Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/27/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich . Bevor wir in die Regierungsbefragung und anschließend in die Fragestunde eintreten, möchte ich gerne Ihre Zustimmung zu einer interfraktionellen Vereinbarung herbeiführen, nämlich den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes auf der Drucksache 18/8043 dem Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung zu überweisen . Können Sie sich damit anfreunden? - Das ist offenkundig der Fall . Da wird sich der Ausschuss freuen, dass das mit diesem einmütigen Votum des Plenums auch zu seiner Mitberatung überwiesen ist . Denjenigen, die nach der Regierungsbefragung, zu der wir gleich unter Tagesordnungspunkt 1 kommen werden, an der Fragestunde beteiligt sind, will ich schon jetzt den Hinweis geben, dass weit weniger als die Hälfte der eingereichten Fragen zur mündlichen Beantwortung übrig geblieben sind, sodass diejenigen, die glauben, möglicherweise just in time zur Beantwortung ihrer Frage erscheinen zu können, vielleicht ein bisschen neu disponieren sollten, weil diese womöglich zügiger aufgerufen wird, als man anhand der Papierform vermuten könnte . Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung Die Regierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung den Berufsbildungsbericht 2016 angegeben . Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr . Wanka . Ich darf jetzt schon bitten, soweit es absehbare Nachfragen aus den Fraktionen gibt, mir Hinweise zu geben, um das vorab sortieren zu können . Frau Ministerin, Sie haben das Wort .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute früh im Kabinett den Berufsbildungsbericht 2016 beraten . Man kann sagen - das vielleicht auch als Botschaft an die jungen Leute, die heute hier sind -: Die Ausbildungschancen für junge Leute sind derzeit in Deutschland so gut wie seit über 20 Jahren nicht mehr . Wir haben mehr als 522 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge, und es sind noch 41 000 Stellen offen . 41 000 Stellen warten auf junge Leute, die Interesse daran haben, eine Ausbildung zu beginnen . Auf der anderen Seite haben rund 21 000 junge Leute - die genaue Zahl steht im Bericht - noch keine oder noch nicht die richtige Ausbildung gefunden . Das ist eines der Probleme, an deren Lösung wir seit Jahren arbeiten, nämlich dass die Wünsche der Jugendlichen zu den Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt passen müssen . Viele unserer Instrumente - über einige werden wir ja heute in der Befragung vielleicht auch reden - sind darauf ausgerichtet, dies passend hinzubekommen und den jungen Leuten zu zeigen, wie vielfältig die Berufsmöglichkeiten und wie interessant die unterschiedlichen Berufe sind . Die Zahl der Ausbildungsverträge ist annähernd so hoch wie im letzten Jahr - nur ein klein wenig niedriger. Ein Grund dafür ist natürlich die demografische Entwicklung . Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt wesentlich weniger junge Leute haben, die in einen Ausbildungsberuf gehen können, dann macht sich das auch an der Zahl der Ausbildungsverträge bemerkbar . Zum anderen haben wir in den letzten Jahren natürlich auch ein gestiegenes Interesse am Studium bemerkt . Was für uns kritisch ist und uns Sorgen macht, ist die Tatsache, dass die Ausbildungsbetriebsquote, das heißt die Zahl der Betriebe, die ausbilden, verglichen mit der Gesamtzahl der Betriebe, gesunken ist . Wir liegen derzeit bei etwa 20 Prozent . Der Schnitt lag über viele Jahre bei 25 Prozent . Die Ausbildungsbetriebsquote ist seit 2009 gesunken . Wenn man genauer hinschaut, dann stellt man fest: Es sind nicht die großen und mittleren Betriebe diese bilden mehr oder auf gleichem Niveau aus -, sondern es sind vor allen Dingen die kleinen und kleinsten Betriebe, die nicht mehr ausbilden - zum Teil auch aus Resignation, weil sie über Jahre keinen Lehrling, keinen Auszubildenden mehr bekommen haben . Wir waren und sind stolz, dass es uns gelungen ist, die Zahl der jungen Leute, die im Übergangssystem sind darin waren einmal über 400 000 junge Leute -, Schritt für Schritt jedes Jahr zu senken, und zwar um insgesamt 165 000 . Jetzt sind erstmals nach einer Reihe von Jahren mehr junge Leute im Übergangssystem, nämlich 7 Prozent . Nach Auswertungen des BIBB handelt es sich um junge Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und sich jetzt im Übergangssystem in einer schulischen Fortbildung befinden. Das Übergangssystem ist ja das System, was jungen Leuten, die noch nicht ausbildungsreif sind, die Möglichkeit zur Ausbildungsreife bieten soll . Deswegen sind sie, glaube ich, an dieser Stelle ganz richtig aufgehoben . Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, dann stellt man außerdem fest: Vor allen Dingen bei den Jugendlichen mit ausländischer Staatsangehörigkeit - ich meine jetzt nicht die jungen Flüchtlinge, die gekommen sind, sondern die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, bei denen zum Teil schon die Eltern oder Großeltern nach Deutschland gekommen sind - nehmen zurzeit, obwohl es Steigerungen gab, nur rund 31 Prozent eine berufliche Ausbildung auf. Bei den deutschen Jugendlichen sozusagen sind es 56 Prozent . Deswegen sind Maßnahmen wie die KAUSA-Servicestellen für uns sehr wichtige Instrumente, um die Zahlen in diesem Bereich zu verbessern . Wir werden die Zahl der 13 KAUSA-Servicestellen in diesem Jahr verdoppeln, um sehr viel mehr junge Leute und junge Unternehmer mit Migrationshintergrund zu erreichen . Insgesamt kann man sagen, dass die Maßnahmen, die wir in der Allianz für Aus- und Weiterbildung vereinbart haben, greifen . Wir haben zum Beispiel 5 000 junge Menschen in einer assistierten Ausbildung . Wir treiben Dinge wie Bildungsketten in starkem Maße voran . Das ist immer noch das beste Instrument, um für eine berufliche Ausbildung zu werben und richtige Entscheidungen herbeizuführen . Letzte Bemerkung: Eine unserer großen Aktivitäten - eine Maßnahme unseres Hauses gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Bundesagentur - ist ein Programm, das 10 000 junge Leute, junge Flüchtlinge, in Ausbildung, in handwerkliche Berufe, bringen soll . Es gibt 41 000 unbesetzte Stellen . Wenn es uns wirklich gelingt, 10 000 dieser jungen Flüchtlinge in eine handwerkliche Ausbildung zu bringen, dann geht es um eine Größenordnung, die all das übertrifft, was wir durch viele Einzelinitiativen bisher erreicht haben . Darum ist das, wie ich glaube, eine Chance, die wir nutzen sollten, und damit kann sich die Lage in einer Situation, in der wir mehr Fachkräfte brauchen, in eine positive Richtung entwickeln .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herzlichen Dank . - Wir beginnen jetzt mit den Nachfragen . Die erste Nachfrage stellt Frau Hein .

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Ministerin, ich gebe zu, dass ich die positive Sicht, die Sie versucht haben zu verkünden, nicht so ganz teilen kann; denn aus den Daten und Zahlen, die uns bisher zugänglich waren, bzw . aus Zeitungsberichten oder Pressemitteilungen ist zu entnehmen, dass es an den signifikanten Stellen, über die wir in den letzten Jahren immer wieder geredet haben, lediglich Veränderungen von unter 1 Prozent gibt, und das seit dem Jahre 2012 . Deswegen können wir nicht von einer Verbesserung reden - wir würden es zumindest nicht tun -, sondern eher von einer Stagnation . Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich für mich die Frage: Vor kurzem wurde der Bericht zur Evaluation des Berufsbildungsgesetzes veröffentlicht . Auch die Bundesregierung ist zu dem Schluss gekommen, dass es nur marginaler Veränderungen bedarf . Ich würde Ihnen gern die Frage stellen, wieso wir unter diesen Gesichtspunkten, wo wir doch einen erheblichen Handlungsbedarf haben - das haben Sie zum Teil selbst gesagt -, einen geringen Novellierungsbedarf beim BBiG haben sollen . Danke schön .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Frau Hein, Sie haben von Stagnation gesprochen . Worauf beziehen Sie das? Auf die Zahl der Ausbildungsverträge?

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, 0,1 Prozent .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja . - Man überlege sich einmal, dass in dem Zeitraum von 2006 bis 2015, in dem das untersucht wurde, die Zahl der jungen Menschen, die die Schule verlassen und damit überhaupt in eine Ausbildung gehen könnten, um 14 Prozent zurückgegangen ist . Wenn man einmal diejenigen herausrechnet, die eine Studienberechtigung haben, und diejenigen nimmt, die keine Studienberechtigung haben - das sind ja in allererster Linie diejenigen, auf die wir im Ausbildungssystem warten -, dann sieht man, dass seit 2006 die Zahl der infragekommenden jungen Leute um 22 Prozent zurückgegangen ist, die Zahl der Ausbildungsverträge um 9 Prozent . Daran sieht man, dass es dort eine enorme Kraftanstrengung von allen beteiligten Seiten gibt - die spürt man -, und das würde ich nicht als Stagnation bezeichnen . Das muss man, auch wenn man in der Opposition ist, fairerweise registrieren . Sie haben außerdem von der Evaluation des Berufsbildungsgesetzes gesprochen . Den Schluss, dass das Berufsbildungsgesetz beispielsweise die Ursache der Passungsprobleme ist, kann ich überhaupt nicht teilen . Ich denke, wir werden über die Notwendigkeit einer Novellierung diskutieren . Aber dafür, dass das Gesetz novelliert werden muss, weil es an ihm liegt, dass es zu Passungsproblemen kommt, sehe ich kein Indiz .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Rainer Spiering .

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, herzlichen Dank für den Berufsbildungsbericht . Sie haben bei einem Unterpunkt die Flüchtlinge erwähnt und gesagt, dass sie jetzt vorrangig an Schulen unterrichtet werden . Ich möchte vorwegschicken: Wir haben heute Morgen ein Gespräch mit VW gehabt . Es ging auch darum, wohin es in Zukunft geht . Da wird es um die große Frage der Digitalisierung gehen . Eine zentrale Rolle im Rahmen der Berufsausbildung - ich glaube, da sind wir uns alle einig - spielt der Lernstandort Berufsschule, vielleicht sogar die zentralste Rolle . Vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Zukunft - Stichwort „Digitalisierung“, aber auch die vielen Menschen, die frohen Mutes nach Deutschland kommen - würde ich gerne wissen: Was plant die Bundesregierung im Bereich der Berufsausbildung, auch vor dem Hintergrund, dass Länder mit der Bewältigung dieser großen Herausforderungen völlig überfordert sind? Was machen wir im Rahmen der universitären Berufsschullehrerausbildung? Wie fördern wir sie? Wo stehen wir da?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und was plant die Regierung, um der Herausforderung „Digitalisierung des Lernstandortes Berufsschule“ gerecht zu werden?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Vielen Dank . - Die universitäre Berufsschullehrerausbildung ist ein Punkt, dem wir bei der Qualitätsoffensive Lehrerbildung besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben . Das ist ja ein Programm, bei dem es nicht darauf ankommt, die Länder zu entlasten, die natürlich die Hauptlast der Lehrerausbildung tragen, sondern bei dem es darum geht, neue Wege zu erproben, zum Beispiel hinsichtlich der Frage, wie man die Digitalisierung in der Lehrerausbildung, auch in der Berufsschullehrerausbildung, verankern kann . Ich glaube, mehr als die Hälfte der Projekte, die dort eingereicht wurden, beschäftigt sich mit diesem Thema, auch im Hinblick auf die Berufsschulen . Ich will aber nicht verhehlen, dass ich mir noch mehr konkrete Projekte gerade im Bereich der Berufsschullehrerausbildung gewünscht hätte, weil wir schon seit Jahren Probleme haben, überhaupt geeignete junge Leute zu finden, die sich für dieses Studium bewerben. Das ist also ein Aspekt, der für uns sehr wichtig ist . Das, was wir im Bereich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten machen, gehört zu den Maßnahmen, die wir im Rahmen unserer Kompetenzen durchführen können . Dort können wir mit Geld fördern, dort können wir mit Know-how fördern .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Wir wollen aber auch die betrieblichen Ausbilder im Bereich der Medieninformatik fit machen. Wir haben Projekte, in deren Rahmen wir jetzt ungefähr 1 200 Ausbilder in diesem Bereich weiterbilden . Das sind Bereiche, in denen die Bundesregierung Akzente setzt - aber natürlich nicht im Bereich der Berufsschulen, der in der originären Verantwortung der Länder liegt; da haben wir keinen Zugriff .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gut .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Aber in der Hinführung und auch in der Ausbildung der Berufsschullehrer und eben dann vor Ort, da sind wir als Bundes -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank . Wir hatten jetzt eine etwas längere Frage und eine folgerichtig etwas längere Antwort . Aber da es viele Nachfragen gibt, würde ich noch einmal darum bitten, dass wir uns um die Einhaltung der Grenze von einer Minute bemühen . - Frau Walter-Rosenheimer .

Beate Walter-Rosenheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004221, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben vorhin selbst erwähnt, dass viele Betriebe mittlerweile davon absehen, auszubilden, dass die Ausbildungsquote jetzt bei circa 20 Prozent liegt, nachdem es über Jahre hinweg 25 Prozent waren, und es vor allem kleine und Kleinstunternehmen sind, die sich da ausklinken . Meine Frage an Sie ist, ob Sie sich von einer Stärkung der überbetrieblichen Ausbildung versprechen würden, dass diese kleinen Betriebe und Kleinstunternehmen wieder Interesse an der Ausbildung gewinnen und sich dann vorstellen können, da wieder mitzumachen . Also, sehen Sie darin einen Weg?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja, sehe ich auf jeden Fall . Wir versuchen auch, die kleinen und kleinsten Betriebe zu stärken - das Problem ist ja nicht neu -, und haben zum Beispiel in einem Programm die Möglichkeit eröffnet, auch Verbundausbildung zu ermöglichen, also dass mehrere Betriebe gemeinsam die Ausbildung zum Beispiel eines Drehers realisieren . Die außerbetrieblichen Ausbildungsstätten sind ein ganz wichtiges Element, um die Betriebe zu motivieren und ihnen zu zeigen: Wenn die jungen Leute dort ausgebildet werden, dann können sie mehr als der Meister im Betrieb, vor allen Dingen im Hinblick auf Informatik und Digitalisierung .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katrin Albsteiger .

Katrin Albsteiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004242, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, herzlichen Dank für Ihren Bericht . Ich denke, dem Bericht ist durchaus zu entnehmen, dass es die eine oder andere Herausforderung gibt, den einen oder anderen Punkt, auf dem wir noch aufbauen müssen, auch politisch . Auf der anderen Seite wird aber durchaus auch bestätigt, dass unsere politische Arbeit erfolgreich gewesen ist . Wir sehen auch an der niedrigen Jugendarbeitslosigkeitsquote in unserem Land, dass die berufliche Bildung ein Erfolgsmodell ist . Mich würde interessieren, in welcher Art und Weise sich die Bundesregierung einsetzt, um auch in anderen europäischen Ländern dabei unterstützend tätig zu sein .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Es gab in den letzten Jahren nicht nur ein großes Interesse vonseiten anderer Länder in Europa, sondern auch vonseiten Chinas oder auch der amerikanischen Ministerin jetzt auf der Messe in Hannover an der dualen Ausbildung . Wir versuchen, diesem großen Interesse Rechnung zu tragen, indem wir alle, die damit befasst sind - ob das nun das Auswärtige Amt ist, ob das die Kammern sind -, an einen von uns koordinierten runden Tisch zu bringen und dort zu besprechen, wie zum Beispiel Griechenland oder anderen Ländern, die daran Interesse haben, das System der dualen Ausbildung zu vermitteln ist . Wir haben dafür beim BIBB in Bonn eine Anlaufstelle mit mittlerweile ungefähr 17 Mitarbeitern eingerichtet, die sich professionell um das Thema kümmern . Es geht nicht darum, dass wir unser duales Ausbildungssystem eins zu eins auf China übertragen . Vielmehr soll entschieden werden: Welche Elemente unserer dualen Ausbildung passen zu dem dortigen System, um die besondere Verbindung von betrieblicher und schulischer Bildung zu realisieren? Auch auf europäischer Ebene haben wir Abkommen geschlossen, um die duale Ausbildung beispielsweise nach Spanien oder in andere Länder zu übertragen . Man muss sagen: Unsere Firmen im Ausland, vor allem die größeren, versuchen immer, dort duale Ausbildung anzubieten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Binder .

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, zum 30 . September 2015 gab es 20 700 unversorgte Jugendliche . Die Allianz für Aus- und Weiterbildung hatte damals versprochen, wer bis dahin noch nicht vermittelt oder versorgt sei, solle von der BA drei Stellenangebote bekommen . Ich wüsste jetzt gerne: Wie viele dieser jungen Menschen haben tatsächlich Angebote erhalten, noch dazu drei Stück? Ich wüsste, wenn möglich, auch gerne: Wie viele davon konnten denn vermittelt werden?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Die Zahlen liegen uns nicht vor, das ist auch nicht so einfach nachzuverfolgen . Aber im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung sind wir mit dem Arbeitsministerium, das in Bezug auf diesen Part mehr Einsichtsmöglichkeiten hatte, auf einem guten Weg . Ich kann sagen, dass die Wirtschaft im Jahr 2015 7 300 zusätzliche Ausbildungsstellen zur Verfügung gestellt hat und dass es im März dieses Jahres im Vergleich zum März 2014 20 000 Ausbildungsstellen mehr gab .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rossmann .

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ein Erfolg ist ja auch, dass Bund und Länder zusammen mit den Tarifpartnern erreicht haben, dass die Zahl der Jugendlichen im sogenannten Übergangssystem deutlich zurückgegangen ist, von über 400 000 auf 250 000 . Ich frage mich, ob wir nicht besser statt von einem Übergangssystem von einem Einstiegssystem sprechen sollten, um der Denunziation, dass es dabei nur um Warteschleifen geht, schon vom Begriff her entgegenzutreten . Deshalb meine Frage: Haben Sie Ideen, wie man das Einstiegssystem alias Übergangssystem verbessern bzw . so ausrichten könnte, dass am Ende noch mehr junge Menschen einen direkten Einstieg in eine vollwertige Berufsausbildung erreichen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja, Herr Rossmann . - Wir wissen ja, dass „Übergangssystem“ einmal die richtige Vokabel war, weil es in einer Zeit, in der es bundesweit zu wenige Ausbildungsplätze gab, eigentlich ein Zwischenparken war . Wir wissen auch, dass die unterschiedlichsten Dinge im Übergangssystem stattgefunden haben . Unser Ziel ist, dass es ein Einstiegssystem für diejenigen wird, die wirklich der Unterstützung bedürfen . Wenn die Gruppe von Jugendlichen nicht zu groß oder zu heterogen ist - als Beispiel sind jene zu nennen, die schon eine Ausbildung haben, aber noch etwas Weiteres suchen -, dann ist es möglich, es noch mehr zu strukturieren . Derzeit haben wir ein sehr breitgefächertes Angebot, wobei wir in den Beratungen mit den Ländern natürlich immer auf das, was die Länder an der Stelle für eine optimale Lösung hielten, Rücksicht genommen haben . Aber wenn es sich auf die Kerngruppe konzentriert, dann kann es, glaube ich, auch strukturierter, also so, wie es Ihnen vorschwebt, gestaltet werden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Pothmer .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das passt ja . Bei meiner Frage geht es auch um das Übergangssystem . Frau Wanka, Sie haben in Ihrer letzten Haushaltsrede schon prognostiziert, dass die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem wieder anwachsen würde . Das hat mich, ehrlich gesagt, mit tiefer Sorge erfüllt; denn wir wissen ja, dass das Übergangssystem - das wissen wir aus den gemachten Erfahrungen, das wissen wir durch Evaluierungen - die an es gesetzten Erwartungen bei weitem nicht erfüllt, nämlich die Jugendlichen tatsächlich der Ausbildungsreife näherzubringen . Im Gegenteil: Das Übergangssystem wirkt eher demotivierend . Man kann zusammenfassend sagen: Es ist teuer und schlecht . Deswegen finde ich es hochgradig bedauerlich, dass wir in dieser Situation die Jugendlichen in dem, wie Sie ja selbst sagen, zumindest noch sehr breiten Angebot zwischenparken . Ich hätte von Ihnen deswegen gerne ein paar konkretere Hinweise darauf, wie Sie das Übergangssystem tatsächlich zu einem System des Einstiegs auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung entwickeln wollen .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich muss Sie korrigieren . Ich habe nicht gesagt, dass wir da jetzt junge Leute parken, sondern ich sagte, dass wir zeitweise - zum Beispiel zu Ihrer Regierungszeit war es so - eine hohe Anzahl an jungen Leuten in diesem Übergangssystem hatten . Da gab es wirklich viele Parkmöglichkeiten . Wir haben uns seit Jahren intensiv bemüht, sie zu reduzieren . Das ist auch gelungen - aber noch nicht hinreichend . Der jetzige Anstieg ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass man, was ich gut finde, sich um diese Jugendlichen bemüht und sie zumindest in eine schulische Vorbereitung im Hinblick auf eine Ausbildung bringt . Ansonsten glaube ich, dass die Maßnahmen, die wir auch in der Allianz verabredet haben, wie die assistierte Ausbildung oder die Begleitung von Jugendlichen, wenn sie nicht gleich in der Ausbildung Tritt fassen, durch ehrenamtliche Lotsen und andere, Wege sind, um etwas zu erreichen . Und damit die Jugendlichen nicht sozusagen ellenlang auf eine Ausbildung warten, vermitteln wir ihnen im Übergangssystem zielgerichtet die Qualifikationen, die ihnen fehlen - etwa ein fehlender Berufsabschluss oder ähnliche Dinge -, oder Qualifikationen in Richtung Digitalisierung, die neuerdings für viele Berufe gebraucht werden und vielfach nicht vorhanden sind .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Feist .

