Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/24/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung . Großbritannien hat gestern darüber befunden, aus der Europäischen Union auszutreten . Dennoch ist die Sonne heute Morgen wieder aufgegangen . ({0}) So bedauerlich das eine ist, so beruhigend ist das andere . Jedenfalls müssen wir uns nun ebenso ruhig wie zügig mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen auseinandersetzen . Das wird Folgen für den Ablauf der heutigen Termine und auch für die nächste Woche haben . Um 13 Uhr werden wir die Plenarsitzung für Sondersitzungen der Fraktionen unterbrechen . Und wenn es nicht im Laufe des Vormittags noch zu anderen Vereinbarungen kommt, wird es voraussichtlich am Dienstag der nächsten Woche eine Sondersitzung des Bundestages mit einer Regierungserklärung zur Vorbereitung des dann unmittelbar folgenden europäischen Gipfels geben . Falls es zu Terminen oder Uhrzeiten noch Änderungen geben sollte, werden wir Sie darüber natürlich unverzüglich unterrichten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes auf der Drucksache 18/8578 dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie zur Mitberatung überwiesen werden soll . Das gehört, glaube ich, zu unseren kleineren Problemen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . ({1}) Es gibt aber andere Gegenstände, bei denen es eine Spur komplizierter ist . Deswegen müssen wir vor Eintritt in die Tagesordnung zwei Geschäftsordnungsanträge zur Ergänzung der Tagesordnung behandeln, bei denen es kein Einvernehmen gibt . Mit ihrem ersten Geschäftsordnungsantrag beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und SPD fristgerecht, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erweitern und im Anschluss mit einer Debattenzeit von 60 Minuten zu beraten . Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Michael Grosse-Brömer . - Mach das doch vom Platz aus! Dann geht alles schneller . ({2})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt war ich schon auf dem Weg . Herr Präsident, dass Sie mir im fortgeschrittenen Alter nicht zutrauen, relativ zügig dieses Pult zu erreichen, irritiert mich schon .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bin beruhigt, dass Sie es geschafft haben . ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Hochachtung: Am heutigen Tag gibt es weiß Gott wichtigere Debatten als die über eine Geschäftsordnung . Ich will aber darauf hinweisen, dass den Koalitionsfraktionen häufiger vorgeworfen wird, dass sie etwas verzögern, wenn sie ein Thema nicht auf die Tagesordnung setzen . Wenn wir etwas aufsetzen, heißt es wiederum oft, wir peitschen es durch das Parlament . Aber lassen wir das außen vor . Ich will nur darauf hinweisen, dass es um zwei Tagesordnungspunkte geht . Einen hatten wir am Donnerstag auf die Tagesordnung gesetzt; er soll heute debattiert werden . Der andere ist kurzfristig aufgesetzt worden . Keiner - auch die Oppositionsfraktionen nicht - bestreitet, dass das rechtlich einwandfrei ist . Das nur zur Information . Deswegen glaube ich: Wir müssen uns wirklich nicht intensiv mit der Tagesordnung befassen . Lassen Sie uns angesichts der Gespräche, die am heutigen Tag noch erforderlich sind, schnell abstimmen und an die Arbeit gehen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Sitte .

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz so einfach ist es eben nicht, Herr Grosse-Brömer . ({0}) Auch die Entscheidung in Großbritannien kann man nicht punktuell betrachten . Es geht nicht nur um den 23 . Juni . Das hat eine lange Vorgeschichte, und dafür sind Parlament und Politik genauso verantwortlich wie außerhalb der Parlamente auch die Wirtschaftsentwicklung, die Bankenentwicklung bzw . die Finanzmärkte . ({1}) - Ja, das gehört alles dazu, Herr Kauder . ({2}) - Selbstverständlich gehört das dazu . Es ist auch eine Bankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie, wenn sie eine solche Absage bekommt . Deshalb ist es eben auch wichtig, dass wir über solche Fragen wie die Erbschaftsteuer - dabei geht es um ein zentrales Gerechtigkeitsproblem in diesem Land - vernünftig reden und beraten . ({3}) Dazu ist es wichtig, Ausschusssitzungen und Anhörungen durchzuführen . ({4}) Sie wissen, dass es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gibt . Diese Entscheidung ist im Dezember 2014 gefallen . Sie haben seit 2014, also eineinhalb Jahre, Zeit gehabt, Regelungen zur Erbschaftsteuer zu treffen, und sind nicht zu Potte gekommen . Aber heute, kurz bevor die Frist ausläuft, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, wollen Sie die Reform innerhalb einer Woche durch den Bundestag schleusen . ({5}) - Sie können sich gerne aufregen . Ich bin da bei Ihnen; ich rege mich ja auch auf . ({6}) In der Union hatten Sie am 25 . September des letzten Jahres einen Kompromiss ausgehandelt . Es gab auch einen Kompromiss in der Koalition . Nun konnte man ja davon ausgehen, dass die Geschichte relativ schnell ins Parlament kommt . Der Kompromiss war eh sehr zaghaft und schaumgebremst . Nein, da kam ein bayerischer Ministerpräsident daher und hat diesen Kompromiss plötzlich infrage gestellt . ({7}) Man könnte ja nun annehmen, dass die CSU nicht in dieser Koalition sitzt . Jedenfalls ist dieser Kompromiss erst in den letzten Tagen aufgeschnürt und um erhebliche Elemente erweitert worden . Es sind neue Dinge eingeführt worden, die ursprünglich nicht in der Diskussion waren, ({8}) beispielsweise die Investitionsklausel . ({9}) All diese Dinge hätten im Ausschuss vernünftig beraten werden müssen . Das haben Sie versäumt . ({10}) Die erste Lesung fand vor fünf Monaten statt; aber erst in den letzten Tagen sind diese neuen Elemente in den Ausschuss gelangt, wo sie vernünftig diskutiert werden sollten . ({11}) Oppositionsfraktionen haben darüber beraten und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es - so wie es im Rahmen der Ausschussarbeit üblich ist und wie es dem Minderheitenrecht der Opposition im Parlament entspricht wieder eine Anhörung von externen Sachverständigen geben müsse . ({12}) Das haben Sie abgelehnt . Ich sage Ihnen eines - das habe ich bereits gestern im Ältestenrat gesagt -: Solche wichtigen, schwerwiegenden Gesetze, bei denen es um das Zusammenleben in einer Gesellschaft und um das Funktionieren der Wirtschaft geht, innerhalb weniger Tage durch das Parlament zu drücken, bedeutet, sich vor öffentlicher Kritik zu drücken . ({13}) Es bedeutet aber auch, dass Sie weder die mediale Kritik noch die von den Betroffenen ausgesprochene Kritik aufnehmen . Nun hat es einen Parallelentwurf der Bundesregierung gegeben . ({14}) Der ist erst am Mittwoch ins Parlament eingebracht worden . Warum ist das erwähnenswert? Weil in diesem Gesetzentwurf überaus kritische Meinungen und Stimmungen wiedergegeben wurden . Die sind aber im Ausschuss gar nicht besprochen worden . ({15}) Es ist symptomatisch, dass Sie das bei einem Gesetz tun, das verfassungsrechtlich bedenklich ist; denn das Vorgängergesetz hat schon vonseiten des Bundesverfassungsgerichts eine Absage bekommen . Man muss davon ausgehen, dass Ihr Vorhaben dazu führt, dass es wieder Kläger gegen das Gesetz geben wird und dass wir uns wieder vor dem Bundesverfassungsgericht treffen . ({16}) Ihr beschleunigtes Verfahren und Ihre Absage an reguläre parlamentarische Abläufe helfen hier überhaupt nicht . ({17}) Ich will abschließend sagen: Es geht um eine zentrale Gerechtigkeitsfrage in diesem Land . Dieser müssen Sie sich stellen . Es geht darum, dass alle diejenigen, die im Land vom Erbschaftsteuerrecht betroffen sind, gleichbehandelt werden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, genau das wird gleich in der Debatte inhaltlich besprochen .

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin auch schon am Ende . Das zentrale Gerechtigkeitsproblem musste hier abschließend noch einmal ganz deutlich hervorgehoben werden . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion . ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe ich gedacht, angesichts der Tagesordnung und auch der Bedeutung der Themen, die jetzt zusätzlich auf die Tagesordnung gekommen sind, müsste ich nicht in der GO-Debatte reden . Aber einen Begriff, liebe Frau Sitte, lasse ich hier nicht stehen . Wir „schleusen“ hier nichts durchs Parlament . ({0}) Wir beantragen die Aufsetzung eines Tagesordnungspunktes an einem Freitagmorgen, zur Primetime; also, besser geht es nicht . Ich verwahre mich gegen solche Begriffe und gegen die Behauptung, dass hier irgendetwas gemauschelt werden soll . ({1}) Das ist eine Unverschämtheit, eine bodenlose Unverschämtheit . Sie wollen verhindern, dass wir heute sprechen . Sie wollen die Absetzung des Tagesordnungspunkts . Sie wollen, dass heute nicht darüber debattiert werden kann . ({2}) Ich sage Ihnen auch, warum: weil Sie weder im Ausschuss noch irgendwo sonst auch nur einen einzigen Änderungsantrag eingebracht haben . ({3}) Wissen Sie, was Sie stört? Sie stört, dass diese Große Koalition einen Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, ({4}) der dafür sorgt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut werden, und der noch dazu dafür sorgt, dass das Steueraufkommen steigen wird . Deswegen: Hören Sie auf mit diesen Geschäftsordnungsgeschichten, und erwecken Sie nicht den Eindruck, als ob hier etwas durchgepeitscht werden soll . Nur eine Ergänzung noch zu der Behauptung, die Investitionsklausel sei nie ein Thema gewesen . Selbstverständlich war sie Thema in der Anhörung . Ich nenne Ihnen die Namen der beiden Sachverständigen - vielleicht lesen Sie es dann nach -: Herr Rödder und Herr Jorde sind ausdrücklich darauf eingegangen . Aber wenn man nicht zuhört, kann man natürlich auch nicht wissen, was sie dazu gesagt haben . ({5}) Lassen Sie uns jetzt endlich zur inhaltlichen Debatte kommen . Wir haben heute eine ganze Menge Wichtiges zu beschließen, und die Erbschaftsteuer gehört dazu . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dass jedenfalls der Parlamentarismus nicht zusammenbricht, wissen wir jetzt schon einmal . Nun hat die Kollegin Haßelmann das Wort .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat, heute gibt es viele andere Themen - Stichwort „Europa“ -, die wir zu diskutieren haben . Die Britinnen und Briten haben über den Verbleib in der EU abgestimmt und sich mehrheitlich für den Austritt ihres Landes ausgesprochen . Konsequenzen und Ausmaß werden uns alle hier im nationalen Parlament und auch auf europäischer Ebene in den nächsten Wochen und Monaten intensiv beschäftigen . Wir alle wissen eigentlich noch nicht so genau, wie sich diese Entscheidung auf Europa und die Zukunftsfähigkeit Europas auswirken wird . Dennoch ist es wichtig, da wir heute inhaltliche Entscheidungen im nationalen Parlament, hier im Deutschen Bundestag, treffen, und zwar weitreichende Entscheidungen, dass wir eine Geschäftsordnungsdebatte über Themen führen, von denen wir den Eindruck haben, dass sie noch längst nicht entscheidungsreif sind . ({0}) Da geht es zum Beispiel um den jetzt diskutierten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Erbschaftsteuer . Herr Grosse-Brömer, ich kann Sie überhaupt nicht verstehen angesichts Ihrer lapidaren Einlassung nach dem Motto: Das ist doch jetzt lange genug diskutiert worden . Außerdem ist heute der Brexit beschlossen, und deshalb müssen wir hier jetzt schnell entscheiden . Alles andere stört . - Was für eine Wahrnehmung vom Parlament haben Sie eigentlich? ({1}) Im Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Entscheidung zur Erbschaftsteuer getroffen . Sie wird nicht die letzte in Sachen Erbschaftsteuer sein, wenn die Große Koalition heute diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilt . ({2}) Das Schlimme ist: Die Hälfte dieses Hauses weiß das ganz genau . Viele von Ihnen, den Abgeordneten, Frau Lambrecht, die davon etwas verstehen, ({3}) wissen ganz genau, dass die Erbschaftsteuerreform, die heute beschlossen werden soll, nicht verfassungsgemäß ist . ({4}) Das war letztlich der Grund, weshalb Sie uns eine Anhörung verweigert haben . ({5}) Sie hätten in der ganzen Republik keinen Sachverständigen gefunden, der Ihnen belegt hätte, dass dieser Gesetzentwurf und diese Eckpunkte der Erbschaftsteuer verfassungsgemäß sind . Deshalb haben Sie lieber gesagt: Im Gesetzentwurf sind gar nicht so viele Änderungen; nur keine neue Anhörung . Am Ende erkennt der gesammelte wissenschaftliche Sachverstand, dass auch dieser Gesetzentwurf verfassungswidrig ist . Das war der Grund, weshalb Sie uns ein ordentliches Beratungsverfahren und eine weitere Anhörung verweigert haben . ({6}) Jetzt einmal etwas zu der Behauptung, wir hätten so viel Zeit gehabt, zu beraten . Ich bin selber Finanzausschussmitglied . ({7}) Im Finanzausschuss haben wir uns ziemlich viel Zeit genommen; da sitzt die Vorsitzende . Eine Anhörung haben Sie uns verweigert . ({8}) Aber wissen Sie, wie viel Zeit wir hatten, den kompletten Umdruck, den neuen Gesetzentwurf, überhaupt zu lesen? Wir haben am Dienstagabend um 17 .58 Uhr die Vorlage mit ganz umfangreichen und weitgehenden Änderungen des Erbschaftsteuergesetzentwurfes bekommen, und am nächsten Morgen um 9 Uhr begann die Fachausschusssitzung . So viel dazu, dass es angeblich ein ordentliches Beratungsverfahren gegeben habe . ({9}) Es geht hier gar nicht nur um die sogenannte Investitionsklausel; es geht auch um den Wertabschlag von bis zu 30 Prozent . Es geht um den Wegfall der Lohnsummenprüfung bei Unternehmen bis zu fünf Mitarbeitern . All das sind hochwichtige Fragen, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit geht . Sie hatten über ein Jahr Zeit . Das Problem an dieser Stelle ist einfach: Wir hatten keine ordentlichen Beratungen . Wir konnten die Verfassungsmäßigkeit nicht sorgfältig prüfen . Das Schlimmste ist: Sie als Parlamentarier der Großen Koalition merken den Wandel des Politikverständnisses gar nicht . Dieser Wandel hat damit zu tun, dass Menschen Politik nicht mehr nachvollziehen können . Nur weil sich am Montag, dem 20 . Juni 2016, Seehofer, Gabriel und Merkel auf einen Gesetzentwurf verständigt haben, heißt das doch nicht, dass wir ihn heute verabschieden müssen . ({10}) Wo sind sie denn, wo sind denn die selbstbewussten Parlamentarierinnen und Parlamentarier? Sie geben Ihre Aufgabe doch an die Regierung und an die KoalitionsBritta Haßelmann spitzen ab, wenn Sie das ständig mit sich machen lassen . Merken Sie das eigentlich nicht? ({11}) Am meisten treibt mich auf die Palme, wenn ich sehe: Wir diskutieren das nicht mit Sorgfalt . Wir nehmen uns an dieser Stelle nicht ernst, und zwar nicht nur die Opposition nicht, sondern wir allesamt nicht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist doch ein Trauerspiel . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Abstimmung . Wer dem Aufsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist die Aufsetzung mit der Mehrheit der Koalition so beschlossen . Es gibt nun einen zweiten Geschäftsordnungsantrag, in dem die Koalitionsfraktionen beantragen, den gestern abgesetzten Tagesordnungspunkt 14 - hier geht es um die zweite und dritte Beratung der von den Koalitionsfraktionen sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus - auf die heutige Tagesordnung aufzusetzen und nach dem Tagesordnungspunkt 24 unter Beibehaltung der dafür vorgesehenen Redezeit von 38 Minuten zu beraten . Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag liegen mir nicht vor, sodass wir darüber gleich abstimmen können . Wer dem Aufsetzungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist auch dieser Aufsetzungsantrag mit Mehrheit angenommen . Die Tagesordnung ist damit um folgende Punkte erweitert: ZP 9 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410 Nr. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) Drucksache 18/8911 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8912 14 . - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksache 18/8702 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksachen 18/8824, 18/8881 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) Drucksache 18/8917 Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass später zu den beiden aufgesetzten Punkten jeweils eine namentliche Abstimmung durchgeführt wird . Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 9 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410 Nr. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) Drucksache 18/8911 - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8912 Über diesen Gesetzentwurf werden wir, wie gerade angekündigt, später namentlich abstimmen . Für die Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen . Dazu höre ich jetzt keinen Widerspruch mehr . Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion . ({5})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute leider zur Tatsache gewordene Brexit ist auch eine große Herausforderung für die deutsche Wirtschaft . Es geht jetzt um die internationale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit - natürlich auch mit einem reformierten Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, das wir heute verabschieden, meine Damen und Herren . Denn in den nächsten drei Jahren stehen allein 135 000 Familienunternehmen zur Übergabe an, und davon sind über 2 Millionen Beschäftigte betroffen . Das ist der Ernst der Lage, und deswegen müssen wir heute handeln . ({0}) Unser Leitgedanke bei der Anpassung der Erbschaftund Schenkungsteuer war die Erhaltung der Generationenbrücke in unseren deutschen Betrieben mit der Sicherung von Arbeitsplätzen . Mit der Einigung auf die nun vorliegende Reform ist uns eine verfassungskonforme, praxistaugliche und vor allem arbeitsplatzsichernde Lösung gelungen . Dieser tragfähige Kompromiss zeigt die Handlungsfähigkeit unserer Koalition . Uns ist es am Ende gelungen, vor allem eine mittelstandsfreundliche Lösung zu finden, die Sicherheit für viele Betriebe bedeutet und zu keinen weiteren Belastungen führen wird . Dies ist ein Beitrag zur Sicherung und Stärkung unserer weltweit einzigartigen, vom Mittelstand und von Familienunternehmen geprägten Wirtschaftsstruktur in Deutschland . Das ist das Erfolgsmodell, meine Damen und Herren, um das uns viele Länder beneiden . Diese Mittelstandsstruktur ist das Erfolgsmodell für die erfolgreiche Wirtschaftsnation Deutschland . ({1}) Es ist eine Wirtschaftsstruktur - das sollten wir nicht vergessen -, die in der Finanz- und Wirtschaftskrise maßgeblich zur Stabilität und Beschäftigungssicherung beigetragen hat, und diese Struktur dürfen wir nicht zerschlagen . ({2}) Ich stelle ausdrücklich fest: Es geht hier nicht um Geschenke für ein paar reiche Erben mit Privatvermögen, ({3}) sondern um den Erhalt von Arbeitsplätzen und Betrieben, um das Wohl von Arbeitnehmern und ihren Familien . Das steht ganz vorn, meine Damen und Herren . ({4}) Wir sprechen hier von denjenigen, die den Wohlstand in Deutschland erwirtschaften, den Sie, meine Damen und Herren von den Linken, so gern verteilen . Erwirtschaften geht vor verteilen; aber das wollen Sie nie begreifen . Gerade Ihnen von den Linken sind die ideologischen Feindbilder und Scheuklappen näher als die Menschen in diesem Land und eine ordentliche, arbeitsplatzsichernde Erbschaft- und Schenkungsteuer . Ich habe in der Diskussion um die Erbschaftsteuer immer wieder das Wort „Verteilungsgerechtigkeit“ gehört . Verteilungsgerechtigkeit ist wichtig . Das hört sich gut an . ({5}) Verteilungsgerechtigkeit kann es aber nur dann geben, wenn es etwas zu verteilen gibt . Das ist eine Binsenwahrheit . Ihre Vorstellungen würden dazu führen, dass es ziemlich bald nichts mehr zu verteilen gibt . Für uns ist die soziale Bindung des Eigentums die Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft . Deshalb verbinden wir in diesem Gesetzentwurf das Eigentum mit der Verpflichtung zur Erhaltung der Betriebe und Arbeitsplätze . Das ist die Grundlage unseres Gesetzentwurfs . ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil unsere Verschonungsregelung, die Sie immer kritisiert haben, ausdrücklich bestätigt . Das muss noch einmal verdeutlicht werden: Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Verschonungsregelung bestätigt; das ist der wesentliche Grundsatz . Deswegen ist dieser Gesetzentwurf verfassungskonform . ({7}) Die Einwände, die das Bundesverfassungsgericht erhoben hat, haben wir in den Beratungen und Anhörungen der Sachverständigen sehr ernst genommen . Im Protokoll ist nachgewiesen, dass alle Punkte dieses Gesetzentwurfs mit den Sachverständigen erörtert wurden . Es ist einfach nicht die Wahrheit, wenn Sie hier etwas anderes verkünden . Wir haben einen Gesetzentwurf, der an die Gemeinwohlverpflichtung angepasst ist. Auch deshalb kann ich mit Fug und Recht sagen: Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt, mit mehr Sicherheit für Unternehmen und Arbeitsplätze . Natürlich kann man sich noch mehr vorstellen; aber es ist ein Kompromiss, der es ermöglicht hat, das Ganze bei allen Schwierigkeiten positiv abzuschließen . ({8}) Lassen Sie mich einige wichtige Punkte hervorheben: Die Freistellung von Betrieben mit bis zu fünf Beschäftigten von der Lohnsummenprüfung war ein Anliegen der CSU, weil wir uns mit den kleinen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben ganz eng verbunden fühlen . Diese werden damit in der Zukunft weniger durch Bürokratie belastet . Das Totschlagargument der Opposition ist falsch . Die größte Zahl von Einmannbetrieben wird überhaupt nicht übergeben oder vererbt . Das sollte man aus der Unternehmensstatistik einmal herauslesen, bevor man die Lohnsummen- und Verschonungsregelung kritisiert . Das ist die Grundlage . Insofern ist die Größenordnung von fünf Beschäftigten absolut entbürokratisierend und auch die richtige Zahl . ({9}) Hervorzuheben ist auch die marktwirtschaftlich realistische Unternehmensbewertung . Wir kürzen den Kapitalisierungsfaktor von knapp 18 auf einen Wert im Korridor von 10 bis 12,5 . Dadurch vermeiden wir - das ist wichtig - eine Überbewertung, die sich aus dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld ergibt, und erhalten gleichzeitig einen akzeptablen Unternehmenswert, der im vereinfachten Ertragswertverfahren auch weniger streitanfällig ist . Das ist im Vollzug ein wichtiges Thema; denn die Marktfähigkeit eines Unternehmenswertes liegt in der Regel beim etwa 7- bis 9-Fachen des Jahresertrages . Wir haben jetzt einen Korridor vom 10- bis zum 12,5-Fachen . Das trägt dazu bei, dass der Mittelstand nicht unverhältnismäßig durch eine Substanzbesteuerung belastet wird . Insofern ist dieser Punkt ein Erfolg für die Wirtschaft und letzten Endes auch für die Finanzämter, die das administrieren müssen . Ein ebenfalls großer Erfolg ist die erweiterte Regelung zur Stundung, die zinslos für maximal zehn Jahre gewährt wird . Damit zeigen wir deutlich, dass für uns die Erhaltung von Betrieben und Arbeitsplätzen das Allerwichtigste ist . Es muss kein Betrieb wegen der Erbschaft- und Schenkungsteuer zerschlagen werden . Das ist die Botschaft, die wir heute verkünden, und das ist eine wichtige Botschaft, meine Damen und Herren . ({10}) Darüber hinaus haben wir eine sogenannte Investitionsklausel im Gesetz verankert . Dadurch kann nach dem Erbfall nichtbegünstigtes Vermögen durch eine Investition in begünstigtes Vermögen gewissermaßen umgewandelt werden . So stellen wir Planungssicherheit her und setzen zugleich starke Zukunftsanreize für notwendige Investitionen . Wir bekämpfen damit auch den Investitionsstau in Deutschland . Dieser Anreiz ist wichtig . So hat man letzten Endes, wenn man in die Zukunft des Betriebes und den Erhalt der Arbeitsplätze investiert, auch eine Anerkennung des Gesetzgebers . Als letzten Punkt möchte ich erwähnen, dass wir größeren Familienunternehmen, also Betrieben mit vielen Beschäftigten und Eigentümerbindungen über Generationen hinweg, die oftmals eine Verfügungsbeschränkung der Anteilseigner haben, mit einer Steuerbefreiung von maximal 30 Prozent entgegenkommen . Meine Damen und Herren, das ist gerecht, weil Verfügungsbeschränkungen bei der Anteilsweitergabe natürlich den Wert erheblich reduzieren . Sie können doch nicht etwas besteuern, was in dem Wert nicht als Bemessungsgrundlage beinhaltet ist . Auch damit leisten wir einen elementaren Beitrag zum Erhalt unserer arbeitsplatzsichernden Wirtschaftsstruktur . Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss das Fazit ziehen: Wir haben erreicht, dass auch in Zukunft der Wirtschaftsstandort Deutschland erfolgreich gestaltet werden kann . Unsere kleinen und größeren mittelständischen Familienunternehmen werden auch dank dieser Reform das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und Beschäftigungsmotor Nummer eins bleiben . Vor diesem Hintergrund appelliere ich an dieser Stelle auch an die Grünen, dass sie es im Bundesrat letzten Endes nicht blockieren . Geben Sie diesem Wirtschaftsstandort mit diesem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz eine Chance .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist gerade heute im Zeichen des Brexit ein wichtiges Anliegen . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit Blick auf die besonderen Bedingungen, unter denen wir heute die Tagesordnung abwickeln, bitte ich noch einmal alle Rednerinnen und Redner, die Redezeit möglichst einzuhalten . Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss wirklich noch einmal sagen: Ich finde es ungeheuerlich, ({0}) dass Sie ein derart grundlegendes und möglicherweise erneut verfassungswidriges Gesetz hier im Eilverfahren und noch dazu heute im Schatten einer solchen Abstimmung wie der in Großbritannien gestern durchpeitschen wollen . ({1}) Ich finde, das ist völlig unangemessen und genau die Politik, die die Leute abstößt . Machen Sie so weiter, dann machen Sie alles kaputt . ({2}) Natürlich geht es bei der Erbschaftsteuer um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Zwei Ökonomen der italienischen Notenbank haben kürzlich die Liste der Steuerzahler der Stadt Florenz aus dem Jahr 2011 mit der aus dem Jahr 1427 verglichen . Das erstaunliche Ergebnis war: Die reichsten und einflussreichsten Familien der Stadt waren immer noch die gleichen wie vor fast 600 Jahren . Die gleichen Studien gibt es auch für Großbritannien . Auch für Deutschland lassen sich solche Kontinuitäten mindestens bis ins 19 . Jahrhundert zurückverfolgen . An der Spitze der Einkommens- und Vermögenspyramide hatten wir nie eine Leistungsgesellschaft . Da hatten und haben wir eine Erbengesellschaft mit langen, generationenübergreifenden Familiendynastien, die sich von dem alten Feudaladel nur dadurch unterscheiden, dass ihre Vermögen noch um einiges größer sind . ({3}) Um genau diese Vermögen geht es überwiegend, wenn wir über Betriebsvermögen reden . Über 90 Prozent des Betriebsvermögens in Deutschland befindet sich in den Händen der reichsten 10 Prozent aller Familien . Den Löwenanteil hat das reichste 1 Prozent . Ein gutes Zehntel aus jeder Generation erbt mehr, als die untere Hälfte der Bevölkerung im ganzen langen Arbeitsleben verdienen kann . Das heißt, wer reich geboren wird, bleibt reich . Wer arm geboren wird, der hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Armut zu sterben . Das sind die gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wir finden das unerträglich. ({4}) Als der Liberalismus noch eine lebendige Strömung in der Tradition der Aufklärung war, gehörte der Kampf gegen erbliche Vorrechte zum liberalen Markenkern . Der große Liberale John Stuart Mill forderte explizit, „eine stark belastende Steuer auf jede Erbschaft“ zu legen, die einen moderaten Betrag übersteigt . Auch der Ordoliberale Alexander Rüstow attackierte das, was er das „feudal-plutokratische“ Erbrecht nannte, das nach seiner Auffassung die Marktwirtschaft zur „Plutokratie, zur Reichtumsherrschaft“ verkommen lässt. Ich finde es wirklich traurig, dass solche Traditionen in der heutigen Union keine Heimat und nicht den geringsten Rückhalt mehr haben . ({5}) Wir reden also nicht über sauer erarbeitete Spargroschen, und wir reden auch nicht über Oma ihr klein Häuschen und auch nicht über kleine Unternehmen . In all diesen Fällen kann der Fiskus sich tatsächlich zurückhalten . Aber die Realität ist: Das tut er gar nicht . Wer zum Beispiel von seinen Eltern ein Haus im Wert von 1 Million Euro erbt - das sind in Städten wie München oder Düsseldorf keine prunkvollen Villen -, bei dem werden 90 000 Euro Erbschaftsteuer fällig; keine Kleinigkeit . ({6}) Wer dagegen ein Unternehmen im Wert von 25 Millionen Euro erbt, der zahlt keinen einzigen Euro Erbschaftsteuer . ({7}) Selbst für Unternehmen mit einem Wert im dreistelligen Millionen- oder sogar im Milliardenbereich sind so viele Ausnahmen und Sonderregelungen im neuen Gesetz versteckt, dass selbst Sprösslinge aus Familien, die man in Russland oder in Griechenland als Oligarchen bezeichnen würde, gute Chancen haben, ihr Erbe anzutreten, ohne der Allgemeinheit irgendeinen relevanten Beitrag zu zahlen. Ich finde, das ist ein Skandal. ({8}) Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbaren wollen. Ich finde, das Gesetz ist auch eine ziemliche Unverschämtheit gegenüber dem Verfassungsgericht - um das auch deutlich zu sagen -; denn es hat genau diese Gleichbehandlung eingefordert . Insgesamt 300 bis 400 Milliarden Euro, und zwar überwiegend Großvermögen jenseits der Milliardenschwelle, werden Jahr für Jahr von einer Generation zur nächsten weitergereicht . Trotzdem haben Sie die Erbschaftsteuer zu einer Bagatellsteuer verkommen lassen, die weniger als 1 Prozent zum gesamten Steueraufkommen beiträgt . Das war vor der Reform so, und das wird nach der Reform so bleiben . ({9}) Ich finde, das ist der eigentliche Skandal. ({10}) Diese zartfühlende Rücksichtnahme, mit der in der Erbschaftsteuerdebatte immer wieder vor Überbelastungen gewarnt wird - wohlgemerkt, wir reden hier von Multimillionären -, hätte ich mir einmal gewünscht, wenn es um die Belastung normaler Arbeitnehmer geht . Welche Verschonungsregeln haben Sie etwa für Kinder von armen Eltern, wenn diese im Alter ins Pflegeheim müssen? Ab einem Einkommen von gut 3 000 Euro pro Haushalt verlangt das Sozialamt von jedem verdienten Euro 50 Cent für die Pflege der Eltern, ohne Verschonungsregeln . Jetzt kommen Sie mir nicht mit der angeblichen Gefährdung von Arbeitsplätzen . Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat festgestellt, dass es wenige Hinweise darauf gibt, dass die steuerliche Schonung von Betriebsvermögen Arbeitsplätze sichert . Dass immer mehr Unternehmen an Finanz investoren und Konzerne verkauft werden, hat mehr damit zu tun, dass geeignete Nachfolger fehlen, und es hat natürlich auch mit Herrn Draghis Billiggeld und dem dadurch ausgelösten Übernahmefieber zu tun. ({11}) Aber bis heute gibt es keinen einzigen dokumentierten Fall eines Unternehmens, das aufgrund der Zahlung von Erbschaftsteuer pleitegegangen wäre . ({12}) 8 000 Millionen Euro Mehreinnahmen im Jahr wären zu erwarten, wenn einfach nur die aktuellen, relativ niedrigen Sätze auch auf große Betriebsvermögen angewandt würden . Aber durch Ihre tolle Reform sollen sich die Einnahmen gerade mal um lächerliche 235 Millionen Euro erhöhen . Selbst das ist fraglich: Experten, wie etwa Norbert Walter-Borjans, der NRW-Finanzminister, ({13}) fürchten sogar zusätzliche Steuerausfälle. Ich finde, das ist doch wirklich ein Hohn . Verdammt noch mal, muss das nicht Ihnen von der SPD zu denken geben, was Sie hier heute für ein Gesetz durchwinken? Das ist doch unglaublich . ({14}) Mit 8 Milliarden Euro Mehreinnahmen wäre es übrigens kein Problem, die Zuzahlungen der Kinder für Eltern im Pflegeheim komplett abzuschaffen und natürlich auch die personelle Ausstattung der Heime deutlich zu verbessern . Aber so etwas kommt Ihnen leider offenbar gar nicht in den Sinn . ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ({16}) wer soll denn Ihre Politik noch nachvollziehen können? ({17}) An einem Tag ruft Ihr Vorsitzender den linken Bündnisfall zur Rettung des Landes aus, ({18}) und am nächsten Tagen winken Sie dieses Oligarchenpflegegesetz hier im Bundestag durch. ({19}) Das bringt doch keiner mehr zusammen . ({20}) Ich finde, wer der Konzentration derart riesiger Vermögen so tatenlos zuschaut, der sollte sich Sonntagsreden über Chancengleichheit und Gerechtigkeit auch sparen . Ich muss noch eines sagen: Besondere Ignoranz gegenüber verfassungsmäßigen Grundsätzen muss man nun wirklich der CSU bescheinigen . ({21}) Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern . Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Schon mal irgendwo gehört? ({22}) - Ja, das ist die bayerische Verfassung . Na, Sie wissen es doch sogar . Aber es scheint überhaupt keine Relevanz zu haben, dass die bayerische Regierung auf diese Verfassung ihren Amtseid geschworen hat . ({23}) Gebrochene Eide scheinen Sie für eine politische Selbstverständlichkeit zu halten . ({24}) Auch das ist ein Punkt, weshalb Sie sich nicht wundern müssen, dass die Menschen sich von so einer Politik abwenden . ({25}) Inzwischen hat die Ansammlung von Riesenvermögen in Deutschland Ausmaße angenommen, die mit einer Demokratie nicht mehr vereinbar sind . Gerade das Gesetz, das Sie hier durchwinken, ist ein lebendiger Beleg dafür . Das ist keine Reform, das ist eine Kapitulation vor der Macht und dem Einfluss steinreicher Firmenerben. Die Linke wird auf jeden Fall ihren Anteil dazu beitragen, dieses Gesetz im Bundesrat zu stoppen . Wenn die Grünen das Gleiche tun, dann werden wir auch Erfolg haben . Ich hoffe sehr, dass es dazu kommt . ({26})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede etwas zum Verfahren sagen . Die Opposition hat kritisiert, dass sie zu spät über die Änderungen im parlamentarischen Verfahren informiert wurde . ({0}) Das finde ich bemerkenswert; denn der Kern dessen, was Ihnen heute vorliegt, ist seit Februar klar . Seit Februar hatten Sie die Chance, sich damit auseinanderzusetzen . Es gibt jetzt noch ein, zwei marginale Änderungen, ({1}) die zu einer Verbesserung des Erbschaftsteuergesetzes führen . ({2}) Sie müssen sich überlegen, wie Sie Ihre Oppositionsarbeit hier wahrnehmen; ({3}) denn nur zu opponieren und Nein zu sagen, reicht nicht . Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, dem Deutschen Bundestag ein eigenes Modell zur Erbschaftsteuer vorzulegen, aber weder von der Linkspartei noch von den Grünen liegt auch nur ein Änderungsantrag vor . ({4}) Ich kann ja verstehen, dass Sie nicht zustimmen - Sie sind in der Opposition, das müssen Sie tun! Aber zur Opposition gehört nicht nur, Nein zu sagen, es gehört auch dazu, Alternativen aufzuzeigen . Sie haben keine einzige Alternative aufgezeigt . ({5}) Ich vermute, bei den Grünen ist das der Fall, weil Sie sich nicht entscheiden können, welcher Flügel bei den Grünen sich nun durchsetzt: der aus Baden-Württemberg, der alle verschonen will, die sehr reich sind, oder der von Herrn Hofreiter . Aber das können Sie doch nicht uns vorwerfen . Wir als Koalition müssen hier und heute Entscheidungen treffen . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schneider, die Kollegin Göring-Eckardt möchte Ihnen das gerne erklären . Darf sie das?

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte sehr gern die Möglichkeit einer Zwischenfrage in Anspruch nehmen . Ich möchte Sie, Herr Schneider, gerne fragen, ob es wirklich so ist, dass sich Frau Merkel, Herr Seehofer und Herr Gabriel wegen Marginalien treffen . - So haben Sie es gerade dargestellt . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, die vorgesehenen Änderungen an dem Kompromiss, der im parlamentarischen Verfahren von dem Kollegen Brinkhaus, Frau Hasselfeldt und mir vereinbart wurde und seit Februar steht, sind marginal . Das ist meine Auffassung . ({0}) - Ja, Sie müssen die Änderungen nur mit dem Forderungskatalog vergleichen, den die CSU aufgestellt hat, dann sehen Sie, was davon übrig geblieben ist . ({1}) Im Kern ist die Erbschaftsteuer eine der letzten und wenigen vermögensbezogenen Steuern in Deutschland . Wir haben nur zwei . Frau Wagenknecht, ein Punkt, den sie eben angesprochen haben, war richtig: Die Vermögensverteilung ist nicht gerecht . Aus diesem Grund ist die Erbschaftsteuer eine Kernsteuer, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen . ({2}) Die SPD, liebe Frau Wagenknecht, setzt sich dafür ein und bringt heute durch, dass das Steueraufkommen gesichert wird, dass die Regelung dauerhaft verfassungsfest ist und dass die Arbeitsplätze erhalten werden . Es ist der Erfolg der SPD, dass wir eine gerechte Steuer bekommen . Sie haben nichts Eigenes dazu vorgelegt . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun möchte der Kollege Troost noch eine Zwischenfrage stellen . Das wäre allerdings, wenn Sie sie zulassen, die letzte, die ich zulassen würde .

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Troost . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Schneider, Sie sind nicht Mitglied des Finanzausschusses . Deswegen frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, ({0}) dass wir am letzten Dienstag im Berichterstattergespräch gesagt haben, wir wollen noch eine Anhörung durchführen, weil bereits in der ersten Anhörung auch Ihre Sachverständigen gesagt haben, dass der Entwurf eher Carsten Schneider ({1}) nicht verfassungskonform ist, und Sie jetzt noch eine Ausweitung der Regelung auf Betriebe mit fünf statt drei Mitarbeitern vorgenommen haben . Die Antwort Ihres Kollegen war: Wir brauchen keine Anhörung, die haben uns sowieso schon alle gesagt, dass der Gesetzentwurf nicht verfassungskonform ist, und da die Regelung sogar noch ausgeweitet worden ist, werden wir die gleiche Antwort wieder bekommen . Dafür brauchen wir keine Anhörung . - Das ist aus unserer Sicht skandalös, weil wir wissen, dass dieser Gesetzentwurf, wenn er nicht im Bundesrat gestoppt wird, am Ende wieder vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wird . ({2}) Noch einen Satz zu der Frage: Ist das jetzt Bürokratieabbau? Wir reden doch nicht von der monatlichen Umsatzsteuererklärung . Wir reden davon, dass in 20, 30 Jahren einmal ein Fall von Schenkung oder ein Erbübergang stattfindet. Da ist es doch wohl gerechtfertigt, dass man einmal die Vermögensverhältnisse offenlegen muss, um festzustellen, was an Substanz zur Versteuerung vorhanden ist . Danke schön . ({3})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Troost, zunächst einmal sage ich: In der Anhörung gab es zustimmende und kritische Stimmen . Darauf sind wir eingegangen . ({0}) Nehmen Sie den Abschmelzbetrag . Ein Hauptkritikpunkt bezog sich auf die Frage: Wie ist das mit der Verschonung bei besonders hohen Vermögen? Das war auch einer der Kritikpunkte der SPD . Zum Hintergrund: Wer einen Unternehmensanteil im Wert von über 26 Millionen Euro erbt - das ist der Erbschaftswert -, hat jetzt zwei Möglichkeiten: Erstens kann er die Bedürfnisprüfung wählen . ({1}) - Warten Sie . - Das war eine Vorgabe des Verfassungsgerichts . Diese Bedürfnisprüfung haben wir eingeführt . Zweitens kann er aber auch ein Abschmelzmodell wählen . Dann muss er das Privatvermögen nicht offenlegen und bis zu einer Summe von weit über 100 Millionen Euro - so stand es im ursprünglichen Gesetzentwurf einen niedrigeren Steuersatz zahlen . Das haben wir als Sozialdemokraten immer kritisiert; der Bundesrat im Übrigen auch . Deswegen haben wir das geändert . Dieser Abschmelzbetrag - das ist die Verschonung - ist um die Hälfte reduziert worden, sodass wir jetzt ein deutlich höheres Steueraufkommen und ein sichereres Erbschaftsteuerrecht haben . ({2}) Was die verfassungsrechtlichen Fragen betrifft, kann ich Ihnen nur Folgendes sagen: Im Kern Ihrer Frage geht es ja darum, ob es drei oder fünf Arbeitnehmer sind . ({3}) Dabei geht es nicht um das Aufkommen . Wir sind uns alle einig, dass es bei Unternehmen mit fünf Arbeitnehmern nicht um große Vermögen geht . ({4}) Das ist auch eine Frage der Bürokratie . Für die Eigentümer bedeutet das einen hohen Aufwand . ({5}) Das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium haben das geprüft . Sie sind der Auffassung, dass eine Regelung mit fünf Arbeitnehmern möglich ist und dass eine solche Regelung verfassungskonform ist . ({6}) Dieser Auffassung haben wir uns angeschlossen . Das bedeutet nicht, dass es zu einem geringeren Steueraufkommen kommt, sondern, dass weniger Bürokratieaufwand entsteht . Genau deswegen haben wir das übernommen . ({7}) Sie hätten Gelegenheit gehabt, im Ausschuss oder heute im Plenum eigene Vorschläge vorzulegen . Ich stelle fest: Von Ihnen liegt nichts Eigenes vor . Jetzt blicken wir einmal auf die Länder: Wir sind auf die Punkte eingegangen, die die Länder mit Blick auf den Gesetzentwurf beschlossen haben . Wir haben diese Punkte aufgegriffen . Dabei geht es erstens um die Änderung beim Verwaltungsvermögen: Wie definiert man Verwaltungsvermögen? Wir haben die Position der Länder zu 100 Prozent übernommen . Diese Position haben im Übrigen auch Länder vertreten, in denen Linke und Grüne mitregieren . Die Konsequenz dieser Regelung ist aber, dass das Aufkommen um 70 Millionen Euro sinkt . Ist Ihnen das bewusst? Wir haben das gemacht; aber ich verbitte mir Kritik an einem geringeren Aufkommen, weil das daraus resultiert, dass wir die Position der Länder übernommen haben . ({8}) Der zweite Punkt betrifft den Abschmelzbetrag . Das ist der große Erfolg der SPD . Wir haben jetzt eine Regelung für die wirklich Superreichen, für das 1 Prozent, das Sie, Frau Wagenknecht, angesprochen haben . Ich sehe auch, dass wir hier ansetzen müssen, weil es aufgrund des Zins- und Zinseszinseffekts Menschen gibt, die gar nicht mehr arbeiten müssen und quasi wie im Schlaraffenland leben . Das widerspricht auch meinem VerständDr. Axel Troost nis von Leistung . Deswegen müssen diese Leute, wenn sie mehr als 26 Millionen Euro erben, jetzt tatsächlich Steuern zahlen . ({9}) Das mussten sie bisher nicht . Jetzt müssen sie Steuern zahlen . Ich halte das für gerecht . Auch deswegen sind wir als Sozialdemokraten der Auffassung, dass das ein guter Entwurf eines Erbschaftsteuergesetzes ist . ({10}) Ich möchte noch darauf eingehen, dass eventuell der Vermittlungsausschuss angerufen wird . Ich habe überhaupt kein Problem damit . Es ist sogar gut, wenn die Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat ihre normalen Instrumente nutzen . Ich bin gespannt, wie man mit diesem Gesetzentwurf umgehen wird, ob es eine Mehrheit dafür gibt, ob die Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen will etc . Man kann ja nur schlauer werden . Dann hätten wir endlich eine geschlossene Position der Länder bezüglich ihrer eigenen Steuer . ({11}) Diese Verantwortung müssen die Länder wahrnehmen . Wir jedenfalls sind bereit, uns darauf einzulassen . Das ist kein Beinbruch, sondern ein ganz normales Verfahren in Deutschland . Ich will noch kurz auf das Beispiel von Frau Wagenknecht mit dem Häuschen in München eingehen . Sie haben hier, wie gesagt, keinen einzigen Änderungsantrag eingebracht . ({12}) Zum Hintergrund muss man Folgendes wissen: Wenn Sie privat erben, gilt ein Kinderfreibetrag von 400 000 Euro und ein Ehegattenfreibetrag von 500 000 Euro . Das ist schon sehr viel . Das Durchschnittsvermögen in Deutschland beträgt 200 000 Euro . Die ganzen Superreichen sind dabei eingerechnet . Viele werden also ein Vermögen von 30 000, 40 000 oder 50 000 Euro haben . Das heißt, wir sehen als Freibetrag das Zehnfache des durchschnittlichen Vermögens der meisten vor . Jetzt kommen Sie heute und sagen, dass Sie diesen Freibetrag auf 1 Million Euro erhöhen wollen . Liebe Frau Wagenknecht, das ist das Gegenteil von einer sozialen Politik . Das ist letztendlich der Schutz der Millionäre in München . ({13}) Genau das haben wir verhindert . ({14}) Dass die Linke jetzt darauf einschwenkt, ist eine besondere Quintessenz dieses Tages . ({15}) Zum Schluss noch ein Punkt an die Kollegen von der CSU . Es war schon ein spannendes Verfahren, das wir hier anderthalb Jahre hatten . Ich habe mich manchmal gefragt: Welcher Partei gehört eigentlich der Bundesfinanzminister an? Denn die Kritik an dem Vorschlag, den er ausgearbeitet hatte, kam vor allen Dingen vonseiten der CSU . ({16}) Ich muss Ihnen ganz klar sagen, dass wir als Sozialdemokraten die Forderung, die Ministerpräsident Seehofer jetzt aufgestellt hat, nämlich eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer anzustreben, ganz klar ablehnen . Das Verfassungsgericht ist da ganz eindeutig . ({17}) Wir haben es verhindert, liebe Kollegen der Grünen . Das war eine der Forderungen . Was bedeutet das? Es bedeutet Steuerdumping in Deutschland . Natürlich ist das Vermögen bei mir in Thüringen viel geringer als das in Bayern . In Bayern hatte man ja auch viel mehr Zeit, es zu erarbeiten . Wenn wir unterschiedliche Steuersätze hätten - vielleicht in Thüringen 10 Prozent und in Bayern nur 3 Prozent -, dann würde es zu einer extremen Verlagerung kommen, wie wir sie im europäischen Bereich leider schon haben; denn in Österreich wird keine Erbschaftsteuer gezahlt . Es wurden sogar Anzeigen geschaltet: Kommt nach Österreich . - Das wollen wir weder in Deutschland und schon gar nicht in Europa . Deswegen, liebe Kollegen der CSU, ist das mit uns nicht zu machen, weder vor einer Bundestagswahl noch nach einer Bundestagswahl . Das gehört zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und zu einer gerechten Gesellschaft; ihr habt doch eigentlich das Soziale in eurem Namen . Schreibt diese Forderung ab . Das wird sowieso nichts . Vielen Dank . ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lisa Paus hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich ganz klar zu sagen: ({0}) Wenn wir als Gesetzgeber noch ernst genommen werden wollen, Herr Kauder, und nicht nur als Erfüllungsgehilfe von Lobbyisten, dann darf dieser Gesetzentwurf den Deutschen Bundestag heute nicht passieren . ({1}) Carsten Schneider ({2}) Der Gesetzentwurf ist verfassungswidrig . ({3}) Er ist ungerecht, er ist unfassbar kompliziert und ein Konjunkturprogramm für Steuerberater . Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf hier heute ablehnen . ({4}) Dabei ist es eigentlich ganz einfach . Das Bundesverfassungsgericht - wir haben es schon gehört - hat im Dezember 2014 verkündet: Eine pauschale Befreiung von der Erbschaftsteuer für Unternehmenserben, wie es sie bisher gab, darf es zukünftig nicht mehr geben . Es darf sie für Erben von kleinen und mittleren Unternehmen geben, wenn sie Arbeitsplätze erhalten, aber für alle anderen Fälle, so das Gericht, müsse zukünftig eine individuelle Bedürfnisprüfung des Unternehmenserben stattfinden, um festzustellen, ob er nicht doch - und wenn ja, wie viel - Erbschaftsteuer zahlen kann . So weit, so klar . Was passierte dann? Minister Schäuble legte vor genau einem Jahr einen Referentenentwurf vor, nach dem weiterhin 99 Prozent der Unternehmenserben pauschal von der Erbschaftsteuer befreit sein sollten . Das heißt, dass im Schnitt ganze 95 Personen pro Jahr - ich wiederhole: 95 Personen; das sind nicht meine Zahlen, sondern die Zahlen der Bundesregierung - von der Erbschaftsteuer nicht mehr pauschal befreit werden sollten, weil sie ein Betriebsvermögen von mehr als 20 Millionen Euro geerbt haben . 95 Personen! Ich fand das schon damals zu wenig . ({5}) Aber was passierte dann? Ein Jahr lang wurde zwischen CDU, CSU und SPD verhandelt, aber nicht etwa darüber, wie die Basis der Steuerzahlenden verbreitert werden könnte . Nein, es wurde zwölf Monate lang daran gearbeitet, dass auch diese 95 Personen weiterhin keine Erbschaftsteuer zahlen müssen . Dazu kann man heute nur sagen: Dieses Ziel haben Sie fast bis auf den letzten Erbfall erreicht . Das war aber nicht die Forderung des Bundesverfassungsgerichts . ({6}) So wird es bei diesem Gesetzentwurf dabei bleiben, dass die, die mehr als 20 Millionen Euro in Deutschland erben, effektiv 3 Prozent Steuern zahlen, während diejenigen, die zum Beispiel zwischen 100 000 und 200 000 Euro erben, effektiv das Fünffache an Erbschaftsteuer zahlen müssen, nämlich 15 Prozent . Das nenne ich ungerecht, meine Damen und Herren und Herr Schneider . ({7}) Deshalb, Herr Schneider, wäre eine Flat Tax, zum Beispiel 15 Prozent für alle und nicht nur für die Mittelschicht, jedenfalls im Vergleich zu diesem Gesetzentwurf deutlich gerechter . ({8}) - Er war ja vorher da . - Dieses Gesetz wird in den nächsten Jahren übrigens auch zu weniger Einnahmen führen und nicht zu mehr . Auch das ist völlig klar . Jetzt gibt es das Argument, man müsse das Gesetz trotzdem unbedingt wegen der ansonsten drohenden Rechtsunsicherheit beschließen . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zunächst hat das Bundesverfassungsgericht selbst schon klargestellt, dass das nicht der Fall ist . Im Übrigen: Was kann es Rechtsunsichereres geben als ein neu beschlossenes Gesetz, von dem alle eines ganz genau wissen, nämlich dass es verfassungswidrig ist? Das Einzige, was wir nicht wissen, ist, wann genau was wie für verfassungswidrig erklärt wird . Das ist wirklich die Königsdisziplin der Rechtsunsicherheit, meine Damen und Herren . ({9}) Um es noch einmal konkret zu erläutern - auch für Herrn Schneider -, dass doch mehr Änderungen gekommen sind, als Sie es eben behauptet haben: Dieses Gesetz ist verfassungswidrig, insbesondere weil Sie auf den letzten Metern Bewertungsregeln eingeführt haben, durch die Betriebsvermögen im Vergleich zu sonstigem Vermögen deutlich gesenkt werden . Dabei war genau das schon 2006 vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden . ({10}) Das heißt konkret: War ein Familienunternehmen nach den Regeln des Ursprungsgesetzes noch 80 Millionen Euro wert, so ist es nach dem vorliegenden Entwurf plötzlich bis zu 60 Prozent weniger wert, also nur noch 32 Millionen Euro . Auf die darauf fälligen Steuern gibt es dann auch noch einen mindestens 30-prozentigen Rabatt, weil die Steuer bei Betriebsvermögen zehn Jahre zinslos gestundet werden kann . Dann gilt noch eine Extraregelung für Investitionen . Und dann kommt noch durch die pauschale Verschonung nach dem sogenannten Abschmelzmodell für Vermögen zwischen 26 und 90 Millionen Euro ein reduzierter Steuersatz dazu . Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Irrsinn heute nicht beschließen . Lassen Sie das nicht zu . Lehnen Sie den Gesetzentwurf ab, sonst wird es der Bundesrat tun . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns tatsächlich über ein Jahr mit der Änderung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts beschäftigt . Ich sage: Diese Diskussion hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eigentlich nicht gewollt . Wir haben gute Erfahrungen mit dem noch heute gültigen Gesetz gemacht . Es war zwar schon vorher kompliziert, aber es konnte bei der Vererbung des Familienunternehmens folgendermaßen zusammengefasst werden: Wenn ein Vater oder eine Mutter ein Unternehmen an die Tochter oder den Sohn vererbt hat und diese oder dieser dann das Unternehmen verkauft hat, muss auch heute schon die volle Erbschaftsteuer gezahlt werden . Das ist auch richtig so . Aber wenn der Erbe in das Unternehmen eintritt, ins Risiko geht, die Arbeitsplätze eine Zeit lang erhält und eine Zeit lang das Unternehmen nicht verkauft, hat er heute die Möglichkeit, diesen Unternehmensteil erbschaftsteuerfrei in die nächste Generation zu überführen . Das war ein sinnvolles System . Ich glaube, das hat viele Tausende Arbeitsplätze in der Vergangenheit gesichert und dazu geführt, dass die ganze Welt auf unsere Unternehmen, die Familienunternehmen, unsere Hidden Champions schaut . Egal wo wir sind: Wir werden beneidet um diese einmaligen Unternehmensstrukturen in den Familienbetrieben . Deswegen war das bisherige Gesetz kein schlechtes Gesetz . ({0}) Dann hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ein Urteil gefällt . Das Positive daran ist: Die Richter haben klargestellt, dass eine Verschonung zu 100 Prozent auch heute noch möglich ist . Gleichzeitig haben sie aber auch klargestellt, dass Erben größerer Familienunternehmen zusätzlich noch nachweisen müssen, dass sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa dass sie die Erbschaftsteuer nicht zahlen können, um auch in Zukunft eine Verschonung zu bekommen . Also mussten wir einen Weg finden, der dem Verfassungsgericht gerecht wurde, der aber auch dafür gesorgt hat, dass die einmalige Struktur erhalten bleibt . Denn wenn Sie in der Krise vor einigen Jahren geschaut haben, welche Unternehmen die Mitarbeiter behalten haben, sahen Sie: Es waren die Familienunternehmen, bei denen der Sohn oder die Tochter des Unternehmers mit den Kindern der Mitarbeiter zum Fußball oder in die Schule geht, wo man sich beim Gesangsverein, beim Einkaufen oder in der Kneipe trifft . Das waren nicht die anonymen, börsennotierten Unternehmen, keine anonymen ausländischen Gesellschaften, bei denen der Eigentümer in Chicago oder New York sitzt . Nicht da wurden die Arbeitsplätze in der Krise erhalten, sondern im Prinzip bei uns . ({1}) Wir dürfen es nicht zulassen - dem haben wir mit diesem Gesetzentwurf entsprochen -, dass deutsche Familienunternehmen jetzt einen Wettbewerbsnachteil aufgrund der Erbschaftsteuer haben . Wenn DAX-Unternehmen keine Erbschaftsteuer zahlen und ausländische Gesellschaften, die in Deutschland ihre Produkte verkaufen, auch keine Erbschaftsteuer an den Fiskus abführen, aber wenn im internationalen Wettbewerb - wir merken, welche Konkurrenzsituationen bei Ausschreibungen bestehen - in Zukunft diese Familienunternehmen einen Erbschaftsteuerzuschlag auf ihre Produkte erheben müssten, wäre das sicherlich der falsche Weg . Deswegen haben wir uns in den letzten eineinhalb Jahren bei diesem Gesetzentwurf von der Maxime leiten lassen: Kein deutsches Unternehmen und kein deutscher Unternehmer darf dieses Land wegen der Erbschaftsteuer verlassen . Ich glaube, das ist mit diesem Gesetzentwurf auch gelungen . ({2}) Liebe Kollegin Wagenknecht, Sie haben völlig recht: Nicht nur kein deutscher Unternehmer und kein deutsches Unternehmen darf Deutschland deswegen verlassen, sondern auch kein Erbe eines Häuschens darf aufgrund der Erbschaftsteuer gezwungen sein, sein Elternhaus zu verlassen . Sie haben angeführt, dass dies eine Ungerechtigkeit sei, denn wenn jemand in München sein Haus vererben würde, dann sei es, auch wenn es nicht besonders groß sei, aufgrund der besonderen Lage zum Beispiel 1 Million Euro wert . Ein Arbeiter oder eine Arbeiterin müsste dann 80 000 Euro Erbschaftsteuer aufbringen und könnte es sich daher eventuell nicht leisten, weiter im Elternhaus zu leben . Die Wahrheit ist: Wir sehen das genauso wie Sie . Deswegen ist dieses Problem längst gelöst . Wir haben schon im jetzigen Erbschaftsteuerrecht eine klare Regelung für den Fall, dass ein Erbe in das Haus seiner Eltern, das maximal 190 Quadratmeter groß ist, einzieht; da haben wir wahrscheinlich sogar auf Sie Rücksicht genommen, weil es hier ja nicht etwa um Riesenvillen geht . ({3}) Wenn ein Haus also maximal 190 Quadratmeter groß ist, der Erbe in das Haus einzieht und zehn Jahre in dem Haus wohnen bleibt, dann ist es völlig egal, wie hoch der Verkehrswert ist und wo der Standort ist . Dann ist das schon heute erbschaftsteuerfrei . Das ist richtig und bleibt auch so . ({4}) Ich gebe zu - das ist vorhin bei meinen Vorrednern angeklungen und auch bestätigt worden -, dass vorauszusehen war, dass die Verhandlungen in der Großen Koalition zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht aufgrund der unterschiedlichen Wahlprogramme nicht besonders einfach werden . Auch ich hätte mir ein etwas einfacheres Erbschaftsteuerrecht vorstellen können . Aber jetzt haben wir einen Kompromiss gefunden, den wir auch nach außen tragen . Ich darf alle beruhigen: Es geht in diesem Gesetzentwurf nicht nur um Unternehmen und Unternehmer . Wenn wir in den letzten eineinhalb Jahren mit Betriebsräten und mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesprochen haben, dann haben sie uns gebeten, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, der es auch in Zukunft möglich macht, dass Familienunternehmen, auch wenn sie groß sind, in der Hand eines Familienunternehmers bleiben . Denn auch Gewerkschaftler, auch solche, die gerne demonstrieren - das ist ein Grundrecht in Deutschland und bleibt auch erhalten -, würden gerne wissen: Wo ist denn der Eigentümer des Unternehmens? Wo kann ich meine Forderung vortragen? Wo kann ich meine berechtigten Interessen vorbringen? - Auch die machen das nämlich lieber bei einem Unternehmer, der in Deutschland wohnt, als bei einem Unternehmer aus Chicago, New York oder London, von dem sie überhaupt keine Adresse finden. Deswegen ist dieses Gesetz auch ein Gesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland . Auf diese Strukturen können wir stolz sein .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege von Stetten, darf Ihnen der Kollege Gambke - dann aber bitte ganz kurz - eine Zwischenfrage stellen?

