Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/6/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich . Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 36 - hier geht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts - bereits heute als letzten Tagesordnungspunkt aufzurufen . Die Debatte darüber war für diese Woche ohnehin vorgesehen . Sie wird aus nachvollziehbaren Gründen jetzt etwas vorgezogen . Des Weiteren soll die Unterrichtung der Bundesregierung über die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem bereits überwiesenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes auf der Drucksache 18/8958 an den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit überwiesen werden . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien ({0}) Drucksachen 18/8832, 18/8972 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen; also können wir gleich die Überweisung beschließen . Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf den Drucksachen 18/8832 und 18/8972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es andere Vorschläge zur Überweisung? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Für diejenigen, die sich fragen, warum dies nicht diskutiert wird: Wir haben über dieses Thema natürlich vielfach diskutiert . Jetzt reden wir über eine gesetzliche Konstruktion, die wir selbstverständlich in zweiter und dritter Lesung, wenn der Gesetzentwurf die endgültige Ausgestaltung in den Ausschussberatungen gefunden hat, hier noch einmal diskutieren werden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zum Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015. Hier geht es um Klimaschutzfragen und -vereinbarungen . Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Hendricks . - Bitte sehr .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf zum Übereinkommen von Paris beschlossen . Wir bekennen uns damit ganz klar zu den Zielen dieses Abkommens und sind bereit, die Verantwortung für einen möglichst zügigen Ratifikationsprozess zu übernehmen. Deutschland kann mit der zügigen Annahme des Vertragsgesetzes zur Ratifikation ein klares Zeichen setzen, nämlich dass wir den Klimaschutz vorantreiben . Wir haben gerade in den vergangenen Tagen beim Petersberger Klimadialog mit unseren Partnerländern darüber diskutiert . Im letzten Jahr haben wir beim Klimadialog noch überlegt, wie ein anspruchsvolles Klimaabkommen erreicht werden könnte . Dieses Jahr konnten wir uns gemeinsam darüber freuen, dass sich die Anstrengungen gelohnt haben . Das Pariser Abkommen ist schließlich ein großer Erfolg der internationalen Zusammenarbeit . Die Welt ist in der Tat ein Stück zusammengerückt . Die Diskussionen beim diesjährigen Petersberger Klimadialog standen selbstverständlich ganz im Zeichen von Paris . Es geht um nicht weniger als den weltweiten Wandel hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebensweise . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Paris-Abkommen und die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung sind Leitlinien . Und wir sehen bereits, dass die Herausforderungen in allen Teilen der Welt angepackt werden: Indien hat mit seinen Zielen für den Ausbau von erneuerbaren Energien neue Maßstäbe gesetzt . China wird seine Ziele wahrscheinlich übererfüllen . Länder wie Äthiopien und Marokko gehen mit ambitionierten Plänen und Maßnahmen in ihren Regionen voran . Auch aus Ländern mit großen Ölreserven hören wir interessante Pläne: Norwegen überlegt zum Beispiel, bereits bis zum Jahr 2030 treibhausgasneutral zu werden, 20 Jahre früher als bisher geplant . Und selbst in Saudi-Arabien wird über Reformen nachgedacht, um unabhängiger vom Öl zu werden . Die drei Länder Nordamerikas, Kanada, USA und Mexiko, haben sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Hälfte ihres Stroms aus nichtfossilen Quellen zu generieren . Auch wenn diese Maßnahmen insgesamt noch nicht ausreichen, sind das alles doch ermutigende Signale . Liebe Kolleginnen und Kollegen, üblich ist, dass alle EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig ihre Ratifikationsurkunden hinterlegen, da wir das Abkommen ja auch gemeinsam umsetzen wollen . Die Bundesregierung hat das Ziel, dass das Ratifikationsgesetz noch vor der nächsten Klimakonferenz in Marrakesch im November beschlossen wird . Wir glauben, dass das ein starkes Signal an die Konferenz wäre . Dafür ist allerdings ein straffer Zeitplan einzuhalten, was wiederum nur mit der Unterstützung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates möglich sein wird . Ich möchte Sie an dieser Stelle herzlich um Ihre Unterstützung bitten, damit wir mit Ratifikationsbeschluss nach Marrakesch fahren können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben beim Petersberger Klimadialog auch über Langfriststrategien gesprochen . Es hat sich gezeigt, dass ein reges Interesse an unserem Klimaschutzplan besteht . Wir werden noch in diesem Herbst den Klimaschutzplan 2050 beschließen, der darlegt, wie wir die vereinbarten 80 bis 95 Prozent Treibhausgasreduzierung in Deutschland erreichen wollen . Es geht um den schrittweisen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas . Und es geht darum, dass wirklich alle Sektoren in vollem Umfang zum Erreichen dieses Ziels beitragen . Weltweit wird beachtet, wie ein großes Industrieland diese Herausforderungen meistert . Natürlich teilen wir gerne alle Erfahrungen, die wir auf diesem Weg machen und gemacht haben, die guten wie auch die schlechten . Wir führen zum Beispiel mit den USA Gespräche auf Arbeitsebene darüber, wie wir unseren Plan entwickelt haben . Mit dem Klimaschutzplan haben wir die Möglichkeit, ein Referenzwerk vorzulegen, an dem sich andere Länder orientieren . Diese Chance sollten wir nutzen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland wird auch die Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrer nationalen Ziele, der sogenannten NDCs, und bei der Anpassung an den Klimawandel noch stärker unterstützen . Dazu streben wir an, unsere Klimafinanzierung bis zum Jahr 2020 zu verdoppeln . Außerdem werden wir gemeinsam mit anderen Partnerländern eine NDC-Partnerschaft gründen, mit der wir die Umsetzung der in Paris angekündigten Beiträge unterstützen . Das war auch ein wichtiges Thema beim Klimadialog . Ministerkollege Müller und ich haben die Partnerschaft dort vorgestellt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Paris-Abkommen ernst nehmen, dann müssen wir ein schnelles Inkrafttreten ermöglichen . Die Bundesregierung ist dazu entschlossen . Der Kabinettsbeschluss zum Ratifikationsgesetz war auf diesem Weg ein wichtiger Schritt . Herzlichen Dank .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Frau Ministerin, auch für die vorbildliche Einhaltung der Redezeit . Das gelingt nicht allen Mitgliedern der Regierung in ähnlich überzeugender Weise . - Die erste Nachfrage hat die Kollegin Baerbock .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Vielen Dank auch für den Petersberger Klimadialog . Das Motto war ja „Making the Paris Agreement a reality“, also das Paris-Abkommen mit Leben zu füllen . Sie haben gerade die zahlreichen positiven Beispiele angesprochen: Sie haben den Ausbau der Erneuerbaren in Indien dargestellt . Sie haben auch den Einsatz von CO2-armen Technologien in Nordamerika erwähnt; bis zum Jahr 2025 soll deren Anteil mindestens 50 Prozent betragen . Wie passt dazu aus Ihrer Sicht die am Freitag hier im Parlament zu treffende Entscheidung über den Vorschlag der Bundesregierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien im ehemaligen Vorzeigeland Deutschland im Jahr 2025 bei 45 Prozent zu deckeln, was deutlich unter den Vorgaben des Fahrplans von Paris liegt und was auch - Sie haben Vergleichsbeispiele ja gerade aufgezeigt - unter dem liegt, was andere Länder weltweit derzeit tun?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Baerbock, ja, Sie haben recht: Es entspricht der Koalitionsvereinbarung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2025 bei 45 Prozent gedeckelt werden soll . Dies ist Gegenstand der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschiedung in dieser Woche ansteht . Meine Einschätzung ist, dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode dieses Themas noch einmal annehmen, sodass wir nicht bei 45 Prozent im Jahr 2025 stehen bleiben werden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Bulling-Schröter .

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Ministerin . - Vor uns liegt ja die Aufgabe, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen . Das ist das Ziel, das wir dringend erreichen müssen . Meine Frage an Sie lautet: Wie bewerten Sie unser Klimaschutzziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel? Ist es nicht so, dass wir hier noch nachschärfen müssen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Sehen Sie: Wir haben das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ im Dezember des Jahres 2014 verabschiedet . Wir sind auch zuversichtlich, dass wir die vereinbarten Ziele einhalten werden . Mit unserem Ziel von minus 40 Prozent CO2-Ausstoß im Jahr 2020 sind wir innerhalb Europas durchaus führend; denn auf europäischer Ebene wurde eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in dieser Höhe erst für das Jahr 2030 vereinbart, allerdings mindestens minus 40 Prozent CO2-Ausstoß . Ich habe immer gesagt: Wir sind in Deutschland im Prinzip zehn Jahre ehrgeiziger als die übrige Europäische Union zusammen . Insofern denke ich, dass wir auf einem guten Wege sind . Was das Zwischenziel 2020 anbelangt, wollen wir Ihnen im November sozusagen als Zwischenschritt vorlegen, was erreicht worden ist . Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, das im November dem Parlament vorzulegen . Der große Vorteil, den wir jetzt schon haben, aber den wir natürlich noch ausbauen müssen, ist, dass es uns gelungen ist, die CO2-Belastung seit 1990 um 27 Prozent zurückzuführen, obwohl im gleichen Zeitraum unsere Wirtschaft um 39 Prozent gewachsen ist . Das heißt, wir haben schon jetzt den Nachweis erbracht, dass wir das Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß abkoppeln können, und zwar mit positiven Wirkungen auf den CO2-Ausstoß . Das gibt uns die Sicherheit, unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen zu können, dass sie vor Klimaschutz keine Angst haben müssen, sondern dass Klimaschutz im Gegenteil ein Innovationstreiber ist .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie die vielen positiven Beispiele aus anderen Ländern, die aus fossilen Energien herauswollen, aufgezeigt haben . Aber das gilt ja für uns auch . Sie haben eben die Ziele für 2020 angesprochen . Wir haben uns verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, bezogen auf das Basisjahr 1990 . Wir haben in 26 Jahren 27 Prozent erreicht, die restlichen 13 Prozent müssen wir in den letzten 5 Jahren schaffen . Wir müssen also dreimal so ehrgeizig sein wie bisher . Wir erleben aber, dass es beim Bundesverkehrswegeplan vorrangig um Straßenbau geht . Wir erleben, dass im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Deckel für erneuerbare Energien vorgesehen ist . Wir erleben, dass im Wohnungsbau zu wenig passiert; dabei könnten wir uns für Mieterstrom einsetzen und auch sektorübergreifend tätig werden . Wie wollen Sie die ausstehenden 13 Prozent in den letzten 5 Jahren überhaupt noch schaffen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Zunächst möchte ich auf das eingehen, was Sie als letztes Beispiel nannten, nämlich Mieterstrom und Sektorkoppelung . Hier werden wir mit der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschiedung ja diese Woche ansteht, vorankommen . Dafür bin ich sehr dankbar . Das halte ich für einen großen Erfolg; darüber wird ja dann am Freitag noch eingehend debattiert werden . Ich bin wirklich sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass diese Punkte in der Novelle berücksichtigt werden . Darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen, dass wir schon beschlossen haben, bis zum Jahr 2020 einige Kohlekraftwerke in Reserve zu nehmen, das heißt, dass wir sie mindestens vorübergehend abschalten mit dem Ziel, sie endgültig vom Markt zu nehmen . Auch das wird helfen, das für 2020 gesteckte Ziel zu erreichen . Im Übrigen sind wir dabei, das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und die EnEV zu überarbeiten . Wir wollen gleichsam eine einheitliche Regelung schaffen, die einerseits die Energieeffizienz im Neubau in den Blick nimmt, auf der anderen Seite aber auch in den Blick nimmt, welche Art von Energie in den Gebäuden verbraucht wird . Auch in diesem Zusammenhang ist das Stichwort „Mieterstrom“ nicht zu verachten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Oliver Krischer .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen . Auch ich freue mich darüber, dass Sie viele positive Beispiele aus anderen Ländern angeführt haben . Das zeigt, Deutschland ist nicht mehr alleine . Aber - das sage ich einschränkend - es ist leider auch nicht mehr Vorreiter . Das war einmal . Andere gehen inzwischen voran . Ich möchte den Verkehrsbereich beleuchten . Ich habe mir Ihren Klimaschutzplan, Stand 21 . Juni 2016, angeschaut . Darin las ich den vor dem Hintergrund Ihrer sonstigen Äußerungen, die ich wahrgenommen habe, interessanten Hinweis, dass der Dieselantrieb - ich zitiere wörtlich - weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der CO2-Ziele leisten soll . Worauf stützen Sie diese Annahme, was ist die Politik dahinter, und wie soll ich angesichts dessen andere Äußerungen von Ihnen verstehen, nach denen der Dieselantrieb ein Auslaufmodell ist? Könnten Sie mich bitte aufklären, wie die Politik Ihres Hauses in Bezug auf Klimaschutz im Verkehrsbereich aussieht?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Krischer, es gibt natürlich auch so etwas wie eine Brückenfunktion . Die muss man dem Dieselantrieb durchaus zubilligen; denn klar ist, dass der Dieselantrieb deswegen, weil er einfach sparsamer im Verbrauch ist, CO2-freundlicher ist als der Benzinantrieb . Gleichwohl kann der Dieselantrieb auf Dauer nicht mehr als eine Brückenfunktion wahrnehmen . Ansonsten würden die in Deutschland hergestellten Automobilflotten auf Dauer nicht die Anforderungen der Europäischen Union erfüllen . Der Anteil der Elektromobilität muss selbstverständlich zunehmen . Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung ja auch ein Förderprogramm aufgelegt .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Lenkert .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, wie Sie sicherlich wissen, zielt das Klimaschutzabkommen nicht nur auf CO2, sondern auch auf andere Klimagase wie Schwefelhexafluorid, das 22 000-mal schädlicher ist für das Klima als CO2 . Die ausgestoßene Menge von solchen Superklimagasen ist in Deutschland im letzten Jahr um 22 Prozent gestiegen . In Ihrem Klimaschutzplan liest man nichts darüber, wie Sie gerade bei diesen - so nenne ich sie mal - Superklimagasen vorgehen wollen, um zukünftig eine Reduzierung zu erreichen . Deswegen frage ich Sie: Welche Maßnahmen sehen Sie vor? Wenn Sie Maßnahmen vorsehen, vielleicht auch das teilweise Verbot der industriellen Nutzung solcher Gase, frage ich ergänzend: Sind solche Verbote überhaupt noch aussprechbar, sollten die Freihandelsabkommen mit den USA oder mit Kanada in Kraft treten?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, wir sehen in unserem Klimaschutzplan keine Verbote in dieser Hinsicht vor - das haben Sie richtig dargestellt -; aber wir sind selbstverständlich zusammen mit der deutschen Industrie daran interessiert - und dabei durchaus auch erfolgreich -, den Ausstoß auch anderer klimaschädlicher Gase zurückzuführen . Das gilt auch für andere Bereiche wie zum Beispiel die Landwirtschaft .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kotting-Uhl .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage von Frau Baerbock gesagt, Sie seien sich bewusst, dass man das Ziel für den Ausbau der Erneuerbaren, also 45 Prozent Anteil bis 2025, das wir am Freitag beschließen werden, wird nachschärfen müssen . Nun wurde uns eine, wie ich finde, sehr gut formulierte Studie, die im Auftrag von Greenpeace erstellt wurde, zur Kenntnis gegeben, in der dargestellt wird, dass wir, wenn wir die Sektorkopplung wirklich ernst nehmen und die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts in Deutschland erreichen wollen, bis 2040 mit dem doppelten Strombedarf von heute rechnen müssen, und zwar unter Berücksichtigung erreichter Effizienzsteigerungen; die wurden dabei also nicht außen vor gelassen . „Nachschärfen“ ist angesichts der vor uns stehenden Herausforderung also eine milde Formulierung . Wir brauchen das Vier-, Fünf-, Sechsfache in den einzelnen Sektoren der erneuerbaren Energien, wenn wir auch in den Bereichen Wärme und Verkehr alles über Strom aus Erneuerbaren laufen lassen wollen . Wie wollen Sie da nachschärfen, bzw . was für Größenordnungen schweben Ihnen für das Nachschärfen vor?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, ich will dazu jetzt keine Zahlen nennen . Es wird Gegenstand der Koalitionsverhandlungen am Ende des Jahres 2017 sein - mit welchen Beteiligten auch immer -, dass man mit 45 Prozent bis 2025 nicht auskommt . Ich will jetzt auch nicht die Greenpeace-Studie kommentieren, sondern, wenn Sie erlauben, mich selbst zitieren . Ich habe bei mehreren Gelegenheiten schon gesagt: Die Zukunft wird elektrisch sein . - Wir werden also erneuerbare Energien nicht nur für den Stromverbrauch, wie wir ihn kennen, brauchen, sondern wir werden erneuerbare Energien auch in den Bereichen Verkehr, also Mobilität allgemein, und Wärme benötigen . Das bedeutet, dass diejenigen, die sich heute um Stromproduktion kümmern, dies auch in den Blick nehmen sollten; denn dort liegen in der Tat die Geschäftsfelder der Zukunft, einschließlich natürlich der Umwandlung von erneuerbaren Energien in Power-to-X, wie man es allgemein nennt, also die Umwandlung in flüssige oder gasförmige Antriebsstoffe .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Meiwald .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich will noch einmal auf das zurückkommen, was Kollegin Kotting-Uhl gerade gesagt hat . Sie selbst haben ja gesagt, dass Sie schon heute wissen, dass wir 2025 mit diesem Ausbaudeckel, den wir am Freitag in einem verkürzten parlamentarischen Verfahren beschließen sollen, nicht hinkommen . Daneben ist das Kabinett gerade dabei, einen Bundesverkehrswegeplan vorzubereiten, über den selbst das Umweltbundesamt sagt, dass damit die Klimaziele auf keinen Fall erreicht werden . Für mich stellt sich daher die Frage: Warum beschließen Sie als Regierung solche Dinge, obwohl Sie als Klimaschutzministerin heute schon wissen, dass sie eigentlich nicht ausreichend sind, um sich den Herausforderungen zu stellen? Und wie sollen wir den Bürgern vermitteln, dass ein Parlament dazu genötigt wird, etwas zu beschließen, von dem selbst die zuständige Ministerin schon weiß, dass es eigentlich nicht ausreicht?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, jedes Parlament ist frei, ein Gesetz in einem, zwei oder drei Jahren wieder zu novellieren . Ich bin sehr zuversichtlich, dass das so oder so für das Erneuerbare-Energien-Gesetz wieder notwendig sein wird . Wir müssen sowieso Anpassungsmechanismen, zum Beispiel auch bei der Vergütung, vorsehen . Dass wir dem zukünftigen Parlament, das im Jahr 2017 gewählt wird, durchaus noch ein bisschen Arbeit übrig lassen, ist überhaupt nicht schlimm . Das, was wir jetzt beschließen, zeigt den richtigen Weg . Gleichwohl bin ich der Auffassung: Ja, wir werden in den nächsten Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich nachschärfen müssen, auch im Interesse der Produzenten von Strom . Denn auch sie brauchen natürlich verlässliche Rahmenbedingungen, um Investitionen vorzubereiten und entsprechende Entscheidungen zu treffen . Deswegen gehen wir einen richtigen Schritt; aber es wird, was das anbelangt, selbstverständlich nicht der letzte Schritt sein . Was den Bundesverkehrswegeplan anbelangt, so bin ich in der Tat mit dem Kollegen Dobrindt noch im Gespräch . Wir werden uns hier oder da sicherlich noch auf einiges verständigen, das im Interesse des Umweltschutzes ist .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kühn .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, wir wissen jetzt, dass das EEG nicht auf dem Klimaschutzpfad ist . Wir wissen, dass der Bundesverkehrswegeplan nicht auf dem Klimaschutzpfad ist . Wir wissen, dass der Kohleausstieg, der viel zu langsam vonstattengeht, auch nicht auf dem Klimaschutzpfad ist . Ich komme jetzt zum Gebäudebereich; als Bauministerin kennen Sie sich damit sehr gut aus . Auch von dort - das ist doch ganz klar - kommt im Augenblick kein Impuls, der dazu beiträgt, dass wir die Energiewende schaffen . 40 Prozent unserer Endenergie verbrauchen wir in Gebäuden . Wir sehen, dass wir bei der Sanierungsrate nicht vorankommen und immer noch unter 1 Prozent liegen . Im Gebäudebereich liegt der Anteil der erneuerbaren Energien unter 10 Prozent . Daher ist für mich nicht klar, wie Sie jetzt nach Paris den Gebäudebereich auf den Klimaschutzpfad setzen wollen . In diesem Zusammenhang stellen sich mir zwei Fragen: Wie wollen Sie die erneuerbaren Energien im Gebäudebereich stärker voranbringen? Müssen wir die EnEV, wenn wir sie jetzt schon reformieren, nicht eigentlich noch einmal deutlich verschärfen, um dafür zu sorgen, dass dieser Sektor endlich mehr zum Klimaschutz beiträgt und so wirklich 1,5 Grad erreicht werden können?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, zunächst möchte ich die in der Einleitung Ihrer Frage enthaltenen Behauptungen, wir seien nirgendwo auf dem Klimaschutzpfad, zurückweisen . Wir sind selbstverständlich auf dem Klimaschutzpfad . Vielleicht geht es Ihnen nicht schnell genug, aber wir sind in allen Sektoren, die Sie angesprochen haben, auf dem Klimaschutzpfad . Ich möchte doch darum bitten, dass Sie das zur Kenntnis nehmen . Es kann sein, dass es Ihnen nicht schnell genug geht, aber es ist nicht so, als wären wir neben der Spur . Das will ich ganz deutlich sagen . ({0}) Im Übrigen hatte ich gerade schon angedeutet, dass wir dabei sind, die EnEV zusammen mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz zu überarbeiten . Ja, es ist richtig, 40 Prozent des Endenergieverbrauches entfällt auf Gebäude . Deswegen liegt darauf ein besonderes Augenmerk. In der Tat reicht es nicht aus, die Energieeffizienz in den Blick zu nehmen . Vielmehr muss auch der Anteil der erneuerbaren Energien, zum Beispiel bei der Wärmeerzeugung in Gebäuden, erhöht werden . Dies bedeutet, dass wir dort einen neuen Ansatz brauchen . An diesem arbeiten wir gerade zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium . Ich bin sicher, dass wir Ihnen dazu im Herbst einen vernünftigen Vorschlag werden vorlegen können . Wenn wir das so neu auf die Füße gestellt haben, muss selbstverständlich auch die Förderpolitik der KfW daran angepasst werden . Auch hier bin ich zuversichtlich, dass uns das gelingen wird .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Bulling-Schröter .