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, vielen Dank für den Berufsbildungsbericht . - Ich, und nicht nur ich, habe den Eindruck, dass die berufliche Bildung nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrem Haus verstärkt am Herzen liegt . Das freut mich sehr, weil die berufliche Bildung neben der akademischen Bildung eine ganz wesentliche Grundlage dafür ist, wie wir in Deutschland dastehen . Zwei Fragen habe ich konkret . ({0}) Bei meiner ersten Frage geht es darum, dass die kleinen und Kleinstbetriebe kaum noch ausbilden . Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass wir 2004 viele Meisterberufe, also Berufe, bei denen ein Meistertitel für die Übernahme eines Betriebes notwendig war, abgeschafft haben und somit die entsprechenden Betriebe überhaupt nicht mehr ausbilden? Gibt es da vielleicht Handlungsbedarf? Bei meiner zweiten Frage geht es um die Informationskampagne. Ich finde es wichtig, auch jungen Leuten zu vermitteln: Berufliche Bildung ist etwas wert. - Sie haben dazu auch etwas gesagt . Inwiefern könnte man denn die besonders begabten jungen Leute in der beruflichen Bildung, die beispielsweise bei den EuroSkills oder bei den WorldSkills sehr erfolgreich sind, als authentische Botschafter einsetzen? Denn wenn nur die Politik das macht, wird das nicht den gewünschten Erfolg haben . Das müssen gleichaltrige junge Menschen machen .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja, das ist ein Problem in Betrieben . Für eine Ausbildung ist im Handwerk ein Meister notwendig . Für die Berechnung der Ausbildungsbetriebsquote werden alle Betriebe gezählt, also auch die, die gar nicht ausbildungsberechtigt sind . Der Anteil hat sich natürlich erhöht aufgrund dieser Entscheidungen, die wir beide und viele andere in diesem Raum bedauern . Was die Informationskampagne betrifft, denke ich: Es wirkt immer am besten, wenn Gleichaltrige werben, also hier junge Leute, die in der beruflichen Bildung sind . Dass da die besonders Leistungsstarken von uns noch stärker eingespannt oder genutzt werden sollen, ist eine der Überlegungen in unserem Haus . Wir haben heute eine neue Informationskampagne gestartet, bei der wir uns sehr stark daran orientiert haben, dass die jungen Menschen sehr stark über Facebook und ähnliche Informationskanäle miteinander kommunizieren . Wir hoffen, dass das auch ein Beitrag ist, um deutlich zu machen, wie attraktiv duale bzw . betriebliche Ausbildung in Deutschland ist .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kai Gehring .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, die Hälfte der nach Deutschland Geflüchteten ist bekanntlich unter 25 Jahre jung. Das heißt, es geht um mehr als eine halbe Million junger Menschen . Gerade haben Sie einmal mehr verkündet, dass bei der Qualifizierungsinitiative „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“ das BMBF mit ZDH und BA zusammen Geflüchtete so unterstützen wollen, dass sie einen von 10 000 angekündigten zusätzlichen neuen Ausbildungsplätzen erhalten . Uns interessiert natürlich sehr: Wie hat sich dieses Programm entwickelt? Angesichts der genannten Zahlen kann das ja nicht alles sein . Was tun Sie darüber hinaus, um Flüchtlinge in Ausbildung zu vermitteln und sie dort auch zu einem entsprechenden Ausbildungserfolg zu führen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Herr Gehring, als ich einmal las, was Ihre Fraktion sich wünscht, habe ich mir dabei gedacht: „Die Grünen kannten unser Programm ‚Wege in Ausbildung‘ schon vorher“, weil Sie viele Elemente dieses Programms angesprochen haben . Dieses Programm ist zum 1 . April dieses Jahres gestartet . Es tut mir leid, aber ich kann jetzt noch keinen Zwischenbericht dazu liefern, wie es sich gestaltet . Wichtig ist aber, wie viele Ausbildungsplätze vom Handwerk zur Verfügung gestellt werden; denn das Programm funktioniert nur - das ist die Bedingung -, wenn konkrete Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden . Ein Ausbildungsbetrieb muss sagen: Ich möchte gerne einen jungen Flüchtling als Auszubildenden . - Das waren auf Anhieb über 2 700 Betriebe, glaube ich . Diese Zahl wird jetzt natürlich gesteigert . Darüber hinaus leisten wir eine Vielfalt von Dingen . Zum Beispiel ist es im Rahmen des Anerkennungsgesetzes - Stichwort „Validierung“ - möglich, dass Fertigkeiten von jungen Flüchtlingen, die keinen Abschluss haben - haben sie ja in der Regel oft nicht, weil es in ihren Herkunftsländern keine Ausbildung gibt und sie nur über eine Grundbildung verfügen -, aber praktische Fähigkeiten besitzen, weil sie zum Beispiel jahrelang in einer Schmiede oder Schusterei gearbeitet haben, auf Basis des Systems, das wir jetzt bundesweit gemeinsam mit den Kammern entwickeln, im Rahmen einer Ausbildung berücksichtigt werden, wenn die Jugendlichen einen entsprechenden Abschluss erwerben wollen . Zum Teil können Sie sogar gleich einen entsprechenden Abschluss bescheinigt bekommen . Alles, was wir in den Bereichen Sprache und Integration machen,

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Redezeit!

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Okay .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Den Satz können Sie natürlich zu Ende sprechen . ({0})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

- jetzt war ich ganz diszipliniert, und dann passt es auch wieder nicht - sind Maßnahmen auf dem Wege dorthin .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sehr schön . - Sven Volmering .

Sven Volmering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004432, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, vielen Dank auch von meiner Seite für den Bericht . Mich würde interessieren, wie Sie die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im nächsten Ausbildungsjahr einschätzen, um auch einmal einen Blick in die Zukunft zu werfen .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Im März eines jeden Jahres werden vorläufige Zahlen veröffentlicht . Wenn man die Zahlen dieses Jahres mit den Zahlen aus 2015 vergleicht, sieht man, dass sich die Tendenz, die wir derzeit haben, fortsetzt . Das heißt, die Relation zwischen offenen Stellen und Bewerbern wird aus Sicht der jungen Leute noch besser . Die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen ist erheblich größer geworden . Diese Entwicklung bricht also nicht ab, sondern diese Tendenz setzt sich nach den ersten Zahlen, die für 2016 vorliegen, fort .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau De Ridder .

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Gestern war der Tag des Brotes . Wir hörten allenthalben, dass auch die Bäcker Probleme haben, Auszubildende zu gewinnen . Sie haben eben völlig zu Recht zwischen Bildungsinländerinnen und Bildungsinländern und geflüchteten Jugendlichen, die möglicherweise hier in Ausbildung kommen wollen, differenziert . Sie sahen in diesen jugendlichen Flüchtlingen auch eine Zielgruppe für das Handwerk . Mich würde vor dem Hintergrund Ihrer Sicht auf den Ausbildungsmarkt interessieren, was Sie für die Qualitätsoffensive Lehrerbildung zu tun gedenken, und zwar nicht nur mit Blick auf die Berufsschullehrer, sondern auch mit Blick auf grundsätzliche didaktische Überlegungen . Das Thema „Digitalisierung“ haben Sie erwähnt . Ich bin sicher, Sie haben noch weitere gute Ideen .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung ist ein Wettbewerb . Der Bund zahlt eine halbe Milliarde, die Länder null . Dieser Wettbewerb läuft . Das heißt, wir sagen nicht: „Ihr müsst das und das machen“, sondern im Rahmen dieses offenen Wettbewerbs gehen verschiedene Anträge ein, in denen es zum Beispiel darum geht, wie wir für eine bessere Inklusion in der Grundschule sorgen können, wie wir die berufliche Ausbildung betriebsnäher gestalten können oder wie wir die Digitalisierung fördern können . Diese Anträge sind wissenschaftlich bewertet worden, und dann wurde der Zuschlag erteilt . Das läuft jetzt . Und es besteht die Verpflichtung, Best-Practice-Beispiele flächendeckend umzusetzen. Man bekommt also nicht Geld, um etwas nur zu erproben, sondern wenn man sagt: „Das ist gut“, dann muss das auch in die Curricula der unterschiedlichen Lehrerbildungsinstitutionen übernommen werden . Ich kann also nicht vorschreiben, was genau gemacht werden soll . So war das nicht gedacht . An dieser Stelle muss man auf die Kreativität und den Intellekt der Betreffenden vertrauen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Mutlu . - Er rechnet noch gar nicht damit, dranzukommen . ({0})

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, danke . Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass ich so schnell drankomme . - Meine Frage an die Ministerin lautet: Welchen Beitrag will die Bundesregierung zur Erreichung der Ziele des Dresdener Bildungsgipfels leisten, insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Halbierung der Zahl der Schulabbrecher und der Zahl der jungen Menschen ohne Berufsausbildung?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Herr Mutlu, auf dem Dresdener Bildungsgipfel wurden ja bestimmte Zielzahlen formuliert, zum Beispiel, wie Sie sagten, die Halbierung der Zahl der Schulabbrecher . Man kann feststellen, dass die relevanten Indikatoren und Kenngrößen für alle Ziele, die man sich vorgenommen hat, in die richtige Richtung weisen: weniger Schulabbrecher, mehr Studium und Lehre und anderes . Nicht in jedem Fall ist die Zielzahl erreicht, wobei sich der Gipfel auf das Jahr 2015 bezieht . Es muss also erst noch einmal genau evaluiert werden, wie viel wir bis zu dem Zeitpunkt erreicht haben . Der Gipfel hatte den Effekt, dass sich jede dieser Größen verbessert hat, ({0}) dass also die Indikatoren von allen Ländern - es geht ja auch viel um das Schulsystem - sehr viel stärker angenommen wurden . Für mich ist der Bildungsgipfel also ein ganz wichtiges Instrument gewesen, um die Bildungsrepublik Deutschland ein Stück voranzubringen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Uwe Schummer .

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei meiner Frage geht es um junge Menschen, die eine Hochschulausbildung beginnen und dann während des Studiums erkennen, dass eine berufliche duale Ausbildung für sie doch besser wäre . Welche Instrumente gibt es, um Kompetenzen von Studienabbrechern in der dualen Berufsausbildung anzuerkennen und die Ausbildungsmöglichkeiten zu beschleunigen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich habe mir das angeschaut . Meist konzentrieren wir uns darauf, wie man den Schwächsten helfen kann, dass sie doch noch eine Ausbildung machen und abschließen . Viel zu wenig im Blick der gesamten Wirtschaft sind die jungen Leute, die pfiffig sind, die ein Studium beginnen und es dann aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel, weil es sie langweilt oder weil es im Privatleben Veränderungen gibt, abbrechen . Deswegen haben wir eine Kampagne gestartet, dass man, wenn man aus der Hochschulausbildung in die duale Ausbildung wechselt, nicht bei null anfangen muss, sondern dass anerkannt wird, was man geleistet hat, und man dadurch auf einer bestimmten Stufe einsteigt . Dazu haben wir in der Bundesrepublik 18 große Projekte laufen . Es gibt - dies hatte ich so gar nicht erwartet - sehr große Resonanz von den jungen Leuten, von den Studienabbrechern, -umwandlern oder wie auch immer, die sich getraut haben und erstaunt waren, wie begeistert man bei der Industrie- und Handelskammer darüber war, dass sie Lust haben, jetzt einen Beruf zu erlernen . Das hat also sehr viel bewegt, auch in den Hochschulen . Man kümmert sich jetzt um diese jungen Leute, vermittelt sie sozusagen und zeigt ihnen, dass sie Chancen in der dualen Ausbildung haben . Denn wir brauchen die Schwächeren und auch die Leistungsstarken .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

So, ich habe jetzt noch erneute Nachfragen von Frau Hein, den Kollegen Rossmann, Pothmer, Gehring und Spiering . Damit würde ich dann gerne diesen Teil der Befragung abschließen . Jedenfalls hat sich niemand noch zusätzlich gemeldet . ({0}) - Frau Pothmer, hatte ich Sie gerade nicht aufgerufen? Sie stehen bei mir auf dem Zettel . Okay . - Frau Hein .

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich finde es ein bisschen schwierig, dass man den Vergleich zum Jahr 2005 suchen muss - in dem Jahr hatten wir eine hohe Zahl von Schulabgängern -, um eine Verbesserung des Übergangs in Ausbildung zu konstatieren . Ich hatte mich auf das Jahr 2012 bezogen . Seitdem verändern sich die Zahlen nur noch marginal. Das ist, finde ich, auch schon ein Problem . Deshalb habe ich noch eine Frage zum Übergangsbereich . Auch er verändert sich seitdem nur marginal von etwa 260 000 auf 257 000 . Nun liegt die Zahl dieses Jahr bei 270 000 . Sie haben das mit dem Aufwuchs durch die Beschulung Geflüchteter begründet. Ich würde gern wissen, woher Sie diese Zahlen nehmen, ob Sie das verifizieren können . Sie sind meines Wissens nicht erhoben worden . Wenn Sie sie kennen, wie hoch wäre denn die Zahl im Übergangsbereich ohne die Geflüchteten?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich habe sie nicht erhoben, aber das BIBB hat auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes signalisiert, dass diese Größenordnung, diese 7 Prozent, der Zahl der geflüchteten Jugendlichen entspricht, die in das Übergangssystem, in die schulische Bildung gekommen sind . Das ist die Auswertung des BIBB . Ich selbst habe keine Untersuchung veranlasst . Aber das BIBB ist ja die Institution, die die Daten für den Ausbildungsmarkt erhebt .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rossmann .

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, in dem Bericht weisen Sie ja ehrlich darauf hin, dass es in Deutschland rund 2 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss gibt . Gleichzeitig haben Sie auf diese Initiative zwischen DIHK, Handwerk und Ihnen, ValiKom, verwiesen, bei der es um die Feststellung von dem, was die können, im formellen und informellen Bereich geht . Welche Gedanken verfolgt die Regierung, um nicht nur Kompetenzen und Lücken festzustellen, sondern auch nachzuhelfen, dass die Betroffenen einen vollwertigen Berufsabschluss erlangen können? Wird auch in Bezug auf diese jungen Menschen - wir kennen dies vom Anerkennungsgesetz - ein System zur Nachqualifizierung aufgebaut? Was sind Ihre Initiativen dazu?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Geplant ist, dass wir nicht nur Kompetenzen und Lücken feststellen und sagen, was noch fehlt, um zum Beispiel Friseur zu werden . Allerdings können wir nicht in jedem Fall die entsprechende Nachqualifizierung, die noch fehlt, realisieren . Wir haben große Programme, zum Beispiel im Arbeitsministerium das Programm „2 . Chance“ . Dieses Programm bietet allen jungen Menschen zwischen 25 und 34 die Möglichkeit, einen beruflichen Abschluss zu erwerben. Wenn man hier qualifiziert vorhandene Kompetenzen einschätzt - das gab es ja bis jetzt noch nicht -, kann man dazu beitragen, dass dieses Programm mehr als bisher genutzt wird; denn in vielen Bereichen wird es noch nicht genutzt. Vielleicht ist es, finanziell gesehen, nicht so attraktiv, weil die Betroffenen in Arbeit sind . Wenn es aber die Chance gibt, dass ihre praktischen Fähigkeiten wirklich qualifiziert bewertet werden, dann, glaube ich, werden die Instrumente, die wir schon haben, noch sehr viel stärker genutzt . Darüber hinaus müssen wir innerhalb der Regierung überlegen, welche Nachqualifizierungsmöglichkeiten wir, ähnlich wie beim Anerkennungsgesetz, aus dem Bereich der BA anbieten können .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Pothmer .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung hat die Wirtschaft im Dezember 2014 die Schaffung von 20 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen zugesagt; bereitgestellt hat sie bis jetzt 7 300 . Meine Frage ist: Welche Konsequenz hat dies für die weitere Arbeit in der Allianz? Was wollen Sie tun, um diese Lücke zu schließen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Dieses Angebot der Wirtschaft, das sie gemacht hat, ist in der nächsten Sitzung der Allianz natürlich ein Thema . ({0}) Ich kann Ihnen dazu folgende Auskunft geben: Dass bis Ende letzten Jahres 7 300 Ausbildungsplätze zusätzlich bereitgestellt worden sind, ist völlig korrekt; das sind noch längst nicht 20 000 . Vergleicht man die Zahl der Ausbildungsplätze, die im März dieses Jahres gemeldet worden ist, mit der entsprechenden Zahl vom März des vorletzten Jahres, kann man allerdings ein Plus von 20 000 Plätzen verzeichnen . Das heißt nicht unbedingt, dass am Ende in Summe auch 20 000 mehr da sein werden. Dafür zu sorgen, ist die Verpflichtung der Wirtschaft; diese Zusage muss erfüllt werden . Aber bestrafen können wir sie, sollte dies nicht geschehen, nicht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Spiering .