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich .

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Ich habe zwei Fragen, die ich verbinden muss . Erstens . Sie sagten, dass Sie das heutige Steueraufkommen gerade der Familienunternehmen für angemessen und auch für bezahlbar erachten . Es liegt - Kollegin Paus hat heute darauf hingewiesen - bei aktiven Schenkungen unter 1 Prozent und im Durchschnitt bei 4 Prozent . Sie selber führen aber in einer Veröffentlichung aus, dass Sie eine Flatrate von 12,5 Prozent für absolut bezahlbar halten und dass Sie es als ein Märchen betrachten, dass Familienunternehmer dann ins Ausland abwandern würden . Stehen Sie nun zu der Aussage, die Sie in Ihrer Veröffentlichung gemacht haben, oder zu der Aussage, die Sie heute im Plenum gemacht haben? Zweite Frage . Sie haben über Bürokratie und Verlässlichkeit gesprochen . Das, was ich von den Unternehmen höre, ist - dazu stehen auch wir -: Wir brauchen verlässliche Regelungen . - Ist Ihnen bewusst, dass die jetzige Regelung die Folge bereits eines dritten Spruchs des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer ist, wir fest davon ausgehen müssen, dass Sie hier eine Regelung vorlegen, die ein viertes Mal vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird, und damit eben keine Rechtssicherheit und kein Vertrauen in die Politik geschaffen wird?

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Frage . Grundsätzlich kann ich Ihnen sagen: Ich bin immer für Steuervereinfachungen . Mir wäre es aber völlig neu - ich bin seit 13 Jahren hier im Parlament -, dass die Grünen bisher auch nur einen einzigen Beitrag zur Steuervereinfachung geleistet haben . Insofern kann ich Ihnen sagen: In den letzten eineinhalb Jahren haben wir in dieser Diskussion natürlich alle Möglichkeiten, ein neues Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht zu beschließen, durchgespielt . Wir haben es vorhin ja schon gehört: Sie hätten Möglichkeiten en masse gehabt, Ihre eigenen Gesetzentwürfe einzubringen . Da ist aber überhaupt nichts gekommen . Zur Wahrheit gehört auch, dass die Umsetzung der Diskussionsbeiträge, die ich zu diesem Thema von der Opposition in den letzten eineinhalb Jahren gehört habe, die Situation der Erben und die Arbeitsplätze in Deutschland nicht sicherer gemacht hätten . Ich kann nur sagen, dass die Wichtigkeit einer Regierungsbeteiligung der CDU/CSU in diesem Zusammenhang noch einmal völlig deutlich geworden ist . Ich möchte jetzt nicht aufzählen, was passiert ist und welche Forderungen aus Ihren Fraktionen gekommen sind . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist zwar technisch innovativ, trifft aber leider nicht zu, ({0}) sodass diejenigen, die es vorgezogen haben, diese Plenarsitzung live und in Farbe zu verfolgen, genauer über die Zeitabläufe informiert sind als diejenigen, die das auf diesem Wege zugerufen bekommen haben . ({1}) Bitte schön, Herr Kollege .

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hatte gedacht, Herr Präsident, Sie lassen nur noch eine Zwischenfrage zu . - Um das abzuschließen: Ich habe in den Diskussionen schon den Eindruck gehabt, dass die Kolleginnen und Kollegen der Opposition überhaupt keinen Einblick haben, wie Entscheidungen Strukturentscheidungen, Investitionsentscheidungen - in Familienunternehmen in Deutschland getroffen werden . Wenn wir die Vorschläge vonseiten der Linken, aber auch vonseiten der Grünen, die Sie in den letzten Monaten gemacht haben, so umgesetzt hätten, wie Sie sie in den Wahlprogrammen beschrieben haben - Sie fordern eine deutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer -, dann hätte uns das in den nächsten 15 Jahren mindestens 3 Millionen Arbeitsplätze gekostet . ({0}) Das haben wir verhindert, und deswegen glaube ich, dass wir hier jetzt auf dem richtigen Weg sind, ({1}) ein verlässliches Erbschaftsteuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger, die als Erben betroffen sind, aber auch für die Arbeitsplätze - die Arbeitnehmerinnen und ArChristian Freiherr von Stetten beitnehmer, die lieber in Familienunternehmen arbeiten - zu schaffen . Ganze Regionen sind übrigens von Familienunternehmen geprägt . Wo gehen denn die Mitarbeiter hin, die im Sport- oder im Gesangsverein aktiv sind, wenn ein neues Klavier gebraucht wird oder Anschaffungen im Jugendbereich anstehen? Es gibt einen direkten Zugang zum Unternehmer, die in diesen Bereichen auch großzügig sind . Diese Strukturen, die weltweit nicht nur geachtet sind, sondern auch kopiert werden wollen, wollen wir nicht zerstören . Wenn wir dazu in den nächsten Jahren sinnvolle Vorschläge von Ihnen bekommen, dann sind wir hier auf einem guten Weg . Herzlichen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für den Bundesrat erhält nun die Finanzministerin von Schleswig-Holstein, Monika Heinold, das Wort . Monika Heinold, Ministerin ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Besteuerung von Einkommen und Vermögen nach Leistungsfähigkeit ist kein ideologischer Unsinn . Es geht hier, wie gesagt, nicht um ideologische Scheuklappen, sondern darum - es ist traurig, dass wir die CSU immer wieder an ihre eigene Verfassung erinnern müssen ({1}) - Ihre Verfassung! -, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern . ({2}) - Schön, dass Sie wach sind; guten Morgen! ({3}) Meine Damen und Herren, was darf die Länderkammer erwarten, wenn ihr am 8 . Juli 2016 ein neues Regelwerk für die Erbschaftbesteuerung von Unternehmen vorgelegt wird? ({4}) - Ich habe zugehört . - Die Länderkammer darf erwarten, dass es einen Vorschlag gibt, der eindeutig verfassungsund gestaltungsfest ist . ({5}) Die Länderkammer darf erwarten, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt werden . ({6}) - Dazu komme ich gleich . Der Bundesrat hat sich sehr wohl positioniert .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick! Im Augenblick hat Frau Heinold das Wort . Es gibt ja noch weitere Redner . - Bitte schön . ({0}) Monika Heinold, Ministerin ({1}): Die Länderkammer darf erwarten, dass die Einnahmesituation und die finanziellen Auswirkungen auf die Länder klar und nachvollziehbar benannt werden, und zwar nicht erst im Jahr 2040, sondern jetzt . ({2}) Wir dürfen auch erwarten, dass es ein Gesetz gibt, das die Erben tatsächlich nach ihrer Leistungsfähigkeit gerecht besteuert . ({3}) - Ich komme dazu . Meine Damen und Herren, das, was Sie uns vorlegen, wird all diesen Ansprüchen nicht gerecht . ({4}) - Das ist falsch - ein bisschen Geduld -; dazu komme ich noch . Meine Damen und Herren, der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung ist von Tag zu Tag verwässert worden . Das waren keine kleinen Änderungen . Ich habe den Bericht des Finanzausschusses gelesen . Dort ist unter einer Tabelle zu den Finanzen von einer „Vielzahl komplexer Änderungen“ die Rede; so komplex, dass Sie uns noch nicht einmal sagen können, was das für die Länder finanziell bedeutet. ({5}) Diese Änderungen wurden von der CSU in letzter Minute durchgedrückt . Das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren . ({6}) Beibehaltung der Privilegien, Verschonungsregelungen: ein Ritt auf der Rasierklinge der Verfassungswidrigkeit . ({7}) Die Messlatte der Steuergerechtigkeit wird gerissen . Die Länder können knobeln, wie viel ihnen an Einnahmen für Bildung, Teilhabe und all das, was wir finanzieren müssen, bleibt . ({8}) Ich sage Ihnen: Als grüne Finanzministerin kann ich dem nicht zustimmen . Ich freue mich, dass ich damit nicht alleine bin . ({9}) Meine Damen und Herren, Ihr eigener Bundesfinanzminister hatte am Anfang der Debatte einen Eckpunkteplan vorgelegt, von dem Lisa Paus sagt: Das war schon schwierig genug . - Ich sage über diesen Plan: Das wäre ein Kompromiss, damit Bundestag und Bundesrat zueinanderkommen ({10}) Natürlich haben die Länder gearbeitet, und zwar nicht wie Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, ({11}) sondern ordnungsgemäß über den Bundesrat . Wir haben Ihren Regierungsentwurf genommen und ihn um die Stellungnahme der Länder ergänzt . ({12}) Dem ist im Bundesrat mit Mehrheit zugestimmt worden . Wo ist denn Ihr Problem? Ihr Problem ist, dass Sie die CSU an Bord haben und dass diese alles blockiert, was verfassungskonform wäre . ({13}) Meine Damen und Herren, sowohl der Eckpunktekatalog von Schäuble als auch der Regierungsentwurf, ergänzt um die Stellungnahme der Länder, ({14}) wäre eine Grundlage, um bei einer Erbschaft auch den Fortbestand der Betriebe zu gewährleisten . Kein normaler Mensch bezweifelt das, glaube ich . Damit würde der Erhalt der Arbeitsplätze gesichert . Er wäre auch im Vergleich zur geltenden Rechtslage eine leistungsgerechtere Besteuerung . Das wäre nicht das, was ich mir wünsche und was auch viele Experten sagen, die davon sprechen, dass wir die Erbschaftsteuer im Grundsatz vom Kopf auf die Füße stellen sollen; Stichwort Flat Tax . Aber Bundestag und Bundesrat müssen aufeinander zugehen . Wir brauchen ein verfassungskonformes Gesetz . Wir brauchen Rechtssicherheit für die Betriebe . ({15}) Meine Damen und Herren, noch einmal mit Blick auf die SPD: Wir müssen der Reinigungskraft Frau Neumann aus Gelsenkirchen aufrichtigen Herzens versichern können, dass es in unserem Staat gerecht zugeht . ({16}) In diesem Sinne hoffe ich, meine Damen und Herren, dass es der Bundesrat besser macht, als Sie es heute vermutlich machen werden . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kiziltepe für die SPD-Fraktion . ({0})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber den klaren Auftrag erteilt, die steuerfreie Übertragung von größten Vermögen ohne Prüfung einer Verschonungsbedürftigkeit zu beenden . Warum? Weil das bisherige Gesetz ungerecht war . Das war ein schlechtes Gesetz, Herr von Stetten . Diesen Auftrag umzusetzen, ohne das Steueraufkommen zu erhöhen, wie von der Union verlangt, kommt einer Quadratur des Kreises gleich . Liebe Kolleginnen und Kollegen, herausgekommen ist ein politischer Kompromiss, der kleinste gemeinsame Nenner; nicht mehr und nicht weniger . Sollte das Gesetz in Karlsruhe erneut scheitern, dann trägt hierfür einzig und allein die Union die Verantwortung . Ein Gerechtigkeitsempfinden bei der Christlich-Sozialen Union zu verlangen, war wahrlich zu viel verlangt . Horst Seehofer hat sich hier als der größte Bremsklotz erwiesen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukünftig wird das Betriebsvermögen ab 90 Millionen Euro, also bei den Superreichen, ohne Nachweis einer Bedürfnisprüfung nicht mehr verschont werden . Das ist ein großer Erfolg, den ich nicht kleinreden werde . Die Bedürfnisprüfung ist ein großer Schritt nach vorne . Wer in Zukunft eine Verschonung von der Erbschaftsteuer erreichen will, der muss seine privaten Vermögensverhältnisse endlich offenlegen . Das ist auch ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit . Hierfür werden wir Sozialdemokraten uns auch in Zukunft einsetzen . Wenn es um eine zukünftige Reform der Erbschaftsteuer geht, werden wir daran anknüpfen . Statt Ministerin Monika Heinold ({0}) 90 Millionen Euro wären beispielsweise 20 Millionen Euro ein vernünftiger Schwellenwert gewesen . ({1}) Das war in den Eckwerten, die Herr Finanzminister Schäuble vorgelegt hat, auch ursprünglich vorgesehen . Herr Dr . Meister weiß das nur zu gut . Allerdings haben im Rahmen der Beratungen die Lobbyvereine, die Familienunternehmer wohl dermaßen intensiv an die Tür geklopft, dass diese Eckwerte entschärft wurden . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich befürchte, dass Unternehmen auch in Zukunft Gestaltungsspielraum haben . Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt . Ich habe auch Bedenken, ob diese Regelungen in Karlsruhe Bestand haben werden . Die Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen teilen meine Einschätzung . Wir Sozialdemokraten wollen eine Erbschaftsteuer, die einen signifikanten Beitrag zum Abbau der enormen Vermögensungleichheit in diesem Land leistet . Das bleibt auch in Zukunft auf unserer politischen Agenda . Auch hätten wir das Steueraufkommen erhöhen können, ohne Arbeitsplätze zu gefährden . Hierfür lagen Konzepte vor . Das hat beispielsweise das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung vorgerechnet . Von 2009 bis 2014 wurden über 170 Milliarden Euro Betriebsvermögen steuerfrei übertragen . Dadurch sind unserem Gemeinwesen 43 Milliarden Euro entgangen . Das hing mit der Überprivilegierung der größten Vermögen zusammen . Das wollen wir mit der Einführung der Bedürfnisprüfung jetzt abschaffen . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erbschaftsteuer ist keine Bagatellsteuer . Wenn man sie gerecht gestaltet, führt sie auch zu Mehreinnahmen . In der Vergangenheit haben die Vergünstigungen dazu geführt, dass die Einnahmen nicht sehr hoch waren . Das wollen wir ändern, indem wir das eine Prozent der Superreichen belasten wollen . Ich kann leider nicht verhehlen, dass ich mir eine andere Lösung gewünscht hätte . Das ist auch die Meinung vieler meiner Kollegen . Umso mehr bedauere ich, dass es in den anderthalb Jahren der Beratungen keinen Gesetzentwurf der Länder zu dieser Frage gab . ({4}) Das wäre wirklich sinnvoll gewesen, weil die Einnahmen den Ländern zufließen. Ich bin auf die Haltung Baden-Württembergs zu dieser Frage in der Sitzung des Bundesrates gespannt . Von Linken und Grünen war heute nur unqualifizierte Kritik zu hören . Daher wüsste ich gerne: Was sind eure Konzepte? Wo sind eure Anträge und Änderungsanträge? Ich habe bisher noch keine gesehen . ({5}) Im Übrigen, Frau Paus, schafft das, was Ihre Kollegen von den Grünen vorgeschlagen haben, nämlich eine Flat Tax von 15 Prozent, wahrlich kein relevantes Mehraufkommen, und es ist auch nicht gerecht . Große Betriebsvermögen müssen angemessen besteuert werden . Hoffentlich gelingt das in der nächsten Legislatur unter anderen Mehrheitsverhältnissen besser . Das geht aber nur mit progressiven Steuersätzen; es geht nicht mit Flat-Tax-Modellen, die Sie aus der neoliberalen Mottenkiste herausgekramt haben . ({6}) Vielen Dank . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Fritz Güntzler das Wort . ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute das Erbschaftsteuerrecht . Ich glaube, kein Steuergesetz ist so dafür geeignet, ideologische Debatten zu führen . Frau Wagenknecht, Sie haben das auch bewiesen. Ich finde es interessant, dass nicht die Fachpolitiker der Linken gesprochen haben, sondern dass Sie eine ideologische Rede gehalten haben . ({0}) Es hätte mich schon interessiert, wie Sie am Gesetzentwurf entlang argumentiert hätten . ({1}) Erstaunt bin ich auch über Ihren Beitrag, Frau Ministerin Heinold . Der Bundesrat hat, glaube ich, nicht gerade bewiesen, dass er in diesem Punkt leistungsstark ist . ({2}) Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer . Von daher wäre es auch Aufgabe der Länder gewesen, sich zu einigen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, über den wir gerne debattiert hätten . ({3}) Sie aber haben die Verantwortung auf den Bund geschoben, und wir mussten Ihnen etwas vorlegen . Jetzt kritisieren Sie daran herum, ohne einen eigenen konkreten Vorschlag vorzulegen . ({4}) Meine Damen und Herren, zum Thema Beratung: Das Urteil stammt vom 17 . Dezember 2014 . Herr Minister Schäuble hat zügig ein Eckpunktepapier vorlegt . Wir haben dann im September letzten Jahres hier die erste Lesung gehabt . Wir haben alle Punkte umfassend diskutiert und angesprochen . Wir haben im Ausschuss auch dargelegt, dass die Dinge, die von den Grünen und von den Linken bemängelt worden sind, in der Anhörung besprochen und andiskutiert worden sind . Von daher kann ich überhaupt nicht verstehen, dass man kurz vor Toresschluss sagt: Wir haben gar nicht mitberaten . - Dann haben Sie, Herr Pitterle, die ganze Zeit über Ihre Arbeit nicht gemacht . Das ist die Wahrheit! ({5}) Meine Damen und Herren, über das Urteil ist ja viel geschrieben worden . Die Überschriften lauteten immer: „Das Erbschaftsteuerrecht ist verfassungswidrig .“ Das ist zu kurz gegriffen . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Steuerbefreiung und die Verschonungsregelung grundsätzlich verfassungskonform sind . Es hat sogar gesagt, dass wir Unternehmensvermögen bis zu 100 Prozent freistellen können, wenn wir die richtige Begründung dafür geben . Das bisherige System wurde im Grundsatz durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt . Das war ein Erfolg . Der Erfolg hat auch sozusagen einen Sohn, das ist der Staatssekretär Dr . Michael Meister, der uns in Karlsruhe hervorragend vertreten hat . ({6}) Worum geht es? Es geht um etwas, was hier in der Debatte meines Erachtens viel zu kurz gekommen ist, nämlich um die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Investitionsfähigkeit von Unternehmen . Denn es ist so: Wenn ein Unternehmen in die nächste Generation übertragen wird, kommt es zu Erbschaftsteuerzahlungen, die - über Ausschüttungen oder Entnahmen - aus dem Unternehmen genommen werden müssen . Dies gefährdet das Unternehmen . Von daher gefährdet es auch Arbeitsplätze, meine Damen und Herren . Deshalb ist es kein Geschenk an die Unternehmer, sondern aus volkswirtschaftlichen Gründen sinnvoll, diese Unternehmensübergaben steuerfrei zu stellen, um die Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern . ({7}) Natürlich befinden wir uns in einem Spannungsfeld, wenn wir verschonen . Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ja auch ausgeführt . Es hat gefordert, das vernünftig zu begründen . Frau Paus, Sie haben auch wieder ausgeführt - auch die Linken haben das getan -, alles sei verfassungswidrig . Sie sind aber das einzelne Argument dafür schuldig geblieben, an welcher Stelle es verfassungswidrig ist . Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen klaren Auftrag gegeben, was wir zu ändern haben . Dabei geht es darum, dass wir bis jetzt bis zu 50 Prozent Verwaltungsvermögen - sozusagen schlechtes Vermögen - in Zukunft nicht mitübertragen dürfen . Diesen Satz senken wir auf 10 Prozent . Damit haben wir dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen . Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wir die Gestaltungsanfälligkeit des Erbschaftsteuerrechts minimieren müssen . Auch das haben wir sogar schon vorher getan . Für die Cash-GmbHs haben wir eine Lösung über den Finanzmitteltest herbeigeführt . Herr Kollege Gambke, Sie müssten mir einmal neue Gestaltungen nennen . Ich bin ja beratend tätig . In diesem Gesetz habe ich keine neuen Gestaltungen gefunden, Sie anscheinend solche . Sie könnten uns diese ja dann verraten . Dann hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass wir in Bezug auf die Lohnsummenregelung bei den kleinen Unternehmen mit über 20 Arbeitnehmern keine Befreiung von der Bürokratie vornehmen, wir müssten darunter gehen . Nun haben wir uns auf fünf Arbeitnehmer geeinigt, ursprünglich waren es ja drei Arbeitnehmer . Es wurde diskutiert, wie viele Unternehmen davon betroffen sind . Das weiß eigentlich keiner . Wir können das Statistische Bundesamt befragen . Dann sehen wir die Grundgesamtheit der Unternehmen in Deutschland, die davon betroffen sind . Die eigentliche Frage aber, die wir uns stellen müssen, lautet ja, wie viele von diesen Unternehmen tatsächlich in die nächste Generation übertragen werden . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen das kann man aber auch nachlesen -, dass gerade bei kleineren Unternehmen eine Übertragung in die nächste Generation gar nicht stattfindet. Von daher müssen Sie das richtige Vergleichspaar suchen . Ich sage Ihnen noch einmal sehr deutlich: Ein Großteil dieser Übertragungen unterliegen den persönlichen Freibeträgen der Erbschaftsteuer, sodass es gar nicht zu einer Steuerbelastung käme . Von daher glaube ich, dass wir auch bei diesem Punkt auf einem guten Weg sind . ({8}) Letztlich hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen, die deutsche Wirtschaft in kleine, mittlere und große Unternehmen einzuteilen . Wir haben heftig darüber diskutiert, ab wann ein großes Unternehmen beginnt . Da gibt es unterschiedliche Definitionen. Wir haben uns jetzt an die Steuerklasse gehalten und sind bei 26 Millionen Euro gelandet . Ich verweise gerne auf die schöne Textziffer 175 des Bundesverfassungsgerichtsurteils, wo sogar auf einen rot-grünen Gesetzentwurf verwiesen wird, nach dem sogar eine Grenze von 100 Millionen Euro möglich gewesen wäre . Wir haben uns aber auf 26 Millionen Euro verständigt, um auch hier auf einem sicheren Weg zu gehen . Ich glaube, das ist eine vernünftige Lösung . Danach werden wir die Bedürfnisprüfung haben, die wir uns auch nicht ausgedacht haben . Zum einen geht es um die Verschonungsbedürftigkeit . Da beziehen wir sogar das Privatvermögen mit ein, und wir schauen, ob das Bedürfnis der Verschonung gegeben ist, weil vielleicht genug privates Vermögen vorhanden ist, um 50 Prozent davon zur Bezahlung der Erbschaftsteuerschuld einzusetzen . Parallel wird es ein Abschmelzmodell geben, was leider aus meiner Sicht etwas gemindert wurde; Herr Schneider hat darauf hingewiesen . Wir hatten uns das etwas anders vorgestellt. Ich finde es richtig, dass wir mit der Grenze von 26 Millionen Euro nicht quasi ein Fallbeil haben und wir von einer 85-prozentigen oder 100-prozentigen Verschonung auf eine Nullverschonung gehen, sondern wir einen gleitenden Übergang haben . ({9}) Das waren die Aufgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat . Die haben wir gelöst . Wir haben sogar noch eine Verbesserung erreicht, indem wir mit der Investitionsklausel den Unternehmern die Möglichkeit geben, Liquidität, die zu viel im Unternehmen ist, zum begünstigten Vermögen zu machen; denn es ist so, Frau Paus, dass sich die Unternehmer nicht nur auf die Kreditinstitute verlassen, sondern das Geld auch im Unternehmen ansammeln, um dann die Investition zu tätigen . Es wäre nun wirklich dumm, wenn der Unternehmer gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die Liquidität angesammelt ist, verstirbt und der Sohn oder die Tochter darauf Steuern zu zahlen hätten . Vielmehr müssen sie dann die Investition tätigen können, damit das Unternehmen weiterhin in der bisherigen Form erhalten bleibt und auch die Arbeitsplätze erhalten werden können . Von daher ist die Investitionsklausel eine gute Lösung . ({10}) Wir haben uns auch mit der Bewertung beschäftigt . Sie haben ein Zahlenbeispiel gebracht . Sie sind von einer utopischen Bewertung ausgegangen . Wir haben mittlerweile im vereinfachten Ertragswertverfahren einen Faktor von 18 . Alle Unternehmer, die ich kenne, würden für den Faktor von 18 ihr Unternehmen wahrscheinlich sofort veräußern, weil das völlig irreal ist . Wir haben deshalb jetzt eine Lösung gefunden, sodass das vereinfachte Ertragswertverfahren zu halbwegs vernünftigen Ergebnissen führt . Es steht übrigens im Gesetz, dass das Verfahren nur anzuwenden ist, wenn es nicht zu unrealistischen Ergebnissen führt . Wir hätten es eigentlich schon jetzt gar nicht mehr anwenden dürfen, weil der Faktor von 18 völlig unrealistisch ist . Ich sage Ihnen: Auch ein Faktor von 10 ist unrealistisch . ({11}) Von daher sind viele gut beraten, vielleicht ein Gutachten bei einem Wirtschaftsprüfer in Auftrag zu geben, um zu einem niedrigeren Wert zu kommen . Meine Damen und Herren, ich glaube, in der Kürze hätten Sie die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, warum das Gesetz verfassungswidrig ist . Ich fand Ihre Argumente wenig überzeugend . Ich glaube, dass wir angesichts des Rahmens, der hier mehrfach geschildert worden ist, einen guten Kompromiss erzielt haben . Ich würde mir wünschen, dass der Bundesrat nicht blockiert, sondern dieses Gesetz mit beschließt, damit wir zügig Rechtssicherheit für die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland bekommen . Zum Schluss - damit ich in meiner Redezeit bleibe, Herr Präsident - erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung . In diesem Prozess zur Erarbeitung des Erbschaftsteuergesetzes habe ich mich sehr ausgiebig mit unserem Kollegen Philipp Graf Lerchenfeld auseinandergesetzt . Wir haben gemeinsam diskutiert . Ich weiß, dass Graf Lerchenfeld am Fernseher die Debatte verfolgt, weil er gesundheitlich ein wenig angeschlagen ist . Ich wünsche ihm gute Besserung . Lieber Philipp, alles Gute von hier! ({12}) Danke . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner ist der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion . ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine Bemerkung zu Ministerin Heinold machen; denn ich kann ihre Kritik in Teilen verstehen . Aber dann irritiert wirklich, dass die Länder für eine Ländersteuer kein eigenes Gesetz vorgelegt haben . Die Möglichkeit hätte bestanden . ({0}) In diesem Gesetz hätten Sie all die Punkte, die Sie berechtigterweise ansprechen, regeln können . Insofern fand ich das ein bisschen gewagt . Ich habe vorhin applaudiert, als Carsten Schneider gesagt hat, wir hätten ein gutes Gesetz gemacht . ({1}) Ich meine auch, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten, die wir haben, ein gutes Gesetz gemacht haben . Nun muss man sagen: Der Rahmen ist nicht ganz einfach . Das Bundesverfassungsgericht hat uns eine Reihe von Bedingungen diktiert, die aber doch unspezifisch sind. Wir hatten viele Möglichkeiten, über die einzelnen Grenzen zu streiten . Etwas hat mich sehr gestört . Da spreche ich Ralph Brinkhaus, Gerda Hasselfeldt und Carsten Schneider an; denn die haben einen sehr guten Kompromiss erarbeitet . ({2}) Wenn man so etwas erreicht hat und alle unterschreiben das - vielen Dank für den Applaus -, dann frage ich mich, wie es möglich ist, dass die CSU nach Hause geht, anschließend zurückkommt und dann sagt: Wir machen doch nicht mit . - Diese Art der Unzuverlässigkeit mindert das Vertrauen in die Politik . ({3}) Ich meine, an Vereinbarungen muss man sich halten . Dann sind alle auf einem verlässlichen Pfad . Ich glaube, was da passiert ist, hat große Verwerfungen zur Folge gehabt . Insofern ist das, was Sigmar Gabriel, die Kanzlerin und Herr Seehofer verhandelt haben, fachlich marginal, aber politisch wichtig . Ich bin Sigmar Gabriel dankbar, dass es ihm in diesem Dreiecksverhältnis gelungen ist, den Streit zwischen CDU und CSU zu schlichten . Interessant ist, dass das Aufgabe der SPD geworden ist . ({4}) Das ist tatsächlich bemerkenswert . Wir sind für eine weitere Randbedingung: Wir wollten das Aufkommen erhalten und sogar erhöhen . Das mag nicht ganz leicht sein . An meinem Platz stehen zwei Gläser . Am Inhalt dieser Gläser spiegelt sich all das wider, was in Deutschland erarbeitet wird . Das, was in dem einen Glas ist, entspricht fast allem; es gehört ganz wenigen . In dem anderen Glas ist nichts; das entspricht dem, was allen anderen gehört . Das Bruttovermögen je Haushalt in Deutschland liegt bei 240 000 Euro . Ich bitte Sie, die Zuhörerschaft, einmal zu prüfen, wer von Ihnen ein Vermögen von 240 000 Euro hat und wie viele ein Vermögen haben, das darunter liegt . Unabhängig davon, wer nun ein Handzeichen gibt, weiß ich: Das Vermögen der meisten liegt darunter . Übrigens beträgt das durchschnittliche Nettovermögen 215 000 Euro . 10 Prozent der Menschen verfügen über 60 Prozent des Vermögens . Der Gini-Koeffizient liegt bei 76 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich sehr hoch . 80 Prozent der Vermögen stammen aus Erbschaften . Nun haben wir heute von Hans Michelbach gelernt: Erwirtschaften geht vor Verteilen . Ich sage es noch einmal: Erwirtschaften geht vor Verteilen . Ich kenne ganz viele Töchter und Söhne, an die wurde zuerst verteilt, und anschließend wurde das Unternehmen, das sie erbten, ruiniert . Was Hans Michelbach gesagt hat, ist also eigentlich falsch . Die meisten Vermögen entstehen nicht durch Erwirtschaften, sondern durch Verteilen, bevor etwas erwirtschaftet worden ist . Das ist die Realität . ({5}) - Ich beschreibe eigentlich nur die jetzigen Verhältnisse . Wenn das Sozialismus ist, dann ist das eine interessante Sache, was die Unternehmen angeht . ({6}) Insofern ist es wichtig, dass wir Konzentrationsprozessen begegnen . Dazu muss man sagen: Obwohl es im Rahmen unserer Möglichkeiten ein guter Gesetzentwurf ist, werden wir das Ziel, diesen Prozessen zu begegnen, mit Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nicht erreichen . Sie fragten: Warum verabschieden wir ihn trotzdem? Die Antwort ist einfach: Wir wollen die Erbschaftsteuer natürlich erhalten, die sonst infrage gestellt worden wäre, und wir wollen die Arbeitsplätze erhalten . Das sind zwei wichtige Kriterien, derentwegen wir diesem Gesetzentwurf natürlich zustimmen . ({7}) Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, wir überprivilegierten . Die Überprivilegierung haben wir zurückgenommen . Insofern wird das Gesetz verfassungsfester sein .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Sekunde noch . - Allerdings muss man feststellen: In den Anhörungen haben die Sachverständigen zum Teil gesagt, das Gesetz sei zulässig . Andere Sachverständige haben gesagt: Es ist unzulässig . Im Spannungsfeld dieses Urteils ist es klug, dass sich Norbert Walter- Borjans eine Prüfung vorbehalten hat . Das ist nicht nur sein gutes Recht, sondern auch seine Pflicht. Das entspricht unserem Umgang mit einer guten Gesetzgebung . Deshalb kann man diesem Gesetzentwurf heute zustimmen . Alles andere obliegt der Zukunft . Schönen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkung- steuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts . Ich mache darauf aufmerksam, dass ich inzwischen über 30 persönliche Erklärungen zur Ab- stimmung vorliegen habe, die wir wie immer in solchen Fällen dem Protokoll beifügen .1) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf der Drucksache 18/8911, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5923 und 18/6279 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- tion bei einzelnen Gegenstimmen und Enthaltungen aus den Reihen der Koalition angenommen . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt . Ich darf deswegen die Schriftführerinnen und Schriftführer bit- ten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn die Abstimmungsurnen komplett besetzt sind . - Wunderbar . Ich eröffne die Abstimmung . Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich frage noch einmal, ob jemand im Saal und abstimmungsberechtigt ist, der seine Stimmkarte nicht abgegeben hat . - Das ist offensichtlich 1) Anlagen 2 und 3 Lothar Binding ({0}) nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung während des nächsten Tagesordnungs- punktes bekannt, sobald es vorliegt .1) Jetzt wäre es schön, wenn diejenigen, die beim nächsten Tagesordnungspunkt mitwirken wollen oder müssen, ihre Plätze einnähmen und die anderen ihre noch wichtigeren Geschäfte außerhalb des Plenarsaals weiterverfolgten . Ich rufe nun die Zusatzpunkte 10 und 11 auf: ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie Drucksachen 18/4713, 18/4949 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1}) Drucksache 18/8916 ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrlochbergbau und Kavernen Drucksachen 18/4714, 18/4952 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2}) Drucksache 18/8907 Zu dem Gesetzentwurf zur Fracking-Technologie liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Zu dem Gesetzentwurf zur Bergschadenshaftung liegt ebenfalls ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fracking-Technologie werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Matthias Miersch für die SPD-Fraktion . ({3})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, nach einem Jahr intensiver Beratung können wir 1) Ergebnis Seite 17791 D feststellen, dass das, was hier heute vorliegt, ein Riesenerfolg für dieses deutsche Parlament ist . ({0}) Vor einem Jahr haben wir hier miteinander gestritten . Es lag ein Entwurf der Bundesregierung vor, und wir haben viele Punkte angesprochen: Reicht dieses Verbot, weil es auf den Bereich oberhalb von 3 000 Metern Tiefe begrenzt war? Wie ist das mit dem unkonventionellen Erdöl? Wie ist das mit einer Expertenkommission? Es haben viele Demonstrationen stattgefunden . Viele Organisationen und viele Bürgerinnen und Bürger haben sich eingebracht . Auch die Länder, die vor allen Dingen betroffen sind, haben sich zu Wort gemeldet . Das Land Niedersachen, dessen Anteil an der deutschen Erdgasförderung bei über 90 Prozent liegt, hat uns über seinen Landtag vor gut einem Jahr einen rot-grünen Entschließungsantrag zur Kenntnis gegeben . Der energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Niedersachsen hat in seiner Rede zu diesem Entschließungsantrag vor einem Jahr Folgendes zu Protokoll gegeben: Die entscheidenden Fragen sind doch: Wie gehen wir mit der unkonventionellen Erdgasförderung um? … Wird es bei uns auch massives Fracking wie in den USA geben? Weiter heißt es - er kritisiert -: Statt klarer Ansage gibt es nun vom Bund die schlichte Ankündigung, dass über den Einstieg ins kommerzielle Fracking nach 2018 eine Expertenkommission entscheiden soll . … Das ist aus meiner Sicht politische Arbeitsverweigerung, ein Sich-Wegducken vor Verantwortung . Bei so weit reichenden Entscheidungen darf man sich nicht hinter Experten verstecken . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheimnis, dass wir über genau diese Punkte lange gestritten haben . Aber heute beschließen wir in Deutschland erstmals ein klares Verbot für unkonventionelles Fracking . Das ist ein Riesenerfolg . ({2}) Dieses Verbot, auch wenn man dazu anderes lesen kann, ist unbefristet und gilt bundesweit . Davon kann nicht abgewichen werden . ({3}) Darüber hinaus haben wir diskutiert, ob auf dem Umweg über Probebohrungen dieses Verbot umgangen werden kann . Hierzu haben wir festgelegt, dass keine unbegrenzte Zahl von Probebohrungen möglich ist, sondern maximal vier . Diese stehen unter dem Vorbehalt, dass die jeweilige Landesregierung zustimmt . Auch das ist ein deutlicher Erfolg . ({4}) Präsident Dr. Norbert Lammert Der zentralste Punkt - ich will das an dieser Stelle sagen - war natürlich auch der umstrittenste: Die Expertenkommission kann keinen Übergang ins kommerzielle Fracking erlauben, sondern sie monitort die Probebohrungen und berichtet dem Bundestag . Der Bundestag hat dann die Möglichkeit, 2021 zu überlegen, wie er mit dem Verbot umgeht . Macht er nichts, bleibt dieses Verbot bestehen, und das ist das Entscheidende . ({5}) Ich glaube, dass wir damit auch ein Signal für andere Felder gesendet haben, weil es eine Tendenz gibt, wichtige Entscheidungen vom Parlament in Expertengremien zu verlagern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was der energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion Niedersachsen gesagt hat, finde ich richtig. Dieses Parlament darf sich nicht vor wichtigen Entscheidungen drücken . „Fracking, ja oder nein?“ ist keine Frage für Experten . ({6}) Aber wir machen darüber hinaus noch viel mehr . Meine Kollegen werden darauf eingehen . Ich weiß, dass viele in Niedersachsen sehr skeptisch sind, weil es um die Technik von vielen Jahrzehnten geht . Aber auch hier führen wir hohe Umweltstandards ein . Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel hat vor wenigen Tagen erklärt, dass es langwierige Genehmigungsverfahren geben wird . Diese Aussage resultiert aus der Erkenntnis, dass man nicht alles einfach durchwinken kann . Es wird um eine Abwägung gehen . Die Umwelt wird dabei einen großen Stellenwert bekommen . ({7}) Wir als Parlament werden sorgfältig darauf achten und fragen müssen: Wie geht die Industrie und wie gehen die Genehmigungsbehörden mit dem neuen Gesetz um? Ist das, was wir uns versprechen, ein wirklicher Fortschritt, wenn es auch um Kommunikation geht? Wenn die Industrie jetzt schon wieder Krokodilstränen weint, dann muss man doch sagen: Wenn ihr die Leute mitnehmen wollt, dann könnt ihr es nicht so machen wie bisher, sondern ihr müsst kommunizieren, ihr müsst Daten offenlegen, ihr müsst miteinander ins Gespräch kommen . Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir heute, glaube ich, auch was die konventionelle Förderung angeht, einen großen Beitrag geleistet . Ich bedanke mich bei allen, die hieran konstruktiv mitgewirkt haben . Vielen Dank . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 569 . Mit Ja haben gestimmt 447, mit Nein haben gestimmt 119 . 3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten . Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 446 nein: 119 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Katrin Albsteiger Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr . Maria Böhmer Norbert Brackmann Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({1}) Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Olav Gutting Christian Haase Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({2}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({3}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({4}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h . c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({5}) Stefan Müller ({6}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({7}) Gabriele Schmidt ({8}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({9}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({10}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer ({11}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({12}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({13}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({14}) Sabine Weiss ({15}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({16}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({17}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({18}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({19}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({20}) Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange ({21}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({22}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({23}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({24}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Annette Sawade Axel Schäfer ({25}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({26}) Matthias Schmidt ({27}) Dagmar Schmidt ({28}) Carsten Schneider ({29}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({30}) Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Dirk Wiese Waltraud Wolff ({31}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Marco Bülow Christian Petry DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Roland Claus Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr . Gregor Gysi Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller ({32}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Harald Petzold ({33}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr . Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({34}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({35}) Volker Beck ({36}) Dr . Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({37}) Christian Kühn ({38}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({39}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten SPD Dr . Hans-Joachim Schabedoth Ewald Schurer Peer Steinbrück Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel für die Fraktion Die Linke . ({40})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fracking ist eine Gefahr für Mensch und Natur . Fracking ist eine teure und unbeherrschbare Risikotechnologie . ({0}) Es geht um Grund- und Trinkwasserverseuchung durch Chemikalien, aufsteigendes Methan und Lagerstättenwasser . Fracking und die Verpressung von Lagerstättenwasser können Erdbeben hervorrufen, wie wir sie jetzt schon in Niedersachsen erleben . Die Entsorgung der Bohrschlämme, die in der Regel Giftmüll darstellen, ist angesichts sinkender Deponiekapazitäten ungeklärt, wie wir es im Moment auch in Niedersachsen erleben . Die Versenkung von Lagerstättenwasser, das insbesondere radioaktive Isotope, Quecksilber und Benzol enthält, erfüllt nicht die Anforderungen an eine geordnete Abfallentsorgung . Die Klimabilanz von gefracktem Erdgas ist miserabel, insbesondere wegen zahlreicher Lecks und diffuser Quellen bei der Förderung . Auch das muss gesagt werden . ({1}) Wir steigen in eine neue Runde der Karbonisierung ein, anstatt weiter auf die Dekarbonisierung zu setzen . ({2}) Es werden Mondlandschaften hinterlassen . Solange die Ursachen der erhöhten Krebsraten an Gasförderstandorten in Niedersachsen nicht aufgeklärt sind, ist es unverantwortlich, an Fracking auch nur zu denken . ({3}) Daher fordert die Linke ein gesetzliches Fracking-Verbot ohne Ausnahmen . ({4}) Dazu liegt Ihnen heute ein Entschließungsantrag unserer Fraktion vor . Die Bundesregierung hat hingegen überfallartig ein Pro-Fracking-Recht auf den Tisch gelegt . ({5}) Ein durch Anträge der Großen Koalition leicht modifiziertes Fracking-Regelungspaket soll das gefährliche Gasbohren ermöglichen . Zur Aufsuchung und Gewinnung von Gas und Öl in bestimmten Sandgesteinsarten, sogenannten Tight-Gas-Reservoirs, soll problemlos gefrackt werden können . Legen Sie nicht wieder die alte Platte von konventionellem und unkonventionellem Fracking auf, wie ich es gerade gehört habe . Das ist völlig unhaltbar . Es geht um konventionelle Lagerstätten und unkonventionelle Lagerstätten . ({6}) Tight-Gas-Reservoirs gehören deutlich zu den unkonventionellen Lagerstätten. Das ist die Definition der BGR, der ich mich an dieser Stelle ausdrücklich anschließe . ({7}) Dies soll jetzt in jeder Tiefe möglich sein, also auch bis zur Oberfläche. Damit sind Grundwasserverseuchungen vorprogrammiert . Ein genereller Ausschluss von TightGas-Fracking in einem Bundesland ist nicht möglich, da hierfür im Gesetz keine Länderklausel existiert . Auch das gehört zur Wahrheit . Fracking soll auf weiten Teilen der Fläche Deutschlands möglich sein . Selbst vor Natura-2000-Gebieten schrecken Sie nicht zurück . Das Verbot von Förderanlagen in diesen Gebieten gilt nicht bei der Ausbeutung von Tight-Gas-Lagerstätten . Damit können die Bohrtürme zukünftig auf den sensibelsten Flächen errichtet werden . Das ist ein absoluter Skandal . ({8}) Außerdem gibt es in dem neuen Gesetzentwurf keine Stärkung der Wasserbehörden . Dazu hätten Sie klarstellen müssen, dass Fracking und das Verpressen von Lagerstättenwasser eine echte Gewässerbenutzung mit der Charakterisierung „Einbringen und Einleiten von Stoffen in Gewässer“ darstellen . ({9}) Denn damit würde auch der Besorgnisgrundsatz des Wasserhaushaltsgesetzes Anwendung finden. Aus Wortlaut und Begründung des Gesetzentwurfes ergibt sich jedoch, dass dieser für Fracking und Verpressung nicht gelten soll . Wasserbehörden, die ihn bisher herangezogen haben, werden empfindlich geschwächt. Mit der heutigen Beratung über das Pro-FrackingRecht erleben wir eine weitere Phase eines abgekarteten Spiels . ({10}) Das muss an dieser Stelle auch sehr deutlich gesagt werden . ({11}) Mehr als ein Jahr hat das Fracking-Erlaubnisgesetz der Bundesregierung vor sich hin geschmort, ohne dass irgendetwas beschlossen wurde . Wir haben immer wieder entsprechende Kleine Anfragen und schriftliche Fragen gestellt . Wir mussten uns dann sogar von Ihnen noch vorwerfen lassen, wir würden hier ohne Debatte im Bundestag über irgendetwas diskutieren wollen . Dann kam am 15 . Juni Martin Bachmann, der Vorsitzende des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie, und hat mit seiner Ankündigung, das faktische Fracking-Moratorium in Niedersachsen aufzukündigen, SPD und CDU unter Druck gesetzt . ({12}) Der niedersächsische Wirtschaftsminister, der Sozialdemokrat Olaf Lies, wies dies nicht zurück, sondern unterstützte Bachmann per Videobotschaft an den Verband . Lies drohte, die Voraussetzungen für Fracking in Niedersachsen selbst zu schaffen, falls kein bundesweites Fracking-Recht kommt . Dies haben dann die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen willig aufgegriffen, um die Voraussetzungen für Fracking im Windschatten der Fußballeuropameisterschaft durchzupeitschen . Genau das passiert hier jetzt . ({13}) Erst Dienstagabend, wohlgemerkt, erhielten wir die entsprechenden Änderungsanträge . Bereits am Mittwoch wurde in den Ausschüssen abgestimmt . Sie wissen ganz genau, dass ich um zwei Wochen Verlängerung gebeten habe; wir hätten es möglicherweise noch vor der Sommerpause beschließen können, aber wir, die Opposition, hätten tatsächlich die Möglichkeit gehabt, diese Sachen vernünftig zu prüfen . ({14}) Das haben Sie abgelehnt. Deswegen findet hier heute schon die dritte Lesung statt . Es ist meines Erachtens klar, dass so die Demokratie ausgehebelt wird . Was hat das denn damit noch zu tun? ({15}) Was auch bezeichnend ist: Die angeblichen Fracking-Gegner aus der SPD, wie zum Beispiel Herr Klingbeil, die vor Wochen noch lautstark eine seriöse und intensive Debatte zum Thema gefordert haben, sind plötzlich verstummt . Es ist vor allem das Ergebnis dieses doppelten Spiels der SPD, die sich nach außen gerne frackingkritisch gibt, aber entgegengesetzt handelt, wenn heute überfallartig ein Pro-Fracking-Recht verabschiedet werden soll . ({16}) Wenn Sie gegen Fracking sind, wie Sie es vorgeben, haben Sie heute die Möglichkeit, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen . Die Gasindustrie erhält jetzt genau das, was sie vehement gefordert hat - dem beugt sich die Große Koalition -: ({17}) Rechtssicherheit für eine verstärkte Gasgewinnung mit der Fracking-Technik in Tight-Gas-Reservoirs, die es bisher nicht gegeben hat, und eine Option auf Schiefergasförderung für andere Zeiten, wenn sich das teure Fracking nach Gas und Öl in diesen Gesteinsschichten wieder rechnen sollte . Im Gewand von vier wissenschaftlichen Erprobungsmaßnahmen in Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein können die Gaskonzerne mit ersten Aufsuchungsmaßnahmen beginnen . Die einseitig besetzte Expertenkommission zur Begleitung der Erprobungsmaßnahmen, aus der die Zivilgesellschaft ferngehalten wird, soll weiterhin installiert werden - zwar abgeschwächt, aber sie wird es geben . Um eine sichere Energieversorgung geht es bei diesem Gesetz sowieso nicht . Tight Gas trägt etwa zu 1 Prozent zur Energieversorgung in Deutschland bei . Dies könnte durch eine forcierte Energiewende schnell aufgefangen werden . ({18}) Es geht vor allem um Profite in Niedersachsen, wo sich ein Großteil der Tight-Gas-Vorkommen befindet. Ein ganzes Bundesland soll den Interessen der Gaskonzerne geopfert werden, die rechtssicher fracken wollen . Die Gasindustrie kommandiert, und die Große Koalition pariert - unter diesem Motto kann man es zusammenfassen . Das ist unerträglich und untergräbt die Demokratie . ({19}) Doch es hätte noch schlimmer kommen können: Ursprünglich sollte mit diesem Gesetz auch der unverzügliche großflächige Einstieg in die Schiefergasförderung erfolgen . Dies geschieht jetzt nicht . Das ist der Erfolg der zahlreichen Bürgerinitiativen und Umweltverbände, die sich immer dagegen gewehrt haben . ({20}) Es ist ein kleiner Fortschritt - das räume ich ein, Herr Schwabe -, dass die Restriktionen bei der Schiefergasförderung statt bis 2013 nun bis 2021 gelten sollen . Aber in den kommenden fünf Jahren wird die Gasindustrie intensiv nach Tight Gas fracken und Lobbyarbeit für Schiefergas-Fracking betreiben . Ich komme zum Schluss, Herr Präsident . ({21}) Deshalb fordern wir Sie auf: Beenden Sie jetzt alle Hoffnung auf Schiefergas . Streichen Sie die Probebohrungen, die Expertenkommission und die Überprüfung des Verbots des Schiefergas-Frackings . Geben Sie sich keinen Illusionen hin: Mit einer Entscheidung für Tight-GasFracking ist die Auseinandersetzung nicht beendet . Sie provozieren lediglich einen Kampf um jedes Bohrloch . Dabei stehen wir an der Seite der Bürgerinitiativen vor Ort für ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße sehr, dass wir heute für die konventionelle Erdgasförderung endlich einen tragfähigen rechtlichen Rahmen festlegen können, der Mensch und Umwelt sorgfältig schützt . Seit über fünf Jahren ist in Deutschland kein Antrag auf konventionelle Erdgasförderung mit der Anwendung der Fracking-Technologie mehr beschieden worden . Die Gasförderung in Deutschland ist kontinuierlich zurückgegangen . Ganze angegliederte Wirtschaftszweige sind bereits weggefallen . Wir haben auch einige Arbeitsplätze verloren, und qualifizierte Fachkräfte sind ins Ausland abgewandert . Ich denke, gerade nach der zuletzt gehörten Rede ist es notwendig, einiges klarzustellen, was an Fehlinformationen gegeben wurde . Es gab nie ein verbindliches Moratorium, auch wenn das häufig behauptet wird. Insofern gab es auch keine Erpressungsmöglichkeiten und auch keine Erpressungsversuche, wie den erdgas- und erdölfördernden Unternehmen dauernd und auch heute wieder unterstellt wird . Die Wahrheit ist: Es wurden auf freiwilliger Basis schlichtweg von den Unternehmen keine Anträge mehr gestellt, da die Politik zugesagt hatte, einen neuen ordnungsrechtlichen Rahmen für die Fracking-Technologie festzulegen, der den heutigen Anforderungen gerecht wird . Und so haben wir es damals auch im Koalitionsvertrag festgehalten: Wir wollen einen Gesetzesrahmen, mit dem wir Erdgas in Deutschland unter ökologisch verantwortbaren und wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördern können, bei dem - und das betone ich ganz besonders der Schutz des Menschen, seine Gesundheit und die Belange der Umwelt im Vordergrund stehen . ({0}) Diesen ordnungsrechtlichen Rahmen für die konventionelle Förderung, also für die Förderung des sogenannten Tight Gas, haben wir gefunden. Er findet sich in dem vorliegenden Gesetzentwurf wieder, und er ist gut . So haben wir beispielsweise festgelegt - jetzt kommen ein paar Fakten und keine Behauptungen -, dass die sogenannten Frack-Fluide, also die für das Offenhalten der Förderwege benötigten Flüssigkeiten, maximal die Wassergefährdungsklasse 1 haben dürfen. Das ist definitiv nicht giftig . Zum Vergleich: Shampoos enthalten häufig Inhaltsstoffe der Wassergefährdungsklasse 2, und die empfinden Sie vermutlich auch nicht als giftig. Wir weisen ausdrücklich Schutzgebiete aus, in denen keine Erdgas- und Erdölförderung in Zukunft erlaubt sein soll . Diese Regelung dient vor allem dem Schutz unseres Trinkwassers - das war ein besonderes Anliegen - bzw . des zur Herstellung von Lebensmitteln benötigten Wassers . Die Wasserbehörden haben künftig ein Vetorecht bei Genehmigungen; so viel zu dieser Fehlinformation . Wir verbieten die Errichtung von Anlagen zum Einsatz von Fracking-Maßnahmen in Nationalparks und Naturschutzgebieten . Das gilt selbstverständlich auch für die Tight-Gas-Förderung; die nächste Fehlinformation . ({1}) Wir führen außerdem zum ersten Mal umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfungspflichten ein, sodass schon bei der Aufsuchung, also dem Schritt vor der Förderung, eine erste UVP-Prüfung durchgeführt werden muss . So kann der gesamte Prozess der Förderung überwacht werden . Wir regeln den Umgang mit Lagerstättenwasser neu . Es darf künftig nur noch in jene Schichten zurückgeführt werden, aus denen es kommt . Auch dieser Rückführung muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschaltet werden . Ferner fordern wir die Länder auf, gemeinsam mit den Unternehmen Schlichtungsstellen zu schaffen, wie wir sie schon aus dem Kohlebergbau kennen, wo sie sich sehr bewährt haben, damit Schäden, die möglicherweise an Gebäuden in Fördergebieten entstehen, schnell und unproblematisch beseitigt werden können . Wir brauchen dazu die Länder; denn der Bund hat hier keine Gesetzgebungsbefugnis . Wir verschärfen außerdem das Bergschadensrecht . So wird die Beweislast für mögliche Bergschäden auch bei der Erdgas- und Erdölförderung sowie bei Kavernenspeichern den Unternehmen auferlegt . ({2}) Wir haben uns die Beratung dieses Gesetzentwurfs in den Koalitionsfraktionen - Herr Miersch hat es gerade schon gesagt - weiß Gott nicht leicht gemacht . Ich kann mich an kein Gesetz erinnern, bei dem ich in so vielen Sitzungen und Gesprächen mitgewirkt habe . Viele der neuen Regelungen, die wir heute verabschieden werden, sind in diesen Gesprächen entstanden und von der Regierung zum Teil schon im Kabinettsbeschluss aufgenommen worden . Dafür möchte ich mich bei beiden Ressorts ganz herzlich bedanken . ({3}) Wir haben uns dieser Mühe unterzogen, weil wir die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen haben . Wir wollten ihnen ein Gesetzeswerk liefern, das ihre Ängste und Befürchtungen zerstreut . Aber wir mussten während der ganzen Beratungen feststellen, bis heute die gerade gehaltene Rede war das beste Beispiel dafür -, dass es wohl nur wenige Themen gibt, die politisch so aufgeladen sind und bei denen es so viele Fehlinformationen gibt, bis hinein in die öffentlichen Medien . ({4}) Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Das Gesetz, dessen Entwurf heute verabschiedet wird, regelt ausschließlich den Bereich der sogenannten konventionellen Förderung, nicht den der Gasförderung im Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein. Für diese Art der Förderung sieht der Gesetzentwurf ein unbefristetes Verbot vor . Allerdings sollen bis zu vier Probebohrungen zugelassen sein, sofern die jeweiligen Landesregierungen diesen zustimmen . Ob es angesichts der Rahmenbedingungen dazu überhaupt kommt, muss nach heutiger Kenntnis erst einmal offen bleiben . Sollten jedoch Probebohrungen beantragt werden, wird zu deren Beobachtung eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt . Diese soll dann bis 2020/2021 einen Bericht vorlegen, der wiederum Grundlage für eine Überprüfung der Verbotsentscheidung durch den Bundestag im Jahre 2020/2021 sein soll . Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede eine persönliche Bemerkung machen . Unser Ursprungsvorschlag sah ebenfalls Probebohrungen und eine wissenschaftliche Kommission vor, die über die Machbarkeit von Fracking im unkonventionellen Bereich urteilen und ebenfalls einen Bericht vorlegen sollte . Wäre dieser positiv ausgefallen, hätte danach nach unserer Auffassung die kommerzielle Förderung erfolgen können . Das heißt, der Bundestag hätte in dieser Legislaturperiode abschließend entschieden und wäre seiner Verantwortung nachgekommen, wie wir es im Koalitionsvertrag ja auch festgehalten haben . Ich möchte aus meiner Einbringungsrede im Rahmen der ersten Lesung eine Passage zitieren, aus der hervorgeht, weshalb ich schon damals für eine solche Regelung eingetreten bin - ich zitiere -: Der zweite Punkt, warum meines Erachtens die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wichtig ist, hängt damit zusammen, dass wir auch ein Signal nach draußen setzen: dass sich Deutschland auch in schwierigen Feldern bewegen kann, dass wir uns nach wie vor technologieoffen zeigen und nicht ausschließlich an Verteilungsprozessen interessiert sind . Wir zeigen damit, dass wir - in Deutschland noch immer in der Lage sind, Innovationen anzustoßen und diese auch umzusetzen . Diesen Beweis sind wir nun leider nicht angetreten . Das bedauere ich persönlich ganz außerordentlich . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Gundelach . - Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite aus . - Die nächste Rednerin: Dr . Julia Verlinden für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich muss darauf hinweisen, dass ich das Verfahren so nicht okay finde. Erst passiert bei Ihnen zwölf Monate lang gar nichts - zumindest kriegen wir nichts mit -, und dann lässt man uns nur wenige Stunden vor der Beschlussfassung im Ausschuss die Vorlagen zukommen, über die abgestimmt werden soll, und das bei einem so wichtigen Thema, das wirklich viele Menschen in unserem Land beschäftigt . ({0}) Offenbar denken Sie: Es reicht doch, wenn unsere GroKo-Abgeordneten die Anträge kennen; wir haben ja die Mehrheit . - Aber ich sage Ihnen: Das ist kein sauberes parlamentarisches Verfahren . ({1}) Leider ist ein so kurzfristiges Agieren keine Ausnahme bei Ihnen, sondern wird jetzt anscheinend zur Regel . Ich finde das höchst undemokratisch. ({2}) Nun zum Thema . Der Fracking-Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem letzten Jahr wurde zu Recht von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Kirchen als nicht ausreichend kritisiert . ({3}) Auch der Bundesrat hat zahlreiche Änderungen gefordert . Ja, gerade den Bundesländern, in denen die Grünen mitregieren, ging der Gesetzentwurf wahrlich nicht weit genug . ({4}) - Umso besser . - Die Ablehnung von Fracking in der Bevölkerung war schon letztes Jahr sehr groß, und sie nahm mit der Zeit immer weiter zu . Ohne unser beharrliches Kämpfen für ein echtes Fracking-Verbot und ohne die Initiativen der Umweltverbände und der Aktiven vor Ort wäre im Bundestag wohl nichts passiert . ({5}) Es ist allerhöchste Zeit, dass etwas passiert - da sind wir uns einig -; denn bisher war Fracking gar nicht geregelt . Das musste endlich, und zwar auf Bundesebene, geschehen . ({6}) Dieser gesellschaftliche Druck war also richtig und wichtig . Er hat auch dafür gesorgt, dass Sie jetzt manche Punkte zusätzlich umgesetzt haben, um den Gesetzentwurf weiter zu verschärfen . Zum Teil sind Sie schon darauf eingegangen; Sie werden das mit Sicherheit weiterhin in der Debatte tun . So weit, so gut . Offenbar hat die SPD also genau das durchgesetzt, was sie immer wollte; jedenfalls feiert sie das Ergebnis . Okay, geschenkt . Die Erdgasindustrie sieht es ja auch so - ich zitiere aus der Pressemitteilung des Branchenverbandes von vor ein paar Tagen - und bezeichnet es als „positives Signal“ .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Mattfeldt?