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön . - Bei meiner Frage geht es um den Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 . Darin ist auch von einer Veränderung im Steuersystem die Rede; das heißt, ökologisch kontraproduktive Dinge sollen abgeschafft und klimafreundliche Anreize gesetzt werden . Mich würde interessieren, an was hier gedacht ist und in welchem Zeitraum das geschehen soll .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, in dem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 steht, dass dies zu prüfen sei; und das wird sicherlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode geschehen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Baerbock .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Wir haben jetzt gehört, dass das EEG nachgeschärft werden muss . Zeitgleich zum Petersberger Klimadialog wurde der Entwurf des Klimaschutzplanes für das Jahr 2050 aus Ihrem Hause an das Wirtschaftsministerium und an das Kanzleramt übergeben . Eine der entscheidenden Stellschrauben darin - das wurde auch in Paris immer wieder gesagt - ist der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern . Für Deutschland ist damit insbesondere der Kohleausstieg gemeint . Rund um die Pariser Klimakonferenz haben Sie sehr deutlich gesagt, dass er in 20 Jahren möglich und in 25 Jahren nötig ist . Auf dem Weg ins Kanzleramt ist nun der Zeitplan für den Kohleausstieg aus dem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 gänzlich herausgeflogen. Darin steht nicht einmal mehr, dass dies vor 2050 geschehen soll . Wie passt es zu dem Pariser Klimaabkommen, das wir hier ratifizieren wollen, dass Deutschland in diesem Bereich jetzt keinen grundsätzlichen Fahrplan mehr hat?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Baerbock, Sie haben mich nicht ganz richtig zitiert . Bevor wir nach Paris gefahren sind, habe ich gesagt: Ich halte einen Ausstieg aus der Kohleverstromung in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich möglich . Ich habe niemals angekündigt, dass wir das in 20 bis 25 Jahren tun, sondern ich habe Ihnen nur gesagt: Ich halte das in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich möglich . Wir haben uns im Entwurf des Klimaschutzplanes 2050, der Ihnen ja so weit bekannt ist, darauf verständigt, dass wir eine Kommission einsetzen wollen, die eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für den Weg aus den fossilen Energieträgern heraus zu finden versucht; und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingen wird . Ich denke, wir brauchen dafür etwa zwei Jahre, also so viel Zeit, wie wir uns auch bei der Endlagersuchkommission genommen haben . Mir ist wichtig, dass wir den Klimaschutz in der Bevölkerung weiterhin als - ich sage es einmal so - wirklich nötig und gerne akzeptiert absichern, auch für die Zukunft . Es hilft nicht, den Bürgerinnen und Bürgern etwas überzustülpen und sie so zu der Annahme zu verleiten, dass wir an ihren Lebensinteressen vorbei arbeiten würden . Deswegen müssen wir einen Pfad aufzeichnen, der gesellschaftlich akzeptiert ist und uns in absehbarer Zeit zu einem Ende der Verstromung von fossilen Energieträgern führt . Klar ist, dass wir bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend klima- bzw . treibhausgasneutral leben und wirtschaften wollen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erster Punkt . Frau Ministerin, wir haben eben über den Bundesverkehrswegeplan gesprochen . Den kann man nicht so leicht innerhalb von zwei Jahren wieder ändern . In ihm werden jetzt die Investitionen für die nächsten 10 bis 15 Jahre festgelegt . In ihm ist der Bau von über 500 neuen Ortsumgehungen enthalten . Das heißt, es wird in neue Straßen und nicht ausreichend in die Bahn investiert . Alle Experten sagen: Damit sind die Klimaschutzziele nicht zu erfüllen . Das heißt, wir entscheiden jetzt, in diesem Jahr, darüber, wie es im Verkehrsbereich weitergeht . Meinen Sie, dass es ausreichend ist, hier nur noch die eine oder andere Stellschraube zu verändern? Zweiter Punkt . Im Bundesland Berlin ist jetzt das erste Mal ein Divestment beschlossen worden . Auch, um das Geld zu sichern und kein Risiko mehr bei der Anlage von Geld einzugehen, sollen keine Investitionen mehr in Unternehmen getätigt werden, die in fossilen Energien engagiert sind . Das war ursprünglich auch in Ihrem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 vorgesehen . Nun ist das herausgefallen . Warum soll hier weiterhin ein Risiko für die Bevölkerung, für den Staat, für die Pensionsfonds, für die Rücklagen auch unseres Staatskapitals eingegangen werden? Sieht so Ihr Risikomanagement aus?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Höhn, auf Ihre letzte Frage reagiere ich etwas unsicher . Nach meinem Kenntnisstand ist die Bundesrepublik Deutschland in fossile Energieträger überhaupt nicht investiert, sodass wir kein Divestment ankündigen müssen . Aber das müsste ich überprüfen . Nach meiner Einschätzung - das kann man dem Beteiligungsbericht des Bundesfinanzministers entnehmen, den ich nicht vollständig im Kopf habe - können die Investitionen in fossile Energieträger, wenn es sie denn gibt, nicht von großer Bedeutung sein . Ich wüsste nicht, in welche . Das will ich zunächst dazu sagen . Zu Ihrer ersten Frage nach dem Bundesverkehrswegeplan . Ich will wirklich würdigen, dass wir den Anteil der Investitionen in Schiene und Wasserstraßen im Verhältnis zum noch geltenden Bundesverkehrswegeplan deutlich erhöhen . Die Relation wird also zugunsten von Schiene und Wasserstraßen deutlich verbessert . Gleichwohl kann man sich da noch mehr wünschen . Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ich mit dem Kollegen Dobrindt weiter im Gespräch bin .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Lenkert .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie sprachen vorhin von der Dieseltechnologie bei Pkw als „Brückentechnologie“ . Jetzt ist zwischenzeitlich bekannt geworden, dass es bei Dieselfahrzeugen nicht nur einen höheren Verbrauch gibt als angegeben, sondern auch die Feinstaubbelastung in den Innenstädten deutlich höher ist als angenommen . Unter diesem Aspekt sehe ich es ausgesprochen kritisch, eine solche Technologie, die sich wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres korrigieren lässt, als „Brückentechnologie“ zu bezeichnen . Ich frage Sie daher: Wäre es nicht klüger, statt Milliarden in E-Autos zu stecken, in die Bahn zu investieren? Das könnte uns kurzfristig helfen . Ich denke hier an die Elektrifizierung von Bahnstrecken durch eine weitere Erhöhung der Regionalisierungsmittel, damit eben mehr Personennahverkehr erfolgen kann . Wäre es nicht klüger, die Milliarden, die man jetzt für E-Autos vorsieht, in den öffentlichen Personennahverkehr und in die Elektrifizierung von Bahnstrecken zu investieren, um einen schnellen Effekt sowohl beim Klima als auch gegen die Feinstaubbelastung in unseren Städten zu erreichen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Die Elektrifizierung von Bahnstrecken ist sicherlich wünschenswert . Gleichwohl muss man auch dort ein Kosten-Nutzen-Verhältnis ins Auge fassen . Es gibt Bahnstrecken, die so befahren werden und bei denen geprüft werden sollte, ob das Investment - ich sage es einmal so - zu verantworten ist . Trotzdem haben Sie im Prinzip natürlich recht . Ich will aber den Vorwurf zurückweisen, dass wir Milliarden in die Elektromobilität stecken . Wir haben ein Zuschussprogramm von 600 Millionen Euro bis zum Ende des Jahres 2019 aufgelegt .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich will mit Blick auf unser Zeitmanagement darauf aufmerksam machen, dass ich den Wunsch nach Nachfragen der Kolleginnen und Kollegen Krischer, KottingUhl, Verlinden, Meiwald, Baerbock und Höhn registriert habe . Mehr werden wir in diesem Zeitrahmen nicht schaffen, wenn wir auch noch Gelegenheit für sonstige Fragen an die Bundesregierung haben wollen . - Herr Krischer .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich möchte erst einmal Ihrer Aussage widersprechen, dass wir beim Klimaschutz auf dem Zielpfad sind . Von den 27 Prozent, die wir an CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 reduziert haben, gehen knapp 20 Prozent auf den Niedergang der DDR-Wirtschaft zurück . Das heißt, das, was sonst noch an Maßnahmen verbleibt, ist minimal in der Wirkung . Im Verkehrsbereich gehen die Emissionen nach oben . Im Bereich der Energieerzeugung gibt es bestenfalls eine Stagnation, tendenziell gehen auch dort die Emissionen nach oben . Da kann ich nicht davon sprechen, dass wir auf dem Zielpfad sind, zumal wir im europäischen Vergleich nach wie vor mit die höchsten Emissionen pro Kopf haben . Ich kann nicht erkennen, dass wir uns konsequent auf die Erreichung der Ziele zubewegen . Meine Frage bezieht sich auf den Klimaschutzplan 2050 . Ich habe gelesen, dass im Entwurf die Aussage stand, der Ausstieg aus der Kohle solle deutlich vor 2050 erfolgen . Ich nehme jetzt wahr, dass diese Aussage im Entwurf nicht mehr enthalten ist . Sie haben sich auch gerade dazu nicht geäußert . Meine Frage an Sie ist: Beabsichtigt die Bundesregierung tatsächlich - das wäre aus meiner Sicht eine völlige Entwertung -, einen Klimaschutzplan 2050 zu verabschieden, der keine klare Aussage zu einem Kohleausstieg oder zur Kohle enthält?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich hatte Sie eben schon darüber unterrichtet, dass in dem Entwurf des Klimaschutzplans die Einrichtung einer Kommission vorgesehen ist, die innerhalb von zwei Jahren einen gesellschaftlichen Konsens mit herbeiführen soll, der dann zu den Maßnahmen führt, den Ausstieg aus der Kohle oder vielmehr den Ausstieg aus fossilen Energieträgern sozialverträglich und regional wirtschaftlich verantwortlich voranzubringen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kotting-Uhl .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, noch einmal zum Ausbau der erneuerbaren Energien - ich frage Sie das auch als Ministerin für Reaktorsicherheit, das heißt als Hüterin des Atomausstiegs -: Können wir uns tatsächlich leisten, in dieser Legislatur den Plan zu beschließen, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 40 Prozent erneuerbarer Energien an der Stromversorgung zu erreichen? Woraus wollen wir dann die restlichen 60 Prozent Strom beziehen? Ich rede jetzt nur von Strom für die Stromnutzung; es geht nicht um Sektorkopplung . Woraus beziehen wir die restlichen 60 Prozent des Stroms, den wir dann brauchen? Wird das alles aus fossilen Energieträgern kommen, oder soll dann der Atomausstieg aufgeweicht werden?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Wie Sie wissen, betrug der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland im letzten Jahr 32,5 Prozent . Bis zum Jahr 2020 streben wir 40 Prozent an . Dies ist sicherlich problemfrei möglich, und Sie können sicher sein, dass der Atomausstieg, wie geplant, sukzessive vorangeht und das letzte Atomkraftwerk 2022 vom Netz geht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Verlinden .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Stromverbrauch in der Zukunft, und zwar würde ich gerne wissen, von welchem Stromverbrauch die Bundesregierung für die Jahre 2020, 2030 und 2050 ausgeht . Sie haben die Sektorkopplung angesprochen . Auch das Stichwort „Elektromobilität“ ist heute schon mehrfach gefallen . Ich wüsste gerne: Gibt es einen Wert, mit dem Sie rechnen und an dem Sie Ihre Prognosen und vor allen Dingen auch Ihre Politik orientieren? Wenn ja, sind Sie sich in der Bundesregierung einig, oder geht man da von unterschiedlichen Szenarien aus? Wenn man davon spricht, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 40 bis 45 Prozent beim Strom aus erneuerbaren Energien zu erreichen - wir Grünen finden, das ist viel zu wenig; aber nehmen wir an, Sie wollen dieses Ziel erreichen -, dann ist, wenn Sie am Freitag im Plenum mit dem EEG die Megawattausbauzahlen beschließen, die Frage ganz essenziell, ob das überhaupt erreichbar ist . Denn viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Stromverbrauch steigen wird . Die Frage ist deshalb, ob Sie Ihre eigenen Ziele erreichen, wenn Sie nur diese geringen Mengen an Photovoltaik und Windkraft ausbauen wollen .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass nach meiner Ansicht in der nächsten Legislaturperiode das Erneuerbare-Energien-Gesetz wiederum einer Novellierung zugänglich sein wird . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Meiwald .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Ich habe auch eine Nachfrage . Sie haben eben wieder betont, dass das EEG in der nächsten Legislaturperiode weiterentwickelt werden soll . Aber für die Herausforderungen, die sich zurzeit im Zusammenhang mit der Installation von Energieanlagen, mit Offshoreanlagen, aber auch mit dem Netzausbau und dem Thema Sektorkopplung stellen, gilt: Das sind alles Prozesse, die lange Planungsvorläufe haben . Aus meiner Sicht ist es sehr schwierig, den Investoren zu vermitteln, dass sie die nächsten Koalitionsverhandlungen abwarten müssen, wo doch die Entscheidungen eigentlich heute getroffen werden müssen . Wir alle wissen, dass gerade in diesen Sektoren die Zeit sehr drängt . Ich frage mich, wie Sie als Bundesregierung es den Menschen vor Ort, den Investoren und im Übrigen auch den Betreibern von fossilen Kraftwerken vermitteln wollen, dass Sie eine neue Hängepartie bis zu einem EEG 2019 machen .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, wir machen keine Hängepartie . Jeder kann sich darauf einstellen, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen . Der Netzausbauplan liegt fest und wird abgearbeitet .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Baerbock .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte auf den Punkt Divestment zurückkommen . Sie haben gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass die Bundesrepublik an Anlagen im fossilen Bereich beteiligt ist . Das ist aber so . Das sind sowohl die Bundesländer Berlin steigt ja aus - als auch der Bund über die Bundesbank . Die Anlagen für die Pensionsrückstellungen oder auch die der gesetzlichen Rentenversicherungen sind im EURO-STOXX-50-Index enthalten . Habe ich Sie deshalb richtig verstanden, dass die Bundesregierung diesem Beispiel folgen - das hat die Bundeskanzlerin in ihrer Rede angesprochen, Stichwort „mehr Verantwortung des Finanzsektors“ -, sich auch im Klimaschutzplan aktiv für ein Divestment einsetzen wird und entsprechend die Anlagenrichtlinien der Bundesbank und die Pensionsrückstellungen anpassen und keine Anlagen in fossile Energieunternehmen mehr kaufen wird?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, das ist im Klimaschutzplan bisher nicht vorgesehen . Es ist allerdings eine interessante Anregung .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn, letzte Frage .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, wir haben zwar jetzt die Entscheidung zum Brexit in Großbritannien, aber als Folge davon ist der Preis für CO2-Zertifikate sogar noch einmal massiv unter ein Niveau gesackt, das vorher schon viel zu niedrig war . Nun planen die Franzosen, im nächsten Jahr einen Mindestpreis einzuführen, der immerhin bei 28 bis 30 Euro pro Tonne CO2 liegen soll . Auch Großbritannien, das in den nächsten Jahren beim Klimaschutz der EU noch aktiv sein wird, hat einen CO2-Preis in Höhe von 23 Euro . Andere Länder haben eine Kohlesteuer . Um hier zu Veränderungen zu kommen und die CO2-Ziele zu erreichen: Ist es nicht notwendig, dass auch Deutschland einen solchen Mindestpreis einführt, damit wir ihn am Ende mit den notwendigen Mehrheiten auch auf EU-Ebene einführen können?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, wir sind auf der europäischen Ebene im Überarbeitungsprozess . Wie Sie wissen, haben wir uns bereits auf eine Marktstabilitätsreserve verständigt, und wir werden den tatsächlich notwendigen Neuanfang, was die CO2-Bepreisung betrifft, in den nächsten Monaten auf der europäischen Ebene einvernehmlich regeln können .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Damit schließen wir diesen Teil der Befragung ab . Gibt es sonstige Fragen zur heutigen Kabinettssitzung? Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Es hatte sich bereits die Frau Kollegin Werner gemeldet, und dann notiere ich einige weitere Meldungen .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Frage bezieht sich auf den Kabinettsbeschluss der letzten Woche . Dort wurde vom Ministerium für Arbeit und Soziales ganz groß verkündet, dass jetzt die Inklusion vorangebracht und Selbstbestimmung und Teilhabe für die betroffenen Menschen ermöglicht werden . Anfang der Woche gab es noch die Nachricht, dass die Österreicher in ihr Bundesgesetzblatt die korrigierte deutsche Übersetzung aufgenommen haben . Insofern stellt sich die Nachfrage, ob das Ministerium doch noch einmal darüber nachdenkt, eine Korrektur der Gesetzesvorlage vorzunehmen; denn es gäbe noch weitere Auswirkungen auf den Haushaltsentwurf für 2017 und auf den Finanzplan bis 2020, die heute vom Bundesfinanzminister vorgestellt werden .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident, sind Sie damit einverstanden, wenn die Kollegin Lösekrug-Möller die Antwort gibt? - Herzlichen Dank .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete Werner . - Ja, in der Tat, diese Nachricht hat uns natürlich auch ereilt, dass sich in Österreich in der Übersetzungsfrage etwas getan hat . Wir haben dieses Thema bereits in der letzten Legislaturperiode in der Bundesregierung behandelt und eine deutsche Fassung bei der Übersetzung akzeptiert . Es gibt im Augenblick, soweit mir bekannt ist, keine Diskussion und keine Überlegung, dies noch einmal infrage zu stellen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage an das Innenministerium . Dieses hat sich jetzt auch öffentlich über die Presse geäußert noch nicht in der Fragestunde - und seine Kritik am Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie an den Verfehlungen von dessen Präsident Herrn Maaßen vorgebracht . Deshalb möchte ich gern fragen: Wie werden Sie von der Regierung damit umgehen, wenn Sie feststellen, dass es dort massive Defizite gegeben hat? Welche Rückwirkungen hat dies auf das Vertrauen, das Sie in Herrn Maaßen stecken, und welche Konsequenzen hat das für Ihre Fach- und Rechtsaufsicht?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Krings, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Haßelmann, wir haben uns, glaube ich, schon einmal in einer früheren Fragestunde darüber unterhalten . Ich hatte damals angekündigt, dass ein Bericht eines Beauftragten des Innenministeriums erstellt wird . Dies ist inzwischen erfolgt, und der Bericht wird ausgewertet . Natürlich haben wir - das haben Sie zu Recht angemerkt - Mängel festgestellt, dass beispielsweise SIM-Karten und Telefone zu spät gefunden worden sind . Diese müssen nun nicht nur ausgelesen, sondern auch ausgewertet werden . Um es einmal praktisch deutlich zu machen: Wenn es sich - hypothetisch - um 1 000 Bilder handelt, dann reicht es nicht aus, diese von einer SIM-Karte oder einem Handy herunterzuziehen . Vielmehr muss man dann auch schauen, wer auf den Fotos abgebildet ist und ob es Verbindungen gibt, die wir bislang nicht gesehen haben . Davon wird viel abhängen . Es ist jetzt jedenfalls noch nicht an der Zeit, irgendwelche hypothetischen Betrachtungen anzustellen und Konsequenzen zu ziehen . Wichtig und richtig ist - das Stichwort haben Sie bereits genannt -, dass wir die Rechts- und Fachaufsicht sehr ernst nehmen . Dass wir das tun, zeigt die nun eingeleitete Untersuchung . Aber wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dröge .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage an die Bundesregierung hinsichtlich des Rüstungsexportberichts 2015; dieser war meines Wissens nach ebenfalls Thema der heutigen Kabinettssitzung . Wir haben erfahren, dass sich die Rüstungsexporte gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt haben . Damit ist Herr Gabriel seinem selbst erklärten Ziel, die Rüstungsexporte zu reduzieren, nicht gerecht geworden . Das ist eine sehr problematische Nachricht . Wir haben außerdem erfahren, dass ein Großteil der Lieferungen bei den Kleinwaffen in die Region Katar geht und dass auch die Lieferung eines Panzers an das Land Katar genehmigt wurde . Herr Gabriel hat das damit begründet, dass es sich hier um Genehmigungen der Vorgängerregierung handele, die er nicht mehr rückgängig machen könne . Trifft es zu, dass diese Genehmigungen durchaus rückgängig gemacht werden könnten, wenn man bereit wäre, Schadensersatzforderungen in Kauf zu nehmen? Was ist aus Ihrer Sicht die inhaltliche Begründung dafür? Ist es wirklich besser, Panzer und Kleinwaffen in ein Land wie Katar zu liefern, als Schadensersatzforderungen in Kauf zu nehmen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Das Bundeskabinett hat sich heute mit dem Rüstungsexportbericht befasst . Zur Verbesserung der Transparenz bei Rüstungsexporten legt die Bundesregierung, wie zugesagt, diesen Bericht zum dritten Mal vor . Es ist richtig, dass der Export von Kleinwaffen zurückgegangen ist . Genau diese Waffen sind bei nicht regulären Truppen und Terroristen das Mittel der Wahl . Das Bundeskabinett hat sich nicht mit der Abgrenzung von Rüstungsexport und denkbaren Schadensersatzforderungen befasst .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich habe in der letzten Woche in der Fragestunde das Bundeswirtschaftsministerium nach Proliferationsversuchen und Proliferationserfolgen des Iran im Zusammenhang mit dem Atomprogramm gefragt . Gestern erreichte mich schließlich die finale Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums: Der Bundesregierung ist kein Verstoß im Zusammenhang mit dem Iran seit dem Wiener Abkommen bekannt . Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht von 2015: Die vom BfV festgestellten illegalen iranischen Beschaffungsversuche in Deutschland befanden sich 2015 weiterhin auf einem auch im internationalen Vergleich quantitativ hohen Niveau . Dies galt vor allem für Güter, die im Bereich Nukleartechnik eingesetzt werden können . Das BfV konstatiert auch „im Bereich des ambitionierten iranischen Trägertechnologieprogramms, das unter anderem dem Einsatz von Kernwaffen dienen könnte, eine steigende Tendenz der ohnehin schon erheblichen Beschaffungsbemühungen“ . Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sagte nach dem Abschluss des Wiener Abkommens: Nichtsdestoweniger stellt der Iran weiterhin den Bearbeitungsschwerpunkt in der Proliferationsabwehr dar . Knapp zwei Drittel der indizierten Einkaufsversuche sind dem iranischen Programm zuzuordnen . Ich frage die Bundesregierung: Lügt der Verfassungsschutz, oder hat die Bundesregierung doch Erkenntnisse darüber, dass seit der Unterzeichnung des Wiener Abkommens durch den Iran Proliferationsversuche im Zusammenhang mit dem Atomprogramm festgestellt wurden, und wenn ja, wie möchte die Bundesregierung das Parlament hierüber wahrheitsgemäß unterrichten?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatssekretär Beckmeyer .

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Abgeordneter Beck, herzlichen Dank für die Frage . - Wir werden immer wahrheitsgemäß antworten . Wir werden diesen in der Presse zu lesenden Aussagen der verschiedenen Verfassungsschutzämter nachgehen . ({0}) - Keine Entrüstung . - Wir werden diesen Dingen nachgehen und sie aufklären . Sie sprachen zu Recht von Beschaffungsversuchen . Es ist zu hinterfragen, bei wem das versucht worden ist und ob es mit Erfolg versucht worden ist . Diese Frage werden wir ebenfalls aufklären .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kommissionspräsident Juncker und die Handelskommissarin haben ihre Meinung revidiert und wollen jetzt über CETA den Bundestag und die anderen nationalen Parlamente abstimmen lassen . Die Bundesregierung hat mehrmals dazu Position bezogen und sich dafür starkgemacht . Das war auch gut, und damit hat sie sicher zu dieser Änderung beigetragen . Nun soll aber dieses Handelsabkommen schon vorläufig in Kraft treten, und zwar bevor die Einzelparlamente, also auch der Bundestag, darüber abgestimmt haben . Wie ist die Haltung der Bundesregierung dazu? Denn es ist doch eine Farce, auf der einen Seite auf der Mitbestimmung des Bundestages zu bestehen, während auf der anderen Seite das Abkommen schon in Kraft ist . Wird sich die Bundesregierung auch dafür einsetzen, dass die vorläufige Inkraftsetzung von CETA nicht stattfindet?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dazu haben wir, Frau Kollegin, gleich eine Aktuelle Stunde, in der das intensiv erläutert werden kann .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber das wird nicht beantwortet . Ich frage, damit das beantwortet werden kann .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist bei beiden Versuchsanordnungen ziemlich gleich groß, scheint mir . Aber wir können es einmal testen . - Herr Beckmeyer, bitte schön . ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich würde in der Tat den Kollegen Beckmeyer bitten, darauf zu antworten, sofern er dazu heute in der Lage ist .

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Kollegin, Ihre Frage zielt auf die Debatte zu CETA im Rahmen der Aktuellen Stunde ab . Wir haben gestern die Entscheidung der Kommission zur Kenntnis nehmen dürfen, dass entgegen ihrer bisherigen Haltung es kein EU-only-Abkommen werden soll, sondern ein gemischtes . Wir werden uns also auch hier in Deutschland auf einen Abstimmungsprozess zubewegen . Es werden sicherlich entsprechende Vorklärungen in Richtung des Handelsministerrates auch hier im Parlament stattfinden. Auf diese Art und Weise wird es, so denke ich, eine Meinungsbildung des Deutschen Bundestages und vielleicht auch des Bundesrats geben . Das wird sicherlich auch ein Fingerzeig für das entsprechende Verhalten der Bundesregierung im jeweiligen Rat sein . Dann wird das Europäische Parlament über diesen Vorgang zu entscheiden haben . Damit haben wir ein Verhalten des Europaparlaments zu dem gesamten Abkommen . Danach wird darüber in den entsprechenden Parlamenten der Mitgliedstaaten entschieden . Das ist ein längerfristiger Prozess, an dem wir uns sicherlich in Deutschland beteiligen werden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jedenfalls, Frau Höhn, bedarf es nicht der Genehmigung der Europäischen Kommission, dass sich der Deutsche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt . Wenn es zu der jetzt absehbaren Prozedur kommt, setzt die denkbare Zustimmung der Bundesregierung zur vorläufigen Inkraftsetzung dieses Vertrages die Zustimmung des Volker Beck ({0}) Bundestages voraus - Punkt . Völlig eindeutige Rechtslage . ({1}) Ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen, die ich aufrufen will . Das sind der Kollege Ströbele, die Kollegin Mihalic und der Kollege Beck, die ich bitte, sich im Rahmen der vorgesehen Zeitfristen zu bewegen . - Herr Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident . - Ich habe mich vorhin gemeldet - leider bin ich erst jetzt an der Reihe -, als der Herr Staatssekretär auf die Frage nach Herrn Maaßen geantwortet hat . Sie sagen, Sie könnten noch nichts Endgültiges sagen . Deshalb meine klare Frage: Sehen Sie eine Verantwortlichkeit von einem Behördenleiter, wie das Herr Maaßen als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist, die unabhängig davon ist, ob er an den einzelnen Vorgängen beteiligt war? Das ist die sogenannte Organisationsverantwortung . Das heißt, dass der Chef auch für Vorgänge in seinem Amt geradestehen und die Verantwortung übernehmen muss, bei denen er direkt und konkret gar nicht involviert gewesen ist .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Das möchte ich gern für die ganze Bundesregierung beantworten: Ja, selbstverständlich sieht die Bundesregierung das so für alle Behördenleiter .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Mihalic .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin Hendricks, ich finde es gut, dass Sie für die gesamte Bundesregierung die Antwort gegeben haben, dass ein Behördenleiter selbstverständlich die Verantwortung trägt, wenn es in seiner Behörde offensichtlich Defizite gibt. Herr Krings, Sie sagen, man könne jetzt noch keinerlei voreilige Schlüsse dahin gehend ziehen, was das Ergebnis dieser Untersuchung betrifft . Der Bericht liegt ja nunmehr vor . Sie haben uns diesen Bericht sozusagen vertraulich bei der Geheimschutzstelle vorgelegt, und wir konnten diesen Bericht auch einsehen. Aber ich finde, es ist schon ein merkwürdiger Vorgang, dass Sie selbst, das Bundesinnenministerium, Teile dieses Berichts in einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit bringen . Deswegen möchte ich an Sie die Fragen richten: Warum ist dieser Bericht überhaupt als vertraulich eingestuft? Welche Punkte sind es ganz konkret, die die Öffentlichkeit nicht erfahren soll? Das Handeln, das Sie da an den Tag legen - einerseits stufen Sie als vertraulich ein, andererseits gehen Sie selbst damit an die Öffentlichkeit -, finde ich schon bemerkenswert . Vielen Dank . ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Es liegt im Wesen der Geheimhaltungsvorschriften, dass man diese nicht offenbaren kann .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Das hätte ich natürlich unmöglich schöner formulieren können, Frau Ministerin . Wir arbeiten nach der Maßgabe - das habe ich hier an anderer Stelle schon des Öfteren gesagt, und das nehme ich sehr ernst -: So viel Transparenz wie möglich, so viel Geheimhaltung wie notwendig . - Wenn ein Bericht Teile enthält, über die man sagen kann: „Das kann man der Öffentlichkeit ohne die Verletzung von Interessen Dritter, ohne die Verletzung von Staatsinteressen und Geheimschutzinteressen mitteilen“, dann wäre es geradezu fatal, wenn wir die entsprechenden Teile nicht veröffentlichten . Insofern können Sie als eine von wenigen, die das in der Geheimschutzstelle gelesen haben, beurteilen, wo die Differenz an dieser Stelle liegt . Das gilt übrigens nicht für den ganzen Bericht; das ist ja doch ein Unterschied . Sie kennen den Bericht offensichtlich in Gänze und können selbst sehen, wo die Grenzen gezogen worden sind . ({0}) Ich kann nur ganz deutlich sagen: In der Tat ist die Aussage von mir zu unterstreichen; das gilt für alle Behörden, selbst für Ministerien . Natürlich stellt sich dort, wo in einer Behörde Fehler passieren, die Frage nach ihrer Organisation . Aber die Konsequenzen daraus - falls Sie darauf abzielen - hängen von der Schwere der Fehler ab . Darum bleibe ich dabei: Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös, einschätzen zu wollen, wie schwerwiegend der begangene Fehler ist . Insofern wären weitere Aussagen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Ordnung .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Frage: Volker Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte meine Frage an Ihre Antwort anknüpfen . Ich hatte die Bundesregierung letzte Woche schon nach Proliferationsversuchen des Iran gefragt . Ich frage Sie jetzt: Hat die Bundesregierung Kenntnis von Proliferationsversuchen des Iran nach dem Abschluss des Wiener Abkommens, die im Zusammenhang mit dem Atomprogramm des Iran stehen können? Es reicht eigentlich ein Ja oder ein Nein . Präsident Dr. Norbert Lammert

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das hätte den Vorzug, dass die Antwort leicht in höchstens 60 Sekunden zu beantworten ist .

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Ich habe eben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns um den Verfassungsschutzbericht, den Sie zitiert haben, kümmern werden; wir werden dem nachgehen . Der entscheidende Punkt ist, dass nach meinem Kenntnisstand die Aussagen von Verfassungsschützern rückwärtsgewandt waren . Diesen Punkt werden wir aufklären . Einige Abgeordnete dieses Hauses haben sich dazu auch in den letzten Tagen öffentlich geäußert . Ich bin nicht in den Gremien, in denen dies besprochen worden ist . Wir werden dieser Sachlage nachgehen, und wir werden sie auch aufklären . Wenn dieser Aufklärungsprozess abgeschlossen ist, werde ich Ihnen schriftlich auf Ihre Frage antworten . Herzlichen Dank .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe damit die Regierungsbefragung . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde Drucksachen 18/8998, 18/9024 Zu Beginn rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 18/9024 auf . Ich will mit zwei Vorbemerkungen beginnen: Erste Vorbemerkung . Wenn wir aufseiten des Parlaments wie der Regierung die Regierungsbefragung so ernst nähmen, wie sie eigentlich gedacht ist, brauchten wir das Institut der dringlichen Fragen nicht, weil jeder in der Lage ist, wie wir das heute gerade demonstriert haben, auch unabhängig von den angekündigten Themen dringliche Fragen zu stellen . Zweite Vorbemerkung . Solange wir dieses Institut haben, ist es eine gelegentlich schwierige Abwägung, ob eine Frage wirklich dringlich ist oder nicht . Gelegentlich entscheide ich selbst entgegen den plausiblen formalen Hinweisen der Bundestagsverwaltung zugunsten der Fragesteller . Wenn mir dann jemand eine dringliche Frage vorlegt, ich sie auch als dringlich genehmige, ich unmittelbar vor Beginn der Sitzung aber die Mitteilung bekomme, dass eine schriftliche Antwort eigentlich auch genüge, persifliert sich das Anliegen selbst. ({0}) So, finde ich, können wir nicht miteinander verfahren. Deswegen bitte ich, das künftig bei entsprechenden Anfragen möglichst zu berücksichtigen . ({1}) Mit dieser Begründung entfällt nun die Behandlung der zugelassenen dringlichen Frage 1 der Kollegin Jelpke an das Bundesministerium des Innern . Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes . Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Movassat auf: Inwiefern war die Bundesregierung in die geplante Änderung des sogenannten Instruments für Stabilität und Frieden ({2}), die die Europäische Kommission am Dienstag, dem 5 . Juli 2016, beschließen wollte, eingebunden, und inwiefern teilt sie die Einschätzung des Rechtsdienstes der Europäischen Kommission, dass die Finanzierung des Militärs „nicht gleichzeitig Teil der Entwicklungszusammenarbeit der EU und ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sein“ kann ({3})? Die Kollegin Frau Staatsministerin Böhmer wird diese dringliche Frage liebenswürdigerweise beantworten .

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Danke, Herr Präsident . - Herr Kollege Movassat, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Worum geht es? Mit dem Instrument für Stabilität und Frieden will die EU - ich zitiere jetzt aus dem Text - „spezifische globale und transregionale Bedrohungen des Friedens, der internationalen Sicherheit und der Stabilität“ bewältigen . In der EU ist Konsens, dass Partner zur Krisenprävention und Krisenbewältigung befähigt werden müssen, auch durch konkrete Projekte . Das läuft unter dem Thema „Capacity building in support of security and development“, kurz: CBSD . - Im April 2015 haben der Europäische Auswärtige Dienst und die Kommission dazu eine gemeinsame Mitteilung vorgelegt . Der Rat hat diese Mitteilung am 18 . Mai 2015 begrüßt und den Auftrag gegeben, Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen . Es geht nicht um sogenannte letale Ausrüstung - das möchte ich betonen -, und das ist auch in der gemeinsamen Mitteilung klargestellt . Zur Einbindung der Bundesregierung . Die Bundesregierung wurde kontinuierlich unterrichtet, unter anderem in den zuständigen Ratsgremien und im Verwaltungsrat für das Instrument für Stabilität und Frieden . Das Initiativrecht zur Vorlage eines Änderungsvorschlags zu der Verordnung für das IfS liegt bei der EU-Kommission . Daher war die Bundesregierung nicht an der Formulierung beteiligt . Die EU-Kommission hat zur Vorbereitung in der Zeit vom 1 . April bis zum 27 . Mai 2016 eine öffentliche Anhörung durchgeführt . Nun zur Rechtsauslegung . Das Instrument für Stabilität und Frieden dient zur Krisenbewältigung . Die EU soll durch eine wirksame Reaktion rasch zur Stabilität beitragen können . Die vom Rechtsdienst der Kommission vertretene Rechtsansicht teilt die Bundesregierung nicht . Die Finanzierung von militärischen Aufgaben in Krisenlagen durch die EU ist nicht ausgeschlossen . Das sehen auch der Rat und das Europäische Parlament so . Die Kommission selbst hat nun das Verfahren zur Änderung des Instruments für Stabilität und Frieden in Gang http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html gesetzt, und damit zeigt sie, dass sie jetzt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen Finanzierung durch Anpassung des IfS hat .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank . - In dem Spiegel-Artikel vom 4 . Juli, der sozusagen die Grundlage für die Frage ist, steht nicht, dass Deutschland eigentlich nur unterrichtet worden ist, kein Initiativrecht hat, sich nur zurückgelehnt hat, sondern darin steht: Deutschland war eine treibende Kraft dieser Änderung . - Die Änderung läuft darauf hinaus, dass Gelder, die bisher eigentlich für die Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen waren, für militärische Ausbildung und militärische Ausrüstung ausgegeben werden sollen . Deshalb frage ich Sie, ob Deutschland nur sozusagen passiver Teilnehmer war oder ob Deutschland, also die Bundesregierung, in den Gremien der EU eine treibende Kraft war und dieses Vorhaben - Entwicklungsgelder für Militärisches auszugeben - politisch unterstützt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte schön .

Not found (Gast)

Danke schön . - Herr Kollege Movassat, ich habe diesen Artikel von Spiegel Online vor mir . Sie kennen den ja auch . Ich kenne auch Ihre Pressemeldung, die Sie gestern abgesetzt haben . ({0}) Ich finde schon bemerkenswert, dass Sie sich zwar auf die Überschrift des Artikels gestützt, sich aber nicht den weiteren Text vorgenommen haben . Denn im weiteren Text steht: Wie viel Geld für die Militärhilfe ausgegeben wird und woher es kommen soll, steht in dem Entwurf nicht . In diesem Artikel ist lediglich von „Ideen“ die Rede . Die Überschrift suggeriert also etwas Definitives - so auch Ihre Pressemeldung -, während im weiteren Verlauf dieses Artikels von „Ideen“ die Rede ist . Ich darf Ihnen sagen, dass es inzwischen - und das gilt nicht nur für die Bundesregierung -, insbesondere seit wir die Agenda 2030 beschlossen haben, eine sehr viel umfassendere Sichtweise dessen gibt, was notwendig ist . Wer sich mit Entwicklungshilfe beschäftigt - Sie tun das ja sehr ausführlich -, der weiß ganz genau, dass wir dann, wenn wir Entwicklungshilfe in fragilen Staaten, in schwierigen Staaten auch wirklich zu den Menschen bringen wollen, für Stabilität sorgen müssen . Das bedeutet, dass eine zielführende Entwicklungshilfe nur durch Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten ist .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben jetzt sehr viele Allgemeinplätze formuliert und gesagt, was alles nicht ist . Das ist irgendwie nicht sehr hilfreich . Wir haben heute im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Unterrichtung durch die Bundesregierung beantragt, damit wir überhaupt einmal wissen, was Fakt ist . Die Koalition hat jedoch eine Unterrichtung im Fachausschuss, der für dieses Thema zuständig ist, abgelehnt . Jetzt sagen Sie mir, in dem Artikel sei sozusagen das und das falsch oder nur punktuell wiedergegeben . Aber Sie sagen mir nicht, welches die „Ideen“ sind . Aber es soll ja gestern einen Beschluss gegeben haben . Mich würde jetzt interessieren: Was wurde da ganz konkret beschlossen? Was soll passieren? Sie sagten, es soll nicht letale Ausrüstung sein . Welche Ausrüstung ist es, die geliefert werden soll? Woher kommen die Mittel? Wir bekommen hier keine Informationen, und dann werfen Sie mir vor, sozusagen eine falsche Angabe zu machen. Aber Sie sagen mir nicht, was Tatsache ist. Das finde ich von der Bundesregierung schon ziemlich schwach .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe gesagt, Sie haben nur einen Teil des Beitrags von Spiegel Online zum Gegenstand gemacht, und den anderen Teil, in dem von „Ideen“ die Rede ist, haben Sie - so sage ich jetzt einmal - hintenan gelassen; ich könnte auch sagen: unter den Tisch fallen lassen . Es ist Ihre Sache, wie Sie mit einem solchen Artikel umgehen . Genauso ist es meine Sache, den Artikel in den entsprechenden Passagen zu zitieren . Ich finde es sehr gut, dass Sie das Thema bereits heute Morgen angeschnitten haben und wir nun durch Ihre dringliche Frage Gelegenheit zum Austausch haben . Gestern gab es in der Tat einen entsprechenden Beschluss . Das ist völlig unbestritten . Der Vorschlag wurde heute Morgen als offizielles Arbeitsdokument „zirkuliert“. Ich kann Ihnen auch sagen, wann . Es war um 10 .45 Uhr . Ich darf Ihnen in aller Klarheit sagen, dass er dem Bundestag im üblichen Verfahren so schnell wie möglich zugeleitet werden wird . Sie werden also ausführlich Gelegenheit haben, sich den Text in Ihrem Ausschuss und möglicherweise auch in anderen Ausschüssen vorzunehmen . - Jetzt gerade habe ich den Text auch bekommen . Ich darf einmal sagen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt waren sehr hilfreich und haben sich darum bemüht . Denn ich will ja nicht vor Ihnen stehen und sagen: Ich kenne den nicht . - Aber ich bitte angesichts des Textumfanges um Verständnis, dass ich den Text, den ich erst vor wenigen Minuten erhalten habe, noch nicht studieren konnte; denn ich glaube, es ist wichtig, dass man ihn gründlich studiert . Sie können auch auf einen Zeitungsartikel zurückgreifen, der heute in der FAZ erschienen ist . In diesem Zeitungsartikel wird davon gesprochen, was ausgeschlossen ist und was nicht . Aber ich bin dafür, dass das dann im entsprechenden Ausschuss ausführlich erörtert wird . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich jetzt das Wort zu weiteren Nachfragen zu dieser Frage erteile, mache ich alle darauf aufmerksam: Wir haben hier eine optische Unterstützung, und wenn die Signallampe auf Rot springt, ist entweder die Fragezeit abgelaufen oder die Antwortzeit . Ich bitte, sich daran ein wenig zu orientieren . Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Hänsel das Wort .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön . - Frau Staatsministerin, Sie sagten jetzt, bezüglich der „Ideen“ usw . könnten Sie noch nicht so viel sagen . Aber wenn man sich jetzt Berichte aus der Ratsarbeitsgruppe Entwicklungszusammenarbeit anschaut, dann sieht man: Die Kommission schreibt, dass gerade die Partner in Afrika besonders an einer Ausstattung bezüglich Countering Violent Extremism - also bezüglich irgendwie gearteter Terrorismusbekämpfung interessiert seien . In dem Zusammenhang taucht auch wieder dieses Instrument für Stabilität und Frieden auf . Man müsste sich allerdings zumindest an die Menschenrechtsrichtlinien halten . Ebenso taucht das Instrument für Stabilität und Frieden im Zusammenhang mit einer EU-Krisenübung auf, „Multilayer 2016“, die für Oktober geplant ist . Hier wird es genannt im Rahmen von Überlegungen, verschiedene Finanzierungsinstrumente zu testen . Dann gibt es einen Bericht der Kommission zu Cyber Capacity Building, also Cyber Security, und auch da taucht dieses Instrument auf . Meine Frage: Unterstützen Sie diese Instrumentalisierung von Entwicklungsgeldern und die Umwidmung in immer mehr militärische und zivil-militärische Maßnahmen? Ist das die Position der Bundesregierung?

Not found (Gast)

Ich versuche, es kurz zu machen, Frau Präsidentin . Frau Kollegin, ich will einmal daran erinnern, um was es sich bei diesem Instrument für Stabilität und Frieden handelt . Es ist eben kein ausschließliches Entwicklungshilfeinstrument, sondern es ist ein Stabilisierungsinstrument . ({0}) Ich betone noch einmal - das ist auch der Erkenntnisfortschritt, der sich niedergeschlagen hat in den SDGs, über die Sie sich ja auch sehr gebeugt haben und die ich selbst in New York verhandelt habe -, dass wir einen umfassenden Ansatz brauchen und dass wir selbstverständlich in derart gebeutelten Regionen, wo Terrorismus herrscht, wo Konflikte überschäumen, den Menschen Sicherheit geben müssen . Dem dienen entsprechende EU-Missionen . Ich glaube, es ist wichtig, mit Blick auf dieses Instrument zu betonen, dass die Mittel nicht daran gebunden sind, als ODA-Mittel anrechenbar zu sein . Das ist eine besondere Qualifizierung. Wenn ich jetzt noch Zeit hätte, würde ich Ihnen gerne ein Beispiel geben; aber das können wir vielleicht bei der nächsten Antwort ergänzen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das ergibt sich ja vielleicht gleich noch . - Das Wort zu einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank . - Sie sprachen gerade von Verhandlungen . Ich kenne das Instrument für Stabilität und Frieden sehr gut; denn ich war Berichterstatterin für dieses Instrument im Europaparlament und habe es in der letzten Legislaturperiode federführend verhandelt . Von daher weiß ich sehr gut, was damit möglich ist und was nicht . Ich möchte daran erinnern: Es handelt sich um einen eher kleinen Geldtopf mit etwas mehr als 2 Milliarden Euro über sieben Jahre . Im Rahmen der Krisenbewältigung ist es ein politisches Instrument . Es ist vorgesehen für Mediation, Dialog, die Unterstützung von Aussöhnungsprozessen, Friedensförderung, Peace Buildung, die klassische Versöhnungsarbeit . Schon damals ist hart darum gerungen worden, ob die Militärausrüstung in diesen Topf aufgenommen wird . Das wurde damals mehrheitlich nicht so gesehen, weil man gesagt hat: Es ist ein kleiner Topf, dessen politische Aufgabe Krisenintervention ist, Verhinderung von Gewalt, wenn möglich, und Nachsorge hin zur Versöhnung . Deswegen ist es für mich wirklich nicht erklärlich, warum man jetzt für Militärausrüstung, nur weil man keinen anderen Geldtopf dafür findet - vielleicht ist sie sogar sinnvoll, aber doch bitte nicht aus diesem Topf -, aus diesem kleinen Instrument, das für den Frieden vor Ort so viel bewirken kann, diese großen Summen herausnehmen möchte . Ich möchte Sie fragen: Werden Sie dem zustimmen, wenn das jetzt ins Verfahren kommt?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatsministerin .

Not found (Gast)

Ich bin sehr froh, dass Sie sich so intensiv mit diesem Instrument beschäftigt haben . Das hilft uns auch, um in der Diskussion hier im Deutschen Bundestag den Blick zu schärfen . Ein Betrag von 2 Milliarden Euro ist ja nicht gerade ein Kleckerbetrag; es ist schon eine stattliche Summe . Bei EU-Mitteln müssen wir manchmal in anderen Dimensionen denken . Aber ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen: Man hat - das Ringen darum haben Sie selbst erlebt im EU-Parlament, und das Thema ist nach wie vor Gegenstand der Diskussionen - früher immer sehr genau getrennt zwischen zivilen und militärischen Ansätzen . Heute sehen wir, dass wir im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung vor Problemen stehen, die sehr viel mehr im Bereich der Stabilisierung erfordern . Als ich die SDGs in New York verhandelt habe, war das auch ein Thema . Das Ziel Nummer 16 der Sustainable Development Goals sagt uns - ich darf zitieren -: Strengthen relevant national institutions, including through international cooperation, for building capacity at all levels, in particular in developing countries, to prevent violence and combat terrorism and crime . Hier haben wir den Ansatzpunkt, auf den sich die Kommission stützt . Ich glaube, es ist wichtig, jetzt einen solch umfassenden Ansatz zu haben und damit auch die Mittel für Entwicklungshilfe an die Menschen zu bringen . Es ist eine humanitäre Aufgabe von uns, damit die Gelder nicht brachliegen, verpuffen und den Menschen vor Ort nicht dienen . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kekeritz das Wort .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. - Ich finde es sehr interessant, wie Sie plötzlich Stabilität, Sicherheit und militärische Maßnahmen in Verbindung bringen . Ich denke, wir haben 40, 50 Jahre lang Erfahrung im Bereich der Entwicklungspolitik . Hier ist deutlich geworden, dass wirkliche Stabilität nicht auf militärischen Maßnahmen basiert, sondern auf sozioökonomischen Entwicklungen, die den Menschen eine Perspektive für ihre Zukunft liefern . Aber das ist eine andere Frage . Ich weiß nicht, ob Sie den Kollegen Müller gut kennen, aber Sie kennen sicher die zentralen Aussagen, die er getroffen hat . Er sagte noch vor zwei Jahren: Keine Entwicklungsgelder für militärische Einsätze, Waffen und Material . . . Er ergänzt noch: Das wäre ein Anschlag auf die Entwicklungspolitik Europas . Ich weiß nicht, ob Sie meine Frage beantworten .

Not found (Gast)

Gerne .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie würden Sie das heute sehen?

Not found (Gast)

Darf ich?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatsministerin .

Not found (Gast)

Gerne . - Wir stimmen hier doch völlig überein . Das schlägt sich auch in dem Änderungsvorschlag nieder, dass solche letalen Ausrüstungen ausgeschlossen sind . Dahinter stehen wir auch, und wir setzen uns dafür ein: keine Waffen, keine Munition . Dafür sind die Gelder nicht vorgesehen . Dafür dürfen sie auch nicht verwendet werden . Ich will Ihnen dies einmal an einem Beispiel deutlich machen; denn wir wollen hier die Dinge ausräumen . Wir wollen alles daransetzen, dass in den Ländern, in denen die Menschen Hilfe zur Selbsthilfe brauchen, dies auch wirklich funktioniert . Ich nehme einmal das Beispiel Mali . Das habe ich im Haus viel diskutiert . Wenn malische Soldaten, die dort ausgebildet worden sind - Sie wissen, wir haben vor kurzem die EU-Mission EUTM Mali hier im Deutschen Bundestag verlängert -, nicht über die notwendige Kommunikationsausrüstung verfügen, sie also nicht über Funkgeräte verfügen, oder wenn sie keine Schutzwesten gegen Minen und Sprengfallen haben, wenn sie nicht einmal die notwendigen Krankenwagen, Wasserbehälter und Tankfahrzeuge haben oder wenn es an Unterkünften, Verpflegung und medizinischer Versorgung mangelt, dann funktioniert es nicht . Es geht darum, dass im Sicherheitsbereich nicht nur ausgebildet wird, sondern dass die Betreffenden ihrer Aufgabe unter den gegebenen Bedingungen nachkommen können, sodass sie den Menschen helfen können . Wenn ein Bauer von Terroristen bedroht wird, wenn er nicht mehr ernten und somit nicht mehr für sein Leben sorgen kann, dann müssen wir vor Ort Hilfe geben . Um nichts anderes geht es .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet wurde, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/8998 in der üblichen Reihenfolge auf . Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Verfügung . Frage 1 der Abgeordneten Erika Steinbach, Frage 2 des Abgeordneten Dr . André Hahn, Frage 3 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sowie Frage 4 der Abgeordneten Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Was teilt die Bundesregierung über ihre Aufklärungsbemühungen sowie deren Ergebnisse dazu mit, dass die griechische Küstenwache zusammen mit Frontex-Schiffen Flüchtlinge schon in EU- bzw . ostägäischen Gewässern mit Waffendrohung gezwungen haben soll, auf herbeigerufene türkische Grenzschutzboote am 13 . Juni 2016 ({0}) überzuwechseln, bevor sie Asylanträge stellen konnten, insbesondere dazu, ob Hinweise deutscher Stellen oder des deutsch geführten dortigen NATO-Flottenverbands dazu beitrugen? Bitte, Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Ströbele, herzlichen Dank, dass ich Ihre Frage mündlich beantworten darf . Sie zeigen damit mehr Standfestigkeit als die meisten anderen Kollegen Fragesteller . Ich beantworte Ihre Frage gerne wie folgt: Der Bundesregierung liegen zum Gegenstand der Frage keine eigenen Erkenntnisse vor . Im besagten Zeitraum wurden weder durch die Bundespolizei noch durch den NATO-Flottenverband derartige Ereignisse beobachtet . Frontex wurde dennoch noch einmal um Aufklärung gebeten . Die Überprüfung dauert hier noch an . Es ist davon auszugehen, dass die unabhängige Grundrechtsbeauftragte der Agentur im Rahmen ihrer regelmäßigen Berichterstattung dem Frontex-Verwaltungsrat auch hierzu berichten wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke . - Herr Staatssekretär, das habe ich befürchtet .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Befürchtet hoffentlich nicht . Das ist eine gute Nachricht, finde ich.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das ist keine gute Nachricht; denn der Vorgang ist empörend . Hat die Bundesregierung oder hat das Ministerium denn auch einmal bei den Menschenrechtsorganisationen nachgefragt, die das veröffentlicht haben, und zwar unter genauer Protokollierung sogar der Minuten, wann was in der Ägäis passiert ist, nämlich dass am 11 . Juni 2016 um 4 Uhr früh eine solche Rückführung stattgefunden hat, bei der die Flüchtlinge, darunter 14 Kinder, sogar mit Waffen bedroht worden sein sollen, damit sie direkt von den griechischen Schiffen auf die türkischen Schiffe gehen, die sie dann zurückbrachten? Haben Sie sich darum bemüht? Ich kann Ihnen diesbezüglich mehrere Fundstellen nennen. Die haben das sogar fotografiert, offenbar aus der Entfernung - ich weiß auch nicht, von woher .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Danke, Frau Präsidentin . - Herr Ströbele, wie es unsere Aufgabe ist, haben wir natürlich zunächst einmal in unserem Geschäftsbereich und bei Frontex nachgefragt . Wenn ich Ihnen sage, dass wir dazu keine Erkenntnisse haben, dass es einen solchen Vorfall unseres Wissens nicht gegeben hat, würde ich das erst einmal als eine positive Nachricht bewerten, weil damit die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch ist, dass die Meldung vielleicht nicht stimmt . Allerdings kann ich nicht beurteilen, wo im Einzelnen Informationen abgerufen worden sind . Wenn Sie weitere Informationen haben, dann kann ich Sie nur herzlich bitten, sie mir zu geben . Dann werde ich im Hause veranlassen, dass man auch diesen Informationen nachgeht .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit haben Sie das Wort zur zweiten Nachfrage . Bitte .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Geben Sie mir in der Bewertung recht, dass, wenn es stimmt, dass 53 Flüchtlinge im griechischen Gewässer von einem griechischen Militärschiff aufgegriffen worden sind und dann ein türkisches Schiff gerufen wurde, dass die Flüchtlinge - darunter, wie gesagt, 14 Kinder und auch mehrere sehr alte Menschen - gezwungen wurden, auf das türkische Schiff zu gehen, um in die Türkei zurückgebracht zu werden, damit alles widerlegt würde, was die Bundesregierung bisher behauptet, nämlich dass diese Aufgreifmaßnahmen der Stellung von Schleusern dienen? Das würde doch zeigen, dass es eigentlich darum geht, einen Wall gegen die Flüchtlinge auf dem Meer aufzubauen und durchzusetzen . Geben Sie mir mit dieser Bewertung recht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Danke, Frau Präsidentin . - Wenn Flüchtlinge oder andere Personen in griechischen Hoheitsgewässern entdeckt und aufgenommen werden, dann sind erst einmal griechische oder EU-Behörden dafür zuständig und keine Behörden anderer Staaten . Eine weitere Bewertung eines für mich derzeit noch hypothetischen Sachverhalts kann ich hier nicht vornehmen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt noch eine weitere Nachfrage . Die Kollegin Corinna Rüffer, bitte .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie sagen, dass es hier um hypothetische Vorfälle geht . Herr Ströbele hatte ja nachgefragt, ob Sie sich darum bemühen, aufzuklären, ob diese Vorwürfe tatsächlich hypothetisch sind . Sie haben geantwortet, dass Sie bei Frontex Vizepräsidentin Petra Pau nachgefragt hätten . Herr Ströbele fragte aber auch, ob Sie sich um Informationen von Menschenrechtsorganisationen bemüht haben, die, wie wir wissen, oft auch sehr gute Informationen haben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich habe das eben meines Erachtens schon - wenn vielleicht auch nur inzident - beantwortet . Natürlich nutzen wir auch andere Quellen . Ich kann nichts zum konkreten Sachverhalt sagen, dazu, wer dort außerhalb von Behörden konkret gefragt worden ist . Ich kann nur meine Einladung an den Kollegen Ströbele erneuern, dass ich die Unterlagen, die er hat und über das hinausgehen, was wir bisher schon haben, gerne mitnehme und zum Gegenstand weiterer Nachfragen mache . Wieweit das bisher schon erfolgt ist, kann ich en détail nicht sagen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Wunderlich hat noch eine Nachfrage .

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Weil ich dann doch gereizt wurde . - Herr Staatssekretär, gehe ich fehl in der Annahme, dass Ihren Aussagen zufolge das Aufklärungsbemühen der Bundesregierung diesbezüglich genauso intensiv ist wie das Aufklärungsbemühen hinsichtlich der Toten an der türkisch-syrischen Grenze? In der letzten Fragestunde konnten wir nämlich feststellen: Das Verteidigungsministerium war nicht zuständig, das Kanzleramt war nicht zuständig, dieser war nicht zuständig, jener war nicht zuständig . Es ging im Grunde keinen etwas an .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich lasse die polemische Einkleidung Ihrer Frage einmal weg . Ich möchte betonen, dass wir uns um Aufklärung in erster Linie durch unsere eigenen Behörden und auch durch die europäischen Behörden bemühen, die zu Recht dazu berufen sind, dass wir aber natürlich auch weiteren Hinweisen nachgehen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern . - Danke, Herr Staatssekretär . Die Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz - es handelt sich um die Frage 6 des Abgeordneten Andrej Hunko soll schriftlich beantwortet werden . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen . Auch hier sollen die Fragen - es handelt sich um die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Klaus Ernst - schriftlich beantwortet werden . Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller zur Verfügung . Die Fragen 9 und 10 der Abgeordneten Sabine Zimmermann werden schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Katrin Werner auf: Wie hoch wären nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten, wenn das in Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebene Menschenrecht auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform durch entsprechende Änderungen des Bundesteilhabegesetzes ({0}) sowohl in § 116 als auch in § 104 SGB IX vollständig umgesetzt würde? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kollegin Werner, hierzu liegen der Bundesregierung keine Angaben vor . Die Vielzahl aller denkbaren individuellen Wünsche, wo, in welcher Wohnform und mit wem leistungsberechtigte Menschen mit Behinderungen wohnen und leben möchten, übersteigt die Möglichkeiten fundierter Berechnungen . Selbst Schätzungen sind nicht möglich . Ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht ist im Übrigen vor dem Hintergrund des Gebotes der Wirtschaftlichkeit, das unverzichtbarer Gegenstand aller Sozialleistungsgesetze ist, nicht möglich .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Nachfrage wurde schon fast provoziert . Sie haben auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Bundesteilhabegesetz hingewiesen . Insofern frage ich mich schon, ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass gerade die angesprochenen §§ 104 und 116 des Bundesteilhabegesetzes wirklich garantieren, dass die Umsetzung von Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention gegeben ist, durch den das Wunsch- und Wahlrecht für ein selbstbestimmtes Leben garantiert werden soll .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Darauf antworte ich gerne . In der Tat: Das Kernstück von Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Wunsch- und Wahlrecht . Wir sagen: Ja, dem entsprechen wir auch . Trotzdem müssen wir in unseren Sozialleistungsgesetzen - das gilt im Übrigen für alle Sozialleistungsgesetze - das Gebot der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen . Wir sind hinsichtlich der Erfüllung von Wünschen und hinsichtlich der Gewährung der Wahlfreiheit also nicht absolut frei .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Über die Leistungen wird in den Verwaltungen der Kommunen entschieden . Wenn Sie Entscheidungen an den wirtschaftlichen Grundlagen festmachen, dann heißt das doch, dass die Wirtschaftskraft der jeweiligen Stadt oder Gemeinde eine Rolle spielt bei der Entscheidung, ob Teilhabeleistungen genehmigt werden oder nicht . Bei den angesprochenen Paragrafen geht es auch um das Pooling beim Erbringen von Leistungen, auch Zwangspooling genannt . Das alles erzeugt in mir die Vorstellung, dass in einer Gemeinde, die ein bisschen mehr Geld hat, bessere Leistungen erbracht werden bzw . andere Entscheidungen getroffen werden als in einer Gemeinde, die hoch verschuldet ist . Man würde also zulassen, dass mindestens 16 unterschiedliche, landesspezifische Entscheidungen möglich sind, weil die Länder unterschiedlich aufgestellt sind . Die Anzahl der unterschiedlichen Entscheidungen erhöht sich noch, wenn ich die Anzahl der Städte und Gemeinden hinzuzähle .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Präsidentin, ich antworte gerne, aber ich werde diese Frage nicht in der Kürze beantworten können, in der ich die beiden ersten Fragen beantwortet habe . - Frau Kollegin Werner, es ist natürlich nicht so, dass der Haushalt einer Gemeinde darüber entscheidet . Wir haben als Erstes selbstverständlich immer ein pflichtgemäßes Ausüben des Ermessens . Das ist nicht in die Beliebigkeit der einzelnen örtlichen Sozialämter oder anderer Behörden gestellt . Die Intention Ihrer Frage ist aber, dass es gar keine Leitplanken für das Ausüben des Wunsch- und Wahlrechts geben dürfte . Darauf habe ich geantwortet, dass bei steuerfinanzierten Sozialleistungen insgesamt sehr wohl auch die Frage der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen ist. Grundsätzlich gilt pflichtgemäßes Ermessen immer . Auch die Frage der Zumutbarkeit ist relevant . Auch nach dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, über den wir zurzeit sprechen, soll als Erstes immer geschaut werden - zum Beispiel bei der gemeinsamen Inanspruchnahme von Leistungen, auf die auch andere heute zu behandelnde Fragen zielen -: Ist das der Person zumutbar? Kommt man nach dieser ersten Prüfung zu dem Ergebnis, dass das nicht der Fall ist, werden weitere Wirtschaftlichkeits- oder Kostenrechnungen nicht angestellt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink das Wort .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön . - In meiner Nachfrage geht es auch um den Paragrafen zur Wirtschaftlichkeit der Wohnform . Warum hat die Bundesregierung nicht direkt im Gesetzestext, sondern nur in der Begründung zum § 104 Bundesteilhabegesetz beschrieben, welche Angebote bei einem Kostenvergleich verglichen werden können? Erwarten Sie nicht aufgrund der Tatsache, dass das eben nicht Teil des Gesetzeswortlauts ist, vermehrt Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Frage, was wirtschaftlich ist und was nicht?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Klein-Schmeink, nein, die erwarten wir nicht . Wir wissen, dass bei der Anwendung der Gesetze auch die Begründung von großer Bedeutung ist . Sie dient ja dazu, zu interpretieren . Insofern teile ich Ihre Befürchtung nicht .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat Kollegin Rüffer das Wort .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Frau Lösekrug-Möller, mit Ihrer Ansicht stehen Sie relativ allein . Wenn Sie sich die Stellungnahmen der Verbände anschauen, stellen Sie fest, dass sie anderer Meinung sind . Die Anwender der Gesetze, in diesem Fall die Städte und Gemeinden, schauen in der Regel nicht in die Begründung, sondern in den Gesetzestext, und versuchen, die Gesetze anzuwenden . Gesetze sollten auch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in den Behörden klar formuliert sein, aber vor allen Dingen mit Blick auf die Menschen . Sie verfolgen mit dem Bundesteilhabegesetz das Ziel, das Wunsch- und Wahlrecht zu stärken . Ein Punkt, der immer wieder angegriffen worden ist, ist der Mehrkostenvorbehalt im Zusammenhang mit dem Prinzip „ambulant vor stationär“ . Alle Verbände haben gesagt, dass der Mehrkostenvorbehalt ein Problem ist . Sie hingegen sagen, dass es generelle Leitplanken gibt und die Wirtschaftlichkeit die wesentliche Leitplanke ist . Warum braucht man beim Wunsch- und Wahlrecht Ihrer Ansicht nach eine weitere Leitplanke? Warum reicht die allgemeine nicht aus?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank . - Frau Kollegin Rüffer, wir haben darüber schon mehrfach diskutiert . Ich fühle mich mit meiner Position überhaupt nicht alleine; die Sorge möchte ich Ihnen nehmen . Wir haben sehr differenzierte Stellungnahmen der Verbände erhalten . Wie Sie wissen, sind viele der Empfehlungen der Verbände in die Fassung eingeflossen, die das Kabinett verabschiedet hat. Das wissen Sie ebenso wie viele andere, die sich mit dem Entwurf intensiv beschäftigt haben . Ich habe auch nicht die Sorge, dass wir die Menschen, die über Eingliederungshilfen entscheiden, überlasten, wenn wir ihnen zumuten, eine Gesetzesbegründung zu lesen . Sie wissen, dass es zu den meisten Gesetzen weitere Hinweise gibt . Das ist gar nicht meine Sorge . Ich habe eher die Hoffnung und den großen Wunsch, dass viele, die sich mit der reformierten Eingliederungshilfe beschäftigen werden, hinreichend gute Fortbildungsangebote bekommen und nutzen - dafür sorgen wir gemeinsam mit dem Deutschen Verein -, damit die Grundidee der neuen Eingliederungshilfe auch wirklich Anwendung findet. Genau aus diesem Grund sagen wir ja auch, dass diese wesentlichen Regelungen erst zum Januar 2020 in Kraft treten, damit hinreichend Zeit ist, diesen Umdenkungsprozess und diese Neugestaltung wirklich so festzumachen, dass sie zum Wohle der Betroffenen ihre Wirksamkeit entfalten kann .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 12 der Kollegin Katrin Werner: Auf welcher fachlichen Begründung basiert die Regelung, nach der eine Person in fünf bzw . drei Lebensbereichen der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit ({0}) eingeschränkt sein muss, um zum leistungsberechtigten Personenkreis zu gehören? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich antworte gerne . Frau Kollegin Werner, Ziel der Bundesregierung ist es, den Kreis der bisher leistungsberechtigten Personen der Eingliederungshilfe beizubehalten . Er soll weder eingeschränkt noch ausgeweitet werden . Dies vorweggestellt, erlaube ich mir die folgende Anmerkung: Die Frage gibt die Regelung zum Zugang zu Leistungen nur teilweise wieder . Deshalb antworte ich: Die Regelung des neuen § 99 SGB IX im Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, auf die Sie sich beziehen, bildet das gewandelte fachliche Verständnis von Behinderung ab, das sich unter anderem in der ICF - das ist die International Classification of Functioning, Disability and Health - und der UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt . Die Regelung verbindet dieses gewandelte fachliche Verständnis mit der für die Eingliederungshilfe unabdingbaren Notwendigkeit, eine - ich zitiere - in erheblichem Maße eingeschränkte Fähigkeit am Leben in der Gesellschaft im Einzelfall festzustellen . Mit der Regelung wird zudem auch die heutige Praxis abgebildet, in der der Begriff der wesentlichen Behinderung bereits entsprechend ausgelegt wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nun ist ja das, was Sie als Antwort geben, Ihre Darstellung und die der Bundesregierung bzw . des Ministeriums . Ich möchte ganz gezielt wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung unternimmt, dass die Sachbearbeiter vor Ort oder die jeweiligen Behörden genau so entscheiden, wie Sie es darstellen - so wurde es auch schon am 22 . Juni in der Beantwortung dargestellt -, dass es also keine Verschlechterung, keine Benachteiligung gibt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr gerne . Ich kann als Erstes die Antwort geben, dass wir in der Kabinettsfassung eine Ergänzung haben . Dort heißt es: Es gibt ergänzend eine Ermessensleistung . Des Weiteren wird sichergestellt, dass die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe, wie sie jetzt besteht, zweifelsfrei auch zukünftig gegeben ist . Das gilt für jede einzelne Leistungsberechtigte und jeden einzelnen Leistungsberechtigten . Ich habe schon ausgeführt, dass wir als Bundesebene viel Wert darauf legen, auf dem Weg zu der in der Reform intendierten Gleichstellung und sozusagen besseren Gewährung von Leistungen zu unterstützen und zu helfen . Deshalb wird es in den kommenden zwei Jahren sehr viele Aktivitäten dazu geben . Sie finden im Gesetzentwurf einen Paragrafen, in dem sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, die Umsetzung des Gesetzes zusätzlich mit Forschung und Evaluierung zu unterstützen . Wir werden gemeinsam mit den Ländern ganz sicher einen guten Weg finden; denn das können wir nicht allein . Sie wissen, Kommunen sind Bestandteile der Länder . So wollen wir dafür Sorge tragen, dass dies ab Januar 2020 zum Wohle der Betroffenen gut gelingt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In unseren Büros oder bei den Fraktionen wird oft nachgefragt, wie sich das neue Gesetz auf gewisse Bereiche auswirken wird . Daher mache ich es ganz konkret an einem Beispiel fest; zu diesem Fall wurden wir auch gefragt . Es geht um eine gehörlose Person, die praktisch nur im Bereich Kommunikation eine Teilhabeeinschränkung hat . Hat diese Person nach dem jetzt vorgesehenen Referentenentwurf kompletten Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher im Rahmen der Eingliederungshilfe oder nicht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Da natürlich ein Einzelfall häufig ein bisschen komplizierter ist, als man ihn in einem Satz darstellen kann, unterstelle ich jetzt einmal, dass diese Person bereits jetzt Leistungen der Eingliederungshilfe - Gebärdensprachdolmetschen ist eine solche Hilfe - bekommt . Dies wird dann auch zukünftig so sein .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink das Wort .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin Berichterstatterin für den Bereich der Menschen mit einer psychischen Erkrankung . Es gibt ja auch die Menschen, bei denen eine psychische Behinderung besteht . Aktuell stellt sich die Frage, ob diese unter die neuen Kriterien fallen . Mir liegen jedenfalls Zuschriften von Fachgesellschaften vor, die die große Sorge haben, dass die Personengruppen, die von ihnen vertreten werden, eben nicht mehr unter den neuen Begriff fallen . Werden Sie darauf reagieren und hier Veränderungen vornehmen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich darf Ihnen als Fachfrau sagen: Darauf haben wir bereits reagiert . Solche Sorgen wurden natürlich auch an uns herangetragen . Wir nehmen jede Sorge sehr ernst, dass betroffene Personen, welche Art der Einschränkung bzw . Beeinträchtigung sie auch immer haben, zukünftig vielleicht von Leistungen ausgeschlossen werden könnten . Deshalb sage ich: Wenn diese Personen heute Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können, dann werden sie dies zukünftig auch dürfen . Genau das ist die Ergänzung, die wir in der aktuellen Fassung vorgenommen haben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Rüffer .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne . - Sie berufen sich jetzt immer wieder auf den Bestandsschutz; bei Ihnen geht es um Personen, die heute schon Leistungen in Anspruch nehmen . Es wird aber auch zukünftig Personen geben, die eine psychische Beeinträchtigung erleiden oder gehörlos werden . Auch für diese Personengruppe ist es natürlich wichtig, dass Sie heute Regelungen schaffen, die auch zukünftig noch tragen . Hier ist die Frage: Können Sie das gewährleisten?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, das kann ich, Frau Kollegin Rüffer, weil auch für die Zukunft der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt . Wir haben Standards gesetzt, indem wir sagen: „Das heutige Leistungsangebot wird es auch zukünftig geben“, und deshalb ist dieser Übergang in Zukunft stabil .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Wunderlich .

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Lösekrug-Möller, dass Sie den Betroffenen, die gegenwärtig schon Leistungen beziehen, die Ängste nehmen, indem Sie sagen: Es gibt einen Bestandsschutz . Ich möchte an die Frage der Kollegin Rüffer anschließen . - In drei bzw . fünf Teilbereichen der insgesamt neun Bereiche muss eine Beeinträchtigung vorhanden sein . Besteht hier nicht die Gefahr - diese Befürchtung wird ja auch von den Verbänden, von den Trägern der Pflegeheime und von Betroffenen geäußert -, dass der sogenannte Zwillingseffekt eintreten kann? Man sagt: Es gibt einen Bestandsschutz . Die Leistungen bleiben erhalten, egal in welcher Gruppe jemand ist . - Eine Person mit genau den gleichen Symptomen, die neu unter diese Kategorie fällt und Leistungen beantragt, erhält im Schnitt aber zwischen 6 und 8 Prozent weniger Leistungen, worüber sich der Finanzminister natürlich freut, während die Betroffenen natürlich nur wenig davon haben . Sehen Sie diese Gefahr hier auch? Sie wird von den Verbänden zum Beispiel auch hinsichtlich des Pflegestärkungsgesetzes gesehen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Darauf antworte ich gerne . - Herr Kollege Wunderlich, dieser Prozentsatz ist mir nicht bekannt, und wir machen Gesetze auch nicht zur Freude oder zum Ärger des Finanzministers, ({0}) sondern wir machen fachlich gute Gesetze . Ich habe gerade ausgeführt, dass die Leistungsgewährung nach aktuellem Stand mindestens Maßstab für die zukünftige Leistungsgewährung ist . Sie sprechen eine Personengruppe an, die jetzt noch keine Leistungen bezieht, möglicherweise aber zukünftig, wenn ich Sie richtig verstanden habe . Ich teile nicht die Sorge, dass dann weniger Leistungen gewährt werden; denn unter das jetzige Niveau werden wir nicht fallen . Ich will noch einmal etwas zu diesem Katalog - fünf aus neun oder drei aus neun; das sind ja die drei Zahlen, die hier immer relevant sind - sagen: Das haben wir in diesem Gesetzentwurf so geregelt, weil wir uns ausdrücklich dazu verpflichtet sahen und weil wir damit auch viele Wünsche der Betroffenenverbände aufgenommen haben, ICF- und UN-BRK-konform zu definieren. Hiernach ist nämlich nicht das entscheidend, was einer Person fehlt, sondern das, was sie braucht, um an allen gesellschaftlichen Lebensbereichen teilhaben zu können . Daraus resultieren diese neun Kategorien . Von einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung spricht man dann, wenn eine Teilhabe in mindestens fünf - wenn keine personelle oder technische Hilfe gewährt wird - oder drei wenn personelle oder technische Hilfe gewährt wird Lebensbereichen nicht möglich ist .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kurth .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, nach meinem Verständnis der ICF-Kategorien geht es darum, ganz allgemein und unabhängig von der Frage, in wie vielen Bereichen Unterstützungsbedarf benötigt wird, den Teilhabebedarf zu ermitteln und nicht ex negativo Ausschlusskriterien festzulegen und zu sagen: Wenn man in weniger als fünf von neun Bereichen Hilfe braucht, dann bekommt man diese Hilfe nicht . Mich interessiert jetzt vor allen Dingen: Wie wollen Sie denn bei diesen ganzen unbestimmten Rechtsbegriffen ausschließen, dass die Träger der Eingliederungshilfe, also Landschaftsverbände, die Kommunen, in manchen Bereichen auch die Länder, nicht den Klageweg beschreiten bzw . die Betroffenen den Klageweg beschreiten lassen? Bereits jetzt gibt es den Versuch, Menschen, die im Leistungsbezug sind, Leistungen vorzuenthalten . Wenn man im Gesetz derart unbestimmte Lebensbereiche festlegt, dann fordert das die Kostenträger geradezu heraus, erst einmal die Grenzen auszutesten . Wie wollen Sie das denn ausschließen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, ich glaube, wir müssen als Erstes festhalten, dass wir bei der Eingliederungshilfe nach wie vor über einen Personenkreis mit einer wesentlichen Einschränkung und Beeinträchtigung sprechen . Nicht jede Beeinträchtigung ist eine Berechtigung für den Zugang zur Eingliederungshilfe . Dabei ist die Frage: „Was ist wesentlich?“, näher zu bestimmen . Da hilft genau die Auswahl, die wir vorgenommen haben . Jenseits Ihrer Frage - ich glaube, auch Sie wollen nicht, dass wir als Rechtsstaat Leistungsempfängern den Weg versperren, Leistungen einzuklagen und sich so den Zugang zur Leistung zu verschaffen; so habe ich Ihre Einlassung nicht verstanden - ist es auch zukünftig nicht ausgeschlossen - das gelingt mit keinem Gesetz -, dass eine Klärung in einem Rechtsstreit erfolgt . Zu der Frage der unbestimmten Rechtsbegriffe . Das hat viel mit der Lebenswirklichkeit zu tun . Schauen Sie sich die neun Kategorien an, die im Wesentlichen herangezogen werden, um zu sehen: Handelt es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung? Diese Kategorien orientieren sich sehr stark an der Idee der Teilhabe und an Bereichen des Lebens, in denen Teilhabe relevant ist .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke . - Damit kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Jutta Krellmann: Was war das Ziel des Gesprächs, das die Bundesministerin Andrea Nahles zusammen mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller und 15 geladenen Bürgerinnen am 30 . Juni 2016 von 9 .30 bis 11 .30 Uhr, also zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss zum Bundesteilhabegesetz, führte? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr gerne . - Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Krellmann, Ziel des Gesprächs war es, sich mit Menschen mit Behinderungen in unterschiedlichen Lebenslagen aus verschiedenen Teilen des Landes über den am 28 . Juni vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf eines Teilhabegesetzes auszutauschen . Im Mittelpunkt des Gespräches standen die Anliegen, Überlegungen und Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund ihrer eigenen Behinderung oder ihres persönlichen Engagements für die Belange von Menschen mit Behinderungen diesen Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit begleiten .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu ersten Nachfrage .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Meine Nachfrage lautet: Warum haben Sie die Betroffenen erst zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss eingeladen? Im Grunde liegt doch die Vermutung nahe, dass mögliche Erkenntnisse, die Sie in dem Gespräch gewonnen haben, gar keine Berücksichtigung mehr finden konnten.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Wir haben die Stellungnahmen von Betroffenenverbänden, von Verbänden und Projekten aller Art schon bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes einbezogen . Bevor der Referentenentwurf vorlag, haben wir bereits einen sehr intensiven gemeinsamen Bearbeitungsprozess unter ausgesprochen starker Beteiligung Betroffener und ihrer Verbände durchgeführt . Insofern hat es im gesamten Entstehungsprozess dieses Gesetzentwurfs eine sehr hohe Betroffenenbeteiligung gegeben . Ich denke, dass eine Ministerin gut beraten ist, diesen Austausch auch nach einem Kabinettstermin fortzusetzen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Für mich bleibt trotzdem der Eindruck, dass das eine Art Showveranstaltung gewesen ist . Die Frage ist: Nach welchen Kriterien wurden denn die Teilnehmer dafür ausgewählt?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ihre Einschätzung des Charakters der Veranstaltung teile ich nicht . Das Ministerbüro hat entschieden, wer eingeladen wurde, und diese Freiheit steht der Ministerin und ihrem Büro auch zu .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Rüffer das Wort .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Lösekrug-Möller, Sie haben gerade erwähnt, dass Sie einen sehr umfangreichen Beteiligungsprozess durchgeführt haben, der sich in der Tat über ein Jahr erstreckte . Ihnen ist aber auch bekannt, dass die Verbände und betroffene Personen am Ende mit dem, was an Anregungen in den Gesetzentwurf eingeflossen ist, in wesentlichen Punkten nicht zufrieden gewesen sind . Im Gegenteil: Wir haben über Wochen erlebt, dass jeden Tag betroffene Menschen stundenlang vor dem BMAS ausgeharrt haben, um ihren Protest kundzutun . Am letzten Wochenende gab es wieder eine große Aktion am Berliner Hauptbahnhof, bei der Betroffene darum gebeten haben, dieses Gesetz nicht in Kraft zu setzen . Der Hashtag #NichtMeinGesetz war zeitweise der am häufigsten benutzte in der Bundesrepublik Deutschland . Hat dieses Treffen nicht auch damit zu tun gehabt, dass Sie versuchen, mit den Protestierenden in Kontakt zu treten und hoffentlich gegebenenfalls an den entscheidenden Stellen zu Nachbesserungen zu kommen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, gerne . - Frau Kollegin Rüffer, ich will gerne darauf hinweisen, dass wir zahlreiche Anregungen aus der Verbändeanhörung wie auch aus der Länderanhörung aufgenommen haben . Wenn Sie die beiden Texte vergleichen, werden Sie das erkennen . Bei den Verbänden handelt es sich mitnichten nur um Verbände, die Leistungsanbieter vertreten, sondern darunter waren auch sehr wohl Betroffenenverbände, die hinreichend Gelegenheit hatten, all das noch einmal mündlich vorzutragen . Alle Anregungen lagen auch schriftlich vor .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Werner das Wort .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte mich noch einmal auf den 30 . Juni beziehen. Ich finde es zwar gut, wenn die Ministerin die Gespräche fortsetzt . Aber so, wie Sie es dargestellt haben, hörte es sich an, als ob das Teil eines langen Konzeptes und eines Marketingplans wäre . Das provoziert mich zu der Frage, ob Sie mir recht geben könnten, dass das Gespräch, das am 30 . Juni stattfand, vielmehr die Antwort auf Demos oder Mahnwachen war, die drei Wochen lang vor dem Ministerium stattgefunden haben . Wie Sie wissen, gab es am 4 . Mai, also am Vortag des Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, in Berlin eine große Demo . Seit diesem Tag fanden immer wieder Demos vor dem Ministerium statt . Das Gespräch wurde den Teilnehmern an diesen Demos oder an den Aufrufen #NichtMeinGesetz - zwei von ihnen sind heute auf der Tribüne anwesend - genau in diesem Rahmen zugesagt . Insofern ärgert es mich ein Stück weit: Wenn so etwas zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss gemacht wird, wird es von vielen Betroffenen eher als Alibiveranstaltung verstanden .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sorry . - Denn zwei Tage vorher gab es am Bahnhof einen großen Protest zu Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Werner, das BMAS hat in dieser Sache kein Marketingkonzept . Mir ist überhaupt kein Marketingkonzept meines Ministeriums, das ich hier vertrete, bekannt . Ich weise gerne darauf hin, dass es nach einer Veranstaltung am Brandenburger Tor den Wunsch von Demonstrierenden gab, mit der Ministerin oder Vertretern des Hauses zu sprechen . Dem sind wir wenige Tage später nachgekommen . Nicht die Ministerin, sondern ich habe, begleitet vom zuständigen Abteilungsleiter, an dem Gespräch teilgenommen . Wir haben den Anwesenden das Angebot gemacht, in einen Dialog einzutreten . Sie hatten die Chance, darüber nachzudenken und sich zu entscheiden, und sie sind zu der Entscheidung gekommen, dass sie den Dialog zu diesem Zeitpunkt nicht fortsetzen wollten .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 14 der Kollegin Jutta Krellmann: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass bei der beim Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH in Auftrag gegebenen Studie ({0}) zur Ermittlung der Verwaltungskosten in der Eingliederungshilfe, die zum Ziel hatte, den Aufwand der Träger der Eingliederungshilfe für die mit dem Bundesteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung des Personals zu schätzen, nur fünf Sozialämter beteiligt waren? Bitte, Frau Staatssekretärin . http://nichtmeingesetz.de/ http://nichtmeingesetz.de/

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Die in der Frage zitierte Studie befasst sich mit der Praxis der Einkommensanrechnung in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und geht der Frage nach den Einnahmeausfällen bei einem Verzicht auf den Einkommensrückgriff nach . Die Studie hatte nicht zum Ziel, den Aufwand der Träger der Eingliederungshilfe für die mit dem Bundesteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung zu schätzen . Die geringe Anzahl der beteiligten örtlichen Sozialhilfeträger erklärt sich daraus, dass nach den Rückläufen aus den Ländern die Verwaltung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen einschließlich der Durchführung des Einkommensrückgriffes häufig von überörtlichen Trägern der Sozialhilfe wahrgenommen wird . Ich weise darauf hin, da das Stichwort schon einmal gefallen war: In Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Landschaftsverbände, die dies für das gesamte Bundesland wahrnehmen . Deshalb wurden ergänzende Daten bei den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe erhoben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Studie und die politische Entscheidung, die auf der Grundlage dieser Studie getroffen wurde, besonders im Hinblick darauf, dass ambulant lebende Menschen mit Behinderung nicht berücksichtigt wurden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich würde Ihnen die Antwort darauf gern schriftlich zukommen lassen, da Ihre ursprüngliche Fragestellung ja eine andere Zielrichtung hatte . Wenn Sie einverstanden sind, liefern wir Ihnen das gern schriftlich nach .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das halten wir erst einmal fest, und Sie stellen nun die zweite Nachfrage .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Zur zweiten Frage: Warum verlässt sich die Bundesregierung allein auf die Aussagen der BAGüS hinsichtlich der Verwaltungskosten im IGES-Gutachten, nachdem sich an der Umfrage nur fünf Sozialämter also sehr wenige - beteiligt haben? Im Grunde ist dies ja eine Frage der Überwachung der eigenen Effizienz einer Behörde, und diese kann man ja immer nur damit beantworten: Jawohl, natürlich sind wir effizient.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja . Ich darf vielleicht noch einmal allen, die uns heute zuhören und zuschauen, erklären, was die BAGüS ist . Das ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger, und ich erwähnte schon: Zwei dieser Träger decken zum Beispiel das gesamte Land Nordrhein-Westfalen ab, deshalb muss man Zahlen auch relativieren . Meines Erachtens ist es so, dass hier sehr seriöse statistische Daten erhoben werden, auf die man sich auch als Ministerium verlassen kann .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Klein-Schmeink hat das Wort zu einer Nachfrage .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön . - Meine Frage richtet sich auf die Freibeträge für die Renten- und Alterssicherung . Wir sprechen ja gerade über die Einkommens- und Vermögensanrechnung . Dabei bleiben Sie in § 136 unterhalb der durchschnittlichen Verdienste von rentenversicherten Personen . Das wird immer entlang einer Bezugsgröße festgelegt . Welchen Hintergrund hat es, dass Sie darunter bleiben, und glauben Sie, dass damit eine vernünftige Alterssicherung für diesen Personenkreis sichergestellt werden kann?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Die Frage, welche Alterssicherung vernünftig ist, müssen andere beantworten . Ich glaube, dass es darum geht, die Chance für eine angemessene Alterssicherung zu gewährleisten, und dies halten wir für gegeben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 15 des Kollegen Strengmann-Kuhn soll schriftlich beantwortet werden . Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Corinna Rüffer auf: Warum möchte die Bundesregierung mit § 116 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX-E ({0}) den Trägern der Eingliederungshilfe die Möglichkeit eröffnen, Leistungen unter der Bedingung zu erbringen, dass sie von mehreren Leistungsberechtigten gemeinsam in Anspruch genommen werden, und warum reicht aus ihrer Sicht die Möglichkeit nach § 116 Absatz 3 SGB IX-E, Leistungen auf Antrag des Leistungsberechtigten gemeinsam zu erbringen, nicht aus? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Gerne . Frau Präsidentin . - Liebe Kollegin Rüffer, bereits heute hat sich in der Eingliederungshilfe in Einzelfällen die Praxis entwickelt, Leistungen gemeinsam in Anspruch zu nehmen . Hierfür wird jetzt in § 116 die rechtliche Grundlage geschaffen . Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf: Die Leistungen zur Assistenz …, zur Heilpädagogik …, zum Erwerb und Erhalt praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse …, zur Förderung der Verständigung …, zur Beförderung im Rahmen der Leistungen zur Mobilität … und zur Erreichbarkeit einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme … können an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden … Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen kann fachlich geboten sein, zum Beispiel, wenn Ziele im Bereich des sozialen Lernens verfolgt werden . Ob dabei eine gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen erfolgt, wird nicht allein in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt . Der oder die Leistungsberechtigte muss auf Augenhöhe an der Entscheidung beteiligt werden . Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen muss für die Leistungsberechtigten zumutbar sein . Ist sie nicht zumutbar, ist diese - auch bei Berücksichtigung der Kostengesichtspunkte - unzulässig .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben es hier mit einer Wortneuschöpfung zu tun . „Zwangspoolen“ wird der Sachverhalt, der in diesem Paragrafen geregelt wird, von den betroffenen Menschen genannt . Es ist richtig, dass es sinnvoll sein kann, Leistungen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen; das ist ja heute auch schon gängige Praxis . Das kann der Sache angemessen sein und ist sicherlich auch unter fiskalischen Gesichtspunkten in vielen Fällen nicht dumm . Die Frage ist aber: Warum müssen Sie die gemeinschaftliche Inanspruchnahme in § 116 Absatz 2 gesetzlich regeln, wenn das heute schon gemacht wird, und warum halten Sie die bestehenden Regelungen, die das ermöglichen, für nicht ausreichend?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, sehr gerne . - Frau Kollegin Rüffer, wenn Sie mir den Paragrafen zeigen, in dem die gemeinschaftliche Inanspruchnahme von Leistungen geregelt ist, wäre ich Ihnen sehr dankbar . Tatsächlich gibt es einen solchen Paragrafen nicht . Wir regeln das nun in dem gebotenen Umfang . Ich möchte meine Antwort nicht wiederholen, deshalb nur so viel: Wenn es nicht zumutbar ist, Leistungen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen, dann darf das nicht stattfinden; das ist recht deutlich. Das ist eine klare Regelung . Die Bereiche, für die das gilt - ich habe sie bereits aufgezählt -, finden sich in § 116.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Besonders große Bedenken bestehen hinsichtlich der gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Assistenzleistungen; das ist Ihnen bekannt . Die Betroffenen befürchten, dass ihre Privatsphäre und ihr Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt werden . Diese Argumente kennen Sie alle . Wenn man Assistenzleistungen gemeinschaftlich in Anspruch nimmt, kann das bedeuten, dass man - um das einmal für diejenigen plastisch zu machen, die das vielleicht noch nicht so intensiv beleuchtet haben - gemeinschaftlich entscheiden muss, ob man am Wochenende als Gruppe auf einen Hundeplatz oder zu einem Fußballspiel geht . Das hat mit Selbstbestimmung und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention natürlich überhaupt nichts zu tun . Aber das ist ein Bereich, den Sie explizit nennen, wenn es darum geht, dass die Träger der Eingliederungshilfe auf eine gemeinschaftliche Inanspruchnahme hinwirken sollen . Das ist für mich ein großes Fragezeichen . Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie zu bitten, mir zu erklären, warum Sie das in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, der vom Bundestag verabschiedet werden soll .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Kollegin Rüffer, ich gehe davon aus bzw . ich habe die starke Hoffnung, dass dieser Gesetzentwurf vom Bundestag verabschiedet wird . Bei sozialer Teilhabe und Assistenz gibt es erstmalig sehr aufgefächerte Regelungen . Was Sie gerade als gemeinschaftliche Inanspruchnahme von Leistungen beschrieben haben, bildet eher ein Problem ab, das wir heutzutage haben . Meines Erachtens habe ich sehr deutlich gemacht, dass der oder die Leistungsberechtigte von Anfang an an den Entscheidungen beteiligt werden muss . Das ist nach geltendem Recht bislang nicht möglich . Wir sehen zukünftig ein großes Verfahren der Beteiligung vor . Das kann begleitet werden durch unabhängige Beratung . Das halte ich persönlich für einen sehr großen Fortschritt . Das stärkt die Rechte der Betroffenen . In diesem Zusammenhang kann ich die umfängliche Sorge, die Sie ausgedrückt haben, nicht teilen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Scharfenberg das Wort .

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Meine Nachfrage richtet sich ebenfalls auf die gemeinsame Inanspruchnahme . Plant denn die Bundesregierung, die Regelung zur gemeinsamen Inanspruchnahme von Leistungen auch auf die Hilfe zur Pflege zu übertragen? Sollte dies nicht der Fall sein: Wie stellt sich die Regierung die praktische Umsetzung der verschiedenen Regelungen bei Menschen vor, die auf beide Leistungen angewiesen sind?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank . - Ich beziehe mich heute auf das Bundesteilhabegesetz. Wir haben, was die Hilfe zur Pflege betrifft, ein Pflegestärkungsgesetz III, das nach meinem Wissensstand noch nicht das Parlament erreicht hat . Ich kann hier nur sagen: Bei den Regelungen der gemeinsamen Inanspruchnahme von Leistungen beziehe ich mich hier ausschließlich auf den Teil der Eingliederungshilfe .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Wunderlich hat das Wort zu einer Nachfrage .

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Lösekrug-Möller, ich glaube Ihnen gerne, dass Sie wirklich engagiert sind, das Beste für die Menschen wollen und Sie diese Sorge, was künftige Leistungseinschränkungen betrifft, nicht teilen . Sie sagten sinngemäß: Es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, Leistungen zu verhindern - in Klammern: um den Finanzminister zu bespaßen . Ist Ihnen bewusst, dass am morgigen Sitzungstag, planmäßig um 4 .20 Uhr, ein Gesetz hier im Bundestag verabschiedet wird, das Hürden für Klagen vor den Sozialgerichten dergestalt errichtet, dass Klagen erst zugestellt werden, wenn der Kostenvorschuss eingegangen ist? Der Staat baut also Hürden auf, um sich vor Ansprüchen gegen sich selbst zu schützen . Das betrifft vieles, was Frau Rüffer schon gesagt hat . Es gibt viele unbestimmte Rechtsbegriffe, und es ist daher möglicherweise eine Vielzahl von Klagen zu erwarten, die mit der Regelung zu dem Kostenvorschuss eventuell abgewendet werden sollen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich will unserer gemeinsamen Hoffnung Ausdruck geben, dass es nicht 4 .20 Uhr Freitagfrüh sein wird . Das wäre dann ja schon Freitag . Aber wie auch immer: Dieses Gesetz ist parlamentarisch zu beraten . Ich gehe davon aus, dass viele, die Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, nicht nur ihre Rechte kennen, sondern sie auch nutzen . Ich gehe auch davon aus, dass sie nicht in die schwierige Lage kommen, dass sie durch eine Gesetzgebung, wie Sie sie gerade geschildert haben, einen eingeschränkten Zugang zu ihren Rechten haben . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 17 der Kollegin Rüffer: Wie erklärt die Bundesregierung die in der Begründung zum Vertragsrechtskapitel der neuen Eingliederungshilfe ({0}) enthaltene Aussage, Leistungen müssten nicht ausgeschrieben werden, obwohl das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lediglich Leistungen im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis von der Pflicht zur Ausschreibung ausnimmt, und wie soll so das angestrebte Ziel der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe erreicht werden? Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, sehr gern . - Frau Kollegin Rüffer, die Eingliederungshilfe wird durch das Bundesteilhabegesetz aus dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch herausgelöst, wie wir wissen, reformiert und im Neunten Buch Sozialgesetzbuch, in Teil 2, als besondere Leistung zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen geregelt . Vom Leistungsrecht der Eingliederungshilfe losgelöst ist das neue Vertragsrecht zu sehen, das die Leistungsabwicklung regelt . Trotz der Herauslösung aus der Sozialhilfe bleibt es bezüglich der rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsberechtigten, Leistungsträgern und Leistungserbringern bei einem Dreiecksverhältnis . Die Träger der Eingliederungshilfe werden, wie bisher schon die Träger der Sozialhilfe, weder öffentliche Aufträge noch Konzessionen im Sinne der EU-Richtlinie vergeben . Der Abschluss einer Vereinbarung nach dem Kapitel 8 des Teils 2 des SGB IX wird auch künftig kein vergaberechtlich relevanter Beschaffungsvorgang sein, da es wie schon jetzt in der Sozialhilfe an der hierfür erforderlichen Konkurrentenauswahl und einer definitiven Entgeltzuweisung fehlt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke . - Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Es ist nicht so einfach, das nachzuvollziehen, wenn gesagt wird: Die leistungsberechtigten Menschen werden aus dem Fürsorgesystem herausgenommen, während die Leistung darin bleibt . - Wir haben schon an anderer Stelle über das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz diskutiert . Wir haben eigene Vorschläge eingebracht und kritisiert, dass lediglich Leistungen, die sich im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis befinden, aus der Pflicht zur Vergabe herausgenommen werden . Es zeigt sich hier wieder: Wenn man eine saubere Lösung will, dann wäre es möglich gewesen, es zu tun . Ich hätte von Ihnen jetzt gerne eine nachvollziehbare Erläuterung, wie ich zu verstehen habe, dass einerseits die Personen herausgelöst sein sollen - was bedeutet das dann? -, andererseits die Leistungen aber Bestandteil der Sozialhilfe bleiben . Das ist schwierig zu vermitteln . Für die betroffenen Menschen selber ist es von großer Bedeutung, nicht mehr Teil der Sozialhilfe zu sein . Es war ein Versprechen der Bundesregierung, das Sie offensichtElisabeth Scharfenberg lich nicht einlösen wollen . Oder habe ich Sie missverstanden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Rüffer, mit dem Entwurf zum Bundesteilhabegesetz erfüllen wir vollumfänglich das im Koalitionsvertrag Verabredete: dass wir aus der Fürsorge herausführen . Gemeint ist das System der Eingliederungshilfe; ich habe es erläutert . Wie ich Ihnen gerade gesagt habe - es tut mir leid, wenn ich mich wiederhole; das meine ich jetzt weder pädagogisch noch böse -, werden wir das Leistungsrecht im Teil 2 vom Sozialgesetzbuch IX verankern . Gleichwohl besteht dieses Dreieck sozialhilferechtlicher Leistungen fort; das ist gar kein Widerspruch . Wir alle, die wir einschlägig studiert haben - Sozialpädagogik, Sozialwissenschaften oder Sozialarbeit -, wissen, wie wichtig das ist . Dazu habe ich ausgeführt, und dem habe ich gar nichts mehr hinzuzufügen . Wir glauben, dass das nicht nur sachgerecht ist; vielmehr besteht weiterhin ein logischer Zusammenhang, den wir nicht infrage stellen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Rüffer, Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, dass man zwischen Person und Leistung in dieser Weise trennt . Meine feste Überzeugung ist, dass es sinnvoll wäre, bei der Vergabe Nachbesserungen vorzunehmen, um zukünftig Ausschreibungen auch in anderen Bereichen zu verhindern . Ändert es bei ähnlichen Regelungen materiell, also am Inhalt, etwas, ob sie im SGB XII stehen oder Teil des Bundesteilhabegesetzes sind? Ist die Frage, in welchem Gesetz etwas geregelt wird, maßgeblich, oder ist der Inhalt maßgeblich? Die Herauslösung aus der Fürsorge würde im Kern bedeuten, auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen zu verzichten . Das tun Sie aber augenscheinlich nicht .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich darf darauf mit mehreren Anmerkungen reagieren; ich darf ja keine Rückfrage stellen, glaube ich . Wir erzielen bei Einkommen und Vermögen sehr wohl deutliche - wirklich deutliche - Verbesserungen . Das ist, glaube ich, allen erkennbar, die den Gesetzestext gelesen haben . Wir haben zahlreiche Verbesserungen, was die totale Freistellung und die Nichtanrechnung anbelangt, zum Beispiel bei Einkommen und Vermögen, wenn es um Ehepartner oder um Lebensgefährten geht . Aber das wissen Sie eigentlich alles . Was ich bei Ihnen gerade herausgehört habe, ist, dass Sie offenbar präferieren, Leistungen der Eingliederungshilfe auszuschreiben; vielleicht habe ich das auch missverstanden . Wir glauben, dass wir nach wie vor richtig liegen, wenn wir in diesem Dreieck bleiben . Ich will des Weiteren auf eine Sache hinweisen, die in diesem Bundesteilhabegesetz ebenfalls geregelt ist: Wenn das gewünscht ist, dann kann der Anspruch auf Eingliederungshilfe auch als eine Geldleistung ausgezahlt werden . Ich will das nachtragen, weil es illustriert, wie weitgehend Möglichkeiten von Betroffenen sind, zu sagen: Ich kann mir das so gestalten, wie ich es möchte .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kurth das Wort .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da die Ausführungen - sowohl ein Teil der Fragen als auch ein Teil der Antworten - komplex waren, stelle ich die ganz einfache Frage: Können Sie garantieren, dass zukünftig aufgrund dieses Gesetzentwurfs Leistungen der Eingliederungshilfe nicht ausgeschrieben werden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielleicht sollten Sie sich untereinander austauschen . Ich sage das, weil sich gerade zwei aus meiner Sicht etwas widersprüchliche Positionen in Ihrer Fraktion zeigen . ({0}) Wir behalten das sozialhilferechtliche Leistungsdreieck bei . Wir haben eine Debatte darüber im Ausschuss für Arbeit und Soziales gehabt - Herr Kollege Kurth, Sie waren dabei, und auch ich war dabei -, als wir über das neue Recht gesprochen haben . Wir haben gesagt, dass es zielführend und richtig ist . Ich kann nicht erkennen weil wir davon nicht abweichen -, dass es ein Risiko einer Ausschreibung gäbe . ({1}) - Ich habe geantwortet .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 18 der Kollegin Maria Klein-Schmeink: Aufgrund welcher fachlichen Begründung plant die Bundesregierung, beim Bundesteilhabegesetz ({0}) in § 99 Absatz 1 Satz 2 SGB IX die Schwere oder Erheblichkeit von Behinderung durch die Anzahl der durch Teilhabebeschränkungen betroffenen Lebensbereiche zu begründen? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, gerne . - Frau Klein-Schmeink, die Frage gibt die Regelung zum Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe nur teilweise wieder . Die Regelung des § 99 SGB IX im Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, auf die wir uns beziehen, bildet in der Gesamtheit das gewandelte fachliche Verständnis von Behinderung ab . Wir haben darüber ja schon gesprochen . Sie haben die Gelegenheit zu Nachfragen bei anderen Fragen genutzt . Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass diese Regelung ICF-basiert ist - ich spare mir jetzt die ausführliche Benennung - und dass sie auch das Wording der UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt . Sie verbindet dieses gewandelte fachliche Verständnis mit der für die Eingliederungshilfe unabdingbaren Notwendigkeit, eine in erheblichem Maß eingeschränkte Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, im Einzelfall festzustellen . Mit der Regelung wird auch die heutige Praxis abgebildet, in der der Begriff der wesentlichen Behinderung - auch das ist heute schon Gegenstand der Fragen und Antworten gewesen - bereits entsprechend ausgelegt wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn ich schon mehrere Nachfragen gestellt habe, ist mir immer noch nicht deutlich geworden, ob die Befürchtungen gerechtfertigt sind, die von den psychiatrischen Fachverbänden sehr deutlich geäußert worden sind, nämlich dass diese Gruppe von Menschen in Zukunft, weil sie nicht so viele Einschränkungen in so vielen Lebensbereichen haben, dass sie unter Ihre Definition fallen, aus zahlreichen heutigen Eingliederungsleistungen ausgegliedert würde . Noch einmal die Frage: Wie bewerten Sie diese Befürchtungen der Fachgesellschaften, und wie wollen Sie darauf reagieren? Ich habe einen Abgleich des Referentenentwurfs und des Gesetzentwurfs gemacht . Ich kann da keine Veränderung sehen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Gerne . - Ich weise Sie darauf hin, dass in dem durch das Kabinett verabschiedeten Text eine Ergänzung im Sinne einer Ermessensleistung enthalten ist . Wenn Sie in die Begründung schauen, dann werden Sie sehen, dass der Stand der Leistungsgewährung heute sozusagen das ist, woran man sich bei der Leistungsgewährung zukünftig mindestens - niemand kann dahinter zurückbleiben orientieren muss . Aus den von Ihnen genannten Stellungnahmen habe ich noch ein anderes Bedenken in Erinnerung; das will ich hier ansprechen, Frau Klein-Schmeink: Das hat damit zu tun, dass es um einen Kreis von Personen geht, deren Einschränkungen im Zeitablauf stark schwanken können . Sie werden mir sicher recht darin geben, dass das gerade bei dieser Personengruppe der Fall ist . Das ist einer der Gründe, warum die Sorge besteht, dass sie den Kriterien mal entsprechen könnten und mal nicht . Es ist aber heute schon so, dass zugrunde gelegt wird, dass diese Erkrankungen und Beeinträchtigungen, für die das elementar ist, so gewertet werden, dass es keinen Leistungsausschluss zur Folge hat, wenn es den Menschen einmal, was wir jedem wünschen, vorübergehend besser geht .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte nachfragen, ob ich Sie so verstehen muss, dass Sie sagen, dass die Regelung nicht zu einer Verschlechterung gegenüber dem jetzigen Stand führen wird . Meinen Sie das bezogen auf diejenigen, die jetzt schon unter diese Rechtsbereiche fallen? Wie wird es für neu Betroffene sein? Müssen die mit Einschränkungen, zum Beispiel beim Zugang zu Rehaleistungen bezogen auf Erwerbstätigkeit, rechnen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sie müssen nicht, aber Sie können mich so verstehen, dass die, die heute in der Leistungsgewährung sind, darin bleiben und dass für zukünftig Betroffene genau die Maßstäbe gelten, die heute bestehen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin KleinSchmeink: Aus welchen Gründen plant die Bundesregierung, gemäß § 109 SGB IX ({0}) die Leistungen der medizinischen Rehabilitation auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu beschränken und damit den Umfang der Leistungen im Vergleich zur heutigen Situation einzuschränken? Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Sehr gerne . - Frau Kollegin, die vorgesehene Regelung entspricht dem heutigen § 54 Absatz 1 Satz 2 SGB XII - das kennen Sie bestimmt - und entspricht somit aktuellem Recht. Es findet sich folglich in dem neuen § 109 SGB IX keine Leistungseinschränkung . Die weitere Anbindung der medizinischen Rehabilitationsleistung der Eingliederungshilfe an die entsprechenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet, dass nichtkrankenversicherte Menschen mit Behinderung unverändert die gleiche behinderungsspezifische medizinische Versorgung erhalten wie Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage . - Sie verzichten darauf . Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Markus Kurth: Warum müssen Menschen, die mit dem Budget für Arbeit von einer Werkstatt für behinderte Menschen ({0}) auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen, im Gegensatz zu Werkstattbeschäftigten ihr Einkommen und Vermögen einsetzen ({1}), und welche Anreizeffekte erwartet die Bundesregierung hinsichtlich der Regelungen und der Bereitschaft zum Wechsel von der WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, mit Einführung des Budgets für Arbeit erhalten besonders stark in ihrem Leistungsvermögen eingeschränkte Menschen mit Behinderung die Gelegenheit, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit einer tariflichen oder ortsüblichen Entlohnung aufzunehmen . Sie stehen damit anderen Menschen mit Behinderung gleich, die eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben und aus ihrem Einkommen einen Beitrag zu den Aufwendungen der von ihnen in Anspruch genommenen Eingliederungshilfe leisten. Sie profitieren aber auch von verbesserten Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Bezug von Erwerbseinkommen . Wir erhoffen uns davon eine Anreizwirkung .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Budget für Arbeit haben wir in den Fachdiskussionen ja immer als Nachteilsausgleich verstanden, um mit Blick auf die Produktivität eine Wettbewerbsgleichheit zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung herzustellen . Das Budget für Arbeit stellt also in dieser Hinsicht keinen ungerechtfertigten besonderen ökonomischen Vorteil dar, sondern soll eine gleichberechtigte Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen . Insofern wäre die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf einen Betrag, der als reiner Nachteilsausgleich gedacht ist, gleichbedeutend mit einer negativen Anreizwirkung . Stimmen Sie mir zu, dass mit den im Kabinettsentwurf genannten Zahlen von wenigen Tausend potenziellen Personen, die das in Anspruch nehmen könnten, die Bundesregierung aufgrund ihres Designs dieses Budgets für Arbeit selbst hier sehr niedrige Erwartungen hat?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ja, ich antworte gern . - Mit Blick auf die Personengruppen, die heute im Erwerbsleben sind und Eingliederungshilfe beziehen, kennen Sie, Herr Kollege Kurth, die Anrechnung bei Einkommen und Vermögen für Leistungen der Eingliederungshilfe . Mit Blick auf den anderen Personenkreis, von dem wir sehr hoffen, dass er größer werden wird, der nämlich zukünftig das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen kann, gehen wir von Personen aus, die vielleicht gar nicht oder kurze Zeit - oder wie auch immer - zum Beispiel in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet haben, die sich aber mehr zutrauen als einen Außenarbeitsplatz . Sagen wir das einmal ganz konkret so . Deshalb sagen wir: Die wollen wir einerseits mit einer „Rückfahrkarte“ ausstatten, sodass es jederzeit möglich ist, zurück in die Werkstatt zu kommen, aber wir wollen andererseits auch bestmöglich sicherstellen, dass sie mit dem Budget für Arbeit mit diesem Versuch, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt doch auch Platz zu finden und damit mittendrin in Arbeit zu sein, hoffentlich erfolgreich sind . Deshalb gibt es ja beim Budget für Arbeit auch die zusätzlichen Leistungen, die Ihnen bekannt sind . Wir gehen also davon aus, dass wir damit einen Anreiz schaffen und eine gute Unterstützung geben, damit - ich will nicht sagen: viele - die, die sich das zutrauen, es ausprobieren und - ich hoffe auch - damit Erfolg haben . Denn es streben schon viele an, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dabei zu sein . Dafür soll dieses Instrument hilfreich sein .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann sehe ich es doch wohl richtig, Frau Staatssekretärin, wenn Sie von denen sprechen, die sich mehr als einen Außenarbeitsplatz zutrauen, dass Sie sich mit dem Budget für Arbeit hauptsächlich an die Personen richten, die einen eher geringeren Unterstützungsbedarf haben . Sie setzen ja auch Obergrenzen, Deckel für das Budget für Arbeit im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst, was bei höherem Unterstützungsbedarf natürlich nicht ausreichen wird, um als Nachteilsausgleich zu dienen . Sehe ich es also richtig, dass die Bundesregierung das Budget für Arbeit nicht für alle Menschen mit Behinderung vorsehen möchte, sondern nur für die mit einem geringen Unterstützungsbedarf, und sehe ich es richtig, dass die Bundesregierung kein Interesse daran hat, dass Personen mit einem besonders hohen Unterstützungsbedarf ebenfalls die Möglichkeit haben, das Budget für Arbeit in Anspruch zu nehmen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

In beiden Fällen kann ich Ihnen nicht zustimmen, Herr Kurth, und ich verstehe auch nicht, wie Sie zu diesen Einschätzungen kommen können . Wenn wir im Grunde genommen einen Minderleistungsausgleich von bis zu 75 Prozent haben, finde ich das nicht gering. Aber es ist ja Ihrer Einschätzung vorbehalten, das zu bewerten . Wir wollen viele ermutigen . Diese Ermutigung unterlegen wir mit dem Instrument des Budgets für Arbeit . Wenn die Regelung in Kraft tritt, werden wir sehen, ob viele davon Gebrauch machen werden . Ja, das hängt auch stark von den Unterstützungsleistungen ab; da bin ich ganz bei Ihnen . Aber wir meinen, dass wir auch das hinreichend ausgestaltet haben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner das Wort . ({0}) - Die Kollegin Rüffer . Offensichtlich sehe ich heute bei der Grünenfraktion einiges völlig neu .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, Sie wollen gerne die Kollegin Brantner noch einmal hören; denn Sie sagen das jetzt schon zum zweiten Mal . Ich kann sie rufen, wenn Sie wünschen . Zum Budget für Arbeit . Sie sagen, die Ausgestaltung sei so, dass hoffentlich hohe Anreize geschaffen werden, damit die Leute aus der Werkstatt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln. Da kann ich aus meiner rheinland-pfälzischen Perspektive sagen: Dann hätten Sie sich an dem dortigen Modell orientieren sollen; denn das ist deutlich großzügiger ausgestaltet . Das vielleicht als Hinweis . Wir sind ja noch im parlamentarischen Verfahren und können da einiges ändern; da könnte ich noch ein paar weitere Hinweise geben . Zu meiner eigentlichen Frage . Derzeit sind 300 000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen tätig; sehr viele - und mit hoher Steigerungsrate - befinden sich in Werkstätten für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen . Das sind in der Regel Menschen, die eine schulische und berufliche Ausbildung gemacht haben und häufig eine jahrzehntelange Erwerbstätigkeit hinter sich haben, dann aber aufgrund privater Probleme oder von Stress im Job zum Beispiel ein Burnout erlitten haben und jetzt in der Werkstatt sind . Sie haben aber durchaus vorher Vermögen angesammelt . Für diese Personengruppe gilt jetzt Folgendes: Solange die Menschen in der Werkstatt bleiben, wird ihr Vermögen nicht auf die Leistung angerechnet . Beim Persönlichen Budget aber, das den Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit ermöglichen soll, gehen Sie einen anderen Weg . Das ist das Gegenteil von Unterstützung beim Zugang zum Regelarbeitsmarkt . Ich hätte gerne von Ihnen gehört, wie Sie dazu stehen und ob Sie da vielleicht noch etwas verändern möchten .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich weiß, Frau Kollegin Rüffer, dass das parlamentarische Beratungsverfahren auch dazu dient, weitere Verbesserungen einzubringen . Sie werden sicherlich auf Ihre Weise dazu beitragen . Ich finde Rheinland-Pfalz auch klasse; es ist nach Niedersachsen das zweitschönste Land . ({0}) - Herr Beck, wahrscheinlich war das ein Antrag, ein weiteres Bundesland in diese Reihe aufzunehmen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zurzeit hat die Parlamentarische Staatssekretärin das Wort; sollte es Nachfragen geben, bitte melden .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich will das gerne machen . Sie können das auch gerne noch einmal schriftlich haben . Beim Budget für Arbeit denken wir nicht nur an die Personengruppe, die Sie gerade beschrieben haben . Sie haben zutreffend beschrieben, dass diese Personengruppe in den letzten Jahren sehr, sehr stark gewachsen ist, Personen, die vollqualifiziert über lange Zeit im Berufsleben waren und dann aufgrund welcher Ereignisse auch immer ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben . Wir suchen sehr nach guten Antworten . Ich weiß, dass das auch in den Werkstätten viele tun . Wir haben jetzt im BTHG auch noch die Chance, mit anderen Leistungsanbietern ganz spezielle Antworten zu liefern . Auch dieser Personengruppe ist es dann unbenommen, das Budget für Arbeit in Anspruch zu nehmen . Eine andere Option ist natürlich, bei Genesung vollständig in den Arbeitsmarkt zurückzukehren . Das Budget für Arbeit ist ja nicht der einzige Ausweg; es ist aber, wie ich finde, ein gutes Angebot . Dabei müssen die Regeln gelten, die bei der Aufnahme von Erwerbstätigkeit gelten, Frau Rüffer; da können wir nicht von unterschiedlichen Zielgruppen ausgehen . Vielmehr gilt, dass man, wenn man Leistungen der Eingliederungshilfe beansprucht, aus dem Einkommen aus Arbeit gegebenenfalls einen Eigenbeitrag leisten muss . Gleichwohl will ich Sie darauf hinweisen, dass in der Regel bei den monatlichen Einkommen nicht die Grenze erreicht wird, bei der ein Eigenbeitrag fällig wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Beck zu einer Nachfrage .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte das Bundeskanzleramt fragen, ob es eine abgestimmte Position der Bundesregierung ist, dass ihr nicht alle Länder gleichermaßen am Herzen liegen . Wollen Sie, falls Sie hierarchisieren, nicht prüfen, Nordrhein-Westfalen auf Platz 1 zu setzen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kann die Bundesregierung dazu eine Aussage treffen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, haben wir 16 begeisternde Bundesländer . Ich würde sagen, Hessen müssen wir als das heimliche Herz Deutschlands in jedem Fall hinzufügen und die restlichen natürlich auch .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nachdem wir diese Frage geklärt haben, rufe ich Frage 21 des Kollegen Markus Kurth auf: Wodurch unterscheiden sich die nur für besondere Anlässe zu gewährenden Hilfen zur Kommunikation nach § 82 SGB IX-E ({0}) in der praktischen Umsetzung, zum Beispiel in Hinblick auf die Qualifikation der Leistungserbringer und den Umfang der zu erbringenden Leistungen ({1}), von den Assistenzleistungen zur Verständigung nach § 78 Absatz 1 SGB IX-E, und aus welchen Gründen hält die Bundesregierung diese Unterscheidung für angebracht? Wir sind noch immer im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Deshalb hat wieder die Parlamentarische Staatssekretärin LösekrugMöller das Wort .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Kurth, Leistungen zur Verständigung können nach dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes sowohl nach dem neuen § 78 Absatz 1 als auch nach dem neuen § 82 SGB IX erbracht werden, allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen . Diesem Umstand tragen jeweils eigenständige rechtliche Regelungen Rechnung . § 82 SGB IX übernimmt dabei die derzeit bewährten Regelungen des heutigen § 57 SGB IX . Die nach § 78 Absatz 1 vorgesehenen Assistenzleistungen, die in Einzelfällen Leistungen zur Verständigung einschließen, nehmen die Bewältigung des Alltags eines Menschen mit einer Behinderung in den Blick . Eine Leistung zur Verständigung nach § 82 SGB IX hingegen zielt darauf ab, den Leistungsberechtigten in besonderen, nicht alltäglichen Situationen zu unterstützen . In Einzelfällen können Leistungen nach den genannten Rechtsvorschriften auch kumulativ erbracht werden . Ein Unterschied zwischen den beiden Regelungen von grundsätzlicher Art im Hinblick auf die Qualifikation der Leistungserbringer besteht nicht . Beiden Anwendungsfällen ist gemein, dass Verständigungsleistungen, wie zum Beispiel der Einsatz der Gebärdensprache oder des Lorm-Alphabets bei Taubblinden, unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse des Einzelfalls erbracht werden .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will an dieser Stelle nicht wertend, sondern der Information halber nachfragen . Gebärdensprachdolmetscher werden also nicht unterschiedlich vergütet oder bekommen unterschiedliche Zeitvorgaben, je nach Bereich, in dem sie eingesetzt werden . Das dient sozusagen nur der Bewilligung gegenüber dem Leistungsberechtigten . Die Unterscheidungen haben für Gebärdensprachdolmetscher hinsichtlich ihrer Vergütung keinerlei Bedeutung . Sehe ich das richtig?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Herr Kollege Kurth, wir reden hier natürlich nicht nur über Gebärdensprachdolmetscher . Ich habe schon das Stichwort „Lormen“ erwähnt . Es gibt bei Taubblinden, denen noch weniger kommunikative Kanäle zur Verfügung stehen, diese andere Möglichkeit . Ich will Ihnen aber sagen: Wir haben eher das praktisch alltägliche Problem, dass wir zurzeit in Deutschland über keine auskömmliche Zahl an Gebärdensprachdolmetschern verfügen . Das erleben wir selbst in der Bundeshauptstadt, wo sich die Gebärdensprachdolmetscher konzentrieren . Es wird eine Frage der praktischen Umsetzung sein, dass hoffentlich noch viele weitere Studiengänge beginnen, damit wir hinreichend Gebärdensprachdolmetscher haben . Ihre Vergütung wird aber immer gleich sein .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Um das noch einmal festzuhalten: Wir haben nicht genügend Gebärdensprachdolmetscher . Beim Lormen sieht es besonders dramatisch aus, weil dies ein spät entdeckter Bereich ist . Sie sagten, die Vergütung ist gleich, die Arbeitsbedingungen sind es auch . - Ich frage noch einmal mit Blick auf die Gebärdensprachdolmetscher, weil sich diese Form der Übersetzung trotz der geringen Zahl etabliert hat: Bei den Arbeitsbedingungen und den Vergütungen gibt es keinen Unterschied, egal ob Assistenzleistungen oder Kommunikationsleistungen gemeint sind? Das will ich nur noch einmal klargestellt haben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin .

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ihre Nachfrage, Herr Kollege Kurth, gibt mir Gelegenheit zu einer ergänzenden Klarstellung . Sie wissen, dass auf Bundesebene nicht Kostensätze pro Stunde verhandelt werden, weil Sie als Sozialpolitiker lange im Geschäft sind . Wir gehen aber davon aus, dass die beiden genannten Leistungen, obwohl sie unterschiedliche Anspruchskerne haben, zu einer gleichen Entlohnung führen müssen, sofern sie von Gleichqualifizierten wahrgenommen werden .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin . - Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Harald Ebner werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Die Frage 24 der Kollegin Katrin Kunert wird schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer und die Frage 27 der Kollegin Dr . Franziska Brantner werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Die Frage 28 des Kollegen Kai Gehring wird ebenfalls schriftlich beantwortet . Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung . Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Matthias Gastel, die Fragen 31 und 32 des Kollegen Stephan Kühn, die Fragen 33 und 34 des Kollegen Herbert Behrens und die Fragen 35 und 36 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Christian Kühn auf: Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung mittlerweile ein Bauunternehmen, das den Interimsregierungsterminal des BER ({0}) errichten wird, und falls nicht, wie will die Bundesregierung eine rechtzeitige Fertigstellung sicherstellen? Bitte, Herr Staatssekretär .

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Danke, Frau Präsidentin . - Ich beantworte die Frage wie folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das Vergabeverfahren der Flughafengesellschaft für eine schlüsselfertige Errichtung dieses Abfertigungsgebäudes nicht abgeschlossen . Die Flughafengesellschaft ist verpflichtet, die Funktion des Regierungsflughafens unterbrechungsfrei sicherzustellen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Frage . - Meine weitere Frage ist: Mit welchen Kosten für den Interimsterminal rechnen Sie insgesamt, wenn es zu weiteren Verzögerungen und Mehrkosten kommt, wie setzen sie sich zusammen, und welchen Anteil davon muss der Bund übernehmen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Diese Frage kann ich Ihnen so nicht beantworten, weil das dem Aufsichtsrat noch nicht vorgelegen hat .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, hier vorne die Bedingungen dafür zu schaffen, dass wir die Antworten des Staatssekretärs verstehen, Kollege Gabriel . - Gut . Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist der Fertigstellungstermin, der jetzt bekannt ist, zu halten, oder rechnen Sie mit weiteren zeitlichen Verzögerungen?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Ich interpretiere Ihre Frage so, dass Sie jetzt den Regierungsterminal meinen .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja .

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Es gibt eine Interimslösung, die für eine Zeit von fünf Jahren vorgesehen ist . Das ist nach unserer Kenntnis nach derzeitigem Stand haltbar . Anschließend wird es zur Nutzung des endgültigen Terminals kommen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 38 des Kollegen Christian Kühn: Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der jährliche Zinsaufwand, der für die FBB ({0}) insgesamt nach der weiteren Kreditaufnahme und den zusätzlichen Gesellschafterdarlehen anfällt, und kann die FBB diesen nach Kenntnis der Bundesregierung allein tragen? Bitte, Herr Staatssekretär .

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geehrter Herr Kollege, die Frage beantworte ich Ihnen wie folgt: Angaben zu zukünftigen Zinsaufwendungen der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH unterliegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Gesellschaft . Die FBB ist nach erfolgtem Abschluss der Finanzierungsvereinbarungen mit Gesellschaftern und Banken nach eigenen Angaben und nach Maßgabe ihres der Finanzierung zugrundeliegenden Businessplans ausfinanziert .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Man konnte jetzt lesen, dass der Flughafengesellschaft eine Art Blankoscheck für den Fall weiterer Kostensteigerungen ausgestellt wird . Ist das der Fall? Hat der Bund sozusagen eine Art Blankoscheck ausgestellt für den Fall, dass es zu weiteren Kostensteigerungen kommt?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Blankoschecks kann auch die Bundesregierung nicht ausstellen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben jetzt das Wort zur zweiten Nachfrage .

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie mir dann sagen, wie es in den Berichterstattungen zu dem Begriff kommt, wonach auch der Bund bereit ist, weiteres Geld nachzuschießen? Ich beziehe mich auf den Artikel im Tagesspiegel.

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Es steht viel in Artikeln . Blankoschecks gibt es nicht, auch nicht von einer Bundesregierung . Als Eigentümer sind wir natürlich gefordert, wenn Nachfinanzierungsbedarf besteht . Ob es dazu kommt, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär . - Wir sind damit am Ende der Fragestunde . Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Geschichte hat das Handelsabkommen CETA, das jetzt fertig auf dem Tisch liegt? Die Verhandlungen liefen hinter dem Rücken der Menschen; nicht einmal das Verhandlungsmandat war bekannt . Es wurden große Vorteile für die Wirtschaften Europas beschrieben; diese Behauptung hielt jedoch keiner wissenschaftlichen Betrachtung stand . Es wurden Falschbehauptungen in den Raum gestellt, etwa dass nur Deutschland Widerstand gegen TTIP und CETA leisten würde . Was ist mit Österreich, mit Belgien, mit Frankreich, mit Luxemburg? Hierzulande wurden Kritiker diskreditiert . Herr Gabriel sagte, die Deutschen seien „reich und hysterisch“, und Herr Pfeiffer sprach von „Empörungsindustrie“ . ({0}) Rückblickend betrachtet kann man also sagen: Bei CETA kann man weder der Europäischen Kommission noch der Bundesregierung trauen; ({1}) die Bevölkerung tut das übrigens auch nicht . Die Handelspolitik der Europäischen Kommission erinnert mich an die Fernsehserie Vorsicht Falle! mit dem Untertitel „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ . ({2}) Genau das ist es, was wir hier erleben . Diese Politik soll nun fortgesetzt werden . Um CETA gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, wollte die Kommission eine Abstimmung in den nationalen Parlamenten verhindern . Jetzt rudert sie zurück . Welch ein Schmierentheater! Die Kehrtwende erklärt sich am besten anhand eines Zitats von Kommissionspräsident Juncker . Dieses Zitat - ich habe es kaum glauben können - lautet folgendermaßen: Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert . Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt . Dieses Zitat beschreibt wunderbar, wie die Kommission bei diesen Handelsabkommen vorgeht . Diesmal war der Aufschrei offensichtlich zu groß . Die Methode hat sich aber nur scheinbar geändert . Mit List und Tücke will man CETA weiter vorantreiben . Zwar ist jetzt klar, dass die Zustimmung des Bundestages und auch des Bundesrates notwendig ist . Wir hoffen, dass es auch dabei bleibt; das war ja nicht immer so . Aber nun geht es darum, dass der Rat und die Kommission Teile von CETA schon vor der Abstimmung in den nationalen Parlamenten vorläufig in Kraft setzen wollen. ({3}) Das soll möglicherweise schon am 23 . September beschlossen werden . Welch ein Unfug! Wenn das gesamte Abkommen durch die nationalen Parlamente abgesegnet werden muss, dann verbietet es sich von selbst, dass Teile davon vorläufig in Kraft gesetzt werden. ({4}) Das ist Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Abkommen mindestens an einem nationalen Parlament scheitern . Deshalb macht die Politik der Europäischen Union nach dem Motto „Bauernfänger“ natürlich Sinn . Man macht eine ähnliche Politik und will Fakten schaffen, die kaum mehr rückholbar sind . Im Übrigen ist vollkommen offen, welche Teile des Abkommens EU-only, also nur auf europäischer Ebene verantwortlich, sein sollen . Welche das sind und welche es nicht sind, das ist völlig offen . Auch eine Abstimmung im Europäischen Parlament reicht nicht aus, entsprechende Teile des Abkommens in Kraft zu setzen . Das Handelsabkommen ist eben kein normales Abkommen . Es ist äußerst umstritten, und zwar inzwischen in vielen Ländern Europas . Wenn man Europa stärken will, muss man die Parlamente beteiligen und darf sie nicht durch vorläufige Inkraftsetzung wieder außer Kraft setzen . ({5}) Das würde bedeuten, dass man die Europäische Union und die Zustimmung der Menschen zur Europäischen Union weiter infrage stellt . Ich kann nur raten, das nicht zu tun . Wir wollen weder ein Sonderklagerecht für Konzerne noch eine Aushöhlung des Vorsorgeprinzips . Wir wollen keine Schwächung der Standards durch regulatorische Kooperationen, keine Einschränkung der kommunalen Selbstbestimmung und auch keine Öffnung für gentechnisch veränderte Organismen, weder vorläufig noch endgültig . ({6}) Deshalb fordere ich unseren Wirtschaftsminister auf, die vorläufige Anwendung auch nur von Teilen des Abkommens im Rat abzulehnen - auch nur von Teilen! Wenn hinterher sowieso über das gesamte Abkommen hier im Parlament und im Bundesrat abgestimmt werden muss, macht eine vorläufige Anwendung überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht wieder die Parlamente aushebeln will . Hören Sie auf mit diesen Tricksereien! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Aktuelle Stunde hat den Titel „Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat“ . Erstens . Der Bundestag wird in jedem Fall beteiligt . Zweitens . Den Bundesrat werden wir nicht beteiligen . Das ist Sache dieses Parlaments und nicht des Bundesrates . Deswegen sehen wir das auch gar nicht ein . ({0}) Die Wirtschaftsleistung, die Beschäftigungslage und der soziale Wohlstand Deutschlands hängen massiv vom Außenhandel ab . Machen wir uns bitte nichts vor: Rund 40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften wir im Außenhandel . Ohne diese 40 Prozent - ich habe das Gefühl, dass Ihnen, Herr Ernst, Arbeitsplätze nicht wichtig sind ({1}) würden wir ein riesiges Problem bekommen; denn gerade der Außenhandel trägt erheblich zu unserem Wohlstand bei . ({2}) Nach Kanada exportieren wir Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro, und aus Kanada importieren wir Waren im Wert von 4 Milliarden Euro . Das zeigt, wie stark die deutsche Wirtschaft ist . Das funktioniert aber nur mit vernünftigen Außenhandelsabkommen, sonst eben nicht . ({3}) Jahrzehntelang hat sich in diesem Hohen Hause niemand - Sie erst recht nicht - um Freihandelsabkommen gekümmert . Das war Ihnen immer völlig egal . Ich bin ja nun Außenhändler von Berufs wegen und mache das seit Jahrzehnten . Ich habe an all den Runden teilgenommen . Ich habe es überhaupt nicht erlebt, dass sich die Linke mit diesen Sachen beschäftigt hat, ({4}) schon gar nicht, als es um Korea gegangen ist . Wir haben 2005 mit den Verhandlungen über das Korea-Abkommen begonnen . Rund fünf Jahre später war es fertig, im Jahr 2011 . Kein Mensch hat sich darum gekümmert . Es gab einen Einzigen, der bei mir war und gesagt hat: Da müssen wir vorsichtig sein; das ist gefährlich . - Ich will in diesem Hohen Hause keinen Namen nennen, aber ich kann sagen, dass es ein Vertreter der Vereinigung der Automobilindustrie war . Diese Vereinigung hatte Angst, dass zu viele koreanische Autos nach Deutschland importiert werden . Es kann sein, dass ein paar mehr importiert wurden . Diese Hyundais und Daewoos haben aber französische und italienische Autos verdrängt . Unsere Industrie hat von dem Abkommen erheblich profitiert: 55 Prozent Zuwachs an Exporten nach Korea . Das ist die Folge dieses Abkommens. Davon profitiert nicht nur unsere Industrie . Dadurch werden auch Arbeitsplätze gesichert, und genau das wollen wir mit diesen Abkommen erreichen . ({5}) Den Linken und den Grünen ist anscheinend völlig unbekannt, dass wir über 200 aktive Freihandelsabkommen in der WTO haben . Allein die EU hat bereits 35 Abkommen abgeschlossen, seitdem wir dieses Mandat an die EU übertragen haben, was jetzt ja zum Teil wieder zurückgenommen werden soll; daran mache ich einmal ein Fragezeichen . Dann haben wir auch noch 130 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen . - Oh Grauen! Nichts funktioniert! - Oh Wunder, natürlich funktioniert es . Es funktioniert bestens, Herr Ernst . Sie haben das nur nicht gemerkt . ({6}) Lassen Sie mich kurz noch einiges zu dem CETA-Abkommen sagen . Wenn Sie behaupten, das sei nicht transparent, dann sind Sie des Lesens englischer Texte anscheinend nicht mächtig . Seit Herbst 2014 gibt es ein fertig ausgehandeltes Abkommen in englischer Sprache, das zu 100 Prozent vorliegt . Das sogenannte Legal Scrubbing, die rechtsförmliche Bereinigung, ist seit April dieses Jahres fertig und liegt vor . Die deutsche Variante dann wird es für Sie deutlicher und einfacher - wird Ende dieses Monats vorliegen . ({7}) Wer jetzt behauptet, das sei nicht transparent, der erzählt schlicht Märchen . Das ist das, was Sie die ganze Zeit bei den Freihandelsabkommen machen, und das ärgert mich . ({8}) Wer dann behauptet, das Recht beider Vertragsseiten, eigene Regulierungen zum Schutz von öffentlicher Sicherheit, Umwelt etc . zu treffen, würde verändert, der bleibt wirklich außerhalb der Wahrheit; denn das bleibt völlig unangerührt . Gar nichts wird da verändert . Auch das ist Ihnen bekannt . Sie sind schlau genug, um all das zu wissen, Herr Ernst . Ich ärgere mich darüber, dass Sie so tun, als wäre das nicht wahr . ({9}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Sätze dazu sagen, warum diese Abkommen so wichtig sind . Sie sind wichtig, weil wir dadurch Klarheit haben und Standards gegenseitig anerkennen . Wenn Sie Zweifel an den Umweltstandards haben, dann schlage ich vor, dass Sie einmal bei VW anrufen; denn die amerikanischen Umweltstandards sind die kanadischen Umweltstandards, und die sind in der Automobilindustrie wesentlich deutlicher und schärfer als in Deutschland und in Europa . Ich empfehle also ein Telefongespräch mit Ihren Gewerkschaftskollegen bei VW . Die werden Sie darüber aufklären . Ich denke, das wird Ihnen vielleicht ein Stück weit erläutern, wie wichtig solche Abkommen für uns sind . ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Katharina Dröge hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich haben wir seit gestern Klarheit darüber, dass der Deutsche Bundestag über CETA entscheiden wird . ({0}) Ich hatte bis zu der Rede von Herrn Kollegen Fuchs gedacht, dass wir auch Klarheit darüber haben, dass der Bundesrat darüber entscheiden wird . Das haben Sie jetzt infrage gestellt . Vielleicht können Sie, Herr Minister Gabriel, zu dieser Frage in der Debatte noch etwas sagen; denn es ist natürlich eine wichtige Frage, ob unsere Länderkammer beteiligt wird oder ob es Bestrebungen der Unionsfraktion gibt, die Länderkammer bei der Beratung außen vor zu halten . ({1}) Ich muss schon sagen, dass es eine eigentümliche Situation ist, dass wir jetzt, zwei Jahre nachdem die Verhandlungen über CETA abgeschlossen sind, überhaupt eine Aktuelle Stunde darüber durchführen müssen, dass wir jetzt wissen, wer über CETA abstimmen darf . ({2}) Die Debatte darüber hat uns in den letzten Monaten in der Europäischen Union nicht wirklich geholfen . Ich bin sehr froh, dass Herr Juncker seine Ankündigung der letzten Woche nicht wahr gemacht hat, dieses so wichtige Abkommen ohne Beteiligung des Deutschen Bundestages durchdrücken zu wollen . Ich sage Ihnen ganz klar: Es geht dabei nicht um die Frage, ob nicht auch das Europäische Parlament ein demokratisch richtiger und legitimer Ort ist, um über solche Abkommen abzustimmen . Es geht darum, dass es in der EU Spielregeln gibt, auf die wir uns verständigt haben . Diese Spielregeln kann man nicht einfach dann umgehen, wenn sie einem nicht passen . Man kann sie nicht einfach dann umgehen, wenn man Angst davor hat, dass solch ein Abkommen in den nationalen Parlamenten scheitert . ({3}) Man kann nicht auf einmal sagen: Ein Abkommen, das ganz klar ein gemischtes Abkommen ist, deklariere ich jetzt einfach als EU-only-Abkommen, weil ich Angst vor den Beratungen in den nationalen Parlamenten habe . Diese Art von Verfahrenstricks verstehen die Menschen nicht . ({4}) Auf dieselbe Art und Weise - da muss ich Ihnen ganz explizit widersprechen, Herr Fuchs - werden CETA und auch TTIP behandelt . Die Geheimhaltung dieser AbkomDr. Michael Fuchs men und auch die Geheimhaltung des Mandates haben nicht allein die Europäische Kommission zu verantworten, sondern auch Sie als Bundesregierung . Diese Geheimhaltung ist auf derselben Ebene . ({5}) Es ist ziemlich billig von Ihnen, Herr Fuchs, sich hierhinzustellen und zu sagen, dass dieses Abkommen vor zwei Jahren veröffentlicht wurde und damit total transparent sei . Damit sagen Sie, dass das Abkommen dann veröffentlicht werden muss, wenn es fertig ist . Genau das ist das Problem an diesen Abkommen . ({6}) Im gesamten Verhandlungsprozess wird niemand an den Verhandlungen beteiligt; niemand kann wissen, was verhandelt wird . Wenn ein Abkommen fertig ist - das haben wir über die letzten zwei Jahre erlebt -, stellt sich die Bundesregierung hin und sagt: Ich kann daran nichts mehr ändern . Das Abkommen ist ausverhandelt . Das ist mit den Vertragspartnern so vereinbart worden . - Es ist ein Riesenärger und ein Riesengezerre, zumindest noch Kleinigkeiten in diesem Abkommen zu verändern . An einer einzigen Stelle haben wir es geschafft, Nachverhandlungen durchzusetzen . In allen anderen Bereichen haben wir es nicht mehr geschafft, über dieses Abkommen zu reden . Das ist genau der Grund dafür, warum wir transparente und offene Verhandlungen brauchen . Ich sage Ihnen, Herr Fuchs: Gerade in der Zeit, in der wir uns aktuell in Europa befinden, in der Rechtspopulisten in sehr vielen europäischen Ländern Verschwörungstheorien und auch Unfug auf die Europäische Union projizieren, sollten wir nicht durch Verfahrenstricks und Hinterzimmerpolitik eine reale Angriffsfläche bieten. ({7}) Gerade in dieser Zeit ist es aus meiner Sicht notwendig, dass wir eine demokratische Politik machen, dass wir transparente und klare Regeln haben und sie auch einhalten . Wenn Sie CETA durchsetzen wollen, Herr Fuchs, dann müssen Sie auch etwas zu der Kritik an diesem Vertragstext sagen, dann können Sie nicht allgemeine blumige Sonntagsreden darüber halten, dass Sie Außenhändler sind, weswegen der Außenhandel ganz grundsätzlich super ist, ({8}) sondern dann müssen Sie sich mit diesem Vertragstext in der Sache auseinandersetzen . ({9}) Ich möchte Ihnen nur drei Beispiele dafür nennen, warum dieser Vertragstext abgelehnt werden muss . Das erste Beispiel sind die Schiedsgerichte, die unsere etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien infrage stellen und massiven Druck auf eine fortschrittliche Umweltund Sozialgesetzgebung ausüben werden . Sie haben hier ein bisschen nachverhandeln können, aber trotzdem sind es die Schiedsgerichte im alten Gewand . Ich habe in Ihrer Rede kein einziges Argument dazu gehört, warum Sie diese Schiedsgerichte für richtig und unproblematisch halten ({10}) und warum die fachliche Kritik, die wir jetzt seit zwei Jahren im Deutschen Bundestag daran formulieren, nicht zutreffend ist . ({11}) Zu diesem Punkt kam kein einziges Argument von Ihnen . ({12}) Das zweite Beispiel ist das Thema Vorsorgeprinzip, der Grundpfeiler unseres europäischen Verbraucherschutzes . Es steht nicht im Vertrag . ({13}) Mehrere Experten haben schon bescheinigt, dass mit CETA die Gefahr einer deutlichen Schwächung des europäischen Vorsorgeprinzips gegeben ist . Sie haben diese Gutachten vielleicht nicht gelesen . Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt . Von Ihnen kam kein einziges Argument in dieser Sache . ({14}) - Sie sind eingeladen, hier gleich noch zu reden, um dieses Argument zu widerlegen . - Wir haben von der SPD und von der CDU/CSU noch nie etwas zum europäischen Vorsorgeprinzip in der Sache gehört . Es wäre jetzt endlich an der Zeit, sich diesen Fachargumenten zu stellen, wenn Sie irgendwie überzeugend darlegen wollen, warum Sie diesem Abkommen zustimmen . Das dritte und letzte Beispiel ist die Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit der Kommunen . Auch dazu gibt es Gutachten . Es gibt Kritik daran, dass mit Negativlisten und unklaren Rechtsbegriffen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen einschränken, gearbeitet wird . Auch dazu, warum das unproblematisch sein soll, gibt es von Ihnen in keiner Debatte im Deutschen Bundestag auch nur eine einzige konkrete Begründung . Meine Botschaft an Sie ist daher: Jetzt ist endlich Schluss mit dieser Hinterzimmerpolitik, mit dem Verschieben von Argumenten, mit dem „Wir warten noch; wir müssen den Vertragstext erst bekommen“ . ({15}) Sie sind jetzt gefordert, ein Argument dafür zu liefern, warum es in der Sache vernünftig sein sollte, dass Sie dieses Abkommen durchdrücken wollen . ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer . ({0})

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dröge, lieber Herr Ernst, das, was Sie hier betreiben, ist Desinformation . ({0}) Hier wird kein Parlament ausgehebelt . Das Parlament redet mit bei CETA - das war Ihre Forderung, und das war auch unsere Forderung, die der Sozialdemokraten in Deutschland und in Europa . Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass das Parlament, der Deutsche Bundestag, und der Bundesrat darüber beraten und beschließen, und jetzt passiert es . ({1}) Ihre Aufregung über das, was Sie hier als „Hinterzimmerpolitik“ beschreiben, ist absolut unsinnig . ({2}) Sie desinformieren die Leute im Lande in einer Art und Weise, dass das Selbstverständnis dieses Parlamentes darunter leidet . Der Bundesrat - das war Ihr Vorwurf an den Kollegen, liebe Frau Dröge - hat ein eigenes Selbstverständnis . Er wird sich zu Worte melden und ebenfalls darüber beraten und beschließen . Glauben Sie mir das . Wenn Sie einmal im Bundesrat gesessen haben, ({3}) dann wissen Sie, mit welchem Selbstverständnis die Damen und Herren aus den Bundesländern dort arbeiten . Dazu brauchen sie keinen Hinweis von Ihnen . ({4}) Zur Geheimhaltung . Ich habe bisher nichts von Geheimhaltung gespürt . Die Punkte, die Sie beispielhaft vorgetragen haben, sind in den letzten Wochen und Monaten nachverhandelt worden . Gott sei Dank hat es einen Regierungswechsel in Kanada gegeben, der dazu beigetragen hat, dass die Signale der Sozialdemokratie aus Europa aufgenommen worden sind . Zum Thema Vorsorgeprinzip . Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Es gilt . Daran wird gar nichts verändert . Das Vorsorgeprinzip in Deutschland und in Europa gilt . Glauben Sie mir das . Wenn Sie mir das nicht glauben, dann sollten Sie sich daran orientieren, was von der Fachwelt aktuell dazu geschrieben wird . ({5}) Zu den Investitionsgerichten . Wir sind weg von privaten Gerichten . Wir haben nachverhandelt und sie abgeschafft . Das ganze Thema ist inzwischen erledigt . Wenn Sie der Bevölkerung immer wieder die alten Kamellen, die Sie sich irgendwann zurechtgelegt haben, präsentieren, wird das langsam langweilig und dröge . ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Abkommen ist ein gutes Abkommen . Es geht darum, in der Weltwirtschaft gemeinsame Spielregeln zu schaffen . Gemeinsame Spielregeln sind nämlich besser als gar keine Regeln . Wenn wir kein Abkommen haben, haben wir keine Regeln . ({7}) Dann wird die Situation schlechter sein als die, die wir erreichen könnten . Ich denke, wir wollen die wirtschaftliche Globalisierung in der Welt politisch mitgestalten . Wer diesen Anspruch aufgibt, der sollte überlegen, sich aus diesem Parlament zu verabschieden . ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sagen „Freihandel“, aber wir wollen dafür fortschrittliche Regeln . Ich denke, die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass wir uns bei dem CETA-Abkommen auch in schwierigen Zeiten durchsetzen können . Dies ist eine beachtliche Leistung, die in den letzten Monaten auch durch Druck aus Deutschland zustande gekommen ist . Die Initiativen, die von Sigmar Gabriel und anderen Sozialdemokraten in Europa gestartet worden sind, waren zielführend und haben dazu beigetragen, dass diese gemeinsamen historischen Ziele, die wir in Europa haben, angestrebt werden und dass sich die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Freiheit, von sozialer Marktwirtschaft, von Respekt vor Individuen in diesem Vertragstext wiederfinden. Ich glaube, dass uns die nächste Generation dafür dankbar sein wird, dass wir mit CETA eine solche Orientierung hinbekommen haben . Ob uns das mit TTIP gelingt, weiß ich nicht . Aber wir werden es erleben, wenn wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen werden . Wir wollen - auf diesen Punkt komme ich zurück die Globalisierung gestalten . Unsere zentralen Anliegen sind: Menschenrechte anerkennen, sozial-ökologische Standards verankern, Europäerinnen und Europäern Zugang zum Jobmarkt in Kanada zu verschaffen und umgekehrt . Wir machen Schluss mit privaten Schiedsgerichten . Wir geben ein, denke ich, richtiges Signal in die Welt, was wir aus europäischer Sicht unter neuen und modernen Handelsabkommen verstehen . Die Themen, die in diesem Handelsabkommen verankert sind, wie Gestaltung der Globalisierung, Investitionsschutz, aber auch die ILO-Kernarbeitsnormen, werden beachtet . Tun wir doch bitte nicht so und weisen mit dem Finger auf die angeblich so dummen Kanadier, dass die die Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen nicht auf die Reihe bekommen . Der Mindestlohn gilt dort, glaube ich, seit 100 Jahren . ({9}) Daran möchte ich nur einmal erinnern . Die Kanadier sind in diesem Punkt schon viel weiter, als wir es noch bis vor ein paar Jahren waren . Als die deutschen Industriegewerkschaften noch darüber gestritten haben, ob sie den Mindestlohn haben wollten, hatten die Kanadier ihn schon . Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle auch hinzufügen: Wir haben bei der Wirtschaft gute Entwicklungen erreicht . Wir haben bei dem Thema Zolllinien gute Ergebnisse erzielt . Wir kommen dazu, dass wir im Bereich der Exporte pro Jahr eine halbe Milliarde Euro einsparen können . Wir werden bei dem Thema Staatsunternehmen Regelungen bekommen und bei öffentlichen Aufträgen Zugang zu ungefähr 100 Milliarden kanadische Dollar Auftragsvolumen bekommen . Diese Chancen sollten wir nicht ausschlagen . Umgekehrt gilt das allerdings auch . Dabei wahren wir aber unsere individuellen und auch gesellschaftlichen Rechte . „Right to regulate“ gilt, aber für beide Seiten . Das, denke ich, müssen wir akzeptieren . Die Kanadier sind Demokraten, wir sind Demokraten . Daran sollten wir uns orientieren . Die Errungenschaften der Daseinsvorsorge, die wir hochhalten, werden in keiner Weise beeinträchtigt . Das ist eine Mär . Mit dieser Mär sollten wir endlich einmal Schluss machen . Sie sollten nicht immer diese falschen Behauptungen wie Fackeln vor sich hertragen und mit Desinformationen arbeiten . Machen Sie endlich Schluss mit solchen orientierungslosen Politikinhalten! Diese helfen uns nicht weiter . Die Menschen wollen Orientierung und Klarheit . Aber was Sie mit manchen Redebeiträgen, aber auch mit manchen Veröffentlichungen erreichen, ist genau das Gegenteil . Es tut mir leid, Ihnen das ins Stammbuch schreiben zu müssen . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion Dr . Joachim Pfeiffer . ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist es eine Aktuelle Stunde; sonst sind es reguläre Debatten, und auch in jeder Ausschusssitzung wird das Thema seit Jahren diskutiert . ({0}) Worum geht es? Kollege Beckmeyer, Michael Fuchs und andere Redner haben es gerade angesprochen . Es geht um das bisher modernste Handels- und Investitionsschutzabkommen, das es weltweit gibt, zwischen der Europäischen Union und Kanada als einen ersten Schritt hin zu einem transatlantischen Binnenmarkt, dem nach unserem gemeinsamen Wunsch auch die USA folgen sollen und werden - wir haben hier im Deutschen Bundestag ein entsprechendes Verhandlungsmandat erteilt -, und das die Globalisierung gestaltet . Das ist unser Wunsch; das ist unser Ziel . Wenn wir das nicht tun, bleibt es nicht ungeregelt: Dann werden es andere tun . Wir haben die historische Chance, die Globalisierung zu gestalten und Regeln zu finden, die Vorbildcharakter haben und später für andere Abkommen mit China, mit ASEAN-Staaten oder vielleicht sogar, was hoffentlich immer noch unser gemeinsames Ziel ist, statt bilateralen Abkommen multilaterale Abkommen im Rahmen der WTO zu erreichen . Ich hoffe, dass wir uns in dieser Frage einig sind . Deshalb finde ich es, ehrlich gesagt, schade, dass wir auch heute - Kollege Beckmeyer hat es schon angesprochen - wenig über inhaltliche Fragen sprechen, sondern nur über Verfahrensfragen, und dass reflexhaft Dinge wie Paralleljustiz, Geheimhaltung, Verschwörungstheorien und Hinterzimmer aufgenommen werden . Das ist der Popanz, den Sie hier aufzubauen versuchen . Sie sagen, dass eine demokratische Legitimation dessen, was hier erarbeitet wurde, fehlt, verweigert wird oder was auch immer . ({1}) Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Sie mit dem, was Sie, insbesondere die Opposition, tun, der Demokratie in Europa einen Bärendienst erweisen . ({2}) Sie liefern nämlich diese Fragen dem politischen Populismus und den Geschäftsmodellen der EmpörungsindusParl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer trie von Campact, Foodwatch und wie sie alle heißen aus und beteiligen sich auch noch daran . ({3}) Wir haben eine Arbeitsteilung . ({4}) In Handelsfragen gab es schon einmal zersplitterte Staaten in Deutschland . Dann wurden der Deutsche Zollverein und das Deutsche Reich gegründet, und es wurde beschlossen, die Handelsfragen gemeinsam zu lösen statt jeder für sich in Württemberg, Bayern und wie auch immer die einzelnen Staaten früher hießen . Wir haben dann einen Rechtsstaat mit einer föderalen Arbeitsteilung bekommen: Die Kommunen haben die Zuständigkeit für die örtlichen Belange . Die Länder haben die Zuständigkeit für Bildung, und der Bund hat die Zuständigkeiten, über die wir hier diskutieren . Im Zuge der europäischen Integration haben wir gesagt: Wir wollen bestimmte Bereiche an Europa übertragen, und zwar die Landwirtschaft, im Wettbewerbsbereich Stahl und Kohle - schon früh - und auch Klimafragen . Für die Europäische Union verhandelt nicht Deutschland, sondern der EU-Kommissar bzw . die EU-Kommissarin . So haben wir uns entschlossen, dies auch in Handelsfragen zu machen . Dem Vertrag von Lissabon - insofern sind die Linken halbwegs konsequent haben Sie nicht zugestimmt . ({5}) Aber 92 Prozent der Grünen haben dem Vertrag von Lissabon zugestimmt . In den Artikeln 207 und 216 des Vertrags von Lissabon sind genau diese Fragen geregelt . Wenn wir sagen: „Es gibt Dinge, die wir an Europa übertragen wollen“, und der Europäischen Union ein Mandat erteilen, ({6}) dann ist die Frage, wie wir damit umgehen . Was Sie jetzt machen, ist das Gegenteil dessen . Schön, dass Sie da sind, Herr Trittin . Ich habe mir nämlich die Mühe gemacht, nachzulesen, wer damals was zum Lissabon-Vertrag gesagt hat . Jürgen Trittin hat in der zweiten Lesung zum Lissabon-Vertrag am 24 . April 2008 Folgendes gesagt, dem ich eigentlich nichts hinzufügen kann: Wenn wir die Europaskepsis überwinden wollen, müssen wir mit dieser Politik, europäisch zu reden und national zu blockieren, aufhören . ({7}) Damit haben Sie vollkommen recht . Deshalb kann ich nur hoffen, dass wir in diesen zentralen europäischen Fragen zu der Aufgabenverteilung, die wir gemeinsam vorgenommen haben, stehen und uns nicht in die Büsche schlagen und mit vermeintlich kleiner politischer Münze, die wir national daraus ziehen zu können meinen, dem billigen Populismus anheimgeben . Wo das endet, das haben wir vor zwei Wochen in Großbritannien gesehen . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Enden müssen Sie auch .

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie werden sehen, dass Sie das, was Sie hier sehen, im Ergebnis nicht ernten wollen . Insofern kann ich nur alle auffordern, diese Dinge in diesem Haus mit Maß und Ziel in dem weiteren Verfahren, das wir haben, zu behandeln . Vielen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Pfeiffer . - Nächster Redner für die Linke: Alexander Ulrich . ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pfeiffer, Sie haben es richtig beendet: Was sind die Schlussfolgerungen aus dem Brexit in Großbritannien? Ich glaube, wenn es einer Schlussfolgerung bedarf, dann jener, dass dieses unsoziale und antidemokratische Europa endlich beendet werden muss, deshalb müssen auch TTIP und CETA gestoppt werden . ({0}) Man hat ja wirklich den Eindruck, dass Herr Juncker den Schuss des Brexit nicht gehört hat . Wer nur wenige Tage nach dieser Entscheidung zum europäischen Rat geht und dort verkündet, das würde ein EU-only-Abkommen, der ist als EU-Kommissionspräsident völlig fehl am Platz . ({1}) Ein Neustart Europas ist mit Juncker nicht möglich . Was wir auch sagen können, ist: Die „Stop TTIP und CETA“-Kampagne hat gestern einen ersten großen Erfolg erzielt . Deshalb kann man nur die vielen, vielen Proteste beglückwünschen - 3,5 Millionen, die sich an der europäischen Bürgerinitiative beteiligt haben . Es ist ein erster großer Erfolg, dass die Nationalparlamente nun mitbestimmen können . Das ist ein großer Erfolg auf dem Weg, TTIP und CETA zu Fall zu bringen . Herzlichen Glückwunsch an die außerparlamentarische Bewegung! ({2}) Herr Pfeiffer, wenn Sie hier abwertend sagen, was diese Menschen für Sorgen haben - das tun Sie ja in jeder Rede -, dann sollten Sie sich auch einmal mit diesen Argumenten beschäftigen . Warum gehen denn diese Menschen auf die Straße? Weil sie Angst haben, dass unter dem Deckmantel freien Handels und scheinbarer Arbeitsplätze Arbeitnehmerrechte abgebaut werden, Verbraucherschutzstandards abgesenkt werden und die Demokratie gefährdet wird . Dies alles treibt die Menschen um . Und ich bin beschämt, dass hier Parlamentarier sitzen, denen es offensichtlich egal ist, was mit der Demokratie passiert . Solche Leute wie Sie, Herr Pfeiffer, und andere sind die Sargnägel dieser Europäischen Union und der Menschen in diesem Land . ({3}) Aber auch wenn wir einen Zwischenerfolg haben, ist der nächste Schritt schon wieder geplant; denn natürlich ist schon das Nächste vorbereitet: dass man dieses Abkommen vorläufig anwenden will. Auch dazu sagen wir klipp und klar: Das lehnen wir als Linke ab . Herr Gabriel, Sie haben auch eine Stimme im Ministerrat . Wir erwarten von Ihnen, dass Sie im Ministerrat deutlich sagen: Es gibt keine vorläufige Anwendung, ohne dass dies die Nationalparlamente ratifiziert haben. ({4}) Wir brauchen keine Einschränkungen in diesen Bereichen, deshalb muss die vorläufige Anwendung gestoppt werden . Ich glaube, Herr Gabriel, Sie haben jetzt auch ein Stück weit eine Verantwortung . Sie haben letzte Woche großartig gesagt, Sie wollen die progressiven Kräfte Europas wecken . ({5}) Wer die progressiven Kräfte Europas wecken will, darf TTIP und CETA nicht die Tür öffnen . ({6}) Wer die progressiven Kräfte Europas tatsächlich vereinen will, muss Nein sagen zu TTIP und CETA, muss sofort die Verhandlungen stoppen und möglicherweise die Handelsabkommen fairer verhandeln als das, was in den Verträgen steht . ({7}) Herr Beckmeyer, ich weiß nicht, ob Sie nicht auch ein wenig beschämt über Ihre Worte sind, als Sie vorhin zu dem, was Abgeordnete der Grünen oder der Linken gesagt haben, sagten: Wer solche Argumente liefert, gehört nicht in dieses Haus . ({8}) - Man kann es so verstehen . Er hat es so ausgedrückt . Sie können sich die Rede noch einmal durchlesen . - Ich will es noch einmal sagen: Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, deutlich den Finger zu erheben, wenn durch die privaten Schiedsgerichte oder durch die Neufassung dessen, wie es jetzt ist, eine Paralleljustiz eingeführt wird, die es in Zukunft verhindert, dass sozialer Fortschritt oder Fortschritt im Verbraucherschutz noch möglich ist, ohne dass man verklagt wird . Es ist unsere Aufgabe im Parlament, den Finger zu heben . Deshalb gehören Sie vielleicht nicht in dieses Parlament, wenn Sie eine andere Auffassung haben . ({9}) - Die Wähler haben es entschieden . ({10}) Es wäre schön, wenn die Wählerinnen und Wähler in Deutschland über solche Verträge abstimmen könnten . ({11}) Ich bin mir sicher: Hätten wir eine Volksabstimmung über TTIP und CETA, dann hätten wir das Thema schnell beendet . Aber Sie haben Angst davor, die Wählerinnen und Wähler zu fragen . Wir glauben, dass gerade TTIP und CETA ein Beweis dafür sind, warum wir Volksabstimmungen über solche Verträge brauchen . Dann wären TTIP und CETA schnell erledigt . ({12}) Ich komme zum Schluss . Die „Stop TTIP und CETA“-Bewegung hat einen Zwischenerfolg zu verzeichnen, der nicht geringzuschätzen ist . Wir haben nun durch die Grünen und ihre Beteiligungen an Landesregierungen im Bundesrat die Chance, das Thema in Deutschland zu beenden . Wir rufen alle auf - auch in den anderen Staaten -, nun die Chancen zu nutzen . Aber wir müssen den Druck erhöhen, um die vorläufige Anwendung zu verhindern . Wir müssen weiterhin deutlich machen, warum wir gegen diese Verträge sind . Am 17 . September gibt es wieder Großdemonstrationen in sieben deutschen Städten . Wir rufen dazu auf, sich daran zu beteiligen, damit Herr Gabriel zwei Tage später auf der Konferenz der SPD, die am 19. September stattfinden soll, sagen kann: Jawohl, wir haben verstanden . - Der Druck muss weiter erhöht werden . Vielen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Ulrich . - Nächster Redner in der Debatte: Bernd Westphal für die SPD . ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern ist klar: Die EU-Kommission bewertet in ihrem Beschlussvorschlag das CETA-Abkommen aus politischen Motiven als gemischtes Abkommen . Kommissarin Malmström bleibt aber bei ihrer juristischen Bewertung, dass CETA anders einzustufen sei . Wir begrüßen die Entscheidung sehr, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Herr Kollege Ulrich, wenn Sie das demokratisch gewählte Europaparlament als undemokratisch diffamieren, dann ist das keine vernünftige Europapolitik . ({0}) Das Abkommen tritt nur in Kraft, wenn das Parlament zustimmt . Das ist eine ganz normale demokratische Übung . Im Übrigen haben wir immer dafür plädiert, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Der Juristische Dienst des Rates hat sich dieser Betrachtung angeschlossen . Die Bewertung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war sicherlich in einigen Phasen nicht hilfreich . Aber der politische Druck der Bundesregierung und insbesondere unseres Wirtschaftsministers sowie einiger Parlamentarier und unseres Parlamentspräsidenten hat zu einem Einlenken der Kommission geführt . Nun wird CETA als gemischtes Abkommen nicht nur vom Ministerrat und vom EU-Parlament, sondern auch von allen nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten - ebenso wie vom Bundesrat - ratifiziert. Nach der Vorlage der übersetzten Texte liegt nun die Phase vor uns, die Texte zu prüfen . Im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung ist es gelungen, die wesentlichen Elemente des EU-Vorschlags für einen modernen Investitionsschutz in CETA festzuschreiben . Nach dem Freihandelsabkommen mit Vietnam ist dies das zweite Abkommen, in dem die EU-Kommission einen modernen Investitionsschutz und Investitionsgerichte vereinbaren konnte . Wir haben in engem Dialog mit der Handelsministerin von Kanada, Madame Freeland, über diese Themen diskutiert . Auch sie kommt zu der Bewertung, dass wir mit den gefundenen Formulierungen betreffend einen internationalen Handelsgerichtshof eine Modernisierung der Freihandelsabkommen erzielen können . Das ist eine gute Entwicklung . ({1}) Wir haben ein fortschrittliches Abkommen, weil wir - das wollten wir immer - fairen Handel sowie die Standards und Normen, die in Kanada und der EU gelten, verankern können . Dieses Abkommen ist so wichtig, weil wir damit eine Chance haben, die hohen Standards von EU und Kanada als globale Richtschnur zu setzen . Das kann man nur machen, wenn man sich an den Verhandlungstisch begibt und verhandelt . Deshalb sind Forderungen, TTIP und CETA sofort zu stoppen, völliger Blödsinn . ({2}) Wir müssen uns an den Tisch setzen und verhandeln . Nur dann können wir etwas erreichen und verbessern . ({3}) Mit Kanada haben wir bisher kein Handelsabkommen abgeschlossen, obwohl es zu unseren engsten Partnerländern weltweit gehört . Leider gab es viele Missverständnisse, da zu wenig zwischen TTIP und CETA differenziert wurde . Damit ist nun Schluss . Der deutsche Vertragstext liegt in dieser Woche vor . Er ermöglicht es, eine Analyse und Bewertung vorzunehmen . Ich glaube ganz sicher, dass wir es mit dem vorliegenden Text schaffen, einige Mythen, die einige Politiker draußen in Diskussionen verbreiten, zu entkräften . Sigmar Gabriel hat Vorschläge unterbreitet, die in die Kommissionsvorschläge eingeflossen sind. Ich bin ihm ausdrücklich dankbar dafür, dass nun endlich mit geheimen, in Hinterzimmern stattfindenden Schiedsverfahren Schluss ist und dass wir mit einem internationalen Handelsgerichtshof die Modernisierung der Handelsabkommen beschleunigen . Dafür sind wir ihm sehr dankbar . Wir haben Standards im Umweltschutzbereich und im Verbraucherschutz, wir haben die Möglichkeit, Arbeitnehmerrechte in Form von ILO-Kernarbeitsnormen zu verankern . Selbst die kanadische Regierung hat letzten Monat von den acht ILO-Kernarbeitsnormen das siebte ratifiziert und macht sich auf den Weg, die Standards zu erhöhen . Auch das Vorsorgeprinzip konnte verankert werden . Frau Dröge, was Sie in Ihrer Rede zitiert haben, sind vielleicht wissenschaftliche Gutachten, das steht aber so nicht im Verhandlungstext . ({4}) Daher kann ich Ihnen empfehlen, wenn der Text diese Woche vorliegt, genau das nachzulesen . Es ist dort verankert . Deshalb ist das eine wichtige Entwicklung, was Freihandel angeht . Fest steht jetzt: Mit der Vorlage des Textes können wir viele Dinge beweisen und erklären . Wir können draußen für mehr Transparenz in der Debatte sorgen . Bundestag und Bundesrat können ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen . Die EU und Kanada haben die Chance, diese Standards weltweit als Orientierung für andere Abkommen zu etablieren . Deshalb ist das ein gutes Zeichen . Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Westphal . - Nächster Redner: Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen .

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wusste gar nicht, dass Uwe Beckmeyer so ein Ökologe ist, dass er jetzt die Einführung der US-Stickstoffnormen für Europa fordert . Wir können ihn dabei nur unterstützen und warten auf die entsprechende Gesetzesinitiative der Bundesregierung . ({0}) Nur, das wird sie nicht tun . Damit sind wir bei dem Kern des Problems . Wenn man über Handelsabkommen redet und sich Handelsabkommen vorstellen würde, bei denen sich beide Seiten auf die höheren sozialen und ökologischen Standards einigen würden, dann würden Sie aufseiten der Linken und der Grünen niemanden finden, der gegen ein solches Abkommen ist . ({1}) Aber darum geht es hier überhaupt nicht . Das, was Sie hier praktizieren, ist nichts anderes, als dass Sie die Möglichkeiten der Bundesländer, der Kommunen, des Deutschen Bundestags, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission über ein ausgefeiltes System der regulatorischen Kooperation erschweren wollen . Sie wollen die Standardsetzung künftig schwerer machen . Wer sich die einzelnen Regulierungen anschaut, der wird sehr schnell sehen, wozu das führt, nämlich dazu, dass der Lobbydruck auf demokratisch gewählte Volksvertreter in den Kommunen, in den Bundesländern, im Bundestag und im Europäischen Parlament erhöht wird . Das ist das Problem, und das ist übrigens das Problem, das wir in ganz Europa haben . ({2}) Aus diesem Grunde, weil dieses Abkommen so umfassend eingreift, ist das ein gemischtes Abkommen . Ich habe mich schon gewundert, Herr Pfeiffer: Jetzt sind wir einmal mit der Bundesregierung einer Meinung . Es ist die Auffassung der Bundesregierung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Daran können auch allgemeine Ausführungen über den Lissaboner Vertrag nichts ändern . Völlig klar im Lissaboner Vertrag geregelt - deswegen habe ich für seine Annahme hier plädiert - ist, dass, wenn in Kompetenzen nationaler oder subnationaler Gesetzgebung eingegriffen wird, ein solches Abkommen nicht nur von der Mehrheit des demokratisch gewählten Parlamentes, nicht nur von der qualifizierten Mehrheit demokratisch gewählter Regierungen in Europa, sondern auch von den nationalen und gelegentlich regionalen Parlamenten mit ratifiziert werden muss. Das ist die Rechtslage . Ein guter Europäer sollte zu dieser Rechtslage stehen und das hier nicht verunklaren, wie Sie das gemacht haben . ({3}) Ich will aber anhand eines Punktes eine nachdenkliche Anmerkung über die Lesefähigkeit der Kollegen machen . Ja, das Vorsorgeprinzip steht drin, vorne in der Präambel . Ich glaube, es ist aus der Rio-Konvention übernommen . Aber schauen Sie sich einmal die einzelnen Fachkapitel an . Dort ist überall vom „wissenschaftsbasierten Ansatz“ die Rede . ({4}) Das ist das Gegenteil von dem, was behauptet worden ist . In Richtung der Sozialdemokraten sage ich: Mich erinnert das an den 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Dessen Autor hat einmal geschrieben: Die Freiheit wird in der Phrase beschrieben, und die Aufhebung der Freiheit steht in der Fußnote . - Sie vertuschen, was in der Fußnote steht . Der Unterschied zwischen dem wissenschaftsbasierten Ansatz und dem Vorsorgeprinzip ist ziemlich einfach - ich sage das für die auf der rechten Seite des Hauses, die es nicht wissen -: Beim wissenschaftsbasierten Ansatz muss man am Ende nachweisen, ob irgendeine Chemikalie Krebs erzeugt . Erst am Ende eines solchen Prozesses wird sie verboten . - Ich rede nicht von Glyphosat . Ich rede von den Zuständen, die in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts zum Holzschutzmittelskandal geführt haben . ({5}) Dem haben wir gemeinsam ein Ende gesetzt, und seitdem gilt in Deutschland das Vorsorgeprinzip . Das wollen wir nicht durch Handelsabkommen an dieser Stelle aushebeln lassen . ({6}) Letzte Bemerkungen . Auch ich habe mich gestern kurz gefreut, als ich gehört habe, dass die Kommission ihre Haltung zum Inkraftsetzen von CETA geändert hat . Nur, ich glaube, zur Freude besteht gar kein Anlass . ({7}) Die Kommission hat gesagt, was passiert, wenn sie auf ihrer Rechtsposition beharrt: Dann passiert gar nichts . Sie will aber, dass dieses Abkommen schnell in Kraft tritt . Also hat sie ihre vermeintlich sichere Rechtsposition geräumt . Sie hat CETA zu einem gemischten Abkommen erklärt und setzt alles daran, dieses Abkommen, auch den Investitionsteil, vor einer Ratifizierung vorläufig in Kraft zu setzen . ({8}) Wenn Sie, lieber Herr Ulrich, sagen, die hätten den Schuss nicht gehört: Die haben mehrere Schüsse nicht gehört . Die sind auch nicht willens, an dieser Stelle weitere Schüsse zu hören . Ich glaube, dass die Bundesregierung gut beraten wäre, an dieser Stelle klar zu sagen: Wir sind nicht bereit, ein vorläufiges Inkraftsetzen dieses Abkommens, die Errichtung neuer Hürden für demokratische Regulierung zu akzeptieren . - Wir sind der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung ein vorläufiges Inkraftsetzen im Rat ablehnen muss . Wir sagen Ihnen auch: Wenn wir dahin kommen wollen, wohin Herr Beckmeyer wollte, dann brauchen wir einen Neustart, nicht nur in Europa, sonJürgen Trittin dern insbesondere auch in der Handelspolitik . Denn am Ende bleibt richtig: Nur fairer Handel ist freier Handel . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jürgen Trittin . - Der nächste Redner: Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir hier erleben, ist sozusagen der Vorgeschmack auf die Debatten, die uns in den nächsten Monaten ereilen werden . ({0}) Die gestrige Entscheidung der Europäischen Kommission, CETA als gemischtes Abkommen zu behandeln, war schon überraschend; schließlich hat der Kommissionspräsident noch letzte Woche kraftvoll getönt, dass es überhaupt keine Chance dafür gebe . Mittlerweile ist der erste Jubel hier im Saale verhallt . Wenn man die öffentliche Meinung verfolgt, stellt man fest, dass ein Nachdenken darüber einsetzt, ob sich die Entscheidung, die jetzt unter gewissem politischen Druck getroffen worden ist, letztendlich im Sinne der europäischen Handelspolitik auszahlen wird . Diskutiert wird jetzt in 28 Parlamenten; das ist erst einmal gut . Wir haben hier immer die Haltung vertreten, dass es dann, wenn ein Abkommen fertig ist, genügend Raum vorhanden ist, über die Inhalte zu diskutieren . Das heißt nicht, dass wir an jedem Freitag einer Sitzungswoche um 15 Uhr eine linke Debatte führen, in der wir immer wieder das Gleiche durchkauen . ({1}) Letzte Woche haben wir hier im Deutschen Bundestag eine Sondersitzung zum Brexit durchgeführt, also zur Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreiches, dass ihr Land aus der EU austritt . Gerade die Grünen, die Linken, eigentlich alle haben davor gewarnt, den Populisten in Europa Raum zu geben und ihnen auf den Leim zu gehen . Ich bin wirklich gespannt, wie diese Debatte verlaufen wird . Das, was von Frau Dröge und von der linken Seite abgeliefert worden ist, geht genau in diese Richtung . Das heißt, es wird hier populistischst mit einfachsten Parolen Angst gemacht . ({2}) Schauen Sie sich einmal die Webseiten der Organisationen an, die vor allem den Grünen und den Linken nahestehen, Campact zum Beispiel! Ich lese Ihnen einmal vor, was auf einer Webseite steht: Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern Campact und Foodwatch bringen wir CETA, das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, vor das Bundesverfassungsgericht . Mit unserer Klage wollen wir überprüfen lassen, ob die vorläufige Anwendung . . . mit dem Grundgesetz vereinbar sind . CETA ist nicht nur demokratiepolitisch gefährlich, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich . ({3}) Weiter heißt es - jetzt kommt der entscheidende Satz -: Kippen wir CETA, dann ist wahrscheinlich auch TTIP erledigt . ({4}) Meine Damen und Herren, das ist der Geist . Wenn Sie dann einmal auf diesen Seiten nachforschen: „Wo sind eigentlich Argumente dafür? Was wird eigentlich dazu geliefert, warum das so ist?“, ({5}) finden Sie gar nichts. ({6}) Sie finden nicht einmal ein paar Zeilen, in denen erklärt wird, was CETA ist, was eigentlich die Hauptinhalte sind . Nichts! Das ist der blanke Populismus, meine Damen und Herren . ({7}) Das hat in Großbritannien zum Erfolg der Populisten geführt . Das Geschrei ist jetzt überall groß . Man kann nur davor warnen, hier in Deutschland so eine Diskussion über die Handelsabkommen zu führen . ({8}) Es hat niemand etwas dagegen, dass man sich mit Argumenten auseinandersetzt . Aber, Herr Ernst, ich habe von Ihnen kein einziges Argument gehört - nur die üblichen Parolen . Frau Dröge, bei Ihnen ist genau das Gleiche . ({9}) Sie erzählen das schon seit Jahren . Sie haben einfach ignoriert, dass es in den ganzen Verfahren bereits Fortschritte gegeben hat . Sie ignorieren das, weil Sie überhaupt nicht darüber diskutieren wollen, weil Sie überhaupt keine Aufklärung der Menschen wollen . Sie schüren ganz einfach Angst, und das werden Sie auch weiter betreiben . ({10}) Das Ergebnis könnte sein, dass die EU in ihrer Handelspolitik völlig unbeweglich wird, dass keine internationalen Abkommen mehr zustande kommen ({11}) und dass sich die Welt fragt: Was ist denn eigentlich diese EU noch? Kann man mit denen überhaupt noch reden? Hat es überhaupt Sinn, in Verhandlungen einzutreten, wenn in 28 Parlamenten letztendlich die Dinge zerredet werden? Das ist eine ganz grundsätzliche Frage, und es ist eine ganz grundsätzliche Verantwortung, die wir Politiker hier im Deutschen Bundestag jetzt tragen . Das sollte jede Partei für sich einmal diskutieren . Ich glaube, an dieser Diskussion über CETA wird sich entscheiden, ob wir in der Lage sind, die Dinge den Menschen wirklich nahezubringen, aber mit Argumenten und nicht mit Parolen . ({12}) Ich kann nur eine Überschrift aus einer Zeitung von heute zitieren: „Mitsprache nach Stimmungslage“ - Fragezeichen . Die Zukunft wird zeigen, ob die Zeitung recht hat . Vielen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Lämmel . - Nächster Redner: Klaus Barthel für die SPD . ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wären nicht hier, um zu diskutieren, wenn wir diese Abkommen, auch CETA, um das es heute gehen soll, nicht auch differenziert betrachten würden . Das fehlt mir in der Debatte etwas . Die einen werben mit großem Einsatz dafür, und die anderen argumentieren dagegen; die Argumente sind ganz widersprüchlich . Auch bei uns in der Sozialdemokratie und in der Gewerkschaftsbewegung gibt es erhebliche Bedenken gegen bestimmte Formulierungen, die darin enthalten sind . Wir haben jetzt die Möglichkeit, weil wir endlich eine deutsche Fassung haben, uns gründlich damit zu beschäftigen, was es zum Beispiel auf sich hat mit gerechter und billiger Behandlung - „fair and equitable treatment“ -, mit legitimen Erwartungen von Investoren, mit legitimen Politikzielen, was vom „right to regulate“ übrig bleibt, warum man in so einem Abkommen überhaupt braucht, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist . Wir werden hinterfragen, wie es sein kann, dass Investorenrechte mit Schiedsgerichtbarkeit geschützt werden, während es mit der Durchsetzung von Umweltstandards, Arbeitnehmerrechten und Nachhaltigkeit so schwierig ist . Wir werden den Negativlistenansatz hinterfragen, dass es nämlich heißt „Liberalisierung generell“ und dann Hunderte von Seiten mit Ausnahmen kommen . Also, Diskussionsbedarf gibt es da genug, und wir sollten uns jetzt dieser inhaltlichen Debatte stellen und wirklich schauen, was darin steht . Dazu haben wir jetzt genügend Gelegenheit . Deswegen will ich das Verfahren noch einmal deutlich machen; denn hier werden tatsächlich Popanze aufgebaut, die der Sache nicht gerecht werden . Wir haben heute im Wirtschaftsausschuss diskutiert, wie das alles weitergeht . Es ist deutlich geworden, dass sich der Deutsche Bundestag in einem zweistufigen Verfahren damit befassen wird, nämlich einmal vor der Befassung durch die Europäischen Räte und durch das Europäische Parlament . Die Bundesregierung hat hier zu Protokoll gegeben - ich will das zitieren -: Die Bundeskanzlerin und Bundesminister Gabriel haben deutlich gemacht, dass ein Votum des Bundestags vor der Beschlussfassung im Rat aus Sicht der Bundesregierung wünschenswert wäre . Die Bundesregierung wird dem Bundestag eine Stellungnahme ermöglichen, indem sie ihn gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtungen - das ist Artikel 23 Grundgesetz weiter frühestmöglich und fortlaufend über die Beratungen zu CETA und den weiteren Zeitplan unterrichtet . Die Ausgestaltung der parlamentarischen Befassung mit CETA liegt in der Organisationshoheit des Deutschen Bundestags und kann nicht durch die Bundesregierung festgelegt werden . Deswegen haben wir heute im Wirtschaftsausschuss noch einmal eine Anhörung beschlossen, und wir werden dann in den Gremien, in den verschiedenen Ausschüssen und sicherlich auch im Plenum beraten, bevor es zu Entscheidungen auf europäischer Ebene kommt . Wer das noch einmal nachlesen will, findet in Artikel 23 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes, welche Rechte der Bundestag hier hat . Dazu braucht man hier keinen Popanz - von wegen Geheimnistuerei, am Parlament vorbei usw . - aufzubauen . Das ist alles ganz transparent . Deswegen: Hören Sie endlich damit auf, und diskutieren Sie über den Inhalt! Wir sagen aber auch dazu, dass es rechtliche Regelungen gibt, die eben auf europäischer Ebene zu entscheiden sind . Wir müssen damit aufhören, so zu tun, als wäre das Europäische Parlament keine demokratisch legitimierte Veranstaltung . ({0}) Die haben darüber zu entscheiden . So ist es nun einmal . Dafür werden sie gewählt . Das kann man nicht dadurch entwerten, dass man ständig so tut, als wären nur wir hier demokratisch legitimiert und könnten dazu irgendetwas entscheiden . Die zweite Stufe wird dann nach der Entscheidung der europäischen Gremien ein Ratifizierungsgesetz sein, das die Bundesregierung dem Parlament vorlegt . Wir haben dafür gesorgt, dass es ein solches Verfahren gibt und dass sich hiermit der Deutsche Bundestag und auch der Bundesrat sorgfältig befassen können . Ich will aber auch sagen: Wir machen das nicht als Selbstzweck . Ich glaube, man kann schon sehen, dass sich dort auch etwas bewegt hat . Es ist eben nicht mehr mit Verlaub, Kollege Fuchs - dieselbe Fassung des Vertrags wie im November 2014, sondern da hat es wesentliche Veränderungen gegeben . Das ist ein Riesenerfolg aus einem gesellschaftlichen und demokratischen Beratungsprozess heraus . Den sollten wir nicht einfach unter den Tisch fallen lassen . ({1}) Zu den Schiedsgerichten ist ja schon gesagt worden, dass es keine privaten Schiedsgerichte mehr gibt . Aber einen Punkt will ich schon noch erwähnen: Ich glaube nicht, dass jetzt in Kanada Gesetzgebungsverfahren laufen würden, die ILO-Kernarbeitsnormen umzusetzen Verbot von Kinderarbeit und volle Wiederherstellung der Gewerkschaftsrechte gegenüber den Anschlägen, die die konservative Regierung gegen die Gewerkschaften in Kanada gemacht hat -, wenn es nicht den Druck aus diesen Verhandlungen über CETA und über internationale Handelsverträge gäbe . ({2}) Ich glaube, auf diesem Weg muss man weitergehen . Und da sind solche Verträge, solche Fair-Handelsverträge, wie wir sie anstreben, ein Weg, um international vorwärtszukommen . Wer diesen Weg nicht beschreiten will, vergibt eine riesige Chance bei der Gestaltung der Globalisierung . Danke, Frau Präsidentin . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte, Herr Kollege . Danke schön, Klaus Barthel . Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die EU-Kommission hat am gestrigen Tag zweifellos eine wichtige und bemerkenswerte Entscheidung gefällt . Nach dem Vertrag von Lissabon - Kollege Pfeiffer hat vorhin darauf hingewiesen - war die Kommission ermächtigt, das Freihandelsabkommen mit Kanada zu verhandeln, und wurde dazu mit einem starken Mandat durch die Mitgliedstaaten ausgestattet . Nun haben wir seit einiger Zeit das Verhandlungsergebnis vorliegen . In Kürze wird uns die deutsche Übersetzung vorgelegt werden, und in den nächsten Monaten wird sich der Bundestag mit dem Text auseinandersetzen . Ganz unabhängig von der rechtlichen Frage, ob es sich bei CETA um ein gemischtes oder um ein EU-only-Abkommen handelt - diese Auseinandersetzung und intensive Befassung des Deutschen Bundestages wäre ohnehin erfolgt und dringend notwendig, einerseits wegen unserer Beteiligungsgesetze und andererseits, weil wir es zum Teil mit einer zutiefst verunsicherten Bevölkerung zu tun haben, deren Verunsicherung in hohem Maße auf Fehlinformationen und Vorurteilen beruht . ({0}) Daher halte ich es neben der nun geklärten rechtlichen Frage vor allem für politisch zwingend erforderlich, den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Eigenschaft als Volksvertreter zu erklären, warum es als Bundesrepublik Deutschland sinnvoll und in unserem ureigenen Interesse ist, für freien Handel einzutreten . ({1}) Würden wir nicht so verfahren, würden wir die intensive öffentliche Debatte einfach ignorieren und damit genau jenen Vorurteilen Vorschub leisten, die einer technokratischen Entrücktheit und Bürgerferne der politischen Klasse das Wort reden . Stattdessen lohnt es sich, nach dem, was mir bisher bekannt ist, sich für den Abschluss des Abkommens offensiv einzusetzen . Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern die Verunsicherung nehmen und verdeutlichen: Wir haben es bei CETA mit einem guten Verhandlungsergebnis zu tun . Das müssen wir erklären, und das können wir auch erklären . ({2}) Ich möchte drei Beispiele herausgreifen, um zu verdeutlichen, was bei CETA erreicht werden konnte; es ist zum Teil schon erwähnt worden . Erstens . Die EU hat sich mit Kanada darauf geeinigt, technische Handelshemmnisse abzubauen, die den gegenseitigen Handel behindern . Der Mechanismus zur gegenseitigen Konformitätsbewertung wird bestehende technische Handelsbarrieren abbauen . Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen werden von der neuen Regelung profitieren und leichter auf dem kanadischen Markt Fuß fassen . Ausfuhrabgaben oder sonstige Beschränkungen werden zudem untersagt . Besonders unsere Elektroindustrie und der Maschinenbau werden von CETA profitieren. ({3}) Zweitens . CETA stellt den Schutz der öffentlichen Dienstleistungen und damit der Daseinsvorsorge sicher . Die öffentliche Versorgung mit Wasser, Energie, Bildung oder Gesundheitsleistungen liegt weiterhin in der Hand der Mitgliedstaaten . CETA schränkt die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht darin ein, Maßnahmen im öffentlichen Interesse zu ergreifen . CETA beinhaltet zudem keine Verpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen; auch Rekommunalisierungen sind mit CETA weiterhin möglich . ({4}) Drittens . Es ist gelungen, mit Kanada eine Einigung auf ein reformiertes System zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zu erzielen; das ist schon mehrfach angeklungen . Es handelt sich eben nicht um die alten Schiedsgerichte, sondern um ein sehr innovatives Konzept . Private Schiedsgerichte gehören damit der Vergangenheit an . Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Freihandel ist gerade für Deutschland von überragender Bedeutung . Ein Blick auf die einschlägigen Statistiken verdeutlicht dies . Sie zeigen, in welch hohem Maße die deutsche Wirtschaft exportorientiert und damit auch exportabhängig ist . Schon der Aufstieg der deutschen Wirtschaft vor bald 200 Jahren war untrennbar mit der Schaffung von Freihandelszonen und Zollunionen verbunden . Gleiches galt später für die Wirtschafts- und Währungsunion, und heute hängt jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland am Export . Nun stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter . Die globalen Kräfteverhältnisse werden neu bestimmt . Neue Akteure formieren sich, und neue Allianzen werden gebildet . Welches Gewicht hat die EU gegenüber Ländern wie China und Indien in Zukunft? Von den Kritikern des Abkommens höre ich dazu keine konstruktiven Vorschläge . Wir müssen unsere Handelsbeziehungen ausweiten und pflegen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben . Eine Exportnation braucht Märkte . Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist eine große Chance für Deutschland wie die gesamte EU, sich in diesem Geflecht neu zu positionieren. CETA bildet dafür einen modernen Rahmen, um unsere hohen europäischen Standards zu Weltstandards auszuweiten . Mit CETA können wir weltweit neue Maßstäbe für Freihandelsabkommen setzen . Wir müssen und wir werden uns in den nächsten Monaten sachlich mit den tatsächlichen Inhalten von CETA auseinandersetzen, und dabei werden wir unsere Bevölkerung mitnehmen und verdeutlichen, weshalb es eine gute Idee ist, auf Freihandel zwischen Europa und Kanada zu setzen . Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Hansjörg Durz . - Der nächste Redner: Dirk Wiese für die SPD . ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, als wir in der vergangenen Woche das Statement von Jean-Claude Juncker in Brüssel gehört haben, ist der eine oder andere fassungslos geworden . Man muss das einmal deutlich sagen . Ich habe gedacht, dass die Zeiten von Karel De Gucht in Brüssel der Vergangenheit angehören, aber diese Aussage hat der ganzen Debatte Schaden zugefügt . Ich bin Sigmar Gabriel dankbar, dass er umgehend reagiert hat und deutlich gemacht hat, dass dieses Verhalten nichts anderes als töricht war und nicht hinnehmbar gewesen ist . ({0}) Ich will auf die Pressekonferenz von Cecilia Malmström eingehen, die sie am gestrigen Tage gehalten hat . Wir haben uns alle darüber gefreut, dass sie die Abkehr von der ursprünglichen Äußerung von Jean-Claude Juncker deutlich gemacht hat, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Allerdings hat Malmström in einem Punkt unrecht . Sie hat gesagt: Rechtlich ist es ein EU-only-Abkommen, aber aus politischen Gründen würde sie ein gemischtes Abkommen vorlegen . - Nein, Frau Malmström, das ist falsch . Es ist auch rechtlich eindeutig ein gemischtes Abkommen . ({1}) Das hat die Rechtsauffassung des Juristischen Dienstes bestätigt, das haben Gutachter für das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt und das haben auch Vertreter der EU-Kommission in Anhörungen bestätigt, die wir im Wirtschaftsausschuss bereits durchgeführt haben . Ich will auch deutlich machen: Es gibt ein Verfahren EU-Singapur, wo diese Frage geklärt werden soll . Dieses Verfahren - das hat Cecilia Malmström eindeutig im Wirtschaftsausschuss gesagt - hat keinen Einfluss auf irgendwelche Einstufungen der Zuständigkeiten im Rahmen EU-Kanada . Egal wie der EuGH im nächsten Jahr in dieser Frage entscheidet: Das Abkommen EU-Kanada ist ein gemischtes Abkommen . Diese Position ist auch rechtlich fundiert . ({2}) Ich war auch ein bisschen erstaunt, Herr Pfeiffer - hier muss ich Sie heute kritisieren -, dass Sie letzte Woche entgegen allem juristischen Sachverstand gesagt haben, dass Juncker recht habe . Das ist falsch . Ich hoffe, dass Sie diese Position noch einmal überdacht haben . ({3}) Das hat sich heute an der einen oder anderen Stelle noch einmal dargestellt . Wir als Bundestag werden uns jedenfalls die Zeit nehmen, diesen Prozess zu begleiten, zu entscheiden, zu beraten . Das halte ich auch für richtig . Für die SPD-Bundestagsfraktion will ich noch einmal deutlich machen: Was ist, wenn wir zur Frage des vorläufigen Inkrafttretens kommen? Darum spielt das gemischte Abkommen eine so wichtige Rolle . Die Zuständigkeiten, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen, können nicht vorläufig in Kraft treten. Zu diesen Punkten gehören eindeutig die Regelungen des gesamten Investitionsschutzkapitels, weil es eine Differenzierung gibt zwischen Portfolioinvestitionen und Direktinvestitionen . Hier sind mitgliedstaatliche Kompetenzen berührt . Darum wird bei einem vorläufigen Inkrafttreten, wenn es im Herbst dazu kommen sollte, die Schiedsgerichtsbarkeit nicht davon betroffen sein. Sie wird nicht vorläufig in Kraft treten. Bis sie in Kraft tritt, bedarf es einer Entscheidung des Deutschen Bundestages, also von uns allen . Darauf werden wir auch hinarbeiten . ({4}) Ich bin ein bisschen erstaunt darüber - ich habe gestern die Presselandschaft interessiert verfolgt und geschaut, wer sich alles geäußert hat -, wo die Stellungnahmen des hessischen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir und des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sind . ({5}) Schweigen im Walde . Ich verstehe auch nicht die Position der Grünen, die hier vorgetragen wurde . Alle, die sich für die Spitzenkandidatur der Grünen bewerben, haben sich hier geäußert . Aber warum haben Sie denn nicht auf die Anfragen von Campact reagiert? Warum schweigen Sie denn? Warum beantworten Sie die Fragen von Campact nicht, wenn Sie als Grüne vermeintlich eine klare Haltung haben? Nein zu CETA . Nein, das ist bei Ihnen nicht der Fall . Sie haben gar keine klare Haltung zu diesem Abkommen, weil Ihre Länderminister im Bundesrat zustimmen werden . ({6}) Der zweite Punkt, der mich gerade sprachlos gemacht hat: Herr Trittin, ich weiß nicht, ob Sie jetzt auch Ihren Hut in den Ring werfen für die grüne Spitzenkandidatur . Sie haben davon gesprochen, dass die regulatorische Kooperation im CETA-Abkommen dazu führt, dass Standards abgesenkt werden . Jetzt, wo wir den deutschen Text haben und man kein Gutachten mehr lesen muss, das die eigene Meinung bestätigt, können wir am Text arbeiten . Die regulatorische Kooperation im CETA-Abkommen ist auf rein freiwilliger Basis . Die Amerikaner würden niemals unterschreiben, was in diesem Abkommen steht . Wenn es um die Frage der Standards geht, dann geht es in diesem Punkt nicht um die Frage der Standardabsenkung; denn Sie haben Umweltstandards abgesprochen . Darum geht es an diesem Punkt nicht . Ich bin auch erstaunt, dass Sie heute Ihre Stimme erheben . Ich habe gerade einmal nachgeschaut . Als Sie Bundesumweltminister gewesen sind, sind Handelsabkommen mit Chile, Ägypten, Jordanien, Mazedonien, Mexiko, Marokko und San Marino abgeschlossen worden . Sie haben nie etwas gesagt . Ich glaube nicht, dass in diesen Ländern die Standards durch diese Abkommen gestiegen sind . Darum sollten Sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle mal überlegen, warum man sich heute so äußert, wenn man damals anders gehandelt hat . ({7}) Ich nehme die Anregung von Frau Dröge sehr gerne auf . Ich hoffe, dass Sie dann beim nächsten Mal einen sachlichen Beitrag zum Text leisten und nicht wieder das Übliche sagen, was Sie in allen Versammlungen sagen . Zum Abschluss müssen wir feststellen, dass wir zwei Grundsätze in den Debatten der nächsten Monate nicht auflösen können. Der erste Grundsatz: Zwei Juristen, drei Meinungen . Zweiter Grundsatz: Wir bekommen morgens ein Gutachten auf den Tisch, das besagt: „Links abbiegen!“, und nachmittags sagt ein anderes Gutachten: „Rechts abbiegen!“ . ({8}) Das werden wir nicht auflösen können. Trotzdem freue ich mich auf die intensive Debatte über den deutschen Text in den nächsten Wochen und Monaten . Ich hoffe, dass Sie dann auch einmal inhaltlich dazu reden werden . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dirk Wiese . - Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde: Dr . Matthias Heider für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat man immer die Gelegenheit, Revue passieren zu lassen, worum es eigentlich ging . Weil die Opposition bis gestern noch der Annahme war, dass der Bundestag an der Abstimmung über das CETA-Abkommen nicht beteiligt werden würde, ({0}) haben die Linken diese Aktuelle Stunde beantragt . Das war heute falsch, das war gestern falsch, und das war auch in der letzten Woche schon falsch . ({1}) Denn die Bundeskanzlerin hat schon in der letzten Woche eindeutig gesagt, dass sie ein Votum des Bundestages über CETA einholen möchte, und das noch bevor der Rat im Herbst über CETA entscheidet . ({2}) Seit gestern wissen wir, dass die EU-Kommission CETA als ein gemischtes Abkommen behandelt . Das ist für Juristen jetzt nicht so ganz überraschend, wenngleich es da auch die ein oder andere abweichende Rechtsmeinung geben mag . Man könnte annehmen, liebe Opposition, Kollege Ernst von den Linken, damit wären Sie jetzt zufriedengestellt - Thema erledigt . Aber nein, jetzt kochen Sie das nächste Thema hoch: ({3}) die vorläufige Anwendbarkeit dieses Abkommens. ({4}) Ich will Ihnen an dieser Stelle einmal sagen, auch angesichts der fragwürdigen Anmerkungen des Kollegen Ulrich zu den Aufgaben frei gewählter Abgeordneter: Was Sie hier heute im Deutschen Bundestag mit der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde machen, das ist eher wie im Schnellrestaurant - reingehen, irgendetwas bestellen, zweimal fünf Minuten kurz Dampf ablassen und dann rausgehen und draußen schlecht über das Essen reden . Genau so ist es . ({5}) „Draußen schlecht über das Essen reden“ bedeutet: Sie verunsichern die Bürger . ({6}) Sie versuchen, die Chancen der deutschen Landwirtschaft, der deutschen Industrie und des deutschen Handwerks zu beschädigen . ({7}) Sie versuchen - das ist mir besonders wichtig -, Europa auseinanderzudividieren . Das ist das Problem . ({8}) Was verbirgt sich jetzt eigentlich hinter dem Thema der vorläufigen Anwendbarkeit? Nichts anderes als etwas, was bei Abkommen der EU mit Drittstaaten gängige Praxis ist . ({9}) Die vorläufige Anwendbarkeit eines Abkommens bedeutet, dass die Teile eines Abkommens, für die die EU originär zuständig ist, bereits vor der Entscheidung über das Abkommen durch die Mitgliedstaaten angewendet werden können . Das ist geltendes Recht des Lissaboner Vertrages, den Sie ja ablehnen; Artikel 218 Absatz 5 sollten Sie trotzdem mal nachlesen . Ein demokratisches Problem - so haben Sie es dargestellt - sehe ich dabei nicht; denn die Möglichkeit, ein Abkommen für vorläufig anwendbar zu erklären, ist so in diesem Vertrag geregelt . Wir Parlamentarier haben die Möglichkeit, dazu im Herbst Stellung zu nehmen . Wir werden hier im Deutschen Bundestag noch vor dem Ratsbeschluss im Herbst einen Antrag zu CETA und zur vorläufigen Anwendbarkeit beschließen. Damit geben wir der Regierung unsere Vorstellungen vom Abkommen mit auf den Weg. Zusammen mit dem Ratifizierungsverfahren bedeutet das sogar eine doppelte parlamentarische Befassung unseres Hauses. Zudem wird die vorläufige Anwendbarkeit natürlich auch vom Europäischen Parlament beschlossen, also gleich dreimal . Und dann sagen Sie noch mal, das Verfahren bei CETA wäre nicht parlamentarisch legitimiert . Das nimmt Ihnen doch keiner ab . ({10}) Egal wie über die juristischen Fragestellungen entschieden wird, wir Parlamentarier werden die Möglichkeit haben, uns für dieses Abkommen auszusprechen . Das ist auch richtig . CETA ist ein gutes Abkommen . Es wird in Deutschland und in Europa zu wirtschaftlichem Wachstum, zu Beschäftigung und zu sinkenden Preisen führen . Es wird Arbeitsplätze sichern, und es wird vor allen Dingen die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada weiter fördern . Wenn CETA erfolgreich abgeschlossen ist, dann fallen Zölle, es fallen nichttarifäre Handelshemmnisse, und der Marktzugang für kleine und mittlere Unternehmen wird dadurch stark verbessert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kanada und Europa verbindet mehr . Uns verbinden gemeinsame Werte; ich sage das mit Blick auf die etwas antiamerikanischen Haltungen, die gerade durchschimmerten . ({11}) Auch politisch setzen wir ein richtiges Signal . Wir bündeln unsere Märkte und setzen damit auf gemeinsame Standards für die Zukunft . Lassen Sie uns deshalb dafür eintreten, dass CETA erfolgreich verabschiedet wird . Lassen Sie uns der Bundesregierung im Herbst ein Ja mit auf den Weg geben . Lassen Sie uns vor allen Dingen dafür sorgen, dass etwas Positives für Deutschland und für Kanada entsteht und dass Europa mit einer Stimme spricht . Vielen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Heider . - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet . Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, für den nächsten Tagesordnungspunkt, den ich jetzt aufrufe, die Plätze einzunehmen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts Drucksache 18/8963 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Erste Rednerin ist Manuela Schwesig für die Bundesregierung . ({1})