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ angesprochen . Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob alle Mittel aus dieser Qualitätsoffensive abgeflossen sind, wenn nein, wie groß die Restbestände sind, und ob sich die Bundesregierung vorstellen kann, diese Mittel speziell für die Ausbildung von Berufsschullehrern mit Blick auf die Kernkompetenz Methodik/Didaktik auszuloben .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Bei der Qualitätsoffensive gehen gerade die Projekte der zweiten Bewilligungsrunde an den Start . Danach muss geschaut werden: Wie viele Mittel sind abgeflossen, und welche Maßnahmen werden nach der Zwischenevaluation weiterhin gefördert? Ich gehe davon aus, dass wir eine bestimmte Summe zur Verfügung haben werden . Die Überlegung, die Ausbildung von Berufsschullehrern bzw . von Lehrern im Allgemeinen eventuell besonders in den Fokus zu nehmen, wird in unserem Haus angestellt .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Nachfrage zu diesem Themenkomplex: Kai Gehring .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Frau Ministerin, in dieser Woche ist der bundesweite Girls’ and Boys’ Day . Was unternimmt die Bundesregierung eigentlich jenseits dieses symbolischen Aktionstages, um das nach wie vor sehr geschlechtsspezifische Ausbildungs- und Berufswahlverhalten von Mädchen und Jungen aufzubrechen und beiden Geschlechtern ein möglichst breites Spektrum an Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten aufzuzeigen? Wir glauben, das würde beim Matching helfen, und das wäre auch ein Beitrag dazu, kein Talent zurückzulassen .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ganz klar: Das ist ein Instrument . Ich zum Beispiel bin morgen im Naturkundemuseum, ({0}) und zwar gemeinsam mit jungen Frauen, die sich dafür interessieren . Unser Haus hat im Rahmen seiner 20 000 Projekte ein großes Paket von Maßnahmen zusammengestellt - ich stelle es Ihnen gerne schriftlich zur Verfügung -, um die MINT-Fächer zu stärken und Frauen mehr als bisher für eine berufliche Ausbildung oder ein Studium in diesem Bereich zu motivieren . Ich kann diese Maßnahmen hier nicht alle aufzählen . Ich kann Ihnen aber einen Erfolg im Bereich der akademischen Ausbildung nennen: Mittlerweile sind 40 Prozent aller Bachelorstudenten der MINT-Fächer Frauen; im OECD-Durchschnitt sind es 26 Prozent . Auf dem Gebiet der beruflichen Ausbildung ist die Situation leider eine andere . Gerade bei den technischen Berufen haben wir einen vergleichbaren Erfolg bisher noch nicht erzielt . Das Interesse ist noch zu gering, und der Anteil junger Frauen in der beruflichen Ausbildung ist hier viel geringer als im akademischen Bereich . Deswegen ist es in meinem Haus ein Schwerpunkt, die Dinge, die bei der akademischen Ausbildung gut funktioniert haben, genau zu analysieren, um herauszufinden, was man mit Blick auf die berufliche Bildung tun kann, vor allen Dingen im Hinblick auf die Mädchen . Mit Blick auf Studentinnen der Informatik und solche Frauen, die in diesem Bereich eine berufliche Ausbildung machen, gehen wir das jetzt an . Aber hier ist, wie gesagt, noch mehr zu tun als im akademischen Bereich .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht und die Beantwortung der Fragen . Ich hatte bei der Nachfrage des Kollegen Gehring einen Augenblick lang die Sorge, dass er mit Blick auf den Boys’ and Girls’ Day fragen wollte, ob nicht auch dies gesetzliche Feiertage werden müssten, ({0}) und zwar jeweils gesondert . Ich bin vollständig beruhigt, dass uns diese Frage, jedenfalls heute, nicht als akuter Handlungsbedarf erreicht . Ich darf jetzt fragen, ob es weitere Fragen an die Bundesregierung gibt . - Bitte schön, Frau Haßelmann .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich habe eine Frage an die Bundesregierung in Bezug auf einen möglichen Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch, in dem es um die sogenannte Majestätsbeleidigung geht . Die Bundeskanzlerin hat ja letzte Woche in einer Pressekonferenz angekündigt, dass sie beabsichtigt, den § 103 Strafgesetzbuch - Majestätsbeleidigung - jetzt sehr schnell und sehr zeitnah abzuschaffen . Ich habe daneben öffentliche Äußerungen von Herrn Kauder, dem Fraktionsvorsitzenden, dazu gelesen, und auch von Herrn Oppermann war zu vernehmen, dass er hier initiativ werden möchte . Meine Frage an die Bundesregierung lautet deshalb: Wann gedenken Sie, den Gesetzentwurf zeitnah in den Deutschen Bundestag einzubringen? ({0})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Das war nicht Gegenstand der Beratungen im Kabinett . ({0}) - Ja, das darf ich doch .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Im Rahmen unserer Geschäftsordnung ist gefragt worden, ob es unabhängig von den heutigen Themen in der Sitzung des Kabinetts Überlegungen oder gar Festlegungen der Bundesregierung dazu gibt . ({0})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Bei der Abschaffung des § 103 StGB geht es ja auch um die Fragen, wie das Verhältnis zum Bundespräsidenten ist usw . Hier sind wir in einer intensiven Diskussion und Abstimmung . Es ist unsere Absicht, alle Folgerungen genau zu bedenken, bevor wir an eine Änderung des Gesetzes gehen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident . - Ich habe dazu eine Ergänzungsfrage . Mindestens genauso interessant wie die Frage, wann das eingebracht wird, ist ja die Frage, was in dem Gesetzentwurf dazu stehen wird, ab wann dieses Gesetz in Kraft tritt . Wird bei den Überlegungen, die Sie ja in den Raum gestellt haben, auch berücksichtigt, ob das Verfahren gegen Herrn Böhmermann zu diesem Zeitpunkt schon zu Ende ist, weshalb ihm die Aufhebung der Bestimmung nicht mehr zugutekommen kann, oder geht das seinen normalen rechtlichen Gang, sodass möglicherweise auch Herr Böhmermann noch in den Genuss der Aufhebung dieses Paragrafen kommen kann?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben über diesen Punkt noch nicht entschieden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich darf im Übrigen darauf aufmerksam machen: Auch der Gesetzgeber wird sich mit diesem Text beschäftigen müssen . - Frau Künast, vielleicht können Sie das für den Rechtsausschuss auch noch einmal unterstreichen . ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für den Hinweis, Herr Präsident . Natürlich werden dazu am Ende intensivste Beratungen im Rechtsausschuss dieses Hauses und drei Lesungen stattfinden müssen . Das war aber gar nicht der Kern meiner Frage . Frau Wanka hat gesagt, sie würden das alles beraten . Die Kanzlerin hat aber selber verlautbart bzw . unwidersprochen verlautbaren lassen, dass sie eine Aufhebung des § 103 StGB will, in dem es um die sogenannte Majestätsbeleidigung geht . Dies solle aber erst 2018 in Kraft treten . Daran schließt sich ja die Frage an: Soll das so sein, oder ist das noch offen in der Diskussion, sodass man das unter gehöriger Beteiligung des Rechtsausschusses auch innerhalb von drei bis vier Monaten - selbst inklusive einer Anhörung - entscheiden kann? Ich frage danach, weil ich jetzt gerne einmal wissen möchte, ob 2018 stimmt oder ob Sie das hier widerrufen . ({0}) Wenn es stimmen sollte, dann stellt sich natürlich die Frage: Warum sollte aus heutiger Sicht 2018 etwas richtig sein, was 2016 noch nicht richtig sein soll, nämlich die Abschaffung?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin, es hat selten die Gelegenheit zu Widerrufen gegeben . Das ist eine seltene Vorlage .

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich wollte nur sagen: Netter Versuch, aber meine Antwort ist klar . ({0}) - Die, die ich gerade gegeben habe . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Frau Künast, der Gesetzgeber sitzt nicht auf der Regierungsbank . Völlig unabhängig, zu welchem Zeitpunkt die Regierung einen Gesetzentwurf einbringen will: Ob und wann dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird, entscheidet der Bundestag . Das könnte früher oder später sein, als die Überlegungen der Bundesregierung vorsehen, ({0}) die offenkundig noch nicht abgeschlossen sind . - Frau Haßelmann .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Seien Sie versichert, Herr Präsident, dass wir wissen, dass wir das Parlament und damit der Gesetzgeber sind . Noch lieber wäre es mir, wenn Frau Wanka sagen würde: Wir bereiten gar keinen Gesetzentwurf vor, sondern wir schließen uns dem Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 103 StGB von Bündnis 90/Die Grünen an, der schon eingebracht ist, und müssen gar keine eigene Arbeit mehr leisten . - Von daher ist meine Frage: Haben Sie sich denn mit unserem Gesetzentwurf vielleicht schon befasst, da Sie im Moment doch alle Aspekte erörtern?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich betone noch einmal, dass dies der Bereich des regierungsinternen Handelns ist. Über diesen befinden wir in der Regierung und informieren dann .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt liegt mir noch der Wunsch des Kollegen Kekeritz nach einer Frage zu anderen Themen vor . Oder hat sich das erledigt? ({0}) - Wer nicht da ist, kann auch keine Fragen stellen . - Dann schließe ich damit die Regierungsbefragung ab . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/8190 Wir beginnen in dieser Woche mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die Frage 1 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer wird schriftlich beantwortet . Damit können wir diesen Bereich wieder verlassen . Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Hier steht die Kollegin Fischbach zur Beantwortung zur Verfügung . Auch die Fragen 2 und 3 der Kollegin Scharfenberg werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zur Frage 4 der Kollegin Pia Zimmermann: Seit wann haben nach Kenntnis der Bundesregierung welche staatlichen bzw . im öffentlichen Auftrag tätigen Institutionen Kenntnis von dem jetzt bekanntgewordenen systematisch organisierten Betrug in der Pflege?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bericht des Bundeskriminalamtes vom Oktober 2015 wurde dem Bundesministerium für Gesundheit am 22 . April 2016 übermittelt . Darüber hinaus stand nach Informationen der Bundesregierung eine Information des BKA über die Erkenntnisse zum Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch sogenannte russische Pflegedienste in Berlin auf der Tagesordnung der Sitzung vom 10 . und 11 . März 2016 der Konferenz der obersten Landessozialbehörden . An dieser Veranstaltung hat kein Ressort der Bundesregierung teilgenommen . Der dortige Vortrag des BKA sollte der Sensibilisierung der nachrangigen Träger der Sozialhilfe dienen . Dem Bundesministerium des Innern wurde der Auswertebericht des BKA am 19 . April 2016 zugesendet . Das BKA hat das BMI am 25 . April 2016 darüber informiert, dass die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen über den GKV-Spitzenverband seit November 2014 in die Auswertung eingebunden waren, dass das BKA die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände im Dezember 2015 über die Ereignisse der strategischen Auswertung informiert und um Sensibilisierung nachgeordneter Stellen in eigener Zuständigkeit gebeten hat, dass im Dezember 2015 das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, NRW, als Geschäftsstelle der Konferenz der obersten Landessozialbehörden durch Versand eines Berichts informiert worden ist, dass mit Schreiben vom 30 . September 2015 das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales dem BKA mitteilte, dass das Anliegen des BKA am 4 . Dezember 2015 in der Arbeitsgruppe der KOLS „Auswirkungen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs/des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes - PSG II - auf die Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ behandelt wurde . Das Ministerium für Gesundheit ist kein Mitglied dieser Konferenz .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachfrage? - Bitte schön .

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Vielen Dank für die Beantwortung der Frage . Allerdings fehlt mir ein bisschen die Bezugnahme auf die Systematik in der ganzen Geschichte . Das ist der erste Punkt . Der zweite Punkt: Mir fehlt eine Aussage zur Mitverantwortung der Bundesregierung . Deshalb möchte ich auf Ihre Antwort eingehen und Sie fragen: Worin sieht die Bundesregierung denn die Ursachen für diesen systematischen Betrug in der Abrechnung von Pflegeleistungen, und wie bewertet sie ein mögliches Mitverschulden ihrerseits, was die bestehende Gesetzgebung angeht? Ich muss noch dazu sagen: Ich finde es einigermaßen verwunderlich, dass vonseiten der Bundesregierung so wenig Selbstkritik kommt . Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie es doch befürwortet, dass Pflege auch in private Hände kommt, dass man sich mit der Pflege finanziell verbessern kann bzw . dass man mit der Versorgung von kranken und pflegebedürftigen Menschen Gewinn machen kann . Insofern wäre es doch gut, zu sagen, welche Mitverantwortung die Bundesregierung in Bezug auf die vorliegenden Sachverhalte hat .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich kann Ihnen versichern, dass wir mit unseren Gesetzentwürfen gerade für den Pflegebereich alles tun, damit die Menschen, die Pflegeleistungen brauchen, diese auch bekommen . Wir tun alles, damit sie die hochqualitativen Pflegeleistungen und die Unterstützung bekommen, die sie brauchen . Ich weise darauf hin, dass die Machenschaften, die jetzt bekannt geworden sind, nicht der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, weil sie sich unterhalb der Schwelle befinden. Es handelt sich hier um organisierten Betrug, mit dem man in dieser Weise nicht rechnen konnte . Wir haben dann aber die notwendigen Schritte veranlasst . Das heißt, wenn ein Betrugsfall durch Hinweise aufgedeckt wird, dann müssen an erster Stelle die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden . Sie müssen ihre Arbeit tun; denn den Hinweisen muss natürlich in strafrechtlicher Hinsicht nachgegangen werden . Ein zweiter Schritt besteht dann darin, dass die verantwortlichen Stellen im Gesundheitswesen an einen Tisch geholt werden müssen, um die Sache zu klären . Das hat der Bundesminister für Gesundheit sofort getan, nachdem er Kenntnis von diesem Sachverhalt bekommen hatte . Ich denke, damit sind wir in einem ersten Schritt unserer Verantwortung nachgekommen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Klein-Schmeink . Präsident Dr. Norbert Lammert

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Waren der Bundesregierung und dem Gesundheitsministerium die Problemanzeigen des Berliner Senats aus dem Jahre 2012 sowie die Veröffentlichungen der AOK Nordost dazu bekannt, mit denen darauf hingewiesen wurde, dass ein Drittel der 560 in Berlin zugelassenen ambulanten Pflegedienste falsch abrechnet? Wenn ja, was haben Sie dann nachfolgend ab dem Jahr 2012 in dieser Hinsicht unternommen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, nachdem diese Dinge damals in der Amtszeit des Vorgängers von Hermann Gröhe im Gesundheitsministerium besprochen worden waren, wurden mit dem Inkrafttreten des Assistenzpflegegesetzes zum 1 . Januar 2013 - dabei geht es um Änderungen im SGB XI - die Zusammenarbeit und der Datenaustausch zwischen Pflegekassen, Krankenkassen und Sozialhilfeträgern bei Fehlverhalten und in Betrugsfällen verbessert .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Terpe .

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Staatssekretärin, ich möchte da noch einmal nachhaken . Gibt es denn konkrete Gegenmaßnahmen, die die Vorgänger von Herrn Gröhe - vielleicht auch Herr Gröhe selbst - eingeleitet haben, als diese zwei Hinweise aus Berlin in den Jahren 2012 und 2014 - es war ja nicht nur ein Hinweis, sondern es waren zwei - bekannt wurden?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, wir haben bei den Gesetzgebungsverfahren zu den Pflegestärkungsgesetzen I und II alle Hinweise und Informationen, die uns vorlagen, in die Beratungen miteingebracht. Mit beiden Pflegestärkungsgesetzen haben wir eine Vielzahl von Regelungen auf den Weg gebracht, um die Qualität und auch die Prüfungs- bzw . Kontrollmöglichkeiten zu verbessern . Ich nenne in dem Zusammenhang beispielhaft die unangemeldeten Besuche, die in Verdachtsfällen möglich sind . Weiter nenne ich das Beispiel, dass seit Januar dieses Jahres der MDK im Bereich der Abrechnungen Prüfungen vornehmen muss . Vorher war es eine Kannleistung . Es gibt also eine Menge von Regelungen, die wir mit den beiden Pflegestärkungsgesetzen eingeführt haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Binder .

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Mich würde interessieren, in welcher Form Pflegebedürftige und ihre Angehörigen unterstützt werden, wenn sie sich aufgrund eines Betrugsverdachtes an den Bevollmächtigten wenden? Ich würde in dem Zusammenhang auch gerne wissen, wie in diesem Bereich mit Whistleblowerinnen umgegangen wird. Im vergangenen Jahr wurde elf Pflegekräften fristlos gekündigt, weil sie auf Missstände aufmerksam gemacht haben. Ich finde, dass diese Missstände in einem direkten Zusammenhang mit den Betrugsvorwürfen zu betrachten sind . Denn letztendlich werden diese Betrügereien begangen, weil in der Pflege zu wenig Zeit, zu wenig Personal und zu wenig Material eingesetzt werden, um die Menschen anständig zu versorgen .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich möchte noch einmal ganz deutlich machen, dass wir aufgrund dieses organisierten Betruges nicht alle Pflegebedürftigen und ambulanten Pflegedienste in einen Topf werfen und sie alle gleichsam mitverurteilen dürfen . Dagegen wehre ich mich ganz entschieden . Der Großteil unserer Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte leistet eine hervorragende, qualitativ wertvolle Arbeit und ist mit Herzblut dabei . ({0}) Deshalb kann ich das so nicht stehen lassen . Diejenigen, die Beanstandungen haben, können sich an den Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung wenden . Er kümmert sich darum, wie er es auch getan hat, als er den Brief aus Berlin bekommen hat . Die Hinweise, die wir bekommen, fließen in unsere politischen Beratungen mit ein .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich jetzt die Frage 5 der Kollegin Zimmermann auf: In wie vielen Fällen wurde der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pflege, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, über Verdachtsfälle oder Unregelmäßigkeiten in der Leistungsabrechnung in Pflegeeinrichtungen seit seinem Amtsantritt informiert, und welche Maßnahmen wurden davon ausgehend von der Bundesregierung ergriffen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Die Fragen 4 und 5 gehen eigentlich in eine Richtung . Daher können wir gleich zu den Zusatzfragen kommen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Frau Zimmermann .

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Fischbach, zu Frage 5 muss ich noch einmal nachfragen, was ganz genau passiert ist, nachdem Sie von dem Bezirksstadtrat von Dassel aus Berlin vor mehr als zwei Jahren aufgefordert wurden, seitens des Bundes aktiv zu werden, um den Nährboden für solchen Betrug trockenzulegen . Ich wiederhole: vor mehr als zwei Jahren . Sie haben lediglich den völlig leeren und nutzlosen Pflege-TÜV eingesetzt. Das war aber schon alles . Darum frage ich noch einmal: Welche Maßnahmen - und zwar Maßnahmen, die sofort beginnen und nicht erst im Jahr 2020 - hat die Bundesregierung ganz konkret ergriffen? Wenn Sie an dieser Stelle sagen, dass Sie so wenig gewusst haben, dann muss ich feststellen, dass Sie die konkrete Lage in vielen Pflegesituationen anscheinend gar nicht kennen. Denn sonst wäre seit den ersten Pflegeskandalen in den letzten zehn Jahren sehr viel mehr passiert . Ich frage Sie jetzt noch einmal ganz konkret: Welche Sofortmaßnahmen sind bzw . werden geplant, um die Personalsituation zu verbessern?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich nenne Ihnen zunächst die Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben, nachdem einzelne Hinweise eingegangen sind . Wir reagieren auf alle Hinweise . Ich sage es noch einmal: Bitte tun Sie in dieser Situation nicht so, als seien diese Einzelfälle die Gesamtheit und als sei das der Alltag in Deutschland . Das ist nicht so . Aber ich sage Ihnen gerne, was wir bisher getan haben. Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2015 die Nachweispflicht für die Kostenerstattung in der Verhinderungspflege verschärft. Hier waren in der Vergangenheit Missbrauchsfälle bekannt geworden . Wir haben darauf reagiert . Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz wurde zum 1 . Januar 2016 eingeführt, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung bei Anzeichen von Qualitätsmangel, Betrug etc . unangemeldete Anlasskontrollen auch in der ambulanten Pflege durchführen kann. Zudem wurde eine Pflichtprüfung von Abrechnungen durch den MDK bei allen Regelprüfungen eingeführt . Mit dem Korruptionsbekämpfungsgesetz werden die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Krankenkassen gestärkt . Diese Stellen müssen künftig stärker zusammenarbeiten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Noch eine Zusatzfrage, Frau Zimmermann? - Nein . Frau Klein-Schmeink .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In Frage 5 geht es darum, in wie vielen Fällen der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pflege über solche Unregelmäßigkeiten informiert worden ist; das ist die Ausgangsfrage . Dann hat es ein Schreiben des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters von Berlin-Mitte vom 26 . Mai 2014 an den Bevollmächtigten für Pflege, Karl-Josef Laumann, gegeben. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob Karl-Josef Laumann in seiner Funktion den Gesundheitsminister über dieses Schreiben informiert hat, in dem ausdrücklich gesagt wird, dass es zu Unregelmäßigkeiten in einem großen Umfang gekommen ist, die auf organisierten Betrug und einen bestimmten kulturellen Zusammenhang hinweisen . Erstens . Ist der Gesundheitsminister in dieser Form informiert worden? Zweitens . Was haben Sie ganz konkret unternommen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Das Schreiben aus dem Bezirk Berlin-Mitte ist das einzige, das dem Bevollmächtigten für Pflege zugegangen ist . Der Staatssekretär hat darauf umgehend geantwortet . Das Schreiben enthält den Hinweis, dass zum damaligen Zeitpunkt, bezogen auf ganz Berlin, angeblich 150 Strafanzeigen wegen betrügerischer Abrechnung oder betrügerischer Erbringung von Pflegeleistungen vorliegen würden . Des Weiteren wird in dem Schreiben ausgeführt, dass die aus diesen Anzeigen folgenden Ermittlungen bereits durch die Landespolizei an die Staatsanwaltschaft übergeben wurden . - Erster Schritt: Die Staatsanwaltschaft ist zu informieren . Zweiter Schritt: Ein runder Tisch ist eingerichtet worden, um die Fehlentwicklungen aufzuklären . Der Staatssekretär ist von einem regionalen Problem ausgegangen; so war es dem Brief zu entnehmen . Er hat zudem den GKV-Spitzenverband angeschrieben und hat das, was angesprochen wurde, in die politischen Beratungen eingebracht .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Maria KleinSchmeink, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Warum kündigt die Bundesregierung erst nach diversen Presseberichten zum Abrechnungsbetrug durch ambulante Pflegedienste an, dagegen vorzugehen, obwohl der Bericht des Bundeskriminalamtes, in dem diese Betrugsfälle berichtet werden, seit Oktober des letzten Jahres vorliegt? Frau Staatssekretärin, bitte .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Der Bericht des Bundeskriminalamtes wurde dem Bundesministerium für Gesundheit am 22 . April 2016 übermittelt . Vorher ist kein Eingang des Berichts im BMG erfolgt . Dem Bundesministerium des Innern wurde der Auswertebericht des BKA am 19 . April 2016 zugesandt .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das hatte ich vermutet . - Bitte schön .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Zusatzfrage, weil es Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Daten gibt, die unter anderem in Zeitungsartikeln erschienen sind . Wie ist es zu verstehen, dass einerseits die Welt am 21 . April 2016 im Interview mit Minister Gröhe unter der Überschrift „Jeder Betrugsfall ist einer zu viel“ behauptet, den BKA-Bericht gebe es seit Oktober, und dass der Minister das nicht dementiert und sogar behauptet, sie hätten bereits gehandelt, und dass andererseits die Sprecherin des BMG, Katja Angeli, einen Tag später der Presse mitteilt, der Bericht habe dem Ministerium nicht vorgelegen? Was stimmt denn nun? Hat er vorgelegen, oder hat er nicht vorgelegen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Das ist klar und eindeutig aufzuklären: Der Bericht hat nicht vorgelegen . Aber über diesen Bericht wurde auf informelle Art und Weise informiert . Das Haus hat davon Kenntnis bekommen . Als das Bundesministerium für Gesundheit von den Vorgängen erfahren hat, hat es am 19 . April ein Gespräch mit dem GKV-Spitzenverband und anderen Beteiligten auf Fachabteilungsebene geführt . Bei diesem Gespräch ging es um Versorgungsprobleme in der gesamten Intensivpflege, im Krankenhausbereich und in der ambulanten Krankenpflege. Aber es wurden auch Maßnahmen erörtert, die es ermöglichen sollten, kurzfristig zu einer Verbesserung der Prüfmöglichkeiten in der ambulanten Intensivpflege zu kommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch eine zweite Zusatzfrage? - Bitte schön .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne definitiv wissen, wann denn dem Ministerium dieser Bericht zur Kenntnis gelangt ist . Seit wann haben Sie Kenntnis davon, dass es diesen Bericht gab?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Der Bericht liegt dem Bundesministerium für Gesundheit seit dem 22 . April 2016 vor . Da ist er uns übermittelt worden .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Jetzt fragt die Abgeordnete Pia Zimmermann, Die Linke . Danach hat Dr . Harald Terpe, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . - Bitte schön .

