Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/29/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Einsprüche gemäß § 39 der Geschäftsord- nung der Abgeordneten Herbert Behrens, Heidrun Dittrich, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger und Michael Schlecht ge- gen den am 17. September 2010 erfolgten Sit- zungsausschluss In der letzten Plenarsitzung habe ich die genannten Abgeordneten auf der Grundlage des § 38 unserer Ge- schäftsordnung von den beiden Sitzungstagen heute und morgen ausgeschlossen. Um dennoch zu den Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse an diesen Tagen zuge- lassen zu werden, haben fünf der ausgeschlossenen Ab- geordneten beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Vor dem Hintergrund dieses Verfahrens - auch zur Wahrung mög- licher Rechtsansprüche - habe ich mich entschlossen, den Vollzug der Ausschlüsse auszusetzen, um eine Klä- rung der Frage, die gegebenenfalls im Hauptsache- verfahren erfolgt, abzuwarten. Damit hat sich nach Auf- fassung des Bundesverfassungsgerichts der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erledigt. Unabhängig davon ist gemäß § 39 unserer Geschäfts- ordnung über die Einsprüche der Abgeordneten zu ent- scheiden. Ihnen liegt die Unterrichtung vor, der Sie auch den Wortlaut der Einsprüche entnehmen können.1) Nach § 39 unserer Geschäftsordnung entscheidet der Bundes- tag ohne Aussprache über die Einsprüche. Ich gehe da- von aus, dass über die sechs Einsprüche gemeinsam ab- gestimmt werden kann. Gibt es dazu eine andere Auffassung? - Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Einsprüchen stattgeben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? 1) Anlagen 2 bis 7 ({0}) Damit sind die Einsprüche mit großer Mehrheit des Bundestages zurückgewiesen. Wir kommen nun zu den übrigen vereinbarten Tagesordnungspunkten. Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung ({1}) - Nach dem Bericht dürfen Sie sich dazu selbstverständlich melden. ({2}) Wir nehmen das aber schon einmal als angemeldetes Interesse zu Protokoll. Es ist interessant, dass es noch vor der Unterrichtung der Bundesregierung über das voraussichtliche Thema eine lebhafte Anmeldung von Nachfragen gibt. Ich warte jetzt noch einen Augenblick und bitte diejenigen, die an der Befragung der Bundesregierung wegen anderer Sitzungsverpflichtungen nicht teilnehmen können oder wollen, den Plenarsaal zügig zu räumen. Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Energiekonzept der Bundesregierung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat zunächst der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, ({3}) Dr. Norbert Röttgen, und anschließend der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle. - Bitte sehr, Herr Minister Röttgen. Redetext

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne einen Bericht über die Kabinettssitzung und die dort getroffenen Beschlüsse, insbesondere in Bezug auf das Energiekonzept, geben. Ich möchte zu Beginn hervorheben, dass nunmehr - seit Jahrzehnten erstmalig - ein Energiekonzept vorliegt. ({0}) Für jede entwickelte Gesellschaft, für jedes Industrieland - das wollen wir bleiben, weil es zu unserem Vorteil ist -, sind die Energieversorgung und deren langfristige Sicherung eine wichtige Lebensader, ({1}) die man ertüchtigen und gesund erhalten muss, wenn sich ein Land weiterhin gut entwickeln will. Dementsprechend haben wir die Entscheidungen getroffen. Es handelt sich um ein Energiekonzept, das langfristig angelegt ist. Energiepolitik kann nicht anders als langfristig betrieben werden. Deshalb haben wir uns für einen Planungshorizont von 40 Jahren bis zum Jahr 2050 entschieden. Das ist notwendig, um Energiepolitik zu machen. Bei den Energieunternehmen geht es immer um Investitionen in Milliardenhöhe. Ein Kohlekraftwerk wird für 30, 40 oder 50 Jahre gebaut. Eine Windparkanlage wird für mindestens 20 Jahre konzipiert. Deshalb gibt es eine politische Bringschuld. Diese politische Bringschuld heißt Verlässlichkeit. Mit unseren Entscheidungen haben wir die Grundlage gelegt, dass Verlässlichkeit herrscht und die Energieversorgung weiterhin gewährleistet ist. Welches sind die langfristigen Ziele, die wir mit diesem Energiekonzept verfolgen? Wir verfolgen drei große Ziele, für deren Erreichen wir jetzt die Grundlagen gelegt haben. Das erste Ziel ist die Energiesicherheit. ({2}) Es geht um die Sicherheit der Energieversorgung; diese wird durch unsere Entscheidungen gewährleistet. Das zweite Ziel ist die Klimaverträglichkeit, weil Klimaschutz einschließlich CO2-Reduzierung eine Bedingung nicht nur für wirtschaftliche, sondern auch für menschliche Entwicklung ist. Das dritte Ziel ist: Durch die damit einhergehende technologische Entwicklung und die wirtschaftliche Modernisierung wird gerade unser Land seine Wachstumspotenziale und seine Wettbewerbsfähigkeit steigern. Deshalb ist die von uns verfolgte Strategie eine wirtschaftliche Modernisierungs- und Wertschöpfungsstrategie. Die drei genannten Ziele drücken sich auch in konkreten Zahlen aus. Wir haben einen Zeithorizont von 40 Jahren und das Ziel definiert, innerhalb dieses Zeitraums die CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Bis 2050 wollen wir einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung von 80 Prozent erreichen. Wir wollen die Energieproduktivität um 2,1 Prozent pro Jahr steigern, sodass wir in 40 Jahren den Primärenergieverbrauch halbiert haben werden. Wir wollen die Gebäudesanierungsrate von 1 auf 2 Prozent verdoppeln. Das sind die Ziele, die wir uns gesetzt haben. Sie sind notwendig, um eine sichere, klimaverträgliche und wettbewerbsfähige Energieversorgung zu realisieren. Diese Ziele werden über Zwischenetappen erreicht werden. Für sie haben wir ein Monitoring, einen Überprüfungsprozess, fest verabredet. Das heißt, wir entlasten unser heutiges Handeln nicht durch weitreichende Ziele, sondern wir definieren Zwischenziele, deren Erreichen überprüft wird, damit wir wissen, ob wir auf dem Zielpfad sind. 2013 wird die erste Überprüfung erfolgen. Es wird ein lebendiger politischer Prozess stattfinden, der alle Sektoren umfasst: Wärme, Verkehr, Strom und Industrie. Sektorenübergreifend und die damit verbundenen technologischen Innovationen umfassend - das ist eine nüchterne Feststellung - ist dieses Konzept ein Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes. Wir haben dieses Konzept glaubwürdig erarbeitet. Wir haben es mit rund 60 Maßnahmen handfest unterlegt. ({3}) Das fängt bei der Finanzierungsgewährleistung für Offshore-Windenergieanlagen in der Nord- und Ostsee an. Das sind Risikoinvestitionen. Die KfW wird einen Sonderkreditfonds auflegen und Mittel in Höhe von 5 Milliarden Euro für die Finanzierung von Offshore-Windenergieanlagen zur Verfügung stellen. Wir werden in der Nordsee Clusteranbindungen schaffen, genauso wie eine bundesrechtliche Planung für Stromnetze, die dafür sorgt, dass der Strom durch die Verteilnetze, sogenannte intelligente Netze, und durch intelligente Zähler beim Verbraucher ankommt. Das zeigt, dass es sich um eine ganz neue Infrastruktur handelt. Wir haben neue Potenziale und neue Technologien, mit denen wir unsere Ziele erreichen. Es ist eine Sache, vor zehn Jahren den Ausstieg aus der Kernenergie mit einer Überbrückungszeit von 20 Jahren beschlossen zu haben. Es fehlte aber bislang der Einstieg in eine neue, moderne und effiziente Versorgung mit regenerativen Energien. ({4}) Das ist die zweite Seite der Medaille. Mit Aussteigermentalität, Ideologie und Verantwortungsverweigerung kann man kein modernes Industrieland führen. Das müssen Sie endlich verstehen. Wir haben das verstanden und ziehen die Konsequenzen daraus. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss jetzt doch auf Folgendes aufmerksam machen: Wir debattieren im Präsident Dr. Norbert Lammert Augenblick nicht, auch wenn das vielleicht reizvoll wäre. ({0}) Die für die Berichterstattung vorgesehene Zeit ist abgelaufen. ({1}) Eigentlich ist diese Zeit für die Berichterstattung insgesamt vorgesehen. Ich schlage aber vor, dass der Kollege Brüderle, wenn er möchte, das Gesagte mit einigen Hinweisen ergänzt und wir die Befragungszeit entsprechend verlängern, damit die Zeit, die für die Berichterstattung in Anspruch genommen wird, nicht zulasten der Fragemöglichkeiten geht. Können wir so verfahren? - Danke schön. Herr Kollege Brüderle zur Ergänzung.

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Im Jahr 1973 wurde das letzte Energiekonzept von einer Bundesregierung erarbeitet. Dieses wurde 1991 fortgeschrieben. Jetzt hat die Bundesregierung ein umfassendes und langfristig ausgerichtetes Energiekonzept für die Zeit bis 2050 vorgelegt. In der gestrigen Kabinettssitzung wurde es verabschiedet. Es hat zum Ziel, das Zeitalter regenerativer Energien schneller herbeizuführen. Ja, als Endziel streben wir alle regenerative Energien als Hauptversorgungsquelle an. Aber der Weg dahin muss überbrückt werden. Dafür braucht man Brückentechnologien wie Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und Kernkraftwerke. Deshalb wurde im Zusammenhang mit diesem Energiekonzept vereinbart, die Nutzungszeit der Kernkraftwerke im Durchschnitt um zwölf Jahre zu verlängern. Etwa die Hälfte der sogenannten Windfall Profits, der Zusatzgewinne, die durch längere Nutzung der Kernkraftanlagen entstehen, soll - das war die klare Vorstellung - abgeschöpft werden. Ein Teil dieses Geldes soll zur Haushaltskonsolidierung verwendet werden; aber der überwiegende Teil soll genutzt werden, um den Umstieg zu beschleunigen und zu finanzieren. Wir haben noch keine geeignete Speichertechnologie, um Windenergie oder Solarenergie grundlastfähig machen zu können. Wir haben noch nicht die Netze, die wir für eine effektive, dezentrale Versorgung mit regenerativen Energien in unserem Land brauchen. Wir müssen den Netzausbau vorantreiben. Wir müssen auch Schritte in Richtung mehr Umweltfreundlichkeit machen. Ich nenne zum Beispiel die CCS-Technologie für Kohlekraftwerke. Wir haben konzeptionell exakt beschrieben, welche Schritte notwendig sind. Wir haben noch mehr getan, da wir sofort anfangen wollen. Wir haben gleichzeitig ein Zehnpunkteprogramm verabschiedet, das den Einstieg in die Umsetzung dieser Strategie bedeutet. Für uns sind in der Energiepolitik drei Ziele gleichrangig: Klimafreundlichkeit, sichere Versorgung, Bezahlbarkeit. Diesen drei Prämissen entspricht das Konzept. Ich darf mich hier vor dem Parlament ausdrücklich beim Kollegen Röttgen dafür bedanken, dass wir, Umweltministerium und Wirtschaftsministerium, in großem Einvernehmen auf den Weg gebracht haben, was andere Regierungen nicht geschafft haben. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weil wir eine Fülle von Wortmeldungen haben, schlage ich vor, dass Sie erstens sich bemühen, knapp und präzise zu fragen - ich werde bei den Antworten darauf achten, dass sie ebenfalls knapp und präzise sind -, und Sie zweitens, sofern es erwünscht ist, die Frage direkt an einen der beiden Minister richten. Ansonsten sollten sich die Minister verständigen, wer die jeweilige Frage beantworten will. Jedenfalls sollten wir im Interesse einer möglichst effizienten Nutzung der verfügbaren Zeit versuchen, Doppelungen zu vermeiden. ({0}) Die erste Frage stellt die Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte meine Frage an den Minister Röttgen richten. Wir haben heute eine Pressekonferenz der DUH erlebt. Sie hat schwere Vorwürfe gegen die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Atomgesetz erhoben. Es wurde gesagt: AtG-Novelle zur Flankierung der Laufzeitverlängerung verwässert Sicherheitsmaßstäbe und schränkt Klagerechte von Betroffenen ein - Neuer Paragraph 7 d durchlöchert „bestmögliche Schadensvorsorge“ und schützt AKW-Betreiber vor teuren Nachrüstungen. Können Sie den Vorwurf entkräften, dass Klagemöglichkeiten für Einzelne durch § 7 d abgeschafft werden, und können Sie den Vorwurf entkräften, dass die Vorschriften zur Nachrüstung alter Atomkraftwerke ausgehöhlt werden?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Ich bedanke mich für die Frage. - Ich glaube, dass man das sehr nachvollziehbar entkräften kann; denn es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass der im geltenden Recht vorhandene Sicherheitsstandard - mit allen dazugehörigen materiellen Vorschriften, Verfahren und Klagemöglichkeiten - völlig unangetastet bleibt. Es gibt nirgendwo einen Abstrich am geltenden Recht. Vielmehr kommt zum geltenden Sicherheitsrecht eine neue Sicherheitsstufe hinzu. Es kommt also ausschließlich etwas dazu, und selbstverständlich wird nichts verringert. Hinzu kommt eine neue Qualität an Sicherheit im Atomrecht. Diese besteht darin, dass die Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik auf dem Gebiet der Sicherheit nun berücksichtigt wird und eine rechtliche Nachrüstungspflicht - auch gegenüber dem einzelnen Betreiber über das bisherige sogenannte Erforderlichkeitsmaß hinaus durchgesetzt werden kann. ({0}) Es kommt also „nur“ etwas dazu. Alle Klagemöglichkeiten, die bislang vorhanden sind, bleiben selbstverständlich erhalten. ({1}) Zu dem, was bislang im Gesetz vorhanden ist, kommt etwas hinzu. Das bedeutet mehr Sicherheit als bislang. Das ist nicht das, was Ihr Partei- und Fraktionskollege Trittin mit der Kernenergiewirtschaft verabredet hat; das ist richtig. Herr Trittin als mein Amtsvorvorgänger hat der Kernenergiewirtschaft vertraglich zugesichert, dass die Bundesregierung keine Initiative ergreifen wird, um den Sicherheitsstandard zu ändern, also zu erhöhen. ({2}) Wir machen das nicht. Wir erhöhen den Sicherheitsstandard. Das ist auch geboten und richtig. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Bundesregierung hat in ihrem Energiekonzept den unbegrenzten Einspeisevorrang verankert und sorgt daher dafür, dass erneuerbare Energien und Kernkraft nicht miteinander in Wettbewerb stehen. Ich hätte von der Bundesregierung gerne gewusst, welche weiteren Maßnahmen sie zur Förderung erneuerbarer Energien, insbesondere im Bereich der Offshore-Windkraft, und des Netzausbaus ergreifen will.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Bei der Förderung der Windenergie im Offshore-Bereich sowie dem Netzausbau und der Förderung der Speichertechnologien sind Handlungsdefizite aufgetreten, die leider wegen des Fixierens auf den Ausstieg nicht beseitigt wurden. Deshalb liegen wir dort zurück. Mit dem vorliegenden Energiekonzept werden die Bundesregierung und die Koalition die Handlungsdefizite der Vorgängerregierungen abbauen. Das fängt damit an, dass wir die Finanzierungsprobleme bei der OffshoreWindenergie lösen werden. Es besteht dringender Bedarf, die Finanzierung abzusichern. Die Errichtung eines Windparks mit 60 bis 80 Windkraftanlagen hat ein Investitionsvolumen von bis zu 1,5 Milliarden Euro. Hier gibt es eine Zurückhaltung der Banken gegenüber neuen Technologien, und es bestehen Materialunsicherheiten. Deshalb sieht es die Bundesregierung als ihre Aufgabe an, diesen Wirtschaftszweig durch ein KfW-Sonderprogramm mit einem Volumen von 5 Milliarden Euro - das ist eine große Summe - zu entwickeln. Wir müssen einen Durchbruch bei der Offshore-Windenergie erzielen und recht bald die ersten zehn Windparks realisieren. Der Netzausbau ist im Grunde ein Schwerpunkt sowohl des 10-Punkte-Sofortprogramms als auch des Langfristprogramms betreffend die Bundesfachplanung für Stromleitungen. Die Stromautobahnen müssen von Norden, wo der Strom entsteht, in die Gebiete mit Stromnachfrage, also in den Westen und Süden des Landes, führen. Wir brauchen neue Rahmenbedingungen für die Regulierung, damit das Kapital, das vorhanden ist, dort seinen Investitionspunkt findet. Wir werden den Ausbau der Distributionsnetze, die Verteilnetze, weiter fördern, sodass der Verbraucher in der Lage ist, von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Netzausbau ist ein Schwerpunkt und steht im Zentrum unseres Programms.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage richtet sich an die Minister Brüderle und Röttgen. Das einzig Konkrete, was wir bislang aus dem Energiekonzept kennen, ist die Laufzeitverlängerung, die im sogenannten Förderfondsvertrag, umgangssprachlich auch Geheimvertrag genannt, festgeschrieben ist. Wir haben diesen Vertrag heute Vormittag im Umweltausschuss mit Kanzleramtsminister Pofalla, der Staatssekretärin Reiche und dem beamteten Staatssekretär des Finanzministeriums erörtert. Auf die Frage, ob es weitere Vereinbarungen, Verträge oder Nebenabsprachen mit den vier großen Energiekonzernen gibt, konnten diese drei Personen der Bundesregierung nicht antworten. ({0}) Insofern frage ich Sie beide: Können Sie ausschließen, dass es weitere Verträge, Vereinbarungen oder Nebenabsprachen mit den vier großen Konzernen gibt? ({1})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Über den Vertrag ist unter Federführung des Finanzministeriums verhandelt worden. Der Vorvertrag war bereits bekannt. Seit gestern steht der Vertrag auch im Netz. Es handelt sich um eine im Wahlprogramm und im Koalitionsvertrag angekündigte Vereinbarung. ({0}) Das ist wohl eine spezielle Form von Geheimhaltung. Wir haben immer gesagt: Es gibt eine Gewinnabschöpfung. - Wenn Sie diese nicht wollen, können Sie das bekunden. Laufzeitverlängerungen führen jedenfalls zu Sondergewinnen, und diese Sondergewinne wollen wir für die erneuerbaren Energien abschöpfen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Im Augenblick geht es, Herr Minister, aber nicht um die Frage des Inhalts solcher möglicher Verabredungen, sondern um die Frage, ob es weitere Verabredungen gibt.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Okay. - Das ist in dem Vertrag, der nun publiziert worden ist, geregelt. Von weiteren Regelungen und Absprachen ist mir nichts bekannt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das hätte man doch auch gleich sagen können. Herr Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Für die Bundesregierung hat Staatssekretär Beus in der Ausschusssitzung, die Sie ansprechen, zweifelsfrei erklärt, dass es keine Nebenabsprachen mit den EVUs gibt. ({0}) Das bestätigt ausdrücklich auch der Chef des Bundeskanzleramts. Alle Vereinbarungen mit den EVUs sind offen, transparent und liegen auch den Oppositionsfraktionen vor.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage an die Bundesregierung, in diesem Fall an Herrn Röttgen, bezieht sich auf die arbeitsmarktpolitischen Aspekte des Energiekonzeptes. Wir alle wissen: Wenn eine große Branche wie die der erneuerbaren Energien, die zurzeit 300 000 Personen in Deutschland beschäftigt, gewaltige Absatzeinbußen hat, dann wird das Arbeitsplatzverluste und wahrscheinlich auch Konkurse zur Folge haben. Aus dem Gutachten von EWI, Prognos und GWS, das uns als Grundlage für dieses Energiekonzept vorliegt, ist klar erkenntlich: Der jährliche Zubau von OnshoreWindkraft wird in den nächsten zehn Jahren, ausgehend vom aktuellen Wert, um 60 Prozent gekürzt. In der Solarwirtschaft wird um 75 Prozent gekürzt, bei den Bioenergien um 85 Prozent. Dies wird unweigerlich Arbeitsplätze vernichten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Fell, debattieren wollen wir über dieses Thema am Freitag.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zu meiner Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Schön.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welche Strukturprogramme sehen Sie vor? Ich habe im Energiekonzept keine gesehen. Herr Schlesinger von Prognos, der gestern dieses Gutachten vorgestellt hat, hat eindeutig gesagt, dass die Arbeitsplatzverluste durch einen Strukturwandel in anderen Branchen aufgefangen werden müssen. Damit hat er zugegeben, dass es massive Arbeitsplatzverluste geben wird. Wie anders soll auch der Rückgang in dieser Branche wirken?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Wir schätzen die wirtschaftliche Entwicklung absolut gegenläufig ein. Es gibt keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die erneuerbaren Energien weiter einen Boom erleben werden. Alle Zahlen belegen das. Bei der Onshore-Windenergie wird ein Repowering stattfinden. In den nächsten Jahren steht uns eine Verdoppelung bzw. Verdreifachung der Anlagekapazitäten bevor. Der Prozess läuft bereits. Wir fangen gerade an, die OffshoreWindenergie zu entwickeln; vom entsprechenden KfWSonderprogramm habe ich eben schon gesprochen. Ich will ein anderes Beispiel nennen: die Photovoltaik. Wir haben hier über die Kürzung der staatlichen Vergütung gestritten, die ich vorgeschlagen habe und die vom Parlament beschlossen worden ist, weil die Marktpreise um 40 Prozent zurückgegangen sind. Da haben Sie behauptet, das würde zum Exodus der Photovoltaikbranche führen. Jetzt gibt es erste Hinweise darauf, dass möglicherweise noch in diesem Jahr nahezu eine Verdoppelung der bisherigen Gesamtkapazität der Photovoltaik zu verzeichnen sein wird. ({0}) Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in zehn Jahren 35 Prozent betragen wird; eine Quote von 80 Prozent ist das Ziel für 2050. Die volkswirtschaftlichen Effekte, die Wertschöpfungspotenziale und die Arbeitsmarktentwicklung - die Zahl von 300 000 Beschäftigten in dieser Branche haben Sie genannt; sie ist völlig richtig - werden weiterhin positiv sein. Das ist der ökonomische Grund, warum wir so handeln. Das ist eine Wachstumsstrategie und auch eine Arbeitsplatzwachstumsstrategie, die mit konkreten Maßnahmen und Geld unterlegt wird. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Frage, Frau Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nach dem, was Sie gerade erklärt haben, bin ich fast versucht, zu fragen: Wozu brauchen wir dann die Verlängerung der Laufzeiten? Ich würde gerne eine Frage zur Braunkohleverstromung stellen. Die Zweifel hinsichtlich der Zukunft der Braunkohleverstromung wachsen auch in meinem Bundesland, in Brandenburg. Vor wenigen Tagen hat die Industrie- und Handelskammer Brandenburg erklärt, dass wir uns auf eine Zukunft der Lausitz ohne Kohlestrom einstellen sollten. Das bedeutet natürlich - ich knüpfe hier an die Frage des Kollegen Fell an - einen großen Strukturwandel in der Region. Was will die Bundesregierung tun, um einen solchen Strukturwandel künftig nachhaltig zu unterstützen? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Wir verfolgen aus genau diesen Gründen ein anderes Konzept. Wir sagen: Wir brauchen die Kohle, genauso wie die Kernkraft, noch für eine längere Zeit, und zwar als Brückentechnologie. Es gibt dazu keine Alternative. ({0}) Weil wir die Kohle noch für geraume Zeit nutzen müssen, betreiben wir die CCS-Technologie. Wir wollen vom Deponieren von CO2 in der Luft wegkommen und dies stattdessen in komprimierter Form in der Erde lagern. Ich darf darauf hinweisen, dass allein durch das Abfackeln der großen Kohleflöze in China mehr CO2 emittiert wird als durch den Straßenverkehr in ganz Nordamerika. Insofern sind wir mit diesem ausgewogenen Konzept unter Einbeziehung der Kohle, auch der Braunkohle, auf dem richtigen Weg. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Becker.

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich habe eine Frage an Herrn Bundesminister Röttgen. Sie haben eben gesagt, Ihnen seien weitere Nebenabreden, Verhandlungen und Vereinbarungen nicht bekannt. Ich habe ein kleines Problem, festzustellen: Was ist Ihnen bekannt? Wovon wissen Sie wirklich? Vor zwei Wochen haben Sie im Umweltausschuss die Frage, ob Sie oder Ihr Haus an den Verhandlungen im Kanzleramt beteiligt waren, verneint. Kanzleramtsminister Pofalla hat heute im Umweltausschuss erklärt, dass Herr Hennenhöfer sehr wohl zeitweilig an den Verhandlungen teilgenommen hat. Mir stellt sich die ganz einfache Frage: Wer hat entweder willentlich die Unwahrheit gesagt oder wer wusste nicht, was tatsächlich dort passierte? Es kann nicht sein, dass Herr Pofalla sagt, Herr Hennenhöfer sei dabei gewesen, und dass Sie im Umweltausschuss erklären, Ihr Haus sei nicht beteiligt gewesen. ({0}) Würden Sie das bitte aufklären? ({1})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Das ist sehr leicht aufklärbar. Es hat im Kanzleramt keine Verhandlungen gegeben, sondern im Kanzleramt haben wir über das Energiekonzept gesprochen, es entwickelt und verabredet. An diesen Verhandlungen, politischen Gesprächen war ich, wie ich auch im Umweltausschuss gesagt habe, selbstverständlich beteiligt. Dort haben wir die Schlussfassung des Energiekonzepts vereinbart bzw. die Schlussredaktion durchgeführt. Dort hat also die Befassung des Kabinetts bzw. der zuständigen Minister stattgefunden. Dabei ging es, wie gesagt, um das Energiekonzept. Darüber hinaus hat es Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen gegeben. Diese Verhandlungen - das hat heute auch der Kanzleramtschef so gesagt - habe ich nicht geführt. Das BMU hat sie nicht geführt, übrigens auch nicht das Wirtschaftsministerium, sondern zuständigkeitshalber das Bundesfinanzministerium. Insofern habe ich keine Verhandlungen mit der Energieversorgungswirtschaft geführt. Es war in der Tat so - auch das habe ich gesagt; ich habe damals sogar den Plural verwendet -, dass ein Beamter eine Fachfrage beantwortet hat, für die er hinzugezogen worden war. Er hat die Gespräche dann wieder verlassen und war nicht bis zum Abschluss dabei. Er hat eine Fachfrage zur Strommengenberechnung beantwortet. Er hat aber keine Verhandlungen geführt, sondern nur eine Frage beantwortet. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Breil.

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe eine Frage an Herrn Bundesminister Brüderle zur Kernenergie. Wie hängen Laufzeitverlängerung und Entwicklung der Strompreise zusammen? ({0})

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Es ist klar: Wenn man die Kapazitäten länger nutzen und damit am Markt eine größere Menge zur Verfügung stellen kann, so wirkt es preisdämpfend bis preissenkend. ({0}) Für die erneuerbaren Energien gibt es nach wie vor den Einspeisevorrang, die Festpreisvergütung, sodass sie nicht verdrängt werden. Wenn Strommengen aus anderen Quellen das Angebot vergrößern, hat das dagegen eine preisdämpfende bzw. preissenkende Wirkung. ({1}) Für mich ist der beste Mieterschutz immer ein Überangebot an Wohnungen. Der beste Arbeitnehmerschutz ist, wenn die Arbeitskräfte knapp sind und sich alle um sie bemühen müssen. So ist es in der Analogie auch hier.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Brüderle hat sich als bisher einziges Mitglied der Bundesregierung dahin gehend festgelegt, dass es keine weiteren Nebenabsprachen, Verabredungen oder Vereinbarungen mit den Atomkonzernen gibt. Deswegen erweitere ich meine Frage an Herrn Minister Röttgen. Nachdem die Umweltorganisation Greenpeace vor drei Wochen die Verabredung mit den Atomkonzernen aufgedeckt hat - sie ist seit gestern auf der Website der Bundesregierung zu lesen ({0}) und gestern Nacht nach dem Vorbericht des Magazins Spiegel über ein Papier über verringerte Sicherheitsanforderungen an die Atomkraftwerke auch dieses Papier online gestellt wurde, frage ich: Gibt es weitere Papiere aus Ihrem Fachbereich zum Bereich der Atomtechnologie, die auf Veröffentlichung warten, nachdem Medien, Opposition oder Zivilgesellschaft sie entdeckt haben?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Herr Kollege Kelber, wir werden weitere Informationen, alle Unterlagen herausgeben, die besprochen worden sind, in denen sich Entscheidungen wiederfinden. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Ich finde den untauglichen Versuch, da irgendetwas zu skandalisieren, völlig abwegig. ({0}) Ich finde ihn auch deshalb sehr bedenklich, weil Sie diesen unzutreffenden Eindruck auf dem Gebiet der Sicherheit, glaube ich, bewusst schüren. Vielleicht sollte man sich als Oppositionsabgeordneter einmal fragen - man kann das alles politisch anders sehen -, ob die damit verbundene Angstmache in der Bevölkerung wirklich ein verantwortungsvolles parlamentarisches Verhalten ist. ({1}) Hier wird nichts verborgen gehalten. Es gibt nichts im Geheimen. Die Verabredungen beim Thema Sicherheit beziehen sich auf Maßnahmen, die zusätzlich erfolgen. Sie hätten vielleicht schon früher erfolgen können. Wir machen sie jetzt, und wir machen das alles in transparenter Weise. ({2}) Man kann politisch unterschiedlicher Auffassung sein. Aber ich gebe zu bedenken, ob Sie diese Angstkampagnen nicht einstellen sollten. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Meine Frage richtet sich ebenfalls an die beiden Minister, Herrn Röttgen und Herrn Brüderle. Die Klimaschutzziele im Energiekonzept basieren im Wesentlichen darauf, dass auch im Gebäudebereich sehr hohe Einsparungen erzielt werden. Sie wollen die Sanierungsrate verdoppeln. Die Frage richtet sich an Sie beide: Wie, denken Sie, kann dieses Ziel noch erreicht werden, nachdem Minister Ramsauer die ordnungsrechtlichen Maßnahmen im Gebäudebestand abgelehnt hat, aber die Fördergelder, die bisher vorgesehen sind, nur die Hälfte dessen betragen, was wir im letzten Jahr gehabt haben? Wie soll da noch die Verdoppelung der Sanierungsrate möglich sein? Akzeptieren Sie die Position Ihres Kollegen Ramsauer, der nur über Fördermittel gehen will und nicht auch im Ordnungsrecht betreffend den Gebäudebestand etwas machen will?

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Ich habe die gleiche Frage schon heute Vormittag im Ausschuss beantworten können. Ich wiederhole die Antwort gerne. Wir haben in der Tat davon abgesehen, Zwangssanierungen durchzusetzen. Nehmen Sie einmal den Fall eines älteren Ehepaars! Sie sind Rentner mit einem kleinen Einkommen und haben ein Haus. Denen würden Sie eine aufwendige Sanierung aufzwingen - sie müssten sich hoch verschulden -, die sie gar nicht durchführen könnten. Deshalb ist eine anreizorientierte Konzeption vorgesehen: Man gibt eine Hilfestellung, damit es zur Sanierung kommt. ({0}) In vielen Fällen ist das ja auch rechnerisch überzeugend, weil man Energie einspart, wenn man entsprechende Maßnahmen durchführt. Deshalb setzen wir darauf, dass die Anreize bei dem herrschenden Energiepreisgefüge wirken. Es gibt entsprechende Programme, die beim Kollegen Ramsauer ressortieren, ({1}) und es gibt entsprechende KfW-Programme. Sie helfen, dies genau so umzusetzen, wie wir es uns vorgenommen haben. Zwangssanierungen, durch die die Menschen in ihrer Existenz gefährdet werden, können von einer Regierung, die anderen Zielen verpflichtet ist, nicht erwartet werden. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Ergänzung, Herr Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Ich möchte das noch einmal bestätigen: Wenn man dort etwas erreichen will, dann wird man es nur mit den Bürgern und nicht durch Überwachung und Bevormundung der Bürger erreichen, und darum, glaube ich, ist das genau das Richtige. ({0}) Ich will noch eine ergänzende Anmerkung machen: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm war ein bis 2011 befristetes Programm. Durch die Entscheidung dieser Koalition wird es eine Verstetigung genau dieses Programms über 2011 hinaus geben, ({1}) mit Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von insgesamt 500 Millionen Euro für diesen Zeitraum. Einer der großen Vorteile - darüber ist heute noch gar nicht gesprochen worden - ist, dass zur Erreichung der Ziele, die wir definiert haben, die entsprechenden Instrumente und Maßnahmen durch ein gesetzlich geregeltes und mit Förderzielen verknüpftes Sondervermögen, wodurch ab 2013 rund 3 Milliarden Euro pro Jahr genau für diese Zwecke zur Verfügung stehen, auch finanziell abgesichert sind. ({2}) Einer der größten Erfolge überhaupt ist, dass die Klimaschutzpolitik, die Energiepolitik, die Förderung von erneuerbaren Energien und die Förderung von Energieeffizienz aus den üblichen jährlichen Haushaltskämpfen herausgenommen werden und eine verlässliche und langfristige finanzielle Grundlage bekommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Lenkert. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich habe eine Frage an die beiden Minister. - In der Sondersitzung in der letzten Sitzungswoche sagte der Sachverständige des EWI, dass die Grenzkosten für die Herstellung einer Megawattstunde Atomstrom bei 11,4 Euro liegen. In einer Pressemitteilung des Deutschen Atomforums vom selben Tag erklärten die Atomenergieerzeuger, dass die Kosten für die Herstellung einer Megawattstunde Atomstrom bei 47 Euro liegen würden. Ich wundere mich über die Differenz zwischen diesen beiden Zahlen. Zur nächsten Frage. Das Deutsche Atomforum erklärte weiter, bei einem Verkaufspreis von 50 Euro würde sich das bei weiteren Steuern wie der Brennelementesteuer nicht mehr rechnen. Deshalb lautet meine Frage an die Bundesregierung: Wieso zwingen Sie die Atomenergieerzeuger dazu, die Laufzeiten zu verlängern, obwohl sich das doch nach deren eigener Pressemitteilung nicht rechnet? ({0})

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Wir haben deshalb ja unabhängige Sachverständige gewählt, die ihre eigenen Prämissen gesetzt haben, und keine Prämissen vorgegeben. In einer Marktwirtschaft entwickeln sich die Preise nach Angebot und Nachfrage und nicht nur gemäß den Kostenstrukturen. ({0}) Die Konsequenz ist ja auch - Sie sehen das, wenn Sie die Börse beobachten -: Die Börsenkurse der EVUs sind nicht nach oben gegangen. RWE muss drastische Sparmaßnahmen zusätzlich ergreifen, um sich entsprechend anzupassen. ({1}) Das heißt doch nicht, dass sie damit Riesengewinne machen. ({2}) - Wenn Sie die Antwort nicht hören wollen, dann kann ich auch aufhören. Wir sagen, dass wir etwa die Hälfte der Windfall Profits durch Steuern abschöpfen werden. Das halte ich im Grundsatz für eine faire Basis. Die zusätzlichen Einnahmen verwenden wir zur Erreichung unserer Ziele. Unternehmen müssen in einer Marktwirtschaft aber auch Gewinne machen, damit sie die Arbeitsplätze erhalten können und nicht unsozial Arbeitsplätze gefährden. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Regierungsbefragung wirklich der Wahrheit dienlich ist. Wir haben von den beiden Ministern nichts gehört, wodurch die Vorgänge um diesen geheimen Atomdeal weiter aufgeklärt werden. Weil Kollege Brüderle die Antwort auf die Frage, die eben schon einmal gestellt worden ist, abgelesen hat, stelle ich diese Frage noch einmal an den Kollegen Röttgen, und ich bitte, kein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit zu zeigen. Ich habe eine ganz einfache Frage: Sind Ihnen weitere Absprachen zwischen der Bundesregierung und den Atomenergieunternehmen bekannt? ({0}) Es reicht mir nicht, dass Sie sagen, es sei allein der Atomfördervertrag wichtig. Ich möchte das von Ihnen wissen. Wenn weitere geheime Absprachen herauskommen, werden wir Sie darauf festnageln.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Ich kann die Frage erneut mit Nein beantworten, Herr Kollege. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Frage zu den Strompreisen. Ich habe von Minister Brüderle gehört, Strompreise sollten bezahlbar bleiben. Vonseiten der Koalition heißt es: Vielleicht sinken die Preise schon aufgrund dieses tollen Energiekonzepts. - Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass die Preise bezahlbar bleiben könnten und sie nicht erhöht werden? Ich war im Bundestag, als unter Kohl die Liberalisierung des Energiemarkts beschlossen wurde. ({0}) Damals hieß es, die Preise würden sinken. Inzwischen stellen wir fest, dass die Energiepreise für Otto Normalverbraucher - natürlich nicht für die Großkonzerne - um 40 Prozent erhöht wurden. Wie kommen Sie also darauf, dass die Preise gesenkt werden könnten? Sie haben die Zusatzgewinne angezweifelt. Was ist denn mit den kostenlosen Zertifikaten, die nach wie vor eingepreist werden und die natürlich den Energiekonzernen zugutekommen? Das sind Sonderprofite. Sie waren nicht bereit, diese abzuschöpfen. Auch beim Atomstrom werden diese Sonderprofite neben sonstigen Sonderprofiten erzielt und nach wie vor nicht abgeschöpft. Noch einmal: Wie kommen Sie darauf, dass die Preise sinken könnten? ({1})

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

In der Marktwirtschaft richten sich Preise nach Angebot und Nachfrage. ({0}) Ich kann nicht vorhersehen, wie sich die Wirtschaft entwickelt, ob der Strom zukünftig oft oder weniger oft eingeschaltet wird. Das unterliegt individuellen Entscheidungen, die wir nicht vorhersehen können. Aber eines kann man sagen, und zwar aufgrund logischer Überlegungen: Wenn die Angebotsmenge höher ist, weil Kapazitäten länger genutzt werden, ({1}) unbeschadet des Einspeisevorrangs und der Festpreisgarantie für erneuerbare Energien, spricht nach der Logik alles dafür, dass das preisdämpfend bis preissenkend wirkt. Mehr kann Ihnen jemand, der nicht Prophet oder Hellseher ist, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht sagen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich möchte gern einen Verfahrensvorschlag machen. Ich habe noch Wortmeldungen der Kollegen Pfeiffer, Frau Kotting-Uhl, Hempelmann, Frau Menzner, Frau Golze und Frau Dittrich. Alle diese würde ich gerne noch aufrufen. Ich bitte darum, dass wir einvernehmlich die in der Geschäftsordnung vorgesehene Befragungszeit verlängern und die verfügbare Zeit der Fragestunde entsprechend verkürzen, um den angemeldeten Frage6332 Präsident Dr. Norbert Lammert stellern Gelegenheit zu ihren Fragen zu geben. Ich würde gleichzeitig gerne mit Ihrer Zustimmung diese Frageliste schließen. Können wir so verfahren? - Das ist der Fall. Dann bedanke ich mich. Nächste Wortmeldung, Kollege Pfeiffer.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Da hier mehrfach unterstellt wurde, dass diese vertraglichen Verhandlungen geheim, außergewöhnlich, unrecht oder gar undemokratisch wären - es wurde schon gesagt, dass sie transparent und nachvollziehbar waren -, frage ich die Bundesregierung: War es nicht vielmehr so, dass auch die rot-grüne Bundesregierung in der gleichen Art und Weise Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen mit dem Ziel geführt hat, die Laufzeiten willkürlich zu verkürzen, und sie damit volkswirtschaftliche Werte vernichtet hat? Ist es nicht jetzt so, dass diese Bundesregierung Verhandlungen mit dem Ziel führt, den volkswirtschaftlichen Nutzen, den die Kernenergie hat, zu heben und die Schritte hin zu den erneuerbaren Energien zu beschleunigen - Stichwort: Brücke -, und dass sie über 30 Milliarden Euro zusätzlich in den Umbau der Energieversorgung investiert, die sonst nicht zur Verfügung stehen würden? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das kann am Freitag in aller Ruhe, vermutlich streitig, weiterverfolgt werden. Bitte.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Herr Kollege, es ist richtig. Ich halte hier die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 in Händen. ({0}) - Ich werde diese Vereinbarung immer wieder vortragen; das kann ich hier ankündigen. ({1}) In jeder Debatte werde ich vortragen, was der damalige Bundesminister Trittin ausgehandelt hat. Ich habe eben schon die Verabredung zur Sicherheit zitiert. Ich weise darauf hin, dass wir das anders gemacht haben; wir haben nicht Sicherheit verhandelt. Darum hat der für Reaktorsicherheit zuständige Minister dieser Regierung mit den Energieversorgungsunternehmen keinen Vertrag geschlossen, keine Verhandlung geführt. Der Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit Trittin hat den Adressaten seiner Amtstätigkeit Zusagen dazu gemacht, wie er seine Amtstätigkeit ausführt. Das kam und kommt für diese Bundesregierung nicht infrage. ({2}) Für diese Bundesregierung kommt ebenfalls nicht infrage, was der Reaktorsicherheitsminister Trittin mit seiner Unterschrift - er hat ja die Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen geführt, obwohl er für Sicherheit zuständig war - für die gesamte Bundesregierung zugesagt hat. Ich darf eine weitere Passage zitieren. ({3}) Das ist übrigens eine Fundgrube, aus der ich Ihnen immer wieder - wir haben ja noch ein paar Debatten zu diesem Thema - etwas vortragen werde. Ich zitiere: ({4}) Die Beteiligten - das sind die Vertragsbeteiligten schließen diese Vereinbarung auf der Grundlage, dass das zu novellierende Atomgesetz einschließlich der Begründung die Inhalte dieser Vereinbarung umsetzt. Das Parlament ist sozusagen der Umsetzungsgesetzgeber für die Vereinbarungen, die die Regierung abgeschlossen hat. - So viel zum Parlaments- und Demokratieverständnis der Herren, die heute kritisieren, ({5}) zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Trittin. Es geht aber noch weiter.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, aber ich kann jetzt - Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Einen Satz darf ich vielleicht noch sagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber nur den einen. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Den einen Satz.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gut.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Er ist auch nicht kommentierungsbedürftig. Über die Umsetzung in der AtG-Novelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der KaBundesminister Dr. Norbert Röttgen binettsbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten. Bevor das Kabinett entscheiden darf, wird mit den Verhandlungspartnern beraten. - Das ist das Amtsverständnis der damaligen Regierung gewesen. Das unterscheidet sich grundsätzlich von unserem Amts- und Staatsverständnis. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Hempelmann ist der nächste Fragesteller.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage richtet sich an den Wirtschaftsminister Brüderle. Herr Brüderle, Sie sind als Wirtschaftsminister sozusagen auch oberster Wettbewerbshüter innerhalb des Kabinetts. Die obersten Wettbewerbshüter dieser Republik, der Präsident des Bundeskartellamts und der Präsident der Monopolkommission, haben sich äußerst kritisch zur Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke geäußert, insbesondere was die Folgen für den Wettbewerb im Erzeugungsbereich angeht. Vor allem der Präsident des Bundeskartellamts hat gefordert, dass es kompensatorische Maßnahmen gibt. Konkret wurde die Veräußerung von Kapazitäten in anderen Kraftwerken an Wettbewerber oder die Schließung der ältesten, ineffizientesten Anlagen vorgeschlagen, was ja auch einen ökologischen Effekt hätte. Davon findet sich - übrigens zum Bedauern des Bundeskartellamtspräsidenten Mundt - in Ihrem Konzept nichts. Deswegen die Frage: Ist etwas geplant, was in diesem Konzept nicht steht, um die negativen wettbewerblichen Auswirkungen, die vom Bundeskartellamt, von der Monopolkommission und auch von den Wettbewerbern aufgezeigt werden, zu kompensieren?

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Herr Kollege Hempelmann, Sie haben mir die gleiche Frage heute Morgen im Wirtschaftsausschuss gestellt. ({0}) Ich kann Ihnen nur die gleiche Antwort wie heute Morgen geben. Sie müssen verschiedene Marktstrukturen sehen: die Erzeugerstrukturen und daneben den Strommarkt. Eine Wettbewerbssituation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass mehr Kapazitäten länger im Strommarkt vorhanden sind, stärkt die Position der Abnehmer, also der Verbraucher, weil ein höheres Angebot vorhanden ist. ({1}) Wir haben uns nach einer Abwägung - es gab Anhörungen und Erörterungen - für den Weg entschieden, der im vorliegenden Energiekonzept dargestellt ist. Das spiegelt die Auffassung der Bundesregierung wider. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Röttgen, ich möchte Sie jetzt fragen, welches neue Sicherheitsniveau Sie über die bestehende Gesetzeslage hinaus eigentlich anstreben. Bisher gilt § 7 Abs. 2 Nr. 3 des Atomgesetzes. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn - ich zitiere - „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist“. Nun treten Sie mit dem Anspruch an, mit einem neuen § 7 d diese Vorsorgeverpflichtung zu erweitern. Das ginge naturgemäß nur, wenn die derzeitige Vorsorgeregelung des Atomgesetzes eine Lücke aufwiese. Das ist aber zumindest nach Aussagen von Gerichten nicht der Fall. Spätestens mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. April 2008 ist klargestellt, dass es bei der erforderlichen Vorsorge entgegen der Auffassung einiger Länder keine Lücke gibt. Ich zitiere die beiden entscheidenden Sätze: Der weite Begriff der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schadensvorsorge ist die Konsequenz des Grundsatzes der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Mit diesem Grundsatz wird die erforderliche Schadensvorsorge von dem Restrisiko abgegrenzt, das als unentrinnbar hinzunehmen ist … Ich frage Sie jetzt - Sie haben sich ja offensichtlich der damaligen Auffassung einiger Länder angeschlossen, dass da Lücken seien -, wie Sie über diesen umfassenden Vorsorgepflichtsbegriff, der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik definiert war - damit ist schon immer, um das gleich vorwegzunehmen, eine Dynamisierung verbunden; der „Stand von Wissenschaft und Technik“ ist nichts Statisches -, hinausgehen wollen.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben Ihre Frage zum Teil selbst beantwortet, als Sie gesagt haben, es gebe hier eine andere Auffassung einiger Länder. Das sind immerhin die Länder, die die Aufsicht machen. Darum, finde ich, ist zumindest - es ist meines Erachtens mehr als das eine rechtliche Klarstellung der Meinung, die man hat, ({0}) dann auch gegenüber denen, die das Gesetz vollziehen, sinnvoll; so besteht über diese Frage kein Streit mehr. Sie selber sagen: Es ist eine Streitfrage. ({1}) Die, die das Gesetz anwenden, sehen es zum Teil anders. ({2}) Also wird das jetzt zumindest geklärt. Es wird aber mehr als geklärt. Hier wird ein zusätzlicher Maßstab eingeführt. Es geht dabei nicht um die Frage des Standes von Wissenschaft und Technik, sondern um den Erforderlichkeitsmaßstab. Der Maßstab, den wir jetzt einführen, ist strenger als der, der bislang im Gesetz verankert war. ({3}) Nun mögen Sie ja sagen, sie fänden es nicht so wichtig, dass wir wirklich das Äußerste an Präzision und Sicherheitsanforderungen festlegen. ({4}) Wir legen jedoch den höchsten Wert darauf, dass Sicherheitsfragen auf dem maximalen Niveau und mit rechtlicher Durchsetzbarkeit gesetzlich geklärt werden. Darum verankern wir das bisherige Sicherheitsniveau steigernde zusätzliche Regelungen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Umweltminister Röttgen, Ihr Staatssekretär erklärte vorhin ganz freundlich, dass die Bundesregierung sehr gerne die Ziele in dieser Demokratie mit den Bürgern erreichen möchte. Daher meine Frage: Interessiert es die Bundesregierung und vor allem den Umweltminister, dass am 18. September über 100 000 Bürger in Berlin gegen Atomkraft und gegen das Energiekonzept der Bundesregierung demonstriert haben? Wie nimmt die Bundesregierung zum Beispiel die Darlegungen der Ihnen bekannten Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die sich auch an dieser Demonstration beteiligt hat, auf, dass es auf der ganzen Welt keinen sicheren Ort für die Lagerung von Atommüll gibt und dieser auch auf 100 000 Jahre nicht gesichert werden kann? Deutlicher noch: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Zunächst haben Sie darauf hingewiesen, dass es eine Demonstration gegen diese Pläne gegeben hat. Ich glaube zwar, dass die Zahl 100 000, die Sie genannt haben, ein bisschen eine Wunschzahl ist. Aber darauf möchte ich gar nicht so sehr eingehen. Vielmehr möchte ich darauf verweisen: Das Parlament ist der legitime Ort der Entscheidung. So funktioniert parlamentarische Demokratie. Politik muss sich zwar rechtfertigen und diskutieren und auf Transparenz achten, aber es geht nicht, dass das Parlament nach jeder Demonstration seine Entscheidung wieder ändert. Ich glaube, dass wir hier Zukunftssicherung betreiben. Darüber muss öffentlich diskutiert werden. Aber eine Demonstration mit deutlich weniger Menschen, als Sie gesagt haben, kann die Legitimation dieses Parlaments zur Entscheidung nicht infrage stellen. Zweite Anmerkung: Atommüll, Endlagerung. Ich bin schon wieder versucht, aus der Vereinbarung von 2000 zu zitieren. Ich billige jedem selbstverständlich zu, Kernenergie grundsätzlich abzulehnen bzw. schon immer abgelehnt zu haben. Nicht akzeptabel ist aber, dass eine Regierung negiert, dass über 40 Jahre hinweg in Deutschland Kernenergie wirtschaftlich genutzt worden ist und auch heute noch wirtschaftlich genutzt wird und dass die rot-grüne Regierung den weiteren Betrieb über zwei Jahrzehnte zugesichert hat. Mit diesem wirtschaftlichen Betrieb von Kernkraftwerken ist jedoch Atommüll verbunden. Deshalb besteht auch für diejenigen, die Kernenergie möglicherweise ablehnen, die Verpflichtung, für eine sichere Entsorgung insbesondere des hochradioaktiven Mülls zu sorgen. Darum bleibe ich dabei, dass das sogenannte Moratorium für Gorleben nichts anderes war als der Ausdruck einer Verantwortungslosigkeit, ein Kneifen vor dieser Aufgabe. Man kann zwar gegen Kernenergie sein, aber man kann nicht negieren, dass Kernenergie wirtschaftlich genutzt werden kann und genutzt wird ({0}) und dass dadurch Atommüll entsteht. Wir stehen in der Pflicht, für eine sichere Entsorgung dieses Atommülls zu sorgen. Auch das gehört zum Energieprogramm dieser Regierung. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die letzte Frage zum Energiekonzept der Bundesregierung stellt Frau Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Ich habe an beide Minister eine Frage, die sich an das vorhin Gesagte anschließt. Dieses Thema ist von großem öffentlichem Interesse. Nach mehrmaligem Nachfragen ist uns mitgeteilt worden, dass es außer diesem Förderfondsvertrag plus dem Papier zur Sicherheit offensichtlich keine weiteren Abreden, Nebenabsprachen, Verträge etc. gebe. Meine Frage an Sie beide: Ist es aus Ihrer Sicht ein normales und der Demokratie und dem Parlamentarismus würdiges Vorgehen, wenn die Öffentlichkeit und die Parlamentarier in Ausschusssitzungen trotz mehrmaliger Nachfragen gegenüber drei Staatssekretären keine Antwort bekommen, wenn solche Papiere erst durch Medien bekannt werden, wenn solche Papiere nur nach der Salamitaktik veröffentlicht werden? Meinen Sie, dass das ein adäquates und dem Parlamentarismus würdiges Vorgehen ist? Müssen wir davon ausgehen, dass zukünftig auch in anderen Bereichen so mit uns umgegangen wird?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister Röttgen, bitte.

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Die Linkspartei bzw. die Linksfraktion steht aufgrund ihrer parteipolitischen Vergangenheit natürlich in einer ganz besonderen Tradition von Transparenz und Öffentlichkeit. Insofern haben Sie das Recht, diese Frage hier im Parlament zu stellen. ({0}) - Wegen der Vergangenheit arbeiten Sie Ihre Vergangenheit auch in sehr transparenter Weise auf. ({1}) Um das klar zu beantworten: Hier herrscht völlige Transparenz. Was hier betrieben wird, ist meines Erachtens eine Mischung von Falschbehauptungen und Stimmungsmache bis hin zur Angstmache. Dass es eine Gewinnabschöpfung gibt, ist geradezu programmatisch verkündet worden. Dies als ein Geheimnis darzustellen, das war ein Wahlkampfthema. Das stand tagelang in den Zeitungen, und zwar auch im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Energiekonzepts. Würden Sie regelmäßig Zeitung lesen, dann wären Sie vollständig informiert gewesen. Wir werden uns aber speziell um Ihre Information noch weiter sehr bemühen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vereinbarungsgemäß ist die Regierungsbefragung nun beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/3007 Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. Es geht zunächst um ein Rechtsgutachten zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Jerzy Montag auf. - Ich höre gerade, dass schriftliche Beantwortung beantragt worden ist. ({0}) Dies gilt auch für die Frage 2 der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, die Fragen 3 und 4 der Abgeordneten Bärbel Höhn und die Frage 5 des Abgeordneten Hans-Josef Fell. Ebenso werden die Fragen 6 und 7 der Abgeordneten Dr. Eva Högl zur gesetzlichen Regelung von Geodatendiensten sowie die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel schriftlich beantwortet. Ich rufe somit die Frage 10 des Abgeordneten Andrej Hunko auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung diskriminierender und feindseliger Einstellungen gegenüber Roma und Sinti in der Europäischen Union, und was hat die Bundesregierung unternommen, um dem Antiziganismus in Deutschland zu begegnen? Wer von der Bundesregierung antwortet?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich kann gerne antworten. ({0}) - Mir wurde gesagt, dass Ihre Frage schriftlich beantwortet wird. Ich fange einmal mit der Frage 10 des Kollegen Hunko an. Die Bundesregierung teilt die vom Deutschen Bundestag mit Beschluss vom 17. Januar 2008 in der Ausschussfassung vom 16. Januar 2008 vorgenommene Einschätzung der Lage der Roma und Sinti in Europa und die dort gegebenen Empfehlungen. In diesem Beschluss wird unter anderem dargelegt, dass Roma in vielen Staaten Europas Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt seien, wozu auch eine undifferenzierte Berichterstattung in den Medien beitragen könne. Sie seien stark von sozialen Problemen, Bildungsdefiziten und Arbeitslosigkeit betroffen, nicht mit angemessenem Wohnraum versorgt und hätten bei hoher Säuglings- und Kindersterblichkeit teilweise eine geringe Lebenserwartung. Auch die schulische Versorgung sei in manchen Staaten unzureichend. Eine von der EU-Grundrechteagentur veröffentlichte Umfrage zu europäischen Minderheiten und Diskriminierungen von 2009 teilt diese Einschätzung. Die Bundesregierung unterstützt alle von der Europäischen Union, vom Europarat und von der OSZE initiierten Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Roma und Sinti in Europa. Die Bundesregierung verfolgt bei der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einen ganzheitlichen Ansatz. Dieser zielt darauf, alle gesellschaftlichen Ebenen zu erreichen, und geht davon aus, dass eine wirkungsvolle Prävention von Gewalt und Diskriminierung insbesondere durch die frühe Förderung und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts erreicht werden kann. Entsprechend fördert die Bundesregierung Maßnahmen zur politischen Bildung, beispielsweise über die Bundeszentrale für politische Bildung. Diese beschäftigt sich mit dem Thema Vorurteile und Diskriminierung, um diesen entgegenzuwirken. Spezifische Inhalte zum Thema Antiziganismus bzw. zur Bekämpfung von Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma finden sich im Rahmen verschiedener Publikationen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, bitte?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Nun ist das Roma-Thema in den letzten Wochen aufgrund der Massenabschiebungen aus Frankreich innerhalb der Europäischen Union sehr durch die Medien gegangen. Es ist die Aufgabe der EU-Kommission als Hüterin der Verträge, hier auf die Einhaltung der Grundrechtecharta zu pochen. Meine Frage: Wie beurteilen Sie die heutige Entscheidung der EU-Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einzuleiten?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Bundesregierung beurteilt nicht die Entscheidungen der Kommission. Die Kommission ist Hüterin der Verträge, und somit ist dem, was die Kommission hier entschieden hat, nichts hinzuzufügen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In Deutschland leben über 100 000 Roma, und auch hier sind Massenabschiebungen von Roma geplant nicht in einem Schwung, aber scheibchenweise. Die letzte Abschiebung von Roma-Familien, deren Kinder in Deutschland geboren sind, in den Kosovo hat am 2. September über den Flughafen Düsseldorf stattgefunden. Die EU-Kommission fordert auch die Bundesregierung auf, die Abschiebung von Roma in den Kosovo zu stoppen. Wie stehen Sie zu dieser Forderung? Können Sie dazu etwas sagen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Behauptung, dass es Massenabschiebungen von Roma aus Deutschland in den Kosovo gibt, ist falsch. Es wird in den Kosovo zurückgeführt, unabhängig von der Ethnie; darunter sind auch Roma. Das machen wir sehr maßvoll und in Absprache mit dem Staat Kosovo. Wir setzen hier auf Freiwilligkeit, was durch viele Programme unterstützt wird. Es gibt keine Massenabschiebung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt noch einen Fragewunsch des Kollegen Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Zusatzfrage: Sehen Sie einen Unterschied zwischen der Abschiebung oder Rückführung - wie immer Sie das nennen wollen - eines Angehörigen oder einer Angehörigen des Volkes der Roma in den Kosovo und der Abschiebung oder der Rückführung von anderen Personen in den Kosovo? Die Tatsachen sind doch bekannt - das können Sie jeden zweiten Abend in Fernsehdokumentationen sehen und in Presseveröffentlichungen nachlesen -: Die Roma sind im Kosovo in Lagern untergebracht, leben dort häufig unter sehr menschenunwürdigen Verhältnissen und sind dort allen möglichen Repressalien ausgesetzt.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Im Allgemeinen wird bei der Abschiebung nicht unterschieden, um welche Ethnie es sich handelt. Im Fall des Kosovo wird es natürlich berücksichtigt, weil wir uns der schwierigen Situation der Roma, was die wirtschaftliche Lage und ihre Eingliederung betrifft, bewusst sind. Deshalb findet nur eine sehr behutsame Rückführung statt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Hunko: Wie viele Roma wurden seit 2009 gezwungen, Deutschland zu verlassen, und ins Kosovo abgeschoben, und warum ist die Bundesregierung nicht bereit, die Abschiebepraxis für Roma zumindest auszusetzen, wie beispielsweise vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, vom Europäischen Parlament sowie vom Kommissar für Menschenrechte des Europarates gefordert wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Im Jahr 2009 bis einschließlich Ende August 2010 wurden insgesamt 949 Personen verschiedener ethnischer Zugehörigkeiten in die Republik Kosovo zurückgeführt. Hierunter befanden sich 184 Kosovo-Roma. In Deutschland erfolgt die Feststellung der Ausreisepflicht durch die hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder bzw., soweit ein Asylverfahren durchgeführt wird, durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach den Maßgaben des Aufenthaltsgesetzes. Dieses sieht eine Einzelfallprüfung vor. Anknüpfungspunkt für die Frage einer Rückführbarkeit ist grundsätzlich nur die Staatsangehörigkeit einer Person, nicht aber deren ethnische Zugehörigkeit. Ebenfalls sind nach den Vorgaben des Gesetzes soziale und wirtschaftliche Aspekte im Zielstaat für die Frage der Rückführbarkeit einer Person grundsätzlich nicht von Belang, auch wenn die Bundesregierung nicht verkennt, dass die ökonomische und soziale Lage in der Republik Kosovo nicht mit westeuropäischen Standards vergleichbar ist. Hiervon sind jedoch viele der im Kosovo lebenden Menschen betroffen, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Die Bundesregierung hat vor Beginn der Rückführungen von Kosovo-Roma im Frühjahr 2009 eine eigene Einschätzung der Sicherheitslage vorgenommen. Dabei ist sie zum Ergebnis gelangt, dass keine unmittelbare Gefährdung nur aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit mehr besteht. Diese Einschätzung haben auch andere westeuropäische Aufnahmestaaten, die ethnische Minderheiten, darunter auch Roma, in die Republik Kosovo zurückführen, getroffen. Zu diesen Staaten gehören unter anderem die Schweiz, Österreich, Frankreich und das Vereinigte Königreich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hunko, eine Nachfrage?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Unabhängig davon, dass ich es nicht für zielführend halte, sich in dieser gegenwärtigen Debatte auf Frankreich zu berufen, möchte ich nachfragen. Sie sagten vorhin, dass es keine Massenabschiebungen gibt. Das sogenannte Rückführungsabkommen mit dem Kosovo ist seit dem 1. September in Kraft. Die Welt, nicht unbedingt eine linke Zeitung, titelt dazu: „Deutschland will 10 000 Roma ins Kosovo abschieben.“ Frage: Wie soll das geschehen, ohne dass es eine Massenabschiebung gibt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Noch einmal: Es findet keine Massenabschiebung statt. Aus der Zeit des Krieges dort gibt es immer noch sehr viele Menschen, die sich in Deutschland aufhalten. Zum Stichtag 30. Juni 2009 hielten sich circa 14 900 Ausreisepflichtige aus dem Kosovo in Deutschland auf. Seit 1999 kehrten circa 92 370 Personen freiwillig zurück. Es geht also vorwiegend um eine freiwillige Rückkehr, und es geht nicht um eine Massenabschiebung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Organisation Amnesty International hat heute in einer Pressemitteilung den sofortigen Stopp von Abschiebungen von Roma in das Kosovo gefordert. Zitat: Diese Menschen landeten „dort buchstäblich auf der Müllkippe“. Halten Sie es für ausgeschlossen, sich dieser Forderung von Amnesty International anzuschließen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

In diesem Zusammenhang stelle ich zunächst richtig, dass der in der Fragestellung angeführte Kommissar für Menschenrechte des Europarats, Thomas Hammarberg, sich nicht generell gegen eine Abschiebung, sondern prioritär gegen Massenabschiebung ausgesprochen hat. Genau das machen wir auch nicht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich komme auf die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 zurück, Herr Montag: Weil das Thema, das Sie ansprechen, schon unter einem anderen Tagesordnungspunkt in dieser Sitzungswoche behandelt werden wird, werden diese Fragen nach der Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Zunächst die Frage 12 des Kollegen Burkhard Lischka: Plant die Bundesregierung für die Neuregelung des Sorgerechts nicht verheirateter Väter eine Widerspruchslösung, sodass ledige Väter künftig automatisch das gemeinsame Sorgerecht erhalten würden, oder eine Antragslösung, sodass Väter auf Antrag das Sorgerecht für ihr Kind bekommen können, und wann ist mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs für die Neuregelung des Sorgerechts zu rechnen? Bitte schön.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lischka, Sie weisen in Ihrer Frage zu Recht darauf hin, dass die Bundesregierung derzeit an einer Neuregelung des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern arbeitet. Wir tun dies nicht nur aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, sondern auch aus der Überzeugung heraus, dass es dem Kindeswohl entspricht, wenn Väter stärker als in der Vergangenheit in die Verantwortung für das Kind einbezogen werden. Mit welchem Modell man dies erreicht, ist aber derzeit noch in der Diskussion. Die Überlegungen im Ministerium sind schon sehr weit fortgeschritten, und in der Diskussion wird, wie es in Ihrer Frage angesprochen ist, tatsächlich zwischen der Möglichkeit einer sogenannten Antragslösung, bei der die Väter bei Gericht einen Antrag auf gemeinsame Sorge stellen müssten, und der Möglichkeit einer Widerspruchslösung, bei der erst eine gemeinsame Sorge entsteht und die Mütter dann bei Gericht dagegen Widerspruch einlegen können, unterschieden. Die Vor- und Nachteile beider Regelungsmodelle werden derzeit sorgfältig gegeneinander abgewogen. Deshalb lässt sich Ihre Frage, wann genau mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs zu rechnen sei, derzeit noch nicht präzise beantworten. Wir hoffen aber, möglichst noch im Herbst 2010 einen Gesetzentwurf vorstellen und beraten zu können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Kollege Lischka, eine Nachfrage.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben die Vorund Nachteile der verschiedenen Modelle angesprochen. Welche gravierenden Vorteile oder Nachteile sehen Sie bei dem einen oder anderen Modell, das derzeit diskutiert wird? In verschiedenen europäischen Staaten gibt es Vorbilder oder Beispiele für diese unterschiedlichen Modelle. Werden sie derzeit auch durch das BMJ ausgewertet?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Selbstverständlich werten wir auch die Beispiele aus anderen europäischen Ländern aus. Wir beziehen in unsere Überlegungen auch ein, dass bei dem schon möglichen gemeinsamen Sorgerecht nach Scheidung oder Trennung durchaus gute Erfahrungen gemacht worden sind. Dies hat sich sehr wohl bewährt. Für die unterschiedlichen Modelle gibt es natürlich eine Fülle von Gesichtspunkten, wobei man zunächst darauf hinweisen muss, dass wir dann, wenn sich die beiden Elternteile einvernehmlich auf die gemeinsame Sorge einigen, ohnehin keine Problemfälle haben. Es geht also nur um die streitigen Fälle. Dabei könnte man zugunsten des Antragsmodells ins Feld führen, dass es damit eine klare Entscheidung der Väter wäre, dass sie sich um die gemeinsame Sorge bemühen. Es ist nicht unzumutbar, dies zum Ausdruck zu bringen, indem man im Streitfall bei Gericht hierfür einen Antrag stellt. Auf der anderen Seite hat das Widerspruchsmodell selbstverständlich auch Vorteile. Da entsteht zunächst eine gemeinsame Sorge kraft Gesetzes. Man kann die Hoffnung hegen, dass diese Phase dazu genutzt wird, dass sich die Elternteile im Laufe der Zeit - womöglich einvernehmlich - auf die gemeinsame Sorge einigen. Umgekehrt muss es für die Frauen die Möglichkeit eines Widerspruchs geben, weil die Lebenssachverhalte sehr unterschiedlich sind und somit durchaus Konstellationen denkbar sind, in denen es nicht dem Kindeswohl entsprechen würde, wenn der Vater gemeinsam mit der Mutter die Sorge ausüben würde. All dies muss bedacht werden. Am Ende ist es auch ein Kriterium, dass man vermeiden möchte, dass zu viele Fälle zu Gericht gehen. Eine Einigung zwischen den Beteiligten ist selbstverständlich vorzugswürdig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort von der „Überzeugung“ gesprochen, „dass es dem Kindeswohl entspricht, wenn Väter stärker als in der Vergangenheit in die Verantwortung für das Kind einbezogen werden“. Das hat sich vonseiten der heutigen Bundesjustizministerin, als sie im vergangenen Jahr noch auf den Oppositionsbänken saß, anders angehört: Sie hat damals gesagt, dass ein gemeinsames Sorgerecht ohne die Zustimmung der Mutter eigentlich untunlich sei. Darf ich Ihre erste Antwort so verstehen, dass dies nicht mehr Auffassung des BMJ ist, unabhängig von den gerichtlichen Entscheidungen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Lischka, jedenfalls gibt es höchstrichterliche Entscheidungen - sowohl auf europäischer Ebene als auch vom Bundesverfassungsgericht -, die zum Inhalt haben, dass es den Vätern möglich sein muss, die Mitsorge zu erlangen, auch ohne Einverständnis der Mutter. Dabei kann selbstverständlich nur das Kindeswohl das Kriterium sein. Wir diskutieren jetzt über die Frage, welches Verfahren wir für die Streitfälle vorsehen sollten. Beide Modelle, die Sie in der Frage angesprochen haben - Antragsmodell und Widerspruchsmodell -, haben etwas für sich. Darüber wird politisch zu entscheiden sein; die endgültige Entscheidung wird hier vom Parlament zu treffen sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen Jerzy Montag: Ist es aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz in irgendeiner Weise zu beanstanden, dass der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. HansJürgen Papier im Auftrag der Bundesregierung ein Rechtsgutachten zu einer aktuellen verfassungsrechtlichen Frage erstellt und in einer Fachzeitschrift veröffentlicht hat ({0})? Bitte schön.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Professor Papier ist als Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 16. März 2010 in Ruhestand getreten. Er lehrt jetzt als Hochschullehrer an der LudwigMaximilians-Universität München. Das Bundesministerium der Justiz hatte und hat keinen Anlass, in irgendeiner Weise den Umstand zu bewerten, dass sich Professor Papier Ende Mai und im September 2010 zu einer aktuellen verfassungsrechtlichen Frage wissenschaftlich geäußert hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage? - Bitte schön.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für diese klare Einschätzung. Sie führt mich zu meiner Nachfrage. Es ist unstreitig: Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes über die Nutzung der Atomenergie resultiert aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG, die Zustimmungspflicht des Bundesrates ergibt sich aus Art. 87 c des Grundgesetzes. ({0}) Nun liegen uns zwei Formulierungshilfen der Bundesregierung zu den Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen in Bezug auf die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke vor. In der ersten Formulierungshilfe steht nichts zu der Frage der Zustimmungspflicht. Die zweite Formulierungshilfe enthält ausschließlich eine Bezugnahme auf Art. 87 d des Grundgesetzes, der für das Atomrecht ohne Bedeutung ist. Nun hat sich Herr Papier - auf Anforderungen der Bundesregierung hin - zu genau dieser Problematik geJerzy Montag äußert. Ich frage Sie: Warum findet sich in der neuesten Formulierungshilfe der Bundesregierung zu dieser so komplexen und schwierigen Materie keine Auseinandersetzung mit den äußerst gewichtigen Argumenten für eine Zustimmungspflicht des Bundesrates? Herr Professor Papier und viele andere haben sich mit genau dieser Frage auseinandergesetzt. Die Bundesregierung schreibt dazu in ihrer Formulierungshilfe kein einziges Wort. Warum eigentlich nicht?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Montag, die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit einer Laufzeitverlängerung war bereits vor einigen Monaten Gegenstand vieler Fragen in der Fragestunde. Schon damals habe ich dazu Stellung genommen. Seither hat sich allerdings ein Faktum geändert. Ich habe damals ausgeführt, dass es unter Gutachtern in der wissenschaftlichen Lehre unterschiedliche Meinungen gibt. Es gibt die Auffassung, jede Verlängerung bedürfe der Zustimmung des Bundesrats, und es gibt die Auffassung, dass dies nur in bestimmten Ausgestaltungen der Fall sein sollte. Es gibt außerdem die Auffassung, eine neue Zustimmung sei entbehrlich, weil der Bundesrat ursprünglich schon einmal der Übernahme der Zuständigkeit für die Verwaltung der Atomkraftwerke zugestimmt hat. Nunmehr gab es nach unserer damaligen Fragestunde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu - wie Sie zu Recht sagen - Art. 87 d des Grundgesetzes, und zwar zum Thema Luftsicherheitsgesetz. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in großer Klarheit ausgeführt, dass eine rein quantitative Ausweitung einer Aufgabe nicht zu einer neuerlichen Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrats führt. Auf diese Entscheidung nimmt die Bundesregierung jetzt Bezug, weil wir der Überzeugung sind, dass die Grundsätze aus dieser sehr neuen und ganz aktuellen Entscheidung eben auch in Bezug auf Art. 87 c gelten. Das ist der Grund für diese neue Situation. Selbstverständlich sind Argumente insbesondere von Herrn Professor Papier, der von allen Seiten - selbstverständlich auch von mir persönlich hochanerkannt ist, gewichtig. Gewichtig ist aber auch die ganz aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage. - Bitte.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Dr. Stadler, das Bundesverfassungsgericht hat zwischenzeitlich Stellung genommen. Dies hat es allerdings ausdrücklich in Bezug auf Art. 87 d getan, während sich das Atomrecht und die Zustimmungspflicht in Atomrechtsfragen nach Art. 87 c richten. Genau zu dieser Problematik hat Herr Professor Papier gesagt - dies wurde auch veröffentlicht -: Die Gedankengänge und Regelungen zu Art. 87 d und insoweit auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien nach seiner Auffassung für das Atomrecht und für Art. 87 c Grundgesetz nicht einschlägig; das Gegenteil sei der Fall. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Warum hat die Bundesregierung zu dieser weiterhin hochstreitigen Problematik in ihrer neusten Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen mit keinem einzigen Wort Stellung genommen, obwohl Herr Professor Papier sein Gutachten im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Lieber Kollege Montag, über diese Rechtsfrage wird in der weiteren parlamentarischen Debatte sicherlich noch trefflich gestritten werden. Gleichwohl darf ich darauf aufmerksam machen, dass es in der Juristerei keine Seltenheit ist, dass es zu verschiedenen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt, die jeweils mit beachtlichen Argumenten begründet werden. Es gilt aber doch auch ein wenig die alte Erkenntnis: Roma locuta, causa finita. Das heißt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung trifft und man der Auffassung sein kann, diese sei einschlägig, dann ist das aus Sicht der Bundesregierung ein entscheidender Faktor. Ich habe in meiner vorherigen Antwort wie Sie darauf hingewiesen, dass die Entscheidung zu Art. 87 d ergangen ist und wir uns jetzt im Bereich des Art. 87 c des Grundgesetzes befinden. Nur, die ganz klare Aussage lautete, dass „die Wiederholung oder Konkretisierung bereits früher erfolgter Aufgabenzuweisungen den Aufgabenbestand der Länder nicht vergrößern“ und daher keine neue Aufgabenübertragung darstellen wird. In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, die am 11. Juni 2010 veröffentlich wurde, steht unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom Mai, dass eine lediglich quantitative Erhöhung der Aufgabenlast für die Länder keine neue Zustimmungspflicht auslöst. Das sind Kernsätze einer Entscheidung, die sehr klar und sehr deutlich sind. Ich wiederhole: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diese Grundsätze auch bei Art. 87 c GG zu beachten sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 14 der Kollegin Hönlinger und 15 der Kollegin Steiner sollen aus den gleichen Gründen wie bei den Fragen 1 bis 5 schriftlich beantwortet werden. Ich bedanke mich bei Herrn Staatssekretär Stadler für seine guten Ausführungen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 16 des Kollegen Werner Schieder, die Frage 17 des Kollegen Hacker, die Frage 18 der Kollegin Dr. Bunge, die Fragen 19 und 20 der Kollegin Dr. Höll sowie die Fragen 21 und 22 des Kollegen Nord, die zu diesem Geschäftsbereich gehören, sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung. Die Frage 23 des Kollegen Hacker wird schriftlich beantwortet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Krischer auf: Was hat die Bundesregierung seit dem Steinkohlekompromiss 2007 zwischen Bund, Ländern, der RAG AG und der IG BCE und dem dort vereinbarten Ende der Steinkohlesubventionen bis 2018 in Deutschland konkret auf EU-Ebene unternommen, um dies EU-rechtlich abzusichern? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Herr Kollege Krischer, seit Ende des Jahres 2007 hat die EU-Kommission offiziell Kenntnis von den deutschen Vereinbarungen zum Auslaufen des Steinkohlebergbaus. Seitdem befindet sich die Bundesregierung sowohl auf fachlicher als auch auf politischer Ebene zu diesem Thema in einem ständigen Dialog mit der EUKommission.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sagen, dass Sie sich seit drei Jahren in Brüssel darum bemühen, das Ansinnen der Bundesregierung bekannt zu machen. Wie kann es dann sein, dass wir im Sommer einen Beschluss der EU-Kommission zur Kenntnis nehmen mussten, der diese Rechtslage überhaupt nicht wiedergibt; vielmehr war von einem um vier Jahre verringerten Zeitraum die Rede? Damit stehen wir vor der Situation, dass deutsches Recht - wenn es wie vorgesehen umgesetzt werden würde den Regeln der EU deutlich wiedersprechen würde.

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Herr Kollege Krischer, ich vermag zwischen meiner Aussage und Ihrer Frage keinen Widerspruch zu erkennen. Der EU-Kommission war und ist die deutsche Position bekannt. Uns beiden ist bekannt, dass es innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedliche Auffassungen über die Frage gibt, inwieweit Steinkohlebeihilfen europarechtlich zustimmungsfähig sind. Im Klartext: Die EU-Kommission hat in Kenntnis der deutschen Position diesen Vorschlag unterbreitet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage? - Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie erklären Sie es sich dann, dass der deutsche EUKommissar, Herr Günther Oettinger, der als Energiekommissar für diese Frage fachlich zuständig ist, bei der entscheidenden Sitzung, in der diese Frage erörtert wurde, nicht anwesend war?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Es ist zutreffend, dass der deutsche EU-Kommissar Oettinger bei dieser Sitzung nicht anwesend war. Das habe ich der Presse entnommen. Im Übrigen kann ich Ihnen bestätigen, dass Herr EU-Kommissar Oettinger zur selben Zeit an einer Konferenz in Washington teilgenommen hat, an der auch ich teilgenommen habe. Er hat also nicht geschwänzt. Ich will hinzufügen: Es handelte sich um eine energiepolitische Tagung auf der Ebene der G-20-Energieminister, er war also auf keiner fachfremden Tagung. Ob Herr Oettinger, wenn er in Brüssel gewesen wäre, die Entscheidung anders hätte beeinflussen können, entzieht sich meiner Kenntnis. Es entzieht sich nicht meiner Kenntnis, dass Herr Oettinger öffentlich erklärt hat, dass es, selbst wenn er dabei gewesen wäre und die deutsche Position, die ohnehin bekannt ist, nochmals erläutert hätte, nichts an der Entscheidung geändert hätte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Krischer auf: Wie begründet die Bundesregierung die Genehmigung der Verlagerung von hochradioaktiven Brennelementen aus dem ehemaligen Forschungsreaktor in Rossendorf/Sachsen, die zurzeit in Ahaus lagern, nach Russland, und wie bewertet sie die Sicherheit der Lagerung in Russland?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, das ist eine etwas umfänglichere Antwort. Sie erlauben deshalb bitte, dass ich sie, um präzise und schnell zu sein, ablese. Die USA und die Russische Föderation haben in den vergangenen Jahrzehnten hochangereichertes Uran in zahlreiche Länder geliefert. Die USA haben im Jahr 1996 ein nationales sowie im Jahr 2004 zusammen mit der Russischen Föderation ein bilaterales Programm initiiert, das sogenannte Russian-Research-Reactor-FuelReturn-Programm mit der schönen Abkürzung RRRFRProgramm, um das hochangereicherte Uran zurückzunehmen. Im Rahmen der dritten Überprüfungskonferenz zum Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle im Jahr 2009 wurde die Rückführung von bestrahlten Brennelementen aus hochangereichertem Uran als - Zitat - „gute Praxis“ identifiziert. Die Russische Föderation ist Vertragsstaat dieses Übereinkommens. Aus nichtverbreitungspolitischen Aspekten ist die Rückführung zu begrüßen. Die Verarbeitung in der Russischen Föderation würde dem Material die Waffenfähigkeit nehmen. Die hiermit verbundene Stärkung der nuklearen Sicherheit entspricht auch den Zielen des Gipfeltreffens zur nuklearen Sicherheit in Washington im April dieses Jahres. Der Freistaat Sachsen beabsichtigt, bestrahlten Kernbrennstoff, der ursprünglich aus der Russischen Föderation an den Forschungsreaktor Rossendorf geliefert wurde, dort eingesetzt wurde und zurzeit im Transportbehälterlager Ahaus lagert, in sein Ursprungsland, also in die Russische Föderation, zu überführen. Die USA und die Internationale Atomenergie-Organisation, IAEO, unterstützen diese Rückführung nachdrücklich. DeutschParl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto land hat sich bereits früher an den genannten Projekten beteiligt. Aus verschiedenen deutschen Forschungsreaktoren wurden bestrahlte Brennelemente in die USA verbracht. Aus dem konkreten, stillgelegten Forschungsreaktor Rossendorf wurde bereits im Jahre 2006 unbestrahltes hochangereichertes Uran in die Russische Föderation verbracht. Bedenken, die gegen die Erteilung einer Genehmigung zur Verbringung dieser Brennelemente aus dem Forschungsreaktor Rossendorf in die Russische Föderation im Rahmen des RRRFR-Programms sprechen, sind bei den Prüfungen des Bundesumweltministeriums nicht zutage getreten. Vor dem Hintergrund des besonderen nichtverbreitungspolitischen Interesses an der Verbringung hat das Bundesumweltministerium die Beförderungsgenehmigung erteilt und beabsichtigt, auch die Genehmigung zur Verbringung nach der atomrechtlichen Abfallverbringungsverordnung zu erteilen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört unter anderem, dass das Abkommen zwischen der Russischen Föderation und Deutschland geschlossen ist. In den empfangenden kerntechnischen Einrichtungen der Russischen Föderation wurden, wie die IAEO und die USA bestätigten, erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheit und der Sicherungsmöglichkeiten unternommen. Ebenfalls wurde mit der Sanierung der Altlasten begonnen. Die Russische Föderation betonte im Rahmen der bilateralen Verhandlungen, dass ein Teil der Einnahmen aus dem Programm in die Sanierung der Standorte fließt. Herr Kollege, das war eine umfangreiche Antwort. Aber vielleicht ist es für Sie ganz interessant, das alles im Zusammenhang zu erfahren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Otto, für die ausführlichen Erläuterungen. Ich habe eine Nachfrage: Trifft es zu, dass das Material in die Atomanlage Majak in der Russischen Föderation verbracht werden soll? Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung dann in diesem Zusammenhang den Umstand, dass wir es in dieser Region noch vor wenigen Wochen mit schwersten Waldbränden zu tun hatten, welche in ganz Europa die Sorge vor einer radioaktiven Kontamination der Luft, der Atmosphäre auslösten? Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Verbringung des hochradioaktiven Materials aus Ahaus nach Majak?

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Herr Kollege Krischer, zunächst bestätige ich, dass eine Verbringung in die russische Wiederaufbereitungsanlage Majak im Südural geplant ist. Ihre Befürchtung, dass nach den Waldbränden, die es im vergangenen Sommer bedauerlicherweise in großem Umfang in Russland gegeben hat, auch in Zukunft eine erhöhte Gefahrenlage besteht, teilen wir nicht. Im Gegenteil: Nachdem es vor Jahrzehnten dort einige Probleme gegeben hat, die ich nicht leugnen möchte, entsprechen die Sicherheitsstandards dieser Anlage heute den internationalen Anforderungen. Das wird von der Internationalen Atomenergiebehörde und den USA ausdrücklich bestätigt. Sie sollten vielleicht auch wissen, dass die USA aus Gründen der Nichtverbreitungspolitik, die wir vermutlich beide teilen, finanzielle Zuwendungen gegeben hat, um diese Anlage sicherer zu machen. Daher glauben wir, dass das alles gut zu verantworten ist. Die Gefahr von Waldbränden und die Gefahr, dass dadurch Kontaminierungen entstehen, ist bedauerlicherweise keinem Land der Erde ganz genommen. Nachdem diese Brände jetzt im Sommer stattgefunden haben, was wir sicherlich alle gemeinsam sehr bedauert haben, ist wohl die Gefahr, dass sich ein solches Unglück in der nächsten Zeit wiederholt, nicht überdurchschnittlich, sondern unterdurchschnittlich hoch. Deswegen hat sich die Bundesregierung nach sorgfältiger Überprüfung und der Überlegung, die Ihnen vermutlich auch nicht fernliegt, dass wir hoch angereichertes Uran nicht an Drittländer weitergeben wollen und die Waffenfähigkeit dieses Materials verhindern wollen, im Rahmen aller Vereinbarungen und unter Zugrundelegung aller internationalen Standards zu diesem Schritt entschlossen. Wir werben auch um Ihre Zustimmung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Über die Frage, ob das Material in der russischen Anlage Majak sicher aufgehoben ist - auch jenseits der Gefahr von Waldbränden -, kann man sehr trefflich streiten. Ich kenne viele Berichte aus dieser Anlage, die mich erheblich daran zweifeln lassen, dass dort eine gute Lagerung möglich ist. Aber wenn man die Einschätzung teilt, dass das Material in Majak gut gelagert ist, und man auch sicher sein kann, dass es von dort nicht weiterverbreitet wird, dann stellt sich doch die Frage, warum dieses Material im Jahre 2005 auf Antrag des Freistaates Sachsen - wenn ich richtig informiert bin - nicht gleich nach Russland verbracht wurde, sondern erst ins Brennelementezwischenlager nach Ahaus mit der Folge, dass wir es jetzt mit zusätzlichen unfallträchtigen, aufwendigen und auch kostenträchtigen Transporten zu tun haben.

Hans Joachim Otto (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001666

Offen gesagt, Herr Kollege, erschließt sich mir Ihre Frage nicht. Wir haben genau das getan, was Sie von der Bundesregierung zu Recht erwarten, nämlich eine Klärung der Frage, ob die Sicherheitsanforderungen in Majak erfüllt sind. Wir haben also nicht leichtfertig sofort einen Transport von Rossendorf nach Majak organisiert, sondern wir haben zunächst einmal alle sicherheitstechnischen Überprüfungen angestellt. Wir haben sozusagen eine Begutachtung der Situation in Majak angefordert. Erst danach sind wir zu der Auffassung gelangt, dass es sicherheitstechnisch vertretbar ist. Nachdem die IAEO und die USA grünes Licht dafür gegeben haben und die Sicherheit der Anlage als gewährleistet ansehen, sehen wir uns jetzt in der Lage, in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium, das ja auch zu einem entscheidenden Teil hier zuständig ist, die entsprechenden Genehmigungen dafür zu erteilen. Wir haben es uns also nicht leicht gemacht. Wir haben eine Untersuchung durchgeführt. Wir haben Prüfungen durchgeführt. Herr Kollege, ich respektiere Ihre Auffassung zur Sicherheit in Majak. Aber die Bundesregierung hat sich unabhängiger Organisationen bedient, um die Sicherheitsfrage zu beantworten, sie hat sie nicht nur subjektiv beantwortet. Deswegen sind wir auch der Überzeugung, dass wir gerade im Hinblick auf Ihre Forderungen nach einem hohen Sicherheitsniveau alles getan haben, was notwendig ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen 26 des Kollegen Duin und 27 der Kollegin Nestle werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 28 und 29 der Kollegin Silvia Schmidt, die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dr. Seifert, die Fragen 32 und 33 des Kollegen Dreibus sowie die Fragen 34 und 35 der Kollegin Zimmermann werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Julia Klöckner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Trifft die vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerd Müller in der Pressekonferenz am 14. September 2010 gemachte Aussage, dass die Bundesregierung die Verdopplung der deutschen Agrarexporte innerhalb von fünf Jahren zum Ziel hat, auch auf die Exporte von Fleischprodukten zu? Bitte schön, Frau Klöckner.

Julia Klöckner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003566

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Ostendorff, ich darf auf Ihre Frage, die sich auf meinen Kollegen, Staatssekretär Müller, bezieht, wie folgt antworten: Die Politik der Bundesregierung ist natürlich darauf ausgerichtet, nachhaltiges Wachstum zu unterstützen. Denn davon erhoffen wir uns zum einen einen Abbau der Arbeitslosigkeit und zum anderen eine Sanierung unseres Haushaltes. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller hat in einer Pressekonferenz am 14. September dieses Jahres angesichts der wachsenden weltweiten Nachfrage nach hochwertigen Lebensmitteln seine Zuversicht geäußert, dass Deutschland mit den Lebensmitteln, die wir hier produzieren, durchaus dazu beitragen kann, diese Nachfrage zu decken. Wir produzieren unter sehr hohen Standards, unter hohen Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards. Deshalb hat er seinen Wunsch ausgedrückt, dass in den kommenden fünf Jahren eine solche Steigerung möglich ist. Er hat dies aber nicht, wie Sie unterstellen, als Ziel der Bundesregierung dargestellt; denn Export ist Sache der Wirtschaft, und wir haben keine Planwirtschaft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Ostendorff?

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Staatssekretärin, für die Antwort. Es erstaunt ja schon, mit welcher Präzision Ihr Kollege in der Pressekonferenz geantwortet hat. Denn er hat wenige Wochen zuvor auf die Kleine Anfrage der Grünen geantwortet, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, Angaben über die Quantität der Exportzuwächse zu machen. Woher kommt der Erkenntnisgewinn, sodass man jetzt davon ausgeht, dass man die Agrarexporte in fünf Jahren verdoppeln kann, nachdem man vor wenigen Wochen noch nicht in der Lage war, zu sagen, wie der Exportzuwachs aussehen wird?

Julia Klöckner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003566

Herr Kollege Ostendorff, Mitglieder der Bundesregierung sind zuversichtliche Personen; denn sie wissen, dass die Bundesregierung hart und nachhaltig arbeitet. Wenn diese Arbeit so weitergeführt wird, wir also die Rahmenbedingungen entsprechend setzen, können wir zuversichtlich sein, dass wir erheblich dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft boomt. Man muss Ziele haben, damit man weiß, wohin man will. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Man muss Ziele haben - da sind wir natürlich Ihrer Meinung -, aber nicht dieses Ziel. Frau Staatssekretärin, das führt mich zu meiner anschließenden Frage, die wir heute auch schon im Ausschuss behandeln mussten. Die EU-Kommission hat die Bundesregierung am 7. Juli dieses Jahres gerügt bzw. darauf hingewiesen, dass wir die NEC-Richtlinie - so heißt das Konstrukt - nicht einhalten, dass die Ammoniakemissionen Deutschlands den Rahmen, den Deutschland eingeräumt bekommt, deutlich überschreiten. Wir werden das gleich noch in einer Frage an das Umweltministerium behandeln. Aber ich muss auch hier nachfragen, weil Staatssekretär Müller heute im Ausschuss verkündet hat - das war falsch -, dass Deutschland die Werte nicht überschreiten wird. Die Werte werden überschritten. Ammoniakemissionen kommen zu 90 Prozent aus der Landwirtschaft. Staatssekretär Müller hat aber ausgeblendet, dass 10 Prozent auch aus anderen Quellen stammen. Er hat nur die landwirtschaftliche Zahl beleuchtet. Wenn man die Agrarexporte verdoppeln will, dann beinhaltet das ja sicherlich - das unterstelle ich jetzt eine Verdoppelung der Fleischexporte. Wenn Fleisch einer der wichtigsten Ammoniakemissionsträger ist und wir heute schon die Ammoniakemissionsgrenzen reißen - nicht zum ersten Mal, sondern schon seit längerer Zeit -, dann führt mich das im Fachbereich BMELV zu der Frage: Wie wollen Sie - Sie sind ja aufgefordert gewesen, der EU-Kommission bis Ende September Handlungsrahmen mitzuteilen - die Ammoniakemissionen angesichts einer Exportstrategie, die darauf zielt, noch mehr Fleisch zu erzeugen - sprich: noch mehr Ammoniakemissionen zu erzeugen -, senken? Wie soll das gehen?

Julia Klöckner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003566

Sehr geehrter und geschätzter Kollege, unsere Landwirtschaft hat mehr zu bieten als Fleisch, und unsere landwirtschaftliche Produktion ist so vielfältig und weltweit so gefragt, dass wir die anderen Länder natürlich daran teilhaben lassen möchten. Dazu gehört die ganze Produktpalette. Das ist das eine. Zum anderen unterstellen Sie erneut, obwohl ich das eben korrigiert habe, dass die Bundesregierung planwirtschaftlich vorgeht und sagt: Wir werden die Agrarexporte in fünf Jahren verdoppeln. Es ging um die Zuversicht, dass wir dazu beitragen können, die Nachfrage, die vorhanden ist, mit unserer Kapazität zu decken. Ich persönlich maße mir nicht an, anderen Ländern den Lebensstandard, den wir haben, abzusprechen. Ein weiterer Aspekt, Stichwort Produktion. Herrn Gerd Müller ist es als Exportbeauftragtem unseres Hauses auch gelungen, für Produkte, die bei uns nicht verzehrt werden, in anderen Ländern Märkte zu schaffen. Es gibt nämlich unterschiedliche Verzehrgewohnheiten. Zum Beispiel werden manche Bestandteile eines Schweins, die hierzulande - vielleicht kulturell bedingt nicht gegessen werden, in Asien sehr stark nachgefragt. Insofern wird es nicht zu der von Ihnen unterstellten Verdopplung der Ammoniakemissionen kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bedanke mich für die Beantwortung, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des US-Generals David Petraeus, der in der Bild-Zeitung vom 21. September 2010 unter Hinweis auf die US-Bewunderer deutscher Schlachtfeldhelden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und deren Tradition betont, dass die guten Teile dieser Tradition bewahrt würden und dass die deutschen Soldaten das Handwerk des Krieges beherrschten sowie dass der deutsche Kommandeur im Feld das Konzept der Aufstandsbekämpfung jetzt verstanden habe, und hält die Bundesregierung - gegebenenfalls mit welcher Begründung - die Auffassung des USGenerals ({0}) für richtig, dass die Bundeswehr auf Aktionen von zwei Einheiten der Bundeswehr - Task Force Kunduz - stolz sein kann, die gegen die Aufständischen mit beeindruckendem Erfolg in Baghlan und nach und nach auch in Kunduz durchgeführt werden?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Ströbele, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung teilt die Auffassung des COMISAF, dass die militärischen Führer und die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ihren Auftrag in Afghanistan unter schwierigen Bedingungen in hervorragender Weise bewältigen und wir daher zu Recht stolz auf sie sein können. ({0}) Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen ihren schwierigen Auftrag mit großer Entschlossenheit und mit persönlicher Tapferkeit. Sie stellen sich dabei mit Nachdruck dem Terror und allen anderen Einschüchterungsversuchen in den Weg, und sie helfen gemeinsam mit den afghanischen Partnern und den internationalen Verbündeten, die afghanische Bevölkerung zu schützen. Im Hinblick auf einen weiteren Punkt, den Sie angesprochen haben, möchte ich darauf hinweisen, dass die Haltung der Bundesregierung zur Traditionswürdigkeit bzw. - in Bezug auf die Tradition der Bundeswehr - Traditionsunwürdigkeit der Wehrmacht eindeutig ist. Die militärischen Leistungen der Wehrmacht können nicht von der politischen Zielsetzung des nationalsozialistischen Regimes getrennt werden, auch dann nicht, wenn diese Leistungen von ehemaligen Kriegsgegnern fallbezogen als beispielhaft hervorgehoben werden. Auf solche Leistungen können sich, ungeachtet ihrer militärfachlichen Bewertung, keine Traditionslinien zwischen Wehrmacht und Bundeswehr gründen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Herr Kollege Ströbele?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke erst einmal, Herr Staatssekretär. Sie haben allerdings nur den ersten Teil meiner Frage beantwortet. Zu diesem ersten Teil will ich die erste Nachfrage stellen. Ihre Distanzierung von diesem Teil der Aussage, die General Petraeus in dem Interview getroffen hat, reicht mir nicht ganz. Er sprach von den deutschen Schlachtfeldhelden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dann fuhr er fort: Ich glaube, dass die guten Teile dieser Tradition bewahrt werden. - Das sagte er in Bezug auf die Aufstandsbekämpfung der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Wäre es nicht angemessen, dass die Bundesregierung nicht nur die Erklärung abgibt, dass sie ihre Auffassung bekräftigt, wie Sie es gerade formuliert haben, sondern sich in diesem Zusammenhang auch vom Lob der deutschen „Helden“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg und von dieser Tradition klar distanziert und deutlich macht: „Das hat mit dem, was in Afghanistan getan wird, nichts zu tun; jedenfalls sollte es damit nichts zu tun haben“?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich denke, ich habe dazu das Notwendige gesagt. Die Bundesregierung kommentiert keine Interviews von Angehörigen der Streitkräfte anderer Nationen, auch dann nicht, wenn sie in militärisch wichtigen Funktionen und Positionen sind. Wenn man das Interview mit General Petraeus liest, stellt man fest, dass er sich im Kern auf die Strategie, die er in Afghanistan implementiert hat und anwendet, bezogen hat. Gegen die Anwendung der COIN-Strategie und die mit Begrifflichkeiten aus der Tierwelt und anderen Bereichen verbundene Sichtbarmachung dieser Strategie bestehen keine Einwände. Wir haben keine Veranlassung, das in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Herr Kollege Ströbele, wollen wir einmal mit Herrn Petraeus nicht gar zu streng schulmeisterlich deutsch sein und nicht im Einzelnen auseinandernehmen, was er wie wo gemeint haben könnte. Er hat von den guten Teilen der Tradition gesprochen. Ich habe Ihnen gesagt, dass das nicht traditionsbegründend sein kann. Das ist aber kein Anlass für eine Regierungskontroverse, sondern unter kulturell gebildeten Menschen allenfalls eine Frage des Verständnisses von „gut“.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt komme ich auf den zweiten Teil meiner Frage, den Sie mir überhaupt nicht beantwortet haben. Dabei geht es darum, dass Herr Petraeus zwei Einheiten der Bundeswehr lobt. Er sagt, wir könnten stolz auf diese zwei Einheiten sein, weil sie Aktionen mit beeindruckendem Erfolg durchgeführt hätten. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie diese Auffassung teilt und, wenn ja, womit sie das Lob begründet, dass wir auf die Einheiten stolz sein können. Erstens. Welche Einheiten sind das? Zweitens. Was war denn dieser außerordentliche Erfolg, auf den wir stolz sein können?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Wenn ich die Aussage oder dieses Zitat aus einem Interview von General Petraeus einordnen soll, dann stelle ich fest, dass er damit ein Lob für die Umsetzung des sogenannten Partnering-Konzepts im Rahmen der Counter Insurgency - entschuldigen Sie den englischen Ausdruck -, also der Aufstandsbekämpfung, und der diesbezüglichen Strategie ausgesprochen hat. So wertet die Bundesregierung das. Das ist ein Lob, über das sie sich freut. Das Partnering wird in dieser Region in diesen Wochen implementiert. Partnering bedeutet aus unserer Sicht das gemeinsame Planen, Vorbereiten, Durchführen und Nachbereiten von Operationen, um die afghanischen Sicherheitskräfte schneller zur eigenständigen Aufgabenwahrnehmung zu befähigen. Das ist ein Lob - das hatte ich eingangs gesagt -, auf das sich der Stolz auf die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan gründet. Ich habe dem nichts wegzunehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 38 des Kollegen Ströbele: Bestätigt die Bundesregierung, dass bei einer Zugriffsoperation im September 2009 im Norden Afghanistans ein Dutzend vermeintliche Aufständische von der Bundeswehr - Task Force 47 - festgenommen, in drei Hubschraubern ins PRT-Lager Kunduz gebracht, dort vom frühen Morgen bis nach 19 Uhr abends festgehalten, durch den Feldnachrichtendienst der Bundeswehr vernommen bzw. befragt und danach nach Kabul geflogen und an afghanische Stellen übergeben wurden, und wie vereinbart sie solche Festnahmen durch die Bundeswehr mit ihrer Antwort zu den Fragen 16 und 17 auf Bundestagsdrucksache 17/2884 vom 6. September 2010 in der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 16. August 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/2757, wonach Angehörige der Task Force 47 keine Personen in Gewahrsam genommen haben? Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident, die Frage 38 des Kollegen beantworte ich wie folgt: Die im ISAF-Regionalkommando Nord als Task Force 47 eingesetzten Spezialkräfte der Bundeswehr haben bisher keine regierungsfeindlichen Kräfte in Gewahrsam genommen. Insofern gehe ich auch auf die von Ihnen angesprochene potenzielle Diskrepanz bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - ich glaube, sie war aus dem August dieses Jahres - ein: Diese Diskrepanz besteht nicht. Am 10. Oktober 2009 unterstützte die Task Force 47 afghanische Sicherheitskräfte bei der Durchsuchung eines Anwesens in der Provinz Kunduz, das mit Aktivitäten der regierungsfeindlichen Kräfte in Verbindung gebracht wurde. Bei dieser Durchsuchung wurden 15 verdächtige Personen durch die verantwortlichen Beamten der afghanischen Sicherheitskräfte in Gewahrsam genommen. Der Transport der Gewahrsamspersonen zur weiteren Personenüberprüfung nach Kunduz wurde durch die Task Force 47 unterstützt. Die anschließende Befragung der Gewahrsamspersonen erfolgte in Verantwortung der zuständigen afghanischen Sicherheitsbehörden. Die bei ISAF eingesetzten und von Ihnen angefragten Feldnachrichtenkräfte der Bundeswehr können im Rahmen ihres Auftrags zur Gewinnung von Informationen über die Lage, Fähigkeiten und Absichten der regierungsfeindlichen Kräfte an Befragungen von Personen im Gewahrsam von afghanischen Sicherheitsbehörden teilnehmen. Dies ist in diesem Falle auch geschehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine erste Nachfrage: Heißt das, dass in dem Lager in Kunduz - ich nehme an, das ist das Lager der Bundeswehr in Kunduz gewesen - diese 15 Personen festgehalten worden sind? Ist es auch zutreffend, dass sie den ganzen Tag dort waren und dass ständig Bewachungspersonal der afghanischen Armee anwesend gewesen ist, das heißt, dass sie in Gewahrsam der afghanischen Armee gewesen sind und dass Deutsche allenfalls in der Nähe oder dabei waren? Ist das so zu verstehen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, zur genauen Örtlichkeit würde ich Ihnen gerne eine schriftliche Antwort geben; ich bin gegenwärtig nicht in der Lage, Ihnen dies genügend präzise zu sagen. Bei den festgenommenen 15 Personen wurde eine weitere Personenüberprüfung am gleichen Tage durchgeführt. Acht von ihnen sind aufgrund vorliegender Verdachtsmomente im Gewahrsam der zuständigen afghanischen Sicherheitsbehörden in Kunduz geblieben. Ich sage: „geblieben“. Es mag eine Verlegung erfolgt sein. Aber ich bitte, wie gesagt, um Zustimmung, dass ich Ihnen das nachliefere. Der Umgang der Behörden mit diesen Gewahrsamspersonen erfolgte gemäß der nationalen Rechtsordnung Afghanistans. Die ressortübergreifend abgestimmten Grundsätze für die Befragung im Ausland Inhaftierter durch nachrichtengewinnende Einrichtungen des Bundes wurden gemäß den Anforderungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom 25. Januar 2006 diesem Gremium gegenüber berichtet. Demzufolge können neben den zuständigen Nachrichtendiensten MAD, also Militärischer Abschirmdienst, und Bundesnachrichtendienst grundsätzlich auch sogenannte Feldnachrichtenkräfte an der Befragung von Personen im Gewahrsam der Sicherheitsbehörden des Einsatzlandes teilnehmen. Um solch einen Vorgang hat es sich hier gehandelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Trifft es zu - das steht schon in der Frage; auch dazu haben Sie sich nicht konkret geäußert -, dass die Festgenommenen bzw. Festgehaltenen anschließend in Luftfahrzeugen der Bundeswehr nach Kabul überführt und dort an die afghanische Armee übergeben worden sind?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich hatte berichtet, dass die Task Force 47 und die Bundeswehr beim Transport unterstützend tätig gewesen sind. Ich muss noch einmal Bezug auf meine Bitte nehmen, die Örtlichkeiten - Kabul, Kunduz - nachliefern zu dürfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 39 der Kollegin Veronika Bellmann und die Fragen 40 und 41 der Kollegin Caren Marks werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 42 und 43 des Kollegen Harald Weinberg und die Frage 44 der Kollegin Dr. Martina Bunge werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wie ist der Stand der Vorbereitungen für die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes, und wann ist nach aktuellem Stand mit einem entsprechenden Beschluss der Bundesregierung über einen Gesetzentwurf bzw. mit der Einbringung in den Deutschen Bundestag zu rechnen? Bitte schön.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Dr. Hofreiter, ich beantworte die Frage wie folgt: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung arbeitet an einem Gesetzentwurf, mit dem unter anderem das Personenbeförderungsgesetz an die Verordnung ({0}) Nr. 1370/2007 angepasst werden soll. Zurzeit finden intensive Beratungen mit den für die Ausführung des Personenbeförderungsgesetzes zuständigen Ländern statt. Ein genauer Zeitpunkt für die Vorlage des Regierungsentwurfs und die Behandlung im Kabinett kann noch nicht genannt werden. Ich füge hinzu, dass die beteiligten Verbände, wie Sie wissen, verschiedene Meinungen haben, die wir in diesen Prozess einbeziehen wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, bitte schön.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mich würde in dem Zusammenhang insbesondere interessieren, ob es bereits Lösungen für das Problem des sogenannten ausschließlichen Rechts gibt. In der Verordnung ({0}) Nr. 1370/2007 wird festgehalten, dass sie gilt, wenn eine Ausgleichsleistung und/oder ein ausschließliches Recht gewährt wird. Da geht es um die Linienverkehrsgenehmigung. Jetzt ist die Meinung vieler Beteiligter, die Sie gerade angesprochen haben, dass die Linienverkehrsgenehmigung nicht mehr als ausschließliches Recht angesehen wird. Die andere Seite aber sagt: Wenn die Linienverkehrsgenehmigung kein ausschließliches Recht mehr ist, dann können auf einer Linie mehrere fahren. - Das führt letztendlich zu Rosinenpickerei. Hat das Ministerium eine Idee, wie es mit der Problematik des ausschließlichen Rechts umzugehen gedenkt?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Wir haben die Arbeitsgruppe mit den Ländern und den drei Verbänden, nämlich VDV, bdo und Städtetag, um diese Fragen zu klären. Diese sind äußerst komplex. Es gibt verschiedene Rechtsauffassungen an dieser Stelle, wie Sie richtig sagen. Deswegen sind wir sehr engagiert bei der Sache. Es liegt aber nicht am BMVBS, dass diese Ausarbeitung Zeit in Anspruch nimmt. Diese Rechtsfragen sind äußerst kompliziert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben bereits erläutert, dass noch nicht absehbar ist, in welchem Zeitrahmen es zu einem Gesetzgebungsverfahren kommt. Die Verordnung ({0}) Nr. 1370 ist bereits im letzten Jahr in Kraft getreten und direkt geltendes Recht. Nach fast übereinstimmender Auffassung widerspricht die Verordnung ({1}) Nr. 1370 unserem bestehenden Personenbeförderungsgesetz. Deswegen muss es novelliert und angepasst werden. Gilt denn jetzt nach Ansicht der Bundesregierung das Personenbeförderungsgesetz oder die dem momentan gültigen Personenbeförderungsgesetz widersprechende Verordnung ({2}) Nr. 1370, die am 3. Dezember 2009 in Kraft getreten ist?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Nach unserer Auffassung kann die momentane Lage hingenommen werden, bis der Regierungsentwurf das parlamentarische Verfahren durchlaufen hat. Diese Meinung teilen auch die einbezogenen Länder und Verbände.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 46 des Kollegen Hofreiter: Aus welchem Grund hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag keinen Bericht zur Bearbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrages für Straßenbauprojekte im Straßenbauplan vorgelegt, und wie will sie der Begründung zum Fünften Fernstraßenausbauänderungsgesetz entsprechen, in der gefordert wird, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung dem Deutschen Bundestag so rechtzeitig berichtet, dass dieser das Ergebnis bei der Einstellung der Projekte in den Straßenbauplan als Anlage zum Bundeshaushalt berücksichtigen kann?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege Dr. Hofreiter, eine Öko-Stern-Maßnahme wird grundsätzlich erst nach Vorliegen des Baurechts sowie der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen in den Entwurf des Straßenbauplans als Anlage zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung aufgenommen. Hierdurch erhält das Parlament entsprechend der Begründung des Fünften Fernstraßenausbauänderungsgesetzes rechtzeitig vor Verabschiedung des Haushaltsgesetzes die Gelegenheit, sich über die Abarbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrags zu informieren. Zu diesem Zweck werden die Erläuterungen im Straßenbauplan sinngemäß wie folgt ergänzt - ich zitiere -: Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen mit rechtlich umfassend abgearbeitetem, besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag sind mit Stern gekennzeichnet. Nur in Ausnahmefällen können Öko-Stern-Maßnahmen nachträglich in den Straßenbauplan aufgenommen werden. Der Deutsche Bundestag wird in diesen Fällen vor der nachträglichen Einstellung mit einer entsprechenden Begründung über die Abarbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrags in Kenntnis gesetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Herr Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Der mit dem Öko-Sternchen verbundene besondere naturschutzrechtliche Planungsauftrag sollte nach der Begründung im Gesetz so ausgearbeitet werden, dass zu den einzelnen Maßnahmen dem zuständigen Ausschuss jeweils ein Bericht über die Abarbeitung vorgelegt wird. Dass ein solches Projekt selbstverständlich erst bei Vorliegen des Baurechts usw. aufgenommen wird, ist klar. Das gilt für alle Projekte des Bundesverkehrswegeplans bzw. des Fernstraßenausbaugesetzes. Meine konkrete Nachfrage: Werden diese Berichte - keinen einzigen von ihnen habe ich in der letzten Haushaltsberatung gesehen - in künftigen Haushaltsberatungen vorgelegt, ja oder nein?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Kollege Dr. Hofreiter, zur Erlangung von Baurecht haben wir, wie Sie wissen, ein sehr intensives Verfahren. Bei Vorhaben, die mit einem Öko-Stern gekennzeichnet sind, sind die Umweltrisikoeinschätzung und die FFHVerträglichkeitsabschätzung abzuarbeiten. Auf diese Sachverhalte wird bis zur Erlangung von Baurecht ohnehin sehr offen, in einem transparenten Verfahren, hingewiesen. An diesem Verfahren können auch die Bürgerinnen und Bürger teilnehmen. Durch die Auftragsverwaltungen der Länder haben wir bis zur Erlangung von Baurecht ohnehin die Möglichkeit, darüber eine Diskussion zu führen. Daher existiert in diesem Verfahren schon eine Art Bericht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage bezog sich nicht auf den in unserem Verwaltungsrecht vorgesehenen Ablauf, also auf das Linienfindungsverfahren, die Bauplanfeststellung, die Erlangung von Baurecht usw. Das findet bei allen Projekten statt. Bei den Projekten mit einem besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrag ist vorgesehen, dass - nur zu diesen Projekten - ein gesonderter Bericht darüber, wie der naturschutzfachliche Planungsauftrag abgearbeitet wurde, an den Ausschuss geliefert wird. Gedacht war, dass der Ausschuss aufgrund dieser Projektberichte - es geht nur um diese Projekte; es geht nicht um all die anderen Projekte; Sie haben das Verfahren korrekt dargestellt - entscheiden sollte. Die Frage ist: Wann bekommen wir diese Berichte?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Dr. Hofreiter, das rechtliche Verfahren zur Erlangung des Baurechts ist ja dadurch gekennzeichnet, dass dann, wenn die naturschutzfachliche Relevanz abgearbeitet ist und alle Bedenken ausgeräumt worden sind, Baurecht erwirkt wird. Das heißt, es gibt dann ohnehin das Recht zur Umsetzung des Projektes. Daher verstehe ich Ihren Hinweis nicht, wenn Sie sagen, Sie wollen schon vorher eingebunden werden. Bevor das Baurecht erlangt werden kann, gibt es ohnehin ein rechtsstaatliches Verfahren, das alle Bedenken ausräumen und offenlegen soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Frau Herlitzius, Sie haben das Wort zu einer weiteren Nachfrage. Bitte schön.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da muss ich einmal nachfragen. Wir wissen, dass in den normalen Planverfahren - von der Linienbestimmung bis zur Erlangung von Baurecht die naturschutzfachlichen Belange ganz klar geprüft werden; das hat mein Kollege Toni Hofreiter ja gerade gesagt, und Sie haben es auch bestätigt. Uns ging es aber damals, bei der Festlegung der naturfachlichen Vorprüfung für Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans, darum, dem etwas voranzustellen, damit die Straßen, die in besonders sensiblen Naturbereichen geplant sind, dann nicht Teil des Verfahrens werden, wenn man keine Sicherheit darüber hat, dass die naturschutzfachlich kritischen Bereiche geschützt werden können. Das heißt, es müssen eine vorgelagerte Prüfung und eine Berichterstattung bei den Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans stattfinden; sonst ist das Ganze eigentlich eine Nullnummer. Das normale naturschutzfachliche Prüfungsverfahren gibt es ja sowieso.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Herlitzius, Ihre Forderung, für ein doppeltes Berichtsverfahren zu sorgen, ist eigentlich an den Haaren herbeigezogen; schließlich gibt es ohnehin ein Verfahren zur Erlangung des Baurechts. Wenn wir den Straßenbauplan aufstellen, ist uns als Fachpolitikern klar, welche Straßen und Projekte naturschutzfachlich besonders relevant sind. Auch Sie und Ihre Fraktion nutzen die Gelegenheit, durch Fragen an das Ministerium weitere Informationen über Einzelprojekte zu bekommen. Wir geben also ohnehin Auskunft über naturschutzfachlich relevante Projekte. Aufgrund Ihrer Anfragen wird Ihnen aus der Auftragsverwaltung und aus dem BMVBS ja auch berichtet. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage ist beantwortet. Die Frage 47 der Kollegin Veronika Bellmann, die Frage 48 des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier und die Frage 49 des Kollegen Heinz Paula werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zu einer Reihe von Fragen, die sich mit der energetischen Gebäudesanierung befassen. Zunächst Frage 50 des Kollegen Dr. Hermann Ott: Welche Energiestandards sollen Neubauten und Sanierungen im Bestand ab 2011 und darüber hinaus nach den Planungen der Bundesregierung zu einer Vorbildfunktion bei der Reduzierung des Energieverbrauchs konkret erfüllen? Bitte schön.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Speziell für Bauvorhaben des Bundes sollen bereits jetzt die jeweiligen EnEV-Anforderungen unterschritten werden, soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist. Das Energiekonzept der Bundesregierung vom 28. September 2010 betont die Bedeutung der Vorbildfunktion der Bundesgebäude bei der Reduzierung des Energieverbrauchs. Weiterhin wird mit dem Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien, mit dem die Richtlinie 2009/28/EG in deutsches Recht umgesetzt wird, eine Vorbildfunktion öffentlicher Gebäude für den Einsatz erneuerbarer Energien festgeschrieben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Wir hatten nach den konkreten Planungen der Bundesregierung gefragt. Ihr Kollege Jan Mücke hat ja zum Beispiel vorgeschlagen, den Mittelansatz des Gebäudesanierungsprogramms der KfW Bankengruppe auf ungefähr 3 Milliarden Euro zu erhöhen. Das wäre ja vielleicht eine Möglichkeit. Ganz spezifisch gefragt: Wie wollen Sie denn, wenn Ihr Haus die Förderung für energetische Sanierungen so massiv zurückfährt, wie das jetzt im Haushaltsentwurf für das nächste Jahr geplant ist, eine Quote von mindestens 2 Prozent, besser noch 3 Prozent der Erneuerung im Bestand erreichen? So viel wäre ja notwendig, um die Klimaziele Ihrer Regierung zu erreichen.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege Dr. Ott, Ihre Kollegin Herlitzius, die hinter Ihnen sitzt, lächelt schon, weil sie eine ähnliche Frage zum Thema gestellt hat. Faktisch gilt jetzt auch für das für die Bundesbauten zuständige BMVBS der Beschluss vom 28. September. Ich selber bin wie meine Staatssekretärskollegen sehr viel unterwegs und stoße dabei viele energetische Sanierungsvorhaben in höchster Qualität an, auch aus dem Konjunkturpaket. Sie können gerne eine Liste haben, aus der hervorgeht, wie viele Mittel aus dem Konjunkturpaket beispielsweise in die energetische Sanierung fließen und welche Standards wir haben. Ich könnte konkrete Maßnahmen nennen, die auch als Innovationstreiber für den Standort Deutschland wichtig sind. Im Zuge der Haushaltsberatungen greifen wir das Thema im weiteren parlamentarischen Verfahren noch einmal neu auf und beschließen in ein paar Wochen hier im Plenum den Haushalt. Wir begleiten diesen Prozess der konkreten Ausformulierung der Energieziele zusammen mit den Partnerhäusern, die sich auch mit diesem Thema befassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch einmal nachgefragt: Mit welchen Prozentsätzen planen Sie denn bei der Erneuerung im Bestand? Wir wissen, wie wichtig Maßnahmen im Altbestand für die Erreichung der Klimaziele sind. Es gibt ja Gebäude, die noch 30 Liter pro Quadratmeter brauchen. Möglich wären 5 bis 6 Liter nach einer Sanierung. Da der Gebäudebestand 30 Prozent unserer klimawirksamen Emissionen ausmacht, könnte das einen wirklich sehr großen Einfluss haben. Welche Planungen hat Ihr Haus? In welchen Raten soll sich der Bestand an sanierten Gebäuden tatsächlich erhöhen?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Sie haben ja gefragt, inwieweit wir für eine Vorbildfunktion der Bundesbauten sorgen. Die konkreten Projekte der energetischen Sanierung, die im Titel der Bundesbauten enthalten sind, werden abgearbeitet. Das sind zum Teil sehr schwierige Bauten, die sehr viel Geld binden. Deshalb wollen wir mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln diese möglichst schnell fertigstellen und somit der Vorbildfunktion der Bundesregierung gerecht werden. Wir sind täglich unterwegs, um Schecks auszureichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir haben eine weitere Frage, diesmal von der Kollegin Dorothée Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, noch einmal die konkrete Nachfrage: Bei Neubauten ist der Passivhausstandard ja inzwischen durchaus üblich. Sie haben eben auch ausgeführt, welche Vorbildfunktion die Bundesbehörden wahrnehmen. Wie hoch ist der Anteil der Gebäude an den Neubauten des Bundes, die in Passivbauweise ausgeführt werden, bzw. der Anteil derer, die in Planung sind?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin, diese Zahlen würde ich Ihnen gerne nachreichen, wenn Sie erlauben. Damit hätten Sie dann einen Überblick über die Bundesbauten. Fakt ist, dass wir nicht nur im Bereich der Passivhäuser Überlegungen anstellen, sondern vor allem auch im Bereich Wohnen und Bauen. Wir überlegen, wie Plusenergiestandards als Innovation für die Bürgerinnen und Bürger realisiert werden können, damit man es vor Ort erfahren kann und damit man dieses Thema auch mit Elektromobilität verbindet. An dieser Stelle sind wir sehr erfinderisch und sehr kreativ und wollen deutsche Innovationen auch ins Ausland bringen. Dabei werden wir die Vorbildfunktion ausüben, Herr Kollege Dr. Ott. Wir sorgen nicht nur für sehr gute Standards bei Bundesbauten, sondern geben auch Privatleuten eine Handreichung, wie sie im Bereich von Passivhäusern und Plushäusern agieren können. Die Zahlen reiche ich Ihnen nach.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir haben jetzt eine Frage der Kollegin Ingrid Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine Nachfrage zu den Energiestandards. Die EU-Gebäuderichtlinie sieht vor, dass ab 2020 nur noch Nullenergiehäuser gebaut werden sollen. Werden Sie diese Forderungen schon in der EnEV 2012 umsetzen? Wenn nein, warum nicht?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel werden wir möglichst weit gehen und - wenn ich bei der Begrifflichkeit von Herrn Dr. Ott bleiben darf die Vorbildfunktion der Bundesregierung so umsetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Bettina Herlitzius eine weitere Frage.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Die hätte dann auch die nächste Frage.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind aber gerade bei den Energiestandards. Insofern passt das jetzt etwas besser. Ich hätte gerne eine Information zu den Konjunkturprogrammen. Sie haben das heute Morgen im Ausschuss schon erwähnt und jetzt wieder. Diese Programme konzentrieren sich natürlich schwerpunktmäßig auf die öffentliche Infrastruktur. Mithilfe dieser Programme wurden Straßen gebaut, aber auch viele Schulen sind saniert worden. Worum es uns bei der KfW-Gebäudesanierung geht, ist der private Hausbesitzer, der Wohnungen vermietet oder auch selbst nutzt und der dringend Unterstützung braucht. Minister Brüderle hat vorhin so schön gesagt, er wolle keinen Zwang zur Sanierung. Dabei hat er aber vergessen, dass es einen Zwang für die Mieter gibt, die die hohen Nebenkosten bezahlen müssen. Diese können nicht daran vorbei. Insofern muss man eine Lösung finden, um beiden Interessen gerecht zu werden. Sie haben gerade die Frage meiner Kollegin bezogen auf Neubaustandards beantwortet. Ich frage Sie, wie Sie sich Standards für den Altbaubestand vorstellen. Auch in diesem Bereich muss etwas passieren, damit wir die Ziele für die Gebäude erreichen können. Die Heizverordnung sieht vor, dass Heizkessel ausgetauscht werden. Das ist auch passiert. Es gab ganz eindeutig einen Zwang hierzu. Es gab dafür einen großen Zeitraum; es gab große Umsetzungsmöglichkeiten. Dann sind aber alle Heizungen in Gebäuden ausgetauscht worden. Diese Möglichkeiten müssen wir auch weiterhin eröffnen; denn ohne einen gewissen Zwang gekoppelt mit einer Förderung wird nichts passieren. Genau das sehen wir bei dieser Regierung im Moment aber nicht.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Herlitzius, wir haben das Energiekonzept mit Bundesminister Brüderle und Bundesminister Röttgen intensiv diskutiert. Diese Regierung steht für Anreize und freie Entscheidungen, aber nicht für Zwang. Es sollen Anreize für eine energetische Sanierung für die Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden. Wenn Sie sich die Zahlen und die Programme anschauen, dann stellen Sie fest, dass das in der Vergangenheit hervorragend funktioniert hat. Es bestehen Anreize für Privateigentümer, aber auch für große Wohnungsbaugesellschaften, energetische Sanierungen durchzuführen. Das ist ein Erfolgsmodell. Daher steht diese Regierung nicht für zwanghafte Maßnahmen, sondern für Anreize und freie Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen zu Frage 51 der Kollegin Bettina Herlitzius: Mit welchen Mitteln will die Bundesregierung in Anbetracht der Reduzierung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms die Sanierungsquote wie angekündigt auf 2 Prozent steigern und auf diesem Niveau halten? Bitte schön.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Wie schon gesagt: Am 28. September wurde vom Bundeskabinett das Energiekonzept beschlossen. Dieses sieht ein Bündel von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Realisierung einer deutlich höheren Sanierungsquote im Gebäudebereich vor. Dazu gehört die finanzielle Förderung unter anderem mit Mitteln des CO2-Gebäudesanierungsprogramms und des Marktanreizprogramms zur Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt. Den Orientierungsrahmen setzt dabei ein langfristiger Sanierungsfahrplan für Gebäude. Weitere Maßnahmen sind die Entwicklung und Förderung des Marktes für Energiedienstleistungen, eine qualifizierte Information und Beratung privater Verbraucher sowie die Stärkung der Energieausweise zur Erhöhung der Transparenz über den Energiebedarf von Gebäuden. Verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen, wie etwa im Mietrecht, für energetische Sanierungen oder aber die Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens für Wärmeliefercontracting können ebenso einen Beitrag zur Verdopplung der Sanierungsquote leisten. Das bezieht sich auch auf die Frage, die Sie vorher gestellt haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Herlitzius?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 52 der Kollegin Herlitzius: Wie wurden die Kosten in Höhe von 2 bis 2,4 Billionen Euro für die Sanierung aller Wohngebäude auf den Nullemissionsstandard bis 2050 berechnet, von denen das BMVBS nach einem Artikel der Zeitschrift Der Spiegel vom 13. September 2010 ausgeht, und wurden dabei auch die Kosten für die Gebäudeinstandhaltung eingerechnet?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

In Deutschland gibt es derzeit rund 18 Millionen Wohngebäude mit rund 40 Millionen Wohnungen. Die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung beträgt 86 Quadratmeter. Damit ergibt sich eine Gesamtwohnfläche von rund 3,4 Milliarden Quadratmetern. Nullemissionsstandard bedeutet, dass hierfür ein bau- und anlagentechni6350 sches Niveau erreicht werden muss, das energetisch noch deutlich anspruchsvoller ist als das derzeit anspruchsvollste von der KfW geförderte Sanierungsniveau. Die spezifischen Kosten für einen solchen Standard hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, ausgehend vom heutigen Sanierungstechnologiestandard und von den heutigen Kosten, grob auf 500 bis 700 Euro pro Quadratmeter geschätzt. Damit würden energetische Gesamtkosten in Höhe von 2 bis 2,4 Billionen Euro verursacht werden. Kosten für die Instandhaltung wie auch die kostenmindernden Effekte durch eine parallele Durchführung von energetischen Sanierungsmaßnahmen zusammen mit ohnehin anstehenden Instandsetzungen sind dabei nicht berücksichtigt. Es gibt natürlich inzwischen verschiedene Gutachten. Aber das Bundesministerium hat diese Berechnung auf der Basis der Gesamtquadratmeterzahlen vorgenommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Was bezwecken Sie mit diesen Zahlen, die gerade für Hausbesitzer sehr erschreckend sind? Die Darstellung von Millionensummen, die bei der Sanierung anfallen, und zwar bei einem Zeithorizont bis 2050, ist im Moment nicht zielführend. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass wir die Gebäudebesitzer mitnehmen. Deswegen frage ich Sie: Was ist in dieser Hinsicht Ihre Strategie? Wie wollen Sie die Häuslebesitzer, die Eigentümer, zur Sanierung bewegen, wenn Sie sie mit solchen Zahlen erschlagen?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Herlitzius, Sie haben nach den Zahlen gefragt, die das BMVBS berechnet hat. ({0}) Ich habe nur, um für größtmögliche Transparenz zu sorgen, Ihre Frage beantwortet, wie die Zahlen zustande gekommen sind. In der Antwort auf die Frage 50 habe ich das Maßnahmenpaket der Bundesregierung in Bezug auf Sanierungen dargestellt. Durch die Antworten auf die Fragen 50 und 51 müsste ein guter Überblick gegeben worden sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Meine Nachfrage bezog sich natürlich darauf, dass es einen generellen Investitionsbedarf bei Immobilien gibt, zum Beispiel auch mit Blick auf Barrierefreiheit oder Modernisierung. Nicht alles, was heute investiert werden muss, bezieht sich nur auf die energetische Sanierung. Man kann Ihre Zahlen aber so lesen, als beträfen sie nur die energetische Sanierung. Deswegen die Nachfrage: Wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen? Das ist nach wie vor nicht erkennbar.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Herlitzius, ich glaube, dass alle Fraktionen im Deutschen Bundestag den Bedarf bei den genannten 40 Millionen Wohnungen sehen; nur so kommen wir bei der Sanierung unserer Wohngebäude gemeinsam weiter. Über die Strategie werden wir weitgehend streiten; das ist klar. Aber im Energiekonzept und in den verschiedenen Sanierungsprogrammen sind die Anreize gesetzt. Die Erfolgsgeschichte der Sanierungsprogramme können Sie auch daran erkennen, dass wir von der Finanzlinie etwas heruntergegangen sind, weil die Töpfe von den Privaten und den Wohnungsbaugesellschaften in Rekordzeit ausgeschöpft worden sind. Wir haben uns jetzt geeinigt, das Paket um die 500 Millionen Euro zu erweitern, um dem Bedarf Rechnung zu tragen. Wenn Sie sehen, wie schnell und gut die Programme vor Ort ankommen, können Sie feststellen, dass die Strategie der Bundesregierung, die Sanierungen mit einem Bündel von Maßnahmen über Anreizsysteme und nicht über Zwang zu forcieren, genau die richtige ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage der Kollegin Ingrid Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. - Ich habe eine konkrete Nachfrage: Sind in Ihren Berechnungen nur die Mehrkosten für die energetische Sanierung enthalten oder auch die Kosten für diejenigen Sanierungen, die im Zeitraum bis 2050 sowieso durchgeführt werden müssen? Ich frage dies vor dem Hintergrund, dass mir für die Kosten der energetischen Sanierung eine sehr viel niedrigere Zahl bekannt ist - nämlich 400 Milliarden Euro -, die, so glaube ich, auf das Institut für Wohnen und Umwelt zurückgeht.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Auf der Grundlage der derzeit bekannten Sanierungstechnologien habe ich vorhin die Gesamtkosten der energetischen Sanierung mit 2 bis 2,4 Billionen Euro beziffert. Ich sage aber dazu, dass es unterschiedliche Gutachten gibt. Unter dem Strich können wir fraktionsübergreifend feststellen, dass es absolut gesehen einen Sanierungsbedarf gibt. Dieser Tatsache trägt die Bundesregierung Rechnung, indem sie intelligente Sanierungsprogramme aufstellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 53 und 54 der Kollegin Daniela Wagner werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun - es handelt sich um den gleichen Themenbereich - zur Frage 55 der Kollegin Ingrid Nestle: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wie will die Bundesregierung ohne den Nullemissionsstandard im Gebäudebestand sicherstellen, dass der gesamte Gebäudebestand bis 2050 80 Prozent weniger klimaschädigendes Kohlendioxid als heute verbraucht?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Bei dieser Frage geht es um den Nullemissionsstandard im Gebäudebestand, der vorhin schon Gegenstand einer Ihrer Nachfragen war, Frau Kollegin. Im Gebäudebestand stellt die Bundesregierung wirtschaftliche Anreize in den Mittelpunkt ihrer Politik. Der langfristige Sanierungsfahrplan hin zum klimaneutralen Gebäudebestand soll den Hauseigentümern einen verlässlichen Orientierungsrahmen für Investitionen geben. Sanierungszwang ist mit dieser Regierung nicht zu machen. Wir setzen auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit und unterstützen im Übrigen weitere Maßnahmen mit einer wirksamen staatlichen Förderpolitik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön. - Nachfrage?

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie Zwang kategorisch ausschließen und wenn es sowieso keinerlei Standards zu beachten gilt, frage ich, warum wir dann noch verlässliche Rahmenbedingungen für Hausbesitzer brauchen.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Ich habe nicht davon gesprochen, dass es keine Standards gibt, sondern davon, dass die Maßnahmen auf Investitionsanreize und nicht auf Zwang basieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie merken aufgrund der vielen Nachfragen zu diesem Punkt, wie sehr uns dieses Thema auf den Nägeln brennt. Einmal überspitzt gefragt: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie nur fördern und nicht fordern wollen, dass Sie also in diesem Bereich nur öffentliche Gelder einsetzen wollen? Sie haben zwar gesagt, Sie würden Standards setzen. Aber dann haben Sie davon gesprochen, Sie wollten nur mit investiven Anreizen arbeiten. Ich habe es an dieser Stelle noch nicht richtig verstanden: Setzen Sie im Altbaubereich nun Standards - ja oder nein? Wenn Sie Zwang komplett ablehnen, müssten Sie dann nicht eigentlich auch die Vorschrift ablehnen - denn auch das ist ein Zwang -, dass der Schornsteinfeger in regelmäßigen Abständen kommen muss? Sie können doch nicht generell jeglichen Zwang in diesem Bereich ablehnen.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Ich habe vorher von den Standards gesprochen. Diese Programme beinhalten natürlich gewisse Regeln, die beachtet werden müssen, damit die Gelder abgerufen werden können. Das verstehe ich unter den Anforderungen, die es für solche Programme gibt. Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass bis dato die Sanierungsprogramme sehr gut gelaufen sind, und ich möchte den investitionswilligen Eigentümern von Wohnungen und Häusern meinen Dank dafür aussprechen, dass sie diese Programme so zahlreich nachgefragt haben. Das zeigt, dass diese Strategie erfolgreich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage der Kollegin Dorothée Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatssekretär Scheuer, es gibt ja auch einen umfänglichen Gebäudebestand des Bundes. Wie groß ist der Anteil der Gebäude im Besitz des Bundes, die nach einem Umbau den Nullemissionsstandard erfüllen oder bei denen diese Maßnahme in der konkreten Planung oder Umsetzung ist?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Menzner, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ein paar Fragen zuvor Ähnliches gefragt. ({0}) Ich bitte darum, an dieser Stelle die konkreten Zahlen nachreichen zu dürfen, die die Vorbildfunktion der Bundesregierung, was die Bundesbauten angeht, unterstreichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 56 des Kollegen Friedrich Ostendorff: Wie beurteilt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geplanten Maßnahmen zur Einhaltung des NH3-Grenzwertes von 550 kt NH3 ab 2010 gemäß der NEC-Richtlinie? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege Ostendorff, diese Frage folgt quasi der Frage, die Sie vorhin meiner Kollegin Julia Klöckner aus dem Landwirtschaftsministerium gestellt haben. Ich kann Ihnen sagen, dass unsere Antworten identisch sind; wir gehen in dieser Frage Seit’ an Seit’. Wir haben Ihnen bereits in der Beantwortung der Kleinen Anfrage vom August dieses Jahres sehr ausführlich dargelegt, dass die Bewertung der genannten möglichen Maßnahmen im Hinblick auf die Notwendigkeit einer zusätzlichen Emissionsminderung, das Emissionsminderungspotenzial der einzelnen Maßnahmen, die rechtlichen Möglichkeiten der Implementierung und die kurzfristige Umsetzbarkeit sowie die Minderungskosten noch nicht abgeschlossen ist. Wie wir in der Antwort auf die Kleine Anfrage ebenfalls angesprochen haben, hat dies damit zu tun, dass wir zurzeit unsere Emissionsprognosen zwar regelmäßig anpassen und überprüfen, aber die Emissionsprognose für das Jahr 2010 auf Basis der vorhandenen Datenlage aus dem Jahr 2009 erst Anfang Dezember dieses Jahres zur Verfügung stehen wird. Anschließend werden wir sie natürlich an die Europäische Kommission übermitteln. Selbstverständlich zielt dieses Programm darauf - ich glaube, hier sind wir gar nicht auseinander -, die Emissionshöchstmengen ab dem genannten vorgegebenen Termin einzuhalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage?

