Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/17/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich grüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament und auf der Regierungsbank. Herzlich willkommen an diesem sonnigen, schönen, strahlenden Tag! Die Sitzung ist eröffnet. Wir fangen mit dem Tagesordnungspunkt 1 an: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Evaluierungsbericht 2016 zum Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht gebe ich Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. - Herr Minister, Sie haben das Wort.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat hat das Kabinett heute den von Ihnen zitierten Bericht beraten. Ich habe ihn vorgelegt. Wir geben damit Bericht über das, was in diesem Feld in dieser Legislaturperiode geschehen ist. Da ist einiges erreicht und einiges noch zu tun. Wir haben etwa die Absenkung Hunderter Formvorgaben beschlossen. Wenn in einem Gesetz zum Beispiel steht, jemand müsse handschriftlich unterschreiben, dann könnte dies künftig durch die Anwendung digitaler Regeln ersetzt werden. So kann heute etwa die Zulassung zur Handwerksmeisterprüfung elektronisch beantragt werden; um nur ein Beispiel zu nennen. Bundesbehörden sind aufgefordert, die elektronische Akte bis 2020 einzuführen. Mit dem E-Rechnungs-Gesetz, das im April verkündet wurde, können ab November 2018 Unternehmen ihre Rechnungen an Bundesbehörden elektronisch stellen. Alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane haben die Arbeit an einem durchgehend digitalisierten Gesetzgebungsprozess aufgenommen. Ein sehr wichtiger Punkt - da kann ich mich bei den Haushältern des Deutschen Bundestages bedanken - war die sogenannte IT-Konsolidierung. Wir haben Hunderte von verschiedenen Rechenzentren, die parallel als Insellösungen aufgebaut sind. Das führen wir jetzt zusammen, und wir sparen damit auch viel Geld. Wir werden auch weniger verwundbar. Wir haben das ITZ, das Rechenzentrum des Bundes mit Hauptsitz in Bonn, gegründet. Das ist ein IT-Großprojekt, das uns sehr bindet und auf Dauer nötig ist. Wir haben die Netze des Bundes, also die Hardwareinfrastruktur, neu konfiguriert. Der Digitalfunk ist gut ausgerollt. Wir haben mit dem BKA-Gesetz in der letzten Woche mit Zustimmung auch des Bundesrates das große Projekt „Polizei 2020“ - dadurch soll der rechtliche Rahmen für eine grundlegende Modernisierung und Verbindung der polizeilichen IT-Systeme bei Bund und Ländern geschaffen werden - in einer nie dagewesenen Weise auf die Schiene gesetzt. Das größte IT-Projekt war das Datenaustauschverbesserungsgesetz. Der von der Flüchtlingskrise ausgehende Druck wurde genutzt, um die Form der Registrierung, die vielseitige Verwendbarkeit und Möglichkeiten des Zugriffs auf Registrierungen durch die unterschiedlichen Behörden in Bund, Ländern und Kommunen zu verbessern. Noch verbesserungsfähig ist das Verhalten der Verwaltungen gegenüber dem Bürger und des Bürgers gegenüber der Verwaltung. Da gibt es sehr viele gute Lösungen in Kommunen und Ländern. Das sind aber überwiegend Insellösungen - das ist so im Föderalismus -, und das wollen wir überwinden. Der zentrale Baustein dafür ist die Änderung des Grundgesetzes und das entsprechende Begleitgesetz, das in dem Paket Bund-Länder-Finanzausgleich hoffentlich in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet wird. Dort wollen wir einen gemeinsamen Portalverbund beschließen, der die Bürgerinnen und Bürger in den Stand setzt, über einen Zugang - durch eine Tür, wenn man so will - so gut wie alle Dienstleistungen, die die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen anbieten, digital zu erledigen. Sie können dann sozusagen mit einem Schlüssel in jede Verwaltung; ob das in Berlin, in Kiel, in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg, in Sachsen oder in Nordrhein-Westfalen ist, ist gleichgültig. Auch das ist ein kompliziertes IT-Projekt mit der Verbindung von Schnittstellen. Es wird dann die große Aufgabe sein, das in der nächsten Legislaturperiode zu verwirklichen, wenn wir in dieser Legislaturperiode noch die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Minister de Maizière. - Es gibt bisher zwei Fragesteller, und ich gebe als Erstem Dr. Tim Ostermann das Wort.

Dr. Tim Ostermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004367, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie haben den gemeinsamen Portalverbund von Bund, Ländern und Kommunen angesprochen, der das Ziel hat, dass möglichst viele Verwaltungsdienstleistungen auf allen Ebenen digital angeboten werden können. Nun soll das Bundesportal im Jahr 2017 online gestellt und schrittweise erweitert werden. Können Sie uns nähere Angaben zu dem Zeitplan machen?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Minister, bitte.

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Zunächst einmal brauchen wir die gesetzliche Grundlage. Das heißt, wir ändern dazu das Grundgesetz und beschließen dann das einfache Gesetz in dem großen Gesetzespaket, das hoffentlich in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet wird. In diesem Onlinezugangsgesetz werden die koordinierenden Aufgaben dem IT-Planungsrat zugewiesen. Der IT-Planungsrat ist ein gemeinsames Gremium der entsprechenden Fachleute vom Bund und von allen Ländern. Dort wird dann der Zeitplan beschlossen. Ich halte es für ehrgeizig, dass wir das 2017 hinbekommen. Manchmal verzögern sich solche IT-Projekte, insbesondere wenn sich 16 Bundesländer und der Bund auf eine gemeinsame Konfiguration einigen müssen; das ist dann so. Ich denke aber, wir bekommen das hin. Die entscheidende Aufgabe wird dann sein, festzulegen: Für welche Dienstleistung nutzen wir das als Erstes, sodass es für die Bürger den größten Effekt hat? Ist es die Kfz-Ummeldung - das könnte ein solcher Vorschlag sein -, sodass man, wenn man von Kiel nach Stuttgart umzieht, das Kfz elektronisch ummelden kann, oder ist es etwas anderes? Nähere Angaben dazu kann ich im Moment noch nicht machen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt gehe ich auf die andere Seite: Dr. Petra Sitte, bitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mich interessiert das ganze Projekt E-Akte, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es dabei auch um die Klärung behördenspezifischer Anforderungen und darüber hinaus um den Aufbau eines Basisdienstes geht. Ich frage nach dem aktuellen Stand dieses Projekts. Wird der Zeitplan, der einmal vorgesehen war, eingehalten?

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Alle Ressorts arbeiten daran, Frau Abgeordnete. Die Vorarbeiten dazu sind abgeschlossen. Das wird nicht nur die Ministerien betreffen, sondern auch alle nachgeordneten Bereiche. Ich weiß aus dem mir nachgeordneten Bereich, dass einige sehr intensiv daran arbeiten, manche die Arbeit ein bisschen scheuen. Das Ziel ist, das bis 2020 abgeschlossen zu haben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Dann Marian Wendt, bitte.

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Minister; auch vielen Dank für die gute Erfolgsbilanz in diesem Bereich. Es gibt allerdings noch einiges zu tun; das haben Sie auch nicht bestritten. Es gab in dieser Legislaturperiode ein Normenscreening, bei dem geprüft wurde, bei welchen Vorschriften durch Digitalisierung insbesondere das Schriftformerfordernis oder die Notwendigkeit persönlichen Erscheinens ersetzt werden können. Ist es geplant, das auch künftig weiterzutreiben, gegebenenfalls die Vorschriften, die in Gesetzen neu beschlossen werden, daraufhin zu prüfen, ob persönliches Erscheinen oder die Schriftform wirklich nötig sind?

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Herr Abgeordneter, dieses Gesetzesvorhaben war außerordentlich arbeitsintensiv. Alle Mitarbeiter mussten sozusagen in der gesamten Rechtsdichte des deutschen Rechts danach suchen: Wo gibt es Formvorschriften? Sind die entbehrlich? - Da war es so, wie es oft ist: Die politischen Führungen haben gesagt: Na klar, das kann alles weg. Wir leben heute in einem anderen Zeitalter. Konkret wurde auf Arbeitsebene und anderswo gesagt: Ja, da habt ihr recht, aber diese Vorschrift muss leider so bleiben. Wenn ich das so sagen darf: Insbesondere wenn an die tatsächliche Unterschrift auch Geschäftsmodelle geknüpft sind, dann sind die Besitzstände besonders groß, sodass es bei diesem Schriftformerfordernis bleibt. Im Ergebnis ist es gelungen, 20 bis 25 Prozent der Schriftformerfordernisse mit diesem Gesetz zu beseitigen. Das ist gut, aber nicht gut genug. Deswegen, finde ich, muss in der nächsten Legislaturperiode ein neuer Anlauf unternommen werden, um mindestens noch einmal die gleiche Anzahl von Schriftformerfordernissen wegzubekommen. Aber es ist ein zäher Kampf mit den aktuellen Besitzständen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin: Petra Pau für die Linke.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Sie haben eben schon gesagt, dass es ein ehrgeiziges Projekt ist. Nun wollen wir es nicht nur weiter eng begleiten, sondern auch zu einem entsprechenden Erfolg bringen. Deswegen interessiert mich Ihre Planung zum weiteren Berichtswesen für das Regierungsprogramm, auch vor dem Hintergrund, dass es seit 2015 keine halbjährlichen Statusberichte mehr gibt. Können Sie uns sagen, wie es aus Ihrer Sicht in Zukunft sinnvoll gestaltet werden soll? Dann können wir dies anders begleiten.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete Pau, wir werden sehr eng begleitet. Ehrlich gesagt, haben wir darum gebeten, vom Haushaltsausschuss bei dem Projekt IT-Konsolidierung begleitet zu werden, weil die Ressorts in den nachgeordneten Bereichen ihre Bereiche behalten wollen. Hier ist der Druck mit Berichtspflichten hinsichtlich der Fortschritte, Meilensteine usw. sehr hilfreich. Im Übrigen finde ich halbjährliche Berichte zu viel. Das muss in der neuen Legislaturperiode entschieden werden; denn man muss auch an der Sache arbeiten und nicht nur Berichte schreiben. Deswegen sollten wir in der neuen Legislaturperiode mit dem Parlament darüber reden, ob vielleicht ein jährlicher Bericht oder ein Bericht alle zwei Jahre nicht richtiger ist. Wenn man sich dagegen auf bestimmte Bereiche, die einem besonders wichtig sind - etwa Portalverbund oder die IT-Konsolidierung -, konzentriert, dann bin ich gerne bereit - eher in den Ausschüssen als im Plenum -, die Berichte in kürzeren Abständen zu geben, dann aber so effektiv, dass sie aussagefähig sind. Aber es darf nicht so sein, dass wir vor lauter Berichteschreiben nicht mehr zum Arbeiten kommen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. - Saskia Esken, bitte.

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich habe zwei Fragen im Zusammenhang mit Daten rund um das Programm „Digitale Verwaltung 2020“. Zum einen möchte ich gerne wissen, welche Bedeutung Sie dem Thema und unserem Vorhaben eines Open-Data-Gesetzes und der Open-Data-Gesetze der Länder im Zusammenhang mit übergreifenden digitalen Verwaltungsverfahren beimessen. In der Bund-Länder-Finanzvereinbarung war die Rede von einer Verabredung für Open-Data-Gesetze auf Bundes- und Länderebene. Die andere Frage bezieht sich auf die Datenhoheit bei übergreifenden Verfahren. Wer hat bei Fachverfahren die Hoheit über die Daten?

Not found (Minister:in)

Zunächst zum Open-Data-Gesetz. Wenn Sie in dieser Woche das sogenannte E-Government-Gesetz beschließen und der Bundesrat dem nicht widerspricht - es ist, glaube ich, nicht zustimmungspflichtig -, dann haben wir die gesetzliche Grundlage für Open Data. Noch einmal für alle: Open Data heißt, dass die vom Steuerzahler bezahlten, durch die Verwaltung erstellten Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, sodass sie von der Öffentlichkeit genutzt werden können. Das ist anders als beim Informationsfreiheitsgesetz, bei dem es um eine einzelne Information geht. Es geht also um Massendaten, aus denen Projekte entwickelt werden können: für Verkehrslenkung, für Gesundheitsprojekte. Das ist neu. Auch hier mussten die Verwaltungen zum Jagen getragen werden. Das macht natürlich Arbeit. Man muss die Daten auch so aufbereiten, dass sie für alle Beteiligten nutzbar sind. Das geht natürlich nur mit den Daten, die der Bund zur Verfügung hat. Das muss parallel geschehen mit den Daten, die die Länder zur Verfügung haben, etwa die Geodaten. Bei den Geoinformationsdiensten - Landesvermessungsämter, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie - gibt es immer Debatten darüber, wer die Hoheit über die Daten hat. Am besten macht man das koordiniert. Das muss im IT-Planungsrat besprochen werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin: Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank auch, Herr Minister, für Ihre Einführung. Wenn wir über den ganzen Bereich der digitalen Verwaltung sprechen, können wir das Thema Cybersicherheit und Cyberangriffe nicht ausblenden, gerade angesichts der Entwicklungen und der Ereignisse in den letzten Tagen und auch der umfangreichen Berichterstattung zum letzten großen Cyberangriff. Wir im Deutschen Bundestag waren ja auch schon Opfer von Cyberangriffen. Meine Frage an Sie: Glauben Sie, dass Sie mit der bestehenden Struktur, die wir im Moment haben, wirklich ausreichend darauf vorbereitet sind, öffentliche Verwaltung, öffentliche Einrichtungen, öffentliche Dienstleister wie Krankenhäuser und andere zu schützen, oder muss da nicht eine ganz andere Reaktion auch unsererseits erfolgen, was das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und andere Fragen angeht?

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin, das ist jetzt schon eine Frage, die über das heutige Thema der Befragung hinausgeht. Ich will sie aber gerne unter dem Chapeau beantworten. Es war zwar heute nicht Gegenstand der Berichterstattung, aber ich würde dazu gerne etwas sagen. Wenn Sie mir eine halbe Minute mehr geben, Frau Präsidentin.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Mache ich.

Not found (Minister:in)

Frau Haßelmann, es war natürlich ein schwerwiegender Angriff - keine Frage. Deutschland ist dabei - Sie haben es gelesen - mit einem blauen Auge davongekommen. Deutschland gehört nicht zu den hauptsächlich betroffenen Ländern; wir stehen in der Liste der am meisten betroffenen Länder auf Platz 13. Das BSI hat schon im Frühjahr, nach Bekanntwerden der Lücke, davor gewarnt und gezeigt, wie man diese Lücke schließt. Vielleicht ist auch deswegen die Betroffenheit in Deutschland geringer. Das ist gut. Relativ gesehen, stehen wir im internationalen Vergleich gut da. In Russland ist das Innenministerium angegriffen worden, in China 20 000 Tankstellen, in den USA FedEx, in Taiwan gab es einen großen Angriff, in Großbritannien einen Angriff auf 60 Kliniken, in Spanien gab es große Angriffe. Da erscheint manche Kritik an dem, was in Deutschland ist, unangemessen. Aber es stellt uns nicht zufrieden; denn ich rechne mit weiteren Angriffen. Wir haben nun mit dem IT-Sicherheitsgesetz als erstes Land in Europa einen ersten großen Schritt gemacht. Wir haben die NIS-Richtlinie und ihre Umsetzung auf den Weg gebracht. Wir haben das BSI gestärkt. Wir haben die erste sogenannte BSI-Kritisverordnung erlassen. Darin definieren wir Bereiche der kritischen Infrastruktur, für die es Sicherheitsauflagen und Meldepflichten gibt. Wir sind kurz vor der Verabschiedung der zweiten Kritisverordnung, mit der wir dann auch die kritischen Infrastrukturen etwa im Verkehrsbereich festlegen. Da geht es zum Beispiel um die Frage: Sollen alle Flughäfen zur kritischen Infrastruktur gehören oder nur große, und welche sind die großen? Ich hoffe, dass wir darüber im Kabinett in kürzester Zeit Einigkeit erzielen. - Das ist der gute Teil der Geschichte. Der schwierige Teil ist: Wir können uns nur um die kritische Infrastruktur kümmern. Wir können uns jetzt nicht um jedes Kreiskrankenhaus kümmern. Ich sage das deswegen, weil ein Kreiskrankenhaus in Nordrhein-Westfalen Opfer von Angriffen war. Das müssen die Verbände, die Organisationen, die Krankenhausgesellschaft, das Gesundheitswesen selber machen. Wir kümmern uns um die kritische Infrastruktur, mit strammen Auflagen, die, rechtlich gesehen, Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bedeuten. Wir müssen da Beratung anbieten und auch sonst viel machen. Im Rahmen der Umsetzung der NIS-Richtlinie schaffen wir auch so eine Art Cyberfeuerwehr: Man schickt Mitarbeiter des BSI in solche betroffenen Bereiche, um das Problem zu lösen. Worüber wir in der nächsten Legislaturperiode reden müssen - das ist vermutlich auch Teil Ihrer Frage -: Wie ist da eigentlich die Zuständigkeitsverteilung im föderalen Staat? Denn natürlich ist allgemeine Gefahrenabwehr Ländersache, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass 16 Bundesländer die gleichen Kapazitäten aufbauen. Deswegen muss in der nächsten Legislaturperiode in Ruhe über diese Frage gesprochen werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich glaube, Sie waren einverstanden, dass wir jetzt ein bisschen flexibler mit der Zeit umgehen, weil diese Frage und die Antwort darauf alle berührt. Herr Minister, wir gehen jetzt zurück zum Thema der heutigen Kabinettssitzung. Dazu habe ich jetzt noch vier Fragestellerinnen. Dann folgen möglicherweise neue Themenbereiche. Die nächste Fragestellerin ist Petra Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte schon an dieser Frage dranbleiben. Sie haben selber gesagt, dass es aktuell dezentrale Strukturen gibt, und zwar aufgrund der Tatsache, dass wir ein föderales System haben. Aber in der digitalen Verwaltung ist natürlich eine Menge Daten unterwegs, die konkret personenbezogen sind, die geschützt werden müssen. Sich darüber im Klaren zu sein, dass jetzt irgendjemand irgendwo etwas machen muss und dass die Verantwortung ebenso auf dezentraler Ebene liegt, enthebt uns nicht der Verantwortung. Nicht allein deshalb versuchen Sie, über eine Grundgesetzänderung bestimmte Befugnisse auf Bundesebene zu ziehen. Wäre es angesichts der jüngsten Angriffe nicht notwendig, mehr zu tun, also einen Schritt weiter zu gehen und mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen - von mir aus kann auch eine Taskforce gebildet werden -, damit wir nicht warten müssen, bis die Bedingungen auf der letzten Ebene der Kreisverwaltung erfüllt werden?

Not found (Minister:in)

Ich will zunächst trennen zwischen den Themen „Zugang“ und „leichtere Möglichkeit für Bürger, digital Verwaltungsgeschäfte zu erledigen“. Das haben wir, glaube ich, jetzt abgearbeitet. Dabei spielt das Thema „Sicherheit“ eine große Rolle; darauf zielen Sie, glaube ich, ab. Ich erinnere an die Diskussion über das Thema IT-Sicherheitsgesetz, die nicht ganz neu war. Damals haben die Betroffenen gesagt: Was bildet der Staat sich eigentlich ein, uns vorzuschreiben, wie wir IT-Struktur zu betreiben haben? Das kann man uns doch gefälligst selbst überlassen. - Aber wir haben gesagt: Nein, wenn ihr eine kritische Infrastruktur betreibt, deren Funktionieren für unser Gemeinwesen nötig ist, dann ist es nicht zu viel verlangt, wenn wir von euch entsprechende IT-Sicherheitsvorkehrungen fordern, gegebenenfalls verbunden mit Meldepflichten, um weitere Gefahren abzuwenden. Es ist uns in dieser Legislaturperiode gelungen, eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen. Das ist ein großer Erfolg. Es ist das erste Gesetz dieser Art. Es kommen viele Kollegen zu uns und fragen: Wie habt ihr das eigentlich gemacht? Wir sind noch weit davon entfernt, eine Schutzpflicht gegenüber anderen einzuführen. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben lange darüber diskutiert, ob es im Auto eine Gurtpflicht geben sollte. Es gab große Widerstände. Die Vorstellung, dass wir jedem Pkw-Fahrer vorschreiben, einen Sicherheitsgurt anzulegen, stieß auf große Ablehnung. Es wurde argumentiert: Man bricht sich die Schulter, man kommt nicht aus dem Auto, wenn das Auto brennt usw. Wir haben schließlich gesagt: Ein Sicherheitsgurt muss sein. - Wir haben auch gesagt: Ein Helm beim Motorradfahren muss sein. Beim Fahrradfahren und beim Skifahren haben wir geBundesminister Dr. Thomas de Maizière sagt: Das verpflichtende Tragen eines Helmes muss nicht sein, trotzdem nutzen ihn viele. Also: Eine politische Mehrheit, um für jedes mittelständische Unternehmen und für jede Einzelperson Vorschriften zu erstellen und zu sagen: „Das müsst ihr strafbewehrt und sanktionsbewehrt einführen, sonst dürft ihr nicht am Internet teilnehmen“, sehe ich, ehrlich gesagt, noch nicht.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Matthias Schmidt ist der nächste Fragesteller.

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Minister. Sie haben in Ihrem einleitenden Vortrag über das Datenaustauschverbesserungsgesetz berichtet. Können Sie uns sagen, ob die Ausstattung mit Hard- und Software auf allen Ebenen inzwischen abgeschlossen ist? Meine zweite Frage lautet: Wie ist der Stand bei der Registrierung der Flüchtlinge?

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Die Hardwareausstattung auf Bundesebene ist ausgerollt. Wir haben den Ländern die sogenannten PIK-Geräte, auf die Sie anspielen, zur Verfügung gestellt, und zwar über unseren Bedarf hinaus. Die Länder haben gesagt: Wir nehmen sie gerne und verteilen sie. Wo wir immer noch einen Mangel haben, ist bei der Ausstattung mancher Ausländerbehörden mit Fingerabdruckgeräten. Das sind die Geräte, die jede Meldebehörde hat, wenn man einen Personalausweis beantragt. Das liegt, ehrlich gesagt, überhaupt nicht in unserer Zuständigkeit und auch nicht in unserer Verantwortung, sondern die Verantwortung liegt hier bei den Ländern. Dennoch haben wir in der letzten Runde der MPK gesagt, dass wir bereit sind, finanziell noch einmal zu helfen, obwohl der Betrag weit unter 10 Millionen Euro liegt. Wo wir noch keine entsprechende Ausstattung haben, ist bei den Sozialbehörden. Aber das wäre wichtig, um Sozialbetrug bekämpfen zu können. Wir arbeiten, wie Sie wissen, mit dem BMAS an einem Gesetzesvorhaben, dass die Sozialbehörden ermächtigt werden, entsprechende Abfragen zu machen und Fingerabdrücke zu nehmen. Man muss über die Ausstattung der Sozialbehörden reden, aber dass der Bund dafür in Verantwortung genommen wird, dass sich eine Ausländerbehörde in einem Landkreis ein Gerät kauft, das nicht sehr teuer ist, das ist irgendwie schon etwas Besonderes. In Ihrer zweiten Frage ging es um den Stand der Registrierung. Die Registrierung ist abgeschlossen. Es gibt ein gewisses Problem bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, weil ein nicht unerheblicher Teil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gar keinen Asylantrag stellt, sondern sie sind einfach da. Sie besuchen zum Teil auch Schulen. Aber Jugendämter und Betreuer halten es für richtig, keinen Asylantrag zu stellen. Das ist meines Erachtens falsch. Deswegen ist im Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das morgen hier verabschiedet wird, vorgesehen, dass die Jugendämter bei entsprechender Kenntnis gehalten sind, einen Asylantrag für die Jugendlichen zu stellen. Also, im Bereich unbegleiteter Jugendlicher, die sich nicht melden, mag es noch Registrierungsprobleme geben; aber man kann niemanden registrieren, der nicht erscheint. Ansonsten ist die Registrierung der Asylbewerber abgeschlossen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Konstantin von Notz ist der nächste Fragesteller.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zu WannaCry. Soll ich die zurückstellen, oder darf ich sie stellen, Herr Minister?

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Von mir aus gerne. Sie müssen die Präsidentin fragen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die ist tolerant. Das weiß ich aus Erfahrung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es geht hier eh drunter und drüber.

Not found (Minister:in)

Dass es hier drunter und drüber geht, weise ich mit Abscheu und Empörung zurück, Frau Präsidentin. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, bei diesem sehr ernstzunehmenden Cyberangriff mit WannaCry wurde eine Sicherheitslücke ausgenutzt, die offensichtlich lange Zeit quasi im Besitz der NSA gewesen ist. Können Sie ausschließen, dass auch deutsche Sicherheitsbehörden vor der Veröffentlichung, also vor diesem Leak, im Besitz dieser Sicherheitslücke waren? Und was sagt es über die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung aus, wenn auch deutsche Sicherheitsbehörden Lücken ankaufen, nicht etwa um sie zu schließen, sondern um sie für häufig legitim anmutende Interessen offenzuhalten, auch wenn das in der Konsequenz brutal ist?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Minister.

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Die starke Ausbreitung von WannaCry ist nicht allein auf das Zurückhalten von Sicherheitslücken - wie etwa bei der NSA - zurückzuführen. Die hier konkret ausgenutzte Schwachstelle wurde von Microsoft bereits Mitte März, also einen Monat vor der Veröffentlichung des NSA-Leaks, durch einen Patch für aktuelle Betriebssysteme geschlossen. Wichtig ist, dass nach dem Bekanntwerden von Schwachstellen die Hersteller ihren Nutzern zeitnah notwendige Sicherheitspatches bereitstellen. Das gilt gerade für die Betreiber kritischer Infrastrukturen. Das BSI hat entsprechende Hinweise gegeben. Die Bundesregierung - das ist ja der Kern Ihrer Frage - steht weiterhin zu den 1999 beschlossenen Kryptoeckwerten. Das heißt: keine Schwächung von Verschlüsselungen durch den Einbau von Hintertüren. Wir sprechen uns gegen den Einbau von Hintertüren - „Backdoors“ heißen sie im Englischen - aus. Eine Sicherheitslücke ist etwas anderes als eine solche Hintertür. Bei Sicherheitslücken ist eine mögliche Nutzung durch die Sicherheitsbehörden sorgfältig zu prüfen. Dabei sind mögliche IT-Sicherheitsrisiken zu bewerten und kritische Lücken an die Hersteller zu melden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Ich lasse noch zwei Fragen zu diesem Themenbereich zu - sonst kommen wir wirklich nicht durch -, und zwar von Frau Esken und von Kollegin Pau.

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte am Rande bemerken, dass die Krankenhäuser durchaus zur kritischen Infrastruktur gehören und deshalb auch unsererseits und nicht nur seitens der Krankenhäuser selbst die Verantwortung besteht, sich in besonderem Maße um die IT-Sicherheit zu kümmern. Herr Minister, ich würde Ihnen aber gerne noch einmal Gelegenheit geben, meine Frage zur Datenhoheit im Portalverbund zu beantworten; denn die Zeit reichte leider nicht, um die Frage zu beantworten.

Not found (Minister:in)

Da haben Sie recht. Dann will ich zu den Krankenhäusern aber auch etwas sagen: Bei den Ressortverhandlungen im Vorfeld der BSI-Kritisverordnung - also vor dem Angriff - haben die Vertreter des entsprechenden Ressorts immer gesagt: Ein Kreiskrankenhaus gehört doch nicht zur kritischen Infrastruktur, eine Universitätsklinik oder eine Zentrale für Blutkonserven vielleicht, aber ein Kreiskrankenhaus nicht. - Als BMI wollten wir den Kreis der kritischen Infrastrukturen tendenziell durchaus weit fassen. Die Betroffenen wollten ihn möglichst eng halten, weil die Zuordnung zur kritischen Infrastruktur mit Kosten und Meldepflichten verbunden ist. Vielleicht wird darüber nach diesem Angriff noch einmal nachgedacht. Auf jeden Fall gehört nicht jedes Kreiskrankenhaus mit Blick auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland zur kritischen Infrastruktur. Man muss eine Abgrenzung vornehmen. Ich komme zu Ihrer zweiten Frage. Die Hoheit über die Daten wird, wie ich meine Länderkollegen kenne, natürlich bei dem jeweils Zuständigen bleiben. Das wird im IT-Planungsrat zu beraten sein. Der Clou dieses Portalverbunds besteht darin, dass wir dem Bürger die Möglichkeit geben, durch dieses eine Portal faktisch genauso in die Kreisverwaltung X zu kommen wie in die Verwaltung des Landes Y, ohne dass der Bürger merkt, dass dahinter komplizierte Schnittstellen und Rechtsfragen liegen. Ich glaube, wenn wir die Hoheitsfrage über die Daten stellen würden, wäre es sehr schwierig, diesen Portalverbund durchzusetzen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir springen ein bisschen hin und her. Ich möchte zurück zu der Frage der Kollegin Sitte, in der es um die Absicherung ging. Mir geht es in diesem Fall um Folgendes: Wenn Sie jetzt diese unterschiedlichen Lösungen implementieren, ganz egal, ob wir mit dem Ummelden des Fahrzeuges beginnen oder womit auch immer, inwieweit wird das durch eine Absicherung und entsprechende Zertifizierung durch das BSI begleitet? Wir sind hier tatsächlich in einem Wettlauf mit Personen, die von anderen Interessen geleitet sind. Es geht darum, sowohl die Infrastruktur als auch die dort behandelten und vorhandenen sensiblen Daten zu schützen. Wenn ich das gleich noch anschließen darf: Mich würde auch interessieren - das können wir vielleicht an anderer Stelle noch einmal besprechen -, wie wir die Umsetzung dieses ambitionierten Programms öffentlich begleiten, damit der Bürger, der diese Möglichkeiten nutzen soll und kann, sich dazu auch in die Lage versetzt fühlt.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete Pau, Sie fragen mich hier sozusagen nach der Umsetzung eines Gesetzes, das es noch gar nicht gibt. ({0}) - Klar. - Ich will es einmal so sagen: Es gibt im Internet einen Zielkonflikt zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit. Ich habe das oft an einem Beispiel deutlich gemacht: Den Indianer finden alle cool. Er ist beweglich, aber ungeschützt. Der Ritter ist geschützt, aber unbeweglich. - Viele glauben, sie könnten im Internet Ritter und Indianer gleichzeitig sein. Das funktioniert nicht. Das heißt, natürlich muss, zum Beispiel bei einem solchen Portalverbund, eine sichere Identifizierung des Bürgers stattfinden. Da wird die PIN nicht ausreichen. Da brauchen wir einen zweiten Schlüssel. Wir empfehlen, dafür den elektronischen Personalausweis zu nutzen. Er muss dafür handhabbarer sein als jetzt; das ist ein anderes Vorhaben, an dem wir noch arbeiten. Über eine NFC-Schnittstelle wäre dann die Identifikation mit dem Handy möglich. Dahinter muss es entsprechende Sicherheitsvorkehrungen geben. Wir sind gut beraten, das BSI da zu beteiligen. Das Zweite ist die Öffentlichkeitsarbeit. Diese muss man, denke ich, mit Anwendungen machen. Wir haben mit dem elektronischen Personalausweis ein gutes Produkt und wenig Anwendungen. Wenn man diesen anpreist und sagt, man könne ganz viel damit machen, es aber wenige Anwendungen gibt, dann sind die Menschen enttäuscht. Daher würde ich empfehlen, dass wir bezüglich des Portalverbunds eine große Öffentlichkeitskampagne machen. Im Rahmen dieser Kampagne könnten wir den Bürgern die ersten für sie signifikanten, erkennbaren und nutzbaren Anwendungen vorstellen. Dann könnten wir sagen: Mit diesem Portal kann man jetzt diese und jene Anwendung nutzen. - Das ist besser, als abstrakt zu sagen: Jetzt habt ihr einen Portalverbund.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Minister. - Dann kommen wir jetzt zum zweiten Teil der Befragung der Bundesregierung. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? Wenn dem nicht so ist - ich sehe das -, dann kommen wir zum dritten Teil - hier haben sich bereits Fragesteller gemeldet -, und zwar zu Fragen an die Bundesregierung zu sonstigen Themen. Da hatten sich Frau Hänsel und Herr Beck gemeldet. - Frau Hänsel, bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Minister, wir haben ja den skandalösen Zustand, dass Bundestagsabgeordnete nicht ihren Auftrag wahrnehmen können, die Parlamentsarmee zu kontrollieren und sich Mandate anzuschauen. Die türkische Regierung verweigert Abgeordneten den Besuch von Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Was wurde im Kabinett dazu besprochen? Wird dieser wirklich unhaltbare Zustand, dass die Kontrolle durch das Parlament hier nicht wahrgenommen werden kann, sofort aufgelöst und nicht etwa erst dann, wenn eine alternative Luftwaffenbasis gefunden ist?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr de Maizière, bitte.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, im Kabinett haben wir heute nicht darüber gesprochen. Aber natürlich gibt es darüber Gespräche in der Bundesregierung. Für weitere Details steht der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe gleich zur Verfügung. Ich kann Ihnen aber sagen, dass erstens nach alternativen Standorten nicht erst seit gestern oder vorgestern gesucht wird und dass zweitens natürlich auch die Gespräche mit der türkischen Regierung fortgesetzt werden, um diesen, wie Sie sagen, unhaltbaren Zustand zu beenden. Dazu wird auch der NATO-Gipfel in kürzester Zeit Gelegenheit bieten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Dann kommt der Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Minister, ich beziehe mich auf einen Vorgang, der sowohl in der deutschen als auch in der israelischen Presse aktuell stark diskutiert wird. Nach Presseinformationen der Washington Post hat der amerikanische Präsident an den russischen Außenminister Lawrow höchst geheim gehaltene Daten weitergegeben, unter anderem eine IS-Quelle preisgegeben. Das war eine Information, die er von einem befreundeten Geheimdienst bekommen hat. Ich möchte wissen: Was hat die Bundesregierung im Kabinett oder auch auf Ressortebene, im Sicherheitsrat darüber diskutiert, wie wir vor diesem Hintergrund damit umgehen in der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Geheimdiensten bezüglich Datenweitergabe, wenn wir nicht sicher sein können, dass das an alle möglichen Seiten weitergegeben wird, von denen wir es nicht beabsichtigen oder wünschen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter Beck, zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass wir das aus der Presse und aus Twitter verfolgt haben. Das ist ja vielleicht noch kein abschließendes Lagebild. Zweitens hatten wir oft das Problem in Deutschland, dass wir Informationen von befreundeten Nachrichtendiensten bekommen haben, die - aus welchen Gründen auch immer - aus der Exekutive oder Legislative durchgestochen worden sind. Also, wir sind mitnichten diejenigen, die mit dem Finger auf andere zeigen können. Ich habe die Exekutive einbezogen, damit dort kein falscher Zungenschlag hineinkommt. Deswegen meine ich, dass alle gut beraten sind, insbesondere sicherheitsrelevante Informationen von befreundeten Nachrichtendiensten, die entweder die Quelle gefährden oder deren Bekanntgabe sicherheitsnotwendige Maßnahmen verhindert, geheim zu halten. Das gilt für alle Beteiligten - in den USA und in Deutschland. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt kommt der Kollege von Notz.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wir kommen gerade aus der Innenausschusssitzung, bei der Franco A. Gegenstand der Diskussionen war. Ich darf zur Einleitung meiner Frage mein Unverständnis zum Ausdruck bringen, wie wenige Informationen wir im Innenausschuss bekommen haben angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Einzelkämpfer bei der Bundeswehr handelt, der mit konspirativ agierenden Kollegen mehrere Tausend Schuss Munition hatte und offensichtlich den Bundespräsidenten umbringen wollte. Ich frage mich, was eigentlich noch passieren muss, damit die Leute bei der Aufklärung in die Gänge kommen. Deswegen frage ich Sie: Kann man bis zum heutigen Zeitpunkt ausschließen, dass es ein konspiratives Zusammenwirken zwischen dem BAMF-BefraBundesminister Dr. Thomas de Maizière ger R., wenn ich es richtig im Kopf habe, und Franco A. gab? Und wie ist das eigentlich im Hinblick auf weitere Umstände, die bis heute völlig im Unklaren sind? Was wusste das BfV über Franco A.? Wie war der Stand? Ist man tatsächlich erst durch die Anfragen österreichischer Sicherheitsbehörden auf diesen unfassbaren Fall gekommen?

Not found (Minister:in)

Zur ersten Frage möchte ich Ihnen sagen, dass es nach den mir vorliegenden Informationen - ich war natürlich nicht im Innenausschuss - Hinweise auf ein kollusives Zusammenwirken dieses Herrn mit den Mitarbeitern im BAMF, die ja, wie Sie wissen, zum Teil auch von der Bundeswehr waren, bisher nicht gibt. Die Ermittlungen des BKA sind natürlich nicht abgeschlossen. Über Vorgänge, wann das BfV zu welchen Dingen befasst war, ist nicht in öffentlicher Sitzung Bericht zu erstatten, sondern im Parlamentarischen Kontrollgremium. Im Übrigen bin ich zuversichtlich, dass das BKA, das ja die Ermittlungen führt, versucht, dieses bis zum innersten Kern aufzuklären.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Minister. - Volker Beck und Renate Künast.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich komme der Bitte des Kabinettsreferats des Auswärtigen Amts nach, eine Frage zu stellen. ({0}) - Auf Briefe antwortet man nicht; da bekommt man die Antwort, man möge die Frage dem Frageverkehr ordnungsgemäß zuführen. - Welche zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden bei offiziellen Besuchen von Bundesministern oder der Bundeskanzlerin bei Besuchen in Israel und in besetzten Gebieten jeweils wie oft getroffen? Bitte insgesamt entweder nach Ministerbesuchen oder/und nach Organisationen mit Häufigkeit für die Jahre 2014, 2015, 2016 und 2017 aufschlüsseln. Ich hätte ein gewisses Verständnis, wenn Sie die Aufschlüsselung nicht unmittelbar und spontan aus dem Ärmel schütteln könnten, würde mich dann aber über eine schriftliche, umfassende und wahrheitsgemäße Beantwortung noch in dieser Woche freuen.

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin, wie gehen wir geschäftsordnungsmäßig damit um? Die Bundesregierung soll ja nur eine Minute antworten. Darf ich das an Frau Böhmer weitergeben?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich wollte gerade schon sagen: Wir hatten schon einmal einen Konflikt mit der Redezeit; ich erinnere mich daran. Sie haben für die Antwort eine Minute. Aber vielleicht können Sie einen Verfahrensvorschlag machen, wie die Frage beantwortet werden kann.

Not found (Minister:in)

Darf ich Frau Staatsministerin Böhmer das überlassen?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie dürfen, ja. - Bitte machen Sie einen Verfahrensvorschlag zur Beantwortung dieser Frage.

Not found (Gast)

Ganz herzlichen Dank. - Ich will etwas zum Verfahren sagen. Aber zuerst, lieber Herr Beck, danke ich Ihnen für das Verständnis gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amts. Ich darf Ihnen zusichern, dass die Frage schriftlich und möglichst zügig beantwortet wird. ({0}) Ich bitte um Verständnis, dass sie innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden muss und dies eine gewisse Zeit braucht. Aber wir werden alles daransetzen, dass Sie bald eine Antwort haben. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Böhmer. - Es haben sich noch Frau Künast und Frau Haßelmann gemeldet. Danach würde ich die Befragung der Bundesregierung gerne beenden, weil es noch ein paar andere Fragen gibt.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich habe noch eine Frage zum Fall Franco A., der mittlerweile vielleicht auch ein Fall Bundeswehr ist. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie die Bundesregierung eigentlich sicherstellen will, dass sowohl der Deutsche Bundestag und seine Gremien als auch die Staatsanwaltschaften umfassend informiert werden. Ich will Ihnen den Kontext dieser Frage erklären. Man hört in diesen Zusammenhängen ja immer wieder, dass Disziplinarvorgesetzte nicht „in completto“ die Unterlagen und damit den ganzen Vorgang an die Staatsanwaltschaften abgeben, sondern nach eigenem Ermessen offensichtlich Dinge zurückhalten. Ich möchte von Ihnen wissen: Wie stellen Sie sicher, dass es im Fall Franco A. nicht so sein wird und dass bei der Bundeswehr in Zukunft grundsätzlich etwas gilt, was meines Erachtens Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist - das gilt gerade hier; immerhin sollte der Bundespräsident umgebracht werden -, dass nämlich tatsächlich immer die ordentliche Strafgerichtsbarkeit eingeschaltet wird. Ich füge einen kurzen Gedanken hinzu. Ich finde es unsäglich, dass über einen solchen Vorgang auch der Deutsche Bundestag nicht umfassend informiert wird. Heute hat der Rechtsausschuss auf Antrag des Abgeordneten Luczak mehrheitlich beschlossen, sich nicht mit diesem Thema zu befassen, weil man erst einmal abwarten wolle. Man wollte also keine Debatte über die Wehrdisziplinarordnung, das Thema Strafrecht und strafrechtliche Ermittlungen führen. Ich würde gerne Ihre Vorstellungen zu beiden Teilen hören.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Auch Herr de Maizière hat jetzt eine Minute länger Zeit.

Not found (Minister:in)

Vielleicht brauche ich sie gar nicht. - Frau Abgeordnete Künast, ich kann Ihnen bei der Aufsetzung bestimmter Tagesordnungspunkte in Ihrem Ausschuss nicht helfen. Das kann die Bundesregierung nicht entscheiden; das muss der Ausschuss entscheiden. Im Übrigen war die Verteidigungsministerin heute wieder im Verteidigungsausschuss. Ich bin ganz sicher, dass die Verteidigungsministerin und das Ministerium alles in ihrer Macht Stehende tun, um alle Fragen von Abgeordneten, die aus Rechtsgründen zu beantworten sind, ordnungsgemäß zu beantworten. Manche Dinge sind allerdings von anderen Gremien zu bearbeiten - das gilt zum Beispiel dann, wenn es um den MAD geht - oder unterliegen anderen Rechtsvorschriften, wie es etwa bei Ermittlungs- und Disziplinarverfahren der Fall ist.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich finde, die Frage: „Befasst sich ein Rechtsausschuss mit diesem Thema oder nicht?“ zeigt, dass die Koalitionsfraktionen die Kontrolle über die Bundesregierung an dieser Stelle völlig aus der Hand gegeben haben. Wie man zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann: „Damit brauchen wir uns nicht zu befassen; es besteht kein Beratungsbedarf“, ist mir vollkommen unerklärlich. Jetzt zu meiner Frage. Ich habe der Presse entnommen, dass sich das Bundesverteidigungsministerium im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Falls Franco A. jetzt doch mit dem Thema „Umbenennung von Kasernen“ beschäftigen will. Dieses Thema haben wir in der letzten Legislaturperiode mehrfach angestoßen, ebenso wie das Thema „Wehrmachtsdevotionalien in Kasernen“. Wie erklären Sie sich eigentlich, dass dieses Thema so lange herumlag? Sie als CDU/CSU stellen ja seit zwölf Jahren den Verteidigungsminister. Ist Ihnen jetzt erst aufgefallen, dass wir hier eine Problematik haben, die zu bearbeiten ist?