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Mich interessiert in diesem Zusammenhang, warum die Bundesregierung den Vorschlag des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, der in der Debatte über das PSG II gemacht worden ist, ablehnt, eine stärkere Unabhängigkeit des MDK und der Prüfungen des MDK von den Leistungserbringern herzustellen . Oder ist es etwa so, dass die Bundesregierung das eigentlich für gut hält oder sogar weitere Vorschläge für eine unabhängige Pflegeprüfung verfolgt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, die Frage haben Sie wortwörtlich heute schon im Ausschuss gestellt, und Sie haben schon eine Antwort bekommen . Sie werden sich nicht wundern, wenn Sie jetzt dieselbe Antwort bekommen . Die Aufgabe übernimmt der Qualitätsausschuss, den wir im Rahmen des PSG II eingerichtet haben . Das heißt, bei ihm geht es jetzt darum, vernünftige Kontrollmöglichkeiten, Prüfinstanzen und Standards zu entwickeln . Dort werden diese Arbeiten vorbereitet und dann auch in die Wege geleitet .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Staatssekretärin, in dem BKA-Bericht, der Ihnen vorliegt und der offenbar auch der Presse vorliegt, wird ein Hinweis darauf gegeben, dass auch Ärzte und Apotheker - wir sprachen bisher nur von den Pflegediensten - mit involviert sind. Können Sie das bestätigen? Ist dieser Bericht allgemein zugänglich?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich habe den Bericht noch nicht in Gänze gelesen . Deswegen kann ich das im Moment nicht bestätigen . Ich liefere Ihnen diese Informationen gerne nach . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank . - Nächste Fragestellerin hierzu ist die Abgeordnete Heike Baehrens, SPD-Fraktion .

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, in den öffentlichen Medien wurde im Zusammenhang mit diesem Abrechnungsbetrug eine Summe von 1 Milliarde Euro genannt . Da die diesbezüglichen Ausgaben im Pflegebereich in Deutschland insgesamt 4 Milliarden Euro umfassen, frage ich Sie: Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass es sich hier tatsächlich um einen Betrug in dieser Größenordnung handelt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Das Bundeskriminalamt hat die Summe von 1 Milliarde Euro, die genannt wurde, nicht bestätigen können . Wir haben mit Baden-Württemberg ein Bundesland, das schon bestimmte Prüfkriterien auf den Weg gebracht hat . Baden-Württemberg hat das durchdekliniert . Das Land hat keine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt, kommt aber aufgrund von Stichproben zu dem Ergebnis, dass wir in einem Bereich von unter 2 Prozent liegen, sodass wir nicht von 1 Milliarde Euro ausgehen können .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank . - Dann kommen wir zur Frage 7 der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen: Was soll bei unangemeldeten, anlassbezogenen Kontrollen bei ambulanten Pflegediensten geprüft werden, und wie kann durch solche Kontrollen möglicher Abrechnungsbetrug nachgewiesen werden, vorausgesetzt alle abgerechneten Tätigkeiten sind dokumentiert und abgezeichnet, auch wenn sie möglicherweise gar nicht erbracht wurden? Frau Staatssekretärin .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Gerne antworte ich auf Ihre Frage, Frau KleinSchmeink: Die Bundesregierung prüft, wie die Kontrollmöglichkeiten bei ambulanten Pflegediensten zügig weiter verbessert werden können . Als Kurzfristmaßnahme kommt zunächst ein weiterer Ausbau der bestehenden Kontrollmöglichkeiten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Betracht . Die Prüfung hierzu wird kurzfristig abgeschlossen . Weiter hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, GKV-Spitzenverband, zugesagt, die neuen Regelungen für die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Kranken- und Pflegekassen des am 14. April 2016 im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung beschlossenen Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen zeitnah noch bis zum Herbst dieses Jahres umzusetzen . Das betrifft Richtlinien zur einheitlichen und koordinierten Tätigkeit der Stellen, deren regelmäßige Berichterstattung und deren Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden . Das Bundesministerium für Gesundheit wird den Umsetzungsprozess eng begleiten . Schließlich soll die neue Pflicht zur regelhaften Abrechnungsprüfung in der ambulanten Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch, die seit 1 . Januar 2016 in Kraft ist, schnell flächendeckend umgesetzt werden. Das entsprechende Prüfkonzept befindet sich derzeit in einer Pilotphase . Es ermöglicht bei im Rahmen der Regelprüfung wahrgenommenen Auffälligkeiten in einem zweiten Schritt vertiefende Prüfungen einzelner Pflegedienste durch Pflegekassen und den Medizinischen Dienst der Krankenkassen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie der Meinung - Sie haben ja gerade einige Maßnahmen aufgezählt; unter anderem gehört die Prüfung nach § 114 SGB XI dazu -, dass der MDK in der Lage ist, bei einer solchen Qualitätsprüfung auf der genannten gesetzlichen Grundlage Abrechnungsbetrug überhaupt festzustellen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir haben mit dem GKV-Spitzenverband Gespräche geführt; die Vorschläge für die Entwicklung der Konzepte sind im Gange . Das heißt, die Abrechnungsprüfung erfolgt, wie Sie sagen, im Rahmen des § 114 SGB XI . Es sollen aber grundsätzlich weitere Arbeitsschritte eingeführt werden, sodass dann auch eine vernünftige Kontrolle möglich ist .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall . Nun hat Frau Zimmermann, Fraktion Die Linke, eine Frage .

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Nachfrage: Die Bundesregierung lehnte im Rahmen der Beratungen des Pflegestärkungsgesetzes II den Vorschlag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zunächst ab, die nun in § 114 a Absatz 1 Satz 3 SGB XI geregelte unangekündigte Anlassprüfung bei ambulanten Pflegediensten zuzulassen. Meine Frage: Welche Regelung hält die Bundesregierung für erforderlich, um bei solchen Anlassprüfungen im ambulanten Bereich das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung zu wahren?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich hatte vorhin schon einmal geantwortet, als Sie, Frau Kollegin Zimmermann, fragten, was wir bisher getan haben, und ich hatte noch einmal deutlich gemacht, dass auf der Grundlage des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes rückwirkend zum 1 . Januar 2016 der Medizinische Dienst der Krankenversicherung unangemeldete Anlasskontrollen bei Zeichen von Qualitätsmängeln, Betrug etc. auch in der ambulanten Pflege durchführen kann. Dies betrifft die Einrichtungen . Was das Aufsuchen einzelner Wohnungen betrifft: Sie wissen, es gilt der Schutz der eigenen vier Wände, und es gestaltet sich sehr schwierig . Aber die ambulanten Pflegeeinrichtungen können bereits heute anlassbezogen unangemeldet kontrolliert werden .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön . Damit kommen wir zur Frage 8 des Abgeordneten Ebner, Bündnis 90/Die Grünen: Inwieweit wird sich das Bundesministerium für Gesundheit ({0}) als zuständige Behörde für die Prävention von Erkrankungen wie Krebs - anders als bisher; vergleiche „Der nicht zuständige Ungesundheitsminister“, taz.die tageszeitung vom 18 . April 2016 - dafür einsetzen, dass die Abstimmung zur Erneuerung der Glyphosat-Zulassung auf europäischer Ebene, die für Mai 2016 angekündigt ist, gestoppt wird, bis die Europäische Chemikalienagentur, ECHA, und die WHO-Pestizidexperten vom Joint Meeting on Pesticide Residues ({1}) ihre Bewertung zur gesundheitlichen Bedenklichkeit von Glyphosat für die menschliche Gesundheit vorgelegt haben, und wie ernst nimmt das BMG die Warnungen der WHO-Experten, die Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend einschätzen? Frau Staatssekretärin .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Frage: Die Abstimmung zur Wiedergenehmigung des Pflanzenschutzmittelwirkstoffes Glyphosat auf europäischer Ebene im Rahmen eines EU-Routineverfahrens steht kurz bevor . Die Risikobewertung des Wirkstoffes Glyphosat erfolgte gemäß den rechtlichen Vorgaben der EU, insbesondere der Verordnung Nr . 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln sowie der zugehörigen Durchführungsverordnungen . Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und die EU-Mitgliedstaaten haben die Neubewertung von Glyphosat im Rahmen der routinemäßigen Überprüfung gemäß diesen verbindlichen Vorschriften abgeschlossen . Die zuständigen europäischen Experten bestätigen in der EFSA-Gesamtbewertung, die die zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten einbezogen hat, anhand des derzeitigen Wissensstandes die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Glyphosat bei sachgerechter Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel. Die Risikobewertung von Glyphosat war aufgrund der Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung, IARC, um sechs Monate verlängert worden, um auch diese intensiv prüfen zu können . In die Analyse flossen weit mehr als 1 000 verschiedene Studien ein, nach deren zusammenfassendem Ergebnis es unwahrscheinlich ist, dass Glyphosat krebserregend für den Menschen ist . Die wissenschaftliche Risikobewertung der EFSA auf der Basis des EU-Rechts berücksichtigt im Gegensatz zur Arbeit der IARC zusätzlich die Gefahrenabschätzung, ob und wie Menschen, Tiere und Umwelt einem Stoff ausgesetzt sind . Alle an der Risikobewertung beteiligten nationalen und europäischen Behörden erledigten ihre gesetzlichen Aufgaben mit größter Sorgfalt, unabhängig und streng auf wissenschaftlicher Grundlage . In der Konsequenz erfüllt der Wirkstoff die Anforderungen des europäischen Rechts zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit für die Genehmigung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Die Bundesregierung hat sich daher darauf verständigt, dem Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Wiedergenehmigung zuzustimmen . Für alle Aspekte einschließlich der gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat ist im Rahmen der Aufgabenverteilung der Bundesregierung das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft federführend sowie deren zuständige Fachbehörden . Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Rahmen seiner Zuständigkeit das Verfahren und das kompetente und unabhängige Urteil der fachlich zuständigen Behörden begleitet .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ebner? Bitte .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Staatssekretärin, für die Verfahrenserläuterungen, die an dieser Stelle nicht zwingend notwendig gewesen wären . Ich habe Sie in der Tat als Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums und damit sozusagen als Vertreterin des Ministeriums, das für die Prävention vor Erkrankungen wie Krebs wirklich zuständig ist, gefragt . Es ging mir weniger um die Federführung . Interpretiere ich es jetzt richtig - ich frage das, damit alle Menschen in diesem Raum die Antwort eindeutig gehört haben -, dass das Bundesgesundheitsministerium die Auffassung der Internationalen Agentur für Krebsforschung nicht teilt und im Gegensatz dazu der Meinung ist, dass von Glyphosat keine Gesundheitsgefährdung für den Menschen ausgeht, auch nicht im Hinblick auf eine Krebserkrankung?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir gehen von den Ergebnissen der Untersuchungen aus, die uns vorliegen . Die Studien belegen, dass bei sachgerechter Anwendung keine Krebsgefahr vorhanden ist . Deswegen schließen wir uns den EU-Vorgaben an .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Ebner? - Bitte .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben den Knackpunkt, die sachgerechte Anwendung, schon angesprochen . Mir stellt sich in der Tat die Frage, wie das Bundesgesundheitsministerium die sachgerechte Anwendung, auf die es ja selber keinen Einfluss hat, sicherstellen möchte . Es ist mir irgendwie ein Rätsel . Deshalb möchte ich Sie dazu noch etwas fragen . Bundesgesundheitsminister Gröhe sagt sonst immer, dass die Bekämpfung von Krebs „eine Herausforderung ersten Ranges“ sei . Nun haben wir es zu tun mit einer renommierten internationalen Krebsforschungsagentur, die für die WHO tätig ist, die anerkannt ist und die hier Bedenken geäußert hat . Warum greift nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums an dieser Stelle nicht das Vorsorgeprinzip, obwohl es doch um die Vorsorge für die Gesundheit der Menschen in diesem Land und auch woanders geht?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Das Prinzip der Vorsorge ist uns sehr wichtig . Nicht umsonst haben die jetzige Bundesregierung und das Bundesministerium für Gesundheit das Präventionsgesetz im vierten Anlauf auf den Weg gebracht - ein ganz wichtiger Schritt . Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Kollege: Nach Prüfung der bislang vorliegenden Studien, Dokumente und Veröffentlichungen einschließlich der Glyphosat-Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat keine krebserzeugende Wirkung des Wirkstoffes Vizepräsident Peter Hintze für den Menschen zu erwarten . Diese Meinung vertreten nicht nur wir, sondern auch die Experten der anderen EU-Mitgliedstaaten und der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, in der veröffentlichten Schlussfolgerung EFSA-„Conclusion“ .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir bleiben beim Thema . Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Harald Ebner auf: Welche Bedeutung misst das BMG dem Krebsforschungszentrum ({0}) der Weltgesundheitsorganisation hinsichtlich der Identifizierung von Ursachen, die zu Krebs führen, der weltweiten Überwachung des Auftretens von Krebs, der Aufklärung der Mechanismen der Krebsentstehung und der Entwicklung wissenschaftlicher Strategien zur Krebsbekämpfung bei, und inwieweit fließen die wissenschaftlichen Erkenntnisse des IARC in die Positionsfindungen des BMG bezüglich eines Verbots von Glyphosat ein? Frau Staatssekretärin, bitte .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die IARC ist die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation, WHO . Die Forschungseinrichtung wurde im Jahr 1965 mit der Zielsetzung gegründet, die internationale Zusammenarbeit in der Krebsforschung zu intensivieren und zu fördern . Im Zentrum des Mandats der IARC als politisch neutraler und global angesehener Forschungsinstitution steht die Krebsforschung zur Verbesserung der Krebsbekämpfung . Sie spielt eine weltweit führende Rolle in der Beobachtung der Krebshäufigkeiten sowie der Erfassung der Sterblichkeiten und der Überlebensraten bei Krebs, unter anderem mit periodischen Publikationen eines globalen Krebsatlasses . Die IARC gibt eine Reihe von Monografien über die Gefahren oder die potenziellen Gefahren von krebserregenden Substanzen heraus, die in der Wissenschaft und Industrie große Beobachtung finden. Eine Risikobewertung findet dort - das ist ein wichtiger Punkt - nicht statt . Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der IARC sind, wie in der Antwort auf Frage 8 erläutert, in den Prozess mit eingeflossen und wurden auch vom Bundesministerium für Gesundheit zur Kenntnis genommen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön . - Sie hatten erläutert, dass die anderen Mitgliedstaaten ebenso wie Deutschland keine Bedenken sehen, obwohl die IARC Bedenken äußert . Jetzt ist es so, dass die vorgesehene Abstimmung über die Zulassung von Glyphosat im zuständigen Gremium gescheitert ist, weil Mitgliedstaaten plötzlich anderer Meinung waren, weil eine erhebliche Anzahl von Mitgliedstaaten, nämlich ausreichend viele, um die notwendige Mehrheit zu verhindern, Bedenken hatten, gegen eine Zulassung votiert haben, unter anderem Frankreich - mit dem Argument, dass genau diese gesundheitlichen Gefahren nicht geklärt seien, weshalb sie eine Zustimmung nicht in Aussicht stellen könnten . Insofern ist es mit dem Argument: „Alle teilen die deutsche Bewertung; dann ist die Bewertung der IARC nicht so gewichtig“, nicht so weit her . Welche Maßnahmen unternimmt das BMG - man muss dann doch eigene Erkenntnisse sammeln und vielleicht auch mal ein Ressortforschungsprogramm auf den Weg bringen -, um auch im Hinblick auf die Exposition der Menschen hier wirklich einmal Kenntnisse zu erlangen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir stehen in regelmäßigem Kontakt und in gutem Austausch mit dem federführenden Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Frage? - Bitte .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Das ist eine Drohung“, sagt mein Kollege Krischer gerade . Das könnte man so auffassen . Ich hatte schon etwas mehr Hoffnung in das Bundesgesundheitsministerium gesetzt . Ich muss noch einmal nachfragen . Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, ein international anerkanntes, sauber und gründlich arbeitendes renommiertes Gremium mit wirklich renommierten und anerkannten Wissenschaftlern, hat ihre Gründe sauber dargelegt . Wenn Sie der Meinung sind, dass die Erläuterungen in diesem Verfahren irrelevant sind: Sind Sie dann auch der Meinung, dass wir die IARC gar nicht brauchen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich habe nicht gesagt, dass sie irrelevant sind, Herr Kollege, sondern ich habe sehr deutlich auf einen feinen Unterschied hingewiesen: Die IARC macht nur eine gefahrenbezogene Analyse . Das heißt, sie prüft nur, ob Wirkstoffe krebserzeugend sind . Das, was fehlt, für uns in diesem Zusammenhang aber wichtig ist - das sage ich noch einmal sehr deutlich -, ist eine Risikobewertung, und die wird von der IARC nicht durchgeführt . Ansonsten schätzen wir die Arbeit der IARC; das habe ich in der Beantwortung Ihrer Frage vorhin auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle bereit . Die Frage 10 des Abgeordneten Stephan Kühn sowie die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Herbert Behrens werden schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Seit wann ist der Bundesregierung bzw . dem Kraftfahrt-Bundesamt bekannt, dass Fahrzeuge mehrerer Hersteller den Schadstoff Stickoxid bei niedrigen Temperaturen stärker in die Luft ausstoßen, und welche konkreten Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um das Problem der „Thermofenster“ und illegalen Praxis der Abschaltung der Abgasreinigungssysteme - zuletzt durch ein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages als illegal bezeichnet - zu beheben ({0})? Herr Staatssekretär, bitte .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Krischer, mit Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ am 22 . April 2016 sind die Felduntersuchungen des KBA weitestgehend abgeschlossen . Es konnte im Rahmen der KBA-Felduntersuchung bis zur Veröffentlichung dieses Berichts kein weiteres Fahrzeug identifiziert werden, das ebensolche Prüfzykluserkennungen verwendet, wie sie VW eingesetzt hat . Über die Maßnahmen zum Thema „Thermofenster“ hat der Minister heute im Ausschuss umfassend Auskunft gegeben, und darüber hat er auch die Öffentlichkeit informiert . Im Übrigen wird auf den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom 22 . April 2016 verwiesen, der dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zugeleitet und dort, wie gesagt, heute behandelt bzw . beraten wurde .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordneter Krischer? - Bitte schön .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Herr Barthle, Sie haben nichts zu meiner Frage gesagt, gar nichts . Ich habe gefragt: Seit wann ist die Bundesregierung darüber informiert, dass Autohersteller ihre Abgasreinigungseinrichtungen bei bestimmten Außentemperaturen - manche bei 10 Grad, manche bei 17 Grad, manche bei noch höheren Temperaturen - abregeln? Es geht gar nicht um Volkswagen, es geht nicht um diese Software, es geht auch nicht um den Untersuchungsbericht; es geht einzig und allein um die Frage, seit wann die Bundesregierung von dieser, wie wir seit Vorlage des Untersuchungsberichts wissen, flächendeckenden - so kann man es, glaube ich, sagen Praxis bei den Automobilherstellern weiß . Ich möchte hier ein konkretes Datum hören .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung hat immer betont, dass wir einzelne Ergebnisse aus den Untersuchungen der eingesetzten Untersuchungskommission dann der Öffentlichkeit mitteilen, wenn der Bericht vorliegt . Der Bericht wurde am 22 . April 2016 vorgelegt, und damit ist Ihre Frage nach dem Datum beantwortet .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es tut mir leid: Die Frage ist nicht beantwortet; denn dazu steht nichts im Bericht . Ich habe gefragt, seit wann Sie das wissen . Ich möchte nicht wissen, wann Sie den Untersuchungsbericht veröffentlicht haben, sondern ich möchte die Information haben, wann diese Frage beantwortet worden ist . Ich kann daraus nur Folgendes schließen: Sie wollen sie nicht beantworten . Sie wollen mir diese Information nicht liefern . Sie haben auch nicht gesagt, dass Sie sie nachliefern können . Sie wollen nicht preisgeben, seit wann der Bundesregierung die Information vorliegt, dass bei bestimmten Außentemperaturen abgeregelt wird . Ich möchte noch etwas ansprechen, was im zweiten Teil meiner Frage zum Ausdruck kam und wozu Sie auch nichts gesagt haben . Wir haben den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt, zu prüfen, ob diese Praxis nach EU-Recht überhaupt zulässig ist . Der Wissenschaftliche Dienst kam zu der Einschätzung, dass die Praxis, Abgasreinigungseinrichtungen bei bestimmten Außentemperaturen abzuregeln, nicht zulässig - sprich: illegal - ist . Meine Frage lautet daher ganz konkret: Wie ist die Haltung der Bundesregierung? Ist das illegal? Ist das legal? Auf welche Rechtsgutachten oder anderen Expertisen stützen Sie Ihre Haltung?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Die Auffassung der Bundesregierung ist, dass die Anpassung der Emissionskontrollsysteme an verschiedene Fahr- und Umweltbedingungen auf Grundlage des europäischen Rechts zulässig, also nicht unerlaubt ist . Allerdings hat sich während der Untersuchungen beim KBA ergeben, dass Anpassungen vorgenommen worden sind, die aus unserer Sicht in diesem Rahmen nicht zu erklären sind . ({0}) Deshalb wurde mit den Herstellern die Vereinbarung getroffen, diese Anpassungseinrichtungen so auszurichten, dass sie sich auf das tatsächlich notwendige Maß beschränken . Die deutschen Hersteller haben sich bereits schriftlich bereit erklärt, dies auch im Rahmen von Rückrufaktionen innerhalb der Serviceintervalle im Blick zu haben .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dann kommen wir zur Frage 14 des Abgeordneten Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen: Wie hoch ist die Zahl der Leihbeamten im Bundesverkehrsministerium in den Abteilungen L, LA ({0}) und G in den vergangenen acht Jahren gewesen ({1}), und aus welchen Unternehmen/Verbänden/Institutionen kamen die Leihbeamten jeweils? Bitte schön, Herr Staatssekretär .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Krischer, in den genannten Abteilungen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur waren in den letzten acht Jahren keine Leihbeamten bzw . Beschäftigten aus Unternehmen und Verbänden tätig . Im Rahmen des deutsch-französischen Austausches wird aufgrund einer Vereinbarung mit dem französischen Ministerium für Infrastruktur, Verkehr, Wohnungswesen, Tourismus und Meeresangelegenheiten vom 18 . Juni 2004 regelmäßig jeweils ein französischer Beamter bzw . eine französische Beamtin für zwei Jahre im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aufgenommen . Aktuell ist eine französische Beamtin in der Abteilung L eingesetzt .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krischer? - Bitte .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte das noch einmal klarstellen: Ich habe Sie also richtig verstanden, dass es in den genannten Abteilungen keine Leihbeamten mit Ausnahme des Austauschs mit Frankreich gegeben hat; das kann man hier so festhalten .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

So ist das .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay . - Danke .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Dr . Valerie Wilms sowie die Frage 17 des Kollegen Dr . André Hahn werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Die Frage 18 des Kollegen Dr . André Hahn sowie die Fragen 19 und 20 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet . Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie . Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries bereit . Die Frage 21 des Kollegen Stephan Kühn sowie die Fragen 22 und 23 der Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zur Frage 24 des Abgeordneten HansChristian Ströbele: In welcher finanziellen Gesamthöhe sind jeweils in den Jahren 2010 bis 2015 den Firmen Heckler & Koch, Sig Sauer, Oberland Defence und Carl Walther andere Ausfuhrgenehmigungen für Kleinwaffen erteilt worden als die, die die Bundesregierung in ihren jährlichen öffentlichen Berichten über ihre Genehmigungspolitik erfasst hat, und welche Angaben macht die Bundesregierung zur jeweiligen Art der gelieferten Waffen? Frau Staatssekretärin .

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Abgeordneter, für die angefragten Firmen sind in den Jahren 2010 bis 2015 Ausfuhrgenehmigungen für Kleinwaffen in folgender finanzieller Gesamthöhe erteilt worden: für Gewehre mit KWL-Nummer in Höhe von insgesamt 168 344 332 Euro, für Maschinenpistolen in Höhe von 54 178 021 Euro und für Maschinengewehre in Höhe von 30 028 661 Euro . Der Firma Heckler & Koch sind Ausfuhrgenehmigungen für Gewehre mit einer KWL-Nummer in Höhe von 139 478 664 Euro, für Maschinenpistolen in Höhe von 54 097 732 Euro und für Maschinengewehre in Höhe von 18 218 013 Euro erteilt worden . Die Firma Sig Sauer hat keinerlei Ausfuhrgenehmigungen erhalten . Die Firma Oberland Defence hat Ausfuhrgenehmigungen für Gewehre mit KWL-Nummer in Höhe von 5 653 630 Euro erhalten . Die Firma Walther hat keine Genehmigung erhalten . Die restlichen Firmen haben Genehmigungen in Höhe von insgesamt 35 102 975 Euro erhalten . Ich reiche Ihnen die Zahlen gern schriftlich nach . Da ich nicht weiß, ob Sie die Zusatzfrage, die mir hier aufgeschrieben wurde, tatsächlich stellen werden, möchte ich gerne darauf hinweisen, dass in dieser Antwort auch die Ausfuhrgenehmigungen in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder berücksichtigt sind .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das kompensiert natürlich nicht die Zusatzfragen des Kollegen Ströbele .

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das ist klar . Nur wenn er diese Frage nicht stellt: Was mache ich dann?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das habe ich schon verstanden .

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Es muss ja gesagt werden, dass das nicht nur Drittländer betrifft .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Abgeordneter Ströbele, haben Sie eine Zusatzfrage? Vizepräsident Peter Hintze

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine erste Frage: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine Firma in Deutschland als unzuverlässig gilt und ihr keine Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen erteilt werden? Reicht dafür nicht, dass gegen Geschäftsführer und Mitarbeiter der Firma nicht nur strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, sondern auch Anklage erhoben wird? Mit anderen Worten: Warum bekommt die Firma Heckler & Koch immer noch Ausfuhrgenehmigungen, obwohl ein Verfahren gegen sie inzwischen bei Gericht anhängig ist, nicht bei der Staatsanwaltschaft? Das konnte man gestern sehr schön im Fernsehen verfolgen .

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Frage kann ich nur eingeschränkt beantworten . Als Juristin weiß ich natürlich, dass die Beurteilung der Frage nach der Zuverlässigkeit immer vom Einzelfall abhängig ist . Es gibt im Zweifel keine allgemeingültige Definition dessen, was unzuverlässig ist. Ich weiß nicht, ob die Firma Heckler & Koch noch Genehmigungen für den Bereich bekommt, wo Zuverlässigkeit die Voraussetzung ist . Ich will Ihnen das aber gerne schriftlich nachreichen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, sie ist ganz kurz . - Spielt es bei den Überlegungen, ob eine Genehmigung erteilt wird, eine Rolle, in welchem Landesteil oder in welchem Wahlkreis eine Firma liegt, wie zum Beispiel bei der Firma Heckler & Koch?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das kann ich mir nicht vorstellen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön . - Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches . Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes . Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Michael Roth bereit . Die Frage 25 des Abgeordneten Niema Movassat, die Frage 26 des Abgeordneten Özcan Mutlu, die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sowie die Frage 29 der Abgeordneten Luise Amtsberg werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen: Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob im Januar 2016 in Sidi Bouzid ({0}) Minderjährige im Anschluss an politische Demonstrationen verhaftet, mehrere Wochen gefangen gehalten und dabei gefoltert wurden, und wie fließen solche staatlichen Handlungen in die Einstufung Tunesiens als „sicherer Herkunftsstaat“ ein? Herr Staatsminister, bitte .

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Abgeordnete Keul, über den konkreten Sachverhalt, den Sie in Ihrer Frage, bezogen auf die Situation in Sidi Bouzid, schildern, hat die Bundesregierung keine Kenntnis . Mitte Januar dieses Jahres war es in vielen Teilen Tunesiens zu Protesten gegen die hohe Arbeitslosigkeit sowie gegen Korruption und Vetternwirtschaft gekommen . Dabei kam es stellenweise zu Vandalismus und auch zu Plünderungen . Die tunesische Regierung betonte ausdrücklich, dass die Demonstrationen selbst rechtmäßig seien und von den Ordnungskräften auch pflichtgemäß geschützt worden seien . Aus Kreisen der Zivilgesellschaft wurde geäußert, dass der Unmut aus der Mitte der Demonstranten gegenüber den Plünderungen dazu geführt habe, dass die Proteste schlussendlich wieder abgeflaut seien. Dann befragen Sie uns noch zu unserem Vorschlag zur Einstufung Tunesiens als sogenannter sicherer Herkunftsstaat . Dieser Vorschlag erfolgte auf Grundlage einer umfassenden Prüfung anhand der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien . Dabei hat sich die Bundesregierung anhand der Rechtslage, aber auch der konkreten Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse in Tunesien ein Gesamturteil über die für eine Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in Tunesien gebildet . Die Bundesregierung kam zu dem bekannten Urteil, dass die Voraussetzungen für die Einstufung als sicheres Herkunftsland erfüllt sind .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Keul?

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, habe ich . Vielen Dank . - Sie haben jetzt gesagt, dass Sie von diesem konkreten Vorfall keine Kenntnis haben . Das kann ich nachvollziehen . Mir ist dieser Vorfall konkret und glaubwürdig geschildert worden . Werden Sie denn weiteren Berichten zu diesen Vorgängen nachgehen und sie prüfen? Wenn sich herausstellte, dass Bürgerinnen und Bürger in Tunesien tatsächlich bei der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts willkürlich verhaftet und anschließend auch körperlich misshandelt werden, wäre das dann etwas, was Sie bei Ihrer Entscheidung möglicherweise berücksichtigen müssten?

Not found (Gast)

Selbstverständlich nehmen wir mit großer Aufmerksamkeit die Menschenrechtslage nicht nur in Tunesien wahr . Wir beobachten sie kontinuierlich, zumal Folter ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Lage und der Entscheidung darüber ist, ob man ein Land zu einem sogenannten sicheren Herkunftsland erklären kann . Für uns ist aber auch die Rechtslage ausschlaggebend - nicht allein, aber auch . Die Rechtslage in Tunesien sieht folgendermaßen aus: Nach Artikel 23 der tunesischen Verfassung - sie stammt aus dem Jahr 2014 - wird jede Form von seelischer und physischer Folter als ein Verbrechen eingestuft, das auch nicht verjährbar ist . Dessen ungeachtet leugnet die tunesische Regierung jedoch nicht, dass Folter im Bereich von Polizei und Justiz in Einzelfällen noch zur Anwendung kommt . Sie bekennt sich zu ihrer Bestrafung auf Grundlage der entsprechenden Vorgaben der Verfassung . Entsprechende Zeichen sind auch der Beitritt Tunesiens zur Antifolterkonvention und die Einrichtung einer nationalen Behörde gegen die Folter .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage?

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja . - Es ist völlig unstrittig, dass in der Verfassung jede Menge sehr lobenswerte Dinge stehen . Nichtsdestotrotz muss ich nachfragen; denn in der vergangenen Woche hat sich der UN-Ausschuss gegen Folter mit Tunesien beschäftigt. Im offiziellen Bericht der tunesischen Organisation gegen Folter sind auch Fälle von Folter an Minderjährigen aufgeführt . Amnesty International hat bei der Anhörung vor dem Ausschuss erneut dargestellt, dass Folter in Tunesien trotz aller Bemühungen der Regierung weiterhin an der Tagesordnung ist . Haben Sie Kenntnis von den UN-Berichten, die jetzt vorliegen, und sind sie in Ihre Entscheidung eingeflossen?

Not found (Gast)

Ich habe versucht, Ihnen deutlich zu machen, dass die Bundesregierung über den konkreten Fall, den Sie in Ihrer Frage schildern, keine eigenen Erkenntnisse hat . Selbstverständlich sind uns die Berichte von Amnesty International, aber auch von anderen Nichtregierungsorganisationen oder auch UN-Organisationen bekannt . Wir lassen natürlich all diese Berichte in unser Urteil einfließen . Wir werden auch die Menschenrechtslage in Tunesien weiterhin sehr aufmerksam verfolgen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön . - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr . Günter Krings bereit . Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten HansChristian Ströbele auf: Teilt die Bundesregierung die kritische Bewertung des Bundesministers des Innern der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Ermittlungsbefugnissen des Bundeskriminalamtes vom 20 . April 2016, diese erleichtere nicht den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, was nach dieser Meinung offenbar Aufgabe der Rechtsprechung sein soll, und auf welche Punkte und Passagen des Urteils des Gerichts wird diese Bewertung gegebenenfalls bezogen bzw . gestützt? Herr Staatssekretär, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Ströbele, die Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus sind von besonderer Bedeutung . Aufgabe der Rechtsprechung ist - da stimmen wir Ihnen zu - die Wahrung und Durchsetzung des Rechts . Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werden von der Bundesregierung umgesetzt .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will die Frage, wie Ihre Erklärung mit der Äußerung des Bundesinnenministers zu vereinbaren ist, nicht wiederholen; vielmehr möchte ich mich auf den neu bekannt gewordenen Sachverhalt beziehen, wonach sich der Bundesinnenminister, der Verfassungsminister, in einem Interview dahin gehend geäußert haben soll, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, also dem Deutschen Bundestag, nicht so häufig „in den Arm fallen“ soll . Ist das nach Auffassung der gesamten Bundesregierung die richtige Reaktion darauf, dass das Bundesverfassungsgericht bei 14 von 15 Bestimmungen eines Gesetzpakets gesagt hat: „Entweder sind sie nichtig, weil sie verfassungswidrig sind, oder sie sind verfassungswidrig und müssen nachgebessert werden“? Ist das nicht ein Grund dafür, dass sich der Bundesinnenminister vielleicht einen anderen Job suchen sollte?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Wenn ich darf, Herr Präsident?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich bitte darum .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Lieber Kollege Ströbele, zunächst einmal hat uns das Bundesverfassungsgericht - Sie haben es nur angedeutet - Aufgaben auferlegt, was die Nachbesserung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips von Vorschriften anbelangt . Es hat im Wesentlichen keine zentralen Vorschriften aufgehoben . Der Minister hat - das habe ich in meiner ersten Antwort eben ähnlich formuliert - in diesem Interview unter anderem gesagt: Ich habe das Urteil des … Senats … zur Kenntnis genommen . Es ist zu respektieren und umzusetzen . Das ist als Verfassungsminister auch seine Aufgabe, da wird ihm auch kein anderer Bundesminister in der Regierung widersprechen . Allerdings befinden wir uns - um mit Peter Häberle zu sprechen - in einer „offenen Gesellschaft der VerfasStaatsminister Michael Roth sungsinterpreten“ . In einer freiheitlichen Demokratie müssen Verfassungsorgane miteinander kommunizieren, auch kritisch kommunizieren dürfen . Das gilt insbesondere auch für das Bundesverfassungsgericht, das nicht nur ein Gericht ist, sondern auch ein Verfassungsorgan, worauf die Richter zu Recht großen Wert legen . Deshalb muss vor und auch nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, unbeschadet der vollumfänglichen und konsequenten Umsetzung der Urteile, ein Diskurs, eine politische Bewertung möglich sein . Das ist kein Widerspruch, das ist eine Selbstverständlichkeit . Wir sind kein Richterstaat, sondern eine offene Demokratie . Man muss mit solchen Urteilen daher offen umgehen können . Sie haben dezidiert nach der Rechtsauffassung der gesamten Bundesregierung gefragt . Ich darf darauf hinweisen, dass nicht das Bundesinnenministerium Partei in Karlsruhe war, sondern die Bundesrepublik Deutschland . Die Bundesrepublik wird in solchen Verfahren durch die Bundesregierung vertreten, die Bundesregierung wiederum benennt - wie auch in diesem Fall - einen Prozessvertreter, der die Rechtsauffassung der gesamten Bundesregierung vertritt . Richtig ist: Wir haben uns mit unserer Rechtsauffassung nicht voll durchsetzen können . Insoweit kennen Sie auch die Rechtsauffassung der Bundesregierung .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident . - Herr Staatssekretär, wir reden über ein Gesetz, das vom Bundesinnenminister der Großen Koalition 2009 eingebracht wurde; nicht von diesem Bundesinnenminister, sondern vom damaligen Bundesinnenminister . Das Bundesverfassungsgericht stellt nun fest, dass große Teile des Gesetzes verfassungswidrig sind . Wäre es nicht die richtige Reaktion des Verfassungsministers, zu sagen: „Mea culpa, mea culpa! Da ist etwas schief gegangen . Wir reparieren das so schnell wie möglich, und wir werden in Zukunft mehr darauf achten, dass Gesetze verfassungskonform formuliert werden“, statt jetzt nachzuhaken und zu sagen: „Ihr sollt euch in das Gesetzgebungsverfahren nicht einmischen, ihr sollt dem Gesetzgeber nicht in den Arm fallen“? Das Bundesverfassungsgericht ist dem Gesetzgeber im Übrigen zu Recht in den Arm gefallen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Der Bundesinnenminister hat - das habe ich jetzt schon zweimal gesagt; ich sage es Ihnen gern zum dritten Mal - deutlich gemacht, dass nicht nur selbstverständlich die Vorgaben aus Karlsruhe umgesetzt werden, sondern dass sie auch schnellstmöglich umgesetzt werden . Das ist auch unser Interesse . Aber noch einmal: Es gehört in einer freiheitlichen offenen Demokratie dazu, dass man nach einem Urteil über das Urteil auch politisch reden darf . Wer das nicht möchte, hat offenbar einen anderen Staat vor Augen . Wir haben mit dem Bundesverfassungsgericht ein Gericht, aber zugleich ein Verfassungsorgan, das sich diesem Diskurs nicht nur stellen muss, sondern auch gerne stellt . Das wissen wir aus vielen Diskussionen, die wir mit Verfassungsrichtern führen . Insofern waren die Äußerungen des Bundesministers richtig . Denn er hat auf diese Punkte und auf die politischen Implikationen eines Urteils hingewiesen, ohne in irgendeiner Form auch nur in Abrede zu stellen, dass wir natürlich konsequent die Vorgaben befolgen werden .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank . - Die Frage 32 des Abgeordneten Andrej Hunko, die Frage 33 der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer und die Frage 34 der Abgeordneten Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet . Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Die Frage 35 der Abgeordneten Corinna Rüffer wird ebenfalls schriftlich beantwortet . Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen . Die Frage 36 der Abgeordneten Ulla Jelpke wird schriftlich beantwortet . Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Die Frage 37 der Abgeordneten Corinna Rüffer, die Fragen 38 und 39 der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({0}) sowie die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Katrin Kunert werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Die Frage 42 des Abgeordneten Niema Movassat und die Frage 43 des Abgeordneten Andrej Hunko werden ebenfalls schriftlich beantwortet . Wir sind damit am Ende der Fragestunde . Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis exakt 15 .35 Uhr . Dann wird der Zusatzpunkt Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zum Thema „Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei“ aufgerufen . Also: Um 15 .35 Uhr setzen wir das Plenum mit der Aktuellen Stunde fort . ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erste Rednerin Frau Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich zitiere: Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen . . . So steht es auf der Homepage des Auswärtigen Amts, eine Information für Türkei-Reisende . Es gibt Menschen, die haben diesen Satz in der jüngeren Vergangenheit nicht beachtet, zum Beispiel Hasnain Kazim, der Türkei-Korrespondent des Spiegels - im März musste er ausreisen: Akkreditierung nicht verlängert -, zum Beispiel die niederländische Journalistin Ebru Umar - Grund: kritische Äußerungen gegenüber Herrn Erdogan auf Twitter . ARD-Korrespondent Volker Schwenck durfte gar nicht erst einreisen, der amerikanische Journalist David Lepeska ebenfalls nicht . Ganz zu schweigen von den noch laufenden Prozessen gegen Can Dündar und Erdem Gül von der Zeitung Cumhuriyet. Sie sind wegen angeblicher Unterstützung einer Terrororganisation mit lebenslanger Haft bedroht . Meine Damen und Herren, auf der Liste der „Reporter ohne Grenzen“ zur Pressefreiheit steht die Türkei aktuell auf Platz 151 von 180, damit hinter Ländern wie Simbabwe, Bangladesch oder Äthiopien . Das kann uns nicht egal sein als Demokratinnen und Demokraten . ({0}) Diese Entwicklung kam nicht über Nacht . Die Bundesregierung muss es bemerkt haben und ist untätig geblieben . Heute sagt ein Regierungsvertreter, der nicht genannt werden will, es gäbe keine schwarzen Listen von Journalisten in der Türkei . Gibt es keine, oder wissen wir nichts Genaueres? Die Konsequenz ist dieselbe: Ein Land, das immer noch die EU-Mitgliedschaft anstrebt, das kann nicht repressiv und willkürlich mit Journalistinnen und Journalisten umspringen . Wir müssen das als demokratischer Staat, müssen das als Europäer, die ihre Werte verteidigen, ansprechen . ({1}) Das ist eine Entwicklung, die nicht nur Journalistinnen und Journalisten betrifft . Sie betrifft Künstler, sie betrifft Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sie betrifft kritische Oppositionelle . Herr Erdogan ist Wiederholungstäter . Er ist nämlich nicht nur schnell beleidigt, er setzt sich auch gleich mit dem türkischen Staat, nach dem Motto: Der Staat bin ich . Wer gern ein absolutistischer Monarch sein will, der nimmt natürlich nicht nur jede Kritik an seiner Person übel, sondern versteht auch jede Kritik an staatlicher Willkür als Majestätsbeleidigung . Auch das ist für Demokratinnen und Demokraten unerträglich . ({2}) Über 2 000 Prozesse führt er, zum Beispiel gegen „Academics for Peace“, deren Vertreter wegen Kritik am Vorgehen gegen die Kurden inhaftiert wurden . Die Dresdner Sinfoniker sollen besser nicht mehr über Völkermord in Armenien konzertieren, und die EU-Kommission hat Informationen über das entsprechende Projekt von der Homepage genommen . Meine Damen und Herren, dass eine EU-Kommission und eine deutsche Bundesregierung das nicht klar und deutlich benennen und kritisieren - übrigens ein Projekt, das mit Mitteln des deutschen Staates gefördert wird -, das ist für mich eine Absurdität . Das geht nicht . Das müssen Sie ändern! ({3}) Nicht zuletzt: Es wird gegen Jan Böhmermann wegen Verstoßes gegen § 103 des Strafgesetzbuchs ermittelt . Ich habe mir erzählen lassen, dass es unter Juristinnen und Juristen einen Spruch gibt, den man gerne und überall zitiert: Ein Federstrich des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur . - Sie hätten jetzt die Chance, Sie hätten jetzt die Gelegenheit . Warten Sie nicht bis 2017, warten Sie bitte nicht bis 2018 oder bis wann auch immer, sondern schaffen Sie jetzt nach unserer Vorlage sofort den § 103 StGB ab . ({4}) Beleidigung bleibt strafbar, ja, aber die Grenze zwischen Kritik und Beleidigung darf nicht politisch, sondern muss juristisch definiert werden. Es gilt die Herrschaft des Rechts und eben keine Willkür . Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ja nicht zuletzt auch hier bei uns unter Druck . Gerade weil in Deutschland antidemokratische und autoritäre Kräfte gerne den Kampfbegriff der vermeintlichen Lügenpresse im Mund führen, gerade weil die Kommentarspalten von Onlinemedien schon vor aus Russland oder sonst woher finanzierten Trollen kapitulieren und schließen mussten, gerade deswegen müssen wir doch klar Haltung zeigen - klar Haltung zeigen für die Meinungsfreiheit, klar Haltung zeigen für die Pressefreiheit . Das gilt im Land, aber das gilt natürlich auch erst recht bei Partnern, wie die Türkei einer sein soll . Das ist nicht bequem, aber es ist unverzichtbar . ({5}) Ja, Deutschland unterstützt die Türkei finanziell bei den Herausforderungen, mit der großen Zahl der Geflüchteten umzugehen, aber es darf nicht einen Hauch eines Hinweises darauf geben, dass damit die Frage der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit gleich mit verdealt wird . Die Kanzlerin hat - ich bedaure das sehr und zutiefst; sie ist die Kanzlerin eines demokratischen Landes - am Samstag, als sie in der Türkei war, dies nicht Vizepräsident Peter Hintze angesprochen . Sie hat sich nicht mit Journalistinnen und Journalisten getroffen . Sie hat sich nicht mit Oppositionellen getroffen . Das wäre die Chance gewesen, zu zeigen, wie viel wert uns unsere Werte sind . Diese Chance hat sie verpasst . Das kritisieren wir sehr laut, sehr deutlich . Wer die Meinungsfreiheit verteidigen will, der tut das hier im Land und auch überall sonst auf der Welt, gerade für diejenigen, um die es geht . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gerade als Freunde der Türkei beobachten wir manche Entwicklungen bei Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und dem Umgang mit Minderheiten mit Aufmerksamkeit und - zweifellos auch mit weiter wachsender - Sorge .“ Dies habe ich als Türkei-Berichterstatter meiner Fraktion in den vergangenen zweieinhalb Jahren vielfach so oder ähnlich festgestellt, nicht nur von diesem Pult aus, sondern selbstverständlich auch in zahlreichen Gesprächen mit Regierungsvertretern und Parlamentariern in der Türkei, zuletzt Anfang März gemeinsam mit Staatsministerin Böhmer in Ankara . Hören Sie doch bitte auf, ständig so zu tun, als hätten wir in dieser Frage irgendeinen Nachholbedarf . ({0}) Natürlich sind Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit für uns nicht hinnehmbar . Allein die Zahl von über 2 000 Verfahren wegen Beleidigung ist sicherlich Beleg für die überaus ausgeprägte Empfindlichkeit des türkischen Staatspräsidenten . Es war deshalb ein wichtiges und auch in der Türkei stark beachtetes Signal, dass der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, im März den Auftakt des Prozesses gegen zwei Redakteure der Zeitung Cumhuriyet persönlich beobachtet hat . Auch wenn es nur den Anschein gibt, es gäbe schwarze Listen mit den Namen ausländischer Journalisten, denen systematisch Akkreditierung oder Einreise verweigert wird ({1}) dies ist natürlich völlig inakzeptabel . Auch das sollte doch in diesem Hause völlig unstrittig sein . ({2}) Deshalb fordern wir hier umfassende Aufklärung und eine Rückkehr zur Einhaltung international üblicher Standards auch beim Umgang mit ausländischen Pressevertretern . Diese bedauerlichen Entwicklungen vollziehen sich aber auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden politischen Polarisierung in der Türkei . Neben dem gewaltsamen Konflikt mit der PKK trägt dazu gerade auch im Bereich der Medien und der Justiz die Auseinandersetzung mit der Gülen-Bewegung bei . Es ist nicht hilfreich, dass sich die parteipolitische Aufstellung in der Türkei zunehmend an religiös-weltanschaulichen und ethnischen Trennungslinien zwischen Religiösen und Laizisten, Sunniten und Aleviten, kurdischer Minderheit und türkischen Nationalisten orientiert . Das erschwert eine Zusammenarbeit über Parteigrenzen immer mehr . Wir in Deutschland sollten uns aber davor hüten, zu dieser Polarisierung unsererseits gezielt weiter beizutragen . Wir alle miteinander sollten auch der Versuchung widerstehen, mit erhobenem Zeigefinger unseren eigenen politischen Willen an die Stelle des demokratischen Prozesses in der Türkei zu setzen oder aus innenpolitischen Motiven bewusst oder unbewusst gewisse Ressentiments gegenüber der Türkei zu bedienen oder gar zu schüren . Lassen Sie mich mit Blick auf die jüngste Debatte in Deutschland daher eines klar sagen: Für jeden türkischen Bürger, auch für den türkischen Präsidenten, wie politisch sympathisch oder missliebig er wem auch immer möglicherweise gerade sein mag, gilt das gleiche Recht auf Schutz vor persönlichen Verunglimpfungen und Beleidigungen wie für jeden anderen in unserem Lande auch . ({3}) Auch das macht unseren Rechtsstaat aus . Deshalb ist es Angelegenheit unserer unabhängigen Justiz, diese Frage im Einzelnen zu klären . Die Türkei ist nach wie vor - daran muss man hier ja gelegentlich erinnern - ein demokratischer Staat, und wir wollen, dass dies so bleibt . ({4}) Wir müssen deshalb auch zur Kenntnis nehmen, dass es politische und gesellschaftliche Mehrheiten in der Türkei gibt, die sich in demokratischen Wahlen ausdrücken . Selbstverständlich ist die legitime türkische Regierung der erste Ansprechpartner der Bundesregierung in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit . Dass gerade wir als Parlamentarier darüber hinaus breite Kontakte mit Vertretern aller Parteien pflegen, ist richtig und notwendig . Ich treffe mich in Ankara regelmäßig auch mit Vertretern der CHP, und ich habe zusammen mit Jürgen Hardt vor wenigen Wochen auch Herrn Demirtas hier in Berlin getroffen . ({5}) - Darum geht es . Hier brauchen wir doch überhaupt keinen Gegensatz aufzubauen . Im Hinblick auf die Sicherung der demokratischen Grundstruktur einer Gesellschaft und eines Staates sind Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz zweifellos besonders sensible Bereiche . Beides ist nicht verhandelbar . ({6}) Die Position der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung ist hier völlig unzweideutig . Aber es gilt auch: Wenn wir berechtigte Kritik üben und vor allem positiven Einfluss ausüben wollen, dann wird uns das eher gelingen, wenn wir es glaubwürdig aus einer Position als Freunde und Partner der Türkei tun . ({7}) Gerade durch die Eröffnung der Kapitel 23 und 24 im Rahmen des Beitrittsprozesses können wir den Dialog zu Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit intensivieren und so unsere Möglichkeiten erhöhen, die Entwicklung in der Türkei positiv zu beeinflussen. Denn hier geht es keineswegs - das wird oft falsch dargestellt - um Verhandlungen, sondern um die Überprüfung der Einhaltung der für die EU unverzichtbaren Standards im Acquis communautaire . ({8}) Die Türkei ist und bleibt für uns, weit über die Flüchtlingspolitik hinaus, ein wichtiger strategischer Partner . Gerade wir in Deutschland haben aus vielfältigen Gründen ein vitales Interesse an einer prosperierenden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft, in der Meinungs- und Pressefreiheit einen selbstverständlichen Platz haben . Vielen Dank . ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass die Grünen eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben . Ich glaube, wir müssen diese Debatte in einen Gesamtkontext stellen . Es hat natürlich mit dem Deal der Bundesregierung zum Thema Flüchtlinge zu tun . Es hat damit zu tun, dass Herr Erdogan in der Türkei verkündet hat, dass ab 1 . Juli dieses Jahres Visafreiheit herrschen wird . Es gibt im Übrigen auch den Zusammenhang, dass der Parlamentspräsident, Herr Kahraman, gesagt hat, man brauche eine islamische Verfassung . Das alles sind Dinge, die mit zu diesem Thema gehören . Herr Erdogan hat, wenn man es nett sagen möchte, eine Schlüsselstellung . Man kann aber auch sagen: Herr Erdogan nutzt diese und erpresst Europa . Das Schlimme ist: Er kann Europa erpressen, meine Damen und Herren . ({0}) Thomas Jefferson hat vor rund 240 Jahren gesagt: Wo Pressefreiheit herrscht und jedermann lesen kann, da ist Sicherheit . Ich füge heute hinzu: Wo Journalistinnen und Journalisten frei berichten können, nicht attackiert, verhaftet oder ermordet werden, dort erst können Bürgerinnen und Bürger die Demokratie frei gestalten . ({1}) Wie aber ist die Lage in der Türkei? „Reporter ohne Grenzen“ hat festgestellt, dass die Türkei bei der Pressefreiheit auf Platz 151 von 180 Ländern liegt . Aktuell sind über drei Dutzend Journalistinnen und Journalisten in Haft . Unsere Fraktion hatte in der letzten Woche die Ehefrau von Can Dündar, dem Chefredakteur der Cumhuriyet, zu Besuch . Wenn man einen Betroffenen in der Fraktion zu Besuch hat und mit ihm redet, dann gewinnt man einen anderen Eindruck . Man erfährt zum Beispiel, dass Redaktionen gestürmt werden . Wenn man sich das alles vor Augen führt, bekommt man eine andere Sicht auf die Situation . Im Übrigen betrifft das inzwischen auch Journalisten von hier . Der ARD-Journalist Volker Schwenck wurde über zehn Stunden am Flughafen in der Türkei festgehalten und an der Einreise gehindert . Seit dem Amtsantritt von Herrn Erdogan gab es in der Türkei über 2 000 Verfahren wegen Verunglimpfung des Staatspräsidenten . ({2}) Meine Damen und Herren, das ist doch skandalös . ({3}) Herr Böhmermann, der hier genannt wurde, ist nur das prominenteste Beispiel hier in Deutschland . Viele haben gesagt, dass es ein großer Fehler der Kanzlerin war, sich hierzu öffentlich zu äußern . Sie hat diesen Fehler eingeräumt . Es wurde auch wirklich Zeit . Aber, meine Damen und Herren, es ist mehr nötig . Wenn früher autokratische Staatschefs besucht wurden, dann hatte der Besucher immer eine Liste mit Personen dabei, die aus dem Gefängnis zu entlassen waren und vor Verfolgung geschützt werden sollten . Hatte die Bundeskanzlerin auf ihrer Reise eigentlich auch einen solchen Zettel mit? War das so? Haben Sie Herrn Erdogan wirklich entsprechende Hinweise gegeben? Mich erinnert das Verhalten der Kanzlerin daran, was in der Reisewarnung des Auswärtigen Amts steht Katrin Göring-Eckardt hat das zitiert -: Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen . . . Genau das hat Frau Merkel offensichtlich völlig in sich aufgenommen . Lieber Herr Nick, Sie haben gesagt: Wir betrachten das mit Aufmerksamkeit - na, Donnerwetter! -, wir haben keinen Nachholbedarf - na, Donnerwetter! -, wir wollen keinen erhobenen Zeigefinger. - Entschuldigen Sie, bei dieser Entwicklung ist nun wirklich etwas mehr nötig . ({4}) Wie hat Maxim Gorkij gesagt? Die Abschaffung der Pressefreiheit ist eine physische Vergewaltigung und der Demokratie unwürdig . Wir müssen aufpassen, dass das Grundrecht auf Presseund Meinungsfreiheit hierzulande und in Europa nicht aktuellen politischen Erwägungen geopfert wird . Es ist eben so: Der lange Arm Erdogans reicht inzwischen sehr weit . Am Wochenende wurde die Forderung des türkischen EU-Botschafters bekannt, Fördermittel der Europäischen Union für das Konzertprogramm Aghet - Agit der Dresdner Sinfoniker nicht auszuzahlen . In diesem Stück wird der Massenmord an den Armeniern vor hundert Jahren als Genozid bezeichnet . Die EU-Kommission ist der Forderung zwar nicht nachgekommen, hatte aber nach Angaben der Dresdner Sinfoniker eine Entschärfung der bisherigen Formulierung auf ihrer Internetseite angekündigt, und die Projektbeschreibung wurde deshalb von der Internetseite heruntergenommen . Das dürfen Demokratinnen und Demokraten nicht akzeptieren . Die Erpressungen müssen aufhören . ({5}) Ich will zum Schluss kommen und noch einmal zitieren: Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun . In diesem Sinne, Frau Bundeskanzlerin und liebe Bundesregierung - der Bundesaußenminister ist ja anwesend -: Finden Sie deutliche Worte! Es geht nicht um erhobene Zeigefinger, es geht um die Werte, die wir haben - die Werte in unserem Land und die Werte Europas . Deswegen erwarten wir eine deutliche öffentliche Positionierung . Die Türkei ist ein NATO-Partner, und sie will sogar in die EU . Bei diesen Voraussetzungen - Stichworte: Frauenrechte, Politik gegen Kurdinnen und Kurden, Trennung von Kirche und Staat, nicht zuletzt Pressefreiheit - ist das für uns hier in diesem Hause aber nicht akzeptabel . Das dürfen wir in diesem Hause - und zwar alle politischen Parteien - niemals akzeptieren . Herzlichen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr . Dorothee Schlegel, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Dorothee Schlegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! „Die Gedanken sind frei“, sagt ein altes Volkslied . Aber wir erleben, dass in der heutigen Türkei selbst die Freiheit der Gedanken bedroht ist . Wir beobachten, dass die Presse- und Meinungsfreiheit dort in einem erbärmlichen Zustand ist . Diese Entwicklung hat sich mir in der letzten Woche in Ankara und in Istanbul auch bestätigt . Als Berichterstatterin war ich mit einer Delegation des EU-Ausschusses vor Ort . Zwei Tage vor der Fortsetzung seines Prozesses trafen wir in Istanbul den Journalisten Can Dündar in den Redaktionsräumen der Cumhuriyet. Der Chefredakteur dieser ältesten Zeitung der Türkei wurde vom Staatspräsidenten persönlich angeklagt genauso wie etliche seiner Kollegen und annähernd 2 000 Bürgerinnen und Bürger . Dündar hatte neben kritischen Kolumnen auch Bilder veröffentlicht, auf denen Lastwagen des Geheimdienstes zu sehen sind, die syrische Islamisten mit Waffen beliefern . Die ihm drohende Strafe ist zweimal lebenslänglich . Bei allem Pessimismus habe ich Can Dündar als sehr geradlinigen Menschen empfunden . Mich hat beeindruckt, dass er entschlossen für seine Sache einsteht trotz staatlicher Einschüchterung . Ein gutes Vorbild! Wenige Tage zuvor konnte ich hier im Reichstag ebenfalls mit seiner Ehefrau, Dilek Dündar, sprechen - auch darüber, wie in der Türkei neuerdings Terrorismus definiert wird . Sie sagte: Wir haben Hoffnung, aber Wunder können wir nicht erwarten . - Can Dündar hofft auf die Wachsamkeit der EU und darauf, dass nicht nur sein Prozess international beobachtet wird . Im Januar letzten Jahres sprach der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf Einladung der Körber-Stiftung in Berlin . Auf die Einschränkung der Pressefreiheit hin angesprochen, betonte er, die türkische Presse sei frei . In einem offenen Brief an die „Kanzlerin der freien Welt“, vom Spiegel am Samstag veröffentlicht, weist Dündar auf eine gemeinsame Pressekonferenz von Davutoglu mit Angela Merkel im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Türkei-Aktionsplan im Februar dieses Jahres hin . Wieder auf die Pressefreiheit angesprochen, antwortete der Ministerpräsident, dass in türkischen Gefängnissen keine Journalisten säßen, die für ihre Arbeit bestraft würden . Zur selben Zeit, so Dündar, saß er in Haft . Meine Damen und Herren, wenige Tage nun vor dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, am 3 . Mai, haben wir letzte Woche erlebt, dass ausländischen Journalisten die Einreise in die Türkei verweigert wurde; meine Kolleginnen und Kollegen haben darauf schon hingewiesen . Sie wurden festgesetzt, verhaftet, freigelassen und wieder zurückgeschickt . Diese Vorgänge sind alarmierend; denn Journalisten müssen ihrer Aufgabe ungehindert nachgehen können . ({0}) EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat recht: In Demokratien haben schwarze Listen weder für Journalisten noch für Akademiker oder sonstige Berufsstände etwas zu suchen . - Wir erleben in der Türkei derzeit ein großes Aber gegen die denkende Elite . In Ankara sagte mir eine Journalistin der oppositionellen Zeitung Sözcü: Wie lange können wir noch weiterschreiben? - Sie war zuvor bei der Tageszeitung Hürriyet entlassen worden . Sie erzählte: Nach einem kurzen Sommer der Demokratie begannen dann im letzten November Repressionen, Kündigungen, Strafgebühren, Übergriffe, und in den Köpfen setzte die Selbstzensur ein . Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu war bei unserem Treffen im türkischen Parlament darin mit mir einig, dass die EU-Beitrittsverhandlungen für eine demokratische Türkei lebensnotwendig seien . Bereits vor 57 Jahren stellte die Türkei einen Assoziierungsantrag an die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft . Nicht nur Kilicdaroglu ist enttäuscht darüber, dass der Türkei von der früheren schwarz-gelben Bundesregierung die EU-Beitrittstür ohne Not zugeschlagen wurde . Heute stehen wir vor den Folgen dieser Fehlentscheidung . Zehn Jahre eines möglichen Demokratisierungsprozesses gingen verloren . Wir waren mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer in dieser Frage schon einmal weiter . ({1}) Es ist höchste Zeit, dass die EU die Verhandlungskapitel 23 und 24 zu Justiz und Menschenrechten öffnet; denn dann müssen die Fakten auf den Tisch und Grundwerte diskutiert werden . Die Einschränkung von Grundrechten und die Rechtsunsicherheiten schaffen in der Türkei ein Klima der Angst . Sie gehen dann Hand in Hand mit dem Verlust von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Säkularismus und Religionsfreiheit . Wir dürfen also die gesellschaftlichen Kräfte in der Türkei, die mit hohem Einsatz gegen Repressionen und für die Annäherung an die EU kämpfen, nicht alleine lassen . Daher ist eine Fortsetzung eines sachlichen, klaren und kritischen Dialogs mit der türkischen Regierung unabdingbar . Wir fordern ein Ende der Gewalt im Südosten der Türkei und eine Fortsetzung der Friedensverhandlungen . Und wir fordern die Freilassung von Journalisten aus türkischen Gefängnissen . Herzlichen Dank . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pressefreiheit liegt in der Türkei am Boden; da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen . Das wird auch niemand tun . Diese Situation besorgt uns aus drei Gründen: Erstens . Die Türkei ist ein NATO-Partner . Zweitens . Sie will Mitglied in der EU werden . Drittens . Die Türkei ist aus strategischen Gründen für uns wichtig . Jedem ist klar: Ohne Pressefreiheit kann es keine Mitgliedschaft in der EU geben; das ist völlig unbestritten . Es kann sie übrigens auch nicht ohne Religionsfreiheit, ohne unabhängige Justiz und ohne Einhaltung von Menschenrechten geben . Wenn das nicht gewährleistet ist, wird die Türkei kein Mitglied der EU werden können . Sie wird es auch nicht werden können - es sei mir hier noch erlaubt, das besonders zu betonen -, wenn die Frauenrechte nicht gewährleistet sind . Blicken wir einmal einen Augenblick zurück: Das Ringen um die Presse- und Meinungsfreiheit hat sehr früh begonnen . Wenn man darauf schaut, wird einem klar, wie erkämpft und gar nicht selbstverständlich sie ist . Schon vor 400 Jahren formulierte John Milton, ein Vordenker der Pressefreiheit: Die Freiheit steht an der Wiege aller großen Gedanken . … Gebt mir die Freiheit zu wissen, mich mitzuteilen und, vor allem, frei nach dem Gewissen zu urteilen . Diese Worte sind nach 400 Jahren aktueller denn je . Freiheit ist das Fundament der Demokratie, und insofern gibt es da keinen Rabatt . ({0}) - Ja, bitte! Es freut mich, wenn Sie sich einen Satz merken, den ich Ihnen sage . Das kann ja nicht falsch sein . Übrigens hat auch Immanuel Kant engagiert für die Freiheit des Denkens geworben und von der Freiheit der Feder gesprochen . Insofern haben wir allen Grund, die Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen und sie auch als Eintrittskarte für jegliche Mitgliedschaft in der EU zu benutzen . ({1}) Aber das, was für uns selbstverständlich ist - Artikel 5 Grundgesetz -, ist in vielen Ländern nicht selbstverständlich . In Russland, in China und im Iran ist das nicht selbstverständlich . Ich könnte die Liste beliebig verlängern . Egal, wo die Pressefreiheit gefährdet ist - Sie sind da immer ein bisschen auf dem linken Auge blind -, müssen wir das anmahnen . Ein selektives Gewissen - da habe ich bei Ihnen manchmal ein bisschen Sorge - kann es nicht geben . ({2}) Die Tatsache, dass der türkische Präsident die Pressefreiheit ohne Frage zurzeit mit Füßen tritt, müssen wir natürlich in aller Deutlichkeit kritisieren, und genau das tut die Bundeskanzlerin, und genau das tut der Außenminister . Sie brauchen auch gar keine Listen, Herr Bartsch; denn die Namen sind ja bekannt . Sie haben sie doch alle genannt . Man muss also weder der Bundeskanzlerin noch dem Außenminister eine Liste zustecken . Das haben die - dessen seien Sie ganz gewiss - gut im Kopf . ({3}) - Ja, gut, sie soll sie aber nennen und das bei Erdogan einfordern . ({4}) Natürlich ist es eine Schande, Frau Göring-Eckardt, dass die Türkei in Bezug auf die Pressefreiheit auf Platz 51 liegt . ({5}) - Entschuldigung! 151, das meinte ich auch . - Schlechter geht es bald gar nicht mehr . Das ist eine Schande . Vor allem ist es eine Schande für dieses Land . Das hätte etwas Besseres verdient . Es bleibt nur die Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen . Sollen wir etwa deshalb nicht mit der Türkei verhandeln, wenn es um die Flüchtlingsfrage geht? Das wäre doch genau falsch . Sprechen, diskutieren, verhandeln und auch streiten ist das Gebot der Stunde . Der türkische Ministerpräsident Davutoglu er ist hier schon wiederholt zitiert worden - hat gesagt: Wir können über alles reden, auch über die Pressefreiheit . - Dann tun wir es doch auch! Wir dürfen die Brücken, die es ohne Frage gibt, nicht abbrechen, sondern müssen versuchen, sie zu stabilisieren . Viele Menschen - dazu gehört auch Herr Bartsch fürchten, dass wir durch die aktuellen Vereinbarungen mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage erpressbar seien . Das ist doch total falsch . Sie wissen das selber, Herr Bartsch . ({6}) Niemand will das, schon gar nicht die Bundesregierung . ({7}) Pressefreiheit ist nicht verhandelbar . Gerade weil wir mit der Türkei in enger Verbindung stehen, haben wir doch die Möglichkeit - ich beende meine Rede, Frau Präsidentin -, Einfluss zu nehmen und auch Druck auszuüben. ({8}) Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit ist in kommunistisch regierten Ländern ebenso anzuprangern - das sollten Sie sich merken - wie in islamisch regierten Ländern . Einen Unterschied gibt es nicht. Das, finde ich, ist wichtig. Ich bin gespannt auf die nächste Aktuelle Stunde zum Thema Russland, China oder Ähnliches . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bundesregierung! Die willfährige Haltung der deutschen Bundeskanzlerin, die bei dieser wichtigen Debatte heute schon wieder nicht anwesend ist - wahrscheinlich eröffnet sie gerade ein neues EU-Beitrittskapitel für die Türkei -, ({0}) gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hat verheerende Konsequenzen . Erdogan und das AKP-Regime fühlen sich nämlich durch den schmutzigen EU-Türkei-Flüchtlingsdeal regelrecht ermutigt, immer härter gegen Kritiker im Inland, aber zunehmend auch im Ausland vorzugehen . Für all das, was wir jetzt erleben - von den Forderungen des türkischen Parlamentspräsidenten nach einem Gottesstaat in der Türkei bis hin zu den Einreiseverboten für ausländische Journalisten -, trägt diese Bundesregierung eine Mitverantwortung . ({1}) Kanzlerin Merkel und ihr Vize Gabriel machen Erdogan nämlich durch ihre beständige Zusammenarbeit stark . Während in Ankara eine Mörderbande regiert, die Journalisten wie Can Dündar verfolgen lässt, weil diese Waffenlieferungen an islamistische Gotteskrieger in Syrien durch den türkischen Geheimdienst aufgedeckt haben, hält es die Bundeskanzlerin nicht einmal für nötig, auch nur zu erwägen, sich mit verfolgten Journalisten in der Türkei zu treffen. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für eine Bundesregierung und für eine Bundeskanzlerin, die sich als Kanzlerin der freien Welt feiern lässt . ({2}) Gehört es eigentlich zum guten Ton, wenn ein NATO-Land oder EU-Beitrittskandidat wie die Türkei Waffen an islamistische Mörderbanden in Syrien liefert, mit denen dann schlimmste Kriegsverbrechen begangen werden? Was diese Bundesregierung in puncto Türkei abliefert, ist wirklich zum Fremdschämen, meine Damen und Herren . ({3}) Sie machen sich an den Verbrechen Erdogans mitschuldig, und Sie ermutigen ihn tagtäglich, noch dreister vorzugehen . Wenn Sie noch einen Funken Anstand hätten, dann würden Sie dieses unwürdige Schauspiel beenden . Ich meine damit: tatsächlich beenden . Es geht nicht nur darum, öffentlich Haltung zu zeigen - und noch nicht einmal dazu ist die Bundesregierung imstande -, sondern auch darum, Konsequenzen zu ziehen . Wo sind denn die Konsequenzen angesichts der Verbrechen gegen die Zivilgesellschaft in der Türkei durch das AKP-Regime? Die polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Kooperation wird überhaupt nicht angetastet, nicht einmal vor dem Hintergrund, den ich gerade erwähnt habe, nämlich dass islamistische Mörderbanden durch die türkische Regierung weiter bewaffnet werden . Sie ziehen noch nicht einmal einen Waffenexportstopp in Erwägung, wie er 1992 unter Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher angesichts eines Massakers in Cizre durch die türkische Regierung und das Militär an den Kurden möglich war . Nicht einmal dazu sind Sie fähig . ({4}) Weil die SPD offensichtlich sehr enge Verbindungen zu der Rüstungsindustrie hat, darf es keinen Waffenexportstopp geben. Ich finde, das ist eine moralische Bankrotterklärung in der Außenpolitik dieser Bundesregierung . ({5}) Man sieht das auch im Vergleich mit anderen Staaten . Während die Stadt Genf sich dem widerlichen Ansinnen des Despoten Erdogan verweigert, die Meinungsfreiheit zu schleifen, kriecht die Bundesregierung zu Kreuze . Während die Genfer sie mit einem Löwenherz verteidigen, gibt es bei der Bundesregierung nur Duckmäusertum und eine Vorverurteilung eines Satirikers durch die Bundeskanzlerin höchstpersönlich . Ich wünschte mir mehr Genf in Berlin als die Bundeskanzlerin und das Außenministerium . ({6}) Wir müssen hier Position beziehen und eine klare Haltung nicht nur gegenüber der Zivilgesellschaft, den verfolgten Kurden, den verfolgten Aleviten, den verfolgten Armeniern oder den verfolgten Journalisten und Gewerkschaftern in der Türkei einnehmen . Vielmehr müssen wir sogar - dazu hat uns diese Bundesregierung gebracht unsere verfassungsmäßigen Grundwerte und Grundrechte verteidigen, weil Sie in den letzten Jahren Dialog mit Unterwerfung verwechselt haben . Wir brauchen einen Dialog mit der Türkei . Aber wir brauchen keine Unterwürfigkeit, kein Duckmäusertum, keine ständigen Bücklinge in Ankara, die der Zivilgesellschaft in der Türkei mehr schaden als helfen . Vielen Dank . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Martin Dörmann hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Presse- und Meinungsfreiheit sind Grundpfeiler jeder Demokratie . Es muss uns deshalb umtreiben, dass in immer mehr Staaten Journalisten und andere kritische Stimmen mit Repressalien bedroht werden . Wir sollten laut vernehmbar unsere Stimme erheben, um unabhängige Berichterstattung zu schützen . Das gilt auch und gerade für die Türkei, die aus vielen Gründen ein wichtiges Partnerland für Deutschland ist . Umso mehr muss uns beunruhigen, dass die Türkei auf der von „Reporter ohne Grenzen“ aufgestellten Liste der Pressefreiheit weit hinten liegt, nämlich auf Platz 151 von 180 Staaten . Seit Jahren gibt es dort eine sehr negative Entwicklung in Bezug auf Presse- und Meinungsfreiheit, entscheidend forciert durch die zunehmend autokratische Politik des heutigen Staatspräsidenten Erdogan . Hunderte türkische Journalisten müssen sich wegen kritischer oder investigativer Veröffentlichungen vor Gericht verantworten . Inzwischen sind beinahe 2 000 Menschen mit Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten oder ähnlicher Vorwürfe überzogen worden . Die FAZ schrieb gestern von einem „Zustand fortgeschrittenen Majestätsbeleidigungswahns“ des Präsidenten, der mit den Methoden eines Polizeistaats vorgehe . Nun sind auch verstärkt ausländische Journalisten im Visier . Es häufen sich Berichte über schwarze Listen . Der Spiegel-Online-Korrespondent Hasnain Kazim musste kürzlich aus Angst vor einer Festnahme das Land verlassen . Gestern schrieb er auf Spiegel Online: Die Türkei setzt internationale Pressevertreter unter Druck, mit Einreiseverboten, Anzeigen und Hasskampagnen im Internet . Die Reporter spüren jetzt die Angst, die ihre einheimischen Kollegen schon lange kennen . Vermehrt interveniert die Türkei jetzt bei unliebsamen Beiträgen sogar im Ausland, wie mit der Einbestellung des deutschen Botschafters wegen eines Erdogan-kritischen Satireliedes in der ARD-Sendung extra3. Vor diesem Hintergrund war es richtig, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas im Kabinett gegen den Antrag der Türkei im Fall Böhmermann und damit gegen eine Strafverfolgungsermächtigung wegen Majestätsbeleidigung gestimmt haben; ({0}) denn bei dieser Ermessensentscheidung kam es eben nicht auf juristische Erwägungen an, sondern vor allem auf die politische Wirkung . Die Verweigerung der Ermächtigung wäre ein starkes Signal gewesen, für Satire- und Meinungsfreiheit und gegen die Strategie des türkischen Präsidenten, kritische Stimmen mit den Mitteln des Strafrechts einzuschüchtern . Die Kanzlerin hat leider anders entschieden und damit in Kauf genommen, dass hierdurch in den Augen vieler Menschen die gegenteiligen Signale gesetzt wurden . Das Votum der Kanzlerin ist aber auch widersprüchlich; denn sie selbst hat ja die Sondervorschrift des § 103 Strafgesetzbuch, landläufig als Majestätsbeleidigung bekannt, als für die Zukunft entbehrlich bezeichnet und deren Abschaffung angekündigt . Die Justiz kann ja bekanntlich wie im vorliegenden Fall - wegen des normalen Beleidigungstatbestandes unabhängig ermitteln, genauso wie bei jedem anderen Bürger, aber eben nicht mit einer erhöhten Strafandrohung wie bei Staatsoberhäuptern . Nun fragt sich jeder doch: Warum soll jetzt noch zur Anwendung kommen, was eigentlich entbehrlich ist? Das öffnet letztlich Spekulationen Tür und Tor . Es darf doch gar nicht erst ein falscher Eindruck etwa in Bezug auf das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei erweckt werden . Vielmehr müssen wir klarmachen: Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit sind für uns nicht verhandelbar . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion hat gestern einen Gesetzentwurf zur sofortigen Abschaffung dieses unzeitgemäßen § 103 Strafgesetzbuch vorgelegt; denn es sind nicht die Obamas dieser Welt, die sich darauf berufen; es sind andere . Deshalb zum Schluss mein Appell an unseren Koalitionspartner: Lassen Sie uns diese unselige Sondervorschrift doch einfach schnell streichen! Lassen Sie uns ein klares Signal setzen, dass wir autokratischen Machthabern kein Sonderrecht mehr einräumen; denn unsere Haltung muss doch klar sein: Im Zweifel für die Freiheit . Vielen Dank . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es? Es geht um die Pressefreiheit, also um das unzensierte Veröffentlichen von Informationen und Meinungen . Es geht darum, Fakten zu recherchieren, Licht ins Dunkel zu bringen und die Kontrolle der Regierung erst zu ermöglichen . Es geht um nichts weniger als um das Grundnahrungsmittel in der Demokratie . Aber auch die Kunst, auch die Satirefreiheit - sie machen uns reich, sie müssen respektiert und geschützt werden als universelles Recht, also bei uns und bei unseren Partnern . ({0}) Was ist die Realität bei unserem Partner Türkei? Entrechtung des Rechts, Freiheit im freien Fall, systematischer Abbau der Demokratie . Wer in der Türkei objektiv und kritisch berichtet und damit auch die dunklen Räume des AKP-Regimes erhellt, der lebt in Angst und Gefahr: wenn es um die Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien geht, wenn es über die geheimen Waffenlieferungen der Regierung an Islamisten zu berichten gilt, wenn die Situation in den kurdischen Städten, in denen ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt wird, Thema ist . Aber wir vergessen sie nicht: Can Dündar und Erdem Gül von der Cumhuriyet, die wegen Beleidigung des Staatspräsidenten verurteilt worden sind und denen jetzt hohe Strafen wegen angeblicher Spionage und Unterstützung einer terroristischen Organisation drohen . Wir vergessen sie nicht: Cevheri Güven und Murat Capan von der Nokta, angeklagt wegen angeblicher Putschpläne . Ihr Verbrechen: ein Titelblatt zum Bürgerkrieg im Südosten der Türkei . Abdülhamit Bilici, ehemaliger Chefredakteur der auflagenstärksten Zeitung, der Zaman: Ihm wird die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen, seine Redaktion wurde gestürmt und unter Zwangsverwaltung gestellt, genauso wie die des Medienkonzerns Koza-Ipek und die von Fernsehsendern wie Bügün und Kanaltürk. Inzwischen gilt aber diese systematische Kriminalisierung nicht mehr nur für Journalisten aus oder in der Türkei; es sind mehr und mehr auch ausländische Korrespondenten von Repression in ihrer Arbeit betroffen . Ich will auch sie benennen: Volker Schwenck, David Lepeska, Ebru Umar, Giorgos Moutafis und Hasnain Kazim. Sie, wie die 2 000 Personen, die in der Türkei derzeit wegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten angeklagt sind, brauchen kein stillschweigendes Wegducken, sie brauchen unsere laute Stimme der Kritik . Vor allem brauchen sie unsere deutliche Unterstützung . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer soll uns denn in Zukunft darüber informieren, was los ist in dem Land, dem wir nun das Schicksal von Millionen von geflüchteten Menschen anvertrauen? Oder reicht uns etwa eine von der türkischen Regierung inszenierte Potemkin’sche Politshow in aufpolierten Flüchtlingslagern aus? Bei der Kritik an Erdogan - das ist uns sehr wichtig oder der Kritik an der türkischen Regierung geht es aber nicht um ein antitürkisches Ressentiment . Kritik heißt nicht: „Schlagt alle Türen zu!“; denn Erdogan ist nicht die Türkei . Es geht stattdessen darum, diejenigen Kräfte zu unterstützen, die eine demokratische Türkei wollen, die eine europäische Türkei wollen, die keine islamische Türkei und keine Verfassungsänderung wollen . Doch genau bei den demokratischen, europäischen Kräften ist nun der Eindruck entstanden, Deutschland und Europa hätten sie vergessen und ließen sie allein . Das ist wirklich verheerend . Deshalb: Lassen wir sie nicht im Stich! Verkaufen wir sie nicht für einen gefährlichen Deal mit Erdogan, der uns und die Türkei teuer zu stehen kommt, von den Flüchtlingen ganz zu schweigen . Mit diesem Deal wird doch nicht Stabilität, nicht Frieden unterstützt, sondern ein Destabilisator in einer gefährlich instabilen Region, ein Autokrat, der polarisiert, der spaltet, der kriminalisiert, der beleidigt, der neue Fluchtursachen schafft und der so längst auch der wirtschaftlichen Entwicklung in der Türkei massiv schadet . All das kann doch überhaupt nicht in unserem Interesse sein . Deshalb bin ich sehr froh, dass wir uns - nicht zuletzt in Erinnerung an den ermordeten Journalisten Hrant Dink - wenigstens einigen konnten, zum Genozid an den Armeniern ein klares gemeinsames Zeichen zu setzen . Vielen Dank . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Matern von Marschall hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Herzlichen Dank . - Ich frage mich ein wenig, wozu die Debatte dient, ob sie gegebenenfalls auch einfach nur ein Testen und Abklopfen politischer Nähe zwischen den Fraktionen im linken Spektrum ist . Das könnte auch gut sein . ({0}) Im Übrigen, Frau Kollegin Schlegel, sind wir in der vergangenen Woche zusammen in der Türkei gewesen und teilen im Wesentlichen die Einschätzung über die Defizite in Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit sowie im Demonstrationsrecht . Es geht hier aber nicht um einen Deal, wie Sie, Kollegin Dağdelen und Kollegin Roth, gesagt haben; Sie haben das noch mit dem Adjektiv „schmutzig“ ergänzt . Ich möchte einmal darauf zu sprechen kommen, dass die Türkei - mit fast 3 Millionen Flüchtlingen - und Deutschland die wesentlichste Hilfe in der Flüchtlingskrise geleistet haben . Deshalb ist auch der Türkei in diesem Falle zu danken . Dies hat die Kanzlerin völlig zu Recht getan . ({1}) Da hier suggeriert worden ist, die Bundesregierung kümmere sich nicht um die Defizite, die wir als Delegation des Bundestages vor Ort sehr wohl haben nachvollziehen können, keineswegs nur im Gespräch mit der Regierung, sondern auch mit den Oppositionsparteien, mit NGOs, politischen Stiftungen und vielen anderen Kundigen, möchte ich Ihnen zitieren, was die Bundeskanzlerin in der gemeinsamen Pressekonferenz - neben Davutoglu stehend - mit Blick auf die Pressefreiheit gesagt hat: Wenn es Fälle gibt, die die Pressefreiheit betreffen …, dann wird das angesprochen, dann wird das auf den Tisch gelegt, dann können wir darüber auch sehr offen und ehrlich sprechen . ({2}) Das ist doch im besten Sinne das, was die Kanzlerin tut . Deshalb liegen Sie da völlig falsch . Die Intensität der Gespräche, die die Kanzlerin in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise mit der türkischen Regierung geführt hat, ({3}) ist eben sehr wohl eine große Chance, auch andere Themen zu adressieren, und genau dies tut sie . ({4}) Dafür bin ich ihr auch sehr dankbar . ({5}) - Ich komme noch zu den bedrohten Journalisten . ({6}) Wir waren mit der Delegation auch bei Herrn Dündar; das war - Kollegin Schlegel, Sie haben es erwähnt - ein interessantes Gespräch . Ich muss jedoch sagen - das ist mir schon sehr wichtig -: Ich habe Herrn Dündar in unserem Gespräch als einen eleganten, höflichen und zurückhaltenden Mann kennengelernt . Der Text, den er im Spiegel veröffentlicht hat, ist aber ganz anders; das ist ein von brachialer Kriegsrhetorik geprägter Text . ({7}) - Ja, das will ich Ihnen sagen: weil die Polarisierung in der türkischen Gesellschaft unglaublich weit vorangeschritten ist . Ich will Ihnen auch sagen: Wenn Sie diese Polarisierung aus der Türkei hier ins Parlament tragen, dann ist das bestimmt nicht der richtige Weg, um die Menschen in diesem Land auf den Weg einer Annäherung an Europa zu bringen . ({8}) Das ist nämlich der kapitale Fehler, den Sie machen, und Ihr Geschwätz von Erpressbarkeit, Herr Bartsch, kann man nicht mehr hören . Das ist unterirdisch und im Grunde auch zynisch gegenüber den Notleidenden . ({9}) Vizepräsidentin Claudia Roth Sie können sich gern alle gegenseitig beklatschen in diesem Spektrum . Fahren Sie nur fort in dieser Hinsicht! ({10}) - Wenn Sie wenigstens den Sprecher hier ausreden lassen würden, dann wäre das ganz höflich. ({11}) In einer Aktuellen Stunde gibt es nämlich keine Gelegenheit für Interventionen . ({12}) Deswegen würde ich zumindest gern die fünf Minuten meiner Redezeit ausschöpfen . ({13}) Eines will ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Mit dieser Agitation, diesem Kampfgeschrei und diesem Getöse kommen wir bei der Zusammenarbeit mit der Türkei keinen Schritt weiter . ({14}) Dessen können Sie gewiss sein . ({15}) Womit wir weiterkommen, das ist ein guter, sachorientierter, klarer und transparenter Dialog . Das ist ein gutes Merkmal unserer an Kompromiss und Konsens orientierten europäischen Debattenkultur . ({16}) Wenn Sie das unterlaufen und genau das Gegenteil tun, dann stärken Sie die extremistischen Kräfte in der Türkei, ({17}) und das schadet dem, was wir erreichen wollen . Herzlichen Dank . ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion . ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss ich hier feststellen, dass es hier um mehr geht als um das Abklopfen politischer Nähe zwischen den Fraktionen . ({0}) Wenn die Pressefreiheit das „Brot der Demokratie“ ist, wie es der Journalist Heribert Prantl einmal formuliert hat, dann sieht die Welt ganz schön mager aus, und das ist kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaften . Ungefährdet ist Demokratie nie, und das gilt auch für die Türkei . Ja, wir beobachten mit Sorge die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit . Diese Beobachtung und die damit verbundene Sorge sind ganz konkret . Wir haben im Laufe dieser Debatte zahlreiche Beispiele und Berichte auch aus persönlichen Begegnungen gehört: über Beschlagnahmungen von Zeitungstiteln oder Verlagen, über Sperrungen von Internetseiten, über Verhaftungen von Wissenschaftlern, über Interventionen und Einreiseverbote . Mittlerweile trifft es auch deutsche Journalisten . Das alles macht die aktuelle und intensive Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage sicher nicht einfacher . Im Gegenteil: Die Reaktionen des türkischen Staatspräsidenten erschweren sie . Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, das sind keine deutschen Werte, keine türkischen Werte; es sind gewachsene internationale, universelle Werte . Wir müssen sie immer wieder neu einfordern, schützen und pflegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das unsere Orientierung in der internationalen Politik sein muss, die wir nicht verlieren dürfen . ({1}) Das Auswärtige Amt hat seine Erwartungen gegenüber der Türkei klar formuliert . Frank-Walter Steinmeier hat sich mit Vertretern der Opposition getroffen . Das hätten wir übrigens auch der Bundeskanzlerin empfohlen . ({2}) Meine Kollegin Dorothee Schlegel hat vorhin schon unsere politischen Positionen dargestellt . Ich will noch hinzufügen: Die EU könnte ein Monitoring mit dem UNHCR für die Einhaltung von Menschenrechten bei der Zusammenarbeit zur Bewältigung der Flüchtlingskrise einsetzen . Das wäre einmal eine Initiative, die zeigte, dass unsere Werte nicht nur auf dem Papier, sondern eben auch im Alltag, auch dann, wenn es schwierig wird, bestehen . Auch die Öffnung der Kapitel über Menschenrechte und Justiz wäre ein Hebel, mit dem sich die Belastbarkeit unserer Beziehungen prüfen ließe . Lassen Sie mich erwähnen, was in der Türkei und auch bei vielen Deutschtürken von der Diskussion ankommt denn auch das ist ein Teil der Wahrheit -: oft nur wenige, zugespitzte Worte . Das sollten wir wissen, wenn wir uns wundern, warum ein Teil der Türkinnen und Türken gekränkt auf Kritik reagiert . Viele sind verletzt ob der teilweise auch ausfälligen Bemerkungen . Vielfach werden sie nicht als Kritik am Staatspräsidenten und seiner Führung verstanden, sondern an allen Türken . Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest: An vielen Stellen im Internet sind diese Bemerkungen eben auch keine Satire, keine Kunst, sondern Hetze, auch von rechts . ({3}) Um dagegen vorzugehen, gibt es in der Tat Gerichte weil Demokratie Verantwortung braucht, weil Freiheit Grenzen hat, weil der Staat seine Bürger schützen muss . Gerichte sind aber nicht dazu da, um sie politischer Einmischung zu unterziehen oder gar zu instrumentalisieren . In der Demokratie gilt der Satz von Voltaire: Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen . Besonders für die Freunde der Türkei ist die aktuelle Entwicklung niederschmetternd; denn die deutsch-türkischen Beziehungen sind für viele von uns nicht bloß ein Politikfeld, sondern vielmehr eine Herzensangelegenheit . Das zeigt sich, denke ich, heute in dieser intensiven Debatte . Aber wir fangen nicht bei null an . Augenhöhe, Respekt und eine gemeinsame Geschichte helfen, wenn es darum geht, unter Parlamentariern auch schwierigste Themen anzusprechen . Das ist möglich, und das ist Realität, und das erwarte ich auch von der Bundesregierung, von der Spitze der Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({4}) Es war ein weiterer Autor der SZ, Gustav Seibt - den möchte ich jetzt noch erwähnen -, der dieser Tage „die vergessene Liebe zwischen Türken und Deutschen“ beschrieben hat: die außenpolitische Geschichte von Metternich, Bismarck und Moltke, die Geschichte der Gastarbeiter - bis zu den Fehlern der EU in der jüngeren Vergangenheit und dem gewachsenen türkischen Mittelstand in diesem Land -, aber vor allem auch die Geschichte der Türkei, die 1933 zum Exil für Künstler und für Wissenschaftler wurde . Sie sind es, die uns heute mahnen und warnen, die unsere Gesellschaft zu dem machen, was sie ist . Wir sollten ihre Stimmen hören . Mehr noch: Wir als Politiker müssen ihnen die Räume der Artikulation offen halten - mit einer Außenpolitik der Zivilgesellschaften; denn es gibt keinen Automatismus in der Geschichte . Wir bestimmen sie selbst . Dazu, zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Gustav Seibt im Zitat: Es gibt also - jenseits von NSU, Sarrazin-Debatte, Böhmermann und Erdoğan - eine deutsch-türkische Geschichte von säkularem Ausmaß und eine zivilgesellschaftlich-kulturelle Realität, deren Vielschichtigkeit und schiere Interessantheit oft nicht gegenwärtig sind . Diese Lieblosigkeit ist kaum zu begreifen, denn sie schwächt die Gesellschaft insgesamt . Auch Staatspräsident Erdogan wird einmal an dieser Geschichte gemessen werden . Vielen Dank . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns hier im Deutschen Bundestag auf Antrag der Grünen mit der türkischen Innenpolitik . ({0}) Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass die eigentliche Aufgabe des Bundestages ({1}) die Kontrolle der deutschen Regierung und nicht der türkischen Regierung ist . ({2}) Aber das ist wohl auch den Grünen und selbst den Linken aufgefallen . Deswegen musste ein krampfhafter Versuch gemacht werden, aus dem erkennbar türkischen Fehlverhalten deutsches Fehlverhalten zu machen . ({3}) Dies treibt nun ganz besondere Blüten . Da kommt der Kollege Bartsch daher und rügt lautstark, dass auf dem Zettel, wie er sich ausgedrückt hat, der Bundeskanzlerin auf dem Weg nach Ankara bestimmte Namen von in der Türkei Verfolgten nicht gestanden hätten . Woher wissen Sie das eigentlich, Herr Bartsch? ({4}) - Ach, Sie fragen . Okay . ({5}) Ich habe ja mal fragen dürfen . Dann kommt die Frau Göring-Eckardt mit folgendem Gedankengang - da treibt der deutsche Schuldkomplex eine ganz besondere Blüte -: Wären wir - Ihrem - Joschka Fischer gefolgt, wäre die Türkei schon vor zehn Jahren in die EU aufgenommen worden, ({6}) und alles hätte sich völlig anders entwickelt . - Also sind doch die Deutschen schuld an der Entwicklung in der Türkei . ({7}) Das ist der deutsche Schuldkomplex auf besonders feinsinnige Art . ({8}) - Ich erlaube mir, davon zu sprechen . Ich möchte daran erinnern, dass der Herr Erdogan vom türkischen Volk in direkter Wahl mit 52 Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt wurde . ({9}) Frau Roth, Sie sagen: Wir müssen zwischen dem türkischen Volk und Herrn Erdogan unterscheiden . - Da mahne ich zur Vorsicht . Als Demokratin kann man 52 Prozent nicht einfach negieren . ({10}) Nun bin ich der Letzte, der bei der Psychostruktur dieses Herrn sagt: Das können wir in aller Ruhe mit ihm wegverhandeln . ({11}) Ich befürchte eher, dass dieser Staatspräsident mit seinem weiteren Vorgehen noch viele unliebsame Überraschungen vorhat, auch was die Migration anlangt . ({12}) Deswegen ist es richtig, über Erpressbarkeit nachzudenken . Ich sage zum Thema Erpressbarkeit in Bezug auf Erdogan nur eines: Wenn wir das Schicksal Deutschlands allein in die Hände dieses Herrn legen würden, ({13}) dann - um Gottes Willen - wären wir wirklich erpressbar . Deswegen kann ich davor nur warnen . Wir kommen zu ganz anderen Schlüssen als Sie, Frau Roth . ({14}) Wir kommen zu dem Schluss, dass wir neben der Sicherung der EU-Außengrenze durch Erdogan durchaus parallel noch Binnengrenzkontrollen nach dem Motto des Volksmundes: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, vornehmen müssten, um uns diesem Herrn nicht ganz auszuliefern . - So viel zu diesem Thema . ({15}) Ein schmutziger Deal muss es nicht sein . Wer das Lager, das in der Türkei gebaut wurde, gesehen hat - nur 270 000 Menschen sind dort -, ({16}) muss sagen, dass das ein Vorzeigelager ist und es sich lohnt, hier Geld hineinzustecken . Zweitens . Es ist auch wichtig, dass wir noch mehr Geld ausgeben, um die Menschen in der Region zu halten, um dort einen Bleibegrund zu schaffen, damit dort Schulausbildung, Berufsausbildung und Ähnliches stattfinden kann, damit sie die Region nicht verlassen. Das ist, denke ich, kein schmutziger Deal, sondern eine gute Nachricht . Aber ich möchte etwas anderes sagen, weil es um die Meinungsfreiheit überall auf der Welt ging . Machen Sie mit mir einmal das Gedankenexperiment: Dieser Herr Böhmermann hätte das, was er in die Kamera gesagt hat, nicht Erdogan, sondern Putin gewidmet . Herr Bartsch, hätten Sie dann auch eine Aktuelle Stunde beantragt? ({17}) Ich könnte mir vorstellen, dass nicht nur die deutsche Parteienlandschaft, sondern auch die deutsche Medienlandschaft ganz anders darüber gesprochen und reagiert hätte . Aber im Fall Erdogan ist es ja möglich . Ich habe mit Burkhard Hirsch normalerweise nichts am Hut, aber hier hat er recht . Ich habe von ihm einen Leserbrief gelesen . Dort schreibt zu Böhmermanns - er setzt es in Anführungszeichen - „Kunst“: … primitive Aneinanderreihung beleidigender, mieser … Er fährt fort: Ich bin leidenschaftlich für die Pressefreiheit, aber nicht für eine Beleidigungsfreiheit … Das ist auch richtig, Herr Hirsch . Auch das sollte man sich einmal durch den Kopf gehen lassen . ({18}) Ich möchte zum Schluss kommen . Die EU hat einen Vertrag mit Erdogan . Ich kann nur dringend ermahnen, nicht nur den Vertragstext zu lesen und zufrieden mit nach Hause zu nehmen - Papier ist geduldig -, sondern auch an den Vollzug des Vertrags zu denken . Ich möchte mahnen, die Gesetze, die er erlässt, nicht nur zu lesen und zu glauben, sondern auf den Vollzug der Gesetze zu achten . Dieser Herr ist für Willkür allemal geeignet . Deswegen muss man ihn sehr genau überwachen . ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinungs- und Pressefreiheit sind die feinsten Seismografen der Menschenrechtslage eines Landes . Die jährlichen Fortschrittsberichte der EU über die Türkei machen uns seit Jahren darauf aufmerksam, dass in der Türkei Meinungs- und Pressefreiheit Schritt um Schritt weniger geachtet werden . Das haben wir auch hier schon debattiert . Wir haben nicht weggeschaut, sondern wir haben hier im Hause darüber gesprochen . Vor diesem Hintergrund brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen, aber wir müssen es immer wieder ansprechen . Das aber zunehmend aggressivere Vorgehen der Türkei gegen Journalisten, gegen Medien, aber auch gegen unliebsame Bürger, gegen die Kurden in einer unglaublichen Art und Weise zeigt eine besorgniserregende Entwicklung, die wir nicht einfach negieren dürfen . Sowohl die EU-Fortschrittsberichte als auch die Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ belegen seit längerem - nicht erst jetzt, in einer Situation, in der wir seitens der EU ein Abkommen mit der Türkei geschlossen haben - die immer stärkeren Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit durch die türkische Regierung und sogar durch den Staatspräsidenten höchstpersönlich . Das ist schon ein Novum, auch innerhalb der Türkei; das muss man deutlich sagen . Auf der Rangliste der Pressefreiheit der „Reporter ohne Grenzen“ - auch das ist schon angesprochen worden - steht die Türkei auf einem blamablen Platz 151 von 180 Staaten . Wenn man sich das vor Augen führt, dann kann man beklommen werden; denn die Türkei ist ein EU-Beitrittskandidat . Deshalb darf uns das nicht egal sein, deshalb haben wir es in der Vergangenheit angesprochen und sprechen es auch jetzt immer wieder an . ({0}) Wir sehen: Redaktionen werden von Regierungsanhängern angegriffen, regierungskritische Medien müssen mit Razzien rechnen, kritische Journalisten werden inhaftiert und schikaniert, nicht nur offenkundig, sondern auch unter der Decke . Regierung und Staatsspitze heizen die Stimmung mit aggressiver Rhetorik und Hetze gegen Journalisten zusätzlich auf . Anfang März 2016 stellte die türkische Justiz die größte oppositionelle Zeitung Zaman unter Zwangsverwaltung, gefolgt von der zur gleichen Mediengruppe gehörenden Nachrichtenagentur Cihan . Die Strafanzeige gegen den Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar - auch wir haben in unserer Arbeitsgruppe Menschenrechte mit seiner Frau gesprochen -, stellte der türkische Präsident Erdogan höchstpersönlich . Das ist schon ein besonderes Kriterium im Hinblick auf die Frage, wie er selbst die Pressefreiheit sieht . Als das türkische Verfassungsgericht die sofortige Freilassung von Journalisten nach dreimonatiger Untersuchungshaft anordnete, stellte Präsident Erdogan auch die Zukunft des Verfassungsgerichtes infrage . Das ist ein neues Kriterium, wir dürfen es nicht außer Acht lassen . ({1}) Die Repressionen richten sich inzwischen nicht nur gegen Journalisten und Medien in der Türkei, sondern auch gegen ausländische Journalisten . Erst am Montag hatten die Behörden dem US-Reporter David Lepeska die Einreise verweigert . Am Samstag war der für die Bild-Zeitung arbeitende griechische Fotoreporter Giorgos Moutafis auf dem Istanbuler Flughafen abgewiesen worden . Die Fälle reihen sich wie eine Perlenkette aneinander . Die niederländische Journalistin Ebru Umar wurde am Wochenende nach kritischen Äußerungen über Präsident Erdogan vorübergehend sogar festgenommen . Der ARD-Fernsehkorrespondent Volker Schwenck durfte nicht in die Türkei einreisen . Aber die türkische Regierung geht nicht nur innerhalb des eigenen Landes gegen unliebsame Medienberichte und Meinungsäußerungen vor . In der Vergangenheit auch aktuell - waren es zumeist Darstellungen über den Völkermord an den Armeniern, bei denen die türkische Regierung auch in anderen Staaten interveniert hat . Das haben jüngst die Dresdner Sinfoniker zu spüren bekommen . Die Türkei verlangte, beim Projekt „Aghet - Agit“ zum Völkermord an den Armeniern die Begriffe „Genozid“ und „Völkermord“ zu tilgen, und drohte mit einem Ausstieg aus der gemeinsamen Kulturförderung mit der EU . Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann und darf wirklich nicht sein, dass sich die EU-Kommission dem türkischen Druck gebeugt hat . ({2}) Dass die Informationen zum Projekt zeitweise von der Homepage der EU genommen wurden, war ein peinlicher Akt der Unterwerfung . Aber auch unsere Medien - liebe Medienvertreter, das muss ich einmal sagen - sollten sich vielleicht einmal selbstkritisch hinterfragen . Trotz der aktuellen Debatte über den Genozid an den autochthonen Christen im Osmanischen Reich habe ich jedenfalls keine einzige Berichterstattung über die beeindruckende Gedenkveranstaltung der Armenier jetzt am Wochenende hier in Berlin gelesen . Das ist schon erstaunlich . Ich kann mich dabei des Eindrucks von Selbstzensur nicht ganz erwehren . ({3}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind ein Land, das Wandel und Handel vorantreibt und das den Menschenrechten einen hohen Stellenwert einräumt . Trotz allem sind wir immer wieder gezwungen, mit Ländern zu verhandeln, die autochthon regiert sind, die diktatorisch regiert sind . Wir müssen dabei unsere Werte nicht über Bord werfen, aber wir müssen irgendwie Regularien finden, wie wir miteinander auskommen. Wir sind nämlich nicht ganz alleine auf diesem schönen Erdball . Danke . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28 . April 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen .