Beratungen vorangehen können, werden wir dem Wunsch der parlamentarischen Mehrheit gerne nachkommen. Im Übrigen will ich darauf verweisen, dass wir in diesem Jahr etwa 50 Prozent des produzierten Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien produzieren. Das ist ein großer Erfolg für die Energiewende und für die Anstrengungen aller Bundesregierungen in den letzten 20 Jahren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Gremmels?

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Altmaier, die Rolle des Parlaments ist mir sehr wohl bewusst. Die Frage war, warum Sie als Minister – obwohl Sie es uns schriftlich zugesagt haben – den Quartiersansatz nicht in dem Gesetzentwurf aufgegriffen haben, den Sie dem Parlament vorlegen.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Gremmels, wir haben es uns damals nicht leicht gemacht. Wir haben umfangreiche Gespräche geführt, auch mit Ihrer Fraktion und Ihren zuständigen Fachpolitikern; Sie waren ja auch zum Teil involviert. Wir haben am Ende entschieden, welche Vorschläge wir konkret in dem Gesetzentwurf aufnehmen. Dieser Gesetzentwurf liegt Ihnen vor. Ich glaube, dass hier nicht der richtige Ort ist, um über regierungsinterne Erwägungen zu spekulieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die Kollegin Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen, möchte eine Nachfrage stellen.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, meine Frage bezieht sich auch auf die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie haben darin ja eine Südquote für den Ausbau von Windenergie vorgesehen, was ich sehr begrüße. Aktuell beträgt sie ja nur 8,6 Prozent; Sie wollen sie auf 15 bis 20 Prozent erhöhen. Jetzt könnte Bayern als Flächenland dazu einen sehr großen Beitrag leisten. Leider ist unser Flächenpotenzial dort durch die 2-Kilometer-Abstandsregelung sehr stark eingeschränkt. Die Zahl der Ausbauten ist völlig eingebrochen. So wie ich es sehe, werden wir von dieser Regionalquote nicht profitieren können und auch keinen Beitrag zum nationalen Ziel leisten können. Sehen Sie wie ich einen Widerspruch in einer Regionalquote auf der einen Seite und dem Festschreiben einer 2-Kilometer-Abstandsregelung in Bayern auf der anderen Seite, was Sie mit dem Klimapaket umgesetzt haben, und wie gedenken Sie diesen Widerspruch aufzulösen?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Hinsichtlich der bayerischen Abstandsregelung war es zunächst einmal ein Gesetzgebungsbeschluss des Deutschen Bundestages aus der vorigen Wahlperiode, der den Ländern eine Öffnungsklausel eingeräumt hat, um Abstände nach eigenem Ermessen festzulegen. Davon hat das Bundesland Bayern als einziges Gebrauch gemacht. Wir haben jetzt eine neue Länderöffnungsklausel in das Baugesetzbuch geschrieben. Diese hat zum Ziel, dass die Länder wiederum über Abstände entscheiden können. Das bedeutet, dass die Debatte dann im Bayerischen Landtag und von der Bayerischen Staatsregierung zu führen ist. Wir greifen dem nicht vor. Richtig ist aber, dass wir ein Interesse daran haben, dass der Bau von Windenergieanlagen überall dort, wo er rechtlich möglich ist – auch im Süden –, stattfinden kann, wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden ist. Damit dezentralisieren wir die Stromversorgung und machen sie unabhängiger von regionalen und lokalen Wetterschwankungen. Das haben wir mit diesem Südbonus beabsichtigt. Ich bin überzeugt, dass er auch wirken wird. Wir sehen übrigens jetzt schon in den Ausschreibungen, dass die Zahl der Gebote für Windenergie steigt und auch in anderen Bereichen ein hohes Interesse am Zubau von erneuerbaren Energien besteht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dann möchte der Kollege Dr. Martin Neumann, FDP, dazu eine Frage stellen.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Minister, es geht noch mal um das wichtige Thema Quartiersansätze. Wir haben im Haushalt eine relativ große Position zur Förderung von Quartiersansätzen. Mir fehlt dazu aber eine Definition. Können Sie einmal sagen, was mit diesem Geld, das der Haushaltsentwurf vorsieht – wir sind ja mitten in der Diskussion –, konkret gefördert werden soll?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, der Kollege Gremmels hat gerade kritisiert, dass wir zu wenig Aussagen zum Thema Quartiersansätze getroffen hätten. Das hängt auch damit zusammen, dass die großen Anwendungsfälle bislang noch nicht definiert sind. Die Idee ist, dass man in Quartieren, in Stadtteilen, in Häuserzügen – es ist nicht gesetzlich festgelegt, was ein Quartier ist – durch lokale Kooperationen Synergieeffekte, Effizienzeffekte erschließt, indem sich beispielsweise verschiedene Haushalte die Nutzung von Photovoltaikstrom teilen und damit eine stärkere Verlässlichkeit erreicht wird. Das alles ist im Augenblick in vielen Fällen noch in der Erprobung. Das mag auch ein Grund gewesen sein, warum wir explizitere Regelungen noch nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt lasse ich zu diesem Thema noch eine Frage des Kollegen Johann Saathoff zu. Danach stellt der Kollege Houben die nächste Frage. – Herr Saathoff.

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Bundesminister, ich komme auch noch einmal auf den Mieterstrom zurück. Der Grund für das Mieterstromgesetz, das wir 2016 implementiert haben, war nach meiner Erinnerung, dass es auffällig ist, dass zum Beispiel in meiner ersten Heimat Krummhörn jedes zweite Haus mit einer Photovoltaikanlage belegt ist, in meiner zweiten Heimat Kreuzberg aber nicht. Das liegt daran, dass der Energiehandel gewerbesteuerpflichtig wird. Das wollten wir auflösen, sodass Anreize entstehen, erneuerbare Energien auch in die Städte zu bringen. Eines der zentralen Probleme dabei ist die Personenidentität. Sie haben gesagt, Sie haben in Ihrem Hause abgewogen, was dafür und was dagegen sprechen kann. Ich würde Sie gerne persönlich fragen: Woran liegt es eigentlich, dass wir vier Jahre lang das Mieterstromgesetz, wie Sie sagen, ausprobiert haben, es aber nicht ins Rollen gekommen ist? Glauben Sie, dass das mit dem vorgelegten Gesetzentwurf künftig besser funktionieren wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Zunächst einmal: Wir haben das EEG in den letzten vier Jahren mehrfach angepackt. Wir haben viele Änderungen vorgenommen, so bei den Sonderausschreibungen, die wir durchgeführt haben. Wir haben das große Klimapaket der Bundesregierung verabschiedet. Und wir haben gleichzeitig Erfahrungen mit der seinerzeitigen Mieterstromregelung ausgewertet. Diese hat noch nicht zu einem Durchbruch geführt, was die Ausstattung von Dächern, von Wohnanlagen mit Photovoltaik angeht. Deshalb gehe ich davon aus, dass die erneute Debatte über die Themen Klimaschutz und Energiewende mit dazu beitragen wird, das Bewusstsein zu schärfen. Herr Kollege Gremmels hat ja darauf hingewiesen, dass ich mit meinem Vorschlag für einen parteiübergreifenden Konsens in der Klima- und Energiefrage auch einen Anstoß gegeben habe, diese Themen parteiübergreifend voranzubringen. Ich glaube, dass das seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Reinhard Houben, FDP, stellt die nächste Frage.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Altmaier, die Bundesregierung scheitert bei der Umsetzung der Sofort- und Überbrückungshilfen. Ihr Haus hat in der vergangenen Woche ziemlich ernüchternde Zahlen zu den Sofort- und Überbrückungshilfen übermittelt: Von den 50 Milliarden Euro für die Soforthilfen wurden nur 13,6 Milliarden Euro verausgabt, von den 25 Milliarden Euro für die Überbrückungshilfen nur 1,5 Milliarden Euro. Deswegen die Frage: Warum sind die Auszahlungen so bescheiden? Es ist ja von einer Bazooka gesprochen worden. Die Opposition weist seit einem guten halben Jahr auf verschiedene Probleme hin, auf die Soloselbstständigen, auf die Veranstaltungswirtschaft usw. usf. Warum ist im Verhältnis so wenig Geld geflossen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Houben, ich kann diese Feststellung nicht teilen. Wir haben, was die Soforthilfen angeht, die im März beschlossen worden sind und zum 1. April gegriffen haben, in kürzester Zeit mit allen 16 Bundesländern dieses Programm umgesetzt. Es sind knapp 2 Millionen Anträge bewilligt worden, und es wurden 13 Milliarden Euro ausgezahlt. Das hat sehr, sehr vielen mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern geholfen, ihre Existenz zu sichern. Das war ein großer Erfolg und wird von den Betroffenen übrigens auch heute noch so gesehen. Zweitens. Bei den Überbrückungshilfen war das Ziel – ich habe es in meiner Einleitung gesagt –, die Hilfe auf diejenigen zu konzentrieren, die besonders hohe Umsatzrückgänge zu verzeichnen hatten und besonders hohe Fixkosten haben, und dazu beizutragen, dass sie mit dieser Hilfe die nächsten Wochen und Monate überstehen. Wir haben etwa 125 000 Anträge auf Überbrückungshilfe; wir haben bislang 1,5 Milliarden Euro genehmigt, bis zum Ende des Jahres werden es etwa 5 Milliarden Euro sein. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Unternehmer aufgrund der besseren wirtschaftlichen Entwicklung keinen Antrag gestellt haben, etwa die Unternehmen, die durch die Außengastronomie ihre Umsätze in einer positiven Weise entwickeln konnten. Wir verbessern die Überbrückungshilfe regelmäßig, werden sie über den 1. Januar 2021 hinaus verlängern und inhaltlich noch einmal ausweiten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege?

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. – Herr Minister Altmaier, dann stimmen Sie mir also, was die Zahlen angeht, zu. Deswegen möchte ich nachfragen: Sind vielleicht die Bedingungen und die formalen Voraussetzungen, um Geld aus den entsprechenden Töpfen zu bekommen, doch zu kompliziert und zu bürokratisch formuliert worden, sodass wir, wie Sie selbst bestätigen, von 25 Milliarden Euro bisher erst 1,5 Milliarden Euro ausschütten konnten?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, das ist eine unzulässige Schlussfolgerung. Wir hatten seinerzeit die Beträge aus der Soforthilfe auf die Überbrückungshilfen übertragen. Es ist nie davon ausgegangen worden, dass diese Beträge vollständig benötigt werden. Es wusste aber im April und im Mai und im Juni niemand, wie die wirtschaftliche Entwicklung im dritten und vierten Quartal sein wird und in welcher Größenordnung sich der Zuschussbedarf entwickelt. Deshalb ist es zunächst einmal eine gute Nachricht, dass weniger Geld abgeflossen ist, als ursprünglich von vielen befürchtet. Im Übrigen habe ich gerade auch von Vertretern Ihrer Partei häufig den Vorwurf gehört, wir würden zu stark in die Marktwirtschaft eingreifen, indem wir alles mit staatlichen Hilfen und Unterstützungen bepflastern würden. Anschließend wird gesagt: Die Hilfen fließen nicht ab; wir geben zu wenig aus. – Das ist auch ein gewisser Widerspruch in der Sache; aber den können Sie ja vielleicht intern klären.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Ich habe zu der von Herrn Kollegen Houben aufgeworfenen Frage eine Reihe von Nachfragen. Ich möchte gerne den folgenden fünf Kollegen jeweils eine Nachfrage gestatten, dann aber zur nächsten Frage kommen. Das sind der Kollege Chrupalla, AfD, die Kollegin Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, der Kollege Vogel, FDP, der Kollege Kraft, AfD, die Kollegin Müller, Bündnis 90/Die Grünen. Ich gestatte jeweils eine Nachfrage; sonst kommen wir nicht mehr zu den anderen Fragen. Der Kollege Lehrieder wartet schon ganz geduldig. ({0}) Herr Chrupalla.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Altmaier, Sie sind ja Wirtschaftsminister. Alle Wirtschaftsexperten sprechen sich deutlich gegen einen zweiten Lockdown aus. Meine Frage an Sie: Wie haben Sie persönlich bei der Entscheidung über einen zweiten Lockdown abgestimmt? Was ist Ihre Begründung gewesen? ({0}) Zweite Frage. Wie Sie ja wissen, breitet sich das Virus hauptsächlich im privaten Bereich aus. Warum müssen also Gaststätten erneut schließen, die bewährte Hygienekonzepte vorliegen haben und bereits umsetzen? Und warum sind Sie der Ansicht, dass das Parlament in einer so weitreichenden Frage quasi übergangen werden kann? Wie werden Sie eigentlich informiert, per Podcast von Frau Merkel oder auf den Kungelrunden der Ministerpräsidenten? Und wie werden wir als Parlament eigentlich weiter informiert? ({1})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Chrupalla, erstens haben Sie die falsche Frage gestellt; denn ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich abgestimmt habe. Im Augenblick sitzen die Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung zusammen und beraten die Maßnahmen, die zu ergreifen sind. Für mich war es entscheidend, dass ich selbstverständlich in der ersten Stunde der heutigen Sitzung ab 13 Uhr dem Parlament Rede und Antwort stehe. Ich werde aber an der Videokonferenz teilnehmen, sobald Sie mit Ihren Fragen zu einem Ende gekommen sind. Zweitens werden diese Debatten in einem großen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Umfeld geführt. Ich war beispielsweise in der letzten Woche mit über 35 Branchenverbänden in einer Videokonferenz drei Stunden lang damit beschäftigt, die Frage zu klären, wie man mit der weiteren Entwicklung im Hinblick auf Hilfsnotwendigkeiten für die Wirtschaft umgeht. Das ist weder Gekungel noch Gemauschel. Das ist in hohem Maße transparent und steht für das Politikmodell der Bundesrepublik Deutschland seit beinahe 70 Jahren. Die Beschlüsse, die heute gefasst werden, werden Ihnen sicherlich bekannt gegeben. Das Parlament wird in seinen Rechten im Übrigen in keiner Weise präjudiziert. Sie entscheiden über das, was im Rahmen von Gesetzen zu tun oder zu lassen ist. Im Übrigen hat das Parlament in vielen Fällen jenseits von Gesetzen Positionen und Meinungen zum Ausdruck gebracht, die die Regierung, wenn sie eine hohe Auffassung von der Rolle des Parlamentes hat – und das setze ich für diese Regierung voraus; für mich persönlich gilt es auf jeden Fall –, in aller Regel auch beachtet hat.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wenn heute angekündigt werden sollte, dass es für bestimmte Branchen noch einmal für einige Wochen zu Schließungen kommen wird, dann erwarte ich vom Wirtschaftsminister, dass er zeitgleich kommuniziert, wie man diesen Branchen kurzfristig hilft. Wir haben heute im Wirtschaftsausschuss erfahren, dass mögliche Änderungen an den Hilfen, wie zum Beispiel an den Überbrückungshilfen, erst Anfang Januar wirken sollen. Aus meiner Sicht ist das fatal. Deswegen noch mal die Frage – Sie haben damit die Möglichkeit, das klarzustellen –: Werden die Hilfen für die Betriebe jetzt geändert und Anpassungen jetzt wirksam? Und geht es dabei dann nicht nur um Kredite, sondern auch um Zuschüsse auch für größere Betriebe? Der zweite Punkt betrifft das Thema Unternehmerlohn. Wir, die Grünen-Bundestagsfraktion, haben das seit März immer wieder ins Parlament eingebracht. Sie sagen: Irgendwann wird das kommen. – Für die Soloselbstständigen wird es jetzt, wenn es noch mal zu Betriebsschließungen kommt, echt knapp. Sie brauchen ein Licht am Ende des Tunnels. Deswegen die Frage: Wird jetzt und auch rückwirkend ein Unternehmerlohn für Soloselbstständige ausgezahlt? Sie schulden den Leuten jetzt einfach, dass es in diesen Fragen Klarheit gibt.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Dröge, wir haben im Übrigen auch jetzt, die ganze Zeit über, nicht nur mit Krediten gearbeitet. Vielmehr waren die Soforthilfen nicht rückzahlbare Zuschüsse. Auch die Überbrückungshilfen sind nicht rückzahlbare Zuschüsse zu Fixkosten in der Größenordnung von bis zu 50 000 Euro im Monat pro Unternehmen. ({0}) Wir werden zum 1. Januar eine weitere Überarbeitung der Überbrückungshilfen in Kraft setzen, ({1}) die die Situation für die Unternehmen noch einmal verbessert. Wir sind im Augenblick dabei, das in der Bundesregierung abzustimmen. Trotzdem haben Sie recht, wenn Sie sagen, dass Einschränkungen, die heute beschlossen werden könnten, die Frage aufwerfen: Wie gehen wir mit den Unternehmen um, ({2}) die durch Anordnung der zuständigen Länder bzw. Länderstellen in ihrer Tätigkeit gehindert sind, die also sozusagen wirtschaftlich gar nicht tätig sein können? Ich teile Ihre Auffassung, dass in einem solchen Fall zusätzliche Hilfen schnell und unbürokratisch erforderlich sind. Die Bundesregierung hat an Vorschlägen gearbeitet. Diese werden heute mit den Ministerpräsidenten diskutiert, und ich gehe davon aus, dass, falls es zu Einschränkungen kommt, gleichzeitig auch die Hilfsangebote beschlossen werden. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Vogel, FDP.

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Altmaier, sehr geehrter Herr Minister, ich kann da nahtlos anknüpfen und will auch noch einmal bei der bekannten Frage „Unternehmerlohn und Selbstständige“ nachhaken. Heute Abend sollen nach dem Willen der Bundesregierung die Sonderregelungen bei der Kurzarbeit, die in der Krise eingeführt wurden, bis nach der nächsten Bundestagswahl verlängert werden. Gleichzeitig lässt sie die Selbstständigen und Freelancer in diesem Land seit März konsequent im Regen stehen, obwohl das Problem eines Unternehmerlohns und der Nichtnutzbarkeit der Hilfen für Selbstständige seit Langem bekannt ist. Sie persönlich haben sich letzte Woche, wie viele CDU-Politiker in den letzten Wochen, noch dazu bekannt, dass Sie das ändern wollen. Jetzt kündigen Sie hier luftig eine Überarbeitung an. Ich will noch einmal nachfragen: Wird das Problem Unternehmerlohn und damit die Nichtnutzbarkeit der Soforthilfen für die Selbstständigen in diesem Land gelöst, ja oder nein? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, das ist eine Frage, die ich nicht alleine entscheiden kann. Das muss die Bundesregierung in Absprache mit den sie tragenden Parlamentsfraktionen tun. ({0}) Wir haben im Übrigen die Kurzarbeiterregelung nicht nur im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch auf Wunsch der Wirtschaft und der Arbeitgeber beschlossen – erster Punkt. Zweiter Punkt. Wir haben eine Situation, in der die Selbstständigen der Arbeitslosenversicherung nicht angehören, dort auch keine Beiträge entrichten. Es hat in der Koalition und auch im Parlament in der Diskussion gewichtige Stimmen gegeben, die von Anfang an gesagt haben: Dann muss man den Betroffenen helfen, einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung zu finden, so wie auch einem Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft ist. – Dazu haben wir die Voraussetzungen erleichtert. Das wird von vielen Selbstständigen als nicht ausreichend angesehen. Ich habe in der letzten Woche gesagt – darauf spielen Sie an –: Je länger die Einschränkungen andauern, desto wichtiger ist es, dass wir die Eigenkapitalbasis der Soloselbstständigen erhalten und ihnen helfen, die schwierige Zeit zu überbrücken; darüber sprechen wir. Ich habe Vorstellungen, ich habe Vorschläge. Aber noch einmal: Ich kann dem Abstimmungsprozess der zuständigen Ressorts an dieser Stelle nicht vorgreifen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Dr. Rainer Kraft stellt die nächste Nachfrage.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Wirtschaftsminister, Ihr Haus bzw. die Regierung verpflichtet die Antragsteller von Überbrückungshilfen dazu, die Dienste eines Wirtschaftsprüfers, eines vereidigten Buchprüfers oder eines Steuerberaters in Anspruch zu nehmen. Das verursacht natürlich Mehrkosten. Nun ist es so, dass ich in harten Zeiten den Kollegen Wirtschaftsprüfern etc. diesen Umsatz natürlich gönne. Aber – diese Frage muss gestellt werden –: Inwiefern sind diese Mehrkosten dadurch gerechtfertigt, dass eine beschleunigte Abarbeitung der Anträge stattfindet, dass eine beschleunigte Zuteilung der Überbrückungshilfen stattfindet und dass sich der bürokratische Aufwand für Ihr Haus dadurch signifikant reduziert? Welche Zahlen haben Sie, um zu untermauern, dass die verpflichtende Inanspruchnahme dieser Dienste gerechtfertigt ist?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist eine langjährige Staatstradition, dass solche Hilfen nie durch die Bundesregierung bundesweit administriert werden, sondern im Bedarfsfall durch die Behörden der Länder. Die Länder haben dies bei den Soforthilfen in großer Geschwindigkeit getan, aber eben auch verbunden mit der Notwendigkeit, schnell zu entscheiden und damit die Prüfung der Antragsunterlagen in vielen Fällen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Jetzt geht es um die Überbrückungshilfen, die wesentlich höher sind. Ich habe gesagt, 50 000 Euro im Monat. Das bedeutet eine Verantwortung für den Steuerzahler. Viele Länderbehörden haben sich nicht imstande gesehen, die zu erwartende Anzahl von Anträgen, konkret 125 000 für ganz Deutschland, in dieser Komplexität und in dieser Tiefe in angemessenen Zeiträumen zu prüfen. Wir haben deshalb eine wirtschaftsfreundliche Lösung gewählt, indem wir Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, die mit diesen Firmen kooperieren und sie in vielen Fällen kennen, gebeten haben, die Unterlagen zusammenzustellen. Das hat dann ein hohes Maß an öffentlichem Glauben, und das ermöglicht es den Verwaltungen, die Leistungen dann sehr schnell auszuzahlen. Wir haben im Übrigen weit über 99 Prozent aller gestellten Anträge von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern bewilligt. Das zeigt, dass diese Art der Zusammenarbeit funktioniert. Es ist das erste Mal, dass wir eine solche Hilfe –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

– über eine Onlineplattform abwickeln.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Und es hat, soweit ich das sehe, bislang auch sehr gut funktioniert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. Wenn die Ampel rot zeigt, ist die Redezeit eigentlich abgelaufen. – Claudia Müller stellt die letzte Nachfrage zu der vom Kollegen Houben aufgeworfenen Frage.

Claudia Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004830, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Altmaier, ich komme natürlich zum Thema Unternehmerlohn und zu der Anpassung der Hilfen zurück. Was heißt bei Ihnen „schnell“? Was heißt „zeitnah“? Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass Januar dafür deutlich zu spät ist. Ich nehme hier eine breite Mehrheit wahr, die sich darüber einig ist, dass hier geholfen werden muss, dass hier gehandelt werden muss. Sie deuten an, es gebe da Widerstände. Nennen Sie doch einmal Ross und Reiter: Wo sind die Widerstände? An wem scheitert es? Wo muss man noch einmal deutlicher werden? Das ist auch wichtig für diejenigen, die draußen jetzt wirklich ums Überleben kämpfen, die zum Teil seit acht Monaten keine Einnahmen mehr haben und die angesprochene Grundsicherung nicht bekommen können, etwa weil sie in Partnerschaften leben. Wie wollen Sie diesen Menschen helfen? Wie wollen Sie, gerade wenn wir vor einem möglichen weiteren Lockdown stehen, diesen Menschen jetzt helfen? Sagen Sie, wie Sie ihnen eine Perspektive bieten wollen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, Herr Präsident. – Das Thema Unternehmerlohn hat zuletzt im Koalitionsausschuss eine Rolle gespielt. Dort ist die von Ihnen gewünschte Entscheidung nicht getroffen worden. Das muss ich als Wirtschaftsminister zur Kenntnis nehmen. Wir haben daraufhin die Überbrückungshilfen so überarbeitet, dass wir trotzdem wichtige Erleichterungen für diese Soloselbstständigen geschaffen haben, indem wir zum Beispiel die maximale Zuschusshöhe und auch das, was man anrechnen kann, erweitert haben. Wir haben am 14. Oktober mit den Ministerpräsidenten beschlossen, dass wir ab 1. Januar den Leistungsumfang noch einmal deutlich ausweiten. Wir haben heute auf der Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz mindestens zwei wichtige Punkte, die den Soloselbstständigen ebenfalls helfen können, einen Teil ihrer Kosten, aber auch einen Teil ihres Unterhaltes zu bestreiten. Das kann ich aber – ich bitte noch einmal um Verständnis – jetzt nicht vorwegnehmen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Paul Lehrieder, CDU/CSU, stellt jetzt die nächste Frage.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister, ich komme zurück auf Ihre Eingangsausführungen. Sie hatten ausgeführt, dass mit den steigenden Inzidenzzahlen auch weitere Eingriffe in das wirtschaftliche Leben in Deutschland leider nicht vermeidbar sind. Zur Stunde macht sich ein großer Tross von Reisebussen auf den Weg zum Brandenburger Tor, wo eine Kundgebung der Veranstaltungswirtschaft stattfindet. Die fragen natürlich: Wie geht es bei uns weiter? Wie schaut es bei uns die nächste Zeit aus? Zu den Soloselbstständigen haben Sie bereits im Zusammenhang mit den Vorfragen einiges ausgeführt. Meine Frage ganz konkret: Wie geht es im Bereich der Künstler, der Reisebüros, aber auch der Gaststätten jetzt mit den Überbrückungshilfen weiter? Wir haben die Überbrückungshilfe I von Juli bis Ende August 2020 gehabt. Dann wurde sie dankenswerterweise bis Ende des Jahres verlängert, bis 31. Dezember 2020. Jetzt arbeitet das Ministerium – dafür möchte ich ausdrücklich Danke sagen – an einer Verlängerung, quasi Überbrückungshilfe III, über den 1. Januar hinaus, um diesen Branchen, die tatsächlich nachhaltig und langfristig unter der Coronakrise leiden werden – das ist die ganze Reisebranche, das ist die ganze Tourismusbranche, das wird in vielen Bereichen auch die Gastronomie sein –, zu helfen. Ich habe vorhin ein längeres Gespräch mit Reisebusunternehmern gehabt, die ausgeführt haben: Wir wissen noch nicht, wie es bei uns weitergeht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Lehrieder.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin ja bei der Frage, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Lehrieder, –

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin jetzt bei der Frage. Wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, wäre ich schon fertig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

– die rote Ampel gilt auch für die Redner.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mich so auf den Minister konzentriert, dass ich die rote Ampel leider übersehen habe.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! – Welche Möglichkeiten sehen Sie in einem dritten Paket – –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nein, nein. Jetzt hat der Minister das Wort.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr geehrter, lieber Kollege Paul Lehrieder, erst einmal: Ich habe als Minister und als Abgeordneter und Politiker ein hohes Verständnis für die Nöte der Betroffenen. Wenn Sie einen solchen Wirtschaftseinbruch haben, der mit der stärkste in der Nachkriegsgeschichte ist, dann können Sie mit staatlichen Hilfen niemals alle Einbußen ausgleichen, und es wird immer ganz viele Menschen geben – übrigens auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer –, die Nachteile erleiden. Wir versuchen trotzdem, maßgeschneiderte Hilfen anzubieten, und ich bin sicher, dass wir gerade bei der Veranstaltungswirtschaft, bei der Kulturwirtschaft, aber auch bei den Reisebüros, die jetzt wiederum mit erheblichen Rückgängen zu rechnen haben, Akzente setzen werden. Wir haben ja schon bei der Überbrückungshilfe I die Stornogebühren anrechenbar gemacht, was von vielen in Anspruch genommen worden ist. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen. Das soll in den nächsten, ich sage mal, 8 bis 14 Tagen konkretisiert sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Alexander Ulrich, Die Linke.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, wir Linke begrüßen ausdrücklich, dass die Veranstaltungswirtschaft heute unter dem Motto „Alarmstufe Rot“ wieder auf der Straße ist und auf ihre Situation aufmerksam macht, weil das auch Ausdruck dafür ist, dass diese Branche sich von der Bundesregierung bisher nicht verstanden fühlt. Ich möchte jetzt ganz konkret die Frage stellen, die heute Morgen noch aufgetaucht ist. Im Wirtschaftsausschuss hat die SPD behauptet, dass der Finanzminister bisher der einzige Minister gewesen wäre, der sich mit Vertretern der Veranstaltungswirtschaft getroffen hat. Stimmt das? Wenn ja, würde ich die Frage anschließen, warum Sie als zuständiger Minister diese Branche nicht im Auge haben, die ja bedeutsamer ist, sowohl von der Wirtschaftskraft als auch von den Arbeitsplätzen, als zum Beispiel die Lufthansa. Warum hat diese Branche bei Ihnen keinen Zugang oder maximal bis zu einem Parlamentarischen Staatssekretär, und wann wollen Sie dieser Branche jetzt wirklich helfen, damit das, was da draußen auf der Straße stattfindet, hier auch zu wirksamen Entscheidungen führt? Denn das, was Sie heute hier als Antwort gegeben haben, hören wir schon seit Monaten, und damit sind diese Mitarbeiter und Branchen nicht mehr zufrieden.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, was im Ausschuss besprochen worden ist. Aber Tatsache ist, dass die Veranstaltungswirtschaft selbstverständlich genauso wie die Reisebranche jeweils eingeladen ist zu meinen Gesprächen mit Verbänden, die im Abstand von wenigen Monaten stattfinden. Das letzte Gespräch war in der vergangenen Woche. Dort waren drei Vertreter der Veranstaltungsbranche anwesend, die dort ihre Positionen in aller Ausführlichkeit vortragen durften. Ich habe auch mit einem dieser Vertreter eine gemeinsame Pressekonferenz durchgeführt. Insofern bitte ich, künftig auch zu berichten, dass der Minister die Probleme der Branche ernst nimmt und auf die Beteiligten zugeht und mit ihnen spricht. Ich wäre heute auch gerne am Brandenburger Tor gewesen, um mich dort persönlich der Diskussion zu stellen und die Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Diejenigen von Ihnen, die hingehen, bitte ich: Richten Sie meine besten Grüße aus. – Ich bin anschließend in der Konferenz der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin anwesend und kann diese nicht eher verlassen, als sie beendet ist. Mir tut dies sehr leid.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut, dann stellen wir fest, dass die SPD im Ausschuss die Unwahrheit gesagt hat, wenn das so wäre. Aber wie gesagt: Sie könnten sich, glaube ich, bei denen trotzdem mal direkt melden. Bei der zweiten Frage geht es um die parlamentarische Beteiligung. Wir haben in den letzten Wochen wirklich eine intensive Debatte über die parlamentarische Beteiligung in dieser Coronakrise geführt. Der Bundestagspräsident hat einen Brief geschrieben. Staatsrechtler haben sich zu Wort gemeldet. Ich frage Sie jetzt: Warum hat das bei der Bundesregierung keine Wirkung? Sie haben hier heute mehrmals gesagt: „Es gibt konkrete Vorschläge, auch wirtschaftspolitischer Art, die heute Mittag mit den Ministerpräsidenten diskutiert werden“, ohne ein Beispiel zu nennen, ohne dass der Wirtschaftsausschuss heute Morgen informiert worden ist. Glauben Sie wirklich, dass die Parlamentsbeteiligung ausreicht, wenn wir morgen in der Regierungserklärung der Kanzlerin einfach wieder nur die Ergebnisse schlucken müssen? Das kann dieses Parlament nicht länger akzeptieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, ich war, glaube ich, in dieser Wahlperiode sechs- oder siebenmal im Wirtschaftsausschuss. Ich habe nie eine Einladung ausgeschlagen, wir mussten manchmal einen Termin finden, und ich bin gerne bereit, weiteren Einladungen Folge zu leisten. Meine Staatssekretäre sind an jeder Ausschusssitzung beteiligt und beantworten die Fragen der Abgeordneten. Selbstverständlich hat das Parlament die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt einen Beschluss zu fassen, der in bestimmten Einzelfragen der Regierung die Richtung weist. Es ist aber nicht so, dass Sie als Vertreter einer Oppositionsfraktion das Recht hätten, die übrigen Abgeordneten zu majorisieren. Sie müssen sich um Mehrheiten bemühen, und dann wird die Regierung die Beschlüsse des Bundestages ganz sicher respektieren. Daran habe ich überhaupt gar keinen Zweifel.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich habe zu diesem Thema zwei Nachfragen, einmal des Kollegen Mohrs und zum anderen des Kollegen Droese der AfD. Der Kollege Falko Mohrs, SPD, hat jetzt das Wort.

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich schließe an die Frage zur Veranstaltungsbranche, aber nicht nur daran, an. Sie haben zwar gesagt, Sie könnten die Beschlüsse, die die MPK und die Bundeskanzlerin heute treffen werden, nicht antizipieren. Aber es zeichnet sich ja ab, dass es Branchen geben wird, die länger, und zwar wirklich langfristig, von Einschränkungen betroffen sein werden. Die Veranstaltungsbranche scheint eine davon zu sein, eventuell auch die Gastronomie. Ich würde es durchaus für einen Fehler halten, im Bereich der Gastronomie zu harten Einschränkungen zu kommen. Aber meine Frage ist eigentlich: Wenn wir jetzt sehen, dass es Branchen gibt, die lange betroffen sein werden, wie sehen eigentlich dann die konkreten Vorschläge Ihres Hauses zu branchenspezifischen Lösungsansätzen aus? Denn ich und wir, die SPD, sind überzeugt: Wenn bestimmte Branchen noch länger, noch härter betroffen sein werden, und das eben auch auf Grundlage von Beschlüssen, dann müssen wir auch die entsprechenden branchenspezifischen Lösungen anbieten können. – Vielen Dank.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, das ist richtig. Die Grundunterstützung kommt allen Branchen und allen Betroffenen zugute. Es gibt aber welche, die haben besondere Probleme. Bei den Reisebüros waren es beispielsweise die Stornierungskosten. Die haben wir übernommen. Die können bei der Überbrückungshilfe angerechnet werden. Es gibt weitere Kosten in diesem Zusammenhang, die gerade in der Veranstaltungsbranche fällig werden, beispielsweise Vorbereitungskosten, beispielsweise Werbungskosten zur Anbahnung von Veranstaltungen. Über all diese Fragen wird gesprochen. Der Bundesfinanzminister, der Ihrer Fraktion angehört, würde es, glaube ich, wenig schätzen, wenn ich jetzt Ergebnisse bekannt geben würde, bevor wir uns in den zuständigen Ministerien und mit dem, das für das Geld verantwortlich ist, dazu verständigt haben. Aber es wird branchenspezifische Regelungen in Zukunft in stärkerem Maße geben, auch Abschreibungsregelungen, auch bezüglich der Frage, inwieweit man Zuschüsse nicht nur zu Zinskosten, sondern auch zu Tilgungskosten geben kann. Alle diese Fragen werden diskutiert, und sie werden zeitnah beantwortet. Das Ganze wird dann ab Januar umgesetzt; denn die Antragsfrist für die Überbrückungshilfe II läuft bereits mit den Verbesserungen, die dort erzielt worden sind. Wir werden jetzt weitere Verbesserungen beschließen, und die werden ab 1. Januar greifen. Das, was wir heute für die beschließen, –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

– die durch staatliche Anordnung nicht mehr arbeiten können, wird früher in Kraft treten, und das ist auch dringend notwendig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat dazu noch eine Nachfrage der Kollege Droese, AfD, wie schon angekündigt.

Siegbert Droese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004704, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister, auch ich habe eine Frage zur Veranstaltungsbranche und zur Gastronomie, Hotellerie. Nach Ministeriumsangaben aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg kommt man dort zu der Überzeugung, dass die Gastronomie, Hotellerie im weitesten Sinne nicht als Spreader anzuerkennen ist. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Ich halte die Gastronomie in der jetzigen Phase für systemrelevant, weil sie zum einen Versorgungsaufträge erfüllt und zum anderen durch die Auflagen im Prinzip eine gute Kontrolle über das Ausbreitungsgeschehen garantiert ist. Das Hauptproblem sind die privaten Haushalte; mein schlesischer Kollege Chrupalla hat es vorhin schon angesprochen. Meine ganz konkrete Frage an Sie, Herr Minister – ich glaube, Sie sind auch ein Freund guter Gastronomie, wenn ich mir das mal erlauben darf –: ({0}) Werden Sie, wenn Sie sich nachher in die Telefonkonferenz der Kanzlerin zuschalten, eine Lanze für die Gastronomie brechen und sich dafür einsetzen, dass wir die Gastronomie auflassen, gegebenenfalls unter noch stärkeren Auflagen? Das ist meine Frage an Sie. Deutschland braucht die Versorgung. Deutschland braucht die Gastronomie, glaube ich. ({1})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, ich glaube, es ist heute nicht die Aufgabe, dass wir in die Veranstaltung gehen und Lanzen brechen, sondern die Hauptaufgabe besteht darin, dass wir mit einer gemeinsamen Position von Bund und Ländern aus dieser Veranstaltung kommen. Da muss jeder Beteiligte bereit sein, Kompromisse zu machen. Wir müssen diesen Konsens herbeiführen. Das ist bei 16 selbstbewussten Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und 16 nicht minder selbstbewussten Vertretern der Bundesregierung nicht immer ein einfaches Unterfangen. Im Übrigen ist es so, dass die Gastronomie großartige Anstrengungen unternommen hat, die wir zum Teil auch fördern, sich mit Hygienekonzepten abzusichern und einen sicheren Besuch ihrer Einrichtungen ermöglichen. Aber – ich habe vorhin darauf hingewiesen – es geht darum, dass wir die Zahl der sozialen Kontakte reduzieren, und zwar nicht um 10 oder 15 Prozent, sondern in einer Größenordnung, die in die Richtung der Hälfte oder noch darüber hinausgeht. Dazu werden umfangreiche Maßnahmen notwendig sein. Welche das im Einzelnen sind, das wird im Augenblick gerade diskutiert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Nachfrage dazu stellt der Kollege Ernst, Die Linke.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. – Herr Altmaier, zu den Maßnahmen, die Sie morgen oder heute nach den Diskussionen treffen werden: Glauben Sie nicht, dass es sinnvoll wäre, das Parlament auch in der Weise zu beteiligen, dass die Vorschläge, die Sie machen, vorher mit den Abgeordneten diskutiert werden, und zwar, bevor diese aus der Presse erfahren, was Sie machen wollen? Wäre es nicht sinnvoll, dass Sie, wenn Sie Maßnahmen treffen – ich nehme als Beispiel die Restaurants –, auch Zahlen vorlegen, die zeigen, wie viel Prozent der Infektionen tatsächlich über die Restaurants gingen? Denn dort geht langsam die Diskussion los: Machen wir das Richtige, oder machen wir das Falsche? – Es ist natürlich am einfachsten, einen partiellen Lockdown für einige Branchen zu beschließen. Ich denke mir: Wenn das nicht ordentlich begründet wird, wird die Zustimmung in der Bevölkerung zu diesen Maßnahmen deutlich abnehmen. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Ernst, ich kann nur darauf verweisen, dass das RKI, das in diesem Fall sicherlich eine unbestrittene Kompetenz hat, uns darauf hinweist, dass bei 80 Prozent der Infektionen nicht bekannt und nicht nachweisbar ist, wo sie stattgefunden haben. Das ist ein Faktum, das wir nicht leugnen können. Deshalb steht die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin vor der Frage, wie sie verhältnismäßig mit der Notwendigkeit der Einschränkung von Kontakten umgeht. Im Übrigen: Das Infektionsgeschehen hat sich in den letzten zehn Tagen erheblich beschleunigt. Wir sind im Wochenvergleich von einer Zuwachsrate von 50 Prozent zu einer Zuwachsrate von fast 100 Prozent gekommen. Das ist ein enormes exponentielles Wachstum, und deshalb war es notwendig, diese Konferenz kurzfristig einzuberufen. Ich habe in den letzten drei Tagen, seit dies bekannt ist, eine Fülle von Briefen, Anregungen, E-Mails aus dem parlamentarischen Bereich bekommen. Es hatten alle Fraktionen Gelegenheit zu Fraktionssitzungen. Die Bundeskanzlerin hat im Übrigen in einer Telefonschaltkonferenz mit den Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien diese Fragen diskutiert und Anregungen aufgenommen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wie rechtfertigen Sie die niedrigen Ausbauzahlen für die erneuerbaren Energien in Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf für die EEG-Novelle, wenn Sie doch eigentlich bereits absehen konnten, dass es eine Debatte um ein verschärftes EU-Klimaziel geben würde, und wenn – letzte Woche beispielsweise – zum wiederholten Male wissenschaftliche Studien nachgewiesen haben, dass die Ausbaumengen, die Sie mit der EEG-Novelle planen, beileibe nicht ausreichen, um Ihre eigenen Klimaziele zu erreichen, die Sie sich für 2030 gesetzt haben? So hat beispielsweise das Umweltbundesamt den Klimaschutzplan aus dem letzten Jahr evaluiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es eine Zielerreichungslücke gibt, insbesondere im Energiesektor, aber auch in den anderen Sektoren. Es hat deutlich gemacht, dass die Windenergie und die Solarenergie eigentlich jährlich verstärkt ausgebaut werden müssten. Wo sehen Sie als zuständiger Minister ganz konkret Ihre Verantwortung, ein angemessenes Gesetz vorzulegen mit angemessenen Ausbauzielen für die erneuerbaren Energien?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Als Wirtschaftsminister fühle ich mich dem Klimaschutz, dem Anliegen der Energiewende, aber auch dem Anliegen der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit von Strom verpflichtet. Wir haben uns als Koalition vorgenommen, im Jahre 2030 eine Versorgung von 65 Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien sicherzustellen. Wir sind bis heute schneller vorangekommen als gedacht. Wir haben einen Vorschlag vorgelegt, mit dem wir glauben, diese 65 Prozent erreichen zu können, und werden dabei auch von wissenschaftlicher Expertise unterstützt. Wenn es zu einer Verschärfung des Klimaziels der Europäischen Union kommt, wie es sich abzeichnet, gibt es unter Umständen auch Anlass, die jetzt schon sehr ehrgeizigen Ziele weiter zu erhöhen; das habe ich im Zuleitungsschreiben angekündigt und auch den Fraktionen gesagt. Wir haben noch keine konkreten Beträge eingesetzt, weil wir nicht möchten, dass andere Länder in Europa die deutsche Vorleistung als Grund ansehen, mit eigenen Anstrengungen weniger ehrgeizig zu sein, sondern wir möchten, dass alle vorankommen. Deutschland wird seinen Anteil übernehmen, und wir werden dem neuen EU-Klimaziel Rechnung tragen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Frau Kollegin?

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Herr Minister, es erschließt sich mir nicht, was es schaden würde, wenn Sie Ihr eigenes Ziel schneller erreichen. Das erschließt sich mir einfach nicht. ({0}) Insofern wäre es ja hilfreich gewesen, wenn Sie schon höhere Ausbaumengen in diesen Entwurf hineingeschrieben hätten. Noch eine Nachfrage in Bezug auf die Windenergie: Stimmen Sie mir zu, dass es eine reale Gefahr gibt, dass im nächsten Jahr in Deutschland weniger Ökostrom durch Windenergie produziert wird als in diesem Jahr, dass also statt eines Ausbaus zusätzlicher Windräder netto weniger Strom produziert wird? ({1}) Was werden Sie zeitnah tun, um genau diese Situation zu verhindern? Denn Sie wissen: Bei Windenergieanlagen mit einer Gesamtkapazität von mehr als 3 Gigawatt steht man im nächsten Jahr vor der Entscheidung, ob sie weiter Windenergie ins Netz einspeisen oder nicht. Sie haben noch keinen konkreten Vorschlag gemacht, wie das genau aussehen soll. Insofern kann es sein, dass wir im nächsten Jahr sogar einen Rückgang beim Thema Windstrom haben werden. Wie gehen Sie damit um?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin, die Frage, wie hoch die Windstromausbeute ist, richtet sich natürlich auch nach der Stärke des Windes, der im nächsten Jahr wehen wird. ({0}) Das kann ich nicht vorwegnehmen. Aber – das sage ich Ihnen –: Vorausgesetzt, es ist vergleichbar mit diesem Jahr, bin ich überzeugt, dass es keinen Rückgang, sondern einen Zuwachs geben wird. ({1}) Das hat zwei Gründe. Zum einen haben wir in der Vergangenheit weniger Teilnahmen an Ausschreibungen gehabt, weil es zu wenige genehmigte Projekte gegeben hat. Die Bemühungen der Bundesregierung, das zu ändern, haben funktioniert, und wir haben inzwischen wieder einen Anstieg der eingereichten Projekte, die zuschlagsfähig sind, auf 80 Prozent. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Zum anderen möchten wir, dass die Windräder, die abgeschrieben und ausgefördert sind, auch weiterlaufen können. Darüber bin ich im Gespräch mit den Bundesländern, mit den Verbänden der Windenergie. Es gibt sehr viele Unternehmen, die ein Interesse daran bekundet haben, solche abgeschriebenen Anlagen zu erwerben und weiter zu betreiben, um die Energiewende voranzubringen. Es gibt Anlagen, die sich nach dem Börsenstrompreis rechnen, und es gibt andere an windschwachen Standorten, die sich nicht rechnen. Dafür muss eine passgenaue Lösung gefunden werden. Das – das sage ich Ihnen zu – wird vor Ende dieses Jahres geschehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Jetzt würde ich gerne wieder einen Überblick geben, damit das alles sehr transparent ist. Die nächste Frage stellt jetzt, ob als Nachfrage oder regulär – deswegen haben Sie zwei –, der Kollege Kotré. Danach kommen zu diesem Thema weitere Fragen des Kollegen Beutin, des Kollegen Kraft, der Kollegin Badum, des Kollegen Hilse und des Kollegen Neumann. Dann werden wir wahrscheinlich am Ende der Regierungsbefragung sein. – Herr Kollege Kotré.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister Altmaier, Sie haben ausgeführt, im Rahmen der Energiewende etwas zu tun. Aber es gibt viele Themen, wo Sie nichts tun. Wir haben momentan einen Krieg in Bergkarabach. Aserbaidschan greift mithilfe der Türkei Bergkarabach an. Dort gibt es Kriegsverbrechen. Ich selbst war unten vor Ort und konnte mich davon überzeugen, was da passiert. Streubomben werden eingesetzt. Dort werden islamistische Söldner von den Türken an die Front geschickt. Es gibt viele, viele Kriegsverbrechen dort. Auf diesem Gebiet tun Sie nichts. Deswegen meine Frage: Was tut Ihr Haus, was tut die Bundesregierung, um diesem Waffengang endlich Einhalt zu gebieten, um die Menschenrechte durchzusetzen? Es gab den Völkermord an den Armeniern durch die Türken 1915 und Folgejahre. Wir können nicht wieder einfach nur zuschauen. Oft wird geredet, aber nichts getan. Es wird nur gefordert, aber nichts getan. Daher meine Frage: Was kann konkret getan werden? Zum Beispiel ein Waffenembargo gegen die Türkei und Aserbaidschan oder andere Dinge.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kotré, ich muss jetzt doch die Bemerkung machen: Sie hatten sich zu einer Nachfrage zum Thema „Verfügbarkeit alternativer Energien, insbesondere Windenergie“ gemeldet. Nun kann ich mir vorstellen, dass auch in der Region Bergkarabach das Thema Windenergie eine Rolle spielt. Darauf haben Sie aber nicht abgehoben. ({0}) Entschuldigung, der Wirtschaftsminister wird Ihre Frage beantworten. Ich bitte aber um Nachsicht, dass ich dann die angekündigten Nachfragen zum Thema Windenergie aufrufe. Meine Bitte wäre, dass man, wenn man sich zu Nachfragen zu einem Thema meldet, dann auch zu diesem Thema und nicht zu einem anderen Thema Fragen stellt. – Herr Minister.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Die Bundesregierung ist dem Erhalt der Menschenrechte und dem Erhalt des Friedens verpflichtet. Wir tun das an vielen Stellen: in Libyen und auch anderswo. Da ich in der Tat mit vielen anderen Fragen sehr beschäftigt war, schlage ich vor, dass wir diese Frage durch das Auswärtige Amt beantworten lassen. Da das Auswärtige Amt, wie ich sehe, hier nicht vertreten ist, biete ich an, dass Ihre Frage schriftlich beantwortet wird. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Dann stellt die nächste Nachfrage der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Die Linke; aber nicht zu Bergkarabach, sondern zu Windenergie.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Also, mir würden unterschiedliche Themen einfallen, aber ich will tatsächlich zum Thema fragen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nein, nein, Sie haben sich zu einer Nachfrage gemeldet.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Richtig, genau. – In Ihrem Gesetzentwurf zum Erneuerbare-Energien-Gesetz –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sehr gut. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– ist die Befreiung von zur Elektrolyse eingesetztem Strom zur Produktion von Grünem Wasserstoff von der EEG-Umlage vorgesehen, was wir ausdrücklich begrüßen; gerade ich aus Schleswig-Holstein sehe das als notwendige Maßnahme. Nun sehen Sie in Ihrer Wasserstoffstrategie auch vor, dass der Grüne Wasserstoff auch im Verkehrsbereich und im Wärmebereich, also in den Bereichen, wo zu wenig getan worden ist, eingesetzt werden kann. Das sehen wir als durchaus problematisch an. Meine Nachfrage wäre: Sehen Sie da nicht Probleme, dass man Wasserstoff verschwendet? Sollte man nicht erst im Industriebereich Wasserstoff reinpacken, um zu dekarbonisieren?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Das hat, lieber Herr Kollege, etwas mit dem Verständnis von Marktwirtschaft zu tun. Die Frage ist, ob Grüner Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien produziert wird und kein fossiles CO2 in die Atmosphäre pustet, als klimaneutral zu bewerten ist, ja oder nein. Da gab es unterschiedliche Auffassungen. Ich stelle fest, dass sich die Meinung abzeichnet, dass er klimaneutral ist, weil kein fossiles CO2 zum Einsatz kommt. Eine andere Frage ist, ob wir den einzelnen Akteuren der Wirtschaft vorschreiben werden, wie sie den Wasserstoff einzusetzen haben, oder ob wir diese Frage dem Markt überlassen. Es ist letztere Lösung, die ich ausdrücklich befürworte. Für das Klima ist es völlig egal, wo fossile Kraft- und Brennstoffe eingespart werden: im Bereich der Automobilität, im Bereich der zivilen Luftfahrt oder in anderen Bereichen. Das ist meine Herangehensweise; aber ich respektiere Ihre Auffassung natürlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Jetzt kommt der Kollege Dr. Kraft, AfD.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Herr Wirtschaftsminister, bleiben wir beim Thema EEG. Auf Bürgerabenden kommt man in Kontakt mit Bürgern, die sagen: Ich habe eine Anlage gekauft. Die habe ich 20 Jahre betrieben. Das war alles gut, man hat Geld bekommen. Jetzt verliere ich die Umlage, und mir wird ein Preis von 1 bis 2 Cent die Kilowattstunde geboten. Das ist unterhalb des Gestehungspreises, unterhalb der laufenden Kosten, die man hat. – Ich weiß natürlich: Es gibt Fraktionen hier, die wollen, dass das Ganze perpetuiert wird, dass kontinuierlich gefördert wird. Aber wenn ich den Energiesektor kontinuierlich mit Staatsgeldern subventionieren müsste, wenn ich die Basis, das Fundament mit Transferleistungen sichern müsste, dann wäre das das Ende des Industriestandorts. Deswegen meine Frage: Welche der sogenannten erneuerbaren Energien – Wind, Solar und Biomasse – sind eigentlich tatsächlich wirtschaftlich betreibbar, wenn sie aus der EEG-Umlage fallen, und welche müssen – wenn sie überhaupt gerettet werden sollen für Ihre planwirtschaftliche Quote – weiterhin mit Zwangsumlagen und/oder Staatssubventionen, wie es im kommenden Jahr der Fall sein wird, weiterhin gestützt werden?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Wir gehen davon aus, dass Photovoltaikanlagen, die größeren Freiflächenanlagen und auch die größeren Dachanlagen weiterhin marktwirtschaftlich betrieben werden können, da kaum noch Wartungskosten anfallen. Außerdem bedeutet der an der Börse erzielte Preis oder der vermarktete Preis ein zusätzliches Einkommen, und das nach 20 Jahren Förderung, die ebenfalls in aller Regel eine hohe Rendite abgeworfen hat. Bei den kleinen Dachanlagen auf Einfamilienhäusern beispielsweise ist das sehr viel schwieriger, weil den Bürgerinnen und Bürgern schlecht zugemutet werden kann, ihren Strom an der Strombörse oder im Strommarkt selbst zu vermarkten. Deshalb haben wir vorgesehen, dass sie zu einer bestimmten, nicht sehr hohen Einspeisevergütung ihrem Stromnetzbetreiber weiterhin Strom zur Verfügung stellen können; denn wir wollen, dass diese Anlagen weiterhin betrieben werden. Was die Windräder anbelangt – das habe ich eben schon erläutert –: Es wird viele geben, die an guten Standorten stehen und die, nachdem sie abgeschrieben sind, ohne Weiteres die Servicekosten, die wesentlich höher sind als bei Photovoltaikanlagen, einspielen werden und mit denen man darüber hinaus gutes Geld verdienen kann. Das ist im Interesse von Marktwirtschaft auch richtig. Dort, wo dies nicht der Fall ist, wo es keine privaten Geschäftsmodelle gibt, wo es nicht möglich ist, zu repowern, was im Zweifel immer die bessere Lösung ist, weil dann die Stromausbeute steigt, reden wir im Augenblick über Lösungen, die wenigstens für drei, vier oder fünf Jahre einen Weiterbetrieb ermöglichen, und zwar im Sinne der Energiewende; denn wir haben uns vorgenommen, das 65-Prozent-Ziel gemeinsam zu erreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Jetzt stellt die Kollegin Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen, noch eine Nachfrage, danach noch der Kollege Hilse und der Kollege Neumann. Dann kommen wir ans Ende der Regierungsbefragung.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Altmaier, Windenergie ist ganz wesentlich für eine sichere Industrieversorgung. Sie haben es teilweise nicht adressiert, aber im Bereich der Südquote – um darauf zurückzukommen – haben Sie erkannt, dass es ein Defizit gibt und dass im Süden Deutschlands der Ausbau zu langsam vorangeht. Wir wissen auch ganz genau, woran es beispielweise in Bayern liegt. Seit die Abstandsregelung gilt, kann man die Zahl der erteilten Genehmigungen an einer Hand abzählen. Sie haben das Ganze verstärkt – ich rede vom Klimapaket aus dem letzten Jahr – und die Abstandsregelungen festgehalten als „Lex Bayern“. Sie möchten offensichtlich die Südquote einführen, ohne dass Bayern einen Beitrag dazu leisten kann. Deswegen die Frage: Haben Sie Bayern aufgegeben? Können Sie Bayern dann direkt aus dem Gesetz streichen? Oder werden Sie sich dafür einsetzen, dass Bayern noch einen Beitrag in Form der Windenergie zur Energiewende leisten kann?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ich gehe davon aus, dass Sie aus dieser Gegend kommen; aber ich weiß es nicht. Ich bin öfter in Bayern unterwegs. Auch dort gibt es Windräder, an einigen Stellen sogar mehr, als allgemein angenommen wird. Trotzdem ist es so: Der Bayerische Landtag hat seinerzeit auf der Grundlage eines Gesetzes gehandelt, das der Bundestag seinerzeit beschlossen hat. Es steht mir nicht zu, dieses Gesetz nachträglich infrage zu stellen oder abändern zu wollen. Es gibt in Baden-Württemberg ein großes Interesse an der Südquote. Wenn es möglich wäre, dort beträchtliche neue Ausbaumengen zu realisieren, wäre dies eine erhebliche Entlastung des Netzausbaus, und es wäre eine Stabilisierung der Energiewende insgesamt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Herr Kollege Hilse, AfD.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Altmaier, Sie haben sicherlich von dem rechtswissenschaftlichen Gutachten gehört, welches infrage stellt, dass die neue EEG-Novelle mit Unionsrecht vereinbar ist. Hier geht es um das Verbot der Tötung von Wildtieren. Man bezieht sich auf die Formulierung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien der öffentlichen Sicherheit dient. Die Bürgerinitiativen befürchten jetzt natürlich, dass die öffentliche Sicherheit immer als Argument genommen wird, um gegen den Willen der Bürger, die in dem Gebiet leben, Windindustrieanlagen zu errichten. Mir geht es aber vorrangig darum: Mit welchem Argument wollen Sie ausräumen, dass die EEG-Novelle laut Gutachten nicht mit Unionsrecht vereinbar ist? Das Gutachten ist Ihnen sicherlich bekannt.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Mir werden regelmäßig Gutachten zur Kenntnis gebracht. Das bedeutet ja nicht, dass es so ist, wie dort behauptet wird, und dass ich mir das zu eigen machen muss. Ich bin überzeugt, dass wir einen verfassungskonformen, EU-konformen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Es ist ein Wertungswiderspruch, wenn man auf der einen Seite sagt: „Die Bekämpfung des Klimawandels und das Gelingen der Energiewende sind von essenzieller Bedeutung für die Zukunft aller hier lebenden Menschen und Tiere“, aber auf der anderen Seite sagt, dass man solche Projekte wie den Bau von Windrädern aufhalten kann, wenn es Eingriffe in die Natur gibt, die nicht zum Verlust von biologischer Vielfalt führen, die nicht dazu führen, dass Arten bedroht werden, aber die möglicherweise schädigende Folgen haben, weil sich ein Vogel in ein Windrad verirren kann. Das haben Sie bei anderen Industrieanlagen übrigens auch; da sind Sie mir nicht aufgefallen mit Bedenken in dieser Hinsicht. Das ist unser Entwurf. Wir haben diese Lösung mit dem Bundesumweltministerium in langen Gesprächen erreicht. Ich bin sehr glücklich und froh darüber, dass es damit möglich sein wird, den Ausbau der Windenergie dort, wo es keine bewohnten Randlagen betrifft, sehr stark voranzubringen. Das ist genau das, was die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger von uns erwartet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Frage stellt der Kollege Dr. Martin Neumann, FDP.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, es geht noch einmal um die Einhaltung der Klimaziele. Teilen Sie die Auffassung, dass wir mit den nationalen Potenzialen von Wind und Sonne in Deutschland die Klimaziele nicht erreichen? Welche Rolle spielen beispielsweise weitere emissionsarme Energieträger? Und zum Abschluss die Frage: Welche Rolle spielt der Import von emissionsarmer, also grüner Energie? Was steht da in Ihren Konzepten?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Wir haben einen europäischen Energiebinnenmarkt. Das bedeutet, dass wir die Voraussetzungen schaffen – durch Leitungsbau von Norwegen nach Deutschland, durch Leitungsbau von Dänemark nach Deutschland –, dass auch aus den Nachbarländern der Europäischen Union erneuerbarer Strom nach Deutschland gelangen kann. Dort ist er in großer Menge verfügbar. Das stabilisiert auch die Energieversorgung bei uns. Zweitens. Wenn es nicht um den Strombedarf im engeren Sinne geht, sondern um den Primärenergieverbrauch, wird heute etwa 70 Prozent importiert. Das ist Kohle, das ist Öl, das ist Gas, und das sind die Kernbrennstäbe. Alle, die sich mit der Frage beschäftigen, sagen uns: Wir werden nicht imstande sein, diese riesige Menge an Energie autark zu produzieren. – Aus diesem Grund arbeiten wir an internationalen Kooperationen, etwa mit den Ländern im Mittleren und Nahen Osten oder in Südamerika. Wir haben dafür 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Idee ist, dass wir eine internationale Wasserstoffinfrastruktur aufbauen und dort, wo die Sonne viel scheint und der Wind viel weht, den Wasserstoff produzieren und dann, so wie heute das Gas und das Öl, nach Europa verschiffen oder über Pipelines transportieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Herr Minister, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Wir wünschen Ihnen für die Ihnen jetzt bevorstehende Konferenz der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten gute Ergebnisse im Interesse unseres Landes in einer schwierigen Zeit. ({0}) Damit beende ich die Regierungsbefragung.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen besprachen wir im Agrarausschuss mit dem beeindruckenden Vorsitzenden der Zukunftskommission Landwirtschaft, Professor Strohschneider, wie wir Landwirtschaft und Erwartungen der Gesellschaft zukünftig besser zusammenführen können. Es geht um Zukunftsperspektiven, es geht um Planungssicherheit, es geht um Zuversicht für die Landwirtschaft. Es geht darum, die zahlreichen Probleme zu lösen: Begrenzung des Klimawandels und Anpassung an den Klimawandel, Schutz unseres Grundwassers, Schutz unseres Bodens, Umbau der Tierhaltung, Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft, Erhalt einer vielfältigen bäuerlichen Landwirtschaft in einem lebendigen ländlichen Raum. Aber es brauchte erst das Handeln der Bundeskanzlerin unter dem Druck der Bauernproteste im vergangenen Jahr und der vielen Proteste der Zivilgesellschaft gegen die Landwirtschaftspolitik von Ihnen, der CDU/CSU, um Bäuerinnen, Bauern, Umweltverbände, NGOs, Wissenschaft endlich an einen Tisch zu bringen. ({0}) Eigentlich wäre es ja Ihre Aufgabe als Ministerin gewesen, Frau Klöckner, das zu bewerkstelligen. Aber Sie setzen stattdessen auf Fortsetzung der alten Klientelpolitik, mit der wir schon so lange konfrontiert sind. Keine Zukunftsperspektiven, sondern weiter wie bisher. Wer viel Fläche bewirtschaftet, dem wird weiter reichlich gegeben. ({1}) Ihre Videobotschaft an den Deutschen Bauerntag vor wenigen Tagen sprach hier Bände. Welche Arroganz gegenüber der Gesellschaft, welche Realitätsverweigerung! Anbiedern der billigsten Art! ({2}) Diese Ihre Politik brachte der Mecklenburger Bauer Helmut Peters im „Bericht aus Berlin“ auf den Punkt: gut organisierte Unvernunft. – Wo ist denn der von Ihnen immer wieder proklamierte Systemwechsel? Eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit! Reiner Etikettenschwindel! ({3}) Das einzig Gute ist, dass die Medien dieses perfide Spiel, das Sie spielen, durchschaut haben. Alle Direktzahlungen – immerhin über 300 Millionen Euro Steuergeld bis 2027 – in der EU seien, ({4}) behaupten Sie, zukünftig an die Umsetzung von starken Umwelt- und Klimaleistungen gebunden. Mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen, so Sie weiter, seien zukünftig an noch höhere Biodiversitäts-, Umwelt- und Klimaleistungen, die sogenannten Eco-Schemes, geknüpft. Aber wo sind denn die ambitionierten Maßnahmen? Stattdessen: Freiwilligkeit, wie immer, und Maßnahmen in schmerzfreien Dosen. Fakt ist: 80 Prozent der Gelder werfen Sie weiterhin über die Fläche – mit minimalsten Konditionen; verloren für Klima, Umwelt und Biodiversität. Sie versuchen, uns immer wieder alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Sie versuchen, uns Weinessig noch als Premiumwein zu verkaufen. Leider immer noch zu viel Weinkönigin und zu wenig gestaltende Ministerin. ({5}) Dann Ihre „Lernphase“ – das ist ja ein neuer Begriff; den müssen wir uns jetzt merken –, die Lernphase von zwei Jahren – nach einer Übergangsphase von zwei Jahren. Wer zwei und zwei zusammenzählt, kommt auf vier weitere Jahre des Nichtstuns bis 2025. Das Schlimmste aber ist: Die guten Ziele der Biodiversitäts- und Farm-to-Fork-Strategie, die Kommissionspräsidentin von der Leyen aufgesetzt hat, die die Landwirtschaft als einen der größten Verursacher von Klima- und Umweltproblemen benannt hat, ignorieren Sie völlig. Hören Sie doch endlich auf, den toten Gaul lebendigzureden. ({6}) Ihnen fehlt jegliche Vision, Ihnen fehlt jegliche Strategie. Klimakrise, Klimaanpassung, Verschmutzung unseres Grundwassers, das Arten- und Insektensterben, der Umbau der Tierhaltung, der Erhalt unserer bäuerlichen Landwirtschaft: Diese Probleme müssen endlich gelöst werden. ({7}) Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, sagte zum Green Deal, den sie von der Dimension her als europäische Mondlandung bezeichnet: Wir brauchen 50 Prozent weniger Pestizide, wir brauchen 20 Prozent weniger Nährstoffverlust, 50 Prozent weniger Antibiotikaeinsatz, einen Ausbau des Ökolandbaus auf 25 Prozent bis 2030. – Das sind die Forderungen, die die EU-Kommissionspräsidentin aufgesetzt hat; daran haben wir uns zu messen. Wir Grüne fordern die Honorierung von starken Gemeinwohlleistungen durch eine Gemeinwohlprämie. ({8}) Wir Grüne fordern eine starke Konditionalität. Wir fordern eine starke zweite Säule für gezielte Länderprogramme. ({9}) Frau Klöckner, hören Sie endlich auf, zu torpedieren, hören Sie endlich auf, zu spalten, hören Sie endlich auf, zu blockieren und zu verhindern! Niemand außer ein paar Ewiggestrigen applaudiert Ihnen noch. Lösen Sie endlich die Probleme! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Bundesministerin Julia Klöckner. ({0})

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen mögen eins: alte Platten, die einen Sprung haben, und einen Blick in die Vergangenheit, damit sie ihre Feindbilder hochhalten können. ({0}) Und sie haben überhaupt kein Interesse an dem Erfolg der europäischen Agrarpolitik, weil sie dann nicht ihre alten Bilder aufrechterhalten könnten. ({1}) Deshalb kann ich Ihnen eins vorab sagen: Anscheinend hat Herr Ostendorff überhaupt nicht zugehört. Er will eine Gemeinwohlprämie. Die haben wir eingeführt – in der ersten Säule mit den Ökoregelungen. ({2}) Deshalb sage ich: Das haben wir längst gemacht. Guten Morgen! Dann sagen Sie: Wir wollen eine Konditionalität für die Direktzahlungen. – Die haben wir eingeführt; das haben wir gemacht. Da kann ich nur sagen: Guten Morgen! Und dann kann ich Ihnen sagen: Sprechen Sie mal mit Sarah Wiener – Abgeordnete der Grünen im Europaparlament. Fast 400 000 Euro bekommt sie. ({3}) Ich glaube jetzt nicht, dass sie das bekommt, weil sie so wenig Fläche hat, sondern weil sie relativ viel Fläche hat. ({4}) Sie hat gewisse Bewirtschaftungsformen, und sie bekommt das Geld dafür. ({5}) Insofern sollten Sie aufhören, in dieser Gesellschaft zu spalten zwischen guten Kleinen und schlechten Kleinen und guten Großen und schlechten Großen. ({6}) Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen Woche einen Durchbruch erzielt: ({7}) Die europäische Agrarpolitik, die wird nachhaltiger, und zwar nachhaltiger für die Ernährungssicherung, für mehr Umwelt- und Klimaschutz, für die Familienbetriebe. Und wir haben den europäischen Zusammenhalt gestärkt – keine Selbstverständlichkeit in diesen Zeiten, liebe Freundinnen und Freunde. Die Grünen halten demokratisch gefundene Einigungen zwischen 27 Mitgliedstaaten für nicht erwähnenswert. Respektlos wollen sie wie eine Dampfwalze mit ihrer Sichtweise über ganz Europa fahren! Das macht Europa kaputt und einigt nicht Europa. ({8}) Die Einigung der Mitgliedstaaten in Luxemburg, die ist ein ganz klares Bekenntnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einer bäuerlichen, zu einer familiengeführten und gleichzeitig nachhaltigen Landwirtschaft. Mit unseren Beschlüssen haben wir einen Systemwechsel eingeleitet. Warum? Weil es, lieber Herr Ostendorff, eben keinen Euro an Direktzahlungen aus Brüssel mehr gibt, der nicht an Umwelt- und Klimaschutzleistungen gebunden ist. ({9}) Das hat es vorher noch nie gegeben. Das haben wir durchgesetzt. Die Landwirtschaft in Europa wird auf 100 Prozent der Fläche einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten. Jetzt ruft Herr Ostendorff: Das sind Fake News. – Das sind News! Aber Ihnen tun die News nur weh, weil sie nicht in Ihr Weltbild passen. Deshalb kriegen Sie noch ein paar mehr News und Informationen hierzu. ({10}) Mir war es sehr wichtig, dass wir auf 100 Prozent der Fläche ein höheres Umwelt- und Klimaschutzambitionsniveau einführen werden, und zwar – das habe ich in den Verhandlungen durchgesetzt – verbindlich für alle Mitgliedstaaten. Das ist wichtig für unsere Betriebe, damit sie auf Augenhöhe sind und es zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommt. ({11}) Deshalb – das will ich auch noch mal sagen – sind unsere Vorschläge als Agrarminister Europas strenger als die GAP-Reformvorschläge der Kommission, die vorgelegt worden sind. Was wir erreicht haben, liebe Freunde, ist ein Erfolg für die Landwirte, für die Umwelt und für die Verbraucher. ({12}) – Weil Frau Lemke jetzt reinruft: Wir haben Ihnen auch zugehört; keiner hat reingerufen. Sie können es einfach nicht ertragen, wenn Ihrem Weltbild widersprochen wird. ({13}) – Frau Lemke, Sie waren ja nicht dabei. Ich will Ihnen nur mal sagen: Ein Mindestbudget hat die Kommission nicht vorgeschlagen. 20 Prozent verpflichtend – das hat die Kommission nicht vorgeschlagen. Und deshalb hat die Kommission uns gesagt: Wir hätten nicht geglaubt, dass Sie das verpflichtend und dann noch mit einer Prozentzahl in den frühen Morgenstunden durchkriegen. – Das ist ein Erfolg. Auch wenn es Ihnen nicht in den Kram passt: Es ist ein Erfolg: für die Umwelt und für die Landwirte. ({14}) Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Punkt zu Beginn, der in der Debatte häufig unter den Tisch fällt: die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern. Herr Ostendorff hat überhaupt nicht davon gesprochen, was sie eigentlich machen. Das sind ja keine Landschaftsgärtner. Sie sorgen für die tagtägliche Ernährung von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern – 450 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher in der Europäischen Union –, und das soll auch so bleiben. Deshalb sage ich: Herzlichen Dank, liebe Bäuerinnen und Bauern, für Ihren Einsatz dafür, dass wir jeden Tag etwas zu essen haben! ({15}) Deshalb sind die Einkommens- und Ertragssicherung, über die Sie gar nicht reden, für unsere heimischen Bauernfamilien keine Nebensächlichkeit. Die sind eine Voraussetzung dafür, dass unsere Tische gedeckt bleiben, und sie sind das Gegenteil von Luftschlössern und einem guten Bauchgefühl; denn davon werden Sie nicht satt. Deshalb, liebe Mitglieder der Grünenfraktion: Das, was Sie an Maximalforderungen aufstellen, darüber schütteln Praktiker den Kopf. ({16}) Von 100 Prozent Blühstreifen wird keiner satt. Und wenn Sie auch noch ganz auf Pflanzenschutz verzichten wollen, dann opfern Sie Ernten und Ressourcen, und das macht den CO2-Fußabdruck schlechter. ({17}) Und so kann ich sagen: Das, was Sie wollen, das ist keine Agrarwende. Das, was Sie wollen, ist ein Agrarende für unsere Bauern hier in Deutschland! ({18}) Natürlich kann ich auch auf 100 Prozent Ökoregelungen für landwirtschaftliche Flächen setzen; aber dann haben wir eben keinen Platz mehr für Weizen, Gerste, Obst und Gemüse. Mit Ihren Forderungen gefährden Sie die regionale Produktion, was dazu führen würde, dass wir mehr Produkte importieren würden, auf deren Standards wir dann überhaupt keinen Einfluss mehr hätten. ({19}) Aber wenn wir mehr importieren würden, wären es die Gleichen, nämlich Sie, die dann den schlechten CO2-Fußabdruck wegen des langen Transports beklagen würden. Also: Denken Sie in Gesamtheit, und denken Sie auch darüber nach, was wir den Bauern mit diesen Beschlüssen abverlangen, aber auch darüber, was wir an nächstem Niveau erreichen. Wir wollen Ökologie, Ökonomie und soziale Fragen ({20}) eben nicht gegeneinander ausspielen, sondern miteinander denken. Wir stellen das mit unseren Beschlüssen nach einem demokratischen Mehrheitsprinzip auch sicher. ({21}) Sonst sind Sie doch diejenigen, die immer nach Demokratie und Meinungsfreiheit rufen. Aber dass Sie noch nicht mal ertragen können, dass man Ihnen erklärt, was 27 Mitgliedstaaten beschlossen haben, ({22}) das finde ich schon sehr bemerkenswert. ({23}) Unsere Landwirtschaft wird einen höheren Beitrag leisten, einen ambitionierten Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz. Man kann es so zusammenfassen: Es wird keine Leistung mehr geben ohne Gegenleistung. Jetzt will ich mit einer Mär aufräumen, weil es den Landwirten wirklich wehtut, was die Grünen immer wieder behaupten. Sie sagen immer wieder: Es wird rein nach Fläche bezahlt. – Ich habe jetzt nicht gehört, dass Sarah Wiener auf ihre fast 400 000 Euro verzichten will. Aber ich muss die Sarah Wiener in Zukunft auch schützen. ({24}) Es wird nicht mehr rein nach Fläche bezahlt. Vielleicht haben Sie die Unterlagen nicht gelesen. Es wird um die Bewirtschaftungsform auf diesen Flächen gehen. Wenn jemand eine ökologische Bewirtschaftungsform auf weniger Flächen betreibt, dann kriegt er auch weniger, als wenn er eine ökologische Bewirtschaftungsform auf mehr Flächen betreibt. Rechnen können Sie ja in der Regel auch. Ihr absichtlich gezeichnetes Zerrbild, das spaltet nicht nur die Bauernschaft, sondern die gesamte Gesellschaft. ({25}) Deshalb sage ich: Richtig ist: Wenn jemand mehr Fläche nach klaren Umweltstandards bewirtschaftet, zum Beispiel mehr Moorschutz betreibt, Brachflächen für die Biodiversität, also nichtproduktive Flächen, anlegt, ({26}) dann bekommt er auch das Geld dafür. Lehnt er das ab, dann bekommt er eben kein Geld mehr dafür. ({27}) Das gilt im Übrigen für konventionell wie ökologisch Wirtschaftende. Die Mär, dass die Kleinen benachteiligt werden, ist auch falsch. Wir schichten mit einer Umschichtungsprämie sogar Geld um: Von den Großen nehmen wir etwas weg, um es den Kleinen zu geben. Und die Mär, dass die ökologisch Wirtschaftenden benachteiligt werden, ist auch falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Sie bekommen genauso die Direktzahlungen, sie bekommen eine Umstellungsprämie, sie bekommen eine Beibehaltungsprämie. Ich finde, das sollten wir auch noch mal deutlich sagen. Insofern sage ich hier ganz klar: Zusätzlich zu dieser Basislinie sind 100 Prozent der Direktzahlungen jetzt an Bedingungen geknüpft – „Konditionalität“, Herr Ostendorff. Jetzt kommen wir zur Gemeinwohlprämie, und das sind die 20 Prozent. Das macht für Deutschland 1 Milliarde Euro mehr aus – jedes Jahr. Und da sagen Sie, es sei ein Rückschritt. Da muss ich sagen: Dann haben Sie Ihre Orientierung verloren. Das kann ich so wirklich nicht stehen lassen. ({28}) Das will ich abschließend sagen: Wir setzen den Geist des Green Deal mit der neuen GAP um. Warum? Weil wir den Green Deal ernst genommen haben. Natürlich ist es eine Vision. Kommissarin Kyriakides hat sehr deutlich gesagt: Wir haben noch keine Folgenabschätzung. Wir haben noch keine Benchmark. – Wollen Sie wirklich, Herr Ostendorff, dass wir in die GAP minus 50 Prozent Pflanzenschutzmitteleinsatz, minus 20 Prozent Düngemittel geschrieben hätten? Ist das Ihr Ernst? ({29}) Wir in Deutschland setzen gerade die Düngeverordnung mit minus 20 Prozent um. Sie als Bauer werden doch wohl nicht sagen: Jetzt noch mal minus 20 Prozent draufsetzen. – Farm to Fork ist ein Teil von Green Deal; aber die GAP ist ein Instrument, um den Geist umzusetzen. ({30}) Der Green Deal hat ganz klar vorgehabt, dass die 40 Prozent, die die GAP am EU-Haushalt ausmacht, dazu beitragen, mehr Umwelt- und Klimaschutz zu erreichen. Ich kann sagen: Wir haben geliefert. ({31}) Deshalb werden wir das in den nationalen Strategieplänen umsetzen, die wir mit den Ländern zusammen erarbeiten werden. Herzlichen Dank. ({32})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während das Pult gesäubert wird, wofür ich natürlich danke, halte ich der guten Ordnung halber, Frau Ministerin, fest, dass die Anrede garantiert der gewissen Aufregung hier in der Debatte geschuldet war – aber gleiches Recht für alle. Wir halten es so fest. Danke. ({0}) – Okay. – Das Wort hat der Abgeordnete Andreas Bleck für die AfD-Fraktion. ({1})

Andreas Bleck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004674, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Landwirtschaftsminister in der Europäischen Union haben sich auf eine allgemeine Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik verständigt. Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat laufen noch. Nun nutzen die Grünen die Gunst der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag, um die Landwirtschaft als eines ihrer Feindbilder zu pflegen. Die Landwirtschaft soll mehr Verbraucherschutz, mehr Tierschutz, mehr Umweltschutz, mehr Naturschutz leisten. ({0}) Sie soll weniger Dünger und weniger Pestizide verwenden sowie weniger landwirtschaftliche Fläche nutzen. Und sie soll gleichzeitig auch gesunde und hochwertige Lebensmittel im harten inner- und außereuropäischen Wettbewerb erzeugen. Werte Kolleginnen und Kollegen der Grünen und auch der Linken – man hört das an den Zwischenrufen –: Die Landwirtschaft ist keine eierlegende Wollmilchsau, um das mal ganz deutlich zu sagen. ({1}) In Ihrem ideologisch motivierten Kreuzzug gegen die konventionelle Landwirtschaft ({2}) verlangen Sie ihr alles ab und gestehen ihr nichts zu. Damit sind Sie die Totengräber unserer Bauern. ({3}) Allerdings wurde dieses Feld ja vorher durchaus eifrig auch von den Christdemokraten und den Sozialdemokraten beackert. Obwohl die Erzeugerpreise zu niedrig sind, treibt die Bundesregierung mit ihren Auflagen und ihrer Bürokratie die Erzeugerkosten in die Höhe. Des Weiteren machte die Bundesregierung vor der Europäischen Kommission den Kotau, als es um die Überschreitung der Nitratwerte ging. So wurde die Düngemittelverordnung ein weiteres Mal zulasten unserer Bauern verschärft. Man hat die Ergebnisse und die Auswirkungen nicht abgewartet. Vor diesen Hintergründen solidarisiert sich die AfD auch mit den Bauernprotesten. ({4}) Bereits Zehntausende landwirtschaftliche Betriebe wurden durch die Bundesregierung zerstört. Damit muss endlich Schluss sein! ({5}) Die Bundesregierung hat genauso wie Sie großen Schaden an den landwirtschaftlichen Betrieben verursacht. Da sollten Sie sich mal hinterfragen, statt solch unqualifizierte Zwischenrufe hier zu machen. ({6}) Die Bauern haben kein Verständnis mehr für das Verantwortungspingpong zwischen der Landwirtschaftsministerin und der Umweltministerin. Sie haben auch kein Verständnis mehr für die leeren Versprechungen der Bundesregierung. Dass Deutschland mit einem Anteil von nur 2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen kaum einen Einfluss auf das Klima hat – egal. Dass Hunderttausende Existenzen in der Automobilindustrie und Landwirtschaft zerstört werden – Kollateralschaden. Denn die Greta-Sekte und die Grünenkobolde betrachten jeden, der beim Dogma des menschengemachten Klimawandels auf die Angemessenheit und die Verhältnismäßigkeit verweist, als Ketzer. Da knickt die Bundesregierung lieber ein und läuft dem Götzen Klimaschutz blind hinterher. ({7}) Während Deutschland seine Energiewirtschaft und Landwirtschaft also auf dem Altar des Klimaschutzes opfert, werden in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern unzählige Kohlekraftwerke gebaut und landwirtschaftliche Flächen erweitert. Doch gehen wir einmal eine Sekunde davon aus, die Schwellen- und Entwicklungsländer würden sich tatsächlich an unserer energie- und landwirtschaftspolitischen Geisterfahrt beteiligen. Wie soll dann eigentlich die Ernährung der Weltbevölkerung sichergestellt werden? – Die Europäische Kommission möchte mit ihrer Biodiversitätsstrategie bis 2030  30 Prozent der Land- und Meeresflächen schützen, 10 Prozent sogar streng schützen. Darüber hinaus will sie den Einsatz von Dünger und Pestiziden stark einschränken. Das bedeutet: Weniger landwirtschaftliche Fläche soll weniger intensiv bewirtschaftet werden. Dadurch kommt es zu einer Reduzierung der Lebensmittelerzeugung. ({8}) Doch bis 2050 wird sich die weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln verdoppeln. ({9}) Ja, werte Kolleginnen und Kollegen, die AfD ist die einzige Fraktion, die den Elefanten in diesem Raum sieht, nämlich die rasante Explosion der Weltbevölkerung. ({10}) Dieses Thema meiden Sie aus politischer Korrektheit wie der Teufel das Weihwasser. ({11}) Es ist jedoch unverantwortlich, national und international auf die Reduzierung der Lebensmittelerzeugung hinzuwirken und nichts gegen die rasante Bevölkerungsentwicklung zu unternehmen. Hier wären mehr Aufrichtigkeit und mehr Ehrlichkeit dringend angebracht. Die AfD möchte die Landwirtschaftspolitik also vom Kopf auf die Füße stellen. Nicht der Klimaschutz, sondern die Ernährungssicherheit muss an erster Stelle stehen. Eine intakte und nachhaltige Landwirtschaft liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bürger. Denn wir wollen auch unabhängiger von Lebensmittelimporten werden. Unsere Bauern gehen nämlich besser mit der Umwelt und Natur um ({12}) als die meisten Bauern in anderen Staaten. Sie haben also Respekt und Wertschätzung verdient. Sie erzeugen unser tägliches Brot, und das ist gesund und hochwertig. Dafür sagt die AfD Danke. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Matthias Miersch das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarpolitik ist ein weites und ein komplexes Feld. Frau Bundesministerin, ich kann mir schon vorstellen, welche Herkulesaufgabe vor Ihnen lag, als Sie die unterschiedlichsten Interessen innerhalb der Europäischen Union, auch bei dieser Konferenz, gespürt haben. Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine völlig unterschiedlich strukturierte Landwirtschaft. Deswegen, glaube ich, geht das alles auch nur auf dem Kompromisswege, und ich bin auch immer vorsichtig, den Kompromiss als solchen zu kritisieren. Aber ich erwarte, dass wir sehr deutlich artikulieren, ob es ein Kompromiss ist, von dem wir sagen: „Das ist super, das ist der Paradigmenwechsel“, oder ob es ein Kompromiss ist, von dem wir sagen: Das reicht schlichtweg nicht; und wir müssen im weiteren Verfahren viel mehr rausholen. – Dafür ist die SPD-Bundestagsfraktion, liebe Kollegin Klöckner. ({0}) Denn eines ist doch klar – wir erleben es seit Jahrzehnten –: Dieses System ist krank. Wir überfordern die Landwirte, wir überfordern die Tiere, wir überfordern den Boden. Wir haben in Deutschland doch in den letzten Jahren erlebt, dass die bäuerlichen Betriebe, von denen Sie sprechen, in die Knie gegangen sind, dass sie längst mit international tätigen Agrarkonzernen konkurrieren müssen. Wenn man ein System als Schlüssel nimmt, dann sind doch die Steuergelder die Stellschraube, die wir einsetzen. Wir reden hier über den größten Anteil an Subventionen im europäischen Haushalt. Ein Drittel der Steuergelder gehen in die Landwirtschaft. Hier muss man doch sagen: Wenn öffentliche Gelder gezahlt werden, dann müssen öffentliche Güter geschützt werden. Das muss der oberste Grundsatz sein. ({1}) Denn eines ist doch klar: Wenn wir uns hier nach langem Ringen während der letzten zweieinhalb Jahre jetzt auf den Weg machen und wir beispielsweise auch die Arbeitsergebnisse der Borchert-Kommission in Gesetze gießen wollen – mehr Tierwohl –, dann stehen wir doch vor einem Riesenproblem: Wenn wir die Stellschrauben hier national setzen, aber eine europäische Förderkulisse haben, die nicht am Tierwohl, die nicht am Klimaschutz im weiten Sinne orientiert ist, dann kriegen wir eine Wettbewerbsverzerrung. Dieses Ergebnis können wir doch nicht gutheißen, wenn wir darüber hier im Deutschen Bundestag diskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Um ein paar Zeugen anzuführen, dass das eben nicht der Paradigmenwechsel ist, dass es nicht ausreichend ist: Ihr eigener Wissenschaftlicher Beirat kritisiert doch dieses Ergebnis, weil dessen Mitglieder genau diese Kritik teilen, weil sie sehen, es ist nicht der Paradigmenwechsel, es geht immer noch nach dem Immer-höher, Immer-weiter, was letztlich in eine Sackgasse führt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Dieser Wissenschaftliche Beirat kritisiert Sie. Und selbst die Kommission sagt: Das, was wir mit Green Deal gemeint haben, wird nicht in diesem wichtigen Haushaltsposten abgebildet. Deswegen: Wer auch deutsche Landwirtschaft, wer bäuerliche Landwirtschaft wirklich schützen will, der muss diesem Immer-höher, Immer-weiter Grenzen setzen, indem er erstens die öffentlichen Gelder nach öffentlichen Gütern verteilt und zweitens – das will ich hier auch noch einmal sagen – neben den Landwirten, neben Tieren, neben Boden auch betrachtet, was augenblicklich in Deutschland los ist, beispielsweise wenn es um die Ausbeutung in der Fleischindustrie geht. Auch hier brauchen wir Gesetze, auch hier brauchen wir einen klaren Rahmen. Das will ich an dieser Stelle noch mal deutlich sagen. ({4}) Deswegen: Wer sich hierhinstellt und sagt: „Das ist der große Wurf“, ({5}) der hat eben gerade nicht recht, sondern riskiert, ({6}) dass er den Landwirten weiter etwas vormacht. Und Herr de Vries, Sie selbst kommen doch bei der Landwirtschaft längst unter Druck, weil es viel zu offenkundig ist, weil der normale bäuerliche Betrieb doch spürt, dass Sie etwas vormachen, was nicht stimmt. Die Realität sieht doch anders aus. Und deswegen: Bitte lassen Sie uns im Trilogverfahren, was sich jetzt anschließt, an der Seite der Kommission kämpfen. Es muss wirklich noch viel, viel mehr Schutz öffentlicher Güter in dieses System hinein. Dieser Schutz ist wichtig, und wir dürfen Steuergelder nicht so pauschal ausgeben, wie es augenblicklich in einem der wichtigsten Haushaltsgebiete für die nächsten Jahre wieder angelegt ist. Es braucht eine Änderung, wenn wir auch die deutsche bäuerliche Landwirtschaft tatsächlich in diesem großen Konzert schützen und weiterentwickeln wollen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Carina Konrad das Wort. ({0})

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Klöckner! Liebe Kollegen von den Grünen, Ihre Politik und das, was Sie hier heute wieder zum Besten gegeben haben, das setzt die Landwirtschaft auf die rote Liste der bedrohten Arten. ({0}) Genau vor zwei Jahren wurde hier im Rahmen einer Aktuellen Stunde schon mal auf Ihren Antrag hin über die Agrarpolitik diskutiert, und Sie haben seinerzeit die Pläne der Bundesregierung als Silodenken kritisiert. ({1}) Sie glauben, dass man Ihre ideologischen Vorstellungen von einer Ökologisierung der Landwirtschaft ({2}) dem Rest der EU einfach so überstülpen kann. Doch was ist denn da letzte Woche tatsächlich beschlossen worden? Es lohnt sich, sich damit wirklich auch inhaltlich auseinanderzusetzen. Es ist ein Kompromiss, den der Rat und das Parlament da getroffen haben, und er wird dazu führen, dass künftig 20 bis 30 Prozent der Gelder an zusätzliche Ökomaßnahmen gebunden werden. Die Landwirtschaft wird damit nachhaltiger – noch nachhaltiger, als sie es jetzt schon ist –, und das, obwohl es auch eine breite Front dagegen gegeben hat, gerade aus Osteuropa. Das muss ja auch mal gesagt werden. Sie müssten Julia Klöckner eigentlich dafür zujubeln, was sie da erreicht hat. Julia Klöckner hat Ihre Agrarwende eingeleitet, ({3}) um das mal ganz deutlich zu sagen. ({4}) Und sie hat damit – aber es fällt Ihnen ein bisschen schwer, das zuzugeben – Ihre Politik schlichtweg überflüssig gemacht. Und jetzt sagen Sie hier wieder, es sei ein Etikettenschwindel, und beharren weiter auf Maximalforderungen. Selbst wenn 100 Prozent irgendwie aus der Produktion genommen werden, reicht das scheinbar nicht mehr aus. Was wollen Sie eigentlich den Landwirten da draußen erzählen? Was ist denn Ihr Angebot, das Sie machen? ({5}) Sie können nicht verstehen, was da heute Morgen passiert ist, das ist mir klar; denn in dem Moment, als Julia Klöckner heute Morgen im Agrarausschuss erklärt hat, was da verhandelt wurde, hat Frau Künast den Ausschusssitzungssaal verlassen. ({6}) Und als Frau Klöckner mit ihren Ausführungen fertig war, haben Sie den Ausschusssitzungssaal mit Ihrem Kaffee und Ihren belegten Brötchen wieder betreten. ({7}) Dass Sie dann nicht mitbekommen, was da inhaltlich gelaufen ist, das kann ich verstehen. ({8}) Jetzt muss es die Aufgabe sein, den Deal zu gestalten, der da ausgehandelt wurde. ({9}) Und er muss so gestaltet werden, dass die deutschen Landwirte davon profitieren und nicht weiter zerstört werden. Dafür stehen wir Freie Demokraten. Wir setzen uns dafür ein, dass es jetzt innerhalb der Europäischen Union keine weiteren Wettbewerbsverzerrungen mehr geben darf. ({10}) Herr Habeck hat ja gesagt, ihm reichen die Beschlüsse hinten und vorn nicht aus; ({11}) diese Beschlüsse würden den Bäuerinnen und Bauern ja keine weitere Sicherheit geben. Damit hat er ja gar nicht so unrecht. Denn schon jetzt haben wir doch das Problem, dass über die Hälfte der Einkommen der Landwirte aus Direktzahlungen kommen. Die Zahlungen sind nun mal im Moment für die Landwirte essenziell, und das darf so nicht weitergehen. Wir müssen die Landwirte doch von diesen Zahlungen unabhängiger machen und nicht abhängiger. ({12}) Ohne eine funktionierende Landwirtschaft funktionieren auch ländliche Räume nicht. Wer starke Dörfer will, der braucht auch starke Landwirte. Dafür hängt doch viel zu viel da dran. Das erlebe ich doch tagtäglich. In Rheinland-Pfalz, von wo ich komme, sind es die Landwirte, die ländliche Räume gestalten, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die ein Teil vom Wirtschaftskreislauf sind. Aber wo sind Sie denn? Wenn es konkret wird, äußern Sie nur Frechheiten und blöde Vorschläge. Hier muss man sich als Landwirt anhören, dass die Landwirte schuld seien an der Coronapandemie, ({13}) dass die Landwirte an der Umweltzerstörung schuld seien. Das kommt alles aus Ihren Reihen. Was ist denn da der aktive Beitrag zu einer Fortgestaltung der Landwirtschaft? Das frage ich mich wirklich. ({14}) Und Herr Miersch, auch Sie haben offensichtlich nicht verstanden – für Frau Schulte gilt das gleichermaßen –, was da eigentlich verhandelt wurde. ({15}) Was genau wollten Sie uns denn eben sagen? Was ist denn da konkret verhandelt worden? Wo sind denn Ihre Antworten darauf, wenn es konkret wird? ({16}) Herr Ostendorff, welche Antwort geben Sie denn den Bauern, ({17}) die jetzt vor der Entscheidung stehen, ob sie weiter investieren sollen oder ob sie mit dem Betrieb aufhören? ({18}) Wie soll denn mehr Nachhaltigkeit realisiert, mehr Umweltschutz umgesetzt werden, wenn man sich verweigert, neue Technologien nutzbar zu machen? Wie sollen denn Pflanzenschutzmittel reduziert werden ohne Ertragsverluste? – Haben Sie mal eine Antwort auf solch eine Frage gegeben? Das habe ich die letzten drei Jahre hier nicht erlebt. ({19}) Wie kann es denn umgesetzt werden, dass zum Beispiel Drohnen im Steillagenweinbau eingesetzt werden können, um dort Pflanzenschutzmittel auszubringen? Da müssen jetzt Verordnungen endlich mal angepasst werden, damit man auf Hubschrauberspritzungen verzichten kann. Machen Sie doch mal Vorschläge! Wenn es konkret wird, kommen hier nur die alten Schlagworte, aber es kommt nichts Konkretes. ({20}) Wir waren in dieser Woche vom „Gläsernen Labor“ eingeladen und haben die Genschere CRISPR/Cas9 live ausprobiert. Da war kein Kollege von den Grünen dabei. ({21}) Wo sind Sie denn, wenn es konkret wird? ({22}) Wir Freie Demokraten kämpfen für echte Lösungen. Ein guter Betriebsleiter muss in Zukunft selbst entscheiden können, wie viel Fläche er bewirtschaftet, wie viele Tiere er hält, und er muss auch selbst entscheiden können, auf welche Art und Weise er seine Flächen bewirtschaftet und sein Vieh hält. Klar muss nur sein: Wenn er sich an die Regeln hält, dann hat er unsere Unterstützung verdient, und dann hat er es auch verdient, dass man unnötige bürokratische Hürden aus dem Weg räumt und nicht ständig weiter die Axt an die deutsche Landwirtschaft anlegt. Damit muss jetzt endlich mal Schluss sein! ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun Dr. Kirsten Tackmann das Wort. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde geht es um die Entscheidungen des EU-Agrarrates sowie des Europäischen Parlaments in der vergangenen Woche, konkret um die Verteilungsregeln für die Agrarförderung in der kommenden Haushaltsperiode. Ich bin, ehrlich gesagt, bei der Bewertung hin- und hergerissen. Ja, die Linke wollte und will, dass generell öffentliche Gelder an öffentliche Leistungen gebunden sind, zum Beispiel über eine wirkliche Gemeinwohlprämie. Dass dies beim bisherigen System der Flächenprämien nicht gegeben ist, ist ja unterdessen wissenschaftlich belegt. Wer deshalb aber die komplette Abschaffung der Flächenprämien fordert, riskiert, dass das Geld dann ganz weg ist, weil es schließlich auch noch andere Begehrlichkeiten gibt. Deswegen wollen wir, dass nicht mehr Fläche allein, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Bewirtschaftung der Fläche gefördert wird. ({0}) Dazu wäre aber ein Paradigmenwechsel dringend notwendig gewesen, und zwar dringend. Der ist leider ausgeblieben. So aber wird das Geld nicht reichen für den dringend notwendigen Schutz des Klimas, der biologischen Vielfalt, des Bodens, der Gewässer und der Luft. Damit wird bis 2027 wirklich zu wenig geleistet. Und das kann uns allen teuer zu stehen kommen, übrigens auch der Landwirtschaft selbst. Und das ist ein fatales Zeichen. Andererseits ist aber auch die Blockade gegen jede Veränderung gescheitert. Das ist das Ergebnis des Drucks der alltäglich erlebbaren Veränderungen wie zum Beispiel Dürre oder Insektenschwund, aber auch des politischen Drucks der progressiven Kräfte in dieser Gesellschaft. Wir sollten doch trotz aller Enttäuschung über das Ergebnis unsere eigene Kraft, für Veränderungen zu sorgen, nicht kleiner reden, als sie ist. ({1}) Zumal der Kampf jetzt dringend weitergehen muss. Meine größte Sorge ist, dass die Fördermittel eben wieder nicht vor allem dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Der Schutz des Klimas, der biologischen Vielfalt usw. ist doch zunächst was Abstraktes. Umsetzen müssen die Maßnahmen die Agrarbetriebe. Deshalb müssen sie unsere Verbündeten sein oder werden. Von meiner Agrardialogtour weiß ich, dass auch immer mehr dazu bereit sind. Nur – und jetzt komme ich zu einem blinden Fleck in der Diskussion –, wir haben es ja nicht nur mit einer Klimakrise und einer ökologischen Krise in der Landwirtschaft zu tun, sondern auch mit einer veritablen sozialen Krise. Viele Betriebe stehen doch mit dem Rücken an der Wand. Die eigentlichen Profiteure der aktuellen Agrarförderungen sitzen doch eher in den Konzernzentralen von Tönnies, Aldi und Co oder in den Büros von Bodenspekulanten und landwirtschaftsfremden Investoren. Wenn wir also neues Denken für eine am Gemeinwohl orientierte Landwirtschaft dringend brauchen, so müssen doch die Agrarbetriebe von den Fördermitteln profitieren, die unsere Verbündeten sind oder sein wollen. ({2}) Das ist doch schon in der aktuellen Förderperiode nicht so. Und ob das künftig so sein wird, ist zumindest zu bezweifeln. Dabei geht es auch nicht nur um öko oder konventionell. Denn wir brauchen eine Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft. ({3}) Wenn dafür aber nicht unverzüglich die Weichen gestellt werden, auch über Fördermittel, werden uns unsere Kinder und Enkel fragen: Warum habt ihr damals nichts getan oder zu wenig? – Und das vollkommen zu Recht. Aber wir sollten in den Debatten zur Agrarförderung auch die deutsche Brille absetzen. Zum Beispiel kann ich mich als Ostdeutsche noch sehr gut an Obst und Gemüse aus Bulgarien erinnern. Wenn die dortige Landwirtschaft aber mit dem spanischen Almeria konkurrieren muss, wo ganze Regionen unter Folienzelten verschwinden und Saisonarbeitende ausgebeutet werden, läuft doch was schief in der EU. ({4}) Auch diese sozialen und ökologischen Konflikte müssen endlich gelöst werden. Dass die aktuelle Agrarförderung oft an Frauen vorbeigeht, ist doch ein weiterer blinder Fleck in der aktuellen Diskussion. Aber mit einer Illusion möchte ich auch aufräumen: Selbst die beste Agrarförderung wird die Fehler im System höchstens lindern. Agrarpolitik und Agrarförderung müssen doch endlich die ortsansässigen, mit der Natur wirtschaftenden Agrarbetriebe sichern statt die Profite von Konzernen. ({5}) Was passiert denn, wenn jetzt Agrarbetriebe aufgeben müssen? Ihre Flächen gehen doch eher nicht an den Ökobetrieb oder den Junglandwirt in der Nachbarschaft. Sie gehen meistbietend an Agrarholdings und Bodenspekulanten. Und das müssen wir verhindern! ({6}) Das findet zwar im Osten statt, aber die meisten Agrarholdings haben ihren Sitz in Westdeutschland. Deshalb geht es nicht um Familienbetrieb oder Genossenschaft, sondern um ortsansässige und nachhaltige Landwirtschaft gegen landwirtschaftsfremdes Kapital. Die Linke ist da ganz klar positioniert. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Renate Künast das Wort. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich persönlich bin weit davon entfernt, irgendetwas schönzureden hinsichtlich der Abläufe, die es normalerweise auf Agrarräten gibt, schon gar nicht bei solchen großen Aufgaben. Ich habe dort auch einmal vier wunderbare Wochen meines Lebens verbracht – mit dem minimalsten Schlafaufwand. Und trotzdem will ich Ihnen sagen: Ich fand Ihre Reaktion hier nicht gut. Auch bei Kritik sollte man als Ministerin nicht die Nerven verlieren. ({0}) Sie haben dreimal Sarah Wiener angesprochen. Das sollte eigentlich unter Ihrer Würde sein. Das wäre ungefähr so, als wenn wir jetzt anfangen würden, bei den Herren Kees de Vries oder von der Marwitz nachzurechnen, wie viel ihre bäuerlichen Betriebe bekommen. ({1}) – Ja, das ist alles öffentlich. Aber ich weiß nicht, was Ihr Hinweis auf Sarah Wiener an dieser Stelle sollte, zumal Sarah Wiener bei dem Beschluss im Europaparlament immerhin anders abgestimmt hat. Sie hat nämlich eine andere Vorstellung, deren Umsetzung auch für Frau Wiener weniger Geld bedeuten würde. Also, ich weiß nicht, warum man Leute dissen muss. ({2}) Ich weiß auch nicht, was Dampfwalzen mit diesem Thema zu tun haben. Wir sollten an dieser Stelle vielleicht doch besser gucken, was eigentlich ganz konkret die Aufgabe ist, die Landwirtschaft hat. Sind es wirklich die bäuerlichen Betriebe, die von dem Ergebnis, das vom Agrarrat und auch vom Europaparlament vorgelegt wurde, profitieren? Ich sehe das nicht, und viele andere sehen das auch nicht, meine Damen und Herren. Die Konditionen sind zu dünn. Die Eco-Schemes machen ein paar Prozente aus, sind aber dann noch zeitlich aufgeschoben. Wir wissen alle miteinander, dass das, was bisher vereinbart ist, erstens viel zu dünn ist und zweitens noch des Lobbyismus harrt, der versuchen wird, es weiter aufzuweichen, meine Damen und Herren. Heute früh – es ist schon einmal angesprochen worden – hatten wir im Agrarausschuss Herrn Strohschneider, den Vorsitzenden der Zukunftskommission Landwirtschaft, zu Gast. Dort rauft man sich jetzt die Haare und fragt sich, was man mit dem Ergebnis eigentlich machen soll, wenn für die nächsten sieben Jahre so etwas festgelegt ist. Wie soll die Kommission jetzt tatsächlich Vorschläge für eine andere Landwirtschaft machen, meine Damen und Herren? Er hat uns berichtet, dass sie sich ernsthaft darum kümmern wollen, eine nachhaltige Landwirtschaft zu entwerfen, die ökologisch und ökonomisch tragfähig und gesellschaftlich akzeptiert ist. Ich kann Ihnen sagen: Das, was jetzt vom Agrarrat und vom EP vorliegt, wird diese gesellschaftliche Tragfähigkeit garantiert nicht herstellen, ({3}) schon gar nicht bei den jungen Menschen, meine Damen und Herren. Und da braucht man auch keine Witze über 100 Prozent Blühstreifen zu machen, meine Damen und Herren. Umgekehrt: Keiner will 100 Prozent Blühstreifen; aber so ein bisschen Blühstreifen, für den man jedes Jahr Geld bekommt, verändert das Ökosystem und die Artenvielfalt, die die Bauern ja auch brauchen, meines Erachtens nicht. Hätten Sie sich mal angehört, welche sehr grundsätzlichen Fragen Herr Strohschneider für die Kommission gestellt hat, die ich und viele andere richtig fanden! Sie haben den Green Deal und Farm to Fork als Vision bezeichnet und dann begründet: Auch die Kommission hat es gesagt. – Man sollte sich hier aber nicht mit der Kommission rausreden. Die Kommissionspräsidentin hat quasi an dem Satz von Kennedy angedockt, der lautete: „We choose to go to the moon in this decade …“ Das sollte heißen, dass man sich die nächsten zehn Jahre wirklich anstrengen wollte, um auf den Mond zu kommen und sicher von dort wieder zurückzukommen. Übertragen auf die Agrarratsbeschlüsse sage ich aber: Die Rakete ist entweder gar nicht gestartet oder direkt in einem Dürregebiet in Brandenburg gelandet, weil sich nämlich nichts verändert, meine Damen und Herren. Ziel unserer Bemühungen muss es doch sein – und das wird hier in den Beschlüssen gar nicht umgesetzt, meine Damen und Herren! –, wirklich resiliente Agrar- und Ernährungssysteme aufzulegen, also widerstandsfähige Systeme, die Naturschutz, Klimaschutz, Wasserhaltefähigkeit der Region miteinander verbinden. Es handelt sich nicht um irgendwelche netten Wünsche einiger Städterinnen und Städter, sondern es geht um die Lebensgrundlage bäuerlicher Betriebe, meine Damen und Herren. ({4}) Hier liefert die Vorlage im wahrsten Sinne des Wortes so gut wie gar nichts, meine Damen und Herren. Sie liefert lauter dünne Regelungen. Ich kann Ihnen an der Stelle nur sagen: Unser Leitsatz sollte sein, dass wir diese öffentlichen Interessen realisieren, dass wir öffentliche Gelder nur für Gemeinwohlinteressen, für öffentliche Interessen ausgeben, dass wir in der Landwirtschaft mit den Milliarden, die wir ausgeben, wirklich einen Systemwechsel erreichen. Dazu müssen wir grundsätzliche Fragen stellen. Sie lauten an der Stelle: Wie können Landwirtschaft, Ernährungssysteme und Umweltpolitik zueinanderkommen, da allein das zukunftsträchtig ist? Wie kommen wir endlich zu Qualität statt Menge? Wie kommen wir zu Prozessqualität? Wie expandieren wir nicht immer weiter? Wie bauen wir resiliente Diversität auf? Wie sorgen wir dafür, dass wir die Kosten nicht externalisieren? Das meine ich nicht als Angriff auf die Landwirte. Vielmehr hat diese gesamte Gesellschaft ein falsches System aufgelegt, für das wir jetzt alle zusammen tapfer eine Veränderung erkämpfen wollen, meine Damen und Herren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Künast, achten Sie auf die Zeit.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz. – Heute früh – um das mal bildhaft zu machen – wurden dann sogar Fragen gestellt wie: Warum machen wir eigentlich diese Art von Exportpolitik? Warum sind wir Schweineexporteure in einem Land mit der größten Bevölkerungsdichte, meine Damen und Herren? Nein, was wir jetzt brauchen, ist eine Kommission, die nachschärft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Und einen Punkt.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen ein System, das Klima, Artenvielfalt und Landwirte wirklich schützt. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Albert Stegemann das Wort. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Situation – das klang schon einige Male an – war unmittelbar vor dem Agrarrat wirklich sehr, sehr schwierig. Kein Wunder: Denn die Interessen der EU-Mitgliedstaaten in der Agrarpolitik sind sehr verschieden. Zudem sind die Agrarstrukturen in der EU äußerst heterogen und nicht miteinander zu vergleichen. Deshalb war es gut, dass unsere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Verhandlungen geführt hat. Ehrlich gesagt, habe ich schon gar nicht mehr mit einer Einigung gerechnet. ({0}) Umso mehr freue ich mich über die Einigung und auch über das, was erreicht wurde. Deswegen noch mal mein ganz herzlicher Dank: Liebe Julia Klöckner, vielen Dank für dein Engagement, für dein Verhandlungsgeschick, aber auch dafür, dass du als glühende Europäerin dafür gekämpft hast, Europa zusammenzuhalten; damit war nicht zu rechnen. Deswegen noch mal: Danke schön. ({1}) Weil das ein so großartiger Erfolg ist, will ich an dieser Stelle auch sagen: Friedrich Ostendorff hat in diesem Zusammenhang gesprochen von „zu viel Weinkönigin, zu wenig gestaltende Ministerin“. Also, ich muss ehrlich sagen: So einen Anflug von Sexismus ({2}) hätte ich mir vielleicht von der einen oder anderen Fraktion vorstellen können; aber von den Grünen hätte ich das, ehrlich gesagt, nicht erwartet. ({3}) Aber wie gesagt: Der politische Spagat, der ja nun mal bestand, ist bestens geglückt. Denn wenn man es sich jetzt mal wirklich anschaut, stellt man fest: Die einkommensstützende Wirkung für die Landwirte ist bestehen geblieben, der Strukturwandel in der Landwirtschaft wird abgefedert, und die Gemeinsame Agrarpolitik wird noch umwelt- und klimafreundlicher. Es kommt noch hinzu, dass wir jetzt endlich verbindliche Standards für alle EU-Mitgliedsländer haben. Das ist ein gutes Verhandlungsergebnis für die Landwirte, für die Umwelt, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger der EU. Wenn ich mir jetzt den Titel der heutigen Aktuellen Stunde anschaue, den sich die Grünen ausgesucht haben – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: „Haltung der Bundesregierung zur Nichtberücksichtigung der Bekämpfung von Klimakrise und des Artensterbens bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik“, dann frage ich mich: In welchem Land leben Sie eigentlich? Haben Sie die letzten Jahre im Winterschlaf verbracht, oder leben Sie wirklich auf dem Baum? Von daher: Um Sie an dieser Stelle wirklich mal wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen, empfehle ich Ihnen einen Blick auf die aktuelle Studie des Zentrums für Umweltrecht und ‑politik der Yale-Universität und des Zentrums für Internationale Bodenwissenschaften der Columbia-Universität. In dieser Studie wird anhand von verschiedenen Kategorien gemessen, wo auf der Welt eigentlich Rücksicht auf die Umwelt genommen wird. Wo ist ein gesundes Leben für Mensch, Tier und Natur möglich? Die entscheidenden Kategorien der Studie sind vor allem Landwirtschaft, Wälder, Biodiversität, Klimawandel und Wasser- und Luftqualität. Die Studie untersucht 180 Länder. Unter den Top 20 der umweltfreundlichsten Länder finden sich 14 EU-Mitgliedstaaten – Deutschland ist natürlich eines davon. Und dann von einer „fehlgeleiteten Politik“ zu sprechen, ist einfach nicht zutreffend. ({4}) Die Grünen sprechen jetzt mit Blick auf die Beschlüsse des EU-Agrarrats sogar von einem „schwarzen Tag für die Landwirtschaft“ und fordern „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“; Sie haben das gerade auch getan, Frau Künast. Tatsache ist aber – vielleicht ist Ihnen das noch gar nicht aufgefallen –, dass die öffentlichen Gelder, die die Landwirte erhalten, bereits an eine Vielzahl von umwelt- und klimapolitischen Gegenleistungen geknüpft sind. Der Anbau von Zwischenfrüchten, der Erhalt von Dauergrünland, Auflagen zum Schutz von Feuchtgebieten und Moorflächen, der Schutz von Landschaftselementen wie Hecken und Steinriegeln oder das Anlegen von über 200 000 Kilometern Blühstreifen zum Beispiel sind nur einige direkt erkennbare Beweise. Darüber hinaus sind wir uns doch einig, dass wir unsere hohen sozialen und ökologischen Standards nicht infrage stellen. Aber im internationalen Wettbewerb gibt es dafür keine Preisaufschläge, und dafür sind die Zahlungen ein sehr, sehr fairer Ausgleich. Ich will an dieser Stelle auch noch ein paar Zahlen nennen. Herr Miersch, Sie hatten zwar in der Sache zutreffend gesagt, dass ein Drittel des EU-Haushaltes in die GAP geht; diese Zahl stimmt. Aber: Wir haben halt eine Gemeinsame Agrarpolitik, und das ist wirklich der einzige Bereich, der europäisch geregelt ist. ({5}) Also, wenn wir es fair vergleichen wollen, dann müssen wir diesen Anteil auf Deutschland runterrechnen, auch nicht kumuliert über sieben Jahre; dann reden wir über um die 5 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind gerade mal 0,3 Prozent der gesamten deutschen Staatsausgaben, und das für unsere Lebensmittel, für die Mittel zum Leben. Ich denke, das ist angemessen, und das kann man auch so würdigen und stehen lassen. ({6}) Die Landwirtschaft in Europa wird mit der Weiterentwicklung der „grünen Architektur“ noch umwelt- und klimafreundlicher. Dieser Weg ist eben nur gemeinsam mit den Bauern möglich und nicht gegen sie. Und: Wir müssen uns dringend vor Augen führen, dass wir im Jahr 2050, also in 30 Jahren, 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten ernähren müssen. Deswegen müssen wir auch sehr effizient mit Ressourcen umgehen. In allen anderen Sektoren, ob Industrie, Verkehr oder Bau, ist es selbstverständlich, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dass Ressourceneffizienz einen positiven Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Nur in der Landwirtschaft tragen immer noch manche das Dogma der Extensivierung vor sich her. Das ist nicht sinnvoll. Deswegen bedanke ich mich an dieser Stelle noch mal bei allen Bäuerinnen und Bauern, die in unserem Sinne nachhaltig handeln. Ich glaube, dass wir ihnen heute mit den Beschlüssen vom Agrarrat eine gute Zukunft geben können. Vielen Dank fürs Zuhören. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Stephan Protschka. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott zum Gruße! Liebe Gäste im Hohen Hause und zu Hause vorm Fernsehgerät! Frau Ministerin, ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie sagen, dass Sie – wie haben Sie es genannt? – einen Durchbruch oder einen Systemwechsel geschafft haben. Das Einzige, was Sie geschafft haben, ist, dass der Landwirt noch mehr Auflagen, noch mehr Pflichten erfüllen muss, und der ganze Lohn dafür ist, dass er weniger Geld bekommt. Ich glaube nicht, dass Sie in jüngster Vergangenheit einmal auf einem landwirtschaftlichen, bäuerlichen Hof waren; denn dann würden Sie wissen, was auf solchen Höfen los ist. Die Preise sind im Keller dank der unverhältnismäßig hohen Auflagen, und die deutschen Landwirte kämpfen mit massiven Einkommenseinbußen. ({0}) Kein Wunder, dass die allermeisten Landwirte nervlich und finanziell am Ende sind. Denn ganz ohne die einkommenswirksamen Direktzahlungen könnten drei Viertel der deutschen Landwirte sofort den Betrieb zusperren. Und ausgerechnet in dieser existenzbedrohenden Situation wollen Sie ein weiteres Mal die Axt an die einkommenswirksamen Direktzahlungen anlegen. Da muss ich sagen: Nicht mit uns, meine Damen und Herren. Das können wir nicht mitmachen; da müssen wir die deutsche Landwirtschaft unterstützen. ({1}) Dabei hätten Sie aber gerade jetzt die Gelegenheit für einen wirklichen Systemwechsel gehabt. Denn sind wir doch mal ehrlich: Das System, das wir jetzt haben, ist auf billige Rohstofferzeugung und auf Dumpingimporte durch Handelsabkommen ausgelegt, damit die Ernährungsindustrie wiederum kostengünstige Produkte für den Export herstellen kann. Der größte Teil der Wertschöpfung geht in die Taschen der lebensmittelverarbeitenden Unternehmen oder des Lebensmitteleinzelhandels. Sie sehen es: Die Landwirte haben die letzten Tage die eine oder andere Zufahrt eines Einzelhandelslagers versperrt. Für die Landwirte bleibt dann relativ wenig übrig. Das System ist krank, meine Damen und Herren; das muss man anprangern und muss man reformieren. Davon würden übrigens auch der Umweltschutz und der Tierschutz massiv profitieren. Warum wird denn beispielsweise überwiegend nur noch Mais oder Weizen auf sehr großen Flächen angebaut? Ja, weil sich andere Feldfrüchte einfach nicht mehr rentieren! Jeder Landwirt ist auch ein Unternehmer, und der muss halt auf seinen eigenen Geldbeutel schauen. Hören Sie endlich auf, die deutsche Landwirtschaft zu zerstören, und schaffen Sie endlich vernünftige Rahmenbedingungen, sodass die Landwirte von der eigenen Hände Arbeit leben können! Sie werden sehen: Der Umwelt- und Artenschutz kommt dann von ganz allein. Was die Landwirtschaft definitiv nicht braucht, sind weitere Gängelungen und unverhältnismäßige Auflagen, Verbote usw. usf. ({2}) Noch kurz zu den „Grün/Stern/innen“. Dass Sie jetzt die Aktuelle Stunde beantragt haben, ist ja an Heuchelei kaum zu überbieten. Ihnen geht es ja gar nicht um die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland. Ihnen ist nur eins wichtig, und das ist, dass möglichst viele Agrarfördermittel so umgeschichtet werden, dass die Ihnen nahestehenden Umweltverbände sich die eigenen Taschen füllen. Das ist die Wahrheit. Je mehr wir in die zweite Säule umbuchen, desto mehr kriegen Ihre NGOs. Mit denen können Sie dann weiterhin den Diesel vernichten, die Landwirtschaft vernichten, die ganze deutsche Wirtschaft vernichten. Das brauchen wir nicht. ({3}) Ihnen geht es nämlich nicht um Umweltschutz oder um Artenschutz oder um sonst irgendetwas. Ihnen geht es nur um die Vernichtung der deutschen Industrie. Würden wir Ihren Ideologien folgen, dann wäre, wie gesagt, alles am Boden. Aber leider sind die CDU/CSU und SPD sehr ideenlos, was das angeht. Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie sehen: Die AfD – das hat mein Vorredner schon gesagt – ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die die Wirtschaft und Landwirtschaft in Schutz nimmt und die sich für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft einsetzt. ({4}) Uns geht es im Gegensatz zu Ihnen weder um irgendwelche Klientelpolitik für irgendwelche Verbände oder NGOs noch um Profitmaximierung, und wir brauchen in Zukunft auch nicht irgendwelche Pöstchen, die dann irgendwo verschachert werden unter den Roten und Schwarzen. Nein, meine Damen und Herren, es darf kein Weiter-so geben. Wir brauchen in Zukunft landwirtschaftliche Familienbetriebe und Genossenschaften in Deutschland. Beenden Sie diesen Irrsinn! Wir müssen uns als Deutschland selbst ernähren können. Liebe Landwirte, ich danke euch für die Geduld und für die harte Arbeit in diesen schweren Zeiten. Haltet durch! Mit der AfD habt ihr wieder eine Alternative. Danke schön, meine Damen und Herren. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Carsten Träger. ({0})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nach den gewohnt fundierten, profunden Ausführungen des Kollegen Protschka möchte ich mit einem Dank an die Grünen beginnen: ({0}) Herzlichen Dank, dass wir heute in der Aktuellen Stunde wirklich zeitnah die Beschlüsse der letzten Wochen aus Brüssel diskutieren können. Um es gleich mal vorweg zu sagen: Wir halten diese Beschlüsse nicht für den Systemwandel, nicht für den großen Durchbruch. ({1}) Aber, liebe Kollegen von den Grünen, es ist schon schade, wie Sie dieses Thema behandeln. Es ist schade, dass Sie sich dem Reformprozess der Agrarpolitik auf der europäischen Ebene komplett verweigern. Gerade wenn man weiß, wie Politik in Brüssel gemacht wird, und wenn man weiß, wie das Parlament arbeitet – das muss ich von Ihnen erwarten; Sie streben ja immerhin Regierungsbeteiligung an –, dann kann man nicht mit Maximalforderungen reingehen und danach wie eine beleidigte Leberwurst sagen: Ich diskutiere überhaupt nicht mehr. ({2}) Mit der Haltung bewegen Sie gar nichts. Im Gegenteil: Damit bewirken Sie nur, dass wir den Reformprozess weiter verschleppen. Wir sprechen ja nicht über eine Reform, die man im nächsten Jahr beliebig wiederholen kann. Es geht um einen mehrjährigen Finanzrahmen, und da wäre ein bisschen mehr konstruktive Politik sehr, sehr hilfreich gewesen. ({3}) Wir wollen eine europäische Agrarpolitik, die jetzt den fatalen Verlust der Artenvielfalt und die Klimakrise angeht. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europaparlament haben es immerhin geschafft, ({4}) einen Anteil von 30 Prozent an Ökoleistung bei den flächenbezogenen Direktzahlungen durchzusetzen. ({5}) Nach einem schwachen Vorschlag der alten Kommission – die neue Kommission kritisiert ja diesen alten Vorschlag – und nach noch schwächeren Beschlüssen der Agrarminister ist das immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es ist nur ein kleiner Schritt, aber immerhin in die richtige Richtung. Unser Plädoyer „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ macht damit immerhin einen größeren Teil der europäischen Agrarpolitik aus. ({6}) Was mir als Sozialdemokrat besonders wichtig war: Eine Herzensangelegenheit ist, dass Betriebe, die illegale Beschäftigung oder Schwarzarbeit betreiben, in Zukunft zwingend von europäischen Direktzahlungen ausgeschlossen werden. Das ist nämlich bisher nicht so. Wer sich auskennt, der weiß, was in europäischen Betrieben passiert mit Schwarzarbeitern, mit Migranten, die dort zum Teil auf dem Boden schlafen müssen. Das soll wenigstens in Zukunft nicht auch noch mit europäischen Subventionen belohnt werden. ({7}) Da sehen Sie: Es macht Sinn, an einzelnen Punkten zu arbeiten, auch wenn man das große Ganze nicht gut finden kann. Schade, dass Sie sich dem verweigern. ({8}) Die Agrarpolitik bekommt nun eben auch ein rotes Herz. ({9}) Aber trotzdem: Das reicht nicht. Da geht noch mehr, Frau Klöckner. Ich fordere Sie und auch die Kollegen im Europaparlament auf, im Trilog noch weiter nachzubessern und noch weiter nachzulegen, damit wir insgesamt zu besseren Regelungen kommen, damit wir insgesamt mehr Ökologie, aber auch mehr soziale Gerechtigkeit erreichen. ({10}) Der Reformprozess der Agrarpolitik ist noch nicht abgeschlossen. Es gilt nun, dass wir ihn in Richtung einer gemeinwohlfördernden Politik ausrichten. Natürlich müssen wir auch bei der nationalen Ausgestaltung, Frau Klöckner, in die Puschen kommen. Es hat sich nun ein kleines Fenster ergeben. Aber dieses kleine Fenster müssen wir jetzt auch kraftvoll nutzen. Da sind Sie in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir die beschlossenen Ökoleistungen nun in Maßnahmen umsetzen, die wirklich Umwelt- und Klimaschutz bewirken. Ich fordere Sie auf, diese Maßnahmen nun entschieden zu fördern, um den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu gewährleisten. Ich fordere Sie auch auf, dass Sie zum Beispiel in Sachen Aktionsprogramm Insektenschutz endlich vorangehen. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. ({11}) Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrer Kollegin Svenja Schulze, ({12}) die es erstens geschafft hat, dass der Umweltministerrat progressive Beschlüsse gefasst hat, die wirklich in Richtung Schutz der Biodiversität wirken, und die zweitens ein Insektenschutzgesetz vorgelegt hat. Ich hoffe sehr, dass das nun endlich mal aus dem Kabinett rauskommt, damit wir hier im Parlament darüber diskutieren können. ({13}) – Ja, das ist gut. Aber nun sind auch Sie in der Verpflichtung, Ihren Teil dieses Pakets vorzulegen. Da verweise ich auf die seit Langem angesprochene Reduktionsstrategie für Pflanzenschutzmittel auf unseren Äckern. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir da schon sehr bald etwas bekommen. Das steht im Koalitionsvertrag, Frau Klöckner. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Träger. – Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Hermann Färber. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einigung im Agrarrat ist unter dem Vorsitz von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der GAP definitiv ein Systemwechsel gelungen. Dazu kann ich nur meinen Glückwunsch aussprechen. Denn, Frau Ministerin, alle die, die heute sagen, sie hätten mehr erwartet, haben das, was Sie da durchgesetzt haben, alle zusammen nicht geschafft. ({0}) Wesentlich stärker als bisher wird die Landwirtschaft an ökologische Regelungen geknüpft, und zwar in ganz Europa. Das ist das Entscheidende. Bisher hatten es ja zahlreiche osteuropäische Staaten grundsätzlich abgelehnt, sich zu verpflichten, 20 Prozent der Mittel aus der ersten Säule an Eco-Schemes, an Ökoregelungen, zu binden. Es bringt schließlich auch gar nichts, wenn Deutschland zur Blumenwiese wird, wenn Deutschland sich zu 100 Prozent daran bindet, der Rest von Europa uns dann aber zuschaut und selber gar nichts macht. ({1}) Zusätzlich werden allerdings alle Direktzahlungen an eine erweiterte Konditionalität gebunden, die weit über das bisherige Greening hinausgeht. Da stimmt es nicht, lieber Friedrich Ostendorff, was du gesagt hast, dass 80 Prozent verloren sind. Im Gegenteil – Kollege Stegemann hat es angesprochen –: Bisher waren Direktzahlungen an Greeningmaßnahmen gebunden, aber nun kommen wesentlich mehr Bereiche hinzu: Erhalt von Dauergrünland, Bewirtschaftungsauflagen bei Feucht- und Moorgebieten, Gewässerschutzstreifen, Blühflächen und vielfältige Fruchtfolgen sowie 3 Prozent nichtproduktive Flächen oder 5 Prozent nichtproduktive Flächen, die mit Leguminosen bestellt werden können. Völlig unberechtigt ist der Vorwurf, das jetzige System würde die Ziele Klimaschutz und Artenvielfalt nicht berücksichtigen und mit der Direktzahlung würde künftig nur der Großagrarier mit viel Fläche belohnt, der für viele Umweltprobleme mitverantwortlich sei. Das stimmt nicht. Es wird nämlich vergessen, dass es auch Ökobetriebe mit großen Flächen gibt; das sind nicht immer nur die kleinen Betriebe. Die Durchschnittsgröße der Ökobetriebe liegt zum Beispiel in Sachsen bei 84 Hektar und in Brandenburg bei 207 Hektar; viele sind sogar erheblich größer und bewirtschaften 500 bis 1 000 Hektar. Um eine Zahl zu nennen: Ökobetriebe mit 80 Hektar erhalten mit den Zuwendungen aus der zweiten Säule und der Förderung der ersten Hektare eine Summe von rund 350 000 Euro. Da kann man kann doch nicht sagen: Es ist ungerecht, wenn der große Betrieb mehr bekommt als der kleine. Tatsache ist auch – das geht in der Diskussion aber völlig unter –: Die EU-Kommission hat nicht nur Artenschutz und Klimaschutz als Ziel der GAP festgelegt; das sind nur zwei von neun Maßnahmen. ({2}) Die übrigen Ziele sind: gerechtes Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, ausgewogenes Kräfteverhältnis in der Lebensmittelkette, Förderung des Generationswechsels, Schutz der Lebensmittelqualität und der Gesundheit, Umweltpflege sowie die Stützung der ländlichen Gebiete. ({3}) Nachhaltigkeit besteht eben nicht nur aus Ökologie, sondern auch aus Ökonomie und dem Sozialen. ({4}) Das Thema Gemeinwohlprämien wurde heute schon mehrfach angesprochen. Hier sind wir uns grundsätzlich einig, Frau Tackmann – Kollege Miersch ist schon weg –, aber bei neuen Zielen kann man nicht gleich auf 100 Prozent gehen; vielmehr sollte man auf 20 Prozent gehen. Das System ist viel besser, als es hier schlechtgeredet wird. Es ist eine Gemeinwohlprämie; zumindest erfüllt es den Charakter. Entscheidend ist jetzt, wie die Eco-Schemes in den Strategieplänen der einzelnen Mitgliedstaaten konstruiert werden. Wichtig ist, dass Klima- und Artenschutz eine Rolle spielen – selbstverständlich muss das gefordert werden –, aber die Maßnahmen müssen in der Praxis umsetzbar sein, sonst nutzen sie uns nichts. Ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz schaffen wir nur, wenn wir uns in Europa auf gemeinsame Ziele einigen können. Der Grundstein wurde jetzt unter deutscher Ratspräsidentschaft gelegt. Lassen Sie uns bitte gemeinsam und konstruktiv daran weiterarbeiten. Danke schön. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, lieber Kollege Hermann Färber. – Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Rainer Spiering. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Klar. ({0}) Herr Präsident! Frau Ministerin! Kolleginnen und Kollegen! Frau Konrad, Sie haben die Frage aufgeworfen, wer Ideen und Papiere zur Verfügung gestellt hat. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil: Wir haben ein sehr ausgiebiges Strategiepapier zur GAP und eine Digitalisierungsstrategie formuliert. Ich empfehle Ihnen das an, dann wissen Sie auf jeden Fall, wo wir stehen. ({1}) Mir ist wichtig, klarzustellen: Die SPD – das wird sie in naher Zukunft mit einem Papier belegen – bekennt sich zur Landwirtschaft in Deutschland – ohne Wenn und Aber, und das aus vielerlei Gründen. Wir wollen eine Landwirtschaft, die ökonomisch sinnvoll und sozial ausgewogen ist und die die Natur stärkt; eine Landwirtschaft, die Arbeit respektiert. Das bedeutet auch, dass die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte respektiert wird; denn Respekt vor einer Tätigkeit ist die Grundlage des sozialen Seins. Das ist das, was wir anstreben. ({2}) – Danke schön. – Man könnte es auch anders formulieren: saubere Luft, sauberes Wasser, gute Böden, gute Produkte und respektierte Arbeit. Jetzt aber zur GAP. Da sind heute die Wogen etwas hochgeschlagen. Ich glaube, das wird der Sache nicht gerecht; denn mit 27 Ländern in Europa zu verhandeln, ist ein schwieriges Werk, und das wissen alle Beteiligten. Dass das, was man erarbeitet, am Ende des Tages ein Kompromiss ist, das wissen auch alle hier Beteiligten, auch Frau Renate Künast. Deswegen würde ich anraten, das nüchtern zu betrachten. ({3}) Fakt ist – und das ist die schlechte Nachricht, liebe Gitta –: Der Staatssekretär im BMEL hat heute gesagt, dass 4,9 Milliarden Euro, wenn auch konditioniert, in die Direktzahlungen gehen. Wenn man das auf die 11 Millionen Hektar, die wir bewirtschaften, umrechnet, kommt eine Zahl von 440 Euro pro Hektar heraus. Wenn ich das mit dem Grundbesitz der Deichmanns, der Fielmanns und der Eigentümer von Aldi oder Lidl multipliziere, dann komme ich auf Beträge, die in die Betriebe fließen, die wir in der Höhe nicht wollen; Frau Ministerin, hier sind wir sicherlich einer Meinung. Das heißt im Klartext, lieber Hermann: Wenn wir aus dieser Situation etwas Gutes machen wollen – ich glaube, es gibt eine Möglichkeit; Carsten Träger hat es angesprochen –, dann gibt es im Rahmen des Trilogverfahrens immer noch die Möglichkeit, auf 30 Prozent hochzugehen. Die große Frage ist auch: Wie verwenden wir das Geld, und – Frau Tackmann hat es angesprochen – wie sieht die Strategieplanung aus? Was formulieren wir als Grundlage, wie das Geld verausgabt werden soll? Das ist – das ist das nächste Problem – aber nicht nur eine europäische Angelegenheit, sondern das ist vor allem eine binnendeutsche Angelegenheit. Das heißt, das BMEL muss in der Lage sein, die unterschiedlichen Länderinteressen mit den unterschiedlichen Regionalitäten zu koppeln, und das ist ein schwierig Ding. Das heißt: Es ist jetzt wirklich höchste Eisenbahn, dass das Bundesministerium in Zusammenarbeit mit den Ministerien der Bundesländer eine Strategieplanung vorlegt. Nur wenn wir diese Strategieplanung haben, können wir grundsätzlich sagen, ob das, was uns von der einen oder von der anderen Seite vorher- und weisgesagt wird, überhaupt zutrifft. Das heißt, wir wissen erst, wo wir stehen, wenn wir diese Strategieplanung haben, Frau Ministerin. Deswegen die dringende Bitte: Machen Sie die Strategieplanung, aber bitte – tun Sie uns diesen großen Gefallen – machen Sie es nicht als Regierung, sondern beteiligen Sie uns als Parlament; denn wir als Parlament müssen uns kritisch damit auseinandersetzen. Lassen Sie uns diesen Prozess gemeinsam gestalten und begleiten. ({4}) Irgendjemand hat eben gesagt: Jetzt kommt gleich das Thema Digitalisierung. – Ja, klar. ({5}) Der für mich entscheidende Punkt ist: Wenn ich auf die Regionalität in Deutschland eingehe, wenn ich auf die unterschiedlichen Bodenverhältnisse und die unterschiedlichen geografischen Verhältnisse und sogar auf die unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse eingehe, dann weiß ich ganz genau, dass ich für unterschiedliche Regionen unterschiedliche Konzepte stricken muss. Wir haben als Vorgabe den 19-Punkte-Plan der Landschaftsverbände – den könnte man gut als Matrix nehmen –, aber alles das ist nur machbar, wenn wir die Bäuerinnen und Bauern nicht mit einem Papiermonster in der alten analogen Form überfordern. Das geht nicht. ({6}) Wenn wir das lösen wollen, dann, liebe Frau Ministerin, müssen Sie in der Lage sein, in Ihrem Haus die Software zur Verfügung zu stellen, damit die Landwirtinnen und Landwirte nicht völlig überfordert werden, sondern in der Lage sind, die entsprechenden Vorgaben einzutippen und kurzfristig eine Antwort zu bekommen: So sieht mein Ergebnis materiell, aber auch ökologisch und soziologisch aus. – Wenn der Staat nicht dazu in der Lage ist, Frau Ministerin, dann sollten wir uns der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte bedienen, die das können. Ich sage Ihnen: Die Wirtschaft in unserem Land ist so weit. Wir müssen die Möglichkeiten auf jeden Fall wahrnehmen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: „Dies ist ein großer Erfolg und ein zentraler Baustein der Agrarwende in Deutschland! … Bei der Förderung der Landwirtschaft werden Belange des Umwelt- und Tierschutzes … in Zukunft sehr viel stärker berücksichtigt.“ Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, von wem stammt dieses Zitat? Von Renate Künast. ({0}) So euphorisch feierte sie am 9. Juli 2004 die neue gemeinsame europäische Agrarpolitik. ({1}) Damit kamen Flächenprämie, Entkopplung, verbindliche Umwelt- und Tierschutzstandards. Liebe Grüne, liebe Renate Grüne, ({2}) liebe Kollegin Künast, gestern hat Ihre Fraktion die aktuelle Einigung des Rates hinsichtlich einer neuen GAP-Reform in Grund und Boden gestampft. Da können wir nur sagen: Diese Fundamentalkritik der Grünen ist reine Heuchelei; ({3}) denn die Einigung bewegt sich in der Struktur, die unter Renate Künast und von ihr selbst mit geschaffen worden ist, übrigens auch unter Rot, lieber Rainer Spiering. Aber den aktuellen Durchbruch hat eine Christdemokratin erzielt, nämlich unsere Bundesministerin Julia Klöckner, und dafür vielen Dank. ({4}) Liebe Renate Künast, Ihr Gezeter – auch gerade jetzt – ist also doppelzüngig. Das gilt auch für manche grüne NGO. Der NABU kritisiert die Reform – ich zitiere – als „Agrarpolitik im Rückwärtsgang“, kassiert aber selbst 5,3 Millionen Euro an Agrargeldern – im Jahr! ({5}) Zum Vergleich: Der landwirtschaftliche Familienbetrieb erhält im Schnitt 35 000 Euro und wird dafür in Kampagnen an den Pranger gestellt. Die Kritiker sollten es besser wissen: Direktzahlungen sind schon heute keine Geschenke, sondern Ausgleich für Wettbewerbsnachteile und hohe Standards. Die Landwirtschaft in Deutschland ändert sich seit Jahren, und zwar in Richtung Nachhaltigkeit. Das wollen wir doch bitte endlich mal anerkennen! ({6}) Künftig werden die Anforderungen noch höher. Jeder Euro wird an Klima- und Umweltvorgaben geknüpft werden – europaweit. Das ist der eigentliche Durchbruch. Ökologische Vorrangflächen, längere Fruchtfolgen und vieles mehr werden ein Muss. Es wird keine Leistung ohne Gegenleistung geben, und das wird jeden Hof fordern. Trotzdem gehen die Bauern diesen steinigen Weg mit – bis an die Schmerzgrenze. Aber egal, was getan wird: Die Grünen haben nicht die Größe, das anzuerkennen; denn es kommt von der Union, und es geht um ihren Prügelknaben Nummer eins, die Landwirtschaft. Nehmen Sie bitte endlich zur Kenntnis: Landwirte sind Klimaschützer. Ja, bei der Erzeugung von Lebensmitteln entstehen Treibhausgase – übrigens: egal ob konventionell oder ökologisch. Aber: Erstens. 83 Millionen Menschen brauchen Nahrung zum Leben. Bullerbü kann das nicht leisten. Zweitens. Deutsche Bauern gehen voran. 1 Liter Milch steht hier für 1,1 Kilogramm CO2. Der weltweite Schnitt liegt mehr als doppelt so hoch. Drittens. Grünland, Humus und Co, insbesondere Wald binden CO2. Das wird gerne unterschlagen, auch heute in dieser Debatte. Genau diese Leistungen honoriert die GAP, ebenso wie den Artenschutz. Ja, die Erzeugung von Lebensmitteln greift in natürliche Lebensräume ein – übrigens: egal ob ökologisch oder konventionell. Die Hauptursachen für den Artenschwund sind aber Verkehr, Versiegelung und Lichtverschmutzung. Artenreiches Grünland, Blühstreifen und Co sind demgegenüber Paradiese für Insekten. Liebe Frau Kollegin Künast, wenn Sie da von einer Petitesse sprechen bei den Blühstreifen: 230 000 Hektar sind in Deutschland von Bäuerinnen und Bauern angelegt worden, aber wahrscheinlich nicht von Ihnen in Ihrem Hofgarten in Berlin. ({7}) Auch das honoriert die GAP: Naturschutz durch Bewirtschaftung. Wir wissen, Klima- und Artenschutz geht nur mit der Landwirtschaft, nicht gegen sie. Aber das wird leider nach wie vor nicht überall hier so gesehen. Nach wie vor setzen viele darauf, möglichst viel Fläche aus der Bewirtschaftung zu nehmen. Ohne Frage, unsere Landwirte können auch Landschaftspflege. Aber damit wird die Selbstversorgung mit Lebensmitteln aufs Spiel gesetzt. Wie schnell diese gefährdet sein kann, hat die Coronakrise gezeigt: Die Grenzen wurden dichtgemacht, unsere Bauern sicherten die Ernährung, Tag für Tag. Wir brauchen unsere Landwirtschaft zum Überleben, auch hier in Deutschland. Deshalb fordern wir als Union ein Staatsziel Ernährungssicherung im Grundgesetz. Unsere Bauern brauchen im Übrigen so schnell wie möglich Klarheit, und dafür bieten diese Beschlüsse, die Julia Klöckner ausgehandelt hat, eine sehr gute Grundlage. Grüne Ideologie hilft hier nicht, im Gegenteil. ({8}) Deshalb fordern wir Sie auf: Rüsten Sie endlich ab, gehen Sie auf die Landwirte zu, und übernehmen Sie endlich inhaltlich Verantwortung. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Wahrheit und Klarheit gehört auch, dass in der Amtszeit einer Renate Künast Flächenprämien beschlossen worden sind. Egal wie groß der Betrieb war, egal wie der Betrieb gewirtschaftet hat, der Quadratmeter hat gezählt, und dann floss das Geld. ({0}) In der Amtszeit von Julia Klöckner wurde beschlossen, dass jeder Euro, der ausgegeben wird, an Auflagen gebunden ist, dass jeder Euro öffentliches Geld Umweltleistungen erfordert. Das ist der Erfolg von Julia Klöckner. ({1}) Ich danke allen, die mit verhandelt haben, und ich danke auch unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, die mit ihrem Beschluss dies unterstützt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zum Ursprung der europäischen Agrarpolitik: Es geht darum, die Menschen zu ernähren. 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union wollen täglich essen und trinken. Dazu haben wir europaweit 10 Millionen Bauernhöfe. Diese Bauernhöfe, diese Bäuerinnen und Bauern können nicht emissionsfrei Lebensmittel produzieren; man hat eben Aufwand. Aber die Landwirtschaft ist im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen der einzige Betriebszweig, der CO2 bindet, der auch Umweltschutz und Klimaschutz betreibt. ({2}) Wir haben gerade in der Coronazeit gesehen, dass die Landwirtschaft systemrelevant ist. Sie können sich alle noch an die leeren Regale erinnern. Das Nudelregal und das Mehlregal waren leer; alles war leergekauft. Die Landwirtschaft ist systemrelevant. Eine regionale Produktion, eine Produktion hier in Deutschland ist wichtig. Lebensmittel sind genauso wichtig wie irgendwelche Blühwiesen oder andere Programme. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben innerhalb Deutschlands natürlich eine unwahrscheinlich breite Struktur. Bei uns in Bayern liegt die durchschnittliche Schlaggröße bei vielleicht 2 bis 3 Hektar. Bei Betrieben in Sachsen-Anhalt sind diese 2 bis 3 Hektar allein die Fahrgasse. ({3}) Wir stehen auch vor großen Herausforderungen mit Blick auf die unterschiedliche Unterstützungsnotwendigkeit unserer Betriebe. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt im Trilogverfahren und in den nächsten Verhandlungen auf diese Strukturen auch Rücksicht nehmen. Dafür ist dieser Beschluss eine gute Grundlage. Wir haben die Instrumente der Kappung, der Degression. Diese gilt es zu nutzen, um kleinbäuerliche Betriebe zu unterstützen, um die Zukunftsfähigkeit dieser Betriebe sicherzustellen. Ich hoffe, dass bei den Beratungen im Rahmen des Trilogverfahrens und sicherlich auch hier im Deutschen Bundestag die Strukturen in den Fokus genommen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele Vorschläge, wie wir jetzt weitermachen können. Ein Vorschlag, der mir jetzt persönlich ganz gut gefällt, ist der vom Deutschen Verband für Landschaftspflege, der zeigt, wie man diese Leistungen honorieren kann, wie man diese Leistungen nachvollziehen kann, ein Vorschlag in dem sich jeder wiederfindet. Denn Lebensmittelproduktion ist nur die eine Seite der öffentlichen Leistungen. Auch die Umweltleistungen müssen honoriert werden. Das kann auch eine Einkommensalternative für die landwirtschaftlichen Betriebe sein. Da müssen wir uns weiterentwickeln und weiter daran arbeiten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben, bedingt durch den Föderalismus in Deutschland, einige Bundesländer, die in der sogenannten zweiten Säule nicht viel machen, und andere, die dort etwas mehr machen. Verehrte Frau Ministerin, wir müssen jetzt aufpassen, dass wir die Bundesländer, die hier aktiv unterwegs sind, bei den Programmen, die wir in der zweiten Säule haben, mitnehmen, damit sie in der neuen Agrarreform ihren Niederschlag und für ihre Arbeit einen vernünftigen Ausgleich finden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Aktuelle Stunde heute hat gezeigt – und ich bin überzeugt davon –: Diese Beschlüsse in Brüssel sind ein Meilenstein auf dem Weg zu einer umweltfreundlichen Agrarpolitik der Zukunft. Jetzt geht es darum, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene unterstützen und dass wir dann im Deutschen Bundestag vernünftige Beschlüsse daraus machen. Daran lassen Sie uns alle arbeiten! Danke schön. ({4})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen“, das ist, so formuliert es das Römische Statut, das Ziel, das seitdem verfolgt wird. Heute, 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Römischen Statuts, hat – trotz aller Probleme, denen wir ins Auge schauen müssen – das Völkerstrafrecht, wie ich finde, viel erreicht. Ich denke an die wegweisenden Urteile des Internationalen Strafgerichtshofes und der Sonderstrafgerichtshöfe etwa für Jugoslawien und Ruanda. Und erst im August hat das Sondertribunal für den Libanon ein wichtiges Urteil zu dem tödlichen Anschlag auf den ehemaligen Ministerpräsidenten al-Hariri gesprochen. Aber gleichzeitig – das darf nicht unerwähnt bleiben – erleben wir viele schmerzhafte Rückschritte. Regierungen, bewaffnete Gruppen, Terroristen treten die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen. Ich sage Ihnen ganz offen: Viel zu häufig bleiben derartige Verbrechen ungestraft. Das liegt auch daran, dass die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, China und Russland den Internationalen Strafgerichtshof weiterhin nicht anerkennen. Seit Neuestem belegt Washington Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofes sogar mit Sanktionen, etwas, was vor ein paar Jahren so noch gar nicht vorstellbar gewesen ist – auf jeden Fall ein großer Fehler, von dem ich hoffe, dass er in absehbarer Zeit korrigiert wird. ({0}) Meine Damen und Herren, die Straflosigkeit der Täter verhöhnt nicht nur die Opfer. Sie gefährdet auch den Frieden, weil Gerechtigkeit eben die Voraussetzung ist für dauerhafte Versöhnung – das erleben wir in vielen Konfliktfällen – und die daraus folgende Stabilität. Deutschland tritt deshalb ganz entschieden dafür ein, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, und zwar überall, wo wir können: international, europäisch und immer öfter auch national, also hier bei uns. Auf internationaler Ebene gehören wir zu den größten Unterstützern des Internationalen Strafgerichtshofs – politisch, personell und auch finanziell. In gleicher Weise fördern wir die Sonderstrafgerichtshöfe, etwa für den Libanon und das Kosovo. Und dort, wo wir aufgrund der Blockaden im Sicherheitsrat an unsere Grenzen stoßen – etwa in Syrien, im Irak oder in Myanmar –, haben wir gemeinsam mit den Vereinten Nationen Mechanismen geschaffen, um Beweise für eine zukünftige Strafverfolgung zu sammeln. Dem dient auch das Bündnis gegen Straflosigkeit, das wir gemeinsam mit gleichgesinnten Außerministerinnen und Außenministern als Teil der Allianz für den Multilateralismus gegründet haben, der mittlerweile über 70 Staaten angehören. „Ihr müsst nicht ewig auf Gerechtigkeit warten“ – das ist unsere Botschaft an die Opfer. Auf europäischer Ebene arbeiten wir mit unseren EU-Partnern an einem globalen EU-Menschenrechtssanktionsregime, das längst überfällig ist. ({1}) Mit diesem Sanktionsregime werden wir politisch Verantwortliche belangen können, die ihre eigene Bevölkerung terrorisieren, foltern und einsperren. Im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft wollen wir dafür schnellstmöglich die Rechtsgrundlagen schaffen, noch innerhalb dieses Jahres. Auch national gehen unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften mit gutem Beispiel voran. Seit diesem Jahr wird am Oberlandesgericht Koblenz erstmals zwei Vertretern des syrischen Regimes wegen Folter, Mord und sexualisierter Gewalt der Prozess gemacht. Und auch IS-Terroristen stehen längst vor deutschen Gerichten. Damit stärken wir das Weltrechtsprinzip und ermutigen weitere Staaten, auch national gegen Völkerrechtsverbrechen vorzugehen. ({2}) Meine Damen und Herren, das ist wichtig; denn bedauerlicherweise ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Für Versöhnung und Frieden muss die Straflosigkeit der Täter enden – so steht es im Römischen Statut, und so steht es in unserem heutigen Antrag. Dafür werden wir uns auch weiterhin mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Jürgen Braun. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Dezember letzten Jahres besuchte der Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe den Internationalen Strafgerichtshof und weitere internationale Straftribunale in Den Haag. Von den Richtern und Ermittlern kommen keine belanglosen Worthülsen – wie sonst oft in der UNO –, dort wird konkret Recht gesprochen, internationales Strafrecht. Als Delegationsleiter war ich beeindruckt, wie engagiert und konzentriert schwere Verbrechen aufgearbeitet werden. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist oft die letzte Möglichkeit, Recht zu sprechen, wenn innerstaatliche Rechtsprechung versagt. Aber es muss darauf geachtet werden, dass nicht die Sieger die Geschichte schreiben oder eine Mehrheit in den Vereinten Nationen. Sieger und Besiegte sind zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie Verbrechen begangen haben, ({0}) sie dürfen mit ihren Bluttaten nicht davonkommen. Kein Gericht kann Verbrechen ungeschehen machen, kein Gericht kann Ermordete wieder zum Leben erwecken. Nur die Bestrafung der Täter kann auf Dauer Frieden schaffen, nur Recht und Gerechtigkeit schafft Frieden. ({1}) Ruanda ist ein Beispiel, das Mut macht. Kabuga ist verhaftet; in Den Haag ist hart dafür gearbeitet worden. Auf der Delegationsreise haben wir Kabuga noch an erster Stelle auf den Fahndungsplakaten gesehen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, könnten Sie einen Moment innehalten? – Wird ein Arzt benötigt? – Ah, gestolpert. Okay, ich bitte um Nachsicht. – Machen Sie weiter, bitte.

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Auf der Delegationsreise haben wir Kabuga noch an erster Stelle auf den Fahndungsplakaten gesehen. Jetzt steht er endlich vor Gericht. In Ruanda betrieb er einen Radiosender des Grauens: Zu poppigen Rhythmen ließ er zum Völkermord aufrufen – etwas ganz besonders Widerliches. Aktuelle Kriegsverbrechen: In Bergkarabach bombardiert Aserbaidschan ganz gezielt Kirchen. Die Kathedrale in Schuschi: von Bomben und Raketen schwer getroffen, ebenso Wohngebiete. Über den islamischen Staat Aserbaidschan versucht der türkische Machthaber Erdogan, den Völkermord an den Armeniern fortzusetzen. Auch ein Erdogan sollte damit rechnen müssen, eines Tages in Den Haag angeklagt zu werden. ({0}) Er weiß ganz genau, warum seine Türkei dem Römischen Statut fernbleibt. Diese Bundesregierung und die Altparteien insgesamt haben nichts unternommen, um das Eindringen von Terroristen und auch Kriegsverbrechern in Deutschland zu verhindern. Im Gegenteil: Sie haben dringende Warnungen der Sicherheitsbehörden, vor allem 2014 und 2015, nicht beachtet. Sie haben die Öffentlichkeit gezielt belogen, das Eindringen von Terroristen und Kriegsverbrechern geleugnet. ({1}) Seit mittlerweile sechs Jahren hat die Bundesregierung den vollständigen Kontrollverlust in Deutschland zu verantworten. Vor sechs Jahren hat die Bundesregierung angeordnet, dass einreisende Asylbewerber von der zuständigen Behörde, dem BAMF, nicht mehr gründlich überprüft werden. Bereits seit 2014 wissen also weder die Bundesregierung noch die Sicherheitsbehörden, welche Kriegsverbrecher und Terroristen sich hierzulande aufhalten, wer überhaupt einreist. Sie wissen es nicht, und sie wollen es auch nicht wissen. ({2}) Deutschland ist seit sechs Jahren zum Paradies für Kriegsverbrecher und Terroristen geworden. Die sogenannte Flüchtlingskrise verschärfte sich erst dadurch, dass niemand mehr kontrolliert worden ist. Die Bundesregierung hat versagt. Gehen musste nicht etwa Innenminister de Maizière, dessen Ressort zuständig ist. Gehen musste auch nicht die Bundeskanzlerin, die politisch verantwortlich ist, aber diese Verantwortung nie übernimmt – niemals! ({3}) Gehen musste der Chef des BAMF, ausgerechnet also der Mann, der vor diesen Fehlern gewarnt hat. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, könnten Sie bitte ein bisschen Abstand halten? – Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Michael Brand. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute bei diesem Antrag der Koalitionsfraktionen über eines der schrecklichsten Kapitel der Menschheit und auch der aktuellen internationalen Politik. Wir reden darüber, was der Mensch dem Menschen antun kann, wie entsetzlich und wie unaussprechlich oft die Verbrechen sind, die wir unter den Überschriften wie „Kriegsverbrechen“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Völkermord“ versuchen zusammenzufassen. Als jemand, der sehr persönlich in jungen Jahren mit Kriegsverbrechen konfrontiert wurde, der sehr persönliche Erfahrungen bei der Mitarbeit zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina gemacht hat, der mit vielen Überlebenden gesprochen hat, der Berge von Leichen der Opfer hat sehen müssen, bin ich felsenfest davon überzeugt und kämpfe ich auch dafür: Jeder Kriegsverbrecher muss bis ans Ende seiner Tage gejagt werden. Jedes Kriegsverbrechen muss aufgedeckt werden. – Die Täter, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, müssen wissen: Es gibt eben keine Straflosigkeit. Ihr kommt nicht davon! ({0}) Das ist der Kern der heutigen Debatte, und das ist der Kern unseres Antrages. Und das ist auch der Kern der Motivation für die bislang schon über 120 Staaten der Erde, die aus den Erfahrungen der Völkermorde in Bosnien-Herzegowina und Ruanda diese Schlussfolgerung gezogen haben: Es braucht einen Internationalen Strafgerichtshof; denn die Verfolgung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geht nicht ohne internationale Koordinierung. Das gilt nicht nur für Syrien, für die Verbrechen des sogenannten „Islamischen Staats“ im Irak oder die Verbrechen durch die, während der und infolge der Vertreibung der Rohingya in Myanmar. Das gilt auch für Konflikte, die bei uns nicht die Medien beherrschen, wie der brutale Krieg im Jemen, aber auch schlimmste Verbrechen in Libyen, Mali und anderswo. Es geht um Kriegsverbrechen, die aktuell begangen werden. Es geht aber auch um Kriegsverbrechen wie die in Bosnien, die nach 25 Jahren noch immer nicht oder nicht ausreichend geahndet wurden und die wegen der Wahrheit, wegen Gerechtigkeit, Frieden und auch der Zukunft aufgearbeitet werden müssen. Ich freue mich, einen Kämpfer für den Frieden, für die Versöhnung, für die Menschenrechte heute auch unter uns begrüßen zu dürfen: Christian Schwarz-Schilling, den früheren Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina, den Streitschlichter und ja auch Vorsitzenden des – damals noch – Unterausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Lieber Christian Schwarz-Schilling, schön, dass du heute der Debatte beiwohnst! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt bei dem Grundsatz: Wir wollen und wir müssen die Straflosigkeit dieser schlimmsten Verbrechen, die Menschen anderen Menschen antun können, international bekämpfen, um sie zu beenden. Wir haben als CDU/CSU-Fraktion und als Menschenrechtsausschuss im Herbst letzten Jahres intensive Anhörungen zu dem Thema durchgeführt. Einige der dort gegebenen Anregungen, die auf Grundlage einer jahrelangen Beobachtung zum Reformbedarf des Internationalen Strafgerichtshofs gegeben wurden, finden sich in diesem Antrag wieder. Das Ziel ist klar: Der Internationale Strafgerichtshof muss in seinem Bestand gestärkt und er muss für die Zukunft weiterentwickelt und verbessert werden. Ohne den Antrag hier ausführlich wiedergeben zu wollen – aber es lohnt sich, die 13 Punkte sich anzuschauen –, will ich nur einige wenige Punkte nennen: Dazu gehört, dass die Finanzierung des Internationalen Strafgerichtshofs auf solidere Beine gestellt werden muss. Dazu gehört, die Mechanismen zur Beweissicherung zu verbessern. Dazu gehört eine Reform des Prozessrechts, um Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dazu zählt auch, dass die Qualifizierung und die Personalauswahl für dieses wichtige internationale Gericht verbessert werden müssen. Aus guten Gründen hat Deutschland wieder einmal hochqualifiziertes und erfahrenes Personal entsandt. Das ist auch der Grund, weshalb deutsche Richter sowohl am ICC – ich nenne hier unseren deutschen Richter Bertram Schmitt – als auch am Kriegsverbrechertribunal ICTY – ich nenne den Richter Christoph Flügge – international auf hohe Akzeptanz treffen. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt das nicht für alle Länder, und hier müssen Auswahlverfahren und auch die Anforderungen an die Qualifikation verbessert werden. Bei uns im Inland gehört auch die Überlegung dazu, dass wir Gerichtsverfahren nach dem Strafvölkerrecht an einem dafür spezialisierten Oberlandesgericht konzentrieren könnten. Natürlich sind wir uns alle der Tatsache bewusst, dass wichtige Länder der Erde – Rechtsstaaten wie die USA und Indien, aber auch autoritäre Regime wie China und Russland – dem Vertragswerk nicht beigetreten sind. Das bleibt ein Defizit, an dem man weiter arbeiten muss. Denn eines bleibt nicht nur in Deutschland feste politische Überzeugung: Gerade bei solchen Themen und besonders in dieser internationalen Lage braucht es starke Signale für mehr internationale Zusammenarbeit – nicht weniger. Viele sind besorgt, nicht wenige entsetzt – unser Außenminister hat das etwas diplomatischer formuliert – über die Verfügung des amtierenden amerikanischen Präsidenten, der den Richterinnen und Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs – das muss man sich noch mal auf der Zunge zergehen lassen – bei Betreten der USA mit Verhaftung gedroht hat. Die heute gute Aussicht dazu lautet: Das kann sich am nächsten Dienstag ändern. ({2}) Und so schließe ich meinen Beitrag mit einem insgesamt hoffnungsvollen Ausblick: Die USA werden diesen Aussetzer in ihrer Rolle als global führende Macht auch bei internationaler Zusammenarbeit überwinden. Und wir werden von der NATO über das Pariser Klimaschutzabkommen bis hin zum Internationalen Strafgerichtshof eine andere Dynamik erleben – da lege ich mich am heutigen Mittwoch vor dem nächsten Dienstag einfach mal fest. Die Arbeit und unser Einsatz gegen Straflosigkeit von Verbrechen bleiben enorm wichtig, national wie international. Wir sind beim Internationalen Strafgerichtshof weit vorangekommen. Wir sehen die Defizite, und es gibt begründete Hoffnung auf bessere Grundlagen. Das alles sind schlechte Aussichten für Kriegsverbrecher; aber es sind gute Aussichten für Gerechtigkeit und Menschenrechte. Deshalb müssen und werden wir weiter daran arbeiten. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Peter Heidt. ({0})

Peter Heidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004948, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen in dieser Welt steigt, und mit ihr auch die Zahl schwerster Menschenrechtsverletzungen. Über viereinhalb Seiten, liebe Koalition, beschreiben Sie sehr zutreffend die Situation der internationalen Strafgerichtshöfe. Unter weiteren Spiegelstrichen begrüßen Sie Absichten der Bundesregierung. Das erinnert mich ein bisschen an die Fleißarbeit eines Rechtsreferendars. Allerdings – ganz ehrlich –: Die Allianz für den Multilateralismus ist doch zum Beispiel etwas, was nur auf dem Papier steht. Aber macht man wirklich etwas? Wenn wir wirklich etwas gegen Menschenrechtsverletzungen tun wollen, dann müssen wir die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen verhindern. Das muss der Dreh- und Angelpunkt unserer Bestrebungen sein. ({0}) Der IStGH steht für die Idee, dass niemand über dem Gesetz steht. Er könnte Menschen Hoffnung geben – Hoffnung und Zuversicht darauf, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden und den Opfern am Ende Gerechtigkeit widerfährt. Deshalb ist ein gut funktionierender IStGH zwingend notwendig. Umso bedauerlicher ist es, dass er keine Unterstützung durch die USA, Russland, China, Indien erfährt. Schlimmer noch – und erstaunlich, dass Sie das in dem Antrag nicht erwähnen –: Die US-Regierung hat Sanktionen gegen die Chefanklägerin Fatou Bensouda verhängt, nachdem der Gerichtshof gegen den Widerstand der USA Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in Afghanistan zugelassen hatte. Das zeigt eindrücklich, wie auch nationalistische Tendenzen den Strafgerichtshof schwächen. Diese Angriffe sind unsäglich. Vielen Dank daher, Kollege, dass Sie das angesprochen haben. Das muss noch häufiger passieren. ({1}) Um seine volle Wirksamkeit zeigen zu können, benötigt der IStGH den Rückhalt der gesamten Weltgemeinschaft. Wir Freien Demokraten teilen deshalb Ihre Auffassung, dass der Internationale Strafgerichtshof gestärkt werden muss. Doch eine Institution ist nur so gut wie ihr Personal. Zu Recht fordern Sie in Ihrem Antrag eine verstärkte personelle und finanzielle Ausstattung des IStGH. Schade, dass Sie sich nicht auch für eine Erhöhung des Frauenanteils am Gericht einsetzen. Derzeit sind es zwölf Richter und nur sechs Richterinnen. Artikel 36 des IStGH-Statuts erfordert ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Deshalb erwarte ich, dass Sie bei den anstehenden Wahlen an die Ursprünge des Rom-Statuts anknüpfen und ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis fordern. ({2}) Gerade als Strafverteidiger weiß ich, dass der IStGH strafprozessual erfahrene Richterinnen und Richter braucht, die das Römische Statut auch anwenden können, die mit den Regeln der Verfahrensordnung vertraut sind und die tatsächlich auch schon einmal einen Gerichtssaal von innen gesehen haben, und eben keine Diplomaten. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Bei der jetzt anstehenden Wahl von Richtern und Chefanklägern müssen wir endlich das besondere außenpolitische Gewicht Deutschlands in die Waagschale werfen. Die deutsche Außenpolitik braucht eine stärkere und mutigere Personalpolitik der Bundesregierung, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Kampf gegen die Straflosigkeit mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln vorantreiben. Dazu gehört eine starke internationale Gerichtsbarkeit, dazu gehören aber auch wirkungsvolle Sanktionsinstrumente, wie der Magnitskij-Akt. ({3}) Führen Sie diesen Sanktionsmechanismus endlich ein, damit wir neben staatengebundenen Sanktionen endlich auch die Möglichkeit haben, personengebundene Sanktionen zu verhängen! Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Peter Heidt. – Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Zaklin Nastic, Fraktion Die Linke. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade jetzt muss der Internationale Strafgerichtshof gestärkt werden, jetzt, da die Trump-Administration massiven Druck auf dessen Chefanklägerin Fatou Bensouda und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausübt und diese skandalöserweise sogar mit Sanktionen belegt hat. Und warum? Weil sich Frau Bensouda nicht hat einschüchtern lassen. Sie will, dass künftig alle, die Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, auch zur Rechenschaft gezogen werden – und eben nicht nur afrikanische Staats- und Regierungschefs. Und dafür hat sie die volle Unterstützung der Linken. ({0}) Völlig zu Recht will Frau Bensouda Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen aufklären, auch wenn sie von US-Militärs oder der CIA verübt werden. ({1}) US-Außenminister Pompeo bezeichnet dies aber als einen – ich zitiere – rechtswidrigen Versuch, US-Amerikaner der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterwerfen. Dies ist an Absurdität nicht zu überbieten. ({2}) Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, Sie prangern in Ihrem Antrag die Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen völlig zu Recht an. Dann beenden Sie doch endlich die deutsche Beteiligung an Regime-Change-Kriegen! Stoppen Sie Rüstungsexporte und beenden Sie den Drohnenkrieg über Ramstein! ({3}) Der Jemen-Krieg, die schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit, wäre ohne Rüstungsexporte – auch die deutschen – in der Form eben niemals möglich gewesen. Die kriegführenden Staaten verfügen allesamt über keine nennenswerte Rüstungsindustrie. Jeder, der diesen Krieg unterstützt, leistet Beihilfe zum Mord und gehört selbst vor ein Gericht gestellt. ({4}) Die Linke tritt für die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen ein, und es ist inakzeptabel, wenn die Verantwortlichen davonkommen. Wenn die Koalitionsfraktionen die Ausweitung des Weltrechtsprinzips zu Recht einfordern, kann ich nur sagen: Beginnen wir, um glaubwürdig zu sein, hier in Deutschland, bei uns selbst. ({5}) Das betrifft – Sie alle erinnern sich an ihn – auch Oberst Klein, den Oberst Klein, der für den Tod von mindestens 142 Menschen in Kunduz in Afghanistan 2009 verantwortlich war. Er gab den Befehl dazu, trotz der Bedenken der ausführenden Soldaten. Was ist passiert? Er blieb ohne Prozess straffrei. Nein, im Gegenteil: 2013 ist er sogar noch befördert worden. ({6}) Und das ist ein Skandal! ({7}) Wie geht man eigentlich mit Menschen um, die Kriegsverbrechen aufdecken, wie Julian Assange? Dieser wird verfolgt, eingesperrt, psychisch gefoltert, und, ja, ihm droht auch eine Auslieferung und Verurteilung in den USA, während gleichzeitig diejenigen, die Kriegsverbrechen im Irak begingen, weiterhin straflos bleiben. Sowohl für die US-Administration als auch für Angehörige der Bundeswehr und alle anderen Kriegsverbrecher gilt die Herrschaft des Rechts und nicht das Recht der Stärkeren. ({8}) Da wir gerade bei der Strafverfolgung sind – in dem Fall der Unschuldigen –: Meine und unsere Solidarität gilt gerade den polnischen Frauen. Solidarność polskim kobietom. Koniec dyktaturze PiS! Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Kai Gehring. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Straflosigkeit schlimmster Kriegsverbrecher verhöhnt Opfer und ist eine schwere Hypothek für Friedensprozesse. Wer diese Straflosigkeit international bekämpfen will, muss den Internationalen Strafgerichtshof stärken. Dessen Leistungen für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien – weitere Beispiele sind genannt – sind unbestritten. Für eine Weiterentwicklung braucht es vor allem den politischen Willen zu Reformen – von den Ressourcen über das Personal bis zu den Verfahren. Der Koalitionsantrag zur Stärkung der Architektur der internationalen Strafverfolgung ist wichtig, zugleich ist er überfällig. ({0}) Anspruch und Wirklichkeit des Völkerstrafrechts klaffen leider weit auseinander. Reformen sind deshalb bitter nötig, und es ist wichtig, dass sich die Vertragsstaaten aktiv in diesen Prozess einbringen. Die Bundesrepublik muss da mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Dafür bietet sich gerade jetzt die Chance. Bis Ende 2020 wird ein Drittel der Richter neu gewählt und eine neue Leitung der Anklagebehörde ernannt. Das kann die Strategie und Außenwirkung des Gerichts maßgeblich prägen, wird aber kaum etwas an den politischen und praktischen Problemen ändern. Russland, China, Indien und die USA sind keine Vertragsstaaten und lehnen den Internationalen Strafgerichtshof seit Jahren ab. Das muss sich ändern. Die Kriegsverbrecher aller Konfliktparteien im Jemen und in Syrien wähnen sich im Schutz mindestens einer VN-Vetomacht. Wir wollen keinen Internationalen Strafgerichtshof, der bei einigen der schlimmsten Kriegsverbrechen unserer Zeit untätig zuschauen muss, sondern wir wollen gleiches Recht und gleiche Regeln für alle. ({2}) Noch nie saßen Angeklagte aus Staaten des globalen Nordens auf der Anklagebank. Dabei liegen genug Strafanzeigen – unter anderem gegen westliche Soldaten – in Den Haag vor. Auch diese Vorwürfe soll der Internationale Strafgerichtshof untersuchen können, ohne mit Drohungen überzogen zu werden. Doch wie ist die Realität? US-Präsident Trump sanktioniert Chefanklägerin Bensouda. Sie möchte mögliche US-Kriegsverbrechen in Afghanistan untersuchen, und es kann nicht sein, dass diejenigen, die internationale Verbrechen aufklären sollen, selbst zur Zielscheibe werden. Was ist das für ein Signal an die Opfer und an die Zeugen? ({3}) Es ist doch selbstverständlich, dass Mitarbeitende des Internationalen Strafgerichtshofes vor solchen Sanktionen geschützt werden müssen. Wir sagen: Es muss endlich Schluss sein mit den Doppelstandards in der internationalen Strafjustiz. Nur so kann auch die internationale Akzeptanz für die internationale Gerichtsbarkeit wachsen. Der heutige Antrag ist ein Anfang. Wir müssen weiter für die internationale Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen kämpfen. Denn angesichts globaler Krisen braucht es mehr internationale Zusammenarbeit und Solidarität. Multilaterale Institutionen, das Weltrechtsprinzip und universelle Menschenrechte zu stärken, ist dafür ein ganz elementarer Beitrag. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gabriela Heinrich. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in diesem Haus immer wieder über schwere Menschenrechtsverbrechen. In unzähligen Konflikten töten Menschen andere Menschen – ganz aktuell –, vergewaltigen Männer Frauen und Männer. Es wird gefoltert, willkürlich verhaftet, Menschen verschwinden. Die Täterinnen und Täter werden zu häufig nicht zur Rechenschaft gezogen, weil man sie nicht fassen kann oder weil man sie gar nicht fassen will. Wenn Sie Menschen fragen, die bedroht werden, wenn Sie überlebende Opfer oder die Angehörigen der Toten fragen, bekommen Sie immer wieder das Gleiche zu hören, ob in Belarus, Syrien oder Ruanda: Die Menschen verlangen die Bestrafung der Täterinnen und Täter. Sie hören immer wieder in allen Konflikten: Ja, Versöhnung ist möglich, aber nur dann, wenn die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. – Nur auf diesem Fundament kann nachhaltiger Frieden entstehen. Straflosigkeit dagegen zieht weitere Menschenrechtsverletzungen nach sich. Sie lässt Diktatoren und Warlords weiter fest im Sattel sitzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur die Opfer etwas an, ob die Täter bestraft werden. Das geht alle etwas an, die Menschenrechtsverletzungen verhindern wollen, die für Gerechtigkeit und für nachhaltige Versöhnung eintreten. ({0}) Deswegen hat sich der Menschenrechtsausschuss auf Initiative der SPD im letzten Jahr sehr intensiv mit dem Thema Straflosigkeit beschäftigt. Daraus ist, wie wir meinen, ein sehr guter Antrag entstanden. Kollege Heidt, wir freuen uns, wenn wir in den weiteren Beratungen auch noch den Aspekt der Stärkung von Frauen aufnehmen werden. ({1}) Selbst wenn die eigentlichen Taten Tausende Kilometer entfernt begangen wurden, können auch wir in Deutschland mithelfen, sie zu ahnden. Der Internationale Strafgerichtshof ist die zentrale Institution zur Ahndung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Ihn müssen wir auf internationaler Ebene stärken, ausbauen und gegen Angriffe verteidigen. ({2}) Deutschland muss weiter dafür werben, dass mehr Länder dem Römischen Statut beitreten, und dafür sorgen, dass andere nicht austreten. ({3}) Dem Weltrechtsprinzip wird in Deutschland Geltung verschafft; wir haben es gehört. Dabei kommt dem Generalbundesanwalt eine besondere Rolle zu. Der Antrag ist insofern das klare Signal: Deutschland wird nie ein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher sein. Im Gegenteil: Wir sorgen hier mit dafür, dass Mörder, Vergewaltiger und Folterer verfolgt und bestraft werden, unabhängig davon, wo sie sind. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikte in Syrien, Ruanda, Myanmar und im Jemen – wir haben das in der Debatte gehört – ist exponentiell angestiegen. Vergewaltigungen, Verschwindenlassen, Folter, Angriffe auf zivile Einrichtungen, Chemiewaffeneinsätze, Mord und Völkermord werden von Diktaturen willkürlich verübt. Fast in jeder Sitzungswoche und in jeder Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte reden wir über solche schrecklichen Ereignisse und derartige Verbrechen weltweit, in der letzten Sitzungswoche zum Beispiel über Belarus und den Iran. Die Mehrzahl der Täter bei schweren Verbrechen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschenrechte bleibt straflos, und leider steigt die Zahl stetig an. Wie Sie wissen, komme ich aus der wunderschönen Stadt Nürnberg, einst die Stadt der Reichsparteitage, heute Stadt des Friedens und der Menschenrechte. In Nürnberg fanden nach dem Krieg die Nürnberger Prozesse statt. Dieses Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher der NS-Diktatur in Nürnberg war die Grundlage und der Grundstein für das internationale Völkerstrafrecht und diente nur sechs Monate später als Vorbild für den errichteten Internationalen Militärgerichtshof in Tokio und später für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Zum ersten Mal in der Geschichte entstand mit den Nürnberger Prozessen ein internationales Gericht, das Verletzungen des Völkerrechts ahndete und bestrafte. Aus den Nürnberger Prozessen wurden die Nürnberger Prinzipien abgeleitet, die 1950 von der UN-Völkerrechtskommission als allgemeinverbindlich übernommen wurden: Erstens. Jede Person, welche ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, ist hierfür strafrechtlich verantwortlich. Zweitens. Auch wenn das nationale Recht – das ist ein entscheidender Punkt in den Nürnberger Prinzipien – für ein völkerrechtliches Verbrechen keine Strafe vorsieht, ist der Täter nach dem Völkerrecht strafbar. Drittens. Auch Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder können herangezogen werden. Viertens. Handeln auf Befehl befreit nicht von völkerrechtlicher Verantwortung. Fünftens. Jeder, der eines völkerrechtlichen Verbrechens angeklagt ist, hat Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. Folgende Verbrechen sind als völkerrechtliche Verbrechen strafbar: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Internationale Strafgerichtshof hat hier wichtige Verfahren durchgeführt und Urteile gefällt – in den Reden wurde das erwähnt –, ob im ehemaligen Jugoslawien oder im Fall des kongolesischen Milizenführers, der wegen des Einsatzes von Kindersoldaten bestraft wurde. Doch trotz dieser bedeutenden Aufgabe war die internationale Akzeptanz des Internationalen Strafgerichtshofs von Anfang an in vielen Ländern unzureichend und ist es leider bis heute. 123 Staaten sind inzwischen Vertragspartei des Römischen Statuts, also der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs, darunter alle Mitgliedstaaten der EU, aber – wie erwähnt – Russland, die USA, China und Indien nicht; sie lehnen das bis heute ab. Zudem gibt es immer wieder Diskussionen über die bessere berufliche Qualifikation und vor allem über die Prozesserfahrung der Richterinnen und Richter sowie über die zu langen Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofs. Mit derzeit 18 Richterstellen ist es schwer, hier den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Wir brauchen deshalb eine Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs. Wir brauchen – das ist notwendig; Kollege Brand hat ja die Hoffnung geäußert, dass das vielleicht ab nächster Woche möglich ist – den Beitritt der USA. Wir brauchen aber auch den Beitritt von Russland, China und Indien, die sich diesen internationalen Grundsätzen anschließen müssen. Wir brauchen eine größere personelle und finanzielle Ausstattung des Internationalen Strafgerichtshofs durch die Staatengemeinschaft, und wir brauchen eine Reform des Prozessrechts, insbesondere zur Beschleunigung der Verfahren. Wir brauchen einen Einsatz dafür, dass sich mehr Staaten wie Deutschland auch auf nationaler Ebene Völkerrechtsverbrechen widmen und ahnden. Übrigens war die Einrichtung des sehr wichtigen Projekts in meinem Wahlkreis, der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, im Jahr 2014 ein ganz wichtiger Grundstein für die internationale Vernetzung und für den internationalen Austausch. Da möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön an meinen Vorvorgänger Dr. Oscar Schneider sagen, der das in Nürnberg und auch hier wesentlich vorangebracht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns nicht ausruhen; denn Straflosigkeit verwehrt den Opfern Gerechtigkeit, verwehrt Friedens- und Versöhnungsprozesse und führt zu weiteren Konflikten. Dies zu verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss unser Anspruch in der täglichen Menschenrechtsarbeit bleiben. Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Eltern kennen das: Unsere Kinder werden öfter krank. Sie haben mal Husten, mal Schnupfen; sie haben Fieber, leiden unter Übelkeit und vieles mehr – und das meist nicht nur einmal im Jahr. Für Familien bedeutet das dann: umplanen und die Woche neu organisieren. Wer betreut das Kind? Oft müssen Eltern zu Hause bleiben und können nicht zur Arbeit gehen. Nur die wenigsten Großeltern leben in der Nachbarschaft, und in Pandemiezeiten ist die Betreuung durch Großeltern sowieso schwierig. Wie wir alle wissen, ist die rechtliche Lage kompliziert und undurchsichtig. Einen sicheren Anspruch auf Freistellung und Lohnfortzahlung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber gibt es nicht. Durch die gesetzliche Krankenkasse gibt es zwar einen Anspruch auf Kinderkrankentage und Lohnentschädigung, doch dieser ist zeitlich begrenzt. Die 10 Tage pro Versicherten, bei Alleinerziehenden 20 Tage, sind schnell aufgebraucht. Da hilft auch die coronabedingte Erhöhung auf 15 Tage bzw. 30 Tage in diesem Jahr nicht viel weiter. Die Situation ist durch Corona besonders angespannt. Jetzt kommen wir auch noch in die Erkältungszeit hinein. Viele Eltern schauen mit Bangen in die Zukunft; denn die Zahl der Kinderkrankentage ist knapp bemessen. Jetzt muss endlich gehandelt werden! ({0}) Die Coronakrise stellt Familien vor große Probleme. Grundlegende Reformen, eine Vereinfachung der rechtlichen Situation und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen jetzt her. Die Arbeit muss sich dem Leben und den Bedürfnissen der Familien anpassen, nicht umgekehrt. ({1}) Die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen daher gestärkt werden. Die Arbeitgeber müssen bei der Lohnfortzahlung stärker einbezogen werden, und zwar auch dann, wenn die Pandemie wieder vorbei ist. ({2}) Die Linke will, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für jede Erkrankung ihrer Kinder und für die gesamte Dauer der Erkrankung von der Arbeit freigestellt werden. Außerdem wollen wir für alle einen Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber für eine Woche einführen. Im Falle von schweren Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium, bei palliativen Behandlungen oder bei einer begrenzten Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten soll es einen Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber von sechs Wochen geben. Läuft der Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber aus, muss die gesetzliche Krankenkasse einspringen, und zwar für die gesamte Dauer der Erkrankung des Kindes. ({3}) Deshalb fordern wir, die Beschränkung der Zahl der Kinderkrankentage aufzuheben. In der anschließenden Debatte werden Sie wahrscheinlich das Argument bringen, dass die von uns vorgeschlagenen Regeln eine Diskriminierung von Eltern auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich befördern würden. Dazu muss ich Ihnen sagen: Das geht völlig an der Realität vorbei; denn schon seit Jahren gibt es auf dem Arbeitsmarkt eine Diskriminierung von Eltern, Frauen sowie von alleinerziehenden Müttern und Vätern. Wer sich dagegenstemmen will, der braucht eine klare Antidiskriminierungspolitik. Wir wissen, dass es für junge Menschen heute schwierig ist, eine Familie zu planen, wenn sie statt einer Festanstellung nur einen befristeten Arbeitsvertrag bekommen. Wir wissen auch, dass es im Verkauf schon immer schwierig war und bis heute ist. Das heißt, eine solche Diskriminierung gibt es auch heute schon. ({4}) Wir brauchen ein Verbandsklagerecht und eine Ergänzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wonach eine Diskriminierung aufgrund Elternseins ausgeschlossen ist. Das konnte man kürzlich auch in einem Beitrag der „Süddeutschen Zeitung“ lesen. Vielleicht lesen Sie alle mal diesen Beitrag, und dann kommen wir in eine konstruktive Diskussion. Eine gezielte Unterstützung und Förderung von besonders familienfreundlichen Unternehmen ist ebenfalls notwendig. Es gibt viele gute Beispiele von familienfreundlichen Arbeitgebern. Diese müssen gefördert und gestärkt werden. Bis zum Erreichen einer familienfreundlichen Kultur im Arbeitsleben muss sich noch viel ändern. Die Stärkung der Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit Kindern wäre hier ein guter Anfang. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank Frau Kollegin Werner. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Alexander Krauß. ({0})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man eine Debatte beginnt, ist es ganz gut, einfach mal auf die Fakten und auf die aktuelle Rechtslage zu schauen. Demnach können Eltern über die gesetzliche Krankenversicherung bis zu 20 Krankheitstage pro Kind in Anspruch nehmen. Bei mehreren Kindern können sie sich bis zu 25 Arbeitstage freistellen lassen. Alleinerziehende erhalten doppelt so viele Tage. In Coronazeiten ist die Zahl der Tage nochmals erhöht worden; das sind bei Alleinerziehenden bis zu 70 Tage. Eine Alleinerziehende mit mehreren Kindern könnte, wenn die Kinder krank werden, im Extremfall bis zum Jahresende zu Hause bleiben oder sogar noch darüber hinaus. Eine Regelung ist mir besonders wichtig, nämlich dass die zeitliche Begrenzung nicht gilt bei Kindern, die so schwer erkrankt sind, dass sie nur noch wenige Monate zu leben haben. Ich finde, es ist eine sehr soziale und richtige Regelung, dass die Eltern sich dann zu Hause um ihre Kinder kümmern können. Lassen Sie mich einen Blick in die Statistik werfen. Die AOK hat vor wenigen Tagen den Fehlzeiten-Report 2020 vorgelegt. Darin heißt es, dass erwerbstätige AOK-Versicherte pro erkranktem Kind durchschnittlich 2,3 Kalendertage fehlen; das ist eine sehr geringe Zahl. Häufig geht es dabei um Schnupfen und Husten. Nur in 0,3 Prozent der Fälle sind es mehr als zehn Krankheitstage pro Jahr. Ich hatte anfangs schon von 20 Tagen pro Kind pro Jahr gesprochen, aber nur 0,3 Prozent der Versicherten kommen auf mehr als 10 Tage. Gott sei Dank erkranken Kinder in der Regel nicht so stark. Ich lese mal ein Zitat aus dem Fehlzeiten-Report vor: Insofern werden die gesetzlich zustehenden Freistellungstage von den erwerbstätigen Eltern bei Weitem – bei Weitem! - nicht ausgeschöpft. Das sagt die Statistik. Sie wollen ein Problem lösen, das es überhaupt nicht gibt, das Eltern eigentlich nicht haben. Lassen Sie mich auf das zweite Thema eingehen: auf die Altersgrenze. Hier wird vorgeschlagen, dass Kinder bis zum Alter von 14 Jahren von einem Elternteil zu Hause betreut werden können; bislang liegt die Altersgrenze bei 12 Jahren. Dazu die Alltagserfahrung eines Vaters: Auch wenn ein Kind noch keine zwölf Jahre alt ist, freut es sich, wenn es mal ein paar Stunden allein zu Hause bleiben kann; das kriegt es wahnsinnig gut hin. Die Kinder sind zum Beispiel in der Lage, eine Fernbedienung zu bedienen, und sie sind auch in der Lage, sich eine Tasse Tee aus einer Thermoskanne einzuschenken. Jetzt gibt es den Vorschlag, diese Altersgrenze auf 14 Jahre zu erhöhen. Ich habe mich ganz besonders gewundert, dass die Grünen diesen Vorschlag machen. Sie sagen auf der einen Seite: Kinder sollen mit 14 Jahren wählen können, welches Geschlecht sie haben möchten, ohne die Eltern zu fragen. Sie sollen wählen können, welchen Vornamen sie wünschen; sie sollen ihn einfach ändern können, ohne die Eltern zu fragen. Das trauen Sie Kindern in dem Alter zu! Auf der anderen Seite aber sagen Sie: Kinder mit 14 Jahren brauchen unbedingt Vater oder Mutter, die neben dem Kind sitzen und den Tee einschenken, wenn es eine Erkältung hat, weil das Kind dazu allein nicht in der Lage ist. – Das passt für mich absolut nicht zusammen; das kann ich nicht verstehen. ({0}) Insofern, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir Ihre Vorschläge ablehnen. Die aktuelle Rechtslage ist gut und richtig; sie sollte so beibehalten werden. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der AfD hat als Nächster der Kollege Johannes Huber das Wort. ({0})

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Mitbürger! Liebe Kollegen! In dieser Debatte soll geklärt werden, wie angesichts der Lockdown-Krise die Familie und der Beruf besser miteinander vereinbart werden können. Den linken Erben von Karl Marx ist dabei die arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit wie immer ein Dorn im Auge. Ihr Antrag besteht im Wesentlichen daraus, die durch die Lockdown-Krise bereits gebeutelte Wirtschaft noch weiter in den Abgrund zu stoßen. Sie fordern, dass Arbeitgeber, wenn das Kind eines Arbeitnehmers erkrankt, über die erfolgten Erweiterungen hinaus eine Lohnfortzahlung gewährleisten sollen. Wäre es nur für eine Woche, könnte man noch damit leben. Aber nein, Ihnen schwebt vor, dass Arbeitgeber künftig je nach Erkrankung des Kindes eine Lohnfortzahlung bis zu sechs Wochen vornehmen müssen. Kommt der Arbeitnehmer in dieser Zeit für ein paar Stunden wieder in den Betrieb zurück und unterbricht seine Freistellung, kann er sofort wieder bis zu sechs Wochen verlängern, und das beliebig oft. Was den Kindern also im Ansatz helfen soll, bietet in der Praxis Möglichkeiten für Missbrauch und kann sogar kleine Betriebe in den Ruin führen. ({0}) – Wenn Sie selber denken könnten: Alle Beteiligten haben nicht mehr, sondern weniger Geld. Das sollte auch jenen einleuchten, die es ohne wirtschaftliches Verständnis in den Bundestag geschafft haben. Scheidet der Arbeitgeber wegen der linken Verantwortungslosigkeit aus dem Rennen aus, sollen nach Ihrem Modell als Nächstes die Krankenversicherungen geplündert werden. Wenn es nach der Linken geht, kann nämlich jeder krank sein, so viel er will, und das, was übrig bleibt, auch noch abgreifen. Das scheitert an der Realität. Daher lehnen wir den Gesetzentwurf ab. ({1}) Nun aber zu den magentafarbenen Banknachbarn. Was ist aus der einst so stolzen FDP geworden? Ich wäre ja froh, wenn sich Ihr Antrag wie immer auf mehr Digitalisierung beschränken würde. Aber dann kommt leider noch etwas: Sie fordern sage und schreibe Lohnfortzahlungen sogar während der Schulferien. Die Frage muss Ihnen schon gestellt sein: Wer, bitte, soll das Ganze bezahlen, und wer soll dann überhaupt noch arbeiten? Sie vergessen offenbar all jene, die den Karren in diesem Land bisher vor dem Absaufen bewahrt haben, all jene fleißigen Arbeitnehmer, Selbstständigen und Unternehmer, die dieser Bundesregierung ihre selbstzerstörerische sozialistische Utopie des Great Resets finanzieren. Die Leute da draußen, die teilweise kurz vor dem Ruin stehen, hat die AfD nicht vergessen. Wir haben daher der rein politisch verursachten epidemischen Lage im Bundestag niemals zugestimmt, sondern wollen sie endlich aufheben. ({2}) Zum Antrag der Grünen sei zuletzt gesagt: Sie möchten die Altersgrenze von Kindern, bis zu der Eltern zu Hause bleiben können, von 12 auf 14 Jahre hochsetzen. Anders gesagt: Im großen Kontext trauen Sie Zwölfjährigen zu, für die Deindustrialisierung Deutschlands alleine, ohne Begleitung auf die Straße zu gehen. Sie trauen ihnen aber nicht zu, acht Stunden im Krankheitsfall alleine zu Hause zu bleiben. – Das heißt für mich: Außerhalb Ihres abgehobenen Milieus werden Kinder zum Glück noch zur Selbstständigkeit erzogen. ({3}) Dort können sie, wie der Kollege auch angemerkt hat, sich immer noch alleine ein Butterbrot schmieren. Schlussendlich ist zu allen Anträgen zu sagen: Bevor Sie alle die politisch verursachte Lockdown-Krise für Symptomanträge missbrauchen, helfen Sie unseren Kindern endlich ernsthaft, und beenden Sie zuerst die unwürdige Maskenpflicht an den Schulen! Geben Sie den Kindern endlich ihre reguläre Kindheit zurück! Den Eltern wäre dann geholfen. Sie könnten sich wieder mehr auf die Erwerbsarbeit konzentrieren. Genau das wäre aktuell die beste Lösung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Martina Stamm-Fibich ist für die SPD-Fraktion die nächste Rednerin. ({0})

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer Kinder hat, kennt das Problem: In den Kitas und Schulen geht die Grippe- und Erkältungswelle um, und das Kind liegt zu Hause mit Halsweh, Husten und Fieber im Bett. Wir alle wissen auch, dass ein erkranktes Kind in einer solchen Situation seine Eltern braucht. Das kann für berufstätige Eltern wirklich zum Problem und zu einer Belastung werden. Hinzu kommt aktuell, dass Corona – wie an vielen anderen Stellen auch – zu einer Verschärfung der Situation in vielen Familien geführt hat. Die betroffenen Eltern an dieser Stelle zu entlasten, ist für uns ein essenzieller Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. ({0}) Aus diesem Grund hat die Koalition im Krankenhauszukunftsgesetz die Ausweitung des Kinderkrankengeldanspruchs im SGB V für das Jahr 2020 beschlossen. Gesetzlich versicherte Eltern werden wegen der Coronakrise in diesem Jahr Anspruch auf 5 weitere Kinderkrankengeldtage haben; das ist eine Erhöhung auf insgesamt 15 Tage. Für Alleinerziehende, die bisher 20 Tage zur Verfügung hatten, sollen es 10 Tage mehr sein; sie haben nun Anspruch auf insgesamt 30 Tage Kinderkrankengeld. Das bedeutet aber nicht, dass es mit der Ausweitung des Anspruchs in diesem Jahr für uns getan ist. Im Gegenteil: Ich bin der Meinung, dass wir eine Ausdehnung dieser Regelung auf das Jahr 2021 unbedingt in Erwägung ziehen sollten; ({1}) denn die Situation wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach erst wieder entspannen, wenn ein Impfstoff gegen das Virus zur Verfügung steht. Herr Kollege Krauß, bereits im Jahr 2018 hat der Petitionsausschuss einstimmig dafür gestimmt, die aktuelle Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre anzuheben. Da waren auch Kollegen der Union dabei. ({2}) Dieser Aufforderung ist das BMG bisher nicht nachgekommen. Ich fordere deshalb das BMG auf, noch einmal eingehend darüber nachzudenken, welche Altersgrenze hier tatsächlich Sinn macht. Denn mir leuchtet nicht ein, warum man einen 12-Jährigen mit Fieber, der daheim liegt, betreuen können soll, aber einen 13-Jährigen nicht. Übrigens ist es eine Forderung der Kinder- und Jugendärzte, dass bei einem Besuch ein Elternteil dabei ist. ({3}) Uns ist natürlich klar, dass die von uns beschlossenen Entlastungen aktuell ausschließlich denjenigen zugutekommen, die gesetzlich krankenversichert sind. Hier zeigen sich einmal mehr die Schwachpunkte unseres derzeitigen Systems. Deshalb stimme ich der Problembeschreibung in dem Gesetzentwurf der Linken, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch zu. Ja, es ist korrekt, dass die Regelungen zur Entgeltfortzahlung aus dem BGB vielfach keine Anwendung finden, weil der § 616 BGB in vielen Arbeits- und Tarifverträgen inzwischen ausgeschlossen ist. Das ist ein schwerwiegendes Problem; denn so wird die Betreuung der eigenen Kinder zu einer großen finanziellen Bürde für die Familien, die nicht gesetzlich versichert sind. Hier ist die Lebenswirklichkeit in den Familien zu verbessern. Es wäre in der Tat wichtig, wenn der Anspruch auf das Kinderkrankengeld universell, für alle Eltern, gelten würde. Aber Ihr Lösungsvorschlag ist meiner Meinung nach aus gleich zwei Gründen nicht zielführend. Erstens packt der Vorschlag das Problem nicht bei der Wurzel. ({4}) Anstatt mit Flickwerk die bestehenden getrennten Systeme weiter zu zementieren, brauchen wir ein einheitliches und solidarisches Krankenversicherungssystem, ({5}) das alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig vom Versicherungsstatus absichert. ({6}) Da hilft es auch nichts, wenn in einem ersten Schritt die Arbeitgeberseite für alle in die Pflicht genommen wird. Darüber hinaus sind wir mit der Entfristung des Anspruchs auf das Kinderkrankengeld gegenüber der GKV absolut nicht einverstanden. Das SGB V ist nicht der richtige Ort, um Familien von langfristig erkrankten Kindern zu entlasten. Es ist nicht Aufgabe der GKV, die Langzeitpflege von erkrankten Kindern durch die eigenen Eltern zu finanzieren. Ich möchte noch hinzufügen, dass es zudem bereits heute Ausnahmen von der Begrenzung der Leistungspflicht gibt, zum Beispiel wenn ein Kind einen zunehmend schweren Verlauf bei einer Erkrankung zu erleiden hat oder palliativmedizinisch behandelt wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind dafür, dass Eltern entlastet werden und Unterstützung bekommen. Nur sehen wir das nicht als Unterstützung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Ich fasse hier noch mal zusammen. Die Koalition hat schnell gehandelt, um die zusätzlichen Belastungen für Familien abzufedern. Wir als SPD sind dennoch der Meinung, dass wir die Ausweitung des Anspruchs auf 2021 vornehmen müssen und zumindest über die Anhebung der Altersgrenze auf 14 Jahre nachdenken sollten. Ja, es existiert eine Anspruchslücke für privat versicherte Bürgerinnen und Bürger. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt aber für uns aus den genannten Gründen keine zufriedenstellende Lösung dar. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Grigorios Aggelidis. ({0})

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Familien sind die zentrale und wichtigste Zelle unserer Gesellschaft. Sie zu unterstützen und zu schützen, sind schon in normalen Zeiten besonders wichtige Aufgaben, die wir als Parlament haben. In einer Krisensituation wie dieser müssen wir die Interessen und die besondere Lage von Eltern und Kindern noch mehr berücksichtigen. Wir wollen einerseits Familien vor Corona schützen. Gleichzeitig müssen wir aber sicherstellen, dass sie nicht wieder zu den Hauptverlierern von Corona werden. ({0}) Wir brauchen differenzierte Maßnahmen und keine Pauschalkeule. Wir brauchen endlich eine Vorfahrt für Familien. Ich sage Ihnen, wie Familien nach den letzten sechs harten Monaten jetzt diesen Herbst erleben: Sie leben wieder in ständiger Angst – Angst davor, dass Schulen und Kitas wieder geschlossen werden, auch wenn das Gott sei Dank fürs Erste vom Tisch ist, Angst davor, wieder alleine mit der Doppelbelastung von Familie und Beruf konfrontiert zu sein, Angst vor Infektionen, vor der Situation, die Kinder betreuen zu müssen, entweder weil sie krank sind oder weil Schulen und Kitas ausfallen, also wieder Sorge- bzw. Pflegearbeit und Beruf – auch im Homeoffice – als Dauerdoppelbelastung zu erleben. Und vor allem trifft es die Frauen. Damit komme ich zu den hier vorliegenden Anträgen. Die Grenze bei Krankentagen für Kinder muss in der Pandemie nach unserer Überzeugung ausgesetzt werden. Viele Eltern haben keine Krankentage mehr, weil sie vorbildlich vorsichtig sind, weil sie die Kinder auch bei milden Symptomen lieber zu Hause behalten. Das sollten wir nicht bestrafen. Deshalb fordern wir, die Maximalzahl von Krankentagen in der Pandemie auszusetzen, und zwar jetzt und nicht, wie Die Linke es fordert, in sechs Monaten. ({1}) Mir ist vollkommen bewusst: Das ist ein Baustein. Aber es ist ein wichtiger Baustein, um Eltern die Sicherheit und Kindern die Geborgenheit zu geben, die sie brauchen. Und das muss flankiert werden von einer Lösung für den Fall, dass Kinder, auch wenn sie gesund sind, zu Hause bleiben müssen, weil Schulen und Kitas doch schließen. Wir fordern in unserem Antrag für diesen Fall ganz klar eine finanzielle Absicherung für Eltern – und zwar einfach und unbürokratisch –, die weder zulasten der Eltern noch zulasten der Arbeitgeber geht, die eben genau die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und sichern, die Familien brauchen. ({2}) Einen Gedanken muss ich in diesem Zusammenhang loswerden, auch wenn der Bezug mittelbar ist: Dass es in Deutschland noch immer keine bundeseinheitlichen kindgerechten Regelungen für die häusliche Quarantäne gibt, ist für mich persönlich ein Skandal. Kinder, die als Erstkontakt in Quarantäne sind, dürfen nach einem negativen Testergebnis weder in die Schule noch in die Kita. Sie müssen 14 Tage stumpf ausharren, wenn es streng ist, sogar in ihrem Zimmer. Nicht einmal ein Spaziergang im Wald ohne Kontakte zu anderen ist möglich. Das ist für uns nicht akzeptabel. ({3}) Wir Freien Demokraten unterstützen alle Maßnahmen, die Familien weiterhelfen und ihnen die notwendige Sicherheit geben und die dafür sorgen, dass nicht wieder größtenteils Frauen in einer Lockdown-Situation zurückstecken müssen in der Doppelbelastung durch Beruf und Sorgearbeit. Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam dafür sorgen, dass Familien nicht wieder zu den Hauptverlierern der Pandemie gehören. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Maria Klein-Schmeink. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hause! Es ist in der Tat wichtig, dass wir uns mit der Situation der Familien gerade anlässlich der Coronapandemie beschäftigen. Und wir müssen ganz klar und gemeinsam feststellen: So, wie die Belastung für die Familien in diesem Jahr ausgesehen hat, darf es nicht weitergehen. Da müssen wir adäquate, alltagstaugliche und familienfreundliche Regelungen vorlegen. ({0}) Da nützt es auch nichts, von Wertschätzung der Familien zu sprechen. Wir müssen tatkräftig echte und belastbare Regelungen schaffen. Das ist unsere Aufgabe hier an dieser Stelle. ({1}) Ich muss sagen: Wir sind nicht zufrieden mit dem, was im Krankenhauszukunftsgesetz geregelt worden ist, nämlich die fünf Tage plus bei den Kinderkrankengeldtagen; denn wir wissen jetzt schon, dass sehr viele Familien genau diesen Spielraum längst ausgeschöpft haben und mit Sorge in den Herbst und den Winter schauen. Insofern brauchen wir für die Coronazeit einen deutlich höheren Anspruch auf Kinderkrankengeldtage. Wir schlagen zehn Tage plus und eine entsprechende Regelung für die Alleinerziehenden vor. Ich glaube, das, Herr Krauß, ist das Mindeste, was wir den Familien als Sicherheit geben müssen. Es geht nicht darum, welche Familie durchschnittlich wie viele Kinderkrankengeldtage in Anspruch genommen hat, sondern darum, dass ich, wenn ich Bedarf habe, diesen Bedarf auch tatsächlich anmelden kann. Darum geht es. ({2}) Auch außerhalb der Pandemie gilt – das wissen wir durch viele statistische Zahlen, durch die Erhebungen des RKI –, dass gerade Familien mit kleinen Kindern, mit mehreren Kindern durchaus mehr gefordert sind und daher mehr brauchen als das, was ihnen bisher über den gesetzlichen Leistungsanspruch zusteht. Deshalb müssen wir da nachsteuern. Wir müssen tatsächlich dafür sorgen, dass Familien ihre Verpflichtungen für die Familie mit dem Beruf vereinbaren können und nicht auf Urlaubstage und Ähnliches ausweichen müssen. Deshalb brauchen wir eine Regelung, die auch außerhalb der Pandemie trägt. Da müssen wir für adäquate, alltagstaugliche Hilfen sorgen. Da geht es natürlich erst einmal um Sicherheit, damit ich schon bei der Familiengründung weiß: All diese Ansprüche werde ich haben, wenn ich in diese Situation komme. – Deshalb ist es so wichtig, dass wir nachsteuern. Ich bitte Sie sehr, unsere Anträge wirklich genau anzuschauen und nicht vorab gleich abzuwiegeln, sondern sich diesem Bedarf zu stellen. ({3}) Sie haben gehört, dass es erhebliche Probleme auch bei denjenigen gibt, die nicht gesetzlich versichert sind, die bisher keinen Anspruch einlösen können. Da müssen wir nachsteuern, genauso wie wir bei den Selbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung nachsteuern müssen, die sich bisher nicht auf die Inanspruchnahme von Krankentagen verlassen können. Das schlagen wir Ihnen vor. Ich hoffe sehr, dass Sie sich im Zuge der Anhörungen mit unseren Argumenten und auch den Argumenten der Linken tatsächlich beschäftigen und nicht einfach alles so vom Tisch wischen. Das haben die Familien nicht verdient. Sie haben Unterstützung verdient. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Klein-Schmeink. – Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Torbjörn Kartes. ({0})

Torbjörn Kartes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in der Tat eines der ganz großen Themen unserer Zeit. Familien versuchen, im oft hektischen Alltag zwischen Arbeitsplatz, Kinderbetreuung, Schule, Fußballplatz, Schwimmkurs, Arzttermin, Hausarbeit und vielleicht dem Versuch, auch selbst noch Sport zu machen, zu bestehen. Dies alles war vor Corona schon anspruchsvoll, hat sich aber durch Corona teilweise dramatisch verschärft. Ich denke hierbei insbesondere an die Schließung von Schulen und Kitas. Deswegen vorneweg: Bei all den Ersatzansprüchen, die man sicher auch in ihrer Tragweite debattieren kann, müssen wir – ich glaube, das kann man nicht oft genug sagen – alles dafür tun, damit sich eine erneute Schließung von Schulen und Kitas vermeiden lässt. Dazu kann jeder Einzelne einen entscheidenden Beitrag leisten, indem er sich gerade jetzt an unsere Regeln hält; sonst wird uns das ganz sicher nicht gelingen. In diesen Tagen kann man das, glaube ich, nicht oft genug sagen. ({0}) Aus aktuellem Anlass auch noch vorneweg: Ich bin in diesem Zusammenhang sehr froh, dass am Wochenende eine Tarifeinigung im öffentlichen Dienst erreicht werden konnte. So werden weitere Streiks, insbesondere in den Kitas, verhindert. Ich glaube, das ist durchaus ein respektabler Abschluss, insbesondere für die Arbeitskräfte in der Pflege, aber natürlich auch in den Kitas, die gerade in diesen Zeiten unseren besonderen Dank und auch unsere Anerkennung verdient haben – eben nicht nur mit Worten, sondern auch im Geldbeutel. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass wir durch diese Vorlagen heute noch mal über die Herausforderung von Familien in der Pandemie debattieren und diese in den Fokus stellen. Ich kann nicht auf jede Forderung – es gibt ja eine Vielzahl an Vorlagen – heute eingehen. Aber es gibt mir Gelegenheit, noch mal darauf hinzuweisen, was alles schon erreicht worden ist. Mit den Änderungen im Infektionsschutzgesetz, die oft verkannt werden und noch gar nicht in der Breite der Bevölkerung angekommen sind, und mit den Änderungen zum Kinderkrankengeld – der Kollege Krauß hat dazu hier schon sehr treffend ausgeführt – ist schon einiges bewegt worden, ist gehandelt worden. Das kann man nicht wegdiskutieren, und das macht am Ende eben auch den Unterschied. Wir gestalten, stehen in dieser Krise aber eben weiter für Maß und Mitte. Wir haben die notwendigen Änderungen schnell auf den Weg gebracht, um Familien in dieser Krise bestmöglich zu helfen. Das ist die Handschrift unserer Politik; ich glaube, dass die Menschen das am Ende auch anerkennen. Das zeigt sich im Übrigen auch daran, dass es eine Vielzahl weiterer familienpolitischer Maßnahmen gibt, die ebenfalls in der Krise beschlossen worden sind, wie zum Beispiel der Kinderbonus in Höhe von 300 Euro und die Erhöhung des Kindergeldes, die wir diese Woche noch beschließen werden, sodass wir in dieser Legislaturperiode das Kindergeld um insgesamt 25 Euro erhöhen. Auch das ist eine klare Botschaft, wie wichtig uns Kinder und Familien sind. ({1}) Auch das Thema „Digitalisierung von Familienleistungen“ ist Gegenstand der Anträge. Ich kann das jetzt nicht in vollem Umfang ausführen; aber wir treiben die Digitalisierung voran. Wir arbeiten aktuell daran, Verwaltungsverfahren zu digitalisieren, um insbesondere in der Phase nach der Geburt eines Kindes den Zugang zu Elterngeld und Kindergeld schneller und einfacher machen zu können. Wir sind da, glaube ich, auf einem guten Weg. Angesichts der Alterung unserer Gesellschaft ist am Ende die Frage zentral, wie wir insgesamt kinderfreundlicher, familienfreundlicher werden. Das gilt in Pandemiezeiten, aber auch darüber hinaus. Neben immer besseren Familienleistungen, die wir, glaube ich, haben, ist das insbesondere eine gesellschaftspolitische Frage, eine Kulturfrage. Wir müssen weg von dem Verständnis des Kindes als Störfaktor im Arbeitsverhältnis hin zum Verständnis des Kindes als Gewinn für alle. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Kartes. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir besprechen ein Thema, das die meisten von uns betrifft, weil die meisten von uns Vater oder Mutter sind. Ich glaube, dass Ihr Anspruch, hier Dinge zu verbessern, durchaus gerechtfertigt ist. Es ist notwendig, dass wir über diese Dinge reden, weil es ein Zukunftsthema ist, Familie und Beruf zu vereinbaren. Natürlich geht es auch um den Bereich der Kinderpflege. Auch Jugendliche brauchen in Notsituationen, wenn sie krank sind, ein Elternteil. Wir alle – die Grünen, die FDP und natürlich auch wir als Union – haben uns doch auf die Fahnen geschrieben, wie wichtig uns die Familie ist. Wir erleben doch gerade jetzt, zu Pandemiezeiten, welchen Wert eine funktionierende Familie mit Opa, Oma, Tante, Onkel und auch eine funktionierende Ehe haben. Man bekommt Dinge gemeinschaftlich besser hin, als wenn es diesen Halt nicht gäbe. ({0}) Ich glaube auch, dass wir uns einig sind, dass es eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist, uns hier immer wieder zu verbessern und passgenaue Leistungen anzubieten. In dieser Pandemie sind der Großen Koalition, natürlich mit Unterstützung der Opposition, viele Dinge gelungen. In wirtschaftlicher Hinsicht haben wir den Familien viele Mittel zukommen lassen oder werden sie ihnen durch Beschlüsse künftig noch geben. Ich habe mich diese Woche mit Vertretern des Vereins Familien in der Krise getroffen und habe mit ihnen diese Dinge besprochen. Sie spiegelten mir ihre Erfahrungen wider und sagten: Das eine ist das Finanzielle – ganz klar –, aber das andere ist die zeitliche Situation. – Deshalb ist unser Ansatz in der Pandemie, dass es unser oberstes Ziel ist, Kitas und Schulen so auszurüsten und mit diesem Thema so umzugehen, dass wir diese Einrichtungen offenhalten und Eltern gar nicht in die Situation kommen, dass sie Zeiten haben, in denen sie ihre Kinder alleinlassen müssen. ({1}) Das, glaube ich, ist notwendig. Ich glaube auch, dass die Planbarkeit in der Krise wesentlich ist. Das heißt aber nicht, dass wir uns, beispielsweise was Fehlzeiten und dergleichen betrifft, zurücklehnen können; das sehe ich nicht so. Ich wünsche uns eine konstruktive Diskussion in diesem parlamentarischen Verfahren. Ich glaube schon, dass wir alle so sehr ins Gelingen verliebt sind, dass wir gute Voraussetzungen für Familien mit Kindern schaffen. Das ist wichtig, und das ist auch die DNA der Union. Deshalb packen wir an. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Irlstorfer. – Ich schließe die Aussprache.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Haus werden oft große und spektakuläre Debatten geführt und Entscheidungen getroffen. Manchmal sind es aber gerade die eher unscheinbaren und kleineren Vorhaben, die in der Praxis einen entscheidenden Unterschied machen können. Das gilt insbesondere für die Stellschrauben bei Vorhaben, die einen langen Atem brauchen und die bedeuten, dass man ein dickes Brett bohren muss. Das Engagement gegen Extremismus und gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen ist genau ein solches Beispiel. Mit einer Reihe von disziplinarrechtlichen Veränderungen in der Bundeswehr wollen wir heute einen solchen Schritt gehen. Unser Ziel ist es, das Soldatengesetz schärfer und effizienter zu machen. So wie Peter Struck einmal gesagt hat: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, gilt ganz sicherlich: Ihre Freiheit wird und muss jeden Tag im Alltag verteidigt werden. – Und das gilt auch für den Dienstalltag in und für die Bundeswehr. ({0}) Mit den Gesetzesänderungen wird es erstens möglich sein, Zeitsoldaten bis zu acht Jahre nach Dienstantritt aus dem Dienst zu entlassen, wenn sie sich ein besonders schweres Dienstvergehen haben zuschulden kommen lassen; bisher lag diese Frist bei vier Jahren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Abgeordnete, das ist ein schwerwiegender Eingriff, und darüber ist zu Recht im Vorfeld viel gesprochen worden, sind viele Bedenken geäußert und auch ernst genommen worden. Aber es hat in der Vergangenheit Fälle gegeben, bei denen wir Soldatinnen und Soldaten nicht aus dem Dienst entlassen konnten, eben wegen dieser Fristen, obwohl zum Beispiel ihre verfassungsfeindliche Gesinnung nachgewiesen war. Hier haben wir jetzt eine bessere Handhabe. Demselben Ziel dient – zweitens – auch die Verlängerung von Verjährungsfristen bei einfachen Disziplinarverfahren, die wir von sechs auf zwölf Monate heraufsetzen. Dass man jetzt wesentlich länger gegen entsprechende Soldatinnen und Soldaten im Dienst vorgehen kann, ist nicht nur für die Ahndung einzelner Handlungen wichtig; es erhöht auch die präventive Kraft nach innen. Drittens. Das erreichen wir auch mit einer neuen Regelung, nämlich dadurch, dass wir den unmittelbar zuständigen Disziplinarvorgesetzten in den Dienststellen und Einheiten einen größeren Spielraum bei der Behandlung von Dienstvergehen einräumen. Wo wir vorher oft langwierige Wege über die Truppendienstgerichte beschreiten mussten, kann jetzt schneller und auch näher am Geschehen entschieden werden. Das schafft zügigere Rechtssicherheit, und das ist für alle Beteiligten sinnvoll. Schließlich wird es in Zukunft für Truppendienstgerichte leichter sein, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Wenn der oder die Beschuldigte dann den entsprechenden Bescheid anerkennt, ist Rechtssicherheit hergestellt, und die Gerichte werden entlastet. Diese Reformen mögen auf dem Papier recht technisch wirken; in der Praxis werden sie aber sehr schnell Wirkung erzielen können, und ich bin mir sicher, sie werden auch sehr schnell Wirkung erzielen. ({1}) Wir sorgen dafür, dass das, was heute schon disziplinarrechtlich geahndet wird, künftig schnellere und unmittelbarere Folgen haben kann, haben wird und, ich sage ganz deutlich, auch haben muss. Klare Rechte und Pflichten, klare Konsequenzen bei Dienstvergehen, auch das gehört zu unserer Inneren Führung. Das gehört dazu, wenn die Bundeswehr auch weiterhin im täglichen Leben und im öffentlichen Raum Vorbild sein soll. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächster Redner ist der Kollege Berengar Elsner von Gronow, AfD-Fraktion. ({0})

Berengar Elsner von Gronow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004708, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Regierung ist, einmal vom kostenlosen Bahnfahren abgesehen, genau das, was Sie der AfD immer ungerechtfertigterweise vorwerfen, nämlich blanker Aktionismus und Populismus. ({0}) Im ständig von linken und vormals bürgerlichen Parteien geradezu ikonisch hochstilisierten Kampf gegen Rechtsextremismus, der sich zunehmend zum Kampf gegen rechts oder vielmehr gegen alles, was nicht links ist, entwickelt, wird hier vorgegeben, besser und schneller auf schwere Dienstvergehen in der Bundeswehr reagieren zu können. Dafür bräuchte es die geforderten Änderungen aber nicht. Die bestehenden Regelungen wären völlig ausreichend, würden endlich die seit Jahren etwa vom Wehrbeauftragten kritisierten inakzeptablen Verzögerungen in Disziplinarangelegenheiten abgestellt. Das BMVg scheint hierzu aber nicht willens oder in der Lage zu sein. ({1}) Stattdessen will man früher, härter und öfter durchgreifen, ohne gerichtliche Befassung. Es sollen erst einmal Fakten geschaffen werden, auch wenn in den Leitlinien zur Extremismusprävention festgestellt wird, dass die getroffenen Sanktionen nicht immer gerichtsfest sein können. Betroffene Soldaten stehen gegebenenfalls von heute auf morgen ohne Existenzgrundlage unter ehrabschneidendem Verdacht auf der Straße; der Rechtsschutz ist nur ziemlich theoretisch durch eine nachträgliche verwaltungsgerichtliche Überprüfung möglich. Hier verlässt man sich wohl darauf, dass die meist jungen Betroffenen nicht über die Ressourcen verfügen, den häufig langwierigen Rechtsweg zu beschreiten. ({2}) Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein Weg geschaffen werden soll, nicht nur die, die es tatsächlich verdient haben, sondern auch lediglich unliebsame Soldaten bis zu acht Jahren nach Einstellung einfach entlassen zu können. ({3}) Dies ist fatal; denn das erschüttert das Dienstverhältnis, das gegenseitige Treueverhältnis. Acht Jahre auf Probe dienen zu müssen, immer in Sorge vor hohen Strafen – Sie haben es geschildert –, stellt die Soldaten schlechter im Vergleich zu anderen Staatsdienern und schafft eine Atmosphäre der Angst. Das darf nicht sein; ({4}) denn in einer solchen Atmosphäre entfernten wir uns immer weiter vom Idealbild des mündigen Bürgers in Uniform, der sich eine eigene Meinung bilden kann und darf, auch politisch, und sei sie noch so anders als die der Regierung, solange sie nur nicht strafrechtlich relevant, extremistisch oder verfassungsfeindlich ist. Wenn mögliche Grenzüberschreitungen aber durch einen Verwaltungsakt und nicht mehr gerichtlich festgestellt werden, besteht die Gefahr, dass solche Entscheidungen zunehmend politisch und nicht mehr nach Recht und Gesetz getroffen werden. Wer aber dieses Ideal angreift, legt die Axt an die Grundpfeiler unserer rechtsstaatlichen, freiheitlichen und demokratischen Ordnung. ({5}) Die politischen und weltanschaulichen Einstellungen des Soldaten zu beeinflussen oder gar zu ahnden, solange sie sich im Rahmen der FDGO, im Rahmen unserer Verfassung befinden, steht weder dem Vorgesetzten noch der Politik zu. Wir leben schließlich noch nicht in der DDR 2.0 oder wie in anderen totalitären Staaten, in denen die Angehörigen der Streitkräfte durch die Gefahr außergerichtlicher Schnellverfahren, hoher Strafen oder des Verlustes der Existenzgrundlage auf Regierungslinie gezwungen werden, und das soll auch so bleiben. Bleibt am Ende festzuhalten: Die geplanten Änderungen sind unnötig, unverhältnismäßig, ungerecht, unsozial und politisch gefährlich. Deshalb lehnt die AfD sie entschieden ab. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Eberhard Brecht, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Soldatengesetz definiert Rechte von Soldatinnen und Soldaten, aber auch deren Pflichten. Beim Blick auf die vielen Armeen, die wir in dieser Welt kennen, können wir dankbar sein, in einem Land zu leben, in dem sich Soldaten an den Werten einer demokratischen Verfassung zu orientieren haben, sich im Gegenzug aber auf die Unterstützung des Parlamentes verlassen können. Gesetzesnovellierungen sind immer dann erforderlich, wenn Änderungen von gesellschaftlicher Wirklichkeit eingetreten sind. So sind in der jüngeren Vergangenheit in der Bundeswehr und nicht nur allein im KSK rechtsnationale Einzeltäter, aber auch Netzwerke entstanden, und leider ist auf diese Entwicklung etwas spät reagiert worden. Nun muss der Gesetzgeber noch entschlossener deutlich machen, dass ein Soldat dann die Bundeswehr zu verlassen hat, wenn sich sein Handeln aktiv gegen das Grundgesetz richtet. Ich bin mit Herrn Kollegen von Gronow nicht einverstanden, wenn er in diesem Punkt einen Gesinnungsdruck ausmachen will. ({0}) Ähnlich verhält es sich bei Kindesmissbrauch, Kinderpornografie oder Vergewaltigung von Kameradinnen. Auch diese Delikte können jenseits des Strafrechts bei Angehörigen der Bundeswehr nicht toleriert werden. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, das BMVg setzte im Juni 2019 eine Expertengruppe zur Überarbeitung der Wehrdisziplinarordnung ein. Zielstellung: die Überarbeitung des Wehrdienstdisziplinarrechts, um dieses einfacher, schneller und effektiver zu machen. Bis Oktober 2021 sollte hierzu eine Gesetzesnovelle vorgelegt werden. Nun sind die Juristen des BMVg mit einem Gesetzentwurf vorgeprescht, vermutlich um nach außen hin Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. ({2}) Die SPD-Fraktion hätte es begrüßt, wenn sich die vorgeschlagenen Änderungen in einer Paketlösung auf den gesamten öffentlichen Dienst erstreckt hätten; denn sexuelle Straftaten und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Aktivitäten gibt es ja wohl auch in Behörden oder bei der Polizei. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, bezogen auf den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften möchte ich ankündigen, dass die SPD-Fraktion diesen nicht einfach durchwinken wird. Einige der vorgeschlagenen Änderungen des Soldatengesetzes und der Wehrdisziplinarordnung müssen kritisch hinterfragt werden, so die Verlängerung einer möglichen fristlosen Entlassung nach vier Jahren auf willkürlich gegriffene acht Jahre Bundeswehrzugehörigkeit oder die Erhöhung der Disziplinarbuße von einem auf den doppelten Monatsbetrag der Dienstbezüge. Hingegen begrüße ich die angedachte Verlängerung der Verjährungsfrist von sechs auf zwölf Monate sowie eine mögliche Verfahrensverkürzung durch einen Disziplinargerichtsbescheid, den der Vorsitzende eines Truppendienstgerichts erlassen kann. Frau Ministerin hat darauf hingewiesen. Am Ende sollten auch die erweiterten Rechte der Bundeswehrangehörigen durch die Änderung des § 30 des Soldatengesetzes erwähnt werden. Hierzu gehört die unentgeltliche Beförderung in den öffentlichen Eisenbahnen als Ausdruck der Wertschätzung des Dienstes der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für unser Land. Diese Maßnahme, meine Damen und Herren, wird von der SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich befürwortet. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf steckt – das sieht man bei näherer Betrachtung – die Tücke im Detail. Die gesetzliche Verankerung der kostenlosen Bahnfahrt für Soldatinnen und Soldaten hat rein gar nichts damit zu tun, wie mit Straftaten in der Truppe umgegangen werden soll. Beides in einem Atemzug zu nennen, ist – mit Verlaub – unseriös. ({0}) Ja, wenn es um politischen oder religiösen Extremismus oder andere schwere Straftaten in der Truppe geht, müssen die Truppendienstgerichte knallhart durchgreifen, aber auch umgehend. Ein Verfahren, welches von der Aufnahme der Vorermittlungen bis zur gerichtlichen Entscheidung im Durchschnitt 30 Monate dauert, verhindert eine prompte und effektive Reaktion. Die Antwort auf langwierige truppengerichtliche Verfahren kann daher doch nicht sein, den Zeitraum zu verlängern, innerhalb dessen der Verurteilte fristlos entlassen werden darf, nämlich von vier auf acht Jahre Zugehörigkeit zur Bundeswehr. Die Antwort heißt, deutlich mehr Personal einzustellen, um die Verfahren zu beschleunigen und die Truppengerichte besser auszustatten, um solche Fälle schneller abzuschließen. Die fristlose Entlassung eines Zeitsoldaten, meine Damen und Herren, ist eine folgenschwere Maßnahme und nicht nur ein reiner Verwaltungsakt. Von daher gehört ein solch hartes Urteil einem Rechtsstaat entsprechend sorgsam geprüft und begründet. Hinzu kommt, dass die rechtsradikalen Vorkommnisse der letzten Monate, die ja Auslöser dieses Gesetzentwurfs sind und uns alle geschockt und dazu geführt haben, dass innerhalb der Truppe vieles zu Recht auf den Prüfstand gestellt wurde, von der hier diskutierten Regelung gar nicht betroffen sind, da es sich in all diesen Fällen um Berufssoldaten handelt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen aber ausschließlich Soldaten und Soldatinnen auf Zeit. Es ist, meine Damen und Herren, unsere Aufgabe, die Bundeswehr dabei zu unterstützen, jeden Extremisten, jeden Schwerstkriminellen schnell zu enttarnen und aus der Bundeswehr zu entfernen. Frau Ministerin, da haben Sie unsere volle Unterstützung. Diese Frage kann aber nicht durch pauschale Fristverlängerung beantwortet werden, die überdies auch noch den Eindruck erweckt, die Bundeswehr in Gänze hätte ein Extremismusproblem. Meine Damen und Herren, wir sollten aufpassen, dass wir nicht 180 000 Soldatinnen und Soldaten unter Generalverdacht stellen. ({1}) Wir regen daher dringend an, wir bitten Sie darum, eine Anhörung mit Experten vor der zweiten und dritten Lesung anzusetzen, um uns hier im Hause eben nicht dem Verdacht auszusetzen, dass bei der Bundeswehr im Gegensatz zum Polizeidienst andere Gesetze angewendet werden; denn bei der Polizei ist es anders, bei anderen Uniformträgern ist es anders. Umso wichtiger ist es, dass wir uns an dieser Stelle eine gewisse Expertise anhören. Wir wünschen uns, dass wir das in der Kürze der Zeit aufsetzen können. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Matthias Höhn, Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon darauf hingewiesen worden: Soldatenrechtliche Vorschriften – das klingt jetzt nicht besonders spannend oder wichtig. Das ist es aber in der Tat. Deswegen: Frau Ministerin, auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums war zu lesen, der Gesetzentwurf sei ein weiteres „Instrument …, die Bundeswehr von Extremisten, die dem Ansehen der Bundeswehr nach innen und nach außen schaden, freizuhalten“. Ich hoffe, dass wir uns darüber einig sind, dass das Thema Extremismus – im Wesentlichen reden wir hier über Rechtsextremismus – nicht nur ein Ansehens- bzw. ein Imageproblem ist, sondern dass dieser mit dem, was wir als Parlament von unserer Parlamentsarmee erwarten, unvereinbar und ein Sicherheitsrisiko für unsere Gesellschaft ist und deswegen bekämpft werden muss. ({0}) Ich möchte eine zweite Bemerkung zu den Instrumenten, die Sie vorschlagen – Stichwort: Disziplinarrecht –, machen. Ich will für meine Fraktion sagen, dass wir sehr wohl bereit sind, auch sehr konstruktiv über diese Dinge zu sprechen, die Sie hier vorgeschlagen haben. Ich bin, gerade was die Vier-Jahres- bzw. Acht-Jahres-Regelung bei den Soldatinnen und Soldaten auf Zeit betrifft, bei Weitem nicht so kritisch wie der eine oder andere Vorredner. Das ist ein Schritt, den wir uns durchaus vorstellen können. Weil Sie von der AfD-Fraktion von einem Klima der Angst sprachen, das in der Bundeswehr mit solchen Regeln verbreitet werden würde, will ich Ihnen sagen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Rechtsextremismus verbreitet ein Klima der Angst, ({1}) und deswegen müssen wir über jedes Mittel reden. ({2}) – Herr Kollege, wenn Sie mir das erste linksextreme Netzwerk in der Bundeswehr gezeigt haben, dann bin ich bereit, über das Thema Linksextremismus hier mit Ihnen zu diskutieren. ({3}) Dritte Bemerkung: Die Ministerin hat in ihrer Einbringungsrede ja darauf verzichtet, über das Thema „kostenlose Bahnfahrten für Soldatinnen und Soldaten“ zu sprechen. Ehrlich gesagt: Auch ich hätte nicht so richtig gewusst, wie ich diesen Gesetzentwurf mit diesem Thema verknüpfen sollte. Deswegen will ich ausdrücklich sagen: Die Frage der kostenlosen Bahnfahrten für Soldatinnen und Soldaten hat in diesem Gesetzentwurf nun wirklich nichts zu suchen, Frau Ministerin. ({4}) Unabhängig von der formalen Frage, ob es in diesen oder in einen anderen Gesetzentwurf gehört, bzw. von der Frage, wie wir das regeln, ({5}) will ich für meine Fraktion, Kollege Otte, zwei Dinge sagen. Zunächst: Sie haben mir bis heute nicht nachvollziehbar erklären können, warum das kostenlose Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten nur gilt, wenn die Soldatinnen und Soldaten Uniform tragen, ({6}) und warum sie nicht auch wertgeschätzt werden, wenn sie keine Uniform tragen; das haben Sie bis heute nicht beantwortet. ({7}) Zweitens haben Sie mir bis heute nicht beantwortet, warum eigentlich nur Soldatinnen und Soldaten durch kostenlose Bahnfahrten wertgeschätzt werden, nicht aber die Heldinnen und Helden dieser Zeit; denn sie dürfen nicht kostenlos Bahn fahren. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verlangen viel von den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Ihre Aufgabe ist kein Beruf wie jeder andere auch. Regierung und Parlament entsenden sie in lebensgefährliche Auslandseinsätze. Wir schulden ihnen Respekt, fairen Umgang und Dankbarkeit. ({0}) Der Großteil von ihnen leistet einen außerordentlichen Dienst mit einer oft beeindruckenden Motivation. Viele von ihnen durfte ich in den letzten Jahren kennenlernen – und ja, deshalb kommt das von Herzen. ({1}) Weil es aber eine so besondere Verantwortung ist, stellen wir als Gesellschaft auch zu Recht hohe Anforderungen an alle, die im Auftrag des Staates das Gewaltmonopol ausüben. Wer Feind unseres Grundgesetzes ist, der kann kein Diener unseres Staates sein. ({2}) Das haben wir in den letzten Jahren auch bei den enttarnten Islamisten in der Bundeswehr – auch da gab es einige Fälle – immer so im Ausschuss diskutiert. Das muss für alle gelten. Ein Blick auf Anzahl und Schwere der Fälle zeigt: Das größte Risiko sind Rechtsextremisten. Hitlergrüße, Nazimusik, der Fall Franco A., Listen mit den Privatadressen von Politikerinnen und Politikern, Waffenlager im Garten eines KSK-Soldaten und dann noch Verbindungen zwischen all diesen Enthüllungen: Die Liste der Vorfälle ist lang, und die Vorwürfe wiegen sehr schwer. Jeder Rechtsextremist in der Bundeswehr beschädigt nicht nur das wichtige Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden, sondern auch den wertvollen Dienst vieler Soldatinnen und Soldaten. ({3}) Rechtsextremisten, die Zugang zu Sprengstoff und Waffen haben, sind eine besondere Gefahr für unsere Sicherheit und für unsere Demokratie, und dagegen müssen wir hart und konsequent vorgehen. ({4}) Bisher können Soldatinnen und Soldaten auf Zeit bei besonders schweren Dienstvergehen nur bis zum vierten Dienstjahr fristlos entlassen werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das nun bis zum achten Jahr möglich sein. Ich nehme die Bedenken, die ich aus der Bundeswehr höre, nicht auf die leichte Schulter, und in einem Punkt stimme ich Ihnen auch zu: Es ist nicht ersichtlich, warum das allein für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit gelten sollte. Da komme ich aber zu einem ganz anderen Schluss als die Kollegin Strack-Zimmermann, nämlich nicht dazu, nichts zu tun, sondern, Frau Ministerin, Sie sollten sich beim Innenminister dafür einsetzen, dass es ähnliche Regelungen für den ganzen öffentlichen Dienst und auch für den Polizeidienst gibt. ({5}) Die konkret vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind richtig, auch mit der Verlängerung der Fristen, der Stärkung der Vorgesetzten; aber sie lösen den Kern des Problems noch nicht. Dass enttarnte Rechtsextremisten noch viel zu lange, über Jahre teilweise, in der Bundeswehr bleiben können, das ist unerträglich und dafür müssen vor allen Dingen die Verfahren gegen Rechtsextremisten schneller entschieden und durchgesetzt werden. Dafür braucht es mehr Kapazität und mehr Personal bei den Truppendienstgerichten. ({6}) Viel zu lange haben Ministerium und MAD die Gefahr von rechts verkannt und kleingeredet. Der Zeitpunkt für entschiedenes Handeln war im Sommer dieses Jahres mehr als überfällig. Ob und wie der Maßnahmenkatalog der Ministerin mit Leben gefüllt wird, das werden wir sehr kritisch und sehr eng im Parlament begleiten; das verspreche ich Ihnen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn unsere Demokratie, unser Rechtsstaat und unsere Sicherheitsbehörden, sie müssen konsequenter, handlungsfähiger und wehrhafter gegen die Gefahren von Rechtsextremisten und anderen Demokratiefeinden werden. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Kerstin Vieregge, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetz zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften sollen Angelegenheiten geregelt werden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen sehen wir die Änderungen im Soldatengesetz und in der Wehrdisziplinarordnung, welche die Möglichkeiten des Dienstherrn zu einer Reaktion auf besonders schwere Dienstvergehen schärfen sollen. Wir sehen aber auch die Änderung der rechtlichen Grundlage, die für die kostenlose Bahnfahrt von Soldatinnen und Soldaten geschaffen wird. Lassen Sie uns zunächst auf den eher schwierigen Aspekt blicken, nämlich die verschärften Maßnahmen bei besonders schweren Dienstvergehen. Durch die Neufassung im Soldatengesetz soll es zukünftig möglich sein, Zeitsoldaten bis zum Ende des achten Dienstjahrs fristlos aus den Streitkräften zu entlassen, und zwar ohne Verurteilung oder gerichtliches Disziplinarverfahren, nur durch einen einfachen Verwaltungsakt. Bislang war dies nur bis zum Ende des vierten Dienstjahres möglich.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Nun fragt man sich: Was sind denn besonders schwere Fälle von Dienstpflichtverletzungen? Als Beispiel wird immer wieder politischer Extremismus genannt. „Faule Äpfel“ sollen also möglichst effektiv aus dem Dienst entfernt werden, und dieses Anliegen ist verständlich, wichtig und richtig; denn politischer Extremismus als Gegenteil von Rechtsstaatlichkeit hat in der Bundeswehr keinen Platz. ({0}) Doch ist dieses Instrument auch das passende? Viele Fragen können in der jetzigen Debatte nicht beantwortet werden. Wir werden aber im Verteidigungsausschuss die Gelegenheit haben, diese zu diskutieren. Außerdem sollten wir insgesamt alle ruhig mehr Vertrauen in die Mitarbeiter des Ministeriums haben. ({1}) Nun zum unstrittigen Teil, nämlich den Bahnreisen. Ohne Zweifel wurde hier eine Erfolgsgeschichte geschaffen, die den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr wirklich etwas bringt – zumindest denen, die die Bahn auch nutzen. Es ist toll, dass diese Maßnahme so gut angenommen wird und dadurch die Bundeswehr wieder in das Blickfeld der Bevölkerung rückt. Viele von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, reisen regelmäßig mit der Bahn; so auch ich. Und jeden Freitagnachmittag freue ich mich aufs Neue darüber, wenn ich am Hauptbahnhof an Bahnsteigen und in Zügen auf einmal Uniformen der Bundeswehr sehe. Ob Feld- oder Dienstanzug, es ist eine klare Wahrnehmung. Es bereitet einfach Freude, die Männer und Frauen unserer Armee wie selbstverständlich im öffentlichen Leben zu sehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und durch sie auch ein Stück Sicherheit zu spüren. ({2}) Es wurde höchste Zeit, die Bundeswehr auch auf diese Art und Weise wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung zurückzuholen. ({3}) Der neue § 30 Absatz 6 des Soldatengesetzes schafft also nicht nur eine gesetzliche Verankerung, sondern sorgt auch für Berufszufriedenheit, öffentliche Aufmerksamkeit, eventuell sogar neue Bewerber und auf jeden Fall auch Anerkennung. Ich freue mich darüber, als Mitglied dieses Parlaments unseren Soldatinnen und Soldaten etwas Gutes zu tun. Gerade jetzt, mitten in der Coronakrise, ist es wichtig, den Frauen und Männern der Bundeswehr wieder einmal vielen Dank für ihren Dienst zu sagen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vieregge. Nachdem es dem Kollegen Nolte gelungen ist, den zuständigen Parlamentarischen Geschäftsführer doch noch herbeizuschaffen, erlaube ich eine Kurzintervention des Kollegen Nolte.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Eine Frage an die Kollegin oder eigentlich an Ihre Partei: Jetzt soll es ja so sein, dass ein Soldat während der ersten acht Jahre entlassen werden kann, wenn sein weiteres Verbleiben im Dienst das Ansehen der Bundeswehr beschädigen würde. Es ist noch nicht lange her, da wurde der Untersuchungsausschuss beendet, der nachgewiesen hat, dass das BMVg unter der Verantwortung von Ursula von der Leyen aus Ihrer Partei zwei Jahre lang systematisch geltendes Recht missachtet hat. Das hat dem Ansehen der Politik geschadet und auch dem Ansehen der Bundeswehr. Und wie haben Sie reagiert? Sie haben Frau von der Leyen befördert; sie hat einen politischen Spitzenposten bekommen. Meine Frage ist daher, ob Sie nicht meinen, dass Sie an den Maßstäben, die Sie an die Soldaten anlegen, nicht zuallererst sich selbst messen sollten. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Vieregge, Sie können, müssen aber nicht antworten.

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich mache es ganz kurz. – Wie ich vorhin betont habe: Dies ist jetzt die erste Lesung. Wir haben viel Zeit, das Ganze im Ausschuss zu diskutieren. Dann können wir das meinetwegen machen, aber nicht jetzt an dieser Stelle und auf diesem Niveau. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstes Beispiel: Ein Offizier der Bundeswehr gibt sich eine falsche Identität und meldet sich als Asylsuchender an. Er versteckt eine Schusswaffe auf einem Flughafen. Terrorverdacht liegt auf der Hand. Zweites Beispiel: Ein Portepeeunteroffizier in der Nähe von Freiburg wird wegen Vergewaltigung und Kindesmissbrauchs zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Drittes Beispiel: Ein Portepeeunteroffizier des Kommandos Spezialkräfte legt in seinem Garten ein Waffen- und Munitionsdepot an, zum Teil mit gestohlener Munition aus dem KSK. Beispiele wie diese machen klar: Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt sie wirklich, diese besonders schweren Dienstvergehen, ({0}) die eine sofortige Entlassung aus der Bundeswehr nicht nur rechtfertigen, sondern erfordern. ({1}) Wer in so eklatanter Weise seinen Diensteid gebrochen hat, kann nicht Soldat oder Soldatin der Bundeswehr bleiben. Wer sich so verhält, ist kein Kamerad. Wer aktiv die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft, ist kein Staatsbürger in Uniform. ({2}) Sie aus der Bundeswehr zu entfernen, dient dem Schutz der Grundwerte unserer Streitkräfte und aller Soldatinnen und Soldaten, die der Bundesrepublik treu dienen, so wie sie es geschworen haben. ({3}) Der Ansatz des Bundesverteidigungsministeriums ist deshalb richtig. Es ist richtig, in besonders schweren Fällen die Möglichkeit zur fristlosen Entlassung auszuweiten. Der Rechtsschutz der Betroffenen wird dadurch nicht ausgehebelt. Sollten sie ungerecht behandelt worden sein, so können sie sich durch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich dagegen zur Wehr setzen. ({4}) Allerdings löst der vorliegende Vorschlag das Problem nicht. Die Verdoppelung des Zeitraums, innerhalb dessen Zeitsoldaten fristlos entlassen werden können, von vier auf acht Jahre hätte in keinem der drei genannten Fälle etwas bewirkt. ({5}) Es handelte sich bei allen dreien um Berufssoldaten. Meine Damen und Herren, es erschließt sich meiner Fraktion deshalb nicht, warum im besonders schweren Fall nur ein Zeitsoldat fristlos entlassen werden kann. In den wenigen wirklich dramatischen Fällen der letzten Jahre waren es samt und sonders Berufssoldaten mit längerer Dienstzeit. Als Vorgesetzte hatten sie eine besondere Verantwortung, eine besondere Strahlkraft, derer sie sich bewusst sein mussten. Auch das dürfen wir nicht außer Acht lassen. In der Bundeswehr bleiben können sie in keinem Falle. Aber es ist inakzeptabel, dass es im Schnitt 30 Monate dauert, bis sie rechtskräftig aus der Truppe entfernt werden. Diesen Punkt werden wir bei der Beratung der Vorlage im Verteidigungsausschuss noch einmal grundsätzlich diskutieren. ({6}) Die SPD plädiert dafür, dass die fristlose Entlassung in besonders schweren Fällen auch ohne zeitliche Begrenzung erfolgen kann. Ich danke Ihnen. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Felgentreu. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt wird der Kollege Jens Lehmann, CDU/CSU-Fraktion, sein. ({0})

Jens Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften sprechen und ich die Kritik aus Teilen der Opposition höre, dass dieser Gesetzentwurf die Soldaten schlechterstellt, dann erinnere ich höflich an die §§ 8 und 9 des Soldatengesetzes. Denn unsere Soldaten, die sich dem § 8, dem Eintreten für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, und dem § 9, dem Gelöbnis, verpflichtet fühlen, können durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht schlechtergestellt werden. Lassen Sie mich dies kurz begründen: Jeder Soldat, der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt, hat aus meiner Sicht eine gefestigte pluralistisch geprägte politische Meinung und eine gesunde Einstellung zu unserer parlamentarischen Demokratie und ist damit keiner extremen politischen Richtung zuzuordnen, worauf das Gesetz abzielt. Daher können die bereits durch Frau Bundesministerin Kramp-Karrenbauer und meine Kollegin Kerstin Vieregge aufgezählten Beispiele keine Schlechterstellung sein. Die zu beschließenden Gesetzesänderungen zielen darauf ab, dass die Bundeswehr Mittel an die Hand bekommt, gegen jene wirksamer vorzugehen, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen. Das ist nicht die Mehrheit, sondern nur eine verschwindend kleine Minderheit, die aber dem tadellosen Ruf aller Soldaten und der Bundeswehr durch ihre extremen politischen Ansichten massiven Schaden zufügt. Es wird von vielen Abgeordneten hier im Haus immer wieder gefordert, die Bundeswehr besser auszustatten. Dies gilt in erster Linie natürlich für die materielle Ausrüstung, aber dies gilt auch für andere Bereiche, beispielsweise das Wehrdisziplinarrecht. Mit der vorliegenden Änderung erhalten Vorgesetzte bei kleineren Vergehen die Möglichkeit, disziplinarische Maßnahmen noch differenzierter zu gestalten. Hier geben wir der Bundeswehr bei äußerst schweren Fällen mehr Möglichkeiten, auf die Schwere der Fälle zu reagieren. Selbstverständlich müssen und werden wir über die Angemessenheit jener Änderung im vorliegenden Gesetzentwurf im Verteidigungsausschuss reden. Wir werden darüber diskutieren müssen und werden abwägen, ob der Dienstherr noch bis zum Ende des achten Dienstjahres fristlos entlassen kann, wenn dem Betreffenden ein besonders schwerer Fall einer Dienstrechtsverletzung nachgewiesen werden kann. Das heute eröffnete parlamentarische Verfahren zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften bietet uns die Gelegenheit, den vorliegenden Entwurf zu prüfen, zu einem wirksamen Werkzeug für die Bundeswehr, gegen extremistische Ansichten innerhalb der eigenen Reihen weiterzuentwickeln und die Interessen aller rechtschaffenen Soldaten zu wahren. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Hoffnung. Ja, ich habe Hoffnung, dass eines Tages Frauen und Männer tatsächlich gleichberechtigt sind. Wie hart wurde doch dieser Passus zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern, allen voran von Elisabeth Selbert, in unser Grundgesetz hineingekämpft. Dieser Satz von der Gleichberechtigung gilt bis heute, und er ist uns in der Politik Verpflichtung, nach innen und nach außen. ({0}) Heute stehe ich hier vor Ihnen und schiebe die Schatten des Zweifels beiseite, die sich hoffentlich nie als trügerisch erweisen werden, was die Gleichstellung angeht. Frauen – das lernte ich schon beizeiten – sind weltweit die Leidtragenden von Krisen und Kriegen. Dennoch können wir beobachten, wie viel Stärke doch in dem angeblich so schwachen Geschlecht steckt. Ich bin froh, dass unser Außenminister Heiko Maas nie müde wird, bei multilateralen Bemühungen und Anstrengungen, bei der zivilen Krisenprävention oder bei der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten stets die Geschlechtergerechtigkeit mitzudenken. ({1}) Er und wir in der Sozialdemokratie unterstützen seit jeher jene zivilgesellschaftlichen Prozesse und Akteursgruppen, die sich aktiv für Frauen- und Menschenrechte einsetzen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen jährt sich nun also die Verabschiedung der UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit zum 20. Mal. Gute Bildung, Teilhabe, politische Partizipation, Freiheit und, ja, auch Selbstbestimmung waren immer schon Themen emanzipatorischer Bewegungen und damit bereits seit August Bebel und der Veröffentlichung seines Hauptwerkes „Die Frau und der Sozialismus“ in der Sozialdemokratie zu Hause. Man schrieb damals das Jahr 1879. Anerkennung und Gleichberechtigung, das bleibt für uns Frauen weltweit ein Kampf gegen jede Form des biologistischen Sexismus. Gleichwohl, auf dem Weg dahin, liebe Kolleginnen und Kollegen, errangen wir einige Erfolge. Gender Mainstreaming etwa ist im Amsterdamer Vertrag eine der gesetzlichen Grundlagen. ({2}) EU-weit darf es seitdem keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes mehr geben. Dieses Prinzip wurde hart erkämpft. Es ist nicht hinnehmbar, dass es heute infrage gestellt wird, etwa von Populisten, die als Abtreibungsgegner gegen Frauen und ihre Ärztinnen und Ärzte Front machen, oder von Neofaschisten, die Frauen lediglich zum Heimchen am Herd, zur Dienstmagd oder gar zur Zwangsprostitution degradieren wollen. ({3}) Krisenprävention, Stabilisierung und Friedenssicherung sowie der Kampf für Frauenrechte sind für die deutsche Außenpolitik sozialdemokratischer Provenienz nicht nur Verpflichtung, sondern auch eine Erfolgsgeschichte. Erst jüngst konnten wir das Europäische Kompetenzzentrum für Ziviles Krisenmanagement, das unter Gendergesichtspunkten arbeiten wird, hier in Berlin einweihen. Es geht um Arbeit, Geld, Bildung, Zeit, Macht und Gesundheit. Die aktuelle Coronakrise zeigt uns allerdings wie unter dem Brennglas, wie viel weltweit noch zu tun bleibt, sei es bei der Bekämpfung von Fluchtursachen oder beim Schutz von Frauen und ihren Kindern auf traumatisierenden Fluchtwegen. Immer dann, wenn Frauen Opfer von Menschenhandel oder Menschenschmuggel werden, ist es gut, dass die deutsche Außenpolitik ihre Stimme erhebt und dieses frauenverachtende Verhalten ächtet. ({4}) Ja, wir dürfen stolz darauf sein, dass Außenminister Heiko Maas ein Feminist ist. ({5}) Er beweist dies etwa bei der Kreierung von Frauennetzwerken, bei der Selbstverpflichtung, bei der Schaffung von Leitlinien, beim Kampf von Rechtsstaatlichkeit – ich weiß, damit haben Sie von der AfD nichts am Hut – oder durch sein Drängen und seine konsequente Einbindung von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Noch lange bevor UN-Generalsekretär Antonió Guterres in seinem Weckruf anmahnte, die Weltgemeinschaft solle doch bitte zur Kenntnis nehmen, dass die Coronapandemie verheerende Konsequenzen für das Leben von Frauen und Mädchen habe, hatte der Minister bereits reagiert, etwa durch verschiedene Programme, Maßnahmen oder einen zusätzlichen Mitteleinsatz. Es freut mich regelrecht, dass Sie das stört; das ist an die Adresse der AfD-Herren gerichtet. ({6}) Covid-19 zeigt uns auch, wie fragil unsere Erfolge in der weltweiten Bekämpfung von Sexismus und Frauenfeindlichkeit sind; das beweisen Sie ja immer und immer wieder. ({7}) Meine Damen und Herren von der Union, ich verstehe allerdings nicht, warum Sie den gemeinsamen Antrag zur gleichstellungsorientierten Außenpolitik haben willentlich scheitern lassen. Der Zugang zu Trinkwasser, Hygiene, Energieversorgung, zivile Friedensdienste, der Einsatz von Gewaltprävention, die Berücksichtigung von Gleichstellung bei der Vergabe von Projektmitteln – dies sind nur wenige Beispiele, die ich mit den Kolleginnen Elisabeth Motschmann, Ursula Groden-Kranich und Gisela Manderla in einem gemeinsamen Antrag verankert sehen wollte. Die Hoffnung, dass wir dies heute hier würden vorstellen können, wurde durch eine enge Zusammenarbeit genährt, für die ich mich bei den genannten Kolleginnen ausdrücklich bedanken möchte. Lassen Sie mich das Scheitern des Antrages rekonstruieren. Erst in der vergangenen Woche fügten Unionsvertreter in einen Passus, in dem es um die Bekämpfung von sexualisierter geschlechtsspezifischer Gewalt und um sexuelle und reproduktive Gesundheit ging, ein, unter der Maßgabe der Wahrung des Schutzes des ungeborenen Lebens solle beraten werden. – À la bonne heure, meine Damen und Herren von der Union. ({8}) Wem wollen Sie damit dienen? Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie damit aggressiven, selbsternannten Lebensschützern und frauenverachtenden Entwicklungen Tür und Tor öffnen? Ich will klarstellen: Auch die SPD ist für Lebensschutz, ({9}) aber das, meine Damen und Herren, geht nicht. ({10}) Ihre Bemühungen in allen Ehren: Ich verstehe nicht, dass Sie, wenn Sie die Chance haben, die Welt für Frauen und Mädchen, aber auch für Jungen und Männer zum Besseren zu wenden, diese nicht nutzen. ({11}) Die Sozialdemokratie wird diese rote Linie jedenfalls nicht überschreiten. Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Petr Bystron, AfD-Fraktion. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ({0}) Wir blicken zurück auf 20 Jahre UN-Resolution „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Wenn ich die wolkigen Luftblasen in Ihren Anträgen mit den tatsächlichen Ergebnissen dieser 20 Jahre feministischer Außenpolitik vergleiche, muss ich feststellen: Sie tragen zwar die Rechte der Frauen wie eine Monstranz vor sich her, ({1}) in Wirklichkeit betreiben Sie aber die Destabilisierung anderer Länder und die Zerrüttung angestammter Kulturen unter dem Deckmantel des Feminismus und der Friedensförderung. ({2}) Sie missbrauchen die Frauen nur als Mittel für die Durchsetzung einer globalistischen Agenda. ({3}) Die UN-Resolution 1325 fordert, Krisenprävention zu betreiben, also Krisenverhinderung. Das Ergebnis Ihrer Bemühungen ist jedoch das genaue Gegenteil: Sie haben in den letzten 20 Jahren mit Ihren permanenten Einmischungen in innere Angelegenheiten anderer Länder immer neue Krisen geschaffen, Beispiel Arabischer Frühling. Sie haben in Ägypten Tausende Frauen auf dem Tahrir-Platz zum Aufstand angestachelt. ({4}) Und was ist das Ergebnis? Eine Regierung der islamischen Muslimbrüderschaft. Bravo, bravo! ({5}) Und was sind die Erfolge? Was sind Ihre Vorzeigeländer? Tunesien, 2014, Geschlechterparität in der politischen Vertretung als Staatsziel festgesetzt, 50 Prozent weibliche Kandidaten, ganz im Interesse der feministischen Außenpolitik – ein Vorzeigeland also. Komisch, komisch: Warum sind Sie dann gegen Rückführungen in dieses Land? ({6}) Warum fordern Sie NGOs auf, die 10, 15 Meilen vor der Küste Afrikas Migranten aus dem Meer fischen, nicht dazu auf, diese in dieses ach so wunderbare Land zu bringen? Warum unterstützen Sie stattdessen die NGOs dabei, ebendiese Migranten 400 Kilometer weit in die andere Richtung, nämlich nach Europa, zu bringen? ({7}) Wissen Sie, da kommt schon die Frage auf: Was ist das eigentliche Ziel hinter der globalen Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“? ({8}) Sie zerrütten angestammte Gesellschaften. Sie befeuern Regimewechsel. ({9}) Wenn es für Sie gut läuft, kommen Frauen an die Macht, ohne Machtbasis im eigenen Land, ohne Rückhalt in der Gesellschaft, anfällig dafür, willfährige Marionetten Ihrer internationalistischen Netzwerke zu werden, ({10}) wie Julija Tymoschenko in der Ukraine oder gerade jetzt Swetlana Tichanowskaja in Weißrussland. ({11}) Und wenn es schiefläuft, gibt es zumindest Zerrüttung, Krisen, Bürgerkriege – eben Fluchtursachen, um durch Migrationsströme die europäischen Ankunftsländer, hier vor allem Deutschland, zu schwächen und zu destabilisieren. Dafür geben wir keine 2 Milliarden Euro aus. Das unterstützen wir von der AfD auf keinen Fall. Danke. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Darf ich vielleicht um etwas Ruhe bitten? – Ich nehme an, dass der Kollege Bystron das Tragen der Maske in der Aufregung gerade vergessen hat. ({0}) – Also, wenn Sie mir jetzt sagen, Herr Kollege Hampel, dass das Absicht war, dann müsste ich einen Ordnungsruf erteilen. ({1}) – Bei allem Respekt: Eine Inhaltskontrolle von Reden durch das Präsidium findet nicht statt. Das muss uns nicht gefallen, aber das ist leider – oder Gott sei Dank – so. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Elisabeth Motschmann das Wort. ({2})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bystron, wo sind eigentlich die Frauen der AfD bei dieser Debatte? ({0}) Sie schicken sie lieber an den heimischen Herd und lassen sie hier nicht auftreten. Nun denn!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Motschmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, erlaube ich nicht. ({0}) Blicken wir zu Beginn meiner Rede auf Frauen, die bereits heute höchste politische Ämter und außenpolitische Verantwortung ausüben: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Premierministerin Jacinda Ardern aus Neuseeland, Ministerpräsidentin Sanna Marin aus Finnland. Alle drei vertreten ihre Länder nach innen und außen, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit ganz großem Erfolg, ({1}) übrigens auch in der globalen Coronapandemie. Schauen wir auf Belarus: Drei starke Frauen kämpfen mutig für Freiheit und Demokratie im In- und Ausland. Wie sich diese Frauen innerhalb kürzester Zeit gegen den Diktator Lukaschenko formiert haben, dafür habe ich allerhöchsten Respekt. ({2}) Was sagt uns das? Frauen sind imstande, jedes, aber auch wirklich jedes politische Amt und jede Aufgabe hervorragend auszuführen. ({3}) – Ja, das haben Sie noch nicht kapiert, aber irgendwann werden Sie es vielleicht noch mal lernen. ({4}) Umso erstaunlicher ist es doch, dass Außenpolitik noch immer weitgehend ohne Frauen auszukommen scheint. Derzeit haben wir übrigens elf Außenministerinnen, von 193 Nationen dieser Welt. Das, meine Damen und Herren, ist eine Bilanz, die nicht akzeptabel ist. ({5}) Natürlich muss sich das ändern. Es kann doch nicht sein, dass in diesem zentral wichtigen politischen Feld an den Verhandlungstischen, auf den Podien, in den Arbeitsgruppen und auch in den Medien kaum Frauen zu finden sind. ({6}) Außen- und Sicherheitspolitik ist national und international noch immer eine Männerdomäne; ich sage: leider. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist übrigens das beste Beispiel dafür. Wenn der Hälfte der Bevölkerung an den außenpolitischen Verhandlungstischen dieser Welt kein Platz eingeräumt wird, dann ist das im 21. Jahrhundert eine beschämende Gesamtbilanz. ({7}) Niemand kann bestreiten, dass Frauen überproportional von Kriegen, Pandemien oder Naturkatastrophen betroffen sind. Machen wir uns nichts vor: Wenn bewaffnete Konflikte ausbrechen, sind Frauen und Kinder die Hauptleidtragenden. Die UN-Resolution 1325 fordert alle Akteure auf, die Beteiligung von Frauen zu erhöhen und Genderperspektiven in allen Friedens- und Sicherheitsbemühungen aufzunehmen. Und wo ist die Umsetzung? Seit 1998 sind nur 8 Prozent aller großen Friedensabkommen unter Beteiligung von Frauen erarbeitet worden; das entnehme ich dem Antrag der Linken. Es hat sich inzwischen gezeigt: Die Anwesenheit von Frauen erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Abkommens, sondern auch die eines dauerhaften Friedens. Frauen bringen bei Themen wie zum Beispiel Hunger, Bildung, Gesundheit und Selbstbestimmung, Gewalt, Rechte und Bedürfnisse von Müttern eine andere Perspektive an die Verhandlungstische, und genau darum geht es in der feministischen Außenpolitik. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen ist nicht nur eine Frage von Gerechtigkeit und Demokratie, sie ist eine zentrale Voraussetzung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Dafür haben Frauen sicherlich keinen Alleinvertretungsanspruch. Wir wollen aber gleichberechtigt an allen außenpolitischen Prozessen beteiligt werden. Diesen Ansatz feministischer Außenpolitik kann die CDU unterstützen, ({0}) und daran sollte sich auch die deutsche Außenpolitik orientieren, Herr Minister. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Motschmann. – Die CDU-Fraktion kann sich jetzt entscheiden, wem der nachfolgenden Redner ich eine Minute abziehen darf. Es wäre schön, wenn mir das mitgeteilt würde. Nächste Rednerin ist die Kollegin Renata Alt, FDP-Fraktion. ({0})

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Bundesregierung hat bei der Übernahme des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat die Gleichstellung von Frauen zur Priorität gemacht. Die Umsetzung der Resolution 1325 durch die Bundesregierung ist aber im Vergleich zu anderen Ländern ambitionslos; Frau Motschmann hat es gerade angedeutet. ({0}) Frau Müntefering hat gestern in ihrem Gastkommentar in der „Zeit“ die Probleme aufgelistet. Aber wo bleibt Ihr Fahrplan, Herr Minister? Haben Sie überhaupt einen? Selbst der nationale Aktionsplan der Ukraine wird von den deutschen Experten als besser strukturiert und ergebnisorientierter bewertet. Was für ein Armutszeugnis für die Bundesregierung! Dabei wollte gerade Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Warum werden immer noch nur 15 Prozent der deutschen Botschaften von Frauen geleitet? Nur 2 Prozent der Mediatoren in bedeutenden Friedensprozessen sind weiblich. Nur 7 Prozent aller Posten in UN-Friedensmissionen sind von Frauen besetzt. Dabei weiß man heute, dass Frauen nachhaltig Frieden sichern. Aber auch die Vorschläge in Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen, lösen das Problem nicht. Sie schlagen ein neues Referat im Auswärtigen Amt zur Umsetzung der Resolution 1325 vor. Da haben Sie was verwechselt: Wir brauchen mehr Frauen in der Außenpolitik, nicht noch mehr Bürokratie. ({2}) Frau Brugger, Sie fordern, dass alle Botschafterinnen- und Botschafterposten gleichwertig besetzt werden. Das begrüße ich; aber fangen Sie doch mal bei sich selbst an: Ihre Fraktion hat nicht mal eine einzige Frau als ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Ändern Sie doch da mal was. ({3}) Schon damit verlieren Ihre Forderungen an Glaubwürdigkeit. Es geht hier nicht nur um Postenverteilung. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine moderne Außenpolitik. Wir brauchen eine Außenpolitik, die Frauen in den Krisengebieten schützt, die Frauenbewegungen unterstützt, im Sudan, im Iran und in Belarus. Gerade in den letzten Wochen konnten wir die mutige Bewegung der Frauen in Belarus jeden Samstag beobachten. Wir müssen sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit deutlicher verurteilten. Herr Außenminister, beginnen Sie noch heute mit der aktiven Umsetzung einer solchen Außenpolitik! ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Alt. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ja, es ist erstaunlich, dass ich in diesem Jahr, in 2020, immer noch erklären muss, was Feminismus eigentlich bedeutet. Dabei geht es nämlich nicht nur um die formalrechtliche Gleichstellung, sondern es geht um die Befreiung der Frau von Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung wegen ihres Geschlechts, und es geht um die Befreiung der Gesellschaft von patriarchalen Strukturen, Denkmustern und Verhaltensweisen, die wir heute ja leider schon beobachten durften. ({0}) Die schlimmste Form der Gewalt ist der Krieg. Frauen und Mädchen leiden darunter ganz besonders. Sexuelle Gewalt ist eine Waffe. Ich habe zwei Beispiele: Nordirak 2015: Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ waren eine Methode zum Völkermord an den Jesiden. Myanmar 2017: Die UNO berichtete über massenhafte Vergewaltigungen durch Armee und Grenzpolizei als Mittel zur Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya. Kein Wunder, dass auf dieser Welt drei von vier Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten Frauen sind – wir wissen einfach, was wir zu gewinnen haben. Die Resolution 1325, die der UN-Sicherheitsrat vor 20 Jahren beschloss, verpflichtet die Mitgliedstaaten, Frauen und Mädchen vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen und sie bei der Vorbeugung vor und bei der Bewältigung von Konflikten sowie in Friedensverhandlungen einzubeziehen. Dabei geht es im Übrigen nicht um Frauenquoten im Militär, sondern um die Beendigung und Verhinderung von Kriegen; denn das ist der allerbeste Schutz auch für Frauen. ({1}) Da wird es jetzt mal ganz konkret: Ich finde, die Bundesregierung muss sofort damit aufhören, Waffenlieferungen zu genehmigen, ({2}) zumindest an die Länder, die an diesem mörderischen Krieg im Jemen beteiligt sind. ({3}) Ich ärgere mich, wenn dieses wichtige Anliegen durch Symbolpolitik kaputtgemacht wird. Außenminister Maas, Sie wollten den deutschen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat unbedingt mit einer Zusatzresolution zur Resolution 1325 krönen. Aber der Preis war doch, dass Sie einknicken mussten vor der Trump-Administration, die unbedingt keinen Bezug auf das Recht auf Selbstbestimmung für die Frauen haben wollte. Im Klartext: Das Ergebnis ist eine neue Resolution, in der kriegsvergewaltigten Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch verweigert wird, in der es ihnen nicht ausdrücklich zugestanden wird. Schämen Sie sich eigentlich gar nicht? ({4}) Der Antrag, den die Koalition uns heute eigentlich vorlegen wollte, kam nicht zustande, weil sich die Mehrheit der Unionsfraktion offensichtlich viel zu nahe bei Donald Trump befindet, und das ist auch eine Schande. ({5}) Es ist gut, dass die SPD-Fraktion mehr Rückgrat hatte als ihr Außenminister. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass die Gemeinsamkeiten in dieser Koalition offenbar aufgebraucht sind. Ich komme zum Schluss. ({6}) Für Die Linke sind Frauenrechte als Menschenrechte unteilbar und unverhandelbar. Ich meine das Recht, ohne Angst vor Gewalt und in Frieden zu leben, genauso wie auch das Recht, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, und zwar auch in Polen: Solidarność z polskimi kobietami! ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Agnieszka Brugger, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die klugen Beiträge der Kolleginnen in dieser Debatte. Ich muss sagen: Wir sind nicht in jedem Spiegelstrich einer Meinung. Aber ich glaube, es ist deutlich geworden, dass wir in diesen Zielen einer Meinung sind, und das ist ein wichtiges Zeichen aus dieser Debatte. ({0}) Da es ja einen sehr verirrten und verwirrten Redebeitrag gab, wollte ich sagen: Das letzte Mal, als ich die Nachrichten gesehen habe, waren es die mutigen Frauen in Belarus, die den Rückhalt der Gesellschaft dort hatten und nicht der Diktator; aber das nur am Rande. ({1}) Wie einige von uns konnte auch ich kürzlich mit Swetlana Tichanowskaja sprechen, einer der beeindruckenden Oppositionsführerinnen dort. Seit Monaten beweist sie zusammen mit hunderttausend Demonstrierenden, unter ihnen viele Frauen, unglaublichen Mut im Kampf für Demokratie und eine bessere Zukunft, und diesen Mut, den müssen wir mit allen Möglichkeiten unterstützen. ({2}) Das krasse Kontrastprogramm zu solch mutigen Frauen sind Egomanen wie die Präsidenten Trump, Putin und Erdogan, die Verträge brechen, rücksichtslos Konflikte anfeuern und Minderheiten unterdrücken. Ihnen die Stirn zu bieten, heißt auch, die Stimmen der Menschen zu stärken, die von diesen Typen an den Rand gedrängt werden sollen, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen wollen, die für Menschenrechte und für Mitbestimmung kämpfen – damit die Aktivistin in Mali auch am Tisch sitzt, wenn über Frieden verhandelt wird; damit das Mädchen in Bangladesch genauso zur Schule gehen kann wie der Junge von nebenan; damit die Transfrau oder der Transmann in Ägypten ohne Angst vor Gewalt leben kann; ({3}) damit Frauen, egal in welchem Land der Welt, selbst über ihren Körper und ihr Schicksal bestimmen können; damit Rassismus endlich aufhört. ({4}) All diese Menschen verdienen dasselbe wie wir: dass ihre Rechte gewahrt werden, dass sie über ihr Leben selbst bestimmen dürfen und dass sie die notwendigen Mittel dafür haben. Feministische Außenpolitik bedeutet nicht, jetzt den Spieß umzudrehen und die Männer mehrere Jahrhunderte zu unterdrücken. Es bedeutet auch nicht, dass Frauen die friedlicheren Menschen sind. Beim Feminismus geht es nicht nur um Frauen; vom Feminismus profitieren alle. ({5}) Es geht um eine Politik, die Menschen unabhängig von Geschlecht, von Herkunft und sexueller Orientierung mit ihren Rechten und ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt von Politik stellt, die klug ist und nicht den Fehler macht, das wertvolle Potenzial, das Menschen haben, zu verschenken, nur weil sie das vermeintlich falsche Geschlecht besitzen, die weiß, dass wir globale Probleme nur gemeinsam lösen und dass wir so am Ende alle gewinnen. ({6}) Feministische Außenpolitik, das ist die Vision einer besseren Politik. Sie wird nicht morgen Realität werden. Aber wir können heute so viel Konkretes tun, um diesem Ziel näher zu kommen. Alle demokratischen Fraktionen feiern zu Recht dieser Tage den 20. Geburtstag der Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Aber das allein ist zu wenig. Es ist ja schön, wenn die Koalition unseren Antrag im Ausschuss mit der Begründung ablehnt, dass man das alles ja eh schon mache. ({7}) Aber die Bundesregierung hat immer noch keinen neuen nationalen Aktionsplan vorgelegt, um diese historische Resolution noch mal konkreter umzusetzen, keine Zeitpläne, keine Verbindlichkeit, keine Kontrollmechanismen, kaum Geld zur Umsetzung. Feministische Außenpolitik ist nicht mit ein paar netten Worten getan, auch nicht mit ein paar mehr Botschafterinnen oder mehr Frauen bei der Bundeswehr – die braucht es natürlich auch dringend –; sie ist nicht erledigt mit hippen Bildern auf Instagram oder Veranstaltungen zu Sicherheit. Man muss an die harten Fragen ran: Es muss um Strukturen gehen, um Macht und um Geld. ({8}) Meine Damen und Herren, feministische Außenpolitik ist nicht „nice to have“. Sie muss im politischen Alltag gerade dann gelebt werden, wenn es hart wird: Bei Regierungsbesuchen müssen die Belange von Frauen und benachteiligten Gruppen ein Topthema auf der Agenda sein – gerade bei denjenigen, die versuchen, diese Themen lächerlich zu machen. ({9}) Frauen müssen zahlreich und prominent mitverhandeln, wenn es um Krieg, Frieden und Nachkriegsordnung geht. Feministische Außenpolitik, das sind konkrete Maßnahmen und eine neue Art der Politik. Deshalb: Mehr Einsatz für Rechte, Ressourcen und Repräsentanz für all die Stimmen weltweit, die mehr Gehör und mehr Macht verdienen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich habe eine Minute Redezeit abgezogen bekommen. Aber ich finde, das ist überhaupt kein Problem, weil meine Kollegin Elisabeth Motschmann wirklich viele Dinge absolut auf den Punkt gebracht hat. ({0}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, Gleichberechtigung ist ein Grundsatz der deutschen Entwicklungspolitik und der deutschen Außenpolitik. „Frauen, Frieden und Sicherheit“ ist ein thematischer Schwerpunkt der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat; ich glaube, das ist heute auch schon zum Ausdruck gekommen. Wir haben heute Anträge von den Linken und von den Grünen vorliegen. Es wäre sicherlich sehr schön gewesen, Daniela De Ridder, wenn wir heute einen gemeinsamen Antrag der Koalition hätten verabschieden können. Dazu ist es jetzt nicht gekommen. Wir haben viele Monate darüber gesprochen, und wir waren uns in vielen Punkten einig. Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, der Schutz des ungeborenen Lebens ist uns als CDU/CSU-Fraktion ein ganz wichtiger Punkt. ({1}) Deshalb wollten wir einen Satz dazu in einen gemeinsamen Antrag der Koalition aufnehmen. Das haben Sie abgelehnt, meine Damen und Herren. Ich muss schon sagen, dass ich das sehr schade finde. ({2}) Wenn man den Antrag der Linken liest, dann kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, dass Sie – wie immer – Ihre Ideologien in diesem Antrag unterbringen. ({3}) Sie haben sicherlich einige gute Ansätze. Aber – wie immer – fordern Sie den Rückzug der Bundeswehr aus den Einsatzgebieten, ({4}) Sie fordern, dass Rüstungsexport nicht mehr stattfindet. Ja, meine Damen und Herren, schämen Sie sich nicht, dass Sie dieses wichtige Thema der Frauen in der ganzen Welt wieder für Ihre Ideologien nützen? Das ist ja so ähnlich, wie das eben aus der rechten Ecke gekommen ist. ({5}) Es geht doch um ganz andere Dinge: Es geht darum, dass es viele Menschen, viele Mädchen und Frauen in dieser Welt gibt, die immer noch leiden unter Vergewaltigung, die leiden unter Zwangsheirat und die leiden unter Verstümmelung. ({6}) Meine Damen und Herren, dagegen müssen wir in der Außenpolitik kämpfen, und zwar gemeinsam. Hier geht es nicht um „Frauen gegen Männer“, sondern hier geht es um die Situation der Frauen und Mädchen in Afghanistan, in Kenia, in Mauretanien, in vielen afrikanischen Ländern. Und dort ist viel passiert, gerade aus der Entwicklungspolitik heraus. Dort gibt es inzwischen viele Programme, mit denen gegen die Verstümmelung gekämpft wird. Also, meine Damen und Herren, lassen Sie uns dieses wichtige Thema wirklich so behandeln, wie es angemessen ist. Ganz herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Manderla. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ursula Groden-Kranich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich bedauere, dass unser gemeinsamer Antrag, der von unseren AGs in dem bislang vorliegenden Wortlaut gemeinsam vereinbart war, nun eben nicht zum Tragen kommt. Und ich bedauere insbesondere den unzulässigen Zusammenhang, in den gerade verschiedene Punkte gestellt wurden. Aber das klären wir besser mal bilateral. ({0}) Wir haben jetzt viel über feministische Außenpolitik gehört, einiges davon als Forderung, anderes als Pläne für die Zukunft. Aber es gibt auch heute schon mutmachende Beispiele von Frauen für Frauen, aber nicht nur für Frauen; denn es gibt einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft. Ganz wichtig ist für mich: Außenpolitik ist immer zugleich Innenpolitik. Und wir haben es hier schon gehört: Das bislang eindrucksvollste Beispiel der letzten Wochen sind die oppositionellen Frauen in Belarus. Und sie brauchen außenpolitische Wirksamkeit, um im Inneren ihres Landes Veränderungen vornehmen zu können. Wir durften Frau Tichanowskaja begegnen, und es bewegt mich nach wie vor, wie stark diese mutige Frau mit der ganzen Angst ihres Lebens hier bei uns aufgetreten ist. Vielen Dank, dass wir dabei sein durften! ({1}) Wir erleben Frauen wie die pakistanische Aktivistin Malala, die für Bildung von Frauen und Mädchen kämpft und die dies beinahe mit ihrem Leben bezahlt hätte. Hier sehen wir, was es bedeutet, wenn Frauen für ihre eigenen Rechte eintreten, und welche Gefahr sie vielleicht in ihrem eigenen Land dem einen oder anderen Mann bereiten. Die designierte Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, Kamala Harris, ist heute schon eine starke Politikerin, die durch ihre Kandidatur für Frauen wahrscheinlich mehr erreicht hat als der amtierende Präsident in seiner gesamten Amtszeit. ({2}) Aber auch vor unserer Haustür haben wir tolle Best-Practice-Beispiele. Die Staatssekretärin im BMZ, Maria Flachsbarth, ist da. Danke, Maria, dass ihr in dieser Woche zur Stärkung von Frauen in Flucht- und Vertreibungskontexten ein neues internationales Frauennetzwerk gegründet habt! ({3}) Das Netzwerk wird vom BMZ mit 3,5 Millionen Euro ausgestattet und von internationalen Partnerinnen und Partnern unterstützt. Wir sind an diesem Thema dran, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Ich freue mich mit meiner Fraktion und mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen, an einer Politik für starke Mädchen und Frauen zu arbeiten. Diese Politik ist Schlüssel für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in der Welt. Vielen Dank. ({4})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Krise hält uns in Atem. Gerade der heutige Tag hat das wieder einmal gezeigt. Die Infektionszahlen steigen, aber die Arbeitslosenzahlen sind bislang gesunken. Das zeigt: Mit den pandemiebedingten Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld ist es uns gelungen, Arbeitsplätze zu schützen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen zu halten. Kurzarbeitergeld ist ein hochwirksames Instrumentarium. Es ist eine stabile Brücke über das Tal der Krise. Die Zahlen beim Kurzarbeitergeld sind bislang rückläufig: Im April waren es 6 Millionen, im Juli waren es etwa 4 Millionen Menschen, die Kurzarbeitergeld bekommen haben. Aber wir müssen natürlich davon ausgehen, dass Kurzarbeitergeld für viele Menschen auch in den nächsten Monaten dringend notwendig sein wird – nötig auch, weil wir heute erneut einen kleinen Lockdown beschließen mussten. Die Coronakrise bedeutet in diesem Winter einen großen Stresstest für den Arbeitsmarkt. In dieser Situation gibt das Kurzarbeitergeld den Unternehmen und natürlich auch den Beschäftigten Planungssicherheit. Deshalb verlängern wir die Regelungen zum Kurzarbeitergeld bis Ende des Jahres 2021. ({0}) In Zeiten, in denen sich Menschen Sorgen um ihre Gesundheit machen, müssen wir sie von finanziellen Sorgen und Sorgen um ihren Arbeitsplatz entlasten. ({1}) Aber so, wie wir im Umgang mit Corona in den letzten Monaten viel gelernt haben, werden wir auch mit dem Beschäftigungssicherungsgesetz die Regelungen zum Kurzarbeitergeld weiterentwickeln. Das gilt vor allen Dingen für die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge an die Unternehmen. Ab Juli 2020 ({2}) werden sie nur noch dann in voller Höhe erstattet, wenn die Kurzarbeit mit Weiterbildung gekoppelt wird. ({3}) Die Beschäftigten, die heute in Kurzarbeit sind, müssen nämlich nach der Krise in der Lage sein, die Arbeit von morgen zu machen. ({4}) Denn der Wandel der Arbeitswelt geht auch während der Pandemie weiter. Diese Prozesse dürften sich sogar verstärken. Ja, wir sind dieser Krise ausgesetzt, aber wir sind ihr nicht ausgeliefert. Wir sind nicht ohnmächtig; wir sind gut organisiert. Wir haben noch kein Mittel gegen das Virus; aber wir können die Unternehmen stärken, damit sie besser mit den Folgen der Pandemie zurechtkommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kurzarbeitergeld ist wie eine hochdosierte Vitaminspritze. Sie stabilisiert, sie kräftigt, und sie stärkt das Immunsystem unseres Arbeitsmarktes. In diesem Sinne bitte ich um die Unterstützung dieses Gesetzentwurfes. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um 11,2 Prozent ist die Industrieproduktion in Deutschland in diesem Jahr eingebrochen. Das ist doppelt so viel wie in der EU. In Italien liegt die Produktion auf dem Vorjahreswert, und in Polen und in Portugal ist sie sogar gestiegen. Wir hingegen verlieren gerade die industrielle Basis unseres Wohlstands. Schausteller, Tourismusbranche, Hotellerie, Gastronomie und zahllose Einzelhändler liegen bundesweit am Boden. Obendrauf kommt nun der neue Lockdown. Anstatt Hunderte Milliarden Euro für Wohlstand in anderen EU-Staaten auszugeben, müssten wir unser Geld zusammenhalten und damit Not und Elend unserer Mitbürger abwenden. Sie wollen künftig jedes Jahr 13 Milliarden Euro zusätzlich an die EU überweisen. Wir aber sagen: Investieren wir diese 13 Milliarden Euro lieber in eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, um unseren Mitbürgern durch die Krise zu helfen! ({0}) Es ist übrigens eine Krise, die von Ihnen verursacht wurde. Die deutsche Wirtschaft war durch die katastrophale Wirtschaftspolitik bereits im Abschwung. Wer den Verbrennungsmotor bekämpft, der vernichtet Hunderttausende gutbezahlte Arbeitsplätze in Deutschland. ({1}) Und dann kam Corona, das Sie zur gefährlichen Pandemie erklärt haben. Bei einer gefährlichen Pandemie kontrolliert man sofort alle Grenzen. Man lässt nur jene einreisen, die negativ getestet wurden, und zwingt alle Einreisenden in Quarantäne. Man produziert wirksame Schutzausrüstung für die Gesamtbevölkerung und verteilt diese an die Menschen. Das alles ist nicht passiert. Stattdessen standen Abgeordnete und Regierung noch im Sommer massenhaft ohne Abstand und ohne Maske zusammen. ({2}) Sie haben mit Ihrem Verhalten selbst bewiesen, dass es keine gefährliche Pandemie ist. Das belegen im Übrigen auch die offiziellen Statistiken. 99,9 Prozent der Menschen bis 59 Jahre, die Corona hatten, sind weder an Corona noch an einer anderen Ursache gestorben. Währenddessen mussten aber Zehntausende Alte wegen Ihrer Politik völlig einsam sterben – ({3}) wohlgemerkt: an anderen Todesursachen. Die Lebensqualität von Millionen Alten wird durch den Kontakt mit ihrer Familie erhöht. Sie haben diese Menschen isoliert und ihnen damit das Letzte, was ihnen etwas bedeutet, geraubt. ({4}) Sie vernichten die familiäre Bande, Sie vernichten den Wohlstand, Sie vernichten die Freiheit. ({5}) Sie vernichten das Leben der Menschen unter dem Vorwand, die Gesundheit zu schützen. Hören Sie auf, mit Ihren Maßnahmen schleichend die Freiheit, die Grundwerte und den Wohlstand unserer Gesellschaft zu vernichten. ({6}) Ich schäme mich, in einem Parlament mit Verfassungsfeinden wie Herrn Lauterbach zu sitzen, der offen fordert, dass der Staat jederzeit in die Wohnungen der Bürger eindringen kann. Durch Lockdown und das Lahmlegen ganzer Wirtschaftszweige rauben Sie unserem Land den Wohlstand und den jungen Menschen die Zukunft. ({7}) Wer den Kindern erzählt, dass sie Oma und Opa umbringen, wenn sie diese treffen, der ist nicht nur moralisch absolut verkommen, sondern der sorgt auch dafür, dass eine ganze Generation mit psychischem Knacks aufwächst. ({8}) Wie viele Menschen werden an den Folgen der vernichteten Existenzen, an den Folgen verschobener und nicht durchgeführter Operationen und Untersuchungen sterben? Wir sagen: Schluss mit diesem Wahnsinn! Geben Sie den Menschen ihr Leben, ihre Zukunft und ihre Freiheit zurück! ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sichert. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auf die Coronakrise entschlossen geantwortet, und deswegen hat Deutschland diese Krise besser in den Griff bekommen als andere Länder – auch im Vergleich mit unseren Nachbarstaaten. Das ist unser Erfolg, ein Erfolg, der übrigens international anerkannt wird. ({0}) Wir haben es durch die Konjunkturmaßnahmen, aber auch durch die Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen – auch durch das Kurzarbeitergeld – geschafft, dass sich die deutsche Wirtschaft zusehends erholt, dass die Arbeitslosenzahlen im September gesunken sind, dass die Arbeitslosenzahlen wohl auch im Oktober, der noch nicht ganz abgeschlossen ist, gesunken sind und dass die Kurzarbeit zurückgeht. Jetzt stehen wir aber vor der großen Herausforderung einer mächtigen zweiten Welle. Deshalb ist es notwendig, auch darauf entschieden und glasklar zu reagieren, um die Infektionszahlen wieder nach unten zu bekommen, damit unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder in normalen Zuständen leben können. Dazu muss man aber zunächst mal hart und klar reagieren, und genau das ist heute beschlossen worden. ({1}) Würde man den Empfehlungen der Coronaleugner folgen, dann wären die Folgen für die Mitbürgerinnen und Mitbürger und für die deutsche Wirtschaft katastrophaler, als man es sich je hätte vorstellen können, und dann würden die Bürgerinnen und Bürger mehr leiden. Verelendung und Verarmung wären in der Tat das Ergebnis der Politik der Coronaleugner. Und deswegen: Nein dazu! ({2}) Ich freue mich, dass wir heute Abend eine klare Ansage an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen machen können. Ja, gerade weil wir noch einmal eine riesige Anstrengung unternehmen wollen und müssen, werden wir die Regelung zum Kurzarbeitergeld verlängern, und zwar in das kommende Jahr 2021 hinein. Ich finde, das ist ein starkes Zeichen, das wir als Bundestag setzen, und eine sehr konkrete Zusage, an der sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes orientieren können und an der sie sehen: Sie können sich auf uns, den Deutschen Bundestag, verlassen. ({3}) Wir machen zwei Neuerungen: Zum einen machen wir es möglich, dass bei Kurzarbeit auch weiterhin hinzuverdient werden kann – maximal bis zu 450 Euro. Ich glaube, das ist ein Angebot an viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die irgendwo anders aushelfen wollen, weil in dieser Pandemie an vielen Stellen zusätzliche Arbeitskräfte, helfende Hände, benötigt werden. Das ist eine gute Zusatzregelung, die es früher so nicht gegeben hat. Zum anderen werden wir die 100-prozentige Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die Bundesagentur für Arbeit ab dem 1. Juli kommenden Jahres an das Erfordernis binden, Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzubieten. Auch das ist eine wichtige Veränderung, mit der wir klar sagen: Wir wollen aus dieser Krise stärker herauskommen, als wir hineingegangen sind, indem wir qualifizierte Weiterbildung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland möglich machen, um sie auf die Zukunft und die zukünftige Arbeitswelt einzustellen. ({4}) Wir wissen, dass die Administration des Kurzarbeitergeldes eine riesige Herausforderung für die Bundesagentur für Arbeit ist. Sie hat ja praktisch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in anderen Bereichen tätig waren, für die Bearbeitung der Anträge und für die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes zusammengezogen. Deshalb erst mal ein herzliches Dankeschön an diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von ihrem alten Arbeitsplatz aufgebrochen sind, um was Neues zu machen. Dafür können wir nur dankbar sein. Danke an alle in der BA, die uns beim Kurzarbeitergeld helfen! ({5}) Ich will noch einen Punkt ansprechen, der mich bewegt, nämlich die Frage: Wie geht es unseren jungen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die die Schule verlassen und in die Ausbildung gehen? Ich glaube, für die kommenden Monate sollten wir klar sagen: So wichtig das Kurzarbeitergeld ist, wir sollten auch genügend Personal zur Verfügung stellen, um Berufsinformationen und Berufsberatung gerade für die jungen Leute möglich zu machen. ({6}) Ich weiß, dass man sich an vielen Orten anstrengt, Nachvermittlungen in Ausbildungsbetriebe zu machen. Auch das sollte mit Macht angegangen werden. Natürlich weiß jeder, dass zur Berufsorientierung auch gehört, dass junge Leute ein Praktikum in einem Betrieb machen können. Ich glaube, dass wir auch im kommenden Jahr jungen Leuten schnell ermöglichen müssen, wieder Praktika in Betrieben zu machen, um für sich selber mehr Gewissheit zu gewinnen: Welche Berufswahl ist für mich die richtige? Ich möchte nicht, dass wir im Herbst nächsten Jahres eine große Zahl wenig orientierter junger Leute haben, die es vielleicht verpassen, in die richtige Ausbildung einzusteigen. Also: Es ist wichtig, dass wir das Personal auf die Kurzarbeit konzentrieren; aber es ist, glaube ich, genauso wichtig, dass wir die BA in die Lage versetzen, gerade die Beratung und die Begleitung junger Leute sicherzustellen. Die jungen Leute dürfen nicht zu den Verlierern dieser Krise gehören. Vielmehr wollen wir ihnen Chancen schaffen, damit sie den Beruf, der zu ihnen passt, finden und dann dort hoffentlich erfolgreich arbeiten können. ({7}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute einen bemerkenswerten Tag erlebt. Wir werden morgen anlässlich der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin noch über all die Maßnahmen diskutieren. Aber ich freue mich, dass wir schon heute Abend ein erstes klares Zeichen setzen. Kurzarbeitergeld gibt es auch in Zukunft: Wir stehen an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in diesem Land. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Nächster Redner ist der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war zu befürchten: Die zweite Coronainfektionswelle ist da – und der zweite Lockdown seit heute Nachmittag auch. So falsch die Entscheidungen von heute Nachmittag sind, so ist es dennoch richtig, dass Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verlängert werden. Abfedern ist das eine. Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sind etwas anderes. Das allerdings bleibt aus. Die Große Koalition bleibt schmallippig im Gesetzentwurf, enttäuschend geradezu. Und wie auch immer man zu dem steht, was im Gesetz steht: Genauso wichtig ist das, was nicht drinsteht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Um es vorwegzunehmen: Die Freien Demokraten begrüßen, dass der Gesetzentwurf Anreize bietet, Kurzarbeit verstärkt für Qualifizierung und Weiterbildung zu nutzen. Krisenzeiten sind immer auch Zeiten des Wandels und Chancenzeiten. Die Welt nach Corona – wir wissen das – wird eine andere sein. Nur, allein geltende Kurzarbeitsregeln zu verlängern, sichert vielleicht bestehende Arbeitsplätze. Im ungünstigsten Fall verlängert man so aber auch überholte Wirtschaftsmodelle und verschärft den Fachkräftemangel. Ein Gesetz, das den Anspruch erhebt, den hohen Beschäftigungsstand vor Corona auch nach Corona wiederherzustellen, muss da mehr liefern. ({0}) Erstens. Investitionsanreize für Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze. Wir schlagen vor, Verluste aus diesem Jahr mit Gewinnen aus dem letzten Jahr zu verrechnen. Im Übrigen empfiehlt das auch der Präsident des ifo-Instituts, Herr Fuest. Zweitens. Starten Sie eine Digitalisierungsoffensive im gesamten öffentlichen Sektor! Seit dem ersten Lockdown ist doch klar: Es ist doch grotesk, wie rückständig unser öffentliches Leben ist. Das beginnt ab der Schule und geht im Grunde bis ins Pflegeheim. Drittens. Setzen Sie auf Forschung und Entwicklung, auf Innovation! Eines ist klar: Dafür brauchen Sie Unternehmerinnen und Unternehmer, Menschen, die sich trauen, etwas Neues anzufangen, Selbstständige. Deshalb müssen Sie endlich aufhören, Selbstständige wie Beschäftigte zweiter Klasse zu behandeln. Tausende Einzelunternehmer warten immer noch auf Vorschläge und Perspektiven. Das hätte wahrlich mit in Ihr Gesetz gehört. ({1}) Die Koalition kann oder will sich hier offensichtlich nicht einigen und schiebt sich gegenseitig die Verantwortung zu, zuletzt heute Nachmittag bei der Regierungsbefragung mit dem Wirtschaftsminister. Ich finde, das ist – mit Verlaub – beschämend. Bleibt die Frage, warum eigentlich die aktuellen Regelungen bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden müssen. Das ist immerhin neun Monate nach dem Ende des Coronawinters. Also, liebe Regierung, entweder Sie trauen Ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht zu, bei rückläufiger Infektionslage schnell für einen kräftigen Aufschwung am Arbeitsmarkt zu sorgen, oder es geht Ihnen in Wahrheit darum, um jeden Preis hohe Arbeitslosenzahlen vor der Bundestagswahl zu vermeiden. Beides schwächt das Vertrauen in die Regierung. Vertrauen ist aber notwendig, damit die Maßnahmen Akzeptanz finden. Die Maßnahmen von heute sind Unfug. Aber darüber sprechen wir morgen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zweite Coronawelle hat uns fest im Griff, und noch niemand weiß genau, wie sehr der Arbeitsmarkt diesmal betroffen sein wird. Und gerade deshalb muss eine verantwortungsbewusste Arbeitsmarktpolitik auch für den absoluten Notfall vorsorgen. In diesem Sinne hat die Bundesregierung schon vor Corona schwere Fehler begangen. Statt das Arbeitslosengeld zu verbessern, hat sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Sie hat hingenommen, dass Millionen Menschen in Minijobs jede Absicherung fehlt und dass nun Hunderttausende von ihnen ihre Arbeit verloren haben. Im Frühjahr die nächste Fehlentscheidung: Das Kurzarbeitergeld hätte in einem Schritt erhöht werden müssen, sodass es den Lebensstandard sichert; denn Menschen mit geringem Einkommen haben keine Rücklagen, und sie brauchen das Geld vom ersten Tag an, meine Damen und Herren. ({0}) Und die Konjunktur wäre auch frühzeitig gestützt worden. Wann, wenn nicht jetzt in der Krise, wollen Sie endlich Ihren Kurs in der Arbeitsmarktpolitik ändern, meine Damen und Herren? Die Linke begrüßt jede Verbesserung, sei sie auch noch so klein. ({1}) In diesem Sinne war es richtig, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes 2020 verlängert wurde. ({2}) Es war richtig, dass das Kurzarbeitergeld 2020 erhöht wurde. Und es ist ebenfalls richtig, dass jetzt das erhöhte Kurzarbeitergeld verlängert wird. ({3}) Aber warum denken Sie diese Verbesserungen nicht konsequent zu Ende? Wo bleibt zum Beispiel die Verlängerung beim Arbeitslosengeld? ({4}) Das wäre doch das richtige Vorgehen. Sie machen halbe Sachen, und hier fehlt einfach die Entschiedenheit auf der Regierungsbank. Auch im Jahr 2021 muss das Arbeitslosengeld länger bezogen werden können. ({5}) Denn es ist absehbar, dass mehr Menschen in Arbeitslosigkeit geraten werden. Sie sind auf die drei Monate zusätzliche Bezugsdauer angewiesen. Es geht bei vielen Menschen auch um die blanke Existenz. Sie brauchen diese Sicherheit, und das fordert Die Linke. ({6}) Und wenn Sie Ihr Gesetz so schön „Beschäftigungssicherungsgesetz“ nennen: Warum sichert dieses Gesetz dann nicht die Arbeitsplätze? Die Betriebe profitieren von der verlängerten Sonderregelung zur Kurzarbeit, vor allem von den erstatteten Sozialversicherungsbeiträgen. Verpflichten Sie diese Betriebe, die erstatteten Beiträge zurückzuzahlen, wenn sie Beschäftigten bis ein Jahr nach Auslaufen der Kurzarbeit kündigen. ({7}) Das wäre gerecht, und dann wäre „Beschäftigungssicherungsgesetz“ auch der richtige Name. Arbeitsmarktpolitik darf sich aber nicht nur im Krisenmodus bewegen. Die Umwälzungen durch Digitalisierung und Klimaschutz werden durch Corona noch beschleunigt. Wir fordern für Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter, die eine Weiterbildung beginnen, ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 90 Prozent, und zwar auch nach Ende der Kurzarbeit. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Meine Damen und Herren, der Antrag meiner Fraktion füllt genau die Lücken, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf lassen. Machen Sie die Sache rund, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen unsicheren ökonomischen Zeiten ist es sehr richtig, dass der vereinfachte Zugang zum Kurzarbeitergeld verlängert wird. Das ist wichtig für die Sicherheit der Beschäftigten. ({0}) In dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, geht es aber gar nicht darum, sondern es geht um drei konkrete Detailregelungen, an denen wir Kritik üben. Erster Punkt ist die Verlängerung der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes nach einer gewissen Zeit: nach drei Monaten um 10 Prozentpunkte und nach sechs Monaten um 20 Prozentpunkte. Das ist aber viel zu spät; denn die Menschen brauchen schon ab dem ersten Tag einen Aufschlag auf das Kurzarbeitergeld. ({1}) Für Menschen, die ein geringes Einkommen haben, sind 70 Prozent oder 80 Prozent Kurzarbeitergeld viel zu wenig. Deswegen haben wir vorgeschlagen, keine zeitlich gestaffelte Erhöhung vorzunehmen, sondern eine nach dem Einkommen gestaffelte Erhöhung. ({2}) Damit bekommen gezielt Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen ein Kurzarbeitergeld, das existenzsichernd ist: mit Mindestlohn 90 Prozent. Diejenigen mit höherem Einkommen brauchen keine 70 Prozent, 80 Prozent oder 90 Prozent, wie die Linken es fordern. Es müssen vielmehr gezielt die unteren und mittleren Einkommen unterstützt werden. ({3}) Zweiter Punkt. Sie verschlechtern die Ausnahmeregelungen bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten und begrenzen das auf Minijobs. Warum eigentlich? Es wäre doch besser, wenn die Hinzuverdienstmöglichkeiten nicht bei 450 Euro begrenzt würden, sondern die alte Regelung einfach fortgeführt würde. ({4}) Dritter Punkt. Es ist gesagt worden: Es wird der Anreiz für Weiterbildung verbessert. – Ja, das ist richtig, aber erst ab Juli 2021. Wie bescheuert ist das denn? Wir brauchen jetzt Anreize für mehr Weiterbildung! Wir brauchen jetzt eine Qualifizierungsoffensive! ({5}) Wir Grünen haben entsprechende Vorschläge gemacht: Führen Sie einen Weiterbildungsbonus ein! Zahlen Sie zusätzlich zum Arbeitslosengeld und zum Kurzarbeitergeld 200 Euro, wenn eine Weiterbildung gemacht wird. Das wäre ein Anreiz, der sofort wirken würde. ({6}) Und: Wir brauchen eine Qualifizierungskurzarbeit, damit die Menschen in dieser Zeit wirklich etwas Neues lernen können. Wir brauchen also eine echte Qualifizierungsoffensive, die verbunden wird mit Kurzarbeitergeld und mit dem Arbeitslosengeld, damit die Menschen besser aus dieser Krise herauskommen, damit sie fit gemacht werden für die Zukunft und somit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. ({7}) Ich möchte ganz kurz noch zwei Punkte ansprechen, die in dem Gesetzentwurf nicht enthalten sind. Wir brauchen nicht nur eine Verlängerung beim Kurzarbeitergeld, sondern wir müssen auch die Sonderregelung beim Arbeitslosengeld verlängern, damit die Menschen nicht durch die Coronakrise in den Bezug von Arbeitslosengeld II abstürzen. Auch das muss dringend verlängert werden. ({8}) Last, but not least: Schaffen Sie endlich eine einfache, unbürokratische Leistung, damit für die Selbstständigen zumindest das Existenzminimum gesichert ist! Das ist als Ergänzung dringend nötig. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Vorletzter Redner ist der Kollege Bernd Rützel, SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kurzarbeit ist eine Brücke über ein tiefes und breites Tal. Sie ist auch ein wichtiges Signal für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen in unserem Land; denn damit stabilisieren wir den Arbeitsmarkt und sichern Arbeitsplätze. ({0}) Jetzt gilt es, diese Brücke zu verlängern. Bis Ende nächsten Jahres können sich die Beschäftigten und auch die Unternehmen darauf verlassen, dass viele Beschäftigte an Bord bleiben können und nicht arbeitslos werden. Darum geht es. Natürlich wird für die Menschen, die monatelang in Kurzarbeit sind, die Luft immer dünner: Die Miete muss bezahlt werden, und all das, was man zum Leben braucht, muss bezahlt werden. ({1}) Deswegen ist es wichtig, dass wir auch in Zukunft aufstocken: nach dem vierten Monat auf 70 Prozent, nach dem siebten Monat auf 80 Prozent und bei denjenigen mit Kindern auf noch mehr. Ja, Wolfgang Strengmann-Kuhn, natürlich könnten wir alles noch viel, viel besser machen. ({2}) Aber das ist ein wichtiger Punkt. Viele tarifgebundene Unternehmen stocken vom ersten Tag auf und bezahlen fast bis zu 100 Prozent Kurzarbeitergeld. Wir machen noch etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich kenne viele Menschen, die sich zusätzlich einen Nebenjob gesucht haben. Sie sind gebraucht worden, Peter Weiß; es war notwendig. Sie haben sich diesen Job aber vor allem deshalb gesucht, weil sie ihre Familie finanzieren mussten, weil sie das Geld gebraucht haben. Diese Nebenjobs, diese Minijobs, können sie weitermachen, und der Lohn wird nicht angerechnet. Das kommt obendrauf. Diese Regelung gilt bis Ende nächsten Jahres. Das ist gut so. ({3}) Es gibt Kritiker, auch hier im Hause, die behaupten, dass mit dem Kurzarbeitergeld auch Betriebe und Unternehmen unterstützt werden, die das nicht benötigen, und dass Kurzarbeitergeld vergeudet wird. Ich will sagen, dass unsere Wirtschaft bisher sehr gut durch die Krise gekommen ist. Sie ist wettbewerbsfähig, sie ist stark, und sie ist gesund. Man darf den Blick aber nicht davor abwenden, dass es auch Bereiche gibt, die vor einem gigantischen Strukturwandel stehen, zum Beispiel die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. Darüber haben wir oft gesprochen. Da hat sich einiges verändert, und das hat mit der Coronapandemie nichts zu tun. Deswegen helfen wir auch hier durch Weiterbildung und durch Qualifizierung, damit die Menschen ihr Auskommen haben und die Arbeit von morgen mit den Beschäftigten von heute gemacht werden kann. Auf in eine gute Zukunft! ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt, letzter Redner des heutigen Tages ist der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade der heutige Tag zeigt, was in der Coronapandemie das Wichtigste ist: das Vertrauen der Menschen in die Politik, das Vertrauen der Menschen unseres Landes darauf, dass ihre Gesundheit an erster Stelle steht und dass es nicht zu einer Gesundheitskrise in unserem Land kommen wird, ({0}) aber auch das Vertrauen der Menschen darauf, dass es nicht zu einer Wirtschaftskrise in unserem Land kommen kann und dass es auch nicht zu einer persönlichen Krise kommen wird. – Sehr geehrter Herr Brandner, wie Sie das mit dem Grundgesetz und der Verfassung halten, haben Sie schon des Öfteren in diesem Hause bewiesen. ({1}) Heute bringen wir als Koalition aus CDU/CSU und SPD das Gesetz zur Beschäftigungssicherung ein. Damit verlängern wir das Kurzarbeitergeld um ein Jahr bis Ende 2021. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. ({0}) Das Kurzarbeitergeld hat die deutsche Wirtschaft vor einem stärkeren Wirtschafts- und Arbeitsmarkteinbruch bewahrt. – Herr Brandner, genau das zeigt den Stil Ihrer Politik. ({1}) Sie haben vorher die ganze Bundesregierung und den Deutschen Bundestag beleidigt. ({2}) So ist es, wenn man sich selber wichtiger nimmt als das große Ganze, so wie die AfD das tagtäglich hier beweist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Kurzarbeitergeld hat viele Beschäftigte vor Entlassung und Arbeitslosigkeit geschützt. Bundesweit waren im Mai dieses Jahres 7 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Über alle Branchen und Betriebsgrößen hinweg kamen mindestens 7 Millionen Menschen in eine Situation, in der sie auch hätten entlassen werden können. ({3}) In meinem Wahlkreis Regensburg waren das 50 000 Menschen, also jeder fünfte Arbeitsplatz. Die Lage ist eindeutig. Die Entscheidungen der Ministerpräsidenten der Bundesländer von heute zeigen ganz deutlich, vor welch großen Herausforderungen wir stehen. Gerade deshalb ist die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes unerlässlich. Mit dieser Entscheidung nehmen wir den Menschen und der Wirtschaft die Unsicherheit und geben Chancen zur beruflichen Weiterqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir setzen Impulse, damit die Kurzarbeit noch besser und effizienter für Weiterbildung genutzt werden kann. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Maßnahmen schaffen wir Verlässlichkeit und Vertrauen, Vertrauen, das Sie von der AfD auch mit Ihrem Antrag heute nicht bewiesen haben. Ihr Redner ist nicht mal auf den Antrag eingegangen. Mit einem kleinen Nebensatz zu dem Antrag hat er gezeigt, was der Antrag wert ist: null Komma null. ({4}) Wenn man genau in einer schwierigen Zeit versucht, europäische Zahlungen auf Kurzarbeitergeld anzurechnen, dann zeigt das, glaube ich, ganz deutlich, wes Geistes Kind Sie mit Ihrer populistischen Politik sind. ({5}) Wenn Sie von moralischer Verkommenheit reden, dann zeigt das auch, wie Sie denken und wie Sie Politik in unserem Land machen. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, ich denke, dass Kurzarbeitergeld genau das Gegenteil von dem erreichen soll, was Sie in Ihrem Antrag wollen. Wir wollen Menschen in Arbeit behalten und wollen nicht, dass die Menschen arbeitslos werden. ({7}) Deswegen ist es für uns wichtig, dass Arbeitslosigkeit verhindert wird ({8}) und dass die Menschen in der Wirtschaft bleiben und Arbeit behalten können. Kurzarbeitergeld ist Hilfe in der Krise und gibt es deswegen auch nur vorübergehend. Wir müssen natürlich schauen, dass wir die Transformation in unserer Wirtschaft politisch mitgestalten. Deswegen hat die Bundesregierung in vielen Bereichen investiert, ob das Investitionen in Bildung sind, ob das Investitionen in künstliche Intelligenz sind und viele andere Dinge mehr. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Maßnahmen schaffen Vertrauen – Vertrauen, das wir in unserem Land auch brauchen. Die heute angekündigten Maßnahmen erfordern natürlich auch, dass wir die Unternehmer, die am meisten unter den Entscheidungen leiden werden, angemessen entschädigen. Das wird sicherlich noch eine große Herausforderung sein, die wir zu bewältigen haben. Aber auch hier müssen wir Vertrauen schaffen. Deswegen: Stimmen Sie dem Gesetz zu! ({9}) Die einen oder anderen sollten vielleicht überlegen, mit welchem Populismus man in der heutigen schwierigen Zeit Politik macht. Danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD-Fraktion hat eine Kurzintervention für den Kollegen Sichert beantragt. Dem werde ich stattgeben. Herr Kollege Sichert, Sie haben das Wort. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Aumer, Sie haben gerade gesagt, wir hätten keine Wirtschaftskrise. Die deutsche Industrieproduktion ist im Vergleich zum Vorjahr um 11,2 Prozent eingebrochen; weit mehr als in allen anderen EU-Staaten – bis auf Luxemburg –, weit, weit mehr. Wir sehen: Die Schausteller und das Veranstaltungsgewerbe haben heute wieder zu Tausenden hier in Berlin demonstriert, weil sie momentan keine Arbeit haben. Die Tourismusbranche, die Hotellerie, die Gastronomie, zahllose Einzelhändler in den Innenstädten: Sie stehen alle momentan vor dem Bankrott. ({0}) Obendrauf kommt jetzt noch der nächste Lockdown. Jetzt wird wieder die Gastronomie usw. bundesweit massiv angegangen. Wir haben jetzt Insolvenzaussetzungen erlebt. Das heißt: In Bezug auf die Folgen dieser ganzen Insolvenzen kommt noch etliches auf uns zu. Wenn das, was wir jetzt haben, keine Wirtschaftskrise ist, was muss denn Ihrer Meinung nach noch passieren, dass Sie es „Wirtschaftskrise“ nennen? ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Aumer, Sie haben Gelegenheit, zu antworten. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, genau. Sie wissen wahrscheinlich, was die Antwort ist. – Ein Stilmittel von Populismus ist, nicht aufzupassen, was der Redner sagt. ({0}) Ich habe nicht ein Mal gesagt, dass wir keine Wirtschaftskrise haben. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen Wahlkreisabgeordneter. ({1}) Ich komme in viele Unternehmen, von der großen Industrie bis zum kleinen Mittelstand. Ich komme zu den Gastronomen und in viele andere Betriebe. Ich weiß, wie die Situation ist. In meinem Wahlkreis gibt es Ankündigungen von Entlassungen, bei Continental über 2 000. Ich bin im intensiven Austausch mit den Betriebsräten, mit den Menschen, die dort Arbeitsplätze verlieren. Es ist natürlich unsere Aufgabe, dass wir uns darum kümmern. Deswegen ist Ihr Populismus billig; Ihre Nachfrage zeigt das ganz genau. Ich habe nicht gesagt, dass wir in keiner Wirtschaftskrise sind. ({2}) Ich habe gesagt, dass Sie mit Ihrem populistischen Antrag es sogar noch schaffen, dass man die Europäische Union wieder mal zur Diskussion stellt. Das zeigt Ihre Art von Politik. ({3}) Ich glaube, „Verlässlichkeit von Politik“ heißt, dass wir zum einen das Leben der Menschen in unserem Land schützen und auf der anderen Seite schauen, dass wir die wirtschaftliche Verfasstheit, dass wir den Menschen die Arbeitsplätze und ihr Einkommen sicherstellen. Das tun wir – anders als Sie das tun mit Ihrer Politik, die zum Teil fragwürdig ist. ({4}) Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit schließe ich die Aussprache.