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin, ich muss wieder fragen, ob diese Frage der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe beantworten kann. ({0}) - Ja, in der Tat, und wir haben etliche Kasernen umbenannt und einiges auf den Weg gebracht, damit es zu Umbenennungen kommt. ({1}) Allerdings geschah das immer im Einvernehmen mit der Kommune, Frau Abgeordnete Haßelmann. Es ist zwar nicht von Verfassungs wegen ({2}) zwingend, aber doch der Staatspraxis entsprechend, dass die Benennung von Kasernen im engsten Einvernehmen mit den Kommunen zustande kommt, und Sie würden sich wundern, wie manche Kommunen an dem Namen ihrer Kaserne hängen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe, wenn Sie mögen, können Sie kurz auf die Frage eingehen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ja.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich glaube, das macht Sinn.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, da es eine entsprechende Frage für die Fragestunde gegeben hat, kann ich Ihnen ressortabgestimmt und in Ergänzung zu dem, was der Bundesminister des Innern ausgeführt hat, noch Folgendes dazu vortragen: Bei Kasernenbenennungen folgt die Bundeswehr dem bewährten Grundsatz, Namensgebungen in einem Meinungsbildungsprozess bei den betroffenen Bundeswehrangehörigen „von unten“ zu initiieren. Dies entspricht den Grundsätzen der Inneren Führung und dem Leitbild des mündigen Staatsbürgers in Uniform. Im Zuge der gegenwärtigen Diskussion zum Traditionsverständnis der Bundeswehr wurde entschieden, diesen Prozess dort erneut anzustoßen, wo Kasernen nach Personen oder anderweitig benannt sind, die nicht im Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis stehen könnten. Ziel ist es dabei, zu prüfen, ob die Benennungen der Kasernen sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sind oder ob eine Umbenennung von Kasernen zu erfolgen hat. Es gilt daher, bei den Bundeswehrangehörigen einen offenen Meinungsbildungsprozess anzustoßen und gemeinsam mit den Vertretern der Kommunen in einen entsprechenden Dialog zu treten. Der Prozess soll noch im laufenden Jahr abgeschlossen werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Brauksiepe. - Der letzte Fragesteller ist Kollege Mutlu.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Ich habe eine Frage zu dem neuen Fall einer verhafteten deutschen Journalistin in der Türkei. Neben Deniz Yücel sitzt seit Anfang Mai Mesale Tolu, gebürtige Ulmerin, in der Türkei im Gefängnis. Sie ist Journalistin und hat ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Insofern greift auch das Völkerrecht. Ich frage Sie: Was will die Bundesregierung jenseits von Presseverlautbarungen und Bekundungen, dass sie irritiert und verärgert ist, konkret tun, um die deutsche Staatsbürgerin, die deutsche Journalistin, aus dem Gefängnis zu bekommen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter Mutlu, natürlich bestehen wir auf vollen konsularischen Zugang, und die Gespräche laufen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Herr Minister. - Damit beende ich jetzt die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksachen 18/12321, 18/12352 Die Parlamentarischen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen haben sich darauf verständigt, dass die später folgende Aktuelle Stunde pünktlich um 14.30 Uhr aufgerufen werden soll. Das heißt, die heutige Fragestunde wird verkürzt. Fragen, die heute nicht live beantwortet werden können, werden schriftlich beantwortet. Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Andrej Hunko auf Drucksache 18/12352 auf: Inwiefern wird die Bundesregierung unverzüglich, als Konsequenz aus der aus ihrer Sicht „absolut inakzeptablen“ Nichtgenehmigung des „absolut notwendigen“ Besuches ({0}) einer Delegation des Deutschen Bundestages in Incirlik durch die türkische Regierung, den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik einleiten, für den bereits im letzten Jahr alternative Standorte gesucht wurden, und welche Auswirkungen hat dies auf die Millioneninvestitionen, die die Bundesregierung zum Ausbau der Luftwaffenbasis Incirlik geplant hatte ({1})? Zur Beantwortung dieser Frage aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums der Verteidigung ist Dr. Brauksiepe anwesend.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich antworte Ihnen wie folgt: Das Bundesministerium der Verteidigung wird die im Dezember 2016 im Rahmen einer Ersterkundung gewonnenen Erkenntnisse bezüglich möglicher alternativer Standorte konkretisieren und die aktuelle Verfügbarkeit prüfen. Ein entsprechendes Erkundungsteam verlegt dazu aktuell nach Jordanien. Bislang wurden keine Investitionen am Standort Incirlik getätigt, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur hinausgehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt hat sich der Kollege Gehrcke gemeldet.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Gibt es nicht erst Nachfragen des Fragestellers?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, ja. Es ist gut, dass Herr Brauksiepe immer darauf achtet, dass ich keinen Fehler mache. Vielen herzlichen Dank.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Sehr gern, Frau Präsidentin.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich weiß, das tun Sie gerne. - Herr Hunko, bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Es geht um die skandalöse Verweigerung des Besuchsrechts des Parlamentes am Standort in Incirlik. Wir hören dazu von der Bundesregierung durchaus starke Worte. Sigmar Gabriel spricht von „Erpressung“, die Bundeskanzlerin etwa sagt, das sei „inakzeptabel“. - Das ist natürlich völlig richtig. Aber wir haben gerade erfahren, dass das Thema auch nach diesem neuen Vorfall, dass also der Verteidigungsausschuss nicht nach Incirlik fahren durfte, im Kabinett nicht behandelt wurde. Man findet zwar starke Worte für die deutsche Öffentlichkeit, hält aber offensichtlich am Mandat für Incirlik fest. Nachdem wir jetzt nicht mehr von einer Parlamentsarmee reden können, weil es kein Besuchsrecht gibt, noch einmal die Frage: Gibt es Abzugsüberlegungen, ganz konkret und ganz unverzüglich? http://www.tagesschau.de/incirlik-besuchsverbot-103.html http://www.tagesschau.de/incirlik-besuchsverbot-103.html http://www.tagesschau.de/ausland/bundeswehr-tuerkei-111.html

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, was das Thema der Kabinettsbefassung angeht, wissen Sie, dass das entsprechende Bundestagsmandat durch einen Antrag der Bundesregierung, der im Kabinett beschlossen worden ist, zustande kam. Ich kann ansonsten nur die Ausführungen wiederholen, die ich schon gemacht habe. Es hat schon im letzten Jahr Erkundungen gegeben. Diese werden jetzt konkretisiert. Gerade heute hat sich ein entsprechendes Erkundungsteam auf den Weg nach Jordanien gemacht, um genau das zu konkretisieren, was wir bisher an Erkenntnissen gewonnen haben. Darüber hinaus bedarf es natürlich, wenn es zu einer Verlegung käme, einer entsprechenden politischen Entscheidung. Die entsprechenden Erkundungen werden aber durchgeführt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Hunko, zweite Frage oder Rückfrage?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich kann mich, Herr Kollege, des Eindrucks nicht erwehren, dass hier auf Zeit gespielt wird. Dieser Zustand besteht schon seit einem Dreivierteljahr und hat sich jetzt noch einmal zugespitzt. Jetzt sagen Sie: Es wird ein Erkundungsteam nach Jordanien geschickt. Wir sagen: Es ist unter diesen Bedingungen unmöglich, das Mandat aufrechtzuerhalten. Daran möchte ich eine Frage anschließen. Es handelt sich nicht nur um Incirlik. Es gibt auch Bundeswehrsoldaten in Konya, wo die AWACS stationiert sind; in Incirlik sind Tornados stationiert. Sollen auch die AWACS nach Jordanien verlegt werden? Wir reden ja nicht nur über den einen Standort, der nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, sondern über sämtliche Standorte in der Türkei.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Hunko, ich will zunächst einmal sagen: Selbstverständlich ist und bleibt die Bundeswehr eine Parlamentsarmee. Deswegen gibt es die von Ihnen selbst zitierten Äußerungen der Bundesregierung. Das Stichwort „Parlamentsarmee“ bezieht sich selbstverständlich auf alle Soldatinnen und Soldaten und auf sämtliche mandatierten Einsätze innerhalb der Türkei und auch auf Einsätze in anderen Gebieten, für die wir mit unseren Soldatinnen und Soldaten mandatiert sind.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. - Nächster Fragesteller: Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, Frau Präsidentin. - Parlamentsarmee bedeutet, dass das Parlament Soldatinnen und Soldaten entsenden kann, was es leider fast immer tut, aber nach § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auch zurückholen kann. Wenn im Bundestag eine Initiative von mindestens zwei Fraktionen gestartet würde, die deutschen Soldaten aus Incirlik sofort zurückzuholen: Wäre die Bundesregierung bereit, dies öffentlich zu unterstützen, oder wäre dies nicht der Fall?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hält in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages den Kampf gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ für sinnvoll und notwendig und findet es richtig, dass sich die Bundeswehr an diesem Kampf beteiligt. ({0}) Dafür sind unsere Soldatinnen und Soldaten mandatiert. Wenn es andere Mehrheitsverhältnisse gäbe, würden die natürlich auch zur Geltung kommen. Aber diese Frage stellt sich für die Bundesregierung nicht. Wir haben ein Mandat. Das hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Dieses Mandat halten wir für sinnvoll.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt folgt die Kollegin Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage. Es ist geplant, die Infrastruktur in Incirlik auszubauen. Sie haben eben gesagt, es seien da noch keine Gelder geflossen. Stimmt das? Wie viel genau ist bisher für den Ausbau in Incirlik geflossen? Wie viel ist geplant? Und werden Sie es stornieren, oder läuft es jetzt mit den Haushaltsplanungen einfach so weiter, dass das Geld zur Verfügung steht und weiterhin Incirlik mit eingeplant wird?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich wiederhole meine Äußerung, dass keine Investitionen getätigt worden sind, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur hinausgehen. Das ist nichts, was ich als einen Ausbau bezeichnen würde. Es gibt kein Infrastrukturprotokoll. Es hat in der Tat Planungen gegeben, was den Ausbau der Infrastruktur angeht. Die bedürften aber natürlich der Zustimmung der türkischen Seite. Dazu müsste ein Infrastrukturprotokoll unterzeichnet werden. Dies ist von türkischer Seite bisher nicht erfolgt. ({0}) Es gibt Behelfslösungen im Bereich der Infrastruktur, die zurzeit dazu beitragen, dass wir mit der Situation, die wir dort haben, leben können, was die Bedingungen für unseren Einsatz angeht, wie es überhaupt so ist, dass aus militärischer Sicht der Standort Incirlik vorzugswürdig ist.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. - Dann Kollege Jürgen Trittin, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Herr Kollege Brauksiepe, ich stelle zunächst einmal fest, dass Sie den Bundestag unvollständiger unterrichten als die Presse. Ich habe heute Morgen schon in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender gehört, dass auf das erste Vorauskommando nach Jordanien ein zweites folgen wird, das von der Oberkommandierenden, Frau von der Leyen, angeführt wird. Das hätten Sie bei dieser Gelegenheit hier auch erwähnen können. Die Frage, die ich aber eigentlich habe, ist: Sind diese Vorauskommandos überhaupt nötig? Wäre es vor dem Hintergrund der fehlenden verfassungsrechtlichen Grundlagen für diesen Einsatz, der eben nicht in einem System kollektiver Sicherheit stattfindet, was Voraussetzung nach dem Bundesverfassungsgericht ist, nicht klüger, die Soldatinnen und Soldaten dort einfach abzuziehen, statt sich nach Alternativstandorten umzusehen? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass dieser Einsatz nicht nur politisch sinnvoll und notwendig ist, sondern selbstverständlich auch verfassungskonform ist. Das haben wir auch in anderen Zusammenhängen, nämlich bei der Begründung des Mandats wie auch bei der jeweiligen Verlängerung, hinlänglich diskutiert. Dazu kann man selbstverständlich verschiedene Auffassungen haben. Wer über die Verfassungsgemäßheit eines Einsatzes, eines Gesetzes oder Beschlusses in unserem Rechtsstaat zu entscheiden hat, ist bekannt. Es gibt keine Entscheidungen von zuständiger Stelle, die die Verfassungskonformität des Einsatzes infrage stellen. Ich habe darüber hinaus im Übrigen niemanden von der Presse über irgendetwas in diesem Zusammenhang informiert. Und erlauben Sie mir den Hinweis: Die Frau Bundesministerin der Verteidigung ist kein Vorauskommando, ({0}) sondern sie wird in den nächsten Tagen planmäßig einen Besuch in Jordanien durchführen, meines Wissens auch nicht ihren ersten. Sie ist nicht als Vorauskommando dort.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Dann hat sich noch Katja Keul gemeldet.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Trittin hat ja gerade noch einmal in Erinnerung gerufen, dass wir diesem Mandat aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit ohnehin nicht zugestimmt haben. Inzwischen gibt es aber auch Veränderungen - unter anderem die Eskalation in den Beziehungen zur Türkei -, sodass ich Sie an der Stelle fragen möchte, ob die Bundesregierung das Mandat als solches vor dem Hintergrund der Entwicklungen nicht auch sicherheitspolitisch anders bewertet. Wir haben ja sowohl Probleme mit dem Bündnispartner Türkei, müssen aber auch feststellen, dass der Bündnispartner USA offensichtlich seine Richtlinien geändert hat. Außerdem sind inzwischen seit März wöchentlich ungefähr 30 tote Zivilisten durch unser eigenes Bündnis zu beklagen. Kommt also die Bundesregierung selbst vor diesem Hintergrund nicht auch zu einer Neubewertung dieses Einsatzes?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, Sie haben zu diesem Sachverhalt ja schon in vielerlei Zusammenhängen Fragen gestellt, die ich Ihnen auch beantwortet habe. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Es gehört leider offenkundig zur Strategie des sogenannten „Islamischen Staates“, Zivilisten in die Auseinandersetzung hineinzuziehen und auch zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Die Koalition, die dort im Rahmen der Operation Inherent Resolve tätig ist, tut alles ihr Mögliche, um zivile Opfer zu vermeiden. Erlauben Sie mir darüber hinaus - ich selbst bin ja auch Abgeordneter und glaube, die Zuständigkeiten von Abgeordneten einigermaßen zu kennen -, anzumerken, dass ich es doch sehr kühn finde, dass Sie meinen, hier en passant die Verfassungswidrigkeit eines solchen Einsatzes feststellen zu können. Ich bin froh, dass wir ein Bundesverfassungsgericht haben, das sich zuständigkeitshalber mit Fragen der Verfassungswidrigkeit oder Verfassungsmäßigkeit von Beschlüssen des Deutschen Bundestages beschäftigt. ({0}) - Sie haben hier keine Rechtsauffassung geäußert, sondern Sie haben so getan, als sei das, was Sie hier gesagt haben, eine Tatsache. ({1}) - Sie können im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Jetzt hat noch Hubertus Zdebel das Wort.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brauksiepe, ich habe eine Nachfrage, weil mir das bei Ihren Ausführungen noch nicht ganz klar geworden ist. Beziehen sich denn jetzt die Verlegungspläne außer auf Incirlik, wo ja die Tornados stationiert sind, auch auf Konya, wo die AWACS-Flugzeuge stationiert sind? Vielleicht könnten Sie dazu noch einige Ausführungen machen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brauksiepe, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Nach dem, was mir bekannt ist, ging es sowohl bei der schon vor Monaten durchgeführten Ersterkundung als auch bei der jetzigen Konkretisierung der gewonnenen Erkenntnisse darum, mögliche Alternativen zum Standort Incirlik zu erkunden. In diesem Zusammenhang hatte ich schon gesagt - das wiederhole ich gerne noch einmal -, dass aus militärischer Sicht Incirlik ein sinnvoller Standort ist. Gleichwohl geht es bei den Erkundungen um Alternativen zum Standort Incirlik. Andere Fragen stellen sich für die Bundesregierung in diesem Zusammenhang jetzt nicht. Es geht ja nun darum, dass der Verteidigungsausschuss einen Besuch in Incirlik geplant hat. Es hatten auch schon andere - ich könnte ein paar Geschichten darüber erzählen - in der Vergangenheit Besuche in Incirlik geplant, die nicht stattgefunden haben. Aber selbstverständlich wiederhole ich auch gerne, dass wir unabhängig von Incirlik erwarten, dass Parlamentarier Bundeswehrsoldaten an jedem Standort, an dem sie mandatierterweise im Einsatz sind, besuchen können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Nachdem die dringliche Frage beantwortet worden ist, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 18/12321 in der üblichen Reihenfolge auf. Ich möchte noch Folgendes sagen: Um 14.30 Uhr wird die Fragestunde beendet. Dann fangen wir nämlich mit der Aktuellen Stunde an. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich begrüße Florian Pronold, der die Fragen beantworten wird. Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Hubertus Zdebel auf: Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass ein für die Steuerung der BGE mbH zuständiger Abteilungsleiter in der Zentralabteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) ({1}) gleichzeitig Geschäftsführer der als Betreiber für Endlager zuständigen BGE mbH ({2}) und außerdem noch für das BMUB Mitglied im Kuratorium der Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ ist ({3}), und wann beabsichtigt die Bundesregierung, diese Verbindung zu beenden?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die Frage bezieht sich auf eine mögliche Interessenkollision des Leiters der Zentralabteilung unseres Ministeriums, der zugleich für die Steuerung der Bundesgesellschaft für Endlagerung zuständig und im Kuratorium der Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ ist. Die Steuerung der BGE mbH erfolgt innerhalb des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit nicht allein durch die Zentralabteilung, sondern in Zusammenarbeit mit der fachlich zuständigen Abteilung für Reaktorsicherheit. Der Aufbau der BGE mbH erfordert eine sehr intensive und enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesumweltministerium als beteiligungsführendes Ressort und der BGE-Geschäftsführung. Die in der Fragestellung angesprochene personelle Verzahnung ist insoweit unter Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsaspekten besonders förderlich und sinnvoll. Es handelt sich um einen außerordentlich komplexen und umfangreichen Umstrukturierungsprozess, der erfordert, dass die beteiligten Akteure besonders eng kooperieren, um Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit der Maßnahmen sicherzustellen. Die Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ hat die alleinige Aufgabe, die von den KKW-Betreibern einzubringenden Geldbeträge sicher und gewinnbringend anzulegen. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich, dass eine Interessenvermischung im vorliegenden Fall nicht vorhanden sein kann, da ein Sachoder Interessenzusammenhang mit den Aufgaben eines BGE-Geschäftsführers nicht ersichtlich ist. Maßgebliche Kriterien für die Bestellung der Kuratoriumsmitglieder sind Sachkunde und Berufserfahrung in den Bereichen Finanzen und Wirtschaftlichkeitskontrolle. Vor diesem Hintergrund besteht in der Aufbauphase der BGE mbH keine Veranlassung, eine Beendigung der gewählten Konstellation in Betracht zu ziehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Florian Pronold. - Herr Zdebel, bitte. http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf https://www.bge.de/de/bge/geschaeftsfuehrung/ https://www.bge.de/de/bge/geschaeftsfuehrung/ http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419 http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419 http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419 http://www.energate-messenger.de/news/173416/kuratorium-des-fonds-zur-atomaren-entsorgung-steht http://www.energate-messenger.de/news/173416/kuratorium-des-fonds-zur-atomaren-entsorgung-steht

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Pronold, zuerst einmal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Diese sind jedoch für mich nicht nachvollziehbar. Wenn man sich alles vor Augen führt, dann stellt man fest, dass es einer Aufteilung in unterschiedliche Institutionen, was die Atommüllendlagerung angeht, gar nicht bedurft hätte. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der in der Zentralabteilung des BMUB tätig ist, gleichzeitig Geschäftsführer der BGE ist und damit quasi sich selber Aufträge erteilt bzw. sich selber kontrolliert. Die Frage betreffend das Kuratorium lasse ich ausdrücklich außen vor, weil diese nicht so relevant ist. Aber bei dem erstgenannten Sachverhalt gibt es meines Erachtens zumindest die Möglichkeit von Interessenverquickungen. Von daher noch einmal meine Frage an Sie: Wann wollen Sie diese Doppelfunktion bzw. - genau genommen - Dreifachfunktion endgültig beenden? Ich könnte noch verstehen, dass das für die Anfangsphase nötig gewesen wäre. Aber nach einer bestimmten Frist, zumindest nach einem halben Jahr, stellt sich der Sachverhalt doch ganz anders dar, und das wirft Fragen auf.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich will das gerne noch einmal präzisieren. Die entscheidende Frage lautet: Ist eine solche Doppelfunktion, wie sie unzweifelhaft besteht, notwendig, oder hat sie rechtlich problematische Interessenkollisionen zur Folge? Generell kann man das nicht beantworten. Vielmehr muss immer der Einzelfall beurteilt werden. Die Doppelfunktion hier dient ja dem notwendigen Wissenstransfer in der Aufbauphase von Behörden und der Unternehmensstrukturierung und kann sehr nützlich sein. So war zum Beispiel von August 2016 bis April 2017 im Endlagerbereich der Präsident des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit gleichzeitig Leiter des Bundesamtes für Strahlenschutz. Hier gab es also auch für eine gewisse Zeit eine Doppelfunktion in einem Umstrukturierungsprozess - und zwar unter Aufsicht des Ministeriums -, um das Ganze zügig und effizient zu regeln. Ebenfalls eine Doppelfunktion hat der langjährige Geschäftsführer der Asse-GmbH in der Gründungs- und Aufbauphase inne, der nun gleichzeitig Geschäftsführer der bereits angesprochenen BGE mbH ist. Sie haben sicherlich bemerkt, dass ich hierbei das Wort „Aufbauphase“ betont habe. Wenn die Zusammenführung der verschiedenen Institutionen, die momentan noch aufgeteilt sind, in einer Gesellschaft abgeschlossen ist, stellt sich selbstverständlich die Frage nach solchen Doppelfunktionen neu und wird auch neu bewertet werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. - Herr Zdebel.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Das macht mir es auf jeden Fall klarer, wie das tendenziell laufen soll. Die Betonung liegt dann in der Tat darauf, diese Doppelfunktion zu beenden. Ansonsten würde sich vor diesem Hintergrund auch noch einmal die Frage stellen, wie Sie eigentlich Vertrauen in den neuen Endlagersuchprozess aufbauen wollen. Sie wissen ja, dass da sehr viel Vertrauen in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen ist - ich nenne insbesondere das Stichwort „Gorleben“ -, und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass, wenn solche Doppel- und Dreifachfunktionen bekannt werden, es gerade in der Öffentlichkeit viele Fragen aufwirft. Deswegen sehr konkret: In welcher zeitlichen Schiene halten Sie es denn für möglich, diese Doppelfunktion bzw. - sagen wir es besser so - die personellen Unschärfen an dieser Stelle zu beenden?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Gemäß dem Atomgesetz und der bereits umgesetzten Beschlüsse der Endlagerkommission ist die Verschmelzung der BGE mbH mit den beiden anderen im Endlagerbereich bestehenden Unternehmen vorgesehen, nämlich der DBE mbH und der Asse-GmbH. Die Unternehmensfusion wird bis spätestens zum 31. Dezember dieses Jahres erfolgen. Damit sind dann die wesentlichen Strukturveränderungen im Endlagerbereich abgeschlossen. Der Zeitpunkt dieser Verschmelzung wird, wie ich Ihnen vorher schon gesagt habe, auch zum Anlass genommen, die gegenwärtig aus guten Gründen bestehenden Doppelfunktionen zu überprüfen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Pronold. - Als Fragestellerin habe ich Sylvia Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Fraktion Die Linke hat ja die Empfehlungen der Endlagerkommission, in denen auch diese neue Behördenstruktur enthalten war, abgelehnt - anders als wir Grüne. Wir waren aktiv daran beteiligt, gerade auch bei der Neuordnung der Behördenstruktur dafür zu werben, dass die neu zu gründende BGE unter dem Dach des Bundesumweltministeriums bleibt und nicht, was ein Ansinnen von Teilen der Kommission war, unter das Dach des Bundeswirtschaftsministeriums kommt. Wir haben nämlich gesagt: Im Bundesumweltministerium ist Kompetenz, Know-how und langjährige Erfahrung mit dieser Thematik vorhanden, und da muss die Zuständigkeit auch bleiben. Aber der Forderung, dem Trennungsgrundsatz stärker zu folgen - es wurde ja immer als Gegenargument angeführt, dass es eine klarere Trennung gebe, wenn die BGE in das Wirtschaftsministerium eingegliedert würde -, geben Sie jetzt Aufwind, wenn Sie solch ein Konstrukt wie das, das Sie jetzt mit dieser Personalie haben, über Gebühr strapazieren. Sie haben jetzt einige Male gesagt, dass, wenn die Aufbauphase beendet sei, dies überprüft werde. Das halte ich, gelinde gesagt, als öffentliche Botschaft für zu wenig; das gilt natürlich erst recht für das tatsächliche Tun. Ich finde, Sie sollten nicht sagen, dass überprüft werde, weil die Überprüfung nicht zu dem Ergebnis kommen darf, dass man das so belässt, wenn die Endlagersuche beginnt; denn dann bekommen wir in der Tat Schwierigkeiten und gefährden sowohl das Vertrauen, das Hubertus Zdebel angesprochen hat, als auch die Einhaltung des Trennungsgrundsatzes. Deshalb frage ich Sie, ob nicht auch Sie persönlich sich dafür einsetzen wollen, dass es nicht bei einer Überprüfung bleibt, sondern dass ganz klar schon jetzt das Ziel vorgegeben wird, diese Doppelfunktion zu beenden. Es sollten wie auch im Fall des früheren Geschäftsführers der Asse-GmbH, der ja nicht mehr Geschäftsführer der Asse-GmbH ist, weil diese in die BGE übergegangen ist, die anderen Geschäftsführer keine Tätigkeiten im weiteren Bereich des Bundesumweltministeriums oder bei nachgeordneten Behörden ausüben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich habe bei der Frage von Herrn Zdebel auch durch Verweise auf Beispiele in anderen Fällen deutlich gemacht, dass das nach einer Zusammenführungsphase überprüft wird. Die Überprüfung führt im Regelfall dazu - so ist auch mein Verständnis -, dass es zur Beendigung solcher Doppelfunktionen kommt. Wir alle sind schon sehr lange dabei und wissen, dass man mit hundertprozentiger Sicherheit nie etwas sagen kann. Aber es ist mit sehr großer Sicherheit auch unser Bestreben als BMUB, das Vertrauen, das sehr schwer in diesem Bereich insgesamt zu erringen und zu erhalten ist, durch nichts zu gefährden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Sylvia KottingUhl: Wird sich die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gegenüber dem neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron kurzfristig für eine möglichst schnelle Abschaltung der grenznahen französischen Atomkraftwerke Cattenom und Fessenheim einsetzen? Herr Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die Bundesregierung steht mit der französischen Regierung zur gesamten Bandbreite grenzüberschreitender Fragen in regelmäßigem Austausch. Die Bundesregierung wird sich weiterhin in geeigneter Art und Weise für eine möglichst zeitnahe Stilllegung des Atomkraftwerks Fessenheim einsetzen, wie sie der bisherige französische Staatspräsident Hollande angekündigt hatte. Selbstverständlich bezieht sich das auch auf Ihre Frage bezüglich Cattenom. Sie wissen, wie schwierig diese Fragen in den internationalen Beziehungen sind. Von französischer Seite hat es bisher allerdings noch keine Äußerungen dazu gegeben, ob es zu einer vorzeitigen Stilllegung von Cattenom kommen könnte.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön für die Antwort. - Es gibt bei Cattenom immerhin fast gleichlautende Defizite. Aber das ist nicht die Basis für meine Nachfrage. Sie bezieht sich vielmehr darauf, dass ich ausdrücklich gefragt hatte, ob sich auch die Bundeskanzlerin einsetzen wird. Den ersten Teil Ihrer Antwort habe ich schon einmal als Antwort bekommen: sehr weit in allen Fragen usw., grenzüberschreitende Gefahren von Atomkraftwerken. Das ist nicht meine Frage. Meine Frage habe ich vor dem Hintergrund der Tatsache gestellt, dass sich die Bundeskanzlerin im Jahr 2014 bei einer Klausur des rheinland-pfälzischen Landesverbandes der CDU dahin gehend geäußert hat, dass sie sich persönlich - damals noch mit Hollande - dafür einsetzen wird, dass - in diesem Fall Cattenom - vom Netz genommen wird. Ich muss sagen, ich finde es schon, gelinde gesagt, respektlos, dass bei einer CDU-Klausurtagung etwas verkündet werden kann, was via Pressemitteilung auch in der Öffentlichkeit landet, während ich als Vertreterin des Parlamentes und meiner Fraktion hier immer kurzgehalten werde und keine Auskunft darüber bekomme, was die Kanzlerin denn nun eigentlich zu tun gedenkt. Deswegen frage ich Sie noch einmal explizit - ich habe nicht allgemein nach der Bundesregierung gefragt; dass die Bundesumweltministerin sich dafür einsetzt, weiß ich -: Was wird die Bundeskanzlerin tun?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Wenn ich das richtig sehe, war diese Frage bereits Gegenstand der Beantwortung durch meine Kollegin am 28. April und auch später im Mai. Es geht also um die Frage, was hier von vertraulichen Gesprächen kommuniziert werden kann. Ich kann Ihnen keine andere Antwort zu dem, was die Bundeskanzlerin besprochen hat oder nicht, geben, als meine Kollegin sie beim letzten Mal gegeben hat.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Pronold. - Rückfrage? Bitte eine Minute.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Frau Präsidentin, eine zweite Nachfrage. - Trotzdem erlaube ich mir noch einmal die Bemerkung: Es ist eine Respektlosigkeit dem Parlament gegenüber, einen fraglichen Punkt öffentlich anzugehen und dem Parlament die Antwort zu verweigern. Jetzt möchte ich gerne zum Hochwasserschutz von Fessenheim und zum Nichtwissen, diesmal des Bundesumweltministeriums, nachfragen. Es ist ja so, dass die internationalen Standards, auch von WENRA zum Beispiel, besagen: Ein Atomkraftwerk muss einem sogenannten 10 000-jährigen Hochwasser standhalten. Fessenheim ist nur gegen ein 1 000-jähriges Hochwasser plus einem Zuschlag in Höhe von 15 Prozent ausgelegt. Ich frage Sie jetzt - in der schriftlichen Kleinen Anfrage haben Sie mir geantwortet: „keine Ahnung“ -, wie Fessenheim in diesem Punkt genau ausgelegt ist? Wissen Sie, was dieser Zuschlag in Höhe von 15 Prozent genau bedeutet? Wenn es eine andere Aussage als „Es hält dem 10 000-jährigen Hochwasser stand“ ist, ist anzunehmen, dass es die Standards nicht ganz erreicht. Wissen Sie da denn Genaueres? Sie müssten doch über so eine elementare Sicherheitsfrage bei diesem Reaktor direkt an unserer Grenze Bescheid wissen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich kann Ihnen diese Frage so explizit jetzt nicht beantworten. Ich würde Sie darum bitten, dass ich das schriftlich nachreichen kann. Wir haben das ja auch öfter im Ausschuss bei sehr intensiven Beratungen. Sie wissen, dass wir von der gemeinsamen Kommission, die es dazu gibt, ständig Informationen bekommen und dass wir auch über alle sicherheitsrelevanten Aspekte direkt informiert werden. Jüngst hat auch die Bundesumweltministerin gemeinsam mit ihrem Kollegen aus Luxemburg noch einmal an die französische Regierung die Frage gestellt, wie weit der Prozess bezogen auf die Überprüfung nach den Post-Fukushima-Stresstests fortgeschritten ist. Auch bei diesem Punkt ist es wichtig, dass wir schnell die richtigen Informationen erhalten. Ich glaube aber, das betrifft Cattenom und nicht Fessenheim. Ich würde Sie bitten, zu akzeptieren, dass ich, um Ihnen eine wirklich präzise und qualifizierte Aussage zu liefern, die Antwort schriftlich nachreiche. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Pronold, auch für die Zusage, das schriftlich nachzureichen. - Dann gebe ich das Wort Corinna Rüffer für eine weitere Zusatzfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, dass auch ich die Gelegenheit habe, dazu eine Frage zu stellen. - Ich komme aus einer Gegend, die wenige Kilometer vom Atomkraftwerk Cattenom entfernt liegt. Das heißt, wenn es da zum GAU kommen würde, dann wären wir erster Hand betroffen. Das macht den Menschen Angst. Wir hatten gerade in den letzten Monaten einen Störfall nach dem anderen zu verzeichnen. Wir haben als Fraktion eine Anfrage zum Thema „Sicherheitsstand Cattenom“ gestellt. Wir haben von Ihnen die Antwort bekommen, dass das Atomkraftwerk zum Beispiel gegen Flugzeugabstürze nicht ausreichend gesichert ist. Nun lesen wir heute in der Stuttgarter Zeitung, dass die Bundesumweltministerin Emmanuel Macron auffordert, das Atomkraftwerk Fessenheim zu schließen. Gleiches müsste ja für Cattenom gelten. Ist damit zu rechnen, dass die Bundesregierung in Richtung Schließung von Cattenom genauso aktiv wird, und wenn nein, wo liegt der Unterschied? Warum fordern Sie das eine und unterlassen das andere?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Wir führen diese Debatte sehr oft. Sie wissen, dass wir uns in der Frage der Sicherheitseinschätzung allein auf die jeweils zuständige Behörde des Landes stützen müssen und dass wir in die entsprechenden Gremien vielfältige bilaterale Kontakte haben. Wir sehen bei der neuen französischen Regierung, soweit es uns bekannt ist, in diesem Bereich keine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Linie der französischen Politik. Es besteht die Absicht, Fessenheim schneller stillzulegen - mit all den Schwierigkeiten, die sich vor Ort übrigens noch auftun; der Ausstieg dürfte länger dauern als angekündigt. Bei Cattenom besteht diese nicht. Wir haben aufgrund der Meldungen aus den Gremien, die ständig über Sicherheitsfragen beraten, keinen Anlass, anzunehmen, dort von einer großen Sicherheitsgefahr auszugehen. Position der Bundesregierung ist allerdings, nicht nur in Deutschland, sondern möglichst in Europa und weltweit so schnell wie möglich den Atomausstieg zu vollziehen, weil die Atomkraft eine nicht beherrschbare Technologie ist. In diesem Sinne wird die Bundesumweltministerin weiterhin gegenüber Frankreich agieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Pronold. - Dann kommen wir zur Frage 3 - Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat sie gestellt -: Wird sich die Bundesregierung mit Verweis auf Artikel 3 Absatz 7 der Espoo-Konvention und die UVP-Richtlinie ({0}) um eine Beteiligung bei den grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen bezüglich der Laufzeitverlängerungen für die ukrainischen Atomkraftwerke ({1}) Südukraine und Saporischschja bemühen, und welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den derzeitigen Stand bei der nachzuholenden Umweltverträglichkeitsprüfung beim AKW-Neubauprojekt Hinkley Point C? Herr Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Bundesumweltministerin Dr. Hendricks hat den ukrainischen Minister bereits 2015 sowohl für das Projekt am Standort Riwne als auch für andere geplante Projekte zur Verlängerung der Laufzeit ukrainischer AKWs aus Gründen der Umweltvorsorge, gegebenenfalls auch auf freiwilliger Basis, um die Durchführung von grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen gebeten. In seiner Antwort verwies der ukrainische Umweltminister auf den Einzelfallcharakter der Entscheidung zu den Reaktoren Riwne 1 und Riwne 2 und lehnte eine allgemeine Anwendbarkeit der Espoo-Konvention bei Laufzeitverlängerungen ab. Über die Laufzeitverlängerung der AKW Südukraine, Chmelnyzkyj Saporischschja ist ein Prüfungsverfahren vor dem Implementation Committee der Espoo-Konvention anhängig. Die Bundesregierung wird mit Blick auf den bereits erfolgten Schriftwechsel das Ergebnis des Committee abwarten und sodann über das weitere Vorgehen entscheiden. Zum Stand betreffend Hinkley Point C: Entsprechend der Empfehlung des Espoo Implementation Committee hat das Vereinigte Königreich allen Staaten, so auch der deutschen Espoo-Kontaktstelle, die Frage gestellt, ob zum jetzigen Zeitpunkt eine Notifizierung für das geplante neue AKW Hinkley Point C angesichts des Verfahrensstandes noch für sinnvoll gehalten wird. Unter Berücksichtigung auch der eingegangenen positiven Rückmeldungen aus einigen Bundesländern, welche die für die Durchführung des grenzüberschreitenden UVP-Verfahrens zuständigen Behörden sind, hat das Bundesumweltministerium der zuständigen Behörde des Vereinigten Königreichs geantwortet, dass Deutschland eine Notifizierung zum jetzigen Verfahrensstand für sinnvoll hält. Die zuständige Behörde aus Großbritannien führt derzeit mit den Staaten, die bejahend auf das Schreiben geantwortet haben, Treffen durch. Das Treffen mit Deutschland zu dieser Frage hat in der vergangenen Woche stattgefunden. Nach Abschluss aller Treffen, also auch der mit anderen Ländern, wird die zuständige britische Behörde einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreiten, mit dem wir uns dann auseinandersetzen können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bei beiden Frageteilen freut mich die Antwort. Ich will gern ein Lob für diese Aktivitäten aussprechen. Sie wissen vielleicht, dass die Espoo-Konvention aufgrund meiner Beschwerde entschieden hat, dass Großbritannien eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung nachzuholen hat. Die macht allerdings nur dann Sinn, wenn die Arbeiten unterbrochen werden. Das empfiehlt die Espoo-Konvention. Wissen Sie darüber Bescheid, ob diese Arbeiten bei Hinkley Point C unterbrochen worden sind oder ob geplant ist, sie zu unterbrechen?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Zu diesem Punkt kann ich Ihnen aktuell keine Auskunft geben; mir liegen dazu keine Informationen vor. Aber ich gehe davon aus, dass diese Frage behandelt wird, wenn die Gespräche mit den anderen Ländern abgeschlossen sind und sich die zuständige britische Behörde entsprechend äußert; dann wird das sicher noch einmal aufgegriffen. Ich biete Ihnen aber auch zu diesem Punkt an, dass ich dem noch einmal konkret nachgehe und Ihnen das schriftlich nachreiche.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weil die Umweltverträglichkeitsprüfung wirklich keinen Sinn mehr macht - das ist ja das Ziel von Großbritannien -, wenn die Bauarbeiten weitergehen, ist meine Bitte an Sie, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, die Bauarbeiten zu stoppen. Danke schön.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. Die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Christian Kühn und Katrin Kunert werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir jetzt zur Frage 6 der Kollegin Dr. Julia Verlinden - das ist die letzte Frage, die ich aufrufen werde -: Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Klimabilanz des in Deutschland geförderten Erdgases im Vergleich zu dem in den Niederlanden, Norwegen und Russland geförderten Erdgas, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Treibhausgasemissionen zu verringern, vor dem Hintergrund, dass eine Studie der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH bei dem in Deutschland produzierten Erdgas deutlich höhere Emissionen feststellt als bei dem in Norwegen und den Niederlanden produzierten (vergleiche Tabelle 18 bzw. Anlage 19 ff.: https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/

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Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Es tut mir leid.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Was tut Ihnen leid?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Bei mir war die Information angekommen, dass die Fragen 4, 5 und 6 schriftlich beantwortet werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die Fragestellerin ist leibhaftig da; also wird die Frage nicht schriftlich beantwortet.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Das ist in Ordnung. Ich wollte das nur vorwegschicken und würde die Frage deshalb noch einmal vorlesen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie brauchen die Frage einfach nur zu beantworten.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Gut. Der Bundesregierung liegen Informationen über die durch die deutsche Erdgasförderung verursachten Treibhausgasemissionen vor. Im Rahmen der internationalen Berichterstattungspflichten werden diese sowohl an die Einrichtungen der UN-Klimarahmenkonvention als auch an die entsprechenden europäischen Gremien berichtet. Deutschland hat im Jahr 2014 rund 9,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Dies waren rund 9 Prozent des inländischen Bedarfs. Die mit dieser Förderung und dem Erdgastransport verursachten Methanemissionen betrugen 194 Kilotonnen. Dies entspricht einer Äquivalentemission von etwa 4,8 Millionen Tonnen CO2 bzw. etwas mehr als 0,5 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Bei der Verwertung von Erdgas treten im Grunde keine Methanemissionen auf, da die Verwertung fast ausschließlich über Verbrennungsprozesse erfolgt. Der im Methan enthaltene Kohlenstoff wird nach nahezu vollständiger Verbrennung als Kohlendioxid freigesetzt. Über die mit dem Erdgasimport verbundenen Emissionen in den jeweiligen Erzeugerländern können detaillierte Angaben nicht gemacht werden, da deren Monitoring in die Verantwortung der Erzeugerländer fällt bzw. erforderliche technologische, prozessbezogene und qualitative Grundlageninformationen der Bundesregierung im Einzelnen nicht bekannt sind. Die Bundesregierung macht sich Angaben aus Studien Dritter grundsätzlich nicht zu eigen. Festzuhalten ist, dass die Emissionen bei der Erdgasförderung abhängig von der unmittelbaren Förderquelle bzw. deren Eigenschaften, der Fördertechnik und der Transportlänge sind. Bezüglich der Erdgasförderung und der Erdgasnutzung geht die Bundesregierung aber auf Basis einer ganzen Reihe von Studien davon aus, dass die Klimabilanz von Erdgas auch unter Berücksichtigung von Förderung und Transport um etwa 50 bis 60 Prozent besser ausfällt als diejenige von Braunkohle - abhängig natürlich von Alter und Wirkungsgrad der jeweiligen Anlagen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eine Rückfrage. Bitte, Frau Dr. Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Pronold, Sie haben gesagt, Sie machen sich die Studien nicht zu eigen. Ich habe Ihnen den Link zur Studie mitgeschickt. Was mich sehr verwirrt hat: Diese Studie besagt, dass in den Niederlanden durch den Prozess der Erdgasförderung nur ungefähr die Hälfte an CO2 freigesetzt wird. Beim Methan ist es auch nur ungefähr die Hälfte. Ich frage mich, ob es Ihnen nicht zu denken gibt, dass die Erdgasfördertechniken, die Erdgasfördermethoden in Deutschland - die Korrektheit dieser Studie vorausgesetzt - eine viel größere Klimaschädlichkeit haben als die Erdgasfördermethoden in den Niederlanden. Wenn Sie sagen, Sie nehmen auf diese Studie nicht Bezug, dann stellt sich zumindest die Frage: Wäre es angesichts dieser Zahlen nicht ein Anliegen der Bundesregierung, herauszufinden, ob diese Zahlen stimmen, und wenn sie tatsächlich richtig sind, etwas dagegen zu unternehmen, indem man durch den Einsatz von besseren Techniken die Treibhausgasemissionen im Förderprozess - nicht bei der Verbrennung hinterher - auf ein niedrigeres Niveau absenkt?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Aus der Erfahrung mit vielen Studien, die es gibt, kann ich sagen, dass sie schwer vergleichbar sind, wenn sie nicht nach denselben Grundsätzen durchgeführt wurden. Deswegen ist die Bundesregierung auch vorsichtig, sich Studien oder die Erkenntnisse Dritter zu eigen zu machen, was ich vorhin ausgeführt habe. Sollte es signifikante Hinweise darauf geben, dass es unterschiedlich hohe klimarelevante Emissionen aufgrund unterschiedlicher Förderprozesse gibt, dann ist es selbstverständlich für uns ein Thema und wir werden dem auch nachgehen, weil es den Klimaschutz betrifft. Vizepräsidentin Claudia Roth https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf Ich nehme Ihre Frage zum Anlass, eine vertiefte Prüfung in unserem Hause zu veranlassen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Florian Pronold. Ich glaube, damit sind Sie auch einverstanden, Frau Kollegin. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die sehr lebendige Fragestunde und Befragung der Bundesregierung. Ich bedanke mich auch bei Ihnen, den anderen Vertretern der Bundesregierung, obwohl Sie nicht leibhaftig antworten konnten. Das können Sie jetzt aber in schriftlicher Form tun. Alle Fragen, die heute nicht aufgerufen werden konnten, werden nämlich schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich eröffne die Aussprache und rufe die erste Rednerin auf. Das ist Christine Buchholz für die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus und rechten Terror. ({0}) Der Anlass ist dramatisch. Zwei Bundeswehrsoldaten und ein Student aus Hessen wurden festgenommen. Gegen sie wird wegen der Planung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Mindestens vier weitere Soldaten sind ins Visier der Behörden geraten. Hier die Fakten: Der Offizier Franco A. hat vor Jahren eine Abschlussarbeit im Geiste der Nazirassenideologie vorgelegt. Wissentlich konnte er dann Karriere bei der Bundeswehr machen. Offenbar plante er mit seinen Komplizen einen Anschlag, führte eine Todesliste und schaffte tausend Schuss Munition aus Bundeswehrbeständen beiseite. Man fand bei ihm später eine Anleitung zum Bombenbau. Franco A. ließ sich als syrischer Kriegsflüchtling registrieren, um das Attentat hinterher Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Meine Damen und Herren, das ist unfassbar. ({1}) Wir müssen ganz klar sagen: Wir haben es mit nichts anderem als der Bildung einer rechtsterroristischen Zelle zu tun. Deshalb geht es heute auch darum, Solidarität mit allen zu üben, die von Rassismus und rechtem Terror bedroht sind. ({2}) Der Fall Franco A. offenbart darüber hinaus ein Totalversagen der Bundeswehr und des MAD im Umgang mit der gewaltbereiten Rechten. Die Gesinnung von Franco A. und seinem Komplizen Maximilian T. war in der Bundeswehr bekannt. Manche Vorgesetzte haben weggeschaut, einige die rechten Umtriebe offenbar sogar gedeckt. Das ist kein Einzelfall. Das belegen Zuschriften von Soldaten, die uns mitteilen, dass Vorgesetzte gern über „Dinge“ hinwegsähen, um keine Entscheidungen treffen zu müssen, die sie unbeliebt machen. Ich sage hier: Ja, ein relevanter Teil der Bundeswehr hat ein Problem mit der extremen Rechten, und die politische Führung - Ministerin von der Leyen wie auch ihre Vorgänger - hat dieses Problem jahrelang und systematisch kleingeredet. ({3}) Noch im März 2015 sagte Frau von der Leyen, die Bundeswehr habe kein - ich zitiere - „überproportionales Extremismus-Problem“, ({4}) und das nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, NSU: Ein Drittel der mutmaßlichen NSU-Unterstützer waren Bundeswehrangehörige. Und der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses von 2013 attestierte der Bundeswehr einen ich zitiere - „extrem problematischen Umgang … mit rechtsextre men Aktivitäten“. Frau von der Leyen, offenbar haben Sie die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses nicht ernst genommen. Auch die SPD, die sich in letzter Zeit sehr gern und oft von der Ministerin absetzt, sollte sich nicht allzu sehr aufplustern. ({5}) Denn auch ihr ehemaliger Verteidigungsminister Struck war nicht viel besser: Struck hatte 2003 persönlich eine umfassende Untersuchung von rechtsextremem Gedankengut in der Bundeswehr blockiert - das nur zur Erinnerung. Dazu passt auch, dass sich Rudolf Scharping, ebenfalls ein ehemaliger SPD-Verteidigungsminister, derzeit mehr über das Abhängen eines Helmut-Schmidt-Bildes mit Wehrmachtsuniform als über die rechten Umtriebe in der Bundeswehr aufregt. ({6}) Ministerin von der Leyen will nun den Eindruck erwecken, es würde endlich aufgeräumt. Und ja, es ist überfällig, dass Kasernen nicht mehr nach Wehrmachtsoffizieren benannt werden. Da muss zügig und entschieden gehandelt werden und das, was angekündigt wurde, umgesetzt werden. ({7}) Was wir brauchen, ist ein klarer Bruch mit der Wehrmachtstradition. Ich sage: Wehrmachtsgegenstände und -symbole dürfen keinen Platz in irgendwelchen Stuben oder irgendwelchen Köpfen haben. ({8}) Wem haben wir eigentlich zu verdanken, dass die mutmaßliche Terrorgruppe aufgeflogen ist? War es der Militärische Abschirmdienst, der MAD? Nein, es war eine Reinigungskraft, die die Waffe von Franco A. am Flughafen in Wien fand. Es ist doch absurd, dass nun Politiker der Großen Koalition die personelle Aufstockung des MAD fordern. Schließlich hat der MAD Maximilian T., einen der mutmaßlichen Terroristen, bereits 2015 über Monate durchleuchtet, um ihn dann für unbedenklich zu erklären. Das Problem ist nicht die Ausstattung des MAD, sondern seine Orientierung. ({9}) Er ist augenscheinlich auf dem rechten Auge blind. Der MAD ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. ({10}) Eines möchte ich betonen: Es gibt viele Soldatinnen und Soldaten, denen der Rassismus und auch die rechten Umtriebe in der Bundeswehr stinken. Aber rassistische Stimmungen in der Bundeswehr lassen sich nicht zurückdrängen, wenn gleichzeitig Innenminister de Maizière eine Leitkulturdebatte entfacht und damit gezielt rechte Stimmung befeuert. ({11}) Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem eine antirassistische und antifaschistische Gesinnung gezeigt werden kann. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christine Buchholz. - Nächste Rednerin: für die Bundesregierung Ministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nehmen freiwillig eine große Verantwortung und viele Pflichten auf sich. Sie schwören in ihrem Eid, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Extremisten dagegen, insbesondere Rechtsextremisten, treten Recht und Freiheit mit Füßen; sie sind ihre ärgsten Feinde. Deshalb haben Rechtsextremisten in der Bundeswehr nichts verloren. ({0}) Deswegen hat uns auch der Fall des Soldaten A. und des Soldaten T. so alarmiert. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen sie und ihr Umfeld. Die Bundeswehr unterstützt die Ermittlungen in jeder Hinsicht. Tausende von Soldatinnen und Soldaten machen tagtäglich einen hervorragenden Dienst. Mir ist wichtig, dies auch in dieser Debatte am Anfang zu sagen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass nicht im Umkehrschluss selbstkritische Fragen vermieden werden, nach dem Motto: Pauschalverdacht gegen die Truppe geht gar nicht - dem stimme ich zu -; das sind alles Einzelfälle, wir können weitermachen wie bisher. - Das wäre grundfalsch. Eben weil uns der gute Ruf der Truppe am Herzen liegt, müssen wir hart aufklären und konsequent dort nachsteuern, wo strukturelle Probleme zutage treten. Es war ein klares Versäumnis, dass 2013 der MAD im Fall A. nicht unterrichtet wurde. Seine Masterarbeit ist voller rechtsextremer Überzeugungen. Ein solcher Mann hat in der Bundeswehr nichts verloren, meine Damen und Herren. ({1}) Der geltende Traditionserlass formuliert es eindeutig ich zitiere -: „Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.“ Ein Aufenthaltsraum wie in Illkirch oder Donaueschingen, neu eingerichtet und monothematisch ausgeschmückt mit Devotionalien der Wehrmacht, hat in der Bundeswehr nichts verloren. ({2}) Die Begehung aller Räumlichkeiten zeigt aber auch, dass das eher die Ausnahme ist. Häufig ist Gedankenlosigkeit im Spiel oder pure Unwissenheit. Das Foto von Helmut Schmidt als Offizier der Wehrmacht an der Bundeswehruniversität in Hamburg hing allein und unkommentiert, als sei das der prägende Helmut Schmidt. Es gibt Fotos von Helmut Schmidt in Uniform, aber in Bundeswehruniform als Reserveoffizier, Fotos von ihm als Innensenator, als Verteidigungsminister, als Bundeskanzler. In diesen Ämtern hat er Großes geleistet. Hier war er für die Bundesrepublik und ebenfalls für die Bundeswehr prägend. Das macht ihn zu einer Persönlichkeit, die für die Bundeswehr sinnstiftend und traditionsgebend ist. Deswegen haben wir die Bundeswehruni auch nach ihm benannt. Das ist der Grund. ({3}) Das gilt auch für die vielen herausragenden Persönlichkeiten der Frühphase der Bundeswehr, deren Biografien auch den Dienst vor 1945 umfassen: die Generale Heusinger, de Maizière oder Baudissin oder mein Vorgänger Kai-Uwe von Hassel. Meine Damen und Herren, wo Unklarheiten und Unsicherheiten im Traditionsverständnis und in der Traditionspflege herrschen, müssen wir Klarheit und Handlungssicherheit schaffen. Deshalb werden wir den Traditionserlass von 1982 überprüfen, und zwar in einem breiten, inklusiven Prozess. Und die Tatsache, wie weit das Pendel jetzt in der Diskussion von einer Seite auf die andere Seite schwingt, zeigt, dass diese Debatte notwendig ist. Wir wollen unsere eigene Bundeswehrgeschichte in den Mittelpunkt unseres Traditionsverständnisses stellen. Wir blicken zurück auf eine 60-jährige erfolgreiche Geschichte, auf die wir stolz sein können: die Geschichte einer Armee der Demokratie, der internationalen Integration, die Geschichte der Armee der Einheit, einer Parlamentsarmee im Einsatz für den Frieden in der Welt. Wir können aus dieser Geschichte so viel schöpfen, so viel ist vorbildgebend. Darauf sollten wir uns besinnen. ({4}) Es gibt viele Angehörige in der Bundeswehr in diesen 60 Jahren, die für unsere jungen Soldatinnen und Soldaten heute Vorbilder, ja auch Helden sein können. Meine Damen und Herren, wir sind ein Land, das immer gut daran getan hat, sich daran zu erinnern, woher wir gekommen sind, auch daran, was wir in fast 70 Jahren Bundesrepublik und über 60 Jahren Bundeswehr erreicht haben. Es ist unsere tagtägliche Aufgabe, dass wir uns immer aufs Neue klar abgrenzen von Extremisten mit ihrer Ideologie des Hasses und der Diskriminierung. Das gilt für die Gesellschaft genauso wie für die Bundeswehr. Die Diskussionen mögen manchmal schmerzhaft sein, aber sie sind notwendig. Genau deswegen sind wir nämlich eine wehrhafte Demokratie. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin von der Leyen. - Nächster Redner: Dr. Anton Hofreiter für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind nur knapp einer großen Tragödie entgangen. Eher durch Zufall wurden die Umtriebe der Gruppe von Franco A. aufgedeckt und so ein potenzieller, schwerer Anschlag verhindert. Die Zunahme rechtsextremer und rechtsterroristischer Aktivitäten muss uns alle beunruhigen. Hier ist in Deutschland etwas ins Rutschen geraten. Rechtsextreme Gesinnungen und Tendenzen sind in Deutschland beileibe keine Seltenheit. Das ist 72 Jahre nach Ende der Naziherrschaft beschämend. ({0}) Mit der Aufdeckung der Planungen von Franco A. ist die Bundeswehr in den Fokus gerückt. Lassen Sie mich klarstellen: Die allermeisten Soldatinnen und Soldaten leisten einen großartigen Dienst für unser Land. Sie verdienen es nicht, unter Pauschalverdacht gestellt zu werden; ({1}) aber die Probleme als Einzelfälle zu bagatellisieren, ist unverantwortlich. Verdeutlichen wir uns zuerst die Dimension dessen, worüber wir hier reden: Franco A. und seine Kumpanen - das sind inzwischen mehr als gedacht - waren nicht irgendwelche Soldaten, die abends Wehrmachtslieder schmetterten oder Wehrmachtsandenken sammelten. Das alleine ist schon schlimm genug und leider gar nicht so selten in deutschen Bundeswehrkasernen, wie sich heute noch einmal zeigte. Nein, Franco A. und seine Komplizen planten mutmaßlich schwere Gewalttaten gegen Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. Sie legten Todeslisten an, sie beschafften sich Anleitungen zum Bombenbau, und sie horteten Unmengen an geklauter Munition aus Bundeswehrbeständen. Es ist schleierhaft, warum die Pläne und das Doppelleben von Franco A. so lange unentdeckt blieben. Eindeutigen Hinweisen auf die Gesinnung des Oberleutnants wurde nicht nachgegangen. Es schauten zu viele im entscheidenden Moment bewusst oder unbewusst weg. Dass dies so lange unentdeckt blieb, ist ein Skandal, und dafür tragen Sie, Frau von der Leyen, die Verantwortung. Sie sind seit fast vier Jahren Ministerin und damit verantwortlich. ({2}) Diese Verantwortung können Sie nicht von sich weisen, indem Sie am Ende die Verantwortung in Richtung Truppe schieben. Sie sind de facto die Oberkommandierende dieser Truppe. Deshalb sage ich: Übernehmen Sie die Verantwortung, die Sie als Ministerin zu tragen haben. ({3}) Machen wir uns zweitens klar: Dass es in den Sicherheitsbehörden Probleme im Umgang mit Rechtsextremismus gibt, ist nun wahrlich keine Neuigkeit. Wir haben es beim Bundesamt für Verfassungsschutz gesehen und bei Teilen der Polizei; man denke an die Vorfälle in Sachsen im letzten Jahr. Deshalb ist es unverständlich, dass die Ministerin diese Probleme so lange ignoriert hat. Der Wehrbeauftragte hat immer wieder darauf hingewiesen. Schauen Sie in all die Anfragen, die von der Opposition gestellt wurden. So kann ich nur zu dem Schluss kommen: Frau von der Leyen, offenbar haben Sie über Jahre weggeschaut, und darunter leiden jetzt auch die vielen anständigen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr. Sie sagen jetzt zwar selbst, Sie hätten es verpasst, früher gegenzusteuern; aber Sie können nicht wirklich erklären, warum Sie in den letzten vier Jahren derart wenig bis nichts gemacht haben, warum Sie in den letzten Jahren, in denen in Deutschland die Zahl rechter Gewalttaten insgesamt gestiegen ist und viele Experten vor neuem Rechtsterrorismus warnten, nicht gehandelt haben. Ihr Nichtstun war fahrlässig, und Sie können nur dem Himmel dafür danken, dass das keine schlimmeren Konsequenzen hatte. ({4}) Frau von der Leyen, Sie ergreifen erst jetzt, nach starkem öffentlichen Druck, Maßnahmen, um diesen Missständen entgegenzuwirken. Das ist sehr spät und vor allem eines: Das ist beschämend. ({5}) Eines muss man auch sagen: Wenig hilfreich ist aktuell, dass nun auch die CSU nostalgisches Wehrmachtsgedenken verharmlost und ein problematisches Traditionsverständnis fördert. Es muss für alle Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr deutlich sein, dass in unserer Armee ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung gelebt wird. Aber das soll nicht ablenken vom Hauptproblem: Frau von der Leyen und die Bundesregierung haben den inneren Zustand der Truppe zu lange sträflich vernachlässigt. Seit zwölf Jahren trägt die Union die Verantwortung für die Bundeswehr. Sie präsentiert sich heute in einem schwierigen Zustand. Ihre Bilanz, Frau von der Leyen, ist eine Bilanz des Scheiterns. Sie und Ihre Partei stellen ein Sicherheitsrisiko dar. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Anton Hofreiter. - Der nächste Redner: Rainer Arnold für die SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Haus wurden schon viele Debatten über rechtes Denken bei den Streitkräften geführt. Das Argument, die Bundeswehr sei ein Spiegel der Gesellschaft, war schon immer falsch. Denn an die Streitkräfte, die unsere Freiheit mit Waffen verteidigen sollen, müssen wir einen besonders strengen Maßstab anlegen. Ich bin sehr froh, Frau Ministerin, dass in den letzten Tagen klar wurde: Ihre düstere Androhung, es würde noch vieles ans Licht kommen, war massiv überzogen. ({0}) Damit mich niemand falsch versteht: Jedes einzelne übriggebliebene Symbol der Wehrmacht ist eines zu viel und muss entfernt werden, möglichst aber im Diskurs und nach dem Prinzip der Inneren Führung. Man sollte mit den Soldaten über das entsprechende Foto von Helmut Schmidt und über seine Rede sprechen, die er hier vor der Tür zu den Streitkräften gehalten hat. Dann können Soldaten etwas lernen. Sie sollten selbst entscheiden, ob sie das Bild abnehmen oder historisch durch ein gutes Zitat einordnen. So ginge Innere Führung. Der zweite Bereich betrifft extremes rechtsradikales Denken. Es gab in den letzten Jahren einen Umgang, der zum Teil gut war, wo die Rechtsberater richtig reagiert haben. Es gab aber auch einen Umgang, der wirklich völlig falsch war. Dafür trägt natürlich die Ministerin die Verantwortung. Es ist doch ganz eindeutig: Wir brauchen eine klare Botschaft, dass rechtsextremes Denken, rassistisches Denken in der Bundeswehr keinen Platz haben. Es reicht nicht, dies mit einer Geldstrafe oder einer Ermahnung zu belegen; denn eine Geldstrafe bewirkt nicht, dass inakzeptables Denken aus den Köpfen verschwindet. ({1}) Der dritte Bereich betrifft schwere Straftaten. Darüber reden wir im Augenblick besonders. Es ist nun wirklich ganz offensichtlich, dass hier verschiedene Leute versagt haben. Auch der Militärische Abschirmdienst hat seine Aufgaben nicht erledigt. Nun reden Sie, Frau Ministerin, immer davon, dass Sie Verantwortung tragen. Einmal ganz unabhängig von der Frage, wie oft ein Minister sagen kann, dass er die politische Verantwortung trägt, muss ich Ihnen sagen: Sie tragen auch eine persönliche Verantwortung. Ihr Kollege im Kabinett, Herr Minister de Maizière, trägt ebenfalls persönliche Verantwortung. Wenn ein Innenminister nur zuschaut und auf eine große Zahl von Flüchtlingen nicht vorbereitet ist, trägt er die Verantwortung dafür, dass Einzelne bei der Prüfung durchrutschen und dass etwas Dramatisches passiert, nämlich dass ein deutscher Soldat, ein schwerer Straftäter, als Syrer anerkannt wird. ({2}) Wenn ein Innenminister es nicht schafft, rechtzeitig entsprechende IT einrichten zu lassen, dann trägt er die Verantwortung. ({3}) Frau Ministerin, Sie haben auch eine persönliche Verantwortung. Sie entdecken jetzt nach dreieinhalb Jahren das Thema Innere Führung. ({4}) Sie haben dreieinhalb Jahre die guten Fähigkeiten und die Expertise, die die Bundeswehr hat, ignoriert. Das Zentrum für Innere Führung, der Beirat für Fragen der Inneren Führung und das Sozialwissenschaftliche Institut - sie könnten sozusagen in die Bundeswehr hineinhören - wurden von Ihnen schlichtweg ignoriert und missachtet. Deshalb ist das Agieren jetzt nicht glaubwürdig. Das Problem ist im Augenblick dramatisch. Frau Ministerin, Sie haben durch Ihre falschen Äußerungen exDr. Anton Hofreiter trem viel Vertrauen zerstört. Inzwischen ist es noch viel schlimmer: Sie sind verantwortlich für eine Kultur des Misstrauens, die es inzwischen in den Streitkräften gibt. ({5}) Sie ist deshalb entstanden - das zieht sich von oben nach unten durch die gesamte Bundeswehr -, weil Sie prüfen lassen, ob Generäle ihr Handy abgeben, weil Stuben von einfachen Soldaten durchwühlt werden, ohne dass sie selbst dabei sind. Gute Innere Führung geht anders. Gute Innere Führung beginnt an der Spitze. ({6}) Es ist nicht anständig, dass eine Ministerin einen führenden Soldaten über die Presse informieren lässt, dass er freigesetzt wird. Ich hätte erwartet, dass eine Ministerin selbst anruft und mit ihm redet - das gehört sich so und nicht Journalisten informiert, von denen er es dann erfährt. Hier komme ich zu einem strukturellen Problem, Frau Ministerin, über das Sie noch nie geredet haben. Sie haben einen Pressesprecher und Berater, auf den Sie hören. Er hat das Drehbuch für Sie in den letzten Wochen geschrieben. Ich habe ein Interview von ihm gelesen, in dem er deutlich sagt: Schlechte Nachrichten sind gar nicht so schlimm; Hauptsache, man ist präsent. Auch für die Nachwuchswerbung ist es gut, wenn man immer in der Tagesschau erwähnt wird. - Dann kommt aber das Zweite. Er sagte: Große Probleme sind gut, weil Politik dann nach außen zeigen kann, dass sie große Probleme löst. Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen im Umgang mit allen Problemen - von unanständigen Vorgehensweisen in Pfullendorf bis zu rechtsradikalen Vorgängen - Maß und Mitte verloren. Deshalb, Frau Ministerin, sind Sie kein Vorbild für Soldaten, von denen wir nach dem Prinzip der Inneren Führung Differenzierung, vorsichtiges Agieren, eben Maß und Mitte erwarten. ({7}) Herzlichen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Rainer Arnold. - Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Henning Otte. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon einige Reden vom Kollegen Arnold gehört, aber dass du so wenig Applaus aus den eigenen Reihen bekommst, ist für mich neu. ({0}) Wir behandeln heute in der Aktuellen Stunde das Thema „Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr“, beantragt von der Fraktion Die Linke. Es geht offensichtlich nicht um den Sachverhalt, es geht nicht um die Aufklärung, sondern hier will eine extreme Partei die Bundeswehr in Misskredit bringen, indem sie sagt: Die Bundeswehr ist rechtsradikal. - Das ist ein durchsichtiges Manöver. ({1}) Dabei koppeln Sie mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das wurde mir eben bei der Rede von Herrn Hofreiter noch mal deutlich. In der Regierungsbefragung zuvor hat Frau Künast gesagt: Es ist wohl nicht der Fall Franco A., es ist ein Fall der Bundeswehr. - Das ist ein Pauschalverdacht gegen die Bundeswehr, und dagegen stellen wir uns, meine Damen und Herren. ({2}) Sie schließen hier eine Lücke von links nach rechts und in der Mitte die SPD. Das ist wohl die Panik nach der NRW-Wahl. ({3}) Ich habe die Sendung Anne Will am Sonntagabend gesehen. Dort hat die Familienministerin Frau Schwesig die Sozialpolitik gegen die Sicherheitspolitik ausgespielt und die Bundeswehrausgaben gegen notwendige Ausgaben für Baumaßnahmen in Schulen und Kindergärten, für die übrigens die Kommunen und Länder zuständig sind, aufgerechnet. ({4}) Es ist mittlerweile so, dass Kinder von Soldaten in den Schulen Gewissensbisse haben, wenn das Toilettenpapier und das Handtuchpapier ausgehen. Das lassen wir nicht zu. ({5}) Wir sagen: Die Bundeswehr ist ein Garant für die Sicherheit. ({6}) Hören Sie sich das neue Interview Ihres Spitzenkandidaten Schulz an, der jetzt auf Kosten der Bundeswehr politische Landgewinne machen will. Das ist ein unzulässiges Vorgehen. Wir, die Union, sind die Partei der inneren Sicherheit, der äußeren Sicherheit und übrigens der sozialen Sicherheit. Wir wollen nicht, dass Hofreiter Verteidigungsminister ist. Wir wollen nicht, dass Wagenknecht Innenministerin, Schulz schon gar nicht Kanzler ist. Unsere Kanzlerin heißt Angela Merkel, unser Innenminister heißt Thomas de Maizière, unsere VerteidigungsministeRainer Arnold rin heißt Ursula von der Leyen, und das ist gut für unser Land. ({7}) Frau von der Leyen hat die Trendwende in Material, in Personal und auch in finanziellen Mitteln umgesetzt. Die Bundeswehr ist ein Garant für unsere Sicherheit, fest auf dem Boden der Demokratie. Wenn es eine Reihe von Einzelfällen gibt, die es aufzuklären gilt, ({8}) dann ist es die Verteidigungsministerin, die sich an die Spitze gesetzt hat. Ich hätte Ihren politischen Klamauk mal hören wollen, wenn sie nicht gehandelt hätte, wenn sie es nicht aufgedeckt hätte. Es sind Straftäter, und die verzerren nicht das gute Bild der Bundeswehr im Allgemeinen. ({9}) Es ist richtig, dass zum 1. Juli eine Sicherheitsüberprüfung von allen, die zur Bundeswehr wollen, durchgeführt wird. Jedes Jahr kommen 30 000 neue Bürgerinnen und Bürger in die Bundeswehr. Sie müssen sich auf den Nebenmann, auf die Nebenfrau verlassen können, und sie müssen vor allem eines haben: eine feste Grundlage. Deswegen ist es gut, dass der Traditionserlass überarbeitet wird. Nach der deutschen Einheit haben wir mittlerweile militärische Einsätze im Ausland zur Krisenprävention, zur Kriseneindämmung - immer im vernetzten Ansatz, so wie es damals Herr Dr. Jung eingeführt hat. Damit wollen wir deutlich machen: Die Bundeswehr hat eine eigene Tradition. Sie hat einen eigenen Stolz. Sie hat Erfahrungen - angefangen bei der Krisenhilfe und der Fluthilfe bis zu Gefechten, zum Beispiel am Karfreitag vor sieben Jahren. ({10}) Das ist auch Kameradschaft. Das ist auch Pflichtbewusstsein. Das ist auch Stolz. Das ist auch heldenhaftes, gutes militärisches Handeln. Und dass die Ministerin sagt: „Das stellen wir in den Mittelpunkt der Geschäftsgrundlage für die Soldatinnen und Soldaten“, halte ich für richtig. Ich persönlich bin beeindruckt von den Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten und kann zusichern: Die Union steht mit der Verteidigungsministerin fest an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten. Herzlichen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Henning Otte. - Nächste Rednerin: Ulla Jelpke für die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die SPD heute hier hört, dann kommt man fast in Versuchung, die Verteidigungsministerin zu verteidigen ({0}) bei so vielem rechten Schrott, den Sie hier von sich gegeben haben, Herr Arnold. Herr Otte, nachdem ich Sie hier gehört habe, muss ich sagen: Das war voll am Thema vorbei. Es geht hier überhaupt nicht darum, die Bundeswehr allgemein zu verunglimpfen, sondern es geht um eine Aufarbeitung, die leider auch bei Ihrer Verteidigungsministerin nur an der Oberfläche stattfindet. Es reicht nicht aus, die Symbole der Wehrmacht aus den Kasernen zu holen, sondern auch die Geisteshaltung in der Bundeswehr muss verändert werden. ({1}) Bei Franco A. geht es um einen einzigen Fall, der sehr schlimm ist, aber nicht einmal nach § 129a des Strafgesetzbuches verfolgt wird, obwohl wir es hier mit einer Terrorzelle innerhalb der Bundeswehr zu tun haben. ({2}) Ich bin mir sicher: Wenn es hier um einen Migranten gegangen wäre - um Amri oder andere -, dann hätten Sie schon längst danach geschrien. Hier wird also mit unterschiedlichen Maßstäben an die Sache herangegangen. ({3}) Herr Arnold, ich will Ihnen gerne noch drei Beispiele aus unserer Kleinen Anfrage nennen: Ein freiwillig Wehrdienstleistender steckt ein Hakenkreuz an die Kapuze seiner Feldjacke. ({4}) Die Folge ist ein strenger Verweis - mehr nicht. Ein anderer Soldat streckt beim Verlassen der Kaserne die Hand zum Hitlergruß aus dem Wagen und grüßt den Posten, der dort steht, mit „Heil Hitler“. Ein weiterer Soldat outet sich gegenüber dem Finanzamt als sogenannter Reichsbürger. Das Verteidigungsministerium wird informiert. Was passiert? Außer einem Verweis nichts. Meine Damen und Herren, solche Rechtsextremisten, Hitler-Verehrer und Reichsbürger haben in der Bundeswehr nichts zu suchen. Sie müssen dort entfernt werden. ({5}) Der Umgang mit solchen Fällen, nämlich einfach wegzugucken, ist ein Teil des Problems. Ich will Sie noch einmal daran erinnern: Diese Soldaten werden an Waffen ausgebildet. Diese Rechtsextremisten und Reichsbürger, von denen man weiß, dass sie eine Waffenaffinität haben - aus diesen Reihen wurde sogar schon auf Leute geschossen -, verbleiben weiter in der Bundeswehr. Das geht gar nicht. ({6}) Vor wenigen Tagen habe ich eine sehr interessante Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Lent-Kaserne in Rotenburg bekommen. Es geht darum, dass diese Kaserne immer noch nach einem Wehrmachtspiloten benannt ist, der 1944 ein fanatischer Endsieghetzer war. Es wird dort in der Bevölkerung darüber diskutiert. Ich habe das Verteidigungsministerium gefragt - ich zitiere das einmal wortwörtlich -: Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung im Allgemeinen dafür, Kasernen nach ({7})systemkonformen Wehrmachtsoffizieren zu benennen? Die Antwort der Bundesregierung lautet - ich zitiere -: Das Verteidigungsministerium hat die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. ({8}) Ich frage Sie ernsthaft, Frau Ministerin: Wie bitte? Sie haben hier heute viele richtige Sachen gesagt, aber Sie haben die Meinungsbildung über die Benennung von Kasernen mit Wehrmachtsnamen noch nicht abgeschlossen? Sie haben keine Meinung dazu? Genau das zeigt die falsche Geisteshaltung von oben her. Hier müssen Sie politische Verantwortung übernehmen. ({9}) Sie sagen, die Soldaten sollen entscheiden, von unten soll entschieden werden. Wissen Sie, wie die Soldaten entschieden haben? Natürlich haben sie sich wieder für den Namen entschieden. Das ist das Problem. Deswegen müssen Sie und die Führung Ihres Ministeriums selber Entscheidungen treffen und dürfen nicht stattdessen Scheindemokratie mit den Soldaten üben. Hier geht es um Inhalte. ({10}) Für alle, die es vielleicht vergessen haben, will ich noch einmal ganz klar sagen: Die Wehrmacht war eine Kriegsverbrecherorganisation. ({11}) Sie hat Hunderttausende, ja Millionen von Zivilisten ermordet. Der Wehrmacht in irgendeiner Art und Weise zu huldigen, auch in Form von Kasernennamen, damit muss endlich Schluss gemacht werden. ({12}) Meine Damen und Herren, zum Schluss noch eins. Wer in der Bundeswehr wirklich etwas verändern will, muss endlich eine andere Ausbildung, eine andere Schule durchsetzen. Die Geisteshaltung muss verändert werden. Ich denke, auch die Stoßrichtung, dass die Bundeswehr immer mehr als Kampfarmee im Ausland eingesetzt wird und nicht mehr zur Landesverteidigung, wie es die Verfassung vorschreibt, beeinflusst die Geisteshaltung und bringt so manchen dazu, die Wehrmacht als Vorbild zu sehen. ({13}) Daran müssen Sie arbeiten, sehr geehrte Frau Ministerin. Alle anderen Maßnahmen werden nur oberflächlich etwas ändern, aber insgesamt nicht viel bringen. ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Fritz Felgentreu für die SPD. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Otte von der Union hat eben die Kompetenz der Union für Innen- und Verteidigungspolitik betont. ({0}) Damit muss man zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein bisschen vorsichtig sein, finde ich. Es sind immerhin diese beiden unionsgeführten Ministerien gewesen - seit zwölf Jahren unionsgeführt -, die ein pseudointellektueller, rassistischer Mittzwanziger monate- und jahrelang an der Nase herumführen konnte. ({1}) Insofern Obacht mit dem, was man für sich selber als Kompetenz beansprucht! Aber eines gilt grundsätzlich - ich glaube, in dem Punkt sind wir uns alle einig -: Für Rechtsextremismus im Denken, im Reden und im Handeln darf es in Einrichtungen des Staates keine Toleranz und keinen Raum geben. ({2}) Für die Armee der freien Republik gilt das ganz besonders; denn jede Armee hat viel von dem zu bieten, was Rechtsextremisten gefällt: Uniform, Waffen, straffe Hierarchien, Befehl und Gehorsam. Deshalb erwartet die SPD-Fraktion von der Bundeswehr auf allen Ebenen eine erhöhte Sensibilität für rechtsextreme Tendenzen und die Bereitschaft, ihnen entgegenzuwirken, vor allem durch die Methoden der Inneren Führung. Was bedeutet das für den Fall Franco A.? Ziemlich wenig, Kolleginnen und Kollegen; denn Franco A. und seine Komplizen hatten mental die Grenze zum Terrorismus überschritten. Sie bereiteten sich konspirativ auf eine Mordserie vor. Mit Innerer Führung ist solchen Leuten nicht beizukommen. Zugleich liegt auf der Hand: Man hätte ihnen viel früher das Handwerk legen müssen. Dass es dazu nicht kam, war vor allem ein Versagen der Dienstaufsicht und der Meldekultur. Den entscheidenden Anlass hätte zwingend die von Franco A. an der französischen Militärakademie SaintCyr im Dezember 2013 eingereichte Masterarbeit liefern müssen. Schon am 8. Januar 2014 teilte der französische Kommandeur der Akademie offiziell mit, dass die Arbeit abgelehnt wird und dass sie nach französischen Maßstäben ein Grund für den sofortigen Abbruch des Studiums wäre. Meine Damen und Herren, das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Franco A. war für sein Auslandsstudium handverlesen. So ein Soldat steht in den Augen seiner ausländischen Vorgesetzten am Ende offiziell als vollständig ungeeignet für eine Offizierslaufbahn da; eine Einschätzung unseres engsten und wichtigsten Verbündeten in Europa. Deswegen hätte meines Erachtens das Ministerium schon damals zumindest informiert werden müssen. Die Bundeswehr hat schnell reagiert. Noch im Januar wurde die Arbeit übersetzt. Am 18. Januar 2014 lag ein Gutachten des militärgeschichtlichen Forschungszentrums vor. Ich zitiere aus dem Ergebnis: Der Text ist keine politikwissenschaftliche Abhandlung, sondern ein Aufruf, „einen politischen Wandel herbeizuführen, der die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz rassischer Reinheit anpasst“. Meine Damen und Herren, dann erfolgte ein Totalzusammenbruch von Dienstaufsicht und Meldekultur. Die Untersuchung wurde am 27. Januar 2014 mit einer Belehrung, also mit einer einfachen erzieherischen Maßnahme, abgeschlossen. Der damit betraute Rechtsberater wollte dem intelligenten jungen Mann mit dem treuherzigen Augenaufschlag nicht durch eine Disziplinarstrafe seine Karriere verbauen. Es gab keine Meldung an den Militärischen Abschirmdienst. Franco A. durfte eine neue Masterarbeit schreiben und wurde im Juli 2015 Berufssoldat. Kein halbes Jahr später tauchte er als Flüchtling David Benjamin in Offenbach auf. Der Bericht über das Versagen von Dienstaufsicht und Meldekultur lässt sich fortsetzen; darauf verzichte ich aus Zeitgründen. Der bereits erwähnte Rechtsberater jedenfalls ist dabei noch in diesem Frühjahr als eine Schlüsselfigur anzusehen. Aber schon die Vorgänge aus dem Januar 2014 hätten zwingend verhindern müssen, dass Franco A. Berufssoldat wird. Eine rechtzeitige Meldung an den MAD hätte ihn darüber hinaus wahrscheinlich als Extremisten enttarnt. Der entscheidende Punkt ist, dass hier grundlegende Elemente der militärischen Führung versagt haben. Das ist übrigens auch der einzige Zusammenhang des Falles Franco A. mit den Exzessen, die wir im letzten halben Jahr an zwei Standorten bei der militärischen Ausbildung zur Kenntnis genommen haben. Hier setzt auch meine Kritik ein. Frau Ministerin, für das Funktionieren der Dienstaufsicht und die Meldekultur in der Bundeswehr tragen Sie seit fast vier Jahren die politische Verantwortung. Statt sich dieser Verantwortung zu stellen, haben Sie Franco A. zum Ausgangspunkt für eine Debatte über die Traditionspflege in der Bundeswehr gemacht. Das empfinde ich als unseriös und kontraproduktiv. ({3}) Was die Bundeswehr jetzt vor allem braucht, ist eine Stärkung von Dienstaufsicht, Meldekultur und Innerer Führung. Dazu gehört, dass die Meldung von Missständen ganz grundsätzlich als positiver Beitrag zur Entwicklung der Bundeswehr anerkannt wird. Soldatinnen und Soldaten, die damit vortreten, dürfen in der Truppe weder als Nestbeschmutzer wahrgenommen noch so behandelt werden. Die Debatte über die Tradition in der Bundeswehr hat ihre Berechtigung. Aber sie darf nicht dazu instrumentalisiert werden, von der Verantwortung für den Fall Franco A. und seine notwendigen Konsequenzen abzulenken. Danke schön. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Otte, das, was Sie gerade gemacht haben, ist ganz schön billig und hat auch nichts mit dem zu tun, was die Kollegin Künast gesagt hat. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal aktuell mit den Soldatinnen und Soldaten zu sprechen und sie zu fragen, von wem sie sich gerade unter Generalverdacht gestellt gefühlt haben. Dann werden Sie den Namen der Verteidigungsministerin hören. ({0}) Meine Damen und Herren, es gibt sehr viele Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst mit einer beeindruckenden Haltung, großem Verantwortungsgefühl und dem richtigen Verständnis von Kameradschaft tun, die Probleme lösen, Missstände melden und Verbesserungen anstoßen wollen. Es ist nicht Alltag; aber ich finde, viel zu oft erleben wir - und das bei einer Reihe von unterschiedlichen Themen -, dass diese Soldatinnen und Soldaten nicht gehört werden, an ihre Grenzen stoßen oder im schlimmsten Fall sogar benachteiligt werden, während gerade diejenigen, die für diese Probleme verantwortlich sind, diese vertuschen und ihre Macht über andere missbrauchen, leider viel zu oft unbehelligt bleiben und weiter Karriere machen können. Das ist für mich ein Kern der aktuellen Debatten der letzten Wochen und Monate um die Innere Führung. Das darf nicht sein, und das muss sich endlich ändern. ({1}) Der zweite Kern - denn in den Debatten geht in der Aufgeregtheit einiges durcheinander - ist doch, dass über Jahre hinweg eine gewaltbereite, hochgefährliche rechte Gruppe in der Bundeswehr unbehelligt ihr Unwesen treiben und Anschläge gegen Aktivisten und Politikerinnen und Politiker planen konnte. Man mag sich gar nicht ausmalen, was ohne den Waffenfund in Wien alles an Entsetzlichem hätte passieren können. Es gab eine Masterarbeit, die keinen Zweifel an der rassistischen, rechtsextremen und hasserfüllten Gesinnung des Franco A. offenlässt. Es ist nichts passiert. Es gab den Diebstahl einer Riesenmenge an Munition. Es ist niemandem aufgefallen. Der dritte nun Festgenommene gerät sogar ins Visier des Militärischen Abschirmdienstes. Er versucht, andere für Gewalttaten gegen Flüchtlinge anzuwerben, und einmal mehr passiert nichts, und die Gefahr wird nicht erkannt. Meine Damen und Herren, mit jeder Woche wird die Liste des Komplettversagens länger und länger. ({2}) Allein das sind drei Alarmzeichen, die ignoriert worden sind und bei denen nicht gehandelt wurde. Es sind drei Gelegenheiten, bei denen ungeheuerliche, ja unverzeihliche Fehler begangen worden sind. Auch das darf nie, nie wieder passieren. Frau Ministerin, im Ausschuss fragten wir Sie nach Ihren eigenen Versäumnissen und Fehlern. Wir fragen Sie, wann Sie sich in den über drei Jahren mit so wichtigen Themen wie dem Rechtsextremismus und der Inneren Führung beschäftigt haben. Da kommt aber so gut wie nichts; da gibt es keine wirkliche Antwort. Sie können hier nicht einfach sagen: „Schuld sind immer die anderen“, und die Verantwortung weit von sich schieben; denn all diese Fehler fallen nun einmal in Ihre Amtszeit. Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist: Warum braucht es erst die schrecklichen Enthüllungen um den Fall Franco A., damit man genauer hinschaut? Es gab eine Reihe von Gelegenheiten, wo wir über diese wichtigen Themen hätten diskutieren können und müssen: der Bericht des Wehrbeauftragten, die Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses zum NSU, die Debatten um die Führungskultur und die Defizite bei den internen Kontrollmechanismen, die ganzen Diskussionen um den und mit dem MAD und die Debatte um die problematischen Kasernennamen. Es war ganz oft die Opposition, die diese Fragen auf die Tagesordnung gesetzt hat. Und ich kann mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, durchaus daran erinnern, wer dann an der Stelle im Ausschuss mit den Augen gerollt hat. ({3}) Frau Ministerin, auch Sie haben die Debatten nicht ernst genommen, und Sie haben ihnen keine Priorität eingeräumt. Unsere Kritik bezieht sich aktuell im Großen und Ganzen doch nicht darauf, dass Sie jetzt im Rahmen eines Ankündigungsstakkatos viele längst überfällige Reformprozesse anstoßen. Im Gegenteil: Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass Sie nicht handeln, wenn die Probleme da sind, sondern dass Sie zu spät und immer nur dann handeln, wenn ein Skandal die Schlagzeilen erreicht. ({4}) Nach über drei Jahren als Ministerin - und damit auch als oberste Chefin - nimmt Ihnen doch einfach niemand mehr die Rolle der großen Reformerin und unabhängigen Chefaufklärerin ab. Gerade deshalb hagelt es Kritik nicht nur vonseiten der Opposition, sondern auch von der Koalition und aus der Bundeswehr heraus. Es hagelt auch deswegen Kritik, weil viele wieder einmal den Eindruck haben, dass für Sie die Profilierung und die Inszenierung im Vordergrund stehen. Ich kann dieses Gefühl - auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre - bestätigen. Man hatte immer wieder das Gefühl, dass das zynische Motto im Raum steht: Bad News für die Bundeswehr sind Good News für die Ministerin. Die heftige Kritik hat auch etwas damit zu tun, dass wir alle nur allzu oft erlebt haben, dass Ihren großen Ankündigungen im Scheinwerferlicht ein paar Wochen später bei Tageslicht nicht mehr viel gefolgt ist. ({5}) - Ich bleibe dran. Auch Sie wissen genau, wer die Fragen stellt und guckt, was am Ende davon übrig bleibt. Das war bisher nicht gerade die Union. ({6}) Frau Ministerin, Sie sind mit dem Anspruch angetreten, alles anders und besser zu machen als Ihre Vorgänger. Mit dieser ganzen Art erinnern Sie mich aber sehr an einen Ihrer Vorgänger, nämlich an Karl-Theodor zu Guttenberg. ({7}) Frau Ministerin, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden Sie an Ihren Worten messen, wir werden das überprüfen. Entscheidend ist doch, dass wir am Ende des Tages nicht nur markige Pressestatements, Mammutprozesse und dicke Berichte haben, sondern dass es echte Veränderungen gibt, die die Bundeswehr und die Innere Führung stärken. Es ist für alle Soldatinnen und Soldaten einfacher, früher hinzuschauen und wachsam zu sein, wenn auch alle Vorgesetzten dies leben und tun. Das gilt zuallererst für die Ministerin, ihre oberste Chefin. Vielen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias Höschel für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Mathias Edwin Höschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004642, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Fall des verhafteten mutmaßlich rechtsradikalen Bundeswehr-Oberleutnants Franco A. und des ebenfalls verhafteten Maximilian T. hat uns alle geschockt und beschäftigt uns seit Wochen. Die Hintergründe und die möglichen Weiterungen des Falls sind noch längst nicht vollständig aufgeklärt. Eines aber - das hat die Ministerin öffentlich und in den Sitzungen des Verteidigungsausschusses in den vergangenen Wochen und auch heute wieder deutlich angesprochen - ist klar: Es hat Versäumnisse und Versagen einzelner Vorgesetzter gegeben. Das muss aufgeklärt werden. ({0}) Die notwendigen Gegenmaßnahmen müssen umgehend beschlossen und umgesetzt werden. Die Debatte hier ist deshalb außerordentlich wichtig, weil die Bundeswehr für uns so bedeutend ist. Sie beginnt aber absurd zu werden, wenn Kollege Arnold es bedauert, dass fortan das Foto unseres ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt, der eine Wehrmachtsuniform trägt, nicht mehr die Räume der Münchner Universität zieren darf. ({1}) Die Ministerin hat auf dem Weg der Aufklärung unsere volle Unterstützung. Sie hat unmittelbar nach Bekanntwerden des Falls zügig und konsequent gehandelt. ({2}) Das war politisch vorbildlich. Deshalb ist nicht das Handeln von Ursula von der Leyen das Problem, sondern wir haben ein anderes Problem: Wir haben es hier offenkundig mit Kriminellen zu tun, die die Bundeswehr hinterlistig getäuscht und für ihre Machenschaften instrumentalisiert haben. Sie haben sich den Zugang zu Waffen und Ausbildung bei der Bundeswehr zunutze gemacht, um staatsgefährdende Staatstaten zu planen. Mit hoher krimineller Energie hat Franco A. nicht nur das BAMF getäuscht, indem er sich eine neue Identität beschafft hat, sondern auch seine Vorgesetzten und Kameraden. Es ist gut, dass sein Tun rechtzeitig entdeckt und dem ein Ende bereitet wurde. Ich möchte eines festhalten: Jetzt der Bundeswehr rechte Tendenzen zu unterstellen, ist völlig unangebracht. Wir haben volles Vertrauen in unsere Soldatinnen und Soldaten, die angesichts ihrer vielfältigen, schwierigen und teils gefährlichen Aufgaben im In- und Ausland unseren vollen Respekt verdienen, genauso wie deren Familien. ({3}) Die aktuellen Zahlen des Militärischen Abschirmdienstes und diesen grundsätzlich in seiner Wirkung infrage zu stellen, halte ich für völlig unangemessen. Die aktuellen Zahlen belegen einen erkennbaren Rückgang rechtsradikaler Verdachtsfälle in der Bundeswehr. In diesem Jahr sind es bisher 104 Fälle; 2015 waren es 265 Fälle. Tatsächlich hat sich der Verdacht nur in einem Bruchteil der Fälle - ein geringer Prozentsatz von 1 bis 2 Prozent - bestätigt. ({4}) Dann generell der Truppe rechtsradikale Tendenzen zu unterstellen, geht an der Sache vollkommen vorbei. ({5}) Dennoch - das ist wichtig -: Jeder Fall von politischem Extremismus in der Bundeswehr, ob von rechts oder von links - verbunden mit krimineller Energie -, ist ein Fall zu viel. Jede Form von Extremismus muss mit allen Mitteln bekämpft und verhindert werden. Bei einer Freiwilligenarmee sind diesbezüglich große Sensibilität und Wachsamkeit vonnöten. Die Bundesministerin hat angekündigt, dass sie unter anderem die Wehrdisziplinarordnung, den Traditionserlass, das gesamte Thema der politischen Bildung und die Meldeketten bei der internen Kommunikation auf den Prüfstand stellen wird und dass dort, wo reformiert werden soll, auch reformiert wird. Das Ganze soll in einem inklusiven und integrativen Prozess der Kommunikation mit den Soldaten erfolgen. Außerdem wird dafür gesorgt, dass der Bewerber für die Bundeswehr vor der Einstellung noch effektiver als bisher überprüft wird. Das sind die richtigen Antworten auf diesen besonders eklatanten Fall, auf diesen Fall offenkundig politisch motivierter Kriminalität in unseren Streitkräften. Ich bin davon überzeugt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Maßnahmen des Verteidigungsministeriums richtig sind, um diesen Fall aufzuklären und die angemessenen Konsequenzen daraus zu ziehen. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Lars Klingbeil für die SPD. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, das ist keine einfache Diskussion; das will ich gleich zu Beginn sagen. Ich bin seit acht Jahren Mitglied des Verteidigungsausschusses und bin der Meinung, dass gerade dieser Ausschuss von dem Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben, lebt. Aber ich muss in den letzten Wochen feststellen, dass vieles von dem, was ich als gemeinsames Fundament wahrgenommen habe, von anderen verlassen wurde. Deswegen ist es richtig, dass wir heute hier eine kritische Debatte führen. Frau Ministerin, ich will das gleich zu Beginn sagen: Das, was wir bisher im Fall Franco A. wissen, erschüttert uns und macht uns fassungslos. Das muss in aller Konsequenz aufgeklärt werden. Dafür haben Sie, dafür hat das Ministerium - so hoffe ich - die volle Unterstützung dieses Hauses. ({0}) Wenn wir über diesen Fall reden, müssen wir auch darüber sprechen, wer Verantwortung trägt. Wir müssen klären, wo Fehler passiert sind. Wenn - das will ich hier deutlich sagen - ein blonder, deutscher Mann, der kein Wort Arabisch spricht, in einer Behörde, für die Herr de Maizière Verantwortung trägt, einen Schutzstatus als syrischer Flüchtling bekommt, dann müssen wir feststellen, dass in der Verantwortung von Herrn de Maizière etwas falsch gelaufen ist. Das muss aufgeklärt werden. ({1}) Frau Ministerin, da in Ihrer Verantwortung mittlerweile zwei Personen verhaftet wurden, die aktiv bei der Bundeswehr waren und bei denen es deutliche Hinweise nicht nur auf rechtsextremes Denken, sondern auch auf rechtsextremes Handeln gab - die Masterarbeit und die Anwerbeversuche wurden bereits angesprochen -, und es keine deutlichen Konsequenzen gegeben hat, muss ich sagen, dass auch Sie, Frau Ministerin, Verantwortung für das tragen, was dort passiert ist. Das muss klar angesprochen werden. ({2}) Wenn man Ihnen, Frau von der Leyen, zuhört, dann bekommt man manchmal den Eindruck, Sie seien erst seit zwei Wochen im Amt. Aber Sie tragen die Verantwortung für die Bundeswehr seit knapp vier Jahren, und deswegen sind für die Aufklärung auch folgende Fragen berechtigt: Was haben Sie eigentlich in diesen vier Jahren getan, um die politische Bildung zu stärken? Was haben Sie eigentlich getan, um die Innere Führung in der Bundeswehr zu stärken? Ich will daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres sogar noch eine Diskussion über einen Maulkorberlass aus dem Ministerium hatten, bei dem es darum ging, dass Soldatinnen und Soldaten weniger mit Politikern, Journalisten und Wirtschaftsvertretern reden sollen. Das ist das Gegenteil von Stärkung der Inneren Führung, und auch das fällt in Ihre Verantwortung, Frau Ministerin. ({3}) Ich will auch sagen: Ihre Rede vorhin war gut. Da war vieles dabei, dem ich zustimmen und zu dem ich sagen kann: Da sagt die Ministerin richtige Dinge. - Aber die Skepsis ist gewachsen. Wir erleben doch immer wieder, dass gewisse Situationen eintreten und dann Reden und Auftritte mit Pathos erfolgen; wir erleben Inszenierungen, Ankündigungen und sehen große Überschriften. Aber wenn man näher darauf schaut, dann sieht man, dass in der Substanz wenig bleibt. Alles, was angestoßen wird, wird auf die nächste Legislatur verschoben. Frau Ministerin, das ist nicht die Politik, die ich mir für unsere Bundeswehr wünsche. ({4}) Ich will Ihnen am Ende sagen: Ich bin Munsteraner. Münster ist der größte Heeresstandort. Ich kenne dort viele Soldatinnen und Soldaten, habe Freunde und Bekannte, die dort tagtäglich tadellos ihren Dienst in der Truppe leisten. Das sind gute Demokraten, die sich darum kümmern, dass das Gemeinwohl und das Zusammenleben zwischen Bundeswehr und Gesellschaft funktionieren. Das sind Leute, denen wir den Rücken stärken müssen, weil sie den richtigen Weg in dieser Bundeswehr gehen. Diesen Leuten sind Sie, als Sie unter Druck geraten sind, mit Ihrer Pauschalkritik, dass die Bundeswehr ein Führungs- und Haltungsproblem habe, in den Rücken gefallen. Bei diesen haben Sie Enttäuschung hervorgerufen; da ist Vertrauen verloren gegangen. Frau Ministerin, Sie hätten heute hier an diesem Pult die Chance gehabt, sich bei all diesen Menschen zu entschuldigen. Das haben Sie nicht getan; das kritisiere ich hier zutiefst. ({5}) Frau Ministerin, wenn am Ende die Abgeordneten der Linkspartei die Einzigen im Parlament sind, die ehrlich für das applaudieren, was Sie tun, dann sollten Sie sich fragen, was Sie falsch gemacht haben. Vielen Dank fürs Zuhören. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Gisela Manderla. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich das Thema der heutigen Aktuellen Stunde anschaut und die zur Verfügung stehenden Zahlen und Daten zu diesem Bereich danebenlegt, dann kann man sich eigentlich nur wundern. Die anberaumte Aktuelle Stunde trägt den Titel „Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr“. Schaut man aber in die entsprechenden Dokumente, wie den Jahresbericht des Wehrbeauftragten oder die Statistiken des Militärischen Abschirmdienstes, MAD, dann sieht man zunächst nur eins - das hat Kollege Höschel schon gesagt -: seit Jahren rückläufige Verdachtsfälle und Eingaben, ({0}) eine schrumpfende Anzahl von Verdachtspersonen und eine verschwindend geringe Anzahl von sich bewahrheitenden Einzelfällen von Rechtsextremismus. Auch die jetzt aufgedeckten Fälle sind Einzelfälle. ({1}) - Ja, ich glaube; das stimmt. Aber nicht an das, woran Sie glauben. ({2}) Nun fragt man sich aber zwangsläufig: Wie passt das zusammen? Hat unsere Bundeswehr wirklich ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus? Oder ist die Motivlage hinter der Beantragung der Aktuellen Stunde doch etwas anders, und der Titel - das haben die Vorreden auch gezeigt - hätte besser lauten sollen: „Aufklärung der Hintergründe des Einzelfalls Franco A.“? Oder hat das Ganze vielleicht auch etwas mit Wahlkampf zu tun? ({3}) Das hätte aus einer Vielzahl von Gründen deutlich mehr Sinn gemacht; denn ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist für mich nach allem, was wir heute wissen, beileibe nicht erkennbar. ({4}) Als Mitglied des Verteidigungsausschusses spreche ich oft mit unseren Soldaten und Soldatinnen, und ich besuche regelmäßig Standorte wie meine Kollegen auch, und zwar im Inland und im Ausland. Aus diesen zahllosen Gesprächen und Besuchen kann ich nur eines ableiten: Die absolute Mehrheit der Bundeswehrangehörigen leistet einen tadellosen Dienst für unser Land, ({5}) sei es im Grundbetrieb in der Heimat oder in den Auslandseinsätzen. ({6}) Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Das möchte ich hier noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen. Dennoch müssen - auch hier besteht kein Zweifel - die Vorgänge und Umstände rund um den Fall Franco A. lückenlos aufgeklärt werden. Es ist unstrittig, dass eine solche Mischung aus rechtsgerichteter Ideologie und krimineller Energie frühzeitig hätte identifiziert werden müssen. Die Bundeswehr verfügt mit der Wehrdisziplinarordnung und den übergeordneten Leitprinzipien der Inneren Führung bereits über ein umfangreiches und in vielen Fällen bewährtes Instrumentarium für den Umgang mit Verdachtsfällen dieser Art. Aufgrund subjektiver Fehleinschätzungen ist dieses Instrumentarium im Fall Franco A. aber nicht konsequent genug angewandt worden. Genau das muss kritisch aufgearbeitet werden. Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen hat deshalb richtigerweise angeordnet, die rechtlichen und prozessualen Rahmenbedingungen für solche Fälle kritisch zu überprüfen und zu überdenken sowie die Vorgänge rund um den inhaftierten Soldaten schonungslos aufzuklären. Dieser Ansatz ist richtig und verdient unsere volle Unterstützung. Der Versuch aber, aus diesem Fall ein generelles Versagen im Umgang mit potenzieller Rechtsradikalität in der Bundeswehr abzuleiten, ist vollkommen absurd und entbehrt jeglicher Grundlage. Zudem, meine Damen und Herren, wirft er - das ist der entscheidende Punkt - ein völlig falsches Licht auf die zahllosen Soldatinnen und Soldaten, die sich tagtäglich ihrem Eid verpflichtet fühlen und ihren Dienst zur Gewährleistung der Sicherheit dieses Landes korrekt, gewissenhaft, mit hoher Motivation, Leistungsbereitschaft und in 60-jähriger stolzer Tradition absolvieren. Vor diesem Hintergrund sind die durchsichtigen Versuche, auf dem Rücken und zulasten unserer Soldaten und Soldatinnen Wahlkampfmanöver aufzuführen, bestenfalls als bedenklich einzustufen und mit uns als Unionsfraktion nicht zu machen, liebe Kollegen und Kolleginnen. ({7}) Ich stelle also fest: Die Bundeswehr steht fest auf dem Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die überwältigende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten leistet einen einwandfreien Dienst und genießt unser volles Vertrauen. Bitte benutzen Sie das Wort „Amen“ nicht in diesem Zusammenhang; dabei fühle ich mich als Katholikin diskriminiert. Danke schön. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Aufdecken des Falls von Franco A., der möglicherweise eine Art rechtsextreme, vielleicht sogar rechtsterroristische Gruppierung aufbauen wollte, der mindestens ein weiterer Angehöriger der Bundeswehr zuzurechnen ist, wurde eine politische Dynamik ausgelöst - zu Recht; zu alarmierend ist dieser Sachverhalt. Ja, es sind Fehler gemacht worden. Aufgrund seiner Masterarbeit mit ihren offensichtlichen rechtsextremistischen Inhalten hätte Franco A. nie eine Chance haben dürfen, dienstlich aufzusteigen und Karriere zu machen. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Rechtsextremismus hat in der Bundeswehr nichts zu suchen! ({0}) Ja, das ist so. ({1}) Es ist deshalb wichtig und richtig, dass die Ministerin von der Leyen diesem, wie auch anderen Fällen, konsequent nachgeht, sie aufklärt und Entscheidungen trifft. Gegebenenfalls sind die Instrumente der Inneren Führung entsprechend nachzuschärfen. Das wird sich bei sachlicher Betrachtung der finalen Untersuchungsergebnisse zeigen. Ich möchte einmal wissen, wie hoch der Grad der Empörung auch in diesem Hause gewesen wäre, wenn die Ministerin diese Schritte nicht gemacht hätte. Ihr deswegen Show zu unterstellen, ist - das muss ich sagen wirklich zynisch. ({2}) Diejenigen, die dies als Show bezeichnen, sind diejenigen, die selbst eine Show für sich aus diesem Thema machen wollen. ({3}) Die von den Linken beantragte Aktuelle Stunde ist allerdings eine Farce. Sie zielt eben nicht darauf ab, den von mir eben beschriebenen Weg der Aufklärung, der Bewertung und der möglichen Neujustierung konstruktiv zu begleiten, sondern darauf, die Gunst der Stunde zu nutzen, um die von vielen von Ihnen ungeliebte und abgelehnte Organisation Bundeswehr mit ihren 250 000 zivilen und militärischen Angehörigen einmal mehr öffentlich in die Pfanne zu hauen. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen die Bundeswehr. Das dürfen wir Ihnen so nicht durchgehen lassen. ({4}) Es geht der Linken eben nicht um Aufklärung, sondern um den generellen Vorwurf, dass jede militärische Ausbildung eine rechtsextreme Ausprägung anzieht und fördert. Sie wollen die Bundeswehr als Hort des Rechtsextremismus darstellen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die Bundeswehr ist seit über 60 Jahren der Garant für Freiheit, Sicherheit und Demokratie in unserem Land. Darauf sollten wir alle stolz sein. ({5}) Eins muss betont werden: Die Bundeswehr leistet hervorragende Arbeit in einem Bereich, der kein Job wie jeder andere ist, der gefährlich ist, wie wir heute mit Blick auf den tragischen Unfall in Wildflecken einmal mehr erleben müssen. In Somalia, in Mali und im Nordirak und in vielen anderen Regionen absolvieren unsere Soldatinnen und Soldaten aktuell einen erstklassigen Einsatz. Sie lassen sich leiten von einer menschenrechtsbasierten Haltung. Die Ausbildung und das Training basieren auch hier auf dem Leitgedanken der Inneren Führung. All das führt natürlich auch dazu, dass die Bundeswehr inzwischen genau wegen dieser Einsätze in den Einsatzgebieten im Ausland einen entsprechenden Ruf genießt. Wir haben heute im Ausschuss über die aktuellen Ereignisse intensiv diskutiert, und die Diskussion war leider in großen Teilen wie auch hier im Plenum bereits vom bevorstehenden Wahlkampf geprägt. ({6}) Der Generalinspekteur hat dabei über die Ergebnisse der von ihm angeordneten Bestandsaufnahme von Ausstellungsstücken, Symbolen und anderen Gegenständen mit unkommentiertem Bezug zur Wehrmacht berichtet. 41 Fundstücke wurden danach gemeldet. Ich muss sagen: Das ist für mich nicht wirklich ein alarmierendes Ergebnis; vielmehr zeigt es, dass wir hier nicht wirklich ein großflächiges Problem haben. Das ist doch einmal etwas Positives, was wir unterstreichen sollten. ({7}) Allerdings hat der Generalinspekteur von zwei Beispielen berichtet, bei denen in neu aufgestellten Bataillonen bei der Einrichtung eines Aufenthaltsraumes - wir kennen den Fall - und bei der Gestaltung einer Gedenkmünze auf Wehrmachtssymbole zurückgegriffen wurde. Er hat dazu die richtige Frage gestellt mit Blick auf unsere 60-jährige Erfolgsgeschichte der Bundeswehr: Warum wird nicht stärker bei solchen Dingen auf dieselbe Geschichte, nämlich 60 Jahre Bundeswehr, zurückgegriffen? Diese Frage sollten wir uns auch stellen. Ich möchte die These wagen, dass vielleicht gerade das über viele Jahre gepflegte freundliche Desinteresse an unserer Bundeswehr in unserer Gesellschaft ein Auslöser für so etwas ist. Mit dem Verbannen von Soldaten aus den Schulen und der Verhinderung von öffentlichen Gelöbnissen leistet beispielsweise linke Politik ihren Beitrag dazu genau wie mit dieser unnötigen Debatte. ({8}) Klar ist: 60 Jahre Bundeswehr bieten eine eigene Geschichte, auf die wir stolz sein können. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben bewiesen, dass sie als „Staatsbürger in Uniform“ in weltweiten Einsätzen, aber auch bei Katastrophen oder bei der Flüchtlingshilfe hervorragende Arbeit leisten. Diese positive Bilanz ist auch die Bilanz einer guten Politik und einer guten Arbeit von entsprechenden Ministern, die dies zu verantworten haben. Unsere Aufgabe ist es, genau das nach außen zu tragen, um die ganz große Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten vor einem falschen Eindruck zu schützen. Es ist aber umso wichtiger, mit den wenigen einzelnen schwarzen Schafen aufzuräumen und gegebenenfalls Instrumente der Inneren Führung im Miteinander nachzuschärfen. Das ist unser politischer Auftrag. Vielen Dank. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aktuellen Stunde spricht der Kollege Ingo Gädechens für die CDU/CSU. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als letzter Redner einer Aktuellen Stunde, die von den Linken beantragt wurde, reden darf, dann ist schon linker Pulverdampf, dann ist oppositionell grüner Pulverdampf und dann ist sogar auch roter Pulverdampf schon etwas verflogen, ({0}) sodass man vielleicht die Gemeinsamkeiten dieser Debatte herausarbeiten kann. Ich möchte diese Gemeinsamkeiten dadurch unterstreichen, dass ich betone, dass Rechtsextremismus, Extremismus ganz allgemein nicht in unserer Gesellschaft und schon gar nicht in unserer Bundeswehr Raum und Platz finden dürfen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Wehrmacht konnte nach dem Ende des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte niemals identitätsstiftend für die Bundeswehr sein. Die Bundeswehr hat aus eigener 60-jähriger Geschichte eine gute Tradition und echte Vorbilder hervorgebracht und braucht deshalb keine verherrlichten Relikte aus einer dunklen Zeit. Eine fortlaufende Überprüfung nicht nur des Traditionsbewusstseins, sondern auch der innerlichen Haltung der Truppe insgesamt ist dabei eine Grundvoraussetzung für eine moderne Armee. Wie in vielen Bereichen sind auch hier eine große Sensibilität, aber auch Aufmerksamkeit gefordert. Wir hörten es: Der Fall Franco A. führte uns deutlich vor Augen, dass wir Missstände offen ansprechen und diskutieren müssen. Ich bin sowohl der Ministerin als auch dem Generalinspekteur dankbar, dass sie mit Entschlossenheit an die Aufgabe herangegangen sind, den Vorfall Franco A. mit all seinen Verästelungen und den anderen Personen, die damit auch zu tun haben, vollumfänglich aufzuklären. Die Vorgänge in Illkirch haben die Truppe verunsichert und - ich sage das mal - auch tief getroffen. ({2}) Für mich als Verteidigungspolitiker ist es wichtig, nicht nur hier im Plenum Rede und Antwort zu stehen, sondern auch mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor Ort zu reden und ihnen gegenüber Solidarität zu bekunden. Am Montag dieser Woche habe ich die Truppe bei einer großen Übung „Red Griffin“ besucht, an der 3 500 Soldatinnen und Soldaten verschiedener Nationen teilnehmen. Ich habe in die Gesichter der Kameradinnen und Kameraden geschaut und gesehen: Sie waren tief getroffen, und die Debatte um Rechtsextremismus hat sie schwer belastet. Sie belastet diese Soldatinnen und Soldaten deshalb schwer - das haben einige Rednerinnen und Redner dankenswerterweise auch erklärt -, weil die weit überwiegende Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten mit rechtsextremen Tendenzen, mit rechtsextremem Gedankengut rein gar nichts am Hut hat. Deshalb hat es sie besonders getroffen. ({3}) Die Verfehlungen Einzelner schaden dem Ruf der Bundeswehr insgesamt. Ich sage, anders als der Kollege Arnold: Natürlich ist die Bundeswehr Spiegelbild der Gesellschaft. Sie ist es. Nur: Sie ist es nicht nur, wenn das Spiegelbild gut aussieht, sondern sie ist es leider auch in so schlechten Fällen, wie sie sich zurzeit gezeigt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner weit über 30-jährigen aktiven Dienstzeit als Berufssoldat in der Bundeswehr - ich habe die Hälfte der 60-jährigen Geschichte der Bundeswehr aktiv mitbekommen - habe ich ein Spiegelbild dieser Gesellschaft erlebt. Die Soldaten haben sich als hilfsbereit, als pflichtbewusst und solidarisch gezeigt. Neben ihrem eigentlichen Dienst haben sie sich auch pflichtbewusst gegenüber unserer Gesellschaft gezeigt. Im Ehrenamt, egal ob im Sportverein oder in der freiwilligen Feuerwehr, haben Soldatinnen und Soldaten demokratisches Grundverständnis gezeigt, und dafür, denke ich mal, gebührt ihnen an dieser Stelle - neben dem, was im Moment auch in der Diskussion ist - höchste Anerkennung. ({4}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen raus aus diesen negativen Schlagzeilen; denn eigentlich wollen wir junge Menschen für unsere Bundeswehr begeistern, dafür, dass sie Dienst für ihr Land, Dienst für ihr Vaterland leisten, dafür, dass sie für den Schutz unserer äußeren Sicherheit einstehen. Deshalb - das sage ich ganz ehrlich - ist diese Diskussion, die wir uns alle nicht gewünscht haben, schädlich, und deshalb ist Aufklärung nötig. Diese Aufklärung wird betrieben. Frau Ministerin hat in ihrem offenen Brief am 1. Mai geschrieben: ... die große Mehrheit der Bundeswehrangehörigen ... tut dies mit großem Verantwortungsgefühl für die ihnen anvertrauten Menschen und voller Respekt vor der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dem, denke ich, ist nichts hinzuzufügen; denn ich bin davon überzeugt, dass die Soldatinnen und Soldaten so handeln. Herzlichen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Nicht beendet ist die Verbundenheit des Deutschen Bundestages mit der Bundeswehr, unserer Parlamentsarmee. Deshalb begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Reihe von Angehörigen der Bundeswehr. Sie haben unsere Verbundenheit. ({0}) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung des Berichts des Petitionsausschusses ({1}) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2016 Drucksache 18/12000 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Widerspruch sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen. Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile zu Beginn das Wort der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, der Kollegin Kersten Steinke. - Sie haben das Wort. ({2})

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Gründung der Bundesrepublik ist das Petitionsrecht im Grundgesetz verankert. Dieses Recht zu nutzen, ist für viele Bürgerinnen und Bürger oftmals die letzte Instanz. Dieses Recht bietet oft auch die einzige Möglichkeit, eine Beschwerde prüfen zu lassen, eine Rechtsauskunft zu erhalten und Probleme mit Verwaltungsbehörden zu lösen. Außerdem können Bürgerinnen und Bürger mit Bitten zur Gesetzgebung am politischen Leben teilhaben und zur Gestaltung unserer Gesellschaft beitragen. Die Initiative liegt aber immer bei den Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb muss das Recht, eine Bitte oder Beschwerde einzureichen, noch bekannter und noch transparenter gemacht werden. Petitionen sind für uns Abgeordnete wie Ideenboxen; denn viele Petitionen zeigen uns auf, was bei einem neuen Gesetz in der Praxis nicht funktioniert oder wo Einrichtungen und Verwaltungen des Bundes fehlerhaft arbeiten. Der Petitionsausschuss war im Jahr 2016 wieder Anlaufpunkt für viele Bürgerinnen und Bürger. 11 236 Petitionen wurden neu eingereicht. Das sind weniger als in den Jahren zuvor. Die Ursachen dazu sind vielfältig. Ich denke aber nicht, dass die Menschen zufriedener geworden sind. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen und unsere Arbeits- und Herangehensweise auf den Prüfstand zu stellen, haben sich die Mitglieder des Petitionsausschusses dazu entschlossen, am 29. Mai eine öffentliche Anhörung von Fachexperten durchzuführen. Ich lade Sie hiermit alle herzlich dazu ein. ({0}) Hier ein paar Fakten zum Jahresüberblick. Ein Drittel der Eingaben ging auf elektronischem Weg ein. Auf der Petitionsplattform des Ausschusses im Internet meldeten sich 175 000 neue Nutzerinnen und Nutzer an. Somit hat unsere Plattform mittlerweile über 2 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer. 633 Petitionen wurden auf der Plattform veröffentlicht. Das sind 249 Petitionen mehr als im Vorjahr. Dazu gab es 20 000 Diskussionsbeiträge und 222 000 elektronische Mitzeichnungen. Wir sehen also, der Petitionsausschuss hat in der Bevölkerung nach wie vor einen hohen Stellenwert. Aber es liegt an uns, dieses Vertrauen, das die Bevölkerung in uns hat, nicht zu enttäuschen und durch unsere tägliche Arbeit immer wieder aufs Neue zu rechtfertigen. ({1}) Die öffentliche Beratung von Petitionen im Ausschuss ist eine Form, um über die Arbeit des Ausschusses öffentlich zu berichten, Entscheidungen nachvollziehbar zu machen und die Petentinnen und Petenten in die Entscheidungsfindung noch besser einzubeziehen. Deshalb empfehle ich dem neuen Ausschuss, sich von der starren Anzahl von 50 000 Unterschriften in vier Wochen, die für eine öffentliche Beratung laut Verfahrensrichtlinie erforderlich sind, zu lösen, um noch mehr öffentliche Beratungen durchführen zu können. ({2}) Hohe Zustimmung bei den Beschlüssen, meist einstimmige Beschlüsse unseres Ausschusses signalisieren der Bundesregierung, dass wir der Auffassung sind, zwingend Abhilfe zu schaffen, wo Gesetzesänderungen notwendig sind. Doch leider ist festzustellen, dass die Zahl der hohen Voten an die Bundesregierung in den letzten Jahren rapide abgenommen haben. Waren es zu Beginn der Wahlperiode im Jahr 2013 noch 50, so gab es im Jahr 2016 nur noch 21 Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse. Auch hier ermuntere ich den neuen Ausschuss, mutiger und konsequenter zu sein. Denn unser Auftraggeber sind die Petentinnen und Petenten und nicht die Regierung. ({3}) Ein paar weitere Zahlen. Wie auch in den vergangenen Jahren betrafen circa 20 Prozent aller Eingaben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Hier betreffen viele Angelegenheiten das tägliche Leben. So wurden unter anderem die Hinzuverdienstgrenze für Arbeitslose, verschiedenste Rentenfragen, die Anerkennung von Berufskrankheiten oder die schwierige Situation von Menschen mit Behinderung thematisiert. Auf dem zweiten Platz folgt das Bundesministerium des Innern mit 1 627 Eingaben. Schwerpunkte waren hier das Kriegsgefangenen- und Heimkehrrecht, das Wahlrecht sowie das Melde- und Personenstandswesen. Ein Drittel dieser Zuschriften gingen zum Aufenthalts- und Asylrecht ein. Auch wenn die Zahl der entsprechenden Petitionen gegenüber dem Vorjahr um circa 300 rückläufig war, so waren die Fälle doch nicht weniger tragisch. Doch aufgrund des deutschen Asylrechts sowie der Dublin-II- und der Dublin-III-Verordnung wurden die meisten Petitionen leider abgelehnt. Ich möchte jedoch von einem besonders ergreifenden und positiven Fall berichten. Es ging um eine Bleiberechtsregelung für eine Jugendliche aus Somalia. Im Alter von 14 Jahren vor dem Terror geflohen, ihr Vater ermordet, die Überfahrt nach Italien als Zeugin mehrerer Todesfälle an Bord nur knapp überlebt, wurde sie in einem Flüchtlingscamp Opfer mehrerer sexueller Übergriffe und sollte schließlich zur Prostitution gezwungen werden. Sie floh davor nach Deutschland. Hier erhielt sie erstmalig notwendige psychologische Unterstützung. Da sie jedoch in Italien bereits als Flüchtling anerkannt war, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihren Asylantrag zunächst ab und forderte sie auf, nach Italien zurückzukehren. Dies hätte die bereits erzielten therapeutischen Erfolge jedoch völlig zunichtegemacht. Auch eine Selbstmordgefährdung konnte hier nicht ausgeschlossen werden. Mitglieder des Petitionsausschusses führten deshalb ein Gespräch mit Vertretern des Bundesministeriums des Innern, mit dem Ergebnis, dass schließlich ein Weg gefunden wurde, der Petentin ein Bleiberecht in Deutschland zu ermöglichen. Dieses Beispiel sollte Ansporn für uns sein, auch weiterhin mit großem Engagement gemeinsam, über die Fraktionsgrenzen hinaus, konstruktiv zum Wohl der Petentinnen und Petenten zusammenzuarbeiten. ({4}) Die vielen kleinen, persönlichen Anliegen aus dem täglichen Leben stehen zwar nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit, bilden aber mit rund 75 Prozent der Eingaben das Kerngeschäft der Ausschussarbeit. Im Rahmen der parlamentarischen Prüfung führten Ausschussmitglieder 21 Berichterstattergespräche durch, in denen im direkten Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Ministerien versucht wurde, schwierige Einzelfälle zu klären. Hierbei ging es beispielsweise um Visaangelegenheiten, das Aufenthaltsrecht, Behindertenwerkstätten oder die Vergütung medizinischer Leistungen. In einem Fall wurde zusätzlich auch Akteneinsicht genommen. - Dies alles geschah unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Anders ist es bei einem Ortstermin, der in der Öffentlichkeit stattfindet, wie zum Beispiel der Ortstermin in der Gemeinde Karlsburg in Vorpommern. Im Berichtsjahr führte der Ausschuss zwei öffentliche Sitzungen durch. Die Petentinnen und Petenten können hier ihr Anliegen dem Ausschuss und den Regierungsvertretern persönlich vortragen. Eine Liveübertragung im Parlamentsfernsehen und die Einstellung in die Mediathek des Bundestages stellen zudem mehr Öffentlichkeit her. Folgende Themen wurden unter anderem öffentlich behandelt: die Erhaltung des eigenständigen Berufsbildes der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege im neuen Pflegeberufsgesetz - mit über 160 000 Unterstützerinnen und Unterstützern -, die Sicherstellung der Versorgung aller therapieresistenten Menschen mit Epilepsien mit neuen Medikamenten, die Verhinderung der Umsetzung der Tabakrichtlinienverordnung, die Sicherung der freien Wahl des Geburtsortes sowie die Neuordnung des Vergütungssystems in der Geburtshilfe. - Auch wenn diese Petitionen viele Tausend Unterschriften hatten, bleibt es dabei: Jede Petition wird ernst genommen und sorgfältig geprüft, egal, ob sie von einer oder von vielen Personen unterschrieben wurde, ({5}) egal, ob sie von allgemeinem Interesse ist oder ein ganz persönliches Anliegen betrifft, und egal, ob sie im Internet veröffentlicht wird oder nicht. Jede Petentin und jeder Petent bekommt im Unterschied zu privaten Petitionsplattformen eine Antwort und einen begründeten Beschluss. ({6}) Auch wenn nicht jeder Petent ein positives Ergebnis erwarten kann, versucht der Ausschuss, dadurch zu helfen, dass er den Bürgerinnen und Bürgern die staatlichen Entscheidungen erläutert und sie nachvollziehbar macht. Allerdings sind unserer Arbeit auch Grenzen gesetzt; denn der Bundestag kann die Regierung zwar ersuchen, dem Anliegen einer Petition zu entsprechen - zu einem Handeln zwingen kann er sie leider nicht. Gerade, wenn es um die Modifizierung von Gesetzen geht, ist oft ein langer Atem nötig. Umso mehr freut mich die Mitteilung der Bundesregierung, dass einem Anliegen, zu dem der Ausschuss im Jahr 2014 ein hohes Votum an die Bundesregierung gerichtet hatte, vollständig entsprochen wurde. Es handelt sich dabei um Kinder, die ein Elternteil verloren haben und als Halbwaisenrentner aus der Krankenversicherung des verbliebenen Elternteils ausgegliedert werden. Sie mussten von ihrer Rente selbst Beiträge an die Krankenkasse entrichten. Neben ihrem schweren Schicksal war dies für die Betroffenen eine zusätzliche finanzielle Belastung. Seit dem 1. Januar 2017 ist gesetzlich geregelt, dass eine Versicherungspflicht für Waisenrentner mit Beitragsfreiheit bis zu den Altersgrenzen für die Familienversicherung besteht. Ich denke, das ist ein Erfolg. ({7}) Diese guten Nachrichten sollten uns Mitglieder bestärken, beharrlich und mit Nachdruck an der Lösung der Probleme der Petentinnen und Petenten zu arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die 18. Wahlperiode geht zu Ende. Es sei mir deshalb auch ein persönliches Wort als Ausschussvorsitzende gestattet. Zum einen möchte ich mich ganz herzlich bei allen Ausschussmitgliedern, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, den Mitarbeiterinnen und MitarbeiKersten Steinke tern der Fraktionen und der Abgeordneten für die sachliche, konstruktive und gute Zusammenarbeit bedanken. ({8}) Zum anderen möchte ich der kommenden Koalition auf den Weg mitgeben, dass - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag - „lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung“ auch mit Leben erfüllt werden müssen. Der Petitionsausschuss - so versichern alle Abgeordneten unseres Ausschusses - sollte in einer Demokratie und in der Politik kein Nebenschauplatz sein. Ich denke, ein Mehr an Transparenz und Öffentlichkeit der eigenen Arbeit und ein Mehr an Vertrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern würden wohltuend für Abgeordnete und für die Petenten sein. Abschließend möchte ich alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen: Nutzen Sie Ihr Petitionsrecht! Es ist Ihr Recht! Lassen Sie sich dabei von George Orwell leiten, der sagte: Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. Herzlichen Dank. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Udo Schiefner für die SPD. ({0})

Udo Schiefner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004397, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag 2014 durfte ich bereits zum Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses sprechen. Ich habe damals als neuer Abgeordneter gesagt: Es war mir ein Herzenswunsch, Mitglied in diesem Ausschuss zu sein, und ich habe noch keine Minute bereut, diese Arbeit aufgenommen zu haben. Ich möchte jetzt, drei Jahre später, aus voller Überzeugung wiederholen und bekräftigen, dass die Arbeit mir gezeigt hat: Der Petitionsausschuss bleibt für mich einer der wichtigsten Ausschüsse dieses Parlaments, wenn er auch oftmals fern von Fernsehkameras und Mikrofonen tagt. ({0}) Aber warum eigentlich? Was ist so besonders am Petitionsausschuss? Petitionen an den Deutschen Bundestag brauchen keinen „Daumen hoch“ wie in sozialen Netzwerken, sie müssen nicht in kleinen Filterblasen an die Oberfläche blubbern. Echte Petitionen sind nicht von undurchschaubaren Algorithmen abhängig. Petitionen machen auch keine Ochsentour durch Parteiinstanzen. Was macht Petitionen aus? Einfache Anliegen der Menschen kommen direkt im Parlament an, landen beim Petitionsausschuss und schließlich auf unserem Schreibtisch. Wir nehmen jede Petition ernst. Petitionen sind nicht wirkungslos. Wir erfahren von Nebenwirkungen der Gesetze, die wir verabschieden. Wir erfahren, wo die Umsetzungen politischer Entscheidungen nicht rundlaufen, wo nachgebessert werden muss. Dazu brauchen wir die Informationen der Menschen. Sie sind der Gradmesser für unser Tun. Die Masse der Petitionen ist sehr konkret und durch klare und gute Argumente unterlegt. Wenn ich Petitionen lese, denke ich mir oft: Genau auf den Punkt gebracht! Warum haben wir das nicht längst schon so geregelt oder so gesehen? Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Hinweise der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen, unvoreingenommen zu prüfen und aufzunehmen. Dabei sollten wir als Politiker unsere eigenen Scheren im Kopf weglassen. Anders als in den Fachausschüssen sollte sich meiner Meinung nach unsere Arbeit nicht am klassischen Rollenverständnis von Koalition und Opposition orientieren. ({1}) Unserer Aufgabe im Petitionsausschuss werden wir gerecht, wenn wir jedes Mal ganz genau hinschauen und einzig die Sorgen und Nöte der Petentinnen und Petenten in den Mittelpunkt stellen. Der Petitionsausschuss ist das zentrale Instrument echter Bürgerbeteiligung auf Bundesebene. Unser Petitionsrecht ist erfolgreich, und das muss auch so bleiben. Die letzte große Reform des Petitionsrechts fand jedoch vor zwölf Jahren unter SPD-Führung statt. Einigen hier im Haus fehlt meiner Meinung nach seitdem der Wille und der Mut, wieder große Reformen auf den Weg zu bringen, um das Petitionsrecht zu modernisieren. ({2}) Sinkende Petitionszahlen werden in Gesprächen hier und da sogar als Ausdruck großer Bürgerzufriedenheit interpretiert. Ich finde, das ist ein Trugschluss, meine Damen und Herren. Im digitalen Zeitalter wollen die Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen direkter und schneller anbringen. Ich denke, wir dürfen dieses Feld nicht den Klickaktivisten überlassen. Sie schmücken sich zwar mit dem Label „Petitionen“, aber sie können nur erregen; etwas verändern können nur wir hier in diesem Parlament. ({3}) Das ist die Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsreferates für ihre Arbeit und Ihnen hier im Saal für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke. ({0})

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Ich kann nahtlos an die Ausführungen meines Kollegen anknüpfen, der hier sagte, einzig und allein die Sorgen und Nöte der Petentinnen und Petenten sollten im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen - unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit. Ich finde, da hat er völlig recht. Das sollten wir unterstreichen. Deshalb habe ich mich entschieden, heute am Beispiel einer Petition zu erläutern, dass das möglich ist, die Regierung dem aber trotzdem nicht unbedingt folgt. Damit komme ich auf das zurück, was unsere Vorsitzende gesagt hat: Wir können die Regierung auffordern; ob sie der Aufforderung folgt, bleibt aber dahingestellt. Vielleicht schaffen wir es heute, mit dem Ansprechen eines solchen Themas, den notwendigen Druck aufzubauen. Es geht mir um eine Gruppe von Menschen, die wirklich große Sorgen und Nöte hat. Es geht um eine Petition der Deutschen Hämophiliegesellschaft, die Menschen vertritt, die die Bluterkrankheit haben. Sie wurden in den 70er- und 80er-Jahren mit Präparaten versorgt, die mit Viren verseucht waren, und zwar mit HIV oder dem Hepatitis-C-Virus. In vielen Bereichen kannte man das noch nicht; aber zumindest ab Anfang der 80er-Jahre war es möglich, durch Verfahren diese Viren abzutöten. In einem Untersuchungsausschuss wurde geklärt, dass sich hier nicht nur die Pharmaindustrie fahrlässig und körperschädigend verhalten hat, sondern auch die Politik hinsichtlich ihrer Aufsicht versagt hat. Genau darum geht es. Für die Betroffenen, die mit dem HI-Virus infiziert worden sind, wurde eine Lösung gefunden, indem man über eine Stiftung Entschädigungen auf den Weg gebracht hat; aber für die Gruppe der Menschen, die mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden sind, gibt es bis heute keine Lösung. Obwohl sie genauso betroffen waren und bis heute sind, wird ihre Forderung nicht erfüllt. Das haben wir über alle Fraktionen hinweg so gesehen. Deswegen haben wir gemeinsam eine Berichterstattung formuliert. Ich möchte hier und heute noch einmal an die Bundesregierung und insbesondere das Bundesgesundheitsministerium appellieren, der Aufforderung der Kolleginnen und Kollegen des Petitionsausschusses zu folgen und zeitnah - vielleicht, wenn der Gesetzentwurf zur Fortführung der HIV-Stiftung im Gesundheitsausschuss beraten wird - darüber nachzudenken, auch etwas für die Betroffenen, die mit dem HC-Virus infiziert wurden, zu tun. ({0}) Ich denke, das wäre in dieser Legislatur noch ein Punkt, der zeigt, dass sich Petitionen lohnen, der zeigt, dass es sich lohnt, dranzubleiben, dass man in jede Fraktion gehen kann und dass sich dann etwas bewegen kann. Damit könnten wir unserer Demokratie vor den Wahlen noch einen Schub geben. Wir könnten die Leute dann auffordern: Bringt euch ein! Es lohnt sich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Michael Vietz für die CDU/CSU. ({0})

Michael Vietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Artikel 17 des Grundgesetzes klingt so selbstverständlich, so banal. Das ist er aber nicht. In vielen Staaten existiert kein solches Grundrecht, sich bei staatlichen Stellen Gehör verschaffen zu können, und es gibt auch keine in der Verfassung verankerte Pflicht des Parlaments, einen Ausschuss zur Behandlung dieser Anliegen einzurichten. Das sollten wir uns immer vor Augen führen, wenn wir einmal im Jahr als Parlament auf die Arbeit unseres Petitionsausschusses blicken. Wir kümmern uns in erster Linie um die alltäglichen Sorgen und Nöte, um die Anliegen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger. Wir machen Politik im Kleinen, Politik für den Einzelnen. Auch wenn wir nicht die großen Gesetzentwürfe beraten, befassen wir uns doch ganz konkret mit den Lebensumständen unserer Bevölkerung, mit ihrer Sicht auf die Dinge. Wie wir alle aus unserer täglichen Arbeit wissen, haben die Menschen in unserem Land tatsächlich keine Berührungsängste hinsichtlich ihrer Abgeordneten oder Institutionen. Sie wenden sich ausgiebig an ihre Wahlkreisvertreter, an die Ministerien oder an den Deutschen Bundestag. 11 236 Eingaben wurden allein im letzten Jahr an uns gerichtet - zum Teil von Einzelpersonen, in vielen Fällen von mehreren unterstützt, mal von wenigen Hundert, mal von Zigtausenden. 12 317 Eingaben wurden 2016 durch den Ausschuss abschließend behandelt, 743 davon in Einzelberatung des Ausschusses. Zurzeit - das wurde schon gesagt - erleben wir einen leichten Rückgang der Zahl der Petitionen. Die einen schieben es auf vermeintliche Konkurrenzangebote im Netz, andere darauf, dass Petitionen zu wenig bekannt seien, obwohl Hunderttausende im Jahr eine solche unterschreiben. Das mag alles zum Teil eine Ursache sein. Lieber Kollege Schiefner, auch wenn ich dir ungern widerspreche, muss ich sagen: Für mich besteht tatsächlich kein Zweifel daran, dass dies zu einem großen Teil schlichtweg daran liegt, dass die Menschen in unserem Land dank der guten Arbeit von uns allen, des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, von Jahr zu Jahr zufriedener sind. ({0}) Vielleicht ist es ein Problem, dass wir mehr Wert auf Bitten und Beschwerden und weniger Wert auf Lob legen. Der Petitionsausschuss ist und bleibt der heiße Draht zwischen Bürgern und Parlament. Hier wird jede Petition sorgfältig geprüft, recherchiert und abgewogen. Abschließend wird dann demokratisch eine Entscheidung gefällt. Deshalb hat der Begriff „Petition“ auch solch einen guten Ruf. Hier im Bundestag ist es gleich - auch das haben wir schon gehört -, ob eine Petition von einem Einzelnen, von 10 000 oder von mehr Menschen eingereicht wird. Wir befassen uns mit jeder, und wir prüfen jedes Anliegen. Der Petitionsausschuss ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie man über Fraktionsgrenzen hinweg konstruktiv im Sinne unserer Bevölkerung zusammenarbeitet, bei allen vorhandenen politischen Unterschieden, die auch wir nicht wegdiskutieren können. Ein herzliches Dankeschön daher an alle Kolleginnen und Kollegen für dieses gute Miteinander, das - gerade mittwochs in der Früh nicht immer selbstverständlich ist. ({1}) Vielen Dank auch an unsere Ausschussvorsitzende Kersten Steinke für ihre ruhige und sachliche Leitung der Sitzungen; ({2}) aber vor allem und im Besonderen einen herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes, die uns mit hoher Kompetenz zuarbeiten, mit einer Geduld, um die sie der sprichwörtliche Engel beneiden kann. ({3}) Wir alle nehmen die Anliegen unserer Mitbürger ernst. Das gebietet der Respekt vor unserem Volk, unserem Souverän. Das ist das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dieser gegenseitige Respekt ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Stabilität unseres Landes. Er erhält und mehrt die Akzeptanz der Politik in der Bevölkerung. Was es bedeutet und wohin es führt, wenn sich Menschen nicht ernst genommen fühlen, erleben wir gerade bei einigen unserer Nachbarn: Populismus, Nationalismus und Chauvinismus sind auf dem Vormarsch. Die Identifikation der Bevölkerung mit unserem Staatswesen, seine Akzeptanz, ist die wirksamste Waffe gegen diese Verirrungen. Der Petitionsausschuss ist hier ein wichtiger Baustein unserer freiheitlichen Demokratie. Wenn Sie mich fragen, welche Petitionen mir aus den letzten Jahren in Erinnerung geblieben sind, dann kommen schon einige zusammen. Aber nur zwei Beispiele. Das erste: die Sommerzeit, ein Dauerbrenner. Viele Menschen empfinden die Zeitumstellung als große Belastung, der kein bis bestenfalls ein sehr geringer Nutzen gegenübersteht. Manche nervt es, manche haben damit echte gesundheitliche Probleme. Halbjährlich, pünktlich nach der jeweiligen Umstellung, erreichen den Bundestag daher zahlreiche Petitionen, die auf eine Abschaffung drängen. Leider können wir hier nicht direkt einwirken. Die Kompetenz für die Zeit liegt in Europa, weswegen wir diese Petitionen zur Unterstützung entsprechender Initiativen regelmäßig und einvernehmlich an unsere Kollegen des Europäischen Parlaments weitergeben. Auch die eine oder andere Fraktion hat sich unter diesem Eindruck des Themas angenommen, hat Position bezogen und die Regierung aufgefordert, auf Ebene der Europäischen Union Einfluss zu nehmen - Ziel: die geltende Zeitumstellung abzuschaffen. Hier diente der Petitionsausschuss, wir alle, als steter Tropfen und als Inspiration. Daneben gibt es viele Petitionen, wo wir direkt einwirken konnten, beispielsweise beim Meister-BAföG. In einer Petition wurde die gesetzliche Anerkennung von Berufspraktika als Lehrveranstaltungen im Sinne des schwieriges Wort - Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes gefordert. Damit wurde eine Lücke deutlich, die bestand, aber so nicht gewollt war. Am 26. Februar letzten Jahres wurde daher ein Kompromissvorschlag zur Novellierung des Meister-BAföG beschlossen. Seit dem 1. August 2016 können nun die Auszubildenden an Fachschulen in ganz Deutschland BAföG für die gesamte Zeit der Ausbildung beziehen. Praktische Hilfe, direkte Hilfe durch den Petitionsausschuss! ({4}) Hier zeigt sich: Durch unseren beharrlichen Einsatz konnte eine Gesetzeslücke sinnvoll geschlossen werden. Das Meister-BAföG - ich erwähnte es - ist ein positives Beispiel für die Arbeit des Petitionsausschusses. Wir betreiben Finetuning. Im Ausschuss erfahren wir täglich die Sicht der Menschen auf die Ergebnisse der großen Politik, ihre Erfahrungen mit unseren Beschlüssen. Wir sind Resonanzboden und Reparaturbetrieb gleichermaßen. Wir erfahren auch und gerade über unseren Wahlkreis hinaus, was die Menschen in unserem Land bewegt, was sie berührt, belastet und umtreibt. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Petitionen sind Berufung, und dieser Berufung folgen wir alle von Herzen - gestern, heute und morgen. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Corinna Rüffer spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr richtig, Frau Stamm-Fibich. Sie haben gleich auch noch Grund dazu. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Ihnen da oben: Herzlich willkommen! Es haben ja schon einige gesagt: Das ist der letzte Jahresbericht in dieser Legislaturperiode, der hier debattiert wird. Einmal im Jahr steht der Petitionsausschuss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das ist eine Gelegenheit, Resümee zu ziehen, ein Stück weit zurückzublicken und zu schauen: Was ist in den letzten Jahren passiert? Was haben wir gelernt? Und: Was sollten wir alle gemeinsam vielleicht dazulernen? Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon einiges gesagt. Sie haben gelobt und viel Positives gesagt. Einem Lob möchte ich mich auf jeden Fall anschließen, nämlich dem Lob an den Ausschussdienst, ({0}) der wirklich unermüdlich Tausende von Akten mit Akribie behandelt. Davor muss man den Hut ziehen. Ich glaube, man sollte allen Petentinnen und Petenten auch noch einmal mit auf den Weg geben, dass die Abgeordneten nicht die Einzigen sind, die hier arbeiten, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Großartiges geleistet haben. ({1}) Aber auch ganz viele von uns hier, von den Abgeordneten, haben sich wirklich reingehängt. Eigenlob stinkt; deswegen greife ich einmal zwei Namen heraus, nämlich auf der einen Seite Frau Stamm-Fibich und auf der anderen Seite Frau Weiss von der Union, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Berichterstattergespräche beantragt, in diesen wirklich ganz klug nachgefragt und ganz vielen Leuten im Einzelfall geholfen haben. Ich glaube, es zeichnet den Petitionsausschuss aus, dass darin Leute sitzen, die ein Interesse daran haben, Menschen im Einzelfall zur Seite zu stehen und Lösungen zu finden, wenn Not da ist. Hinter vielen Petitionen stehen eine große Not und Existenzfragen. Wir versuchen, uns dessen anzunehmen, und wir tun wirklich unser Bestes. ({2}) - Jetzt dürfen noch alle klatschen; denn nun folgt der andere Teil. Der Petitionsausschuss ist aber - das muss man durchaus auch sagen - aus meiner Sicht noch immer viel zu sehr ein Kummerkasten, und er wird auch so wahrgenommen. ({3}) Jedes Jahr, wenn dieser Jahresbericht ansteht, rufen Journalisten an. Sie interessieren sich dann auch einmal für den Petitionsausschuss und stellen immer nur ganz wenige Fragen, und zwar jedes Jahr die gleichen. Dazu gehört die Frage: Sind Sie hier nicht eigentlich der Kummerkasten? - Eine zweite Frage ist: Warum sind Sie eigentlich im Petitionsausschuss gelandet? Da will doch eigentlich keiner rein. Ich kann für mich und alle meine Kollegen im Petitionsausschuss sagen, dass wir uns bewusst dafür entschieden haben. Wir sind Leute, die Kärrnerarbeit machen, sich für Menschen interessieren und versuchen, wie gesagt, Lösungen für schwierige Lebenslagen zu finden. ({4}) Trotzdem muss man, glaube ich, auch einmal ein bisschen selbstkritisch sein und die Frage stellen, ob wir nicht auch selber Ursache dafür sind, dass dieser Petitionsausschuss so etwas wie ein Schattendasein fristet, was die Aufmerksamkeit anbelangt. Das gilt auch für die Aufmerksamkeit hier im Parlament: Was wissen denn diejenigen, die nicht im Petitionsausschuss sind, über die Arbeit in unserem Ausschuss? Wann sind denn einmal Petitionen Gegenstand von Debatten hier im Deutschen Bundestag? Welche Rolle spielen sie denn eigentlich? Herr Vietz, wir sagen dann: Wir wissen, wo den Leuten der Schuh drückt. - Aber ich will, dass alle Menschen, die hier auf diesen blauen Sesseln sitzen, wissen, wo den Menschen der Schuh drückt, weil wir der Gesetzgeber sind, und wir sollten das wissen. Wir sind ja für die Menschen da - und nicht umgekehrt. ({5}) Herr Schiefner, lieber Udo, jetzt spreche ich dich einmal an. Wir hatten gestern eine Pressekonferenz, und du hast dort etwas Gutes gesagt, nämlich dass du der Meinung bist, dass nicht nur der Koalitionsvertrag darüber entscheiden sollte, was wir tun und wie wir im Petitionsausschuss entscheiden. Ich frage dich: Warum tut ihr das dann nicht? Warum entscheidet ihr so häufig nach Lage des Koalitionsvertrages und nicht nach der Sache und danach, was eigentlich geboten wäre? Ich weiß, wie weh euch, der Sozialdemokratie, das tut, aber ich finde, ihr könntet hier einfach auch einmal ein bisschen mutiger sein und solltet euch der großen Union nicht ständig unterordnen. Wenn der Schulz im September noch eine Chance haben soll, dann wäre das vielleicht einmal ein Anfang. ({6}) Herr Baumann, Ihnen ist es immer ganz wichtig - ich nehme Ihnen das wirklich ab; Sie sind echt ein Aufrechter -, dass Sie den Petitionsausschuss verteidigen und gegenüber den privaten Plattformen positiv darstellen. Sie finden dabei immer eine Abgrenzung. Gestern haben Sie gesagt: Die privaten Plattformen - Change.org, openPetition usw. - sind eigentlich nur Mogelpackungen. Sie geben nur etwas vor, was sie nicht halten können. ({7}) https://www.change.org/ Sie sagen auch immer: Wir sind das Original. Nur wir geben die Garantie, dass tatsächlich an diesen Petitionen gearbeitet wird und am Ende eine politische Entscheidung steht. ({8}) Es wäre ja schön, wenn das so wäre und wenn die Petenten das wirklich auch so wahrnehmen würden. Ich will jetzt einmal aus einer typischen Mail vorlesen, die uns erreicht hat - es ist nur eine einzige Mail, aber sie ist repräsentativ für andere, die wir bekommen -: Es ... ist sehr, sehr selten, dass eine Petition an den Bundestag überhaupt das Quorum von 50.000 UnterzeichnerInnen erreicht. ... Die Folge: Die Ausschussmitglieder müssen sich mit BürgerInnen nicht unterhalten. Und nun wird ausgerechnet eine Petition geblockt - „nicht veröffentlicht“ ist gemeint -, die so vorbereitet war, dass sie gute Chancen hatte, dieses Quorum zu knacken. Immerhin hatte eine ähnliche Petition auf der Plattform Change.org - hören Sie einmal zu über 126 000 UnterzeichnerInnen. Zufall, dass der Bundestag die jetzt nicht online stellt? Oder Unwillen, mit den Menschen da draußen in Kontakt zu kommen? Wenn es das ist, was vom Petitionsausschuss bei den Menschen ankommt, dann haben wir ein Problem. Dann müssen wir tatsächlich daran arbeiten, dass wir besser werden, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl gewinnen, dass wir Interesse an ihnen haben, dass wir Lust auf ihre Ideen haben und darauf, mit ihnen in Kontakt zu treten. ({9}) Ich möchte noch ein Beispiel nennen: die TTIP-Petition. Dabei geht es darum, dass Deutschland das Freihandelsabkommen zwischen den USA auf der einen Seite und der Europäischen Union auf der anderen Seite ablehnen soll. 68 000 Menschen haben dazu eine Petition unterzeichnet. Es ist dann zu einer öffentlichen Ausschusssitzung gekommen. Wissen Sie noch, wann das war? Im Oktober 2014. Das ist schon eine Weile her, das war faktisch am Anfang der Legislatur. Was ist seitdem passiert? Nichts! Wir haben über diese Petition noch nicht entschieden, sie liegt auf Halde. Nun kommt der Petent zu uns und fragt wieder und immer wieder: Was macht denn der Petitionsausschuss mit unserer Petition? Warum haben wir sie überhaupt eingereicht? - Dieser Umgang mit Petitionen schürt den Frust und stärkt nicht das Vertrauen in dieses Parlament in Gänze. ({10}) Das müsste für uns eine Herausforderung sein. Wir alle wissen doch, dass in diesem Land ganz viel Verdruss herrscht. Herr Vietz, ich muss Ihnen sagen: 2015 gab es 13 000 Petitionen. Das war so wenig wie seit 30 Jahren nicht mehr. 2016 wurden noch knapp 11 000 Petitionen eingereicht. Und das liegt nicht daran, dass die Menschen in diesem Land so froh und glücklich sind. ({11}) Vielmehr hat es auch damit zu tun - die Welt ist kompliziert -, dass die Menschen nicht mehr damit rechnen, dass sich dieses Parlament mit ihren Nöten ernsthaft beschäftigt. ({12}) Das aber ist unsere Aufgabe, und das ist vor allen Dingen die Aufgabe des Petitionsausschusses. ({13}) Herr Baumann, in einem Punkt sind wir uns wieder einig: Wir beide halten doch den Petitionsausschuss für die Perle der Demokratie. Ich sage: potenziell. Ich halte diesen Ausschuss wie alle, die hier geredet haben, für ungemein wichtig. Aber ich finde, wir dürfen ihn nicht verkümmern lassen. ({14}) Die letzte große Reform wurde vor zwölf Jahren durchgeführt; Udo Schiefner hat das schon gesagt. Es ist an der Zeit, dass wir uns weiterentwickeln. Wir müssen gucken, wie wir das Herz dieses Parlamentes, den Petitionsausschuss, attraktiver machen. ({15}) Wir brauchen mehr Transparenz. Wir brauchen mehr öffentliche Beratungen. Wir brauchen mehr Barrierefreiheit. Das Petitionswesen in Deutschland ist männlich. Bestimmte Gruppen sind einfach unterrepräsentiert. Das darf nicht sein, weil die Gruppen, an die ich gerade denke, oft die größten Sorgen in diesem Land haben. Sie finden sich aber in den Akten, die wir jeden Tag behandeln, nicht wieder. Wenn wir gegen Verdruss vorgehen wollen, dann müssen wir uns weiterentwickeln. ({16}) Ich sage ganz deutlich: Diese Demokratie ist angegriffen. Der Petitionsausschuss muss seinen Beitrag dazu leisten, dass sich das endlich wieder ändert. Vielen Dank. ({17})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Martina Stamm-Fibich spricht als Nächste für die SPD. ({0}) https://www.change.org/

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuss ist für mich das politische Stimmungsbarometer und der Anwalt der Bürgerinnen und Bürger. Das ist aber nicht alles. Dazu eine Erfolgsgeschichte aus diesem Jahr, die diese einzigartige Möglichkeit der direkten politischen Teilhabe auf Bundesebene deutlich macht. Es ist die beeindruckende Geschichte einer Petition, die schließlich zur Verabschiedung eines Gesetzes führte. Wohlgemerkt: Es ist das einzige Gesetz dieser Legislatur im Gesundheitsbereich, das nicht im Koalitionsvertrag vereinbart war. Den Ausschlag gab eine Petition beim Deutschen Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung. In dieser Petition wurde auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hingewiesen. Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Versorgung mit Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pauschalen. Diese Pauschalen reichen bei weitem nicht aus, um die Versicherten mit vernünftigen Produkten zu versorgen. Patientinnen und Patienten berichteten davon, dass sie nur eine knapp bemessene Menge einfachster Produkte als Sachleistung ihrer Krankenkasse angeboten bekommen hätten, und die gewohnte Qualität und Menge sollten sie künftig nur gegen eine private Zuzahlung erhalten können. Wegen solcher inakzeptablen Verhältnisse haben wir das Heil- und Hilfsmittelgesetz auf den Weg gebracht. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen ein solidarisches Gesundheitssystem. Gesundheit darf nicht vom Einkommen abhängen. Alle Patientinnen und Patienten müssen davon ausgehen können, dass sie durch ihre Krankenkasse ordentlich versorgt werden. Also erarbeiteten wir entsprechende Positionspapiere, die das Gesundheitsministerium aufgriff. Der Petitionsausschuss beschloss dann einstimmig, die Petition an die Bundesregierung bzw. das Gesundheitsministerium zur Erwägung zu überweisen und sie dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung zuzuleiten. Das Ministerium reagierte sehr schnell auf einen entsprechenden Beschluss des Bundestages, und zwar mit der Mitteilung, dass dazu ein Gesetzentwurf in Arbeit ist: der Entwurf zum Heil- und Hilfsmittelgesetz. Das Gesetz haben wir am 16. Februar 2017 beschlossen. Ich finde, das ist eine Erfolgsgeschichte, die wir selten erleben. Aber auch wenn wir da noch viel tun müssen: Wir haben es sehr ernst genommen, und wir haben gesehen, wo die Missstände liegen. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich stolz. Darauf weise ich auch in jeder Rede hin, und Ihr Lob hat sehr gutgetan, Kollegin Rüffer. Ich weiß, dass es schwierig ist, auf diesen Ausschuss hinzuweisen, aber ich tue es immer wieder, und im Gesundheitsbereich können wir oft darauf verweisen, dass wir aus dem Ausschuss heraus die Gesetzgebung geändert oder entsprechend veranlasst haben. ({0}) Wir haben mit diesem Gesetz Transparenz geschaffen. Wir wollen zukünftig Klarheit darüber, was die Menschen zuzahlen müssen. Diese Erfolgsgeschichte ist wahrlich nicht die einzige. Frau Steinke, Sie haben darauf hingewiesen. Wir sind bei den Epilepsiemedikamenten und vor allem bei der Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabis als Medizin - das ist ein sehr wichtiges Thema - weitergekommen. Da haben wir zusammen - das ist der Union sicherlich nicht sehr leichtgefallen - den richtigen Weg gefunden und das richtige Gesetz gemacht. Diese Geschichten sind beispielhaft. Petitionen bieten jedem Menschen unabhängig vom Alter oder der Staatsangehörigkeit die Möglichkeit, sich mit seinem Anliegen direkt an das Parlament zu wenden, und sie zeigen übrigens auch, dass es zu dem Petitionsverfahren beim Deutschen Bundestag weder eine ernstzunehmende noch eine effektive Alternative gibt. Für solche Erfolge gibt es jedoch eine wesentliche Bedingung: Wir müssen fraktionsübergreifend für alle Petentinnen und Petenten zusammenarbeiten. Koalitionsverträge können dabei nicht der alleinige Maßstab sein. Für die Zukunft wünsche ich mir deshalb, dass wir noch stärker die jeweilige Sachfrage in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Apropos Zukunft: Wir von der SPD wollen, dass der Petitionsausschuss seine Funktion als Anwalt aller Bürgerinnen und Bürger und als Instrument der direktdemokratischen Teilhabe noch besser erfüllen kann. Dazu müssen wir ebendiese Teilhabe erleichtern, die Handlungsmöglichkeiten des Petitionsausschusses ausweiten und mehr Öffentlichkeit herstellen. Ich finde, es ist an der Zeit, etwas Neues zu wagen und das Petitionswesen weiter strukturell zu stärken. Vielen Dank und auf weiterhin gute Zusammenarbeit. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Kassner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger, die diese Debatte verfolgen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuss ist der Ausschuss des Deutschen Bundestages, der am dichtesten an den Sorgen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger dran ist. Umgekehrt ist er auch der Ausschuss, wo sich die Bürgerinnen und Bürger am unkompliziertesten einbringen und die Thematik, die dort beraten wird, mitgestalten können. Wir alle machen die Arbeit dort mit viel Engagement und versuchen, ihre Anliegen umzusetzen bzw. Lösungsvorschläge zu finden. Nun haben wir festgestellt, dass im Jahr 2016 weniger Petitionen eingegangen sind als in den Jahren davor. Im Jahr 2005 gab es über 22 000 Sorgen und Probleme, die an uns herangetragen wurden. Woran lag das? Ich bin der Meinung, dass es nicht daran liegt, dass die Bürgerinnen und Bürger keine Probleme mehr haben. Nein, in über 11 000 Petitionen gibt es viele Sorgen und Probleme, derer wir uns annehmen müssen. Ich denke aber, dass wir es in Bezug auf die Art und Weise, wie wir die Aufgaben erfüllen, in der Hand haben, die Arbeit noch weiter zu qualifizieren und damit den Bürgerinnen und Bürgern auch Mut zu machen, die Hürden zu nehmen, sich an uns zu wenden. ({0}) Dazu will ich einmal drei Möglichkeiten exemplarisch benennen. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass wir die Transparenz unserer Arbeit erhöhen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme an, dass alle Anwesenden wissen, dass wir jede Woche über die Petitionen hier im Hohen Haus beraten. Da gibt es Drucksachen und Sammellisten, und über die stimmen wir dann ab. Was sich dahinter verbirgt, wird noch nicht einmal jedem Kollegen hier im Haus bewusst sein, geschweige denn den Bürgerinnen und Bürgern, die uns vielleicht am Fernseher bei der Arbeit zusehen. Deshalb frage ich: Warum sollten wir hier in diesem Hohen Haus nicht öfter einmal Petitionen exemplarisch diskutieren? Das haben wir in der vergangenen Legislaturperiode ein einziges Mal gemacht. Erinnern Sie sich noch? Es ging um die Abschaffung der Sanktionen. 90 000 Menschen hatten diese Petition unterstützt. An der Sache haben wir leider nichts ändern können. - Also da sollten wir uns an die eigene Nase fassen und konsequenter werden. ({1}) Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Transparenz sehe ich darin, dass wir im Petitionsausschuss öffentlich debattieren, also alle Ausschusssitzungen öffentlich machen. Nun fragt vielleicht jemand: Steht dem nicht der Datenschutz entgegen? Vielleicht wird auch gesagt, es sei nicht lohnenswert, über jede Petition öffentlich zu diskutieren. Alternativ gibt es die Möglichkeit, das Quorum deutlich zu senken. Nicht die Unterstützung durch 50 000 Bürgerinnen und Bürger sollte dann die zwingende Hürde sein, sondern wir sollten die Zahl deutlich verringern, damit mehr Petitionen öffentlich und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar diskutiert werden können. ({2}) Die zweite Möglichkeit, tatsächlich viel zu verändern, besteht in der Art der Erledigung der Petitionen. Wer genau in den Bericht schaut, wird feststellen, dass nur etwas mehr als 6 Prozent der Petitionen so beschieden wurden, dass die Wünsche der Petenten bedacht wurden. Leider wurden über 35 Prozent der Petitionen nicht im Sinne der Petenten beschieden. Das hat vielfältige Ursachen. Was mir aber überhaupt nicht gefällt, ist, dass über 33 Prozent der Petitionen - also etwa jede dritte - dem Parlament gar nicht vorgelegt werden. Sie werden, sobald sie eingegangen sind, mit einer Stellungnahme aus dem betroffenen Ministerium sozusagen zu den Akten gelegt. Mir ist der Fall eines Handwerksmeisters bekannt, der dann einfach aufgegeben hat, obwohl er in seiner Situation sehr wohl Hilfe und Unterstützung gebraucht hätte. Deswegen sollten wir uns auch dieser Petitionen unbedingt annehmen. Ich komme zur dritten Möglichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben an vielen Stellen gemerkt, wie wichtig uns die Frage ist, ob wir uns wirklich zum Anwalt der Bürgerinnen und Bürger - und nicht zum Anwalt der Ministerien oder der nachgeordneten Ämter machen, vor die wir uns schützend stellen müssen. Wir sind für die Bürgerinnen und Bürger da, und das muss auch deutlich werden. ({3}) Wir haben am 29. Mai die Möglichkeit, mit einer gemeinsamen Beratung neue Intentionen für unsere Arbeit zu setzen. Das sollten wir angehen; wir sollten das nutzen. Ich freue mich auf die Debatte und möchte mich für die gute Zusammenarbeit bei allen bedanken, ganz besonders aber bei unserem Ausschusssekretariat. Vielen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Iris Eberl. ({0})

Iris Eberl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Manche Tage sind besser, manche schlechter. Mein Mittwoch in Berlin ist selten sehr gut; denn die Sitzung des Petitionsausschusses beginnt schon um 8 Uhr in der Früh. ({0}) Heute Morgen wäre ich fast zu spät gekommen. Meine Zahnbürste hat noch Winterzeit. Web 4.0 hat sie noch nicht erreicht. Gegen meine händischen Bemühungen, sie auf Sommerzeit umzustellen, hat sie sich bisher erfolgreich zur Wehr gesetzt. Ich schließe mich damit nun endgültig der mehrheitlichen Meinung an. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung wollen die Zeitumstellung abschaffen. Ein Viertel der Bevölkerung leidet gerade durch das Vordrehen der Uhren unter gesundheitlichen und psychischen Problemen. Allein in dieser Legislaturperiode erreichten uns 758 Petitionen zur Abschaffung der Zeitumstellung. Im März 2017 beschloss der Petitionsausschuss in mitberatender Funktion - Kollege Vietz hat dies schon erwähnt -, den Antrag auf Abschaffung der Zeitumstellung an die EU weiterzuleiten. Offen bleibt nun für mich die Frage, auf wessen Kosten man sich bei der Abschaffung einigen wird, ob die Erwachsenen auf eine Stunde Zechen in lauen Sommerabenden verzichten werden und die letzte Stunde vielleicht im Dunkeln weiter feiern oder ob für die Kleinsten im Lande der Besuch von Krippen, Kindergärten und Schulen im Winter quasi mitten in der Nacht beginnt. Ich befürchte, dass es wieder einmal zu einer Einigung auf Kosten der Schwächeren kommt. Da lobe ich mir doch die Umsicht unseres Verkehrsministers. Kinder unter acht Jahre müssen mit ihrem Fahrrad auf dem Gehweg fahren; das ist die Vorschrift. Ein Petent forderte, dass sie dort auch von ihren Eltern per Fahrrad begleitet werden dürfen. Ansonsten könnten die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nicht angemessen nachkommen. Der Ausschuss bat das Verkehrsministerium um Stellungnahme. Die Antwort lautete: Die Anregung des Petenten wird bei der nächsten Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung sofort umgesetzt. - Seit Dezember 2016 ist dem Anliegen des Petenten entsprochen. So ist Alexander Dobrindt, ein Mann mit einem Herz für Kinder. ({1}) Diese Petition ist ein wunderbares Beispiel dafür, wofür das Petitionsrecht steht. Jedoch sind die Sorgen der Petenten selten so klar zu beschreiben, vor allem dann nicht, wenn sie das Sozialrecht und Einzelfälle betreffen. Gerade deshalb ist das Petitionsrecht als ein im Grundgesetz verankertes Recht für jedermann so wichtig. Der Petitionsausschuss ist eben kein altmodischer Kummerkasten. Jeder soll seinen Kummer bis auf die höchsten Spitzen des Elfenbeinturmes tragen können. Niemand interessiert sich für die Sorgen eines Max Kummermann. Niemand würde seine Petition zeichnen. Der Petent Max Kummermann weiß, dass er mit seinem Anliegen auf das Gehör des Petitionsausschusses angewiesen ist. So liegt seine Petition fein säuberlich neben vielen anderen, zum Teil gewichtigeren - weil von Hunderten oder von Tausenden Zeichnern unterstützt - Petitionen und wird vom Petitionsausschuss gewissenhaft behandelt, oft auch mit vielen Emotionen und immer mit dem Wunsch, zu helfen. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen sowie vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusses an dieser Stelle ausdrücklich. Das Petitionswesen des Bundestages war ursprünglich vielleicht nicht unbedingt als Instrument für Verbände und Organisationen gedacht; diesen stehen andere Wege offen, um ihre Interessen durchzusetzen. Aber der einzelne Bürger ist auf die Möglichkeit einer Petition angewiesen. In den letzten Jahren tauchen immer mehr Onlineportale für Kampagnen auf, die auch Petitionen namentlich erwähnen. Für Nichtjuristen ist das verwirrend. Diese alternativen Petitionsplattformen mögen Petenten dazu verleiten, dort ihre Petitionen einzureichen, wie wir heute schon mehrfach gehört haben. Diese Petenten halten ein solches Vorgehen vielleicht für effektiver, als sich mit ihrem Anliegen direkt an den Bundestag zu wenden. Kein Wunder - ich zitiere sinngemäß aus den betreffenden Internetseiten -: Wir wenden uns mit Onlineappellen direkt an die Verantwortlichen in Parlamenten, Regierungen und Konzernen etc. Wir schmieden Bündnisse, tragen unseren Protest auf die Straße etc., mit großen Demonstrationen etc. - Das klingt beeindruckend und demonstriert Macht. Aber Petitionen, die dort landen, erreichen den Bundestag nie. Sie versinken eher im Nirgendwo des Internets, vor allem dann, wenn sie nicht zum Meinungsbild des Plattformbetreibers passen. So verliert das Petitionsrecht seine ehrwürdige Rolle eines Grundrechts und wird von nicht greifbaren Scheinrechten ersetzt. Ich halte diese Entwicklung für sehr bedenklich. ({2}) Nun komme ich zu meinem letzten, ganz persönlichen Punkt. Lieber Herr Baumann, lieber Günter, als letzte Rednerin der CDU/CSU-Fraktion will ich mein Wort an dich richten. Du wirst als Vorsitzender unserer Arbeitsgruppe bald deinen Platz räumen. Fast 15 Jahre hast du unsere Arbeitsgruppe mit Kompetenz, Umsicht und Begeisterung durch die unterschiedlichsten Höhen und Tiefen unserer Ansichten geführt - humorvoll, geradlinig, streitlustig in der Sache und immer ausgleichend. Eine Petition will ich gerne ansprechen. Sie lag lange vor meiner Zeit; vielleicht kann ich dir damit eine kleine Freude bereiten. Wie man mir erzählte, hast du unerschrocken gegen eine einheitliche Farbgebung für alle deutschen Autos gekämpft. ({3}) Zitronengelb sollten sie werden, nach dem Willen des Petenten. Seine Begründung war: Mit einheitlich gelber Farbe würden Unfälle vermieden, das Landschaftsbild würde verbessert, und vor allem würden Ost und West besser zusammenwachsen. ({4}) Ost und West sind bereits zusammengewachsen. Wer etwas anderes behauptet, der lügt. Was die beiden anderen Gründe betrifft: Das geht in Bayern derzeit gar nicht. Die Landschaft ist gelb; wohin man schaut: Löwenzähne und blühende Rapsfelder, gelb, gelb und noch einmal gelb. Das Landschaftsbild schreit geradezu nach einer anderen Farbe, was doch auch wieder für eine Vereinheitlichung der vielen und damit nicht aussagekräftigen Autofarben spräche. Aber aus Sicherheitsgründen müsste es eben die Komplementärfarbe von gelb sein: blau. Enzianblau oder vielleicht himmelblau, nein, CSU-blau müsste es sein. CSU-blau sollten wir alle umlackieren, die roten und die grünen Autos, lieber Günter. Ich hoffe, du kannst meinem Vorschlag einiges abgewinnen. Leider können wir ihn im Detail mit mir am Pult nicht länger beraten; denn meine Redezeit ist jetzt zu Ende. Es wäre auch nutzlos; denn die Petition ist schon lange abgeschlossen. Lieber Günter, ich wünsche dir alles Gute in einem langen und glücklichen Ruhestand. Herzlichen Dank für alles, für deinen Einsatz und ganz persönlich für deine Geduld mit mir als Newcomerin. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Paschke für die SPD. ({0})

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein anderes Gremium des Bundestages ist in der täglichen Arbeit so nah an den Menschen dran wie der Petitionsausschuss. Wir merken sofort, was die Menschen bewegt und beschäftigt. Das ist etwas, was mir immer ganz wichtig war und warum ich auch sehr gern in diesem Ausschuss bin; das geht, glaube ich, vielen von uns so. In den meisten Fällen stehen soziale Fragen oder Fragen der Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Das ist nicht immer alles objektiv, sondern wird auch subjektiv betrachtet. Nichtsdestoweniger haben die Petenten und Petentinnen ein Recht, dass wir uns einigermaßen objektiv damit beschäftigen. Der Petitionsausschuss ist nach meiner Ansicht ganz wichtig für die Demokratie in Deutschland; denn er ist ein Element direkter Bürgerbeteiligung, ein Element, das leider viel zu oft übergangen und über das wenig berichtet wird. Wir sollten versuchen, dieses Element stärker in die Öffentlichkeit zu bringen und darzustellen, dass es Beteiligungsmöglichkeiten gibt. ({0}) Es wurde gerade gesagt, dass im vergangenen Jahr etwas über 11 000 Petitionen eingereicht wurden, deutlich weniger als in den Jahren davor. Nach meiner Auffassung ist ein Grund dafür auch die zunehmende Anzahl diverser privater Plattformen; ich habe nicht den Eindruck, dass eine übermäßige Zufriedenheit mit unserer Arbeit der Grund dafür ist, dass es weniger Petitionen gibt. Diese privaten Petitionsplattformen stellen aus meiner Sicht aber ein Problem dar. Sie erwecken nämlich häufig den Eindruck, dass die Petitionen, die dort eingereicht oder eingestellt werden, uns Politiker auch erreichen; das tun sie aber nicht. Die Beteiligung samt Unterschrift, die man dort leistet, verschwindet in den meisten Fällen im Nirwana des Internets und landet nicht auf unseren Schreibtischen. Ich befürchte, dass damit eine steigende Unzufriedenheit der Menschen einhergeht; denn wenn sich schon jemand beteiligt, dann möchte er auch in irgendeiner Weise eine Rückmeldung bekommen und nicht das Gefühl haben, dass sich nichts rührt. Das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen. Auf der anderen Seite stelle ich aber fest, dass viele Menschen ein hohes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Petitionsausschusses haben. Für mich ist neben meinen Bürgersprechstunden und den vielen anderen Gesprächen mit den Bürgern im Wahlkreis die Petition ein wichtiges Instrument, um auf Gesetzeslücken und Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Aus meinem Wahlkreis sind Petitionen gekommen, die das ganze Spektrum des Lebens darstellen: von Schwierigkeiten mit dem Telefonanschluss über Ärger mit Behörden bis hin zu Visaproblemen ausländischer Familienmitglieder. Wir konnten zahlreichen Petenten helfen, nicht allen, aber doch ganz vielen. Was mich besonders beeindruckt hat, war die Reaktion einer Petentin. Sie hat um Unterstützung bei der Bewilligung einer Rehamaßnahme gebeten. Der Ausschuss hat das Bundesversicherungsamt um aufsichtsrechtliche Prüfung des Falls gebeten. Das Ergebnis war, dass die Frau eine fünfwöchige medizinische Reha bewilligt bekommen hat. Diese Frau hat sich daraufhin beim Ausschuss bedankt und geschrieben: Dieses Mal habe ich Hilfe gebraucht. Es ist schön, zu erleben, dass man diese auch bekommt. - Das sind Situationen, in denen ich mir sage: Es lohnt sich, zu arbeiten und Politik zu machen. Es macht Spaß, wenn man den Menschen helfen kann. ({1}) Für die Zukunft wünsche ich mir einen selbstbewussten Petitionsausschuss, einen Petitionsausschuss mit weniger politischem Kalkül, der nicht nur - wie Sie angesprochen haben, Kollegin Rüffer - von den Regierungsparteien gestaltet wird, sondern auch von der Opposition; wenn man Opposition um der Opposition willen macht, ist das nicht klug. Ich wünsche mir einen Ausschuss, der parteiübergreifend stark im Sinne der Bürger zusammenarbeitet und sich keine Selbstbeschränkung auferlegt. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen; das muss unser Ziel sein. Ich möchte mich zum Schluss - ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Paschke, Sie sehen das zu Recht so.

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- noch kurz bei den Mitarbeitern vom Ausschussdienst bedanken, die wirklich ganz hervorragende Arbeit machen, und ebenso bei den Mitarbeitern der Abgeordneten, die genauso stark eingebunden und beschäftigt sind. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt hat der Kollege Stefan Schwartze für die SPD das Wort. ({0})