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, der Name des armen Kollegen steht ja heute auch gar nicht auf der Rednerliste . Da muss er ja irgendwie noch zu Wort kommen . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es war jetzt nicht meine Frage, ob sein Name auf der Rednerliste steht, sondern, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte .

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Frau Kollegin Verlinden, auch Sie haben ja etwas zum heutigen Gesetzentwurf eingebracht . Sie wissen, dass ich aus der, was Erdgasförderung anbelangt, am stärksten krisengeschüttelten Region komme . Ich führe innerhalb der Unionsfraktion eine Gruppe - ich habe diese ins Leben gerufen -, der sich mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion angeschlossen haben . Diese Gruppe fordert genau das, was Sie eben angesprochen haben, nämlich Verschärfungen des eingebrachten Gesetzentwurfes . Einige Verschärfungen haben wir in dieser Unionsgruppe formuliert, erarbeitet und in den Gesetzentwurf eingebracht . ({0}) Lieber Kollege Miersch, auch Sie lobe ich noch . ({1}) Denn wir haben ja in dieser Sache - auch mit dem Kollegen Schwabe - sehr eng und sehr gut zusammengearbeitet . Aber nicht in dieser Angelegenheit mitgearbeitet deshalb finde ich, dass Sie sich hier jetzt ein wenig mit fremden Federn schmücken - haben Sie von den Grünen . ({2})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte?

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das sehen Sie auch, wenn Sie Ihren Antrag lesen . Ich wundere mich sehr, dass Sie Ihre gesamte Argumentation ausschließlich auf die Fracking-Technologie abstellen .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist -

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Verlinden, er darf erst einmal reden, und dann können Sie entsprechend mit Empathie antworten . - So, bitte .

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel aller derzeitigen Erdgasförderungen in Deutschland auf konventionelle Art und Weise, also ohne Einsatz der Fracking-Technologie, durchgeführt werden . Ich habe mich sehr gewundert, dass Sie in Ihrem Antrag ausschließlich schreiben, dass es durch den Einsatz der Fracking-Technologie zu Verunreinigungen des Grundwassers kommt, Bodenabsenkungen und Erdbeben auftreten können und dass auch die Entsorgung des Lagerstättenwassers, die damit einhergeht, ungeklärt ist . Deshalb lautet meine Frage: Tritt so etwas bei der konventionellen Förderung, bei der die Fracking-Technologie nicht eingesetzt wird, nicht auch auf? ({0}) Haben wir bei den anderen Formen der Förderung, die zwei Drittel ausmachen, nicht auch diese Probleme? Müssen wir nicht auch diese Probleme hier im Deutschen Bundestag lösen? Genau das tut dieser Gesetzentwurf jetzt . Er löst diese Probleme . Er löst die Probleme von Erdbebengeschädigten durch Beweislastumkehr . Das ist vernünftig . Vielleicht können Sie hierzu einmal Stellung nehmen . ({1})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne, Herr Kollege Mattfeldt . Ich bin, ehrlich gesagt, enttäuscht, dass Sie, obwohl Sie sich scheinbar so für das Thema interessieren, nicht alle vorliegenden Anträge zur Kenntnis genommen haben, über die heute abgestimmt wird . ({0}) Es gibt von der Bundestagsfraktion der Grünen zwei Entschließungsanträge und einen Änderungsantrag . In diesen Anträgen gehen wir ausführlich auf all die Punkte ein, die Sie gerade genannt haben . Sie können den Anträgen gerne zustimmen, wenn Sie das unterstützen . Insbesondere geht es um den Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich dass die Erdgasförderung ohne Fracking auch zu Problemen führt . Damit haben wir uns sehr intensiv befasst . Dazu haben wir hier sehr ausführliche Entschließungsanträge vorgelegt . Ich kann Ihnen die Drucksachennummern jetzt nicht auswendig sagen, aber die finden Sie ja in der Tagesordnung. Diese Anträge können Sie sich gerne anschauen . Darin fordern wir unter anderem - ich kann Ihnen jetzt noch ein bisschen Nachhilfe geben, wenn Sie es, wie gesagt, nicht gelesen haben -, dass Erdgasförderung in Wasserschutzgebieten verboten sein soll . Das heißt, wir haben zum Lagerstättenwasser und zum Verpressen zusätzliche Forderungen aufgestellt, die über das hinausgehen, was in dem vorliegenden Gesetzentwurf steht, über den heute abgestimmt werden soll . Sie können unseren Entschließungsanträgen, wie gesagt, sehr gerne zustimmen . Ich glaube, Sie haben nur den Änderungsantrag gelesen; auf diesen haben Sie gerade Bezug genommen . Ich würde mich über Ihre Unterstützung freuen . ({1}) Die Grünen stellt das Gesetzespaket, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, nicht zufrieden; denn wir haben mehr gefordert . Es ist klar, dass eine schwarz-rote Bundesregierung keine grüne Politik macht . Das hätte auch niemand erwartet . ({2}) Aber noch eine andere Sache verärgert mich, nämlich dass man den Menschen nur die halbe Wahrheit erzählt . So hieß es vor ein paar Tagen von den SPD-Kollegen bei Twitter wörtlich: In der Konsequenz gibt es ein komplettes Fracking-Verbot . - Das stimmt einfach nicht . ({3}) Sie verbieten nur das Schiefergas-Fracking und lassen hier Probemaßnahmen zu . Aber das Tight-Gas-Fracking, was in Niedersachsen zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte geführt hat, weil die Menschen die zahlreichen Auswirkungen der Erdgasförderung direkt erleben, wollen Sie weiterhin erlauben . Das mag aus Ihrer Sicht richtig sein . Es mag sein, dass Sie das so rechtfertigen und dass das für Sie die richtige politische Position ist . Aber dann sagen Sie den Menschen doch auch, dass Sie diese Form des Frackings weiterhin erlauben . Das wäre ehrlich . ({4}) Unter einem kompletten Verbot, wie Sie das am Dienstag bei Twitter genannt haben, verstehe ich wirklich etwas anderes. Inzwischen spezifizieren Sie und sagen auch, dass Sie das sogenannte unkonventionelle Fracking verbieten wollen . Aber wenn Sie diese Unterscheidung begründen: Wollen Sie den Menschen wirklich weismachen, es gäbe gutes und böses Fracking? Dabei ist die Technik doch dieselbe . Die Risiken sind ähnlich . Deswegen wollen die Menschen ein echtes Verbot aller Formen von Fracking . Warum wollen die Menschen das? Weil Risiken und gesellschaftliche Kosten von Fracking in überhaupt keiner Relation zum fragwürdigen Nutzen stehen . Wir haben bessere Alternativen und wollen doch perspektivisch die Dekarbonisierung, also den Verzicht auf fossile Energieträger . ({5}) Alle, die sich intensiver mit der Thematik befasst haben, wissen - das war gerade Thema -, dass auch die Erdgasförderung ohne Fracking strengere Umweltauflagen bekommen sollte . ({6}) Wir nehmen das Vorsorgeprinzip ernst . Auch hier können wir im Gesetzespaket der Bundesregierung zwar das eine oder andere erkennen, das in die richtige Richtung geht . ({7}) Zum Beispiel ist die Beweislastumkehr bei Bergschäden ein erster Schritt . Aber dass Sie den bestehenden Lagerstättenverpressstellen Bestandsschutz geben, wird die Menschen in den betroffenen Regionen wohl kaum zufriedenstellen . Innerhalb von nur zwei Plenarwochen bremsen Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien . Sie subventionieren alte Kohlekraftwerke, und Sie sorgen dafür, dass die Erdgasindustrie weiter fracken kann . Diese schwarz-rote Energiepolitik ist wie Weihnachten und Ostern zusammen für die Aktionäre des fossilen Zeitalters sowie für die Öl- und Gasbarone . ({8}) Es ist die volle Breitseite gegen Klimaschutz und Bürgerenergien . Für uns Grüne sieht Energiewende anders aus . ({9}) Mit diesem Fracking-Gesetz haben Sie vielleicht Ihren Koalitionsfrieden gerettet, und Sie haben einiges bei der rechtlichen Situation - auch dank der Vorarbeit in der gesellschaftlichen Debatte und der Vorarbeit im Bundesrat - verbessert . Aber das reicht uns Grünen nicht . ({10}) Denn genauso wie 80 Prozent der Menschen in Deutschland wollen wir ein echtes Fracking-Verbot, und zwar im Bergrecht . Daher stimmen wir gegen Ihren Gesetzentwurf . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Julia Verlinden . - Nächster Redner in der Debatte: Frank Schwabe für die SPD . ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzespaket wird es das Fracking im Schiefergestein - das kennen wir aus den USA - in Deutschland nicht geben . Das sage nicht nur ich, sondern das sagen auch der BDI und die Verbände der Erdgaswirtschaft . Wenn Sie uns schon nicht glauben, Hubertus Zdebel, wäre es gut, wenn Sie denen wenigstens glauben . Fracking im Schiefergestein wird es deshalb nicht geben, weil wir gleich zwei Mechanismen eingeführt haben, die das verhindern . Meine Mutter würde sagen: Doppelt hält besser . - Das eine ist ein bundeseinheitliches Verbot, das fortlaufend gilt und das 2021 überprüft werden soll . Das ist vernünftig; man kann alles überprüfen . Das könnten wir im Übrigen auch, ohne dass wir das in den Gesetzentwurf schreiben . ({0}) - Genau, das kann man immer überprüfen . Ich komme nun zum zentralen Punkt . Das muss man im Deutschen Bundestag feststellen . Darauf können wir alle stolz sein . Wir sollten das nicht skandalisieren und irgendetwas von der EM erzählen . ({1}) Man kann festhalten - Frau Dr . Gundelach hat das erfrischenderweise gesagt -: Da haben wir definitiv einen Dissens . Wir von der SPD sind froh, dass wir uns durchgesetzt haben . Wir wollen nicht unsere bei demokratischen Wahlen übertragene Verantwortung an der Garderobe des Bundestages abgeben . ({2}) Wir haben nichts dagegen, dass Expertenkommissionen beraten, prüfen usw . Aber die Entscheidung muss am Ende der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber treffen . Das ist in diesem Gesetzentwurf klargestellt . ({3}) Es gibt eine zweite Absicherung, und zwar im Rahmen der sogenannten Länderklausel . Zwar kann es vier Probebohrungen geben . Aber faktisch - wenn wir uns die aktuelle Debatte anhören, muss uns das klar sein - wird am Ende jedes Bundesland die Länderklausel ziehen und damit Probebohrungen verhindern . Für Nordrhein-Westfalen hat meine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das bereits erklärt . ({4}) Was wir nicht verbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen - das war auch nicht unsere Absicht -, ist die herkömmliche Erdgasförderung, die es in Deutschland schon seit vielen Jahren - seit 100 Jahren oder ich weiß nicht, wie lange; einige werden das besser wissen als ich - gibt . ({5}) Es ist völlig klar: Auch das hätten wir machen können, weil mit jeder Erdgasförderung Risiken verbunden sind . Es gibt sie, und wir wollen sie auch nicht negieren . ({6}) Aber wir haben eben nicht gesagt, dass es das Ziel der Koalition oder das Ziel der SPD ist, die Erdgasförderung zu unterbinden . Wir haben etwas geschafft, was sich die Betroffenen in der Region vor fünf Jahren, glaube ich, nicht hätten vorstellen können . Im Zuge der Fracking-Debatte haben wir es geschafft, neue - wenn vielleicht auch noch nicht für alle Fälle ausreichende - und bessere Regelungen zu treffen als die, die bisher gelten . Nun gibt es neue Regelungen im Hinblick auf die UmweltverträglichkeitsprüDr. Julia Verlinden fung und neue Regelungen, was das Bergschadensrecht angeht. Ich finde, das sollte man positiv zur Kenntnis nehmen . ({7}) Ich begrüße, dass Julia Verlinden einen zumindest abwägenderen Ton als in mancher Pressemitteilung angeschlagen hat . Ich will mich ausdrücklich bei den Bürgerinnen und Bürgern und bei der lebendigen Zivilgesellschaft bedanken, die natürlich großen Druck auf uns ausgeübt haben . Mein Dank gilt aber auch allen Abgeordneten dieses Parlaments. Ich finde, das sollte man mitnehmen und sagen: Jawohl, wir haben heftig gerungen . Am Ende haben wir ein Ergebnis gefunden, von dem wir sagen, dass es gut ist, und von dem Sie sagen, dass es zwar gute Teile enthält, aber noch besser hätte sein können . - So sollte man sich verabreden . Ich erwarte gar nicht, dass die Opposition zustimmt . Ich erwarte aber, dass man zumindest zugesteht, dass es zu Verbesserungen gekommen ist, und vor allen Dingen nicht versucht, das Ganze zu skandalisieren . ({8}) Denn das hilft niemandem in diesem Parlament, und das hilft auch nicht dem Parlamentarismus und der Demokratie . In der SPD-Fraktion reden wir häufig vom Struck’schen Gesetz . Ich habe es immer für einen rhetorisch gemeinten Satz von Peter Struck gehalten, mit dem er uns Abgeordneten ein gewisses Selbstbewusstsein geben wollte, wenn er gesagt hat: Kein Gesetz geht so aus dem Deutschen Bundestag heraus, wie es hereingekommen ist. - Ich finde, in diesem Fall und in dieser Situation trifft aber genau das zu . Ich will allen, insbesondere aber meiner Fraktion, die wirklich zusammengestanden und gekämpft hat, ganz herzlich danken, vor allem Frau Jantz-Herrmann und Herrn Klingbeil, aber auch den anderen. Ich finde, man sollte das vorliegende Ergebnis nicht skandalisieren . Vielmehr ist es eine Sternstunde des Parlaments, das so erkämpft zu haben . Dafür danke ich, wie gesagt, herzlich . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank Schwabe . - Nächste Rednerin: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Ich glaube, gerade an einem Tag wie dem heutigen sollten nicht die einen reflexartig draufhauen und die anderen alles verteidigen . Deswegen verstehe ich nicht, warum jetzt von einigen Seiten Pappkameraden aufgebaut werden . Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben ganz klar gesagt, dass dies ein Erfolg des letzten Jahres war . Beteiligt waren viele Akteure, Abgeordnete aus allen Fraktionen dieses Parlaments und Vertreter der Zivilgesellschaft, die ja öfter als böse Campact-Schreiber verunglimpft worden sind . Dass wir Verbesserungen des Gesetzentwurfes erreicht haben, stellt doch niemand infrage . Darauf können wir natürlich auch stolz sein . ({0}) Sie haben zu Recht gesagt: Es ist richtig, dass das Schiefergas raus ist . - Sie haben zu Recht gesagt: Es ist richtig, dass die Kommission raus ist . - Sie haben zu Recht gesagt: Es ist richtig, dass Trinkwassergebiete jetzt komplett ausgenommen werden . - Aber wenn Sie von uns einfordern, nicht reflexartig draufzuhauen, dann dürfen wir doch auch von Ihnen einfordern, die Punkte, die weiterhin problematisch sind, hier kritisch zu benennen . Das ist nämlich die Aufgabe einer Opposition in einem gewählten Parlament, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({1}) Dazu gehört das verkürzte Verfahren . Dass Sie Herrn Zdebel so sehr angehen, finde ich, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung . ({2}) Ein Jahr lang lag das auf Eis . Aber das, worüber wir jetzt abstimmen, ist der finale Gesetzentwurf. Diesen Gesetzentwurf haben wir am Montag erhalten . Sie haben hier hineingeschrien, ob wir ihn überhaupt gelesen haben . Wenn Sie uns keine Chance geben, Ihren Gesetzentwurf zu lesen, dann können Sie uns das am Ende doch nicht vorhalten . ({3}) - Ja, wir haben ihn gelesen . Wir haben eine Nachtschicht eingelegt, damit wir diesen Gesetzentwurf lesen konnten . ({4}) - Ich erinnere noch einmal daran: Sie haben davon gesprochen, nicht reflexartig zu handeln. Dann rufen Sie jetzt auch nicht: „Oh!“ Wir haben diesen Gesetzentwurf gelesen, und wir hätten mit den Fachpolitikern - nicht mit denen, die hier jetzt einfach einmal populistisch hineinrufen - sehr gerne darüber diskutiert: Warum ist Fracking in Naturschutzgebieten ausgeschlossen, in Natura-2000-Gebieten aber nicht? Warum schließen Sie Fracking in Schiefergestein aus, in Sandstein aber nicht? Herr Mattfeldt, Sie haben es gerade ja selber beschrieben: Die Regionen, in denen Fracking bisher schon stattfindet - in Sandstein; ich habe es notiert und zitiert -, „sind krisengeschüttelt“, und deswegen müssen wir doch über das Fracking in Sandstein reden . Das können wir jetzt nicht mehr tun, weil das von diesem Gesetzentwurf ausgenommen ist . ({5}) Wir hätten auch gerne mit Ihnen darüber diskutiert, warum wir auf der einen Seite einen Klimavertrag unterschreiben, in dem steht, dass zwei Drittel der fossilen Vorräte unter der Erde bleiben, während auf der anderen Seite die herkömmliche Erdgasförderung weiterbetrieben wird und Sie parallel dazu mit Fracking in Sandstein auch noch die letzten Krümelchen Gas und Öl - wie aus einer Zitrone - aus der Erde pressen . Das entspricht nicht dem Pariser Klimavertrag . ({6}) Zum Bergrecht . Auch darüber hätten wir gerne diskutiert . Frau Gundelach, Sie wissen, dass ich sehr gerne über das Bergrecht diskutiere . Sie haben hier mit dem Gesetzentwurf zur Bergschadenshaftung einen guten Vorschlag gemacht, um die Rechte der Betroffenen zu stärken. Das finden wir super. Wir hätten aber gerne mit Ihnen darüber diskutiert, warum dieser Gesetzentwurf, mit dem die Rechte der Betroffenen von Bergschäden gestärkt werden sollen, nur für die durch den Betrieb von Kavernenspeichern Betroffenen und beispielsweise nicht für die vom Tagebau Betroffenen gilt . Das ist doch ungerecht . ({7}) Wir hätten mit Ihnen auch gerne über Ihren Vorschlag zur Einrichtung einer Schlichtungsstelle diskutiert, die wir seit langem fordern und die es in Nordrhein-Westfalen auch schon gibt . ({8}) Eine solche Schlichtungsstelle ist absolut richtig . Warum schreiben Sie aber in Ihrem Vorschlag, dass die Länder einmal prüfen sollen, ob sie eine solche Schlichtungsstelle, die so wichtig ist - das teilen wir alle -, einrichten werden? Wir beschließen hier über das Bundesberggesetz . Wir sind die Gesetzgeber und können in das Bundesberggesetz schreiben, dass es verpflichtend ist, Schlichtungsstellen einzurichten . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Dass die Länder das nicht automatisch machen, sieht man an Brandenburg und Sachsen . Dort wurde letztes Jahr ein Jahr lang darüber diskutiert, ob es eine Schlichtungsstelle gibt . Die Länder haben sich letztendlich dagegen ausgesprochen . Im Übrigen hat sich auch der Bund dagegen ausgesprochen. Die LMBV, die an das Bundesfinanzministerium angegliederte Stelle für Bergschäden aus DDR-Tagebauzeiten, hat gesagt: Wir wollen eine Schlichtungsstelle für Bergschäden nicht finanzieren. - Deswegen hätten wir das hier in das Bundesgesetz hineinschreiben müssen . Ich hätte mir gewünscht, dass wir in den Ausschüssen darüber gestritten hätten . So ist es nicht gewesen . Wir haben jetzt nur einen halbguten Gesetzentwurf . Deswegen werden Sie von uns weiter Änderungsvorschläge bekommen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber nicht mehr jetzt .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann können wir hoffentlich weiter diskutieren . Herzlichen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Der nächste Redner in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu den Abgeordneten, die mittlerweile seit Jahren immer wieder gesagt haben - sie sind heute hier auch schon zu Wort gekommen -: Wir können diesen Gesetzentwurf noch nicht abschließen, weil noch Fragen offen sind; es gibt noch Risiken, die geklärt werden müssen . Wir müssen dem noch nachgehen und können das so nicht beschließen . - Wir haben jahrelang gerungen und gerade in dieser Legislaturperiode besonders intensiv gekämpft . Es ist gelungen, ein immer höheres Schutzniveau zu erreichen und immer wieder neue Verschärfungen zu normieren . Jetzt ist es gelungen, ein Gesetzespaket vorzulegen, von dem ich sage: Das ist kein Fracking-Gesetz, sondern ein Wasserschutzgesetz . ({0}) Es ist ein Gesetz, mit dem die absolute Priorität des Trinkwasserschutzes und der Gesundheitsvorsorge durchgesetzt wird . Deshalb kann ich sagen: Ich stimme dem aus voller Überzeugung zu . ({1}) Ich will zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurückkommen . Es ist eine gemeinsame Einschätzung, dass die jetzige Rechtslage nicht in Ordnung ist . Die jetzige Rechtslage sieht vor, dass dann, wenn ein Antrag gestellt und auf Grundlage der bisher geltenden Regelung beschieden wird, gefrackt werden kann . ({2}) Das ändern wir heute . Bis heute ist der Zustand weitgehend unreguliert . Wer fracken will, könnte das ohne UVP, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne andere Hürden machen . Das ändern wir heute mit diesem Gesetzespaket . Deshalb ist das ein richtig guter Schritt nach vorne . ({3}) Einer der ersten Schritte in diesem Prozess war das Gutachten, das das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben hat . In diesem Gutachten hatten die Gutachter darauf hingewiesen: Der jetzige Zustand ist unreguliert . Es muss etwas gemacht werden . - Die Gutachter haben Vorschläge für eine Umweltverträglichkeitsprüfung, Öffentlichkeitsanhörung und teilweise auch für Verbote gemacht . All das, was damals vorgeschlagen wurde, machen wir . Insgesamt gilt der Grundsatz: Mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute beschließen, wird nichts erlaubt, was bislang verboten ist, sondern es werden nur Dinge verboten, die bislang erlaubt sind . Aber für mich ist das Entscheidende: Wir machen viel mehr als das, was damals die Gutachter des Umweltbundesamtes vorgeschlagen haben . Wir sind einen Quantensprung weiter und haben eine viel bessere Regelung für Trinkwasserschutz und Gesundheitsvorsorge gefunden . ({4}) Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, das in meiner Region am Bodensee für besonders viele Diskussionen gesorgt hat, aber mit der Situation in fast allen anderen Regionen in Deutschland vergleichbar ist . In der Empfehlung des Umweltbundesamtes stand ursprünglich nur: Verbietet Fracking in Wasserschutzgebieten . - Dann stellten wir fest, dass bei uns - genauso wie an anderen Seen - eben nur eine Minderheit der Gebiete, selbst an Trinkwasserseen, Wasserschutzgebiete sind . Deshalb haben wir gesagt: Das reicht nicht . Da bleiben Fragen offen . Da sind viele Risiken ungeklärt . Wir brauchen ein umfassendes Verbot von Fracking in der Nähe von allen Trinkwasserseen und Talsperren sowie in der Nähe von Brauereien und Brunnen, und zwar nicht nur im engeren, sondern auch im weiten Einzugsbereich . Vor mehr als einem Jahr war es der erste politische Schritt, sich darauf zu einigen: Ja, der Trinkwasserschutz kommt . Wir nehmen diesen Schutz in die Gesetzesvorlage auf, unbedingt, unbefristet, für jegliche Art von Fracking . Trinkwasser hat Vorrang . Das war der erste Schritt, und das war schon ein Fortschritt . ({5}) Dann haben wir gesagt: Auch damit ist die Gesetzesberatung nicht beendet, sondern wir müssen noch weiter gehen . Fragen stellen sich nicht nur dort, wo Trinkwasser gewonnen wird und wo etwa Brauereien Brunnen Wasser entnehmen - das sind ganz sensible Gebiete -, sondern auch anderswo und müssen auch dort beantwortet werden . Es ist anerkennenswert, dass wir in dieser Woche eine Einigung erzielt haben . Das ist ein Durchbruch, mit der ganz klaren Botschaft: Unkonventionelles Fracking wird in ganz Deutschland verboten, unbedingt und unbefristet . Trinkwasser hat Vorrang . Wir schließen Risiken aus . - Ich freue mich, dass das so gelungen ist . ({6}) Zurück zu den Debatten der letzten Jahre . Wir sind an dem Punkt, der uns am Ende der letzten Legislaturperiode dazu geführt hat, zu sagen: Wir nehmen die Beratung dieses Gesetzentwurfs von der Tagesordnung . Wir nehmen uns die Zeit für eine ausführliche Beratung . - Wir als Union haben in unser Wahlprogramm geschrieben: Trinkwasserschutz und Gesundheitsvorsorge haben für uns absolute Priorität . - Wir haben dann gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD, Matthias Miersch, Frank Schwabe, Ute Vogt und anderen, in den Koalitionsverhandlungen um Formulierungen gerungen und haben uns auf genau die Grundsätze geeinigt, die nicht nur unsere Fraktionen, sondern auch andere Fraktionen in diesem Hause vertreten, und haben sie in unserer Koalitionsvereinbarung niedergelegt . Auf dieser Grundlage sind die Gesetzesberatungen durchgeführt worden . Wir haben immer wieder den Finger auf die Wunde gelegt und immer wieder Verbesserungen angemahnt . Diese haben wir jetzt erreicht, sodass ich sagen kann: Das, was wir in unserem Programm stehen haben, und das, was wir im Koalitionsvertrag niedergelegt haben, setzen wir jetzt um . Wir setzen den Trinkwasserschutz durch . Wir setzen die Gesundheitsvorsorge durch . Wir beschließen damit ein Wasserschutzgesetz . Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, und auch meine Fraktion wird ihm zustimmen. Ich finde, er ist ein wichtiger Fortschritt in unserem Eintreten für den Wasserschutz und die Sicherung der Qualität des Wassers in Deutschland . Herzlichen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Jung . - Nächster Redner: Bernd Westphal für die SPD . ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf zur Erdgasförderung in Deutschland mit den vorgesehenen Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz und im Berggesetz endlich zum Abschluss bringen können . Frau Baerbock und Frau Verlinden, wir haben nie ein komplettes Verbot der Erdgasförderung und des Fracking in Deutschland gefordert . Übrigens machen Sie das dort, wo Sie in Landesregierungen politische Verantwortung tragen, auch nicht . ({0}) Die Grünen in Niedersachsen haben das gemeinsam mit der SPD genauso vertreten wie wir . Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium hatten bereits im Mai des vergangenen Jahres ein Regelungspaket vorgelegt . Von daher kann von Durchpeitschen überhaupt keine Rede sein . Ziel war von Anfang an, die strengsten Rahmenbedingungen für Erdgasförderung zu beschließen . Es ging uns immer darum, mit den Sicherheits- und Umweltstandards den Schutz der Menschen, der Gesundheit, der Umwelt und vor allen Dingen des Lebensmittels Nummer eins, des Trinkwassers, zu gewährleisten . Wir mussten im letzten Jahr viel Kritik einstecken von Unternehmen, aus der Wirtschaft, von Bürgerinitiativen, von Umweltschutzverbänden und aus der Wasserwirtschaft - und wurden gefragt, warum wir so lange für diese Entscheidung brauchen . Ja, es war ein intensiver Dialog notwendig, um den Gesetzentwurf letztendlich durchzubringen . Aber wir als SPD haben es immer für wichtig und richtig befunden, dass wir mit dieser Gesetzesvorlage als Basis an vielen Stellen noch Nachbesserungsbedarf gesehen haben . Auch mussten wir - damit verrate ich kein Geheimnis - mit unserem Koalitionspartner viele Punkte intensiv beraten . Deshalb freut es mich umso mehr, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Union in intensiven Gesprächen zu den wichtigen Punkten, insbesondere beim unkonventionellen Gas, überzeugt werden konnten . Dieser Gesetzentwurf ist allemal besser als gar keine Regelung . Diese Regierungskoalition zeigt mit dem Gesetzentwurf, dass wir auch bei schwierigen Themen Regelungen hinbekommen . Das hat bisher keine Vorgängerregierung geschafft . Deshalb bin ich auch Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks für den Vorschlag vom letzten Jahr dankbar . ({1}) Die Regelungen zur Verschärfung und die Rahmenbedingungen - das haben meine Vorredner schon angesprochen - sind durchaus vorzeigbar . Auch dass das Parlament das letzte Wort hat, ist richtig, denke ich . Aber wir brauchen - das will ich an dieser Stelle betonen - im Zusammenhang mit den vier Probebohrungen auch eine entsprechende Technologieoffenheit, um bei dem Bodenschatz, den wir haben, den Unternehmen die Chance zu geben, zu investieren und Erdgasförderung auch im Schiefergestein, im Kohleflöz und in anderen geologischen Formationen zumindest ausprobieren zu können . Dann entscheiden wir im Parlament, ob die Risiken beherrschbar sind und ob das eine Option für Deutschland ist . Wir müssen doch in Deutschland zumindest in der Lage sein, so eine Technologie ausprobieren zu können . ({2}) Aber auch im konventionellen Fracking, das in Deutschland seit über 50 Jahren erfolgreich durchgeführt wird, gibt es jetzt eine Öffentlichkeitsbeteiligung . Es gibt Schutzgebiete, die davon ausgenommen werden, und vor allen Dingen strengere Regelungen gerade bei der Entsorgung von Abfällen und eine Beweislastumkehr bei Bergschäden . Um es auf den Punkt zu bringen: Oberstes Ziel ist immer, Umwelt und Trinkwasser zu schützen . Erdgas ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig . Wir brauchen Erdgas als Energieträger, aber auch als Rohstoff für die chemische Industrie . Es ist unser zweitgrößter Primärenergieträger . Deshalb brauchen wir ihn auch als Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien . Erdgas wird wegen seiner günstigen Werte, was den CO2-Ausstoß angeht, in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen . Deshalb ist es wichtig, dass wir zusätzlich zu den Importen auch die heimischen Lagerstätten zugänglich machen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir haben ein gutes Regelungspaket geschaffen, und ich bitte Sie, diesem Regelungspaket zuzustimmen . Herzlichen Dank . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bernd Westphal . - Nächster Redner: Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, dokumentiert, dass wir den Trinkwasserschutz und den Gesundheitsschutz an die allererste Stelle setzen . Symbolisch wird das dadurch deutlich, dass wir die Regelung zur Erdgasförderung aus dem Bergrecht weitgehend herauslösen und in das Wasserhaushaltsgesetz überführen . Das hat praktische Bedeutung . Zum Beispiel legen wir im Gesetz fest, dass die Wasserbehörden im Verfahren zur Genehmigung von Bohrungen nicht nur involviert sind, sondern de facto ein Vetorecht haben . Es ist die Verantwortung der Wasserbehörden, darauf zu achten, dass die Trinkwasserversorgung gesichert ist und nicht gefährdet wird . Das wird dadurch sichergestellt, dass wir im Gesetz den Wasserbehörden diese Rolle zuweisen . Das ist uns ein großes Anliegen gewesen . ({0}) Wir haben es mit einem sehr komplexen Gesetz zu tun . Deswegen gibt es Grund, vielen Beteiligten zu danken - nicht nur den Kolleginnen und Kollegen, die sich hier im Haus damit befasst haben . Es ist auch - das sage ich ausdrücklich - den vielen Mitarbeitern der Abgeordneten zu danken, die sich Stunde um Stunde um die OhBernd Westphal ren geschlagen haben, um mit fein ziselierten Formulierungen Ergebnisse zu produzieren, auf die wir uns hier heute verständigen werden . Und das ist einen Dank wert . ({1}) In den Dank schließe ich auch die Mitarbeiter der beteiligten Ministerien ein, die uns vor einem Jahr einen aus zwei SPD-Ministerien stammenden Gesetzentwurf vorgelegt haben, den wir in dem einen Jahr im parlamentarischen Verfahren in erheblichen Punkten deutlich verändert haben, und zwar im Sinne von mehr Sicherheit, mehr Öffentlichkeitsbeteiligung und mehr Zukunftsaussichten, als ursprünglich vorgesehen war . ({2}) Der eine oder andere hat vorhin angesprochen, dass es in den Fraktionen sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gab, wie wir das im Konkreten gestalten sollten . Ich will nicht sagen, dass der eine oder andere hieran mehr beteiligt war, von Anfang an auf der richtigen Linie lag oder erst später . Ich will nur - da ich beim Danken bin - eines sagen: Es gibt auch bei uns jemanden, dem ich zu danken habe: Der CDU-Vorsitzende in NRW, Armin Laschet, hat mit seiner Einwirkung auf unsere Fraktion entscheidend dazu beigetragen, ({3}) dass bei uns ein Meinungsbild zustande kam, das bei der heutigen Verabschiedung eine wesentliche Rolle spielt . ({4}) Wie führen wir die Trinkwassersicherung durch? Ich will in diesem Zusammenhang drei zentrale Punkte aus den vielen Einzelmaßnahmen nennen, die zum Teil auch schon erwähnt worden sind . Erster Punkt . Ein Ziel war: Das Frack-Fluid darf nicht giftig sein . Ich ärgere mich über die Kampagnen, in denen immer noch behauptet wird, wir würden Gift in der Erde platzieren . Das ist kein Gift . Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang wichtig: Das Frack-Fluid muss zurückgewonnen werden . Beide Dinge sind ein wesentlicher Bestandteil zur Sicherung unserer Trinkwasservorräte . Der zweite Punkt hat erst im Laufe des Verfahrens eine immer größere Bedeutung bekommen . Dabei geht es um die Frage des Umgangs mit den Lagerstätten . Das Wasser, das aus großen Tiefen kommt, ist stark belastet . Es wurde bisher zum Teil oberflächennah in geeigneten Formationen wieder entsorgt . Dieses Lagerstättenwasser wird jetzt dorthin zurückgehen, wo es hergekommen ist, nämlich in die Tiefen, aus denen es ursprünglich stammt . Es gehört da auch hin . Da es zum Teil sogar an der Oberfläche aufbereitet wird - einige Stoffe werden entfernt -, kann man sagen: Es geht sauberer in die Tiefe zurück, als es herausgekommen ist . ({5}) Der entscheidende Punkt ist: Es wird sicher entsorgt . Beim dritten Punkt geht es um die Frage: Wie gehen wir mit dem Schiefergas um? Die Regelung zum Schiefergas, die wir getroffen haben - das ist mehrmals gesagt worden -, enthält ein unbefristetes Verbot . Das heißt - ich gebe jetzt eine kleine Nachhilfe in Parlamentarismus ganz einfach: Wenn nicht irgendein zukünftiger Bundestag hingeht und ein Gesetz verabschiedet, durch welches dieses Verbot aufgehoben wird, bleibt es auf Dauer so . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen ich spreche jetzt auch die anderen Kritiker an -: Selbst wenn wir Ihrem Gesetz, das zu einem absoluten Verbot von Fracking führen würde, zugestimmt hätten, hätte es der nächste Bundestag wieder aufheben können .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt muss ich Sie fragen: Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Herrn Behrens?

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut .

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Möring, dass ich die Zwischenfrage stellen kann . - Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die Fracking-Flüssigkeiten wieder an die gleiche Stelle zurückgepresst werden, von der sie gekommen sind . Sie wissen, dass diese Flüssigkeiten nach diesem Vorgang eine unterschiedliche Qualität haben . Sie sagen, alles sei ungefährlich und es gebe keine Probleme . Wie erklären Sie sich, dass die Ergebnisse des Monitorings, das gerade diese Frage untersuchen sollte, bislang in Niedersachsen nicht veröffentlicht worden sind?

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich vermute, Sie meinen Lagerstättenwasser und nicht Frack-Fluid in Ihrer Frage . ({0}) Ich kann über die niedersächsischen Verhältnisse im Detail nichts sagen . ({1}) Ich weiß nur, dass es natürlich den einen oder anderen Störfall gegeben hat, der damit zu tun hat, dass wir an der Oberfläche zum Teil falsche Rohre und Materialien und Ähnliches mehr benutzt haben . Es ist aber Sache der Genehmigungsbehörden, darauf zu achten, dass die Vorschriften eingehalten werden . ({2}) Ich komme zurück zu dem Punkt: Auch wenn wir jetzt kein Fracking-Verbot haben, könnte der nächste BunKarsten Möring destag ein solches beschließen . Gesetzgebung ist immer frei . Auch wenn in diesem Gesetz steht, dass bis 2021 der Bericht vorgelegt werden soll und der Bundestag dann darüber beschließen kann, so kann er auch 2020 oder 2025 darüber beschließen . Das ist alles offen . Aber wir beschließen hier und jetzt ein unbefristetes Verbot mit Ausnahme von vier Probebohrungen, mit denen wir Erkenntnisse gewinnen wollen . Das haben wir in unserem Koalitionsvertrag schon von vornherein so festgelegt . Betrachten wir die Tatsachen und befassen wir uns nicht mit Schlagworten oder falschen Behauptungen; denn wer keine Argumente hat, der neigt dazu, Angstkampagnen zu produzieren und auf diese Weise zu versuchen, ein öffentliches Klima herbeizuführen, in dem eine sachliche Lösung keinen Platz hat . ({3}) Wir haben hier eine sachliche Lösung . Auf dieser Feststellung bestehen wir . Die Bevölkerung kann sehr beruhigt sein, wie wir mit dem Thema umgehen . ({4}) Wir wollen den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung . Es wird uns entgegengehalten, wir sollten doch das Gas dann in der Erde belassen . Das Gas, das wir in Deutschland fördern können, entspricht der Menge, die unsere chemische Industrie als Rohstoff braucht . Wir brauchen das Gas nicht zur Energieerzeugung . Wenn wir eine vollständig dekarbonisierte Energieversorgung hätten, dann könnten wir immer noch dieses Gas gebrauchen, um uns selbst zu versorgen . Woher kommt denn unser Gas jetzt? Es kommt aus Holland, aus Norwegen, aus Russland und zu einem kleinen Teil aus der Eigenproduktion . Schauen wir uns die Situation an, wie sie ist . Die Förderung in Holland und Norwegen sinkt . Alles, was wir zusätzlich brauchen - das sind jedes Jahr 1 bis 2 Prozent mehr -, importieren wir aus Russland . ({5}) Wer sich die Förderbedingungen anschaut und sieht, dass über eine Strecke von 5 000 Kilometern eine Gaspipeline unterhalten werden muss, der weiß, wie viele Verluste von Erdgas es auf diesem Wege gibt . Dazu kann ich nur sagen: Wenn der globale Umweltschutz gilt, dann muss auch an dieses Problem herangegangen werden . Die Versorgung, die wir unter völlig anderen Bedingungen selber organisieren, ist wesentlich besser . Deswegen sage ich schlicht und einfach: Mir ist jeder Kubikmeter Gas, der in Deutschland unter Einhaltung deutscher Umweltstandards gefördert wird, lieber als jeder aus Russland importierte Kubikmeter Gas, von der Versorgungssicherheit einmal ganz abgesehen . ({6}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Gesetzentwurf heute zu . Dann sind Sie auf der sicheren Seite . Wir sind es . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Karsten Möring . - Nächster Redner für die SPD: Johann Saathoff . ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dat wurr hochnödig Tied, würde man in Ostfriesland sagen . Also, es wird dringend Zeit, dass wir Fracking endlich gesetzlich regeln . ({0}) - Keine Sorgen um die Stenografen . Die bekommen anschließend eine Übersetzung von mir .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wir wollen die Übersetzung aber auch . Ich komme aus Schwaben . Das war mir jetzt erst einmal fremd .

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, Sie haben ein Übersetzungsabo bei mir . Im Koalitionsvertrag wollten wir eigentlich nur höhere Anforderungen an unkonventionelles Fracking formulieren . Wir haben Fracking mit diesem Gesetz nun zwar nicht kurzfristig geregelt - das kann man nicht behaupten -, dafür aber besonders gründlich und besonders sicher im Sinne der Bürgerinnen und Bürger . Ich möchte an dieser Stelle meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, wem hier alles in der Debatte gedankt wurde. Ich finde, über den Dank an Herrn Laschet muss man nachdenken . Ich habe ein Zitat von ihm in Erinnerung, dass Fracking zugelassen werden müsse, weil es Arbeitsplätze schaffe . Ich glaube, es ist vor allen Dingen Hannelore Kraft zu verdanken, dass wir diesen Gesetzesstand haben . ({0}) Unkonventionelles Fracking, wie in den USA praktiziert, wird bei uns verboten . Die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger werden berücksichtigt und werden ernst genommen . Es gibt derzeit keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber - das muss man sagen -, ob unkonventionelles Fracking, also Fracking in unkonventionellen Lagerstätten, wirklich verantwortet werden kann . Deswegen ist es schön, dass wir das mit diesem Gesetz jetzt klarstellen und festzurren können, und zwar dauerhaft und rechtssicher . ({1}) Lange haben wir uns damit beschäftigt . Wir haben uns darüber beraten, wie eine Expertenkommission zusammengesetzt werden muss, wie die Bundestagsbeteiligung aussehen kann . Wir haben unzählige Gespräche darüber geführt . Jetzt herrscht Klarheit, und das ist die gute Nachricht des Tages . Bisher - ohne dieses Gesetz - war Fracking in Deutschland grundsätzlich erlaubt . ({2}) Wir brauchen dieses Gesetz also dringend . Es ist gut, dass wir uns heute so entscheiden wollen . Am Zustandekommen dieses Gesetzes hat aus meiner Sicht auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies einen entscheidenden Anteil . Er hat nämlich mit seiner Initiative am Wochenende genau den richtigen Punkt getroffen . Nun ist endlich eine Lösung möglich . Laut Gesetz können vier wissenschaftlich begleitete Probebohrungen erlaubt werden, dies allerdings nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des betroffenen Bundeslandes . Die Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender Antrag gestellt wird, ist schon sehr gering; aber die Wahrscheinlichkeit, dass das betroffene Bundesland dann auch noch zustimmt, ist noch viel geringer . Wenn dem so wäre, dann würden wir uns spätestens 2021 im Bundestag noch einmal damit beschäftigen . In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass mit diesem Gesetz Fracking ermöglicht werden soll, stellt die Realität auf den Kopf . ({3}) In Wahrheit handelt es sich um ein Fracking-Verbotsgesetz . Das ist eine gute Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht . Die zweite gute Botschaft ist, dass wir mit diesem Gesetz die Voraussetzungen für konventionelles Fracking deutlich verschärfen. Es wird verpflichtend die Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt . Dadurch sind die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger bei den geplanten Vorhaben künftig wesentlich besser informiert und vor allen Dingen auch beteiligt . Die Menschen haben Sorgen um ihr Trinkwasser . Der Schutz des Trinkwassers ist ein hohes Gut, keine Frage . Aber dieser Sorge der Bürgerinnen und Bürger wird mit diesem Gesetz entgegengewirkt . In und unter Wasserschutzgebieten, Heilquellenschutzgebieten, Einzugsgebieten von Brunnen und Wasserentnahmestellen für die öffentliche Trinkwasserversorgung wird es kein Fracking geben . ({4}) Im Falle von durch Erdgasförderung entstandenen Erdbeben wird mit diesem Gesetz erstmals die Beweislast umgekehrt . ({5}) Künftig muss nicht mehr der Hauseigentümer beweisen, dass die Schäden an seinem Haus von der Erdgasförderung herrühren, sondern das Förderunternehmen muss beweisen, dass die Schäden mit der Erdgasförderung nichts zu tun haben . ({6}) Ich betone: Das Unternehmen muss es beweisen . Behaupten reicht nicht . Wiederholung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Mutter der Pädagogik . Dies ist ein Fracking-Verbotsgesetz, ein gutes Gesetz im Sinne der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger . Deswegen ist es absolut zustimmungsfähig . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, jetzt übersetzen Sie bitte noch den ersten Satz Ihrer Rede .

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, sehr gerne: „Dat wurr hochnödig Tied“ kommt aus dem Altostfriesischen und bedeutet: Das wurde aber auch dringend Zeit . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank für diesen Erkenntnisgewinn . - Der letzte Redner in dieser Debatte, dem bitte alle ihre Aufmerksamkeit schenken mögen - das hat er nämlich verdient; wenn das heute eine Sternstunde ist, dann hat das letzte Sternchen auch noch einmal - - Oh, jetzt muss ich aufpassen . ({0}) Also, Dr . Andreas Lenz verdient jetzt Ihre Aufmerksamkeit . Für die CDU/CSU ist er der letzte Redner in dieser Debatte .

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, herzlichen Dank für diese charmante Einführung . - Wenn etwas notwendigerweise zu regeln ist, dann haben wir hier im Parlament die Verantwortung, die Verpflichtung, die entsprechende Regelung auch herbeizuführen . Genauso verhält es sich hinsichtlich der Regelungen der Fracking-Technologie . Hier brauchen wir eine staatliche Regelung zur Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern, zur Sicherheit der Umwelt, aber auch für die Planungssicherheit der Unternehmen . Diese Sicherheit ist jetzt gegeben . Das Regelungspaket, das wir heute beraten - man kann es nicht oft genug sagen; Wiederholung festigt -, sieht ein unbefristetes Verbot unkonventionellen Frackings vor . Das heißt, die Fracking-Technologie wird in unkonventionellen Lagerstätten, Schiefer-, Ton- und Mergelgestein sowie Kohleflözgestein, zur Gewinnung von Erdgas und Erdöl vollständig verboten . Im Jahr 2021 überprüft der Deutsche Bundestag - in welcher Zusammensetzung auch immer - auf Grundlage des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaft und Technik das Verbot . Auch für das konventionelle Fracking gelten zukünftig sehr strenge Vorgaben . Das konventionelle Fracking wird in sensiblen Gebieten wie Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten und Seen zur Trinkwassergewinnung vollständig untersagt . Grundwasserschutz hat absoluten Vorrang . Mit dem Ergebnis dieser Woche wird der Koalitionsvertrag umgesetzt . Darin heißt es: Fracking ist „eine Technologie mit erheblichem Risikopotenzial“, deren Auswirkungen noch nicht hinreichend geklärt sind . Und weiter: Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absoluten Vorrang . Diese Aussage ist Maßstab . Diese Aussage war aber auch schon während der Beratungen im gesamten letzten Jahr unser Maßstab . Um es noch einmal klar zu sagen: Aktuell sind sowohl konventionelles als auch unkonventionelles Fracking grundsätzlich zulässig . Der Anspruch auf Genehmigung auch unkonventionellen Frackings wäre nach dem jetzigen Stand also einklagbar . Wir schaffen jetzt einen strengen, klaren und transparenten Rechtsrahmen für diese Technologie . Seit Jahrzehnten wird vor allem in Niedersachsen gefrackt . 95 Prozent des in Deutschland geförderten Erdgases werden in Niedersachsen gefördert . Vom Erlös der Erdgasförderung erhält das Land einen Anteil von rund 37 Prozent . Das entspricht in Niedersachsen 700 Millionen Euro - bei einer, ich glaube, rot-grünen Landesregierung . Auch deshalb ist die Länderöffnungsklausel absolut sachgemäß . Die geologischen Voraussetzungen für Fracking sind bundesweit unterschiedlich . In Bayern wird die konventionelle Fracking-Technologie lediglich bei der Erschließung und Sanierung von Heilwasserquellen eingesetzt . Außerdem spielt die Technologie bei Geothermieprojekten eine wichtige Rolle, und das soll auch so bleiben . Unkonventionelles Fracking war und ist in Bayern kein Thema . Deswegen wollen wir aus Bayern uns gar nicht an den Versuchen der Geschichtsfälschung - ob jetzt Laschet oder Kraft die Regelung noch forciert haben - beteiligen . Wichtig ist, dass wir jetzt eine sichere und strenge Regelung haben . Wenn nun wieder Serienmails kommen, in denen es heißt: „Fracking wird erlaubt“, dann muss man ganz klar sagen: Das ist politische Propaganda und eine bewusste Verunsicherung der Bürger . ({0}) Aber ich glaube, die Debatte der letzten Jahre hat zu einer Versachlichung beigetragen . Gerade für ein Land wie Deutschland sind Technologieoffenheit, ja Technologiefreundlichkeit wichtig, auch für die Zukunftsfähigkeit insgesamt . Aber wir dürfen nicht zu falschen Wenn-dann-Schlussfolgerungen kommen . Das heißt, wir dürfen nicht glauben, dass wir nicht mehr technologiefreundlich sind oder sein können, wenn wir bei einer Technologie - jetzt beim unkonventionellen Fracking strenge Restriktionen setzen . Es gibt zahlreiche andere Bereiche von Forschung und Hochtechnologie, bei denen es wichtig ist und wichtig bleibt, dass wir international an der Spitze sind . ({1}) Es ist wichtig, dass wir insgesamt ein technologiefreundliches Land bleiben . Dafür stehen wir als Union insgesamt - genauso wie wir für den Schutz von Mensch und Umwelt stehen; das steht für uns an vorderster Stelle . Herzlichen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Dr . Andreas Lenz . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8916, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/4713 und 18/4949 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8925 vor . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dagegen waren große Teile von CDU/CSU und SPD . Nicht abgestimmt haben die, die wollen, dass es an den Abstimmungsurnen besonders schnell geht . ({0}) - Ich bin ein Traum? Das hat mir ja noch niemand gesagt . Manche sagen: ein Albtraum . Aber das ist ein anderes Thema . ({1}) Ich glaube, an einem Tag wie heute braucht man ziemlich viel Humor . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Wir kommen nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Es liegen uns zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1) Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Ver- langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . Darf ich fragen, ob die Plätze an den Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung . Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Niemand mehr, der noch nicht abgestimmt hat . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird Ihnen wie immer später bekannt gegeben .2) Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8931 . Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Dage- gengestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, dafür- gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8926 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan- trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, abgelehnt haben ihn CDU/CSU und SPD . Zusatzpunkt 11 . Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrloch- bergbau und Kavernen . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/8907, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4714 und 18/4952 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit- te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich . - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zuge- 1) Anlagen 4 bis 6 2) Ergebnis Seite 17811 C stimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8907 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . CDU/CSU und SPD waren dafür, Linke und Bündnis 90/ Die Grünen waren dagegen . Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8927 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/ CSU und die SPD . Ich möchte Ihnen mitteilen, dass nach dem Ende der Debatte zum nächsten Tagesordnungspunkt die Fraktionssitzungen stattfinden. Dies wird früher als 13 Uhr sein, es sei denn, Klaus Ernst stellt dauernd Zwischenfragen, aber die werde ich dann nicht zulassen . ({2}) Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass wir vor 13 Uhr zu den Fraktionssitzungen gehen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann ({3}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mindestlohn für die Beschäftigung von Lang- zeiterwerbslosen Drucksache 18/8864 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern Drucksachen 18/4183, 18/8278 Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Debatte 38 Minuten vorgesehen . - Es gibt keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache, und besagter Klaus Ernst hat für die Linke das Wort . ({5}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1 . Januar 2015 haben wir den Mindestlohn . ({0}) Für viele bedeutet er mehr Geld . Aber das Gesetz über den Mindestlohn hat deutliche Mängel: Viele sind vom Mindestlohn ausgenommen . Der Mindestlohn ist deutlich zu niedrig . Das Gesetz ist schlampig formuliert . ({1}) - Es ist schlampig formuliert, Kollege Rützel . ({2}) Unsere Argumente, die wir damals vorgebracht haben, waren richtig . Wir haben nämlich von Anfang an gesagt - Kollege Rützel, jetzt wird es spannend -, dass definiert werden muss, was der Mindestlohn ist, wie er sich zusammensetzt, wie er sich berechnet . Die Regierung ihr von den Sozialdemokraten habt da mitgemacht - hat das ignoriert . Jetzt haben wir den Salat: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den Mindestlohn angerechnet werden können . ({3}) Das Problem ist nicht, dass das Gericht so entschieden hat; das Gericht hat nach der Gesetzeslage entschieden . Aber Sie haben ein Gesetz definiert, das es möglich macht, dass Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den Mindestlohn angerechnet werden können . Das ist Unfug, das muss geändert werden . ({4}) Das ist der Inhalt unseres Antrags, Kollege Rützel . Ich zitiere, damit man es nicht vergisst, aus unserem Antrag vom 3 . März 2015 . Da haben wir gefordert - ich zitiere -: Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren, dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht . Darüber hinausgehende Entgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt oder Urlaubsgeld … sind neben dem Mindestlohn zu zahlen … Das haben Sie im Gesetz nicht definiert, und jetzt haben wir die Probleme . Korrigieren Sie Ihren Fehler, und stimmen Sie unserem Antrag zu . Dann ist wenigstens dieser Mangel beseitigt . ({5}) In dem Zusammenhang können Sie dann auch gleich Ihre Ausnahme für Langzeitarbeitslose streichen . Für Langzeitarbeitslose ist der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten nach einer Einstellung nicht zwingend . Laut Gesetz hätte die Bundesregierung spätestens zum 1 . Juni 2016 diese Regelung auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen müssen, sie hat es aber nicht gemacht . Es steht aber so im Gesetz . ({6}) - Ach, geh, jetzt hört’s doch auf! Nichts habt ihr gemacht . Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert . Die Bundesregierung hat nichts vorgelegt . Das ist doch Fakt . Das bedeutet, dass die Bundesregierung die Gesetze, die sie selbst macht, nicht mehr ernst nimmt, und das Parlament auch nicht . Sonst hätte zumindest ein Bericht vorgelegen . Jetzt gibt es einen Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu diesem Thema . Das Institut hat Folgendes festgestellt: Die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose haben schlichtweg keine positive Wirkung - null positive Wirkung . ({7}) Im Gegenteil: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht von diskriminierenden und demotivierenden Regelungen . Betroffene müssen trotz Arbeit weiter über das Hartz-System ihren Lohn aufstocken . Meine Damen und Herren von der SPD, ich weiß ja, dass nicht all das, was im Gesetz steht, von euch gewollt war . Aber jetzt habt ihr die Chance, mit einer Zustimmung zu unserem Antrag diesen Fehler zu korrigieren . ({8}) Nehmt sie doch wahr! ({9}) Darum geht es . Wenn ihr es nicht macht, muss ich annehmen, ihr wollt es so, ihr wollt, dass die Arbeitslosen weiterhin sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommen werden können, und das ohne jeden Sinn . ({10}) Jetzt kommen wir zur Höhe des Mindestlohns . Das ist vor dem Hintergrund der Debatten der letzten Tage auch nicht ganz uninteressant . Ein Grund, warum wir gegen den Mindestlohn gestimmt haben, war seine Höhe . 8,50 Euro sind deutlich zu wenig . ({11}) Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber auch von der CDU/CSU, bestätigt uns das Ministerium selber, dass wir recht hatten, dass der Lohn zu niedrig ist . Wir haben gefragt, wie hoch der Mindestlohn sein müsste, damit er das anerkannte durchschnittliche Existenzminimum nach dem Hartz-System für einen Single ohne Kinder abdeckt . Es ist ja das Mindeste, dass der Mindestlohn das abdeckt, was ein Single mindestens zum Leben braucht - deswegen heißt er ja auch Mindestlohn . Was hat uns nun das Ministerium bestätigt? Es hat uns bestätigt, dass der Mindestlohn nicht einmal für das Mindeste reicht - für die Mehrheit derer, die im Westen wohnen und sehr hohe Mieten zahlen müssen . Aber es ist ja wohl der Sinn, dass der Lohn so hoch ist, dass man noch die Miete zahlen kann . Auch als Mindestlöhner muss man doch noch anständig wohnen können, oder nicht? ({12}) Insofern sage ich: Die geringe Höhe des Mindestlohns führt dazu, dass auch hier die Betroffenen weiter aufstocken müssen, und zwar nicht nur in Mietpreishochburgen wie München oder Hamburg, sondern in den meisten Kommunen der westlichen Bundesländer . ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir haben, ist nicht ein Mindestlohn; es ist ein Mangellohn . Es wird Zeit, dass wir das ändern . ({14}) Wir wollen, dass der Mindestlohn deutlich angehoben wird, und zwar unabhängig von den ungefähr 30 Cent, die gerade im Gespräch sind . Es wäre notwendig, dass wir per Gesetz die Basis erhöhen, an der die Mindestlohnkommission dann ansetzen kann, wenn sie über die Erhöhung entscheidet . Auch angesichts der Tatsache, dass die Rente der Rentnerinnen und Rentner, die vorher den Mindestlohn erhalten haben, weit unterhalb der Grundsicherung im Alter liegt - wir wissen, dass der Mindestlohn bei über 11 Euro liegen müsste, damit wir das ausgleichen können -, ({15}) sage ich: Sie haben zwar einen Mindestlohn vereinbart, aber er ist leider ein Mangellohn geblieben . Mit unseren Anträgen haben Sie jetzt die Chance, die Mängel zu beseitigen . Ich danke Ihnen fürs Zuhören . ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bevor ich Herrn Dr . Linnemann das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetz zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie bekannt geben: abgegebene Stimmen 564, mit Ja haben gestimmt 436, mit Nein haben gestimmt 119, Enthaltungen 9 . Der Gesetzentwurf ist damit angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 435 nein: 109 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Katrin Albsteiger Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr . Maria Böhmer Norbert Brackmann Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({1}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Olav Gutting Christian Haase Dr . Stephan Harbarth Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({2}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({3}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Stephan Mayer ({4}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h . c . Hans Michelbach Dietrich Monstadt Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({5}) Stefan Müller ({6}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({7}) Gabriele Schmidt ({8}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({9}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({10}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer ({11}) Christina Schwarzer Johannes Selle Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({12}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg ({13}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({14}) Sabine Weiss ({15}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({16}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({17}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({18}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({19}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({20}) Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Matthias Ilgen Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christian Lange ({21}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({22}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({23}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({24}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({25}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({26}) Matthias Schmidt ({27}) Dagmar Schmidt ({28}) Carsten Schneider ({29}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({30}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Dirk Wiese Waltraud Wolff ({31}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Dr . Michael Fuchs DIE LINKE Jan van Aken Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Roland Claus Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jutta Krellmann Sabine Leidig Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({32}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Harald Petzold ({33}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({34}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({35}) Volker Beck ({36}) Dr . Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({37}) Christian Kühn ({38}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({39}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Hans-Georg von der Marwitz Dr . Mathias Middelberg Detlef Seif Reinhold Sendker SPD Marco Bülow Christina Jantz-Herrmann Lars Klingbeil Dr . Hans-Ulrich Krüger Detlev Pilger Jetzt geht es weiter mit dem Mindestlohn . Dr . Carsten Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner . ({40})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ernst, wir haben es im Gesetz bewusst so formuliert, dass nicht die Partei Die Linke die Löhne in Deutschland festlegt . Seit Jahrzehnten handeln in Deutschland die Tarifpartner die Löhne aus . Deswegen gibt es auch eine Mindestlohnkommission der Tarifpartner, die die Löhne festlegt . Ich glaube, die Koalition aus CDU, CSU und SPD hat es richtig gemacht, dass nicht die Linke, sondern die Tarifpartner in Deutschland Mindestlöhne festlegen . ({0}) Herr Ernst, mir geht es eigentlich um einen anderen Punkt . Es ist ganz interessant: In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass sich die Kritik des Mittelstands in Deutschland am Mindestlohn an den hohen bürokratischen Hürden festmacht . Ich habe mir die Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags angesehen . Es stimmt: 60 bis 70 Prozent der Betriebe in Deutschland sagen: Es gibt zu viel Bürokratie . Aber interessant ist, Herr Ernst, die Schlussfolgerung, die Sie in Ihrem Antrag daraus ziehen . Ich zitiere: Die Behauptung einer vermeintlich überbordenden Bürokratie hat einzig den Zweck, den Mindestlohn zu unterlaufen . Damit unterstellen Sie diesen 60 bis 70 Prozent Mittelständlern in Deutschland, die bei den Umfragen der Industrie- und Handelskammern mitgemacht haben, dass sie das Thema Bürokratie ansprechen, um den Mindestlohn auszuhebeln . Sie stellen die Mittelständler in Deutschland einmal mehr unter Generalverdacht ({1}) und sorgen so dafür, dass es eine Kultur des Misstrauens gibt . Dafür darf es keinen Platz geben in Deutschland . Da müssen wir aufpassen . Das kritisiere ich an Ihrem Antrag . ({2}) Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich: Was denken Sie eigentlich über die Unternehmer in Deutschland, über den ganz normalen Mittelstand? Ich kann nicht in Ihren Kopf schauen, ({3}) aber ich kann Ihnen sagen: Ich habe viele Mittelständler in Deutschland besucht . Das sind Familienunternehmen, Gott sei Dank, sie sind oft in der Fläche, im ländlichen Raum, angesiedelt . Sie kennen ihre Mitarbeiter persönlich . Sie haben nicht nur ein Interesse an der Zukunft des Unternehmens, sondern auch ein Interesse am Wohl der Mitarbeiter selbst . Sie sehen den Menschen . Sie möchten, dass auch er eine Zukunft hat . Sie sehen den Unterschied, wenn Sie zum Beispiel nach Frankreich schauen . Dort gibt es nur noch die Großindustrie konzentriert auf Paris . Der Mittelstand bricht weg . Deswegen bin ich froh, dass wir die Familienunternehmen in Deutschland noch haben . Sie dürfen sie nicht unter Generalverdacht stellen . ({4}) Lassen Sie mich auf einen konkreten Punkt eingehen, Stichwort Bürokratie und Dokumentationspflichten. Ich will Ihnen das Beispiel Praktikum nennen . Das ist sehr interessant . Es gibt eine aktuelle Umfrage des ifo-Institutes . Dort heißt es: Vor Einführung des Mindestlohns im Januar 2015 haben noch 70 Prozent der Unternehmen angegeben, sie böten freiwillig Praktika an, heute sind es nur noch 34 Prozent . - Jetzt wird es interessant: Ähnlich sieht die Entwicklung bei den Pflichtpraktika aus, die von Schulen oder Hochschulen im Rahmen der Ausbildung vorgesehen sind; Klammer auf: Sie sind nicht mindestlohnpflichtig. Hier sank der Anteil von 62 auf 34 Prozent . Als Gründe gaben sie an: Unsicherheit, Dokumentationspflichten usw. Diese Unsicherheit müssen wir den Firmen nehmen . Dieses Beispiel zeigt, dass diese Bürokratie nicht die Generation Praktikum abschafft, was wir alle wollen, sondern in vielen Bereichen das Praktikum selbst . Deswegen brauchen wir Planungssicherheit und Bürokratieabbau . Wir sollten diese Bedenken ernst nehmen . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Linnemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin beim letzten Satz . Danach kann er gerne fragen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das wäre die einzige Zwischenfrage in dieser Debatte . Erlauben Sie, dass Klaus Ernst die einzige Zwischenfrage in dieser Debatte stellt?

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, jetzt muss ich sie ja erlauben .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich will erklären, warum das die einzige Zwischenfrage ist: Wir haben heute noch eine lange Tagesordnung und Fraktionssitzungen vor uns, und nach aktuellem Stand tagen wir heute bis 17 Uhr . ({0}) Eine Zwischenfrage lasse ich zu, und das war es dann . ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, dass Sie die Frage bzw . Bemerkung zulassen . - Herr Linnemann, Sie haben gesagt, dass Sie nicht in meinen Kopf schauen können. Danach fiel die Bemerkung: „Ein Glück!“ Ich weiß auch nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht und warum Sie auf unsere Anträge bis jetzt mit keinem Satz eingegangen sind . Es geht um ganz konkrete Dinge, nämlich um die Ausnahmeregelungen, und nicht allgemein um den Mittelstand . Ich würde gerne von Ihnen hören, ob Sie dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung widersprechen, das zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Ausnahmeregelungen bei den Langzeitarbeitslosen Unfug sind . Es wäre schön, wenn wir dazu noch was hören würden . Dann haben Sie gefragt, welches Bild von den Unternehmern wir haben . Herr Linnemann, wenn es um Kontrollen in Sachen Schwarzarbeit geht, äußern sich Vertreter Ihrer Fraktion in übelster Weise und polemisch über die Kontrolleure . Ich kann mich erinnern, dass Herr Fuchs hier gesagt hat: Es kommen bewaffnete Zöllnertruppen in die Betriebe und kontrollieren die Einhaltung des Mindestlohns . - Wenn man in der Öffentlichkeit so über den Mindestlohn debattiert, ist klar, dass Ihre Klientel auf die Idee kommt, zu fragen: Warum wird das eigentlich kontrolliert? Das ist doch bloß Bürokratie! Wissen Sie, was in diesem Zusammenhang bürokratisch ist? Die Ausnahmeregelungen sind bürokratisch . Wenn Sie die Ausführungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lesen, kommen Sie zu der Erkenntnis, dass wir weniger Bürokratie hätten, wenn wir die Ausnahmeregelungen abschaffen würden . ({0}) Ich bin der Meinung, Sie sollten dazu einmal etwas sagen; denn es wäre ein echter Abbau der Bürokratie, wenn man die Ausnahmeregelungen beenden würde . ({1})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ernst, das war eine Stellungnahme von Ihnen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, das sieht die Geschäftsordnung aber vor . Man kann fragen oder eine Stellungnahme abgeben .

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . - Herr Ernst, wir können uns gerne über alle Änderungen unterhalten . Es ist aber nicht in Ordnung, dass Sie sich nur eine oder zwei Änderungen herausnehmen . Wenn wir uns über Änderungen unterhalten, dann müssen wir auch über die Auftraggeberhaftung, die Praktikanten usw . reden . ({0}) - Nein, überhaupt nicht . Wenn, dann müssen Sie konsequent bleiben . Was mich gestört hat, ist der Ton, ist diese rote Linie . Sie stellen die Unternehmen unter Generalverdacht . Sie müssen einfach wissen, dass das nicht gut für dieses Land ist, auch nicht für das soziale Klima . Es ist einfach so, dass der deutsche Mittelstand den Sozialstaat trägt . Nur mit ihm ist er möglich . Herzlichen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sind Sie schon fertig? - Gut . Sechs Minuten verschenkt . Danke schön, Herr Dr . Linnemann . ({0}) Die nächste Rednerin: Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass die Redezeit, die Herr Linnemann nicht in Anspruch genommen hat, mir gutgeschrieben wird . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschäftsführer dem zustimmen würden, aber bitte .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Linnemann, es hätte Ihnen nach der vielen Kritik, die Sie am Mindestlohn und dessen Einführung geäußert haben, gut angestanden, jetzt einmal zu sagen: Dieser Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte . ({0}) Trotz aller Unkenrufe sind die Arbeitsplatzverluste, die Sie prognostiziert haben, ausgeblieben . (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Der Kollege Linnemann hat nichts prognostiziert und die CDU/CSU-Fraktion auch nicht! Das ist Unfug! Wenn Sie ein Feindbild brauchen, müssen Sie es pflegen! Aber das ist falsch! Minijobs sind in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden . Preisexplosionen haben nicht stattgefunden . Dafür haben Millionen Menschen mehr Geld in der Tasche . Der Mindestlohn ist in Deutschland gut angekommen; ({1}) aber leider eben nicht bei allen . Unter dem Vorwand, Langzeitarbeitslose durch Billiglöhne schneller in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, wurden Langzeitarbeitslose für sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommen . Schon damals hat es sehr viel Kritik an diesem Vorschlag gegeben . Alle Arbeitsmarktexperten haben darauf hingewiesen, dass Langzeitarbeitslose eine sehr heterogene Gruppe sind, die keinesfalls über einen Kamm geschoren werden darf . Sie haben auch darauf hingewiesen, dass es weitaus bessere und zielgenauere Instrumente gibt, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren . Leider hat sich die Union zum Schaden der Langzeitarbeitslosen gegen jeden Sachverstand dickköpfig durchgesetzt. ({2}) Die Langzeitarbeitslosen sind das Bauernopfer im Streit um den Mindestlohn, die auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert worden sind . Es ist Ihnen nie um die Menschen gegangen . ({3}) Jetzt ist dieser Vorwand nun wirklich wie ein Kartenhaus zusammengebrochen . Der Evaluationsbericht des IAB liegt vor, und die Ergebnisse sind wahrlich vernichtend . ({4}) Dort steht: Die Ausnahme ist in jeder Hinsicht in Bezug auf die erwarteten Effekte wirkungslos . Sie geht an den Herausforderungen bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen vorbei . Die Regelung wirkt diskriminierend . Last, but not least ist diese Regelung auch noch extrem teuer . Für 2 000 Bescheinigungen wurde über eine Viertel Million Euro ausgegeben . So gehen Sie mit Steuergeldern um . ({5}) Mit anderen Worten: Diese Regelung ist teuer und schlecht . Sie hat keinerlei Daseinsberechtigung . Sie muss weg, und zwar sofort . ({6}) - Das ist vollkommen falsch . Dafür gibt es überhaupt keinen Hinweis, ganz im Gegenteil . ({7}) Die Ausstellung von Bescheinigungen gibt noch keinen Hinweis darauf, dass die Menschen in den Arbeitsmarkt integriert worden sind . Das können Sie im IAB-Gutachten nachlesen, Herr Schiewerling . ({8}) Diese Regelung ist wirkungslos . Sie ist diskriminierend . Sie muss sofort weg . Wenn Sie, nachdem das nun endgültig unter Beweis gestellt worden ist, immer noch an dieser Regelung festhalten, dann machen Sie wirklich deutlich, dass es Ihnen zu keinem Zeitpunkt um die Langzeitarbeitslosen gegangen ist und dass Ihre Politik mit Sachpolitik nichts zu tun hat, sondern pure Ideologie ist . ({9}) Sie entwerten damit natürlich auch die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . Ich frage Sie: Warum machen wir so teure und aufwendige Untersuchungen, wenn deren Ergebnisse in der Politik überhaupt keinen Niederschlag finden? ({10}) - Das ist es wert . - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Schiewerling, ich bitte jetzt wirklich einmal um Ihre Aufmerksamkeit . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das muss aber schnell gehen .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schiewerling, ich hoffe, dass Sie dabei auch etwas lernen . ({0}) Ich nehme jetzt einmal keinen Geringeren als Epikur zur Hilfe, der einmal gesagt hat - ich zitiere -: „Der Beginn des Heils ist die Erkenntnis des Fehlers .“ Herr Schiewerling, carpe diem, nutzen Sie diesen Tag, und stimmen Sie heute dafür, dass diese diskriminierende und wirkungslose Regelung endgültig abgeschafft wird . ({1}) Vielleicht abschließend noch ein kleiner Hinweis an die SPD: Ich gehe davon aus, dass Sie heute für diesen Antrag, also für die Abschaffung der Sonderregelung für Langzeitarbeitslose, stimmen werden . Frau Mast hat ja bereits öffentlich erklärt, dass diese Regelung weg muss, dass sie gestrichen werden muss . Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die SPD ihre arbeitsmarktpolitische Sprecherin im Regen stehen lässt . ({2}) Liebe SPD, es gibt nichts Gutes, außer man tut es . Ich danke Ihnen . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Brigitte Pothmer . - Das Wort hat jetzt Katja Mast für die SPD . ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zwar nicht Epikur im Gepäck, aber Heribert Prantl . Er hat zur Einführung des Mindestlohns gesagt: Der Mindestlohn zählt zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit . - Ich finde: Er hat recht. ({0}) Herr Ernst, genau das ist das Problem Ihrer Fraktion . Sie haben versäumt, dieser großen sozialpolitischen Errungenschaft der Nachkriegszeit zuzustimmen . ({1}) Wir sind stolz darauf, dass wir den Mindestlohn nach zehn Jahren Kampf an der Seite der Gewerkschaften eingeführt haben . Das ist ein Leidenschaftsthema der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands . ({2}) Der Mindestlohn schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen - im Übrigen über 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . ({3}) Der Mindestlohn schützt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in dieser Republik, weil sie nicht mehr Dumpinglöhne durch Steuermittel subventionieren müssen . ({4}) Der Mindestlohn schützt die ehrlichen und anständigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, weil sie sich auch gegen Schmutzkonkurrenz besser wehren können . ({5}) Das ist die ethische Frage, die Frage nach der Würde der Arbeit und danach, was soziale Marktwirtschaft heute bedeutet . ({6}) Aber der Mindestlohn hat auf der anderen Seite auch andere Auswirkungen . Wie viele Unkenrufe haben wir gehört, dass es durch den Mindestlohn zu bis zu 1,2 Millionen Arbeitslosen zusätzlich komme . ({7}) Unkenruf widerlegt: geringste Arbeitslosenquote seit 24 Jahren in Deutschland . Unkenruf zwei: Die Zahl der sogenannten Aufstockerinnen und Aufstocker bleibt gleich oder steigt gar an . Fakt ist: Es gibt Hunderttausende Aufstockerinnen und Aufstocker weniger in der Bundesrepublik Deutschland . Unkenruf widerlegt . ({8}) Unkenruf drei: Der Mindestlohn wird der Wirtschaft schaden . - Im Gegenteil: Er nutzt der Wirtschaft . Selten war die Kaufkraft in Deutschland so hoch wie heute . Geringverdiener haben einen Lohnzuwachs von 5 Prozent durch den Mindestlohn . Unkenruf widerlegt . ({9}) Unkenruf vier war immer: Der Mindestlohn ist ein unverhältnismäßiger Preistreiber . - Ja, es gab ganz wenige moderat angestiegene Preise . Wir fahren weiterhin Taxi, wir gehen weiterhin zum Friseur, und wir nehmen andere Dienstleistungen in Anspruch . Auch dieser Unkenruf ist widerlegt. - Ich finde: Heribert Prantl hatte recht. Ihre Anträge geben mir die Möglichkeit, etwas zu ein paar aktuellen Entwicklungen zu sagen . ({10}) Wir können heute über den IAB-Bericht reden, dessen Überschrift übrigens „Mindestlohnbegleitforschung Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose“ lautet und der diese Woche dem Parlament zugegangen ist . ({11}) Dass er nach 18 Monaten dem Parlament zugegangen ist, ist ein Erfolg der Koalitionspartner in den Verhandlungen zu diesem Gesetzentwurf im Parlament, weil vorgesehen war, ihn nach 24 Monaten zu erstellen . Wir sind froh, dass wir das heute machen können . ({12}) Die Regelung hat sich aus Sicht der SPD - Frau Pothmer, ich wiederhole gerne meine Aussagen, die ich schon öffentlich gemacht habe - nicht bewährt . ({13}) Wir waren von Anfang an der Meinung: Sie ist stigmatisierend . ({14}) Wir wissen jetzt, dass sie kaum genutzt wird . Sie verfehlt damit aus Sicht der Sozialdemokraten das Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen . Aus unserer Sicht kann sie gestrichen werden . ({15}) Die eigentliche Botschaft dieser Absenkung des Mindestlohns ist nämlich: Arbeit lohnt sich für dich nicht . Das ist nicht die Haltung der SPD . ({16}) Aber wie in jeder ordentlichen Koalition brauchen wir auch in unserer Koalition Bündnispartner, ({17}) weil wir gemeinsam verabredet haben - das müssten die Grünen, die mal irgendwo in Regierungsverantwortung waren, auch wissen -: In der Koalition gibt es nur gemeinsame Mehrheiten im Deutschen Bundestag . Deshalb müssen wir das mit unserem Koalitionspartner besprechen . ({18}) Übrigens: Auch Frau Nahles ist der Meinung, dass diese Ausnahme beim Mindestlohn gestrichen werden kann . Ich will noch einmal sachlich etwas erläutern . Wenn es tatsächlich notwendig ist, dass jemand nach langer Arbeitslosigkeit zu Beginn seiner Beschäftigung unterhalb des Mindestlohnniveaus bezahlt werden soll, so stehen dafür bereits bewährte Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung, die übrigens im Gegensatz zu dieser Absenkung auch angewandt werden, etwa der Eingliederungszuschuss . Bei der Absenkung des Mindestlohns geht es um sechs Monate; der Eingliederungszuschuss kann für Langzeitarbeitslose bis zu zwölf Monate gewährt werden - er wird übrigens auch recht oft gewährt -, und man kann bis zu 50 Prozent der Lohnkosten bis zu einer Höhe von 657 Euro vom Jobcenter bekommen . Diese Absenkung des Mindestlohns passt auch gar nicht in die Instrumentenlandschaft, mit der wir Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen . Deshalb sind wir ganz klar für eine Abschaffung . - Das war das erste aktuelle Thema . Das zweite Thema - auch darüber wurde heute gesprochen - betrifft die Anrechnung von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn . Die Frage war, wie wir damit umgehen . Ja, es gibt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das uns alle beunruhigt . Es beunruhigt uns deshalb, weil wir glauben, dass es dazu kommen könnte, dass selbst 13 . Monatsgehälter auf den Mindestlohn angerechnet werden . Das war bisher nie unsere Auffassung und auch nicht die Auffassung der Bundesregierung . Allerdings: Im Gegensatz zu den Antragstellern mache ich da keinen Schnellschuss; denn die Begründung des Urteils liegt noch nicht vor . Deshalb bin ich auch froh, dass wir heute nicht darüber abstimmen, sondern uns Zeit nehmen, ({19}) um gemeinsam darüber zu diskutieren . Zum Dritten: zur Debatte um die Mindestlohnkommission und die Erhöhung des Mindestlohns . Ich bin mir sicher, dass die Mindestlohnkommission nächste Woche eine gute Empfehlung abgeben wird . ({20}) Wir haben bewusst die Tarifvertragsparteien in die Mindestlohnkommission geholt, damit die Lohnfindung nicht im Parlament stattfindet, sondern mit den Tarifvertragspartnern . ({21}) Damit haben wir historisch sehr gute Erfahrungen gemacht . Wir wollen nicht zurück zu den Verhältnissen der Weimarer Republik, in der das anders war .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gleich zum Schluss .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie kommen bitte zum Schluss!

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Mindestlohnkommission wird, wie gesagt, eine gute Entscheidung treffen . Ich will ihr mit auf den Weg geben, ({0}) dass sie eine Gesamtabwägung vorzunehmen hat und sich nicht ausschließlich am Tarifindex orientieren darf; das steht so im Gesetz . In diesem Sinne: Der Mindestlohn ist ein großer Erfolg . Er zählt zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit . Wir freuen uns, dass es uns 2015 gelungen ist, ihn einzuführen . Vielen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: Matthäus Strebl für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der gesetzliche Mindestlohn hat seit seiner Einführung 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höhere Löhne beschert . Zusätzlich wurden viele geringfügige in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt . Wenn wir heute, nach eineinhalb Jahren, fraktionsübergreifend Bilanz ziehen, kann schon jetzt ohne Übertreibung gesagt werden - ich wiederhole es -: Es ist ein Erfolg, dass der Mindestlohn eingeführt worden ist . ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders im Einzelhandel und in der Gastronomie, um zwei Branchen zu nennen, profitieren viele Menschen vom gesetzlichen Mindestlohn . Dies bestätigen auch die Zahlen: In der Gastronomie stieg die Zahl der Vollbeschäftigten um 1,5 Prozent, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten sogar um 1,8 Prozent . Von einem befürchteten Abbau von Arbeitsplätzen, besonders in der Gastronomie, wenn ich dabei bleiben darf, kann nicht die Rede sein . Der Mindestlohn bringt in erster Linie Gerechtigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Besonders Frauen, die häufig im Niedriglohnsektor arbeiten, profitieren davon. Sie haben einen Anteil von 62 Prozent an den vom Mindestlohn geschützten gering bezahlten Tätigkeiten . Entgegen der ersten Vermutung profitieren nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Mindestlohn . Nein, er ermöglicht auch Gerechtigkeit für die Unternehmen . Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumping werden verhindert . Benachteiligt wurden in der Vergangenheit ausgerechnet die Unternehmen, die ihren Beschäftigten angemessene Löhne gezahlt haben . Werte Kolleginnen und Kollegen, über den Mindestlohn wurde vor seiner Einführung über Jahre hinweg kontrovers diskutiert . Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander: Für die einen ist er ein unerlaubter Eingriff in die unternehmerische Freiheit und für die anderen ein soziales Wundermittel . Beide Ansichten halte ich für übertrieben . Vor der Einführung des Mindestlohns wurde vor den Gefahren des Mindestlohns gewarnt . Ich nenne nur einige Beispiele aus der Zeit: Verlust von Arbeitsplätzen, unnötige Bürokratie oder nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Privat- und Tarifautonomie . Eingetreten sind die Befürchtungen nicht . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die gute Konjunktur und der positive Arbeitsmarkt für den Mindestlohn hilfreich sind . Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist so gut wie lange nicht . Nach den Prognosen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wird die Zahl der Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr zum elften Mal in Folge steigen . Allein im April dieses Jahres gab es über 43 Millionen Erwerbstätige, und die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin in einer robusten Verfassung . Das ist vor allem durch höhere Investitionen und Konsumausgaben bedingt . Natürlich sind die meisten Arbeitgeber bereit, ihr gutes und qualifiziertes Personal angemessen zu entlohnen . Ich sage aber auch: Gleichwohl muss der Mindestlohn im Einklang mit der Wettbewerbsfähigkeit stehen . Sonst würden wir hier auch Arbeitsplätze vernichten . In den Regelungen zum Mindestlohn haben wir sowohl Übergangsregelungen für einige Branchen als auch Ausnahmen verankert . Ich möchte hier einige nennen: Insbesondere die Ausnahme vom Mindestlohn für Beschäftigte unter 18 Jahren halte ich für besonders sinnvoll . Damit wollen wir verhindern - das ist der Punkt -, dass junge Menschen wegen besser bezahlten Hilfstätigkeiten auf eine Ausbildung verzichten; denn eine Ausbildung hat für die späteren Berufsjahre einen ungemein hohen Wert . ({1}) Mit der Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose ({2}) wollten wir Anreize schaffen, Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien wieder einzustellen. Ich sagte: „wollten wir“ . Im Ausschuss wurde uns in dieser Woche von der Parlamentarischen Staatssekretärin Lösekrug-Möller ein Bericht der Bundesregierung über die Wirksamkeit dieser Regelung angekündigt, und ich begrüße es, dass die Vorlage zeitnah erfolgen soll . Ich denke schon, dass wir uns so lange gedulden sollten . ({3}) Meine Damen und Herren, 8,77 Euro oder 10 Euro: Über die Anpassung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission kursieren in den Medien unterschiedlichste Zahlen . ({4}) Viele Forderungen halte ich für überhöht; denn sie dienen nur der Stimmungsmache bei den Wählerinnen und Wählern . Ich halte es für wichtig, das Thema nicht zu instrumentalisieren . Oft wird das Argument genannt, dass ein Gehalt auf Mindestlohnniveau auch nach 45 Beitragsjahren nicht für eine Rente oberhalb der Grundsicherung ausreicht . ({5}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dabei werden hier aber bestimmte Punkte übersehen: Die meisten Beschäftigten werden in ihrem Arbeitsleben nicht ausschließlich nur einen Mindestlohn verdienen . ({6}) Der Mindestlohn definiert, wie uns allen bekannt ist, eine Lohnuntergrenze . Bedingt durch Erfahrung und Qualifikation steigt bei vielen Beschäftigten im Laufe des Berufslebens der Lohn . Auch wird unterschlagen, dass Menschen oft eine zusätzliche Altersvorsorge oder ein weiteres Einkommen haben . Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend sagen: Sowohl Beschäftigte als auch Arbeitgeber bewerten den Mindestlohn durchweg positiv . Warten wir den Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ab, um dann weitere Schritte zu gehen und Entscheidungen zu fällen . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Strebl . - Letzter Redner in der Debatte: Bernd Rützel . ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg bis zur Einführung des Mindestlohns war lang, schwierig und äußerst erfolgreich . ({0}) Deswegen bin ich sehr froh, dass wir fast auf den Tag genau vor zwei Jahren diesen Mindestlohn auf den Weg gebracht haben. Seit dem 1. Januar 2015 profitieren 4 Millionen Menschen von diesem Mindestlohn . Keines der Horrorszenarien ist eingetreten . Es wurde vieles prophezeit, ({1}) aber die Minijobs sind in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt worden, ({2}) und das ist wichtig für unsere ganze Volkswirtschaft und für jeden Einzelnen . ({3}) - Es langt immer „nie“ . Aber man muss auch gucken: Was ist realistisch umsetzbar? Ich glaube, wir haben genau das Richtige getan . Es ist schön, dass wir das gewesen sind und dass wir nach so einem langen Weg dabei waren, diesen Mindestlohn einzuführen . ({4}) Die Anhörung am 14 . März dieses Jahres hat deutlich gezeigt, dass die Einführung in den Betrieben meistens problemlos verlaufen ist . Ich will hier die Stellungnahme des Kommissariats der Deutschen Bischöfe zu der Anhörung zitieren, in der es heißt - ich zitiere -: Erhebliche Probleme sind im kirchlichen einschließlich des sozial-karitativen Bereichs mit der Einführung des Mindestlohns in der Praxis nicht aufgetreten . Ich könnte hier noch einige Beispiele aufzählen . Aber ich will jetzt etwas zu Ihren Anträgen sagen . Es ist bekannt, dass die SPD bei der Verabschiedung des Gesetzes damals kein Freund der Ausnahmen vom Mindestlohn gewesen ist und auch heute nicht ist, weder derer für die unter 18-Jährigen noch derer für Langzeitarbeitslose; denn die Lohnuntergrenze sollte für alle gelten . Aber wir sind auch nicht alleine auf der Welt . Wir mussten Kompromisse eingehen . Das ist so, wenn man regiert . In der Opposition ist das vielleicht leichter . ({5}) Die Sonderregel für die Langzeitarbeitslosen ist, wie Sie es beschrieben haben und wie wir das auch in dem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und BerufsforMatthäus Strebl schung, des IAB, gelesen haben, als nutzlos und als sinnlos bezeichnet worden . ({6}) Es hieß in dem Bericht auch, dass die befürchteten Drehtüreffekte, wonach viele Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausgeholt, für sechs Monate eingestellt und dann entlassen werden, überhaupt nicht eingetreten sind . Darüber hinaus hätten die Ausnahmeregelungen bei den Arbeitsvermittlern unnötige Arbeit verursacht, und sie erschwerten die Kontrolle des Mindestlohns . ({7}) Daher sollte man diese Ausnahmen im Prinzip aus dem Gesetz streichen . ({8}) Das hat auch unsere Bundesministerin Andrea Nahles vorgeschlagen . Allerdings wird niemandem entgangen sein, dass es seit der Einführung des Mindestlohnes immer wieder bis heute die heftigsten Forderungen nach Ausnahmen, nach Rücknahme und nach der Einschränkung von Kontrollen gab . Ich könnte mir vorstellen, dass einige Gruppen nur darauf warten, hier Verschlechterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen . ({9}) Das wird die SPD nicht zulassen . ({10}) Zum Thema bessere Werkzeuge . Meine Kollegin Katja Mast, unsere Sprecherin, die wir, Frau Pothmer, niemals im Regen stehen lassen - wir stehen nämlich zusammen, wenn es darauf ankommt; deswegen sind wir erfolgreich -, ({11}) hat darauf hingewiesen, dass wir gute Programme haben . Ich erinnere an das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, bei dem es auch immer heißt, das sei zu wenig, das aber in der Wirklichkeit seine Wirkung entfaltet . Ich erinnere an den ESF . ({12}) Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir weiterhin alles daransetzen müssen, die beruflichen Perspektiven gerade von Langzeitarbeitslosen immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen und täglich etwas dafür zu tun . Aber das ist schwierig; das steht auch im IAB-Bericht . Was den Mindestlohn angeht, will ich zusammenfassend sagen, dass dies eine sehr große Erfolgsgeschichte war und ist und sein wird . Wir haben diesen Mindestlohn politisch nur einmal festgelegt - wir waren damals in London und haben uns das angeguckt ({13}) und überlassen ansonsten die Festlegung des Mindestlohns der Kommission . Diese Kommission wird bei ihrer Festlegung des Mindestlohns alle Punkte ordentlich berücksichtigen, bekannt gegeben wird er am nächsten Dienstag . Ich bin sicher: Der Mindestlohn wirkt . Er ist eine Erfolgsgeschichte . Danke schön . ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Rützel . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8864 mit dem Titel „Mindestlohn für die Beschäftigung von Langzeiterwerbslosen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/CSU und die SPD . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8278, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4183 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Dagegengestimmt hat die Linke . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen . Interfraktionell ist vereinbart worden, jetzt die Sitzung zu unterbrechen . Voraussichtlich werden die Sondersitzungen eine Stunde dauern, also bis gegen 13 .45 Uhr . Der Wiederbeginn wird Ihnen aber rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt . Ich wünsche Ihnen eine gute Beratung in den Fraktionen zu einem sehr schwierigen Thema . Die Sitzung ist jetzt unterbrochen . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaBernd Rützel ren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien ({0}) Drucksache 18/8860 Überweisungsvorschlag Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion . ({2})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, dass es nicht ganz leicht fällt, an diesem Tag zur Tagesordnung überzugehen, die wir heute im Plenum haben . Ich persönlich fühle mich Großbritannien von Kindesbeinen an sehr verbunden . Wir alle haben nicht vergessen, dass dieses Land auch von britischen Soldaten vom Nationalsozialismus befreit wurde . ({0}) Diese Entscheidung darf und wird nicht das Ende von Europa sein . Mir ist wichtig, das deutlich zu machen . Das heißt auch, dass wir in dieser Situation nicht in Angststarre verfallen dürfen, sondern dafür sorgen müssen, dass wir unsere Arbeit weitermachen . Deshalb ist es dann doch folgerichtig, dass wir die Dinge, die wir heute im Bundestag zu beraten haben, abschließen . Das betrifft auch das zentrale Projekt der Energiewende, meine Damen und Herren . Ich sage vorweg: Wir wollen und wir werden die Energiewende in Deutschland zum Erfolg führen . Oder besser: Sie ist schon heute ein Erfolg . ({1}) Wir haben in den letzten Jahren mit zwei zentralen gesellschaftlichen Entscheidungen die Energiewende eingeleitet: mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, der nicht erst nach Fukushima begann, sondern 1998/2000 vereinbart wurde, kurzzeitig unterbrochen war, und mit der Entscheidung, sich in einer industrialisierten Gesellschaft sehr ehrgeizige Klimaschutzziele zu stecken . Wir haben mittlerweile einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Deutschland von 33 Prozent . Das ist eine lange Strecke, eine lange Lernkurve . Ich will daran erinnern, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das wir heute anfangen, grundlegend zu reformieren, eingeführt wurde zur Markteinführung erneuerbarer Energien . Aber bei 33 Prozent Marktanteil kann man nicht mehr von Markteinführung reden . Vielmehr werden die Erneuerbaren jetzt Stück für Stück zur tragenden Säule der Energieproduktion in Deutschland . Deshalb müssen wir mit diesem Gesetz zwei Dinge auf den Weg bringen . Zum einen gilt es, mit einem neuen System dafür zu sorgen, dass wir von einer Preissteuerung zu einer Mengensteuerung kommen, das heißt, dass wir über das marktwirtschaftliche Instrument der Ausschreibung für mehr Kosteneffizienz beim Ausbau auf der nächsten Strecke bis 2025 sorgen; denn es geht jetzt von 33 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion in Deutschland in Richtung 45 Prozent in den nächsten Jahren . Zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass das systemintegriert geschieht, das heißt, dass der Ausbau der Netze mit dem Ausbau der Erneuerbaren Schritt halten kann . Dafür sorgt dieses Gesetz, meine Damen und Herren . ({2}) Wir haben nach wie vor - ich sage das auch den Kollegen der Grünen, weil ich mir lebhaft vorstellen kann, dass die Reden, die sie schon 2014 zum Gesetz gehalten haben, jetzt wieder aufgetischt werden ({3}) sehr ambitionierte Ausbauziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien . Wie gesagt: Das Ziel ist 45 Prozent im Jahr 2025 . Aber mit dem Paradigmenwechsel, den wir jetzt vollziehen, von festen Einspeisevergütungen für den Ausbau hin zu Ausschreibungen, bei denen das kosteneffizienteste Angebot zum Zuge kommen kann, sorgen wir dafür, dass die Korridore auch eingehalten werden, die wir uns vorgenommen haben . Damit die Systemintegration stattfinden kann, weisen wir den richtigen Weg. Ich bin dankbar und froh, dass es gelungen ist, den Bundesminister Sigmar Gabriel 2014 und jetzt erst recht dafür zu gewinnen, mit diesem Gesetz dafür zu sorgen, dass wir nicht mehr 16 verschiedene Energiewenden in Deutschland haben . Es ist in intensiven Verhandlungen gelungen, zu einer Verständigung mit allen Regierungschefs der Länder auf das Grundgerüst dieser EEG-Reform zu kommen . Aus den Ländern waren Regierungschefs der SPD, der CDU, einer von der CSU - sehr bekannt -, einer von den Grünen und einer von der Linkspartei dabei . Deshalb sage ich der Opposition: Tun Sie uns den Gefallen und versuchen Sie, im Bundestag nicht weniger Klugheit an den Tag zu legen, als Ihre Kollegen es aus den Ländern getan haben, die diesen Weg mitgehen . ({4}) Wir haben jetzt ein ambitioniertes parlamentarisches Verfahren vor uns . Für meine Fraktion, für die SPD-Bundestagsfraktion, will ich sagen, dass es neben vielen Details zumindest drei größere Themen gibt, die wir im parlamentarischen Verfahren mit dem Koalitionspartner, mit der Opposition, mit Experten in der Anhörung disVizepräsidentin Petra Pau kutieren wollen, ob es noch zu Änderungen am Entwurf kommt . Es gilt das Struck’sche Gesetz: Keine Regierungsvorlage verlässt das Parlament so, wie sie eingebracht wurde . - Wir sind selbstbewusste Parlamentarier . Wir tragen als Fraktion die Grundlinie mit . Aber es gibt drei Dinge, über die wir reden wollen: Erstens die Frage, wie wir es hinbekommen, in diesem System die Akteursvielfalt zu erhalten . Das Thema Bürgerenergie ist uns sehr wichtig . Da hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Vorschlag entwickelt, der in die richtige Richtung geht, damit auch Bürgerenergie zum Zuge kommt . Wir wollen darüber reden, ob wir weitere Maßnahmen ergreifen können, um die Hürden bei der Teilnahme an den Ausschreibungen abzusenken . Da geht es nicht um eine Regelung, die die Ausschreibung aushöhlt - da sollte sich keiner Illusionen machen -, sondern um eine Regelung, die faire Chancen zur Teilnahme an der Ausschreibung schafft . Zweitens . Wir wollen darüber reden, ob im Übergang zu den Ausschreibungen die sogenannte Einmaldegression im Jahre 2017, die vorgesehen und vernünftig ist, ein Stück weit gestreckt werden kann, damit wir dann keinen Stop-and-go-Effekt haben . Das werden wir in der Anhörung diskutieren und entsprechend behandeln . Drittens . Wir sind der festen Überzeugung, dass wir noch einmal über das Thema der zuschaltbaren Lasten reden müssen, nämlich über die Frage, ob das, was an überschüssigem Strom da ist, volkswirtschaftlich sinnvoller verwendet werden kann . Dazu gibt es einen Vorschlag: Wir wollen untersuchen, ob wir in diesem Bereich - im Sinne einer Speicherung des überschüssigen Stroms - einen Schritt weiter gehen und zumindest eine Experimentierklausel in das Gesetz aufnehmen können . Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es eingangs gesagt: Wir wollen und wir werden mit diesem Gesetz die Energiewende zum Erfolg führen . Dies ist eine energieintensive Woche: Wir haben hier gestern das Strommarktgesetz und das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende in zweiter und dritter Lesung beraten und dann beschlossen, jedenfalls viele Kollegen, die im Saal waren . Heute wurde hier im Bundestag das Thema Gasförderung mithilfe von Fracking diskutiert und das Verbot von unkonventionellem Fracking beschlossen . Wir werden versuchen, in zügigen, aber grundlegenden Beratungen dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz noch vor der Sommerpause über die parlamentarischen Hürden kommt . Wer sagt, das wäre Durchpeitschen, sagt nicht die Wahrheit . Die Themen sind lange bekannt . Es ist Zeit zu handeln, und das werden wir tun . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einen Hinweis: Wir werden die Tagesordnung genau so, wie sie im Ältestenrat und zwischen den Fraktionen vereinbart war, gemeinsam abarbeiten . Das Einzige, was heute entfällt, ist eine namentliche Abstimmung, die für den Nachmittag angekündigt war . Alle anderen Dinge werden wie geplant hier stattfinden. Wir fahren in der Debatte zur EEG-Novelle fort . Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke . ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier über eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes . Ehrlicher wäre gewesen, von einem Energiewendeverhinderungsgesetz zu sprechen . ({0}) Denn das, was Schwarz-Rot vorgelegt hat, befördert die notwendige Energiewende nicht; es bremst sie aus . ({1}) Schwarz-Rot, die Regierung Merkel/Gabriel wird zum Bremsklotz für die Energiewende . Damit versündigen Sie sich nicht nur an einer Zukunftsbranche, sondern auch an nachkommenden Generationen . ({2}) Nehmen wir nur die Bürgerenergie . Die Hälfte der Ökostromerzeugung kommt aus dem Bereich der Bürgerenergie . Das meint Genossenschaften, Bioenergiedörfer oder Menschen, die sich zusammenschließen und gemeinsam in eine Anlage investieren . Bürgerenergie steht für eine Nähe zu Verbrauchern und bedeutet eben auch eine wachsende Unabhängigkeit von großen Konzernen . Diese Unabhängigkeit von großen Konzernen ist wichtig; denn wir müssen weg von diesen Megaanlagen, hin zu kleinen, intelligenten Anlagen - dezentral und erneuerbar . So geht Energiewende . ({3}) Da gibt es nun die Ausschreibungspflicht. Für den Laien klingt das erst einmal harmlos, zumal es ja auch gewisse Ausnahmen geben soll . ({4}) Aber in der Praxis bedeutet die Ausschreibungspflicht eine Benachteiligung für die Bürgerenergie; denn die großen Konzerne - da braucht man sich nichts vorzumachen, Herr Heil - bezahlen Planungskosten natürlich eher aus der Portokasse . Kleine Bioenergiedörfer oder Genossenschaften können es sich nicht leisten, ({5}) in Planungen zu investieren, dann womöglich die Ausschreibung zu verlieren und auf den Kosten sitzen zu Hubertus Heil ({6}) bleiben . Insofern bricht dieses schwarz-rote Gesetz der Bürgerenergie das Genick . Sie rollen den großen Finanzinvestoren den roten Teppich aus . Das ist die falsche Prioritätensetzung . ({7}) - Frau Präsidentin, Herr Heil möchte mir eine Frage stellen . Er will mich bestimmt nach den Ausnahmeregelungen für den Bereich der Bürgerenergie fragen . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zuerst halte ich mal die Uhr an .