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, geschätzte Kollegin Ulla Heinen. Wir haben es hier natürlich mit demselben Themenkomplex zu tun wie eben im Fachbereich Ernährung und Landwirtschaft. Aber das Bundesumweltministerium ist hier fachlich zuständig. Adressat der Rüge oder des Briefes der EU-Kommission - wie auch immer man es nennen will - ist das Bundesumweltministerium. Bis Ende September mussten Maßnahmen nach Brüssel gemeldet werden. Wir haben bisher keine Kenntnis, was die Bundesregierung gemeldet hat, was sie aktiv tun will, damit die Ammoniakgrenzwerte in der Zukunft eingehalten und nicht wie in diesem Jahr wieder um 11 Prozent überschritten werden. Wir fragen natürlich vor dem Hintergrund, dass wir aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium immer wieder hören, man wolle mehr Fleisch erzeugen. Fleisch ist eine wichtige Eintragsquelle für Ammoniakemissionen. In Deutschland sind circa 900 Ställe in Beantragung; wenn wir dies auf Hähnchen umlegen, könnten im Jahr ungefähr 200 Millionen Hähnchen mehr in diesen Ställen gehalten werden. Angesichts dessen fragen wir uns als Oppositionspartei, wie man die Richtlinien, die heute schon überschritten werden, in Zukunft einhalten will, wenn die wesentliche Eintragsquelle, die landwirtschaftliche Fleischproduktion, noch so stark ausgedehnt werden wird. Da muss ich doch das Bundesumweltministerium fragen, was Sie denn nun zusammen mit den Ländern - sie sind hier gefordert - tun wollen und was Sie ihnen an Hausaufgaben aufgegeben haben. Es wäre für uns wichtig, zu erfahren, was hier im Einzelnen angemahnt wird.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das war jetzt gleich eine ganze Fülle von Fragen und Anmerkungen. Lassen Sie mich eines voranstellen: Sie haben recht, das Bundesumweltministerium ist in der Tat für die Umsetzung der Richtlinie zuständig. Aber Sie haben vorhin bei Ihrer Frage an die Kollegin Klöckner sehr wohl auch selber formuliert, dass der größte Teil der Ammoniakemissionen von der Landwirtschaft verantwortet wird. ({0}) Sie sind selber Landwirt und wissen, woher der Ammoniak kommt. Das hat nicht nur etwas mit der Fleischproduktion oder den Schweinen zu tun, sondern natürlich auch mit dem gesamten Bereich der Düngung etc. Zu dem Schreiben der Europäischen Kommission: Es gab eine Anfrage an uns, die wir in den nächsten Tagen beantworten werden. Ich bitte Sie, Ihr Augenmerk auf die Antwort auf Frage 4 Ihrer Kleinen Anfrage zu richten. Darin steht, dass es eine Anfrage der Kommission gibt, in der wir aufgefordert wurden, „Angaben über jegliche Aktualisierung des Nationalen Programms sowie über ergriffene und/oder vorgesehene Maßnahmen vorzulegen, die die Einhaltung der Nationalen Emissionshöchstwerte bis 2010 und darüber hinaus gewährleisten sollen“. Wir befinden uns in der Revision der Prognose zu den tatsächlichen Emissionsmengen in Deutschland; sie wird erst Anfang Dezember vorliegen. Natürlich wird auch zu prüfen sein, ob wir bestimmte Maßnahmen kurzfristig umsetzen, beispielsweise im Hinblick auf die Aktualisierung und Verbesserung der Emissionsinventare oder Ähnliches; auch das ist schon in der Kleinen Anfrage angesprochen worden. Wir werden unter Berücksichtigung der Umsetzungsmöglichkeiten und in enger Abstimmung mit dem Landwirtschaftsministerium darüber entscheiden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine kurze Nachfrage: Beinhaltet das auch, dass Sie darüber nachdenken, endlich eine Verschärfung der Düngeverordnung vorzunehmen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich warte jetzt erst einmal relativ gelassen ab, welche Werte sich ergeben. Dann werden wir prüfen, welche Stellschrauben es gibt, beispielsweise bei der Düngeverordnung. Es kann sich aber auch um schlichtere Maßnahmen handeln, beispielsweise um die Abdeckung von Schweinegüllelagern. Wir werden gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium darüber diskutieren und nehmen natürlich auch Ihre Hinweise, die Sie uns als Kenner der Materie geben, gerne entgegen. Wie gesagt: Lassen Sie uns jetzt Zeit, um uns die tatsächlichen Emissionen genau anzuschauen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die Frage 57 des Kollegen Hans-Josef Fell, die Frage 58 der Kollegin Dorothea Steiner und die Frage 59 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet. Wir kommen dann zur Frage 60 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl: Welche Auswirkungen hat eine verzögerte Inbetriebnahme des Endlagers Schacht Konrad - zum Beispiel im Jahr 2019 in Verbindung mit den geplanten Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke für die Kapazitäten der AKW-Standort-Zwischenlager, und wie hoch - bitte möglichst exakte Darlegung ist der Einsatz von Kernbrennstoffen pro Megawattstunde Bruttostromerzeugung in den deutschen AKW?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - An dieser und der vorherigen Frage erkennt man die Bandbreite der Komplexe, die das Bundesumweltministerium bearbeitet. Wir haben das Bundesamt für Strahlenschutz beauftragt, den Terminplan so zu überarbeiten, dass wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die Ablaufpläne für die Errichtung des Endlagers zu optimieren. Ziel ist es, im Endlager Schacht Konrad so zügig wie möglich mit der Einlagerung der radioaktiven Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung zu beginnen. Durch die Laufzeitverlängerung werden in den Kernkraftwerken in Deutschland insgesamt über 10 000 Kubikmeter radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung zusätzlich anfallen, die im Endlager Schacht Konrad gelagert werden sollen. Weiterhin werden durch die Laufzeitverlängerung insgesamt 4 400 Tonnen Schwermetall in Form von bestrahlten Brennelementen zusätzlich anfallen, die allerdings an den Standorten zwischengelagert werden; denn es liegt keine Genehmigung für eine Endlagerung dieser wärmeentwickelnden bestrahlten Brennelemente im Endlager Schacht Konrad vor. Wechselwirkungen zwischen dem Beginn der Einlagerung im Endlager Schacht Konrad und der Lagerung der bestrahlten Brennelemente an den Standorten der Kernkraftwerke bestehen grundsätzlich nur dort, wo Bereiche von Standort-Zwischenlagern für die Transportbereitstellung von radioaktiven Abfällen für das Endlager Schacht Konrad verwendet werden. Die Wahrscheinlichkeit von dadurch verursachten Engpässen bei der Entsorgung der bestrahlten Kernbrennstoffe kann abschließend erst bewertet werden, wenn feststeht, ob es bei der Inbetriebnahme des Endlagers Schacht Konrad zu wesentlichen Verzögerungen kommt, mit welcher Auslastung die betroffenen Kernkraftwerke in den nächsten Jahren betrieben werden und in welchem Umfang die einzelnen Anlagen die Konditionierung der Abfälle für das Endlager Schacht Konrad betreiben. Die Menge des erzeugten Stroms pro Masseneinheit des Kernbrennstoffs hängt vom Abbrand und damit indirekt auch von der Anfangsanreicherung ab. Bei den heute üblichen Abbränden beträgt die benötigte Kernbrennstoffmenge pro Megawattstunde etwa 2,7 Gramm.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage? - Bitte, Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Danke schön, Frau Staatssekretärin, für die ausführliche Antwort. Es hatte sich ein Fehler in meine schriftliche Frage eingeschlichen. Wir haben versucht, den Fehler zu berichtigen; aber das Ministerium hat es zurückgewiesen, die berichtigte Frage aufzunehmen. Wenn es auf der einen Seite um Schacht Konrad geht, geht es auf der anderen Seite natürlich nicht um die AKW-nahen Standort-Zwischenlager, sondern um Gorleben; denn logischerweise werden die schwachaktiven und mittelaktiven Abfälle nicht in den AKW-nahen Standorten zwischengelagert. Meine Frage also korrigiert, wie wir eigentlich auch einreichen wollten: Was bedeutet die Menge, die zwischengelagert werden muss, für Gorleben?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Die Beantwortung dieser Frage - darum muss ich bitten - werde ich Ihnen schriftlich zügig nachreichen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. Das ist nett. - Vielen Dank. Ich habe noch eine zweite Nachfrage: Ist inzwischen bekannt, worauf die Verzögerung der Inbetriebnahme von Schacht Konrad um fünf Jahre zurückzuführen ist?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, woran das liegt. Ich habe eingangs bereits gesagt: Wir haben das Bundesamt für Strahlenschutz gebeten, sich darum zu kümmern und alle Möglichkeiten eines optimalen Ablaufs auszuschöpfen. Ich werde Ihnen sehr zügig darüber berichten, sobald mir alle bekannten Daten vorliegen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 61 und 62 des Kollegen Uwe Kekeritz und die Frage 63 des Kollegen Garrelt Duin werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 64 und 65 des Kollegen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rolf Mützenich, die Frage 66 des Kollegen Omid Nouripour und die Frage 67 der Kollegin Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich frage die Geschäftsführer der Fraktionen: Gibt es Bedenken, sofort mit der Aktuellen Stunde zu beginnen? Es gibt keine Bedenken. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Einen fairen Interessensausgleich zwischen Beschäftigten und Arbeitsuchenden mit bedarfsgerechten Regelsätzen schaffen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Ursula von der Leyen das Wort. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zu den neuen Regelsätzen liegt vor. Diese Aktuelle Stunde ist jetzt die Stunde des Parlaments. Anlass sind die Hartz-Gesetze, die Rot-Grün vor sieben Jahren konstruiert hat, damals unterstützt von der Union. Ich sage heute ganz deutlich: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, also der Gedanke, Menschen zu mobilisieren und niemanden in staatlicher Abhängigkeit abzuschreiben, war damals richtig und ist es heute auch noch. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber im Februar ins Stammbuch geschrieben, dass die Gesetzgebung dazu damals hastig war und zum Teil - O-Ton des Bundesverfassungsgerichts - „ins Blaue“ geschätzt wurde. Das hat das Bundesverfassungsgericht gerügt. Wir haben jetzt nach seinen Vorgaben in den letzten sieben Monaten harter Arbeit detaillierte Berechnungen, Rohdaten und Entscheidungswege dargelegt. In den vergangenen Tagen habe ich von der Opposition gehört - wortwörtlich -: geschachert, gekungelt, gemauschelt und getrickst. Dazu kann ich nur sagen: Moment einmal! Sie sollten vielleicht nicht von sich auf andere schließen. Sie haben das vielleicht 2003 getan. ({1}) Wir aber legen Ihnen umfassende Berechnungen vor. Alle Entscheidungswege sind dargelegt. Ich finde, dass wir auf dieser Datenbasis jetzt sachlich miteinander diskutieren sollten. ({2}) Die Regelsätze sind vom Verbrauchsverhalten der Haushalte im unteren Einkommensfünftel hergeleitet. Das wurde von Rot-Grün 2003 so eingeführt und ist auch ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Das haben wir auch getan. Zusätzlich muss der Gesetzgeber - ich betone: er muss - Wertentscheidungen fällen, schlüssig und sachgerecht begründet, welche Positionen existenzsichernd sind und welche nicht. Wir müssen die Entscheidungen dazu beiden Seiten erklären: Wir müssen sie denen erklären, die 364 Euro Lebensunterhalt plus Warmmiete durch Hartz IV bekommen und jeden Cent umdrehen müssen. Wir müssen es aber genauso denen erklären, die das erarbeiten und ebenfalls jeden Cent umdrehen müssen. Beide Seiten haben ein Recht auf begründete Entscheidungen. ({3}) Zu den Wunschvorstellungen, die ich in den letzten Tagen von den Linken gehört habe: 500 Euro im Monat plus Warmmiete für jeden. Wie kommen Sie eigentlich auf diesen Betrag? ({4}) Wenn Sie sich nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts richten und die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zugrunde legen, dann kommen Sie nicht einmal in die Nähe dieser Summe, auch wenn Sie Glücksspiel, Alkohol, Zigaretten, illegale Drogen, Pauschalurlaube oder Flugreisen einrechneten. ({5}) Die Verfassungsrichter haben uns zu Recht aufgetragen, die Regelsätze transparent zu gestalten. Wir haben uns an dieses Gebot gehalten. Jeder, der jetzt höhere Forderungen stellt, muss diese Forderungen nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts begründen, und zwar im Detail. ({6}) Mehr noch: Sie würden mit Ihrer Forderung nach 500 Euro Lebensunterhalt im Monat plus Warmmiete ({7}) auf einen Schlag 2 Millionen Menschen zusätzlich in das System der passiven Leistung ziehen. Eine Politik, die sich darauf beschränkt, die Abhängigkeit vom Staat auszubauen und Passivität zu zementieren, ist kraftlos und muss scheitern. ({8}) Hartz IV darf kein Dauerzustand sein. Das Versprechen, dass sich Arbeitsuchende und die Gemeinschaft als Pakt für die Not in die Hand gegeben haben, muss weiterhin gelten. ({9}) Joschka Fischer hat 2004 bei Einführung der HartzGesetze, die genau diesem Grundsatz folgen, gesagt - ich zitiere -: Die Ängste der Menschen nehme ich sehr ernst. Aber wir können sie entkräften. Hartz IV wird nicht massenhafte Verarmung hervorrufen, sondern bei Erhalt einer sozialen Grundsicherung mehr Chancen für den Zugang in den Arbeitsmarkt bieten. ({10}) Damit hat er die Aufgabe, an der wir weiterhin hart arbeiten müssen, treffend beschrieben. Die OECD hat uns diese Woche ins Stammbuch geschrieben, dass nicht die Regelsätze zu gering sind, sondern die Anreize, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. ({11}) Das müssen wir beachten. Eine verantwortungsvolle Sozialpolitik fördert eben nicht die Abhängigkeit von Menschen, sondern sie fördert die Chancen, unabhängig zu werden. Das ist die Politik, die wir verfolgen wollen. ({12}) Es geht nicht nur darum, die Existenz abzusichern. ({13}) Geld allein ist kein Allheilmittel gegen Ausgrenzung und Hilflosigkeit. Es geht auch darum, dass das Vertrauen der Menschen an die Aufstiegsmöglichkeiten in der Gesellschaft nicht verloren geht. Dafür ist das Bildungspaket ein deutliches Zeichen. Es sind 620 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen, nicht als Bargeld, sondern als Bildungsleistung, damit den Kindern der Start ins Leben gelingt, und zwar unabhängig davon, ob ihre Eltern Arbeit haben oder nicht, damit sie Erfolgserlebnisse haben, damit sie erfahren: Du kannst etwas. Du wirst gebraucht. Du hast eine Zukunft, und zwar unabhängig von Hartz IV. ({14}) Ich weiß, dass die Aufgabe, der wir uns mit dem Bildungspaket stellen, ein logistischer Kraftakt ist. Viele müssen anpacken: zuallererst der Bund, aber auch in den Ländern und Kommunen, in den Vereinen, Verbänden und in der Zivilgesellschaft. Aber diese Anstrengung sollten wir uns abverlangen. Das ist ein Gewinn für die Kinder. Das ist es, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Hier lohnt sich der Einsatz, hier lohnt sich die Mühe, tatsächlich einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. ({15}) Die Konjunktur springt wieder an. Die Unternehmen bekommen mehr Aufträge und suchen Arbeitskräfte, und zwar längst nicht mehr nur unter den Hochqualifizierten. Jetzt öffnen sich - was schon lange nicht mehr der Fall gewesen ist - die Türen auch für diejenigen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt bisher verschlossen war. Das heißt, jetzt ist es Zeit für eine Politik, die den Menschen etwas zutraut, die sie ernst nimmt und die Perspektiven schafft. Wir investieren mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in Kinder, damit sie aus dem Kreislauf der vererbten Armut herauskommen. Wir investieren in Brücken in den Arbeitsmarkt, zum Beispiel die Bürgerarbeit. ({16}) Wir investieren in die passgenaue Vermittlung durch die Jobcenter. Wir investieren in die Unterstützung von Alleinerziehenden, die arbeiten wollen. Wir investieren in effizientere Arbeitsmarktinstrumente. ({17}) Wir haben zwei große Reformen vor uns: zum einen die Jobcenterreform, die bereits gesetzlich verankert ist, aber noch umgesetzt werden muss, und zum anderen die Reform der Regelsätze und das Bildungspaket. Ich stelle fest: Bedenkenträger gibt es genug - ich bin tagtäglich von unendlich vielen umzingelt -, ({18}) aber ich lade alle diejenigen, die über den Tag hinaus denken können, ein, auch einmal darüber nachzudenken, wie man mit uns gemeinsam den Gestaltungsspielraum, die Möglichkeit, die sich uns eröffnet, nutzen kann. Vielen Dank. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Ministerin für Soziales und Gesundheit von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. ({0}) Manuela Schwesig, Ministerin ({1}): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In meinem Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, kennen wir das Problem der Armut leider nur zu gut. Insbesondere für viele Kinder ist sie bitterer Alltag. Letzte Woche haben mir Schüler tausend Karten überreicht mit der Bitte, sie der Bundeskanzlerin zu überreichen. Die Karten haben die Aufschrift: „Kinderarmut Gemeinsam Barrieren überwinden“. Darauf steht: Häufig haben Kinder in Armut einen schlechten Gesund6356 Ministerin Manuela Schwesig ({2}) heitszustand, sind sozial und kulturell ausgegrenzt. Ihre Chancen auf einen guten Bildungsabschluss und somit ihre Lebenschancen sind gering. Wir können uns Kinder in Armut nicht erlauben und fordern Sie, Frau Bundeskanzlerin, auf, den Kampf dagegen endlich beherzt anzugehen und ein umfangreiches Konzept gegen die Armut von Kindern zu verwirklichen. - Sehr geehrte Frau Bundesministerin von der Leyen, genau diesen beherzten Kampf und genau dieses umfangreiche Konzept vermisse ich bei Ihnen. ({3}) Frau von der Leyen, Sie haben eine große Chance vertan. Die Vorschläge, die Sie hier eben mit warmen Worten präsentiert haben, werden die Situation von Kindern und Eltern nicht spürbar verändern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem viel Hoffnung steckt, war eine mutige Aufforderung, in unserem Land einmal wieder klarzumachen, was eigentlich Kern des Sozialstaates ist. Die Verfassungsrichter erinnern uns an Art. 1 der Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dazu gehört ein menschenwürdiges Existenzminimum, dessen Höhe nicht politisch verhandelbar sein kann, dessen Höhe nicht in Hinterzimmern ausgekungelt werden darf. ({4}) Das Wegweisende an diesem Urteil ist, dass es nicht nur um den Anspruch auf ein Dach über dem Kopf und ausreichend Lebensmittel geht, sondern auch um die soziokulturelle Teilhabe, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. ({5}) Die Menschen, die Erwachsenen, aber vor allem die Kinder, wollen nicht mit Sozialleistungen abgespeist und zu Hause isoliert werden. Sie wollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben. ({6}) Dazu gehören vor allem für Kinder Bildung, Sport, Musik, Freizeit und ein gesundes warmes Mittagessen. ({7}) Art. 1 des Grundgesetzes fordert auch Respekt gegenüber den Menschen ein, die von Armut betroffen sind. ({8}) Genau an diesem Respekt, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete der FDP und der CDU/CSU, haben Sie es in der Diskussion in den letzten Tagen mangeln lassen. ({9}) - Wissen Sie, diese Parteigezänkdebatte brauchen Sie mit mir nicht zu führen. ({10}) Rot-Grün hat das Gesetz gemacht, Union und FDP haben im Bundesrat zugestimmt, und selbst die Linke war in einem Bundesland an der Regierung beteiligt. ({11}) Es muss Schluss sein mit dem Parteigezänk. Wir müssen uns um die Kinder in Deutschland kümmern. ({12}) Ich habe den Eindruck, dass Sie überhaupt nicht wissen, wie es den Menschen, über die wir hier reden, geht. Wissen Sie eigentlich, dass auch die alleinerziehende Verkäuferin, die in Schwerin zwei Jobs hat, Sozialleistungen beziehen muss? Sie muss aufstocken, weil in Deutschland Billiglöhne gezahlt werden, gegen die Sie nichts machen. Wir brauchen deshalb den gesetzlichen Mindestlohn. ({13}) Es geht auch um die alleinerziehende Bibliothekarin, die mich angesprochen hat. Vor 13 Jahren ist sie aus ihrem Beruf ausgestiegen, um ihrem Kind, das eine Behinderung hat, zu helfen. Nun, nach 13 Jahren, ist die Ehe gescheitert, und sie steht alleine da. Auch sie ist auf Sozialleistungen angewiesen. Wer glaubt denn, dass diese Bibliothekarin so einfach in den Job zurückkann? Sie haben in den letzten Tagen so getan - auch heute haben Sie so getan, Frau von der Leyen; das enttäuscht mich sehr -, als ob alle Langzeitarbeitslosen faule Leute wären, ({14}) Ministerin Manuela Schwesig ({15}) die rauchen und trinken und nicht in den Job wollen. ({16}) Es geht nicht um Tabak und Alkohol. Es geht darum, wie diese Menschen wieder in den Job kommen. Dazu habe ich von der Arbeitsministerin heute keine Antwort gehört. Ich habe auch keine Antwort darauf gehört, wie wir es mit den vielen Menschen machen - Frau von der Leyen, da haben Sie recht -, die arbeiten gehen und nicht einmal so viel haben wie Hartz-IV- oder Sozialleistungsempfänger, sondern die aufstocken müssen, und was wir mit den Menschen machen, die arbeiten gehen und nur 100 Euro mehr haben. Es ist doch perfide, dass diese Bevölkerungsgruppen in Deutschland, denen es allen schlecht geht, systematisch gegeneinander ausgespielt werden. ({17}) Sie spielen die Geringverdiener gegen die Arbeitslosen aus, und parallel dazu stecken Sie der Pharmalobby und den Atomkonzernen das Geld in den Rachen. Das ist die Realität in Deutschland. ({18}) Frau von der Leyen hat gesagt, wir sollten uns alle anstrengen, uns Mühe geben und uns an der Diskussion beteiligen. Das tun wir, gerade die Länder. Ich kann Ihnen sagen: Wir in Mecklenburg-Vorpommern versuchen, viel gegen Kinderarmut zu tun. Wir haben ein gesundes Mittagessen in Kitas. Wir haben gerade unsere Beteiligung für Kitas in sozialen Brennpunkten aufgestockt. Aber die Experten schreiben mir als Sozialministerin immer wieder ins Stammbuch: Die Armut von Kindern ist die Armut ihrer Eltern durch Arbeitslosigkeit oder durch Billiglöhne. Deswegen brauchen wir gute Arbeit und den gesetzlichen Mindestlohn. ({19}) Wir müssen das Urteil ernst nehmen. Was sagt denn das Urteil? Es sagt, dass alle Kinder in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Bildung und soziokulturelle Teilhabe haben. Dazu gehört für mich ein echtes Bildungspaket und nicht ein Bildungspäckchen. Dazu gehören die Ganztagskitas, die Ganztagsschulen mit einem guten Angebot an Musik und Sport, mit einem gesunden warmen Mittagessen. Klar, die beste Kita, die beste Schule kann die Eltern nicht ersetzen. Deswegen brauchen wir auch gute Förderung für Eltern, die es schwer haben, ihrer Erziehungsarbeit nachzukommen. Wir müssen über Eltern-KindZentren reden. Wir müssen über Familienhebammen reden. ({20}) All diese Vorschläge der Länder liegen auf dem Tisch. Das Beispiel Familienhebammen wird durch den Gesundheitsminister in der Bundesregierung blockiert. Von Ihnen, Frau Bundesministerin, habe ich auf diese ganze Bildungsfrage, die uns die OECD auch ins Stammbuch schreibt - lesen Sie die Berichte vollständig -, heute nicht eine Antwort gehört. ({21}) Sie haben die Chance vertan, sich mit Ländern und Kommunen an einen Tisch zu setzen und genau dieses große Bildungspaket zu schnüren. Was haben wir stattdessen erlebt? Mit dem Rechenschieber in den Hinterzimmern sind die Regelsätze zustande gekommen. ({22}) Warum denken wir denn, dass gekungelt wird? Das kann ich Ihnen sagen: Weil es Herr Westerwelle war, der gesagt hat, der Satz darf nicht steigen; weil die Bundeskanzlerin gesagt hat, hier ist ein guter Kompromiss zustande gekommen. Welcher Kompromiss? Das Urteil sagt, das menschliche Existenzminimum, die Regelsätze sind eben nicht politisch verhandelbar. Wenn Sie das Lohnabstandsgebot ins Spiel bringen, dann müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen: Das Urteil verbietet zu Recht, dass die Sozialleistungen allein wegen des Lohnabstands nach unten geschraubt werden. Wir müssen endlich die Löhne erhöhen. Dann geht es allen besser. ({23}) Ganze 5 Euro sind herausgekommen. Ich finde, ehrlich gesagt, es ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, wenn man davon redet, dass diese 5 Euro ein großer Schritt, ein Meilenstein sind. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, einmal vor das Kanzleramt zu gehen, um zu sehen, dass man sich für 5 Euro gerade einmal einen Latte Macchiato kaufen kann. So zu tun, als ob sich für diese Menschen etwas ändert, wird der Realität überhaupt nicht gerecht. Diese Menschen brauchen Arbeit, vor allem gut bezahlte Arbeit. Packen wir einmal das Bildungspaket aus, das vor uns liegt. In den letzten Monaten ist viel davon geredet worden - auch von Frau von der Leyen -, dass Kinder viel Teilhabe haben sollen. Wenn wir das Bildungspaket auspacken, dann bin ich ein bisschen an Julklapp erinnert; denn da packt man ein Paket aus, in dem wieder ein Paket ist, und dann kommt noch einmal ein Paket zum Vorschein. Schließlich kommt ein kleines Päckchen heraus. Darin ist ein Schulstarterpaket von 100 Euro im Jahr. Das gibt es schon. Das hat die SPD erfolgreich durchgesetzt, inklusive für Abiturienten. ({24}) Ministerin Manuela Schwesig ({25}) Am Ende bleiben 10 Euro für Musik, Sport und gesellschaftliches Engagement übrig. Mein Sohn geht mit den anderen Kindern der Kita in eine städtische Musikschule, die öffentlich gefördert wird. Ein stinknormaler Musikunterricht kostet 20 Euro im Monat. Wie davon der von Ihnen vielgepriesene Geigenunterricht bezahlt werden soll, Frau von der Leyen, weiß ich nicht. Vielleicht bekommt man dafür zehn Minuten im Monat. ({26}) Kommen wir zum warmen, gesunden Mittagessen. Den Zuschuss von 2 Euro finde ich sehr gut, aber das ist zu kurz gesprungen. Denn es wird nicht gesagt, wie alle Kinder in Deutschland dieses Mittagessen bekommen können. Nur 20 Prozent der Kinder in Kitas und Schulen profitieren derzeit vom gesunden Schulessen. ({27}) Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie uns gemeinsam reden. Wir brauchen eine Gesamtdebatte über Mindestlöhne, über ein Infrastrukturprogramm, darüber, wie wir Schulessen und Ganztagsschulen gewährleisten. Ich kann Ihnen heute sagen, dass die sozialdemokratisch regierten Länder diesem Vorschlag, der jetzt vorliegt, dieser Minilösung, nicht zustimmen können. ({28}) Wir müssen gemeinsam über ein Gesamtpaket reden, damit wir am Ende zustimmen können. Lassen Sie uns die Chance nutzen, die Eltern und die Kinder wirklich aus der Armut herauszuholen. Dafür benötigen wir vernünftige Vorschläge und nicht nur warme Worte. Vielen Dank. ({29})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schwesig, ich wundere mich doch sehr über Ihre Rede - das muss ich sagen ({0}) und frage mich, wo Sie die letzten elf Jahre eigentlich gewesen sind. ({1}) Deswegen einmal zum Mitschreiben, Frau Schwesig: Es ist Ihr Scherbenhaufen, es ist der Scherbenhaufen der SPD, den wir jetzt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wegräumen müssen. ({2}) Deswegen, Frau Ferner, finde ich es höchst unangebracht - ich muss es sogar unanständig nennen -, wenn Sie sich, bildlich gesprochen, mit den Händen in den Hosentaschen neben uns, die wir Ihre Arbeit nachbessern, stellen und uns auch noch wohlfeile Ratschläge - etwa: nehmt doch eine größere Schippe - geben wollen. Ich finde, wer den Scherbenhaufen selbst verursacht hat, der muss - das gehört sich so - dann auch die Ärmel hochkrempeln und nach Kräften mithelfen, wenn es darum geht, die Baustelle zu beräumen. ({3}) In diesem Sinne, Frau Kollegin Ferner, sollten Sie mit gebotener Demut und konstruktiv das anstehende Gesetzgebungsverfahren begleiten und unterstützen und es nicht noch unnötig erschweren. Die Zeit ist ohnehin kurz genug. ({4}) Frau Schwesig, die Menschen erinnern sich sehr wohl, dass es die SPD-Bundesregierung war, die Hartz IV ausgedacht und eingeführt hat, mit den ins Blaue hinein geschätzten Regelsätzen, ({5}) mit dem jetzt verworfenen Anpassungsmechanismus und ohne die Bildungschancen von Kindern auch nur im Ansatz zu berücksichtigen, Frau Ferner. ({6}) Es war ein SPD-Minister, der 2009 die dann im Februar 2010 vom Bundesverfassungsgericht verworfene Regelsatzverordnung erlassen hat. Auch daran muss man erinnern dürfen. Das ist der Grund, Frau Ferner, warum die SPD so eiert. Ich habe das heute Morgen im Frühstücksfernsehen gesehen. ({7}) Herr Oppermann, Herr Beck, Sie tragen Schuld, die SPD ist Täter. Das ist die Wahrheit. ({8}) Sie sollten nicht durchs Land laufen nach dem Motto: Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken. Das funktioniert nicht, das werden Ihnen die Menschen in diesem Lande auch nicht durchgehen lassen, weil es im höchsten Maße unanständig ist, Herr Oppermann. ({9}) Merken Sie denn nicht, Herr Oppermann, Frau Ferner, wie Sie sich lächerlich machen? ({10}) Die aktuell geltenden Regelsätze wurden noch von einem SPD-Minister ermittelt. Das ist kaum etwas mehr als ein Jahr her. Wenn die Regelsätze heute angeblich zu niedrig sind, dann müssen Sie sich doch fragen lassen, warum Sie zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung die Regelsätze nicht einfach auf das Niveau erhöht haben, das Sie heute für erforderlich halten. Das ist doch der Punkt. ({11}) Dann jammert Frau Schwesig hier wegen der Bildungschancen. ({12}) Sie haben, Frau Schwesig, die SPD hat in den Jahren, in denen sie den Kanzler in diesem Land gestellt hat, null, niente, gar nichts getan, um die Chancen von Kindern aus Hartz-IV-Haushalten zu gewährleisten. ({13}) Jetzt, da wir 620 Millionen Euro in die Hand nehmen, um die Bildungsteilhabe von Kindern - dieses Thema ist uns wirklich sehr wichtig; das will ich betonen - zu finanzieren, sagen Sie: Das, was Sie da jetzt machen, ist uns aber viel zu wenig. - So kann man Politik wirklich nicht machen, und das ist auch nicht verantwortlich, Frau Ferner. ({14}) Sie null, SPD null, wir 620 Millionen Euro - ich finde, Sie sollten in sich gehen, Sie sollten sich schämen. Sie sollten auch nicht anstehen, zu loben und anzuerkennen, was wir jetzt, auch in Zeiten gebotener Haushaltskonsolidierung, zu tun bereit sind. ({15}) Gerade weil Sie selbst damals nicht die Kraft dazu hatten, Frau Ferner, sollten Sie dies heute tun. ({16}) Ich habe mich gefragt, wie Sie eigentlich auf die Idee kommen, bei der Berechnung des Regelsatzes könne getrickst worden sein, ({17}) und das umso mehr, als wir uns wirklich allergrößte Mühe gegeben haben, ein offenes, transparentes Verfahren auf den Tisch zu legen. ({18}) Mir ist die Lösung eingefallen, Frau Kollegin Ferner. Sie gehen davon aus, wir hätten so gearbeitet wie Sie 2006 bei der Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003. ({19}) Der damals geltende Regelsatz betrug 345 Euro. ({20}) Sie hatten die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe auszuwerten, haben gerechnet und gerechnet, und siehe da: Es kamen 344,60 Euro heraus, die Sie auf 345 Euro aufgerundet haben. Damals wurde kräftig geschoben. ({21}) Ich muss sagen: Wir haben uns damals gewundert, wie mit Abschlägen und Sonstigem operiert wurde, um genau diese Zahl zustande zu bekommen. ({22}) Sie sollten wirklich nicht davon ausgehen, dass wir so arbeiten wie Sie. Wir haben einen vollkommen anderen Anspruch, und dem werden wir auch gerecht. ({23}) Bei allem Streit sollten wir uns über eines einig sein: Die Leistungen nach dem SGB II sollten nie als auf Dauer in Anspruch zu nehmende Leistungen angesehen werden. Sie sind angelegt als Hilfe auf Zeit. ({24}) Wir müssen alles daransetzen, auch Langzeitarbeitslosen die Chance zu eröffnen, wieder eine Arbeitsstelle zu finden und in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. ({25}) Deswegen sind aus unserer Sicht auch Verbesserungen der Hinzuverdienstregelungen erforderlich. Diese dürfen kein Anreiz sein, den Transferbezug zu optimieren, wie es derzeit der Fall ist, sondern sie müssen Anreiz sein, möglichst eine voll sozialversicherungspflichtige Arbeit aufzunehmen. Denn wir wissen: Bei Personen, die mehr als 800 Euro im Monat verdienen, besteht die große Chance, dass sie sich in den nächsten zwei Jahren vollständig vom Transferbezug lösen. ({26}) In diesem Sinne: Geben Sie Ihre destruktive Haltung auf, Frau Ferner und Herr Oppermann! ({27}) Helfen Sie mit, den kurzen und engen Zeitpfad zu nutzen und eine Regelung zu verabschieden, die zum 1. Januar nächsten Jahres als verfassungsfeste Regelung im Bundesgesetzblatt steht! Dazu sind wir aufgefordert, und das ist auch Ihre Pflicht. Danke schön. ({28})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach der lautstarken bisherigen Debatte will ich versuchen, zur Sachlichkeit zurückzukehren. ({0}) Ich kann an dieser Stelle auch ruhig bleiben. Denn im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen hat die Linke Hartz IV an keiner Stelle zugestimmt. ({1}) Die Bundeskanzlerin hat aufgefordert: Wer das Konzept von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen kritisiere, müsse sagen, an welcher Stelle man etwas für falsch halte und wo man noch etwas drauflegen wolle. Diesem Wunsch will ich sehr gerne nachkommen. Beginnen möchte ich mit dem, was Sie als „Anhebung der Regelsätze“ bezeichnen. Das, was Sie mit sagenhaften 5 Euro pro Monat auch noch als wohltätige Großzügigkeit verkaufen, deckt noch nicht einmal im Ansatz den Kaufkraftverlust, den der Regelsatz seit der letzten statistischen Erhebung 2003 erlitten hat. Das ist also kein Draufsatteln. Es ist nicht einmal im Ansatz ein Ausgleich für den erlittenen Wertverlust. Doch damit nicht genug. Was Sie als großzügiges Draufpacken bezeichnen, nehmen Sie den Hartz-IV-Betroffenen an anderer Stelle weg, ({2}) denn im Haushalt ist gleichzeitig die Streichung - es heißt zwar Anrechnung, aber es ist eine Streichung - des Elterngeldes für junge Familien im ALG-II-Bezug geplant. Das ist ein Skandal. Sie sagen, Sie packen etwas drauf, nehmen es den Menschen aber an einer anderen Stelle weg. In Wirklichkeit ist es so, dass jetzt die jungen Familien mit kleinen Kindern unter einem Jahr in Hartz IV für die Bildungsgutscheine für Hartz-IV-Kinder, die Sie jetzt ausgeben wollen, bezahlen. Das ist keine sozial gerechte Politik. Das ist Sparen bei den Ärmsten. ({3}) Doch damit beginnen die Manipulationen leider nur. Sie, Frau Ministerin, berufen sich in Interviews und hier gerne auf das Bundesverfassungsgericht und beteuern, Sie hätten sich an die Vorgaben gehalten. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber sehr schnell fest, dass Sie die Regelsätze heruntergerechnet haben. Sie haben Menschen, die unterhalb des Existenzminimums leben, in die Berechnungsgrundlage eingeschlossen. Das heißt, Sie berechnen auf Grundlage von armen Menschen die Existenzgrundlage der Ärmsten. Das kann nicht die Wahrheit sein. ({4}) Ich fordere Sie deshalb noch einmal auf, Frau Ministerin: Machen Sie die Rohdaten und die alternativen Berechnungen öffentlich! Dann werden wir das volle Ausmaß der Manipulation sehen können. Die Regelsätze müssten nämlich deutlich höher ausfallen. ({5}) Sie haben das im Ausschuss für Arbeit und Soziales erst heute wieder abgelehnt. Damit zeigen Sie, dass Sie keine Öffentlichkeit wollen. ({6}) Fast überzeugend mitfühlend erklären Sie hier auch, was sich die Verkäuferin, der Maler und der Pförtner alles nicht leisten können. Sie bemühen althergebrachte Vorurteile. Ich höre, dass es nicht sein könne, dass ein Langzeiterwerbsloser mehr haben könne als jemand, der Vollzeit arbeiten gehe. Im Klartext: Sie nehmen für den Regelsatz Maß an den Menschen, die zu Hungerlöhnen arbeiten und damit nur etwas weniger arm sind als diejenigen, die keine Erwerbsarbeit haben. Doch wer Dumpinglöhne zum Maßstab für das Lohnabstandsniveau nimmt, schafft nichts als noch größere Armut. ({7}) Wer den Gering- und Normalverdiener gegen Erwerbslose ausspielt, schafft sozialen Unfrieden. Wer zudem noch über eine Debatte um Tabak und Alkohol alte Vorurteile heraufbeschwört, verschärft die stigmatisierende Debatte der letzten Wochen. ({8}) Dann würden die Kritiken an Herrn Westerwelle und Herrn Sarrazin völlig unglaubwürdig; denn wenn Sie die Genussmitteldebatten auf dem Rücken der Ärmsten führen, gießen Sie das Theater der beiden Herren auch noch in Gesetzesform, und das müssen Sie sich vorwerfen lassen. ({9}) Es gibt allerdings einen Vorwurf an alle, die seit 2003 an dieser Arbeitsmarktreform mitgewirkt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen, zu Ihrer Kritik von heute an diesem Gesetz muss die Kritik am eigenen Tun von gestern dazugehören. Sie haben dieses Gesetz geschaffen, das das Bundesverfassungsgericht zu Recht kassiert hat. Aber - auch das gehört natürlich dazu - Union und FDP haben munter daran mitgewirkt, diese Regelsätze verfassungswidrig auszugestalten. ({10}) Meine Damen und Herren, unsere Kritik am vorgelegten Entwurf zur Neuberechnung der Regelsätze bleibt. Wer hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit einen Regelsatz zusammenzimmert, sollte das Wort „Transparenz“ nicht benutzen. ({11}) Wer nicht bereit ist, verdeckte Armut als wachsendes Problem anzuerkennen, sondern sie stattdessen zum Berechnungsgegenstand macht, sollte nicht von einem sachgerechten Verfahren sprechen. Schaffen Sie mit gesetzlichen Mindestlöhnen eine existenzsichernde Basis für Beschäftigte, damit Sie überhaupt wieder von einem Lohnabstandsgebot sprechen können! Sorgen Sie mit einer ehrlichen Berechnungsmethode endlich für Regelsätze, die eine wirkliche Grundsicherung darstellen! Wir werden Sie bei Ihrem Tun beobachten. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beginnen wir einmal mit Herrn Kolb. ({0}) Hier von anderen großartig etwas zu verlangen, ohne selber einmal darüber zu reden, wer eigentlich seit Jahr und Tag mit viel sozialer Kälte dafür kämpft, dass die Regelsätze möglichst niedrig bleiben, das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus. ({1}) Wir mögen vielleicht nicht alles behalten, aber eine Menge von Ihrer Partei haben wir behalten. „Menge“ heißt dann immer „Steuern senken für die, die reich sind“ und nie „existenzsicherndes Minimum für die, die arm sind“. Das kennen wir. ({2}) Ich sage Ihnen ganz klar: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Auftrag erteilt, der heißt: transparente Berechnung, den tatsächlichen Bedarf ermitteln und dabei natürlich Wertentscheidungen treffen. Es hat von eigenen Regelsätzen für Kinder gesprochen und auch davon, dass Kinder einen Anspruch auf individuelle Förderung haben, und zwar ab sofort. ({3}) Frau von der Leyen hat daraufhin einen Riesenwindbeutel gebacken. Das sind die, die, wenn man sie in den Backofen tut, so aufgehen. Wenn man die Klappe zu früh aufmacht, ist die warme Luft raus, und das Ding ist platt. ({4}) Das nennt sich bei von der Leyen „Chipkarte“. Mit der Chipkarte haben Sie versucht, uns zu suggerieren, die Kinder würden im ganzen Land eine umfassende Förderung bekommen. Das ist aber gar nicht der Fall. ({5}) Vielmehr haben Sie trickreich eine Berechnung gemacht, bei der das Ergebnis schon vorher feststand. ({6}) Sie haben suggeriert, es gebe eine detaillierte Berechnung. Warum legen Sie sie dann nicht vor? ({7}) - Nein, es ist nicht vorgelegt. - Die Alternativberechnungen, die man haben möchte, um die Wertentscheidung und die Berechnung nachvollziehen zu können, wurden dem Ausschuss heute verweigert. ({8}) Frau von der Leyen hat angerufen und - ich danke dafür angeboten, Details, Rechnungen und Zahlen in Hintergrundgesprächen mit den Fraktionen noch bekannt zu geben. Auch schön, das mutet aber an, als seien die Informationen beim Statistischen Bundesamt über Art und Umfang des Lebensmittelverzehrs ungefähr so geheim einzustufen wie das Wissen des BND über Terrorismus. Das ist nicht die Transparenz, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. ({9}) Sie haben die Bezugsgrößen heruntergerechnet, damit es passt, zum Beispiel - dafür sehe ich keine Begründung -, indem Sie sagen: Wir betrachten nicht mehr die unteren 20 Prozent, sondern die unteren 15 Prozent. - Meine These ist, dass Sie die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts schlicht und einfach nicht zum Gegenstand der Beratung und Berechnung gemacht haben, sondern für Sie war nur das Lohnabstandsgebot sachleitend. Ich verstehe ja, dass die Menschen, die arbeiten gehen, sagen: Ich möchte auch sehen, dass da ein Unterschied ist. - Ohne Zweifel. Diesen Unterschied erreicht man aber nicht, indem man erbärmliche Ressentiments der Armen gegen die Ärmsten schürt, weil ja auch die Geringverdiener nicht über die Runden kommen, sondern dafür muss man den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen. Das wäre Würde für beide. ({10}) Frau Schwesig hat es gesagt: Wie kommt denn die Verkäuferin klar? Wie kommt in diesem Land denn eine Friseurin klar? - Das muss man nicht nur in den Ländern regeln, sondern das muss man bundesweit regeln, um nicht noch eine Bundesländerkonkurrenz aufzubauen. Der gesetzliche Mindestlohn muss her! Wir wissen, dass es jetzt einen Abstand gibt. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Verdienst von 1 700 Euro brutto hat noch immer 460 Euro mehr als die gleiche Familie im Hartz-IV-Bezug. ({11}) - Ja, wenn Sie das Kindergeld, den Kinderzuschlag und das Wohngeld dazurechnen, dann ist das so. ({12}) Ich sage Ihnen von der CDU/CSU: Sie brauchen keine Sitzungen, bei denen Sie sich fragen, für was das „C“ steht und welche Bedeutung das „C“ hat. Singen Sie einfach das Hohe C; treten Sie nicht auf der Hühnerleiter nach unten. ({13}) Frau Merkel sagt - Frau von der Leyen sagt das auch -, der Hartz-IV-Bezug solle kein Dauerzustand sein, die Menschen sollen wieder in Arbeit. - Ja, das wäre Würde und Teilhabe für einen selbst und um dem Land etwas zurückzugeben. Tun Sie dann aber auch etwas dafür, dass das sozusagen eine Übergangsperiode ist; Sie kennen sich im Brückenbau doch so gut aus. Sie müssen dann dafür sorgen, dass bei der BA in den nächsten Jahren nicht 16 Milliarden Euro gestrichen werden. Die Wiedereingliederung und den Übergang bekommt man nur hin, wenn man das Geld hat und sinnvoll einsetzt. ({14}) Frau Merkel ist seit fünf Jahren Kanzlerin. Reden wir jetzt einmal nicht nur darüber, dass die SPD elf Jahre am Stück regiert hat. Sie ist seit fünf Jahren Kanzlerin. Wo ist denn die Offensive für die Qualifizierung älterer Beschäftigter? Wo ist die Offensive für die Qualifizierung und Beschäftigung von Alleinerziehenden? Wo ist das Erwachsenen-BAföG für die Spätzünder oder für die, die früh Kinder bekommen haben und mangels Infrastruktur keine Ausbildung erhalten konnten? Meine Damen und Herren, so nicht! ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum letzten Satz. - Es geht auch nicht, so zu tun, als würde jedes Kind 250 Euro im Jahr an Sachleistungen bekommen. Nur 20 Prozent der Kinder sind überhaupt an Schulen, an denen es eine Kantine gibt sprich: 80 Prozent bekommen kein Essen und auch kein Geld dafür. Die 20 Prozent, die das Essensgeld bekommen, erhalten ungefähr 360 Euro im Jahr. Das ist mehr als der Durchschnitt von 250 Euro. Meine Damen und Herren, es reicht hinten und vorne nicht. Wie sollen die Eltern ihre Kinder zur Musikschule in die nächste Stadt fahren, wenn sie nicht einmal einen Fahrschein haben, um legal dahin zu fahren? ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie haben die Redezeit jetzt schon länger überschritten.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ihre Struktur ist falsch, weil eine wirkliche Infrastruktur fehlt. Diese Infrastruktur muss sein: Mindestlöhne her, Kooperationsverbot weg und endlich Maßnahmen für Langzeitarbeitslose! ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hört man die Reden der Opposition, dann meint man: Das blanke Elend ist in Deutschland seit längerer Zeit ausgebrochen, Deutschland liegt danieder, die Menschen sind nur noch arm, nichts ist da. ({0}) Frau Künast, Sie haben in einer bemerkenswerten Verwirrungsaktion lauter Nebelbomben hier in diesen Saal geworfen und versucht, den Menschen klarzumachen, was alles nicht passiert. ({1}) Ich sage Ihnen, was passiert ist: Wir haben gemeinsam 2003/2004 - damals gab es einen großen Konsens - die beiden Leistungen der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende mit der Erwartung zusammengelegt, dass wir den Menschen helfen, dass wir Gelder einsparen und dass wir vor allen Dingen dafür sorgen, dass wir mit diesem Instrumentarium Menschen aktivieren. Frau von der Leyen hat vorhin, wie ich finde, sehr richtig Ihren früheren Außenminister Joschka Fischer zitiert, der genau diese Erwartungshaltung, um die es ging und die wir für richtig gehalten haben, präzise formuliert hat. Dass damals, als die beiden Hilfeleistungen zusammengelegt worden sind, mehrere Fehler unterlaufen sind, hat uns das Bundesverfassungsgericht in zwei Urteilen attestiert. Den einen Fehler haben wir behoben, indem wir die Jobcenterreform durchgeführt haben. Das war der erste Schritt. Die zweite Maßnahme, die wir auf den Weg bringen, betrifft die Bedarfssätze der Erwachsenen und der Kinder, von denen das Verfassungsgericht gesagt hat, sie seien nicht transparent. Das Verfassungsgericht hat nicht gesagt, die Bedarfssätze seien nicht hoch genug, sondern sie seien nicht nachvollziehbar. Es hat nicht gesagt, wir müssten mehr Geld obendrauflegen, weil von dem Betrag keiner leben könne. Das Verfassungsgericht hat vielmehr gesagt: Analysiert das Ganze und legt die Kriterien vernünftig dar! ({2}) Das Zweite, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, war: Legt eigene Bedarfssätze für die Kinder fest! Das Dritte: Beachtet, dass Kinder Bildungs- und Teilhabechancen haben! Genau das ist passiert. Über viele Monate hat das Bundesarbeitsministerium sehr sorgfältig die Daten erhoben. Es ist genau das nicht eingetreten, was Sie von den Linken und den Grünen behaupten, nämlich dass im Hinterzimmer Daten zusammengetragen worden seien. ({3}) Das stimmt nicht. Noch nie gab es bei der Darlegung der Bedarfssätze so viel Transparenz wie jetzt. ({4}) Ich halte es für falsch, zu sagen, die Bedarfssätze seien gedeckelt worden. Das ist nicht der Fall. Wenn 1 Euro mehr herausgekommen wäre, dann wäre es eben nur 1 Euro gewesen, wenn 50 Euro mehr herausgekommen wären, dann wären es diese 50 Euro gewesen. Das jetzige Ergebnis ist aufgrund der Bewertung des Ganzen herausgekommen. Jetzt komme ich zum Kern. Der Kern des Ganzen ist, dass wir erstens dafür sorgen, dass Menschen wieder in Beschäftigung kommen, und dass wir zweitens wollen, dass die Kinder Perspektiven haben. Frau Schwesig, genau das, was Sie gefordert haben, macht Frau von der Leyen. Sie macht das vielleicht anders, als Sie es wollen. Hätten Sie nur einen Teil davon in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt, dann ginge es dort in mancher Hinsicht deutlich besser. ({5}) - Wir stellen nicht den Sozialminister. Zu der Frage, wie das Ganze weitergeht, sage ich Ihnen: Wir werden die jetzige Reform durchführen müssen. Ich bitte sehr herzlich die SPD und die Grünen, die mit dafür gesorgt haben, dass Hartz IV, die Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf den Weg gekommen ist, jetzt auch mitzuhelfen, das, was das Bundesverfassungsgericht als falsch kritisiert hat, gemeinsam mit uns wieder in Ordnung zu bringen, so wie wir das mit der Jobcenterreform gemeinsam gemacht haben. Im nächsten Jahr geht es dann um die arbeitsmarktpolitischen Instrumente und darum, wie wir Menschen helfen können, wieder in Beschäftigung zu kommen. ({6}) Ich sage Ihnen, dass wir wesentlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben, wenn wir, wie es im Augenblick Gott sei Dank der Fall ist, keinen Aufwuchs von Arbeitslosigkeit haben. Wir werden hören, dass die Arbeitslosigkeit abnimmt. Heute konnten wir feststellen: Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand in Deutschland seit langem und das Niveau vor der Krise übertroffen. Ich glaube, dass wir allen Grund haben, die Kräfte zu bündeln, um den Menschen, die sich schwertun, wieder Perspektiven zu eröffnen. Ich glaube, dass wir Chancen haben, den Kindern Hilfe und Unterstützung angedeihen zu lassen. Tun Sie doch nicht so, als ob die Hilfe, die wir organisieren - Mittagsbetreuung, Mittagessen, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben -, nichts sei. Alles das hat es vor dem Entwurf unserer Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen nicht gegeben. Das ist etwas, was wir einführen. ({7}) Wir machen Ernst mit der Förderung und Unterstützung der Kinder. Darauf legen wir den Fokus. Verschweigen wir bitte nicht: Es geht nicht um 5 Euro. ({8}) Es geht um die Transparenz der Sätze. Wir werden Kindern über 30 Euro im Monat mehr zukommen lassen. Wir werden denen die Unterstützung geben, die sie dringend benötigen. Wir handeln, Sie reden nur. Wir laden Sie aber ein, mit uns gemeinsam an die Lösung der Probleme heranzugehen. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Elke Ferner. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gucke gern mit Ihnen zusammen in die Vergangenheit. ({0}) Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich glaube, wir sollten hier nicht immer wieder mit dem Finger auf andere zeigen; denn wenn man mit einem Finger auf jemand anderen zeigt, zeigen drei Finger auf einen selbst zurück. ({1}) Herr Kolb, die FDP und die Union, Sie alle waren im Vermittlungsausschuss dabei. Wie ich von meinen Kollegen, die damals im Vermittlungsausschuss waren, weiß, konnten Ihnen die Regelsätze gar nicht weit genug sinken. Sie wollten mit aller Gewalt durchsetzen, dass die Regelsätze heruntergehen und der Niedriglohnsektor ausgeweitet wird. Dass man, um einen Minijob auszuüben, bis zu 400 Euro verdienen darf, hat die Union gewollt. Vor allen Dingen ging es um die Einführung und Ausweitung von Kombilöhnen. Das ist es, was Sie als Regierungskoalition auch heute noch proklamieren. ({2}) Wir sollten uns vielleicht noch einmal vergegenwärtigen, was das Verfassungsgericht gesagt hat: Das Existenzminimum darf nicht unterschritten werden. Man darf an dieser Stelle nicht beliebig Änderungen vornehmen. Was haben wir allerdings in der letzten Woche erlebt? Das Verfassungsgericht hat im Übrigen auch Transparenz, Nachvollziehbarkeit und eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Regelsätze gefordert. In der letzten Woche haben wir von den Finanzpolitikern der Koalition gehört, die Neugestaltung der Regelsätze dürfe keine Mehrkosten nach sich ziehen. Herr Seehofer hat gesagt: Null Euro zusätzlich. Herr Westerwelle hat gesagt: Ein bisschen mehr Geld, aber um Gottes willen nicht so viel. Am Donnerstag haben wir gehört, die Kanzlerin habe sich mit den Ministerpräsidenten der CDU-geführten Länder auf deutlich unter 20 Euro geeinigt. Am Sonntag ist dann beschlossen worden, dass die Regelsätze um 5 Euro erhöht werden. Das war doch der Ablauf der letzten Woche. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann kommt man - je nachdem, welche Zahlen man addiert, nämlich die Einzelbeträge oder die Summen - mal auf 357 Euro und mal auf 368 Euro. Das ist weder transparent noch nachvollziehbar, Herr Kolb. ({3}) In diesen Fällen genügen Sie dem Verfassungsgerichtsurteil nicht. Ihr Gesetzentwurf enthält ein Zahlenwirrwarr. Das Ganze ist eine Blackbox und alles andere als eine transparente Ermittlung der Regelsätze. Außerdem wird durch Ihren Gesetzentwurf das Grundproblem überhaupt nicht gelöst. Das Grundproblem ist nämlich: Menschen sind arm, weil sie arbeitslos sind oder weil sie zu Hungerlöhnen arbeiten müssen und am Ende des Monats auch noch eine Transferleistung beziehen müssen. ({4}) Sie kürzen die Ausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Das heißt, Sie verkleinern die Chancen der Menschen, wieder in Arbeit zu kommen. ({5}) Darüber hinaus weigern Sie sich nach wie vor, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Im Gegenteil, Sie wollen mit der Erhöhung der Zuverdienstgrenzen den Kombilohn auch noch ausweiten. Das werden wir nicht mitmachen; das sage ich Ihnen. Ohne die Einführung des Mindestlohns ist dieser Weg der Wahnsinn. Die Spirale geht dann noch viel weiter nach unten, als sie es ohnehin schon ist. ({6}) Ich möchte ein Beispiel dafür geben, dass die vom Verfassungsgericht eingeforderte Realitätsgerechtigkeit nicht gegeben ist. Frau von der Leyen hat eben von Wertentscheidungen gesprochen, die getroffen worden sind, nachdem bestimmte Sachen herausgerechnet worden waren. Es geht hier nicht um viel Geld, sondern einfach um die Denkweise, die hinter Ihrem Gesetzentwurf steht. Eine Position lautet etwa: chemische Reinigung. Unterlegt ist diese Position mit etwas mehr als 1 Euro. In der Begründung steht, eine solche Reinigung komme nur für teure Bekleidung infrage; die brauche man eigentlich nur, wenn man arbeite; wenn man ein Vorstellungsgespräch habe, könne man sich die Reinigungskosten von der Arbeitsagentur oder von der Arge über irgendeinen zur Verfügung stehenden Haushaltstitel erstatten lassen. Ich frage mich, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Wintermantel gehabt, den ich in die Waschmaschine stecken konnte. ({7}) Ich weiß nicht, warum die Rentnerin, die von Grundsicherung lebt und sich sowieso nirgendwo bewerben kann, ihren Mantel nach Ihrer Auffassung nicht mehr in die Reinigung tragen darf. So könnte man noch viele Einzelbeispiele aufführen. Das zeigt, wes Geistes Kind Sie eigentlich sind. ({8}) Ich möchte zum Schluss noch einmal etwas zur Bildungsteilhabe sagen. Der Zuschuss zum Schulessen nutzt nur 20 Prozent der Kinder, die im SGB-II-Bezug sind. Die anderen 80 Prozent haben keinen Zugang zum Schulessen, weil es keine Angebote gibt. Auch für andere Dinge, die im Teilhabepaket enthalten sind, gibt es wahrscheinlich nicht genug Angebote. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Es sind nun acht Monate tatenlos ins Land gegangen, statt mit den Ländern und den Kommunen an vernünftigen Umsetzungskonzepten zu arbeiten. ({9}) Dafür brauche ich keine EVS und keine Neuregelung der Regelsätze; dafür muss ich nur meinen gesunden Menschenverstand einschalten, werter Herr Kollege. ({10}) Deshalb fordern wir einen Rechtsanspruch auf Teilhabe an Bildungs-, Sport-, Freizeit- und Kulturangeboten für alle Kinder. ({11}) - Dann hätten Sie früher auch einmal etwas machen sollen. Mir ist nicht bekannt, dass in der Großen Koalition von Ihrer Seite gesagt worden wäre: Die Regelsätze sind nicht transparent ermittelt. Wir müssen da etwas machen. ({12}) Nichts davon! Im Gegenteil, Sie wollten immer weiter herunter. ({13}) Sie haben sogar noch die Chuzpe gehabt, das Schulbedarfspaket im ersten Schritt nur für Kinder bis zur 10. Klasse zu gewähren. ({14}) Wir mussten dann durchdrücken, dass auch die Kinder, die ein Gymnasium besuchen, davon etwas bekommen. ({15}) - Das ist wirklich ungeheuerlich gewesen, Herr Kollege, und zwar von Ihrer Fraktion. Schönen Dank. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober für die FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Ihre Reaktion auf die Regelsatzbemessung der Bundesregierung war so vorhersehbar wie die Tatsache, ({0}) dass auch dieses Jahr Heiligabend auf den 24. Dezember fallen wird. Das Einzige, was mich ein bisschen verwundert hat, ist das Maß an Pathos, Frau Schwesig, mit dem Sie hier Ihre angebliche Betroffenheit zum Ausdruck gebracht haben. ({1}) Es war doch völlig klar und völlig vorhersehbar: Reflexartig rufen Sie nach mehr. Sie wissen, dass es zu wenig ist. Das wussten Sie schon am 9. Februar. Das wissen Sie auch heute, obwohl Sie, Frau Ferner, gestern Abend in einem Radiointerview zugegeben haben, dass Sie die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe noch gar nicht gesehen haben. ({2}) Aber Sie wissen, dass es mehr sein muss. Dabei durchschaut jede und jeder, die bzw. der uns heute hier zuhört, das Spiel, das hier gespielt wird. ({3}) Wären wir bei der Regelsatzbemessung auf 400 Euro gekommen, dann hätten Sie 420 Euro gefordert. Wären wir auf 420 Euro gekommen, wären Sie auf 440 Euro gekommen. Das durchschaut jeder. Dieses Hase-und-Igel6366 Spiel machen wir nicht mit. Uns geht es um seriöse Politik. ({4}) Deshalb hat diese Bundesregierung auf die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gewartet und mit ihnen klar und nachvollziehbar dargelegt, was Bestandteil der Regelleistung ist und was nicht. Im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, begründet die Bundesregierung sogar, warum sie zu dieser ihrer Beurteilung kommt. Das unterscheidet gute, vertrauensbildende Politik von Willkür und, wie wir seit dem 9. Februar auch wissen, von verfassungswidriger Politik. Vor allem haben wir eines gemacht, was Sie in der Vergangenheit geflissentlich ignoriert haben: Wir haben den Regelsatz von Kindern und Jugendlichen eigenständig berechnet. Somit ist der Bedarf von Kindern und Jugendlichen erstmals nachvollziehbar. ({5}) Nun höre ich von Ihnen in den vergangenen Tagen immer die Kritik, dass der Regelsatz für Kinder und Jugendliche nicht steigen würde. Damit erzählen Sie bewusst nur die halbe Wahrheit. Nein, ich würde sogar sagen, Sie erzählen sie ganz falsch. Zum einen haben die Berechnungen des Kinderregelsatzes ergeben, dass er sogar unter dem bisherigen Satz liegen müsste. Dies hat die Koalition jedoch absichtlich so nicht umgesetzt. Wir zeigen damit, welche Bedeutung Kinder und ihre Chancen für uns haben. ({6}) Erstmals berücksichtigen wir auch den Bedarf der Kinder und Jugendlichen für Bildung und stärken so ihre Entwicklungschancen und ihre Teilhabechancen. 620 Millionen Euro pro Jahr investieren wir in die Zukunft der Kinder. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Diese christlich-liberale Koalition ist die erste, die die Zukunft von Kindern im Arbeitslosengeld-II-Bezug in den Blick nimmt und Möglichkeiten der Bildung verwirklicht. ({7}) Durch das Sachleistungsprinzip an dieser Stelle sorgen wir auch dafür, dass die Leistungen direkt bei den Kindern ankommen und dass sich die Chancen auf Verwirklichung von Teilhabe deutlich erhöhen. Es ist gut, dass Kindern jetzt die Möglichkeit gegeben wird, am warmen Mittagessen in der Schule teilzunehmen. ({8}) Es ist gut, dass Kinder jetzt ohne großen bürokratischen Aufwand oder sogar rechtliche Streitigkeiten an Schulausflügen teilnehmen können. Es ist gut, dass sie je nach persönlichem Bedarf Zugangsmöglichkeiten zu Nachhilfe haben, sodass sie nicht aufgrund der Situation ihrer Eltern in ihren Lernfortschritten massiv benachteiligt werden. ({9}) Wobei auch hier klar sein muss, dass wir die Länder nicht aus der Pflicht für gute Bildung entlassen dürfen. Das ist und bleibt Aufgabe guter Landespolitik. Die Bundesregierung unterstützt sie aber dabei. Ich finde, das ist der richtige Weg, und wir tun das im Interesse der Kinder. Das sollte auch die Opposition akzeptieren und nicht reflexartig schlechtmachen. Darüber hinaus ist aber auch die Zivilgesellschaft gefordert. Wir als Politik sollten offensiv dafür werben, dass sich jeder - Unternehmen, Verbände, Vereine und auch jeder Einzelne - einbringen kann und soll. Die Zukunft aller Kinder in unserer Gesellschaft sollte es uns wert sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Oma hat immer gesagt, über Kleinigkeiten solle man sich nur ein ganz klein wenig aufregen. Aber über diese winzige Kleinigkeit von 5 Euro muss man sich richtig aufregen. ({0}) Liebe Frau von der Leyen, ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie an diesen Betrag von 5 Euro glauben, so dünnhäutig wie Sie sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eindeutige Indizien für die Verfassungswidrigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil erstmals klare Maßstäbe gesetzt. Wir wissen jetzt, was wir machen müssen. Vor dem Hintergrund der Vergangenheit aller Parteien, die hier vertreten sind, müssen wir sorgsam damit umgehen. Das wollen wir als SPD auch tun. ({1}) Fangen wir mit dem ersten Grundsatz an, den das Bundesverfassungsgericht angeführt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es einen Gestaltungsspielraum gibt. Das ist gut. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch ganz klar und deutlich gesagt, der Regelsatz dürfe nicht evident zu niedrig sein. InsbesonAnette Kramme dere das physische, aber auch das soziokulturelle Existenzminimum müsse gewährleistet werden. Was beobachten wir aber? Erstens verkleinern Sie die Bezugsgruppe. Als Bezugsgruppe nehmen Sie die untersten 15 Prozent der Haushalte - dies bei einer rasanten Entwicklung im Niedriglohnsektor. Ist denn überhaupt noch sichergestellt, dass dieses Existenzminimum ausreichend ist? Zweitens haben Sie die Aufstocker in der Statistik. Ich kann keine Sozialleistung berechnen, indem ich auf Menschen verweise, die Sozialleistungen beziehen. Auch das ist ein Zirkelschluss, der unzulässig ist. ({2}) Lieber Herr Kolb, es gibt einen dritten Punkt, der klarmacht, wie leichtfertig Sie mit diesem Urteil umgehen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, bei der letzten Berechnung sei es noch angemessen gewesen, die verdeckt Armen in der Statistik zu belassen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch klar aufgegeben, dass die Statistik an diesem Punkt verfeinert werden muss. Jetzt befinden sich Menschen in der Statistik, die weniger haben als Sozialleistungsempfänger. Wenn man alle diese Aspekte zusammennimmt, dann kann man nur sagen: Es gibt intensive Bedenken betreffend die Verfassungswidrigkeit. ({3}) Auch Transparenz erreichen Sie nicht. Sie erläutern nicht, warum bei Einpersonenhaushalten nur 15 Prozent als Bezugsgruppe gelten und in den anderen Bereichen 20 Prozent. Sie geben keinerlei Erläuterungen hierzu. Die nächste Frage ist: Warum haben wir heute im Ausschuss keine Alternativberechnung erhalten? Warum sind Sie nicht bereit, zu zeigen, zu demonstrieren, was es bedeuten würde, wenn wir 20 Prozent als Bezugsgruppe nähmen? Ich kann dazu nur sagen: Ein Schelm, wer Böses vermutet. ({4}) - Genau, Sie sehen es. Frau von der Leyen, im Sommer ist mir richtig warm ums Herz geworden, ({5}) als Sie vom Reit- und vom Musikunterricht geredet haben. Letztlich hat sich aber alles ergeben. Sie besitzen keinerlei Durchsetzungskraft. Sie haben keine Durchsetzungskraft gezeigt gegenüber Frau Merkel, gegenüber Herrn Seehofer und gegenüber Herrn Westerwelle. Was ist denn in dem Paket der sozialen Teilhabe enthalten? ({6}) Es bleibt das Schulstarterpaket, das Sie im Übrigen noch nicht einmal neu berechnet haben, obwohl das Bundesverfassungsgericht das vorgegeben hat. Das Schulstarterpaket hatten wir schon. Was steht sonst noch an Leistungen für alle Kinder zur Verfügung? Da ist das Paket der sozialen Teilhabe als solches - 10 Euro im Monat. Ich frage mich: Wie viel Reitunterricht, wie viel Musikunterricht kann davon tatsächlich bezahlt werden? Der Nachhilfeunterricht ist streitbefangen, weil die Voraussetzungen nicht klar geregelt sind. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass es nicht Sache dieses Hauses ist, Geld für die flächendeckende Finanzierung privater Nachhilfeinstitute zur Verfügung zu stellen. Wir wollen, dass Leistungen für alle zur Verfügung stehen. ({7}) Das funktioniert nur bei einem Ausbau der Infrastruktur, wie wir es in der Vergangenheit mit dem Ganztagsschulpaket gemacht haben. An dieser Stelle müssen wir weiterarbeiten. Warum haben Sie nicht in den letzten Monaten das Gespräch mit den Bundesländern gesucht? ({8}) Warum haben Sie nicht versucht, mit ihnen Finanzierungsabkommen zu treffen? Zu Ihrem berühmten Einsatz für Kinder kann ich nur sagen: Damit ist es offensichtlich nicht weit her. ({9}) Lassen Sie mich zum Schluss etwas zum Lohnabstandsgebot sagen. Das Lohnabstandsgebot hält jeder in diesem Hause für richtig. Jeder sagt: Wer arbeitet, muss mehr verdienen als jemand, der nicht arbeitet. Aber wenn wir einen Mindestlohn haben, brauchen wir Regelsätze nicht künstlich niedrig zu hängen. ({10}) Frau von der Leyen, Sie sparen bei den Armen und entlasten Hoteliers, Erben und die Atomwirtschaft. ({11}) In diesem Sinne herzlichen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Fischbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwesig, ich weiß nicht, was Sie meinten; ich habe Sie gar nicht verstanden. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Sie Ihren eigenen Kollegen, die dieses Gesetz 2003 auf den Weg gebracht haben, vorhalten wollten, sie hätten nicht verhandelt, sondern das Gesetz hinter verschlossenen Türen ausgekungelt. Meinten Sie das wirklich so? Denn das würde bedeuten, dass das, was das Bundesverfassungsgericht bemängelt hat - nämlich ins Blaue hinein zu schätzen, wie viel Prozent des Ansatzes für die Erwachsenen für Kinder genommen wird, um auf 50 Cent an die Summe heranzukommen, die schon vorher eingestellt worden ist -, so geschehen ist. Aber das haben Sie sicher nicht gemeint. Wir gehen nicht so vor, und das ist wirklich neu. Sie sollten sich ein Beispiel daran nehmen, auch mit Blick auf die Dinge, die zukünftig auf den Weg gebracht werden sollen. Wir wollen Transparenz. Sie haben recht: Es geht nicht um Tabak und Alkohol. Diese Entscheidung haben wir politisch getroffen. Es geht darum, die Menschen in Arbeit zu bringen. Deswegen haben wir die Internetkosten und die Praxisgebühr mit aufgenommen. ({0}) Das gab es bei Ihnen nicht; das ist neu, und das muss man wissen. Wir brauchen Menschen auch nicht gegeneinander auszuspielen. Deswegen bitte ich Sie, endlich mit den Worten von der guten Arbeit aufzuhören. Ich weiß nicht, was Sie sich unter guter Arbeit vorstellen. ({1}) Was ist denn schlechte Arbeit? ({2}) Diese Diskussion sollten Sie einmal mit denjenigen führen, bei denen Sie schlechte Arbeit vermuten. Wenn Sie gut bezahlte Arbeit meinen, dann müssen Sie es sagen. Aber eine Diskussion über gute Arbeit und schlechte Arbeit sollten wir nicht zulassen. Frau Golze hat, genau wie Frau Kramme, gesagt, wir hätten bei den untersten Einkommen etwas weggelassen und wollten die Beträge nur niedrigrechnen. Wir haben genau das getan, was 2003 die rot-grüne Regierung getan hat: Wir haben das unterste Einkommensfünftel genommen. Aber wir haben 8,6 Prozent der untersten Einkommen herausgerechnet, was Sie nicht getan haben. Das heißt, wir gehen bei Einpersonenhaushalten von einem Grenzwert von 901 Euro netto aus. Bei den Eckregelsätzen für Kinder gehen wir bei einem Paarhaushalt mit Kindern - das ist unterschiedlich gestaffelt, je nachdem, wie alt die Kinder sind - von einem Grenzwert von im Schnitt 2 327 Euro netto aus. Da sagen Sie mir, das seien die untersten Einkommen? Welche Familie, in der jemand tagtäglich acht Stunden arbeitet, kommt auf 2 400 Euro netto? ({3}) Zeigen Sie mir einmal solche Familien, um mir zu beweisen, dass das das unterste Einkommensviertel in unserem Lande ist. Das wage ich zu bezweifeln. Auch Frau Künast hat nicht richtig zugehört; denn keiner hat behauptet, dass wir mit der Chipkarte eine umfassende Bildung erreichen wollen. Wir gehen den Weg, den Sie nicht eingeschlagen haben. ({4}) Ich habe es schon in der Haushaltsdebatte gesagt: Auch Sie haben bei den Kinderregelsätzen den zu geringen Anteil für Bildung und kulturelle Teilhabe nicht gesehen. Seien Sie doch froh, dass wir das Problem erkannt haben und den ersten Schritt gehen. ({5}) - Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen: Das kennen wir von den drei Affen. Die sind heute aber nicht hier. ({6}) Wir gehen den ersten Schritt, indem wir sagen: Wir wollen die Förderung ausbauen. Seien Sie so fair und erkennen Sie an, dass wir diesen ersten Schritt, der zugebenermaßen noch nicht ausreichend ist, gehen. Das würde der Sache guttun. Frau Ferner, ich möchte eine letzte Bemerkung zu Ihrer Rede machen. Wenn ich vor dem Fernseher gesessen und diese Debatte verfolgt hätte, hätte ich mich durch das von Ihnen angeführte Beispiel von der chemischen Reinigung verhöhnt gefühlt. Alle Kleidung, die man trägt, kann in der Waschmaschine gewaschen werden. Sie hängen sie tropfnass auf, bügeln von innen das Futter und dann ist sie wieder sauber. ({7}) Darum geht es aber überhaupt nicht. Sie sollten konkret sagen - das haben Sie aber nicht getan -, was Sie zusätzlich haben wollen. Sie sagen nur pauschal: Wir brauchen mehr. - Sagen Sie doch genau, an welchen Stellen Sie mehr haben wollen. Wollen Sie den Satz für die chemische Reinigung erhöhen? Dann stellen Sie einen entsprechenden Antrag. ({8}) Aber ich sage Ihnen: Damit ist den Menschen nicht geholfen. Wir haben zum allerersten Mal in transparenter Weise öffentlich gesagt, welche Warenkörbe wir berücksichtigen. Wir haben die politische Entscheidung getroffen, was herausgenommen und was mit hineingenommen werden soll. ({9}) - Das ist doch unsere Aufgabe. ({10}) Das ist das Einzige, worüber wir politisch entscheiden können. An allen anderen Punkten, Frau Ferner - das hat uns und Ihnen doch das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben -, können wir mit Blick auf die Existenzsicherung nichts ändern. Diese Vorgaben können von niemandem verändert werden. Die einzigen Positionen, bei denen wir politisch Akzente setzen können, beziehen sich auf Positionen, die nicht zur Existenzsicherung gehören. Wir haben zu Recht gesagt, dass Alkohol und Zigaretten aus dem Warenkorb herausgenommen werden müssen. Das Geld wollen wir für die Kinder einsetzen. Das soll ein Schwerpunkt sein. Auch wenn es wenig ist: Es ist richtig, diesen Schwerpunkt zu setzen. Diesen Weg werden wir gemeinsam weitergehen. ({11}) Ihnen kann ich nur ganz deutlich sagen: Sie helfen niemandem, wenn Sie einfach nur fordern: mehr, mehr, mehr. - Qualifizierte Angebote, genau auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten, zu machen und die Kinder zu fördern, ist christlich-soziale Politik. ({12}) Das kennzeichnet unsere Regelsätze. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine aufgeregte Debatte über ein Thema, bei dem die Bundesregierung angesichts des Fehlverhaltens von Rot-Grün nachbessern muss. Wir reparieren nämlich ein Gesetz, das Rot-Grün so ausgestaltet hat, sodass das Bundesverfassungsgericht urteilen musste, dass die nötige Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht gegeben ist. ({0}) Diesem Auftrag kommen wir mit dem von der Bundesministerin vorgelegten Gesetz nach. Es zeigt sehr deutlich, dass wir Transparenz und Nachvollziehbarkeit in den Mittelpunkt dieses Gesetzgebungsverfahrens stellen. ({1}) Es ist natürlich entscheidend, die Grundsicherung der Menschen und vor allen Dingen ihre Teilhabe zu gewährleisten. Dies ist in dem Gesetzentwurf enthalten. Es bringt nichts - da gebe ich meiner Vorrednerin Frau Fischbach ausdrücklich recht -, immer nur nach höheren Sätzen zu rufen, sondern es geht darum, die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben zu legen. Das werden wir leisten. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass die Menschen wieder die Chance bekommen, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, um so ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. ({2}) Dass das unser Ziel ist, haben wir in der Vergangenheit mit entsprechenden Reformen bewiesen. Diese Reformen zeitigen jetzt Erfolge. Ich weiß gar nicht, warum sich die SPD davon verabschieden will. ({3}) Wir haben mehr Beschäftigung in unserem Land, und vor allen Dingen über den Niedriglohnsektor, der hier immer etwas falsch dargestellt wird, haben wir erreicht, dass viele Menschen in ordentliche Beschäftigung gekommen sind. Wenn wir jetzt - Kollege Karl Schiewerling hat darauf hingewiesen - in unserem Land Höchstbeschäftigung wie von vor der Krise wieder erreicht haben, dann zeigt dies sehr deutlich, dass die Reformen der vergangenen Zeit durchaus greifen und wir auf einem guten Weg sind. ({4}) Auf diesem Weg werden wir voranschreiten. Aber man muss auch darstellen, dass Hartz-IV-Bezug nicht mit Armut gleichzusetzen ist, wie es Frau Landesministerin Schwesig in ihrer Rede heute wieder behauptet hat, sondern die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben mit Teilhabe ist. Dies wurde so auch in der Begründung des rot-grünen Gesetzentwurfs im Jahre 2003 formuliert. Davon soll man sich hier nicht verabschieden. Vielmehr ist es eine großartige Leistung unseres Sozialstaates, dass wir diese Mittel erbringen und dass viele Menschen auch mit geringstem Einkommen durch ihre Beitragsleistung die Grundlage dafür legen, dass letztendlich diesen sozialen Anforderungen nachgekommen werden kann. ({5}) Deshalb, werte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es schon entscheidend, auch darauf hinzuweisen, dass es nicht nur um den finanziellen Teil, also die 359 Euro oder die 364 Euro ab 1. Januar 2011, sondern um eine Betrachtung der Gesamtleistung geht, die die Empfänger bekommen. Die Leistungen des Staates erschöpfen sich eben nicht in der Regelleistung sowie im Kostenersatz für Wohnung und Heizung. Enthalten ist zum Beispiel auch der Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 164 Euro. Auch dies leisten die Steuerzahler für die Absicherung der ALG-II-Bezieher. ({6}) Auch ist es mit entscheidend, darzustellen, dass Kommunen und Länder den ALG-II-Beziehern Vergünstigungen im öffentlichen Personennahverkehr zusätzlich zur Grundleistung geben. Außerdem sind sie auch von den Fernseh- und Radiogebühren befreit, was zeigt, dass sie zumindest unter Unterhaltungsgesichtspunkten am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Wir müssen dies also in der Gesamtheit betrachten. Angesichts dessen frage ich mich schon, ob die SPD wirklich will, dass ein Alleinstehender, der Vollzeit arbeitet und einen Stundenlohn von 7,50 Euro erhält - das war ja einmal das Modell der SPD; jetzt werden Sie wohl etwas aufstocken -, mit 1 250 Euro brutto nach Hause geht. Er hat dann Abzüge von 250 Euro für Sozialbeiträge und von 50 Euro für Steuern und bekommt letztendlich 950 Euro ausbezahlt, während derjenige, der auf ALG-II-Leistung ist, immerhin auch 800 bis 850 Euro erhält. ({7}) Ich glaube, dass es durchaus entscheidend ist, dass wir ein entsprechendes Lohnabstandsgebot wahren. ({8}) Derjenige in unserer Gesellschaft muss mehr haben, der arbeitet. Das ist entscheidend, damit unser Sozialstaat auch weiterhin funktionieren kann. In diesem Sinne danke ich herzlich für die Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm das Wort. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD hat schon im März einen umfangreichen Antrag zur Bemessung der Regelsätze und zur Bekämpfung von Armut vorgelegt. Warum, so frage ich Sie, Frau Ministerin, haben Sie unsere Anregungen nicht aufgegriffen? Warum haben Sie so viel wertvolle Zeit mit Luftnummern wie dem Bildungschip und dem Basisgeld verstreichen lassen? Auch Sie wissen spätestens seit Februar, dass uns das Urteil vor große Herausforderungen stellt. Sie, die Bundesregierung, und wir, der Gesetzgeber, sind jetzt in der Verantwortung, gerechte Teilhabechancen für Kinder von langzeitarbeitslosen Eltern sicherzustellen. Bisher haben Bund, Länder und Kommunen die Finanzverantwortung für Kinder gern von einer Ebene auf die andere geschoben. Was ist dabei herausgekommen? Ein Flickenteppich in der Bildungs- und Betreuungslandschaft, der vielen Kindern nicht die Chancen sichert, die sie brauchen. Das Bundesverfassungsgericht sagt jetzt klipp und klar: Damit muss Schluss sein. Frau Ministerin, Ihre Aufgabe ist es, gemeinsam mit uns, den Ländern und den Kommunen Lösungen zu entwickeln, mit denen der Rechtsanspruch der Kinder auf Bildung und soziokulturelle Teilhabe eingelöst werden kann. Wo aber bleiben Ihre Vorschläge? Der Gesetzentwurf ist schlampig gemacht; an vielen Stellen ist fraglich, ob die Regelungen überhaupt grundgesetzkonform sind. Herr Kollege Straubinger und Herr Kollege Kolb, ({0}) der Gesetzentwurf wird auch nicht dadurch besser, dass die Koalitionsfraktionen auf Versäumnisse in der Vergangenheit verweisen und mit dem Finger auf uns zeigen. Heute haben Sie die Regierungsverantwortung; ({1}) heute gibt es die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Auch ich frage Sie: Wie wollen Sie allen Ernstes mit einem Minibetrag von 120 Euro pro Kind und Jahr gerechte Teilhabe an Bildung, Sport und Kultur sicherstellen? Privatunterricht ist teuer. Sie sagen: Dann müssen Ehrenamtliche herangezogen werden. - Frau Ministerin, ich finde diesen Vorschlag beschämend; ({2}) Ehrenamt darf in einem so wichtigen Bereich Pflichtaufgaben nicht ersetzen. Sie bleiben auch Antworten schuldig, wie Mittagsverpflegung, Förderunterricht oder Musikstunden abgerechnet werden sollen. Was Sie uns vorlegen, ist ein bürokratisches Monstergesetz. ({3}) Lesen Sie unseren Antrag! Es liegt auf der Hand: Wir müssen Krippen, Kitas und Schulen zu echten Förderund Betreuungseinrichtungen ausbauen; dorthin gehört das. ({4}) Alle Kinder sollen die Einrichtungen nutzen können. Diskriminierende Sonderstrukturen für Hartz-IV-Kinder lehnen wir ab. ({5}) Privatisierung von Bildung ist der falsche Weg. Wir brauchen in Deutschland ein nationales Programm zum Ausbau von Betreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen. Bringen Sie das auf den Weg, Frau Ministerin! Dafür haben Sie unsere Unterstützung. Zu den Regelsätzen. Als ich den Gesetzentwurf gelesen habe, ist mir die Brille von der Nase gesprungen. Bisher wurden die unteren 20 Prozent der einkommensschwachen Haushalte aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe als Referenzgruppe bei der Berechnung der Regelsätze zugrunde gelegt. Schon das empfand ich als ein gewagtes Unternehmen, gerade auch in Bezug auf die Ermittlung der Bildungsbedarfe. Sie haben das jetzt aber noch getoppt, indem Sie nur die unteren 15 Prozent als Referenzgruppe heranziehen. Frau Ministerin, Sie bleiben mit der Größe der Referenzgruppe selbst hinter Ihrem großmauligen Koalitionspartner zurück, der sich in einem vergangenen Wahlkampf zumindest eine 18 unter seine Schuhsohlen geklebt hat. ({6}) Sie legen Ihrer Berechnung der Regelsätze das Verbrauchsverhalten der Menschen mit sehr kleinen Einkommen zugrunde. Sie scheuen sich nicht einmal, Aufstocker und Sozialleistungsbezieher in die Referenzgruppe aufzunehmen. Kein Wunder, dass die Regelsätze so niedrig ausfallen! ({7}) Sie haben uns übrigens heute Morgen im Ausschuss die Basiszahlen zur Regelsatzbemessung verweigert. Herr Kolb, so viel zum Thema Transparenz. ({8}) Frau Ministerin, was Sie uns hier vorlegen, entspricht nicht den Anforderungen der Verfassungsrichter. ({9}) Zu den Aufstockern: Wenn Sie einen Blick in unseren Antrag vom März geworfen hätten, wären Sie auf Vorschläge gestoßen, wie man die Themen Aufstocker und Armut wirkungsvoll vom Tisch bringen kann. Es ist bedauerlich, dass Sie diese Chance vertan haben und uns einen so schlechten Gesetzentwurf vorlegen. Aber es ist bekanntlich nie zu spät, zu neuen Einsichten zu kommen. Springen Sie also endlich über Ihren Schatten - er ist nicht sehr groß ({10}) und führen Sie in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn ein, von dem die Menschen leben können! ({11}) Dann müssen Sie nicht mehr Geringverdiener gegen Menschen in der Grundsicherung ausspielen. Leider argumentieren Sie in die entgegengesetzte Richtung. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muten Sie prekäre Löhne zu, und weil diese so wenig haben, streichen Sie auch bei den Arbeitslosen. Das ist unwürdig und beschämend. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Carsten Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der letzte Redner in dieser Debatte. Frau Schwesig, man hat den Eindruck, dass Sie diese Debatte machtpolitisch ein bisschen ausnutzen und sie letztlich auf dem Rücken derjenigen austragen, die eigentlich Hilfe brauchen. ({0}) Erstens erzeugen Sie in diesem Land seit Wochen und Monaten eine Stimmung, die bei den Menschen die Erwartung weckt, dass die Regelsätze auf jeden Fall signifikant steigen. ({1}) Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Zweitens. In der gesamten Debatte sprechen Sie über den Regelsatz in Höhe von 364 Euro und tun so, als sei dieses Geld das Geld zum Leben. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Gehen Sie einmal in eine Arge und fragen Sie dort einen Familienvater oder einen Single, wie hoch die Mietsätze sind. Man kommt auf 364 Euro plus Miete plus Heizkosten. Dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass in fast jeder Stadt in Deutschland eine Familie mit zwei Kindern mindestens 1 600 Euro netto bekommt. ({2}) Wenn Sie die Arge dann verlassen, sind Sie in der Lebenswirklichkeit dieses Landes angekommen. ({3}) Ich sage es noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Höhe der Regelsätze infrage gestellt. Es ging um das Verfahren. Es ist inzwischen transparent geregelt worden. Auf der entsprechenden Homepage können das alle Menschen, auch alle Besucher, die heute hier sind, nachvollziehen. ({4}) - Frau Künast, als Maßstab haben wir eine Familie mit einfachem Einkommen genommen. Wir sind nämlich der Auffassung, dass soziale Gerechtigkeit auch die soziale Balance betrifft: die Balance zwischen denjenigen, die in das System einzahlen, und denjenigen, die alimentiert werden. Genau das ist für uns soziale Gerechtigkeit, nichts anderes. ({5}) - Sie tun so, als gäbe es in diesem Land keine soziale Gerechtigkeit mehr. Es gibt leider immer noch Familien, die seit mehreren Generationen von der Sozialhilfe leben. ({6}) Wir nehmen jetzt den Ball vom Bundesverfassungsgericht auf. Die entscheidende Frage lautet doch: Was können wir für die Kinder, die SGB-II-Leistungen erhalten, tun? Wenn Sie sich die Ergebnisse der Shell-Studie anschauen, stellen Sie fest, dass die Kinder, die von SGB-II-Leistungen leben, sagen: Im Vergleich zu den anderen Kindern habe ich keine gute Zukunft zu erwarten. - Warum werden denn so wenige Kinder aus HartzIV-Familien Ingenieure, Professoren oder Arbeitnehmer? ({7}) Wir müssen diese Kinder aus dieser Situation herausholen. Deswegen leiten wir jetzt einen Paradigmenwechsel ein - das hätten übrigens auch Sie tun können -, indem wir uns den Sachmitteln zuwenden. Wir werden den Kindern zielgenau helfen, um sie in die Lage zu versetzen, später in ihrem Leben selbstständig klarzukommen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. ({8}) Zu den Eltern. Ich habe in den letzten Monaten von Ihnen nicht einen Vorschlag gehört, wie wir die Eltern in Beschäftigung bringen. Nicht einen Vorschlag! 6,8 Millionen Menschen leben von SGB-II-Leistungen. 1,8 Millionen davon sind Kinder. Es bleiben also 5 Millionen Menschen übrig, die arbeiten könnten. ({9}) Die, die nicht arbeiten können, beziehen Leistungen nach SGB XII. Aber um diese 5 Millionen Menschen müssen wir uns kümmern. Das machen wir, indem wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente nutzen. Ich sage Ihnen: Hören Sie mit der Aufstockerdiskussion auf! ({10}) Sie wird nämlich völlig falsch geführt, auch in jeder Talksendung. Die meisten Menschen sind Aufstocker, nicht weil sie zu wenig verdienen, sondern weil sie zu wenig arbeiten bzw. keine Vollzeitbeschäftigung haben. Das ist das Problem. ({11}) Allein 140 000 Hartz-IV-Empfänger verdienen genau 100 Euro hinzu, weil sie diesen Betrag behalten dürfen. Man kann diesen Menschen auch nicht böse sein, weil sie sich völlig rational und ökonomisch verhalten. Sie stellen sich nämlich die Frage: Was kann ich tun, um besser zurechtzukommen? - Wir wollen Anreize schaffen, um diese Menschen in Arbeit zu bringen, nichts anderes. ({12}) - Nein. - Noch einmal: Die Frage ist, wie wir Anreize schaffen können, um die Menschen in Beschäftigung zu bringen. Darüber denken Sie aber überhaupt nicht nach. Sie wollen die Menschen in der Sozialhilfe belassen. Hartz IV darf kein Lebensmodell sein, sondern höchstens eine Episode. Vielen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun ist die Aktuelle Stunde beendet. Damit sind wir auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 30. September, 9 Uhr, ein. Ich wünsche noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.