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Petentinnen und Petenten! Eine ganz besondere Begrüßung auch an die Staatssekretäre auf der Regierungsbank, mit denen wir sehr oft zusammensitzen und direkt an den Problemen arbeiten! Dafür meinen herzlichen Dank. Herausstellen möchte ich die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, die an vielen Stellen zu Gesprächen da war, die aber auch die Arbeit des Ausschusses ganz genau kennt und sie jahrelang entscheidend geprägt hat. Die letzte große Reform des Petitionswesens vor zwölf Jahren wurde angesprochen. Liebe Gabriele, du warst eine der treibenden Kräfte, die sie damals vorangebracht haben. Dafür herzlichen Dank! Allzu lange wirst du da nicht mehr sitzen. Du kandidierst leider nicht mehr. Wir wünschen dir an dieser Stelle aus dem Petitionsbereich noch einmal alles Gute. Vielen Dank für deine Arbeit hier im Haus! ({0}) Dasselbe gilt für den Kollegen Günter Baumann. Wir haben es eben schon gehört: 15 Jahre Mitarbeit im Petitionsausschuss. ({1}) - Länger? Entschuldigung, also sogar länger. Du bist an vielen Stellen ein Kämpfer und Streiter für die Anliegen der Menschen. Wir haben uns in der Arbeit im Petitionsausschuss zusammengerauft. Man merkt: Die Große Koalition stößt da manchmal an ihre Grenzen, was geht und was nicht geht. Die eine oder andere Sache haben wir gut hingekriegt. Bei der einen oder anderen Sache hätten wir uns sicherlich etwas anderes gewünscht, auch im gegenseitigen Verhältnis. Aber das ist eben manchmal so. Persönlich wünsche ich dir alles Gute für die Zeit danach. Bleib gesund, und verfolg weiter, was wir hier so treiben. Es ist viel zum Petitionsrecht gesagt worden. Es ist gesagt worden, wo Petitionen helfen. Ich bin froh, dass wir in dieser Wahlperiode etwas machen, was wir noch nie gemacht haben, nämlich eine Anhörung dazu, wie sich dieses Petitionsrecht weiterentwickeln muss. Da muss etwas passieren. An vielen Stellen ist es angestaubt. Wir müssen bürgerfreundlicher und bürgernäher werden. ({2}) Was ich heute besonders betonen möchte, sind Ereignisse, die sich in unserer Arbeit widerspiegeln. Nachdem im Jahr 2015 mehr als 1 Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, ist es selbstverständlich, dass sich das auch in der Arbeit unseres Ausschusses widerspiegelt. Während öffentliche Debatten darüber geführt wurden, wie Deutschland mit den Herausforderungen umgehen soll, und die Bundesregierung umfangreiche Pakete zur Flüchtlings- und Asylpolitik beschlossen hat, erreichten auch Petitionen von Flüchtlingen den Petitionsausschuss des Bundestages. Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht für alle Menschen. Die Betroffenen bzw. die zahlreichen in der Flüchtlingshilfe Engagierten - den Betroffenen selbst fehlen oft die Sprachkenntnisse - baten den Petitionsausschuss um Hilfe. Sie baten um Hilfe bei der Zusammenführung ihrer Familie oder um Hilfe, wenn es Fehler im Verfahren gab. Sie baten darum, in besonderen Fällen die Visaverfahren zu beschleunigen. Sie baten darum, ihre Asylverfahren in Deutschland durchführen zu dürfen, und sie baten darum, bleiben zu dürfen. Hinter jeder Petition verbarg sich ein anderes menschliches Schicksal. Es gab vielfach sehr begründete Anliegen. Über alle Fraktionsgrenzen hinweg konnte auch oft geholfen werden. Aber all die Fälle zeigen - damit meine ich auch die Arbeit der eigenen Regierung, damit meine ich auch unsere eigene Fraktion -, dass hier weiter Handlungsbedarf besteht. Wir haben Handlungsbedarf, wenn es um die Situation der Kinder und Jugendlichen geht. Wir haben Handlungsbedarf bei der Familienzusammenführung. Hier müssen wir unsere Regeln im Sinne von Humanität, von Menschlichkeit, reformieren. ({3}) Wir haben ganz dringenden Handlungsbedarf, und was meiner Meinung nach gar nicht geht, sind die Abschiebungen nach Afghanistan. ({4}) Gerade als Mitglieder des Petitionsausschusses sind wir gefordert, hier Änderungen einzufordern. ({5}) Wir haben nur einmal im Jahr als Ausschuss die Möglichkeit, unsere Arbeit im Plenum des Deutschen Bundestages vorzustellen und allen Beteiligten ringsum für die Petitionsarbeit zu danken. Heute möchte ich allen Helferinnen und Helfern, allen, die in der Flüchtlingsarbeit in ganz Deutschland engagiert sind, Danke sagen für das, was sie täglich leisten. Ich bin stolz darauf, dass wir in einzelnen Fällen weiterhelfen konnten. Mein Dank geht natürlich auch an meine Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen im Ausschuss. Mein Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes für ihren guten Job. Große Unterstützung haben wir durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Büros. „Jeder Abgeordnete ist nur so gut wie sein Team“, hat mein Freund Toni Schaaf hier mal gesagt. ({6}) Den Dank an diese Büros möchte ich hier gern weitergeben. Mein Dank geht auch an die Ministerien für die gute Zusammenarbeit in vielen Berichterstattergesprächen. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich sage auch Danke schön. - Zum Abschluss dieser Aussprache hat Mister Petitionsausschuss, der Kollege Günter Baumann, für die CDU/CSU das Wort. ({0})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! - Wir haben gerade zwei Präsidenten hier oben. Das ist selten. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einen herzlichen Dank für die guten Wünsche auch für die Zeit danach, aber noch bin ich hier. Ein Hobby habe ich schon für die Zeit danach: Ich werde Petitionen schreiben. ({0}) Ihr werdet euch umgucken, was ihr von mir alles so bekommt. Dann werde ich genau beobachten, wer wie votiert und wie lange das alles dauert. Also, ihr werdet mich nicht so schnell vergessen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das letzte Jahr war ein erfolgreiches Jahr für den Petitionsausschuss. Die Bürgerinnen und Bürger haben Vertrauen in unsere Arbeit, Vertrauen in die Politiker im Petitionsausschuss. Welcher Politiker kann schon sagen: „Ich genieße Vertrauen“? Wir haben es gehabt. Über 11 000 Leute sind mit ihren Problemen zu uns gekommen. Das ist schon etwas. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, damit aufzuhören, so vieles schlechtzureden, immer zu sagen: Wir wollen mehr. Wir wollen dieses. Wir wollen alles. 11 000 Leute kamen mit ihren Problemen zu uns. Das ist eine große Anerkennung. Es sind täglich 44 Bürgeranliegen, die uns erreichen. Das ist ein gutes Zeichen. Dafür herzlichen Dank allen! Dass wir einen leichten Rückgang der Zahl der Petitionen haben, ist schon gesagt worden. Wir müssen dabei aber verschiedene Dinge berücksichtigen. Wir haben bei den Petitionen jetzt wieder das Niveau wie vor 1990. Damals lagen die Zahlen generell zwischen 10 000 und 13 000 in Deutschland, in der alten Bundesrepublik. Wir hatten dann nach der Wende 1990 einen erheblichen Anstieg. Das kann man durch die deutsche Einheit erklären. Wir hatten viele Probleme in Ostdeutschland, die im Einigungsvertrag nicht geregelt waren. Wir hatten Probleme bei den Renten, bei der Treuhand; wir wissen das alle. Wir hatten also einen Anstieg. Im Spitzenjahr waren es 23 000 Petitionen. Das war ein Niveau, das uns und den Ausschussdienst an die Kapazitätsgrenzen gebracht hat. Deswegen sehe ich es nicht negativ, dass wir seit 2010 einen leichten Rückgang haben, nämlich von 16 000 auf etwa 11 000. Wir sind von der Anzahl der Petitionen her in diesem Jahr gesamtdeutsch - ich sage es mal so - wieder bei der Situation wie vor 1990 angekommen. Wir hatten in Deutschland in den letzten Jahren aber auch eine starke Zunahme der Zahl der Bürgerbeauftragten und Ombudsmänner. Die haben eine hohe Sachkompetenz, sind in einem ganz bestimmten Gebiet installiert, wo sie ihre Themen bearbeiten. Die Bürger vertrauen ihnen und gehen dann eben zum Beauftragten der Versicherung oder der Krankenkasse. Ich habe gestern versucht, ein bisschen zu recherchieren. Wir haben in Deutschland zurzeit etwa 70 Bürgerbeauftragte und Ombudsleute in verschiedenen Instanzen. Da die auch alle Aktenstöße bekommen, ist es logisch, dass es woanders weniger wird. Zu privaten Plattformen ist schon einiges gesagt worden; ich will es nicht wiederholen. Ich bleibe dabei: Das sind Mogelpackungen, die den Bürgern etwas versprechen, was sie nicht halten können. Kollege Paschke, eine Verbindung zwischen privaten Plattformen und uns, etwa dergestalt, dass die sammeln und wir bearbeiten, kann es garantiert nicht geben. Die Leute sollen gleich zu uns kommen, und dann machen wir das ordentlich. ({2}) Der Bürger hat das Recht und die Freiheit, zu entscheiden, wohin er geht. Wenn er zu privaten Plattformen will, dann macht er das. Wenn er zu uns kommen will, kommt er zu uns. Wenn er zu einem Beauftragten will, dann macht er das. Wir müssen dafür arbeiten, dass unser System - mehrere haben es schon gesagt - verbessert wird. Wir müssen für unser System werben, es mehr in den Mittelpunkt stellen, es in der Öffentlichkeit besser vermarkten. Wir müssen erreichen, dass wir mit positiven Fällen mehr in die Presse kommen; ich weiß, wie schwer das ist. Wir müssen unsere Vorteile mehr darstellen. Dazu gehört auch ein benutzerfreundlicher Internetauftritt; unser Auftritt ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Hier muss eine ganze Reihe passieren. Unser Qualitätsmerkmal darf nicht die Anzahl der eingehenden Petitionen sein, sondern die der bearbeiteten Petitionen, wie schnell wir sind, wie erfolgreich wir sind. Wenn wir in den letzten Jahren im Schnitt 40 bis 45 Prozent positiv beschieden haben, dann kann sich diese Zahl sehen lassen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einige persönliche Anmerkungen zu meiner Arbeit im Petitionsausschuss. Als ich 1998 in den Bundestag kam, wollte ich damals gerne in den Innenausschuss. Ich komme aus einer Grenzregion und wollte in den Innenausschuss. Sicherheit war mein Thema. Das habe ich auch geschafft. Aber dann sagte man mir: Du musst auch in den Petitionsausschuss. - Ich habe damals nicht genau gewusst, was alles dazugehört. Erfahrene Kollegen haben mich gewarnt und gesagt: Dort hast du einen riesigen Arbeitsaufwand. Dort gibt es komplexe Themen, in die du dich vertiefen musst, bis in die letzte Verästelung der Gesetzgebung in Deutschland. Wir empfehlen dir, es nicht zu machen. - Ich habe es trotzdem gemacht. Ich musste es ja machen, weil ich einen anderen Ausschuss haben wollte. Nach 19 Jahren kann ich sagen: Ich habe es nicht bereut. Ich möchte keines der 19 Jahre missen, in denen ich Petitionen bearbeitet habe. Alle Themen waren spannend, eine Themenvielfalt. Es hat immer wieder Spaß und Freude gemacht, sich um Probleme von Menschen zu kümmern, sich hineinzuversetzen und ihnen in irgendeiner Form helfen zu können. Ich habe in 19 Jahren immerhin drei Koalitionen erlebt - ich war auch schon einmal in der Opposition; das wird man alles wissen -, ich habe vier Vorsitzende erlebt mit allen Vor- und Nachteilen ({4}) - ja, es ist halt so - und immerhin sieben Unterabteilungsleiter beim Ausschussdienst. ({5}) Dort hinten sitzt der siebte Unterabteilungsleiter, den ich aushalten muss. ({6}) Es ist schon eine ganz schöne Zeit, die man erlebt hat. Das Fazit für mich bleibt: Es waren gute, erfolgreiche Jahre. Wie gesagt, wir haben viele Fälle parteiübergreifend mit den Kollegen klären können. Wenn man ehrlich zueinander ist und sagt: „Wir wollen es machen“, aus den und den Gründen, dann hat das auch immer funktioniert. Deswegen allen einen ganz herzlichen Dank. Ich möchte mich bei allen Mitgliedern des Petitionsausschusses für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. Es war meistens angenehm, manchmal auch streithaft. Das ist gar kein Problem. Jeder hat immer versucht, im Interesse des Bürgers etwas zu erreichen. Einen herzlichen Dank auch meinem Büro, meinen Mitarbeiterinnen, die immer super zu mir standen. Ohne eine solche Truppe geht es gar nicht. Wenn man in einer Woche 25, 30 Petitionen auf dem Tisch hat, dann geht es gar nicht anders. Die Kunst war für mich immer, zu unterscheiden: Was ist ein echtes Bürgerproblem, wer braucht unsere Hilfe, und was kann man etwas schneller vom Tisch schieben? Das ist manchmal nicht ganz so einfach. Wir haben nicht nur Behördenversagen zu bearbeiten, sondern es ging uns auch um moralische Aspekte. Wir hatten eine Reihe von Petitionen, die wir, rein gesetzlich betrachtet, hätten ablehnen müssen. Wir haben aber gesagt: Das geht nicht, wir müssen uns in die Lage hineinversetzen. Ich denke hier an die Frau, die in Afghanistan ihren Lebenspartner verloren hat. Wir haben am Ende erreicht, dass die Finanzen geklärt werden konnten. Ich erinnere mich gerne an riesengroße Petitionsfälle, die über Jahre dauerten. Hier denke ich an die 14. WP. Die Post wollte das Postleitzahlenbuch nicht mehr auflegen und hat es nur auf Druck von uns wieder gemacht. Ich denke gerne zurück an einen Unternehmer in Chemnitz, der nach fast 20 Jahren Entschädigung für seinen Betrieb bekommen hat, der ihm nicht wieder übertragen wurde. Ich denke an das Edertal-Museum in Hessen, wo wir vor Ort waren. Ich denke an Prora, wo wir vor Ort erreicht haben, dass das Museum heute noch besteht, das eigentlich schon plattgemacht war. Ich denke an Heimkinder, Bombodrom und Antennengemeinschaften, die jetzt wieder Rückenwind vom Bundesrat bekommen. Das sind also Themen, bei denen wir nach zwölf Jahren wieder Licht sehen. Das sind also angenehme Ereignisse. Zurzeit liegen noch drei große Themen vor uns. Das sind, Frau Wöllert: Wir wollen uns auf jeden Fall um die HCV-Infizierten kümmern. Wir wollen uns in den Schiffsuntergang der „Beluga“ hineinvertiefen und nicht einfach hinnehmen, was passiert ist. Außerdem wollen wir bei den RFID-Chips gerne klären, dass jeder weiß, was er wirklich gekauft hat, ob er noch irgendeiner Kontrolle unterliegt. Wichtig ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen bei der Bearbeitung der Petitionen ehrlich sein. Bürgern etwas zu versprechen und sie lange hinzuhalten, hilft überhaupt nicht. Wir müssen bei irgendwelchen Fällen auch einmal sagen: Das geht nicht mehr. Die Zeit ist vorbei. Wir müssen abschließen. - Deswegen: Ehrlichkeit ist ganz entscheidend. Ich denke an die Rentenfälle, die Sondersysteme der DDR. Sie nach § 109 unserer Geschäftsordnung über zig Wahlperioden ewig hinzuschieben, hat den Bürgern Hoffnung gemacht, die wir niemals erfüllen konnten. Ich glaube, das ist keine Lösung. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehrere haben heute von Veränderungen und einer lebendigen Demokratie gesprochen: Wir müssten Reformen durchführen. Es wurden Reformen also angemahnt. Gestatten Sie mir nach der langen Zeit, die ich im Petitionsausschuss dabei bin, dass ich heute vier Vorschläge für Reformen unterbreite. Sie werden nicht bei allen Beifall hervorrufen davon bin ich überzeugt -, aber ich bin der letzte Redner, und da kann keiner widersprechen. ({8}) Insofern mache ich das trotzdem ganz gerne. Ich beginne - erstens - mit Anhörungen zu Petitionen, für die in vier Wochen mindestens 50 000 Unterschriften gesammelt wurden, in öffentlichen Sitzungen des Petitionsausschusses; manchmal haben wir sie auch bei weniger Unterschriften durchgeführt. Ich möchte heute einfach sagen: Das ist für mich eine Sache, die wir einstellen sollten. Der Petitionsausschuss sollte diese Anhörungen in der nächsten Wahlperiode überhaupt nicht mehr durchführen, weil sie zu einer Ungleichbehandlung der Bürger führen. Die Bürger haben mit ihren Petitionen nach dem Grundgesetz ein Recht, gleichbehandelt zu werden. Mit welchem Recht verhandeln wir eine Petition öffentlich, die durch eine vernetzte Gruppe 50 000 Unterschriften erreicht hat, ({9}) während die Petition des Bürgers zu einem Rentenfall, die er alleine unterschrieben hat, im normalen Verfahren bearbeitet wird? ({10}) Ich bin für eine Gleichbehandlung. Deswegen würde ich dem nächsten Petitionsausschuss vorschlagen, dies zu beenden. Das zweite Thema. 15 Prozent unserer Kraft verwenden wir - zumindest einige von uns - auf die Vielschreiber. Da geht es um Petitionen, die anonym, verworren, beleidigend, oft ohne jeden Inhalt sind. Trotzdem durchlaufen sie ein komplettes Bearbeitungsverfahren. Die darauf verwendete Kraft sollten wir anderweitig einsetzen. Ich würde dem nächsten Petitionsausschuss empfehlen, eine Definition zu erarbeiten, was eine Petition ist und was nicht. Es gibt ja auch Eingaben, die sich einfach nur mit irgendwelchen Sachen beschäftigen. Artikel 17 Grundgesetz sollte uneingeschränkt erhalten bleiben. Aber wenn jemand einfach einen Satz schreibt und irgendetwas von sich gibt, sollte man überlegen, ob das eine Petition ist. Der dritte Vorschlag ist: Wir sollten darüber nachdenken - das ist nicht mein Vorschlag; er stammt aus früheren Zeiten, von Siegfried Kauder -, ob der Petitionsausschuss einen Härtefallfonds erhält, damit der Petitionsausschuss in Fällen, in denen gesetzlich keine Hilfe möglich ist, mit einem kleinen Betrag zum Ausdruck bringen kann: Wir helfen dir. - Mit einem solchen Fonds könnten wir - wie der Bundespräsident und manch andere Institution - Soforthilfe leisten und Geld bereitstellen, sodass die Betroffenen merken: Jawohl, hier reagiert jemand und hilft mir. Ich möchte einen vierten Vorschlag machen, wenn ich das, Frau Präsidentin, von der Zeit her noch darf; ich beeile mich jetzt auch. Wir haben bei der Analyse der Bearbeitung von Petitionen in allen Ländern der Europäischen Union und auch in den deutschen Bundesländern festgestellt: Es gibt verschiedene Systeme, und es gibt meistens neben dem Petitionsausschuss einen unabhängigen Bürgerbeauftragten oder Ombudsmann. Man muss sich damit beschäftigen, welche Aufgabe sie haben und was sie im Vergleich zum Petitionsausschuss leisten. Man sollte nicht einfach sagen: Das brauchen wir nicht, wir sind ja auch da. - Ich habe mich umfangreich damit beschäftigt, habe mir die Arbeit in Rheinland-Pfalz, in Mecklenburg-Vorpommern, in Thüringen, in Schleswig-Holstein und auch, seit kurzem, in Baden-Württemberg angeschaut. Dort gibt es solche Bürgerbeauftragten, und ich sehe das absolut positiv. Die Anonymität des Gremiums Petitionsausschuss wäre überwunden, wenn eine bekannte Persönlichkeit als Bundesbürgerbeauftragter eingesetzt würde. Wir hätten damit eine Unabhängigkeit von Wahlperioden, von Politik, von Fraktionen. Es ist heute mehrfach angemahnt worden: Ihr müsst ja nach dem Koalitionsvertrag arbeiten. - Wir hätten eine neutrale Person, die ständig da wäre und nicht an Wahlperioden gebunden wäre. Ich sehe große Vorteile in einem Nebeneinander mit dem Petitionsausschuss. In den Bundesländern klappt das hervorragend. Ich würde dies als Hilfsorgan des Parlamentes verstehen, vergleichbar mit dem Wehrbeauftragten oder vielleicht dem Bundesrechnungshof. Der Bürgerbeauftragte kann ein niederschwellig erreichbarer Ansprechpartner für Bürger sein, ein Moderator - wie auch immer -, als Ergänzung zu unserer Arbeit. Ich denke, der nächste Bundestag sollte darüber nachdenken, ob man dies neben dem Petitionsausschuss installiert, ohne natürlich den Petitionsausschuss zu entmachten. Ich stehe zu unserem Petitionswesen und habe in 19 Jahren bei der Bearbeitung von Bürgeranliegen nur positive Erfahrungen gemacht. Trotzdem müssen wir über Veränderungen nachdenken - die Zeit ist so. Wir brauchen angesichts des Entstehens privater Plattformen neue Ideen für unsere Arbeit, um mehr Bürgernähe zu erreichen. Nehmen Sie einfach die Ideen eines scheidenden Abgeordneten, der 19 Jahre lang Petitionen bearbeitet hat, als Denkanstöße für Ihre weitere Arbeit. Herzlichen Dank allen für die Zusammenarbeit! Ich wünsche allen, die wiedergewählt werden und hoffentlich im Petitionsausschuss mitarbeiten werden, alles Gute. Danke. ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Lieber Herr Kollege Baumann, auch von dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön. Sie haben etwas überzogen, aber ich denke, wenn sich jemand hier im Bundestag 19 Jahre für die Menschen eingesetzt hat, dann darf man ihm auch zugestehen, ({0}) dass er an dieser Stelle noch die eine oder andere Anregung für das nächste Parlament hat. ({1}) Ihre Denkanstöße werden wir an die Kollegen weitergeben, die in den Petitionsausschuss gehen werden. An diejenigen gerichtet, die am Anfang denken: „Na ja, Petitionsausschuss, muss das sein?“, werde ich Sie gerne zitieren: Sie haben diese 19 Jahre nie bereut. - Herzlichen Dank. ({2}) Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle Drucksachen 18/9190, 18/12166 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat das Wort Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion. ({4})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rückblickend auf diese Legislatur stelle ich fest: Wir können durchaus stolz sein auf das, was wir im Bereich der Integrationspolitik in unserem Land geschafft haben. Es unterscheidet meine Fraktion von der antragstellenden Fraktion, dass wir stolz sind auf die Leistung, so viele Menschen bei uns aufgenommen, willkommen geheißen und integriert zu haben. Ein bisschen Stolz darf heute sein. Heute ist der Internationale Tag gegen Homo-, Interund Transphobie, der sogenannte IDAHIT. Ich bin stolz darauf, dass wir in unserem Land Menschen Schutz geben, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Auf diesen Aspekt können wir gemeinsam stolz sein. ({0}) Wir haben in dieser Legislaturperiode beim Thema Integration sehr viel bewegt. Wir haben den Menschen die Möglichkeit eröffnet, besser die deutsche Sprache zu lernen. Wir haben die Zugänge in den Arbeitsmarkt deutlich verbessert. Dazu haben wir massiv Ressourcen mobilisieren müssen, aber wir haben es geschafft. Wir haben damit den Kommunen ermöglicht, die Integration vor Ort zu bewältigen. Es ist also viel Licht, es gibt aber auch Schatten, das ist nun einmal so. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, dass genau dafür steht und das mich wirklich sehr bewegt. Wir haben hier im Deutschen Bundestag gemeinsam das Integrationsgesetz beschlossen. Darin sind sehr viele gute Regelungen zum Thema „Integration in Arbeit“, aber auch zum Thema „Sprachkurse“ enthalten. Enthalten ist aber auch die sogenannte Ausbildungsduldung oder „3+2-Regel“, das heißt, dass jemand, der hier eine Ausbildung beginnt, für die Zeit der Ausbildung bleiben darf und danach noch zwei Jahre obendrauf. Wir alle haben hier gemeinsam bekundet, dass das unser Wille ist. Wenn ich mir jetzt allerdings - da komme ich zum Schatten - die Realität in manchen Bundesländern anschaue, dann muss ich feststellen, dass der gemeinsame Wille dieses Hauses dort in keiner Weise respektiert wird. Wir erleben, dass junge Menschen aus der Ausbildung abgeschoben werden und dass in vielen Fällen die Duldung nicht erteilt wird, obwohl sie nach dem Gesetz und auch nach den Urteilen von Verwaltungsgerichten hätte erteilt werden müssen. Im Gesetz ist der Halbsatz enthalten, dass keine Duldung erteilt wird, wenn konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen bevorstehen. Wenn in Bayern beispielsweise darunter zählt, dass jemand nur zu einem Gespräch eingeladen wird, in dessen Verlauf der Person gesagt wird, dass sie sich ein Passersatzpapier organisieren soll, dann fühle ich mich als Bundestagsabgeordnete - das muss ich schon sagen - ziemlich doll veräppelt. ({1}) Lassen Sie uns gemeinsam in unseren jeweiligen Bundesländern noch einmal deutlich machen, dass es unser Wille ist, dass derjenige, der sich anstrengt, dass derjenige, der eine Ausbildung beginnt, auch bleiben darf. Das ist wichtig für die Betroffenen, aber es ist auch wichtig für die Ausbildungsbetriebe, die ins Risiko gehen und die im Moment massiv verunsichert sind. Das ist kein Zustand. Wer Integration will, der sollte an dieser Stelle dringend nachschärfen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Frau Kolbe. - Als nächste Rednerin spricht Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einem Land, das sozial gespalten ist. Das haben auch die Wahlergebnisse in NRW gezeigt. Die Bundesregierung kann ihren Armutsund Reichtumsbericht gar nicht so schönfärben oder zurechtbiegen, dass die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich verdeckt würde. Die einen baden heutzutage im Schampus, wissen nicht, was sie mit der zehnten Yacht machen sollen, ({0}) während circa 40 Prozent der Bevölkerung heute weniger Kaufkraft besitzen als Ende der 90er-Jahre. Für diese ungleiche Entwicklung tragen Sie von Union und SPD gemeinsam Verantwortung. ({1}) Meine Damen und Herren, Sie werden nicht müde, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen und Ihr immer gleiches Mantra zu wiederholen: Für einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde sei kein Geld da, für eine Arbeitslosenversicherung, die den Namen verdient, sei kein Geld da, für eine Bekämpfung der Armut sei kein Geld da, für dringend notwendige Kitaplätze sei kein Geld da. Für tatsächlich wirksame soziale Integrationsmaßnahmen fehlt auch das Geld. Aber Integration schafft man eben nicht durch irgendwelche Benimmregeln oder irgendwelche Sprechblasen wie die der

Not found (Kanzler:in)

Für Integration müssen wir uns aufeinander einlassen. - Ich sage: Nein, Frau Merkel. Für Integration muss man endlich etwas Geld in die Hand nehmen und in den sozialen Frieden in diesem Land investieren. ({0}) Sicher, wenn man - wie Union und SPD - keine Vermögensteuer für Reiche einführt und den Rüstungshaushalt wie die Große Koalition in diesem Jahr um 8 Prozent auf 37 Milliarden Euro erhöht, dann fehlt selbstverständlich das Geld für die dringend notwendige soziale Offensive in diesem Land. Sagen Sie dann aber bitte nicht, es sei kein Geld da. Sagen Sie den Menschen endlich die Wahrheit. Sagen Sie ihnen, dass Union und SPD soziale Sicherheit für alle in Deutschland lebenden Menschen eben nicht wichtig genug ist, um sich mit den Reichen und Mächtigen in diesem Land anzulegen. Sagen Sie ihnen, dass Sie nicht an das Geld der Geschwister Quandt und Klatten ranwollen, die allein vom Autokonzern BMW in diesem Jahr mehr als 1 Milliarde Euro Dividende als völlig leistungsloses Einkommen erhalten. Das sind 3 Millionen Euro pro Tag. Und da wollen Sie selbstverständlich nicht ran, nicht einmal mit einer moderaten Millionärssteuer, wie wir Linke sie fordern. ({1}) Sagen Sie den Menschen, dass es Union und SPD eben wichtiger ist, neue Panzerarmeen gen Osten zu schicken, als sich um einen Ausbau der Kitaplätze zu kümmern. ({2}) Es mangelt akut an 300 000 Kitaplätzen in Deutschland. Und was macht die Bundesregierung? Sie legt ein Programm für 100 000 Plätze bis 2021 auf. So kann man das nicht machen. Wir brauchen das Geld für dringend notwendige Kitaplätze. ({3}) Wir Linke jedenfalls wissen - das sagen wir auch -: Geld ist genug da. Dazu müssen aber endlich auch die Vermögenden in diesem Land einen entsprechenden, zumindest bescheidenen Anteil zum Allgemeinwohl leisten. Dazu muss dieser wahnwitzige Aufrüstungskurs gestoppt werden. ({4}) Wir wollen einen starken Sozialstaat. Wir wollen eine soziale Offensive in diesem Land. Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, die in den letzten Jahren kaputtgespart worden ist. Wir brauchen neue Kindergärten und mehr Plätze. Wir brauchen Schulen und Sozialwohnungen. Wir brauchen einen Neustart im sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau. Konkret notwendig sind mindestens 250 000 neue Wohnungen jährlich statt der 25 000, wie von der Bundesregierung geplant. Statt des Weiter-so der Bundesregierung setzen wir uns dafür ein, durch eine soziale Offensive den sozialen Frieden in unserem Land wiederherzustellen, damit auch der Trend nach rechts gestoppt werden kann. Vielen Dank. ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Schulz-Zug im Heimatbahnhof steckengeblieben“ lautete eine Schlagzeile dieser Woche nach der NRW-Wahl. ({0}) Schaue ich mir den Kurs an, den Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Linken, mit dem vorliegenden Antrag fahren, könnte die Schlagzeile lauten: „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“. ({1}) Ihr Antrag „Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle“ erweckt den Eindruck, es herrsche große soziale Ungerechtigkeit in unserem Land. ({2}) Wie weit man damit kommt, Kollege Birkwald, dem Wähler einzureden, es gehe in Deutschland nicht gerecht zu, haben die letzten drei Landtagswahlen eindrucksvoll gezeigt. ({3}) Man wird vom Wähler abgestraft. Sie von der ach so sozialen Linken haben es in NRW, dem Bundesland mit dem größten Anteil an Empfängern staatlicher Grundsicherung, nicht in den Landtag geschafft. Damit ist klar, dass man weder mit dem Schlechtreden Deutschlands noch mit Linkspopulismus punkten kann. ({4}) Ich frage Sie allen Ernstes, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken: In welchem Land geht es denn gerechter zu als in unserem? Deutschland ist ein funktionierender Rechtsstaat mit einem engmaschigen Sozialsystem. Dem Land und den Menschen geht es so gut wie lange nicht. ({5}) Lassen Sie mich dies am Beispiel des Arbeitsmarktes aufzeigen. Die deutsche Wirtschaft brummt. Wir haben ein gesundes Wirtschaftswachstum von zuletzt 1,8 Prozent. Auf dem Arbeitsmarkt jagt ein Positivrekord den nächsten. 43,8 Millionen Menschen - so viele wie nie zuvor - haben einen Job. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Vierteljahrhunderttief. Besonders bemerkenswert ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit die niedrigste in Europa ist. ({6}) Gleichzeitig geht der Stellenaufbau weiter. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik waren mehr als 31,7 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wir müssen uns aber auch ins Gedächtnis rufen, dass eine solche Arbeitsmarktlage keine Selbstverständlichkeit ist. Grundlage dafür ist und bleibt eine stabile Wirtschaft, für die ein flexibler Arbeitsmarkt unabdingbar ist. Von ihm profitieren all jene, die ohne Instrumente wie die Zeitarbeit oder ohne die Möglichkeit, Arbeitsverträge zu befristen, weiterhin arbeitslos wären. Vor allem die Zeitarbeit schafft zusätzliche Arbeitsplätze. Sie ist auch eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Zwei Drittel der Zeitarbeiter waren zuvor ohne Beschäftigung. Das scheinen Sie vergessen zu haben. ({7}) Sonst würden Sie in Ihrem Antrag nicht erstens die Einschränkung von befristeten Arbeitsverträgen, zweitens die Abschaffung der Leiharbeit und drittens die Einführung einer Sonderabgabe für Arbeitgeber in Höhe von 0,5 Prozent der Lohnsumme fordern. Sie fordern zudem die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen. ({8}) Ich bin sehr froh, dass wir als Union dies verhindert haben. Das Prinzip des Förderns und Forderns, auf dem gute Arbeitsmarktpolitik beruht, ist richtig und wichtig. ({9}) Solidarität ist keine Einbahnstraße. Der Sozialstaat muss verlangen können, dass jemand, der arbeiten kann und dem Arbeit angeboten wird, diese auch annimmt. Die Sanktionen sind ein wichtiger Mechanismus, wie es ihn überall in unserer Gesellschaft gibt. Im Übrigen sind sie nach meinem Verständnis ein Zeichen von Fairness, Gerechtigkeit und Verantwortung, auch gegenüber den Arbeitnehmern, die es durch ihre Arbeit überhaupt erst ermöglichen, dass es diese Sozialleistungen gibt. Eine Abschaffung bzw. Absenkung der Sanktionen wäre auch im Hinblick auf die vielen Flüchtlinge, die im Hartz-IVSystem angekommen sind oder dort noch ankommen werden, das falsche Signal. Hätte es dann noch sozusagen ein i-Tüpfelchen gebraucht, dann wäre das Ihre Forderung, dass jeder, der hier in Deutschland ankommt, ab dem ersten Tag monatlich 1 050 Euro bekommen soll. Das würde eine explosionsartige Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme bewirken ({10}) und, ich denke, mittelfristig auch den Kollaps unseres Sozialstaates. Auf Ihre Finanzierungsvorschläge wäre ich gespannt. Lassen Sie mich an dieser Stelle einfach einmal raten: Mit einer weiteren Sonderabgabe würden wir es bestimmt locker schaffen, das zu finanzieren. ({11}) Nein, lassen wir die Scherze. Ihre sozialverblendeten Vorstellungen mögen in Ihrem Wahlprogramm auftauchen. Mit der Realität in Deutschland haben sie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank. ({12})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. - Als nächster Redner spricht Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Deutschland geht es sehr gut - ökonomisch. Der Arbeitsmarkt brummt. Die Ökonomie brummt. Das haben Sie richtigerweise gesagt. Auf der anderen Seite muss man aber feststellen, dass der Wohlstand und der Reichtum in Deutschland nicht bei allen ankommen. Der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt das sehr deutlich. Die untersten 40 Prozent haben in den letzten 20 Jahren nicht dazugewonnen. Sie haben kein höheres Einkommen. Die Einkommen der Reichsten, die Vermögen der Reichsten sind stark gestiegen. Im Durchschnitt geht es besser, aber die Schere geht auseinander, die Armutsquoten steigen. Die Kinderarmut ist nach dem Armuts- und Reichtumsbericht zum ersten Mal auf über 20 Prozent angestiegen. ({0}) Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland hat ein Einkommen unter der Armutsgrenze. Ein Fünftel der Kinder hängen wir also ab. Ähnliche Studien gibt es nicht nur zur finanziellen Dimension, sondern auch zu Bildung und anderen Bereichen. Damit verscherzen wir uns die Zukunft. Wir müssen vor allen Dingen in die Kinder investieren und dafür sorgen, dass Kinderarmut in Deutschland verringert wird. ({1}) Mit Blick auf die Verteilungsfragen, die sich bei uns stellen, müssen wir dafür sorgen und können wir dafür sorgen, dass alle Menschen, die hier leben, selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben, dass niemand ausgegrenzt wird, damit wir eine bunte, vielfältige, selbstbestimmte Gesellschaft, eine inklusive Gesellschaft haben. Dafür müssen wir arbeiten. ({2}) „Inklusiv“ bedeutet: sowohl für die Menschen, die hier schon länger leben, als auch für die Neuen, die dazugekommen sind. Viele Probleme, die in dem Armuts- und Reichtumsbericht abzulesen sind, werden sich durch die Menschen, die zu uns kommen, leider kurzfristig verstärken. Wir werden wahrscheinlich einen höheren Anteil im SGB II haben. Wir werden möglicherweise ein Steigen der Armut haben. Mittel- bis langfristig ist die Zuwanderung eine Chance. Aber die Chance werden wir nur dann nutzen können, wenn wir jetzt in die Menschen investieren, wenn wir von Anfang an für Integration und dafür sorgen, dass die Menschen an der Gesellschaft teilhaben können. ({3}) Dafür braucht es einen inklusiven Arbeitsmarkt für alle, damit alle Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Dafür braucht es eine inklusive Bildung für alle Menschen mit Sprachproblemen ({4}) oder mit anderen Problemen, damit alle in Deutschland Bildungserfolge haben. Und es braucht eine inklusive soziale Sicherung, eine vernünftige Grundsicherung, die das Grundrecht auf Existenzsicherung gewährleistet. Die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist ein Grundrecht. Das sage ich insbesondere noch einmal in die Richtung der CDU/CSU-Fraktion. ({5}) Das muss gewährt werden, und zwar sanktionsfrei. Wir wollen die Sanktionen beim SGB II abschaffen und dass im Asylbewerberleistungsgesetz das Existenzminimum auch gewahrt wird. Der Anfang des Jahres von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf, gemäß dem die Leistungen gekürzt werden sollen, ist unserer Meinung nach nicht der richtige Weg, sondern wir brauchen eine gleiche Grundsicherung, sowohl für die Menschen, die hier schon leben, als auch für die Menschen, die dazukommen. ({6}) Darüber hinaus brauchen wir eine Alterssicherung für alle. Das Prinzip Bürgerversicherung muss für alle gelten. Wir brauchen eine vernünftige Gesundheitsversorgung für alle, einen Zugang zu Gesundheitsleistungen für die Menschen, die hier schon leben, ohne eine Trennung in die Zwei-Klassen-Medizin, und eine vernünftige Gesundheitsversorgung für die geflüchteten Menschen, die hierherkommen. Der richtige Ansatz wäre, zu sagen: Inklusion, die alle umfasst, soziale Teilhabe für alle. Deswegen finden wir die Überschrift des Antrages sehr gut. Der Inhalt des Antrages ist jedoch teilweise ein buntes Sammelsurium. Die Rede war noch viel bunter. Da ist alles Mögliche zusammengemengt worden. Das heißt, der Ansatz ist eigentlich richtig, das, was drinsteht, ist jedoch hochgradig problematisch. Deswegen können wir dem Antrag nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Aber wir müssen insgesamt alle dafür sorgen, dass wir soziale Teilhabe für alle schaffen. Vielen Dank. ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner spricht Josip Juratovic von der SPD-Fraktion zu uns. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was kostet Integration? Was kostet es, Menschen zu ermöglichen, bei uns anzukommen? 25 Milliarden Euro zusätzlich, 30 Milliarden, 50 Milliarden? Der Antrag der Linken suggeriert: Wenn man zusätzlich 25 Milliarden Euro nach dem Gießkannenprinzip über die Bundesrepublik ausschüttet, dann wird das schon. Ich fürchte aber, so einfach ist es nicht. Denn was bedeutet denn Integration? Integration bedeutet doch nichts anderes als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: an Sprache, Arbeit, Wohnen, Bildung und Kultur. Das ist wesentlich nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle, die in Deutschland leben: für Zuwanderer aller Art und natürlich auch für die Einheimischen. ({0}) Deshalb muss es darum gehen, kostenfreie Bildung für alle zu ermöglichen, wie es die SPD schon lange fordert. Daneben muss es zum Beispiel eine Erleichterung bei der Anerkennung der Berufsabschlüsse, bezahlbaren Wohnraum für jeden Geldbeutel und einen Arbeitsmarkt geben, der es jedem nach seinem Können ermöglicht, von seiner Hände Arbeit zu leben. All diesen Ansprüchen, die eine Gesellschaft erfüllen muss, die sich sozial und fortschrittlich nennt, kommen wir bereits nach, und wir Sozialdemokraten würden ihnen noch besser nachkommen, wenn wir die Mehrheit hätten. ({1}) Was ich sagen will: Der Bund hat seine Hausaufgaben in puncto Ausgaben gemacht. Wir haben 2016/17 knapp 30 Milliarden Euro für asylbedingte Kosten ausgegeben. Der größte Anteil davon ging mit über 16 Milliarden Euro übrigens an die Länder und Kommunen zur Entlastung bei den Flüchtlingskosten. Mit diesem Geld wurden Flüchtlinge untergebracht, aber auch Lehrer und Erzieher eingestellt. Wir haben die Gelder für den Wohnungsbau erhöht und das Personal in Behörden - nicht zuletzt dem BAMF - aufgestockt. Es ist also keineswegs so, dass wir Kommunen und Verwaltung ausbluten lassen, wie es im Antrag der Linken anklingt. Im Gegenteil: Die Bundesregierung kommt ihrer Aufgabe in angemessener Weise nach. Natürlich geht es immer noch besser, aber nicht mit dem Geldverteilprinzip der Linken, die das Geld gerne mit der Gießkanne verteilen wollen. Als Sozialdemokrat sage ich: Wir müssen gute soziale Politik für alle machen. Nur so erhalten wir einen gesellschaftlichen Konsens und ein gutes Miteinander in Vielfalt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bringt mich zu einem anderen Punkt, der mir als Integrationsbeauftragtem außerordentlich wichtig ist: Wir können Milliarden ausgeben und die schönsten Maßnahmenpakete schnüren, wir können uns hier über die Höhe der Summen und die unterschiedlichsten Kostenpunkte streiten, all unsere Anstrengungen bleiben aber wirkungslos, wenn wir sie nicht mit Leben erfüllen. Wir müssen das Ziel verinnerlichen, dass die Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben können. Das funktioniert nur, wenn die richtige Haltung und das passende gesellschaftliche Klima dafür vorhanden sind. ({3}) Lassen Sie uns den Geflüchteten zeigen, dass wir ihre Not verstehen und dass wir alles tun, damit sie sich sicher fühlen - sei es für eine Übergangszeit oder für ihr ganzes Leben und das ganze Leben ihrer Kinder. Diese Haltung würde uns sehr viel Geld sparen. Dazu gehört auch, dass Sie von der CDU endlich einmal die ständigen Doppelpass-, Loyalitäts- und Leitkulturdebatten einstellen. ({4}) Das macht jedes aufkeimende Vertrauen und Zusammengehörigkeitsgefühl mit einem Schlag zunichte. Lassen Sie uns solch ermüdende Diskussionen beenden und solch gut gemeinte Anträge wie die der Linken vergessen. Beides ist Wahlkampf und enttäuscht die Menschen, die sich millionenfach für gelungene Integration einsetzen und denen wir unseren Dank und Respekt sowie unsere Anerkennung und Unterstützung statt leerer Versprechungen schuldig sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzte Rednerin in dieser Debatte spricht Dr. Astrid Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt kaum etwas, was so gut ist, dass man es nicht noch besser machen könnte. Das gilt natürlich auch für unseren Sozialstaat, den ich für einen der besten weltweit halte. ({0}) Ich glaube, dass unser Sozialstaat auch der Grund ist, warum so viele Menschen aus aller Welt bei uns eine neue Heimat suchen. ({1}) Gleichzeitig heißt das natürlich nicht, dass wir uns zurücklehnen dürfen. Wenn zum Beispiel mehr als eine Million Menschen dauerhaft keine Arbeit finden, dann müssen wir überlegen, wie wir auch diese Menschen vermitteln können. Wenn vor allem ältere Frauen ein hohes Risiko haben, in Altersarmut zu fallen, dann müssen wir uns überlegen, welche Lösungen genau für diesen Personenkreis passen. Wenn vor allem Kinder aus armen Elternhäusern ein hohes Risiko haben, zu armen Erwachsenen zu werden, dann müssen wir dafür Lösungen finden. Es gibt kein System, das nicht im Einzelfall Ungerechtigkeiten hervorbringt. Auch unser Sozialstaat ist ein System. Es wird vielen, den allermeisten, gerecht. Aber es gibt immer - das ist eben systemimmanent - Einzelne, die sich in einem solchen System ungerecht behandelt fühlen, für die andere Lösungen tatsächlich besser wären. Eines aber wäre als Konsequenz aus diesen Selbstverständlichkeiten grundfalsch, nämlich das ganze System, den ganzen Sozialstaat infrage zu stellen. Das wird auch nicht dadurch richtiger, dass man dafür die Integration als Vorwand nimmt. Genau das aber tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, mit Ihrem Antrag. Sie wollen einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde, das Ende von Hartz IV, eine Grundsicherung von mehr als 1 000 Euro, zugleich eine Rückkehr zur Rente mit 65 Jahren, den vollen Zugang zu allen Sozialleistungen für sämtliche Migranten vom ersten Tag an. Das wären dann nach Ihren Vorstellungen für jeden Asylbewerber mindestens 1 000 Euro im Monat. 100 Milliarden Euro soll das Ganze jährlich mehr kosten. Zum Vergleich: Der aktuelle Sozialhaushalt beträgt 137 Milliarden Euro. Sie wollen also mal eben 70 Prozent draufschlagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Sozialstaat ist ein überaus leistungsfähiges und robustes Gebilde. Aber wenn Sie mit Ihren Ideen durchkämen, dann wäre er innerhalb kürzester Zeit am Ende. Auch Neiddebatten, Frau Kollegin Dağdelen, helfen unserer Gesellschaft nicht weiter. Unser fein ausbalancierter Sozialstaat muss vor solchen Ideen geschützt werden. Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören. Aber ich will es Ihnen trotzdem in Erinnerung rufen, liebe Linksfraktion. Wir stehen eben nicht kurz vor dem Kollaps, wie das hier suggeriert wird. Es geht uns nicht wie damals der DDR kurz vor ihrem Ende. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist historisch niedrig. Die verfügbaren Einkommen waren nie so hoch. Nie zuvor waren so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. ({2}) Die allermeisten Menschen in unserem Land sind zufrieden. Deswegen fallen sie auf Ihren Sozialpopulismus nicht herein. Die Wahlergebnisse der letzten Wochen haben das eindrücklich belegt. ({3}) Ich sage es Ihnen noch einmal: Die Lage wird auch nicht immer schlechter. Im Jahr 2005, als Angela Merkel das Kanzleramt von Gerhard Schröder übernommen hat, ({4}) hatten 64 Prozent der Erwerbstätigen Angst vor Arbeitslosigkeit. Heute sind es 25 Prozentpunkte weniger. ({5}) Ich darf Sie daran erinnern, dass wir innerhalb dieser zwölf Jahre Merkel von einer der größten Finanz- und Wirtschaftskrisen der Welt erfasst wurden. Das war 2009/2010; so lang ist das noch gar nicht her. Und was ist passiert? Kein Land der Erde kam aus der Krise so gut heraus wie unseres. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass unser Sozialstaat in diesen Situationen greift. ({6}) Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel nennen. Gerade während der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, wie gut unser Sozialstaat funktioniert. ({7}) Wir können nämlich die Aufgaben schultern. Wir können Sprachkurse finanzieren. ({8}) Wir können die Menschen anständig versorgen, ohne Abstriche bei der sozialen Absicherung der Bundesbürger zu machen. ({9}) Wir brauchen eben kein zusätzliches 25-Milliarden-Euro-Paket, aus dem Sie das Geld wie mit einer Gießkanne über das Land verteilen, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. ({10}) Wenn Sie noch mehr darüber wissen wollen, ({11}) wie gute Integration funktioniert, dann lade ich Sie nach Bayern ein. Auch dort funktioniert nicht alles wunderbar. Aber ich nenne das Beispiel deswegen, weil auch Bayern für die Integration Geld in die Hand nimmt, viel Geld sogar: 9 Milliarden Euro zusätzlich. Aber wir verteilen dieses Geld nicht einfach an alle, sondern wir setzen es konkret dort ein, wo man es für gute Integration braucht: für tausend zusätzliche Lehrerstellen, zusätzliche Polizistenstellen und eine hundertprozentige Übernahme der Kosten der Kommunen für die Integration. ({12}) So funktioniert das, aber nicht so, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern. Danke schön. ({13})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12166, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9190 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD-Frakti- on und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung - zu dem von den Abgeordneten Volker Beck ({1}), Ulle Schauws, Katja Keul, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare - zu dem vom Bundesrat eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/5098, 18/6665, 18/12227 b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/8, 18/12340 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katrin Göring-Eckardt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 17. Mai. Das ist der Internationale Tag gegen Homo-, Trans- und Biphobie. Der Tag erinnert an Diskriminierung; er erinnert an Unterdrückung, an Bestrafung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität, Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung. Auch heute, immer noch! Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Während dieser Wochen werden schwule Männer in Tschetschenien staatlich verfolgt. Sie werden inhaftiert. Sie sitzen in Lagern. Augenzeugen berichten von Folter, von Hunger, von Gewalt. Augenzeugen berichten von Toten. Augenzeugen berichten von Ehrenmorden an schwulen Männern in Tschetschenien. Ich lese diese Nachrichten, ich bin erschüttert, ich bin wütend, ich bin zornig; es brennt mir das Herz. Es ist das Jahr 2017, und das ist nur sechs Flugstunden entfernt. ({0}) Die Bundeskanzlerin hat Herrn Putin zur Achtung der Menschenrechte gemahnt. Der Außenminister hat ein sofortiges Ende des brutalen Vorgehens gefordert. Nur wenige Tage später wurden erneut Aktivisten in Moskau verhaftet. Man hört nur noch wenig über die schrecklichen Ereignisse, und meine Sorge ist, dass aus dem Schweigen Unsichtbarkeit wird. Meine Sorge ist, dass vergessen wird. Deswegen ist dieser heutige Tag dafür da, klar zu sagen: Wir vergessen nicht. Wir schauen genau hin. Und wir sorgen dafür, dass diese Menschen Schutz bekommen, übrigens auch den Schutz unseres Asylrechts, meine Damen und Herren. ({1}) Angesichts dieses Tages und angesichts dieses Anlasses ist das, was wir heute zu besprechen haben, eigentlich eine Kleinigkeit. Oder sagen wir es so: Es sollte eigentlich eine Kleinigkeit sein. Es ist vergleichsweise etwas Einfaches: Es geht nämlich nur um die Liebe. Es geht um die Frage, ob zwei Menschen, die sich verlieben und heiraten wollen, das auch dürfen. Die einen dürfen; die anderen dürfen nicht. ({2}) Jetzt ahne ich schon, dass wir zu hören bekommen, was dagegen spricht. Die einen werden sagen, man müsse doch an die Kinder denken. Und ich sage: Jawohl, wir denken an die Kinder. Wir denken an die Kinder in Regenbogenfamilien, die die gleichen Rechte haben müssen wie alle anderen Kinder auch. ({3}) Und es wird heißen, die Öffnung der Ehe verstoße gegen das Grundgesetz. Dann lassen wir doch bitte das Verfassungsgericht entscheiden. Auch dafür wäre heute hier eine Entscheidung notwendig. ({4}) Dann hören wir noch, dass die Dinge Zeit brauchen. Im Jahr 1992 haben 250 schwule und lesbische Paare das Aufgebot bestellt. Meine Güte, die könnten heute schon silberne Hochzeit feiern, wenn Sie sich damals auf den Weg gemacht hätten. ({5}) Wir diskutieren also wieder einmal über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Drei Gesetzentwürfe liegen vor. Wir diskutieren, aber wir entscheiden nicht. Wir entscheiden nicht, weil Sie es immer und immer wieder auf die lange Bank schieben, weil Sie es immer wieder im Ausschuss absetzen, heute zum 28. Mal. Das ist doch peinlich; das ist doch völlig unverständlich. ({6}) Und zum zehnten Mal haben Sie den Gesetzentwurf der Länderkammer abgelehnt, meine Damen und Herren. Das ist so etwas wie Vorsatz und Arbeitsverweigerung. ({7}) Deswegen sage ich Ihnen: Wir können nicht mehr einfach hinnehmen, dass Sie mit dieser Arbeitsverweigerung weitermachen. Wir können nicht mehr hinnehmen, dass Sie ignorieren, was 83 Prozent der Menschen in diesem Land wollen. ({8}) Sie können ja noch sagen: Die Opposition interessiert uns nicht. Es geht aber nicht, dass Sie immer weiter verschieben und vertagen, während auf der anderen Seite Herr Maas heute ein Sharepic veröffentlicht und mitgeteilt hat, er würde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der nicht die Ehe für alle vorsieht. Das hätte man 2013 machen können. ({9}) Vizepräsidentin Michaela Noll Dann müsste man hier heute nicht nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ verfahren. ({10}) Zum Schluss möchte ich Folgendes sagen: Vor kurzem ist in Schleswig-Holstein ein Mann gewählt worden, der einen großen Wahlerfolg hatte. Er hat gesagt, er hätte so ein Bauchgefühl. Dieses Bauchgefühl habe ihm gesagt, die Öffnung der Ehe für alle müsse doch selbstverständlich sein. Dieser Mensch ist Herr Günther.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Er gehört der Union an, meine Damen und Herren. Ich finde, Sie könnten einmal Ihr Bauchgefühl und das Bauchgefühl von Herrn Günther miteinander in Einklang bringen. Dann könnten wir diese Sache endlich abräumen, und die Menschen könnten das tun, was Konservative doch so toll finden, nämlich heiraten. Es ist doch die schönste Auszeichnung für die Institution Ehe, wenn man Menschen, die das wollen, heiraten lässt. Tun Sie es endlich! Springen Sie über Ihren Schatten, meine Damen und Herren! ({0})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den Applaus! Lassen Sie mich zunächst einmal klarstellen: Ich halte es für ausgesprochen wichtig, an diesem 17. Mai der Homophobie entgegenzuwirken und um Verständnis für unterschiedliche sexuelle Orientierungen zu werben. ({0}) Allerdings - und da bin ich schon beim entscheidenden Punkt - sollte diese Diskussion nicht platt, sondern mit der notwendigen Differenzierung geführt werden. ({1}) In Bezug auf das Adoptionsrecht etwa ist es wichtig, zu betonen, dass es nicht um das Recht auf Adoption, sondern um das Recht der Adoption geht. ({2}) Dabei steht nicht das Recht der Eltern auf ein Kind, sondern das Recht der Kinder auf fürsorgliche Erziehung im Vordergrund. ({3}) Das wird nach dem geltenden Adoptionsrecht in der Tat nicht immer so gesehen, und deshalb bedarf es der Reform - ganz unabhängig davon, ob durch Heterosexuelle oder Homosexuelle adoptiert wird. Schauen wir aber konkret auf die Frage der von Ihnen geforderten Ehe für alle. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, liebe grüne Kollegen, meine Fraktion würde die gebotene Gleichstellung grundsätzlich ablehnen, so ist das schlicht falsch. Denn natürlich gibt es neben mir viele Kolleginnen und Kollegen, die eine Verbesserung der aktuellen gesetzlichen Lage für notwendig halten. Und Sie wissen das auch. ({4}) Aber abgesehen davon, dass der Prozess, eine Mehrheit im ganzen Land hinter sich zu versammeln, Zeit braucht, gilt: Viele von uns verwahren sich gegen den Vorwurf, bei uns in Deutschland gäbe es in Bezug auf Homosexualität - manche behaupten sogar: eine systematische Diskriminierung. Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben Gott sei Dank keine Beispiele aus Deutschland, sondern aus dem Ausland gewählt, wo es in der Tat anders ist. Bei uns ist das Gegenteil wahr. Gerade Deutschland ist nicht zuletzt wegen seiner historischen Erfahrungen - ein Staat, in dem die Diskriminierung von Minderheiten zu Recht ein Tabubruch ist. ({5}) Gerade unser Vorgehen in der Flüchtlingskrise hat das mit großer Deutlichkeit gezeigt. ({6}) Deshalb war es auch uns - und gerade mir persönlich wichtig, die Rehabilitierung der nach § 175 Strafgesetzbuch Verurteilten voranzutreiben. ({7}) Hier sind wir, finde ich, auf einem guten Weg. Gerade dieser Hinweis zeigt aber auch, wo das Problem bei Ihren Anträgen liegt; denn Fragen der sexuellen Orientierung sind von sensibler Natur. Sie verlangen hier durchaus im Ansatz zu Recht - Gleichstellung. Aber Sie müssen verstehen, dass nicht jeder dies teilt und erst recht nicht darüber öffentlich diskutieren will. Deshalb war es uns wichtig - gerade den Lesben und Schwulen in der Union, mit denen wir darüber in einem intensiven Austausch stehen -, die im Zusammenhang mit § 175 StGB stehenden Themen zusammen mit vielen meiner Kollegen in nichtöffentlichen Gesprächen anzugehen; denn nur so gewinnt man die Herzen und das Verständnis der Menschen. ({8}) Wenn Sie wie gestern E-Mails herumschicken, in denen behauptet wird, dass alles andere als eine Eins-zu-einsUmsetzung Ihrer Vorlagen ein Kasperletheater darstelle, gewinnen Sie die Mehrheit gerade nicht. ({9}) Nun ein paar Worte zur Sache. Sie weisen darauf hin, dass eine weiter gehende Gleichstellung verfassungsrechtlich geboten sei. Leider ist aber auch nach der dazu durchgeführten Sachverständigenanhörung der verfassungsrechtliche Befund unklar, abgesehen davon, dass wir nicht wissen, wie das Bundesverfassungsgericht in Zukunft entscheidet. ({10}) Wir hatten deshalb vorgeschlagen - darauf sind Sie nicht eingegangen -, die notwendige Gleichstellung auf der Ebene des Grundgesetzes vorzunehmen. ({11}) - Wir haben darüber gesprochen. ({12})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Noch zehn Zeilen. Dann können Sie sich melden. Das gilt in gleicher Weise für die von meinem - das betone ich ganz bewusst - CSU-Kollegen ins Gespräch gebrachte Möglichkeit, den Begriff des Verheiratetseins neu zu definieren, sodass er einerseits die klassische Ehe und andererseits die Partnerschaft umfasst. Damit sind wir genau bei dem, was Sie, liebe Frau Göring-Eckardt, gesagt haben. Liebe ist für beide gleich, und dann könnten wir den Begriff des Verheiratetseins wunderbar definieren. Aber auch das stieß auf keine Sympathie. Das alles zeigt: Wir sind an dem Thema dran. Aber wir werden die Dinge auf eine Weise reformieren, sodass die Mehrheit unseres Landes dahinterstehen kann. ({0}) Sie haben völlig recht: Wenn zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, steht das - da verweise ich gerne auf die gestrige Aussage von Daniel Günther - im Einklang mit unserem christlichen Menschenbild. Vielen Dank. ({1})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen für eine Kurzintervention.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eigentlich wollte ich eine Frage stellen. - Herr Hirte, Sie haben gesagt, Sie seien dafür, das in der Verfassung zu regeln. Bislang hat die Unionsfraktion - egal in welcher Regierungskoalition sie sich befand - jedes Mal den Antrag meiner Fraktion, Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes endlich um das Kriterium der sexuellen Identität zu erweitern, abgelehnt. Sie können hier nicht einfach das glatte Gegenteil behaupten. Sie sind doch Leiter des Stephanuskreises. ({0}) „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ Sie haben sich im letzten Jahr zusammen mit mir in Köln am CSD vor Zehntausenden Lesben und Schwulen gestellt und sich für die Zusage feiern lassen, dass Sie hier im Bundestag für die Öffnung der Ehe eintreten werden. ({1}) Nun kommen Ihnen auf einmal Bedenken, die Sie Ihren Kölner Wählerinnen und Wählern nicht gesagt haben. Das ist keine ehrliche und wahrhaftige Politik. ({2}) Es gibt verfassungsrechtlich keinen Grund, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht zu öffnen; das wissen Sie auch. Sie haben sich in der Vergangenheit, wenn es um die eingetragene Partnerschaft ging - angefangen 2001 mit den Klagen von Bayern, Sachsen und Thüringen -, jeden einzelnen Schritt vom Bundesverfassungsgericht diktieren lassen. Sie dachten, das Gesetz sei verfassungswidrig. Wir haben recht bekommen. Sie haben gedacht, Ihre Diskriminierungspolitik sei verfassungskonform. Aber überall - beim Steuerrecht, beim Beamtenrecht und insbesondere bei der Beamtenversorgung haben Sie verloren. Verstecken Sie sich nicht hinter der Verfassung, und geben Sie dem Plenum des Deutschen Bundestages endlich das Recht, über die Gesetzentwürfe von Bundesrat und Opposition abzustimmen. ({3})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege Dr. Hirte, wollen Sie darauf antworten? - Bitte schön.

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Beck, Ihren Vorschlag zu einer Verfassungsreform haben wir abgelehnt, weil er uns nicht gefällt. ({0}) Wir haben eigene Vorschläge gemacht; darüber haben wir diskutiert. Aber diese Vorschläge lehnen Sie ab. So viel zur Klarstellung. Ich habe in Köln gesagt, dass ich mich dafür einsetze, die Abstimmung zu öffnen. Aber das Erste, was Sie, wenige Minuten nachdem wir die Bühne verlassen hatten, gemacht haben, war, mir über Twitter Terminangebote zu machen. - Genau das entspricht nicht dem, was ich gerade gesagt habe. Es handelt sich hier um ein sensibles Thema, über das zuerst einmal in kleinen Gesprächskreisen zu debattieren ist. ({1}) - Genau diese 81 Prozent sind, wie ich höre, dafür, aber sie sind dagegen, von Ihnen in dieser Weise vorgeführt zu werden. Das ist das Problem. ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Als Nächster hat jetzt der Kollege Harald Petzold von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! 16mal haben wir jetzt das Thema „Öffnung der Ehe für alle“ allein in dieser Wahlperiode hier im Plenum diskutiert. Kein Thema - mit Ausnahme vielleicht der Auslandseinsätze der Bundeswehr - hat hier öfter im Zentrum unserer Diskussion gestanden als dieses. ({0}) Es ist der dritte Bericht der Vorsitzenden des Rechtsausschusses, in dem sie zum dritten Mal den Fraktionen der Großen Koalition ins Stammbuch schreiben muss, dass sie ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, nämlich überwiesene Gesetzentwürfe zu behandeln, nicht erfüllen. ({1}) Wir haben inzwischen die paradoxe Situation, dass der Bundestagspräsident - für die Besucherinnen und Besucher: der kommt aus der CDU/CSU-Fraktion - an alle Fraktionsvorsitzenden geschrieben hat, dass er darum bittet - das möge man sich auf der Zunge zergehen lassen -, dass die Fraktionen dafür sorgen mögen, dass der Gesetzentwurf des Bundesrats in angemessener Frist, so wie es im Grundgesetz vorgesehen ist - sprich: noch in dieser Wahlperiode -, wenigstens behandelt wird. Schlimmer können Sie Ihren eigenen Präsidenten nicht vorführen, als ihn zu nötigen, so einen Brief zu schreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU-Fraktion. ({2}) Das geht nicht, und das sollten wir heute endlich beenden. ({3}) Wir werden nachher eine Geschäftsordnungsdebatte führen, in der sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion dazu bekennen können, ob das Wirklichkeit wird, was der Kollege Kahrs versprochen hat, nämlich dass sie dann, wenn die nächste Abstimmung zu diesem Thema hier im Plenum stattfindet und sich die Union immer noch nicht durchgerungen haben sollte, freiwillig mit abzustimmen, der Unionsfraktion eine Abstimmungsniederlage beibringen wollen. ({4}) Ich bin gespannt, wie die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion hier abstimmen. ({5}) Ich sage Ihnen auch: Am letzten Sonntag war Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Es kann sein, dass Sie solche Ergebnisse kalt lassen. Es kann aber auch sein, dass Sie sich fragen, wie solche Ergebnisse zustande kommen. Ich kann Ihnen zumindest meine Wahrnehmung mitteilen: indem Sie den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl versprechen, 100 Prozent Gleichstellung gebe es nur mit Ihnen, aber nach der Wahl zu denjenigen gehören, die die hundertprozentigen Verhinderer dieser Gleichstellung sind. Das lassen sich Wählerinnen und Wähler nicht gefallen, und dann gibt es solche Wahlergebnisse. ({6}) Der heutige Tag - die Kollegin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen - ist auch der Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie. Ich möchte meine Rede nicht beenden, ohne wenigstens auf diesen Anlass hingewiesen zu haben. Der Kollege Hirte hat sich mit der liberalen Antidiskriminierungspolitik der Bundesrepublik gebrüstet. Ich war in der vorigen Woche in Guatemala und habe mich dort mit Regierungsvertretern, mit Parlamentariern über die Frage unterhalten, ob es dort einen Gesetzentwurf geben soll, der schon das Sprechen über Homosexualität in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen soll. Ich war peinlich berührt davon, dass diese Kolleginnen und Kollegen sich genau auf die Verweigerungshaltung von Ihnen berufen, was die Frage der Öffnung der Ehe und der Gleichstellung und die Frage einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik betrifft. ({7}) - In Guatemala. Die kennen Ihre Position ziemlich gut. ({8}) Das ist etwas Schlimmes, wie ich finde, weil es deutlich macht, dass wir mit diesem schlechten Beispiel genau denjenigen Vorschub leisten, die, wie in Tschetschenien, so mit Homosexuellen umgehen, wie es die Kollegin Göring-Eckardt geschildert hat. Wir leisten denen Vorschub, die sich darauf berufen, dass es eben keine Gleichstellung für alle in der Gesellschaft gibt. Ich werde mich damit nicht abfinden. Ich werde mich somit auch mit Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen weltweit solidarisieren. Vielen Dank. ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner spricht Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich meine Ausführungen mit der fast harmonischen Übereinstimmung beginnen, die die vier Diskutanten soeben vorm Brandenburger Tor am Pariser Platz anlässlich des Tages gegen Homophobie gezeigt hatten; denn alle vier Diskutanten sind bzw. waren der Auffassung, dass die Ehe für alle kommen muss: Für den einen ist es eine Frage der Zeit, und für den anderen muss sie auf der Stelle kommen. Gestatten Sie mir aber, einen anderen Einstieg zu wählen, nämlich den, den der Kollege Hirte in trefflicher Weise quasi auf dem Tablett serviert hat. Lieber Kollege Hirte, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wir haben doch nächste oder übernächste Sitzungswoche eine Verfassungsänderung auf der Tagesordnung. Wir Sozialdemokraten sind bereit, die Ehe für alle in diese Verfassungsänderung im Omnibusverfahren mit aufzunehmen. ({0}) Wir sorgen für die Zweidrittelmehrheit in den Ländern und in diesem Haus, und Sie sorgen für die Zweidrittelmehrheit bei Ihren Ländern und Ihrem Haus. Ein Wort drauf, und wir gehen nach Hause und haben heute, am 17. Mai, ein paar Minuten nach 17.50 Uhr ein vernünftiges Ergebnis. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die vier Jahre, die ich diesem Hohen Hause angehöre und in denen ich die Debatte leider mitverfolgen und mittragen musste, führen mich zu der Erkenntnis, in die Einlösung dieses Versprechens, nämlich schnell eine Verfassungsänderung umzusetzen, wenig Vertrauen haben zu können. Ich habe wenig Vertrauen, weil ich feststelle, dass seit Anbeginn dieser Legislatur das, was wir vereinbart haben, nämlich rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartner schlechterstellen, zu beseitigen, bis zum heutigen Zeitpunkt mit ganz wenigen Ausnahmen verschleppt, verzögert und verhindert wird. Ich sage ganz offen: Diskriminierung abzubauen, Lebenspartner gleich welchen Geschlechtes, die sich als Ehepartner lieben und als solche leben, in dieser Gesellschaft zu achten, ist unsere dringende Pflicht, die wir laut Grundgesetz haben. ({1}) Es ist so einfach. Das kann jeder verstehen; dazu braucht man keine höhere Bildung. Es geht ganz einfach darum, Ungleichheiten und Diskriminierungen zu beseitigen. Kollege Hirte, Sie haben gesagt, Sie finden keine Diskriminierung in diesem Land. Nehmen Sie bloß den Schulhof, wo es heißt: „Du schwule Sau!“, „Du Schwuchtel!“, und Ähnliches. Nehmen Sie den Versicherungsvertreter, der süßsäuerlich guckt, weil man ihm nicht die Eheurkunde, sondern eine Lebenspartnerschaftsurkunde vorlegen muss. Nehmen Sie den Vermieter, der die Wohnung nicht vermietet, weil er an ein schwules oder lesbisches Paar nicht vermieten will. ({2}) Doch Sie sagen, es gibt keine Diskriminierung in diesem Land. Wir leben, glaube ich, in unterschiedlichen Staaten, in unterschiedlichen Ländern. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren insbesondere aus der Union, ich habe es akzeptiert, ich kann es akzeptieren, und ich habe mehrfach wiederholt, dass ich eine Gewissensentscheidung verstehen kann. Ich kann zwar nicht verstehen, wie jemand aus seinem Gewissen heraus Diskriminierung und Ungleichbehandlung für gut empfindet, aber ich kann eine Gewissensentscheidung in jeder Form akzeptieren. Ich kann und will aber nicht akzeptieren, dass aus reinem Machtkalkül, aus reiner Machtgier, nur weil jemand Bauchschmerzen hat, weil jemand glaubt, er müsse eine bestimmte Klientel bedienen, Menschen in unserem Land, die nichts anders wollen, als als Eheleute anerkannt, respektiert und geschätzt zu werden, die nichts anderes wollen, als ihre silberne Hochzeit zu feiern, bei der der Bürgermeister kommt, ({4}) die goldene Hochzeit nach 50 Jahren oder die diamantene Hochzeit zu feiern, bei der dann der Landrat und die Abgeordneten kommen, ({5}) ihr Recht in dieser Gesellschaft nicht gegeben wird. Die Realität sieht leider so aus: Die Ehe für alle wird seit Jahren blockiert, die Entscheidung verzögert. Was mich heute auf die Palme bringt - ich sage dies in den letzten Sekunden, die ich hier noch zur Verfügung habe -, ist, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit Jahren versuchen, eine Lösung herbeizuführen und die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn Harald Petzold ({6}) Sie die Anträge auf Vertagung stellen. Begründen Sie die Anträge auf Vertagung, setzen Sie ein Konzept um, wie Sie den Menschen verfassungsrechtlich Gerechtigkeit verschaffen wollen, dann sind wir dabei - aber nur dann, wenn Gerechtigkeit und die Ehe für alle in diesem Lande Realität werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner spricht Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Brunner, ich will damit einleiten, zu sagen, dass ich glaube, dass dieses Thema mehr Sachlichkeit verdient hat, als Sie gerade zu erkennen gegeben haben. ({0}) Damit hier im Plenum überhaupt kein Missverständnis aufkommt: Auch ich glaube, dass dieses Thema ganz am Anfang meiner Rede die parteiübergreifende Feststellung verdient hat, dass wahrscheinlich wir alle hier genau dasselbe wollen: ({1}) 100-prozentige Gleichstellung. Wir unterscheiden uns im Weg dorthin. Sie sagen: 100-prozentige Gleichstellung erreichen wir nur dann, wenn auch Lebenspartnerschaften als Ehe bezeichnet werden. ({2}) Wir sagen: Wir begreifen die Gleichstellung als Prozess. Wir kommen schrittweise zu Gesetzesänderungen - immer da, wo Bedarf zu erkennen ist. ({3}) - Ich weiß nicht, warum Sie sich gerade über diese Position so echauffieren. - Das ist zugegebenermaßen etwas langwierig; aber bei der Gleichstellung von Mann und Frau sind wir genauso vorgegangen. ({4}) Zu keinem Zeitpunkt wäre jemand von uns auf die Idee gekommen, zu sagen: 100-prozentige Gleichstellung erzielen wir nur, wenn wir eine neutrale Bezeichnung verwenden, sodass man den Unterschied nicht mehr erkennt. - Damit hat man an keiner Stelle irgendeinen Widerspruch ausgelöst. Ganz ehrlich, Sie selbst haben mit uns doch 20 Jahre lang eine Gleichstellungsdebatte geführt. Wenn ich den Begriff der Gleichstellung im Duden nachschlage, dann sehe ich, dass es nach dem, was dort steht, darum geht, unterschiedliche Dinge gleich zu behandeln. Ich glaube, dass es immer noch sachgerecht ist, unterschiedliche Dinge unterschiedlich zu bezeichnen. ({5}) Ich will noch weiter gehen; ich rede ja nicht zum ersten Mal zu diesem Thema. Von Ihnen hat mir noch niemand ein Argument bringen können, warum es, nachdem wir bei Mann und Frau Gleichstellung damals anders herbeigeführt haben, heute nur so gehen sollte, wie Sie es sagen, nämlich dass nur über die Bezeichnung „Ehe“ sich für Gleichstellung sorgen ließe. ({6}) Es wird da die These aufgestellt, dass nur mit der Umsetzung der Ehe für alle jegliche Diskriminierung ausgeschlossen werden kann. ({7}) Auch habe ich die letzten Male immer wieder herausgearbeitet, dass sich diese These relativ schnell widerlegen lässt. Ich will Ihnen Beispiele dafür nennen; andere Länder sind ja bereits genannt worden. Der Supreme Court der USA hat 2015 den Weg für die Ehe für alle freigemacht. Man sollte meinen, es bestehe dort 100-prozentiger Diskriminierungsschutz. Ich sage Ihnen: Weit gefehlt. - Mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten in den USA hat heute noch keinerlei Regelung zur Antidiskriminierung im Arbeitsleben. ({8}) Noch viel trauriger, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Eindruck, den man gewinnt, wenn man nach Mexiko schaut.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege Hoffmann, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws zu?

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber selbstverständlich.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann, dass Sie die Frage zulassen. - Sie haben gerade davon gesprochen, dass es in den USA nach wie vor Diskriminierung gibt, dass es dort keine Gleichstellung gibt. Eben haben Sie auch gesagt, dass die Ehe für alle für Sie nicht das einzig wahre Gleichstellungsmerkmal sei, das man herbeiführen müsse, und dass es für Sie auch begründbar sei, warum es nicht notwendig sei, die Ehe für alle einzuführen. Vielleicht können Sie mir folgenden Fall erklären: Wie kann es sein, dass jemand, der in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt und mit seinem Partner oder seiner Partnerin zum Beispiel in die USA reisen will, um dort zu arbeiten, dort nicht mit der Partnerin oder dem Partner hingehen kann, weil die eingetragene Lebenspartnerschaft dort eben nicht in gleicher Weise wie die Ehe anerkannt wird? ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist doch genau der Punkt. Wenn wir jetzt anfangen, unsere Rechtslage dahin gehend anzupassen, dass es für unsere Staatsbürger keinerlei nachteilige Auswirkungen in anderen Ländern gibt, ({0}) dann werden wir am Ende - das sage ich Ihnen - unter die Räder kommen. Ich kann sogar noch ein Stück weitergehen, Frau Kollegin: Letztendlich ist es doch so, dass die USA ihre Hausaufgaben in diesem Bereich machen müssen. ({1}) Man kann mit völkerrechtlichen Verträgen die nötigen Vereinbarungen treffen; das wissen Sie auch. ({2}) Ich will Ihr Augenmerk doch noch einmal auf Mexiko lenken, gerade weil das, was man dort wahrnimmt, so beklemmend ist. In Mexiko gibt es die Ehe für alle seit 2006, und die tragische Wahrheit ist, dass man dort im Bereich Antidiskriminierung bis heute keinen Millimeter weitergekommen ist. ({3}) Neuere Umfragen weisen aus, dass nach wie vor 63 Prozent der Bevölkerung - und das ist tragisch - Homosexualität ablehnen. Deswegen glaube ich, dass der Weg, den wir als Union gewählt haben - nämlich zu sagen: wir achten auf den Inhalt und nicht so sehr auf das Etikett -, am Schluss der richtige Weg ist. ({4}) Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Hirte vorhin schon ausgeführt hat. Wir hatten am 28. September 2015 eine Anhörung, und ich will die rechtliche Lage noch einmal ein bisschen beleuchten. In der Anhörung habe ich die Frage gestellt, ob wir die Bezeichnung „Ehe“ brauchen, um jedwede Diskriminierung zu vermeiden. Damals war die Antwort von Professor Ipsen: Nein. Auch er hält es nach wie vor möglich, dass wir mit einfachen gesetzlichen Regelungen Stück für Stück Diskriminierung vermeiden. ({5}) Wichtig ist mir, am Ende meiner Rede noch einmal zu skizzieren, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat, weil immer wieder der Eindruck erweckt wird: Das Bundesverfassungsgericht fordert die Ehe für alle. Vom Bundesverfassungsgericht stammt ziemlich sinngemäß der Satz, gesprochen am 7. Mai 2013: Die Ehe ist das Institut, das allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehalten ist. - Wenn man die Entscheidung liest, stellt man fest, dass das Bundesverfassungsgericht sehr schön differenziert, und zwar, indem es feststellt, dass Lebenspartnerschaften sehr wohl Familien begründen können und insoweit dann auch von Artikel 6 Grundgesetz geschützt sind, aber dass sie eben nicht unter den Begriff der Ehe fallen. ({6}) Die Ehe ist grundgesetzlich geschützt, und auch dafür gibt es einen Grund, nämlich den biologischen Unterschied, dass aus einer Ehe grundsätzlich und rein potenziell Kinder hervorgehen können. Meine Damen, meine Herren, ich habe es das letzte Mal schon gesagt: Ich habe meine Position. Ich habe keinen Abstimmungsbedarf. Ich habe meine Argumente. - Deswegen werden Sie sich damit auseinandersetzen müssen. Ich will am Schluss schon noch einmal eine Lanze für meine Fraktion, die Union, brechen. Wir sind eine Volkspartei. Es gehört zum Charakter einer Volkspartei, dass sie eine ganz breit gefächerte repräsentative Vertretung der Bevölkerung ist. Es ist ganz natürlich, dass es Menschen gibt, die die Ehe gern für alle öffnen würden, und andere, die, so wie ich, Gegenargumente haben und das anders sehen. Aber ich will mir das nicht als Vorwurf entgegenhalten lassen. Vielen Dank. ({7})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. - Als letzte Rednerin dieser Debatte spricht Elfi Scho-Antwerpes von der SPD-Fraktion. ({0})

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es kann nicht jeder das Glück haben, aus einer weltoffenen, toleranten Stadt wie Köln zu kommen. Meine Damen und Herren von der Union, wie hinterwäldlerisch sind Sie eigentlich mit Ihrer Einstellung? ({0}) - Herr Hirte, Sie hören jetzt auch zu! ({1}) Verlassen Sie Ihre gemütlichen Büros, gehen Sie zu den Menschen hin, und hören Sie mal, was die Ihnen zu sagen haben! ({2}) Wenn Sie das tun, dann werden Sie hören, dass es auch bei uns Diskriminierung gibt. ({3}) Es ist ein Skandal, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland bislang unmöglich ist. Es ist ein Skandal, den Sie verursachen. ({4}) Sie müssen wissen: Homosexuell zu sein, ist keine Krankheit, und es ist auch keine Sünde; es ist völlig normal. ({5}) - Hören Sie doch einfach mal zu! Warum echauffieren Sie sich so? Das ist Ihre Diktion. ({6}) Es ist so normal, dass 83 Prozent unserer Bürger und Bürgerinnen der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Ehe für alle, zustimmen würden. Das ist eine eindeutige Mehrheit. Die haben Sie nicht, liebe Union; denn Sie wollen das nicht. Aber Sie sind nicht die Mehrheit. Bislang dachte ich, das D in CDU steht für „demokratisch“. Warum hören Sie nicht auf die Menschen, auf die 83 Prozent? Das D in Ihrem Parteinamen scheint mir eher für „Diskriminierung“ zu stehen. ({7}) Christliche Nächstenliebe treibt die CDU und die CSU offenbar ebenso wenig an wie Artikel 3 des Grundgesetzes. ({8}) - Ich mache auch weiter so. ({9}) Lesen Sie doch mal den Artikel 3 des Grundgesetzes! Es geht um die Würde des Menschen, um jeden Einzelnen. Es ist eine Schande, dass Sie das hier seit Jahren verhindern. Begegnen Sie Schwulen und Lesben endlich mit dem Respekt und der Würde, die sie verdient haben! ({10}) Vielfalt ist nämlich Normalität. ({11}) - Ja, weil Sie dauernd schreien, muss ich lauter werden. Wenn Sie still sind, kann ich flüstern. Die Kreativität der CDU/CSU-Fraktion, warum man Menschen in unserem Land in zwei Klassen einteilen muss, ist grenzenlos. Sie blamieren uns alle und verballhornen das Hohe Haus, indem Sie seit 1998 zu dem Thema herumlamentieren. Eine Bundesrepublik, die Teile ihrer eigenen Bevölkerung diskriminiert? Das darf nicht wahr sein, und doch ist es so. Wenn zwei Menschen füreinander einstehen, ist das etwas Wunderbares. Sie stehen für den anderen ein, und das Institut der Ehe schützt dieses Paar. Abseits von Einstehens- und Wirtschaftsgemeinschaften sind es wertvolle Dinge wie Liebe und Geborgenheit, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. In der Verantwortung, die Ehepartner füreinander übernehmen, besteht kein Unterschied. ({12}) Es gibt nämlich keine Liebe zweiter Klasse. ({13}) Viele von Ihnen sind in der grauen Masse Ihres Fraktionsblocks einfach nur gefangen,

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- statt mutig zu sagen: Wir wollen Gleichberechtigung, egal ob Paul Paula oder Paul liebt. Ich fordere seit Jahrzehnten die Ehe für alle. Ich fordere sie auch heute wieder. Die Mehrheit im Lande will es so.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin.

Elfi Scho-Antwerpes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin am Ende, ({0}) hoffentlich auch mit der Forderung, die weiterhin bestehen bleibt. ({1})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Ich schließe die Aussprache. Kurz zur Erinnerung: Die Mikrofone waren eingeschaltet. Man konnte Sie sehr gut hören. Wir kommen nun zu einem Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion hat fristgerecht beantragt, sofort in die zweite Beratung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/5098, 18/6665 und 18/8 einzutreten, hilfsweise, für den Fall, dass dieser Geschäftsordnungsantrag nicht angenommen wird, den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zu verpflichten, dem Bundestag die Beschlussempfehlung und Berichte zu den genannten Gesetzentwürfen bis spätestens zum 31. Mai 2017 vorzulegen. Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst die Kollegin Britta Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoffmann, ganz kurz zu Ihnen: An Ihrer Stelle würde ich mir das Grundgesetz zu Gemüte führen und nicht den Duden; ({0}) denn dort finden Sie in Artikel 3 Ausführungen zur Gleichheit vor dem Gesetz. ({1}) Außerdem habe ich jeden Respekt davor, dass Sie noch zehn Jahre in Ihrer Partei darüber diskutieren können, wie Ihre Einstellung dazu ist. Darum geht es hier heute aber nicht. Meine Damen und Herren, es geht heute darum: Wir haben diesen Antrag zur Geschäftsordnung gestellt, gleich in die weiteren Beratungen einzutreten, um als Parlament endlich darüber abstimmen zu können, ob wir für die Ehe für alle sind oder nicht; denn dazu liegen heute drei Gesetzentwürfe vor. Durch Ihre Blockadehaltung entziehen Sie dem Parlament seit 2013 die Möglichkeit, darüber abzustimmen. Das halten wir für hochproblematisch. ({2}) Meine Damen und Herren, seit der Überweisung des Gesetzentwurfes der Linken zur Gleichstellung in Form der Ehe für alle am 19. Dezember 2013 sind drei Jahre vergangen. Seit der Einbringung des Gesetzentwurfes von Bündnis 90/Die Grünen am 18. Juni 2015 sind fast zwei Jahre vergangen. Heute, auf Antrag der Grünen dem können Sie sich nicht verweigern, weil es ein Recht in der Geschäftsordnung ist -, debattieren wir nach § 62 der Geschäftsordnung den Bericht über den Stand der Beratungen zum dritten Mal. Für diejenigen, die nicht wissen, was es bedeutet, weil sie sich mit der Geschäftsordnung nicht auskennen: Wenn ein Gesetzentwurf bzw. ein Bericht dazu hier im Plenum behandelt wurde, dann kann man, wenn er zehn Sitzungswochen in einem Ausschuss lag, verlangen, dass hier wieder der Bericht über den Stand der Beratungen auf die Tagesordnung gesetzt wird. Dies geschieht heute zum dritten Mal, weil Sie sich bisher - darauf hat meine Kollegin Katrin GöringEckardt hingewiesen - 28-mal entschieden haben, und zwar mit den Stimmen von SPD und Union, diesen Gesetzentwurf abzusetzen ({3}) und noch nicht einmal zu beraten. Herr Hirte und alle anderen, die von Ihrer Seite geredet haben, tun Sie doch nicht so, als würden Sie ernsthaft unsere Gesetzentwürfe beraten! Sie versenken sie im Ausschuss, mit dem Hinweis darauf, Sie hätten Beratungsbedarf. Sie blockieren eine Abstimmung im Parlament darüber. Das ist das große Problem. ({4}) Das darf man Ihnen an dieser Stelle so nicht durchgehen lassen. Denn Sie betreiben ja nicht nur Arbeitsverweigerung, indem Sie sagen, dass Sie sich mit den Gesetzentwürfen der Grünen, der Linken und des Bundesrates einfach nicht befassen. Nein, viel schlimmer: Sie verweigern dem Parlament, und zwar uns Abgeordneten und damit auch Ihren Abgeordneten, meine Damen und Herren, die Möglichkeit, sich zu diesen Gesetzentwürfen zu verhalten ({5}) und darüber abzustimmen. ({6}) Das ist auch verfassungsrechtlich hochproblematisch und zweifelhaft. Gegen die Verschleppung der Schlussberatung der Vorlagen im Ausschuss haben wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Denn aufgrund dieser Blockadehaltung ist kein Abgeordneter, keine Abgeordnete des gesamten Parlaments - weder aus unserer Fraktion noch aus Ihren Fraktionen - in der Lage, sich zu einem der drei Gesetzentwürfe zu verhalten. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur politisch das Allerletzte, sondern auch verfassungsrechtlich hochproblematisch. ({7}) Insofern, meine Damen und Herren, kann die CDU/ CSU von mir aus noch 20 Jahre innerhalb ihrer Fraktion diskutieren, ob sie für die Ehe für alle und die Gleichheit vor dem Gesetz ist - das interessiert mich überhaupt nicht. ({8}) Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Grünenfraktion, die wir hier sitzen, interessiert, dass Sie uns verweigern, dem Parlament verweigern, sich zu einem Gesetzentwurf zu verhalten. ({9}) Darum geht es, meine Damen und Herren. Das überspannt den Bogen der politischen Einschätzung. Das ist die verfassungsrechtliche Problematik. Wir verlangen also, dass wir heute in die zweite Beratung einsteigen, damit Sie bei der Frage, wie Sie zum Thema Ehe für alle stehen, endlich mal Farbe bekennen; denn da ducken Sie sich weg. Viele von Ihnen halten auf den CSDs - auch dem nächsten CSD, der ansteht flammende Reden dazu, wie Sie für die Gleichstellung kämpfen, ({10}) aber hier im Parlament verweigern Sie die inhaltliche Debatte dazu, und dies seit über drei Jahren. Das darf man Ihnen so nicht durchgehen lassen. ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin. - In der GO-Debatte spricht für die SPD-Fraktion Dr. Johannes Fechner. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass sich die SPD bei diesem wichtigen Thema nicht verhalten würde, ({0}) dass wir uns nicht positionieren würden. Wir sind für die Ehe für alle. In Ihre Anträge haben Sie im Wesentlichen übernommen, was wir in der letzten Legislaturperiode beantragt haben. Für uns ist klar: Es darf keine Liebe erster und zweiter Klasse geben. Auch wir wollen die Ehe für alle, und zwar so schnell wie möglich, meine Damen und Herren. ({1}) Eines will ich festhalten: Die Fraktionen der Grünen, der Union und der SPD sind bei diesem wichtigen Thema stark vertreten - ihnen ist das Thema wichtig -, aber Sie von der Linken kommen mit fünf Personen in die Debatte zu diesem wichtigen Thema, und im Ausschuss waren Sie, Herr Kollege Petzold, alleine. Da kann auch niemand sagen, dass es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben würde. Wie oft haben Sie uns aufgefordert - etwa bei der Miete -, mit Ihnen zu stimmen! Bei diesem Thema gibt es wegen der mangelnden Sitzungspräsenz der Linken keine Mehrheit. ({2}) Insofern müssen wir mit unserem Koalitionspartner weiter daran arbeiten. Auch wir wollen alle Diskriminierungen abschaffen. ({3}) Wir wollen auch, dass Adoptionen durch homosexuelle Paare möglich sind. Das entscheidende Argument muss sein, ob Eltern liebevoll ein Kind großziehen können, ob sie es versorgen können. ({4}) Das darf aber nicht von der sexuellen Orientierung der Eltern abhängen. Das ist für uns ganz klar. ({5}) Ich höre, dass mit Herrn Spahn ein Regierungsmitglied und mit Herrn Günther ein aufstrebender Politiker aus Schleswig-Holstein dafür eintreten. Dasselbe gilt für Herrn Hirte und Herrn Kaufmann. Herr Hirte, ich darf Sie zitieren. Sie sagten: Wir sind ganz nah dran. - Sie haben sogar eine Grundgesetzänderung ins Spiel gebracht. ({6}) Insofern will ich als chronisch optimistischer Sozialdemokrat nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern mich wirklich bis zum Letzten dafür engagieren, dass wir in dieser Legislaturperiode die überfällige Regelung zur Ehe für alle bei uns in Deutschland schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Ich glaube, dass sich gute Ideen bei uns durchsetzen und dass wir deshalb weiter am Ball bleiben sollten. ({8}) Bei Frau Merkel gab es ja schon öfter, etwa beim Atomausstieg oder bei der Wehrpflicht, recht überraschende Wendungen. Insofern bin ich optimistisch. Ich glaube jedoch, dass Ihre Geschäftsordnungsanträge hier mehr kaputtmachen, dass sie wahltaktisch motiviert sind. Sie wollen uns hier vorführen, obwohl Sie genau wissen, wie die Abstimmung über die Anträge ausgehen wird. Deswegen: Geben Sie uns noch mehr Zeit! Lassen Sie uns noch weiter beraten! Die SPD-Fraktion wird beide Anträge ablehnen. ({9}) Warten Sie ab, wie die weiteren Beratungen im Ausschuss ablaufen! Die SPD-Fraktion will die Ehe für alle. Deswegen wollen wir weiter beraten. Vielen Dank. ({10})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Fechner. - Jetzt spricht für die Linke der Kollege Harald Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir diskutieren jetzt über einen Geschäftsordnungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen, gemäß dem wir sofort in die zweite und dritte Beratung von drei Gesetzentwürfen gehen sollen, die diesem Parlament seit Dezember 2013, seit Juni 2015 und seit Frühjahr 2016 zur Behandlung vorliegen. Erster Punkt. Das bisherige Vorgehen hat dazu geführt, dass sich die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die im Moment den Vorsitz im Bundesrat innehat, inzwischen an den Deutschen Bundestag gewandt hat und im Auftrag des Bundesrates energisch darauf gedrungen hat, dass mit dem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrates so verfahren wird, wie in Artikel 76 Absatz 3 Grundgesetz vorgeschrieben: Der Bundestag hat über die Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen. Ich finde, dass sich der Bundestag ein Armutszeugnis ausstellen würde, ({0}) wenn er dem energischen Appell der Vorsitzenden des Bundesrates, einen Gesetzentwurf des Bundesrates zu behandeln, nicht wenigstens Gehör schenken würde. Wenn Sie schon nicht die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen behandeln wollen, haben Sie wenigstens Respekt vor dem Bundesrat und behandeln Sie dessen Gesetzentwurf. ({1}) Zweitens. Mit dem Geschäftsordnungsantrag versuchen wir Oppositionsfraktionen durchzusetzen, dass das Recht auf das freie Mandat für die Abgeordneten wirklich zum Tragen kommt. Natürlich, Herr Kollege Fechner, macht es mich nicht froh, dass meine Fraktion hier nicht zahlreicher vertreten ist; die Kritik ist sicherlich berechtigt. Ich sage Ihnen aber auch: Sie zwingen uns kleine Oppositionsfraktionen - wie jetzt -, an sinnlosen Anhörungen teilzunehmen. Mitglieder unserer Fraktion müssen anwesend sein, obwohl wir schon festgestellt haben: Es geht um Anhörungen zu Gesetzentwürfen, die überhaupt nicht strittig sind, bei denen die Zustimmung überhaupt nicht infrage steht bzw. wir sie signalisiert haben. Aber Sie bestehen trotzdem darauf, dass diese Anhörungen durchgeführt werden, und verhindern damit, dass unser Personal an den Plenarsitzungen teilnehmen kann. Das kann nicht sein. Da das auf Veranlassung Ihrer Fraktion geschieht, muss ich daher Ihren Vorwurf zurückweisen. Mir geht es darum, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Definition „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ tatsächlich zur Geltung kommen kann. Das sage ich auch, damit auch Ihre Abgeordneten genau das tun können, was sie in der Öffentlichkeit und hier im Parlament ständig zusagen und was mindestens 40 bis 45 Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion, zumindest in der Öffentlichkeit, immer sagen, nämlich dass sie dafür sind, dass die Abstimmung freigegeben wird. Was hindert uns denn daran, die Abstimmung freizugeben? Die Union kann ihren Meinungsbildungsprozess doch trotzdem fortsetzen. Niemand von Ihnen muss unsere Meinung übernehmen. Sie können weiter in Ihrem Sandkasten buddeln, aber Sie können uns nicht verweigern, bei einer Abstimmung im Parlament von unserem Recht auf freies Mandat, nur unserem Gewissen unterworfen, Gebrauch zu machen. Darum geht es in dem Geschäftsordnungsantrag. Deswegen wird meine Fraktion dafür stimmen, dass wir die zweite und dritte Lesung hier gleich durchführen. Es geht schließlich auch darum, deutlich zu machen, dass die Zusagen, die von einzelnen Abgeordneten der Großen Koalition hier ständig gegeben werden, Bestand haben und diejenigen, die am lautesten rufen, dass sie dafür sind, endlich die Chance haben, dafürzustimmen und diesen Gesetzentwürfen eine Chance zu geben. Vielen Dank. ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzter Redner in dieser GO-Debatte spricht jetzt Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie ich gerade gelernt habe, ist der Grund dafür, dass wir sofort abstimmen müssen, dass man nicht genau weiß, welche Auffassung die Fraktionen vertreten. Es wurde gesagt, man müsse sich endlich einmal bekennen. Wenn Sie nicht wissen, welche Auffassung wir vertreten, wieso werfen Sie uns dann Respektlosigkeit und Homophobie vor? ({0}) - Ich weiß, dass bei den Grünen bei diesem Thema immer ganz große Aufregung herrscht; aber man kann manche Sachen auch ein bisschen ruhiger besprechen. Herr Kollege Petzold, man kann ja sehr unterschiedliche Auffassungen haben; aber wenn Sie meiner Fraktion vorwerfen „Die Ansicht der CDU ist Anlass für Verfolgung von Homosexuellen weltweit“, dann ist das nicht nur Unfug, sondern megagrober Unfug. Hören Sie auf, so einen Unfug zu behaupten. ({1}) Ich wäre ganz vorsichtig mit solchen Behauptungen. Fahren Sie gerne nach Guatemala und nehmen Sie das nächste Mal einen CDU/CSU-Kollegen mit, damit er selbst erklären kann, welche Auffassung wir dazu haben. ({2}) Jetzt zum Geschäftsordnungsantrag. Gerade in der Debatte, die ich verfolgt habe, ist doch deutlich geworden, wie groß die Unterschiede sind. ({3}) Diese müssen noch geklärt werden. Dafür gibt es die Ausschussarbeit. Es geht darum, das zu klären. Im Übrigen wäre ich vorsichtig, Herr Petzold, immer wieder zu fragen: Warum brauchen wir dann eine Anhörung? Nicht jeder, der bei diesem Thema eine andere Auffassung hat als Sie, ist homophob. ({4}) Er hat möglicherweise nur rechtliche Bedenken, oder er hat möglicherweise nur eine andere Auffassung. Diese Auffassung müsste man vielleicht auch einmal tolerieren, auch wenn man sie falsch findet. Es gibt im Ausschuss den Bedarf, die weiteren Informationsmöglichkeiten zu nutzen. ({5}) Im Übrigen erfordert es eine Zweidrittelmehrheit, den Ausschuss zu umgehen. Ich weiß nicht, wie Sie, liebe Grüne, auf die Idee gekommen sind, dass Sie im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen. Ihrem Optimismus möchte ich aber nicht im Wege stehen. ({6}) Der zweite Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, hat auch etwas mit Demokratie zu tun - hier wird ja immer erzählt, welche Leute welche Auffassung haben -: Wir werden durch die Wahl am 24. September feststellen, wer nach Auffassung der Mehrheit in Deutschland Verantwortung für dieses Land haben soll. Auch dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen, und wir werden darüber weiter diskutieren. Nur hören Sie auf, uns zu unterstellen, wir hätten mangelnden Respekt vor gleichgeschlechtlichen Paaren, vor Homosexuellen. Das ist wirklich neben der Sache. ({7}) Ich glaube, die Kollegen Hirte und Hoffmann haben sehr gut dargelegt, dass es um unterschiedliche Rechtsauffassungen geht. ({8}) Zum Thema Hilfsantrag: Wir haben unabhängige und freie Ausschussberatungen, und diese werden bestimmt von der Mehrheit im Ausschuss. Das ist klug so, weil im Ausschuss Entscheidungen im Plenum vorbereitet werden. ({9}) Die Tatsache, dass wir schon 16-mal über das Thema, das Sie hier vorbringen, diskutiert haben, verdeutlicht möglicherweise auch, dass meine Fraktion weit davon entfernt ist, ihre klare Auffassung zu diesem Thema - auch wenn wir innerhalb unserer Fraktion teilweise unterschiedliche Auffassungen vertreten - nicht deutlich zu sagen. ({10}) Das ist kein Grund, sich aufzuregen, aber eben auch kein Grund, direkt abzustimmen. Wir machen das so, wie wir das für richtig halten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir kommen zur Ab- stimmung über den Geschäftsordnungsantrag auf sofor- tigen Eintritt in die zweite Beratung der Gesetzentwürfe. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme dieses Antrags eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder er- forderlich ist. Wer stimmt für den sofortigen Eintritt in die zweite Beratung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Geschäftsordnungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei einzelnen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD-Fraktion abgelehnt. Da die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde, kommen wir nun zur Abstimmung über den hilfswei- sen Geschäftsordnungsantrag, den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zu verpflichten, dem Bundestag bis spätestens zum 31. Mai 2017 die Beschlussempfeh- lung und Berichte zu den Gesetzentwürfen vorzulegen. Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Geschäftsord- nungsantrag ist mit den gleichen Stimmen wie in der vo- rausgegangenen Abstimmung abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2017 Drucksache 18/11969 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wege in die Zukunft - Berufsausbildung jetzt modernisieren Drucksache 18/12361 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka. ({2})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich setze darauf, dass die nachfolgenden Redner in dieser Debatte sicherlich etwas dazu sagen werden, wie wichtig das duale Ausbildungssystem ist und wie wir international dastehen. In dieser Hoffnung will ich an dieser Stelle darauf verzichten. Ich möchte mich zu dem äußern, was der Berufsbildungsbericht liefert. Er zeigt, wo wir im Moment in Deutschland stehen und wie die Situation ist. Zu Beginn möchte ich auf drei positive Botschaften hinweisen, die in diesem Bericht enthalten sind. Die erste positive Botschaft ist, dass es für 100 junge Menschen, die im Moment einen Ausbildungsplatz suchen, 104 Ausbildungsplatzangebote gibt. ({0}) - Im Durchschnitt, klar. - Wir haben in der Allianz für Aus- und Weiterbildung das realisiert, was Bündnis 90/ Die Grünen in ihrem Antrag fordern, nämlich eine Garantie, einen Pfad für jeden einzelnen Auszubildenden. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein großer Erfolg. Das gab es in Ihrer Regierungszeit nie. Die zweite positive Botschaft ist, dass die Zahl der Ausbildungsverträge stabil geblieben ist. Das ist angesichts der demografischen Entwicklung - sie müsste eigentlich dazu führen, dass weniger geschlossen werden eine gute Leistung. Der dritte positive Befund ist, dass von denjenigen Jugendlichen, die einen höheren Schulabschluss haben, die also, wenn sie wollten, sofort studieren könnten, ein größerer Anteil als noch vor einigen Jahren in die berufliche Ausbildung geht. Das ist das, was wir wollen und wofür wir werben. Aber man kann in diesem Bericht nicht nur positive Botschaften lesen. Es gibt auch problematische Befunde. Zum einen steht dort, dass die Zahl der Ausbildungsverträge, die von kleinen und mittleren Unternehmen geschlossen werden, Jahr für Jahr rückläufig ist. Die Großbetriebe kompensieren dies zum Teil. Deswegen haben wir eine entsprechende Initiative gestartet. Wie kann man die kleinen und mittleren Unternehmen im großen Maßstab unterstützen? Hier gibt es zum Beispiel unser Jobstarter-Programm. Wie kann man Konstrukte der Verbundausbildung bilden? Hier müssen wir noch vieles andere mehr machen; denn das ist ein Problem. Der zweite negative Befund ist, dass die Relation, dass auf 100 junge Menschen 104 Ausbildungsplätze kommen, nur den Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Es gibt regional große Unterschiede. In den neuen Bundesländern und in Bayern gibt es zu wenig Jugendliche für die vorhandenen Ausbildungsplätze. Zum Beispiel in den großen Städten in Nordrhein-Westfalen gibt es viele suchende Jugendliche. Deswegen brauchen wir hier staatliches Handeln. Marktmechanismen werden dieses Problem nicht regeln. Wir hatten im Jahr 2000 eine ähnliche Situation im Bereich der Studierenden. Dort haben wir durch den Hochschulpakt eine Mobilität, die es vorher nie gab, erzeugt. Wir müssen jetzt versuchen, Mobilität bei den potenziell Auszubildenden zu erreichen. Das haben wir wettbewerblich ausgeschrieben, um verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren: Baut man Internate? Macht Vizepräsidentin Michaela Noll man Fahrkostenzuschüsse? Wie regelt man das? Denn es wird sich nicht automatisch ergeben. ({1}) Der dritte negative Befund ist das, was wir hier schon mehrfach diskutiert haben: das Matchingproblem. Wir brauchen präventiv eine individuelle Beratung von jungen Leuten in der siebten, achten Klasse. In dieser Legislaturperiode haben wir über 500 000 junge Leute mit Beratungsangeboten erreicht. Wir haben in diesen Bereich 1,2 Milliarden Euro hineingesteckt. Das müssen wir in den nächsten Jahren zum Regelangebot machen. Wir müssen den Ländern auch nicht vorschreiben, wie sie am besten beraten. Die Berufsjugendagenturen aus Hamburg sind ein sehr vernünftiges Modell. Ich hatte alle Kultusminister angeschrieben und ihnen gesagt, dass wir hier unterstützen. Wir können das sehr unterschiedlich machen. Derzeit haben wir, glaube ich, schon zehn Verträge mit einzelnen Bundesländern geschlossen. Wir sagen ihnen nicht, was sie machen müssen und wofür es dann Geld gibt. Es wird in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Dort gibt es gewachsene Strukturen, aber auch Mängel. Von daher fördern wir sehr unterschiedlich: mal im Gymnasium, mal an anderer Stelle. Das läuft; das ist für die nächsten Jahre organisiert. ({2}) Es gibt zwei große Herausforderungen. Die erste große Herausforderung ist, die vielen jungen Flüchtlinge in das Ausbildungssystem zu bringen, zu integrieren. Was wir rechtlich gemacht haben - „3 plus 2“ -, ist allen hier bekannt. Was wir zusammen mit den Handwerkskammern mit unserem großen Programm für 10 000 Jugendliche angestoßen haben, läuft. Das Problem an der Stelle ist, genügend Jugendliche zu finden, die bereit sind und es auch leisten können. Deswegen ist es ganz wichtig, dass das Übergangssystem, das Jahr für Jahr, angefangen bei über 400 000, reduziert wurde, jetzt wieder einen leichten Aufwuchs erfährt, was vielleicht von einigen als negativ angesehen wird. Das ist aber zwingend notwendig. Denn: Wenn wir das nicht haben, dann verwehren wir den jugendlichen Flüchtlingen, die nach den Integrationskursen sprachlich nicht in der Lage sind, sofort eine Ausbildung zu beginnen und in eine Berufsschule zu gehen, diese Chance. Das ist eine Chance für die jungen Flüchtlinge und kein Punkt, den wir negativ adressieren sollten. ({3}) Die letzte große Herausforderung ist die Digitalisierung. Wir haben sowohl in Hardware, also Förderung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, als auch in die Kompetenzen der beruflichen Ausbilder investiert, auch für die nächsten Jahre die Gelder schon reserviert. Auf diesem Weg werden wir weitergehen. Die Länder sind für das Thema digitale Bildung originär zuständig. Aber wir alle wissen, dass es oftmals die Berufsschulen sind, die den größten Nachholbedarf haben, was die Ausstattung angeht. Deswegen ist mein Angebot der Digitalpakt. Wir vonseiten des Bundes geben richtig Geld - das können wir an der Stelle -, um alle 40 000 Schulen und insbesondere die Berufsschulen zu erreichen, aber unter der Bedingung, dass die Pädagogik Priorität haben muss. Das Ganze macht nur Sinn, wenn geklärt ist, was die Länder leisten und wie im Rahmen von Lehrerbildung, Lehrerfortbildung die Akzeptanz bei Lehrern für diese Aufgabe erzeugt werden kann. Zunächst gab es bei den Ländern keine große Begeisterung. Sie hatten zwar in der KMK eine Digitalstrategie entwickelt, die in vielen Punkten auch sehr klug ist, aber es waren keine länderübergreifenden Maßnahmen dabei, die für einheitliche Standards sorgen und die die Finanzierung sichern. Jetzt sind die Länder bereit, und wir diskutieren. Wir haben mehrere Runden gedreht. Wir sind fast fertig mit den Eckpunkten eines solchen Digitalpaktes, mit einer sehr konstruktiven Herangehensweise vonseiten der Länder. Darüber bin ich sehr froh. Denn das ist die einzige Chance, dass wir es vollfinanziert bekommen. Das gelingt aber nicht, wenn einer sich etwas wünscht und die anderen nicht mitmachen. Ich habe in der letzten Zeit eine Frühjahrsreise zum Thema „Schwerpunkt berufliche Bildung“ gemacht, mit ganz vielen interessanten Stationen, die wir gar nicht so im Blick haben, zum Beispiel Binnenschiffer. Das ist ein interessanter Beruf. Die Binnenschiffer sind in der Regel nicht stationär tätig, sondern viel auf ihren Schiffen unterwegs. Die Weiterbildung und berufliche Bildung mittels Digitalisierung eröffnet ihnen Chancen, die sie noch nie hatten. Das wird das ganze Berufsbild und die Qualifizierung dort verändern. Ein Punkt, der mich bei der Digitalisierung besonders beeindruckt hat und den ich vorher so nicht erwartet habe, ist folgender: Es war mir natürlich klar, dass man nur noch den Arm heben muss, um einen Roboter zu veranlassen, schwere Dinge zu heben. Das ist körperlich eine Entlastung. Aber es bietet auch für Menschen mit körperlichen Handicaps eine Möglichkeit der Berufsausübung. Ich habe in den Hannoverschen Werkstätten zum ersten Mal die Möglichkeit gesehen - und das hat mich tief beeindruckt -, mit den Mitteln der Digitalisierung und durch die Rehabilitationspädagogik von Dortmund für Menschen mit geistigem Handicap ein Berufsleben zu ermöglichen, das so bisher nicht möglich war. Für diese Menschen wird damit die Chance auf ein erfülltes Leben eröffnet. Ich denke, es sollte uns alle freuen, dass die Digitalisierung - wir müssen natürlich auch über die Probleme, Geld und anderes reden - gerade im Bereich der beruflichen Ausbildung vielen Menschen eine sichere Chance geben wird. Deswegen: Danke schön, dass wir das heute hier diskutieren. ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Frau Ministerin Wanka. - Als nächste Rednerin spricht Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Frau Kollegin Wanka, Sie haben vorhin gesagt, dass sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt stabilisiert hat, und Sie haben das als einen Erfolg dargestellt. „Stabilisiert“ ist die beschönigende Umschreibung der Tatsache, dass sich eigentlich nichts zum Besseren bewegt. ({0}) Ich könnte die Zahlen aus dem Berufsbildungsbericht 2014 zitieren. Sie würden es nicht merken. Die Allianz für Aus- und Weiterbildung ist Ende 2014 ins Leben gerufen worden, um die erkannten und zugestandenen Defizite auf dem Ausbildungsmarkt zu beseitigen. 20 000 Ausbildungsplätze mehr sollten innerhalb eines Jahres zur Verfügung gestellt werden. Jetzt sind zwei Jahre vorbei, und es sind gerade einmal 5 000 gewesen. Nicht einmal 700 betriebliche Ausbildungsverträge mehr als 2014 wurden abgeschlossen - und das bei etwa 500 000 Ausbildungsverträgen. Dafür ist die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber, die bis zum 30. September keinen Ausbildungsvertrag abschließen konnten, wie die Jahre zuvor etwa bei 80 000 anzusetzen. 185 000 junge Menschen haben sich vor dem Jahr 2016 schon einmal beworben, und 298 000 befinden sich wieder im Übergangsbereich. Auch wenn man zugestehen muss, dass darunter eine große Zahl zu uns gekommener geflüchteter junger Menschen ist - das will ich gerne eingestehen -, ist die Sockelzahl nach wie vor fix, und es geht nicht wirklich etwas voran. Wie man diese Bilanz loben kann, erschließt sich mir nicht. ({1}) Ich sehe vielmehr viele junge Menschen, die sich ihren Wunsch nach einer guten Berufsausbildung nicht erfüllen können. Darum hört sich die Pressemeldung der Allianz für Aus- und Weiterbildung aus dem März dieses Jahres auch ein bisschen wie das berühmte Pfeifen im Walde an. Sie haben das mit „Duale Ausbildung hat Zukunft!“ überschrieben. Ja, sicher, aber nur, wenn die Unternehmen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und sich auch an der Ausbildung von Fachkräften beteiligen. Die Zahl der Unternehmen, die ausbilden, ist aber weiter gesunken. Nur noch jeder fünfte Betrieb bildet überhaupt aus. Das Einzige, was seit Jahren in beachtlicher Weise wächst, ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze. Inzwischen sind es 43 000. Die Jugendlichen seien nicht ausbildungsreif, sagen viele Betriebe. Ich weiß eigentlich nicht, was das soll. Es gibt bundesweit 329 Programme, die Menschen bei der beruflichen Ausbildung unterstützen sollen. Doch die wenigsten erreichen eine Flächenwirkung. Selbst das hochgelobte Programm für Berufseinstiegsbegleitung ist nicht für eine flächendeckende Versorgung vorgesehen, wie wir jüngst der Antwort der Bundesregierung entnehmen konnten. Wen wundert es da, dass junge Menschen auf dem Weg zum Beruf verzweifeln und es eine große Anzahl Erwachsener gibt, die keine abgeschlossene Berufsausbildung hat? Fast ein Viertel der Ausbildungsverträge wird aufgelöst; in der Gastronomie ist es sogar fast jeder zweite. All diese Zahlen, die das Bundesinstitut für Berufsbildung Jahr für Jahr kritisch und akribisch aufrechnet, sind eigentlich ein Skandal. ({2}) Das können noch so viele Allianzen nicht richten. Frau Ministerin, ein Pfad ist keine Garantie. Wir brauchen endlich einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz und eine verlässliche Ausbildungsfinanzierung. Daran müssen sich alle Branchen und alle Unternehmen beteiligen; denn Fachkräfte brauchen sie irgendwann alle. ({3}) Außerdem muss endlich Schluss damit sein, dass künftige Pflegekräfte, Hebammen, Physiotherapeuten und auch Erzieherinnen ihre Ausbildung selber finanzieren müssen und dann noch nicht einmal eine Ausbildungsvergütung erhalten. Ein Skandal ist es auch, dass selbst bei den dualen Berufen die Ausbildungsvergütung teilweise bei gerade einmal 300 Euro im Monat liegt, was nur durch eine Mindestausbildungsvergütung zu beenden ist. ({4}) Es muss etwas für die Verbesserung der Ausbildungsqualität getan werden. All das könnte im Berufsbildungsgesetz besser geregelt werden. Darum ist es völlig unverständlich, warum sich die Koalition und die Bundesregierung weigern, das Berufsbildungsgesetz endlich dahin gehend zu novellieren. Darum haben wir im Bundestag einen Antrag vorgelegt, der schon an den Ausschuss überwiesen wurde. Er wird dann im Zusammenhang mit diesem Bericht beraten werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie endlich aus den Puschen! Machen Sie Nägel mit Köpfen, statt auf weitere Appelle zu setzen oder sich auf Allianzen zu verlassen, die offensichtlich nichts bringen. Vielen Dank. ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Hein. - Als Nächster spricht Herr Rainer Spiering für die SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin Wanka! Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich sehe, es sind eine Menge junger Leute da. Das finde ich ausgesprochen begrüßenswert. Es geht ja um sie. Den Berufsbildungsbericht 2017 kann man mit folgenden Worten überschreiben: Nichts Neues aus dem Berufsbildungsbereich. Beruhigend, zufriedenstellend? Für mich eher ernüchternd. Wir treten auf der Stelle. Ministerien haben bekanntlich ein bestimmtes Beharrungsvermögen. Bei der Berufsbildung stimmt das für das Bildungsministerium auf jeden Fall. Ich finde es erstaunlich, dass es in den letzten drei Jahren so wenig Bewegung gab. Lassen Sie mich kurz etwas zum BBiG sagen. Die Berufsbildung ist ein lebendiger Bereich, bewegt sich schneller als viele andere Bereiche und bedarf deswegen der Anpassung. Wir befinden uns in einem Interessenskonflikt der unterschiedlichen Beteiligten: der Handwerkskammern, der IHK und der Gewerkschaften. Auch unsere eigenen Interessen kommen hinzu. Weil wir diesen Interessenskonflikt nicht aushalten, sind wir an die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes nicht herangegangen. Diesen Kampf haben wir nicht ausgefochten und damit jungen Menschen eine Perspektive verwehrt, die sie unbedingt brauchen. ({0}) Wir hätten, glaube ich, im Berufsbildungsgesetz mehrere Fragen beantworten können: Rechtsstellung des Ehrenamtes bzw. Freistellung für das Ehrenamt, Durchstiegsmöglichkeiten von zwei- und dreieinhalbjähriger Ausbildung, Korrektur der Berufsschulzeit mit Blick auf über und unter 18-Jährige und - das wurde eben schon angesprochen - Regelung des dualen Studiums. Da hätten wir etwas tun müssen, weil das duale Studium für viele wirklich eine Zukunftsperspektive darstellt. Vertane Zeit, vertane Chancen und Probleme für die Zukunft! Im Sinne von jungen Menschen, dem Staat, unseren Interessen und den wirtschaftlichen Interessen müssen wir uns von Partikularinteressen lösen. Wir haben mehrere Problemfelder im Bereich der Berufsbildung. Auf der einen Seite haben wir ein Fachkräfteproblem. Das ist real vorhanden. Das schädigt uns als Standort. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass wir viele junge Menschen nicht dahin bringen können, wo sie mit ordentlicher Arbeit ordentlich Geld verdienen können und sich so selber ernähren können. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Man muss deutlich sagen, Frau Ministerin: Wenn man sich mit den realen Zahlen auseinandersetzt, dann werden auch Sie feststellen, dass sich die Großindustrie in den vergangenen 20 Jahren deutlich stärker aus der Ausbildung verabschiedet hat, als es die Handwerks- und mittelständischen Unternehmen gemacht haben. Dazu werde ich eine Zahl nennen. Die Ausbildungsquote lag vor 30 oder 40 Jahren bei großen Industrieunternehmen noch zwischen 5,5 und 7 Prozent. Heute können Sie froh sein, wenn die Ausbildungsquote bei VW bei 3 Prozent liegt. Das hat ganz klare Auswirkungen. Den großen Betrieben fehlt nämlich das Facharbeiterreservoir, das sie dringend brauchen. Auch fehlt die Entlastung des Arbeitsmarktes. Ich bin mir sicher: Wenn wir den Ausbildungsmarkt besser steuern würden - Stichwort „Schweinezyklus“ -, dann hätten wir deutlich bessere Möglichkeiten. In den Jahren 2003, 2004 und 2005 haben junge Leute händeringend Ausbildungsplätze gesucht. Ihnen ist gesagt worden: Ihr seid nicht ausbildungsfähig, ihr seid nicht ausbildungswillig. - Dann hat man die Leute vor der Tür stehen lassen. Daraufhin haben wir das Übergangssystem entwickelt und, und, und. Das hat der Staat zwar gut gemacht, aber ich muss auch deutlich an die Verantwortung der Industrie erinnern: Das sind die Arbeitskräfte, die ihr braucht. Ihr braucht sie für euren Fortbestand. Dafür müsst ihr auch etwas tun. ({1}) Lassen Sie mich das mit einer Zahl unterlegen. Es gibt eine bemerkenswerte Studie der IG Metall. In der wird beschrieben, dass die Ausbildungsquote in Deutschland im Maschinenbau 6,5 Prozent beträgt. Das ist eine ordentliche Zahl. Die IG Metall sagt: Wenn alle der uns angeschlossenen Industriebetriebe im Metall- und Elektrobereich mit der Quote ausbilden würden, dann müssten sie 60 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Ich finde, aus der Verantwortung dürfen wir die Industrie nicht entlassen. ({2}) Dasselbe gilt übrigens für Banken und Sparkassen wie natürlich auch für uns, die öffentliche Hand. Wir alle bilden deutlich weniger aus, als wir könnten. Ich halte es übrigens für ausgesprochen gefährlich, Frau Hein, zu sehr auf die außerbetriebliche Ausbildung zu setzen. Ich war gerade mit anderen Ausschussmitgliedern in Israel und Jordanien, und wir wurden gefragt, wie wir das in Deutschland machen. Gerade die Komplexität des praktischen Tuns am Ausbildungsplatz mit der Ausbildung in der Schule ist weltweit einzigartig. Deswegen kann ich nur dazu auffordern, alles zu tun, um junge Menschen wie auch immer in Ausbildungsbetriebe zu bringen. Wenn wir Betriebe dabei unterstützen müssen, dann mögen wir dies tun. Aber ich sage noch einmal: Wir können die großen und mittleren Betriebe nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Es kann nicht sein, dass ein Handwerker in der Region Wolfsburg, wo VW angesiedelt ist, das Nachsehen hat, weil VW 4 Euro pro Stunde drauflegt. Das ist nicht in Ordnung, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) - Dazu komme ich jetzt. Die Kernkompetenz der dualen Berufsausbildung bietet vor allem - darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen; das ist, wie Sie wissen, das Steckenpferd, auf dem ich gerne herumreite - die Berufsschule. Ich habe mich mit der Ausbildung bei VW beschäftigt: Sie ist phänomenal. Ich war so begeistert. Mehr geht nicht. Das kann ein kleiner Handwerksbetrieb nicht leisten. Es gibt nur eine Einrichtung, die man dazu befähigen kann, und zwar die Berufsschule. Frau Wanka, an diesem Punkt bin ich nicht bei Ihnen: Wenn Sie jetzt dabei sind, länderübergreifend etwas zu tun, dann finde ich das zwar gut. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Kraft ihres Geldes in der Verantwortung, dem Berufsbildungsbereich bzw. den Berufsschulen deutlich mehr Mittel zuzuführen, und zwar nicht nur im IT-Bereich, sondern auch für die technische Ausstattung, die Raumausstattung und vor allem für die Ausbildung der Berufsschullehrer, dem Herzblut der Schule. In dem Bereich sind wir nach dem, was ich beobachtet habe, in den letzten vier Jahren schlecht gewesen. ({4}) - Da müssen wir nicht über die Länder reden, Kollege. Wir sind zuständig, Stichwort BBiG, Berufsbildungsgesetz. Wir haben das Geld. Sie werden das übrigens merken. Alle, die aus Nordrhein-Westfalen kommen, werden ab morgen umdenken. Sie werden nämlich auch den Bund in Anspruch nehmen, und zwar mit Recht. Das ist eine Aufgabe, die nur der Staat im Ganzen stemmen kann. Es ist eine Riesenaufgabe. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die Autonomie der Universitäten hinweisen. Es kann keine Anweisung eines Kultusministers an eine Universität geben, etwas zu tun. Denn wir haben die Autonomie der Universitäten, und wir können nur durch großangelegte Bemühungen um entsprechende Pakte versuchen, die Universitäten davon zu überzeugen, diesen Bereich zu stärken. „Was ist zu tun?“, haben Sie mich gefragt. Ich habe mir heute Morgen ebenfalls diese Frage gestellt. Ich habe eine begabte Tochter - hoffentlich bekomme ich jetzt zu Hause keinen Ärger -, die mittlere Reife gemacht hat und die dann über den zweiten Bildungsweg in Bibelwissenschaften promoviert hat. Hätte ich ihr nach der mittleren Reife empfehlen sollen, eine Ausbildung zur Friseurin zu machen? Ich glaube, das berufliche Bildungssystem ist auch deshalb in einer Schräglage,

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- weil unsere Angebotssituation auch in den tarifären Bereichen für die jungen Leute nicht gut genug ist. Das heißt, wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Angebotssituation für die jungen Leute in den Betrieben es ihnen schmackhaft macht, in die Betriebe zu gehen. Ein Abschlussbeispiel.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Es ist keine Zeit mehr für Abschlussbeispiele.

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ein Abschlussbeispiel: Eine examinierte Krankenschwester in der Schweiz bekommt als Absolventin 4 000 Franken Gehalt. Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Absolventinnen und Absolventen unserer Berufsausbildungssysteme auch einen Anspruch auf ordentliche und faire Entlohnung haben. Herzlichen Dank. ({0})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste spricht die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Walter-Rosenheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004221, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Vielleicht ist dies der letzte Berufsbildungsbericht, Frau Ministerin, den Sie als Ministerin für Bildung zu verantworten haben. Ich finde trotzdem, dass Ihre Rede vom schönen Schwanengesang noch ein Stück entfernt war. Dennoch denke ich, dass heute ein guter Zeitpunkt ist, Bilanz zu ziehen. Wie sieht es also aus nach fast vier Jahren Großer Koalition? Wie steht es um die berufliche Bildung in Deutschland? Der Übergangsbereich war schon im Jahr 2013 mit 258 000 jungen Menschen viel zu groß. Zwei Jahre später ist er auf 271 000 angewachsen. Heute gibt es ganze 300 000 Neuzugänge in diesem Maßnahmendschungel. Das ist doch kein Erfolg. ({0}) Nein, das sind 300 000 junge Menschen, denen Sie in fast vier Jahren Regierungsverantwortung keine bessere Perspektive bieten konnten. Es sind 300 000 junge Menschen, die oftmals sinnlose Warteschleifen drehen, anstatt eine echte Ausbildung zu beginnen. Und dafür sind Sie politisch verantwortlich. Sie hätten das Übergangssystem reformieren können. ({1}) Dumm nur, dass Sie selbst seit Jahren in der Warteschleife hängen. Wachen Sie auf, und lassen Sie uns die Potenziale fördern, statt Geld in teuren Maßnahmen zu versenken! Lassen Sie uns gemeinsam eine Ausbildungsgarantie schaffen! Das ist gut für die Jugendlichen, die eine Ausbildung bekommen und echte Wertschätzung erhalten, und das ist gut für die Wirtschaft, der schon heute der Nachwuchs fehlt; Sie haben es ja selbst gesagt, Frau Wanka. Ich komme zum nächsten Punkt, zur Ausbildungsbetriebsquote. Sie ist auf einem historischen Tiefstand. Das war seit Beginn der Wahlperiode in jedem Jahr so. Mittlerweile bildet nur noch jeder fünfte Betrieb aus. Was haben Sie dagegen getan? Nichts, überhaupt nichts. Beenden Sie diesen Sinkflug! Schaffen Sie Anreize für Unternehmen, damit diese endlich wieder mehr ausbilden können! ({2}) Wie wir Grüne uns das vorstellen, haben wir in unseren Anträgen oft gezeigt. Wir wollen den Übergangsdschungel reformieren, überbetriebliche Ausbildungsstätten fördern und Jugendliche passgenau unterstützen. Da müssen Sie ran. Ich komme zum Thema Matching, das auch Sie, Frau Ministerin, angesprochen haben. Jugendliche und Betriebe finden nicht mehr zusammen. Betriebe bieten Ausbildungsplätze dort an, wo es keine Bewerber gibt, und andersherum. Diesen Befund bescheinigt uns der Berufsbildungsbericht aber schon seit Jahren. Sie haben sich diesem Problem trotzdem nie gestellt. Wie kann es sonst sein, dass auch im letzten Ausbildungsjahr wieder 43 500 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben sind, während rund 80 600 Bewerber als unversorgt gelten, von den 300 000 im Übergangssystem zwischengeparkten Jugendlichen einmal ganz abgesehen? Das, sehr geehrte Frau Ministerin, ist das Ergebnis Ihrer Arbeit. Ich finde, es ist ein schlechtes Ergebnis. ({3}) Auch von der Digitalisierung sprechen die Autoren des Berichts nicht erst seit gestern. Anstatt die berufliche Bildung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, haben Sie bisher nur eine Nebelkerze nach der anderen gezündet. ({4}) - Doch! - Da sinnierte zum Beispiel der damalige Bundeswirtschaftsminister über einen Berufsschulpakt, der sich danach als so klein entpuppte, dass er selbst mit der Lupe in keinem Haushalt zu finden ist. ({5}) Wenn Sie die beruflichen Schulen wirklich fit für das digitale Zeitalter machen wollen, wenn Sie die Lehrerinnen und Lehrer bei der Integration von Geflüchteten wirklich unterstützen wollen, dann frage ich mich schon, warum Sie unserem Haushaltsantrag im vergangenen Jahr nicht zugestimmt haben. 500 Millionen Euro pro Jahr wären dann bei den beruflichen Schulen gelandet. Auch in der CDU mögen Sie ja die Digitalpakte. Dort sind sie aber so digital, dass sie im analogen Haushaltsentwurf gar nicht erst zu finden sind. ({6}) 5 Milliarden Euro sollten in die digitale Ausstattung der Schulen fließen. Genau diese 5 Milliarden Euro drohen wegen der Erhöhung des Verteidigungsetats jetzt unter die Räder zu kommen. ({7}) Ja, Aufrüstung statt Bildungsinvestitionen, Panzer statt Whiteboards - das ist eine Bilanz, die keine Bildungsministerin zu verantworten haben sollte. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben doch nicht in einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat. Eine Bildungspolitik, die die Gesellschaft wirklich voranbringen will, eine Politik, die Probleme nicht nur in Berichten darstellen, sondern auch lösen will, erfordert Mut. Geben Sie sich einen Ruck, und stoßen Sie wenigstens in Ihrem letzten Haushaltsentwurf die wichtigen Zukunftsinvestitionen und Reformen an, von denen am Ende die ganze Gesellschaft profitiert. ({9}) Es wäre doch schade, wenn diese Legislatur wirklich so endet, wie sie begonnen hat, nämlich als maximale Koalition der minimalen Ergebnisse. ({10})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank. - Als Nächste spricht Uda Heller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uda Heller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbst auszubilden, ist die beste Art für einen Betrieb, sich gute Fachkräfte zu sichern und damit auch wettbewerbsfähig zu bleiben. Ohne Lehrlinge sieht man im wahrsten Sinne des Wortes alt aus. Das sagte mir ein Unternehmer, in dessen Betrieb der Altersdurchschnitt bei 60 Jahren lag. Nach diesem Grundsatz handelte er und erhielt im vorigen Jahr von der Bundesagentur für Arbeit das Zertifikat für hervorragende Arbeit in der Nachwuchsförderung. Als Politiker im Bildungsbereich wünscht man sich natürlich solche vorbildlichen Ausbildungsbetriebe und Erfolgsgeschichten. Die Realität sieht jedoch nicht immer ganz so positiv aus. Im Mittelstand sind viele Branchen vom Fachkräftemangel betroffen, allerdings regional sehr unterschiedlich; das möchte ich betonen. Sinkende Schulabgängerzahlen und die unausgewogene Studien- und Berufsorientierung an Gymnasien in Richtung akademischer Studiengänge führen leider dazu, dass viele Schülerinnen und Schüler die guten Einkommens- und Karriereperspektiven, die ihnen das duale Ausbildungssystem bietet, nicht richtig einschätzen können. Es ist beunruhigend, dass mittlerweile nur noch 12 Prozent der Kleinstbetriebe ausbilden. Besetzungsprobleme ergeben sich vor allem durch regionale und berufsspezifische Unterschiede bei Angebot und Nachfrage dualer Ausbildungsstellen. Einerseits fehlen die Bewerber, andererseits sind die kleinen Betriebe nicht in der Lage, ebenso viel Zeit und Kraft in eine Ausbildung zu investieren wie größere Unternehmen. Sie müssen viel Geld in eine Ausbildung investieren und sind deshalb bemüht, dass junge Menschen fester Bestandteil des Unternehmens bleiben. Das ist ein wichtiger Vorteil, den das Studium nicht bieten kann. Die Bundesregierung unterstützt mit soliden Maßnahmen wie zum Beispiel mit der Assistierten Ausbildung, dem Programm Jobstarter plus oder auch mit der Förderung überbetrieblicher Bildungsstätten vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen. Um die berufliche Bildung zusätzlich zu stärken, wurde die Allianz für Ausund Weiterbildung als gemeinsame Handlungsplattform geschaffen. Wenn Sie den Bericht richtig lesen, können Sie zahlreiche Maßnahmen feststellen, wo die Allianz bereits gewirkt hat. Meine Damen und Herren, Kompetenzvermittlung muss bereits in der Schule beginnen. Dies machte mir ein Beispiel auf einer Logistikmesse deutlich. Die Anforderung, hochmoderne und millionenteure technische Geräte wie zum Beispiel landwirtschaftliche Maschinen, Busse usw. zu bedienen, erfüllen nur noch wenige Bewerber. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen. Auch Betriebe anderer Branchen sind mit dem Dilemma mangelnder Ausbildungseignung junger Menschen konfrontiert. Dieses Argument werden Sie immer wieder hören. Deshalb ist es umso notwendiger, Berufsorientierung endlich an allen Schulformen - speziell an unseren Gymnasien - durchzusetzen. Da wir im Bund nicht über schulische Inhalte und Lehrpläne zu befinden haben, lautet meine Forderung an die Bildungsminister der Länder: Die Berufsorientierung muss in allen Schulformen verpflichtend und im Lehrplan verankert sein. Was wir brauchen, ist eine solide, langfristige und auf Praxis angelegte Berufsorientierung. Da sind Maßnahmen wie der ehemalige polytechnische Unterricht kein alter Hut, sondern praxistauglich. Es ist wichtig, die beteiligten Akteure - Schüler und Lehrer - mehr in die Veränderungen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes einzubeziehen. ({0}) Die Herausbildung von Schlüsselkompetenzen, die Überprüfung der Ausbildungsreife und die Förderung praktischer Fähigkeiten dürfen dabei nicht wegfallen. Ich empfehle, dass wir die Agenturen für Arbeit und damit die Fachleute im Bereich der Berufsberatung mehr von bürokratischer Arbeit entlasten, damit sie regelmäßig vor Ort, also an den Schulen, tätig werden können. Das ist sowohl für Schüler als auch für Lehrer, die sich im Angebotsdschungel orientieren sollen, hilfreich. ({1}) Meine Damen und Herren, im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verwundert mich die Aussage, wir hätten politisch nicht gehandelt und nur kleine Schritte gemacht. Natürlich ist man in der Opposition angehalten, Kritik zu üben. Tatsachen sollte man aber zur Kenntnis nehmen und die Schwerpunkte der Bundesregierung im Jahr 2016 noch einmal aufmerksam lesen. Ich glaube, Sie wollen einfach nicht begreifen, dass wir für viele Aufgaben in der Bildung, die Sie gerne angehen möchten, nicht zuständig sind. Bildungspolitik ist nur dann erfolgreich, wenn jede einzelne politische Ebene ihren Beitrag leistet. Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht. Aber man muss ihnen auch Zeit geben, zu wirken. Verehrte Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute nach drei Legislaturperioden die letzte Rede in diesem Hohen Haus gehalten. Ich verlasse freiwillig die politische Bühne und bin dankbar, dass ich in den Bereichen Landwirtschaft, Tourismus, Bildung und Forschung arbeiten durfte und einiges für mein Bundesland Sachsen-Anhalt und den Wahlkreis 74 erreichen konnte. Dankbar bin ich auch Ihnen, Frau Ministerin, den Staatssekretären, den Referenten und allen Mitgliedern des Ausschusses für die stets kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Heller. - Als Nächster spricht der Kollege Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Debatten über berufliche Bildung sollten wir immer auch den Wert des Systems und seine internationale Anerkennung betonen. Sie ist tatsächlich ein Prunkstück des Bildungssystems. Es geht aber auch darum, dass wir über das Bekenntnis zur beruflichen Bildung hinausgehen und konkret handeln. Ich will einen kritischen Punkt ansprechen, den auch der Kollege Spiering angesprochen hat. Ich glaube, es ist das falsche Signal in dem System der beruflichen Bildung, das im Wandel ist, das vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt ist und in dem es neue Wege gibt, zu sagen, wir hätten keinen Bedarf zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes. ({0}) Wir haben unserer Meinung nach eine Chance verpasst, Dinge konkret zu verbessern, zum Beispiel Freistellungszeiten für die ehrenamtlichen Prüfer zu ermöglichen und bessere Standards bei der Weiterbildung zu erreichen. Das alles haben wir in dieser Wahlperiode verpasst. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit ihrer Einschätzung falsch gelegen hat. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in der nächsten Wahlperiode die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes entschlossen anpacken. ({1}) Der Berufsbildungsbericht zeigt aus meiner Sicht, dass die aktuelle Debatte, die unter der Überschrift „Akademikerwahn“ geführt wird, keine große Berechtigung hat und in die falsche Richtung führt. Es geht nicht um das Ausspielen von akademischer gegen berufliche Bildung, sondern es geht um gleiche Wertschätzung. Es geht darum, dass die Trennung zwischen akademischer und beUda Heller ruflicher Bildung immer mehr aufweicht. Das lässt sich auch an den Zahlen des Berufsbildungsberichtes ablesen. Die Ministerin hat gerade darauf hingewiesen: Immer mehr Auszubildende beginnen eine Ausbildung mit einer Hochschulzugangsberechtigung, mehr als ein Viertel mittlerweile. Sie wünschen sich nicht eine Sackgasse nur berufliche Bildung oder nur akademische Bildung -, sondern immer mehr von ihnen interessieren sich für eine sinnvolle und gute Kombination von beruflichen und akademischen Inhalten. Deswegen müssen wir das als Herausforderung begreifen und mehr für die Durchlässigkeit von akademischer und beruflicher Bildung in beiden Richtungen tun. Das heißt, wir brauchen neue Wege. Wir brauchen den Bachelor auf der Grundlage einer beruflichen Ausbildung, verknüpft mit akademischen Inhalten. Wir brauchen für die Meisterinnen und Meister den Zugang zum Masterstudium, so wie es in Rheinland-Pfalz vorbildhaft schon gemacht wird. Zur Gleichheit gehört auch: Studiengebühren bleiben abgeschafft. Ich hoffe, das bleibt auch in Nordrhein-Westfalen so. Ebenso müssen die Gebühren für die Meister- und Technikerkurse abgeschafft werden. Das zeugt von einer gleichen Wertschätzung von akademischer und beruflicher Bildung. ({2}) Lassen Sie uns aber auch einen Blick auf die werfen, die durch den Markt nicht versorgt werden können. Bei dem Akademikerwahn geht es nicht nur darum, dass mehr Abiturienten eine Ausbildung machen sollen. Diese Debatte blendet völlig aus, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss und auch mit dem mittleren Schulabschluss am Markt nicht mehr versorgt werden. Dafür brauchen wir regional unterschiedliche Lösungen. Das ist vollkommen klar, weil das kein bundesweites Phänomen ist. Mobilität ist als Stichwort genannt worden; das ist richtig. Wir brauchen aber auch eine Garantie, dass junge Menschen, wenn sie die Ausbildungsvoraussetzungen erfüllen und ausgebildet werden wollen, einen Ausbildungsplatz bekommen; denn wir können es uns wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht leisten, Tausende Menschen pro Jahr in bestimmten Regionen nicht auszubilden. ({3}) Zum Schluss: Keine Rede zur Ausbildung ohne die Frage nach dem Danach, nämlich nach dem sicheren Übergang von der Ausbildung in die Arbeit. Wir erwarten viel von jungen Menschen in dieser Phase; aber zu oft besteht bei ihnen Unsicherheit, weil ihnen nach der Ausbildung befristete Arbeitsverträge angeboten werden. Deswegen brauchen wir zwei Dinge: Wir brauchen erstens mindestens eine Ankündigungsfrist im Falle der Nichtübernahme. Das heißt, junge Menschen, die nach ihrer Ausbildung nicht übernommen werden können, müssen das rechtzeitig wissen, damit sie sich am Arbeitsmarkt orientieren können. Wir brauchen zweitens eine Lösung in Bezug auf das größte Hindernis beim Übergang: die sachgrundlose Befristung. Diese heißt so, weil es keinen Grund für die Befristung gibt. Deswegen ist die Idee des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz richtig: Die sachgrundlose Befristung ist ein Hindernis für die jungen Menschen, in die Arbeitswelt eintreten zu können. Deswegen gehört die sachgrundlose Befristung abgeschafft. Auch das gehört zur Thematik der beruflichen Bildung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzter Redner in dieser Debatte spricht Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Berufsbildungsbericht bestätigt ein weiteres Mal: Deutschland verfügt über ein qualitativ hochwertiges und leistungsfähiges Berufsbildungssystem. Wer es erfolgreich durchläuft, der ist sehr gut auf das Berufsleben vorbereitet und hat vor allem auch hervorragende Aufstiegschancen. Für die Union ist die Stärkung der betrieblichen Berufsausbildung ein Herzensanliegen - ein Herzensanliegen deshalb, weil sie beste Chancen bietet und weil hervorragend ausgebildete Fachkräfte das Fundament für unsere Wirtschaftsstärke und vor allem für unsere Innovationskraft sind. Wenn ich in meinem Heimatbundesland Bayern unterwegs bin, dann erlebe ich, dass Fachkräfte mit einer Berufsausbildung überall gefragt sind, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die Zahl der offenen Stellen ist auf einem Rekordniveau. Qualifizierte Bewerber werden überall händeringend gesucht. Das belegt: Die Berufsperspektiven für Menschen mit dualer Ausbildung sind ausgezeichnet. Frau Ministerin Wanka und meine Vorredner haben bereits auf eine Reihe positiver Aspekte und Entwicklungen hingewiesen. Deswegen möchte ich nur einen Aspekt noch einmal betonen: Noch nie gab es für junge Menschen hierzulande so gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz und so positive Berufsperspektiven wie heute. Und noch nie waren in Deutschland so wenig Jugendliche arbeitslos. Das zeigt, dass die unionsgeführte Bundesregierung in den letzten Jahren die richtigen Weichen gestellt und vor allem wichtige Akzente gesetzt hat. ({0}) Der vorliegende Berufsbildungsbericht listet ein beachtliches Bündel an Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung, zur Qualitätsverbesserung, zur Modernisierung und auch zur Durchlässigkeit auf. Ich erinnere an die Allianz für Aus- und Weiterbildung, die Fortentwicklung des Meister-BAföG zum Aufstiegs-BAföG oder die Initiative Bildungsketten, um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir wissen doch alle, dass Delegationen aus der ganzen Welt zu uns kommen, um sich über das deutsche Erfolgsmodell der dualen Ausbildung zu informieren und es nachzuahmen. Hier leisten die deutschen Akteure eine ganze Menge, aber ob und was davon in den jeweiligen Ländern tatsächlich eingeführt und umgesetzt wird, liegt letztendlich in deren Verantwortung. Wir stehen auf jeden Fall jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Verfügung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wir auch auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen reagieren und damit Schritt halten; das haben wir auch getan. Ich möchte vor allem zwei Themenfelder ansprechen, die uns bereits beschäftigt haben und uns in den nächsten Jahren weiterhin fordern werden, nämlich das ganze Thema der Digitalisierung, die Auswirkungen der digitalen Transformation auf unsere Ausbildung, sowie die Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem von Flüchtlingen in unser Bildungs- und Beschäftigungssystem. Mit Blick auf die Berufsbildung 4.0 haben wir schon einiges bewegt, beispielsweise die Initiative „Fachkräftequalifikation und Kompetenzen für die digitalisierte Arbeit von morgen“ oder das Förderprogramm „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“. Auch für Flüchtlinge haben wir vieles getan. So haben wir das Angebot an Integrationskursen ausgebaut und zusätzliche Angebote zur Berufsorientierung, zur Berufsvorbereitung, zur Berufsausbildung und -nachqualifizierung geschaffen. Ich darf auch hier als Positivbeispiel mein Heimatbundesland Bayern nennen. 60 000 Flüchtlinge wurden bis Ende 2016 in Praktika und Ausbildung vermittelt - vorgesehen waren bis zu diesem Zeitpunkt 20 000 Flüchtlinge; die Zahl von 60 000 Flüchtlingen haben wir erreicht. ({1}) Es gibt aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine grundsätzliche Herausforderung im beruflichen Bereich, nämlich die Erhöhung des Stellenwerts der beruflichen Bildung. Wir alle sind gefordert, die Wertschätzung der dualen Ausbildung in unserer Gesellschaft weiter zu erhöhen; denn wir brauchen nicht nur den gut ausgebildeten Ingenieur, sondern eben auch den gut ausgebildeten Facharbeiter, der die Maschinen, die der Ingenieur entwickelt, nicht nur bauen, sondern auch bedienen, warten und reparieren kann. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die enge Verbindung von Theorie und Praxis bei der Ausbildung, über 300 duale Ausbildungsberufe, die stärkere Durchlässigkeit und vielfältige Karrierechancen, das alles macht unser Berufsausbildungssystem zu etwas Besonderem. Die Chancen für junge Menschen sind nach zwölf Jahren unionsgeführter Bundesregierung so gut wie nie zuvor, und so soll es auch bleiben. Vielen Dank. ({3})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11969 und 18/12361 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Mai 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen Kollegen noch einen schönen, sonnigen Abend.