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie bereit sind, auf eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Heil zu reagieren . - Bitte, Kollege Heil .

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank, Frau Kipping . Sie haben es schon erahnt: Ich habe eine ganz grundsätzliche Frage . Wir wälzen pro Jahr 24 Milliarden Euro um ({0}) - 25 Milliarden Euro um -, um erneuerbare Energien über die EEG-Umlage auszubauen . Das ist auch mit bestimmten sozialen Fragen verknüpft . Wir wollen das auch weiterhin tun . Wir wechseln jetzt aber zum System der Ausschreibungen . Mir ist Folgendes nicht ganz klar: Sind Sie grundsätzlich gegen Ausschreibungen - das kann man vertreten -, oder sind Sie der Meinung, es sollte für die Bürgerenergien Ausnahmen geben, sodass die Planungskosten, die Sie für ein Haupthindernis halten, kein Problem sind? Ich habe vorhin in meiner Rede gesagt: Es gibt einen Vorschlag, die sogenannte BImSchG-Genehmigung, die erhebliche finanzielle Vorleistungen nach sich zieht, für Bürgerenergien zunächst nicht zu fordern . Wir diskutieren im Verfahren weitere Möglichkeiten . Sind Sie der Meinung, dass wir am Gesetzentwurf etwas reformieren sollten, oder sind Sie einfach für Revolution im Sinne von: keine Ausschreibung, nie und nimmer! Das würde ich gerne wissen . Ich bitte Sie, das klarzustellen .

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Über die Frage „Reform oder Revolution?“ könnte man trefflich streiten. ({0}) Ich bin ein großer Fan von revolutionärer Realpolitik, ({1}) aber das ist nicht das Thema des Tagesordnungspunktes . Die konkrete Fachfrage, die dahintersteht, ist doch die: Die ursprüngliche Idee des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - das ist das große Erbe von Hermann Scheer, der leider viel zu früh gestorben ist - war doch, Menschen zu ermuntern, von sich aus die Energiewende in die Hand zu nehmen, sodass man nicht abhängig ist von den Entscheidungen, die an der Spitze irgendwelcher Konzerne getroffen werden, und alles zu tun, um für eine deutlich bessere Wettbewerbssituation der Bürgerenergien zu sorgen. Deswegen finden wir die ursprüngliche Anlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes deutlich besser als das, was Sie jetzt probieren . Die Ausnahmeregelungen mildern das Problem nur ab, sie beseitigen das Problem aber nicht . ({2}) Ich kann ganz grundsätzlich sagen: Ja, es gibt eine Konkurrenz zwischen den kleinen Energiegenossenschaften und den großen Konzernen . Es ist quasi ein Kampf vieler kleiner Davids gegen einige wenige große Goliaths . Ganz offensichtlich stehen Sie eher auf der Seite der Goliaths . Wir jedoch meinen: Verantwortungsvolle Energiepolitik heißt ganz klar, auf der Seite der Bürgerenergie zu sein . ({3}) Ja, Ihre Entscheidung ist nicht nur unökologisch, ich finde, sie ist auch energieindustriepolitisch eine falsche Weichenstellung . Nehmen wir nur einmal die Deckelung der Windkraft an Land . Angeblich geht es bei der Deckelung der Windkraft darum, die Strompreise niedrig zu halten . ({4}) Das ist eine Forderung, die uns Linken sehr wichtig ist; denn natürlich sagen wir: Strom darf kein Luxusgut werden . Deswegen setzen wir uns für einen Gratissockel und für Sozialtarife ein . Aber wenn Sie auf die Strompreise verweisen, dann wirkt das immer wie eine faule Ausrede . Es ist doch auffällig: Die Windkraft an Land soll gedeckelt werden, bei den Offshoreanlagen hingegen ist man deutlich großzügiger . Dabei wissen wir doch, dass die Offshoreanlagen, also die Anlagen im Meer, den Stromkunden doppelt so viel kosten . Außerdem wissen wir, dass große Offshoreanlagen solche Dimensionen haben, dass sie eben nicht von Bürgerenergienmodellen getragen werden können, sondern nur von großen Konzernen umgesetzt werden können . Auch bei der Energiewende zeigt sich wieder einmal: Schwarz-Rot ist der Kumpel der großen Konzerne; denn die großen Konzerne können sich viele Lobbyisten leisten . Ihnen bescheren Sie Profitmöglichkeiten, während Sie der Bürgerenergie das Genick brechen, und das ist beschämend . ({5}) Wir als Linke meinen hingegen: Weg mit dem Deckel bei der Windkraft an Land, her mit der Energiewende in Bürgerhand . So geht Zukunftsfähigkeit! Vielen Dank . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eigentlich habe ich mir fest vorgenommen, auf so etwas gar nicht mehr einzugehen, weil es immer dieselbe Platte, immer dieselbe Leier ist, Frau Kipping . ({0}) Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass wir reformieren müssen . Wir geben mittlerweile 25 Milliarden Euro pro Jahr an Subventionen für erneuerbare Energien aus, und das 20 Jahre lang . ({1}) Die erneuerbaren Energien sind uns also 500 Milliarden Euro wert . Wer dann davon redet, dass wir etwas kaputtmachen wollen, der versündigt sich an denjenigen, die das zu bezahlen haben, und das sind vor allen Dingen die kleinen Leute, das sind Ihre „Kunden“, die das zu bezahlen haben . ({2}) Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die mit jedem Jahr mehr für das EEG etc . zu bezahlen haben . Zurzeit sind das 6,35 Cent pro Kilowattstunde .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Meiwald?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von mir aus .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Vielen Dank, Herr Fuchs . Sie haben gerade wieder von den 25 Milliarden Euro Subventionen gesprochen . Das hören wir seit Jahren immer wieder .

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann sie doch nicht wegdiskutieren .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie den Bürgern erzählen, dass sie 25 Milliarden Euro für die Erneuerbaren als Subventionen bezahlen, dann müssen Sie auch zwei weitere Fragen beantworten, worum ich Sie bitte: Die eine Frage lautet: Wer bezahlt Ihrer Meinung nach die 100 Milliarden Euro für die fossilen Brennstoffe, die wir jedes Jahr importieren? Die muss ja auch jemand bezahlen . Wer bezahlt das Ihrer Meinung nach? Die zweite Frage schließt sich daran an: Die EEG-Umlage ist im Grunde die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der Einspeisevergütung . Wenn jetzt der Börsenstrompreis sinkt und die EEG-Umlage steigt, dann bleibt die Differenz, also der Preis, in der Summe doch tendenziell gleich . Wie begründen Sie angesichts dessen Ihre Aussage, dass wir dafür sorgen müssen, dass der Strompreis aufgrund der Steigerung der EEG-Umlage nicht immer weiter steigt?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens . Den Brennstoff für konventionelle Stromerzeugung müssen Sie natürlich bezahlen . Fossile Energien sind Brennstoffe und entsprechend zu bezahlen . Das ist aber keine Subvention, ({0}) sondern das ist der Preis für das Betreiben der Anlage . Sie können den Kauf von Brennstoffen doch nicht als Subvention bezeichnen . ({1}) Zweiter Punkt . Dieses Delta ist es ja nicht alleine . Der Netzausbau - auf dieses Thema komme ich gleich noch zu sprechen - wird ja auch ins Geld gehen, und zwar gerade jetzt und gewaltig . Zurzeit fließen also 500 Milliarden Euro an Subventionen . Ich meine, es ist an der Zeit, dass wir eine generelle Bremse einführen, dass wir dafür sorgen, dass das nicht mehr so weitergeht . ({2}) Es ist ja interessant, dass mittlerweile in vielen Gegenden darüber nachgedacht wird, dass es mit dem exorbitanten Ausbau des Bereichs Windenergie so nicht weitergehen kann . Der schleswig-holsteinische Energieminister, ein Grüner, hat sich gerade von der Idee verabschiedet, den Windenergieausbau wie bisher weiterzubetreiben . Jetzt gibt es Vorranggebiete und einen wesentlich geringeren Ausbau . ({3}) Der Ausbau des Bereichs Windenergie soll zurückgeführt werden, weil er weiß, dass Schleswig-Holstein wesentlich mehr Windenergie produziert, als jemals in Schleswig-Holstein verbraucht wird . Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für Niedersachsen . Herr Wenzel hat festgestellt, dass zurzeit in Niedersachsen eine Spitzenlast von 8,8 Gigawatt aus Windenergie gewonnen wird . Doch was wird kommen? Im Jahr 2020 sollen über 20 Gigawatt Strom aus Windenergie - On- und Offshore - stammen . Das ist einfach zu viel . Das kann nur funktionieren, wenn wir parallel dazu in vernünftige Netze investieren . Das tun wir aber nicht . Viele Bürger sind mittlerweile auf einem anderen Trip . Einer, der den BUND mitgegründet hat, Enoch von und zu Guttenberg, ist wegen der exorbitanten Differenz aus dem BUND ausgetreten: Es sollen in Wälder Windmühlen gestellt werden, aber gleichzeitig wird gefordert, dass um Himmels willen nirgendwo ein Baum gefällt wird . Das ist schon ein bisschen ärgerlich. Ich finde es mittlerweile sogar unerträglich, was an manchen Stellen in deutschen Wäldern passiert . Ich komme aus dem Hunsrück . Das ist eine wunderschöne Region . Ich kann Ihnen nur empfehlen, da mal durchzufahren und zu schauen, was dort passiert . Dort werden hektarweise Wälder abgeholzt . Aber wenn in der Stadt Koblenz einer einen Baum absägen will, dann muss er 24 Anträge dafür stellen . Das, was Sie da veranstalten, ist nicht konsequent, und das ist schon gar nicht ökologisch . Das wissen Sie ganz genau und der Herr Trittin erst recht . ({4}) Ich komme zu einem weiteren Punkt, den wir in diesem Gesetzgebungsprozess mit berücksichtigen . Lieber Hubertus Heil, Sie haben drei, vier Punkte genannt, die wir im Gesetzgebungsverfahren noch zu bearbeiten haben . Einen Punkt möchte ich noch erwähnen: die Synchronisation von Netzausbau und Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien . Wer A sagt, erneuerbare Energien, der muss auch B sagen, Leitungsbau . ({5}) Es ist sehr interessant, dass dieselben Leute, die überall den Ausbau erneuerbarer Energien fordern, sich parallel dazu dagegen wenden, dass irgendwo eine neue Leitung gebaut wird . ({6}) In meinem Wahlkreis wird gerade eine alte Leitung ertüchtigt . Sie muss ertüchtigt werden, weil eine HGÜ-Leitung obendrauf kommt - drei zusätzliche Kabel . Die Grünen haben eine Bürgerinitiative gegründet und sagen: Das muss weg, das muss unter die Erde . - Das ist eine prima Idee . Jeder von uns weiß, dass eine Erdverkabelung ungefähr achtmal so teuer ist wie eine Überlandverkabelung . ({7}) Das geht so nicht; denn damit steigen die Netzkosten immer weiter . Dann kommt die Krönung des Ganzen: Das sind die berühmten Offshoreanlagen . Die Offshoreanlagen sollen schnell gebaut werden, sie sollen möglichst heute fertiggestellt werden . Man spricht von Fadenriss usw ., wenn nicht jeden Tag eine neue Anlage gebaut wird . Parallel dazu sind die Leitungen nicht da . Dazu haben wir ein wunderbares Beispiel in Niedersachsen . Niedersachsen ist sowieso am weitesten hinterher, was den Leitungsausbau angeht . ({8}) In den EnLAG-Projekten - der ehemalige Minister Trittin, der sie damals mit angeschoben hat, nickt mit dem Kopf - haben wir rund 1 800 Kilometer geplant; davon sind knapp 600 Kilometer, also ein Drittel, gebaut . In Niedersachsen sind 405 Kilometer geplant . Davon ist noch nichts gebaut . Planfestgestellt sind noch nicht einmal 100 Kilometer . So geht das nicht . So können wir den Strom aus erneuerbaren Energien nicht dahin bringen, wo er gebraucht wird . So kann das nicht funktionieren . Wenn wegen jedes Vogelschutzgebietes gesagt wird, dass dort gar nichts geht - das macht Herr Wenzel ja gerade -, dann kann ich nur sagen: So können wir nicht miteinander umgehen . Wenn wir die erneuerbaren Energien haben wollen, dann müssen wir auch bereit sein, den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von mir aus . Das gibt alles mehr Redezeit für mich .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Fuchs, wir waren beide in der Anhörung zu den Erdkabeln . Die Firma ABB hat in dieser Anhörung dargestellt, dass ihr Kabelsystem das Anderthalbbis Zweifache von Freileitungen kostet . Auf die Einwendungen, die dann von Ihrem Sachverständigen kamen, dieses System sei nicht erprobt, antwortete der Vertreter von ABB mit: Nicht in Deutschland, aber weltweit liegen bereits 5 000 Kilometer dieses Systems unter der Erde und funktionieren, 2 000 Kilometer davon alleine von ABB . - Nur in Deutschland soll dieses System nicht ausgereift sein, nicht funktionieren . Wie begründen Sie das? Wie sehen Sie das in dem Zusammenhang, dass Deutschland eigentlich Vorreiter sein will? Das ist meine erste Frage . Die zweite Frage bezieht sich auf Ihren Entwurf zum EEG . Sie begründen hier ausgiebig, dass Stromleitungen in Niedersachsen fehlen, insbesondere zum Anschließen von Offshorewindparks . Mir erschließt sich aber nicht, wieso Sie einen Deckel für Windkraft an Land machen, die diese fehlenden Leitungen überhaupt nicht benötigt, weil sie sozusagen dahinter einsteigt, und ausgerechnet die Offshorewindkraft nicht deckeln . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, das ist völlig unlogisch . ({0}) Wissen Sie, wo die meisten Windanlagen stehen? 5 600 Anlagen sind bereits allein in Niedersachsen in Betrieb . Ich rede jetzt nicht von Offshore-, sondern von Onshoreanlagen . Sie stehen an der Küste in Niedersachsen . Es ist ziemlich wurscht, ob Sie von der Küste oder vom Meer den Strom nach Süden transportieren . Das, was Sie sagen, ist ziemlich unlogisch; aber das kennen wir ja von den Linken . ({1}) Im Übrigen bin ich kein Techniker von ABB . Mir liegen Gutachten vor, nach denen der Ausbau der Kabeltechnik eben nicht sicher genug ist . TenneT hat uns bestätigt, dass sie nicht so sicher sind, ob das funktioniert . Solange uns die Übertragungsnetzbetreiber keine Garantie dafür geben, kann ich nicht sagen, dass es eine sichere Technik ist, die wir jetzt einführen können . Wenn Sie das besser wissen, soll es mir egal sein . Dass ABB ein Interesse hat, Kabel zu verkaufen, das kann ich verstehen . Ich bleibe beim Thema Offshoreanlagen . Dass Offshore anlagen nötig sind, glaube ich sogar; denn damit haben wir fast grundlastfähige Möglichkeiten . Sie haben bis zu 5 000 Stunden Laufzeit; an manchen windhöffigen Stellen vielleicht sogar 5 500 . Das ist schon ganz gut . Es ist aber eine sehr teure Technologie . Das wissen wir . Denn nach dem Stauchungsmodell bekommen sie - allerdings nur für acht Jahre - 19,4 Cent Einspeisevergütung . Das ist auch der Grund, warum die Industrie da so schnell wie möglich bauen will . Aber es muss sichergestellt sein, dass der Strom dann auch dahin kommt, wo er gebraucht wird . Jetzt bleibe ich einmal bei BorWin3; so heißt das Ding. Diese Plattform befindet sich in der Nähe von Borkum . Dort soll eine 900-MW-Anlage gebaut werden . Die Industrie ist schneller, als wir es gedacht haben . Sie sollten eigentlich erst Ende 2019 fertig werden; sie werden jetzt Mitte 2018 fertig . Das Stromkabel liegt schon an Land, aber da endet es auch, und zwar im Sand . Wenn die Anlage läuft, dann bedeutet das, dass rund 900 Millionen Euro im Jahr für Strom vergütet werden müssen, den wir nirgendwo, auch nicht mit neuen Technologien, verwenden können . Erst dann, wenn die Leitung von Emden/Ost nach Conneforde und weiter nach Merzen gebaut ist, ist der Strom verwendbar . Wir haben mit Herrn Ministerpräsident Weil und auch mit dem Umweltminister Wenzel mittlerweile x-mal darüber gesprochen und überlegt, wie wir das beschleunigen können . Wir wollen das beschleunigen . Aber schneller - nach Aussage von Herrn Wenzel - geht es nicht . Ich kann ihn völlig unbefangen hier zitieren; er gehört nicht meiner Partei an . Er hat mir gesagt: Wir müssen erst die Sache mit dem Vogelschutzgebiet lösen . Dann müssen wir da und dort eine Lösung finden. Das ist eine Notifizierungsfrage in Brüssel . - Aber wenn wir das doch wissen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, können wir die Genehmigungen für solche Offshoreanlagen erst dann erteilen, wenn wir sicher sein können, dass der Strom verwendet werden kann . Das hat für mich eine gewisse Logik . Dafür werbe ich . Wir sind dabei, das ein Stück weit in den Griff zu bekommen . Wir haben im Gesetzgebungsverfahren - da bin ich völlig einig mit Hubertus Heil - noch einiges zu verändern . Aber wir sind auf dem richtigen Weg . Die Ausschreibung ist der richtige Weg . Wir wollen am Ende des Tages erneuerbare Energien haben, aber zu Preisen, die die Bürgerinnen und Bürger sowie vor allen Dingen die mittelständischen Unternehmen in Deutschland bezahlen können . Danke . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Fuchs, ({0}) ich bewundere immer Ihre Kollegen Andreas Jung, Ingbert Liebing, Josef Göppel und andere engagierte Kollegen . Ich muss das hier nur alle paar Wochen hören, aber die müssen sich diesen Unsinn, den Sie zur Energiepolitik erzählen, ({1}) wahrscheinlich jede Woche anhören . ({2}) Jeder Siebtklässler kann dazu qualifizierter reden, als Sie es hier tun. Ich finde, das muss mal gesagt werden. Ich habe der Zeitung entnommen, dass Sie demnächst nicht mehr dem Deutschen Bundestag angehören wollen . ({3}) Ich habe den Erleichterungsseufzer aus der CDU-Fraktion gehört, dass das endlich ein Ende hat, Herr Fuchs . ({4}) Ich will Ihnen das an einer Stelle fachlich belegen: Sie haben eben Schleswig-Holstein dafür kritisiert, dass es Windstrom exportiert . Was Sie vergessen, ist, dass Schleswig-Holstein zu den Hochzeiten der Atomkraft die dreifache Menge Strom produziert und exportiert hat . Das haben Sie aber nie problematisiert . Warum nicht? Warum machen Sie das nur beim Windstrom? Dazu würde ich mir irgendwann einmal eine Aussage wünschen . ({5}) Ich habe jetzt gelesen: Der Wirtschaftsrat der CDU, dem Sie angehören, macht eine Kampagne gegen erneuerbare Energien . ({6}) Da zeigen Sie Ihr wahres Gesicht und offenbaren, worum es geht . Wen haben Sie als Leiter für diese Kampagne genommen? Johannes Lambertz, der Manager bei RWE war und für den Niedergang dieses Konzerns sowie für die vielen Fehlentscheidungen verantwortlich ist . Das sind also die Leute, die Sie wieder an die Front setzen . Das ist doch wohl das Rückwärtsgewandteste, was man sich überhaupt vorstellen kann . Ich glaube, das kann niemand abstreiten . ({7}) Nachdem Sie die Photovoltaikförderung 2012 und die Förderung der Bioenergien 2014 reduziert haben, soll jetzt der Windenergieausbau um mindestens die Hälfte 2020 sogar noch mehr - reduziert werden . Man kann das alles irgendwie begründen . Aber die eine Konsequenz ist klar . Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der unverdächtig ist, hat ganz klar gesagt: Diese EEG-Novelle bedeutet, dass wir die Klimaschutzziele 2020 definitiv und endgültig nicht mehr erreichen können . Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie das hier sagen und den Menschen reinen Wein einschenken, dass Sie den Klimaschutz aufgeben . ({8}) Ein Unding ist doch, dass die Welt auf Erneuerbare setzt, dass immer mehr in Erneuerbare investiert wird, aber wir in Deutschland, meine Damen und Herren, in die andere Richtung fahren . ({9}) Das ist nicht in Ordnung . Schauen wir uns an, welche Begründungen Sie liefern . Die Begründung mit den Kosten, Herr Fuchs, läuft überhaupt nicht mehr . ({10}) Für die 20 Milliarden Euro bekommen wir ein Drittel nachhaltige Stromversorgung; der Kollege Meiwald hat es eben angesprochen . Was wäre denn die Alternative, Herr Fuchs? Man kann heute in einem anderen Zusammenhang nach Großbritannien schauen . Dort hat man ausgeschrieben, und man sieht, was das für ein neues Atomkraftwerk bedeuten würde . Das ist alles viel, viel teurer und nicht mehr wirtschaftlich . Kein einziges neues Kohlekraftwerk rechnet sich . Es würde uns viel teurer zu stehen kommen - die Folgekosten nicht einmal mit eingerechnet . Deshalb ist das auch ein volkswirtschaftlich effizienter Weg, den wir an der Stelle gehen, meine Damen und Herren . Jetzt möchte ich etwas zu dem neuen Argument, das immer wieder angeführt wird, sagen: Beim Netzausbau haben wir Probleme . - Ja, da haben wir in der Tat Probleme, aber nicht, weil da irgendwelche Grünen oder sonst wer unterwegs ist, sondern weil Herr Seehofer blockiert . ({11}) Er hat nicht nur dafür gesorgt, dass auf Bundesebene noch kein Kilometer gebaut wurde - davon reden wir doch gar nicht -, sondern auch dafür, dass Sie noch gar nicht mit den Planungen angefangen haben . ({12}) Wir sind drei Jahre zurück . Sie produzieren das Problem und nehmen es dann als Begründung dafür, die Erneuerbaren auszubremsen . ({13}) Ich sage Ihnen: Sie sind nicht einmal in der Lage, eine vernünftige Fehlerdiagnose vorzunehmen . ({14}) Sie sagen, die Erneuerbaren seien schuld . Dabei ist es aber so: Kohle und Atomstrom verstopfen die Netze . ({15}) Denn dann, wenn Erneuerbare viel produzieren, werden Moorburg und Brokdorf nicht abgeregelt, sondern die laufen weiter . Wenn Sie die Netze entlasten wollen, dann schalten Sie Moorburg und Brokdorf ab! Das wäre die richtige Antwort, nicht aber das Ausbremsen der Erneuerbaren . ({16}) Zum Schluss möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen; da fand ich das, was der Kollege Heil gesagt hat, gut . ({17}) - Ja, ja . ({18}) Sie sagen, auf Ausschreibungen könnten wir verzichten; außerdem gebe es ja die De-minimis-Regelung . Das alles wollen Sie aber nicht hören . Auch das Stichwort „Bürger energie“ ist, wenn es konkret wird, immer gut für Sonntagsreden . Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass Sie an dieser EEG-Novelle noch etwas ändern werden . ({19}) Heute Morgen habe ich aber gehört: Die Sektorkopplung ist ein Thema, bei dem wir erneuerbare Erzeugung und Verbrauch zusammenbringen wollen; dazu gibt es gute Vorschläge, etwa eine Experimentierklausel . - Gestern habe ich gehört, dass alle beim Strommarktgesetz für Speicher sind . Nur: Sie haben einen Gesetzentwurf beschlossen, in dem sie nicht drinstehen . Lassen Sie uns doch diesen Aspekt in diesem wenn auch sehr kurzen Verfahren ernst nehmen und ihn in den Gesetzentwurf einfügen, um diesen schlechten Gesetzentwurf zumindest an ein paar kleinen Stellen, an denen Sie über Ihren Schatten springen können, zu verbessern . Das wäre doch etwas, wenn Sie schon die Energiewende nicht richtig voranbringen wollen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Krischer, Sie müssen zum Ende kommen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber ich fürchte, in einer Woche stehen wir wieder hier und stellen fest, dass Sektorkopplung und Speicher wieder nicht im EEG enthalten sein werden . Das ist meine große Sorge . Denn am Ende will man gar keine Erneuerbaren haben - das hört man ja in den Reden von Herrn Fuchs -, sondern man will sie ausbremsen . ({0}) Das ist der falsche Weg . Wir brauchen mehr statt weniger Erneuerbare . Das ist die Antwort auf Paris . Ich danke Ihnen . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel . ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Sie müssen nicht schon schimpfen, bevor ich das erste Wort gesagt habe . ({0}) - Sie sind gespannt? ({1}) - Das glaube ich Ihnen auch nicht . ({2}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht können wir in dieser hitzigen Debatte, Herr Kollege Krischer, versuchen, zumindest eine Sache zu vermeiden: persönliche Angriffe auf Kollegen . ({3}) Ich bin mit Michael Fuchs nicht immer einer Meinung . Aber ihm Redlichkeit zuzusprechen, finde ich, ist selbstverständlich . Übrigens: Auch die, die anderer Meinung sind, machen einen gelegentlich auf Probleme aufmerksam. Ich finde, man kann über das Ganze auch in etwas ruhigerer Form diskutieren, zumal dann, wenn es einem um die Sache geht . Deswegen würde ich gerne ein paar Bemerkungen zu Ihren Behauptungen machen . ({4}) Hubertus Heil hat völlig recht: Die gleichen Reden fast wortgleich; nachher kommt ja noch so eine - haben Sie in der Debatte zur Reform des EEG 2014 schon einmal gehalten: ({5}) „Bremsklotz“, „Untergang der Energiewende“, „kein Klimaschutz mehr“, „Beendigung der Energiewende“ . ({6}) Sie haben beim letzten Mal auch einen Begriff wie „Kulturrevolution“, „Konterrevolution“ oder so benutzt . Die Wahrheit ist, dass wir mit dem EEG 2014 - übrigens auch mit Zustimmung der von den Grünen mitregierten Länder - in der Tat die Kosten gesenkt haben . Was war das Ergebnis? Das Ergebnis war, dass wir in den letzten zwei Jahren den größten Zubau erneuerbarer Energien in der Geschichte des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes hatten . ({7}) Nichts von dem, was Sie damals befürchtet haben, ist eingetreten . ({8}) - Warten Sie, Herr Krischer! Seien Sie sich sicher: Ich antworte Ihnen . Sie sagen dann: Das war aber nur bei der Windenergie so . - Gleichzeitig geben Sie aber zu, dass wir hier 2 500 Megawatt geplant und mit knapp 4 000 Megawatt eine weite Überschreitung erreicht haben . Dann sagen Sie: Ja, aber bei der Photovoltaik hat nichts mehr stattgefunden . - Sie müssen aber auch hier redlich bleiben . Das liegt nämlich daran, dass in der Tat wegen einer zu häufig wechselnden Finanzierung drei Jahre lang davor jedes Jahr mehr als 7 000 Megawatt ausgebaut wurden . Der Markt ist hinterher zusammengebrochen, weil die wechselnden Rahmenbedingungen zunächst zu gigantischen und danach zu relativ geringen Zubauten geführt haben, was übrigens dazu führt, dass wir jetzt bei dem von Ihnen damals kritisierten EEG 2014 die Kostendegression lockern, damit wieder mehr zugebaut wird . Sie sagen immer nur die halbe Wahrheit, und ich finde, das tut der Energiewende nicht gut . Ich komme zu noch ein paar solcher Beispiele . Biomasse zum Beispiel: Die Biomasse ist eine Technologie, die in den letzten 20 Jahren jedes Jahr teurer geworden ist . Das Technologiefördergesetz hatte das Ziel, die erneuerbaren Energien preiswerter zu machen . Ich kann der Öffentlichkeit doch nicht jahrelang erklären, dass sie über den Strompreis mithelfen muss, die Technologie, die irgendwann billiger wird, zu fördern, und nach 20 Jahren sagen: „Das hat in dieser Form nicht stattgefunden, aber macht euch keine Sorgen, ihr müsst das weiter bezahlen“, zumal dann nicht, wenn sie sie in dem Umfang nicht brauchen . Wir bauen sie jetzt weiter aus, aber nicht so, dass das ein erheblicher Kostenblock bleibt, weil wir mehr nicht brauchen . Wir können doch nicht einfach die Augen davor verschließen . Nun zu dem Argument, das würde die Energiewende ausbremsen: Die erneuerbaren Energien haben jetzt einen Anteil von 33 Prozent . Bis 2025 werden wir den Anteil auf vermutlich über 45 Prozent steigern . Das ist doch kein Ausbremsen, kein Abwürgen . Sie können sagen, dass sie sich 50 oder 60 Prozent wünschen . ({9}) - Ja, das ist ganz einfach: Die Behauptung, diese Entwicklung der erneuerbaren Energien würde die Klimaschutzziele in Deutschland beschädigen, ist schlicht falsch . ({10}) - Herr Krischer, ich habe Ihnen zugehört; hören Sie mir einfach auch zu . Es ist ganz einfach . Das müssen Sie ertragen; ich muss es ja auch ertragen . - Sie haben für Ihre Behauptung übrigens auch keinerlei Belege; aber das ist ja üblich . Ich finde, Sie tun damit auch denjenigen keinen Gefallen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen, weil sie den Eindruck haben, ihr ganzes Engagement würde in den Wind geschrieben . Das Gegenteil ist der Fall: Es geht weiter . Wenn Sie jetzt mehr ausbauen wollen, dann müssen Sie allerdings auch die Frage nach dem Stromnetz beantworten . Ich höre jetzt: Das ist doch bei Offshorewind das eigentliche Problem . - Ja, das stimmt . Demnächst bekommen wir etwas, was wir nie hatten - und was Sie übrigens wollten -, nämlich jedes Jahr zusätzliche Offshorewindparks, die eine weit höhere Windausbeute weit besser und stabiler liefern als Anlagen an Land . Wir werden 200 circa 7 000 Megawatt erreichen . Jürgen Trittin hat einmal einen Plan zum Ausbau im Bereich Offshore an mich übergeben, der das Ziel hatte, 2030 mehr als 20 000 Megawatt zu erreichen . Ich habe schon in meiner Zeit als Umweltminister das Ziel heruntergesetzt . Diskreditieren Sie die Offshorewindenergie, die Sie noch vor ein paar Jahren aus einem guten Grund für richtig gehalten haben, jetzt doch nicht in der Öffentlichkeit . ({11}) Aus welchem guten Grund? Ich werde mir einmal den Spaß machen, der IG Metall Küste die Position der Vorsitzenden der Linkspartei zu übermitteln . Frau Kipping, die Linke ist doch eine den Gewerkschaften offenstehende Partei . Niedersachsen und Norddeutschland haben 30 Jahre Deindustrialisierung hinter sich . Zum ersten Mal seit langer Zeit entstehen dort neue industrielle Arbeitsplätze, und zwar nicht nur im Bereich Onshore, sondern insbesondere auch an den Küstenstandorten, im Bereich Offshore . Sie sagen jetzt: Ihr dürft nicht so viel Offshore zubauen . - Sagen Sie das einmal den Facharbeiterinnen und Facharbeitern in den Einrichtungen dort! ({12}) Nein, man kann nicht immer an unterschiedlichen Stellen das jeweilige Gegenteil sagen . Auf der einen Sei- te sagen Sie: „Das ist wunderbar, wir kämpfen für euch“, während Sie auf der anderen Seite deren Arbeitsplätze infrage stellen . Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch genau Ihr Programm!) - Bitte? Stellen Sie einfach eine Frage; ich kann Sie nicht hören . Sie trauen sich nicht, eine Frage zu stellen, weil ich dann antworte; das verstehe ich . ({13}) Wenn es um die Netze geht, dann geht es nicht nur um Süddeutschland, sondern auch darum, dass sie in Norddeutschland nicht ausreichend ausgebaut worden sind, und zwar aus unterschiedlichen Gründen . Einer der Gründe war, dass den Forderungen der Grünen und auch unseren Forderungen, die Erdverkabelung möglich zu machen, viel zu lange nicht nachgekommen wurde . Das haben Sie immer zu Recht gefordert, und wir auch . Gott sei Dank ist es jetzt endlich gelungen . ({14}) Es stimmt auch nicht, dass die Erdverkabelung teurer ist . Noch teurer ist es nämlich, keine Kabel zu legen und sich ständig vor Verwaltungsgerichten zu bewegen . Das ist noch viel teurer . ({15}) Deswegen ist die Erdverkabelung absolut richtig . Aber sie ist eben noch nicht da . Jetzt geht es nicht darum, Onshorewindanlagen zu deckeln; denn Onshorewindanlagen sind die preiswerteste Form der erneuerbaren Energien . Vielmehr geht es darum, dass wir derzeit, da wir keine Netze haben, Anlagen abregeln und den Strom zweimal bezahlen müssen: Einmal müssen wir den Windmüller und einmal das Kraftwerk in Österreich bezahlen, damit es den Strom nach Süddeutschland liefert . Das nennt man - das wissen Sie - Redispatch-Kosten . Diese betragen derzeit 1 Milliarde Euro, wenn wir nicht aufpassen, über 4 Milliarden Euro . Dann kommt von Ihnen: Ja, dann müsst ihr die Atomkraftwerke schneller abstellen . - Sagen Sie einmal: Für wie fahrlässig halten Sie uns? Glauben Sie wirklich, wir hätten bei der Berechnung der Netzkapazitäten nicht berücksichtigt, dass Atomkraftwerke vom Netz gehen? Natürlich haben wir das gemacht . ({16}) - Mensch, Maestro, nun hör doch einfach einmal zu! ({17}) Sie haben eben gesagt, Sie würden es aufgeben, Argumente vorzutragen . Das setzt so einen aufklärerischen Impetus und vermittelt den Eindruck, Sie seien sonst an Argumenten interessiert . Dann möchte ich Ihnen sagen: Hören Sie einmal zu . - Jetzt geht es darum, dass wir die Kapazitäten des Netzes so berechnet haben, dass Atomkraftwerke abgeschaltet werden . Klar haben wir das gemacht . Übrigens haben wir auch berücksichtigt, dass ein Stromkabel nach Norwegen gelegt wird . Trotzdem - das ist ein gutes Argument - ist der Zubau Erneuerbarer so groß, auch in Zukunft im Norden, dass wir auf jeden Fall neue Netze brauchen, um diesen Erfolg der Erneuerbaren in wirtschaftliche Praxis umzusetzen . Das ist doch nichts Schlimmes . Das machen wir übrigens schon ein paar Jahre . Ich erinnere an die Tatsache, dass alle Bundesländer diesem Kompromiss zugestimmt haben . Ich weiß, dass sie im Bundesrat Änderungen beantragen; das ist okay . ({18}) - Mensch, ich glaube, sie haben beim letzten Mal 80 Änderungen beantragt . Aber hinterher haben sie dem Kompromiss zugestimmt . ({19}) - Das ist doch nicht wahr . Passen Sie einmal auf: Das können Sie gerne sich selbst und anderen erzählen . Aber wer dabei war - ich habe die Verhandlungen mit geleitet -, ({20}) der weiß, dass Ihr Staatssekretär im Auftrag von Herrn Kretschmann gesagt hat: Ich könnte mir mehr vorstellen, aber ich stimme diesem Kompromiss zu, weil hier jeder Kompromisse machen muss . - Auch Sie sollten so klug sein . Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand . Das waren Grüne, die so argumentiert haben . ({21}) Übrigens hat der Ministerpräsident von Thüringen diesen Kompromiss am Ende dieser Veranstaltung ausdrücklich gelobt, und er ist ein Mitglied der Linkspartei . Sie machen hier im Deutschen Bundestag ein Theater um dieses Thema, das all diejenigen, die sich in der Sache bemühen, zu Lösungen zu kommen, schwer nachvollziehen können . ({22}) Letzte Bemerkung von Ihnen, auf die ich eingehen möchte: Wir machen das nur für die Konzerne . - Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Frau Kipping, es wäre nicht schlecht, wenn Sie das Gesetz zur Kenntnis nehmen würden, anstatt Dinge zu behaupten, bei denen das Gegenteil richtig ist und die im Gesetz stehen . Sie haben gerade gesagt: Wie wollen wir es erreichen, dass die kleinen Bürgerenergiegenossenschaften die Planungskosten bezahlen? Das können sie doch gar nicht . - Das haben Sie hier fast wörtlich gesagt . Schauen Sie einmal ins Gesetz: Diese Genossenschaften haben gar keine Planungskosten . - Wissen Sie, was eine Bürgerenergiegenossenschaft braucht, um sich an einer Ausschreibung zu beteiligen? Erstens ein Grundstück - das ist nicht schlecht, wenn man eine Windenergieanlage aufstellen will - und zweitens ein Windgutachten; das war es . Das Risiko der Planungskosten von 100 000 Euro pro Anlage müssen eben nur die Unternehmen tragen, nicht die Bürgerenergiegenossenschaften . Das ist eine Privilegierung . Behaupten Sie doch nichts Falsches . Sie schrecken mit solchen Argumenten die Leute ab, sich für Windenergie zu engagieren, die wegen der Kosten keine Angst zu haben brauchen . Warum betreiben Sie eine solche Propaganda? Wo haben sich bei einer Ausschreibung für Photovoltaikanlagen die meisten Energiegenossenschaften gemeldet? Als der Ausschreibungspreis am niedrigsten war! Das war nach drei Ausschreibungsrunden, als der Preis nicht mehr bei 11 Cent, 9 Cent, sondern bei zum Teil unter 7 Cent pro Kilowattstunde lag . ({23}) Warum kommt man zu solchen Preisreduzierungen? Das ist ganz einfach . Wenn der Deutsche Bundestag, wenn der Staat die Preise festlegt, dann rechnet sich doch jeder aus, wie hoch er gehen kann, damit er sich eine Scheibe vom Kuchen abschneiden kann . Dabei kommen Sie auf Einnahmen von 30 000 bis 40 000 Euro pro Hektar im Jahr . Das ist ein wunderbares Einkommen . Ein paar Arbeitnehmer in Deutschland würden sich freuen, wenn sie so viel hätten . Diese Summe kommt dadurch zustande, dass der Staat die Preise festsetzt . Jetzt gehen wir in die Ausschreibung . In der Ausschreibung kann man dieses Spiel nicht mehr weitertreiben . Deswegen haben die Bürgerenergiegenossenschaften bei Photovoltaikanlagen genau da die Chance gehabt, als die Preise am niedrigsten waren . Das hilft den Genossenschaften, aber das hilft eben auch den Menschen . Meine Bitte ist, dass wir versuchen, uns von Weltuntergangsszenarien zu verabschieden, sowohl bei den Preisen als auch bei der Energiewende . Es wäre besser, sich anzuschauen, was im Gesetz steht, und sich darüber zu freuen, dass der Erfolg der Energiewende nicht zu bremsen ist und übrigens auch die Erneuerbaren nicht . Dies muss jedoch in einer Art und Weise geschehen, dass uns die Leute nicht einen Vogel dafür zeigen, dass wir Anlagen bauen, aber den Strom nicht transportieren können . Dann halten uns die Leute schlicht für bekloppt . Ich finde, der Ruf der Politik sollte nicht dadurch noch schlechter werden, dass dieser Eindruck durch die Gesetzgebung bestätigt wird . Vielen Dank . ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke . ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht werden wir unseren Enkelinnen und Enkeln in einigen Jahren nur die kurze Geschichte der Bürgerenergie erzählen können, die einst vier großen Konzernen die Energieversorgung abgetrotzt hat . Denn mit dieser EEG-Novelle zertrümmern Bundesregierung und Koalition alles, was die Energiewende demokratisch und dezentral macht, sie machen sich zu Lakaien der Konzerne und Großinvestoren . Ich verstehe, dass Sie das nicht hören wollen . Aber es ist so . Die Energiewende ist eigentlich ein linkes Thema . Das wundert Sie vielleicht; deshalb sage ich Ihnen, warum: Es geht um das Eigentum an einem Gut der Daseinsvorsorge . Jeder braucht Strom und Wärme, und es geht hier um die Frage, wer darüber bestimmen darf . Wir sagen: Energie gehört in die Hände der Bürgerinnen und Bürger . ({0}) Das historische EEG hatte dafür den Weg freigemacht . Es hat nämlich eine doppelte Wende eingeleitet: nicht nur bei der Energieerzeugung, sondern auch beim Eigentum an Energieerzeugungsanlagen . Hunderttausende sind zu Miteigentümern am Gemeingut Elektrizität geworden . Eine ganze Struktur ist verändert worden . Ich meine, das war eine tolle Entwicklung . ({1}) Jetzt, im Jahr 16 des EEG, wird das alles zertrümmert . Die Bürgerenergie wird abgeschafft und der demokratischen und dezentralen Energiewende eine Absage erteilt . Den fossilen Energiekonzernen, die mit ihren Auslaufprodukten Atom- und Kohlestrom Probleme bekommen, werfen Sie jetzt einen Rettungsring nach dem anderen zu . Wenn wir über Kosten reden, dann muss man den Leuten auch sagen, dass wir gerade einen Gesetzentwurf beschlossen haben, mit dem allein für die Braunkohlereserve 1,6 Milliarden Euro vorgesehen sind . Das bekommen nicht die Beschäftigten, sondern die Konzerne . Und da reden Sie immer davon, dass durch das EEG der Strompreis so hoch ist . In meiner Heimat Bayern werden etwa 50 Prozent des Ökostroms von den Bürgerenergiegesellschaften produziert . Ich möchte in diesem Zusammenhang den Chef der Bürgerenergie, Markus Käser, zitieren: Durch die aktuelle Gesetzgebung wird Bürgern und unseren Kommunen der Gestaltungsspielraum regelrecht aus den Händen gerissen! Die europaweiten Ausschreibungen, wie sie von der Koalition derzeit geplant sind, sind der Sargnagel für den dezentralen Ausbau und die regionale Wertschöpfung von erneuerbarer Energieproduktion in unseren Gemeinden! Er ist Praktiker und weiß, wovon er spricht . ({2}) Im Übrigen hat die Bürgerenergie auch Bavariastrom gegründet . Auch dieser regionale Strom wird jetzt vermarktet. Das finde ich toll. Es geht der Linken nicht um die Bürgerenergie, weil wir sie so niedlich finden. Sie passt einfach zu aufgeklärten Demokraten des 21 . Jahrhunderts . ({3}) Denn Entscheidungen über Großprojekte - die Energiewende ist ein Großprojekt - werden nicht mehr von den Eliten getroffen . Nein, die Menschen reden mit, und sie wollen mitreden . Sie wollen auch mitbestimmen, und das ist gut so . Das sollte man nicht kaputtmachen . ({4}) Lassen Sie uns über Arbeitsplätze reden . Sie legen immer dieselbe Platte auf und behaupten, wir wollten Arbeitsplätze vernichten . Dann schauen wir einmal, was bei den regenerativen Energien los ist . Es gab heute eine Demonstration für die Bioenergie, und die Kollegen aus den Betrieben haben erzählt, dass sie schon jetzt keine Aufträge mehr haben und nicht wissen, wie es weitergeht . Aus diesem Grund müssen wir etwas tun . Sie haben immer nur bestimmte Arbeitsplätze im Blick . Es gibt aber viele kleine Betriebe im Bereich der regenerativen Energien, die tolle Arbeitsplätze bieten und sogar nach Tarif bezahlen . Es wäre uns zwar lieber, wenn alle nach Tarif bezahlen würden . Aber ich meine, hier muss etwas getan werden . Sie können das nicht einfach so deckeln . ({5}) Noch einmal zur Beteiligung: Wir brauchen die Akzeptanz . Wir alle kennen die Windkraftgegner, die mit allen möglichen Argumenten versuchen, Windenergie zu verhindern . Akzeptanz kann nur durch eine breite Beteiligung - durch Bürgerbeteiligung und durch eine finanzielle Beteiligung - entstehen . Das wollen die Leute . Sie wollen mehr mitreden . Das sehen wir auch an einigen Memoranden . Sie wollen mitreden . Und wenn sie nicht mitreden können, dann lehnen sie das ab und wollen das nicht . Dann lehnen sie auch unsere Politik ab . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter! Lieber Oliver Krischer! Mir fiele jetzt viel zu den Themen ein, die ihr immer ansprecht . Ihr redet immer von der Braunkohlereserve und davon, dass Braunkohle und Kernenergie die Netze verstopfen . Auch das Wort „Energieverhinderungsgesetz“ wurde vorhin genannt . Die Großkonzerne werden gegeißelt . - Ihr wisst es besser: Das sind nicht die Probleme der Energiewende, es sind nicht die Themen, die uns derzeit bewegen, sondern wir haben andere Probleme . Die werden mit dem Gesetz, das wir jetzt vorgelegt haben, auch adressiert . Ich wünsche mir manchmal - gerade auch vonseiten der Grünen - eine etwas sachlichere Debatte . Schließlich hat auch euer Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der MPK mitgemacht . ({0}) Schließlich gibt es ja auch den einen oder anderen Mitarbeiter an führender Stelle im Ministerium, der am Gesetz mitgeschrieben hat . Auch in dieser Hinsicht würde ich mir ganz gerne etwas mehr Sachlichkeit und mehr Mitarbeit von den Grünen hier im Parlament wünschen, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({1}) Ich will noch einmal die Erfolge der Energiewende darstellen; denn ich glaube, dass die gerade vonseiten der Grünen und der Linken hier immer wieder kaputtgeredet wird . Wir haben schon heute einen Riesenerfolg zu verzeichnen, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht . 33 Prozent unserer Stromversorgung basieren auf erneuerbaren Energien . Wir haben uns Ziele wie sonst keine andere Industrienation der Welt vorgenommen . Wir sind erfolgreich . Ich möchte in diesem Zusammenhang drei kleine Bereiche herausgreifen: Im Bereich Offshore haben wir das Ziel, bis 2020 7,5 Gigawatt zu erreichen . Bis 2030 wollen wir auf 15 Gigawatt kommen . Das heißt, dass wir hier in Deutschland, was Offshore anbelangt, einen Anteil von 50 Prozent am europäischen Markt haben werden . Das ist ein Riesenerfolg . Wir sind der Marktführer in Europa und damit auch Schrittmacher für die Welt . Auch den Exportanteil im Offshorebereich haben wir enorm erhöht . Derzeit liegen wir bei 20 Prozent . Wir wollen da im nächsten Jahr weiter vorankommen . Auch hier werden wir mit unserer Technologie anderen Ländern bei der Energiewende helfen . Bei der Onshorewindenergie - dabei geht es um Windräder auf dem Land - hatten wir in Deutschland 2014 einen Zubau, der rund ein Drittel des gesamteuropäischen Ausbaus ausmachte . Auch hier sind wir Marktführer in Europa . Der Exportanteil bei Windonshore liegt übrigens bei 60 Prozent . Also 60 Prozent der Windräder, die hier gebaut werden, werden exportiert . Auch das beweist, dass wir erfolgreich sind und die Produkte, die wir hier bauen, nicht nur für uns nutzen, sondern sie auch anderen Ländern, die damit Erfolg haben, zur Verfügung stellen . Auch bei der Photovoltaik - dabei geht es um Solarenergie, die von vielen im Rahmen der Energiewende abgelehnt wird - produzieren wir von 100 Gigawatt, die in Europa erzeugt werden, 40 Gigawatt . Auch hier sind wir, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht, Weltmarktführer . Ich glaube, dass auch das etwas ist, was man herausstellen kann . Andere Länder haben in den letzten Jahren anders auf die Herausforderung reagiert . Tschechien hat beispielsweise die Vergütung für Bestandsanlagen komplett eingestellt, Spanien hat seit Juli 2013 Einspeisevergütungen faktisch abgeschafft, und die Briten wollen seit dem letzten Jahr Windkraft an Land nicht mehr fördern . Das beweist, dass wir im Hinblick auf erneuerbare Energien andere Schlagzeilen produzieren . Ich glaube, auch darauf sollten alle hier im Hause stolz sein . Wir sollten stolz darauf sein, dass wir die Energiewende Stück für Stück voranbringen, meine sehr verehrten Damen und Herren . Ich möchte noch zwei wichtige Punkte aus dem Gesetz erwähnen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Verlinden?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne, ja .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bareiß, Sie haben ja davon gesprochen, dass die Energiewende Schritt für Schritt vorangebracht werden soll . Sie sprechen hier im Plenum auch immer gerne das Thema Energieeffizienz an. Sie sei wichtig, damit das Ganze gelingt . Ich möchte rückfragen, wie das Thema der besonderen Ausgleichsregelungen jetzt in der Koalition weiter diskutiert wird . Wir haben ja aus den Medien erfahren, dass es eine große Debatte darüber gibt, dass privilegierte Unternehmen lieber absichtlich Energie verschwenden, damit der Stromverbrauch entsprechend hoch ist, um weiter die Befreiungen in Anspruch nehmen zu können, anstatt eben vernünftig in Energieeffizienz zu investieren . Das wird von den anderen Stromkunden also auch von den kleinen Unternehmen, die eben nicht befreit sind, sowie von den privaten Verbrauchern - quersubventioniert . Ich habe jetzt mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass das Land Baden-Württemberg - Sie kommen ja aus Baden-Württemberg - im Bundesrat zur Abstimmung gestellt hat, genau an diesem Punkt, also was die besondere Ausgleichsregelung angeht, nachzubessern, um nämlich genau den Anreiz für Unternehmen zu erhöhen, tatsächlich in Energieeffizienzmaßnahmen zu investieren . Werden Sie sich dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat hier umgesetzt werden kann?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Verlinden, ich bin Ihnen dankbar für die Frage . Der Bereich der Energieeffizienz verhält sich wie andere Bereiche . Auch da sind wir Weltmarktführer . Wir haben es als einzige Industrienation der Welt geschafft, den Wohlstand unserer Nation von dem zusätzlichen Energieverbrauch zu entkoppeln . Das hat keine andere Nation geschafft . Wir haben es in den letzten 20 Jahren geschafft, unseren Energieverbrauch um 6 Prozent zu reduzieren, während unser Bruttoinlandsprodukt um 30 Prozent gestiegen ist . Auch das ist ein großer Erfolg unserer Industrie und unserer Wirtschaft . Deshalb wollen wir auch diejenigen Unternehmen, die in Energieeffizienz investieren und die es geschafft haben, ihren Energieverbrauch Stück für Stück zu reduzieren, nicht bestrafen, sondern wir wollen, dass diese von der besonderen Ausgleichsregelung profitieren können . Das war der Grund dieses Änderungsgesetzes . Das haben wir auch geschafft, und ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg . Das werden wir auch entsprechend umsetzen . ({0}) - Den werden wir prüfen . Ich will zu zwei Themen in diesem Gesetzentwurf kommen, die mir sehr wichtig sind, weil ich glaube, dass diese für die nächsten Jahre etwas Neues bieten werden, was entscheidend für das Gelingen der Energiewende sein wird . Das erste Thema betrifft die Ausschreibungen . Wir werden einen Systemwechsel einleiten . Das heißt, wir werden von der starren EEG-Umlage wegkommen . Wir werden zu einer Ausschreibung übergehen, die dazu führt, dass wir erstens die Mengensteuerung in den nächsten Jahren konsequenter umsetzen können und dass wir wirklich nur dort investieren, wo wir Bedarf sehen . Zweitens werden wir die Preise für erneuerbare Energien nicht mehr hier im Deutschen Bundestag festsetzen, sondern wir werden per Ausschreibung dafür sorgen, dass sich die erneuerbaren Energien dem Markt stellen müssen . Damit werden wir enorme Potenziale für uns heben . Ich glaube, wir haben hiermit einen großen Schritt gemacht . Wir haben schon lange diese Ausschreibung gefordert . Wir haben immer wieder Kritik an der Ausschreibung gehört . Ich kann nur sagen: Die Ausschreibung funktioniert . In Dänemark funktioniert sie einwandfrei . Sie hat dazu geführt, dass Offshorestrom in Dänemark 5 Cent günstiger als beispielsweise in Deutschland ist . Wir haben auch in Deutschland Pilotprojekte im Bereich von PV-Freiflächen gemacht. Auch in diesem Fall haben wir gesehen, dass die Ausschreibung funktioniert . Hier gehen wir also einen großen Schritt voran und bringen die erneuerbaren Energien in den Markt . Sie können sich schon heute dem Markt stellen, was für uns einen großen Schritt nach vorne bedeutet . Der zweite Punkt betrifft die Synchronisation von Netzausbau und erneuerbaren Energien . Auch hier wollen wir den Anforderungen, die wir haben, besser gerecht werden . Einerseits erfolgt der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller als gedacht, andererseits erreicht leider der Netzausbau - auch das haben wir schon gehört - derzeit noch nicht die Geschwindigkeit, die wir brauchen . Oli Krischer, du hast eben gesagt, in Bayern säßen die großen Verhinderer . Ich kann dir sagen: In Niedersachsen wurde seit sieben Jahren keine einzige neue Leitung genehmigt . Man sieht, dass auch andere Bundesländer das genauso restriktiv handhaben . Ich glaube, alle müssen an einem Strang ziehen, um die Netze auszubauen . Wir brauchen 8 000 Kilometer in den nächsten Jahren, 700 davon haben wir gebaut . Das sind gerade einmal 9 Prozent . Das ist zu wenig . Da müssen wir mehr tun, weil sonst die erneuerbaren Energien nicht auf den Markt kommen . Das wäre ein ganz großer Fehler . Wir müssen das tun, um Kosten einzudämmen, wir müssen das tun, damit wir die Versorgungssicherheit in den nächsten Jahren weiter auf hohem Niveau halten können . Deshalb brauchen wir die richtigen Instrumente . Ein Instrument ist die Netzengpassgebietszone, die wir ausrufen wollen . Diese Netzengpassgebiete werden dafür sorgen, dass dort eher weniger Windräder aufgebaut werden . Ich glaube, das ist wichtig, damit wir die Geschwindigkeit etwas drosseln und das Netz in den Vordergrund stellen . Ich glaube, es wäre ein Fehler, wenn wir das, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat, nämlich die zwei Preiszonen, umsetzen würden . Das wäre nicht das, was wir hier in Deutschland wollen . Das würde den Binnenmarkt konterkarieren . Deshalb sind wir ganz klar für die Instrumente, die dafür sorgen, dass wir den Netzausbau mit den erneuerbaren Energien wirklich synchronisieren . Wir sehen ebenfalls Veränderungsbedarf im parlamentarischen Verfahren . Da sind einige Punkte für mich und uns wichtig . Der eine Punkt ist die Akteursvielfalt im Bereich der Energieträger . Ich glaube, wir brauchen einen breiten Mix von erneuerbaren Energien . Es ist wichtig, dass wir in Wind- und Sonnenenergie investieren . Wir brauchen aber auch die Wasserkraft, die Geothermie und die Biomasse . Bei der Biomasse wird es uns wichtig sein, dass wir gerade auch die Kleinanlagen zukünftig in die Ausschreibung hereinholen, damit auch die eine Chance haben, am Markt zu bestehen . Wir wollen auch bestehenden Biogasanlagen eine verlässliche Zukunftsperspektive bieten . Das Thema Eigenstrom ist für uns von so großer Bedeutung, dass wir es noch einbringen wollen . Das Gleiche gilt für das Thema Akteursvielfalt . Auch das wurde von den Kollegen der SPD schon adressiert . Meine Damen und Herren, das EEG 2016 ist ein wirklich großer Schritt . Wir werden die erneuerbaren Energien in den Markt bringen . Wir werden für Verlässlichkeit im EEG sorgen, und wir werden den Netzausbau mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien synchronisieren . Ich glaube, das ist ein großer Schritt . Wir müssen es anpacken . Die nächsten zwei Wochen erfordern ambitionierte Arbeit . Ich glaube, wir werden sie gemeinsam bewältigen . Herzlichen Dank . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr . Julia Verlinden hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage mich manchmal, was die Bundesregierung und die Regierungskoalition eigentlich unter Energiewende verstehen . Wir haben gestern Subventionen für Braunkohle beschlossen, genauer: Sie haben diese Subventionen beschlossen . Heute Morgen haben Sie dafür gesorgt, dass die Erdgasindustrie weiter frackt, und jetzt sprechen wir über ein Ausbremsen der erneuerbaren Energien . Das ist aus unserer Sicht keine Energiewende . ({0}) Die von Ihnen so oft genannte Sektorkoppelung bedeutet, dass wir weniger fossile Treibstoffe und weniger fossile Heizstoffe verwenden, dafür aber mehr Strom, und zwar Erneuerbarenstrom . Welche Bedeutung das für den Ausbau der erneuerbaren Energien hat, das scheinen Sie noch nicht ganz zu begreifen . Sie sagen immer: Wir schaffen bis 2025 unser Ziel 40 bis 45 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor . Wir Grünen finden: Das ist viel zu wenig. Aber lassen wir das einmal dahingestellt sein . Sagen wir einmal, Sie wollen dieses Ziel erreichen . Dann kann das Ganze doch nicht funktionieren, wenn Sie diese 40 oder 45 Prozent auf den aktuellen Stromverbrauch in Deutschland beziehen, also auf die augenblicklich 600 Terawattstunden . Sie müssen sich doch fragen: Wie viele Elektrofahrzeuge haben wir bis dahin? Wie viel Strom wird, etwa über die Technologien PtX oder PtH, in Wärme umgewandelt? Wie viel nutzen wir davon? Das heißt, der Strombedarf wird in den nächsten Jahren immer steigen, wenn das, was Sie wollen, nämlich Sektorkoppelung, zur Realität wird . Das wiederum heißt - das ist ein einfacher Dreisatz -: Wenn man 40 oder 45 Prozent EE-Strom haben will, dann muss der Ausbau der erneuerbaren Energien Jahr für Jahr umfangreicher sein als das, was Sie jetzt vorgesehen haben; schließlich kommen Sie sonst angesichts des zusätzlichen Strombedarfs ja nicht hin . ({1}) Anfang der Woche wurde dazu eine Studie von der HTW Berlin vorgestellt . Darin wird vorgerechnet, dass wir bei der Umstellung des Strom-, des Verkehrs- und des Wärmesektors bis zum Jahr 2040 doppelt so viel Strom verbrauchen wie heute . Das klappt übrigens nur, wenn wir zusätzlich alle Energieeffizienzpotenziale nutzen . Auch da gibt es im Moment Handlungsbedarf . Ansonsten werden wir womöglich eine Verfünffachung des Stromverbrauchs erleben . Wenn wir die Energiewende im gleichen Tempo wie in den letzten Jahren fortführen, dann wird sie im Jahr 2150 abgeschlossen sein . Die Bundesregierung hat in Elmau und Paris etwas ganz anderes zugesagt: Wir wollen die Energiewende bis spätestens 2050 vollzogen haben . Das heißt, wenn wir jetzt nicht an Tempo zulegen, dann kommen wir ganze 100 Jahre zu spät . Leider wollen Sie den Ausbau der Erneuerbaren aber nicht voranbringen; Sie wollen nicht einmal das bisherige Tempo beibehalten . Stattdessen treten Sie auf die Bremse und legen erst einmal eine Energiewendepause ein . Lassen Sie mich Ihnen das kurz vor Augen führen . ({2}) - Herr Gabriel, Sie haben eben gesagt, dass es gut ist, wenn andere eine andere Meinung haben; denn dann kann man sie auf ein Problem aufmerksam machen . Mein Anliegen eben war, auf die Bereiche Sektorkoppelung, Stromverbrauch usw . einzugehen . Zwischen 2021 und 2025 gehen Windenergieanlagen mit einer Leistung von über 16 000 Megawatt vom Netz . Dagegen sollen im gleichen Zeitraum im besten Fall nur 14 500 Megawatt Energie neu aufgebaut werden . Das heißt unter dem Strich in dem Zeitraum 2021 bis 2025 ein Minus von 1 500 Megawatt Windenergie . Ich frage Sie: Ist das ein Ausbau? Ausbau heißt doch mehr und nicht weniger . Mit diesem Gesetzentwurf bremsen Sie aber nicht nur die Energiewende an sich aus, sondern Sie schließen auch die Bürgerinnen und Bürger von ihr aus . Eine Energiewende gegen die Bürgerinnen und Bürger wird aber keinen Erfolg haben . Wir haben im Ausschuss noch die Möglichkeit, dieses Gesetz in vernünftige Bahnen zu lenken . Lassen Sie uns ein Gesetz verabschieden, mit dem wir einen echten Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen und die Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende teilhaben lassen . Vielen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion . ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern das Strommarktgesetz beschlossen; das haben wir heute schön öfter gehört . Da ging es mit Blick auf unsere Zieltrias in allererster Linie um Versorgungssicherheit . Jetzt höre ich, Frau Verlinden, dass Sie behaupten, wir hätten gestern beschlossen, die Braunkohle zu subventionieren . Das ist, glaube ich, nicht richtig . ({0}) Wir überführen 13 Prozent der Braunkohleleistung in eine Sicherheitsbereitschaft ({1}) und legen sie danach still . Darauf kommt es an . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst die taz nannte das einen Durchbruch in der Kohlefrage . ({3}) Ich finde, daran kann man an dieser Stelle einmal erinnern . Heute beraten wir über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes . „All hangt mit all tausamen“, würde man in Ostfriesland sagen, also „Alles hängt mit allem zusammen“, und ist gemeinsam wichtig für unseren Weg in der Energiewende . Wir sind unaufhaltbar auf dem Weg des Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern . Der Ausstieg kann aber nicht zufällig erfolgen, sondern muss mit Blick auf unsere Zieltrias „sicher, sauber und bezahlbar“ geplant werden . Alle drei Ziele müssen gemeinsam betrachtet werden, und das Dreieck der Ziele darf nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden . Übrigens: Auch bei den jeweiligen Energieträgern müssen wir darauf achten, dass wir es sozial vernünftig umsetzen können, dass der Strukturwandel entsprechend organisiert wird . Gestern lag der Schwerpunkt mit dem Strommarktgesetz auf dem Ziel „sicher“ . Mit dem EEG liegt der Schwerpunkt auf „sauber“, aber auch mit einem deutlichen Blick auf das Ziel „bezahlbar“ . Wir wollen, nein, wir werden mit dieser EEG-Novelle unser Ausbauziel aus dem Koalitionsvertrag - 40 bis 45 Prozent erneuerbare Energien in 2025 - eher an der oberen Marke erreichen . Bereits jetzt haben wir über 33 Prozent erneuerbare Energien im Stromnetz . Wir wollen die Akteursvielfalt . Deswegen begrüßen wir ausdrücklich den Vorschlag des Ministers zur Akteursvielfalt . Ich als ehemaliger Bürgermeister kann mir allerdings auch noch eine ein bisschen stärkere kommunale Beteiligung vorstellen; ({4}) denn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir die Kommunen beteiligen, dann beteiligen wir nicht nur einige, sondern alle Bürger direkt . ({5}) Das gilt auch für solche Sachen wie Mieterstrom, die wir sicher noch miteinander zu diskutieren haben . Im EEG 2016 wird darauf reagiert, dass der Netzausbau nicht wie erhofft stattgefunden hat, also eigentlich auf den Netznichtausbau . Dazu werden erstmals Netzausbaugebiete definiert. Das darf kein Dauerzustand werden . Wir brauchen in der Zukunft auch Diskussionen über Netzausbauvarianten, über Alternativen, technischer Art, aber auch von der Bewältigung der Lasten her . Wir brauchen eine viel stärkere Zusammenarbeit als bisher in der Frage: Wie gehen eigentlich ÜNBs, Übertragungsnetzbetreiber, mit Verteilnetzbetreibern um, und wie kann eigentlich die Branche der erneuerbaren Energien mit den Netzbetreibern Lösungen in dieser Frage finden? Wir brauchen dringend Antworten hinsichtlich der Nutzung der Potenziale in der Sektorkopplung . Zu dieser Thematik gibt es im Wirtschaftsministerium eine ArbeitsDr. Julia Verlinden gruppe . Ich glaube, dass wir uns nach der Sommerpause, nachdem wir viele energiepolitisch wichtige Gesetze beschlossen haben werden, intensiv damit beschäftigen müssen, welche Ergebnisse aus dieser Arbeitsgruppe kommen . Wir werden uns auf den Weg machen, zur Sektorkopplung auch die richtigen Lösungen zu finden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr . Andreas Lenz hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung das EEG 2016 . Es ist in der Tat so, dass die Untergangsgesänge, die wir heute wieder hören mussten, sehr stark an die Diskussion zum EEG 2014 erinnern . Aber um was geht es im Kern beim EEG 2016? Die Einspeisevergütung wird künftig nicht mehr von der Politik oder dem Ministerium festgelegt, sondern im Wettbewerb ermittelt . Dies ist ein Systemwechsel . Es ist ein richtiger Systemwechsel - und übrigens auch europarechtskonform oder im Hinblick auf die Europarechtskonformität geboten . Strom aus erneuerbaren Energien soll in der Höhe vergütet werden, die für einen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb erforderlich ist . Wir schaffen damit mehr Kosteneffizienz beim Ausbau der Erneuerbaren . Gerade die Synchronisierung von Netzausbau und Ausbau der Erneuerbaren ist von kaum zu überschätzender Bedeutung . Es hilft uns nichts, wenn wir zwar einen hohen Zuwachs an erneuerbaren Energien im Strombereich haben, aber keine Leitungen, die den Strom abtransportieren können . Übrigens kommen wir gerade im rot-grün regierten Niedersachsen beim Netzausbau nicht voran . Laut Übertragungsnetzbetreibern ist es so, dass in Bayern der Netzausbau mittlerweile sehr gut läuft . Hier wird nicht nur geplant, sondern hier wird auch umgesetzt . Der Unterschied ist: Wir reden nicht nur, wir machen . Regionen mit besonders großen Netzengpässen werden als Netzengpassgebiete ausgewiesen, in denen der Ausbau der Windenergie begrenzt wird . Hier wird der Zubau auf 58 Prozent des durchschnittlichen Zubaus von 2013 bis 2015 begrenzt . Insgesamt darf in den Netzengpassgebieten nur ein Zubau auf 900 Megawatt von den insgesamt 2 800 Megawatt erfolgen . Das ist ein wichtiger Schritt, um die Problematik der Netzengpässe zu berücksichtigen . Auch die Akteursvielfalt ist uns wichtig . Wir haben hier schon viel erreicht . Es gibt den Vorschlag des Ministeriums - der Minister hat es ausgeführt -, bei Bürgerenergiegenossenschaften auf das Emissionsschutzgutachten zu verzichten . Wir sind hier im Gespräch, und ich denke, wir werden auch noch Modelle entwickeln, wie wir die Bürgerenergie mit dem neuen EEG stärker fördern können . Bei der Photovoltaik gibt es eine Bagatellgrenze von 750 Kilowattstunden . Aus Praktikabilitätsgründen ist diese Grenze sicherlich angemessen . Sie ermöglicht auch den Betrieb von Bürgerenergiegenossenschaften . Wir werden bei der Flächenkulisse für Photovoltaikfreiflächen die berechtigten Interessen der Landwirtschaft berücksichtigen . Gerade der Bestand an Biogasanlagen kann dazu beitragen, die stark fluktuierenden Erneuerbaren wie Wind und Photovoltaik in den Spitzen auszugleichen . Für diese Anlagen ist in den nächsten sechs Jahren ein Ausschreibungsvolumen von 1 050 Megawatt vorgesehen . Übrigens bestehen auch bei Biogasanlagen Kostensenkungspotenziale, weil auch dort die Einspeisevergütung wettbewerblich ermittelt wird . Die Stärken der Biomasse liegen in der Flexibilität, aber auch in der Steuerbarkeit und der netzstabilisierenden Wirkung . Man muss fairerweise sagen, dass bei der Biomasse, die dezentral ist, ganz Deutschland betroffen ist . Ich habe hier eine Karte mitgebracht - damit man auch sieht, dass das kein rein bayerisches Thema ist -, ({0}) auf der die Biomassestandorte aufgeführt sind . Man sieht hier, dass ganz Deutschland betroffen ist . ({1}) Das gilt es bei den Beratungen zu berücksichtigen . ({2}) Dass das eben kein spezifisch bayerisches Thema ist, muss man ganz klar zum Ausdruck bringen . Die Biomasse trägt 27 Millionen Tonnen jährlich zur CO2-Einsparung bei . Wenn ich überlege, wie wir letztes Jahr über die Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 diskutiert haben, dann denke ich, dass das nicht zu verachten ist . Wir brauchen Perspektiven, gerade für die kleinen Anlagen unter 150 Kilowattstunden . Ich bin der Meinung, wir sollten auch bei Altholz und der Dicklauge nach Regelungen suchen, die nicht zu Verwerfungen an den Märkten führen . Solche Regelungen sind ja teilweise schon bei der Schwarzlauge gefunden worden . Auch bei der Wasserkraft gilt es, gewisse Probleme zu bedenken, gerade bei den großen Anlagen . Wir haben ja in Süddeutschland Anlagen mit mehr als 5 Megawatt Leistung . Es ist im Moment so, dass durch den im EEG festgelegten Einspeisevorrang der Erneuerbaren diese Anlagen, die nicht gefördert werden, nicht mehr am Markt bestehen können . Es droht, dass diese nicht mehr bestehen können . Es wäre ja sozusagen ein Treppenwitz, wenn gerade die älteste Form der erneuerbaren Energien durch das EEG nicht mehr wettbewerbsfähig wäre . Auch hier müssen wir nach Lösungen suchen . Natürlich müssen wir uns zukünftig noch um ganz andere Herausforderungen kümmern . Ich glaube übrigens, dass der bisherige Zubau bei den Erneuerbaren auf einen Wert von 33 Prozent an der Stromproduktion leichter war, als es der zukünftige Zubau auf 45, 55 oder 60 Prozent sein wird . Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir auch die Speicher am Markt beteiligen müssen . Wir stehen vor der großen Herausforderung des Netzausbaus . Wir müssen weiterhin auf mehr Systemdienlichkeit bei den Erneuerbaren achten, und wir müssen auch - heute ganz aktuell - die europäische Komponente der Energiewende stärker in den Blick nehmen . Die Reform des EEGs 2016 stellt zusammen mit dem Strommarktgesetz einen wichtigen Teil bei der Weiterentwicklung der Energiewende dar . Wir werden schauen, dass auch die Beschlüsse des Koalitionsausschusses zum Strommarkt tatsächlich umgesetzt werden . Das EEG 2016 führt insgesamt zu mehr Kosteneffizienz bei gleichzeitiger Wahrung ökologischer Ziele und einer Beibehaltung der hohen Versorgungssicherheit von kaum zu überschätzender Bedeutung . Ein Mehr an Markt hilft, richtig umgesetzt, allen . Wir würgen die Energiewende nicht ab, wir machen sie zukunftsfest . Herzlichen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ingbert Liebing aus der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort . ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte zum EEG können wir Bilanz ziehen . Das Fazit ist: Die Opposition hat sich redlich bemüht, ein Bild zu zeichnen, die Energiewende werde ausgebremst . Aber die Argumente waren dafür herzlich schwach . ({0}) Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass wir ein klares Ziel miteinander haben . Wir, die Koalition, wollen die Energiewende zum Erfolg führen . Das war, das ist und das bleibt unsere Zielsetzung . Es ist vor allem eine Zahl, mit der ich dies zum Abschluss dieser Debatte belegen möchte . Es geht um das Ausbauziel . Wir haben im geltenden EEG das Ausbauziel, dass wir bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen . An diesem Ausbauziel ändert sich nichts, gar nichts . Im Gegenteil: Wir bestätigen dieses Ausbauziel . Aber die Situation ist nicht so, dass wir im Moment Gefahr laufen, dass wir dieses Ziel unterschreiten würden . Ganz im Gegenteil: In den letzten Jahren war der Ausbau der erneuerbaren Energien stärker, schneller forciert, als wir es staatlicherseits von der Politik - Sie in der Opposition oder wir in der Regierung - erwartet und prognostiziert hätten . Wenn wir so weitermachen, dann überschreiten wir diese Zielsetzung . Darüber kann man sich freuen, wenn denn die Rahmenbedingungen das auch ermöglichen . Aber genau darin liegt das Problem . Die Rahmenbedingungen dafür stimmen nicht . Deswegen gilt doch: Es geht nicht darum, so schnell wie möglich so viel Strom wie möglich aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, sondern es geht um den Umbau des Gesamtsystems, wo wir am Ende des Tages die Stromerzeugung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen wollen . Das ist die Zielsetzung . Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen: vom Netzausbau über die Speichertechnologien . Auch der weiterhin notwendige intelligente Zusammenklang zwischen erneuerbaren Energien und konventionellen Kapazitäten, die wir vorübergehend brauchen, gehört genauso mit dazu . Wenn uns das gelingt, dann führen wir die Energiewende zum Erfolg . Aber deswegen ist Nachsteuerungsbedarf, deswegen ist Handlungsbedarf da . Dem entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf . ({1}) Die Bundesregierung hat sich mit den Ministerpräsidenten auf wesentliche Änderungen verständigt . Aber das heißt nicht, dass wir nicht auch etwas zu entscheiden hätten . So möchte ich drei Punkte nennen, die mir am Herzen liegen, über die wir in den nächsten zwei Wochen noch einmal sprechen müssen, um zu anderen, vielleicht, nein, sicherlich besseren Ergebnissen zu kommen . Der erste Punkt ist: Akteursvielfalt und Bürgerenergieprojekte . Ich komme aus einer nordfriesischen Region, wo über 90 Prozent der Windparks Bürgerwindparks sind . Bürger einer Gemeinde sind Eigentümer ihres eigenen Bürgerwindparks . Vor über 25 Jahren ist dieses Modell dort entstanden - eine Erfolgsgeschichte . ({2}) Ich möchte, dass diese Erfolgsgeschichte auch unter den Bedingungen der Ausschreibungen fortgeschrieben wird . Das Ministerium hat einen Vorschlag gemacht . Ich glaube, dass es noch weiterführende Vorschläge gibt, die wir prüfen sollten, um genau diese Bürgerenergieprojekte in Zukunft abzusichern, ein klares Ziel . Der zweite Punkt ist: Es ist extrem ärgerlich, dass Strom abgeriegelt wird, aber vergütet und nicht genutzt wird . ({3}) Besonders ärgerlich finde ich, dass es nach aktueller Rechtslage auch verboten ist, diesen abgeriegelten, aber vergüteten Strom zu nutzen . Das möchte ich ändern . ({4}) Wir diskutieren jetzt darüber, in welcher Form dies geht . Es gibt die Konzepte der zuschaltbaren Lasten, die man nutzen kann . Mir ist dieser Vorschlag noch zu starr im alten System verhaftet . Hier gibt es intelligentere, weiterführende Möglichkeiten, die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien auch in die Verantwortung zu nehmen, ihnen Geschäftsmodelle, direkte Geschäftsbeziehungen zu ermöglichen . Wenn der Mehrerlös daraus gleichzeitig zu einem wesentlichen Teil in das Härtefallkonto zurückfließt, dann entlastet es finanziell auch das Gesamtsystem; ein guter Vorschlag, den wir uns in den Ausschussberatungen noch einmal genauer ansehen sollten . Es ergibt Sinn, jetzt die Umsetzung der Ergebnisse der konkreten Projekte in den SINTEG-Regionen, die vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert und mit initiiert wurden, auf den Weg zu bringen . Diese Chance sollten wir allemal miteinander nutzen . ({5}) Ein dritter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist das Thema Referenzertragsmodell . Es sieht vor, dass an windschwächeren Standorten eine höhere Vergütung gezahlt wird . Das haben wir heute schon . Aber wenn mit dem Gesetzentwurf jetzt vorgeschlagen wird, dies zu verstärken, also für schwächere Standorte noch mehr Geld einzusetzen, dann ist das nach meiner Auffassung das Gegenteil dessen, was wir jetzt mit dem Systemwechsel erreichen wollen: Über Ausschreibungen wollen wir die effizienteren Projekte nach vorne bringen. Insofern ergibt die Stärkung des Referenzertragsmodells keinen Sinn . Wir müssen uns hier einmal ansehen, Herr Minister, ob all das Sinn ergibt, was angesichts der Interessenlage einzelner Bundesländer in den Gesetzentwurf eingeflossen ist . Wir müssen miteinander ein Interesse daran haben, die effizientesten Standorte voranzubringen. Das senkt dann die Kosten; das ist die Zielsetzung, um die es hier geht . Ich möchte mich zuletzt an unsere grünen Kolleginnen und Kollegen richten, die hier mit viel Verve unseren Gesetzentwurf kritisiert haben . Mein Rat ist: Schauen Sie einmal nach Schleswig-Holstein . Der schleswig-holsteinische grüne Umweltminister Robert Habeck hat gerade seine Form der Energiewende vorgelegt . Er verschiebt seine Ausbauziele mal eben um zehn Jahre, von 2020 auf 2030 . Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das kritisiere ich nicht . ({6}) - Ja, das Ziel ist ja auch in Ordnung . ({7}) Da sind wir uns völlig einig . Das entspricht der Menge an Energie, die wir bisher in drei Kernkraftwerken produziert haben . Wir wollen sie durch erneuerbare Energien ersetzen . Da werden Sie nichts dagegen haben; ich habe auch nichts dagegen . ({8}) - Entschuldigung, Oliver, hör doch mal zu . ({9}) - Zuhören ist nicht seine Stärke . Das haben wir den Tag über schon erlebt . Ist so .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie das bitte jetzt in einen Satz packen sollten .

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau . - Also, schauen Sie sich an, was Herr Habeck da macht . Offensichtlich führt Regierungsverantwortung dazu, dass man sich schrittweise ein bisschen der Realität annähert . Das, was dort geschieht, kritisiere ich nicht . Aber Sie sollten sich daran einmal orientieren und erkennen, dass es vielleicht tatsächlich Sinn ergibt, etwas zu ordnen und zu steuern, was aus dem Lot geraten ist . Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf . Damit werden wir uns jetzt in den Ausschussberatungen beschäftigen, damit daraus am Ende ein gutes Gesetz wird . Vielen Dank . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8860 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksache 18/8702 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksachen 18/8824, 18/8881 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksache 18/8917 Für die Aussprache hatten wir heute Morgen 38 Minuten vereinbart . - Auch dazu gab es keinen Widerspruch . Ich warte noch, bis sich die Reihen in den Fraktionen neu sortiert haben . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings . ({1})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Terroranschläge in Paris und Brüssel haben jüngst in erschütternder Deutlichkeit gezeigt: Die Sicherheitsbehörden in Europa stehen nicht nur vor einer nationalen, sondern auch vor einer internationalen Aufgabe . Wenn sich Terroristen weltweit in ihrem menschenverachtenden Tun vernetzen, dann darf polizeiliche und nachrichtendienstliche Arbeit ebenfalls nicht an Staatsgrenzen haltmachen . ({0}) Eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen haben wir deshalb bereits vor längerem vorangebracht . Ich denke auch an die Fluggastdatenrichtlinie, die PNR-Richtlinie, die wir bald auf nationaler Ebene umsetzen werden . Ich denke an die hervorragende Arbeit von Europol und des daran angegliederten Europäischen Zentrums für Terrorismusbekämpfung . Es ist gut, dass Deutschland einer der größten Zulieferer dieser Datenbank ist . Beim Auswerteschwerpunkt „islamistischer Extremismus“ sind etwa 80 Prozent aller Personendaten EU-weit aus Deutschland . Auch auf nationaler Ebene haben wir gehandelt, durch Gesetzgebung, aber eben auch durch die Bereitstellung von mehr Personal für unsere Sicherheitsbehörden, vom Bundeskriminalamt bis zum Verfassungsschutz . Deshalb galt und gilt: Bei CDU und CSU ist die innere Sicherheit unseres Landes in guten Händen . Ich darf ergänzen: Auch bei der Großen Koalition ist sie in guten Händen . ({1}) Wir nehmen die Freiheitsrechte der Bürger und die Schutzpflichten des Staates gleichermaßen ernst. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Wir halten das Grundrecht auf Datenschutz für wichtig, aber nicht weniger wichtig ist für uns das Menschenrecht, nicht von einem Terroristen in die Luft gesprengt zu werden . ({2}) Auf dieser Linie liegt auch das Gesetz, das wir heute abschließend beraten . Es ist ein Gesetz zur Stärkung unserer inneren Sicherheit und zur Stärkung unserer Abwehrkraft gegen den dschihadistischen Terrorismus . Deshalb ist die Kernregelung des Gesetzentwurfs die Schaffung klarer Rechtsgrundlagen für gemeinsame Dateien, die das Bundesamt für Verfassungsschutz mit wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten einrichten und betreiben kann . Selbstverständlich ist die Voraussetzung für solche gemeinsamen Dateien die Gewährleistung rechtsstaatlicher Standards, einschließlich des nötigen Datenschutzniveaus . Wir schließen heute ebenfalls eine für die Terrorbekämpfung relevante Sicherheitslücke, wenn es um den Erwerb vorausbezahlter Telefonkarten, sogenannter Prepaidkarten, geht . Telekommunikationsunternehmen müssen schon jetzt die Namen und Daten der Käufer von vorausbezahlten Handykarten speichern, nur verzichten sie derzeit leider darauf, sich den Ausweis zeigen zu lassen, was naheliegend wäre . ({3}) Das führt dann dazu, dass bei vielen Verträgen „Donald Duck aus Entenhausen“ als Kunde registriert wurde; Ihnen mag das lustig vorkommen, aber dadurch entstehen Sicherheitslücken . Ganz vertrackt wird es, wenn der Name einer anderen Person angegeben wird . So gerät auf einmal ein Unbescholtener ins Visier eines Staatsanwaltes . Deshalb wollen wir die Qualität der ohnehin gespeicherten Daten verbessern und dafür sorgen, dass man seinen Ausweis vorzeigen muss, wenn man einen solchen Vertrag abschließt . Das ist eine kleine Belastung im Moment des Verkaufs, aber ein großer Sicherheitsgewinn . ({4}) Aus der Opposition kommt der Vorwurf: Es gibt Ausweichmöglichkeiten . Die gibt es derzeit noch, aber immer mehr Staaten in Europa haben erkannt, dass hier eine Sicherheitslücke besteht . Es gibt immer mehr Staaten um uns herum, die die Ausweispflicht einführen. Wir sind nicht mehr an der Spitze der Bewegung, aber weitere Staaten werden dem Vorbild Deutschlands folgen, damit wir in dem Bereich einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum schaffen . Das ist selten so nötig gewesen wie in diesen Tagen . Ich will einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen . Es geht darum, dass es verdeckte Ermittler, die zur Gefahrenabwehr in fast allen Landespolizeibehörden eingesetzt werden, künftig auch bei der Bundespolizei gibt . Das ist ein wichtiges Werkzeug, um die brutalen und abgeschotteten Strukturen der Schleuser und Menschenhändler aufzubrechen . ({5}) Auch dieses Instrument ist wichtig für unsere Sicherheit . Ich will abschließend noch ein paar Bemerkungen zu den Vorwürfen der Opposition machen, das Ganze sei viel zu schnell durch die parlamentarischen Beratungen gegangen. Das ist ein reflexhafter Vorwurf. Wenn man in der Sache nicht viele Argumente vorzuweisen hat, dann sagt man: Das Verfahren war nicht in Ordnung . In der Tat, ich gebe gerne zu: Es ist immer schöner, wenn man viel Zeit hat, Gesetze im Parlament zu beraten . ({6}) Aber ich sage ganz klar: Wir haben dieses Verfahren nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vernünftig durchgeführt, inklusive einer Anhörung, an der Sie nicht teilnehmen wollten . Das ist Ihre Entscheidung . Wir haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht . Man kann zügig Vizepräsidentin Petra Pau und gründlich arbeiten . Das haben wir an dieser Stelle gezeigt . ({7}) Ich sage Ihnen noch eines: Von den Sicherheitsbehörden erwarten Sie und erwarten wir, dass sie 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage für unsere Sicherheit da sind, zur Verfügung stehen, uns schützen . Da finde ich es schon blamabel, wenn es aus der Opposition heißt: Man will die Verabschiedung des Gesetzes am liebsten bis auf die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause verschieben, also noch mindestens zwei Monate ins Land gehen lassen . ({8}) Das Bundesministerium des Innern rät von einem solchen Spiel auf Zeit, weil man keine guten Sachargumente hat, dringend ab . Aber zum Glück kennen Polizei, Verfassungsschutz und unsere anderen Sicherheitsbehörden keine Sommerpause . Vielen Dank . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, um es gleich klarzustellen: Das, was Sie uns hier gerade vorgeworfen haben, nämlich dass wir den Kampf gegen den Terrorismus verzögern und notwendige Maßnahmen weder diskutieren noch ergreifen wollten, ist eine demagogische Unterstellung und eine wirklich unverschämte Provokation . ({0}) Ich kann gleich noch etwas mit abhandeln: Wenn das Bundesinnenministerium die Präsidenten von BKA, Bundespolizei und Bundesverfassungsschutz als sogenannte unabhängige Sachverständige zu einer Anhörung zitiert, ist das - das muss man einfach sagen - eine glatte Provokation; denn das sind weisungsgebundene Behördenleiter, die im Gesetzgebungsverfahren beratend dabei waren . Natürlich reden die Ihnen nach dem Munde . Das machen wir einfach nicht mit . Deswegen haben Linke und Grüne die Anhörung verlassen . ({1}) Bislang durften internationale Geheimdienste nur im Einzelfall und auf Ersuchen untereinander Daten austauschen . Künftig - so will es die Regierung laut Gesetzentwurf - sollen sie einen internationalen Datenpool schaffen, aus dem sie sich nach Gutdünken bedienen können, und zwar automatisiert und ohne Einzelfallprüfung . Das ist wirklich eine bedenkliche Zäsur . Sensible Daten werden von Geheimdiensten künftig auf dem Präsentierteller serviert - auf Kosten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . Dazu sagt die Linke ganz klar und deutlich: Wir haben verfassungsrechtliche Bedenken . ({2}) Der Gesetzentwurf besteht aus lauter Gummiparagrafen . Er sieht den Informationsaustausch über - ich zitiere - „bestimmte Ereignisse oder Personenkreise“ vor, wenn die Erforschung „von erheblichem Sicherheitsinteresse“ ist . Was das konkret heißt, können die beteiligten Geheimdienste laut Gesetzentwurf unter sich vereinbaren . Sie erhalten eine Vollmacht, können grenzenlos vermeintliche Gefährder bespitzeln, was mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun hat . Erst im April gab es ein Urteil, in dem es heißt: „Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen .“ Genau das wird mit diesem Gesetzentwurf aber gemacht . Meine Damen und Herren, durch den Aufbau einer globalen Geheimdienstbank kann der Verfassungsschutz an Daten kommen, die er nach eigenem Recht gar nicht erheben dürfte . Betroffene sind neben sogenannten Gefährdern unbescholtene Kontakt- oder Begleitpersonen, in diesem Fall sogar 14- bis 15-Jährige, wenn es nach dem Willen der Regierung geht . Den Betroffenen drohen gravierende Folgen, wenn Daten über sie zum Beispiel beim türkischen Geheimdienst landen . Zwar erklärt die Koalition im Moment, dass die Türkei vorerst nicht mitmachen soll; aber im Gesetzentwurf steht das nicht . Im Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD heißt es sogar, dass bei Partnern aus der NATO „das Vertrauen in die Zuverlässigkeit“ menschlichen Handelns grundsätzlich begründet sei . Ab wann Sie der Meinung sein könnten, dass die Türkei sich rechtsstaatlich verhält, sagen Sie nicht, und wir als Parlamentarier haben keine Kontrollmöglichkeit . Das halten wir für blanken Hohn . Die Türkei führt gegenwärtig Krieg gegen die Kurden; sie unterstützt den „Islamischen Staat“ und schränkt Schritt für Schritt Presse- und Meinungsfreiheit ein . Und Sie wollen möglicherweise irgendwann wieder mit der Türkei kooperieren? Und was ist mit den USA? Werden in diesem Land, das ein Sonderlager wie Guantánamo unterhält und Tausende Verdächtige durch Killerdrohnen umbringt, die rechtsstaatlichen Prinzipien gewahrt? Wir meinen: Nein . ({3}) Was die anderen Punkte des Gesetzentwurfes angeht, muss ich aus Zeitgründen auf die Ausführungen der Datenschutzbeauftragten verweisen, die ich sehr gut finde. Die Bevollmächtigung der Bundespolizei zu Einsätzen mit verdeckten Ermittlern ist vom Grundgesetz schlicht und einfach nicht gedeckt . Die Zweckbindungen bleiben unberührt; so steht es im Gesetzentwurf . Wenn es Ihnen nur darum geht, Schleuserbanden zu bekämpfen, hätte ich einen anderen Vorschlag: Schaffen Sie legale Fluchtwege für Flüchtlinge . Dann erledigt sich die Schleuserkriminalität von selbst . ({4}) Ganz nebenbei haben Sie noch in letzter Minute einen Änderungsantrag im Ausschuss vorgelegt, demzufolge der Inlandsgeheimdienst jetzt auch Dateien über 14- und 15-Jährige anlegen darf . Akten aus Papier konnte der Verfassungsschutz bereits führen . Aber jetzt sollen es auch Dateien sein . In der Antwort auf eine Kleine Anfrage haben wir erfahren, dass es sich um gerade einmal vier Minderjährige im Alter von 14 bis 15 Jahren handelt . Es gibt also überhaupt gar keinen Bedarf, hier eine solche Ausweitung vorzunehmen . Deswegen sagen wir: Kinder gehören in die Kinderhilfe, dorthin, wo man ihnen auch auf anderer Ebene helfen kann, aber nicht in Dateien des Verfassungsschutzes . ({5}) Vergessen wir nicht: Es ist schon unmöglich, den Geheimdienst auf nationaler Ebene zu kontrollieren . Auf internationaler Ebene kann man das zurzeit meines Erachtens vergessen . Auch die Datenschutzbeauftragte hat darauf hingewiesen

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Redezeit .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin -, dass ihre Kontrollbefugnisse bei weitem nicht ausreichen . Der Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein weiterer Angriff auf die Grundrechte . Er wird unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung hier eben einmal so durchgepuscht . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die SPD-Fraktion . ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, der Anschlag auf Charlie Hebdo, Anschläge auf europäische Urlauber in Tunesien und der Türkei, der Terrorakt im Thalys in Belgien, die Anschläge in Kopenhagen, der Sprengstoffanschlag auf ein russisches Passagierflugzeug in Ägypten, die Anschlagsserie in Paris im vergangenen November mit fast 500 Toten und Verletzten, die Terroranschläge von Brüssel mit 400 Toten und Verletzten, die Messerattacke in Hannover, der Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen - die Liste des Terrors ist lang, viel länger als meine Aufzählung . Wissen Sie, Frau Kollegin Jelpke, wenn man diese grausame Liste des Terrors einmal zum Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte über das Antiterrorgesetz nimmt, dann stelle ich mir hin und wieder schon die Frage, ob diese Bedrohungslage wirklich bei Ihnen angekommen ist . ({0}) Die Lage ist ernst . Uns gemeinsam muss doch, neben der Brutalität der Fanatiker, dem internationalen Milieu und der Mobilität dieser Terroristen, der Umstand beunruhigen, dass es dem IS offensichtlich gelungen ist, zumindest über einige europäische Staaten so etwas wie eine Befehls- und Kommandostruktur zu legen, die bereits Hunderte Menschen das Leben gekostet hat . Eine solche grenzüberschreitende Vernetzung wünsche ich mir das eine oder andere Mal auch von unseren Sicherheitsbehörden . Wir haben bis zum heutigen Tag nicht eine Datenbank, in der beispielsweise die Namen aller Syrienkämpfer und terroristischen Gefährder in Europa allen europäischen Sicherheitsbehörden zugänglich sind . Das ist ein schweres Versäumnis, das dringend behoben werden muss . Dazu leisten wir heute einen ersten wichtigen Beitrag . Ich finde, das kann nicht Gegenstand einer ernsthaften und ernstgemeinten Kritik sein . Wenn sich Terroristen vernetzen, müssen sich auch Sicherheitsbehörden vernetzen . So einfach ist das . ({1}) Ich gehe für die SPD-Bundestagsfraktion sogar noch einen Schritt weiter . Der internationale Datenaustausch, den wir in diesem Gesetzentwurf vorsehen, kann nur ein erster Schritt sein . Ich sage das ganz bewusst einen Tag nach dem Referendum in Großbritannien . Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Antiterrorzentrum, ({2}) in dem die europäischen Sicherheitsbehörden eng und koordiniert zusammenarbeiten, um dem Terror die Stirn zu bieten . Ich finde, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, das wir in Deutschland haben, ist in diesem Fall wirklich ein gutes Vorbild - auch für Europa . Herr Minister de Maizière, nur Mut! Setzen Sie sich auf europäischer Ebene für die Schaffung eines solchen Antiterrorzentrums ein . Europa darf nicht zum Aktionsfeld gut vernetzter Terroristen werden . Wir brauchen einen europäischen Verbund gegen diesen Terror . Die bessere Kooperation gerade der europäischen Sicherheitsbehörden muss energisch vorangetrieben werden . Da ist jedes Zaudern, wie ich finde, fehl am Platz. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist ein großes Privileg, dass wir in Freiheit leben können . Diese Freiheit ist den Terroristen ein Dorn im Auge . Es ist unsere Welt, gegen die seit vielen Monaten gebombt und geschossen wird . Freiheit und Offenheit brauchen gerade in diesen Tagen unseren Schutz . Dazu leisten wir mit dem heutigen Gesetz einen wichtigen und einen, wie ich finde, notwendigen Beitrag . Recht herzlichen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz das Wort .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lischka, in den letzten elf Jahren hat elf Jahre lang die Union die Verantwortung für die innere Sicherheit getragen . Sie sind jetzt im siebten Jahr dabei . Und Sie wollen uns erzählen, es komme genau auf den Tag an, an dem Sie diesen Gesetzentwurf durch das Parlament puschen? ({0}) Was Sie betreiben, ist wirklich Volksverdummung, und das ist unseriös . Ich weise das aufs Schärfste zurück . Dass wir heute in der letzten Kurve dieser Sitzungswoche einen so grundrechtssensiblen Gesetzentwurf in einem völlig unzureichenden parlamentarischen Verfahren einfach so durch das Parlament puschen, ist ein parlamentarisches Armutszeugnis für diese Große Koalition, meine Damen und Herren . ({1}) Mit Ihren Mehrheiten bekommen Sie das alles durch . Quantitativ sind Sie eine Große Koalition, qualitativ sind Sie eine ganz kleine . ({2}) Dieses Paket ist der erste Teil von insgesamt vier tief in die Grundrechte eingreifenden Initiativen . Neben dem Paket kommt ein Gesetz zum Abbau der parlamentarischen Kontrolle . Es kommt ein BND-Gesetz . Seit der Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung von gestern wissen wir, dass Sie offensichtlich parallel zu alledem eine Behörde zur Zerstörung von Verschlüsselung schaffen . Es geht Ihnen um die grundlegende Veränderung der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur . Wir alle zahlen hier im Eilverfahren den Preis mit dem Verlust unserer Freiheitsräume und der Einschränkung unserer Grundrechte . ({3}) Sie verfahren nach dem Motto: Je sensibler das ist, was wir anfassen, desto schlampiger und schneller peitschen Sie es durch das Parlament . So geht es einfach nicht, meine Damen und Herren . ({4}) Es kommt massive Kritik hinzu . Das sehen nicht nur die Grünen und die Opposition insgesamt so, sondern das sieht auch der Normenkontrollrat so . Er sagt, dieser Gesetzentwurf sei keine adäquate Entscheidungsgrundlage für die Politik . Genau so ist es . ({5}) Jetzt zum Inhalt Ihres Pakets . Es ist eine Mogelpackung . Sie schreiben - und auch deswegen dieses ganze Tremolo, Herr Lischka - „Antiterror“ drüber, aber es steckt eben alles Mögliche in Ihrem Paket drin . ({6}) „Sicherheitsinteressen des Landes“ ist - Frau Jelpke hat das angesprochen - ein unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem praktisch alles zu subsumieren ist . Deswegen ist dieses Antiterrorpaket, als das Sie es in der Öffentlichkeit verkaufen, eine Irreführung der Öffentlichkeit . ({7}) Der Gesetzentwurf enthält den Versuch einer offenkundig verfassungswidrigen Legalisierung beim internationalen Datenringtausch der Geheimdienste . Niemand bestreitet - wir als Letzte -, dass wir nicht eine bessere Kooperation in Europa beim Austausch von Daten brauchen . Aber dafür benötigen wir einheitliche Gefährderbegriffe, und es muss rechtsstaatlich sein . Das ist Ihr Entwurf leider nicht . ({8}) Sie haben Mitte und Maß verloren und schließen es nicht aus, dass wir uns mit den Geheimdiensten von Folterstaaten gemein machen oder Teil eines völkerrechtswidrigen Drohnenkriegs werden . Zum Schluss dokumentieren Sie auch noch, dass Ihnen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt das BKA-Urteil, herzlich egal ist . Die im Gesetzespaket enthaltenen Abgriffe an der Glasfaser sind verfassungsrechtlich hoch bedenklich; denn Sie ermöglichen sie hier und heute ohne aufsichtliche Anordnung . Das ist ein weiterer Affront gegenüber unserem Untersuchungsausschuss, der noch läuft, aber vor allen Dingen gegenüber der G-10-Kommission, die ja in Karlsruhe gegen Sie klagt, weil Sie sich so ignorant verhalten . ({9}) Statt klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten weiten Sie die sicherheitsstrategisch fragwürdigen überlappenden Kompetenzen von Polizeidiensten und Geheimdiensten weiter aus . Ein Irrsinn! Selbst bei der PreBurkhard Lischka paidkarte frage ich mich: Warum ein solcher Vorstoß, der in der Praxis als nationaler Alleingang absehbar ins Leere laufen wird, mehr als 30 Millionen Deutsche - mehr als 30 Millionen! - betrifft und gegen den Datenschützer und Wirtschaft in nie gekannter Einigkeit gemeinsam Sturm laufen? Sie schaffen maximale Bürokratie bei minimalem Effekt angesichts der vielen Möglichkeiten, weiterhin anonym zu kommunizieren . Deswegen ist auch dieser Vorschlag unverhältnismäßig und unbrauchbar . ({10}) Dieser Gesetzentwurf ist die ganz große Wundertüte für die Sicherheitsbehörden . Mit Antiterror hat er ganz wenig zu tun . Gerade in Richtung der SPD darf ich sagen: Es hilft uns überhaupt nichts, wenn Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie morgens im Deutschlandfunk Krokodilstränen über diesen schlimmen Gesetzentwurf der Bundesregierung vergießen, bei der Verschärfung dieses Gesetzentwurfes durch den Änderungsantrag aber völlig willenlos mitmachen . Das geht so nicht, liebe Genossinnen und Genossen . ({11}) Insofern sind, wenn ich das sagen darf, die Bürgerrechte und der ganze Bereich der inneren Sicherheit bei Ihnen in ganz schlechten Händen, nicht in guten . ({12}) Statt endlich die Vorgaben aus Karlsruhe zu berücksichtigen, begehen Sie hier einen weiteren groben Affront gegenüber dem höchsten deutschen Gericht . Herr de Maizière - Sie sind ja da -, Sie haben deutlich gemacht, dass Sie dieses Gericht eher als störend empfinden. Ich darf sagen: Ich rate strengstens dazu, sich das BKA-Urteil erst einmal anzusehen und dann einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen . Zum Schluss . Sie setzen die unheilige Tradition kurzfristiger innenpolitischer Profilierung - ob mit Blick auf die AfD oder was weiß ich - fort . Sie suggerieren - auch mit Ihrer Sprache -, Sie würden mordswas tun . Tatsächlich aber sind die Mittel, denen Sie hier das Wort reden, unbrauchbar, sie sind massiv grundrechtsgefährdend, und sie bringen keinen relevanten Gewinn für die innere Sicherheit .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sieht auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz so . Insofern sind wir sehr irritiert und werden das nicht mittragen . Ganz herzlichen Dank . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Lieber Kollege von Notz, die Ankündigung des Schlusses einer Rede ersetzt den Schlusspunkt nicht . Ich bitte, das in Zukunft zu beachten . ({0}) Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte kein Problem damit, wenn Herr Kollege von Notz einen kleinen Moment länger sprechen würde, wenn er sich wenigstens mit der Sicherheitslage auf unserem Planeten befassen würde, ({0}) statt Schilderungen vorzutragen, die mit Deutschland und Europa schlicht und ergreifend nichts gemein haben . Ich möchte gar nicht mehr in aller Ausführlichkeit auf den Inhalt des Gesetzentwurfes, über den wir heute abschließend debattieren, eingehen; das hat Herr Staatssekretär Krings bereits getan . Ich möchte meinen Blick vielmehr auf die Fragen richten: Wo stehen wir eigentlich bei der Terrorismusbekämpfung? Was tut not? Wir haben eine sehr ernste Bedrohungslage . Die Zahl der Gefährder in Deutschland ist in den vergangenen Jahren sehr stark gestiegen; derzeit sind es rund 500 . Über 100 Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind seit 2001 Opfer terroristischer Straftaten geworden . Auch Deutschland ist im Visier des internationalen Terrorismus . Wir sollten nicht den Fehler begehen, auf ein rasches Ende dieser Bedrohung zu setzen . Denn alle Hoffnungen, die wir in den vergangenen 15 Jahren darauf gerichtet haben, haben sich als trügerisch erwiesen . Rund 4 500 Personen aus ganz Europa sind bislang nach Syrien und in den Irak gereist, um sich dem Krieg des „Islamischen Staates“ anzuschließen . Wenn der militärische Kampf gegen den IS erfolgreich ist und seine Zurückdrängung gelingt: Was werden diese Personen tun? Mancher wird sein Leben verloren haben, mancher wird sich im Ausland einen neuen Dschihad suchen . Doch viele werden hoch radikalisiert und hoch brutalisiert nach Europa zurückkehren, und sie werden sich in einer Auseinandersetzung - ja, in einem Krieg - mit dem Westen sehen . Wenn diese Einschätzung zutrifft, dann sinkt die terroristische Bedrohung leider nicht, sondern sie wächst . Wir werden es dann europaweit mehr denn je mit dezentralen Netzwerken zu tun haben, auf die es nur in einzelnen Staaten Hinweise gibt . Deshalb wird es in Zukunft mehr denn je auf eine umfassende Kooperation mit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten, insbesondere mit unseren Partnern in der EU und in der NATO, ankommen . Genau dafür legen wir mit diesem Gesetzentwurf die Grundlage . Die Nachrichtendienste sollen ihre Erkenntnisse mithilfe gemeinsamer Dateien teilen und noch enger zusammenarbeiten können . Dies ist mitnichten ein Schritt in die Massenüberwachung, sondern angesichts der Bedrohungslage dringend geboten und tut not . ({1}) Die Große Koalition hat in den vergangenen Jahren viel für die Sicherheit der Menschen in Deutschland und in Europa getan . Ich möchte dafür auch dem Bundesinnenministerium sehr herzlich danken, insbesondere Herrn Bundesinnenminister de Maizière, der in diesem Bereich ganz Herausragendes geleistet hat . Herzlichen Dank! ({2}) Wir haben in dieser Wahlperiode im Kernbereich der inneren Sicherheit mehr als ein halbes Dutzend Gesetze verabschiedet . Die Opposition hat in jedem dieser Gesetze einen Anschlag auf die Freiheitsrechte erkannt - sie hat heute auch wieder von einem „Angriff auf die Grundrechte“ gesprochen - und gegen jedes einzelne dieser Gesetze gestimmt . Wir haben das Reisen in terroristischer Absicht unter Strafe gestellt und einen Ersatzpersonalausweis für potenzielle terroristische Gewalttäter eingeführt, der nicht zu Reisen befähigt . Die Opposition war dagegen . Wir haben die Geltungsdauer des Terrorismusbekämpfungsgesetzes verlängert . Die Opposition war dagegen . Wir haben die Mindestspeicherfristen in maßvoller Weise wieder eingeführt . Die Opposition war dagegen . Nun spricht die Linke im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf erneut von Massenüberwachung, und für die Bundestagsfraktion der Grünen gilt beim Datenaustausch laut ihrem Papier zur inneren Sicherheit: „Weniger ist mehr“ . ({3}) Daran schließt sie die Forderung nach einem radikalen Umbau des Verfassungsschutzes in ein „stark reduziertes Bundesamt“ mit einem „sehr schmalen Aufgabenbereich“ an, das „stark reduzierte Befugnisse“ hat . ({4}) Wenn das in Zeiten einer ernsten terroristischen Bedrohung Ihre Antwort ist, dann kann ich nur sagen: Es ist gut, dass in diesen Zeiten nicht Sie regieren, ({5}) sondern diese Koalition . Bei uns ist die innere Sicherheit in guten Händen . ({6}) Ich rate Ihnen auch: Schauen Sie ruhig einmal dorthin, wo keine grünen Ideologen regieren, sondern gemäßigte Kräfte der Grünen, beispielsweise nach Baden-Württemberg . ({7}) Dort hat der Ministerpräsident vorgesehen, dass der Verfassungsschutz ausgebaut und das Landesamt für Verfassungsschutz gestärkt wird . ({8}) Sie wollen das reduzieren . Vielleicht sprechen Sie einfach einmal mit Herrn Kretschmann . ({9}) Uns ist die Balance von Freiheit und Sicherheit gut gelungen . Ich weiß, dass Sie oft sagen, der islamistische Terrorismus wolle nur, dass der Staat beim Schutz seiner Bürger überreagiert . Das ist richtig und zugleich falsch, weil es ihm wohl kaum um eine Solidarisierung mit und um einen Aufstand der Bevölkerung gegen eine vorgebliche Massenüberwachung geht . ({10}) - Hören Sie doch einmal zu . Sie können manches lernen . ({11}) Ganz anders als die RAF richten islamistische Terroristen ihre Anschläge nicht gegen eine eingrenzbare Gruppe von Repräsentanten einer bestehenden Ordnung . Für islamistische Terroristen ist die westliche Kultur als solche der Feind . Sie richten ihre Anschläge bewusst gegen Zivilisten und wollen möglichst viele Menschen ermorden . Ihre Methode ist nicht das Attentat, sondern das Massaker . Diese Entgrenzung zielt auf nichts anderes, als das Vertrauen der Bürger in den Staat als Garanten der Sicherheit umfassend und restlos zu untergraben, in der Erwartung, dass in einer Gesellschaft, in der sich niemand mehr sicher fühlt, der innere Zusammenhalt zerbricht . Dem IS geht es um nichts Geringeres als um die Spaltung unserer Gesellschaft, um die Konfrontation von Einheimischen und Zugewanderten, von Christen und Muslimen . Es geht ihm um die Ausweitung der Kampfzone . Deshalb wird diese Koalition den islamistischen Terrorismus mit aller Entschlossenheit und aller Härte bekämpfen . Nicht von der internationalen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden wird unsere Freiheit bedroht, sondern durch den Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts, dessen Wurzeln „Unsicherheit“ und „Angst“ heißen . Weil es ohne Sicherheit keine Freiheit geben wird, werden wir diesen Gesetzentwurf heute beschließen . Herzlichen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die SPD-Fraktion . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass der IS über Europa ein Terrornetz aufgespannt hat . Was die allgegenwärtige Terrorbedrohung angeht, so waren wir noch nie so gefordert wie heute . Großereignisse wie die Fußballeuropameisterschaft sind eine enorme Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in ganz Europa . Das ist vielleicht so etwas wie die schlechte Nachricht . Die gute Nachricht aber ist: Wir in Deutschland sind gut aufgestellt . Wir konnten durch die sehr gute Arbeit der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden bislang alle Anschlagsversuche vereiteln . Ich sage: Es zahlt sich aus, auf einen starken und damit handlungsfähigen Staat zu setzen . ({0}) - Ganz bestimmt und ohne Zweifel . - Deshalb wird die personelle Konsolidierung der Sicherheitsbehörden auch in Zukunft elementarer Bestandteil sozialdemokratischer Sicherheitspolitik sein . Aber wir wollen im Hier und Jetzt noch besser werden . Das tun wir mit diesem Gesetz . Wir schaffen die Grundlage für die Errichtung gemeinsamer Dateien mit Partnerdiensten . Bislang gab es eben keine gemeinsamen Datenbanken, und der momentane Datenaustausch dauert einfach viel zu lange . Während also Terroristen längst bestens vernetzt sind, sind es die Sicherheitsbehörden bisher nicht . ({1}) Die Ereignisse überschlagen sich . Erst am letzten Wochenende haben die Brüsseler Behörden Terrorverdächtige festgenommen . Ständig gewinnen die Nachrichtendienste unserer internationalen Partner neue Erkenntnisse über Gefährder, die bei uns Anschläge planen . An die müssen wir herankommen können, ({2}) um unser Land im Antiterrorkampf zu schützen . Deshalb brauchen wir gemeinsame Datenbanken . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Grötsch, ich habe die Uhr angehalten . Der Kollege Ströbele wünscht, eine Frage zu stellen oder seine Meinung zu äußern . Lassen Sie das zu?

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich . - Bitte schön .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Grötsch, danke, dass Sie meine Frage zulassen . Ich freue mich, dass gerade Sie sie zulassen, weil auch Sie Jurist sind . Sie wollen also den Datenaustausch mit dem Ausland fördern . Nun wissen wir beide, dass das Bundesverfassungsgericht am 20 . April dieses Jahres zum BKA-Gesetz eine ganze Reihe von sehr wichtigen Anmerkungen gemacht hat und dieses Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat . Das Verfassungsgericht hat insbesondere zum Datenaustausch mit dem Ausland viele wichtige Sätze gesagt . Ich will Ihnen davon zwei Sätze vorhalten . Das Bundesverfassungsgericht meint nämlich: Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt . . ., dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist . . . . Geboten ist in diesem Sinne die Gewährleistung eines angemessenen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus für den Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat . . . Ich weiß, dass der Minister von diesem Urteil nicht viel hält . Aber da steht nun einmal für Sie alle bindend als Schlussfolgerung auf Seite 112: Der Gesetzgeber hat insgesamt Sorge zu tragen, dass der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der anderen internationalen Menschenrechtsverträge … durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland … nicht ausgehöhlt wird . Jetzt sagen Sie mir bitte, wo dieser Schutz in den Paragrafen zur Einrichtung von Dateien im Ausland, in die auch deutsche Daten aufgenommen werden sollen, geregelt ist . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Gesetzentwurf gelesen haben . Wir gehen im Gesetzentwurf ganz explizit auf das ein, was Sie gerade angesprochen haben . ({0}) Wir haben in dem Gesetzentwurf eine klare Regelung . Wenn es etwa um den Datenaustausch mit Staaten geht, die keine EU-Mitgliedstaaten oder NATO-Partner sind, dann ist sogar der Bundesinnenminister höchst persönlich gefordert, grünes Licht für den Datenaustausch mit diesen Staaten zu geben . ({1}) Ansonsten ist das BMI bei der Einrichtung jeder Datenbank mit Partnerdiensten gefordert, das im Einzelfall zu prüfen . ({2}) Ich glaube auch, dass das gut ist . Ich glaube nämlich ganz und gar nicht, dass man die Bekämpfung des internationalen Terrorismus - dazu komme ich gleich noch - nur nationalstaatlich sehen kann . Ich glaube zudem - auch das gehört zur Wahrheit -, dass man sich seine Partner in der Zusammenarbeit dahin gehend nicht im Einzelnen aussuchen kann . Aber um das, was Sie angesprochen haben, auszuschließen, haben wir zwei ganz deutliche Regelungen in den Gesetzentwurf aufgenommen . ({3}) Der Gesetzentwurf bedeutet auch eine Befugniserweiterung für die Nachrichtendienste, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das Bundesamt für Verfassungsschutz zum Beispiel macht in der letzten Zeit nicht immer eine gute Figur, um das am Ende der Woche vorsichtig auszudrücken . Woche für Woche überschlagen sich die Ereignisse und Versäumnisse des Bundesamtes im Zusammenhang mit dem ehemaligen V-Mann „Corelli“ . Trotzdem dürfen wir nicht das ganze Amt über einen Kamm scheren und alle zusammen für die Versäumnisse und Fehltritte Einzelner verantwortlich machen . ({4}) Ich komme gerne noch einmal auf das Thema Datenschutz zu sprechen und wiederhole: Wir als SPD-Bundestagsfraktion meinen, dass für den Datenaustausch ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet werden muss . ({5}) Das ist völlig unstrittig, völlig richtig und natürlich auch wichtig . Ich glaube aber wirklich, dass es völlig unrealistisch ist, zu erwarten, dass wir uns nur mit den Ländern im Antiterrorkampf vernetzen, die genau unseren deutschen Datenschutzstandards entsprechen . Ich glaube nämlich, dass am deutschen Wesen die Welt auch dahin gehend nicht genesen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({6}) Das wird nicht gehen . Das liegt in der Natur der Sache, mit der wir uns hier beschäftigen . Genau deshalb nimmt die Datenschutzbeauftragte ihre vom Bundesverfassungsgericht angedachte Kompensationsfunktion wahr, und wir erwarten von der Datenschutzbeauftragten, Frau Voßhoff, auch klipp und klar eine aktive Rolle bei der Kontrolle dieser Standards . ({7}) Es steht für mich weiterhin völlig außer Frage, dass auch wir als Parlamentarier unserer Kontrollbefugnis gegenüber der Bundesregierung nachkommen werden . ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich trotzdem noch einen weiteren Aspekt des Gesetzentwurfs ansprechen, weil er mir wichtig ist: Die Schleuserkriminalität ist vielleicht die abscheulichste und menschenverachtendste Form der organisierten Kriminalität . ({9}) Wir reden heute noch über die Fortsetzung und Erweiterung der EU-Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia . Ich ziehe meinen Hut vor den 950 Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen dieser Mission Menschen in Seenot retten, gegen Schleuserbanden vor Ort vorgehen und das Elend auf dem Mittelmeer - den Sündenfall Europas; ich will so weit gehen, das so auszudrücken jeden Tag hautnah miterleben müssen . ({10}) Wir wollen aber insbesondere die Netzwerke zerschlagen und die großen Fische hinter Gitter bringen . Sie sitzen aber nicht mit in den Booten . Unter anderem dafür wird daher künftig auch die Bundespolizei wie bisher schon die anderen Polizeien bereits zur Gefahrenabwehr statt erst zur Strafverfolgung verdeckte Ermittler einsetzen können . Mit diesem Gesetzentwurf haben wir an mehreren Stellschrauben gedreht, um bestehende Sicherheitslücken im Land weiter zu schließen . Dazu gehört auch, dass die Telekommunikationsdienstleister künftig die Identität von Prepaidkunden eindeutig feststellen müssen . Dafür haben sie selbstverständlich auch ausreichend Zeit . Ich erwarte von den Telekommunikationsdienstleistern, dass diese Zeit insbesondere auch dafür genutzt wird, dass das mit der Prüfung betraute Personal durch entsprechende Schulungen in die Lage versetzt wird, solche Ausweispapiere prüfen zu können . In meinen Gesprächen mit den Verbänden habe ich hierzu auch die Bereitschaft gesehen, das zu machen . Auch die von uns gesetzten Fristen stießen auf Zustimmung . Ich glaube - damit komme ich zum Schluss -, dass es mit diesem Gesetz darum geht, auf der Höhe der Zeit zu bleiben . Es geht darum, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf Augenhöhe mit unseren Partnern zu sein . Deshalb werbe ich um Zustimmung . Vielen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Armin Schuster, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner zusammenfassen . ({0}) - Doch, doch! ({1}) Sie kommen noch dran, keine Sorge . ({2}) - Jeder Kunde wird bedient, keine Angst . Meine Damen und Herren, für die Unionsfraktion ich glaube, das gilt auch für die Regierungskoalition darf ich sagen: Wir sind sehr froh, dass dieses Gesetz vor der Sommerpause hier im Deutschen Bundestag beschlossen wird . ({3}) Burkhard Lischka hat ja die Reihe der Anschläge aufgezählt . Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir in diesem Parlament Handlungsfähigkeit bei der Terrorabwehr beweisen . Unsere Aufgabe ist es, die Bürger vor Gefahren zu schützen . Und da spielt eine Sommerpause eventuell eine große Rolle . Ich nenne Ihnen gleich ein Beispiel dazu . Vorher will ich aber die Kritik der Opposition aufgreifen, was die Form des Durchlaufens des Gesetzesweges anbelangt . Ich kann Ihre Kritik nachvollziehen . Auch ich fand, dass die Zeitabläufe nicht unbedingt den normalen parlamentarischen Weg darstellen . Von der ersten Lesung über eine Anhörung bis hin zur zweiten und dritten Lesung dauerte es zwei Sitzungswochen . Es ist nur so, meine Damen und Herren, dass wir von den Sicherheitsbehörden verlangen, dass sie bei Gefahr im Verzug außergewöhnlich schnell reagieren . Wir haben als Parlamentarier zu erkennen, wann Gefahr im Verzug ist . Es muss dann auch möglich sein, einmal von parlamentarischen Gepflogenheiten herunterzukommen, dass wir die Wege zwar einhalten, sie aber verdammt schnell beschreiten . Das ist notwendig; denn es ist Gefahr im Verzug . Deswegen haben wir diese Geschwindigkeit an den Tag gelegt . ({4}) Ich finde, dass Sie das akzeptieren können. Ich komme jetzt - Sie waren ja nicht bei der Anhörung dabei - zu meinem Beispiel, von dem ich glaube, dass es Bände spricht . Wir haben bisher keine gesamteuropäische Datenbank für Terroristen und Gefährder in allen Mitgliedstaaten . Das sorgt für extrem unterschiedliche Kenntnisstände in allen Ländern, was ein Riesenvorteil für die Terroristen und Gefährder ist . Jetzt plant die Counter Terrorist Group - das ist ein Zusammenschluss der europäischen Nachrichtendienste - unter niederländischer Führung, dieses Problem - es wird seit Monaten nach jedem Anschlag heftig beklagt zum 1 . Juli zu beseitigen . Das wollen wir jetzt abräumen . Die Holländer haben die Führung übernommen und machen das . Ab 1 . Juli gibt es Wirkbetrieb, nur Deutschland ist, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht vorhanden sind, nicht mit dabei . Jetzt frage ich Sie allen Ernstes: Wollen wir jetzt bis September warten, bis wir uns an diesem unglaublich wichtigen Projekt beteiligen? ({5}) Die Union will das nicht . Für uns sind diese drei Monate wichtig . ({6}) Und deswegen machen wir das Gesetz jetzt . Der Vorteil ist mit Händen zu greifen . ({7}) Es ist gut, wenn man einmal Innenpolitik innerhalb einer Regierung gemacht hat . Herr Dr . von Notz, Sie klingen halt immer wie so ein rhetorischer Pappkamerad, weil Sie diese Erfahrung nicht haben . Es tut mir leid . Das ist vielleicht für eine Universität geeignet . ({8}) Ich empfehle Ihnen die Universität von Professor Castellucci . Die veranstaltet Vorlesungen, bei denen die Studenten ihre Professoren anhimmeln . Das wäre vielleicht etwas für Sie . ({9}) Meine Damen und Herren, dass wir die Anonymität von Prepaidkunden - das ist eine Sicherheitslücke - nicht mehr lange akzeptieren dürfen, ist eine wichtige Forderung des BKA-Präsidenten .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse sie nicht zu . Das hat keinen Zweck mit Herrn Dr . von Notz . ({0}) - Gut, ich lasse sie zu .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ausnahmsweise .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schuster, ich versuche, die Debatte zu versachlichen . ({0}) Ich will das nicht auf eine persönliche Ebene bringen . Vielleicht helfen Sie mir kurz weiter: Wo haben Sie Regierungsverantwortung im Innenbereich getragen, Sie persönlich? ({1})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. von Notz, ich persönlich profitiere seit Jahren von hervorragenden Innenministern der CDU in diesem Land, weil ich in deren Geschäftsbereich lange gearbeitet habe . ({0}) Da sitzt übrigens einer . Wenn Sie Mitarbeiter eines Geschäftsbereichs sind, in dem starke Innenminister arbeiten, dann wissen Sie, wie im Innenbereich regiert wird . Es ist vielleicht eine schwere Woche auch für einen Innenminister . Wir haben viele Themen . ({1}) - Ich bin noch bei meiner Antwort . Der liebe Kollege soll noch stehen bleiben . - Wir in der Union haben seit Jahrzehnten in der Innenpolitik Typen zu bieten, die eine Marke darstellen . Dazu gehört Thomas de Maizière zweifelsfrei . ({2}) Ich bin unglaublich dankbar, dass wir einen Innenminister haben, der nicht Politikersprech macht und herumschwurbelt, sondern das sagt, was zur inneren Sicherheit in diesem Land notwendig ist . Von solchen Personen zu lernen, würde ich Ihnen gönnen . Das können Sie aber in Ihrer Fraktion nicht . Stellen Sie irgendwann einmal einen Innenminister in diesem Land, damit Sie etwas lernen . Das würde Ihnen sehr viel helfen . ({3}) Jetzt mache ich gleich weiter mit euch . Das Manuskript ist sowieso zum Teufel . Dieses Land hat - da haben Sie richtig gerechnet - eine unglaublich lange Zeit einer CDU-Regierung hinter sich . Wir haben die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht zerstört, wie Sie meinen, sondern wir haben sie seit elf Jahren genau für diese Lagen fit gemacht. Was glauben Sie, warum die Menschen in diesem Land so sicher leben? ({4}) - Jetzt habe ich euch die ganze Zeit geschont . Riskier das nicht .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber die Zeit ist begrenzt, jetzt noch weiter auszuteilen .

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die CDU/CSU hat in diesem Land tatsächlich die Sicherheitsarchitektur genau für die Lagen fit gemacht, die wir heute haben . Die Deutschen leben jetzt sicher . Dieses Gesetz, das wir heute beschließen, wird sehr stark dazu beitragen, dass sie das weiter tun werden . Um den Kollegen Ströbele noch zu bedienen: Das von Ihnen so sehnlich erwartete Umarbeiten unserer Gesetze unter Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils zum BKA werden wir Ihnen - natürlich verspricht Ihnen das die Regierungskoalition - noch dieses Jahr liefern, so wie diese Koalition in diesem Land immer liefert, wenn es darauf ankommt . Machen Sie sich keine Sorgen . Wir werden alles umsetzen, was Karlsruhe sagt, und zwar sinnvoll . ({0}) Ich danke Ihnen . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus . Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/8917, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8702 in der Ausschussfassung anzuneh- men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Damit kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Innenausschusses zu dem von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus . Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8917, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf den Drucksachen 18/8824 und 18/8881 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei einer Enthaltung eines Kollegen der Fraktion Die Linke angenommen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Annalena Baerbock, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seenotrettung im Mittelmeer - Menschen schützen, humanitäre Verantwortung über- nehmen, solidarisch handeln Drucksache 18/8875 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden - Für eine Umkehr in der EU-Asyl- politik - zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Manuel Sarrazin, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlingsschutz und faire Verantwor- tungsteilung in einer geeinten Europäi- schen Union Drucksachen 18/4838, 18/8244, 18/8918 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen Drucksachen 18/8701, 18/8905 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist vermutlich einer der traurigsten, aber vielleicht auch wichtigsten Tage, um über die Zukunft der Europäischen Union zu sprechen . Ich denke mir, dass es vielen hier im Parlament ähnlich geht, wenn ich sage, dass wir heute Morgen alle einen ziemlich großen Kloß im Hals hatten, als wir von dem Ergebnis des Referendums gehört haben, als wir erfahren haben, dass Großbritannien die Europäische Union verlassen wird . Mich macht es besonders betroffen, dass die Zustimmung zu Europa unter den jüngeren Menschen besonders hoch war . Drei Viertel der unter 40-Jährigen wollten den Verbleib in der Europäischen Union . Viele von diesen jungen Europäerinnen und Europäern wollten für sich eine andere Zukunft; aber sie haben diese Abstimmung verloren . Es stimmt mich auf der anderen Seite aber auch hoffnungsvoll, dass gerade die jungen Menschen ihre Hoffnung in die Europäische Union setzen . Es zeigt, welche Verantwortung wir und die Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten den kommenden Generationen gegenüber haben . ({0}) Auf die Fragen von heute, aber auch der Zukunft gibt es eben keine Antworten mit nationalstaatlicher Kleingeisterei . Die Herausforderungen, die wir am dringendsten angehen müssen, sind global und kennen keine nationalen Grenzen . Was führt uns das besser vor Augen als die europäische Flüchtlingspolitik? Meine Fraktion hat sich lang und ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, auch unbequeme Fragen aufgegriffen, vielleicht sogar für Grüne unbequeme Antworten gefunden . Das war aber auch notwendig; denn was uns vollkommen klar ist - das haben wir auch hier im Parlament mehrfach angemahnt -, ist, dass die Vereinbarung mit der Türkei zwar zu weniger Flüchtlingen in Europa geführt hat - manch einer von Ihnen findet das gut -, dass sie aber mitnichten eine Lösung für und in Europa darstellt . Diese Vereinbarung hat nicht zu mehr Solidarität in Europa geführt, sondern das Thema vor unsere Grenzen verlagert . Diese Vereinbarung trifft vor allen Dingen Schutzsuchende, die damit vor den Toren Europas stehen gelassen werden, im Stich gelassen werden . Für sie heißt es: Aus den Augen, aus dem Sinn . Deshalb ist es für uns vollkommen unverständlich, dass die Bundesregierung diese Vereinbarung, diesen Vizepräsidentin Ulla Schmidt Deal als langfristige europäische Lösung verkaufen will, sogar - das macht es ganz besonders absurd - als Stärkung der Politik der legalen Zugangswege . Wahr ist: Die Vereinbarung mit der Türkei schafft täglich neue Probleme, nicht nur wegen der Politik eines Erdogan, der Oppositionelle wegsperren lässt, einen blutigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt und den Staat mehr und mehr autokratisch regiert und in dessen Abhängigkeit wir uns begeben, sondern auch, weil wir wiederholt von Schüssen auf Flüchtlinge, sogar auf Flüchtlingskinder, hören, weil ein Großteil der syrischen Flüchtlingskinder dort im Land nicht beschult wird, weil die Zukunft vieler Menschen dort ungewiss ist und die Lebensverhältnisse prekär sind . Wir wissen, dass Erdogan die Rolle, die wir ihm zugeschrieben haben, nicht ewig so konditionslos weiterspielen wird . Die Vereinbarung mit der Türkei hat aber auch dazu geführt, dass wichtige Schritte - das macht es wirklich ganz besonders dramatisch -, die Europa im vergangenen Jahr gegangen ist und zu durchdenken angefangen hat, nicht weiterverfolgt werden . Die europäischen Hotspots in Griechenland sind zu Haftzentren geworden . Wenn nun Frau Kollegin Lindholz im Innenausschuss behauptet, dass die Menschen in den Hotspots nicht inhaftiert werden - das habe ihr der griechische Integrationsminister gesagt -, dann beruhigt das vielleicht sie, mich aber nicht; denn ich war vor Ort, und ich weiß, wie die Realität dort ist . In Europa wird jetzt akzeptiert, dass Frauen, Kinder und Kranke wochen- und monatelang inhaftiert werden . ({1}) Das wussten wir auch vorher . Das gibt diesen Menschen keine Perspektive; denn das griechische Asylsystem ist nicht in der Lage, die Asylverfahren adäquat und in absehbarer Zeit zu bearbeiten . Eine europäische Umverteilung von Flüchtlingen das ist das andere - ist nicht gelungen . Der Europäische Rat hat im September des letzten Jahres die verbindliche Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen beschlossen . Von den rund 28 000 Schutzsuchenden, die hierbei auf Deutschland entfallen, wurden bisher - es beschämt mich wirklich, das zu sagen - keine 60 Personen umgesiedelt . Deswegen haben wir einen Antrag gestellt; das ist genau der Grund . Wir sagen: Hier fehlt ein Konzept . Die Bundesregierung hat keine Idee, wie sie auf die europäischen Staaten zugehen möchte, wie sie alle wieder an einen Tisch holen kann . ({2}) Wir haben in unserem Konzept dargestellt, dass legale Wege der richtige Weg sind, nämlich: Familienzusammenführung stärken, nicht abbauen; das Resettlement-Programm ausbauen, damit Menschen nicht den Weg über das Mittelmeer nehmen müssen . Wir wollen einen echten Seenotrettungsdienst . Wir wollen die Aufgabe nicht von anderen Agenturen und Institutionen nebenbei erledigen lassen . Wir wollen europäische Erstaufnahmeeinrichtungen - keine Hotspots, liebe Linke -, in denen Menschen nach ihren Zielstaatsvorstellungen befragt werden und über ihre familiären Bindungen in europäische Länder berichten können, sodass wir als Europäische Union in der Lage sind, auf der einen Seite diesen Wünschen Rechnung zu tragen, auf der anderen Seite aber auch für eine solidarische Verteilung innerhalb der Europäischen Union zu streiten . ({3}) Wir wollen, dass die Menschen bezüglich ihrer eigenen Zukunft eingebunden werden und beteiligt werden; es soll nicht durch Zwang, sondern unter Beteiligung und Information erfolgen . Wir wollen flexible Lösungen. Wir wollen, dass die Beiträge von Staaten nicht nach Schema F funktionieren und daran gemessen werden . Wenn Griechenland die Verteilung von allen Flüchtlingen, die in Europa ankommen, übernimmt und organisiert und sie im eigenen Land adäquat und menschenwürdig unterbringt, dann ist das ein starker Beitrag zur europäischen Flüchtlingspolitik . Dann braucht man am Ende des Tages nicht zu zählen, wie viele Flüchtlinge Griechenland dauerhaft aufnimmt . ({4}) Es ist auch ein eigenständiger Beitrag, wenn ein europäisches Land sagt: Wir bauen unser Resettlement-Programm aus . - Die europäische Verteilung wird daran gemessen, wie viele Flüchtlinge wir im Rahmen dieses Programms aufnehmen, um den Menschen zu ersparen, über das Mittelmeer zu kommen . Es ist auch in Ordnung, wenn Deutschland am Ende sagt: Wir nehmen mehr Flüchtlinge auf als andere EU-Mitgliedstaaten . Wir, die wir diese Geschichte haben und diese Verantwortung empfinden, nehmen verhältnismäßig mehr Flüchtlinge auf als beispielsweise Polen oder Ungarn . Es ist auch eine große Chance für die Europäische Union, in dieser Auseinandersetzung die europäischen Institutionen wie das EASO oder die Grundrechteagentur zu stärken . Hier liegt auch eine große Chance, Europa dahin zu bringen, wo es wirklich wehtut, wo Menschen Europa brauchen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie kommen jetzt bitte zum Schluss, Frau Amtsberg .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mein letzter Gedanke . - Dass es nicht leicht ist, die Verfehlungen der Vergangenheit rückgängig zu machen und alle wieder an einen Tisch zu holen, ist uns vollkommen klar . Aber es braucht einen Plan, und vor allen Dingen - davon ist meine Fraktion überzeugt - braucht Europa eines, nämlich Menschen, die die europäische Idee und die Solidarität verteidigen . Damit sollten wir in der Flüchtlingspolitik möglichst schnell beginnen . Haben Sie herzlichen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Barbara Woltmann ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es treibt uns alle um, wenn die Flucht über das Mittelmeer auf seeuntauglichen Booten angetreten wird, wenn dort Menschen sterben . Allein in diesem Jahr sind bereits 3 000 Menschen auf diesem Weg ertrunken . Das berührt uns alle . Es ist wirklich schwer zu ertragen, was sich in den überfüllten Schiffen und in den Schlauchbooten an Tragödien abspielt, natürlich erst recht, wenn diese Boote sinken . Wir sind uns sicherlich einig darüber, dass das so nicht weitergehen darf . Das sind wir sicherlich auch den Menschen schuldig . Niemand soll im Mittelmeer ertrinken . Aber - das muss ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen -: Wir sind uns über die Methoden nicht einig, wie wir das verhindern können, bzw . über die zu ergreifenden Maßnahmen nicht einig . Wir verfolgen da unterschiedliche Ansätze . Das ist mir gestern Morgen, Frau Jelpke, auch wieder klar geworden, als wir mit einer Delegation italienischer Abgeordneter des Senats zusammengesessen haben und Sie dort von „Krieg gegen Flüchtlinge“ gesprochen haben . Das haben Sie auch in Ihren Antrag hineingeschrieben. Ich finde es hochnotpeinlich, von „Krieg gegen Flüchtlinge“ zu sprechen - das haben Sie gestern und auch in Ihrem Antrag getan -, wenn gegen Schleuser vorgegangen wird, wenn Boote am Auslaufen gehindert werden . Was Sie tun, kann nicht der richtige Weg sein . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht . - Mit solchen Äußerungen verunglimpfen Sie alle, die sich um Lösungen bemühen, und auch alle, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren . Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen ist in der Tat eine völkerrechtliche Pflicht, der viele, zum Beispiel unsere Marine - sie ist mit zwei Schiffen vor Libyen im Mittelmeer vertreten; auch die Bundespolizei hat ein Schiff im Mittelmeer -, Handelsschiffe, aber auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex, selbstverständlich nachkommen . Allein in diesem Jahr wurden im Rahmen der Mission Triton, bei der der Mittelmeerraum vor Italien überwacht wird, rund 15 000 Migranten aus Seenot gerettet . Aber die Tatsache, dass sich so viele Menschen auf einen solch gefährlichen Weg begeben, erfordert die Ergreifung von geeigneten Maßnahmen . Ich halte die Bekämpfung der Schlepper- und Schleuserbanden, deren Gewinnmargen weltweit bei circa 6 Milliarden Euro liegen, wie Bundespolizeipräsident Romann in der öffentlichen Anhörung am vergangenen Montag sagte, für die oberste Priorität in dem Bemühen, die Flucht über das Mittelmeer und das Sterben zu beenden . Was Schlepper und Schleuser, also Personen, die Menschen gegen Bezahlung illegal von einem Land in ein anderes Land bringen, mit den oft überfüllten und seeuntauglichen Booten tun, ist menschenverachtend . Diese Schlepperbanden bewegen sich schon lange im Bereich der organisierten Kriminalität und haben längst mafiöse Strukturen angenommen . Deswegen ist es richtig, diese Schlepperbanden zu bekämpfen, und falsch, in diesem Zusammenhang von Krieg zu sprechen . Liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag „Seenotrettung im Mittelmeer“ legen Sie Ihren Fokus auf eine systematisierte Priorität für in Seenot geratene Flüchtlinge und Migranten . Die Bekämpfung des Schlepper- und Schleusertums rückt dabei völlig in den Hintergrund . Ja nicht nur das: Das spielt doch den Schleppern geradezu in die Hände . Wir dagegen wollen Maßnahmen unterstützen, die verhindern, dass Schlepper einen Anreiz haben, ihre Geschäfte mit der Not anderer fortzuführen . Zur Bewältigung dieser riesigen Aufgabe ist, wie Sie in Ihrem Antrag zu Recht erläutern, aber auch die Solidarität aller europäischen Staaten gefordert, insbesondere dann, wenn es darum geht, Resettlement-Flüchtlinge fair zu verteilen . Es ist richtig, Frau Amtsberg: Die Hotspots in Griechenland und Italien sind längst überfüllt . Kein Land kann das alleine schaffen . Ich erinnere dabei an das erste Legislativpaket der EU-Kommission vom 9 . Mai 2016, mit dem die partnerschaftliche Zusammenarbeit vorangebracht werden soll . Ich hoffe, dass die Europäische Union da auch zu Lösungen kommen wird . Das Abkommen mit der Türkei, Frau Amtsberg, zeigt Wirkung . Auch ich bin bei der Reise dabei gewesen . Wir haben in Griechenland gesehen, wie dort mittlerweile mit der NATO und zwischen den Küstenwachen zusammengearbeitet wird . Ich denke, es ist eine gute Zusammenarbeit, die wir dort jetzt feststellen können . Nach Aussage des Exekutivdirektors von Frontex, Fabrice Leggeri, der ja am Mittwoch hier bei uns im Innenausschuss gewesen ist, kommen täglich nur noch 50 bis 60 Personen in Griechenland an . Das zeigt, dass der Zuzug über die östliche Mittelmeerroute abgenommen hat . Wir können also Flüchtlingsströme steuern . Die Menschen suchen sich nun allerdings andere Wege, und die Schleuser bieten ihre Dienste über Libyen an . Die logische Folge war, dass die europäischen Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor Libyen erweitert wurden, um richtigerweise ein Signal gegen Schlepper und Schleuser zu senden . Auch im Rahmen der Operation Sophia, über die wir ja nachher hier noch zu beschließen haben, wird der Kampf gegen Schlepper im Mittelmeer fortgesetzt und erweitert . Die Schiffe der Deutschen Marine sollen zukünftig auch den Waffenschmuggel von hoher See aus nach Libyen unterbinden und die libysche Küstenwache unterstützen . Ja, der Weg ist schwierig, weil die Solidarität einiger Mitgliedstaaten zu wünschen übrig lässt . Insofern möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Suche nach gemeinsamen europäischen Lösungen danken .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Das war jetzt ein schönes Schlusswort, Frau Woltmann .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss . Wir müssen sehr viel tun, um die Flucht über das Mittelmeer zu beenden . Aber die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, sind nicht die richtigen . Da haben wir andere Ansätze . Herzlichen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke das Wort . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Woltmann, erst vor wenigen Tagen hat die Europäische Union ihre Militärmission im Mittelmeer verstärkt, nicht die Seenotrettung, um das einmal ganz klar zu sagen . ({0}) Außerdem soll sie ausgerechnet vor der libyschen Küste stattfinden. Der Außenminister hat ganz deutlich gesagt: Es geht darum, den Übertritt von Flüchtlingen über die libysche Grenze Richtung Mittelmeer, Richtung Europa zu verhindern . ({1}) Wenn man Flüchtlinge daran hindert, aus einem Land zu fliehen, das kriegszerrissen ist, wo Folter herrscht, wo die Flüchtlinge in Gefängnissen sitzen, wo man sie dort festhalten will, dann ist es Krieg, wenn man das Militär gegen diese Flüchtlinge einsetzt und nichts anderes; denn die Menschen können keinen Schutz mehr suchen und finden. ({2}) Deswegen ist es auch eine unglaubliche Provokation, dass Sie das so nicht sehen wollen, die Grenzen überall dicht machen und für legale Wege überhaupt keine Möglichkeiten mehr aufzeigen . Wir alle, insbesondere Ihre Fraktion, haben Krokodilstränen vergossen, als es vor einigen Jahren immer wieder zu riesengroßen Katastrophen im Mittelmeer gekommen ist . Tausende sind inzwischen dort ertrunken . Auch in diesem Jahr sind wieder 2 500 Menschen ums Leben gekommen . Ich sage in aller Deutlichkeit: Die Bundesregierung ist mit schuld daran, weil sie sich weigert, sichere und legale Fluchtwege zu schaffen . Sie haben dafür bisher nichts getan . ({3}) Warum fliegen Flüchtlinge nicht einfach mit dem Flugzeug? So lautet die simple Frage einer Künstlerinitiative in Berlin . Die Antwort: Weil die EU und die Bundesregierung das verhindern . Fluggesellschaften müssen drakonische Strafen bezahlen, wenn sie Schutzsuchende ohne gültige Visa befördern . Deswegen müssen sich Flüchtlinge zum Teil kriminellen Schleppern und Schleusern ausliefern . ({4}) Die Künstler vom Zentrum für Politische Schönheit haben mitten in Berlin eine Arena mit vier Tigern aufgebaut und angekündigt, diese Raubtiere würden ab kommenden Dienstag Flüchtlinge fressen . Diese Aktion wird von einigen als zynisch bezeichnet . Die Wahrheit ist aber: Nicht die Tiger sind die tödliche Gefahr, sie sind vielmehr nur ein Symbol für eine tödliche Abschottungspolitik der EU, die Tag für Tag Flüchtlingen das Leben kostet . ({5}) Zudem schaffen Europa und die NATO seit Jahren selbst Fluchtursachen, die Menschen aus den Ländern vertreiben . Ich nenne nur die Bombardierung von Syrien, Waffenexporte, neoliberale Wirtschaftspolitik, insbesondere gegenüber Ländern der sogenannten Dritten Welt . Das ist der eigentliche Zynismus, den es anzuprangern gilt, meine Damen und Herren . ({6}) Ich sage Ihnen: Deswegen fordert die Linke in einem Antrag, endlich für legale und sichere Wege zu sorgen . Sanktionen gegen Transportunternehmen gehören ersatzlos gestrichen . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

So, jetzt können Sie es wieder herunternehmen, Frau Jelpke .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist nur ein Flugzeug, Frau Präsidentin . Es steht nicht einmal etwas darauf .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber trotzdem halten wir hier keine Plakate hoch . ({0}) Sie kennen die Geschäftsordnung .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es sollte im Grunde symbolisieren, dass man legale Wege sehr leicht schaffen kann, indem man die SankBarbara Woltmann tionen gegen Transportunternehmen ersatzlos streicht . Dann könnten Flüchtlinge auch Fähren und Flugzeuge benutzen; denn sie müssen sowieso ein Asylverfahren durchlaufen . So könnten wir dafür sorgen, dass es keine Toten mehr gibt, und vor allen Dingen - das finde ich besonders gut - wären die Schlepperbanden arbeitslos und hätten nichts mehr zu tun . ({0}) Es wurde heute hier schon angesprochen: Natürlich hat die Linke immer wieder in weiteren Anträgen gefordert, Italien und Griechenland kräftig zu unterstützen . Das sind die Länder, die gegenwärtig am meisten Flüchtlinge aufnehmen, insbesondere Griechenland . Da nützt es nichts, nur Beamte hinzuschicken . Wir fordern schon lange, dass das Dublin-System endlich aufgehoben wird; denn - das muss man nach wie vor sagen - es ist gescheitert . Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis: Die Bundesregierung hat letztes Jahr versprochen, 27 500 Flüchtlinge aus den beiden Ländern zu übernehmen, und bis heute sind nur 57 hier angekommen . Na, wo sind wir denn? Wo ist denn die Solidarität gegenüber solchen Ländern in Europa? Das ist doch wirklich ein Skandal . ({1}) Um es ganz klar zu sagen, meine Damen und Herren: Lassen Sie nicht Krokodilstränen fließen, sondern tun Sie endlich etwas! Sie haben damals, nach der Katastrophe von Lampedusa, versprochen, so etwas dürfe nie wieder in Europa passieren . Alle haben das gesagt: die Politiker auf europäischer Ebene und insbesondere auch hier . Insofern sagen wir: Machen Sie Nägel mit Köpfen, beenden Sie das Massensterben, indem Sie endlich legale Wege schaffen . Ich danke Ihnen . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Professor Dr . Lars Castellucci das Wort . ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir heute Morgen erlebt haben, zeigt uns, dass den Menschen der Sinn für Europa verloren gegangen ist . Wenn ich überlege, was in meinem Wahlkreis, in den vielen Gesprächen, gesagt wird, dann erkenne ich: Das ist eine Sache, die nicht nur in Großbritannien stattfindet, sondern auch hier. Es wird gefragt: Wozu Europa? Die alte Geschichte von Krieg und Frieden, von Wohlstandssicherung und Binnenmarkt zieht so nicht mehr . Also muss sich Europa besinnen; wir müssen den Sinn Europas mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder klären . Der Zusammenhang mit unserem Thema ist, dass ein Europa, das ein Massensterben an seinen Grenzen zulässt, sinnlos ist . Im vergangenen Jahr kam es zu 3 800 Toten auf dem Mittelmeer . Ich hatte Anfang dieses Jahres die Hoffnung, dass wir die Zahl in diesem Jahr wenigstens halbieren könnten . Jetzt sind wir nach einem halben Jahr schon deutlich darüber . Jetzt ist es ja nicht so, dass nichts passiert . Wir haben eine Militärmission, die natürlich auch den Auftrag der Seenotrettung hat . Wir diskutieren über Frontex, haben dafür deutlich mehr Ressourcen bereitgestellt . Zum Auftrag von Frontex gehört eben auch die Seenotrettung . Es gibt privates Engagement, zum Teil Boote, die aus Deutschland losfahren . Wir haben das Abkommen mit der Türkei, dessen konkrete Umsetzung immer noch eine Katastrophe ist, das aber auch einen wesentlichen Beitrag dazu leisten soll, den Schleppern das Handwerk zu legen, und damit helfen soll, weitere Todesfälle zu verhindern . Aber es ist richtig - vielleicht kann diesem Satz sogar jeder hier in diesem Parlament zustimmen -: Es ist schon viel passiert, aber es reicht nicht . ({0}) Frau Kollegin Woltmann, Sie haben jetzt gesagt, so dürfe es nicht weitergehen . Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu . Die Argumente, die wir hier im Haus - auf den Gängen oder auch mal in den Ausschüssen - hören, sprechen nicht dafür, dass alle der Meinung sind, hier müsste jetzt viel mehr gemacht werden . Es sind die Argumente, die jetzt vielleicht in der Diskussion hier im Parlament nicht kommen, aber ich will sie mal vortragen: Es gab die Operation Mare Nostrum der Italiener . Ein Argument, das ich hier gehört habe, war: Na ja, trotz Mare Nostrum sind Menschen auf dem Meer gestorben . - Das stimmt . ({1}) Dann habe ich gehört, es sei schwierig, das ganze Mittelmeer zu überwachen . Auch das ist richtig . Dann habe ich das Argument gehört: Wenn wir mehr tun, dann kommen vielleicht noch mehr, das heißt, wir setzen mit einer größeren Hilfsaktion auch noch Anreize dafür, dass mehr Flüchtlinge nach Europa kommen . Da wird es schwierig, weil das so gar nicht stimmt: Wir haben bei den italienischen Missionen gelernt, dass das größere Engagement in der Seenotrettung in Wahrheit zur Schleuserbekämpfung beigetragen hat und nicht zur Erhöhung der Zahl der Menschen, die versuchen, überzusetzen . Damit ist völlig klar: Vielleicht ist allgemein davon die Rede, dass es so nicht weitergehen darf, aber es gibt in den parlamentarischen Diskussionen klare Argumente, die sich gegen mehr Engagement richten . Ich halte die Argumente, die ich eben vorgetragen habe, alle für nicht erträglich; ({2}) denn diese Argumente nehmen den Tod in Kauf . Jetzt ist die Frage: Was kann darüber hinaus noch passieren? Ich glaube, das Wesentliche ist, dass wir so etwas wie ein europäisches Programm zur Seenotrettung auflegen. Hier gibt es Bewegung. Wir arbeiten daran, den Auftrag von Frontex in dieser Hinsicht zu erweitern . Wenn Frontex diesen Auftrag nicht übernimmt, dann ist tatsächlich die Frage, ob wir einer anderen Institution diesen Auftrag geben . Ein zweiter Vorschlag ist, die unterschiedlichen Bereiche, die es gibt, besser zu koordinieren . Es gibt eine Militäraktion . Allein in diesem Jahr sind bereits 16 000 Menschen allein von unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gerettet worden . Dafür muss man sehr dankbar sein . An dieser Stelle: Hochachtung vor der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten! ({3}) Es gibt weitere nationale Missionen, die im Mittelmeer tätig sind . Die Frage ist, ob sie besser koordiniert werden können . Ein dritter Aspekt, der mir sehr wichtig ist . Eigentlich kann man heutzutage alles überwachen . Kann man dann über satellitengestützte Instrumente oder mit Drohnen nicht auch das Mittelmeer besser überwachen, sodass man weiß, wann ein Schiff mit Geflüchteten die Häfen an der afrikanischen Küste verlässt, um rechtzeitig vor Ort zu sein, um zu helfen? Die Punkte, die die Wurzeln der ganzen Problematik betreffen, habe ich noch gar nicht angesprochen; sie sind teilweise von meinen Vorrednerinnen genannt worden . Natürlich wäre es das Beste, die Menschen setzten erst gar nicht über, wir könnten die Fluchtursachen noch stärker bekämpfen . Das sind die eigentlichen Herausforderungen . Es geht auch darum, legale Zugangswege nach Europa zu eröffnen, Stichwort Einwanderungsgesetz, das wir in Deutschland brauchen . Aber in Wahrheit braucht ganz Europa bessere Einwanderungsregeln; denn die Migration trifft auf unseren Kontinent . Die größte Gefahr, die ich für uns alle sehe, ist die Gefahr der Gewöhnung, die Gefahr, dass uns die Bilder nicht mehr erreichen . Das Bild des angeschwemmten Jungen ging um die ganze Welt, aber das Bild des Jungen, der auf dem Arm eines Seemanns war, hat kaum mehr jemanden erreicht . Die Gefahr ist, dass wir abstumpfen . Dagegen müssen wir uns alle zur Wehr setzen . Es darf nicht passieren, dass wir abstumpfen . ({4}) Deswegen möchte ich meine Rede mit einer Frage schließen - die Frage mag jeder für sich beantworten -, und die Frage lautet: Wie fühlt es sich wohl an, ein totes Kind auf dem Arm zu tragen?

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist jeder Tote im Mittelmeer ein Toter zu viel . ({0}) - Jetzt hören Sie doch bitte erst einmal zu . ({1}) - Das werde ich Ihnen sofort erklären, liebe Frau Hänsel . - Natürlich bedrückt uns die Tatsache, dass seit Beginn des Jahres 2014 10 000 Menschen im Mittelmeer gestorben sind . Deswegen haben wir die Anträge von Grünen und Linken sehr aufmerksam gelesen . ({2}) Aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie sowohl in der Analyse als auch in den Schlussfolgerungen, die Sie daraus ziehen, danebenliegen . Einige Punkte sind in dieser Debatte bereits genannt worden . Erstens . Natürlich kann es nie gelingen, ein Netz zu spannen, das alle, die im Mittelmeer in Lebensgefahr sind, schützt . Zweitens . Damit setzt man natürlich auch Fluchtanreize und unterstützt vor allen Dingen das dreckige Geschäft von Schleppern insoweit, als man Gefahr läuft, das letzte Stück der schmutzigen Arbeit der Schleuser, die Menschen auf ihren Kähnen auf hohe See bringen und dort ihrem Schicksal überlassen, mitzuerledigen . Deswegen glaube ich: Das, was wir tun, ist erstens gut und zweitens richtig . Ich bitte Folgendes zu bedenken: Die Frontex-Operationen Triton und Poseidon haben inzwischen qualitativ und quantitativ das Ausmaß von Mare Nostrum angenommen . Darüber hinaus gibt es EUNAVFOR MED und die NATO-Operation in der Ägäis . Fakt ist, dass Europa noch nie so viel Personal, noch nie so viel Kapazitäten und noch nie so viel Geld in die Waagschale geworfen hat, damit wir am Ende erfolgreich sein können . Die Zahlen bestätigen das: In den vergangenen zwölf Monaten wurden 60 000 Menschen von Frontex gerettet, 15 000 bis 16 000 Menschen sind alleine durch deutsche Marinesoldaten im Rahmen von EUNAVFOR MED gerettet worden, und in der Ägäis ist überhaupt niemand mehr gestorben, weil die Westbalkanroute zu ist und es die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Türkei gibt . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Kollegin .

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben . Ich gehe davon aus, dass es aufrichtig gemeint ist, dass man das Massensterben im Mittelmeer beenden möchte, und es ist schön, dass es Maßnahmen gibt, die dazu beigetragen haben, Flüchtlinge aus Seenot zu retten . Allerdings muss ich hinzufügen: Es gibt im Moment kein Seenotrettungsprogramm im Mittelmeer, sondern das wird nebenbei gemacht . Insofern würde ich gerne Folgendes wissen: Wenn es aufrichtig gemeint ist, wenn man sagt, dass man Menschenleben retten möchte, wäre es dann nicht sinnvoller, eine einfache Maßnahme zu ergreifen und in § 63 Absatz 3 ({0}) die Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen abzuschaffen, damit ein Mensch beispielsweise auch dadurch vor Verfolgung und Krieg flüchten kann und Schutz entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Genfer Flüchtlingskonvention etc . pp . suchen kann, dass er einfach ein Flugzeug besteigt, anstatt Tausende Euro an Schlepperbanden bezahlen zu müssen, die ihn schlecht behandeln, anstatt in Todesschiffe steigen zu müssen mit dem Risiko, dass er gar nicht lebendig ankommt? Das ist eine Maßnahme, die möglich wäre und vor allen Dingen weniger kosten würde als alle Programme, die man mit Millionen und Milliarden Euro bestückt, um zu verhindern, dass Menschen sterben . Fakt ist, dass die Menschen weiterhin sterben . Allein in diesem Jahr sind es bereits 2 500 Tote .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre eine kleine, einfache, ganz konkrete Maßnahme, die zur Beendigung des Massensterbens im Mittelmeer beitragen könnte . Ist das nicht eine Möglichkeit? Das würde weniger kosten als all Ihre Maßnahmen . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Kollegin Dağdelen, das ist aus unserer Sicht keine Möglichkeit . Ich werde gleich noch etwas zum Thema „legale Migration“ sagen . Wenn Sie glauben, dass man 1,8 Millionen illegale Grenzübertritte nach Deutschland im vergangenen Jahr zu legalen Grenzübertritten machen sollte, sage ich dazu klipp und klar Nein . Es gibt andere Dinge, mit denen wir versuchen, dieses Problem nachhaltig zu lösen . Es ist falsch, wenn Sie sagen, dass EUNAVFOR MED vor der Küste Libyens die Seenotrettung sozusagen nur nebenbei erledigen würde . ({0}) Nein, es ist geradezu nachhaltig, wenn man darüber hinaus auch gegen Schlepper und Schmuggler vorgeht, auch gegen Waffenschmuggler, und man einen Beitrag dazu leistet, auf mittlere Sicht letztlich auch Marine und Küstenschutz zu ertüchtigen, ihre Aufgaben zu erledigen . ({1}) Es geht doch darum, das Problem nachhaltig zu lösen, und nicht darum, Strohfeuer zu löschen . Es ist richtig, dass es eine humanitäre Pflicht zur Seenotrettung gibt. Wer den Einsatz aber auf die Seenotrettung begrenzt das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen auch -, ({2}) wer sagt, dass das Mandat, über das wir nachher sprechen werden, kontraproduktiv und hochriskant ist, und alles andere außer Acht lässt, der ist letztlich naiv . Das wollen wir nicht . Deshalb ist das, was wir machen, richtig . ({3}) Sie haben einen richtigen Satz gesagt . Natürlich muss es das Ziel sein, dass die Menschen gar nicht erst die schwierige Fahrt über das Mittelmeer machen . Deswegen muss man an dieser Stelle auch sagen, dass man etwas tun muss, um Fluchtursachen zu bekämpfen . ({4}) In Ihrem Antrag werfen Sie uns aber vor, diesbezüglich bliebe alles vage . Das ist doch überhaupt nicht so . Erst in dieser Woche hat die Bundeskanzlerin in mehreren Reden darauf hingewiesen, ({5}) dass die Bekämpfung von Fluchtursachen und Migration wahrscheinlich die größte Herausforderung in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sein wird . Schauen Sie sich die Maßnahmen der Europäischen Union an, beispielsweise die Tatsache, dass die Europäische Union im Rahmen eines Migrationspaktes 8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 zur Verfügung stellen möchte; gehebelt durch private Folgeinvestitionen soll diese Summe auf 64 Milliarden Euro anwachsen . Denken Sie daran, dass die Europäische Investitionsbank in den nächsten fünf Jahren ihre Projektmittel verdoppeln möchte und 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt gehebelt durch private Mittel wächst dies letztlich auf 15 Milliarden Euro an -, um insbesondere Länder wie Jordanien, den Libanon und die Türkei, aber auch afrikanische Länder zu unterstützen, um dort letztlich Perspektiven zum Bleiben zu stärken . Ich glaube, dass das der richtige Ansatz ist und dass er im Übrigen auch lohnend ist . Wir wissen, dass wir in Deutschland in diesem und im nächsten Jahr insgesamt 50 Milliarden Euro aufzuwenden haben, um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu gewährleisten . Ich glaube, dass dieses Geld in den Herkunftsländern sehr viel besser angelegt ist . Ich will zuletzt sagen: Ja, es ist falsch, wenn Sie behaupten, dass wir nichts tun, um legale Migration zu ermöglichen . Natürlich hat die Kommission einen Vorschlag vorgelegt, durch den die Bluecard reformiert werden soll . Aber wir verstehen vielleicht etwas anderes darunter . Wir können über ein Einwanderungsgesetz reden, aber Einwanderung heißt, dass wir die zu uns holen, die unsere Gesellschaft tatsächlich weiterbringen . Wir können im Rahmen der legalen Migration auch über Resettlement-Programme sprechen . ({6}) Aber wir können illegale Migration nicht wie in der Vergangenheit eins zu eins zu legaler Migration machen . ({7}) Deswegen muss man darüber sprechen, ob man die Seenotrettung nicht anders vornehmen sollte . Man muss auch überlegen, ob es nicht besser ist, Möglichkeiten zu finden, Flüchtlinge erst gar nicht auf das europäische Festland zu bringen . Diese Abschreckungseffekte sollen sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern letztlich gegen Schlepper richten . Darüber müssen wir uns Gedanken machen . Wir dürfen uns durchaus anschauen, wie das in anderen Ländern geschieht, die damit erfolgreich sind und letztlich verhindern, dass es Tote auf See gibt . Über all diese Themen sollten wir uns Gedanken machen . Dann wird eine nachhaltige Lösung daraus und kein ideologisches Strohfeuer, wie wir es hier in Ihren Reden erlebt haben . Herzlichen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Dr . Birgit Malecha-Nissen, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Birgit Malecha-Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist der 20 . März ein wichtiges Datum, wir sprechen von der Zeit davor und der Zeit danach . Das war der erste Satz meiner Gesprächspartnerin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen auf der griechischen Insel Lesbos . Griechenland stand und steht vor einer riesigen Herausforderung . Mit dem EU-Türkei-Abkommen am 20 . März 2016 hat sich die Situation grundlegend geändert . Vor dem 20 . März waren die griechischen Inseln Durchgangsstation der vielen verzweifelten Menschen, die Schutz vor Krieg und Verfolgung auf ihrem Weg nach Nordeuropa suchten . Nun bleiben sie und wissen nicht, wie es weitergeht . Deshalb war es mir besonders wichtig, vor einem Monat nach Lesbos zu reisen, um mir dort einen eigenen Eindruck von der Situation der Flüchtlinge und der Seenotrettung vor Ort zu verschaffen . Besonders beeindruckt hat mich das großartige Engagement der Hilfsorganisationen, der ehrenamtlichen Freiwilligen und der griechischen Kommune mit ihrer Verwaltung . Sie alle leisten unermüdliche Arbeit, um den Menschen das Leben in den Flüchtlingslagern zu erleichtern . Trotzdem sind die Verhältnisse bedrückend, so auch im Flüchtlingslager Kara Tepe, das ich besucht habe . Es sind vor allem die Enge, die keine Privatsphäre zulässt, und seit dem 20 . März die Ungewissheit, wie es weitergeht . Griechenland ist weder finanziell noch personell genügend ausgestattet und braucht dringend weitere Unterstützung aus Europa . Retter helfen Rettern - das ist der zeitlich befristete Unterstützungseinsatz der nordeuropäischen Seenotrettungsgesellschaften auf Anforderung ihrer griechischen Kollegen . Aus Deutschland ist der Seenotrettungskreuzer „Minden“ im Einsatz . Zwei ehrenamtliche Einsatzgruppen mit je 16 Frauen und Männern sind jede Nacht bis zum Morgengrauen unterwegs, um Menschen aus Seenot in Sicherheit zu bringen . Vielen Dank für dieses außerordentliche Engagement und diesen Einsatz . ({0}) Ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger rein aus Spenden finanziert. An dieser Stelle ein großes Dankeschön allen Menschen, die diese wertvolle lebensrettende Arbeit unterstützen . ({1}) Jetzt ist es ruhig, wurde mir vor Ort auf Lesbos gesagt . Das heißt jedoch mitnichten, dass sich keine Menschen mehr auf den gefährlichen Seeweg machen . ({2}) Denn die Flüchtlingsbewegungen haben sich wieder über das Mittelmeer mit dem Ziel Italien verschoben . In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind fast 3 000 Geflüchtete auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen, in der letzten Maiwoche 880 . Das ist bereits eine humanitäre Katastrophe . Dafür müssen wir uns alle schämen . ({3}) Damit dürfen wir uns auch nicht abfinden. ({4}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal nach Italien blicken und auf die Operation Mare Nostrum der italienischen Regierung in den Jahren 2013 und 2014 hinweisen, die vielen Menschen das Leben gerettet hat . Sie wurde im Oktober 2014 eingestellt, verbunden mit der Forderung Italiens, die Seenotrettung auf europäische Ebene zu heben . Die seit 2005 eingesetzte EU-Grenzschutzagentur Frontex kann und konnte dieser Aufgabe nicht gerecht werden, da sie eben nur in Küstengewässern unterwegs ist . Täglich erreichen uns seit 2015 die dramatischen Bilder vom Mittelmeer . Handelsschiffe wurden vermehrt von der internationalen Leitstelle zur Koordinierung der Seenotrettung angefordert und haben insgesamt großartige Arbeit geleistet . Mit ihrer Hilfe wurden fast 60 000 Menschen gerettet . Das ist eine außerordentliche und unvorstellbare Leistung . Unseren herzlichen Dank dafür . Das hat jedoch die Seeleute auch an ihre körperlichen und psychischen Grenzen gebracht . Seenotrettung kann und darf nicht Aufgabe der Handelsschifffahrt sein . Zu den Forderungen im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ich klarstellen: Die finanzielle Belastung der Reedereien existiert faktisch nicht, weil die operativen Kosten der Seerettungseinsätze durch die Schiffsversicherer nahezu vollständig abgedeckt sind . Auch die strafrechtliche Verfolgung von Kapitänen wegen des Absetzens von Drittstaatsangehörigen aus Seenot hat nach Aussagen des Verbandes Deutscher Reeder nicht stattgefunden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gehandelt worden . Seit Mai letzten Jahres werden deutsche Marineschiffe der Bundeswehr für die Seenotrettung eingesetzt . Sie sind seither in unermüdlichem Einsatz . Vielen Dank an die Soldatinnen und Soldaten . Das hat die Handelsschifffahrt massiv entlastet . Sie wird heute kaum mehr dazu aufgefordert . Ich möchte auch noch auf den Antrag der Linken eingehen . Sie fordern darin die Abschaffung der Sanktionsregeln für Beförderungsunternehmen, insbesondere für die Schifffahrt. Ich finde das nicht zielführend. Der Antrag ist im Ausschuss abgelehnt worden . Das würde in der Praxis eine Verlagerung der Verantwortung auf die Schiffsgesellschaften, auf die Menschen, auf die Seeleute bedeuten . Dabei haben wir gerade festgestellt, dass die Handelsschiffe entlastet worden sind . Um das klarzustellen, sage ich: Bisher sind keine Zwangsgelder an Schifffahrtsunternehmen verhängt worden .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin, die Redezeit .