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005313

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass wir vor der parlamentarischen Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Mutterschutzrechts beraten . Diese Reform ist wichtig . Wir wollen den Mutterschutz stärken . Wir wollen werdende Mütter und Mütter, die es gerade geworden sind, besser schützen . Wir wollen den Mutterschutz ausweiten, verbessern, und wir wollen ihn auch modernisieren; denn das Mutterschutzgesetz ist aus dem Jahr 1952, und seit 1952 hat sich die Arbeitswelt natürlich massiv verändert . Deshalb ist es wichtig, auf die neuen Bedingungen Rücksicht zu nehmen . Mir sind drei Punkte bei diesem Gesetz besonders wichtig . Erstens . Wir verbessern den Mutterschutz für Mütter mit Kindern mit Behinderung . Sie werden zukünftig länger Mutterschutz beanspruchen können . Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass eine solche Situation eine besondere Herausforderung darstellt . Es ist daher gut, dass Mütter mehr Schutz erhalten . Zweitens . Zukünftig können auch Studentinnen und Praktikantinnen, die bisher nicht von diesem Gesetz profitiert haben, Mutterschutz in Anspruch nehmen. Das ist für diese Frauen ebenso wichtig wie für andere . Drittens. Wir wollen Regeln finden, die verhindern, dass Frauen, wie das derzeit der Fall ist, Arbeitsverbote auferlegt bekommen, die sie eigentlich nicht wollen . Gleichzeitig müssen wir dafür Sorge tragen, dass Lockerungen nicht ausgenutzt werden . Ich möchte ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen nennen . Immer mehr Frauen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, gerade junge Ärztinnen, sagen: Kaum bin ich schwanger, bekomme ich ein Arbeitsverbot, und das will ich gar nicht . Deshalb sollen Arbeitgeber zukünftig viel genauer die Situation betrachten und gemeinsam mit der Frau beraten: Was ist denn die konkrete Gefährdungssituation? Kann man sie beseitigen? Wie kann man das regeln? Wir wollen nicht, dass Frauen durch ein Gesetz eingeengt werden, aber wir wollen, dass der Schutz auch weiterhin gewährleistet wird . Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich hatte das große Glück, in den letzten Monaten selbst noch einmal im Mutterschutz zu sein . Ich habe wieder erlebt, wie wichtig die Zeit ist, bevor das Kind zur Welt kommt, aber insbesondere, wie wichtig es ist, dass man, wenn das Kind da ist, gemeinsame Zeit hat . Dieser Schutz dient der Mutter, aber insbesondere natürlich zunächst dem ungeborenen und dann dem neugeborenen Leben . Es ist eine große Errungenschaft, dass dieses Gesetz 1952 eingeführt worden ist . Deshalb ist es wichtig, dass wir am Mutterschutz festhalten und jetzt den Mutterschutz weiter verbessern . Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen und hoffe, dass wir dieses Gesetz zügig verabschieden können, damit die zukünftigen Mütter in unserem Land es werden ja zum Glück immer mehr Kinder geboren; auch das ist eine gute Nachricht - noch mehr Schutz bekommen . Zum Abschluss möchte ich mich ganz persönlich dafür bedanken, dass Sie alle es unterstützt haben, dass ich als Ministerin eine persönliche Auszeit nehmen konnte . Das ist im politischen Betrieb nicht selbstverständlich . Selbst von der Opposition - ich darf an dieser Stelle Frau Dr . Brantner erwähnen - gab es öffentlich positive Rückendeckung in der Form, dass sie gesagt hat, dass es richtig ist, dass die Familienministerin im Mutterschutz Anrecht auf eine Auszeit hat und sich nicht zu Wort melden muss . Das fand ich sehr positiv . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Politiker nicht nur über die Dinge reden, sondern sie auch gemeinsam tun . In diesem Sinne sei es mir erlaubt, zum Schluss dieses persönliche Dankeschön auch für meine Mutterschutzzeit zu sagen . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuela Schwesig . - Nächste Rednerin: Sabine Zimmermann für die Linke . ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll - das sagt zumindest die Bundesregierung - der bestmögliche Gesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauen gewährleistet werden . Sagen Sie einmal, meine Damen und Herren von der Regierung, und auch Sie, Frau Ministerin Schwesig, meinen Sie das wirklich ernst? Ich habe da so meine Zweifel . Ich will Ihnen auch erklären, warum: Kürzlich haben Sie der Rechtsverschärfung für Alleinerziehende im Hartz-IV-Bezug zugestimmt . ({0}) Dass es nicht dazu gekommen ist und dieses Thema erst einmal abgesetzt worden ist, haben wir nur dem massiven Protest der Verbände und der Linken zu verdanken . ({1}) Jetzt wollen Sie den Mutterschutz für schwangere und stillende Frauen lockern . Da versteht man doch die Welt nicht mehr, wenn Sie den alltäglichen Überlebenskampf von Alleinerziehenden noch schwerer machen wollen und schwangere und stillende Frauen noch weniger schützen wollen . Was Sie hier machen, ist ein Angriff auf die Mütter und unsere Kinder . Sie sollten sich schämen, so etwas hier in den Bundestag einzubringen . ({2}) Nun werden Sie sagen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beziehen Sie Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in den Mutterschutz ein . Ich sage Ihnen: Das war schon längst notwendig und überfällig . ({3}) Gleichzeitig schaffen Sie aber - hören Sie mir bitte einmal zu - bestehende Schutzvorschriften faktisch ab . Das Verbot der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit soll nach Ihren Vorstellungen nämlich dann nicht mehr gelten, wenn die Frau sich ausdrücklich dazu bereit erklärt . Man fragt sich ja: Welchen Bezug haben Sie zur Lebenswirklichkeit? Was glauben Sie denn, wie eine junge Frau, die von ihrem Job abhängig ist, auf die Frage ihres Chefs reagieren wird, ob sie denn ausnahmsweise eventuell spätabends oder am Feiertag arbeiten würde? Sie hat doch gar keine Alternative . Sie wird natürlich diesem Ansinnen zustimmen . Dem Chef vehement zu widersprechen, das wird wohl die absolute Ausnahme sein, sofern der Chef überhaupt fragt und die Freiwilligkeit im Gesetz nicht ohnehin als Freibrief ansieht . ({4}) Diese angebliche Verbesserung ist nichts anderes als eine Aufweichung von Schutzvorschriften . Und das ist mit der Linken nicht zu machen . ({5}) Das ist Handeln getreu dem Motto: Wenn die Beschäftigte sich vermeintlich freiwillig bereit erklärt, ist alles erlaubt . ({6}) Und das aus einem sozialdemokratisch geführten Hause! Das macht einen wirklich fassungslos . Aber es geht noch weiter: Faktisch wollen Sie eine Unterscheidung in unverantwortbare und verantwortbare Gefährdung für schwangere und stillende Frauen einführen . Entweder ist eine Arbeit gefährdend, oder sie ist es nicht . Der Begriff „unverantwortbar“ lässt doch mehr offen, als er tatsächlich regelt . Das geht zulasten des Schutzes von schwangeren und stillenden Frauen . Auch das ist für die Linke völlig inakzeptabel . ({7}) Meine Damen und Herren, seit Jahren wird auf europäischer Ebene über die Ausweitung des Mutterschutzes diskutiert. Deutschland befindet sich mit seinen Regelungen im Vergleich zu anderen EU-Staaten am unteren Ende . Deutschland hat auch immer einen längeren Mutterschutz blockiert . Dabei zeigen Studien, dass ein längerer Mutterschaftsurlaub die Wiedereinstiegsquote ins Berufsleben fördert und Frauen gestärkter und motivierter wieder arbeiten gehen . Sie zeigen auch, dass ein verbesserter Mutterschutz bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hilft . Außerdem steigert er die Chancen von Frauen im Berufsleben . Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen: Nutzen Sie die Sommerpause, um sich vor allen Dingen mit einer echten Stärkung des Mutterschutzes zu beschäftigen, sofern Sie das wirklich möchten . Ich kann nicht erkennen, dass das bislang der Fall ist . Danke schön . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sabine Zimmermann . - Nächste Rednerin: Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Bettina Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004307, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode haben wir bereits viele wichtige familienpolitische Themen und Vorhaben umgesetzt . Nun kümmern wir uns um ein weiteres Ziel aus unserem Koalitionsvertrag: die Novellierung des Mutterschutzgesetzes . Es ist unbestritten, dass aus frauenpolitischer Sicht seit der Entstehung des Gesetzes 1952 und einer ersten wichtigen Reform im Jahre 1966 viel in unserer Gesellschaft passiert ist: Familienmodelle sind vielfältiger und flexibler geworden, Frauen sind ein selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitswelt, und die Arbeitswelt als solche hat sich in den letzten 60 Jahren natürlich auch verändert . Diesen Veränderungen müssen wir nun Rechnung tragen und die schwangere und stillende Frau und ihr Kind bzw . ihr ungeborenes Kind besser schützen . Dies gelingt uns mit dem vorgelegten Gesetzentwurf meiner Meinung nach ganz gut . Eines müssen wir uns ja vor Augen halten: Das novellierte Mutterschutzgesetz ist ein Gesetz für die Praxis . Sobald eine berufstätige Frau von ihrer Schwangerschaft erfährt, kommen viele Fragen auf, gerade bei jungen Frauen, die ihr erstes Kind erwarten . Aber nicht nur aufseiten der Arbeitnehmer, sondern auch bei den Arbeitgebern bestehen bisher noch zu viele Unsicherheiten im Umgang miteinander . Die alten Regelungen und Verordnungen waren undurchsichtig und für viele schwer verständlich, was in der Praxis dazu geführt hat, dass Frauen häufig voreilig aufgrund von Unsicherheit in das Beschäftigungsverbot geschickt worden sind und der Arbeitgeber die Stelle nachbesetzt hat . An dieser Stelle müssen wir nun nachbessern . Um mehr Transparenz zu schaffen und Frauen eine längere Teilhabe am Erwerbsleben auch während der Schwangerschaft zu ermöglichen, wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf unter anderem die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz in das Mutterschutzgesetz integriert . Dies ist ein erster großer Fortschritt, womit die Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber sowie für die Aufsichtsbehörden klarer und verständlicher werden . Heutzutage wollen ja viele Frauen nicht neun Monate zu Hause sitzen, sondern auch während der Schwangerschaft ihrer gewohnten Arbeit nachgehen . Damit dies funktionieren kann, müssen bestimmte Mechanismen und Schutzmaßnahmen greifen, welche in dem neuen Mutterschutzgesetz neu definiert werden. So wurde beispielsweise der Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“ mit einer klaren Rangfolge der Schutzmaßnahmen eingeführt . Dadurch wird der Schutz Sabine Zimmermann ({0}) am Arbeitsplatz deutlich verbessert . Es werden frühzeitig Schutzmaßnahmen getroffen, um Unsicherheiten zu vermeiden und Rechtssicherheit auf allen Seiten zu schaffen . Die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes dient als Grundlage und hat nicht nur an dieser Stelle eine zentrale Bedeutung . ({1}) Arbeitsschutz kann nur funktionieren, wenn die potenziellen Gefährdungen im Voraus definiert sind und so für die Schwangere analysiert werden können . Wird nun eine unverantwortbare Gefährdung festgestellt, definiert das neue Mutterschutzgesetz eine klare Rangfolge von Schutzmaßnahmen: Erstens . Umgestaltung der Arbeitsbedingungen . Zweitens . Ist dies nicht möglich, hat der Arbeitgeber die Frau an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen . Drittens . Erst dann, wenn die unverantwortbare Gefährdung weder durch Schutzmaßnahmen noch durch einen Arbeitsplatzwechsel behoben werden kann, erfolgt das individuelle Beschäftigungsverbot . Frauen, die nun während ihrer Schwangerschaft arbeiten möchten, werden zukünftig nicht nur besser geschützt, sondern sie können ihre Arbeitszeit auch flexibler und zeitgemäßer gestalten . Dabei achten wir ganz besonders auf die Einhaltung der besonderen Bedürfnisse einer Schwangeren . Sollte einer Änderung der Arbeitszeiten durch die Landesaufsichtbehörden zugestimmt werden, geht das nicht mehr ohne ein ärztliches Attest, welches die Unbedenklichkeit bestätigt . Der neue Gesetzentwurf legt dabei ganz klar die Selbstbestimmung der Frau in den Fokus, was eine moderne und zeitgemäße Familienpolitik widerspiegelt und dabei einen verantwortungsvollen Gesundheitsschutz für die schwangere und stillende Frau und ihr Kind sicherstellt . Als Politikerin, Frau und Mutter begrüße ich dieses sehr . Dazu trägt auch die Neueinrichtung eines Ausschusses für Mutterschutz bei . Zum einen wird er Arbeitgebern und Behörden bei der Umsetzung der neuen Regelungen helfen . Zugleich wird der Ausschuss im Sinne des Arbeitsschutzes sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und hygienische Regeln zum Schutze der Frauen erstellen . Somit werden mögliche Gefährdungen von schwangeren und stillenden Frauen qualifiziert ermittelt und begründet . ({2}) Zum anderen wird uns der Ausschuss im Rahmen seiner Beratertätigkeit helfen, den Mutterschutz stetig weiterzuentwickeln und zu aktualisieren . Wichtig ist, dass am Ende der parlamentarischen Beratungen ein Gesetz vorgelegt wird, welches für die Schwangeren und deren Arbeitgeber gleichermaßen klare Regeln für die weitere Zusammenarbeit vor, während und direkt nach der Schwangerschaft setzt und Grundlage für eine offene Kommunikation ist . Damit schaffen wir nicht nur die besten Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Mutterschutz, sondern auch für einen gelungenen Wiedereinstieg in das Erwerbsleben . Unsere Aufgabe ist es nun, erwerbstätige Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes bestmöglich zu schützen, damit sie sich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren können und insbesondere auf die Geburt ihres Kindes . Herzlichen Dank . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bettina Hornhues . - Nächste Rednerin: Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Reform des Mutterschutzgesetzes, um es etwas zu entstauben . Zum Glück kommt es zur Ausweitung des Geltungsbereichs auf Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen, zur Verlängerung der Schutzfrist bei der Geburt eines behinderten Kindes und zur Verlängerung der Kündigungsfrist bei einer Fehlgeburt . Das sind wichtige Verbesserungen, die auch den Bedürfnissen der aktuellen Situation entsprechen . Bei den anderen Punkten, die wir jetzt schon diskutiert haben, gibt es natürlich ein Ringen zwischen dem Schutz und der Selbstbestimmung der Frau darüber, wann sie wie viel arbeiten möchte . Es geht darum, das in einen guten Einklang zu bringen . Für mich muss hier die Regel sein: Schwangerschaft ist keine Krankheit . Deswegen muss erst einmal alles möglich gemacht werden, damit die Frau weiter arbeiten kann . ({0}) Manche Unternehmen machen es sich heute häufig einfach und erteilen sofort ein Beschäftigungsverbot, obwohl es vielleicht durch Anpassungen möglich wäre, eine Schwangere weiterhin zu beschäftigen . Andererseits muss man aufpassen, dass die Regelungen nicht dazu führen, dass viele Frauen am Ende vielleicht keine Wahl mehr haben und sich gezwungen sehen, doch arbeiten zu gehen . Hier muss eine entsprechende Balance eingehalten werden . ({1}) Ich finde es aber traurig, dass dieses Entstauben jetzt national geschieht . Es gibt nämlich nicht nur in Deutschland ein Mutterschutzgesetz aus den 50ern, sondern auch eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1992 . Frau Reding, die EU-Kommissarin, hatte mit ähnlichen Maßnahmen wie denen, die wir jetzt hier auf dem Tisch haben, vorgeschlagen, diese auch einmal zu entstauben . Sie wollte es vielleicht sogar noch etwas moderner machen; sie hat nämlich erkannt, dass die Rolle der Partnerinnen bzw . Partner nach der Geburt extrem wichtig ist, sie also da sind - auch für die Gesundheit der Mutter; ich nenne nur das Stichwort „postnatale Depression“ -, man nicht alleine ist . Deswegen sah die europäische Ebene auch etwas für die Väter bzw . Partnerinnen nach der Geburt vor . Diesen Vorschlag auf europäischer Ebene haben die Vorgängerregierung und auch diese Regierung zusammen mit der britischen Regierung über Jahre so blockiert, dass die Kommission ihn zurückgezogen hat . Weil wir in diesen Wochen immer viel über Europa und den Brexit reden, möchte ich das hier doch noch einmal ansprechen: Was war eines der Argumente dagegen? Es hieß immer, Mutterschutz, da ginge es bloß um bürokratische Regelungen . Dazu sage ich ganz klar Nein . Worum geht es wirklich? Ein guter Mutterschutz ist natürlich eine Einschränkung der Arbeitskraft . Das ist auch ein Kostenfaktor . In einem offenen Binnenmarkt mit mobilem Kapital und mobilen Waren und nicht ganz so flexiblen Menschen geht es darum, dass ein guter Mutterschutz kein Standortnachteil ist, dass die Unternehmen nicht an die Orte mit einem schlechten Mutterschutz gehen, um davon zu profitieren. ({2}) Deswegen sind eine europäische Mutterschutzrichtlinie und ein guter europaweiter Mutterschutz keine bürokratischen Regelungen, sondern Ausdruck eines sozialen Europas . ({3}) Es ist sehr schade, dass wir es nicht geschafft haben, in diesem Bereich für Millionen von Frauen europaweit eine Verbesserung hinzubekommen, weil diese Initiative aus Deutschland blockiert wurde . Es ist schön, dass wir heute für die deutschen Frauen eine Verbesserung voranbringen . Ich würde mir wünschen, Frau Schwesig, dass Sie, sobald wir dieses Gesetz verabschiedet haben, Brüssel anrufen und sagen: Übrigens, wir sind jetzt bereit, gemeinsam für ein stärkeres soziales Europa zu kämpfen, für eine europaweite Modernisierung des Mutterschutzes . - Vielleicht werden auch wir dann noch ein bisschen moderner und nehmen die Väter und Partnerinnen mit in den Blick . Das könnte uns auch nicht schaden . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Franziska Brantner . - Die nächste Rednerin: Gülistan Yüksel für die SPD . ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mutter werden und Mutter sein gehört für viele Frauen zu den schönsten Erfahrungen im Leben . In Deutschland genießen werdende Mütter zum Glück schon lange gesetzlichen Mutterschutz . Die Arbeitswelt und das Bild von Frauen und Müttern am Arbeitsplatz haben sich aber seit 1952 grundlegend verändert . Das seit fast 65 Jahren geltende Mutterschutzgesetz kommt langsam ins Rentenalter . Wir als SPD-Fraktion begrüßen deshalb sehr, dass Ministerin Schwesig die Modernisierung des Mutterschutzrechts in Angriff genommen und einen Entwurf vorgelegt hat, der den Gegebenheiten einer modernen Arbeitswelt gerecht wird . ({0}) Die geplanten Neuregelungen des Mutterschutzrechts passen das Gesetz an den neusten Stand wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse an . Sie machen den Mutterschutz übersichtlicher, transparenter und verständlicher . Das Gesetz stellt sich außerdem dem Anspruch, die Akzeptanz für den Mutterschutz insgesamt zu steigern, Diskriminierung vorzubeugen und Teilhabe von Frauen zu stärken . Gleichzeitig bleibt das oberste Ziel der Gesundheitsschutz von schwangeren und stillenden Frauen und ihren Kindern . Sehr geehrte Damen und Herren, nach monatelanger Blockade gilt der Mutterschutz nun erstmals auch für Schülerinnen und Studentinnen; das ist ja hier schon mehrmals erwähnt worden . Ich möchte mich bei unserer Frauenministerin ausdrücklich bedanken, dass sie sich dafür starkgemacht hat . ({1}) Weiterhin profitieren vom Mutterschutz nun auch arbeitnehmerähnliche Personen sowie Frauen mit Behinderung, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten, ebenso Auszubildende, Praktikantinnen, Teilnehmerinnen des Bundesfreiwilligendienstes und Entwicklungshelferinnen . Das ist gut und richtig; denn egal ob Schülerin oder Chefin, egal in welcher Lebensphase oder Lebenslage eine schwangere Frau sich auch befindet: In erster Linie ist sie werdende Mutter . Sie verdient deshalb den bestmöglichen Schutz für sich und das ungeborene Kind . ({2}) Auch für selbstständige Frauen müssen Lösungen gefunden werden; das ist heute noch nicht erwähnt worden . Hier ist es aber mit einer einfachen Ausweitung des Mutterschutzes nicht getan; denn diese Frauen brauchen auch einen Ersatz für ihren Einkommensausfall während der Schutzfristen . Wir sind auch hier im Gespräch und versuchen, eine Lösung zu finden. Eine weitere wesentliche Änderung, die schon von unserer Ministerin Schwesig angesprochen wurde, die auch ich für sehr wichtig halte und die mir sehr am Herzen liegt, ist die Verlängerung des Mutterschutzes von acht auf zwölf Wochen für Mütter, die ein Kind mit Behinderung gebären . Gerade hier ist es wichtig, Frauen nicht alleine zu lassen, sondern ihnen mehr Zeit und Ruhe für sich und ihr Kind zu geben, damit sie die neue Situation nicht als Belastung, sondern als Glück erleben . Auch die Einführung eines Kündigungsschutzes von vier Monaten nach einer Fehlgeburt, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche auftritt, ist von besonderer Bedeutung . Die Bindung der Mutter an ihr ungeborenes Kind ist bereits zu diesem Zeitpunkt sehr intensiv . Deshalb braucht die Frau in dieser für sie schwierigen Phase mehr Zeit zur Regeneration und Verarbeitung . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des veralteten Mutterschutzgesetzes kommt es verstärkt zu ungewollten Beschäftigungsverboten, was vor allem von Frauen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, oft zu Recht beanstandet wird . Denn viele Frauen möchten auch in der Schwangerschaft ihrem Beruf nachgehen . Die klareren Vorgaben für Arbeitgeber bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen sowie bei der Rangfolge der Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz vermeiden ein vorschnelles Arbeitsverbot . Der neue Ausschuss für Mutterschutz - er ist heute noch nicht erwähnt worden - beim Familienministerium wird hierbei Betriebe und Behörden mit seinen Empfehlungen unterstützen und beraten . Auch die neuen Regelungen zu Mehr- und Nachtarbeit gewährleisten ein hohes Maß an Selbstbestimmung . Die Regelungen werden branchenunabhängig und zeitgemäß gefasst . Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit bleiben auch weiterhin generell verboten, aber Frauen dürfen nun auf ausdrücklichen Wunsch und bei der Erfüllung weiterer Voraussetzungen zwischen 20 und 22 Uhr oder an Sonn- und Feiertagen arbeiten . Hier bekommen Frauen mehr Mitsprache . Es muss aber klar sein, dass es hier um den Wunsch der Frau geht und sie nicht unter Druck gesetzt wird . Die Kollegin Zimmermann sagte ja, dass die Schutzvorschriften ausgehebelt werden . Ich habe das noch einmal nachgelesen . Also: Die Frauen müssen ausdrücklich dazu bereit sein, es muss ein ärztliches Attest vorgelegt werden, und Alleinarbeit ist ausgeschlossen . Der Schutz wird also nicht ausgehebelt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse von Frauen, gepaart mit dem obersten Ziel, dem Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Lebens - das ist die Stärke dieser Reform . Sie ermöglicht Flexibilität und schafft mehr Transparenz . Sie nimmt eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Erwerbstätigkeit vor . Sehr geehrte Damen und Herren, die SPD steht für eine zeitgemäße und wirksame Frauen- und Familienpolitik . Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit von Mutterschaft, Familie und Beruf ein . Wir kämpfen für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Arbeitswelt, sei es bei der Frauenquote oder der Lohngerechtigkeit . Die Reform des Mutterschutzgesetzes ist dabei nur ein wichtiger Baustein hin zu mehr Selbstbestimmung und mehr Mitsprache . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die bestmöglichen Voraussetzungen für die vielfältigen Lebensentwürfe der Menschen zu schaffen! Zum Vorteil der Frauen und ihrer Kinder, zum Vorteil der Männer und zum Vorteil der ganzen Gesellschaft . Herzlichen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Yüksel . - Nächster Redner: Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon beim Lesen einiger Vorschriften im Mutterschutzgesetz wird eines sofort klar: Das Gesetz ist schon etwas in die Jahre gekommen, und es wurde langsam Zeit, insbesondere sprachlich, Veränderungen vorzunehmen . Insofern ist es gut und wichtig, dass wir das Gesetz in dieser Legislaturperiode grundlegend anpacken . Begriffe wie „Lustbarkeiten“ - ich musste erst einmal nachlesen, was Lustbarkeiten mit Mutterschutz zu tun haben - gehören dann nämlich der Vergangenheit an . Die ersten mutterschutzrechtlichen Vorschriften aus dem Jahr 1878 sahen zum ersten Mal für Frauen ein sogenanntes Beschäftigungsverbot von drei Wochen nach der Geburt ihres Kindes vor . ({0}) - Ich merke gerade, mit dem Begriff „Lustbarkeiten“ habe ich etwas Unbekanntes in die Debatte gebracht . ({1}) - Das machen wir gleich bilateral .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, das machen wir nicht bilateral . Sie kriegen eine Minute mehr Redezeit, wenn Sie es uns erklären .

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das machen wir nachher . - In einer Novelle der Gewerbeordnung wurde somit der Grundstein für den heute bekannten Mutterschutz gelegt . Mit dem Mutterschutzgesetz vom 24 . Januar 1952 - wir haben es eben schon gehört - ist wirklich ein Meilenstein geschafft worden . Der Mutterschutz erhielt Einzug ins Grundgesetz, indem in Artikel 6 jeder Mutter Schutz und Fürsorge garantiert wird . Wichtige Schutzregeln, die bis heute unverändert gelten, traten in Kraft . Heute, über 60 Jahre später, in denen wir den Mutterschutz zwar kontinuierlich verbessert haben, wissen wir aber auch, dass die Arbeits- und Lebensrealität nicht mehr mit den Umständen von vor 60 Jahren übereinstimmen . Die Rolle und das Selbstverständnis von Frauen in unserer Gesellschaft haben sich grundlegend verändert . Was wir brauchen, ist eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen dem Gesundheitsschutz für die stillende oder schwangere Frau und ihr Kind auf der einen Seite . Zugleich müssen wir aber auch Möglichkeiten schaffen, dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über ihre Erwerbstätigkeit treffen können . ({0}) Dabei ist es unsere Intention, die Chancen der Frauen zu verbessern und ihre Rechte zu stärken, damit sie ihrem Beruf während der Schwangerschaft und Stillzeit ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit und der ihres Kindes weiter nachgehen können . Die Gefährdungen einer modernen Arbeitswelt für Schwangere und stillende Mütter stehen dabei ebenso im Fokus wie die mutterschutzrechtlichen Arbeitgeberpflichten. Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, das Gesetz an die heutige Zeit anzupassen - wie beim mutterschutzrechtlichen Nachtarbeitsverbot, das in der Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr besteht . Momentan kann eine werdende Mutter in den ersten vier Schwangerschaftsmonaten in einzelnen Branchen, wie in der Schankwirtschaft oder auch im Beherbergungswesen, ausnahmsweise bis 22 Uhr arbeiten . ({1}) Nach dem vierten Schwangerschaftsmonat ist eine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde notwendig, die überwiegend auch erteilt wird . Die Aufsichtsbehörde muss zwar die Frau anhören; ein ärztliches Attest ist bis dato jedenfalls noch nicht vorgesehen . Künftig soll es möglich sein, dass eine werdende oder stillende Mutter dann bis 22 Uhr tätig sein darf, wenn sie sich - Frau Yüksel hat es eben schon gesagt - erstens ausdrücklich dazu bereit erklärt, zweitens aus ärztlicher Sicht nichts gegen die Beschäftigung spricht und drittens eine Alleinarbeit ausgeschlossen ist . Mit diesen Kriterien stellen wir hohe Hürden zum Schutz der Frau auf . Behauptungen, der Arbeitgeber könne Druck auf die Frau ausüben, um sie zur Arbeit nach 20 Uhr zu zwingen oder zu bewegen, kann ich persönlich nicht nachvollziehen . ({2}) Wir haben hier sowohl das Schutzkriterium in Form der Einbeziehung eines Arztes sowie die Aufsichtsbehörde als Hüterin des Mutterschutzgesetzes, die jederzeit ihrerseits eingreifen kann . ({3}) Ich habe im Übrigen auch noch nicht davon gehört, dass eine Frau in der vorgeburtlichen Mutterschutzfrist von sechs Wochen vor der Geburt auf Druck des Arbeitgebers hätte weiterarbeiten sollen . Ich bin davon überzeugt, dass auch die Arbeitgeber den Schutz von Mutter und Kind ernst nehmen; denn kein Arbeitgeber will sich vorwerfen lassen, dass er Mutter und Kind bewusst einer Gefährdung ausgesetzt hat . Frau Kollegin Zimmermann, Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, und wir sollten hier nicht immer irgendwelche Generalverdachte aussprechen . ({4}) Es gibt noch weitere Neuregelungen, die bereits in der letzten Legislaturperiode von der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder angestoßen wurden, wie beispielsweise den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz für Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche erlitten haben . Bislang - das ist für mich persönlich unbegreiflich - hängt der nachgeburtliche Mutterschutz davon ab, wie schwer das totgeborene Kind ist: Wiegt das Kind über 500 Gramm, ist die Frau vom Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes voll erfasst; wiegt es aber nur 499 Gramm, fällt die Frau sofort vollständig aus dem mutterschutzrechtlichen Schutz heraus . Mit der vorgesehenen Änderung senden wir an die Frauen, die diese schreckliche Erfahrung machen mussten, ein ganz wichtiges Signal: Auch ihr seid künftig genauso wie alle anderen Mütter nach der Geburt vom mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz voll erfasst . ({5}) Wie Sie sehen, werden wir den Mutterschutz auf diese Art und Weise zeitgemäß reformieren, ohne den besonderen Schutz zu verringern . Bei allen Überlegungen für die Überarbeitung der Mutterschutzregelungen müssen wir Folgendes im Blick haben: So viel Mutterschutz, wie zum Schutz der werdenden Mutter und des Kindes erforderlich, und so wenig Mutterschutz, wie verantwortbar möglich . Wir sollten also keine Überregulierung auf den Weg bringen, die dann eine Diskriminierung der Frauen zur Folge haben könnte . Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich spreche auch als junger Vater zu Ihnen . Wenn ich das so beurteile, sind Mütter doch etwas Besonderes . Jeder von uns hat oder hatte eine Mutter und weiß sicherlich auch, was sie oder er an ihr hat bzw . gehabt hat - bei mir ist es jedenfalls so . Ich selbst bin mit einer Mutter verheiratet, nämlich mit der Mutter meiner zweijährigen Tochter Ida . Wenn ich an diesen für mich besonderen Tag der Geburt zurückdenke, dann fällt mir eines dazu ein - Frau Präsidentin, ich bitte darum, dies noch ausführen zu dürfen -: Kleines Wunder, großes Glück! So kann man es, denke ich, definieren. Die Geburt eines Kindes ist wohl das Unglaublichste und Schönste, was man miterleben darf . Frauen sind während der Geburt einfach göttlich . Sie schenken Leben, entwickeln übermenschliche Kräfte und machen die Welt zu einer besseren . Wir Männer stehen daneben und denken, wir hätten noch Größeres vollbracht, weil wir während der Geburt nicht umgekippt sind . ({6}) Es ist doch ein unglaublich schönes und überwältigendes Gefühl, bei einer Geburt dabei sein zu dürfen . Nach einem so wunderbaren Erlebnis weiß man wirklich, wofür es sich zu leben lohnt . Lassen Sie uns im parlamentarischen Verfahren die Dinge nun so auf den Weg bringen, dass von der Gesetzgebung viele Frauen profitieren und wir dazu beitragen können, dass unser Land ein Stück weit besser wird . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Beermann . - Als letzter Redner in der Debatte: Paul Lehrieder . Vielleicht kann uns der Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufklären, wie es sich mit der Lustbarkeit verhält . Ich habe schon einmal nachgeschlagen . Dort steht - das geht nicht von Ihrer Redezeit ab, Herr Vorsitzender -: Lustbarkeit - eine Veranstaltung, die vergnügen und unterhalten soll . ({0}) In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihre Rede uns nun Lustbarkeit verschafft . Letzter Redner in der Debatte: Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben die Hürde sehr hochgelegt, wenn Sie nun von mir Lustbarkeit von diesem Rednerpult aus erwarten . ({0}) Gleichzeitig sind die salbungsvollen Ausführungen des Kollegen Maik Beermann für die werdende Mutter ebenfalls eine hohe Hürde . Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass Frauen auch nach der Geburt hübsch, schön und ausdrucksvoll sind . - Maik, Frauen sind sowohl vor der Geburt, also als werdende Mütter, als auch nach der Geburt betrachtenswert . Der gesetzliche Mutterschutz hat die Aufgabe, Mütter bzw . werdende Mütter sowie deren Kinder während der Schwangerschaft und einige Zeit danach vor Gefährdungen, Überforderung, Gesundheitsschädigungen, finanziellen Einbußen und dem Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen . Frau Zimmermann und Frau Brantner, Sie haben auf die europäische Mutterschutzrichtlinie Bezug genommen . Es ist sicherlich richtig, dass auf europäischer Ebene über einen Mutterschutz diskutiert wurde, der weiter ging als das, was wir bisher haben . Aber verkennen Sie bitte nicht, dass wir in Deutschland mit dem Elterngeld und der Elternzeit 12 Monate nachgeburtlichen Mutterschutz und zwei Drittel Lohnersatzleistungen gewähren . In dieser Breite hat das kein anderes Land in Europa . ({1}) Bei uns gibt es sogar zusätzlich zwei Monate Väterschutz . Dieses Niveau müssen die anderen Länder in Europa erst einmal erreichen . Sie sollten den Status quo und die Realität nicht ganz ausblenden, wenn Sie über den Mutterschutz sprechen . Man sollte durchaus darauf hinweisen, was wir in Deutschland schon erreicht haben . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lehrieder, erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Frau Dr . Brantner?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lehrieder, da Sie gerade darauf verwiesen haben, dass die Forderungen auf europäischer Ebene weitgehender waren: Das Elterngeld wäre darauf eins zu eins anrechenbar gewesen . Für Deutschland hätte sich in diesem Bereich nicht viel verändert, wohl aber zum Beispiel bei den Kündigungsfristen . Die Dauer des Mutterschutzes hätte sich jedenfalls für sehr viele Frauen europaweit verbessert . Bei uns wäre es, wie gesagt, anrechenbar gewesen . Verbesserungen für sehr viele Frauen europaweit haben wir aber verhindert . Das ist schade; denn das hätte das soziale Europa gestärkt . Schließlich kämpfen wir im Moment täglich dafür, den Menschen zu erklären, was ihnen Europa bringt . Wenn ich einer Frau sagen kann: „Durch Europa hast du einen vernünftigen Mutterschutz“, dann ist das etwas Konkretes . Wären Sie bereit, zusammen mit Frau Schwesig nachher das Signal nach Europa zu senden: „Wir haben es national geschafft; nun darf die EU auch weiter gehen“? ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Brantner, herzlichen Dank für die Frage . - In den nächsten Wochen und Monaten werden sehr viele Signale nach Brüssel zu senden sein . Es wird bereits darüber diskutiert, wie es mit Europa weitergehen soll, welche Befugnisse und Aufgaben die Europäische Kommission in Zukunft haben soll, ob die Europäische Kommission eine europäische Regierung mit allen Aufgaben werden soll . Da gibt es viel zu tun . - Bleiben Sie stehen, Frau Brantner . Ich bin noch nicht fertig . ({0}) Natürlich ist die Weiterentwicklung des Mutterschutzes ein großes Thema auf europäischer Ebene . Aber mit der alten Mutterschutzrichtlinie wird es nicht weitergehen; denn sie wurde zurückgezogen . Ob sich Europa an Deutschland und seinen Erfahrungen, die es in den letzten Jahren mit dem Elterngeld gemacht hat, ein Beispiel nimmt, bleibt abzuwarten . Erst vor einem Jahr haben wir das Elterngeld Plus eingeführt . Wir entwickeln das Elterngeld und die Schutzzeit für beide Partner, für Vater und Mutter, nach der Geburt weiter . Selbstverständlich werden wir darauf achten . Ich weiß die Frau Ministerin auf unserer Seite, wenn wir geschwind weitere VorschläMaik Beermann ge Richtung Brüssel schicken . - Wie ich sehe, hat sich Frau Kollegin Brantner gesetzt . Dann muss ich mit meiner Rede fortfahren . Das Mutterschutzgesetz gilt für alle werdenden Mütter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen . Weitere Regelungen zum gesundheitlichen Schutz werdender Mütter vor Gefahren, Überforderung oder der Einwirkung von Gefahrenstoffen am Arbeitsplatz sind in der dazugehörigen Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz geregelt . Nach den geltenden Mutterschutzfristen dürfen werdende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nur mit Einwilligung und bis zum Ablauf von acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum Ablauf von zwölf Wochen, nach der Entbindung gar nicht beschäftigt werden . Zusätzlich sieht das Gesetz beispielsweise bei Akkord-, Fließband-, Mehr-, Sonntags- und Nachtarbeit generelle Beschäftigungsverbote vor. Zum Schutz vor finanziellen Nachteilen regelt das Mutterschutzgesetz verschiedene Leistungen, wie zum Beispiel das Mutterschaftsgeld . Jetzt käme der Passus über die Lustbarkeiten . Um die Frau Präsidentin nicht zu verwirren, lasse ich diesen jetzt weg . ({1}) Im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD haben wir uns darauf verständigt, eine Reform des Mutterschutzgesetzes zu erarbeiten, die einen umfassenden Schutz, mehr Transparenz und weniger Bürokratie vorsieht . Mit der Neuregelung des Anwendungsbereichs wird der gesundheitliche Mutterschutz künftig auch Frauen in Studium, Ausbildung und Schule einbeziehen . Auch für sie gilt die sechswöchige Schutzfrist vor der Geburt, in der die werdende Mutter nicht mehr arbeiten muss, genauso wie das achtwöchige Beschäftigungsverbot nach der Entbindung . Im Rahmen der Neuregelung des Mutterschutzrechts war uns als Union besonders wichtig, dass Schülerinnen und Studentinnen jedoch selbst entscheiden können, ob sie freiwillig an einer wichtigen Klausur, Prüfung oder Hausarbeit kurz nach der Entbindung teilnehmen oder nicht . Für sie gilt der Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes, wir ermöglichen ihnen jedoch gleichzeitig Raum für die Flexibilität, von der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist keinen Gebrauch zu machen, um beispielsweise keine Nachteile in der Schule oder im Studium zu erfahren . So müssen beispielsweise die Studentinnen, die sich fit fühlen, die Klausur doch zu schreiben, nicht ein oder zwei Semester verlieren, nur weil die Geburt erst wenige Wochen zurückliegt . Wir bieten hiermit ein Stück Wahlfreiheit, den Zeitpunkt der Rückkehr selbst bestimmen zu können . Ich bin der Auffassung, dass wir Studentinnen und Schülerinnen, die sich körperlich dazu in der Lage sehen, nicht auferlegen sollten, eine Prüfung aufgrund der Geburt zu verschieben und das Studium somit in die Länge zu ziehen oder sonstige Nachteile im Rahmen ihrer Ausbildung zu erfahren . Künftig wird es darüber hinaus allen Frauen möglich sein, in den Abendstunden - hier ist ein ärztliches Attest notwendig; die Vorredner haben zum Teil schon darauf hingewiesen - und sonn- und feiertags arbeiten zu können, wenn sie dies möchten und ausgeschlossen ist, dass die werdenden Mütter sich alleine an ihrem Arbeitsplatz aufhalten . Die neuen mutterschutzrechtlichen Regelungen werden des Weiteren auch für die Arbeitgeber praxistauglicher gestaltet, indem wir den Begriff der unverantwortbaren Gefährdung einführen und die klare Festlegung der Rangfolge der Schutzmaßnahmen festlegen . Arbeitgeber, werdende Mütter und Aufsichtsbehörden werden hier durch den neu geschaffenen Ausschuss für Mutterschutz bei der Umsetzung der neuen mutterschutzrechtlichen Regelungen unterstützt . Zudem verbessern wir den Schutz für Mütter von Kindern mit Behinderungen . Darauf haben die Kolleginnen und Kollegen bereits hingewiesen . Mit der Reform des Mutterschutzrechts sorgen wir für den notwendigen Schutz für Mütter und deren Kinder, ohne dass wir mit zu starren Maßnahmen und Überregulierung die Interessen und Perspektiven unserer Arbeitnehmerinnen gefährden. Die beruflichen Chancen und Ziele können auch während der Schwangerschaft und nach der Entbindung ohne Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit und der Gesundheit des Kindes weiter verfolgt werden; denn viele Frauen möchten gerne länger bis zur Geburt arbeiten . Sie müssen es nicht, Frau Kollegin Zimmermann, sondern sie wollen es aus freien Stücken . Auch das gibt es gelegentlich noch . Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Sachverständigenanhörung im September . Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend . Danke schön . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder . - Ich schließe die Aussprache und danke Ihnen für die sehr angenehme Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 7 . Juli 2016, pünktlich um 9 Uhr, ein; denn wir wollen morgen pünktlich zu einer bestimmten Uhrzeit fertig sein . Einen schönen Abend; für die, die Fußball schauen wollen, eine gute Beobachtung des möglicherweise übernächsten Gegners . Die Sitzung ist geschlossen .