Dr. Birgit Malecha-Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe gerade: Meine Zeit läuft ab . ({0}) - Ja, die Redezeit . - Wir brauchen dringend einen verstetigten Ausbau der Seenotrettung . Das können wir nur gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union tun . Die Schritte, die wir bis dahin machen, kann ich nicht mehr alle nennen . Ich bedanke mich trotzdem ganz herzlich und wünsche noch einen weiteren guten Verlauf . Danke schön . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche für das ganze Haus, wenn ich sage, dass uns die Bilder, die wir vom Mittelmehr sehen, nicht loslassen . Ich spreche in meinem Wahlkreis oft mit Grundschülern . Selbst die Grundschüler berichten von den Bildern, die sie sehen . Sie berichten von ertrunkenen Menschen, darunter Kinder . Ich will Ihnen von der Opposition sagen: Ich empfinde es an einem Tag wie heute ein Stück weit fast schon unredlich, wenn Sie auch bei dieser Debatte wieder dieses Zerrbild von zwei Lagern skizzieren . Da ist das eine Lager . Da sind Sie drin . Das sind die Guten . Das sind diejenigen, die die ganze Zeit unentwegt Vorschläge unterbreiten, wie man das Massensterben im Mittelmeer unterbinden kann . Im anderen Lager sind die Unmenschen . Da sitzt selbstverständlich auch die Bundesregierung drin . ({0}) Da sind diejenigen drin, die nach Ihrer Einschätzung für Abschottungspolitik stehen, und diejenigen - so ist es heute wieder gesagt worden -, die Schuld oder Mitschuld daran tragen . ({1}) Das mündet dann in Ihren Vorschlag, dass wir mit sicheren Einreisewegen von Nordafrika nach Europa und mit einer weiteren Ausdehnung von Frontex bis an die libysche Küste - das ist Ihre Quintessenz - das Sterben im Mittelmeer werden verhindern können . Ich sage Ihnen: Das hört sich einfach an . Aber so einfach, wie es sich anhört, so naiv ist es auch . Denn Sie haben in beiden Reden zu diesem Thema zwei große Realitäten ausgeblendet . ({2}) Die erste Realität ist, dass in Afrika schon heute 15 Millionen Menschen auf der Flucht sind . Es gibt SchätzunDr. Birgit Malecha-Nissen gen, nach denen 50 Millionen Menschen aus Afrika nach Europa wollen . ({3}) Die zweite - fast tragische - Erkenntnis ist, dass das größte Flüchtlingsgrab nicht das Mittelmeer, sondern vermutlich die Sahara ist . Es gibt Schätzungen, dass dort womöglich schon bis zu 1 Million Flüchtlinge ums Leben gekommen sind, Menschen, die getötet wurden, die verdurstet oder verhungert sind; dort werden Kinder verschleppt und Frauen vergewaltigt . Wenn man sich einmal konkret mit der Situation in Agadez auseinandersetzt - Agadez ist eine Stadt im Niger, die Hauptstadt der gleichnamigen Region; sie liegt genau an der Route von Westafrika nach Libyen und ist der Ausgangspunkt für Fahrten in die Wüste -, dann muss es einen beschäftigen, dass dort im letzten Jahr täglich teilweise bis zu 15 000 Flüchtlinge durchgeschleust wurden . Dort sind das Schleusen bzw . der Transport von Flüchtlingen und alles, was dazugehört, ein großer Wirtschaftszweig . Menschen, die es geschafft haben, nach Libyen oder Ägypten zu kommen, berichten von Leichen am Wegesrand . Wenn ich mir die Frage stelle, was passieren würde, wenn wir legale Einreisewege von Nordafrika etablieren würden, dann wage ich die Behauptung, wir würden Gefahr laufen, dass wir in Agadez nicht mehr Tausende, sondern Zehntausende und in der Sahara nicht mehr Zehntausende, sondern Hunderttausende Flüchtlinge haben würden . Ähnliche Erfahrungen haben wir im Hinblick auf Ihren zweiten Vorschlag gemacht . Es gab ja schon den Versuch, diverse Operationen weiter in den Mittelmeerraum hinein agieren zu lassen . Die Erkenntnis, würde ich sagen, war eher ernüchternd . Was ist passiert? Die Schleuserbanden haben die Flüchtlingsboote noch viel voller gepackt, haben noch viel jämmerlichere Nussschalen - so möchte man fast sagen - genommen, haben die Menschen auf das Mittelmeer hinausgeschickt und ihnen gesagt - bitte nicht falsch verstehen! -: Ihr werdet ja jetzt früher herausgefischt. ({4}) Ich glaube, dass wir uns bei allem, was wir tun, natürlich auch die Frage stellen müssen: Schaffen wir damit nicht falsche Anreize? Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, letztendlich auch der Punkt, an dem Sie unvollständig agieren, weil Sie nur auf das Mittelmeer schauen . ({5}) Wenn wir nämlich über Anreize reden, dann müssen wir auch darüber sprechen, warum im Bundesrat nach wie vor über die Einstufung als sichere Herkunftsländer diskutiert wird . Solange diese Länder nicht als sichere Herkunftsländer deklariert sind, solange nicht das klare Signal ausgesandt wird: „Ihr müsst euch nicht auf den Weg, auf die gefährliche Reise nach Europa machen“, so lange werden sich auch Menschen aus diesen Ländern auf diesen lebensgefährlichen Weg machen . Deswegen müssen auch Sie sich an dieser Stelle die Frage der Mitverantwortung stellen . ({6}) Meine Damen, meine Herren, die Aufgabe ist viel umfassender, und wir dürfen nicht nur auf das Mittelmeer blicken . Ich bin dem Kollegen Frei sehr dankbar, dass er umfassend beleuchtet hat, was wir machen müssen, um die Situation vor Ort zu verbessern . Denn eines ist sicher: Unsere humanitäre Verantwortung endet nicht an unseren EU-Außengrenzen . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Wir kommen jetzt zu vier Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt . Zunächst stimmen wir über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8875 mit dem Titel „Seenotrettung im Mittelmeer - Menschen schützen, humanitäre Verantwortung übernehmen, solidarisch handeln“ ab . Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/8918 ab . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4838 mit dem Titel „Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden Für eine Umkehr in der EU-Asylpolitik“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8244 mit dem Titel „Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeinten Europäischen Union“ . Wer stimmt für diese BeschlussAlexander Hoffmann empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen zur letzten Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt, und zwar zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8905, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8701 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA Drucksache 18/8878 Überweisungsvorschlag Auswärtiger Ausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe für die Bundesregierung . ({1})

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen die Tragödien, die sich vor der libyschen Küste abspielen, wo völlig überfüllte und gänzlich ungeeignete Flüchtlingsboote von skrupellosen Menschenschleusern auf das Mittelmeer geschickt werden . Im Zusammenhang mit dem vorherigen Tagesordnungspunkt haben wir bereits darüber diskutiert . Es ist wahr: Unter Ausnutzung der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa missbrauchen die Menschenschmuggler die Notlage der Flüchtlinge weiterhin, schlicht um sich selbst zu bereichern . Das ist und bleibt unmoralisch und für uns absolut inakzeptabel . Trotz allen Unglücks: Es konnte glücklicherweise wenigstens ein Teil der Schiffbrüchigen - zum Teil in letzter Minute - gerettet werden . Davon ist hier auch schon die Rede gewesen, und ich betone das noch einmal: Es ist eine selbstverständliche völkerrechtliche Pflicht für alle Schiffe, die Menschen zu retten, die in Seenot sind und die sie aufgreifen können . Das ist nicht nur Theorie, sondern nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesregierung im Frühjahr 2015 schnell und entschlossen zwei Schiffe der deutschen Marine in das Mittelmeer entsandt hat, ist dies auch in vielen Tausenden Fällen erfolgreich geschehen . Ich will hier nur den Stand vom letzten Freitag, dem 17 . Juni 2016, nennen: Über 15 700 Menschen sind insgesamt gerettet worden, davon 9 346 durch deutsche Kräfte . Gestern sind zum Glück 84 weitere hinzugekommen . Weit mehr als die Hälfte aller, die gerettet worden sind, sind also von deutschen Marinekräften gerettet worden . Ich finde, darüber können wir glücklich und darauf können wir stolz sein . Dafür sollten wir unseren Soldatinnen und Soldaten herzlichen Dank sagen . ({0}) Uns ist klar, dass die Ursachen für dieses Flüchtlingsdrama sich nur mit langfristig ausgerichteten und ganzheitlichen europäischen Ansätzen an den Wurzeln bekämpfen lassen . Seit der Sondersitzung des Europäischen Rates zur Migrationsproblematik im April letzten Jahres gehen wir im Rahmen der EU dabei Hand in Hand vor . Unser gemeinsam erklärtes Ziel ist es, den kriminellen Schleusern das Handwerk zu legen und ihre Netzwerke in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Sicherheitsinstitutionen Libyens zu zerschlagen . Deshalb haben wir in der EU beschlossen, die Kernaufgabe von EUNAVFOR MED Operation Sophia, die eindeutig darin liegt, diesen Schleusern das Handwerk zu legen, zu ergänzen und zwei weitere Zusatzaufgaben zu übernehmen . Zum einen soll die Unterstützung der libyschen Küstenwache und der Marine durch Informationsaustausch, Ausbildung und Kapazitätsaufbau erhöht werden; denn eine funktionierende libysche Küstenwache und Marine sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Menschenschmuggel in den Küstengewässern wirkungsvoll unterbunden werden kann . Zum Zweiten werden wir auf der Grundlage der einstimmig angenommenen Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 14 . Juni dieses Jahres Maßnahmen auf hoher See umsetzen, um Verstöße gegen das VN-Waffenembargo in Bezug auf Libyen zu unterbinden . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll der Waffenschmuggel nach und von Libyen, bei dem der sogenannte „Islamische Staat“ eine Schlüsselrolle innehat - er profitiert davon am meisten -, entscheidend verhindert werden; eine Maßnahme, die dringend geboten ist . Mit diesen Maßnahmen erfährt zugleich die sich etablierende libysche Einheitsregierung eine wesentliche Stärkung . Uns allen ist dabei klar, dass dieser Prozess Vizepräsidentin Ulla Schmidt nicht von heute auf morgen funktioniert . Es gilt weiterhin, viele innerlibysche Widerstände zu überwinden . Wir müssen helfen, die libysche Einheitsregierung beim Aufbau eigenständiger und belastbarer Sicherheitsstrukturen zu unterstützen und die Stabilisierung des Landes sowie indirekt der weiteren Region, so gut es geht, voranzubringen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, EUNAVFOR MED Operation Sophia wird zu dieser Unterstützung der neuen Regierung auch weiterhin einen wertvollen Beitrag leisten . Daher prüfen wir wie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aktuell die Bereitstellung von weiteren Einheiten und Ausbildungskräften, um Libyen auf diesen Feldern aktiv eine wirksame Starthilfe zu geben . Mit unserem Mandat, das die Bundesregierung dem Hohen Hause vorlegt, setzen wir die jetzige Beschlusslage der EU für den Einstieg in die ergänzenden Aufgaben um . Die EU beschränkt zunächst weiterhin ihr Handeln auf die hohe See . Das gilt auch für die jetzt zu übernehmende Aufgabe der Ausbildung . Ich sage gleichzeitig für die Bundesregierung in aller Deutlichkeit: Wenn sich die EU, was natürlich weitere Voraussetzungen und auch das Zusammenwirken mit der libyschen Regierung erfordert, im weiteren Verlauf der Operation zum Handeln in libyschen Territorialgewässern und an Land entschließen sollte, werden auch wir gefordert sein, uns zu entscheiden . Aber wie schnell das der Fall sein wird, kann derzeit niemand voraussagen . Klar ist nur für diese Mission wie auch für andere: Wir Deutsche können uns nicht einfach wegducken, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Unsere Beteiligung an EUNAVFOR MED Operation Sophia soll bis zum 30 . Juni 2017 mit einer unveränderten personellen Obergrenze von 950 Soldatinnen und Soldaten durchgeführt werden . Wir haben damit ausreichende operative Flexibilität, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern jetzt handeln zu können . Wir liegen in der Praxis zurzeit sehr weit unter dieser Mandatsobergrenze . Wir werden vorerst bei der Operation weiterhin mit zwei Einheiten vertreten sein . Deutschland ist nach Italien schon jetzt der mit Abstand größte Truppensteller . Ich sage es noch einmal: Die deutschen Kräfte sind diejenigen, die besonders viele Menschen aus Seenot gerettet haben . Das zeigt, für wie wichtig wir diesen Beitrag erachten . Es gilt jetzt, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern das konkrete Handeln auszuplanen und Libyen zu helfen . Eins ist klar: Diese Entwicklung braucht nicht nur Zeit, sondern auch eine handlungsfähige und international anerkannte libysche Regierung, die ihren Teil der internationalen Verantwortung verlässlich und berechenbar wahrnimmt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Unterstützen Sie den Antrag der Bundesregierung! Denn das deutsche Engagement im Rahmen von EUNAVFOR MED ist richtig und wichtig . Es ist politisch richtig und wichtig, und es ist auch aus humanitärer Sicht richtig, wichtig und geboten . Herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Dr . Alexander Neu ist jetzt der nächste Redner für die Linksfraktion . ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Heute geht es um die erste Verlängerung der Mission EUNAVFOR MED, ironischerweise „Sophia“ genannt. Offiziell geht es um die Schleuserbekämpfung. De facto handelt es sich um eine Flüchtlingsabwehrmission . Die gute Nachricht ist - das räumen wir ein; das wird auch von NGOs eingeräumt -: 16 000 Menschenleben wurden gerettet . Hervorragend! Wie viele Menschen gerettet wurden, wissen wir . Wie viele ertrunken sind, können wir nur schätzen . Die Zahlen belegen laut UNHCR und Ärzte ohne Grenzen, dass zwischen Januar und Mai 2016 etwa 3 000 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, umgerechnet alle 80 Minuten ein Mensch . Es müssten aber keine Kinder, Frauen und Männer im Mittelmeer ertrinken, wenn sie legal und auf sicheren Wegen Europa erreichen könnten . ({0}) Kommen wir aber zurück zum eigentlichen Auftrag so lautet er zumindest offiziell -: die Schleuserbekämpfung . Die Bundesregierung hat uns keine Bilanzierung des Dreivierteljahres vorgelegt, seitdem EUNAVFOR MED läuft . Es gibt aber eine Bilanzierung - das kann man im Internet einsehen -, die der EU-Unterausschuss des britischen Oberhauses Anfang Mai, also vor wenigen Wochen, unter dem Titel „Operation Sophia, die EU-Mission im Mittelmeer: eine unlösbare Aufgabe“ zu EUNAVFOR MED vorgelegt hat . Das Fazit lautete: Das Geschäftsmodell des Schleusertums - dessen Bekämpfung ja eine Kernaufgabe der Mission ist - konnte nicht beeinträchtigt werden, und die Operation kann ihr Mandat nicht erfüllen . Sie kann zwar ihr Mandat nicht erfüllen, aber nun sollen zwei neue Aufträge hinzukommen, nämlich zum einen die Unterbindung von Waffenschmuggel auf hoher See und zum anderen der Aufbau des Küstenschutzes . Interessant ist die Unterbindung des Waffenschmuggels auf hoher See . Der Waffenschmuggel in Libyen läuft im Wesentlichen nicht über die hohe See; er läuft über die Landgrenzen - wenn er überhaupt über den Seeweg erfolgt, dann läuft er über das Küstenmeer, und genau dort wird EUNAVFOR derzeit nicht agieren . Das heißt, diese Aufgabe wird wahrscheinlich, ähnlich wie die Schleuserbekämpfung, ins Leere laufen . Also: Das läuft so nicht . Abgesehen davon: Wenn Waffenschmuggel bekämpft werden soll, dann sollten die Europäer und auch Deutschland aufhören, Waffen in die Region zu liefern . ({1}) Es ist doch zynisch, den Waffenschmuggel nach Libyen unterbinden zu wollen und gleichzeitig Waffen dorthin zu liefern . Das verstehe ich nicht . Der andere Ansatz lautet „Aufbau eines Küstenschutzes“ . Mir ist nicht klar, wer ausgebildet werden soll und welche Kriminellen oder Islamisten darunter sein werden . Das ist alles nicht geklärt, aber der Auftrag steht . Ich bin gespannt, was dabei herauskommt . Die „Erfolgsstory“ anderer Ausbildungsmissionen lässt nichts Gutes erahnen . Aber was den Begriff „Küstenschutz“ angeht: Es ist doch der eigentliche Auftrag eines Küstenschutzes, Gefahren von außen abzuwehren . Hier geht es nicht primär darum - das wurde gerade noch einmal deutlich -, Gefahren von außen abzuwehren; es geht vielmehr darum, Flüchtende, Menschen daran zu hindern, über Libyen und das Mittelmeer nach Europa zu kommen . Das ist eine recht seltsame Aufgabenstellung, und das hat nichts mit Küstenschutz zu tun, meine Damen und Herren . ({2}) Wenn die Seenotrettung nicht der eigentliche Auftrag ist - und das ist er auch nach dem neuen Mandat nicht -, die Schleuserbekämpfung nicht erfolgreich ist und die Bekämpfung des Waffenschmuggels nicht erfolgreich sein wird, stellt sich die Frage, warum EUNAVFOR MED, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der NATO - das steht ja immer noch im Raum -, verlängert werden soll . Offensichtlich geht es um Raumkontrolle des südlichen Mittelmeers durch die Europäische Union und durch die NATO . Anders kann man das nicht erklären . Sie machen auf diese Weise das südliche Mittelmeer und Nordafrika zum europäischen Hinterhof . Das ist primitive Geopolitik, sehr geehrte Damen und Herren . ({3}) Wir alle haben heute Morgen die Nachricht bekommen, dass das Referendum über den Brexit erfolgreich war . Ich kann nur davor warnen, dass die Rest-EU versucht, über außen- und sicherheitspolitische, militärpolitische Abenteuer diese EU in irgendeiner Weise so zusammenzuhalten, wie sie ist . ({4}) Was wir brauchen, ist ein Umdenken . Gerade wurde gesagt: Wir müssen verhindern, dass die Menschen nach Europa kommen . - Aber sehr auffällig war, dass vor allem in den Reihen der CDU/CSU die Ursachen nicht angesprochen worden sind . Manchmal werden sie mit dem Begriff „Ursachenbekämpfung“ angesprochen, aber sie werden nicht qualifiziert. Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen, heißt eben auch, die Handelsliberalisierung gegenüber dem globalen Süden einzustellen und Agrarexportsubventionen und somit die Armutsspirale in Afrika zu beenden . Es heißt: Stopp von Regime Changes, von militärischer Gewalt gegen die Region . ({5}) Das ist genau das, was das Friedensgutachten 2016 festgestellt hat . Die Damen und Herren sind hier gewesen . Die Informationen, die diese uns gegeben haben, sind bei Ihnen aber zum einen Ohr rein-, zum anderen wieder rausgegangen, weil das nicht in Ihr Konzept passt . Es ist wichtig, Fluchtwege zu legalisieren bzw . Flüchtenden zu helfen . Ärzte ohne Grenzen und SeaWatch fordern genau das; aber es geht an Ihnen vorbei . Wir haben vorhin darüber debattiert . Unser Antrag und auch der Antrag der Grünen wurde abgelehnt . Sie sind also nicht willens, den Menschen einen legalen Weg nach Europa zu ermöglichen . Es ist, sehr geehrte Damen und Herren, eine Schande, dass das angeblich so zivilisierte Europa vorwiegend militärische Antworten liefert . Es ist eine Schande, dass beabsichtigt wird, flüchtende Menschen zurück in libysche Lager zu schicken . Man muss sich die Zustände dort einmal vor Augen halten. Dort finden Vergewaltigung, Mord, Hunger und Folter statt . Und Sie wollen die Menschen zurückschicken! Das ist wirklich ein Skandal . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Neu, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende . - Es ist - das sage ich abschließend - eine Schande, dass Privatinitiativen wie SeaWatch oder Ärzte ohne Grenzen das übernehmen, was eigentlich Aufgabe der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten wäre, nämlich Menschen zu einem legalen Weg nach Europa zu verhelfen . Danke . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Niels Annen ist jetzt der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist uns allen bewusst, wie sehr uns die Krisen im Nahen und Mittleren Osten hier bei den Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit beschäftigen . Längst haben die Kriege in Syrien und im Irak zu einer regionalen Instabilität geführt . Und Libyen - das Land, über das wir heute hier reden - spielt dabei schon aufgrund seiner Größe, aber auch seiner geografischen Lage eine zentrale Rolle . Wir alle kennen die Ausgangsposition . Es gibt zwei Parlamente und zwei Regierungen bzw . zwei Machtzentren. Und in der Mitte befindet sich - wenn man das so sagen darf - die Terrormiliz IS . Das ist eine Situation, die für die internationale Staatengemeinschaft auch deswegen nur sehr schwer zu bewältigen ist, weil Herr Gaddafi nach den vielen Jahrzehnten seiner Diktatur - anders als es in vergleichbaren Ländern der Fall war - letztlich keine staatlichen Strukturen hinterlassen hat . Die Situation ist also fragil . Aber ich glaube, man kann schon feststellen: Es hat Fortschritte in Libyen gegeben . Das wurde nicht zuletzt durch den Einsatz des VN-Sondergesandten erreicht . Das ist, wie Sie alle wissen, ein deutscher Diplomat, Martin Kobler, dem ich an dieser Stelle für seine herausragende Arbeit noch einmal ganz herzlich danken möchte . ({0}) Es ist ihm gelungen, eine Einheitsregierung zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass sie von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt und unterstützt wird . Ich glaube zwar, dass es ein Fortschritt ist, es ist aber keine Garantie dafür, dass wir auf diesem Weg weitergehen können . Die Kollegen der Linken haben es sich ja zur Angewohnheit werden lassen, zu erklären, wir seien der Ansicht, die Mandate, über die wir hier diskutieren, seien quasi so eine Art Blaupause für die Lösung der Konflikte. Darum geht es hier nicht, sondern es geht um ein Element der Stabilisierung . Wir wissen, dass die Situation fragil ist, dass wir Herrn as-Sarradsch und seine Regierung in Tripolis unterstützen müssen . Diese Ausbildungsmission ist eben ein Element davon . Ich glaube, dass es deswegen richtig ist, sie hier zu unterstützen . Ich darf auch darauf hinweisen, dass es eine Bitte des Präsidialrates bzw . eine explizite Anfrage auch an uns gegeben hat, dieses zu tun . ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es schon erwähnt: Die Terrormiliz IS nutzt die Fragilität des Landes, um ihren Machtbereich in der Region um Sirte auszudehnen . Ja, es ist richtig - Sie alle haben das der Presse entnehmen können -: Es gibt militärische Erfolge beim Kampf gegen den IS . Dennoch kann man nicht davon sprechen, dass die Lage schon entspannt sei . Es ist natürlich klar, dass auch hier die Operation Sophia allein nicht ausreicht . Sie allein wird - der Staatssekretär hat darauf hingewiesen - auch nicht ausreichen, um die Schleuserkriminalität zu bekämpfen . Aber sie leistet einen Beitrag, und sie hat auch eine abschreckende Funktion . Auch deswegen begrüßen wir das Mandat . Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen Aspekt der Rede von Herrn Dr . Neu hinweisen . Sie haben hier ja so eine Form der Verschwörungstheorie - dabei ging es um Stichworte wie „NATO“, „Raumkontrolle“, „Geopolitik“ und „Hinterhofpolitik“ - in den Raum gestellt . ({2}) Ich will in diesem Zusammenhang ganz bewusst darauf hinweisen - das ist schon interessant -, dass alle 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, auch Russland, der entsprechenden Resolution zugestimmt haben . ({3}) Es ist mir nicht bekannt, dass Russland eine NATO-Operation zur europäischen Kontrolle des europäischen Hinterhofs legitimieren würde . Das ist ein wenig verwunderlich und unterstreicht, glaube ich, dass es sich bei dem, was Sie vorgetragen haben, geschätzter Herr Kollege, im Wesentlichen um Propaganda handelt . ({4}) Es ist auch deswegen bemerkenswert, dass Russland zugestimmt hat, weil wir wissen, dass es eine ganz besondere Geschichte mit Libyen gibt . Die damalige Resolution, die den Militäreinsatz von NATO-Mitgliedstaaten legitimiert hat, ist sehr in der Kritik - wie ich finde, durchaus zu Recht - und wird von der russischen Seite bis heute als eine Art Missbrauch einer solchen Legitimation betrachtet . ({5}) Trotzdem hat Russland dieses Mal zugestimmt, weil davon gehe ich jedenfalls aus - es im Interesse Russlands ist, dass diese fragile Region stabilisiert wird . Dass wir das gemeinsam tun, ist gut . Das zeigt übrigens auch, dass es sich lohnt, mit Russland über so schwierige Fragen zu reden . Es scheint doch so zu sein, dass sich die Mühe manchmal lohnt ({6}) und dass man in einigen Bereichen kooperative Lösungen mit Russland trotz all der Probleme, die wir haben, erreichen kann .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu?

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich, Frau Präsidentin .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Annen, Russland und China haben sich 2011 bei der Sicherheitsratsresolution darauf verlassen, dass der Luftraum gesperrt wird . Man weiß heutzutage, dass die NATO dieses Mandat genutzt hat, um einen Regime Change durchzuführen . Nun haben Russland und China wieder einmal einer Sicherheitsratsresolution im Vertrauen darauf, dass diese Mission eine EU-Mission bleiben wird, zugestimmt . Können Sie definitiv ausschließen, dass die NATO daran nicht teilnehmen wird? NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat schon massiv angeboten, dass das auch eine NATO-Mission werden könnte . Können Sie das ausschließen?

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Neu, ich finde es jedenfalls erstaunlich, dass Sie hier offensichtlich die Position Russlands einnehmen . ({0}) Ich bin mir aber sicher, dass der russische NATO-Botschafter schon selber in der Lage ist, die Position seines Landes vorzutragen . Ich will aber gerne zu einem Punkt etwas sagen . Auch ich bin der Meinung, dass die damalige Resolution in einer Art und Weise ausgelegt worden ist, die der Legitimation der Vereinten Nationen nicht geholfen hat . Ich bin ein großer Anhänger der relativ neuen UN-Norm der sogenannten Schutzverantwortung, Responsibility to Protect . ({1}) Ich glaube schon, dass wir sehr kritisch auf das schauen müssen, was damals geschehen ist . Sie sprechen von einer NATO-Operation . Es haben sich aber nicht alle NATO-Staaten daran beteiligt . Ich darf vielleicht für diejenigen, die uns hier zuhören, deutlich machen: Deutschland hat sich an dieser Operation damals nicht beteiligt, so wie andere Länder auch . Ich glaube, das ist eine klare Antwort auf Ihre Frage . - Vielen Dank . Ich will in der verbleibenden Zeit noch auf einen zweiten Staat eingehen, der als nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrates dieser Resolution zugestimmt hat . Ich rede über Ägypten, ein Land, das - ich bin kein Diplomat, aber ich will doch versuchen, mich diplomatisch auszudrücken - eine sehr ambivalente Rolle in Libyen spielt . Man muss zur Kenntnis nehmen, dass etwa 1 300 Kilometer Grenze aus Sicht Kairos natürlich ein dramatisches Sicherheitsrisiko darstellen, eine Grenze zu einem Land, das im Chaos zu versinken droht . Trotzdem haben wir die einseitige Unterstützung von General Haftar als nicht besonders konstruktiv wahrgenommen . Das haben wir mit den ägyptischen Kollegen natürlich diskutiert . Umso bemerkenswerter ist es, dass es auch hier eine Zustimmung und zumindest deklaratorisch eine Unterstützung gegeben hat . Insofern haben wir eine legale politische internationale Grundlage, die von allen Staaten, die zurzeit im Sicherheitsrat vertreten sind, mitgetragen wird . Ich hoffe sehr, dass das eine Botschaft an diejenigen ist, die sich mit Herrn Kobler zusammen um eine politische Lösung für Libyen bemühen . Der Aspekt der Seenotrettung - auf den hat Herr Staatssekretär Brauksiepe hingewiesen - liegt auch uns am Herzen . Aber ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um auf die politischen Zusammenhänge hinzuweisen . Ich glaube nicht, dass wir uns selber helfen würden, mit der Verabschiedung dieses Mandatsantrages jetzt quasi die Botschaft zu verbreiten, das Thema Libyen wäre damit abschließend von uns behandelt worden . Es ist - ich kann das nur wiederholen - ein Baustein unserer Politik, unsere Antwort auf eine Krise, die uns direkt angeht, auch aus humanitärer Verantwortung . Das Mandat ist ein wichtiger Baustein, und deswegen unterstützen wir diesen Antrag . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, da diese Vorlage in die Ausschüsse überwiesen wird, würde ich jetzt von der Genehmigung weiterer Zwischenfragen absehen, auch da wir weit über der Zeit sind . Jetzt hat die Kollegin Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob das der Marinesoldat der Mission EUNAVFOR MED ist oder ein Ehrenamtlicher, der sich auf einem Schiff von Sea-Watch befindet, das mit Spendengeldern finanziert wurde - wir sind jedem Menschen dankbar, der in den letzten Monaten dazu beigetragen hat, dass weniger Menschen auf dramatische Weise im Mittelmeer ertrinken müssen . ({0}) Eine Reihe von uns Abgeordneten hatte letztes Jahr zusammen mit der Verteidigungsministerin Gelegenheit, die Mittelmeermission der Bundeswehr zu besuchen . ({1}) Ich muss wirklich sagen: Ich habe selten Soldatinnen und Soldaten gesehen, die unter so hohen physischen und psychischen Belastungen so überzeugt von einem Auftrag waren . Mir hat erst neulich jemand, der mehrere Monate im Einsatz war, erzählt, dass man teilweise nach 14 Stunden den Befehl erteilen musste, wenigstens kurz eine Pause zur Erholung zu machen . Dass aber die Bundeswehr und auch private Initiativen im Mittelmeer Seenotrettung betreiben, ist schon Ausdruck dessen, dass die europäischen Mitgliedstaaten dabei versagt haben, eine funktionierende, effektive und zivile Seenotrettung auf den Weg zu bringen . Darüber haben wir in der Debatte davor diskutiert . ({2}) Seenotrettung ist für jedes Schiff eine internationale Verpflichtung. Das sollte aber nicht den Blick auf das verstellen, was der Kernauftrag der Mission EUNAVFOR MED ist, nämlich die militärische SchlepperbekämpDr. Alexander S. Neu fung . Nach wie vor treiben die Bundesregierung und die anderen europäischen Mitgliedstaaten die Ausweitung dieses Mandats voran, um auch in den libyschen Küstengewässern und in Libyen an Land militärisch gegen Schlepper operieren zu können . Wir halten das für die falsche Antwort auf die Dramen im Mittelmeer . Es ist gefährlich, es ist riskant, und es hilft den Flüchtlingen nicht, sondern gefährdet sie nur noch mehr . Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Natürlich treiben viele Schlepper ein sehr grausames Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge . Aber wenn Sie das wirklich abstellen wollen, und zwar effektiv, dann geht es um polizeiliche Maßnahmen, dann geht es um legale und sichere Einwanderungswege, um den Schleppern die Geschäftsgrundlage kaputtzumachen . ({3}) Die Bundesregierung bringt jetzt ein neues Mandat auf den Weg . Das ist aus zwei Gründen notwendig; denn es gibt erweiterte Aufgaben . Es geht einerseits darum, den Waffenschmuggel über den Seeweg zu unterbinden . Das kann vielleicht den positiven Effekt haben, den Waffenstrom nach Libyen, der natürlich ein riesiges Problem ist, einzudämmen . Aber dieser Effekt ist begrenzt, weil die meisten Waffen über den Landweg nach Libyen kommen . Viel problematischer aber ist die zweite Veränderung des Mandats, bei der es um die Ausbildung der libyschen Küstenwache geht . Seit Wochen fragen wir die Bundesregierung: Wer genau soll ausgebildet werden? Wo soll das stattfinden? Wie sieht der genaue Auftrag aus? Welche Geräte und welche Ausrüstung wollen Sie zur Verfügung stellen? Wie ist eigentlich sichergestellt, dass die Milizenstrukturen in irgendeiner Form der Kontrolle durch die Regierung unterliegen? Seit Wochen hat die Bundesregierung dazu keine Antwort . Sie jagen hier ein Mandat durch das Parlament, sind dabei aber selber völlig plan- und kopflos in Bezug auf das, was Sie wollen . Sie wollen von uns einen Blankoscheck für eine Operation, die sich am Ende des Tages im Konkreten in dieser höchst fragilen Lage in Libyen als sehr kontraproduktiv und gefährlich erweisen kann . Da muss ich sagen: Das ist keine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik . ({4}) Gerade Libyen ist doch ein klassisches Beispiel dafür, wie undurchdachter Aktivismus von außen sehr schnell verheerende, natürlich nicht intendierte Folgen haben kann . Mir macht es große Sorgen, dass der Bundesregierung angesichts der dramatischen Lage in Libyen selbst und der schrecklichen Situation der Flüchtlinge dort nicht mehr einfällt als eine Militärmission und ein dreckiger Deal, der in die Richtung dessen geht, was Sie mit der Türkei vereinbart haben; so haben sich Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister de Maizière schon geäußert . Ich frage Sie: Wo ist eigentlich Ihre kluge, Ihre humanitäre Antwort auf die Lage der Menschen, die dort in den Flüchtlingslagern eingepfercht sind? Wir hören von Menschenrechtsverletzungen, von Menschen, die sterben . Flüchtlinge dürfen diese Lager nicht verlassen, sind dort eingepfercht, verhungern teilweise . Wir reden hier von 500 000 Menschen in einem Land, in dem teilweise Bürgerkrieg herrscht . Ich muss es so hart und zynisch sagen: Die Frage ist doch nicht, wo die Menschen ihr Leben riskieren und verlieren - in den Flüchtlingslagern in Libyen, in den Haftanstalten oder im Mittelmeer . Es muss doch vielmehr darum gehen, wie wir ihr Leid lindern und Stabilisierung in Libyen erreichen können . ({5}) An dieser Stelle muss man sagen: Da hilft Ihre Abschottungs- und Abschreckungspolitik nicht . Sie verbessert weder die Situation in Libyen, noch hilft sie den Flüchtlingen . Sie müssen stattdessen humanitäre und sicherheitspolitisch verantwortungsvolle Antworten für die Menschen in Libyen und für die Flüchtlinge in Libyen auf den Weg bringen . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neufassung des deutschen Bundeswehrmandats für EUNAVFOR MED ist in erster Linie notwendig, weil es eine neue UN-Resolution gibt, die ein wirkungsvolleres Vorgehen gegen Waffenschmuggel Richtung Libyen zulässt . Es soll zukünftig möglich sein, Schiffe nicht mehr nur mit Einwilligung des sogenannten Flaggenstaates, also des Landes, dessen Flagge dort gehisst ist, zu kontrollieren . Schiffe sollen auch gegen den Willen des sogenannten Flaggenstaates durchsucht werden können . Das ist natürlich eine andere Herausforderung, weil man im Zweifel davon ausgehen muss, dass in dem einen oder anderen Fall auch Widerstand zu brechen ist, wenn man diese Durchsuchung durchführen will . Die Soldaten der Bundeswehr sind auf einen solchen Auftrag gut vorbereitet, und sie werden auf einen solchen Auftrag gut vorbereitet; aber das ist schon eine neue Dimension . Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung das Mandat erneuert . Das zweite Element, das hinzukommt, ist die Ausbildung von Küstenwachsoldaten auf hoher See . Wir tun das ausdrücklich nicht in Hoheitsgewässern . ({0}) Zur Klarstellung möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Als wir EUNAVFOR MED auf den Weg gebracht haben, hatte das Projekt im Prinzip vier angedachte Stufen . Stufe 1 war die Aufklärungs- und Seenotrettungsmission . Dann kam die Stufe 2 mit der Überwachung des Waffenembargos in der leichteren Form . Wir würden eines Tages gern in die Stufe 2b übergehen: Bekämpfung der Schleuser auch in den Küstengewässern . Aber das, was jetzt hier beantragt wird, ist eher eine Variante 2a++, würde ich mal sagen, also die Ausbildungsmission und die veränderte Bekämpfung des Waffenschmuggels . Es ist vorhin hier angeklungen, die Seenotrettung sei quasi eine Aufgabe nebenbei . Ich möchte ganz klipp und klar sagen: Für jeden Seemann, auch für die Deutsche Marine, ist das Retten aus Seenot eine der vornehmsten und edelsten Aufgaben . Dass nahezu 16 000 schiffbrüchige Flüchtlinge auf diese Weise geborgen werden konnten, ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass es mehr als nur eine Nebenaufgabe ist; was die tägliche Arbeit angeht, steht das sicherlich im Mittelpunkt . Das ist auch gut so . Dafür verdienen der Einsatz und die Soldaten, die ihn leisten, unsere volle Anerkennung . ({1}) Die Bekämpfung des Waffenschmuggels Richtung Libyen ist eine enorm wichtige Aufgabe . Herr Kobler schätzt, dass es in Libyen dreimal so viel Waffen wie Menschen gibt, ({2}) also dass dieses Land quasi bis an die Zähne gerüstet ist, dass rund 300 Kilometer der Küste in der Hand des IS sind . Eine Befriedung des Landes in irgendeiner Weise setzt natürlich voraus, dass wir verhindern, dass Waffen und Munition dort ankommen . Das ist eine enorm schwierige Aufgabe . Wir machen uns auch keine Illusion darüber, dass EUNAFVOR MED die Situation maßgeblich oder grundlegend ändern kann . Aber wir glauben, dass es ein wichtiger, ein notwendiger Beitrag ist . Auch die Bekämpfung des Schlepperunwesens ist bei EUNAFVOR MED gut aufgehoben . Es hat immerhin 71 Überstellungen von Menschenschmugglern gegeben, ich glaube, überwiegend an die italienischen Behörden . Weit über 100 Schmugglerboote konnten unbrauchbar gemacht werden, sodass sie weder eine Behinderung für die Seewege darstellen noch für weitere Schlepperaktionen zur Verfügung stehen . Von daher ist das ein richtiger und wichtiger Einsatz . Es ist hier angeklungen, wir müssten mehr an Land tun . Ja, das stimmt . Auch ich bin der Meinung, dass wir die gegenwärtig sich etablierende Regierung in Tripolis unterstützen müssen . Der Bundesaußenminister hat Finanzmittel zugesagt . Insgesamt haben wir die Finanzmittel für die Entwicklungshilfe und für die humanitäre Soforthilfe in einer Art und Weise aufgestockt - insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro beträgt allein die Steigerung für beide zusammen, die wir beschlossen haben -, dass man nun wirklich nicht sagen kann, dass Deutschland dort ein erhebliches Defizit hat. Ich würde mir aber wünschen, dass wir über diese Mission, über die Zusammenarbeit der Völkergemeinschaft und auch über die Auflösung des Konfliktes zwischen der Regierung in Tripolis und denjenigen, die in Tobruk sitzen und andere Vorstellungen über die Entwicklung des Landes haben, zu einer Annäherung kommen und dass es uns dann Schritt für Schritt gelingt, auf dem langen und mühsamen Weg der Befriedung Libyens voranzukommen . Dadurch könnten wir eines der größten außenpolitischen Probleme lösen, die wir gegenwärtig haben . Herzlichen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner . ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Sophia heißt sie . Am 24 . August 2015 hat sie das Licht der Welt erblickt . Sie wirkt wie jedes Kind ein wenig zerknittert, ist aber in Sicherheit; denn Sophia wurde auf der Fregatte „Schleswig-Holstein“ geboren . Mit dem Namen Sophia steht im wahrsten Sinne des Wortes, wie es der griechische Name sagt, die Tugend im Mittelpunkt; denn ein Stabsarzt und ein Obermaat halfen der somalischen Mutter bei der Entbindung auf hoher See . Für dieses kleine Menschlein ist die Welt noch recht übersichtlich . Doch sie hat im Moment ihrer Geburt bereits mehr erlebt als viele andere Menschen . Sie trägt die Hoffnung und die Angst von Hunderttausenden auf den Schultern, die nach dem Sehnsuchtsort Europa fliehen, diesem Sehnsuchtsort, dem gestern unsere britischen Nachbarn die kalte Schulter gezeigt haben . Sie wird in eine Welt geboren, die, wie es unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagt, aus den Fugen geraten ist . Sophia gab der Operation, die wir heute beraten, ihren Namen, und sie wird sich irgendwann einmal fragen: Was war da los? Was war das für eine Welt, in der meine Mutter unser Leben aufs Spiel gesetzt hat? Wer waren diese Menschen, die uns geholfen haben? Warum wollten andere Menschen nicht helfen? Ich sage Ihnen ganz klar, meine Damen und Herren: Ich möchte eines Tages nicht zu denen gehören, die ihre Augen verschlossen oder mit Zynismus reagiert haben . Ich will zu denen gehören, die sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen, die nicht abwarten und Tee trinken, sondern tatsächlich handeln . ({0}) Zu diesen Herausforderungen gehören nun einmal flächendeckender Terror, Waffenschmuggel, Menschenhandel, fragile Staaten, durchgeknallte mordende Gewalttäter . Ich bin froh, dass wir Soldatinnen und Soldaten haben, die hier ganz konkret etwas tun, und ich meine damit nicht nur die zuvor zitierte Geburtshilfe . Sie kontrollieren im Mittelmeer das VN-Waffenembargo gegenüber Libyen, sie bilden die libysche Küstenwache aus, sie versuchen, den Menschenschmuggel zu bekämpfen . Im Detail haben das meine Vorredner bereits genau beschrieben . Diese Frauen und Männer in Uniform, so sehe ich es zumindest, stehen für mich für die Guten unserer Gesellschaft, denen es eben nicht reicht, empört auf die Politik zu zeigen und wegzuschauen, sondern die tatsächlich etwas tun . Dafür herzlichen Dank! ({1}) Es ist nun einmal eine Tatsache: Libyen ist ein tief gespaltenes Bürgerkriegsland . Es ist in Regionen zerfallen und geprägt von islamischen und säkularen Milizen . Die Einheitsregierung kann kaum Löhne zahlen und tut sich schwer, in der Bevölkerung überhaupt Vertrauen zu schaffen . Rund 1 Million Flüchtlinge sind im Land, von denen 100 000 bis 200 000 nach Italien oder nach Ägypten wollen . Der Kampf gegen den IS ist im vollen Gange . Da kann man nicht wegsehen . Man muss Einhalt gebieten . Natürlich wird auch der Einsatz EUNAVFOR MED Operation Sophia diese Probleme nicht lösen; da bin ich nicht blauäugig . Aber er wird einen konkreten Beitrag leisten, dass sich der IS dort nicht weiter ausbreitet und dass Menschenhändler abgeschreckt werden . Wir stocken jetzt die humanitäre Hilfe auf, unterstützen Krankenhäuser . Die zivile Hilfe läuft . Unser Außenminister kämpft Tag und Nacht auf diplomatischer Ebene . Ich glaube, die Hilfe greift - zaghaft zwar, aber sie greift . In kleinen Schritten gewinnt die Regierung der Nationalen Einheit langsam wieder etwas Handlungsfähigkeit . Es ist gelungen, einzelne Gebiete zu befreien und Terroristen in ihrem bisherigen Rückzugsort in Surt anzugreifen . Es darf deshalb meiner Meinung nach nicht bei dem heute Beschlossenen bleiben . Wenn wir konsequent bleiben wollen und ganzheitlich denken, könnten wir zum Beispiel auch Grenzbeamte an Land ausbilden, meinetwegen in Tunesien . In jedem Fall sollten wir jetzt nicht stehen bleiben . Der kleinen Sophia wird das alles herzlich wenig helfen . Ihr wird es im Augenblick auch egal sein . Ihre Welt besteht voller Hoffnung, nämlich der auf ein gutes Leben, und das Beste hat sie noch vor sich . Sie war mit ihren 3 000 Gramm und 49 Zentimetern nicht die Kräftigste, aber sie wird, so hoffe ich, in einer Welt groß werden, in der Einsätze wie EUNAVOR MED Operation Sophia nicht mehr nötig sein werden . Das, glaube ich, sind wir Sophia schuldig . Das sind wir unseren eigenen Kindern schuldig . Das sind wir uns selbst schuldig . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Florian Hahn, CDU/ CSU-Fraktion, ist jetzt der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mission Sophia wird öffentlich vor allem durch die Erfolge bei der Seenotrettung wahrgenommen . Sie soll aber in erster Linie der Bekämpfung der Schleuseraktivitäten im Mittelmeer dienen durch Aufklärung, aber gegebenenfalls auch mit robusten Mitteln . Jetzt erweitern wir, auch autorisiert durch ein einstimmiges Votum des UN-Sicherheitsrates - immerhin sind Russland und Ägypten mit dabei; das wurde schon gesagt -, das Mandat um die Durchsetzung des VN-Waffenembargos sowie um die Hilfe bei Ausstattung und Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine . Wir entwickeln damit den Einsatz sinnvoll weiter . Seenotrettung ist moralische und völkerrechtliche Pflicht. Wir werden sie weiter leisten. Aber wir alle wissen auch: Die Rettung der Menschen ist eng verknüpft mit der Schleuserproblematik . Wir dürfen mit der Operation Sophia nicht integraler Teil des kriminellen Systems der Schleusungen werden . Daher ist die gleichzeitige Bekämpfung der organisierten Kriminalität so wichtig . Zum einen sammelt die Operation Informationen über Migrationsnetzwerke, zum anderen darf sie bei Verdacht auf Menschenschmuggel Schiffe völkerrechtskonform auf hoher See anhalten, durchsuchen, beschlagnahmen und umleiten . Unser langfristiges Ziel ist die Stabilisierung Libyens . Nur ein funktionierender libyscher Staat kann eigenverantwortlich Küstenschutz, Flüchtlingsversorgung und Kriminalitätsbekämpfung betreiben . Mit der Etablierung der Einheitsregierung gibt es erstmals vorsichtige Perspektiven für eine Verbesserung der Lage . Wir müssen diese fragile Regierung in jeder Hinsicht unterstützen . Neben der Unterbindung der Waffenlieferungen an Aufständische und Terroristen müssen wir beim Aufbau eigener Sicherheitskräfte helfen, beginnend mit Marine und Küstenwache . Wie beim UNIFIL-Mandat im Libanon, wo es auch um Kampf gegen Waffenschmuggel und den Aufbau der Marine geht, müssen wir in langen Zeithorizonten denken . Die Qualitätsverbesserung bei der libanesischen Marine zeigt aber auch: Am Ende zahlt sich solides, stetiges Arbeiten aus . Bei Sophia wird zunächst wohl an Bord ausgebildet, Stichwort „schwimmendes Klassenzimmer“ . Das bringt mich zur allgemeinen Situation unserer Marine . Die Marine hat bei Sophia bislang Großartiges geleistet; darüber haben wir schon gesprochen . Die Rahmenbedingungen sind nicht einfach: Kriegsschiffe sind für die Seenotrettung nicht optimiert; körperliche und psychische Belastungen der Mannschaft sind enorm . Für ihren aufopferungsvollen Einsatz möchte ich den Soldatinnen und Soldaten daher meinen Dank aussprechen . Lassen Sie mich aber außerdem auf eines hinweisen: Die Marine ist zurzeit in einer ganzen Reihe von Einsätzen gefordert . Sie musste als kleinste Teilstreitkraft große Einsparungen hinnehmen . Andererseits wird sie in NATO- und EU-Missionen so beansprucht wie nie . Bei überdurchschnittlicher Verwendung operiert sie längst an ihrer Belastungsgrenze . Die geplante Ausbildung libyscher Marineangehöriger auf deutschen Schiffen ist daher ein zusätzlicher Kraftaufwand . Gleichzeitig führten Engpässe, auch bei den Verbündeten, zu einer Art Verschiebebahnhof im Mittelmeer . Die Fregatte „Karlsruhe“ wurde im direkten Anschluss Richtung Ägäis gesteuert . Ich begrüße daher den Vorstoß der Kanzlerin, die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben bei den anstehenden Haushaltsberatungen noch einmal anzusprechen . Die getroffenen Entscheidungen bei Haushalt, Personal und Rüstungsinvestitionen sind aber nur ein erster von vielen notwendigen Schritten . Meine Damen und Herren, die Erweiterung von EUNAVOR MED ist richtig und konsequent . Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und am Sonntag ein gutes Spiel . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 18/8878 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, 28 . Juni 2016, 10 .30 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende .