Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/15/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der FDP Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanz- beziehungen - Drucksache 16/3885 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo Ramelow, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und Information des Deutschen Bundestages - Drucksache 16/3539 - c) Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund/LänderFinanzbeziehungen - Drucksache 16/3886 Zum Antrag auf Einsetzung der Kommission liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Beteiligung der Landtage werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Peter Struck, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, das Wort. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung zu meinem beruflichen Lebensweg: Nachdem ich 1971 in Hamburg das zweite juristische Staatsexamen gemacht habe, war ich zunächst ein Jahr an der dortigen Universität beschäftigt. Danach war ich in der Finanzbehörde in der Abteilung „Überregionale Finanzplanung“ tätig. Ich kehre heute also zu meinen Wurzeln zurück und stelle fest: Abgesehen davon, dass ein Fraktionsvorsitzender kraft seines Amtes über alles Bescheid wissen und gute Arbeit machen muss, kommt bei mir noch die zusätzliche Erfahrung aus meiner beruflichen Vergangenheit hinzu. ({0}) Wir haben uns eine Herkulesaufgabe vorgenommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir sie tatsächlich bewältigen werden. Das, was wir heute zu beschließen haben und was auch vom Bundesrat beschlossen wird, ist wirklich ein Mammutwerk. Die Neuordnung der Bund/ Länder-Finanzbeziehungen beschäftigt uns, seitdem es die Bundesrepublik Deutschland gibt. Die Koalitionsfraktionen lösen damit ihr Versprechen ein, sich dieses Themas anzunehmen. An die Kollegen von der FDP gerichtet sage ich: Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie unseren Antrag auf Einsetzung der gemeinsamen Kommission mittragen. Ich hätte es begrüßt, Herr Kollege Kuhn, wenn auch die Grünen unseren Antrag unterstützt hätten; das gilt natürlich auch für die Linke. Denn ich bin der Meinung, dass es bei der Frage der Bund/Länder-Finanzbeziehungen nicht um Parteipolitik gehen sollte. ({1}) Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Herr Kollege Oettinger, wird der Kommission für die Seite der Länder vorsitzen, ich werde den Vorsitz für die Redetext Seite des Bundestages übernehmen. Für mich steht dabei eines fest: Wenn wir bei der Bewältigung dieser sehr schwierigen Aufgabe Erfolg haben wollen, dann müssen wir bis spätestens 2009 Ergebnisse erzielen. Ich bin überzeugt, dass der zeitliche Druck, den wir uns selbst machen sollten, dazu beitragen kann, dass wir zu Ergebnissen kommen. Wir sollten dieses Vorhaben nicht auf die nächste Legislaturperiode verschieben, sondern deutlich machen, dass wir es noch in dieser Wahlperiode umsetzen wollen. ({2}) Ich will heute nicht über Gebühr optimistisch sein, aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Bund und Länder besetzen diese Kommission mit hochrangigen Experten. Einige Ministerpräsidenten möchten sogar selbst Mitglieder der Kommission werden, andere schicken ihre Finanzminister. Das Interesse an der Arbeit ist groß. Nicht zuletzt deswegen haben wir entgegen den ursprünglichen Absprachen nicht nur den Bundesrat, sondern auch die Länderparlamente einbezogen. Wer aus den Länderparlamenten Mitglied dieser Kommission wird, überlassen wir den Landtagen; wir werden uns nicht einmischen, nach welchen Kriterien die Besetzung der vier Plätze erfolgen soll. Ich will hier aber deutlich sagen: Natürlich muss die Präsenz der Kommunen in dieser Kommission gesichert sein; denn es geht auch um ihre Finanzsituation. Die Kommunen können sich darauf verlassen, dass wir ihre Interessen ordentlich berücksichtigen werden. ({3}) Es müssen in Jahrzehnten gewachsene Strukturen der Finanzbeziehungen aufgebrochen werden. Für die Strukturunterschiede zwischen den Ländern müssen wir einen effizienteren Ausgleich finden, ohne den Länderfinanzausgleich von vornherein infrage zu stellen. Wir brauchen griffige Instrumentarien zur Bewältigung von Haushaltskrisen. Wir brauchen Instrumente, um die Verfassungsmäßigkeit der Haushalte zu gewährleisten. Es kann doch nicht sein, dass sich der jetzige Zustand verfestigt, dass etwa elf von 16 Länderhaushalten verfassungswidrig sind. Das muss beseitigt werden und wir müssen Regelungen finden, die eine solche Situation verhindern. ({4}) Wir brauchen auch klare Festlegungen, was ein Land selbst leisten muss, bevor es sich auf eine Haushaltsnotlage beruft und den Bund um Hilfe bittet. ({5}) Im Zusammenhang mit seinem Urteil über die Klage des Landes Berlin auf weitere finanzielle Hilfe des Bundes hat das Bundesverfassungsgericht hier ausdrücklich Regelungsbedarf angemahnt. Wir wollen versuchen, dieser Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Wir brauchen so etwas wie einen Stabilitätspakt der Körperschaften - mit festgelegten Verschuldungsgrenzen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen. Wir brauchen zur finanziellen Entlastung eine ebenenübergreifende Bündelung von Verwaltungsaufgaben. Wir brauchen schließlich eine verstärkte Zusammenarbeit der Länder, bis hin zu der Möglichkeit, dass sich Länder freiwillig zusammenschließen. Sie wissen, dass ich darüber schon in den Debatten im Zusammenhang mit der Föderalismusreform I gesprochen habe. Föderalismusreform II heißt Neuordnung der Finanzbeziehungen; die gehen wir jetzt an. Föderalismusreform III heißt Neugliederung der Bundesländer. Daran müssen wir weiter arbeiten. ({6}) Das ist alles sehr schwierig und das ist Zukunftsmusik, das weiß ich. Doch wir müssen mit der Arbeit jetzt beginnen. Wir wollen alle Möglichkeiten, die es dazu gibt, nutzen. Wir müssen uns frei machen - ich denke, wir hier im Bundestag können das und der Bundesrat auch - von den parteipolitischen Zwängen, denen wir alle in anderen Fragen unterliegen. Es geht hier nicht um CDU oder SPD, um FDP, Grüne oder PDS, sondern es geht darum, dass die Länder und der Bund Finanzbeziehungen organisieren, die unser Land zukunftsfähiger machen als bisher. Fest steht auch, dass die neuen Länder bis zum Auslaufen des Solidarpakts II auf die Zusagen vertrauen können müssen. Wir sollten den Solidarpakt II nicht infrage stellen. ({7}) Die Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben, ist also schwierig. Wenn ich die offene Themensammlung anschaue, muss ich feststellen: Das reicht eigentlich für zwei Legislaturperioden. Wenn mich der Bundestag wie vereinbart zum Vorsitzenden dieser Kommission erhebt und entsendet, will ich meine Pflicht tun und dazu beitragen, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, auch im Blick darauf, dass wir alle die Pflicht haben, unser Land zukunftsfähiger zu machen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Burgbacher von der FDP-Fraktion. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist für uns ein guter Tag. Herr Kollege Struck, ich bedanke mich im Namen der FDP ausdrücklich, dass hier Versprechen gehalten wurden. Es war immer unser Wunsch und unsere Forderung, die Reform der Finanzverfassung anzugehen. Deshalb ist es schön, dass wir heute den Startschuss abgeben. ({0}) Wir müssen - auch dem stimme ich zu, Herr Kollege Struck; das sage ich ausdrücklich - bis 2009 tatsächlich etwas vorlegen. Wir haben nicht zwölf Jahre Zeit, wie das auch schon angedeutet wurde, um eine solche Reform vorzunehmen. Das muss in dieser Legislaturperiode geschehen. Unsere Unterstützung werden Sie dafür haben. ({1}) Bei aller Freude über die Fortsetzung der Reform bin ich mir aber auch dessen bewusst, dass wir erst am Anfang eines langen und beschwerlichen Weges stehen. Aber nach Laotse beginnt ja auch der längste Weg mit einem ersten Schritt. Den tun wir heute. Ich nenne für die Reform folgende Eckpunkte: Die Föderalismusreform II muss dazu beitragen, dass unser Land in der Welt wettbewerbsfähiger wird. Durch sie müssen wir erreichen, dass vor allem den kommenden Generationen wieder Gestaltungschancen eröffnet werden. Deshalb ist es zuallererst unabdingbar, dass Schranken gegen Steuerlast und Staatsverschuldung in das Grundgesetz aufgenommen werden. Ein Nettoneuverschuldungsverbot ist unser eigentliches Ziel. Hierzu werden wir Vorschläge vorlegen. ({2}) Sich am Grundsatz der Subsidiarität und der bundesstaatlichen Solidarität orientierend - den Begriff der bundesstaatlichen Solidarität betone ich besonders -, müssen die Steuerautonomie der Länder gestärkt und ihre Gestaltungsmöglichkeiten erweitert werden. Leistung muss sich auch im föderalen System wieder lohnen. Deshalb muss der Finanzausgleich reformiert werden. Er kann nicht so bleiben, wie er heute ist. Auch das ist, wie ich glaube, unstrittig. Wir brauchen insgesamt einen Neustart des Föderalismus in Deutschland. Am Anfang muss für Chancengerechtigkeit gesorgt werden. Aber dann müssen die Länder auch eigenständig lebensfähig sein. Das müssen wir anstreben. Mit dem derzeitigen System wird das Land die anstehenden Aufgaben nicht mehr lösen können. Voraussetzung ist Wettbewerb im deutschen Föderalismus; auch das sollten wir - ich schaue dabei zum Kollegen Scholz - deutlich sagen. Dazu sollten wir uns bekennen, Herr Kollege Scholz. ({3}) Wenn die Kommission bei der komplizierten Ausgangslage und den unterschiedlichen Interessen zu einem Erfolg kommen will, dann muss es ihr gelingen, eine - wie es neudeutsch heißt - Win-win-Situation zu schaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das möglich sein wird. Wenn wir ein Modell vorlegen, nach dem die Mehrzahl der Länder verlieren würde, dann bekommen wir dafür keine Mehrheit. Das macht auch keinen Sinn. Wir müssen vielmehr ein Modell finden, bei dem alle die Chance sehen, zu Gewinnern werden zu können. Wenn wir die Reform richtig angehen, wenn wir vor allem den Mut haben, nicht im Kleinklein stecken zu bleiben, sondern auch größere Reformschritte zu machen, dann können tatsächlich - davon bin ich überzeugt - alle Länder etwas gewinnen. Das muss unser eigentliches Ziel sein. ({4}) Wir sollten zu Beginn der Föderalismusreform II aus den Fehlern der Föderalismusreform I lernen. Für mich gab es drei wesentliche Fehler: Erstens. Die Ministerpräsidenten hatten sich bereits im Mai 2004 auf einen Minikompromiss festgelegt und sind von diesem nicht mehr abgerückt. Die Lehre für uns muss sein, dass wir die offene Themensammlung tatsächlich als offen betrachten. Ich fordere insbesondere die Länder auf, nicht wieder im Vorfeld Beschlüsse zu fassen und so den Erfolg zu gefährden. Wir müssen offen an diese Aufgabe gehen. ({5}) Denkverbote darf es dieses Mal nicht geben. ({6}) Zweitens. Herr Kollege Struck, ich hoffe, dass wir nicht wieder in die alten Mechanismen der Entscheidungsfindung verfallen. Es darf nach den Verhandlungen in den einzelnen Projektgruppen am Schluss nicht so sein, dass das Ergebnis im kleinen Kreise ausgemauschelt wird. Der Prozess muss tatsächlich offen sein. Drittens. Es darf keine Tabus geben. Wir müssen außerdem zu einem fairen Wettbewerbsund Gestaltungsföderalismus kommen. Das wird unsere besondere Aufgabe sein. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Wir müssen natürlich an die Regionen mit besonderen Strukturproblemen denken. Die neuen Bundesländer - nach 16 Jahren sind sie eigentlich gar nicht mehr so neu - müssen sich darauf verlassen können, dass der Solidarpakt Ost bleibt und von uns nicht angegriffen wird. Meine Damen und Herren, ich habe noch ein Zitat, von dem ich glaube, dass es heute sehr schön passt. Ein schwäbischer Abt mit dem Namen Öttinger hat wohl das Zitat geprägt: Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu verändern, die ich ändern kann. Gib mir die Geduld, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Wir müssen den Mut dazu aufbringen, Dinge zu ändern. Ich appelliere an den Ministerpräsidenten Oettinger, der den Vorsitz für die Länderseite übernehmen wird, auf die Worte seines Namensvetters zu hören und bei den Ländern einen Veränderungswillen zu wecken. Ich appelliere auch an uns alle in diesem Hause, mit der notwendigen Offenheit an das Werk zu gehen. Für die FDP kann ich sagen, dass wir diesen Prozess sehr konstruktiv unterstützen werden. In diesem Sinne: Gehen wir es an! Ich persönlich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit im ganzen Hause. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Wenn wir uns nicht in einem seriösen Parlament befinden würden, müsste ich jetzt rufen: Jetzt geht’s los! Anders als bei der ersten Stufe der Föderalismusreform, die in der Öffentlichkeit bis kurz vor deren Ende kaum zur Kenntnis genommen wurde, diskutiert die Finanzfachwelt schon seit einiger Zeit die Einsetzung der Kommission zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen. Schon die Föderalismuskommission I hat im Finanzbereich kleine, aber sehr wichtige Weichen gestellt. Herr Burgbacher, ich sehe die Ergebnisse der ersten Kommission durchaus positiv. ({0}) So haben wir Finanzhilfen hinterfragt und befristet, einige Gemeinschaftsaufgaben einschließlich der finanziellen Mittel der alleinigen Zuständigkeit der Länder anvertraut sowie EU-Haftungsfragen nach dem Verursacherprinzip geordnet und in die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern gelegt. Um ein Haar hätten wir diese neuen Haftungsregeln beim Vertragsverletzungsverfahren wegen der Sparkasse Berlin schon ausprobieren müssen. Darüber hinaus haben wir das Finanzverwaltungsgesetz verändert, um eine bessere Zusammenarbeit der Länderfinanzbehörden zu erreichen. Am deutlichsten wird die Tragweite der Regelungen durch die erste Kommission aber beim Zusatz zu Art. 84 und Art. 85 Grundgesetz. Hiernach können Gemeinden durch Bundesgesetz keine Aufgaben mehr direkt übertragen werden. In der Vergangenheit hatte die direkte Aufgabenzuweisung des Bundes an die Kommunen in erheblichem Maße zu der Finanzmisere der Kommunen geführt. Den Kommunen wurden kostenträchtige Aufgaben übertragen, ohne dass der Gesetzgeber die Finanzierung sicherstellte. Nun will ich die Tatsache, dass bei einem der ersten Gesetze nach dem In-Kraft-Treten dieser Grundgesetzänderungen, dem Verbraucherinformationsgesetz, diese neue Selbstbeschränkung im parlamentarischen Verfahren nicht als einschlägig empfunden wurde, nicht kommentieren. Dass dieses Gesetz zulasten der Kommunen aber nicht ohne einen finanziellen Ausgleich für die Kommunen in Kraft treten wird, ist genau das, was wir mit der Föderalismusreform I wollten. Das, was wir dort den Kommunen versprochen haben, wird jetzt in der Praxis umgesetzt. ({1}) Diese Beispiele verdeutlichen, dass schon beim ersten Schritt der Föderalismusreform Weichen gestellt wurden, deren Tragweite erst nach und nach deutlich wird. Nun gilt es, diese Schritte weiterzugehen und die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern auf eine solide Grundlage zu stellen. Dieses Bemühen erhält heute einen formellen Rahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn wir dieses Bemühen nicht von Anfang an zunichte machen wollen, dann dürfen wir Ihrem Antrag zur Aufgabenerweiterung der Kommission unmöglich zustimmen. Wie sollen wir denn bitte die schwierigen Probleme auf den Gebieten der Finanzbeziehungen, der Wachstums-, Beschäftigungs- und Klimaschutzpolitik sowie der gerechten Gestaltung der Wissensgesellschaft auf einmal lösen? Ich glaube, wir haben mit den Finanzbeziehungen schon hinreichend genug zu tun. Deshalb wollen wir den Aufgabenbereich nicht noch mehr erweitern. ({2}) Schon mit dem, was in dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP vorliegt, haben wir eine Riesenaufgabe übernommen. Wir werden dabei von der Skepsis begleitet, ob wir diese Aufgabe überhaupt erfüllen können. Ich sage ganz offen: Nein, wir werden bis 2008 voraussichtlich keine konkreten Vorschläge zu Länderfusionen vorlegen. Wir werden uns aber damit befassen, welche Hürden für eine eventuelle Fusion zu überwinden sind und wie man diese Hürden senken kann. Gegebenenfalls muss überprüft werden, ob das, was das Grundgesetz für eine Fusion verlangt, zu schwer zu erreichen ist. Wir, der Bund, werden die Frage beantworten müssen, ob wir fusionswilligen Ländern unsere Hilfe anbieten, ob wir zum Beispiel Entschuldungshilfen leisten können oder wollen. Nein, ziemlich sicher werden wir bis 2008 auch nicht einen neu ausgehandelten Länderfinanzausgleich einschließlich Solidarpakt II vorlegen. Wir werden aber, wenn wir die Solidarität zwischen den Ländern und dem Bund und innerhalb der Länder dauerhaft aufrechterhalten wollen, selbstverständlich klären müssen, welche Voraussetzungen ein Land erfüllen muss, um die Solidarität der anderen Länder in Anspruch nehmen zu können. ({3}) Viel sinnvoller, als ein weiteres Verfassungsgerichtsurteil abzuwarten, ist es, ein Frühwarnsystem einzurichten und sich auf Eckpunkte hinsichtlich der Frage, wann der Bündnisfall eintritt, festzulegen. Technische Voraussetzung hierfür ist, dass auf den verschiedenen Ebenen vergleichbare Haushaltsdaten vorliegen. Erst dann könAntje Tillmann nen wir prüfen, inwieweit sich ein Land, das Hilfe beansprucht, mehr Personal, mehr freiwillige Leistungen oder vielleicht höhere Standards als andere Länder leistet. Zurzeit ist der Vergleich nur sehr eingeschränkt möglich. Wir werden dabei die Frage beantworten müssen, ob das Verfahren der Kameralistik, nach dem wir heute den Haushalt aufstellen, die Gefahren wirklich deutlich sichtbar macht oder ob wir nicht den Anträgen Hamburgs und Hessens folgen sollten, den Bundeshaushalt und die Länderhaushalte in Form der doppelten Buchführung aufzustellen. ({4}) Wir werden - Herr Burgbacher hat schon darauf hingewiesen - das Thema Neuverschuldung angehen müssen. Notlagen von Ländern entstehen nicht von heute auf morgen; sie bahnen sich langsam an. In vielen Fällen könnten sie bei rechtzeitigem Gegensteuern verhindert werden. Art. 115 Grundgesetz und die entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen wollten verhindern, dass mehr Schulden aufgenommen werden, als positives Vermögen vorliegt. Aber schon die wortgetreue Auslegung des Artikels wird diesem Ziel nicht gerecht. Hier wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass sich Investitionen in der Praxis schneller abnutzen, als die zugrunde liegenden Kredite getilgt werden. Die Auslegung der Ausnahmeregelung für den Fall der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geht weit über das wirtschaftlich Vernünftige hinaus. Sie sehen: Es geht hierbei um verhältnismäßig spröde Themen, die sich nicht in Mark und Pfennig ausrechnen lassen. Am Ende der Beratungen zum Finanzausgleichsgesetz werden wir ein Ergebnis in Euro vorlegen müssen. Im Finanzausgleichsgesetz ist zum Beispiel vereinbart, die Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich der Belastungen aufgrund der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für den Zeitraum ab 2008 neu zu verhandeln. Dasselbe gilt für die Zuweisungen aufgrund hoher Kosten politischer Führung. 2013 steht die Überprüfung der Ausgleichszahlungen wegen der Auflösung der Gemeinschaftsaufgaben auf Grundlage des Entflechtungsgesetzes an; spätestens 2019 laufen die Solidarpaktmittel aus. Also nur Mut! Die Föderalismusreformen III bis X können nahtlos folgen. Weniger schmerzhaft, als begrenzt vorhandene Mittel neu zu verteilen, ist es, zu überprüfen, ob im vorhandenen System alle Mittel vernünftig und effektiv eingesetzt werden. Die Haupteinnahmequellen von Bund und Ländern - die Gemeinschaftssteuern wie Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer - werden im Rahmen der Auftragsverwaltung von den Ländern eingezogen. Mit dem Finanzverwaltungsgesetz haben wir erste Schritte hin zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit unternommen. Liebe Kollegen von der Linken, der Bericht des Bundesrechnungshofes, den Sie in Ihrem Änderungsantrag zitieren, ist zu einer Zeit entstanden, als diese neuen Regelungen noch nicht in Kraft waren. Ich denke, wir sollten der Finanzverwaltung Zeit geben, diese Regelungen umzusetzen. Dann sollten wir überprüfen, ob wir nachbessern müssen. ({5}) Wir werden prüfen müssen, warum manch hohe finanzielle Aufwendungen von Bund und Ländern bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht richtig ankommen. Wir tun gut daran, mit der Arbeitsgruppe im Familienministerium, die die Einführung einer Familienkasse prüft, zusammenzuarbeiten. Das ist ein Bereich, mit dem auch wir uns befassen müssen. Die Frage ist: Warum kommt von dem vielen Geld, das wir in manchen Bereichen ausgeben, so wenig bei den Bürgerinnen und Bürgern an? Bei all diesen größeren und kleineren Schwächen des Systems ist es müßig, zu überlegen, wie groß der Wurf sein könnte, den wir in dieser Kommission erreichen. Wir müssen diese Probleme angehen; denn jetzt ist der Zeitpunkt für Veränderungen günstig. Die Prognosen sind gut. Die Neuverschuldung auf Bundes- und Länderebene sinkt. Das Bruttoinlandsprodukt steigt und die Sozialversicherungssysteme profitieren von den guten Aussichten. Wenn wir jetzt keine Lösung herbeiführen, dann werden wir das niemals tun. ({6}) Meine beiden Vorredner haben schon an der einen oder anderen Stelle persönliche Bedenken vorgetragen. Als ich gefragt wurde, ob ich für meine Fraktion die Aufgabe in der Föderalismuskommission II übernehmen wolle, fiel mir mein Lieblingsheld Beppo Straßenfeger aus dem Roman „Momo“ ein. Beppo bekommt jeden Tag ein Stück Straße zugewiesen, das er fegen muss. Es ist ein langes, endlos erscheinendes Stück Straße, das einem schon Sorgen bereiten könnte, wenn man nur bis zum Ende dieser Straße blickt. Nicht so Beppo: Beppo schaut immer nur so weit, wie er den Fuß setzen kann: Schritt, Besenstrich, Verschnaufen, Schritt, Besenstrich, Verschnaufen - und noch ehe er sich versieht, ist die ganze Straße gefegt. Ich glaube, so wie Beppo beim Fegen dieser Straße werden auch wir in der Föderalismuskommission II in einzelnen Schritten vorgehen müssen. Wir werden konsequent schrittchenweise vorgehen müssen, damit keiner der Beteiligten atemlos auf der Strecke zurückbleibt. Ich kann das den Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und den Ministerpräsidenten zusagen. Dazu sind wir auch nach unserer Verfassung verpflichtet. Denn wir können in unserem Grundgesetz fast alles außer den Grundrechten ändern, aber nicht die Neugliederung der Länder bzw. die Regelungen, die diese Gliederung betreffen. Dazu gehört auch, die Finanzen so zu ordnen, dass Bund und Länder finanziell lebensfähig sind. Das gehen wir an und ich bin sicher, dass wir Ihnen im nächsten Jahr eine Lösung vorlegen werden. Danke. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Bodo Ramelow von der Fraktion Die Linke. ({0})

Bodo Ramelow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003824, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vom Abt Öttinger die Rede war und Laotse zitiert worden ist, möchte ich mit Konfuzius anfangen: Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen. Ich denke, in der Föderalismusreform II gibt es viel Dunkelheit zu beklagen. Es reicht mir nicht, Kollegin Tillmann, wenn wir nur auf unsere Fußspitzen schauen. Man sollte schon wissen, in welche Richtung der Straßenfeger die Straße auskehrt. Wenn man das Ziel nicht vor Augen hat, dann kann man seine Hausaufgaben nicht machen. ({0}) Kollege Struck, Sie haben die Frage aufgeworfen, warum wir den Einsetzungsantrag, den wir zwar für verbesserungswürdig, aber von der Richtung her für richtig halten, nicht mitgetragen haben. Ich will Ihnen diese Frage beantworten. Am 31. März 2003 fand in der Hansestadt Lübeck der Lübecker Konvent statt. Alle Landesparlamente waren durch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten und auch der Bundespräsident hat teilgenommen. Ich darf auf das Protokoll hinweisen. Darin ist festgehalten worden, dass der Föderalismuskonvent der Auftakt der Initiativen ist, dass auch die Landesparlamente an der Föderalismusreform mitarbeiten müssen. Man kann diese Reform nicht ohne sie und auch nicht gegen sie durchführen, Kollegin Tillmann. ({1}) Sie haben zu Recht auf die Neuordnung der Länder hingewiesen, die im Grundgesetz als geschützter Bereich geregelt ist. In dem Protokoll heißt es aber auch - ich zitiere; es lohnt sich, das nachzulesen -: Es zeigt sich darin auch der einheitliche Wille, über den jetzt festgelegten Maßstab der „Lübecker Erklärung“ hinaus einen weitergehenden Prozess zu eröffnen, der sich in mindestens einem Folgekonvent niederschlagen wird. Ich sage: niederschlagen muss; denn wenn wir nicht in einen zweiten Konvent mit den Landtagen eintreten werden, dann wird es zu einer Verhandlungsrunde ohne die Landesparlamente kommen. Darauf bezieht sich unsere kritische Sichtweise. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt. ({2}) - Ich habe ihn gelesen, Herr Kollege. Sie haben aber offenkundig die Lübecker Erklärung nicht gelesen. Es wundert mich sehr, dass der Deutsche Bundestag jetzt eine Kommission einsetzt, die all diese Themen behandelt, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländer vertreten sein werden, die damals noch als Fraktionsvorsitzende die Lübecker Erklärung mit unterschrieben haben. Vier Namen sind darin zu finden, die damals diese Erklärung mit unterschrieben haben und sich jetzt auf die Bundesratsseite stellen. Ich habe die Befürchtung, dass man im Zweifelsfall eine abgeschottete Finanzverhandlungsrunde durchführt, an der die Landesparlamente nicht beteiligt sind. Das halte ich für ein strukturelles und inhaltliches Problem. ({3}) Kollege Struck, ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht: Es darf keine parteipolitische Kungelrunde werden. Es darf nicht dazu führen, dass sich die Ayatollahs mancher Bundesländer als Gegenregierung zur großen Koalition präsentieren. Ich meine zum Beispiel Ihren Herrn Koch, den ultraorthodoxen Konservativen, der seine machtpolitischen Spielchen auf Landesebene spielt, wenn es gegen die große Koalition geht. Wenn ich mir den Vertreter des Freistaates Bayern anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass wir eine Gegenregierung in diesem Land haben und dass die einzige Opposition nicht die drei kleinen Fraktionen im Bundestag, sondern die CDU/CSU-Ministerpräsidenten sind. ({4}) - Es scheint Sie tief zu treffen, dass diese Kakophonie von Ihren Repräsentanten zu vertreten ist. Das ist aber noch immer besser als der gestrige Ausdruck „Brüsseldorf“. Die Finanzbeziehungen der Länder müssen im Verhältnis zum Bund neu geordnet werden. Deswegen begrüßen wir die Einsetzung der Kommission. Wir werden in der Kommission mitarbeiten. Wir werden Ihnen aber Gelegenheit geben, darüber abzustimmen, ob die Landesparlamente in eigener Verantwortung bestimmen können, dass sie zumindest antrags- und redeberechtigt sind. Das ist ein qualitativer Unterschied. Es dürfen nicht nur vier Vertreter der Landesparlamente am Katzentisch sitzen. Vielmehr sollen sie antragsberechtigt sein. - Frau Tillmann, regen Sie sich doch nicht auf! Ich habe Ihren Humor doch auch ertragen. Nun ertragen Sie, dass ich, der ich einmal Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag war, einfordere, das umzusetzen, was wir im Lübecker Konvent fraktionsübergreifend beschlossen haben. Sie können im Bundestag nicht sagen: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Diese Halbherzigkeit können wir nicht akzeptieren. ({5}) Es geht nicht nur um die Beziehungen der Länder untereinander, sondern auch um den Wettbewerbsföderalismus. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab. Das unterscheidet uns in der Tat von der FDP. ({6}) Wir wollen nicht, dass sich die Länder, die eine prosperierende Entwicklung haben, mit allen ihren MöglichkeiBodo Ramelow ten besser aufstellen und dass anschließend - Stichwort „gemeinsame Bildungslandschaft in Deutschland“ - die einen im Armenhaus und die anderen auf der Sonnenseite der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich empfehle einen Blick auf die vorgestrige Satire in Belgien. Hier hat ein Fernsehprogramm das Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen in Form einer bissigen Satire dargestellt. Das Schlimme war, dass die Menschen in Belgien geglaubt haben, dass Belgien auseinander fällt. Wenn die wirtschaftlich stärkeren Länder in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Rücken der wirtschaftlich schwächeren Länder Geschäfte machen, dann haben wir mit Zitronen gehandelt. Wir halten an dem Prinzip der Ausgleichsverpflichtung fest. Alle Menschen in Deutschland müssen gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen haben und Chancengerechtigkeit erleben. ({7}) Die Gemeinschaftsaufgabe Ost ist zwar bis 2010 gesichert. Aber nach 2010 - nun verstehe ich langsam, was die Agenda 2010 von Herrn Schröder bedeutet - werden die Mittel degressiv abgeschmolzen. Wir brauchen daher einen Sonderweg, wenn es um die Schulden der neuen Bundesländer geht. Wenn wir die zu bewirtschaftenden Schuldenberge nicht berücksichtigen, werden wir einen Wettbewerbsföderalismus Ost-West haben. Dann haben wir einen bitteren Weg vor uns. Reden Sie also bitte auch über die Einnahmeseite und nicht nur über die Verteilung! Wenn die Abgaben- und Steuerquote in Deutschland nur den OECD-Durchschnitt erreichte, hätten wir 130 Milliarden Euro mehr in der Kasse und wir könnten uns starke, prosperierende Bundesländer erlauben. Dann könnten wir über einen neuen, innovativen Haushaltsansatz nachdenken, bei dem die Mittel für die Bildung als Investition und nicht als konsumtive Ausgaben gewertet werden. Lassen Sie uns in diesem Sinne an die Arbeit in der Föderalismusreformkommission herangehen. Nicht dass der Bundespräsident hinterher wieder alles aus dem Verkehr zieht. Das hielte ich für eine Katastrophe. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir grundsätzlich optimistisch sind, haben wir die Hoffnung, dass bei der Föderalismusreform II etwas Besseres herauskommt als bei der Föderalismusreform I. Ich sage das, weil wir bei den aktuellen Themen, die wir diskutieren, zum Beispiel bei der Bildungspolitik und beim Verbraucherinformationsgesetz, sehen, welche Schwierigkeiten die Föderalismusreform I den Deutschen, der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern eingebracht hat. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich halte wenig davon, in diesem Rahmen jetzt die Mittel zu verteilen, weil wir so die Fehler der Föderalismusreform I noch potenzieren. ({0}) Das wird ein wichtiger Punkt sein, über den wir reden müssen. Frau Kollegin Tillmann, wir haben Ihrem Antrag nicht zugestimmt, weil wir finden, dass auch andere Themen - nicht nur Wachstum und Beschäftigung - zu den Zielsetzungen der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern gehören müssen, zum Beispiel eine gerechte Finanzierung der Wissensgesellschaft und unseres Bildungssystems. ({1}) Es kann doch nicht angehen, dass wir die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nur in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung neu ordnen, aber in Bezug auf Bildung und Gestaltung der Wissensgesellschaft nicht. Sie haben übrigens in Ihrem Redebeitrag selber ein Beispiel dafür gebracht, dass die Ziele zu eng sind, als Sie sagten, es wäre interessant zu überlegen, ob man nicht die verschiedenen Transferleistungen für Familien in eine Kasse aufnehmen sollte. Das ist natürlich ein anderes Ziel als Wachstum und Beschäftigung. ({2}) Vielleicht verstehen Sie an Ihrem eigenen Beispiel, warum es richtig ist, die Ziele weiter zu fassen und Ihrem Antrag nicht zuzustimmen. ({3}) Ich rate der Bundesregierung, wie es jeder Industriebetrieb macht, wenn es neue Rahmenbedingungen gibt, zunächst einmal eine Schulung zu machen, was sie eigentlich mit der Föderalismusreform I beschlossen hat. Es ist eine Zumutung und schafft Politikverdrossenheit, wenn man mit großem Trara - Herr Stoiber sprach von der „Mutter aller Reformen“ - eine Reform macht, aber am Schluss selber nicht weiß, was man beschlossen hat, und einen Bundespräsidenten in die Situation zwingt, in der er sich offensichtlich in den letzten Wochen und Monaten befunden hat. Da hilft übrigens Bundespräsidentenkritik nichts. Wenn Sie Gesetze machen, die auf den ersten Blick nicht gesetzeskonform sind, dann können Sie nicht sagen, dass der Bundespräsident, wenn er entsprechend reagiert, schlecht ist und man ihn nicht wieder wählt. Sie als Bundesregierung müssen sich in Zukunft klarer machen, was Sie beschlossen haben und was zu tun ist. ({4}) Ich habe die Hoffnung, Herr Struck, dass wir mit der Föderalismusreform II etwas Neues bewegen können. Ich will eines vorwegschicken: Wenn jetzt alle in den Graben gehen und auf die Rechnung schauen, ob sie gewinnen oder verlieren, und wenn sie verlieren, Nein sagen, dann können wir das gleich lassen. - Ich weiß nicht, ob das mit dem Begriff Win-win-Situation zu meistern ist, Herr Kollege. Es kommt darauf an, dass auch die neuen Länder, die im Länderfinanzausgleich gegenwärtig Nehmerländer sind, also etwas bekommen, einsehen, dass sie von einer neuen Struktur vielleicht nicht kurzfristig - von einem Haushaltsjahr aufs nächste Haushaltsjahr -, aber insgesamt profitieren können, weil es den Föderalismus stärkt, wenn man zum Beispiel über Finanzautonomie und andere Schritte in der Finanzverfassung der Länder nachdenkt. Ich appelliere an die nicht anwesenden Ministerpräsidenten, dass es keinen Sinn hat, zu sagen: Ich rechne das aus und wenn es eine Veränderung ins Negative gibt, dann lehnen wir es ab. - So würden Tabufelder abgesteckt und für Peter Struck wäre überschaubar, welche Themen noch zu behandeln sind. Es bliebe nämlich nur eine minimale Ebene übrig, über die man dann noch reden könnte. ({5}) Es müssen also alle deutlich machen, ob sie diese Reform wollen. Man kann nicht sagen, dass man über bestimmte Themen nicht redet. Das gilt übrigens auch für den Bund; darauf werde ich gleich zu sprechen kommen. Die Frage, die wir auch zu beantworten haben, ist, ob wir in einem Mechanismus zwischen Bund, Ländern und Gemeinden das Schuldenproblem der Bundesrepublik Deutschland wenigstens mittelfristig in den Griff bekommen oder nicht. Wir haben auf allen drei Ebenen gegenwärtig Zinszahlungen in Höhe von 68 Milliarden Euro zu leisten. Man braucht niemandem in diesem Hause und in der Öffentlichkeit zu sagen, welchen Gestaltungsspielraum wir hätten, wenn wir nicht so hohe Zinslasten hätten. Das heißt, politische Entscheidungen der Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir heute 70 Milliarden Euro weniger in Bildung, Zukunft, Umweltschutz usw. investieren können. Dies setzt eigentlich die Verpflichtung in Gang, für die Zukunft einen anderen Weg zu finden und nicht mehr so weiterzumachen. ({6}) Dann, Frau Kollegin Tillmann, müssen wir aber über die Substanz reden. Ich finde, dass Art. 115 des Grundgesetzes nicht mehr taugt, um die Haushalte zu stabilisieren und die Verschuldung aufzuhalten. Ich finde auch, dass das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1967 mit dem Mechanismus - Sie haben das zitiert -, dass man immer wieder eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt und es überhaupt keine Verpflichtung gibt, in Jahren guter konjunktureller Entwicklung die Schulden zu tilgen bzw. wenigstens die Nettoneuverschuldung signifikant zu senken, nicht mehr funktioniert. Wenn wir heute in der Finanz- und Haushaltspolitik feststellen, dass die Gesetzgebung bis hin zum Art. 115 des Grundgesetzes - damit ist ja auch der Investitionsbegriff verbunden ungenügend ist und dies Bund, Länder und Gemeinden systematisch in die Staatsverschuldung führt, dann muss das Wachstums- und Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1967 verändert und ein vernünftiger Mechanismus etabliert werden, damit wir den Weg aus dem Schuldenstaat finden können. Das erwarte ich von der großen Koalition. ({7}) Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben, dass der richtige Weg der ist - das betrifft nur die Richtung, weil nicht alles übertragbar ist -, den die Schweizer mit der so genannten Schuldenbremse eingeschlagen haben. Die Idee ist einfach. Zuerst müssen die strukturellen Defizite der Haushalte ausgeglichen werden. - Wieso sage ich „einfach“? Das ist ein kompliziertes Unterfangen; aber dies ist die Voraussetzung. - Dann muss ein Mechanismus in Gang gesetzt werden, der es erlaubt, dass in schwierigen Konjunktursituationen etwas mehr für Investitionen ausgegeben werden kann, während in Zeiten einer guten Konjunkturentwicklung zwingend stärker konsolidiert werden muss, als es in der Vergangenheit - ich füge hinzu: auch in der Gegenwart - in Deutschland der Fall war bzw. ist. Das heißt, vereinfacht ausgedrückt, Schuldenbremse. Wie wir das gesetzlich realisieren, ist für mich der zentrale Gegenstand der Kommission. Ich finde übrigens, Herr Finanzminister Steinbrück, dass der Bund so etwas in seinem Bereich vorher selber machen sollte. Das kann er und das hätte sehr positive Auswirkungen auf die Kommissionsverhandlungen. Ich finde, dass Sie mehr für die Konsolidierung machen müssen, als bisher in der konjunkturstarken Zeit geschehen ist. Wer aufgrund von neuen Steuern und Privatisierungserlösen mehr als 20 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen hat, aber die Nettoneuverschuldung nur um 11 Milliarden Euro reduziert, wie es in dem Haushalt, den wir beschlossen haben, geschehen ist, der kann nicht sagen, dass er die Konsolidierung im Griff hat. Der hat ein bisschen mit Steuermehreinnahmen jongliert, aber nicht wirklich die strukturellen Verhältnisse verändert. ({8}) Wir müssen natürlich auch über die Steuerverteilung reden. Entscheidend ist die Frage, ob die Länder mehr Steuerautonomie bekommen. Wir würden das befürworten. Entweder müsste eine Steuer von den Gemeinschaftsteuern den Ländern ganz übertragen werden oder es müsste wenigstens dafür gesorgt werden - das ist die mildere Variante -, dass die Länder bei einer Steuerart zusätzliche Hebesätze festlegen können und somit einen gewissen Gestaltungsspielraum bekommen. Sie, Herr Ramelow, machen es sich leicht, wenn Sie gegen Wettbewerbsföderalismus sind. Ich würde Ihnen raten, darüber noch einmal in Ruhe nachzudenken. Ich finde, es kommt darauf an, was man darunter versteht. Dass die Länder in einem bestimmten Wettbewerb stehen müssen - in einem solidarischen Wettbewerb, bei dem der Ausgleich systematisch und fair organisiert ist -, ({9}) ist logisch; denn so, wie die Situation heute ist, kann es passieren, dass weder die starken noch die schwachen Länder weiterkommen. Deswegen muss die 12-ProzentRegel, nach der die ersten 12 Prozent der Mehreinnahmen nicht in den Länderfinanzausgleichsmechanismus eingehen, verändert werden. Das ist zu wenig. Wir haben heute die Struktur - wer die Debatten über den Länderfinanzausgleich kennt, der weiß das -, dass es sich weder für ein starkes Land lohnt, Mehreinnahmen zu erzielen - das merken Sie beim Steuervollzug -, noch für ein schwaches Land. Auch da müssten Sie einmal darüber nachdenken, wie Betriebsprüfungen im Steuerbereich ausfallen und ob sie intensiviert werden können. Ich sage klar: Es muss einen Wettbewerbsföderalismus geben; aber er muss systematisch solidarisch sein und darf vor allem nicht nur immer wieder einmal einen Ausgleich für die Schwachen schaffen, sondern muss sie dauerhaft stärken. Das konnten wir bei den Zahlungen an das Saarland und an Bremen bis zum Jahr 2004 sehr deutlich feststellen. ({10}) Wir werden, Peter Struck, konstruktiv in der Kommission mitarbeiten. Ich finde, dass man die Länder und die Landtage stärker hätte beteiligen müssen. Auch das ist ein Grund, warum wir dem Antrag von SPD, CDU/ CSU und FDP nicht zustimmen. Wenn man wirklich eine grundsätzliche Reform plant, ist es wichtig, dass die Länder und die Länderparlamente stärker gehört werden und mitreden können, als Sie es vorgeschlagen haben. In der Summe kann ich sagen: Machen wir uns an die Arbeit! Es wird mühsam. Vergessen wir die starken Sprüche vom Durchregieren; beziehen wir Bund und Länder ein und setzen wir darauf, dass alle im Grundsatz ein Interesse daran haben müssen, die Finanzverfassung in Deutschland zu verändern! Dann kann man wahrscheinlich zu vernünftigen Vorschlägen kommen. Danke. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe kein Originalzitat von Laotse oder Konfuzius zu liefern. ({0}) - Wenn Sie mich auffordern, Herr Fricke, einen englischen Premier zu zitieren, würde das Zitat abgewandelt lauten: Es gibt nur noch drei Menschen in Deutschland, die den deutschen Föderalismus und insbesondere die Finanzbeziehungen wirklich verstehen. Der eine ist tot, der zweite ist verrückt geworden und der dritte ist ein namentlich unbekanntes Mitglied dieses Hohen Hauses, das alles vergessen hat. ({1}) Das wirft in der Tat ein gewisses Licht auf das Haus. Deshalb ist der heutige Freitag durchaus ein bedeutender Tag bei der Umsetzung eines wichtigen Vorhabens aus der Koalitionsvereinbarung, nämlich der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Ich fürchte, das ist für die Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zuschauen oder zuhören, eine ziemlich trockene Materie. Alle reden über diesen sehr komplizierten, komplexen deutschen Föderalismus; aber wie er wirklich funktioniert - dabei will ich von dem Spezifikum des Finanzausgleiches gar nicht reden - weiß niemand so genau. Aber ich will allen zurufen: Es ist eine ziemlich wichtige Frage, weil die innenpolitische Handlungsfähigkeit und insbesondere die Europatauglichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der EU davon in einem erheblichen Ausmaß abhängig sind. ({2}) Ich fürchte, dass der deutsche Föderalismus, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat, eher handlungsunfähiger geworden ist und dass wir in Europa nicht so stark aufgestellt sind, wie wir es eigentlich sein müssten, um das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland angemessen zur Geltung zu bringen. ({3}) Ich bin der Meinung, dass der Effekt der ersten Stufe der Föderalismusreform nicht ganz angemessen beurteilt wird. Der Erfolg ist größer, als wir ihn selber dargestellt haben; denn diese Stufe der Föderalismusreform leistet, wie ich finde, einen bemerkenswerten Beitrag zur stärkeren Entflechtung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat und damit zur Begegnung bestehender Reibungsverluste, gerade mit Blick auf die zustimmungspflichtigen oder einspruchsberechtigten Gesetze, die es früher gegeben hat. Dies ist mit der Föderalismusreform I gelungen. Ich begrüße wie alle Redner hier außerordentlich, dass der Bundestag und der Bundesrat heute eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen einsetzen werden. Es wird Sie nicht wundern, dass ich es auch sehr begrüße, dass vier Mitglieder der Bundesregierung zum ersten Mal ordentliches Mitglied einer solchen Kommission mit Stimmrecht sind. ({4}) - Sehen Sie, ich habe damals noch nicht auf der Regierungsbank gesessen, sondern auf der Länderbank, und war ein ordentliches Mitglied. Aber es hat mich schon gewundert, dass die Bundesregierung in der ersten Föderalismuskommission reinen Gaststatus hatte, obwohl sie doch auch ein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland ist. Ich glaube allerdings, dass wir uns und denen, die diese Beratungen verfolgen, nichts vormachen sollten. Vor uns liegt eine Titanaufgabe. Das erste Halbjahr 2007, in dem wir eine Doppelpräsidentschaft innehaben, wird noch nicht einen solchen Sitzungsrhythmus hervorbringen, der uns in die Lage versetzt, sehr schnell Ergebnisse vorweisen zu können. Ich finde es wichtig, dass sich nach Konstituierung der Kommission im Januar beide Seiten, die Länder wie auch der Bund, über den Themenkatalog sehr schnell verständigen und abstimmen. Die Interessenunterschiede laufen nicht an politischen Linien wie A-Länder/B-Länder entlang, sondern entlang Linien wie Groß/Klein, Ost/West, Geberland/ Nehmerland. Das habe ich unmittelbar erfahren, als ich Mitglied einer Landesregierung war. Allen ist daher bewusst, dass eine Reform der Bund/Länder-Finanzbeziehungen angesichts der enormen Interessenunterschiede kein leichtes Unterfangen sein wird. Man muss einen gewissen Spagat machen: Einerseits stellt sich insbesondere mit Blick auf die Zweidrittelmehrheiten der großen Koalition in Bundestag und Bundesrat die Frage, wann, wenn nicht jetzt, das Fenster weit genug geöffnet ist, um eine grundlegende Reform durchzuführen. Wenn dieses Fenster wieder geschlossen sein sollte, wird es natürlich umso schwieriger sein, an der Stelle anzuknüpfen, an der man vorher gescheitert ist, selbst unter den relativ günstigen Bedingungen einer großen Koalition. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen, Herr Kuhn, dass ich die Meinung von Herrn Struck teile, dass es keine parteipolitische Veranstaltung ist. Sie darf es nicht sein und sie wird es angesichts der Interessendivergenzen auch nicht sein. Andererseits wissen wir, dass man sich an diesem Thema die Zähne ausbeißen kann. Ich selber habe über zwei bis drei Jahre - Volker Kröning kann sich daran erinnern - allein an der Neuorganisation des Finanzausgleichs mitgearbeitet. Ich weiß nicht, wer richtigerweise darauf hingewiesen hat - ich glaube, es war Frau Tillmann oder Herr Burgbacher -, wie wichtig es wäre, den Finanzausgleich ebenfalls horizontal und vertikal mit einzubeziehen. Vielleicht erinnern Sie sich daran: Das hat uns das letzte Mal drei Jahre gekostet. Aus der Sicht vieler ist dabei eine Minilösung herausgekommen. Aus der Sicht vieler anderer wiederum war das, was dabei herausgekommen ist, schon zu viel Wettbewerbsföderalismus. ({5}) Das ist die Schwierigkeit, in der wir uns befinden. Mein Ansatz als Bundesfinanzminister ist deshalb zunächst sehr pragmatisch. Ich würde mich erst einmal auf die Frage konzentrieren, wie wir Haushaltsrisiken und Haushaltskrisen im Bundesstaat vermeiden können. Das oberste Reformziel in meinen Augen ist also in der Tat die Begrenzung der Staatsverschuldung und die Vermeidung von Haushaltskrisen. Dass das eine wichtige Rolle spielt, kann man am Bundeshaushalt der vergangenen Jahre ablesen, in denen wir die Regelgrenze gemäß Art. 115 des Grundgesetzes nicht eingehalten haben. ({6}) Das kann man an den Hinweisen erkennen, die Sie richtigerweise mit Blick auf die Zahl der Länder gegeben haben, die schon bei der Aufstellung ihrer Haushalte die Ausnahmeregelungen ihrer Landesverfassungen in Anspruch nehmen müssen. Das kann man auch daran sehen, dass wir vier Mal in Folge die Einhaltung der 3-Prozent-Defizitgrenze von Maastricht nicht geschafft haben. Im Jahr 2006 haben wir sie erstmals wieder erfolgreich eingehalten. Wie problematisch die Situation ist, hat nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall von Berlin ausgewiesen. Die Verfahren in Bezug auf das Saarland und Bremen sind immer noch anhängig. Ich glaube, dass die Vermeidung von Haushaltsnotlagen und das Nachdenken über die Frage, wie wir stärkere disziplinierende Klammern zur Haushaltssanierung verankern können, die Hauptaufgaben sind. Das hat uns übrigens das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil als Aufgabe im Rahmen der Beratungen der zweiten Föderalismuskommission mitgegeben. ({7}) Ich will den Debatten nicht vorgreifen und daher im Augenblick nicht sagen, wie die präventiven Verschuldungsregelungen aussehen könnten. Ich habe gelegentlich darauf hingewiesen, man könnte daran denken, analog den Stabilitäts- und Wachstumspakt und den Maastrichtvertrag anzuwenden. Man kann versuchen, die Verschuldensregeln einfachgesetzlich anders zu fassen. Man kann - das ist mein dritter Hinweis - die jetzige Möglichkeit, von den Verschuldensregelungen mit Hinweis auf die Abwehr eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts abzuweichen, sehr viel stärker einschränken, indem man Regeln verankert, unter welchen Bedingungen ein solches Vorgehen überhaupt möglich ist. Das gilt dann auch für die Länder. Ich stimme Herrn Kuhn zu: Es wäre des Schweißes der Edlen wert, sich anzuschauen, was in anderen Ländern passiert. Das Schweizer Beispiel ist hochinteressant; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich habe den Eindruck, dass dieses Beispiel auf allen Seiten des Parlamentes - auch aufseiten der FDP - die Neugier wecken könnte, einmal nachzuschauen, ob es in anderen Ländern Best Practices gibt, die man aufgreifen könnte. Wenn wir uns mit stärkeren und präventiven Verschuldungsregelungen beschäftigen, landen wir automatisch bei der Frage - sie wurde richtigerweise schon gestellt -, ob die Länder, um solchen Verschuldensregelungen auch folgen zu können, nicht eine größere Steuerautonomie brauchen. Diese Frage wird uns in diesem Zusammenhang beschäftigen. Ich glaube nicht, dass die großen Gemeinschaftssteuern aufzuteilen sind. Ein Ländervertreter hat mir einmal in einem Zustand geistiger Verwirrung angeboten, die Länder sollten die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bekommen - vielleicht wollte er mich auch nur schlicht und einfach auf den Arm nehmen - und der Bund im Gegenzug die Einnahmen aus der Einkommensteuer. Das wäre ein ganz merkwürdiger Deal, weil die Dynamik des Mehrwertsteueraufkommens viel höher ist als die der Einkommensteuer. ({8}) Es wird letztlich darum gehen, dass die Gemeinschaftssteuern erhalten bleiben. Aber wir reden möglicherweise über Zuschlagsrechte, und zwar nicht nur bei den GeBundesminister Peer Steinbrück meinschaftssteuern. Das ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. ({9}) Ein weiteres wichtiges Thema, das aus meiner Sicht in den Debatten, die im Vorfeld des heutigen Tages geführt worden sind, etwas unterbelichtet war, sind die Erfahrungen, die der Bund mit Geldern macht, die er zwar nicht für die Daseinsvorsorge, aber für bestimmte Leistungen auf kommunaler Ebene bereitstellt, ohne dass er nach der jetzigen Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland in direkten Finanzbeziehungen mit der kommunalen Ebene steht. Als Bundesfinanzminister sage ich Ihnen freimütig: Ich möchte nicht, dass die Kommunen je zum Bestandteil des Bundes werden. ({10}) Dann haben wir sie täglich vor der Tür stehen; das wissen wir alle. Sie sind vielmehr nach wie vor Bestandteil der Länder. Ich mache aber die Erfahrung, dass es, wenn der Bund bereit ist, behilflich zu sein, auf dem Weg hin zu den Kommunen gewisse klebrige Hände geben kann und dies massiv. ({11}) Das Thema der Regionalisierungsmittel für die Förderung des Schienenpersonennahverkehrs - ich will dieses Thema nicht sehr strapazieren - ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Es ist zu fragen: Inwieweit führen die Bundesmittel, die auf der Basis des Regionalisierungsgesetzes gewährt werden, dazu, dass die Länder eigene Mittel für Verkehrsinvestitionen einsparen? Ein viel problematischeres Thema haben wir gerade erörtert: Das sind die Kosten der Unterkunft. ({12}) War die Einigung im Vermittlungsausschuss zu den Kosten der Unterkunft eigentlich nicht damit verbunden, dass die Kommunen 1,5 Milliarden Euro für die Betreuung der unter dreijährigen Kinder ausgeben sollten? Wie sieht das in den Ländern aus? ({13}) Ein weiteres Beispiel, um deutlich zu machen, über wie viel Geld wir reden, ist die, wie ich finde, seinerzeit richtige Maßnahme des Bundes - ich war nicht beteiligt; deshalb Kompliment an diejenigen, die es beschlossen haben -, für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen ein 4-Milliarden-Programm aufzulegen. Was kommt da eigentlich auf welchem Wege bei denjenigen an, die wir damit erreichen wollen, nämlich bei den Kindern und Eltern, die von der Bereitstellung der entsprechenden institutionellen und personellen Infrastruktur einen Nutzen haben sollen? Dieses Thema wird, wie ich glaube, eine erhebliche Rolle spielen. Letzter Punkt in diesem Zusammenhang. Ich bin auch an einer Effizienzverbesserung in der Steuerverwaltung interessiert. ({14}) Denken Sie allein an das Thema der Steuerhinterziehungsbekämpfung; ich beziehe mich da jetzt einmal nur auf die Mehrwertsteuer. Sie alle kennen das System der Karussellgeschäfte, das auf der europäischen Ebene aufgrund unseres Drängens, ein anderes Erhebungssystem einzuführen - es hat den sehr komplizierten Begriff „Reverse-Charge-Modell“ -, eine Rolle spielt. Nun ist Deutschland ohnehin aufgrund seiner wirtschaftsgeografischen Lage das prädestinierte Opfer krimineller Energie. Wir laden dazu insbesondere deswegen ein, weil wir auch noch föderal strukturiert sind. Wir sollten aus meiner Sicht auch dort einen Einstieg schaffen, indem wir, zumindest auf diese für den Betrug sehr anfällige Steuerart bezogen, zum Beispiel eine einheitliche Bundessteuerverwaltung einführen. Das gehört aus meiner Sicht zwingend zu dieser Debatte. ({15}) Fazit: Wir haben uns ein sehr großes Rad vorgenommen. Aber ich finde, dass wir dieser Herausforderung mit Unterstützung aller Kräfte im Deutschen Bundestag und, wie ich hoffe, in einem konstruktiven Verhältnis mit den Ländern entsprechen. Ich glaube, dass die Erwartungen nicht gering sind, selbst wenn die Materie nicht für jeden Bürger und jede Bürgerin leicht verständlich ist. Das ist sie letztendlich auch für uns selber nicht. ({16}) - Ja, man muss da Überzeugungskraft haben. - Aber für die zukünftige Handlungsfähigkeit und Europatauglichkeit des föderalen Gebildes, das viele Vorteile hat und das wir nicht aufgeben, sondern stärken wollen, wird die Arbeit dieser zweiten Föderalismusreform eine erhebliche Bedeutung haben. Die Vertreter der Bundesregierung werden ihre Möglichkeiten einbringen, damit es zu einem guten Ergebnis kommt. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte heute Morgen sind schon viele Persönlichkeiten zitiert worden, nur die Bundeskanzlerin nicht. Weil wir Ihnen eine offene, konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Vorhaben zugesichert haben, will ich das jetzt nachholen. Die Bundeskanzlerin hat im Anschluss an die erste Föderalismusreform gesagt: Viele Bürger wussten nicht mehr, wer in unserem Land für was zuständig ist. - Ich will anfügen, dass das auch nach der ersten Reform nicht klar ist. Vor allen Dingen ist nach der ersten Reform nicht klar, wer für was bezahlt. Genau das müssen wir jetzt klarstellen. Das wollen wir gemeinsam angehen. Die Reform der Finanzbeziehungen - Herr Minister Steinbrück, Sie haben das zu Recht betont - ist eine Herkulesaufgabe. An ihr wird sich zeigen, wie reformfähig unser Land ist. Diesmal geht es nicht um die Reformbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern um die Reformbereitschaft und Reformfähigkeit der politischen Klasse. Dieser Verantwortung müssen wir uns ständig bewusst sein. Wir haben den Menschen in den letzten Jahren viel Reformwillen und Reformbereitschaft abverlangt. Jetzt wird sich zeigen, wie reformwillig und reformbereit die Politik ist. Ein Scheitern der Föderalismuskommission II würde das Vertrauen der Deutschen in die Problemlösungsfähigkeit unseres Landes weiter schwächen. Das können und wollen wir uns nicht leisten. Deswegen wird die FDP dieses Vorhaben konstruktiv und offen begleiten. Wir wollen den Menschen zeigen, dass Politik fähig ist, die Probleme unseres Landes zu lösen. Ich hoffe, dass wir mit unserem Mut und unserem Willen zur Veränderung auch der Bevölkerung Mut machen: Mut zu Reformen, Mut zu Veränderungen und Mut zur Gestaltung der Zukunft unseres Landes. Die Messlatte liegt hoch, sogar sehr hoch. Wie sagt man so schön: Beim Geld hört der Spaß auf! Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir alle bereit sind, an der einen oder anderen Stelle Abstriche zu machen und aufeinander zuzugehen. An dieser Stelle appelliere ich ganz besonders an die Union. Sie hat eine besondere Verantwortung. Sie stellt nämlich nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch die Mehrzahl der Ministerpräsidenten. Eine Finanzreform ohne Ergebnis wäre auch ein politischer Offenbarungseid der Union. Die Bundeskanzlerin ist als Vorsitzende der CDU besonders gefordert. ({0}) Macht ist kein Selbstzweck. Macht ist auch Verantwortung. Man kann sie nicht nur für sich selbst beanspruchen; sie muss vielmehr verantwortungsbewusst für die Allgemeinheit genutzt und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden. Die Menschen erwarten von den politisch Verantwortlichen viel. Sie werden genau beobachten, wie sich die Ministerpräsidenten verhalten und ob sie bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Auch die Ministerpräsidenten sind dem Gemeinwohl des gesamten Landes verpflichtet. Die Union hat hierbei großen Einfluss und die Menschen sind sehr gespannt, wie sie diesen einsetzen wird. In diesem Zusammenhang ist es nicht sehr hilfreich, wenn einzelne Bundesländer unter der Hand signalisieren, dass sie kein großes Interesse an einer grundlegenden Neuordnung der Finanzbeziehungen haben. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden. ({1}) So sollte man nicht in eine solche Kommission hineingehen; das muss an dieser Stelle gesagt werden. Wir sind es unserem Land schuldig, offener an das Werk heranzugehen. Kleinstaatliches Denken, fehlender Mut und fehlende Reformbereitschaft untergraben das Vertrauen der Menschen in die Politik und befördern letztlich Politikverdrossenheit. Dessen müssen sich alle bewusst sein. Die Diskussion über die Reform der Finanzbeziehungen muss nach vorne gerichtet sein. Deswegen sind Vorwürfe, wie sie der bayerische Ministerpräsident in der vergangenen Woche gegenüber Berlin erhoben hat, wenig hilfreich. Berlin weiß selbst, auch ohne Belehrung durch Herrn Stoiber, dass es dringend sparen muss. ({2}) Die Bundeskanzlerin hat es gesagt: Die Arbeit wird nicht einfach. Es gilt, ein dickes Brett zu bohren. Die Union kann aber dafür sorgen, dass das Bohren dieses dicken Brettes leichter geht. Das Arbeitsprogramm liegt vor. Ob Verschuldensgrenzen, nationaler Stabilitätspakt oder Entbürokratisierung: Die Agenda ist ehrgeizig. Die FDP begrüßt außerordentlich, dass Herr Minister de Maizière - leider kann er an der heutigen Debatte nicht teilnehmen - ausdrücklich erklärt hat, dass es bei der Themenfestsetzung keine Tabus geben darf. Herr Kollege Kuhn, die Begründung, die Sie dafür geliefert haben, dass die Grünen den Antrag nicht unterstützen können, war alles andere als überzeugend. ({3}) Sie versuchen krampfhaft, sich zu Beginn der Debatte über die Einsetzung der Kommission von den anderen abzusetzen. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Wenn man Ihre Ausführungen hört, gewinnt man den Eindruck, dass Sie Ihre eigenen Ziele nicht sehr couragiert verfolgen. Herr Minister Steinbrück, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie hier und heute eine Bundessteuerverwaltung gefordert haben. Wir werden dieses Vorhaben im Rahmen der Kommission unterstützen. Sie haben es sachlich begründet und können sicher sein, dass die FDP in diesem Punkt an Ihrer Seite ist. Wir sind bereit, konstruktiv an der Suche nach Lösungen mitzuarbeiten. Wir sind bereit, uns unserer politischen Verantwortung für das Land, für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. Die Föderalismusreform muss ein Erfolg werden. Ein Scheitern würde das Vertrauen der Menschen in Deutschland in die demokratischen Institutionen schwächen. Wir sind in diesem Sinne gemeinsam aufgerufen, die Kommission zu einem Erfolg zu führen, nicht nur Bundestag und Bundesregierung, sondern auch die Ministerpräsidenten und alle, die sich an der Föderalismuskommission beteiligen. Stellen wir uns gemeinsam unserer großen Verantwortung. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, um zunächst einmal ein wenig für das föderale Prinzip zu werben. ({0}) Denn angesichts der öffentlichen Debatten dieser Tage - Schutz von Nichtrauchern - habe ich die Sorge, dass wir die Prinzipien europäischer Verfassungstradition nicht mehr richtig begreifen oder aus dem Blick verlieren. Die Tatsache, dass ein großes Problem einer Lösung bedarf, beantwortet noch nicht die Frage, wer legitimiert ist, ein solches Problem zu lösen. Dazu muss es eine verfassungsrechtlich begründete Kompetenz geben und eine demokratische Legitimation. Es ist wahr, dass die öffentliche Meinung dazu neigt - das ist ganz allgemein so -, zu sagen: Ein großes Problem muss eigentlich auf einer hohen Ebene geregelt werden. Aber konsequent zu Ende gedacht, hieße das, dass der Nichtraucherschutz letztlich durch die UNO geregelt wird. ({1}) Spätestens dann werden wir auf ein zweites Problem stoßen: In der globalisierten Welt mit ihren großen Veränderungen und schnellen strukturellen Umbrüchen wächst ungeheuer viel Verunsicherung. Eine der Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit und die Stabilität unserer demokratischen verfassungsmäßig gebundenen freiheitlichen Ordnung ist, dass die Bürger sich in dieser Ordnung zu Hause fühlen, dass sie Orientierung finden. Das ist eine der großen Fragen; sie ist nicht leicht zu beantworten. Alle Umfragen belegen, dass die Zustimmung zu den demokratischen Institutionen nicht wächst; uns beschäftigt die abnehmende Wahlbeteiligung usw. Das ist nicht nur in Deutschland so. Ich glaube, dass es bei der Suche nach Antworten darauf vielleicht nicht falsch ist, sich an die Vorteile föderaler Ordnungen zu erinnern: Nähe der Entscheidung zu den Menschen, dezentrale Entscheidungsfindung, Machtbegrenzung und Machtverteilung sowie mehr Chancen für die Partizipation der Menschen. Deswegen bin ich ein überzeugter Anhänger der föderalen Ordnung unseres Grundgesetzes und halte sie nicht für einen Standortnachteil. ({2}) Das zu vertreten, ist manchmal schmerzlich - ich habe gerade die Debatte dieser Woche erwähnt -, aber trotzdem halte ich es für richtig. In diesem Sinne ist die Debatte über Wettbewerbsföderalismus nicht falsch: Lasst uns doch ausprobieren, wer die besseren Ergebnisse erzielt. ({3}) Dann werden die, die schlechtere Ergebnisse haben, von denen, die bessere Ergebnisse haben, lernen. Mir hat einmal der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf - ich glaube, ich darf das sinngemäß zitieren; es ist lange genug her - in einem Gespräch gesagt: Wir haben von den „Bremer Verhältnissen“ in der Hochschule - das war seinerzeit ein Begriff in der bildungspolitischen Debatte, der nicht eben als Qualitätsmerkmal aufgefasst wurde - genug und versuchen jetzt, von anderen zu lernen. - Jetzt ist Bremen ein Wissenschaftsstandort - immerhin war man mit im Rennen um die Benennung von Eliteuniversitäten - und niemand redet mehr von „Bremer Verhältnissen“. Das heißt: Der Prozess des Benchmarking kann gerade für die Schwächeren durchaus gute Ergebnisse bringen. Deswegen sollten wir ihn nicht kleinreden, sondern sagen: Es ist richtig, notwendig und nützlich. ({4}) Ich will ausdrücklich auf das Bezug nehmen, was der Kollege Steinbrück gerade gesagt hat: Die Föderalismusreform I wird in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt. Sie bedeutet eine Stärkung unserer föderalen Ordnung. Das ist aber nicht das Ende der Bemühungen; das geht schrittweise. Es ist ein mühsamer, schwieriger Prozess. Aber die Föderalismusreform ist, wie gesagt, eine Stärkung der föderalen Ordnung. Wir sollten sie richtig wahrnehmen. Wir sollten sie nutzen und auf diesem Weg vorangehen. Ein anderer Punkt ist ebenfalls klar. Wir leben in einer Zeit, in der die Haushaltsspielräume eng sind und der Widerstand gegen Veränderungen - nicht nur in den politischen Parteien, egal ob sie nun in der Opposition oder an der Regierung sind, sondern generell in unserer Bevölkerung - groß ist. Die Forderung nach Reformen wird zwar häufig erhoben, aber gegen jeden konkreten Vorschlag einer Veränderung - egal von wem er kommt gibt es zunächst einmal ziemlich viele Widerstände. Auch das ist wahr. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir insgesamt in 60 Jahren, in einer glücklichen Phase der deutschen Geschichte, viel erreicht haben und Ängste gegenüber der Zukunft zunehmen. Deswegen ist der Widerstand gegen konkrete Veränderungen immer relativ groß. Man muss also schrittweise vorangehen. Die Handlungsspielräume sind begrenzt. Deswegen kann ich es auch verstehen, dass wir bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen nur dann wirklich etwas erreichen werden, wenn wir Synergieeffekte erschließen. Natürlich wird jedes Land am Ende sagen: Wenn für uns unter dem Strich wenig herauskommt, kann ich es nicht verantworten. - Herr Steinbrück ist ja einmal Ministerpräsident gewesen; ich darf sagen: Glücklicherweise ist er es nicht mehr. ({5}) Wie Sie das „glücklicherweise“ interpretieren, ist jetzt Ihre Sache. Aber klar ist: Niemand könnte so etwas verantworten. Auch die Bundesregierung kann nicht sagen: Das ist kein Problem; das zahlt dann der Bund. - Also müssen wir schon schauen, dass wir durch Synergieeffekte zu einer besseren Zusammenarbeit kommen. Da gibt es eine Menge Bereiche, an die man in diesem Zusammenhang denken könnte. Wir könnten beispielsweise nach dem Prinzip verfahren, dass ein Land für alle anderen Länder Verwaltungsmodelle entwickelt. Es gibt beim Zusammenwirken der Verwaltungen, der Bundesverwaltung, der Länderverwaltung, der Auftragsverwaltung, große Potenziale. Durch eine bessere Organisation und Zusammenarbeit können wir uns Synergieeffekte erschließen, sodass wir am Ende die Handlungsfähigkeit unseres föderal organisierten Gemeinwesens stärken und gleichzeitig die Prinzipien von Machtteilung, Gewaltenteilung, Bürgernähe und Transparenz befördern. Denken wir beispielsweise an die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien für Verwaltungsabläufe: Da kann der Bund Dienstleister für alle sein, aber man kann genauso - das hat man in der Steuerverwaltung teilweise gemacht - verabreden, dass ein Land oder eine Oberfinanzdirektion vorangeht und die anderen es übernehmen. Wir müssen nicht gleichzeitig alles machen. Ich verstehe die Rolle des Bundesinnenministeriums in dieser Kommission ein Stück weit so, dass wir Vorschläge machen werden, mit denen wir durch Modelle effizienterer Zusammenarbeit in der Verwaltung Synergiepotenziale erschließen wollen. Wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen können, dass der Föderalismus das richtige Organisationsprinzip für unsere freiheitliche Demokratie ist und dass wir seine Leistungsfähigkeit stärken wollen, dann haben wir eine Chance, unser Land zu modernisieren und zugleich das Vertrauen und die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu seiner demokratischen Verfasstheit nachhaltig zu stärken. Das ist das Wichtigste. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Kunert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrter Herr Steinbrück, die Kommunen stehen ständig vor der Tür. Oftmals ist die Tür zu. Deshalb will ich vorab sagen: Die Linke ist ohne Wenn und Aber für starke Kommunen in diesem Land. ({0}) Die Föderalismuskommission II soll die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern modernisieren und die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und ihre aufgabengerechte Finanzausstattung stärken. Auch die Kommunen sind Gebietskörperschaften. Daher müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu geordnet werden. Außerdem treten die Kommunen im System der Finanzverfassung unmittelbar in Erscheinung. Neben dem Bund und den Ländern fließen gemäß Art. 106 des Grundgesetzes auch den Kommunen Steuereinnahmen zu. Wir fordern eine unmittelbare und umfassende Beteiligung der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände müssen mit Rede- und Antragsrecht ausgestattet werden. ({1}) Es muss bei dieser Reform um eine grundsätzliche Neuordnung der Finanzen gehen und nicht um Kosmetik. Wir wollen den Anteil der Kommunen an den Einnahmen aus den Gemeinschaftsteuern wirksam erhöhen. Derzeit beträgt dieser Anteil in Deutschland 13,2 Prozent. In Skandinavien hingegen liegt er zwischen 40 und 60 Prozent. Wir sagen: Die Verteilung der Finanzen muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Es muss auch Aufgabe der Kommission sein, eine nachhaltige Gemeindefinanzreform auf den Weg zu bringen. Wenn es aber bei der vorgeschlagenen Besetzung der Kommission bleibt, wird niemand die Interessen der Kommunen in diesen existenziellen Fragen vertreten. ({2}) Weder Bund noch Länder können dies tun. Die Interessenlagen sind viel zu unterschiedlich. Den Ländern wird es in erster Linie um ihre Finanzausstattung gehen und nicht darum, wie die Kommunen aufgestellt sind. ({3}) Das sind die „klebrigen Hände“, die Sie, Herr Steinbrück, vorhin erwähnt haben. ({4}) In der Vergangenheit haben Bund und Länder über die Kommunen hinweg Entscheidungen getroffen. Die Folge sind zum Beispiel Mehrbelastungen bei den Kosten der Unterkunft. Es ist überhaupt nicht akzeptabel, dass der Anteil, den die Kommunen an den Verwaltungskosten der Argen zu tragen haben, demnächst erhöht werden soll. Dieser Kurs zulasten der Kommunen darf nicht fortgesetzt werden. Die Bundespolitik muss sich daran messen lassen, wie gut oder schlecht sie bis in die unteren Ebenen wirkt und wie sie bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Welche zwingenden Gründe gibt es, diese Kommission nicht mindestens so zu besetzen wie die erste Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? DaKatrin Kunert mals gab es für viele hier im Haus anscheinend gute Gründe - ich darf zitieren -: Schließlich haben wir die Interessen unserer Kommunen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkung am demokratischen Prozess unsere Demokratie von unten her ausgetrocknet würde. Deswegen dürfen wir sie auch finanziell nicht austrocknen. So hat sich damals der Kollege Thierse geäußert. Dem können wir nur zustimmen. ({5}) Die vorgesehene Beteiligung der Landtage und kommunalen Spitzenverbände halten wir für angemessen. Diese Position stammt von Herrn Böhmer, dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Jetzt aber geht es um Geld. Die Kommunen sollen zwar weiterhin möglichst viele Leistungen erbringen und möglichst viel in eigener Sache entscheiden, aber die Ressourcen und das Geld dazu sollen ihnen entzogen werden. Die Formulierung, die Sie in Ihrem Antrag im Hinblick auf die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände gefunden haben - dort heißt es, dass sie „in geeigneter Weise“ einbezogen werden sollen -, ist uns nicht verbindlich genug. Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast jeder zweite von Ihnen war oder ist in einer kommunalen Vertretung tätig. Ich bitte Sie, unserem Antrag im Interesse der Kommunen zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Kröning von der SPD-Fraktion. ({0})

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der heutige Auftakt zur zweiten Stufe der Bundesstaatsreform im Deutschen Bundestag kann sich hören und sehen lassen. Mit Interesse werde ich die Debatte nachlesen, die zu diesem Thema parallel im Bundesrat geführt wird. Peer Steinbrück hat in erfrischender Weise die Themen und Beispiele aufgelistet, um die es bei den uns bevorstehenden Beratungen gehen wird. Ich schließe nicht aus - ich fürchte es sogar fast -, dass die nächste Zeit noch weitere Beispiele liefern wird. Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Struck, gegenwärtig gibt es zum Beispiel zwischen Bund und Ländern und übrigens auch zwischen Staat und Wirtschaft eine Auseinandersetzung über die Absicherung der FuEStrategie. Das ist eine praktische Frage, Herr Kollege Kuhn, um die es auch bei der Verwirklichung der Wissensgesellschaft geht. Wir werden es also ständig mit neuen Lehrbeispielen zu tun haben. Das föderale Credo von Herrn Bundesminister Schäuble, der meines Wissens noch nicht in der Landespolitik tätig war, übernehmen mein Fraktionsvorsitzender und ich sicherlich gerne. Ganz bescheiden gesagt, Herr Minister, erwarten wir im Bundesrat eine Achse Baden-Württemberg-Bremen. Es scheint einen gemeinsamen Nenner einer breiten Mehrheit in diesem Haus zu geben, was das erste Thema auf der Agenda sein wird, sowie dass wir keine geschlossene Themenliste wollen. Obenan soll es um die Prävention von Haushaltsnotlagen gehen. Ich rechne allerdings fest damit, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit den Anträgen des Saarlandes und Bremens erst beschäftigen wird, wenn es absehen kann, was der Bundesgesetzgeber auch zur Bewältigung von Haushaltsnotlagen bzw. -beinahenotlagen tun wird. Es sind bereits entsprechende Modelle genannt worden. Ich will uns Mut machen mit dem Beispiel der Schuldenbremse, die im Jahre 2001, als wir mit dem Solidarpakt II beschäftigt waren, von der Schweizer Bevölkerung mit 85-prozentiger Mehrheit gebilligt worden ist. Und sie funktioniert. Der gewachsene Föderalstaat Schweiz ist zwar klein, mit ihm kann sich die Bundesrepublik Deutschland aber am ehesten vergleichen. ({0}) Was ist das Interesse der Länder und was ist das Interesse des Bundes? Die Länder - das muss deutlich gesagt werden - sind Teil des bundesstaatlichen Finanzsystems, unabhängig von ihrer Zahl. Es ist schon zu Beginn der Föderalismusreform I bekräftigt worden, dass Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes - die so genannte Ewigkeitsgarantie - die Gliederung der Bundesrepublik in Länder festschreibt. Aber die Länder haben ein Problem - besonders in ihrem Verhältnis zum Bund, aber auch in ihrem Verhältnis zu ihren Gemeinden -: Sie haben in ihren Budgets den höchsten Anteil der Fixkosten, aber zugleich die schlechtesten Finanzierungsmöglichkeiten, erst recht wenn eine Schuldenbremse geschaffen werden wird. Es ist so viel von der Asymmetrie im Föderalismus die Rede. Die Asymmetrie besteht vor allen Dingen zwischen den Ländern, aber auch innerhalb ein und desselben Landes sowie in den jeweiligen Länderhaushalten. Während die Föderalismusreform I die Ausgabenautonomie der Länder gestärkt hat, wovon sie in der nächsten Zeit sicher Gebrauch machen werden - Berlin hat damit begonnen -, ist ihre Einnahmenautonomie bis auf die Kreditaufnahme gleich null; doch gerade die soll ja begrenzt werden. Also bleibt die Frage von mehr Steuerautonomie, die wir bereits bei der Föderalismusreform I andiskutiert haben, unausweichlich. Die Länder haben dieses Thema noch nicht in ihre Themensammlung aufgenommen; doch sie werden dieser Frage nicht ausweichen können. Es gibt auch klare Interessen des Bundes. Neben seinen Eigeninteressen hat der Bund auch gesamtstaatliche Interessen. Denn als Einzelkörperschaft ist er leichter handlungsfähig als die Ländergesamtheit, und im Außenverhältnis wird er zur Verantwortung gezogen, nicht die 16 Länder. Dazu will ich als Haushälter, der sich für das Steuergeld verantwortlich fühlt, sagen: Der Bund trägt 61 Prozent der gesamtstaatlichen Schulden; aber er bekommt nur 42,1 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Und der Gesamtschuldenstand - wir reden nicht nur von der Neuverschuldung - von Bund und Ländern, Gemeinden und Sozialkassen ist nach wie vor zu hoch, von einem Schuldenabbau ist unser Gesamtstaat noch weit entfernt! Darum muss gehandelt werden; das ist der eigentliche Grund, warum wir diese Stufe II einleiten. ({1}) Eine Seitenbemerkung zur Neugliederung der Länder, einem seit einiger Zeit nicht mehr nur außerhalb, sondern auch innerhalb des Hauses besonders beliebten Thema, kann ich mir nicht verkneifen: Man kann eine Neugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes vornehmen. Die Schwelle ist im Sinne von mehr Verantwortung der Länder gesenkt worden; mit der Wiedervereinigung ist aus einer Mussvorschrift eine Kannvorschrift gemacht worden. Debatten über die Fusion von Ländern sind scheinbar tabuisiert. Dennoch werden manche geführt, zum Beispiel die über ein Land Berlin-Brandenburg. Ich finde, jedes Land sollte im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit - das ist das Kriterium des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes - auf den Prüfstand gestellt werden. Dazu sollte jedes Land bereit sein. Jedes Land sollte sich allerdings auch fragen und in die Debatte einbringen, ob und unter welchen Voraussetzungen föderaler Fairness es sich zutraut, auf einen grünen Zweig zu kommen, das heißt, den allfälligen Strukturwandel zu bewältigen und mit den anderen Gliedern der Gemeinschaft gleichzuziehen. Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben als Beispiel das Land Bremen genannt. Hier hat sich gezeigt, dass dies nicht ohne Hilfe möglich ist. Dieser Hilfe muss man dann aber auch gerecht werden. Das ist ein mehrfaches Wechselverhältnis. Deshalb gefällt mir die Formel von Herrn Kollegen Kuhn vom fairen Wettbewerb sehr gut. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf aus der heutigen Debatte, in der nicht alles vorweggenommen werden konnte, zusammenfassen: Wir vonseiten des Bundes werden parallel zu den Ländern einen eigenen Standpunkt entwickeln. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung auf die Bank des Bundestages aufgenommen wurde. Das entwertet die Kommission, die beide gesetzgebenden Körperschaften umfasst, überhaupt nicht. ({3}) Im Gegenteil - ich erlaube mir eine etwas skeptische Anmerkung -: Ich hätte es schön gefunden, wenn auch die Länderregierungen und die Ministerpräsidenten bereit gewesen wären, die Landtage auf ihre Bank mitaufzunehmen. ({4}) Das wäre am heutigen Tage ein sehr guter parlamentarischer und föderaler Doppelauftakt gewesen. Wir werden als Bund darauf aufpassen müssen, dass wir den Gemeinden nicht zu sehr entgegentreten. Wir haben den Gemeinden in den letzten Jahren schon sehr viel Gutes getan. Die große Gemeindefinanzreform haben wir hinter und nicht vor uns. ({5}) Die Länder werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie die erste Adresse der Gemeinden sind. Die Zeitspanne des 2001 neu geregelten und 2019 auslaufenden Finanzausgleichs und die eigentümliche Norm des Art. 143 c Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes, die wir jüngst geschaffen haben - ich zitiere wörtlich: „Die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II bleiben unberührt“ -, geben uns allen Planungssicherheit. Diesen Satz richte ich vor allem an die Bundesratsvertreter in der Kommission. Angesichts dieser Planungssicherheit sollten wir uns vor einer offenen Diskussion nicht ängstigen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Debatte hat deutlich gemacht, dass es richtig war, für die Föderalismusreform II eine sehr breit gefasste und offene Themenliste vorzusehen. Ja, wir drehen damit ein sehr großes Rad; das haben wir uns vorgenommen, Herr Minister Steinbrück. Wir haben keinen Grund zu Pessimismus. Ich erinnere mich an die Einsetzung der Föderalismuskommission I. Damals waren viele, ja sogar die meisten skeptisch. Und tatsächlich: Kurze Zeit später - das war in der Vorweihnachtszeit vor zwei Jahren - ist sie gescheitert. Aber die Ergebnisse, die in dieser Föderalismuskommission I erarbeitet wurden, waren Grundlage für weitere Beratungen, erst zwischen Stoiber und Müntefering, später auch in den Koalitionsverhandlungen. Wichtig war, dass man einen langen Atem bewahrt hat. Lieber Kollege Struck, ich wünsche Ihnen und Herrn Ministerpräsidenten Oettinger, dass auch Sie in dieser Föderalismuskommission II langen Atem haben, den wir für einen Erfolg brauchen. Dr. Hans-Peter Friedrich ({0}) Wir werden - ich denke, das hat diese Debatte deutlich gemacht - drei Kategorien von Themen angehen müssen: Der erste Themenbereich umfasst Themen, die besser heute als morgen oder gar übermorgen gelöst werden müssen. Ich meine damit vor allem die Aufgabe, den Weg in den Schuldenstaat zu stoppen. Das muss noch in dieser Wahlperiode mit klaren Regelungen gelingen. ({1}) Zweitens. Es gibt Themen, bei denen wir zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern untereinander erst noch ein gemeinsames Verständnis entwickeln müssen. Dazu zählen die Bündelung von Verwaltungsaufgaben, Verwaltungsvereinfachung - Minister Schäuble hat das schon angedeutet -, Erschließung von Synergieeffekten und kritische Überprüfung von Staatsaufgaben. Das ist die zweite Kategorie, für die wir der Diskussion innerhalb dieser Kommission eine Struktur geben müssen. Zur dritten Kategorie zählen die Themen, die auf die politische Tagesordnung hier in Berlin und in Deutschland gehören. Wir wissen aber, dass wir die Probleme nicht auf einen Schlag lösen können. Ein Stichwort ist hier genannt worden, nämlich die Länderneugliederung. Wir werden mit dieser Föderalismuskommission II einen politischen Prozess bzw. zumindest eine weiterführende Diskussion anstoßen. Ich denke, dass wir Georg Paul Hefty, der in der „FAZ“ heute vor Illusionen warnt, beruhigen können. Wir werden uns nicht überheben, sondern ganz realistisch an die Dinge herangehen. ({2}) Das Ziel, die Finanzbeziehungen neu zu regeln, umfasst mehr als Grundgesetzänderungen. Grundgesetzänderungen werden aber nötig sein. Eine ist heute schon genannt worden. Mit dem Art. 115 des Grundgesetzes wurde nicht das erreicht, was man sich erhofft hatte: Die Verschuldung konnte nicht in breitem Maße gestoppt werden. An dieser Stelle brauchen wir also eine Verfassungsänderung. Dies gilt übrigens auch für andere Bereiche. Zum Beispiel müssen beim Verteilen von Geld mehr Pflichten gelten. Wir werden aber auch eine zweite Kategorie der Gesetzgebung beachten müssen, nämlich einfachgesetzliche Regelungen unterhalb des Grundgesetzes. Auch sie müssen Gegenstand der Diskussionen zwischen dem Bund und den Ländern sowie innerhalb der Länder sein. Ich denke zum Beispiel, dass mit Art. 109 des Grundgesetzes schon heute viele Möglichkeiten gegeben sind, durch Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates mehr Disziplin in der Haushaltsführung einzuführen. Wir werden also sicher darüber diskutieren müssen, auch auf der Ebene unterhalb der Verfassung Regelungen zu treffen. Die wichtigste Aufgabe ist, den Marsch in den Schuldenstaat zu stoppen. Roman Herzog, der frühere Bundespräsident, wird im „Tagesspiegel“ zitiert. Dort steht: Der öffentliche Schuldenstand von insgesamt 1 500 Milliarden Euro sei das Ergebnis der „organisierten Verantwortungslosigkeit unserer derzeitigen Finanzverfassung“. Unser Auftrag für diese Kommission ist, diese organisierte Verantwortungslosigkeit zu beenden. ({3}) Kollege Ernst Burgbacher, wir werden darüber streiten, ob wir ein generelles oder ein relatives Verschuldungsverbot einführen und ob wir Ausnahmen zulassen - wie auch immer. Das Ziel sollte uns allerdings immer vor Augen bleiben: Wir wollen, dass die Neuverschuldung der Gebietskörperschaften - Bund, Länder und Gemeinden - künftig nur noch eine Ausnahme und nicht wie heute die Regel ist. Das muss uns gelingen. Wer Schulden macht, ohne beantworten zu können, wie er sie zurückzahlt, handelt verantwortungslos, unsolide und unmoralisch - auch gegenüber den künftigen Generationen. ({4}) Die Bürger eines Landes müssen wissen, dass ihnen die Regierung, die Schulden macht, letzten Endes die Konsequenzen daraus - sie bestehen beispielsweise darin, einen handlungsunfähigen Staat zu hinterlassen aufbürdet. Letzen Endes zahlen die Bürger die Rechnung, die ihnen diejenigen, die Schulden machen, präsentieren. Wir brauchen deswegen Mechanismen, um Haushaltsrisiken vorzubeugen, sie zu erkennen und sie zu bewältigen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Berlinurteil eine klare Anweisung - sozusagen einen Handlungsauftrag, wenn ich es einmal so sagen darf - dafür gegeben, indem es gesagt hat: Das Bundesstaatsprinzip macht solche Bestrebungen - nämlich solche Mechanismen zu entwickeln angesichts der gegenwärtig defizitären Rechtslage erforderlich. Es ist unsere Aufgabe, dieses Defizit durch diese Föderalismuskommission zu beseitigen. Ich bedanke mich beim Verfassungsgericht für die Steilvorlage, die wir mit dem Berlinurteil für die Arbeit in der Kommission erhalten haben. Mit den Urteilen zur Erforderlichkeitsklausel haben wir übrigens auch schon bei der letzten Kommission Flankenschutz von dem anderen Verfassungsorgan erhalten, für den wir uns herzlich bedanken sollten. Wir brauchen noch in dieser Wahlperiode einen nationalen Stabilitätspakt, der nicht nur so heißt, sondern seinen Namen auch verdient. Wir brauchen klare Maßstäbe für die Neuverschuldung. Wir brauchen ein Frühwarnsystem für Haushaltskrisen, die den Ländern drohen. Das ist auch eine Frage des demokratischen Prinzips, der demokratischen Verantwortung: Möglichst zeitnah muss Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) jede Regierung - nicht erst die übernächste Regierung für die Schulden, die sie den Bürgern aufbürdet, zur Verantwortung gezogen werden. ({6}) Georg Milbradt, der Ministerpräsident von Sachsen, hat vorgestern in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ gesagt: Wir können es uns nicht mehr leisten, dass auf der einen Seite alle Länder auf ihre Finanzautonomie pochen und gleichzeitig die Solidargemeinschaft für hochverschuldete Länder einstehen muss. Ich stimme diesem Zitat zu. Mit anderen Worten: Wer sich beim Schuldenmachen auf Haushaltsautonomie beruft, kann sich beim Zurückzahlen von Schulden nicht auf Solidarität berufen. ({7}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit seiner Berlinentscheidung und dem klaren Hinweis, dass jedes Land für politische Entscheidungen und ihre Folgen selber verantwortlich ist, in dieser Frage Flankenschutz gegeben. Wir brauchen Sanktionsmechanismen. Ich habe jetzt in der Diskussion gemerkt, dass wir durchaus unterschiedliche Ansatzpunkte haben. Man muss entscheiden, was man will: mehr Rechte, von außen einzugreifen, oder eine stärkere Entflechtung im Hinblick auf die Solidarität. Wir werden darüber streiten, was der richtige Weg ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat Vorschläge gemacht, wie man Haushaltskrisen bewältigen und ihnen rechtzeitig vorbeugen kann. Ich nenne hier das Stichwort Stabilitätsrat. Das ist ein Thema, dem wir uns sehr zügig widmen sollten. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass aufgrund der Staatlichkeit der Länder Eingriffen von außen Grenzen gesetzt sind. Ich bedanke mich herzlich bei Bundesinnenminister Schäuble, der auf die große Bedeutung der föderalistischen Tradition unserer Verfassung hingewiesen hat. Wir haben die Staatlichkeit der Länder zu achten und müssen Rücksicht nehmen auf das, was unsere Verfassungstradition ausmacht. Ich möchte das Thema Länderneugliederung nicht vertiefen. Nur so viel: Das ist keine heilige Kuh; das muss auf die Tagesordnung. Lassen Sie mich zuletzt etwas zu den Kommunen sagen. Die Kommunen sind über Art. 28 des Grundgesetzes, aber auch als Adressaten von Finanzzuweisungen geschützt. Ich kann für meine Fraktion versichern, dass wir die Kommunen, immer wenn ihre Rechte betroffen sind, in die Diskussion, in die Verhandlungen einbeziehen werden. Wir, die Bundestagsabgeordneten der Koalitionsfraktionen, können und wollen die Interessen unserer Kommunen in der Föderalismuskommission nachhaltig vertreten. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Ich bitte um Aufmerksamkeit, damit wir die folgen- den Abstimmungen ordentlich durchführen können. - Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP mit dem Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehun- gen“. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3888? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3887? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungs- antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Jetzt kommen wir zum eigentlichen Antrag mit dem Titel „Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund/Länder-Finanzbeziehungen“ auf Drucksache 16/3885. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP- Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3539 mit dem Titel „Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und Information des Deutschen Bundestages“. Die Frak- tion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir nach der namentlichen Abstimmung noch die Mitglieder der soeben eingesetzten Kommission mittels einfacher Ab- stimmung wählen werden. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, die Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze eingenom- men? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. 1) Ich gehe davon aus, dass wir mit der Wahl der Mitglieder der Kommission fortfahren können. Deswegen bitte ich Sie, sich auf Ihre Plätze zu begeben, damit ich bei der kommenden Abstimmung einen Überblick habe. ({0}) 1) Seite 7413 A Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen. ({1}) Wir kommen damit zur Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder der gemeinsa- men Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder- Finanzbeziehungen. Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen auf Drucksache 16/3886 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenom- men. Damit sind die vom Deutschen Bundestag zu ent- sendenden Mitglieder der gemeinsamen Kommission gewählt. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Undine Kurth ({2}), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier ausweiten - Drucksache 16/3703 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern - Verbot der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Undine Kurth ({5}) und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab 2007 beibehalten - Drucksachen 16/1128, 16/839, 16/1463 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({7}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln - Drucksachen 16/550, 16/1464 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({9}), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verbot der Einfuhr von Wildvögeln - Drucksachen 16/1502, 16/2849 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth ({10}) e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({12}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle - Drucksachen 16/841, 16/3079 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Undine Kurth ({13}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen. ({14})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der letzte Debattentag vor Weihnachten. Da sich das Jahr dem Ende nähert, ist es richtig, im Bereich des Tierschutzes Bilanz zu ziehen. Was hat das Jahr 2006 für den Tierschutz gebracht? Der 1. Januar 2007 sollte der große Tag des Tierschutzes werden; denn Renate Künast hatte erkämpft, dass an diesem Tag ein Verbot der Batteriekäfighaltung in Kraft tritt. Kein Huhn in Batteriekäfighaltung ab dem 1. Januar 2007! ({0}) Es wird leider nicht so kommen; denn Bundesminister Seehofer hatte nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit den Ländern das Verbot rückgängig zu machen. Er zwingt die Legehenne für weitere Jahre in die schlimmste Form der Käfighaltung. 2006 ist also kein gutes Jahr für den Tierschutz in Deutschland. ({1}) Die Fortführung der Batteriekäfighaltung wurde übrigens schon 1999 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Deshalb ist das rückgängig gemachte Verbot ein Rückschlag. Bundesminister Seehofer hält es offensichtlich noch nicht einmal für nötig, hier anwesend zu sein, obwohl er den Weiterbetrieb unterschrieben hat. ({2}) - Es wäre gut, wenn Herr Seehofer zuhörte. 2002, vor fast genau fünf Jahren, haben alle Fraktionen in diesem Haus den Tierschutz in die Verfassung aufgenommen. Ich habe mir die Protokolle der Debatten vom Jahre 2000 und 2002 noch einmal durchgelesen und fand die Rede von Herrn Röttgen interessant. Er hat sich zum Schutz der Tiere bekannt und gesagt: Der Schutz der Tiere ist ein essenzieller Bestandteil jeder humanen Gesellschaft. Die Anerkennung der Würde der Tiere zählt zu den zivilisatorisch-kulturellen Elementen. Für die CDU/CSU sei das kein Lippenbekenntnis. Sie trete vielmehr für eine konkrete, aktiv betriebene Tierschutzpolitik ein. ({3}) Gute Worte, gute Lippenbekenntnisse! Aber ich frage mich, ob es konkreter, aktiv betriebener Tierschutz ist, wenn Legehennen so wenig Platz haben, dass sie noch nicht einmal nebeneinander schlafen oder gleichzeitig fressen können. Das ist nicht artgerecht. Deshalb muss mit der Batteriekäfighaltung in Deutschland Schluss sein. ({4}) Batteriekäfighaltung ist agroindustriell. Das eigentliche Problem ist, dass es jetzt nicht nur für Hühner gilt, sondern dass es zunehmend auch auf Schweine angewandt wird. In den neuen Bundesländern haben wir mittlerweile Schweinefabriken mit mehr als 20 000 Tieren in einem Betrieb. Das ist zu viel. Das hat mit Tierschutz nichts zu tun. ({5}) Riesige Mastanlagen mit bis zu 90 000 Tieren sind in Planung. Die Schweine werden in Deutschland auf harten Betonböden mit Spalten gehalten, durch die ihre Exkremente fallen, und in diesem Gestank leben die Schweine in Deutschland. Billige Schweine- und Putenschnitzel haben ihren Preis, gerade was den Tierschutz angeht, und das müssen wir ändern. ({6}) Auf EU-Ebene steht im nächsten Jahr die Hähnchenmast an. Der Vorschlag, den die EU hierzu unterbreitet hat, würde in Deutschland zu einer Verschlechterung führen. Es würden dann immerhin 38 Kilogramm pro Quadratmeter zugelassen, wobei ich es abartig finde, dass man, wenn man von Tieren redet, von Kilogramm pro Quadratmeter spricht. Tiere werden in Deutschland nur noch nach Kilogramm bemessen und nicht mehr nach Tierzahl. ({7}) Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was die Verbraucher tun können. Sie können mit dem Einkaufswagen entscheiden, aber sie müssen es auch können. Bezüglich der Eier gibt es mittlerweile eine Kennzeichnungspflicht. Wir sagen eindeutig: Kein Ei mit der „3“, denn das sind Batteriekäfigeier. Die Verbraucherinnen und Verbraucher halten sich auch daran, was ihr Frühstücksei angeht. Sie halten sich aber nicht beim Kauf von verarbeiteten Produkten daran, denn dort gibt es keine Kennzeichnungspflicht. Deshalb fordern wir eine Kennzeichnungspflicht auch bei verarbeiteten Produkten. Diesen Antrag haben wir eingebracht. ({8}) Bezüglich des Informationsrechts für die Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es auch das Verbraucherinformationsgesetz. Dies ist die zweite Pleite des Jahres 2006. Dieses Verbraucherinformationsgesetz ist inhaltlich schlecht, lückenhaft und lässt sehr viele Ausnahmen zu. Dieses Gesetz ist aber nicht nur inhaltlich schlecht, sondern auch juristisch falsch gemacht. Das sind keine zusätzlichen Rechte für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land. Nehmen Sie einfach den Gesetzentwurf der Grünen. Der ist gut und würde den Verbraucherinnen und Verbrauchern endlich etwas bringen. Das ist Verbraucherschutz. ({9}) Herr Seehofer hat in seiner Rede vor dem Deutschen Tierschutzbund eine Menge Redewendungen gebracht, die mit Tieren zu tun haben. Ich kann Ihnen auch eine Redewendung nennen. Herr Seehofer, bezüglich der Batteriekäfighaltung hat man mit Ihnen den Bock zum Gärtner gemacht. Das war keine gute Lösung für die Tiere. ({10}) Ansonsten zeichnen Sie sich durch eine Vogel-StraußPolitik aus. Anstatt die Initiative Hessens zum jüngsten Urteil zum Schächten aufzugreifen, in der Tierschutz und freie Religionsausübung zusammengebracht werden, stecken Sie den Kopf in den Sand und nützen nicht den Tieren in diesem Land. Ich komme zum Schluss. Wir haben auf Initiative der Grünen mit Mehrheit aller Fraktionen - dafür danke ich Ihnen - das Verbot der Einfuhr von Robbenprodukten in Deutschland beschlossen. Weihnachten ist ja die Zeit der Geschenke, und zwar auch für Tiere. Uns liegen nicht nur die Robben in Kanada und Norwegen am Herzen, sondern wir sollten auch mehr für die mehr als 100 Millionen Nutztiere in Deutschland tun. Das wäre ein Geschenk an die Tiere. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, gebe ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Beteiligung der Landtage bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform und Information des Deutschen Bundestages“ auf Drucksache 16/3539 bekannt: Abgegebene Stimmen 544, mit Ja haben 47 gestimmt, mit Nein haben 451 gestimmt, Stimmenthaltungen 46. Der Antrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 544 davon ja: 47 nein: 451 enthalten: 46 Ja DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({0}) Volker Schneider ({1}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Georg Fahrenschon Ilse Falk Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser ({7}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({8}) Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({10}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Karl Lamers ({11}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({12}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({13}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Bernward Müller ({16}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({17}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({18}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({19}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({20}) Hermann-Josef Scharf Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Christian Schmidt ({21}) Andreas Schmidt ({22}) Ingo Schmitt ({23}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({24}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({25}) Gerald Weiß ({26}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({27}) Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Wolfgang Zöller SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({28}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({29}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({30}) Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({31}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Nina Hauer Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({32}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({33}) Frank Hofmann ({34}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({35}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({36}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({37}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({38}) Michael Müller ({39}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({40}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({41}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({42}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({43}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({44}) Renate Schmidt ({45}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({46}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({47}) Swen Schulz ({48}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({49}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({50}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({51}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({52}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({53}) Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link ({54}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({55}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({56}) Martin Zeil Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({57}) Volker Beck ({58}) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({59}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({60}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({61}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Die nächste Rednerin ist Kollegin Julia Klöckner, Was bei Ihren Anträgen immer wieder fehlt, ist der ReaCDU/CSU-Fraktion. ({62})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Freunde von der grünen Fraktion haben wieder einen putzigen Antrag gestellt. Wir haben bald Weihnachten, können Wunschzettel schreiben und auch an das Christkind glauben. Frau Höhn, wenn ich Sie richtig verstanden habe, fordern Sie allen Ernstes, die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung so zu ändern, dass Angaben zur Haltungsform der Legehennen bei allen Lebensmitteln und auch anderen Produkten, die Ei als Zutat enthalten, verpflichtend vorgeschrieben werden. ({0}) Die Frage ist: Darf es sonst noch irgendetwas sein? Sie bleiben Ihren ideologischen Vorstellungen treu. Bei Ihnen gibt es nur Schwarzweißmalerei. Hennenhaltungsbetriebe, die hochtechnisiert sind, sind schlecht und deshalb sollen die Eier dieser Betriebe stigmatisiert werden. litätssinn und der Wunsch, praktikable Regelungen zu treffen. Eines finde ich noch viel trauriger: Sie sprechen von Weihnachtsgeschenken. Ihre Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in dieser Branche arbeiten, heißt: Wir möchten Arbeitsplätze vernichten. ({1}) Es ist schon schlimm, dass es trotz des härter werdenden Wettbewerbs zahlreiche Ausnahmeregelungen für Länder, die der EU kürzlich beigetreten sind, gibt. Ich nenne Tschechien, Ungarn und Slowenien. Diese Ausnahmeregelungen belasten die deutsche Produktion. Die Ausnahmeregelungen gelten bis zum Jahr 2009. Diese Länder brauchen Tierschutzstandards, die unsere Betriebe in Deutschland einhalten müssen, nicht einzuhalten. Mittlerweile kommt jedes fünfte Ei, das derzeit in Tschechien produziert wird, aus Betrieben, die die Mindeststandards des Tierschutzes nicht einhalten. Sie, Frau Künast, haben als ehemalige Ministerin diesen Regelungen bei den Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Für die deutschen Unternehmen haben Sie aber eine viel strengere Regelung gefordert. ({2}) - Doppelzüngigkeit ist das. ({3}) Sie fordern eine willkürliche Kennzeichnung auf Verpackungen. Die hätten Sie in Ihrer Regierungszeit umsetzen können. In Ihrer Regierungszeit hätten Sie die Mehrheit dafür sammeln können. Jetzt glauben Sie allen Ernstes, dass wir dem Antrag heute zustimmen. Ihnen fehlt der Realitätssinn. Selbst die EU hat 2003 Ihr Ansinnen, Frau Künast, abgelehnt. ({4}) Dieser Realitätssinn ist ein Grund, warum ich auf die EU stolz sein kann. ({5}) Haben wir keine anderen Probleme in diesem Land, als diese absurden Forderungen zu diskutieren? Konkret heißt das nämlich, dass Sie auf jeder Nudelpackung, bei jedem Kuchen, bei allen Keksen und bei allen Produkten, die Eier aus Legehennenhaltung enthalten, eine Kennzeichnung durchsetzen möchten. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich stelle mir jetzt eine Szene im Restaurant vor, wenn das panierte Schnitzel gebracht wird. Vielleicht haben Sie auch noch Vorschläge, wie man den Teller optisch gestalten könnte, damit man erkennt, welches Ei, das in der Panade ist, aus Freilandhaltung, welches aus Bodenhaltung und welches aus Käfighaltung stammt. ({7}) Sie haben einen Wunschzettel, auf dem Sie gerne noch diesbezüglich etwas aufschreiben können. Das hört sich bei Ihnen alles prima an, aber wir müssen das zu Ende denken. Das heißt nämlich, dass alle Produkte gekennzeichnet werden müssen, nicht nur Mayonnaise, Schokoküsse und Haarshampoo, sondern auch Katzenfutter. Ich bezweifle, dass es die Katze interessiert, wie das Huhn das Ei gelegt hat. ({8}) Bedenken Sie einmal den Bürokratieaufwand. Abgesehen davon, dass das nicht praktikabel ist, machen Sie keine Vorschläge, wie wir mit importierten Produkten umgehen sollen. Sie machen keine Vorschläge, wie wir die importierten Produkte überhaupt kontrollieren und letztlich rückverfolgen sollen. Für mich ist das eine klassische Inländerdiskriminierung, weil die Vorschrift auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist. Sie machen es unseren Betrieben und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland unnötig schwer. Das ist die Wahrheit. ({9}) Bei einer weitgehenden Umstellung auf Eier aus Bodenhaltung, ob auf Freilandeier oder auf Bioeier, wäre der mengenmäßige Bedarf der industriellen Verarbeiter - die Zahlen sollten Sie sich anschauen - aus diesen Bereichen gar nicht zu decken. Die Deutschen konsumieren jährlich 14 Milliarden Eier. Denken Sie doch einmal einen kleinen Schritt um die Ecke, wenn der Weg nicht gerade geht. Wenn eine Mauer kommt, rennen Sie als Grüne immer dagegen. ({10}) Sie schaffen es einfach nicht, um die Kurve zu denken. 70 Prozent der 14 Milliarden Eier, die hier in Deutschland konsumiert werden, kommen aus Legehennenhaltung; 12 Prozent kommen aus Freilandhaltung. Wenn wir Ihre Forderung umsetzten, käme es zu immensen Engpässen bei der Produktion. Wir wissen alle, wo die Eier dann herkommen. ({11}) - „Ja und?“, sagt Frau Höfken. Dann würde uns der Tierschutz außerhalb Deutschlands überhaupt nicht interessieren. Wir würden dann Eier aus Ländern beziehen, die einen viel geringeren Tierschutzstandard als wir in Deutschland haben, und das einschließlich Verbrauchertäuschung; denn der Verbraucher weiß dann noch weniger über die Herkunft der Eier als hier in Deutschland. ({12}) Sie als Grüne schieben gerne immer die Interessen der Verbraucher vor, um Ihre eigenen ideologischen Vorstellungen durchzusetzen. ({13}) Bei einer Umfrage der Verbraucherzentrale gaben 64 Prozent der Befragten an, mit den bisherigen Informationen auf den Verpackungen eigentlich zufrieden zu sein. Außerdem gaben sie an, dass sie Wert darauf legen, Informationen darüber zu erhalten, welche Inhaltsstoffe enthalten sind, die für sie möglicherweise gesundheitsgefährdend sind; das ist zum Beispiel für Allergiker sehr wichtig. Das halten auch wir für richtig. Aber seien Sie doch so realitätsnah, einzusehen, dass der Verbraucher, wenn wir noch mehr auf eine Verpackung schreiben, gar nicht mehr draufschaut und auch nicht mehr weiß, wie er damit umgehen soll. Auf eine solche Informationsflut zu verzichten, das ist richtig verstandener Verbraucherschutz; das ist besser als reiner Aktionismus. ({14}) Warum sagen Sie nicht, was Sie wirklich wollen? Sie wollen eine Haltungsform verbieten. Dazu haben Sie vor Monaten einen Antrag gestellt, der nicht durchgekommen ist. Deshalb versuchen Sie jetzt, diesen Antrag mithilfe irgendwelcher anderen fadenscheinigen bürokratischen Regelungen doch noch durchzubringen. Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Wir sind ein bisschen früher aufgestanden, als Sie glauben und als Sie es je schaffen werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne erst meine Rede beenden. Dann können Sie noch einmal nachfragen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, nach der Redezeit lasse ich keine Zwischenfrage mehr zu.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Umso besser. ({0}) Ich halte es auch für sehr wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Ihnen die Arbeitsplätze in Deutschland offensichtlich völlig egal sind. Sie verlieren kein Wort darüber, wenn man Sie fragt, wie Sie damit umgehen. Dass Tierschutzstandards in anderen Ländern viel niedriger sind, ({1}) interessiert Sie nicht. Auch wenn die Kennzeichnung im Ausland nicht durchsetzbar ist, ist Ihnen das egal. ({2}) Wir als CDU/CSU-Fraktion setzen darauf, dass der Verbraucher entscheiden soll und kann. Es ist richtig, dass er auch jetzt im Supermarkt entscheiden kann. Wir sind dafür, dass die wichtigsten Informationen gegeben werden, zum Beispiel für die Allergiker über allergene Stoffe, damit sie kein falsches Produkt greifen, oder Tabellen mit Nährwertkennzeichnung. Das machen viele Betriebe freiwillig und darin liegt ein Wettbewerbsvorteil. Darauf setzen wir. Noch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünenfraktion. ({3}) Bei der Grünen Gentechnik fordern Sie keine Kennzeichnung. Da könnten wir doch eine Kennzeichnung vornehmen! Aber weil klar ist, dass schon jetzt 80 Prozent aller Produkte gentechnisch verändert sind, fürchten Sie, dass der Verbraucher sich daran gewöhnt und Sie Ihr Schreckensszenario nicht mehr verbreiten können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich frage Sie noch einmal, Frau Kollegin: Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wird nicht dadurch besser, dass sie sich öfter meldet. ({0}) Die derzeitige Kennzeichnungsregelung führt meiner Meinung nach in die Irre. Meine Fraktion und ich sind dafür, zukünftig alle Produkte zu kennzeichnen, die gentechnisch verändert sind oder bestimmte Stoffe enthalten können. Dann sieht der Verbraucher, dass bereits 80 Prozent gentechnisch verändert sind. ({1}) Es ist keiner daran gestorben. Ich denke, das ist eine ganz klare Botschaft. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns im kommenden Jahr der Ernährung widmen. Wir werden in unserer Fraktion einen Ernährungskongress veranstalten. Mit unserem Koalitionspartner werden wir einen Ernährungsantrag stellen. Die Bundesregierung hat zugesagt, einen nationalen Ernährungsplan und einen Allergieplan mit auf den Weg zu bringen. Sie sehen, bei uns ist das Thema in den richtigen Händen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, jetzt müssen Sie zum Ende kommen.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann wünsche ich allen trotz Ihres Wunschzettels wunderschöne Weihnachtstage. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDPFraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion und ich persönlich begrüßen es, dass wir uns heute zu einer angemessenen Tageszeit - diese Debatte wird übertragen - dem Tierschutz in Deutschland zuwenden. Wir können heute eine Leistungsbilanz vorlegen und darstellen, welche gute Arbeit wir im Ausschuss geleistet haben. Weil es vielleicht den einen oder anderen gibt, der sich die Tagesordnung nicht so genau angeschaut hat, will ich einmal aufzählen, worüber wir konkret reden wollen. Wir reden über die Ausweitung der Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier, über Käfighaltung, über das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln und über das Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle. Ich glaube, viele Menschen in Deutschland bewegen diese Themen; sie sind in der vorweihnachtlichen Zeit davon durchaus berührt. Deswegen finden wir es, wie gesagt, prima, dass wir darüber reden können. ({0}) Wir als FDP begrüßen dies auch, weil wir insoweit in einer guten Tradition stehen. Herr Hirsch hat damals dafür gekämpft, den Tierschutz in die Verfassung aufzunehmen. 2002 wurde dann der Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Das war ein Erfolg. Vielleicht hat sich die Position, die den Grünen vorschwebte, nicht ganz durchgesetzt. Aber es ist besser, Fakten zu schaffen als nur Zeichen zu setzen oder Aktionismus zu betreiben. Ich denke, in dieser Kontinuität sollten wir die Dinge fortführen. ({1}) Wir müssen uns intensiv darüber unterhalten, wie wir es mit der Kennzeichnungspflicht halten. Der Antrag der Grünen geht meiner Meinung nach nicht substanziell genug mit dem Sachverhalt um. Aber wir alle, die wir in diesen Bereichen arbeiten, wissen, dass Rückverfolgbarkeit heute ein außerordentlich wichtiges Kriterium ist ({2}) und dass dadurch Verbraucherentscheidungen durchaus beeinflusst werden. Ein mündiger Verbraucher muss wissen, unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde und was darin enthalten ist. Ansonsten kann er sich nicht qualifiziert verhalten. Wir sollten also über diese Punkte reden. Auch ich finde es ein bisschen eigenartig, dass Frischeier gekennzeichnet werden müssen, dass aber verarbeitete Eier keinerlei Kennzeichnung haben. ({3}) Ich finde es auch nicht besonders glücklich, dass, wie wir alle wissen, aus Brasilien importiertes Fleisch mit dem so genannten Frischemerkmal durch das Hinzufügen von Salz und auch aufgetautes Fleisch als Frischfleisch gehandelt werden können, obwohl Frischfleisch nach Auffassung der Verbraucher in der Tat frisches Fleisch sein sollte. Ich denke, wir müssen zum Wohle der Ernährungswirtschaft in Deutschland und, liebe Julia Klöckner, im Interesse der Arbeitsplätze in diesem Bereich darüber reden. ({4}) Denn wir werden den Wettbewerb um Arbeitsplätze nur gewinnen, wenn wir in diesem Bereich Vorreiter sind. ({5}) In diesem Punkt hat Frau Künast mit ihrem Zwischenruf schon Recht, dass man manchmal etwas vorauseilend machen muss, um etwas zu erreichen. ({6}) Ich erinnere mich an Diskussionen im Ausschuss darüber, wie wir es eigentlich mit dem Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle und mit dem Verbot der Einfuhr von Wildvögeln halten. Aus dem Haus kam dann die Bemerkung, dass man das nicht national regeln könne, sondern dass es europaweit geregelt werden müsse. Jetzt hat es eine europaweite Regelung gegeben. Warum? Weil die Dänen vorher ein Verbot erlassen hatten. Die Harmonisierung musste also „durch die Hintertür“ eingeführt werden. ({7}) Weil die Dänen Vorreiter waren, ist es Gott sei Dank zu einem Verbot für die meiner Meinung nach völlig unmögliche Einfuhr von Katzen- und Hundefellen gekommen. Ich kann das nur begrüßen. ({8}) Ich denke, auch bei dem Verbot der Einfuhr von Wildvögeln müssen wir genau diesen Weg gehen. ({9}) - Es geht hier nicht um „eins zu eins“. Bei einer Eins-zueins-Umsetzung geht es um Verordnungen, die von der europäischen Ebene kommen. Hier geht es aber darum, etwas auf den Weg zu bringen, was dann in allen europäischen Ländern hoffentlich umgesetzt wird. ({10}) - Herr Kelber, das ist überhaupt kein Widerspruch. Wenn Sie die Ausschussarbeit verfolgen, dann wissen Sie, dass sich die Vertreter der Opposition in diesen Fragen zum Erstaunen des einen oder anderen fachlich zusammenfinden. ({11}) Ich finde es richtig, dass man in der Ausschussarbeit den fachlichen Aspekt in den Vordergrund stellt. ({12}) - Dass die Erkenntnis durchgreift, gilt hoffentlich auch für Ihre eigene Fraktion. ({13}) Weil es uns Vergnügen macht, darüber zu reden, will ich in Erinnerung rufen, was wir im Ausschuss alles geHans-Michael Goldmann macht haben. Wir haben zum Beispiel über die Robbenproblematik gesprochen. Mir hat sehr imponiert, was Sie von Ihrem Besuch in Kanada erzählt haben. Wir haben gehandelt. Wir haben uns beispielsweise mit dem Import von Wildvögeln und mit dem Halten von Tieren in Zirkussen beschäftigt. Dazu gab es eine hochinteressante Anhörung. Wir haben uns mit dem Halten von Tieren in Zoos beschäftigt. Ich glaube, dass jedem von Ihnen, der zurzeit in ländliche Gegenden kommt, in denen ein Zirkus untergebracht ist, und sieht, wie Zirkustiere zum Teil in ihren Winterquartieren gehalten werden, das Tierschutzherz schmerzt. ({14}) Ich finde es nicht schlimm, dass es einen schmerzt. Man muss dann aber zu den Leuten gehen und mit ihnen reden. Man muss sich kommunalpolitisch und wir müssen uns bundespolitisch dafür einsetzen, dass Verbesserungen erzielt werden. ({15}) Frau Höhn, ich finde es gut, wenn Sie eine Aktion in der Form machen: der Wal und ich vor dem Brandenburger Tor. Das ist hübsch; das hat eine Botschaft. Aber bei den Legehennen liegen Sie nun wirklich falsch. Für die Haltung von Legehennen haben wir in Deutschland eine Lösung gefunden, die ich für praktikabel halte. ({16}) Wenn Legehennen Eier legen, ist das eine Leistung. ({17}) Aber man muss vielleicht ein bisschen biologisch und tierärztlich gebildet sein, was ich Gott sei Dank bin, um zu wissen: Hühner legen nur Eier, wenn es ihnen gesundheitlich gut geht. Wenn die Eierlegeleistung in der neuen Haltungsform, in der Volierenhaltung oder der Kleingruppenhaltung, hoch ist, dann können Sie bis zu einem gewissen Grad davon ausgehen, dass diese Haltungsform der Artgerechtigkeit bei diesen Tieren nicht unmittelbar widerspricht. Frau Höhn, bei solchen Dingen sollten wir nicht irgendetwas in die Gegend blubbern und Wind in Bezug auf den Tierschutz machen, sondern konkret Problemlösungen angehen. Ich finde, dass die Lösung, die hierzu gefunden worden ist - Sie wissen, dass das nicht immer unsere Vorstellung war -, sachgerecht ist und durchaus eine Zukunftschance haben sollte. ({18}) Sie sollten nicht einfach Blindbegriffe verwenden. Die Zuhörer sind ja keine Experten. Die neue Haltungsform hat nichts mit Batteriekäfighaltung zu tun. ({19}) Das hat nichts mit agroindustrieller Wirtschaftsweise zu tun. Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch. ({20}) - Frau Höhn, das ist schlicht Quatsch. Ich bin ja mit meinem Vater seit 1954 durch die Gegend gefahren ({21}) und habe landwirtschaftliche Betriebe besucht; auch mein Vater war ja Tierarzt. Da hatten die Bauern acht bis zehn Kühe. Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich ein bisschen flapsig: Da hätte ich weiß Gott keine Kuh sein wollen. Die standen mit dem Kopf vor der Wand; es tropfte. Sie standen mit den Beinen hinten im Mist und hatten „saumäßige“ Haltungsbedingungen. ({22}) Heute haben bei uns Milchbauern in leistungsfähigen Betrieben, wo sie sich - weil sie, nebenbei gesagt, eine gute Ertragssituation haben - um die Tiergesundheit und den Status des Tieres in der Haltungsform kümmern können, 120 bis 150 Milchkühe. All diese Kühe sind nicht mehr angebunden. Diese Kühe können ihre Liegefläche wählen, wie sie wollen. Diese Kühe werden zu dem Zeitpunkt gefüttert, zu dem die Tiere es wollen. Diese Tiere haben heute einen Gesundheitsstatus, der dem in früheren Zeiten haushoch überlegen ist. ({23}) Deswegen ist es schlicht falsch, zu sagen: Eintierhaltung ist gut und Vieltierhaltung ist schlecht. Es kommt darauf an, wie die Vieltierhaltung ausgestaltet ist. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, die Frau Kollegin Höhn würde furchtbar gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das gönne ich ihr.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Goldmann, ich habe eben von der Batteriekäfighaltung gesprochen. Ich habe diese Batteriekäfighaltung auf das bezogen, was über Jahrzehnte in Deutschland üblich war und was zum 1. Januar nächsten Jahres auslaufen sollte. Können Sie bestätigen, dass die Möglichkeit der schlimmen alten Batteriekäfighaltung, die wir von vielen Bildern kennen und die viele auch in der Praxis gesehen haben - ich rede nicht von dem neuen Käfig, der aus meiner Sicht aber auch schlimm genug ist -, von der Bundesregierung und den Ländern um zwei weitere Jahre verlängert worden ist? ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist richtig, was Sie sagen: Die Möglichkeit dieser Haltungsform ist verlängert worden. Denn es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, dass man diese Haltungsform ins Ausland exportiert und wir dann die Geflügelprodukte - Fleisch und Eier - aus einem Land bekommen, wo die Haltungskriterien viel schlechter sind als bei uns. Ich will Ihnen etwas anderes sagen, Frau Höhn: Sie tun sich selbst keinen Gefallen damit, wenn Sie in diesem Zusammenhang das Wort „Käfig“ wieder so benutzen, wie es für frühere Zeiten zutraf. Sie wissen ganz genau: Der alte Käfig ist verboten. Wir sind auf dem Weg, Haltungsformen zu entwickeln, die den Tieren gerechter werden. Es gibt Versuche dazu. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind. ({0}) - Frau Höhn, Sie tun sich damit keinen Gefallen. Auch der Begriff „Schweinefabrik“ hat nichts mit der Idee des Tierschutzes zu tun. ({1}) - Nein, Frau Höhn. - Das ist eine Diskriminierung gegenüber heute notwendigen Haltungsformen. Frau Höhn, es ist schlicht falsch, anzunehmen, dass es dem Tier Nr. 36 besser geht als dem Tier Nr. 8 720 in einem Betrieb. ({2}) Es kommt darauf an, wie viel Platz das Tier hat, wie viel Licht es bekommt und welchen Futterzugang es hat. Wenn die Haltungsformen nicht tier- und artgerecht wären, könnten wir die züchterischen Erfolge überhaupt nicht erzielen, hätten keine Marktteilhabe mehr und wären im Grunde genommen auf Importe aus Ländern angewiesen, in denen ich wirklich kein Tier sein wollte; Gott sei Dank bin ich es nicht. Wir müssen uns auf das Ziel fokussieren, guten Tierschutz in Deutschland zu verwirklichen. Dafür müssen wir gemeinsam streiten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich glaube, die Zwischenfrage ist jetzt beantwortet, und ich darf die Redezeit weiterlaufen lassen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Präsidentin, meine Redezeit ist ja auch schon abgelaufen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

So ist es. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das habe ich selbst registriert. Deswegen war ich für Ihre Frage, Frau Höhn, durchaus dankbar. ({0}) Ich finde es gut, dass wir darüber reden. Lassen Sie uns gemeinsam weitermachen, damit wir viel für die Tiere erreichen. Wir sind auf einem guten Weg. Wir müssen aber vernünftig sein. Es geht nicht um Aktionismus, sondern um das konkrete Tun, liebe Frau Höhn. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-Fraktion. ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Tierschutz ist ein hohes Gut. Der Schutz der Tiere ist zwischenzeitlich auch im Grundgesetz festgeschrieben worden. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bedanken, die sich in Tierschutzorganisationen engagieren, in kleinen und großen Verbänden, die nicht nur auf lokaler und regionaler Ebene tätig sind. Ihnen gebührt unser Dank. Dieser Dank soll hier und heute von mir - ich denke, im Namen des Hauses - ausgesprochen werden. ({0}) Die Bundesregierung nimmt die Aufgabe des Tierschutzes sehr ernst und verfolgt das Ziel, ein hohes Tierschutzniveau in Deutschland zu gewährleisten und den Tierschutz weiterzuentwickeln. Das betrifft den Bereich der Rechtsprechung sowie die Berücksichtigung des Tierschutzes bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern und schließt die finanzielle Unterstützung tiergerechter Haltungsformen, die Forschungsförderung und ein intensives Engagement auf europäischer und internationaler Ebene ein. Die Bundesregierung setzt mit ihrem Engagement in den Gremien Akzente. Sie beteiligt sich an zahlreichen nationalen und internationalen Vorhaben zur Verbesserung des Tierschutzes. Das gilt hier und heute genauso wie in der Zukunft. Die SPD ist und bleibt die Tierschutzpartei. Sie setzt sich seit Jahren kontinuierlich für die Weiterentwicklung des Tierschutzes inner- und außerhalb Deutschlands ein. Wir gehen voran. Wir gehen vorwärts. ({1}) Wir stellen uns der Verpflichtung des ersten Paragrafen unseres Tierschutzgesetzes: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. In 2002 wurde - maßgeblich von meiner Fraktion vorangetrieben - der Tierschutz in Art. 20 a unseres Grundgesetzes als Staatsziel verankert. Damit wurde eine lange Diskussion über den Rang des Tierschutzes im Verfassungsgefüge endlich beendet. Dieses Staatsziel muss aufseiten der Politik bei der Gesetzgebung und aufseiten der Verwaltungsbehörden und der Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des Tierschutzrechts immer Berücksichtigung finden. Ich komme zur Verbindung zwischen Tierschutz und Verbraucherschutz. Nach dem Auftreten von BSE und zahlreichen Gammelfleischskandalen ist das gesamte Feld rund um die Ernährung kritisch hinterfragt und neu bewertet worden: von der Sicherheit und Qualität der Lebensmittel über die Produktionsprozesse und deren Auswirkungen auf Umwelt, Natur und Tierhaltung, quasi „From the Farm to the Fork“, von der Farm zur Gabel. ({2}) Tierschutz ist für uns integraler Bestandteil einer Nachhaltigkeitsstrategie, die dem vorsorgenden Verbraucherschutz Vorrang einräumt, den schonenden Umgang mit Natur und Umwelt beachtet, auf eine nachhaltig produzierende Landwirtschaft setzt und den ländlichen Raum mit seinen verschiedenen Funktionen als Lebens-, Wirtschafts-, Natur- und Erholungsraum in den Blick nimmt. Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden durch bewusste Kaufentscheidungen an der Ladentheke - darüber wurde heute schon ein wenig dissonant diskutiert - darüber, wie unsere Tiere in der Landwirtschaft gehalten und genutzt werden. ({3}) Jede und jeder hat somit die Möglichkeit, sich tagtäglich in kleinem und in größerem Umfang für den Tierschutz einzusetzen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ausreichend über die Produkte informiert sind. Mit Recht fordern sie daher von uns eine detailliertere Informationspflicht bezüglich der Produkte und der damit verbundenen Herstellungsprozesse, damit die Kaufentscheidung adäquat getroffen werden kann. Die Kennzeichnung in Deutschland ist jedoch nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen zwischen einer Vielzahl von Bio- und Ökosiegeln unterscheiden und wissen oft nicht, welche Qualitätsstandards sich dahinter verbergen. So sind Produkte, die nach der EU-Öko-Verordnung gekennzeichnet sind, mit einem Biosiegel und einem Code der Kontrollstelle versehen. Mittlerweile haben viele Supermärkte eigene Handelsmarken - das Wettbewerbsrecht verbietet jetzt leider eine Aufzählung -, unter denen sie Bioprodukte vertreiben. Einige Verbände des ökologischen Landbaus haben eigene Siegel und legen strengere Auflagen, als die EU-Öko-Verordnung vorgibt, für ihre Produzenten fest. Abhilfe für die Verbraucherinnen und Verbraucher könnte ein einheitliches europäisches Tierschutzsiegel schaffen. Dieses Tierschutzsiegel muss für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich und ihnen leicht vermittelbar sein. Selbstverständlich muss es gesetzliche Standards für die Haltung aller Tierarten festlegen. So gibt es zum Beispiel bis heute keine Regelungen für Mastgeflügel, Rinder, Schafe, Ziegen oder Kaninchen. ({4}) Die grundlegenden Kriterien für ein solches Tierschutzsiegel sollten unter anderem Bewegungsfreiraum, Einstreu, Tageslicht, Beschäftigungsmaterial, Strukturierung und auch Außenklima sein. Es hat sich - das wurde in den Reden deutlich durchaus schon Diskussionsbedarf innerhalb der Koalition aufgetan. Ich habe vorhin sehr intensiv die Rede von Frau Klöckner verfolgt. Dieses Tierschutzsiegel könnte ein weiteres Problem bei der Lebensmittelkennzeichnung lösen. Zurzeit können die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf nämlich nicht erkennen, unter welchen Bedingungen die einzelnen Zutaten für Fertigprodukte verwendet werden und wie sie hergestellt worden sind. So können - bleiben wir heute beim Beispiel der Eier - Konsumentinnen und Konsumenten von Hühnereiern zwar durch die Kennzeichnung erkennen, ob es sich um ein Ei aus Freiland- oder Käfighaltung - demnächst Volierenhaltung - handelt. Diese Kennzeichnung findet allerdings nicht bei Produkten statt, bei denen die Eier Zutat sind, wie zum Beispiel Mayonnaise, Nudeln oder Backwaren. ({5}) Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Fertigprodukte. Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft, die jetzt beginnt, hat Deutschland die Gelegenheit, dieses Thema auf europäischer Ebene aktiv voranzubringen. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung diese Pflicht sieht. Ich fordere unseren Bundesminister ausdrücklich auf, sich hierfür einzusetzen ({6}) und für die entsprechende Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sorgen. Unsere Fraktion wird hierbei selbstverständlich die größtmögliche Unterstützung geben. Den teilweisen Widerstand gegen einen besseren Tierschutz vonseiten einzelner Produzenten in der Landwirtschaft verstehe ich nicht. Gerade besserer Tierschutz als Qualitätsmerkmal kann heimischen Lebensmitteln einen Marktvorteil bringen und sichtbar machen, dass durch tierschutzgerechtes Wirtschaften Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden. Dass das möglich ist, zeigt - erneut komme ich auf die Hühnereier zurück die große Nachfrage nach Bio- und Freilandeiern, die zurzeit nicht aus der heimischen Produktion gedeckt werden kann. ({7}) An dieser Stelle möchte ich auf Folgendes hinweisen: Ich selber komme von einem Bauernhof. Wir hatten 15 000 Hühner. Ich bin mit Eiereinsammeln und der entsprechenden Arbeit durchaus vertraut. In diesem Bereich ist es möglich, viel zu tun. Jetzt hier davon zu reden, dass in diesem Bereich keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können, lehne ich ab, nicht nur aus der eigenen familiären Biografie heraus, sondern auch aus den Erfahrungen meiner Bekanntschaft, meiner Freunde und Verwandten und auch sämtlicher Nachbarn und Nachbarinnen. Kommen wir zu den Bioeiern zurück. Sie kommen zurzeit aus den Niederlanden. Ich bin der Meinung, dass unsere deutschen Bauern und Unternehmen eine Chance am deutschen und auch am europäischen Markt vertun. Ich rechne aus diesem Grunde auch mit der Unterstützung des Lebensmittelhandels für meine Vorschläge und erwarte, dass auch die Produzenten in Deutschland das ständig wachsende Marktpotenzial für Bioprodukte endlich erkennen und nutzen. ({8}) Gerade jetzt sind dazu mehrere Umfragen durchgeführt worden. Sie belegen, dass hier von einer Ausweitung und nicht von einem Rückgang gesprochen werden kann. Mit Blick auf die Arbeitsplätze und mit Blick auf die Produktion wären wir hier auf dem vollkommen richtigen Weg. ({9}) Aus verbraucherpolitischer Sicht ist mir noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die Förderung neuer und innovativer Techniken zur tierversuchsfreien Forschung. Verbraucherinnen und Verbraucher achten sehr wohl darauf, ob Produkte mithilfe von Tierversuchen getestet worden sind oder nicht. Seit 2004 ist es bereits verboten, kosmetische Mittel einschließlich ihrer Bestandteile in Verkehr zu bringen, wenn diese im Tierversuch überprüft wurden, obwohl alternative Methoden zur Verfügung stehen. Ich bin sehr dankbar, dass das Forschungsministerium nach wie vor große Förderprogramme in Bezug auf Ersatzmethoden für den Tierversuch, aber auch in Bezug auf die Vergabe von Forschungsmitteln zur wissenschaftlichen Erarbeitung von Tierversuchsersatzmethoden finanziert. Wie das funktioniert, konnten vor kurzem die Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Augenschein nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher gern solche Produkte kaufen, bei denen sie überzeugend nachgewiesen bekommen, dass sie nicht unter Verwendung von Tierversuchen produziert worden sind. Die SPD ist daher der Meinung, dass solche Forschungsvorhaben und Techniken zugleich wichtige Impulse für unseren Forschungs- und Wirtschaftsstandort geben und dass wir somit in diesem Bereich weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen können. Zu dem Antrag der Grünen möchte ich am Ende meiner Rede nur ein kurzes Wort sagen. Er ist leider ein wenig alt, zehn Monate. Ein Teil der darin enthaltenen Forderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Nutztierhaltungsverordnung für Pelztiere, ist durch Verabschiedung einer entsprechenden Vorlage im Bundesrat längst erfüllt worden. Das steht schon im Gesetzblatt. Wir haben auch dafür gesorgt, dass für kommerziell gehaltene Nerze, Iltisse, Füchse, Marderhunde, Sumpfbiber und auch Chinchillas künftig konkrete Haltungsbedingungen gelten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme hiermit zum Schluss. - Ich freue mich als Berichterstatterin für Grauwale, dass wir 2007 das Jahr der Wale und Delphine haben. ({0}) Ich freue mich ebenfalls, dass in den nächsten Tagen insbesondere Ochs und Esel, Schafe und Kamele mit Sicherheit

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie auf Kosten Ihres Nachfolgers reden.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- eine gute Haltung haben werden. - Ich bin fertig. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wäre dieser Saal hier eine Legehennenbatterie, würden an Ihrer Stelle über 17 000 Hühner sitzen. Nutzen wir den Raum bis unter die Decke - das ist die Realität in Hühnerbatterien -, ({0}) wären das fast 1 Million Hühner; 1 Million Hühner im Plenarsaal des Deutschen Bundestages dank moderner Käfigbatterien. ({1}) Hierzulande werden 43 Millionen Hühner gehalten, davon mehr als 73 Prozent in Käfigen bei Gestank und künstlichem Licht. Die Folge: zerstörtes Gefieder, kaputte Gelenke, ({2}) schwere Verhaltensstörungen. Die Tiere können nicht sandbaden, weder Gefieder noch den Kopf schütteln. Das Federkleid kann nicht geputzt, Kopf und Schnabel können nicht gekratzt werden. ({3}) Praktisch alle natürlichen Triebe werden unterdrückt. ({4}) Früher hat ein Huhn 20 Eier pro Jahr gelegt - so viel dazu, wie die Situation früher war, Herr Goldmann -, heute sind es mehr als 300. Masthühner werden heute so gezüchtet, dass sie täglich - ich betone: täglich - mehr als 50 Gramm zunehmen müssen. Normalerweise verbringt ein Huhn den Tag mit Futtersuche und Gefiederpflege. Beides ist bei konventioneller Käfighaltung nicht möglich. Langweiliges Futter und bedrückende Enge führen zu Kannibalismus und Krankheit. ({5}) Den Tieren hilft man nicht dadurch, dass man ihnen die Schnabelspitzen amputiert oder das Licht in ihrem Käfig auf ein Minimum abdimmt. Wir brauchen eine tiergerechte Geflügelhaltung, sowohl für Mast- als auch für Legehühner. Damit sind aber explizit nicht die ausgestalteten Käfige und Kleinvolieren für die so genannte Gruppenhaltung gemeint. Was so putzig klingt, bedeutet: Die Tiere können weiterhin nicht auf Sitzstangen schlafen, nicht im Sand baden und sich nicht ungestört pflegen, schütteln oder aufbäumen. Hier wird schöngeredet, was die tierquälerische Käfighaltung in Wirklichkeit ausmacht. ({6}) Zeigen Sie mir doch einmal ein Huhn, das auf der Fläche eines Bierdeckels sein Sandbad nehmen kann! ({7}) Da als ein wichtiger Grund für die Käfighaltung die Hygiene angeführt wird, sage ich Ihnen: Wir ignorieren Hygieneprobleme nicht. Aber der Tierschutz darf nicht den Kürzeren ziehen. Deshalb brauchen wir mehr Forschung auf dem Gebiet der alternativen Landwirtschaft. ({8}) Das geht natürlich nicht, wenn Sie die nötigen Mittel in diesem Bereich streichen, wie Sie es beim Institut für ökologischen Landbau getan haben, das nun womöglich vor dem Aus steht. ({9}) Wir dürfen die Menschen nicht für dumm verkaufen. ({10}) Worum es wirklich geht, ist doch leicht zu durchschauen: Die Käfighaltung soll nicht nur beibehalten, sondern wieder eingeführt werden. ({11}) Längere Übergangsfristen für Käfigbatterien sollen her, ganz im Sinne der EU-Richtlinie. Die Industrielobby wird sich bei Ihnen bedanken. ({12}) Aber ich sage noch einmal: Käfigbatterien, egal ob mit oder ohne Mobiliar, gehören abgeschafft. Das hat der Bundestag vor fünf Jahren beschlossen. Wir waren daran beteiligt. Kaputtgemacht wurde diese Regelung auf Antrag einiger Bundesländer. Ab Januar 2007 sollte ein Käfigverbot gelten. Wir unterstützen das. Dazu haben wir einen eigenen Antrag eingebracht. ({13}) Mit Einführung der neuen Käfigsysteme ist dieser Fortschritt allerdings hinfällig. Ich möchte kurz auf die Vorgeschichte eingehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Käfighaltung zu Recht schon im Jahr 1999 als nicht tiergerecht eingestuft. ({14}) Deshalb wurde die Hennenhaltungsverordnung außer Kraft gesetzt. Dazu haben wir damals im Rechtsausschuss auch eine Anhörung durchgeführt. Mein nächster Punkt. Da es auch um Wirtschaftspolitik geht - manchen Parteien geht es vielleicht nicht so sehr um den Tierschutz -, ({15}) komme ich nun auf den Import von Eiern zu sprechen. Käfigeier werden nicht nur millionenfach importiert, sie werden auch millionenfach bei uns produziert. Nun zum Thema Arbeitsplätze. In Deutschland werden in 849 Betrieben fast 29 Millionen Hühner in Käfigen gehalten. Das sind drei Viertel des gesamten Hühnerbestands. Was bedeutet das für die Hühner und für die Zahl der Arbeitsplätze? Zunächst zu den Hühnern. Ich wiederhole es: Kannibalismus, Fettleber, schwere Fußverletzungen und Knochenschwäche. ({16}) Wir meinen, das ist nicht im Sinne des verfassungsmäßigen Staatsziels Tierschutz. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass über den Daumen gepeilt ein Beschäftigter auf 40 000 Hühner in einer Legebatterie kommt. ({17}) Rechnen Sie selbst aus, um wie wenige Arbeitsplätze es also bei knapp 29 Millionen Käfighühnern geht. Hinzu kommt: Es gibt keine regionale oder Kreislaufwirtschaft. Das Futter wird importiert. Die Ställe werden aus dem Ausland geliefert, weil sie dort billiger hergestellt werden können. Geschlachtet wird an einem anderen Ort. Für die Vermarktung sind die großen Unternehmen zuständig. ({18}) Bei tiergerechter Haltung sieht das schon besser aus: Bioerzeugung führt wirklich zur Schaffung von Arbeitsplätzen. 29 Millionen glückliche Hühner bedeuten 4 800 glückliche Arbeitskräfte in den Hühnerbetrieben, eine Kreislaufwirtschaft in der Nahrungsmittelproduktion und eine Vermarktung unter Beachtung des Tierund Umweltschutzes. Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Menschen das Ende der konventionellen Käfighaltung wollen. ({19}) Wir haben hierzu einen Antrag eingebracht, mit dem wir noch einmal an Sie appellieren: Unterstützen Sie, was die Mehrheit der Bevölkerung will! Wir fordern auch ein Verbot der schöngeredeten Gruppenhaltung. Ohne Verbot, denke ich, machen Sie sich unglaubwürdig. Wir sind für Innovation und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Artgerechte Legehennenhaltung sichert und schafft Arbeitsplätze. ({20}) Werden Eier aus Boden-, Freiland- und Biohaltung angeboten, werden sie auch gekauft. Angebot und Nachfrage, ganz einfach. Wenn die Leute Eier aus Boden-, Freiland- und Biohaltung wollen, dann müssen die Tiere auch so gehalten werden. Wir haben es geschafft, dass seit 2004 auf den Verpackungen von Schaleneiern die Haltungsform und der Erzeugercode stehen müssen. ({21}) Doch auch wer Eiprodukte kauft, hat das Recht, zu erfahren, woher die Eier kommen. Den Konsumentinnen und Konsumenten wird vorenthalten, woher die Eier in Keksen, Nudeln, Kuchen usw. kommen. Ich meine, es wird Zeit, das zu ändern. In der Schweiz ist so eine Auszeichnung schon möglich. Was in der Schweiz möglich ist, muss auch bei uns möglich sein. ({22}) Tierschutz mit dem Einkaufskorb ist nur möglich, wenn sich der Verbraucher, wie es immer wieder versprochen und gelobt wird, informieren kann. Mehr als 50 Prozent der konsumierten Eier stecken in verarbeiteten Lebensmitteln - ein enormes Tierschutzpotenzial, eine vertane Chance, wie wir meinen. Übrigens kommen inzwischen besonders viele Eier aus alternativer Erzeugung aus dem Ausland. 2005 stieg der Anteil der importierten Bioeier bzw. der importierten Eier aus Bodenhaltung sehr stark. Allerdings betrifft dies nur die Schaleneier. Aus diesem Grund unterstützen wir den Antrag der Grünen. Weil wir gerade bei Geflügel sind: Auf der Arche Noah sind auch Wildvögel. Wir fordern ein Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Die EU ist der größte Absatzmarkt: 8,8 Millionen Vögel wurden während der letzten zehn Jahre in die EU importiert. Das sind weit mehr als zwei Drittel des Umfangs des weltweiten Wildvogelhandels. Bis vor kurzem wurden jährlich über 1,7 Millionen Wildvögel in die EU importiert. Deutschland war ein wichtiges Abnehmerland. So paradox es klingt: Es war die Vogelgrippe, die hier zur Rettung beitrug. Weil kranke Papageien in England daran starben, wurde die Einfuhr letztes Jahr verboten. Bis zum Jahresende können so fast 4 Millionen Vögel gerettet werden. Denn mit dem legalen Handel geht auch der illegale Handel zurück. Unzählige Vögel fallen unter das Washingtoner Artenschutzabkommen. Allein, der Handel mit geschützten Tieren ist vollkommen außer Kontrolle geraten: Für Prachtfinken, Gimpel, Stare gibt es keinerlei Handelskontrollen. Da wird gefangen und verkauft, was Flügel hat und womit man Geld machen kann. Nur 1 500 Vogelarten, die international gehandelt werden, werden erfasst und unterliegen dem Washingtoner Artenschutzabkommen. Gehandelt werden nachweisbar mehr als 2 600 Vogelarten. Um Missverständnisse zu vermeiden: Dort, wo die Natur geplündert wird, bleibt das Geld nicht. In Deutschland gibt es leider keinerlei Kontrolle der bzw. Statistik über die Wildvogelhaltung. Der Handel läuft hauptsächlich über Zooläden, Inserate und, fatalerweise, immer mehr über Tierbörsen. Ungefähr eine Dreiviertelmillion Ziervögel, geschützte und ungeschützte, sind in diesem Jahr gehandelt worden. Ich meine, da muss dringend etwas getan werden. Was bewirkt der Import von Vögeln in die EU? Allein in Mittel- und Südamerika wird ein Drittel der dort gefangenen Papageien illegal gefangen. Übrigens sind die Exportländer von Wildvögeln hauptsächlich Entwicklungsländer. Korruption und fehlende Infrastruktur machen eine Kontrolle von Zahl, Art und Versand der Wildvögel unmöglich. Aber wie wollen wir von Kontrolle reden, wenn sie auch bei uns oft nicht funktioniert? Hier muss wirklich etwas getan werden. Jetzt ist meine Redezeit fast zu Ende. ({23}) - Ich sehe, Sie sind furchtbar traurig. - Ich hätte noch das Thema Stopfleber und einige andere Dinge. ({24}) Aber da meine Redezeit dafür nicht mehr ausreicht - wir können im nächsten Jahr darüber weiterdiskutieren -, bleibt mir abschließend nur noch zu sagen: Lassen Sie sich Keule und Leber in diesem Jahr schmecken, vielleicht sogar bei einem gemütlichen Picknick in der Kieler Bucht. Dort werden zurzeit TNT und Munition entsorgt. Die Wale leiden darunter. Ich denke, auch mit diesem Thema sollten wir uns im nächsten Jahr sehr intensiv beschäftigen. ({25})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Jahr, CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Peter Jahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003560, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Deutschen Bundestag diskutieren wir heute am letzten Sitzungstag eines politisch anstrengenden Jahres in großen Redeblöcken über verschiedene Anträge. Auch zum Thema Tierschutz gibt es heute, wie man nur unschwer erkennen kann, einen wirklich großen Redeblock. Ich denke, das ist auch gut so. Obwohl die heutigen Themen sehr breit gefächert zu sein scheinen, zieht sich das Thema Tierschutz wie ein roter Faden durch alle Anträge. Deshalb gestatten Sie mir am Anfang, ein paar allgemein gültige Bemerkungen zur politischen Einordnung des Tierschutzes in unserer entwickelten Gesellschaft zu machen. Ich hoffe - das gilt insbesondere für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition -, dass ein paar meiner Schlussfolgerungen und Leitlinien auch Ihre Zustimmung finden werden. Erstens. Tierschutz ist wichtig. Dieses Thema ist kein Randthema mehr, sondern ist mittendrin in der Gesellschaft. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und bei der Bundesregierung für die engagierten Diskussionen zu dieser Problematik. Sie wissen: Es gibt auch positive Beispiele; ich erinnere nur an den so genannten Robbenantrag. Zweitens. Tierschutz ist unteilbar. Tierschutz ist global. Mit regionalen und nationalen Aktivitäten muss man sich stets global behaupten. Punktueller Tierschutz bringt wenig. Tierschutz findet in der Fläche statt. ({0}) Durch punktuelle Einschränkungen, auch wenn sie gut gemeint sind, verlagert sich das jeweilige Problem nur an andere Orte, meist dorthin, wo wir überhaupt keinen politischen Einfluss mehr haben. ({1}) In unserer gemeinsamen Welt ist der kleinste politische Handlungsmaßstab nun einmal die Europäische Union. Als Beispiel möchte ich das Thema Legehennenhaltung nennen. Natürlich können wir in Deutschland die Legehennenhaltung in Ställen generell verbieten und durch eine artgerechte Freilandhaltung ersetzen. Wie die aussieht, habe ich schon als Student gelernt: Artgerechte Freilandhaltung von Hühnern bedeutet 100 bis 150 Quadratmeter pro Henne. Die Eier dieser Hennen könnte keiner mehr kaufen, weil sie schlicht und ergreifend zu teuer wären. Wir hätten zwar die glücklichsten Hühner der Welt, aber auch die wenigsten. Wir hätten 300 000 Arbeitsplätze vernichtet und hätten - was noch viel schlimmer wäre - die nicht tierartgerechte Hühnerhaltung ins Ausland verlagert. Dort würde sie sich etablieren. ({2}) In diesem Sinne finde ich auch das Verhalten des Landes Rheinland-Pfalz, eine Normenkontrollklage gegen die Legehennenverordnung einzureichen, sehr irritierend. Staatsmännisch formuliert könnte man sagen: Das Verhalten des Landes ist wenig hilfreich und nicht zielführend. Bei aller Sympathie für die Eigenständigkeit der Länder - ich selber war zwölf Jahre lang Mitglied eines Landesparlamentes - meine ich, sagen zu können: Das Verhalten von Rheinland-Pfalz ist unsolidarisch, ({3}) vor allem gegenüber uns in der Regierungskoalition. Ich sehe vor allem zur SPD: Wir haben lange diskutiert und gerungen. Ich möchte den Landwirten an dieser Stelle zusichern: Wir stehen zu der beschlossenen Legehennenverordnung ohne Wenn und Aber. ({4}) Ich fordere die Geflügelhalter auf, die gesetzlichen Grundlagen auszuschöpfen und in die Zukunft zu investieren. Jeder hat das Recht, zu klagen, aber niemand hat das Recht, Arbeitsplätze zu vernichten. ({5}) - Frau Höhn, ich nenne gleich einen Versöhnungsaspekt. Drittens. Tierschutz ist nicht statisch. Tierschutz ist immer auf dem Weg. Das ist ein Trost für diejenigen, denen der Tierschutz noch nicht ausreicht, soll aber auch denjenigen Mut machen, die vorangehen wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema Schächten zu sprechen kommen. ({6}) Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich feststellen: Ich bin mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes hochgradig unzufrieden. Wir werden im Ausschuss noch darüber reden müssen. Ich denke, was das Schächten betrifft, sind wir auf dem Weg und noch nicht am Ziel angekommen. ({7}) Auch Führen will gelernt sein. Wer zu langsam geht, wird überholt. Das gilt in jedem Politikbereich, also auch für die Tierschutzpolitik. Michail Gorbatschow hat es 1989 auf den Punkt gebracht: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Sehr richtig. ({8}) - Das ist richtig. - Es gilt aber auch: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch. Anders formuliert: Führen heißt nicht, voranzurennen. Wer zu weit vorneweg geht, wird nicht mehr gesehen. Wer nicht mehr gesehen wird, wird nicht mehr ernst genommen. Noch schlimmer: Wer sich zu weit von der Truppe entfernt, merkt gar nicht, wenn die Truppe abbiegt oder stehen bleibt. Viertens. Beim Tierschutz soll das Tier und nicht der Mensch im Mittelpunkt stehen. Immer wieder laufen wir in den Debatten über den Tierschutz Gefahr, den Tierschutz zu vermenschlichen. Es gilt eben nicht der Satz: Wenn es dem Menschen gut geht, geht es auch dem Tier gut. Beim Tierschutz muss dieses Prinzip umgekehrt werden. Es gab einmal einen schönen Werbespruch, durch den das auf den Punkt gebracht wurde: „Ist das Tier gesund, freut sich der Mensch.“ Wie kompliziert sich der Sachverhalt darstellt, haben wir in der Anhörung zur Haltung von Wildtieren im Zirkus gemerkt. Über die Frage, was eigentlich tierartengerecht ist, wurde von den Experten sehr sach- und fachkundig, aber auch sehr kontrovers diskutiert. Fünftens. Der Verbraucher hat in der sozialen Marktwirtschaft einen entscheidenden Einfluss auf den Tierschutz, weil er für die Nachfrage sorgt. ({9}) Die meisten Dinge, die uns tierschutzpolitisch überhaupt nicht gefallen, haben oft einen wirtschaftlichen Hintergrund. Beispiele dafür sind das grausame Töten von Hunden und Katzen für die Pelzgewinnung, das Erschlagen von Robbenbabys und die Einfuhr von Wildvögeln. Das heißt aber im Umkehrschluss: Wenn es keinen Verbraucher für diese Produkte gäbe, entfiele auch die Nachfrage und damit auch das Tierschutzdefizit. ({10}) Es könnte so einfach sein, wenn wir auf Goethe hören würden: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Wir haben in der Schule immer hinzugefügt: wenn er es denn öfter tut. ({11}) - Der Nachsatz war von mir. Ich gestehe, dass das nicht mehr von Goethe war. Das sind für mich die fünf Zielkoordinaten der Tierschutzpolitik. Das Problem dabei ist: Um auf die aktuellen tierschutzpolitischen Herausforderungen angemessen reagieren zu können, müssen alle fünf Zielkoordinaten beachtet werden. Es genügt also nicht, das Problem nur zwei- oder dreidimensional widerzuspiegeln, sondern es müssen fünf Dimensionen erfasst werden. Das ist ja schon fast höhere Mathematik. Nun habe ich diese umfangreichen Vorbemerkungen nicht gemacht, um die Tierschutzpolitik in den Höhen - manche sagen auch: in den Tiefen - der komplizierten theoretischen Mathematik zu etablieren. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich wollte Ihnen erklären, worin der Hauptmangel Ihrer Anträge besteht. Man kann Ihnen aus tierschutzpolitischer Sicht nicht unterstellen, dass Sie bei Ihren Anträgen keinen rationalen Anfangsverdacht hatten. Der Hauptmangel besteht aber darin, dass die Problematik durch Ihre Anträge nur im ein- oder zweidimensionalen Raum widergespiegelt wird und sie damit für die Praxis völlig untauglich sind. ({12}) - Ich war bei der höheren Mathematik, Herr Kollege, und ich muss mich nun langsam auf das Niveau des Tierschutzes zurückbewegen. ({13}) Nun zu den einzelnen Anträgen. Mit der Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Eier hat sich meine Kollegin Klöckner umfangreich beschäftigt. ({14}) Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erkenne ich das Recht des Verbrauchers auf eine angemessene Kennzeichnung der Produkte an, andererseits muss auch ein Grundvertrauen dafür vorhanden sein, dass alle Produkte, die man kauft, den gesetzlichen Normen entsprechen. Mehr Information bedeutet nicht automatisch auch bessere Information. ({15}) Ich will nicht, dass jeder Verbraucher für jedes Produkt ein Beipackbuch bekommt, das schwerer als das Produkt selbst und dazu noch in den 25 Sprachen der EU abgefasst ist. Sächsisch habe ich vernachlässigt. Wenn man Sächsisch auch noch erfassen würde, wären das 26 Sprachen. Nicht einmal auf einem Straußenei wäre dafür genügend Platz. ({16}) Zweitens zu den Anträgen hinsichtlich der Legehennenhaltung. Wenn ich bei den Dimensionen bleibe, muss ich dazu sagen: Der Antrag der Grünen ist 2,5-dimensional und der Antrag der Linken ist eindimensional. Deshalb lehnen wir sie schlicht und ergreifend ab. ({17}) Drittens zum Antrag „Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln“. ({18}) Wir sind der Auffassung, dass wir genau das tun. Wir führen die Tierschutzpolitik im Rahmen der fünf Zielkoordinaten energisch und zielgerichtet fort. Der Antrag ist überflüssig. Die Lösung aller wichtigen Probleme ist entweder in aktueller Bearbeitung oder auf dem besten Wege bzw. bereits gefunden. Ich verweise hier auf die Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses. ({19}) Viertens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Das Anliegen stößt bei mir auf ein gewisses Verständnis, aber der Vorschlag ist vor allem rechtlich unausgewogen. Auch hier muss man die globalisierte Welt berücksichtigen. Im Jahr 1997 wurden aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EUKommission gegen Deutschland nationale Einfuhrregelungen für nicht europäische Wildvögel gestrichen. Es gilt aber: Tierquälereien, die beim Fang, bei der Haltung und beim Transport auftreten, müssen konsequent bekämpft werden. Fünftens zum Antrag auf Verbot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen. Das Anliegen ist verständlich. Handlungseinheit ist hier die Europäische Union. Inzwischen ist es die erklärte Absicht der EU, ein Verbot des Imports von Hunde- und Katzenfellen in die EU zu beschließen. Lassen wir die Regierung arbeiten! Sie arbeitet gut. Ich habe volles Vertrauen, dass sie dieses Problem in der nächsten Zeit löst. Gestatten Sie mir ein Schlusswort. Zum Jahresende blicke ich auf ein Jahr als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück. Ich habe in meiner tierpolitischen Jungfernrede im Februar 2006 - damals noch unter Beifall von rechts und links; so steht es im Protokoll - gesagt: Die Größe einer Nation lässt sich daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt. Dieses Zitat wird Gandhi zugeschrieben. In der Advents- und Vorweihnachtszeit werden häufig Geschenke verteilt. Tun wir das doch auch an dieser Stelle! Ich erinnere an den interfraktionellen Antrag zu den Robben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, auch ich hätte gerne ein Geschenk von Ihnen. ({0})

Dr. Peter Jahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003560, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Wenn wir tierschutzpolitische Wünsche und Ansprüche mit der unmittelbaren Realität verbinden, gelingt es uns, gemeinsam sehr viel Konkretes für das Tier zu erreichen. Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und gesegnete Advents- und Weihnachtszeit. ({0}) Ich danke der Präsidentin für ihre Toleranz. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/ Die Grünen.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Wir reden hier über Tierschutz. In unserer Gesellschaft gibt es ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum Tier: Auf der einen Seite ist es von innigster Liebe, auf der anderen Seite von brutaler Ausbeutung gekennzeichnet. Ich möchte nicht noch einmal auf das Thema Legehennenhaltung eingehen. Eines möchte ich Ihnen, Frau Klöckner, aber doch sagen: Auch ein so genanntes Nutztier ist ein Mitgeschöpf. ({0}) Man wird dem Thema Tierschutz in keiner Weise gerecht, wenn man es lächerlich macht. ({1}) - Ich hatte den Eindruck, dass Sie es lächerlich machen. Ich frage mich, ob Ihnen und uns allen in diesem Saal bewusst ist, dass es beim Thema Tierschutz auch um politische Zuverlässigkeit bzw. um Politikverdrossenheit geht. ({2}) Anders ausgedrückt: Wir müssen darüber reden, warum heute leider so viele der politischen Klasse nicht mehr so recht etwas Gutes zutrauen. Spätestens seit der Aufnahme des Staatszieles des ethischen Tierschutzes ins Grundgesetz wissen wir, für wie viele Menschen der Undine Kurth ({3}) Tierschutz ein ganz wichtiges, emotionales Thema ist. Im Jahr 2002, vor der Bundestagswahl, haben Sie alle das akzeptiert und haben für die Aufnahme ins Grundgesetz gestimmt. ({4}) Und was kommt nun? Wir müssen mit Fug und Recht davon ausgehen, dass all diejenigen, denen wir mit dieser Entscheidung versprochen haben, etwas für den Tierschutz zu tun, nun von uns erwarten, dass in diesem Bereich etwas passiert. ({5}) Ein Gesetz hat, wenn wir nicht für seine Umsetzung sorgen, keinen Nutzen. Darüber hinaus - da werden Sie alle sicherlich meiner Meinung sein - schadet es auch dem Rechtsverständnis unserer Gesellschaft. Man muss sagen: Das Markanteste, was im letzten Jahr beim Thema Tierschutz in den Köpfen geblieben ist, ist leider die Verlängerung der Käfighaltung durch die Hintertür. ({6}) - Ich sage, das war das Markanteste. Ich möchte die Erfolge, zum Beispiel bei den Robbenfellen - Bärbel Höhn hat davon gesprochen -, nicht in Abrede stellen. Ich freue mich über jeden einzelnen Fortschritt; denn jede einzelne Verbesserung für jedes einzelne Tier ist wichtig. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass noch vieles dringend zu tun ist. Ihnen, Herr Minister, und der Bundesregierung fehlt offensichtlich die Handlungsbereitschaft. Diese Anmerkung ist nicht nur im Hinblick auf Minister Seehofer, der immer als Erster angesprochen wird, wichtig; das ist auch eine Frage für das Justizministerium, für das Wirtschaftsministerium und für das Innenministerium. Offensichtlich muss man noch einmal darauf hinweisen, dass Tierschutz eine Querschnittsaufgabe ist. ({7}) Damit komme ich zu unseren Anträgen. Das erste Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Der Inhalt dieses Antrags ist schon mehrfach zur Sprache gekommen. Dabei geht es zunächst um das große Problem der Tierquälerei. Denn die 1,76 Millionen importierten Vögel bedürfen eines Fangs von 3,5 Millionen Tieren, weil die Hälfte der gefangenen Vögel schon im Ursprungsland stirbt. Insofern ist das sowohl ein Tierschutzproblem als auch ein Artenschutzproblem. Auf die Zusammenhänge mit der Vogelgrippe ist bereits hingewiesen worden. ({8}) - Wir sind uns einig. Das freut uns auch. Ich hätte es fast vergessen, Herr Goldmann: Ich wollte mich bei Ihnen für Ihre sehr sachliche und argumentative Rede bedanken. Das war nach der Rede Ihrer Vorgängerin wohltuend. ({9}) Trotzdem war die Koalition nicht in der Lage, diesen Antrag zu befürworten. Wir sollten nicht mehr über das Engagement der Bundesrepublik beim weltweiten Biodiversitätsschutz reden, wenn wir nicht einmal bei einer so klaren Faktenlage imstande sind, zu handeln. Das zweite Beispiel ist das Verbot der Einfuhr von Katzen- und Hundefellen. Es wäre zu wünschen, dass sich die SPD als Tierschutzpartei profiliert und dem Antrag zustimmt. Denn es gibt genug Belege dafür, wie brutal die Bedingungen sind, unter denen die Tiere gehalten und getötet werden. Es gehören sehr gute Nerven dazu, sich diese Bilder anzusehen. Wir haben nichts weniger gewollt, als dass die Bundesrepublik dem Beispiel anderer Staaten folgt und ein Verbot der Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen und -häuten erlässt. Wir wollten eine Kennzeichnungspflicht für verarbeitete Pelze, damit die Verbraucher und Verbraucherinnen die Chance haben, sich gegen solche Produkte zu entscheiden. ({10}) Im Mai dieses Jahres sind dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Müller 130 000 Unterschriften für dieses Anliegen übergeben worden. Es war aber wieder Fehlanzeige. Sie verkriechen sich hinter der Aussage, dass eine EU-weite Regelung notwendig sei. Aber nach der EU kommt dann noch die WTO und irgendwann sind wir im intergalaktischen Raum. ({11}) Wann sind wir bereit, hier in diesem Land zu handeln? Es muss doch möglich sein, dass wir definieren, was in diesem Land für uns verbindlich gelten soll bzw. welche Normen und Regelungen wir uns hier geben wollen. ({12}) Nehmen Sie die Wählerinnen und Wähler ein einziges Mal so ernst wie die Vertreter der Landwirtschaft und der Wirtschaftslobby! Das wäre sehr hilfreich. ({13}) Trauen Sie den Menschen in diesem Land Urteilsvermögen zu! Dann würde es Ihnen vielleicht auch leichter fallen, endlich das notwendige Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände einzuführen. Es bleibt sehr viel zu tun. Der Handlungsbedarf reicht vom Schächten bis zu Tierversuchen. Das wissen wir. Es ist bereits angesprochen worden. Der Sachverstand der Tierschutzverbände würde Ihnen sicherlich dabei helfen, das Problem zu bewältigen. Dass sie sich bereits mit der Frage befasst haben, was im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene zu tun ist, geht aus einem Memorandum hervor, das ich Ihnen, Herr Minister, gerne stellvertretend für andere Stellungnahmen der Undine Kurth ({14}) Tierschutzorganisationen übergeben möchte. Denn wir haben einen großen Handlungsbedarf. Danke schön. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries von der SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Umweltpolitiker in der heutigen tierschutzpolitischen Debatte zum Thema Artenschutz - genauer gesagt: zum Wildvogelschutz - sprechen darf. Wir debattieren heute unter anderem über den Antrag der drei Oppositionsfraktionen, in dem ein generelles Verbot des Imports von Wildvögeln auf EU-Ebene gefordert wird. Wir werden diesen Antrag ablehnen, obwohl ich der Auffassung bin, dass die Meinungsunterschiede beim Thema Wildvogelschutz insgesamt nur sehr gering sind. ({0}) Der beste Beleg für diese Behauptung ist, dass die FDP und die Linke gemeinsam einen Antrag eingebracht haben. Das ist sonst eher die Ausnahme, Herr Goldmann. Ein weiterer Beleg ist, dass die Grünen, die jetzt ein EU-Verbot des Imports von Wildvögeln unterstützen, erst nach dem Regierungswechsel 2005 ihre Meinung zur Umsetzbarkeit eines solchen Vorhabens geändert haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in der gesamten Zeit, als das Landwirtschafts- und das Umweltministerium unter Ihrer Führung gestanden haben, ist von Ihnen keine Initiative für ein Verbot des Imports von Wildvögeln ausgegangen. Ich verstehe Sie. Denn trotz aller Einigkeit im Grundsatz stellt sich die Umsetzung eines EU-weiten Importverbotes als äußerst schwierig dar. Worin besteht Übereinstimmung? Welche Probleme gibt es? Wir alle wollen nicht, dass sich gefährliche Krankheiten wie die Vogelgrippe über Wildvögelimporte nach Europa ausbreiten. Wir alle wollen nicht, dass Wildvögel auf dem Transport vom Ursprungsland nach Europa qualvoll zugrunde gehen. Wir alle wollen auch nicht, dass zahlreiche Vogelarten durch die unkontrollierte Entnahme von Wildfängen in ihrem Bestand gefährdet werden. Das Problem ist die konkrete Umsetzung. Ich möchte drei Aspekte ansprechen. Erstens. Die Forderung nach einem generellen Einfuhrverbot ist mit der Konvention über die biologische Vielfalt nicht vereinbar. Die Grundsätze der Konvention verwehren den Ursprungsländern den Verkauf von Wildtieren so lange nicht, wie dieser nachhaltig ist und sich am Vorsorgeprinzip orientiert. Zweitens. Ein nationales Besitz- und Vermarktungsverbot im Hinblick auf alle Wildvögel, wie es im vorliegenden Antrag gefordert wird, verstößt gegen geltendes EU-Recht. Drittens. Auf der Ebene der Europäischen Union gab und gibt es keine Mehrheit für ein generelles Verbot der Einfuhr von Wildvögeln. Es gibt darüber hinaus einen aktuellen Anlass, warum wir den Antrag ablehnen. Die Bundesregierung hat sich auf EU-Ebene sowohl im Rat der Agrarminister als auch im Rat der Umweltminister dafür eingesetzt, dass auf wissenschaftlicher Grundlage geprüft wird, ob und wie eine Verbesserung im Bereich des Wildvogelhandels erreicht werden kann. Im Auftrag der EU-Kommission hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Ende Oktober dieses Jahres entsprechende Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen sind inzwischen in eine Entscheidungsvorlage der EU-Kommission zur Neuregelung der Bestimmungen für den Import von Wildvögeln eingeflossen, die spätestens im Frühjahr 2007 verabschiedet werden soll. Bis dahin gilt das EUweite Importverbot. Die geplante Neuregelung wird zu einer deutlichen Einschränkung der Wildvogelimporte in die EU führen. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Artenschutz in den Ursprungsländern sowie zur Tiergesundheit und zum Tierschutz. Was sieht die Beschlussvorlage der Kommission zum Wildvogelhandel vor? Erstens. Der Handel mit Wildvögeln wird auf Zuchttiere beschränkt. Wildfänge dürfen in Zukunft nicht mehr in die EU eingeführt werden. Gerade das Verbot des Imports von Wildfängen ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Fortschritt für den Artenschutz. Ich würde mich freuen, wenn dieser Ansatz auch bei anderen Tierarten, insbesondere bei Fischen und Reptilien, weiterverfolgt würde. ({1}) Bedauerlich ist, dass die EU-Kommission dieses Verbot allein auf seuchenrechtliche Grundlagen gestützt hat. Als Umweltpolitiker hätte ich mir hier eine stärkere Betonung artenschutzrechtlicher und artenschutzpolitischer Aspekte gewünscht. Zweitens. Die nachgezüchteten Wildvögel dürfen nur aus zugelassenen Zuchtstationen in sicheren Drittländern importiert werden. Sichere Drittländer sind diejenigen Staaten, aus denen auch Geflügel und Eier in die EU eingeführt werden dürfen. Aktuell sind dies Australien, Neuseeland, Teile von Brasilien, Chile, die USA, Kanada, Israel, Kroatien und die Schweiz. Drittens. Andere Länder können die Aufnahme in die Liste der zugelassenen Exportländer beantragen. Diese Länder müssen allerdings strenge Auflagen bezüglich der Tiergesundheit, der Bauweise der Zuchtstationen, der kontinuierlichen tierärztlichen Überwachung und der Dokumentation erfüllen. Viertens. Durch Fußringe oder die Implantierung von Mikrochips sowie eine entsprechende Dokumentation wird in Zukunft eine individuelle Identifizierung der Zuchtvögel gewährleistet. So soll sichergestellt werden, dass zwischen Wildfängen und Nachzuchten unterschieden werden kann. Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich die Naturund Tierschutzverbände eine weiter gehende Regelung gewünscht hätten. Dennoch bin ich der Auffassung, dass eine europaweite Lösung, die mit internationalem Recht vereinbar ist, einen ersten, aber wichtigen Fortschritt beim Artenschutz, im Bereich des Tierschutzes und bei der Bekämpfung der Vogelgrippe darstellt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein frohes Fest. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tiere sind Mitgeschöpfe. Sie sind keine Objekte. Wir tragen Verantwortung insbesondere für die Tiere, die in unserer Obhut sind. Aus diesem Grunde meine ich, dass Tiere nicht auf den weihnachtlichen Gabentisch gehören. Wir haben für sie Verantwortung und dürfen sie nicht wie Sachen verschenken. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. ({0}) Auch aus diesem Grunde hatte sich die FDP - lange und inzwischen erfolgreich - für die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung eingesetzt. Der Tierschutz ist unteilbar. Um jeden Quadratzentimeter mehr Platz für Hühner wurde hier gekämpft. Das hat die bisherige Debatte hauptsächlich bestimmt. Aber wie verhält es sich mit anderen Tieren? Zum Beispiel erlaubt die EU-Ökoverordnung die Anbindehaltung von Kühen bis 2010. Ist das eine tiergerechte Haltung von intelligenten Tieren wie beispielsweise Rindern? Wurde nicht im Jahre 2003 die Anbindehaltung insbesondere von Pferden verboten? Warum nicht auch bei Rindern? Warum, Frau Kollegin Bulling-Schröter, machen Sie nicht auch einmal Tierschutz vor Ihrer Haustür? Das Ganze ist insbesondere in Bayern ein Problem. ({1}) Der bayerische Minister Miller kämpft dafür, dass die Anbindehaltung von Kühen beibehalten wird. Wir, Herr Minister Seehofer, fordern Sie auf, dies nicht zuzulassen; denn dies widerspricht dem Tierschutzgedanken. ({2}) Tierschutz ist unteilbar. Das heißt, artgerechte Tierhaltung ist sehr viel mehr, als nur über den Platzanspruch von Tieren zu sprechen. Eine art- und rassengerechte Ernährung ist Voraussetzung für das Wohlbefinden von Tieren. Wir alle wissen, beide, Dackel und Bernhardiner, sind Hunderassen. Gleichwohl wissen wir auch, die Futterportionen für den Dackel lassen den Bernhardiner verhungern. Das leuchtet unmittelbar ein. Sehr ähnlich ergeht es Tieren von Hochleistungsrassen, Hühnern oder Kühen, wenn sie nach den Regelungen von Ökoverordnungen gefüttert werden. Für die Biomast - das müssen wir anerkennen - sind deshalb nur langsam wachsende Tierrassen geeignet und nur diese dürfen dort gehalten werden. ({3}) - Wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr Kollege Herzog, dann tun Sie das. - Schnell wachsende Tierrassen müssen entsprechend ihrem Nahrungsbedarf gefüttert werden. Alles andere ist Tierquälerei. Ansonsten haben wir Mortalitätsraten zwischen 30 und 50 Prozent, was dem Tierschutz widerspricht. ({4}) Der Energiegehalt sowie der Gehalt an Aminosäuren im Futter von Schweinen und Geflügel müssen bedarfsgerecht sein. Deshalb ist es nicht entscheidend, ob Methionin von gentechnisch veränderten Organismen stammt, sondern es ist entscheidend, dass die Methioninversorgung ausreichend ist; denn Tierschutz hat Priorität und nicht die Bekämpfung der Gentechnik. ({5}) Es ist völlig überzogen, wenn unter dem Deckmantel des Umweltschutzes für bekannte und sichere chemische Stoffe komplizierte Prüfverfahren mit aufwendigen Tierversuchen gefordert werden, ohne dass ernsthafte Risiken abgeklärt werden müssen. Tiere leiden, aber ein Gewinn an Sicherheit wird nicht erzielt. Tierversuche sind nur dann gerechtfertigt, wenn es um die biologischen Leistungen eines ganzen Organismus geht. ({6}) Impfen statt Töten ist ein Gebot des Tierschutzes. Im Zuge der Bekämpfung der Vogelgrippe sind bis jetzt 200 Millionen Tiere getötet worden. In Südkorea waren es in der vergangenen Woche 700 000 Tiere. Das erneute Auftreten dieses Virus erinnert daran, dass wir noch lange mit der Vogelgrippe zu rechnen haben und dass die Entwicklung eines Markerimpfstoffes vordringlich ist, damit wir vorbeugend impfen können. ({7}) In Kassel-Witzenhausen wurde vor wenigen Monaten das Fachgebiet „Biologisch-dynamische Landwirtschaft“ ins Leben gerufen. Kaum ist die vormalige FDPWissenschaftsministerin Ruth Wagner nicht mehr im Amt, wird dort biologisch-dynamischer Schabernack getrieben. „Erleuchtung durch die Gurke“ titelte der „Spiegel“ seinen Bericht über den Fachbereich. ({8}) Mehr Tierschutz erreichen wir nur ({9}) durch seriöse Agrarforschung, aber nicht durch Vergraben von Kuhhörnern zum Beispiel im Acker. Deswegen fordere ich Sie auf, solchen Spuk zu beenden. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die letzte Debatte über den Tierschutz vor Weihnachten. Ich wünsche Ihnen frohe Festtage. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Hans-Heinrich Jordan, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei einem Gespräch fragte mich vorhin ein Kollege etwas blauäugig: Warum wird diese Diskussion heute und nicht zu Ostern geführt? ({0}) Ich muss ehrlich sagen: Nach dem, was ich von Frau Höhn gehört habe, hätte ich mir diese Debatte auch lieber zu Ostern gewünscht; denn dann hätte Frau Höhn bereits gewusst, dass wir zum 1. Januar 2007 einige Veränderungen im Bereich der Batteriekäfighaltung vorgenommen haben und dass bereits einiges auf dem Weg ist. ({1}) Frau Höhn, es verbindet uns ja aber einiges mehr als das von mir eben Dargestellte. Die heute anstehenden Vorlagen sind ein Ergebnis einer langwierigen politischen Diskussion, die von ideologischen Vorurteilen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und vielen anderen Einsichten und Standpunkten geprägt ist. Da kommen wir vielleicht zu dem, was uns eint, nämlich das Geschöpf in der Schöpfung zu ehren. Das in Art. 20 a des Grundgesetzes festgelegte Staatsziel ist unsere gemeinsame Richtschnur, Frau Höhn. Unsere Gesellschaft steht in der Verantwortung, die Vielfalt in unserer Flora und Fauna zu schützen und zu erhalten. ({2}) Dabei geht es nicht zuletzt darum, dass der Tierschutz seine Voraussetzungen in der Gesundheit und in dem Wohlbefinden unserer Tiere finden muss. Seit langem gilt das Wort: Gesundheit ist nichts, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. ({3}) Dies gilt nicht nur für den Menschen, sondern vor allem auch für die von uns gehaltenen Tiere. Deshalb ist die im Frühjahr beschlossene Rechtsnorm zur Legehennenhaltung in Kleingruppen ein wesentlicher Fortschritt im Vergleich zur Käfighaltung. Unsere deutsche Norm liegt bei weitem über dem Standard der EU-Mindestanforderungen. Tierschutz im Rahmen der Nutztierhaltung ist ab Januar 2007 ein wesentlicher Maßstab für die Gewährung von Beihilfen an landwirtschaftliche Betriebe. Sie ist Gegenstand von Cross-Compliance-Kontrollen. Tiergesundheit ist die ausschlaggebende Größe für Leistungen von Tierbeständen und fordert als Maßstab eine artgerechte und durch Wissenschaft begründete Haltung. Dies darf und kann kein Tummelplatz von Ideologie und Verklärung sein. Mit der ab Januar 2007 gültigen Rechtsnorm zur Legehennenhaltung hat der Gesetzgeber Voraussetzungen geschaffen, dass durch die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit mehr als 40 000 Arbeitsplätze bestandssicherer werden. Die Übergangsfrist von zwei Jahren, die die Umrüstung bestehender Anlagen ermöglicht, bietet die Chance, dem hohen Wettbewerbsdruck durch ausländische, günstiger gestellte Anbieter auf dem europäischen Markt standzuhalten. Wir wollen nicht durch neue Forderungen Gefahren für Standorte heraufbeschwören. Es kann nicht rechtens sein, nach planwirtschaftlichen Maßstäben Betriebsformen, Betriebsgrößen oder gar Arbeitsplatzzahlen gesetzlich zu normieren. Wir haben Vielfalt nicht nur in der Natur zu fördern, sondern auch in der Volkswirtschaft und in der Gesellschaft. Derartige Vorgaben sind nicht frei von Ideologie und ziehen unverantwortliche Bürokratie nach sich. Aus den Erfahrungen des letzten Winters mit der Vogelgrippe wird deutlich, dass ein sehr unterschiedliches Gefahrenpotenzial in den verschiedenen Haltungsformen steckt. Unbestritten ist derzeit, dass auch deutlich negative Aspekte bei der Freiland- und Bodenhaltung auftreten. ({4}) In Form von Kannibalismus und durch höheren Infektionsdruck werden sie von Wissenschaft und Praxis nachgewiesen, zuletzt von der Hochschule für tierärztliche Wissenschaften in Hannover. Der mühsam errungene Kompromiss bei der Kleinvoliere ist eine Alternative zur Tierhaltung in Großbeständen von bis zu 6 000 Stück in einer Gruppe bei der Freiland- und Bodenhaltung. ({5}) Kleine Gruppen von bis zu 30 oder 60 Stück in Volieren sind gesundheitlich wesentlich weniger belastet. Das bedeutet geringeren Einsatz von Pharmaka und eine höhere Leistung. Das viel gelobte System der Schweiz zeigt, dass dort nur 50 Prozent des Eigenverbrauchs hochsubventioniert produziert werden und der Rest aus sonstiger Haltung aus dem Ausland kommt. ({6}) Schweden war eines der ersten Länder mit Käfighaltungsverbot und machte nun eine Kehrtwendung von 180 Grad auf die EU-Norm zu. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Kleingruppe ist aus tierphysiologischer und tierpsychischer Sicht weniger stressbelastet. Aus den genannten Gründen halte ich es für Wettbewerbsverzerrung und irreführend, Eier und Eiprodukte aufgrund der Haltungsform qualitativ zu differenzieren. ({7}) Sie mögen schmunzeln: Ei ist Ei, ohne wissenschaftlich begründbaren herkunftsbezogenen Unterschied ({8}) - das ist vielleicht aus Ihrer Sicht so - in der biologischen Zusammensetzung und ernährungsphysiologischen Qualität. ({9}) Wir stehen unzweideutig zum Verbraucherschutz. Das beinhaltet auch den Schutz vor Manipulation und Irreführung. ({10}) Gesunde Tiere bringen gesunde Produkte und Tiere mit Wohlbefinden bringen hohe Leistung; Sie wissen das, Herr Goldmann. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Notwendigkeit des Kampfes gegen Bürokratie sind wir uns alle einig. Ich kann mir praktisch nicht vorstellen, wie bis zum letzten Produkt ein Nachweis der Haltungsform machbar sein soll. ({12}) Dies geht nur mit einem Höchstmaß an Belastung für den Erzeuger und für den Verbraucher. Deshalb kann man der Vorlage der Grünen zur Kennzeichnung von Eiprodukten keinesfalls zustimmen. ({13}) Werte Kolleginnen und Kollegen, zum wiederholten Mal hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen einen Gesetzesantrag zum Einfuhrverbot von Katzenund Hundefellen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Es ist völlig unstrittig, dass in dieser Angelegenheit politischer Handlungsbedarf besteht. Die Europäische Kommission hat vor mehr als einem halben Jahr angekündigt, bis zum Jahresende ein EU-Importverbot von Katzen- und Hundefellen umzusetzen. Dies ist eindeutig ein weiter gehender Schritt, weil er die Chance bietet, dass das Problem europaweit geregelt wird. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese europäische Initiative. Die Kommission hat am 20. November 2006 den Import- und Exportverkauf sowie das Verkaufsverbot von Katzen- und Hundefellen für die EU als Verordnung auf den Weg gebracht. ({14}) - Das ist doch positiv. - Dieses Vorgehen ist effizient und richtig. Schon jetzt zeigen die Unterschiede - das ist das, was uns unterscheidet, Herr Goldmann - in den einzelstaatlichen Verboten eine Störung des europäischen Binnenmarktes. Mit einem einheitlichen EU-Verbot der Vermarktung und des Handels mit Katzen- und Hundefellen werden wir eine eindeutige Rechtslage und gleiche Bedingungen in der Gemeinschaft schaffen sowie unnötige Hindernisse im Binnenmarkt beseitigen. ({15}) Da wir einmal dabei sind, Herr Goldmann, noch ein Wort an die Adresse der FDP, die den Antrag der Grünen ja unterstützt. Sie pflegen das Bild, Weltmeister im Bürokratieabbau zu sein. Wie oft wurde uns hier vorgeworfen, wir würden mit der Umsetzung von EURichtlinien die Bürokratie noch weiter aufblühen lassen. ({16}) Ein von Ihnen gefordertes bzw. unterstütztes nationales Gesetz zum Einfuhrverbot von Katzen- und Hundefellen, welches in naher Zukunft ein Gesetz der EU nur substituieren würde, bedeutet ein Vielfaches mehr an Bürokratie. ({17}) Die CDU/CSU-Fraktion ist angesichts der breiten Übereinstimmung über alle Parteigrenzen hinweg sehr zuversichtlich, dass das Europäische Parlament und der Rat dem entsprechenden Verordnungsentwurf zügig zustimmen werden. Sehr geehrte Damen und Herren, auch unter Würdigung der Aspekte des Tierschutzes stimmen wir völlig überein, dass die Einfuhr von Wildvögeln aus NichtEU-Staaten uns zum Handeln zwingt. Die Gefahren der Einschleppung

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ja, ein paar Sekunden noch - von Wildtierkrankheiten stellen uns vor die Aufgabe, Maßnahmen einzuleiten. Wir sind sehr gut beraten, wenn wir auch hier den EUVorgaben und -Richtlinien folgen und die Initiative und das gemeinsame Vorgehen seitens der EU unterstützen. Als Letztes wünsche ich Ihnen alles Gute für Weihnachten, ein gesundes neues Jahr und gute Zusammenarbeit im Jahr 2007. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird wieder deutlich: Tierschutz verbindet mehr, als er trennt. Unserer ethischen Verantwortung sind wir uns alle bewusst. Das Ziel, das wir erreichen wollen, haben alle in diesem Hause fest im Blick; nur der Weg dorthin ist strittig. Es ist aber gut, dass man sich in einem Parlament über den Weg streitet; denn ein Streit bewirkt in der Regel einen vernünftigen Kompromiss. Unter diesem Aspekt sehe ich auch die Regelungen im Bereich der Hennenhaltung. Wir haben unendlich lange gestritten. Eigentlich hätten wir schon viel früher einen Kompromiss erreichen können. Natürlich gibt es auch Stimmen, die von einem Rückschritt sprechen. Aber ich glaube, mit unseren Regelungen liegt Deutschland immer noch erheblich über dem EU-Standard. Angesichts anderer Produktionsbedingungen - Stichwort „Verbraucherschutz“ - ist die Herstellung von Eiprodukten bei uns weiterhin gesichert. Dass die Versorgung deutscher Haushalte mit Eiern von Hennen aus Bodenhaltung oder aus Freilandhaltung gewährleistet ist, ist aufgrund der gegenwärtigen Entwicklung unstrittig. Angesichts der jetzigen Vorgaben kann man davon ausgehen, dass für die etwa 30 Prozent der Hennen, die jetzt noch in den alten Käfigsystemen gehalten werden, das ab 1. Januar 2007 nicht mehr der Fall sein wird, weil diese Systeme ab diesem Zeitpunkt verboten sind. Wir werden uns relativ schnell dem Ziel nähern, 50 Prozent der Hennen in Bodenhaltung zu haben. Wenn wir uns die Entwicklung in diesem Bereich anschauen, dann erkennen wir, dass von 1990 bis 2005 der Hennenbestand in Deutschland von 53 Millionen auf 36 Millionen gesunken ist. Das hat natürlich Gründe. Der Selbstversorgungsgrad hat sich in allen Bereichen der Produktion von fast 100 Prozent auf 70 Prozent verringert. ({0}) - Frau Höfken, Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aber ich möchte Sie bitten, ansonsten nicht dazwischenzureden. Wenn man nicht mehr in Deutschland produziert, dann muss man sich über die veränderten Bedingungen bei der Hygiene im Klaren sein. Wenn man sich im Rahmen des Baselineverfahrens zum Salmonellenmonitoring die Länder anschaut, in denen produziert wird, dann muss man feststellen, dass in diesen Ländern zwischen 60 bis 80 Prozent aller Bestände hochgradig mit Salmonellen befallen sind. ({1}) - Bei uns ist das auch ein Problem. - Aus dem Grunde gilt es, die Bedingungen der Tierhaltung in allen Haltungssystemen im Hinblick auf die Gesundheit der Tiere zu harmonisieren und die entsprechende Forschung voranzutreiben. Vom Bundesrat wurde ein Maßgabeschluss formuliert; er wird von der Koalition unterstützt. Man kann hinterher zustimmen oder ablehnen. Dieser Beschluss besagt, dass gerade die Forschung in diesem Bereich verstärkt werden muss. Das konnten wir zur Zeit der rotgrünen Regierung nicht umsetzen. Man kann jetzt einen Grundsatzstreit führen. Ich habe dazu an gleicher Stelle schon eine Bemerkung gemacht. Das Problem der einen Haltungsform ist die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit durch die Drahtkäfige. Das Problem der anderen Haltungsform heißt Koprophagie, das bedeutet, dass Hühner ihre Ausscheidungen fressen. Damit gibt es in bestimmten Haltungsformen auch ganz spezifische Risiken und Erkrankungen. Daher ist je nach Haltungssystem der Einsatz bestimmter Medikamente notwendig. Im Bereich der Boden- und Freilandhaltung brauchen wir daneben ein extrem gutes Herdenmanagement. Wenn man als einziges Kriterium für Tierschutz die Mortalität heranzieht, dann muss man Folgendes beachten: In den jetzigen Haltungssystemen und unter kontrollierten Bedingungen liegt die Mortalität bei 2 Prozent, in den konventionellen Systemen zwischen 6 und 8 Prozent. Bei der Boden- und Freilandhaltung kann sie im Regelfall zwischen 12 und 18 Prozent betragen. ({2}) - Betragen kann und es auch tut. Schauen Sie sich die Verlustzahlen an! Sie sind abhängig von der Größe und dem Management. Wenn wir demnächst nur noch Hühner in Freilandhaltung in Größenordnungen von bis zu 5 000 Hennen produzieren wollen, soll das in Ordnung sein. Rechnen Sie sich einmal die Zahl der Betriebe aus, die wir brauchen, um unter optimalen Managementbedingungen zu produzieren. Das wäre wünschenswert, ist aber nicht real. Das System der Freilandhaltung oder auch der Bodenhaltung bedingt natürlich einen erheblichen tierschutzrelevanten Eingriff an dem jeweiligen Huhn. Das heißt, ich muss dem Huhn einen Tastsinn rauben. Dieser ist im Oberschnabel und im Unterschnabel beheimatet. Damit kann das Huhn Partikel in der Größenordnung von 0,2 Millimeter sortieren. Das kann es, wenn ich seinen Schnabel gekürzt habe, nicht mehr. Dieses Schnabelkürzen ist in dem System, so wie es jetzt ausgestaltetet ist, nachweislich nicht notwendig. Das heißt, dass unter diesen Voraussetzungen eine Abwägung vorzunehmen ist, was tierschutzgerechter ist und in welcher Haltung Tiere in ihrer Empfindung besonders beeinträchtigt werden. Ob die Möglichkeit des Flatterns gegeben sein muss oder nicht, darüber streitet sich die Wissenschaft natürlich weiterhin. Wer sich zum Beispiel die Umweltbelastungen verschiedener Produktionsformen anschaut, erkennt ganz klar, dass es erhebliche Unterschiede gibt. Das hat natürlich mit Genehmigungsprozeduren und -verfahren und auch damit zu tun, dass man nicht einfach von der Käfighaltung auf die Bodenhaltung umstellen kann. Wer das versucht, hat aufgrund emissionsschutzrechtlicher Bestimmungen unter Umständen das große Problem, in einem angemessenen Zeitraum eine Genehmigung dafür zu bekommen. Das ist unbestritten so. Dies ist und war in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen so. Dies gilt auch für andere Bundesländer. Aus diesem Grunde sollte man eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Ich glaube, dass das in Form des gegenwärtigen Kompromisses auch passiert ist. Vergleichen wir einmal die Flächenvorgaben. Beim alten System ist pro Henne quasi eine Fläche eines DINA4-Blattes vorgesehen. Dieses System ist ab 2007 nur noch aufgrund einer Übergangsregelung und mit der definitiven Erklärung darüber zu betreiben, was ich als Hühnerhalter bis 2008 tun will. Wenn ich dies nicht tue, muss ich die Hühnerhaltung aufgeben. Das ist zwingend; daran führt kein Weg vorbei. Im Hinblick auf die normale Bodenhaltung, bei der circa 800 Quadratzentimeter pro Huhn und pro Quadratmeter neun Hennen festgelegt worden sind, kann sich jeder Folgendes ausrechnen: Das sind pro Huhn etwa 1 100 Quadratzentimeter. Wenn ich dann im Rahmen von Bodenhaltungssystemen Etagensysteme habe, liege ich bei 18 Hennen pro Quadratmeter pro Huhn bei einer Fläche von 555 Quadratzentimetern. Vergleicht man das mit dem alten System, sieht man, dass die Differenz nicht mehr allzu groß ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, die vorhin von Ihnen erwähnte Kollegin Höfken würde jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. Ich freue mich schon. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß, dass alle nach Hause wollen. - Nachdem ich mir das alles angehört habe, möchte ich trotzdem feststellen: Ich habe ein Plädoyer dafür gehört, dass möglichst alles so bleibt, wie es einmal unter der Käfighaltung war. Ich will Ihnen folgende Frage stellen: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass erstens die bisherige Politik in diesem Bereich dazu geführt hat, dass der gesamte Wirtschaftsbereich inzwischen nicht mehr in den Händen der bäuerlichen Geflügelhaltung ist, sondern ausschließlich in den Händen einer Industrie mit sehr wenigen Arbeitsplätzen und höchster Konzentration im gewerblichen und industriellen Bereich, dass zweitens die Verlustzahlen, die Sie erwähnen, zwar durchaus möglich sind, in gut geführten Betrieben aber nicht auftreten, und dass es drittens gut wäre, wenn Sie dafür sorgen würden, dass es in diesem Bereich intensive Ressortforschung gibt, um zum Beispiel in der Züchtung zu erreichen, dass es im Sinne von umwelt- und tiergerechten Formen bessere Rassen gibt? Ich denke aber auch an die Wettbewerbsfähigkeit. Es könnte ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für die heimische Wirtschaft sein, tiergerecht zu produzieren, statt im Gegenzug - das tun Sie jetzt offensichtlich - ausgestaltete Käfige, die bei allen Berechnungen, die man anstellen kann, überhaupt nicht mit der Käfighaltung in Drittländern wettbewerbsfähig sind, zur Norm zu machen. Damit verspielen Sie einerseits den Tierschutz und die Chance, die sich daraus bietet, und schädigen andererseits den Wettbewerbsstandort.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Ihrer ersten Feststellung stimme ich zu. Nennen Sie mir ein Land, in dem in entsprechender Größenordnung Eier produziert werden, wo das nicht so ist und wo die Politik vor Ort eine entsprechende Entwicklung verhindert hat. Ich kenne keines. Das gilt sowohl für die USA als auch für unsere benachbarten Länder Holland und Belgien. Von idealen Strukturen träumen kann man. Unter bestimmten Bedingungen kann man sich eigene Vermarktungssysteme schaffen, in denen man eine höhere Wertschöpfung erzielen kann. Dann kann man auch mit kleineren Systemen zurechtkommen. Betriebe und Unternehmen aus dem ökologischen Bereich können Märkte schaffen, die vom Verbraucher honoriert werden. Wenn das geschieht, ist das sehr lobenswert. Das muss nachhaltig unterstützt werden. Zur zweiten Frage. Sie haben gar nicht zugehört. Ich habe gesagt, dass der Maßgabebeschluss die Vorgabe enthält - wenn Sie ihn gelesen hätten, wüssten Sie das -, bezüglich aller Systeme vermehrte Forschung zu betreiben. Diese Vorgabe wird ja auch zwingend umgesetzt. Fragen Sie doch den Herrn Minister. Er hat große Anstrengungen unternommen, um die Forschung, insbesondere im Zusammenhang mit dem so genannten Tierschutz-TÜV, voranzutreiben. Wir werden schauen, wie das weitergeht. Ich freue mich schon auf die Ergebnisse. ({0}) Ich hoffe, dass wir diese Ergebnisse nach Europa tragen können; denn ich halte das für ein System, das sich europaweit gut etablieren ließe. ({1}) Zum dritten Punkt. Sie liegen mit Ihrer Vermutung falsch. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, die Systeme nicht als Gegensätze zu diskutieren. Wir müssen die wissenschaftliche Erkenntnis berücksichtigen und dürfen nicht emotional, aus dem Bauch heraus, diskutieren. Wir müssen Systeme auf der Basis von Indikatoren - was ist tierschutzgerecht und was ist weniger tierschutzgerecht? - entwickeln. Wir müssen dafür sorgen, dass in Zukunft nur noch tierschutzgerechte Systeme zugelassen werden. Das ist Konsens und entspricht der Ausrichtung des Maßgabebeschlusses; denn ab 2010 wird es - das ist hervorragend - einen Tierschutz-TÜV geben, ab 2012 wird es nur noch zugelassene Haltungssysteme geben und ab 2020 überhaupt kein System mehr, das nicht zugelassen ist. Das ist ein Erfolg, mit dem wir in der EU an der Spitze stehen. Das werden Sie, Frau Kollegin, doch wohl nicht bezweifeln, oder? ({2}) Ich fahre mit meiner Rede fort, auch wenn der ICE des Kollegen Goldmann um 13.13 Uhr abfährt. Das tut mir Leid. ({3}) - Sie werden den Weihnachtsmann nicht verpassen, Herr Kollege Goldmann, da bin ich mir ganz sicher. Es gäbe sicherlich noch einiges zu bemerken, zum Beispiel zu dem Normenkontrollverfahren, das von Rheinland-Pfalz angestrebt wird. Das ist ein abstraktes Verfahren. Es bezieht sich nicht auf die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz; in ihm werden zunächst Verfahrensmängel gerügt und es bezieht sich inhaltlich auf § 2 des Tierschutzgesetzes, der schon Grundlage des Urteils zur Hennenhaltung war. Das ist zu prüfen. Es ist jeder Landesregierung vorbehalten, ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht in Anspruch zu nehmen. Aus Respekt vor unserem Grundgesetz übe ich daran auch keine Kritik. Über den Zeitpunkt kann man zwar streiten, das lasse ich jetzt aber einmal dahingestellt. In Rheinland-Pfalz werden immerhin 613 000 Hühner gehalten; sprich: 1,7 Prozent aller Hühner in Deutschland. 70 Prozent davon werden in Käfigen gehalten. Angesichts dessen ist sicherlich noch einiges zu tun. Wichtig ist mir vor allen Dingen Folgendes. Ich möchte Sie bitten, ein bisschen aufmerksam zu sein. Viele von Ihnen werden im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Schächten von hoch motivierten Bürgerinnen und Bürgern E-Mails erhalten haben. Sie werden aber auch einige E-Mails erhalten haben - sie stehen im Zusammenhang mit einer Kampagne -, die ganz klar einen antisemitischen oder antiislamischen Hintergrund haben. Davon sollten wir uns hier ganz klar und deutlich distanzieren. ({4}) Dieses Urteil ist zunächst einmal zu akzeptieren. Auf die Begründung und auf die Auswertung müssen wir warten. Aber es ist nicht zweckdienlich, dieses Urteil zu instrumentalisieren. Wenn es notwendig ist, werden wir die gesetzlichen Möglichkeiten im Rahmen des Tierschutzgesetzes nutzen, um den Vorgang des Schächtens in einer Art und Weise zu regeln, die den Verfassungsnormen entspricht, aber natürlich auch den Normen, die wir üblicherweise an den Umgang mit Tieren stellen. Dieses Spannungsfeld müssen wir mit einer entsprechenden Regelung lösen. Ich glaube, das wird uns gelingen. Noch einmal eine kurze Bemerkung zu dem, über das hier heute Morgen schon diskutiert wurde: Wildtiere in Zirkussen. Die Anhörung dazu haben wir bereits durchgeführt. Die Schlussfolgerungen daraus müssen noch gezogen werden. Bei über 1 000 Verstößen zwischen 2000 und 2002 fordere ich, dass die Leitlinien zumindest in eine Verordnung umgewandelt werden, dass das Zirkusregister uns entsprechend schnell zur Verfügung gestellt wird und dass Zirkusse nur noch dann Wildtiere beherbergen dürfen, wenn sie eine dauerhafte Betreuung durch Fachtierärzte und damit entsprechende Standards nachweisen. Für andere Verfahren, zum Beispiel Ersatzvornahmen und Wegnahmen, müssen wir eine Regelung mit den Ländern finden. Ich glaube, dann können wir diesen Bereich etwas beruhigen. ({5}) Wie alle anderen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, danke auch ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. All den guten Wünschen, die von den anderen Kollegen, die heute Morgen gesprochen haben, geäußert wurden, schließe ich mich an, vor allen Dingen denen in Bezug auf Weihnachten und Neujahr. Hinsichtlich der Geschenke, Frau Höhn, handhabe ich es wie folgt: Ich habe meinem Hund, sozusagen als Geschenk für die Tiere, schon vor einiger Zeit einen grünen Knochen geschenkt und daran kaut er noch heute. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3703 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 22 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/1463. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1128 mit dem Titel „Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern - Verbot der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner der SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen der Linken angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/839 mit dem Titel „Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab 2007 beibehalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/1464 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/550 mit dem Titel „Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2005 auf Drucksache 15/5405, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 22 d. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2849 die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der FDP, Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1502 mit dem Titel „Verbot der Einfuhr von Wildvögeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 22 e. In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3079 empfiehlt der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/841 mit dem Titel „Einfuhrverbot für Katzen- und Hundefelle“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union ({1}) in der Region Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 ({2}) und 1564 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004 - Drucksachen 16/3652, 16/3845 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({4}) Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({5}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/3846 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Michael Leutert Alexander Bonde Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die humanitäre Katastrophe im sudanesischen Darfur ist ein afrikanisches, aber auch ein weltpolitisches Armutszeugnis. Am vergangenen Dienstag hat Kofi Annan in einer Dringlichkeitssitzung des UNMenschenrechtsrates in Genf noch einmal dazu aufgerufen, der Gewalt in Darfur endlich ein Ende zu setzen. Wir alle wissen: Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf. Letzten Mittwoch hat der Menschenrechtsrat erstmals seit seiner Gründung eine einstimmige Sudanresolution verabschiedet, die der algerische Botschafter als Hoffnung für Afrika bezeichnet hat. Danach wird eine hochrangige UN-Delegation die Lage vor Ort unabhängig untersuchen und auf der vierten Sitzung des Menschenrechtsrats im März 2007 Bericht erstatten. Wir haben uns freilich mehr von den Beratungen des Rates erwartet. Trotzdem müssen wir festhalten: Wenigstens die schon lange geforderte Kommission wird installiert. Es bleibt die Frage, ob Khartoum der Überleitung von AMIS in eine VN-Mission - so wie es der VN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1706 vorsieht - doch noch zustimmen wird. Derzeit steht ja auch eine „Hybridtruppe“ aus UN und AU zur Diskussion. Immerhin ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen uns heute aber mit dem beschäftigen, was derzeit politisch möglich und praktisch vor Ort umsetzbar ist: Das ist die Peacekeeping-Mission „AMIS“ der Afrikanischen Union, deren Verstärkung dringend geboten ist. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 3. Dezember 2004 beteiligt sich die Bundeswehr an der AU-Mission. Es geht dabei um logistische Hilfe und insbesondere um den Lufttransport der AU-Soldaten. Unsere Soldaten leisten hervorragende Arbeit. Ihnen gelten unser Respekt und unsere Anerkennung. ({0}) Diese jetzt zur Entscheidung anstehende Unterstützung der AU-Mission dürfte wohl kaum in der Kritik stehen. Sie ist die konsequente Fortsetzung des Einsatzes unter den gleichen völkerrechtlichen Bedingungen wie bisher. Der Einsatz von bis zu 200 Soldaten wird für einen Zeitraum von sechs Monaten 800 000 Euro kosten. Wenn dieser bescheidene Beitrag dazu führt, dass der Auftrag der AU-Soldaten auch im Hinblick auf humanitäre Hilfsleistungen erfüllt werden kann, dann hat er sich gelohnt. Dass wir uns insgesamt eine in Wirkung und Ausrüstung verbesserte AU-Mission wünschen, steht dabei außer Frage. Ziel ist und bleibt es, den Friedensprozess im Sudan zu fördern. Das Darfur Peace Agreement und die AU-Mission sind wichtige Bestandteile dieses Prozesses. Deshalb stimmt meine Fraktion dem vorliegenden Antrag zu. Die AU-Mission braucht unsere Unterstützung. Im Kongo war es uns möglich, trotz aller Risiken dabei zu helfen, den Start in eine hoffnungsvollere Zukunft zu wagen. Wir hoffen, dass dies auch im Sudan gelingt. Es bedarf allerdings enormer Kraftanstrengungen aller Interessengruppen, um für die Konfliktherde in den unterschiedlichen Regionen tragfähige Lösungen zu erzielen. In der letzten Woche hatte ich im Sudan die Gelegenheit, mit Vertretern aus Darfur und Khartoum zu sprechen. Alle meine Gesprächspartner drückten ihre Hoffnung aus, dass sich auch jene wieder am Dialog beteiligen, die dem Darfur Peace Agreement bislang nicht zugestimmt haben. Deutschland genießt im Sudan einen guten Ruf. Es wäre zu überlegen, ob die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine entsprechende Initiative startet. Wir brauchen mehr diplomatische Initiativen, um den Friedensprozess im Sudan zu fördern. Viele Zahnräder müssen ineinander greifen, damit sich im Sudan stabile Verhältnisse entwickeln können. Die AU-Mission ist eines davon. Deshalb sollte der Antrag der Bundesregierung von einer großen Mehrheit dieses Hauses getragen werden. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marina Schuster, FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich vorweg: Meine Fraktion wird dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung zustimmen. ({0}) Ich bin der Meinung, die Situation vor Ort verpflichtet dazu. Frau Irber hat gerade ausgeführt, wie die Lage vor Ort ist. Die AU-Mission soll das Waffenstillstandsabkommen überwachen. Aber es gibt keinen Waffenstillstand, geschweige denn eine Entwaffnung. Vielmehr kommt es auf allen Seiten zu einer Bewaffnung. Die Konfliktlage ist unüberschaubar und es gibt kein wirkungsvolles Darfur Peace Agreement. Dass die AU nicht sehr stark sein kann, liegt sowohl am Mandat selbst als auch an seiner mangelhaften Ausstattung. Heute schützt die AU die Region vor dem freien Fall. Aber sie wird in zunehmendem Maße auch selbst zum Ziel von Angriffen. Dabei handelt es sich auch um Angriffe verzweifelter Menschen, die sich nicht ausreichend beschützt fühlen. Ich frage: Was bedeutet das eigentlich sowohl für die Menschen vor Ort als auch für uns im Hinblick auf das African-Ownership-Konzept, das gleich bei seiner ersten großen Bewährungsprobe Gefahr läuft, diskreditiert zu werden? Wie dringend der Handlungsbedarf nicht nur deswegen ist, zeigt auch ein Blick in die Region. Denn am Horn von Afrika, in Somalia, droht zwischen der Übergangsregierung und den islamischen Gerichtshöfen ein Stellvertreterkrieg von einem Ausmaß, das wir überhaupt noch nicht auf dem Schirm haben. ({1}) Ich war in der letzten Woche in Addis und kann Ihnen berichten. Im Westen des Sudans greift der Darfurkonflikt längst auf den Tschad und auf die Zentralafrikanische Republik über. Wir reden hier über nicht weniger als über die drohende Destabilisierung einer ganzen bedeutenden Region. In den Gesprächen, die ich im Rahmen der African Union in Addis geführt habe, wurde deutlich: Wir brauchen einen regionalen Ansatz, wenn wir dort dauerhaft für Stabilität sorgen wollen. Das zweite klare Votum war: Neben der dringenden Herstellung der Sicherheit für die Menschen brauchen wir ein Darfur Peace Agreement, das von allen Parteien getragen und implementiert wird. ({2}) Aber wie bringen wir die Verhandlungspartner wieder an einen Tisch? Wie will die Bundesregierung hier im Rahmen ihrer Doppelpräsidentschaft tätig werden? Staatsminister Erler hat gestern im Auswärtigen Ausschuss einen kenntnisreichen Bericht zur Lage in Darfur abgegeben. Aber im Kern lief dieser Bericht darauf hinaus, dass Deutschland weder direkt auf Khartoum noch auf die Rebellengruppen entscheidenden direkten Einfluss ausüben kann. Aber was tut die Bundesregierung dann? Die kritische Frage, die Herr Erler nicht beantwortet hat, ist: Wie nehmen wir China in die Verantwortung? Denn China hat einen beachtlichen Einfluss auf Khartoum. Bei meinem Besuch im Außenministerium in Khartoum sagte man mir: „China is our friend for decades.“ Das ist für uns nicht neu: China deckt 9 Prozent seiner Ölimporte aus dem Sudan. China ist der größte Investor und versorgt die sudanesische Regierung mit Devisen, Personal, Krediten - und wohl auch direkt mit Waffen. Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung in der Darfurfrage auf China direkt Einfluss nimmt. ({3}) Welchen Einfluss möchte Deutschland nehmen, wenn es darum geht, Druck auf die Konfliktparteien auszuüben? Herr Jung, ich möchte wissen: Unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag, eine Flugverbotszone einzurichten, um zu unterbinden, dass sudanesische Antonows die eigenen Dörfer unter Feuer nehmen? Oder sollte ich besser fragen, wer in der Bundesregierung diesen Vorschlag unterstützt. ({4}) Erleben wir in dieser Frage erneut, wie bereits in der Vergangenheit, komplett verschiedene Meinungen? Im „Morgenmagazin“ vom 28. November sagte der Verteidigungsminister, dass sich deutsche Truppen einer Verantwortung nicht entziehen werden. ({5}) Der Außenminister wurde in der „Frankfurter Rundschau“ am gleichen Tag wie folgt zitiert: Die Entsendung europäischer Kampftruppen in den Darfur sehe ich jedoch nicht: Dass nur sie das erreichen können, was afrikanische Truppen bislang nicht geschafft haben, ist eine gefährliche und, wie ich finde, auch arrogante Illusion. ({6}) Ich frage angesichts dieser Statements: Was ist Ihre Strategie? Einigkeit herrscht bei Ihnen nicht. Leider herrscht auch international keine Einigkeit. Wenn wir heute mit Nachdruck ein entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft fordern, dann weil hier noch nicht alles getan wurde, gerade politisch. Wir wissen natürlich, dass es unter den P5 im Sicherheitsrat in den entscheidenden Fragen auch keinen Interessenausgleich gibt. Doch die unermessliche Katastrophe in Darfur verpflichtet uns alle an einem Strang zu ziehen, die wir uns auf die Achtung der Menschenwürde und das friedliche Zusammenleben der Völker verständigt haben. Erlauben Sie mir am Ende zwei grundsätzliche Bemerkungen, die die langfristige Strategie betreffen. Ich begrüße ausgesprochen, dass die Kanzlerin Afrika auf die Agenda unserer G-8-Präsidentschaft gesetzt hat. Doch wie passt das zur Ausstattung unserer Botschaften in Afrika? Wie sollen unsere Botschaftsangehörigen die Arbeit vor Ort leisten bei einer Personalausstattung, die von den chinesischen Botschaften um ein Vielfaches übertroffen wird?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt, wie sich Mitglieder der Bundesregierung zu einem Einsatz in Darfur geäußert haben, und versucht, daraus einen Widerspruch abzuleiten. Da würde mich interessieren, wie die Haltung der FDP dazu ist.

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke ganz herzlich für Ihre Frage, weil sie mir eine gute Gelegenheit gibt, darauf einzugehen. Die Sache ist die: Wir entscheiden heute über die Verlängerung des Mandats zur Unterstützung von AMIS. Wenn die Bundesregierung einen Darfurantrag vorlegt, werden wir über ihn in unserer Fraktion ausgiebig und ausführlich beraten. ({0}) Doch eine solche Entscheidung steht jetzt nicht an. ({1}) Der Punkt ist einfach der: Wir wollen nicht nacheifern mit einer Militärangebotspolitik. Wenn ein Antrag für ein entsprechendes Mandat vorliegt, werden wir weitersehen. Im Moment geht es aber darum, das AMIS-Mandat um ein halbes Jahr zu verlängern. Ob wir uns das wünschen oder nicht, dieser Antrag liegt heute vor. ({2}) Ich komme zur letzten grundsätzlichen Bemerkung. Welche Pläne hat die Bundesregierung für die langfristige Zusammenarbeit mit der AU beim direkten Aufbau der Strukturen in Addis? Ich meine, wir können im Bereich der Ausbildung und auch durch Know-how-Transfer beim Aufbau der Strukturen vor Ort wichtige Arbeit leisten. Die langfristige, über AMIS hinausgehende Perspektive liegt mir besonders am Herzen. Denn eine strategische und konzertierte Afrikapolitik, die endlich AA, BMZ, BMVg und auch das BMWi stringent umfasst, fehlt bis heute - und diese sollte die Kanzlerin nicht Herrn Jung überlassen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bitten Sie heute um die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union in Darfur/Sudan. Frau Kollegin Schuster, Sie haben gerade ausgeführt, dass es zum Thema Afrika keine Strategie geben würde. Ich will Sie nur daran erinnern, dass wir in diesem Jahr vonseiten der Europäischen Union unter großer Beteiligung deutscher Streitkräfte einen, wie ich finde, sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Afrika geleistet haben, indem wir die Durchführung demokratischer Wahlen im Kongo unterstützt haben. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden rechtzeitig zu Weihnachten wieder nach Hause kommen. ({0}) Das Mandat vom 17. November 2004 betreffend Darfur/Sudan sieht Lufttransport einschließlich Bewachung und Eigensicherung sowie Unterstützungskräfte mit einem Personalumfang von maximal 200 Soldaten vor. Der Bundestag hatte am 25. Mai 2006 beschlossen, den Einsatz bis zum 2. Dezember 2006 fortzusetzen. Das Bundeskabinett hat, wie Sie wissen, zwischenzeitlich entschieden, dass der Einsatz fortgesetzt werden soll. Heute kommt es darauf an, dass der Deutsche Bundestag dem zustimmt, um eine entsprechende Verlängerung zu bewirken. Teilweise ist nur wenig bekannt - ich habe zumindest diesen Eindruck -, auf welche Art Unterstützung geleistet wird. Militärbeobachtung und Militärberatung habe ich gerade schon angesprochen. Im Mai dieses Jahres haben wir die Rotation eines gambischen Kontingents durchgeführt und haben im Dezember zusammen mit unseren französischen Freunden den Transport eines senegalesischen und eines weiteren gambischen Kontingents gewährleistet. In diesem Prozess haben wir der Afrikanischen Union Unterstützung geleistet. Aber es ist wahr: Die Lage in Darfur hat sich nicht stabilisiert, sie ist eher noch kritischer geworden. Man denke nur an die Ausdehnung des Konflikts auf den Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Deshalb ist es, wie ich glaube, richtig, dass auch vonseiten der Vereinten Nationen alles daran gesetzt wird, eine Übereinstimmung zu erzielen. Zunächst war es Ziel, dass die Mission AMIS in eine rein VN-geführte Friedensmission überführt wird. Dies ist am Widerstand des sudanesischen Präsidenten gescheitert. Es wurde dann am 16. November versucht, einen Kompromiss herbeizuführen, der eine gemeinsame Mission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union unter dem Kommando der Vereinten Nationen vorsah. Aber auch dies ist am Veto des sudanesischen Präsidenten gescheitert. Freunde haben, wie Sie wissen, eine Frist bis zum Ende des Jahres gesetzt. Ich denke, dass es wichtig ist, dass die gemeinsamen Bemühungen der Vereinten Nationen fortgesetzt werden und dass effektive Hilfe geleistet werden kann. Der Prozess muss aber weiterhin ein afrikanisches Gesicht behalten. Das ist wichtig bei der Umsetzung, um zu einer Stabilisierung durch eine solche Mission zu kommen. Wie ich vor dem Deutschen Bundestag vorgetragen habe, hatten wir in einigen Ländern der Vereinten Nationen teilweise nur eine Mandatsverlängerung von 14 Tagen, um entsprechenden Druck auszuüben. Um keine Lücke entstehen zu lassen, hat der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union am 30. November entschieden, das Mandat für die Mission AMIS bis zum 30. Juni 2007 zu verlängern. Ich denke, es ist richtig, dass eine solche Verlängerung erfolgt; denn so kann wenigstens in gewisser Weise vermieden werden, dass ein Machtvakuum entsteht. Die Verlängerung dieser Mission wird meiner Meinung nach einer weiteren Stabilisierung dienen. Aber ich glaube, dass sie nicht ausreichen wird. Die Bemühungen der Vereinten Nationen müssen auch weiterhin unterstützt werden, um zu einem effektiveren Mandat zu kommen. Es ist aber auch notwendig - ich glaube, auch darauf muss man hinweisen; Sie haben das angedeutet -, den Willen der Konfliktparteien, ihren Beitrag zur Befriedung Darfurs zu leisten, zu fördern, damit es zu einer Verbesserung der Situation kommt. In Darfur sind bereits 200 000 Menschen ums Leben gekommen, es gibt Millionen von Flüchtlingen. Ich glaube, deshalb ist es notwendig, hier eine zusätzliche Stabilisierung zu erreichen. Aufgrund der von mir beschriebenen Lage ist es erforderlich, dass wir dieses Mandat jetzt verlängern. Derzeit gibt es nämlich keine Alternative dazu, dass wir die Bemühungen der Vereinten Nationen in der von mir gerade angedeuteten Hinsicht unterstützen. Wir schöpfen alle Möglichkeiten aus, um den Menschen in Not zu helfen und dazu beizutragen, dass es zu einer friedlichen und stabileren Entwicklung in dieser Region kommt. Ich denke, durch dieses Mandat, das wir heute verlängern wollen, erhält die Afrikanische Union die Unterstützung, die sie braucht, damit hier keine Lücke entsteht. Es bleiben aber auch weiterhin die Bemühungen der Vereinten Nationen, sie dabei zu unterstützen, mehr Effektivität zu erreichen. Deshalb glaube ich, dass es wichtig und notwendig ist, dass wir das Mandat heute verlängern. Ich bitte um breite Zustimmung für diese Verlängerung und auch um Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten bei dieser Mission. Ich hoffe und wünsche, dass von den Vereinten Nationen eine weit darüber hinausgehende Lösung bewirkt werden kann. Heute geht es aber um die Zustimmung für das Mandat hinsichtlich der Überwachungsmission AMIS. Ich bitte noch einmal um breite Zustimmung des Deutschen Bundestages. Besten Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie vor einem Jahr können wir auch in diesem Jahr der Verlängerung des Einsatzes deutscher Streitkräfte in Darfur nicht zustimmen. ({0}) Wir sind uns darüber einig, dass sich die Situation nicht gebessert hat. ({1}) Wir sind uns auch darüber einig, dass die Lage der Menschen in Darfur unerträglich ist. Wir sind uns aber nicht darüber einig, wie dieses Elend gestoppt werden kann und was wir dazu beitragen können. Sie setzen wieder einmal auf eine militärische Intervention. ({2}) - Warten Sie ab, Sie werden es bald erkennen. - Sie sehen keine Alternative zur militärischen Intervention. Wir hingegen sehen eine Alternative in zivilen und diplomatischen Mitteln. Dabei ist Zweierlei doch klar: Erstens. Wir müssen uns immer wieder eingestehen, dass wir keine Lösung für diesen nun schon so lange dauernden und hoch komplizierten Konflikt anbieten können. Zweitens. Die afrikanischen Truppen der AMIS sind nicht in der Lage, den Schutz der Bevölkerung militärisch zu garantieren. Trotz dieser Situation verfallen Sie wieder auf das Militär, um zumindest sagen zu können: Na, wir tun doch etwas. Ginge es wirklich nur um den Einsatz von 200 Soldaten zur logistischen Unterstützung auf der Basis eines richtigen Blauhelmeinsatzes nach Kap. VI der VNCharta, dann könnte man ja darüber reden. Sie verfolgen aber ganz offensichtlich ein viel weiter reichendes Konzept, das Verteidigungsminister Jung neulich ausgeplaudert hat. Ich zweifle daran, dass es nur seiner Unfähigkeit anzulasten ist, wenn er von einem stärkeren Einsatz der Bundeswehr redet, sobald die UNO ruft. Das kann auch nicht die scharfe Kritik aus seinen eigenen Reihen wieder zurückholen. ({3}) Mag sein, dass er sich verplappert hat, wie jüngst auch Ehud Olmert, aber wir haben auch schon vergleichbare Töne aus dem Kabinett gehört. Sein Vorgänger, der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck, hat ihm vor einem Monat sogar bestätigt und hinzugefügt, dass es dann - ich zitiere ihn - ein „brisantes Mandat“ wäre, das „auch mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein könnte“. Ich frage Sie: Ist das nun Dummheit oder Programm? Ich glaube, es ist beides; denn das würde einen umfangreichen Krieg im großen Maßstab bedeuten. ({4}) Sie wissen doch ganz sicher: Die Regierung in Khartoum wird der Resolution 1706, die die UNO vom Süden des Sudan nach Darfur bringen soll, niemals zustimmen und China und Russland werden einer neuen Resolution hinsichtlich eines direkten Eingriffs in Darfur auch nicht zustimmen. Wozu also das Gerede? Spätestens seit vorgestern wissen wir, dass die USA schon eigene Pläne für ein militärisches Eingreifen im Sudan - das zitiere ich aus der „Financial Times“ - „innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate“ ausgearbeitet haben. Großbritannien hat den Plänen zugestimmt. Sie sehen die Errichtung von Flugverbotszonen über Darfur, eine Seeblockade des Ölhafens Port Sudan sowie Luftangriffe auf Flughäfen und andere Einrichtungen vor. Natürlich möchten die USA diese Pläne auf der Grundlage eines UN-Mandats umsetzen. Sie haben aber deutlich gesagt: Wenn das nicht möglich ist, machen wir es auch alleine, in einer neuen „Koalition der Willigen“. Das ist doch Irrsinn! Werden nun die Kriege gegen Jugoslawien und den Irak auf den afrikanischen Kontinent übertragen? Können Sie sich dann einer solchen Koalition widersetzen? Frau Merkel ist doch nicht Herr Schröder. Schon jetzt verlängern Sie den Einsatz deutscher Soldaten auf der Basis einer Resolution nach Kap. VII der UN-Charta. So schleichen Sie sich ganz langsam in ein afrikanisches Abenteuer, das den Menschen im Sudan - nach allen Erfahrungen der letzten Jahre, die wir in Afghanistan und im Irak gesammelt haben - bestimmt nicht helfen wird. ({5}) Wir fordern von Ihnen nur eines: Verlassen Sie den Weg eines militärischen Einsatzes! ({6}) Hören Sie auf den Rat des finnischen Botschafters beim Menschenrechtsrat in Genf. Er sagte vorgestern: Es ist besser, mit dem Sudan zusammenzuarbeiten, um konkrete Resultate zu erzielen. Bringen Sie die Konfliktparteien wieder an den Verhandlungstisch, damit sie einen Friedensvertrag unterzeichnen. Dies hat auch der Menschenrechtsrat gefordert. Unsere Stärke besteht in den diplomatischen Fähigkeiten, in den wirtschaftlichen Möglichkeiten und im humanitären Engagement. Wir plädieren für ein solches Engagement und nicht für den Rückfall in eine militärische Drohung. Danke sehr. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! In den nächsten Tagen wird Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, seine Amtszeit beenden. Er ist nun wirklich mit den Krisen dieser Welt vertraut. Er hat in all seinen Reden der letzten Tage eine Krise besonders hervorgehoben und eindringliche Appelle an die internationale Gemeinschaft gerichtet, endlich einzugreifen: in Darfur. Annan appellierte an die Welt, den Alptraum der Gewalt in Darfur endlich zu beenden und nicht wieder zu warten, bis der Völkermord einsetzt, sondern die - auch das muss man sich vor Augen führen erst im letzten Jahr auf dem Millenniumsgipfel von allen Staats- und Regierungschefs - auch von der deutschen Regierung - eingegangene Responsibility to Protect, also die Verpflichtung, die Menschen vor Völkermord und ethnischen Säuberungen zu schützen, endlich ernst zu nehmen und endlich in die Realität umzusetzen. Darum geht es in Darfur. ({0}) Liebe Kollegen von der PDS, Herr Dr. Paech, in der derzeitigen Situation reicht AMIS nicht aus. Es handelt sich hierbei im Kern um ein Mandat gemäß Kap. VI der UN-Charta. ({1}) Die AU-Mission ist im Kern ein Beobachtermandat, welches Sie gerade gefordert haben. Wissen Sie auch, dass die AU inzwischen Angriffen durch die Bevölkerung vor Ort ausgesetzt ist? Wissen Sie, warum? ({2}) Weil die AU-Soldaten zwar auf der Grundlage des Mandates nachher protokollieren dürfen, dass ein Massaker stattgefunden hat und dass die Menschen umgebracht werden, aber nicht eingreifen dürfen. Das macht die Leute wütend. Deswegen wollte die Afrikanische Union selber nicht mehr dableiben. Sie konnte nur mühsam überzeugt werden, das Mandat überhaupt um ein halbes Jahr zu verlängern. ({3}) Da fordern Sie hier ein Kapitel-VI-Mandat. Das ist wirklich an Zynismus nicht mehr zu überbieten! ({4}) Kofi Annan hat in seiner Rede zum Tag der Menschenrechte - die können Sie sich auch einmal anschauen - auch Folgendes gesagt: Nach Bosnien und Ruanda haben wir alle gesagt: nie wieder. Wie kann da die Welt dem Horror in Darfur untätig zusehen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paech?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich führe nur noch diesen Gedanken zu Ende. 60 Prozent der Menschen in Darfur können nicht mehr versorgt werden. Bei dem robusten UNO-Mandat, das in der Resolution 1706 schon längst beschlossen ist, geht es zunächst einmal darum, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Erst dann kann man wieder über Politik reden und dann muss man sich daran machen, den Konflikt politisch zu lösen. Diesen Zusammenhang sollten nach Srebrenica und Ruanda endlich alle verstanden haben. ({0}) Bitte schön, Herr Paech.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Müller, um es kurz zu machen: Würden Sie zur Kenntnis nehmen oder gegebenenfalls nachlesen, dass es sich bei den beiden Resolutionen 1556 und 1564, auf denen der Antrag der Bundesregierung beruht, um Beschlüsse nach Kap. VII der UN-Charta handelt? Das ist dort ausdrücklich festgehalten. Danke schön. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kenne die Resolutionen sehr gut. Ich weiß auch, was die Afrikanische Union beschlossen hat und dass die Afrikaner international nur ermächtigt sind, dort zu beobachten, zu protokollieren, was vor sich geht, und den Waffenstillstand zu überwachen. Das ist die Ursache für die Wut der Bevölkerung, weil nur protokolliert, aber nicht eingeschritten wird. Auf diesen Skandal hat Annan hingewiesen. Das muss die internationale Gemeinschaft ändern. ({0}) - Ich habe sie nicht nur gelesen, sondern mitgestaltet. ({1}) - Das ist so. Vor dem Hintergrund, dass alle dem Vorhaben zugestimmt haben, will ich auf die Debatte eingehen, die Kerstin Müller ({2}) leider in den letzten Wochen in der Koalition geführt wurde. Herr Ramsauer zum Beispiel hat gesagt, gerade weil die Lage so schrecklich sei, sollten keine deutschen Soldaten nach Darfur geschickt werden. Herr Stoiber wiederum hat festgestellt, die deutschen Interessen seien hier nicht so stark berührt. Leider steht auch immer noch die Äußerung der Bundeskanzlerin im Raum, dass wir uns über die Unterstützung von AMIS hinaus nicht engagieren würden. Unabhängig davon, ob deutsche Soldaten dorthin entsandt werden oder nicht, glaube ich, dass das ein völlig kontraproduktives Signal an das Regime in Khartoum ist. ({3}) Denn dadurch müssen die Vertreter dieses Regimes zu der Auffassung kommen, dass sie von Europa nichts zu erwarten haben. Damit komme ich zu meinem Hauptanliegen. Wir brauchen keine unseligen Debatten über die Beteiligung deutscher Soldaten, nach der noch niemand gefragt hat, und einer UNO-Truppe, die noch gar nicht in das Land hinein kann. Wir müssen jetzt vielmehr alle Kräfte auf diplomatische Initiativen konzentrieren. Herr Minister Jung, Sie haben selber festgestellt, dass das robuste Mandat notwendig ist. Ich fordere Sie auf, im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft diplomatische Initiativen zu ergreifen und auf die Schutzmächte Sudans, China und Russland, einzuwirken und in jedem Gespräch mit China anzusprechen, dass wir alles versuchen, um die Zustimmung der sudanesischen Regierung für ein robustes UNMandat zu bekommen. ({4}) Gestern wurde vorgeschlagen, eine Flugverbotszone einzurichten, damit die sudanesische Regierung nicht mehr die Antonows zur Unterstützung der Reitermilizen einsetzt. Leider hat sich die Bundesregierung nicht dazu geäußert. Nach meinen Informationen haben die Außenminister auf dem Ratstreffen gestern einen Beschluss zum weiteren Vorgehen in Darfur gefasst. Das sind aber leider auch noch keine Taten; es sind nur Worte. Wir brauchen aber endlich Taten im Sinne der Diplomatie. Was gestern auf dem Ratstreffen passiert ist, darf bei der EU-Ratspräsidentschaft nicht wieder passieren. Wir müssen durch entschlossenes Handeln der internationalen Gemeinschaft den Druck auf das Regime erhöhen. Wenn es nicht gelingt - etwa wegen eines Vetos von China und Russland -, im Sicherheitsrat gezielte personenbezogene Sanktionen zu beschließen, um die Zustimmung für die UNO-Truppe zu erwirken, dann muss meiner Meinung nach die Europäische Union endlich vorangehen und - das hat sie schon x-mal beschlossen gezielte personenbezogene Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Völkermordes verhängen, um die Zustimmung zu erwirken. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Müller, Ihnen wird entgangen sein, dass Sie die Redezeit überschritten haben.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Ich komme zum letzten Satz. Oder gibt es noch eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein. Ich bin beinahe beruhigt, auch wenn Ihre Reaktion mir bestätigt, dass Ihnen in der Tat entgangen sein muss, dass die Bewirtschaftung der Redezeit durch mich wieder einmal viel großzügiger war als durch die Fraktion. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Es geht zurzeit um politische Initiativen. Ich appelliere eindringlich an Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung: Werden Sie politisch aktiv! Gerade wir Deutsche mit unserer Geschichte dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn in Darfur ein Völkermord geschieht. Ich glaube, dass wir Deutsche hier eine besondere Verantwortung haben. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Nachrichten aus dem Sudan sind sicherlich für uns alle mehr als beunruhigend. Der begonnene Friedensprozess droht zu scheitern. Die Risiken für die gesamte Region werden gerade in den letzten Tagen an den Grenzen des Sudans deutlich sichtbar. Die Untersuchung der Kommission, die dem Internationalen Strafgerichtshof zuarbeitet, zeigt, dass 200 000 Menschen ermordet und 2,5 Millionen vertrieben wurden und dass Folter und sexuelle Misshandlungen zum Alltag in dieser Region gehören. Die Situation ist unübersichtlich. Es gibt traditionelle Stammesfehden um die ökonomischen Grundlagen. Reitermilizen operieren mit Duldung der Zentralregierung. In dieser unübersichtlichen Situation versucht nun die Afrikanische Union, mit ihrem Mandat AMIS ein Stück weit für Stabilität zu sorgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, Kap. VII der UN-Resolution 1706 umfasst zwei Komponenten: Beobachtung und Schutz. Aber die Afrikaner stoßen bei dieser Mission an die Grenzen sowohl ihrer materiellen Möglichkeiten als auch ihrer operativen Fähigkeiten; darauf haben Sie schon hingewiesen. In einer Situation, in der wir sehen, dass die Afrikaner es nicht alleine leisten können, wollen Sie ihnen die relativ kleine Unterstützung, die wir in erster Linie bei der Logistik und beim Lufttransport leisten, verwehren und ihnen so den Boden unter den Füßen wegziehen. Dies ist zutiefst inhuman. ({0}) Wir alle wissen, dass eine Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte für weitere sechs Monate nicht die beste Lösung ist. Aber das ist das Maximum, das im Augenblick erreicht werden kann. Mehr wird man erst erreichen, wenn die Zentralregierung in Khartoum den Frieden wirklich will und bereit ist, den Frieden mit einer stabilen Truppe absichern zu lassen. Das steht nicht im Gegensatz zu unseren humanitären und diplomatischen Anstrengungen, wie Sie von der PDS behaupten. Aber Sie müssen irgendwann einmal kapieren, dass man gelegentlich mit freundlichen Worten alleine leider an die Grenzen stößt und dass dann eine militärische Schutztruppe notwendig und zutiefst human ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir wissen nicht, wie sich das Ganze in den nächsten Monaten entwickeln wird. Vielleicht müssen wir darüber erneut nachdenken. Aber wir sollten vorsichtig sein und keine schnellen Antworten geben. Mein Eindruck ist, dass in allen Fraktionen, falls ein erneutes Nachdenken erforderlich ist, zu Recht sehr schwierige und komplexe Debatten geführt werden müssen. Die Antworten können dann gegeben werden, wenn die Debatten beendet sind. Ich denke, das ist die korrekte Reihenfolge. Wir sollten uns daran erinnern, dass die UN-Resolution 1706 drei Phasen vorsieht. Wir sind in der ersten Phase, bei der es um die logistische Unterstützung der Afrikanischen Union geht. Die zweite Phase sieht eine personelle Erweiterung vor. Die dritte Phase sah ursprünglich ein VN-Mandat vor. Nun sagt die Zentralregierung, dass sie das nicht will. Vielleicht lässt sie sich - es ist richtig, dass China ein bisschen helfen kann, damit sich im Sudan etwas bewegt - auf eine Mischform ein, eine so genannte Hybridlösung, eine gemeinsame Mission von VN und Afrikanischer Union. Ich habe den Eindruck, die Beweggründe für eine solche Lösung im Sudan sind nicht korrekt. Das Ziel ist aber möglicherweise auch unseres. Vielleicht ist es klüger, auf dem afrikanischen Kontinent durch eine sehr gute Kooperation der Vereinten Nationen, durch eine Kooperation der militärischen Fähigkeiten der westlichen Industriestaaten mit den afrikanischen Partnern dafür zu sorgen, dass auf einer längeren Zeitschiene die Afrikanische Union als legitime regionale Ordnungsorganisation die Fähigkeiten erhält, dass sie sie entwickeln, dass sie lernen - wir sollten sie materiell darin unterstützen, selbst die Fähigkeiten zu entwickeln -, auf ihrem Kontinent für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Darum muss es uns gehen. Deshalb wäre ich nicht unglücklich, wenn eines Tages auch in Deutschland eine ernsthafte Debatte über diese Hybridlösung geführt würde. ({1}) Wir Deutsche bewegen uns im Einklang mit den Vereinten Nationen, mit der Afrikanischen Union, im Konzert mit der Europäischen Union. Es ist kein Sonderweg, sondern wir sind im Einklang mit allen europäischen Organisationen. Wenn wir heute der Fortsetzung des Einsatzes zustimmen, dann sollten wir uns immer wieder fragen, welche Legitimation wir für diesen Einsatz haben. Wer sich die Europastrategie zu Afrika anschaut und nicht will, dass dieses kluge Papier reine Makulatur wird, der muss die Bereitschaft und die Fähigkeit haben, hier ein Stück weit mitzuhelfen. Die Beweggründe dafür sind eindeutig. Wir haben zunächst ein eigenes Interesse an Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent, nämlich unser Sicherheitsinteresse. Neben diesem Interesse haben wir aber im Sudan auch eine zutiefst humanitäre Verpflichtung. Von diesen beiden Gründen lassen wir uns bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Einsatzes leiten. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das, was wir bisher von den beiden Oppositionsfraktionen der Grünen und der FDP in dieser Debatte gehört haben, ist in seiner Substanz engagiert vorgetragene Ratlosigkeit. ({0}) Die Ratlosigkeit ist eine Konsequenz aus der Situation, die wir im Sudan, in Darfur vorfinden. Aber es ist intellektuell unredlich, dafür die Bundesregierung verantwortlich zu machen und dann nicht mehr auf der Platte zu haben als den Vorschlag, man müsste einmal Druck auf China oder Russland ausüben, um die Krise zu überwinden. ({1}) Ich finde, hier müssen mehr Vorschläge kommen. Wir befinden uns dort in einem Dilemma. Der Sicherheitsrat hat zwar nach der Resolution 1706 beschlossen, die AMIS-Mission in eine VN-Mission zu überführen, aber das Dilemma ist doch, dass die Zustimmung der Regierung in Khartoum nicht vorliegt. Jeder von uns weiß, dass diese Zustimmung zwar rechtlich nicht mehr erforderlich ist, aber doch politisch erforderlich ist, um eine erfolgreiche militärische Operation durchzuführen. Selbstverständlich unternehmen wir in Richtung Khartoum alles, um eine Zustimmung möglich zu machen. Aber die Bundesregierung dafür verantwortlich zu machen, dass es nicht dazu kommt, ist hanebüchen. ({2}) Zurzeit findet ein Gipfeltreffen von elf afrikanischen Staaten, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo-Brazzaville, Zentralafrikanische Republik, Ruanda, Burundi, Uganda, Angola, Sambia, Tansania, Kenia und Sudan, in Nairobi statt. Heute soll ein „Pakt über Sicherheit, Stabilität und Entwicklung der Region der Großen Seen“ unterzeichnet werden. Man will, wie es so schön heißt, die „Dynamik der Konflikte in den Aufbau des regionalen Friedens“ umwandeln. Diese Konferenz kann einen elementaren Beitrag zur Konfliktverhütung und -bewältigung, zur Friedensförderung nach dem Grundsatz der afrikanischen Eigenverantwortung leisten. Aber sie muss dieser Aufgabe auch nachkommen; denn Hunger und Armut, wirtschaftliche Ungleichheit und politische Ungerechtigkeit, fehlende Rechtsstaatlichkeit, die Eskalation von Konflikten durch gewaltsame Vertreibungen, Epidemien, Ressourcenknappheit und ökologische Gefährdungen vielfältiger Art gehören ja seit langem für die afrikanische Bevölkerung zu den vordringlichsten Problemen. Im Sudan konnte der über 20 Jahre andauernde Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, der 2 Millionen Menschen das Leben gekostet und 4 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen und Flüchtlingen gemacht hat, zwar durch den Friedensvertrag von Nairobi im Januar 2005 beendet werden. Der Waffenstillstand wird aber immer wieder gebrochen. Seit 2003 tobt ein grausamer und blutiger Konflikt in der westsudanesischen Provinz Darfur. Das Darfur Peace Agreement vom Mai dieses Jahres wird von keiner der beteiligten Rebellengruppen und auch nicht von den Milizen eingehalten. Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind in Darfur über 200 000 Menschen ums Leben gekommen und 2 Millionen wurden zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Es ist klar - das sollten wir hier auch deutlich machen -, dass für diese beiden Konfliktherde die Regierung in Khartoum mit ihrem Verhalten die Hauptverantwortung trägt. Ich begrüße, dass der Sudan auf dem Gipfeltreffen in Nairobi beteiligt ist und nach den bisherigen Meldungen den Pakt unterzeichnet hat. Es kommt aber darauf an, dass die Verpflichtungen, die damit eingegangen werden, schließlich auch erfüllt werden. Bislang kann Präsident Bashir nicht nachgesagt werden, er halte viel von Vertragstreue: Abkommen werden nicht eingehalten, wie zum Beispiel das eben bereits angesprochene Darfur Peace Agreement. Nach Angaben der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte sind in den letzten sechs Wochen in Darfur weitere 80 000 Menschen vertrieben und mehrere hundert Personen getötet worden. Die Regierung habe die Milizen nicht entwaffnet, sondern vielmehr aufgerüstet. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erinnern, dass es die Arabische Liga war, die als erste auf die Gewalt in Darfur hingewiesen hat. Sie muss deshalb in die Suche nach einer Lösung des Konflikts mit eingebunden werden. Es ist von mir schon angesprochen worden: Die Mission soll in eine VN-Mission überführt werden. Nach der Resolution 1706 soll das sogar bis zum Ende dieses Jahres stattfinden, aber es fehlt an der politisch erforderlichen Zustimmung der Regierung in Darfur. Deswegen ist es leider nicht möglich, diese VN-Mission so durchzuführen, wie wir das alle wünschen. Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch ein Wort zu dem in dieser Debatte schon zitierten Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sagen, der am letzten Mittwoch von der Regierung in Khartoum eine verstärkte Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft gefordert hat. Eine Verurteilung der Regierung in Khartoum durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ist aber ausgeblieben. Diese fehlende Verurteilung der Regierung in Khartoum halte ich für einen Skandal. ({3}) Die 47 Mitglieder des Menschenrechtsrates haben es nicht verstanden, ein klares Zeichen gegen die Verletzung von humanitärem Recht und Menschenrechten sowie gegen Gewalt und Terror zu setzen. Die Erklärung lässt eine klare Sprache vermissen. Ich kritisiere den Menschenrechtsrat mit Blick auf diese Entscheidung insbesondere deswegen, weil er erst seit März dieses Jahres in dieser Form besteht und in seinen bisherigen sechs Sitzungen insgesamt acht Resolutionen gegen Israel verabschiedet hat. Wenn dem Westen von diesen Staaten immer wieder vorgeworfen wird, dass er Doppelstandards anwende, dann müssen sich die Ländergruppen, die im Menschenrechtsrat für diese Entscheidung verantwortlich sind, wirklich Doppelzüngigkeit vorwerfen lassen. ({4}) Ich wünsche mir - und bitte die Bundesregierung, die Entwicklung sehr sorgfältig zu beobachten und alles in ihrer Macht Stehende dafür zu unternehmen -, dass die vom VN-Menschenrechtsrat nun eingesetzte Kommission schnellstmöglich zusammengesetzt wird und sie dann ihre Untersuchung zur Menschenrechtslage in Darfur vor Ort ohne Behinderungen jeglicher Art durchführen kann. Als ein Mitglied der insgesamt 28-köpfigen Gruppe der Freunde der Region der Großen Seen ist Deutschland dazu verpflichtet. All dies zeigt, dass wir unser Engagement für Frieden und Stabilität in der Region im östlichen Afrika beibehalten müssen. Wir müssen uns vor allem dafür einsetzen, dass die humanitären Hilfsleistungen für die Not leidende Bevölkerung ermöglicht werden; die Kollegin Müller hat darüber heute schon gesprochen. Es gibt aber noch einen weiteren gravierenden Grund. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihren Beitrag nicht nur zur Stabilisierung der Lage in Darfur leisten, sondern auch zur Stabilisierung der gesamten Region. Das liegt auch in unserem Sicherheitsinteresse. Aus diesem Grund ist es notwendig, unseren Beitrag zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union auch in den nächsten sechs Monaten fortzusetzen, so enttäuschend die Ergebnisse der Mission bisher auch sein mögen und sosehr zu kritisieren ist, dass die Regierung in Khartoum der Übertragung der Mission auf die Vereinten Nationen bisher nicht zugestimmt hat. Meine Fraktion wird deswegen dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass ich Sie als Außenpolitiker durchaus schätze. Aber ich finde, Sie haben sich keinen Gefallen getan, als Sie, bevor Sie angefangen haben, Ihre Rede abzulesen, FDP und Grüne der intellektuellen Unredlichkeit in dieser Frage geziehen haben. Worum geht es hier? Es geht nicht darum, wie Herr Paech glaubt, dass dort ein großer Kampfeinsatz, eine Friedenserzwingung stattfinden soll, sondern es geht eigentlich um etwas sehr Simples: Es geht darum, dass die 15 000 zivilen Helferinnen und Helfer, die dort zur Verfügung stehen, die bedrohten Menschen wieder erreichen können. Das ist der Kern. Das ist mit 7 000 Leuten für ein Gebiet der Größe Frankreichs nicht zu gewährleisten. Deswegen hat die UN beschlossen, die Zahl der Soldaten von 7 000 auf 17 000 aufzustocken. Nun geht es darum, dafür die Zustimmung der sudanesischen Regierung zu bekommen. Die Frage, die Frau Müller und Frau Schuster hier an die Bundesregierung gestellt haben, war nicht intellektuell unredlich, sondern nahe liegend, und zwar deswegen, weil sie wissen wollten, was die Bundesregierung tut, um diesen Zustand, den Sie Zustand der Ratlosigkeit genannt haben, zu durchbrechen und Druck auf Khartoum auszuüben. ({0}) Es ist auch nicht so, dass keine Vorschläge genannt worden wären. Wie ist die Haltung der Bundesregierung zum Vorschlag einer Flugverbotszone dort? Wie soll das umgesetzt werden? Warum hat der Rat der Außenminister gestern, obwohl man sich im Prinzip schon lange darauf verständigt hat, nicht entschieden, individuelle Sanktionen gegen die Machthaber in Khartoum zu ergreifen? Was muss eigentlich noch passieren? ({1}) Die werfen einen Bevollmächtigten, einen ehemaligen Umweltminister der Europäischen Union, aus Khartoum raus, aber wir wollen sie weiter reisen lassen. Das geht mir nicht in den Kopf. Das ist es, wozu Sie Stellung nehmen sollten. Ich finde es intellektuell redlich, von der Bundesregierung einzufordern, dass sie hier aktiv wird. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Herr Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Trittin, mein Hinweis auf die fehlende intellektuelle Redlichkeit hat sich nicht auf die Schilderung der Situation bezogen. Wenn ich ausreichend Redezeit gehabt hätte, hätte ich das, was Sie eben noch einmal betont haben, darstellen können. Aber das, was Sie vorgeschlagen haben und was auch die Kollegin Schuster hier gesagt hat, läuft de facto auf das hinaus, was ich gesagt habe, nämlich dass von der Bundesregierung erwartet wird, dass mehr Druck auf China oder Russland ausgeübt wird. Ich habe doch die Kollegin Schuster gefragt, wie Sie sich die Durchsetzung eines Flugverbots vorstellt. ({0}) Darauf ist keine Antwort gekommen. Es hieß, wenn ein solcher Antrag einmal vorliege, dann würde man darüber in der Fraktion beraten. Das ist doch nicht intellektuell redlich. Das ist der Versuch, die eigene Ratlosigkeit der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Das machen wir nicht mit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für die letzte Rednerin in dieser Debatte, die Kollegin Gabriele Groneberg für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, dass ich verdammt ratlos bin. Das sage ich einmal ganz ungeschminkt. Wir müssen seit Jahren hilflos dem zusehen, was in Darfur passiert. Aber auch die vorherige Bundesregierung konnte nicht anders mit diesem Problem umgehen, Herr Trittin. ({0}) Die Situation ist folgendermaßen: Die Bundesregierung und all die anderen, die in der Vergangenheit tätig gewesen sind und die auch jetzt handeln - Frau Müller ist intensiv daran beteiligt gewesen -, haben sich in den vergangenen Jahren intensiv um eine Lösung bemüht. Aber Deutschland allein kann nicht die Lösung bringen; auch die anderen Staaten sind gefordert. Nur in Zusammenarbeit mit diesen ist eine Lösung möglich. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung das ihr Mögliche tut. Wir können nur hoffen, dass die internationale Gemeinschaft sozusagen mehr in die Pötte kommt. ({1}) Seit zwei Jahren verlängern wir das Mandat für deutsche Soldaten, die zur Unterstützung der Überwachungsmission der Afrikanischen Union als Militärbeobachter und im Transportbereich eingesetzt werden. Ich bin nicht nur betroffen und frustriert, sondern ich fühle mich, wie schon gesagt, mittlerweile hilflos, weil wir bei der Lösung dieses Konfliktes immer noch kein Stück weiter gekommen sind. Im Gegenteil: Die aktuelle Situation in Darfur hat sich zur größten Katastrophe der Gegenwart ausgeweitet. Seit Ausbruch des Konfliktes sind Hunderttausende von Menschen - Herr von Klaeden, die Zahlen schwanken; man spricht teilweise von 200 000, aber es können nach Schätzung einiger Organisationen durchaus 450 000 Menschen sein - getötet und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben worden. Noch schlimmer ist, dass die an diesen Raum angrenzenden Länder mittlerweile in den Konflikt hineingezogen werden. Hier entwickelt sich ein Flächenbrand. Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe ich die Region mehrfach besucht. Ich habe mir Flüchtlingslager ansehen können. Ich habe gesehen, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben; teilweise muss man von Vegetieren sprechen. Die Hilfsorganisationen sind bemüht gewesen, die größte Not zu lindern. Für eine kurze Zeit schien sich wenigstens die humanitäre Situation zu verbessern. Nach Angaben der Vereinten Nationen hatte sich aufgrund des massiven Hilfseinsatzes in den beiden vergangenen Jahren die Versorgungslage deutlich verbessert. Die Sterblichkeitsrate bei den Kindern und bei den Erwachsenen war je nach Region um die Hälfte bzw. um zwei Drittel zurückgegangen. Das Problem ist aber, dass man effektive Hilfe nur leisten kann, wenn die Sicherheit der Menschen und derjenigen, die für die Hilfsorganisationen arbeiten, gewährleistet ist. Aber gerade das ist in dem letzten halben bis dreiviertel Jahr nicht mehr der Fall. Diese Menschen sind nicht mehr sicher. An dieser Stelle komme ich zu der Mission der AU. Herr Paech, ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Sie an dieser Stelle nicht verstehe. ({2}) Es ist unverantwortlich, dass Sie hier sagen, wir würden uns an einer militärischen Intervention beteiligen. Wenn wir das getan hätten, dann hätten wir vielleicht eine Lösung des Problems erreicht. Die AU ist, was diese Mission angeht, vollkommen hilflos. Die Afrikaner wollen anfangen, ihre Probleme selbst zu lösen; das ist löblich. Aber sie sind zum ersten Mal im Rahmen einer solchen Mission vor Ort. Meiner Ansicht nach ist die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage gewesen, sie genügend zu unterstützen. Dieser Mission hat es an allem gefehlt, angefangen damit, dass 7 000 Soldaten für ein Gebiet der Größe Frankreichs viel zu wenig sind. Da muss man natürlich fragen, ob das reicht. Eine weitere Frage ist, wie denn die Rahmenbedingungen für einen solchen Einsatz aussehen. Von Beginn an waren die Grundvoraussetzungen für einen effektiven Einsatz nicht gegeben. Erst fehlten die Hubschrauber, dann fehlten die Geländefahrzeuge und die Transportfahrzeuge. Waren sie endlich vor Ort, dann fehlte der Sprit für die Fahrzeuge. Die afrikanischen Soldaten waren also überhaupt nicht in der Lage, das Gebiet zu kontrollieren und die Menschen zu schützen. Warum ist der Kraftstoff nicht an seinem Bestimmungsort angekommen? Weil die Transporte auf ihrem Weg von der See durch den halben Sudan bis nach Darfur permanent überfallen wurden. Außerdem war gerade in den letzten Monaten die Lebensmittelversorgung der Soldaten nicht sichergestellt. Es gab also ganz viele Schwierigkeiten. Diese versorgungstechnischen Probleme sind auch der Grund dafür, dass die AU ihre Mission nicht in der Form erfüllen konnte, wie sie es gerne getan hätte. Ich kreide der internationalen Gemeinschaft an, dass sie nicht in der Lage gewesen ist, die Unterstützung für die Soldaten sicherzustellen, zum Beispiel auch durch Druck auf die sudanesische Regierung. Hinzu kommt, dass der im Mai dieses Jahres für Darfur geschlossene Friedensvertrag Makulatur ist, weil er nicht von allen kämpfenden Gruppierungen getragen wird. In Darfur eskaliert die Gewalt. Wir werden nicht zuschauen. Wir tun das, was wir tun können, auch wenn wir damit nicht zufrieden sind. Aber zumindest das müssen wir tun. Insofern freue ich mich, dass wir in der folgenden Abstimmung sicherlich eine Mehrheit dafür finden werden. Danke. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/3845 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3652 anzunehmen. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt. Während die Schriftführerinnen und Schriftführer, soweit nicht bereits geschehen, jetzt die dazu vorgesehenen Plätze einnehmen, bitte ich Sie um eine halbe Minute Aufmerksamkeit. Da wir zum Ende der heutigen Tagesordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ganz so zahlreich sein werden wie jetzt und die meisten von Ihnen ganz unglücklich wären, wenn sie den HeimPräsident Dr. Norbert Lammert weg in die Wahlkreise und die Weihnachtspause ohne präsidiale Grüße zu den bevorstehenden Feiertagen antreten müssten, ({0}) nutze ich die Gelegenheit des in diesem Jahr zum letzen Mal vollen Hauses, um Ihnen allen ganz persönlich ein frohes, besinnliches Weihnachtsfest, alles Gute zum neuen Jahr und dazwischen ein paar ruhige Tage und dann Kraft und Zuversicht für ein neues Jahr zu wünschen, das vermutlich nicht weniger interessant, vermutlich nicht weniger kontrovers und hoffentlich mindestens so erfolgreich wird wie das, das wir jetzt schon fast hinter uns haben. ({1}) Damit eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses im Plenarsaal anwe- send, das seine Stimme nicht hat abgeben können? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstimmung während der Debatte zum letzten Tagesordnungspunkt bekannt, sobald die Stimm- karten ausgezählt sind.1) Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese sofort als Zusatzpunkt 12 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe also den Zusatzpunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Straf- verfahrens - Drucksache 16/3896 - Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/3896, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussemp- fehlung einstimmig angenommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({3}), Erich G. Fritz, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten 1) Ergebnis Seite 7450 C Dr. Ditmar Staffelt, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Anstrengungen für einen erfolgreichen Ab- schluss der Doha-Welthandelsrunde mit höchster Priorität fortsetzen - Drucksache 16/3810 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Doha-Runde wieder beleben - WTO-Generaldirektor als Schlichter einsetzen - Drucksachen 16/2658, 16/3584 Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Lötzer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Erich Fritz für die CDU/CSUFraktion. ({5})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin von Ihren weihnachtlichen Worten noch so gerührt, dass es mir schwer fällt, jetzt zu einem so sachlichen Thema wie dem Stand der DohaWelthandelsrunde zu sprechen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, wenn das zur Verkürzung Ihrer Redezeit führt, wird das keine Bestürzung im Plenum auslösen.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, es wird eher dazu führen, dass ich immer wieder Pausen zum Nachdenken brauche, um mich auf das Thema konzentrieren zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die DohaWelthandelsrunde angeht, gibt es in diesen Tagen gute und schlechte Zeichen. Am 1. und 2. Dezember haben sich in Genf Parlamentarier fast aller Mitgliedstaaten getroffen und versucht, gegenüber ihren Regierungen zum Ausdruck zu bringen, dass es durchgängig den Willen gibt, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, und zwar aus Sicht sowohl der Industrieländer als auch der Entwicklungsländer, sowohl der Schwellenländer als auch der ärmsten Länder mit den kleinsten Volkswirtschaften. Pascal Lamy hat dort keine sehr optimistische Prognose gegeben, indem er gesagt hat: Ein Scheitern ist nicht unmöglich. - Dennoch hat er vernünftige Appelle ausgesandt. In der aktuellen Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ hat er wiederum sehr optimistische Signale ausgesandt. Er sagte, es zeichne sich ab, dass das, was er die ganze Zeit gefordert habe, nämlich dass alle Flexibilität zeigen, nun umgesetzt werde. Konkret sehen wir das allerdings noch nicht. Lamy hat in Genf deutlich an die EU und die USA appelliert, noch einmal etwas zu geben. Bezüglich der USA setze ich an „noch einmal“ ein Fragezeichen; denn bisher haben sich die USA noch nicht sehr bewegt. Er hat auch gesagt, dass Länder wie Indien etwas geben müssen, und zwar mehr als Länder wie Sierra Leone, weil sie dazu in der Lage sind. Die Entwicklungsländer haben in der Debatte ganz deutlich vernommen, dass es für sie einen großen Schaden bedeuten würde, wenn diese Runde in dem schmalen Zeitfenster, das es dafür gibt, nicht zu einem Abschluss kommen sollte, weil dann alle Zusagen für einen zoll- und quotenfreien Zugang für die ärmsten Länder, nicht nur für die Industrieländer, und schrittweise auch für die großen Schwellenländer hinfällig wären. Der Vorteil für die ärmsten Länder kann nur darin bestehen, dass sie den Marktzugang für die Produkte bekommen, die sie selbst anzubieten haben. In dieser Runde soll alles nur gemeinsam beschlossen werden. Dieses Prinzip darf nicht aufgegeben werden. Deshalb dürfen nicht nur Entwicklungsaspekte verhandelt werden. Es muss auch die Frage gestellt werden: Wie kommen wir zu einem Gesamtpaket, das für alle Mitgliedstaaten eine Verbesserung mit sich bringt, das zu mehr Wachstum auf der Welt führt, Entwicklungschancen bietet und durch das weitere freie Märkte im Bereich der Industriegüter und der Dienstleistungen geschaffen werden? Wir wissen, dass mittlerweile auch sehr viele Schwellenländer gerade im Bereich der Dienstleistungen Interessen haben und dort sehr gerne Fortschritte sähen. Worauf wird es in den nächsten Wochen ankommen? Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass alle Mitgliedstaaten - egal welcher Art und welcher wirtschaftlichen Stärke - angekündigt haben, jetzt flexibel sein zu wollen und selbst Angebote zu machen. ({0}) Es gibt also momentan nicht mehr den Zustand, dass alle nur sagen: „Die USA müssen sich bewegen“ oder „Bevor wir selbst etwas tun, muss unser Interesse berücksichtigt werden“. Das ändert aber nichts daran, dass wir als Ausgangslage nach wie vor eine sehr unglückliche Konstellation zwischen Europa und den USA haben: Die Europäische Union hat durch ihre eigene Reform der Agrarpolitik und durch die Zugeständnisse in Hongkong - einschließlich des Auslaufens der Exportsubventionen - bereits Vorleistungen erbracht in einer Zeit, in der die USA sich kein Jota bewegt haben. Allerdings gibt es jetzt Signale aus den USA - das steht im Gegensatz zu dem, was wir in Genf von Herrn Allgeier gehört haben, Herr Kollege Dobrindt -, dass man bereit ist, sich hinsichtlich der Agrarsubventionen zu bewegen. ({1}) Wenn das so ist, dann ist das ein erstes gutes Zeichen. Es bietet die Chance, dass wir weiter über eine breite Agenda verhandeln können und dass wir - hoffentlich bevor der Wahlkampf in Frankreich richtig beginnt und die USA sich auf die Präsidentschaftswahlen einstellen zu einem Abschluss kommen. Die Europäische Union hat in diesem Prozess eine wichtige Aufgabe. Da die Bundesregierung aufgrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschen Präsidentschaft der G 8 in der Lage ist, wesentliche Impulse zu setzen, dient diese Debatte dazu, noch einmal klar zu machen, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ausdrücklich ermuntert, entsprechende Schritte zu gehen und alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu nutzen. Diese gibt es in den nächsten Wochen an vielen Stellen. Es gibt Anfang des Jahres ein Treffen der Handelsminister der Europäischen Union, bei dem die Europäer zeigen müssen, dass sie zwei Dinge ernst nehmen. Als Erstes müssen wir zeigen, dass Doha eine Entwicklungsrunde bleibt und dass an dem, was bereits in diesem Rahmen zugesagt worden ist, nicht mehr gerüttelt wird. Das Zweite ist, dass wir deutliche Ansprüche auf einen weiteren Marktzugang gerade auch für die Schwellenländer erheben müssen, damit das Rosinenpicken nach dem Motto „Wir suchen uns nur das raus, was unsere eigenen Unternehmen im Wettbewerb besser stellt; aber wir wollen auf keinen Fall einen offenen Markt für ausländische Investoren schaffen“ aufhört. Es muss auch bei anderen Themen, bei denen die Europäer besonders glaubwürdig sind, zu Bewegungen kommen. Hierbei geht es um die differenzierten Regeln für die Entwicklungsländer, den Umgang mit Antidumping, die Form des Streitschlichtungsverfahrens und das geistige Eigentum. Das zweite Treffen, bei dem die Hauptspieler zusammenkommen und man den Geist dieser Runde beflügeln kann, ist das Welthandelsforum in Davos. Bis es stattfinden wird, ist ja auch nicht mehr lange hin. Dort wird ein großer Teil der Leute, auf die es ankommt, zusammen sein. Man kann die dann amtierende Präsidentin des Europäischen Rats nur ermuntern, diese Gelegenheit zu nutzen. Das Zeitfenster für die Verhandlungen bleibt schmal. Ich muss das hier nicht weiter ausführen; jeder kennt die Rahmenbedingungen solcher multilateralen, auf Konsens angewiesenen Runden. Ein Scheitern dieser Runde wird nicht nur viele Nachteile für Schwellenländer und Entwicklungsländer mit sich bringen, sondern wird auch den Wachstumsprozess in den Industrieländern schädigen. Die Kosten eines Scheiterns werden wesentlich höher sein als die für die Anpassungsbemühungen aufzuwendenden Kosten bzw. als alle Schwierigkeiten, die sich aus einem erfolgreichen Abschluss ergeben. Entwicklung braucht Handel, aber auch die Absicherung des europäischen Sozialsystems braucht Handel. ({2}) Auch die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und von Einsätzen, von denen wir gerade einen beErich G. Fritz schlossen haben, braucht eine wirtschaftliche Grundlage. Wir alle kennen die Prognosen - selbst wenn wir davon Abstriche machen -, die besagen, wie sehr sich ein positiver Abschluss dieser Runde auf die Wohlfahrt der Welt auswirkt. Deshalb kann das Motto nur lauten: Mit ganzer Kraft für eine erfolgreiche Runde! Wir als Parlamentarier müssen dazu beitragen, dass die Regierungen in dieser Frage ermuntert werden. Wir müssen ebenfalls dazu beitragen, dass auch die Bevölkerung erkennt, dass mit diesem Prozess immer Schwierigkeiten verbunden sind, dass immer Anpassungsleistungen erfolgen müssen, die manchmal schwer zu verkraften sind, dass der Weg aber richtig ist und dass er Chancen für alle auf dieser Welt beinhaltet - unabhängig davon, wo sie leben. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich glaube, niemand in diesem Hause kann wollen und will, dass die Doha-Welthandelsrunde, scheitert. Wir brauchen mehr Welthandel und nicht weniger nicht etwa aus dem Grunde, dass die Industrieländer weiter profitieren können, sondern zum Wohle der schwachen und schwächsten Länder auf der ganzen Welt. Ich hoffe, dass wenigstens in Bezug auf diesen Punkt hier Einigkeit besteht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen, die sehr eindrucksvoll und wichtig sind. Die Weltbank beziffert die globalen Einkommenseffekte einer vollständigen Liberalisierung der Doharunde bis 2015 auf etwa 461 Milliarden US-Dollar. Allein im Jahre 2005 hat die Bundesrepublik Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 786 Milliarden Euro exportiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Welthandel ab. Wir Deutsche sind ja immer noch Exportweltmeister. Das ist positiv; das muss uns aber, geschätzter Kollege Fritz, ({0}) umso mehr dazu antreiben, die Regierung aufzufordern, hier weiter aktiv zu werden und mehr Druck zu machen, damit diese Doharunde erfolgreich abgeschlossen werden kann. Das muss eine Aufforderung an die Regierung und darf nicht einfach nur eine Ermunterung an sie sein. ({1}) Wir wissen, dass es mit Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland notwendig ist, Signale zu setzen, dass sich die Bundesregierung bemüht, diese Welthandelsrunde zu puschen. In diesem Zusammenhang sind die Signale, die kürzlich von Minister Glos und auch von der Bundeskanzlerin Frau Merkel gekommen sind und die auf eine Freihandelszone zwischen EU und USA oder auf mehr bilaterale Abkommen zielten, nicht hilfreich. Es gibt derzeit etwa 380 bilaterale Abkommen weltweit, von denen etwa 300 in Kraft sind. Wenn es bei der weiteren Liberalisierung des Welthandels kein Fortkommen gibt, müssen sich die EU und Deutschland darum bemühen, dass es zumindest zu bilateralen Abkommen kommt; das ist erforderlich. Aber bilaterale Abkommen können und dürfen nur zweite Wahl sein. Noch einmal: Ich finde, dass die Signale, die in der letzten Zeit von Frau Merkel und von Herrn Glos gekommen sind, nicht hilfreich waren. ({2}) Es ist wichtig, dass die EU-Mitgliedstaaten damit aufhören, in erster Linie ihre eigenen Egoismen zu pflegen. Im Rahmen der letzten WTO-Verhandlungsrunden, etwa in Hongkong, haben wir erlebt, dass ein Land wie Frankreich ein großer Bremser war, da es darauf gedrängt hat, das Auslaufen der Agrarsubventionen mit einer Jahreszahl zu versehen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es immer wieder zu Verzögerungen kommt und dass es auch innerhalb der EU Länder gibt, die größeres Gewicht und mehr Einfluss für sich reklamieren. In diesem Zusammenhang bedauere ich, dass Deutschland, einer der wichtigsten Mitgliedstaaten der EU, seine Stimme nicht öfter erhebt, beispielsweise durch die verstärkte Präsenz seiner Minister oder dadurch, dass man sich in größerem Umfang in die Verhandlungen einbringt. ({3}) Das Zeitfenster, das uns zur Verfügung steht, ist in der Tat sehr klein. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diese Verhandlungsrunde überhaupt noch zu einem Abschluss zu bringen. Weil das so ist und weil wir wissen, welche Folgen ein Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde hätte - niemand von uns möchte, dass sie scheitert -, legen wir Ihnen heute einen Antrag vor, der einen großen Schritt nach vorne bedeutet. Lassen Sie uns den WTO-Generalsekretär Lamy damit beauftragen, hier als Schlichter tätig zu werden, die derzeit zu vernehmenden positiven Signale zu bündeln und sie in die Erfolgsspur zu bringen. Dadurch könnten wir deutlich machen, dass unsere Absicht, den multilateralen Handel zu stärken, ernst gemeint ist und dass wir schnell zu einem effektiven Ergebnis kommen wollen. Wer den multilateralen Handel stärken möchte, den bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, darauf hinzuwirken, einen solchen WTO-Schlichter einzusetzen. ({4}) Das wäre übrigens für die FDP und für das gesamte Parlament ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk, das allen Menschen nutzen würde. Herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest! ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die weiteren Redner bitte ich, Ihre möglichen Wünsche an andere Fraktionen, was Weihnachtsgeschenke betrifft, möglichst innerhalb ihrer Redezeit unterzubringen. ({0}) Bevor ich nun dem Kollegen Staffelt die Gelegenheit zur Fortsetzung der Debatte gebe, möchte ich gerne auf Tagesordnungspunkt 23 zurückkommen und Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS in der Region Darfur/ Sudan bekannt geben: Abgegebene Stimmen 519. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 44, enthalten haben sich neun Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 521 davon ja: 466 nein: 44 enthalten: 11 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({2}) Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Ilse Falk Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach ({6}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernward Müller ({15}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Präsident Dr. Norbert Lammert Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({25}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({30}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({32}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({33}) Michael Müller ({34}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({35}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({36}) Ortwin Runde Axel Schäfer ({37}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({38}) Renate Schmidt ({39}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({40}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({41}) Swen Schulz ({42}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({43}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({44}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({45}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({46}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Ina Lenke Michael Link ({47}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({48}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({49}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({50}) Volker Beck ({51}) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans Josef Fell Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({52}) Markus Kurth Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({53}) Präsident Dr. Norbert Lammert Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({54}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Willy Wimmer ({55}) SPD Gregor Amann Reinhold Hemker Petra Hinz ({56}) DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Heidrun Bluhm Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Ulrich Maurer Dorothee Menzner Wolfgang Nešković Elke Reinke Paul Schäfer ({57}) Volker Schneider ({58}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten FDP Joachim Günther ({59}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Kersten Naumann Dr. Petra Sitte Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über die Doha-Welthandelsrunde bzw. über die Fortsetzung der WTO-Verhandlungen sprechen. Denn ich glaube, dass dies tatsächlich ein Thema der G-8-Präsidentschaft Deutschlands sein muss und sein wird. Ich erwarte zwar nicht, dass alle Probleme dieser Welt im nächsten halben Jahr im Rahmen der G-8Präsidentschaft bzw. im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft unseres Landes gelöst werden können. Doch hier könnte eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt werden. Ich sage das, weil wir eine verfahrene Situation haben: Die EU hat - auch deshalb ist dieser Antrag wichtig - im Verlauf des Jahres noch einmal ein Angebot unterbreitet. Es ist jetzt aus unserer Sicht insbesondere an den Vereinigten Staaten von Amerika, gerade im Bereich der Landwirtschaft den Forderungen des Restes der Welt ein Stückchen entgegenzukommen. ({0}) Ich gebe all jenen Recht, die sagen: Wir dürfen nicht immer darauf warten, dass sich noch einer bewegt, und ansonsten das Scheitern hinnehmen. Ich konzediere sehr wohl, dass auch Europa noch das eine oder andere leisten kann. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass es europäische Länder gibt, deren Landwirtschaft in einem Maße von Subventionen profitiert, dass wir schon sagen müssen: Hier muss den Entwicklungsländern in stärkerem Maße Gelegenheit gegeben werden, ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nach Europa zu exportieren. Nur, zuallererst brauchen wir Bewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach den Aussagen von Handelskommissar Mandelson gibt es einige positive Ansätze seitens des Umfeldes des US-Präsidenten. Wie sich der Kongress im Einzelnen verhalten wird, gilt als fraglich. Hier müssen wir einen Teil unserer Bemühungen entfalten, die Amerikaner auf diesem Wege in Bewegung zu bringen. ({1}) Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der in unserer Debatte immer wieder wichtig ist: Natürlich ist es eine Entwicklungsrunde. Es ist aber auch eine Runde, bei der Europa seine Interessen in der Welt vertritt. Ich habe hier bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt: Auch mit den Schwellenländern stehen wir heute in heftigem Wettbewerb, ({2}) vor allem mit den Chinesen, den Indern und den Brasilianern, aber auch mit den Südafrikanern und den Mexikanern. Dass sich Europa hier in angemessener Weise positionieren muss, damit es im Welthandel keine Nachteile erleiden muss, liegt wohl auf der Hand. Wir sind eines der Hauptexport- und -handelsländer dieser Welt. Deshalb liegt es besonders in unserem Interesse - das sage ich bewusst in Richtung des Wirtschaftsministeriums -, alles Erdenkliche dafür zu tun, dass das multilaterale Welthandelssystem erhalten bleibt. ({3}) Wir müssen auch weiter daran arbeiten, dass endlich wieder Vertrauen in die internationalen Institutionen einkehrt. Es geht hier nicht nur um die WTO, es geht auch um den IWF und die Weltbank. Wenn wir unsere Philosophie ein Stück weit verändern - sie darf nicht mehr getragen sein von der Dominanz der Amerikaner, sondern wir müssen von einer multipolaren Welt der Zukunft ausgehen -, dann kann Deutschland einen wichtigen, vermittelnden, aber in der Zielsetzung durchaus klaren Standpunkt entwickeln, mit dem wir die Dinge voranbringen können. Darum bitte ich die Bundesregierung ausdrücklich. ({4}) Es geht bei dem Werben auch um etwas, das mir immer mehr Kopfschmerzen bereitet: die Vorbildfunktion. Man kommt auf internationale Kongresse und Tagungen, und die Entwicklungsländer fragen zu Recht: Was macht eigentlich ihr Amerikaner, aber auch ihr Europäer? Ihr haltet euch nur sehr bedingt an die von euch selbst gesetzten Standards. Doch von uns erwartet ihr, dass wir diese Standards erfüllen. - Hier muss ein stärkeres Maß an Durchgängigkeit, an Klarheit dessen, was wir anderen zumuten, und dessen, was wir uns selbst zumuten müssen, hergestellt werden. Diese Glaubwürdigkeit kann auch im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaft stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Jene, die in dieser Debatte darauf verwiesen haben, das ganze WTO-System sei eigentlich nichts weiter als eine neokoloniale Erscheinung, sollten einmal über Folgendes nachdenken: Die Alternative zur Multilateralität ist, dass eine Vielzahl bilateraler Abkommen geschlossen würden. Das würde am Ende insbesondere den ärmsten der armen Länder in der Welt schaden. ({5}) Wir wie andere vergleichbare Länder würden vielleicht noch damit zurechtkommen, die armen Länder aber mit Sicherheit nicht. In diesen Ländern würde sich der Prozess der Verarmung in einer Weise fortsetzen, die nicht mehr verantwortbar wäre. Deshalb müssen wir in dieser Frage beieinander stehen. ({6}) Ein weiterer Punkt. Wir müssen, allein schon aus ei- genem Interesse, allergrößten Wert darauf legen, dass die Kernarbeitsnormen der ILO und Umwelt- und So- zialstandards in verstärktem Maße Eingang in die Volks- wirtschaften dieser Welt finden. Es führt kein Weg daran vorbei, auf dieses Thema hinzuweisen, selbst wenn es nicht unmittelbar in die WTO-Verhandlungen einfließen kann. Nur dann werden wir a) zur Wahrung der Men- schenwürde beitragen, b) die Realisierung des Klima- schutzes voranbringen und c) dafür Sorge tragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit in dieser Welt und damit unsere Wettbewerbsposition nicht dadurch weiter unterminiert werden, dass sich andere überhaupt nicht an Standards halten und tun, was sie wollen, noch dazu ungestraft. Das darf nicht sein. Wir müssen uns alle zusammen dafür einsetzen, dass sich Europa und Deutschland dieser Aufgabe stellen und eine wichtige Klammerfunktion wahrnehmen. ({7}) Abschließend noch ein Aspekt, der kürzlich bei der WTO-Parlamentarierkonferenz eine gewisse Rolle gespielt hat: Wir müssen uns langfristig Gedanken darüber machen, ob die Struktur der WTO wirklich als arbeitsfähig zu bezeichnen ist. ({8}) Es ist gut, wenn alle Einfluss haben und mitbestimmen können. Aber eine Organisation oder Institution, die sanktionieren kann und die handeln und steuern muss, braucht letztlich ähnliche Strukturen wie beispielsweise die Vereinten Nationen. Nur ein Delegationsverfahren ermöglicht letztlich Arbeitsfähigkeit. Diesen Aspekt sollten wir Deutsche im Rahmen der G 8 zur Sprache bringen, zumal sich auch die EU dazu schon eingelassen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir sollten mit großem Engagement die Fortführung der Doha-Entwicklungsrunde betreiben. Falls es nicht weitergehen sollte, sollten wir alles dafür tun, um die Ergebnisse der Konferenz in Hongkong zu sichern. Das wäre zugunsten der Entwicklungsländer, aber auch zugunsten unserer Position. Ich denke, das ist eine Menge Arbeit. Ich hoffe sehr, dass Herr Glos und sein Wirtschaftsministerium die der Stellung Deutschlands zukommende Aufgabe wahrnimmt. Schönen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fritz, Kollege Staffelt, bei aller Beschwörung des guten Willens zum Abschluss: Der Geist des Antrags spiegelt die Gründe für das Scheitern der WTO-Verhandlungen wider. Rufen wir uns einmal den Ausgangspunkt in Erinnerung. Die verheerenden Folgen der Uruguayrunde - als Konsequenz von Liberalisierung und Deregulierung waren nicht Wohlstandsentwicklung, sondern wachsende Armut und wachsende Polarisierung. Deswegen war es erforderlich, für die Zustimmung der Entwicklungsländer zur Doharunde deren Interesse in den Mittelpunkt zu stellen und nichts anderes. Deshalb sollte es eine Entwicklungsrunde werden. Aber wo Entwicklung draufsteht, muss auch Entwicklung drin sein ({0}) anstatt, wie Sie, die Interessen der Konzerne in Europa und Deutschland in den Vordergrund zu stellen. Weiterhin fordern Sie das Dreiecksgeschäft: Zugeständnisse an die Entwicklungsländer gibt es nur, wenn die Schwellenländer ihre Märkte für die Industrie und für Dienstleistungen öffnen. Ausnahmen zum Schutz der Ernährungssicherheit und für Souveränität sollen nur für die ärmeren Entwicklungsländer gelten. Auch die Men7454 schen in Brasilien und Indien wehren sich zu Recht gegen den Ausverkauf ihrer öffentlichen Daseinsvorsorge. ({1}) Kollege Fritz, Sie haben vor kurzem während der Reise nach Indien doch auch wieder erfahren: Schutzmechanismen für die Landwirtschaft sind auch in Indien dringend notwendig, weil sonst Millionen von Subsistenzbauern ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. ({2}) Sie weisen zu Recht auf die Verletzung der Kernarbeitsnormen in vielen Ländern - zum Beispiel in China - hin. Wer veranlasst diese aber und wer zieht den Nutzen daraus? Am 8. Oktober 2006 hat das Magazin „Weltspiegel“ in einem Bericht über einen chinesischen Hersteller von Duschvorhängen gezeigt, wie die Aufkäufer aus Europa und den USA in China agieren. Sie erpressen die chinesischen Hersteller: Wenn du den Auftrag willst, musst du billiger produzieren als bisher - auch unter Verletzung der Kernarbeitsnormen. - Eingekauft wird in China für 1,96 Dollar und verkauft wird in Europa für 20 bis 30 Dollar. Wer die Bedeutung der ILO-Kernarbeitsnormen stärken will, der sollte zunächst einmal die europäischen Konzerne verbindlich darauf verpflichten, sie auch in China einzuhalten. ({3}) Wer die soziale Situation verbessern will, der muss die Konzerne hinsichtlich der Kernarbeitsnormen auch bei den Investitionen in die Pflicht nehmen. Mit der EU-Strategie „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ forcieren Sie im Gegenteil die Freizügigkeit bei Investitionen europäischer Konzerne in bilateralen Handelsabkommen. Damit nehmen Sie den Regierungen die Gestaltungsmacht in diesen Dingen, anstatt sie zu stärken. Auch für Europa behandeln Sie soziale und ökologische Auflagen in dieser Strategie als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit, die es zu beseitigen gilt. Wer erfolgreiche Verhandlungen und einen erfolgreichen Abschluss will, der muss im Rahmen der Ratspräsidentschaft und des G-8-Vorsitzes eine Neuorientierung vornehmen: die Förderung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in Europa und in den Verhandlungen, die Orientierung an einem fairen Welthandel mit den Entwicklungs- und Schwellenländern - das heißt, Ernährungssicherheit und Souveränität für alle; auch für die Schwellenländer -, eine tatsächlich an deren Interessen orientierte Verhandlung - das heißt, keine Ausweitung in das GATS - und der Schutz vor dem Zugriff auf ihre Märkte. Kollege Fritz, der Handel braucht auch die Absicherung des Sozialsystems. Das gilt also nicht nur umgekehrt. Schöne Feiertage und auf gute Zusammenarbeit im nächsten Jahr! Danke. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 11. September 2001 brachte einen großen Schock. Unmittelbar danach fand in Doha eine Konferenz statt. Unter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse gab es das Versprechen, dass die Doharunde eine Entwicklungsrunde werden sollte. Es wurde schon gesagt: Die Auswertung der Uruguayrunde hatte ergeben, dass es den ärmsten Ländern danach noch schlechter als zuvor ging. An die Doharunde wurde ein ganz anderer Anspruch gestellt: Mit ihr sollte wirklich zur Armutsbekämpfung und zur Wohlfahrtssteigerung in den Entwicklungsländern beigetragen werden. Doch was ist daraus geworden? Wir erleben in den Diskussionen sehr viel Entwicklungsrhetorik. Ich habe das „off the record“ am Rande der WTO-Konferenz in Hongkong erlebt, weil ich in demselben Hotel wie die Mitglieder der EU-Kommission untergebracht war. Abends an der Hotelbar hat ein sehr hoher Repräsentant der EU-Kommission gesagt: Meine Herren, bei den Eröffnungsveranstaltungen müssen wir alle eine Träne ausdrücken, die Millenniumsziele zitieren und von der Armutsbekämpfung sprechen. Aber seien wir ehrlich: Wenn wir nach Hause kommen, werden wir daran gemessen, was wir für unsere Exportindustrie herausgeholt haben. - Das war jetzt kein Originalzitat - ich habe es nicht mit einem Rekorder aufgenommen -, aber sinngemäß vorgetragen. Offenbar legen viele dort eine ziemlich zynische Haltung an den Tag. Hier wurde in vielen Reden gesagt, die Europäische Union habe sich bereits hervorragend bewegt; abgesehen von den Franzosen seien es allein die Amerikaner, die blockierten. Das sieht die große Mehrheit der Entwicklungsländer völlig anders. Auch da gibt es eine große Kluft zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung. In den Reden, die zum Antrag gehalten wurden, wurde viel Richtiges gesagt. Ich war angenehm überrascht, dass die Kernarbeitsnormen der ILO unterstützt werden. Es ist eine sehr wichtige und gute Forderung in diesem Antrag, diese Normen anzuwenden. Außerdem wurde gefordert, ein Standing Forum zu etablieren, damit sich die WTO stärker mit anderen multilateralen Organisationen, die für die ökologischen und sozialen Dimensionen der Globalisierung verantwortlich sind - die WTO ist stark; die anderen Organisationen sind sehr schwach -, verzahnt. Richtig war auch, dass gesagt wurde: Umweltschweinereien und ausbeuterische Kinderarbeit sowie die Verletzung von Kernarbeitsnormen dürfen sich nicht als komparative Kostenvorteile auswirken. Das sind ganz wichtige Punkte, die ich ausThilo Hoppe drücklich unterstreichen möchte. Das Votum fast aller Redner ist also zu unterstützen: Wir sind nicht an einem Scheitern der WTO, sondern an ihrer Stärkung interessiert; wir brauchen multilaterale Regeln für alle. Wir können hier eigentlich eine breite Übereinkunft von fast allen feststellen. Liest man aber den Antrag, erkennt man, dass er in einigen Punkten eine ganz andere Sprache spricht. Er beinhaltet Double-Bind: Einerseits fordert er, der Doha-Entwicklungsrunde zum Erfolg zu verhelfen; gleichzeitig sagt er aber auch: Wenn das nicht klappt, müssen bilaterale und polylaterale Verhandlungen mit Kraft geführt werden. ({0}) Das ist keine Zukunftsvision; das geschieht schon, etwa im Rahmen der EPA-Verhandlungen, der Verhandlungen mit den AKP-Staaten sowie bei den Verhandlungen mit asiatischen Staaten, mit China und Indien, die Peter Mandelson begleitet hat. Damit wird aber nicht das Ergebnis von Hongkong gesichert. Themen, die bei der WTO schon hinten heruntergefallen waren, kommen durch die Hintertür wieder auf die Agenda; das wird im Antrag sogar ausdrücklich gefordert. Hiermit meine ich die Singapurthemen: Investitionsschutz, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen. Unter Rot-Grün haben wir vor der Cancúnkonferenz einen Antrag verabschiedet, der eindeutig vorsah, die Singapurthemen herauszunehmen, weil sie zu kompliziert sind, weil sie eine Einigung erschweren. Jetzt heißt es im Antrag plötzlich zu bilateralen Abkommen, sie … sollten allerdings mit dem Anspruch verbunden werden, über den aktuellen Stand der WTO-Vereinbarungen hinauszugehen. Diese Themen sollen also wieder aufgenommen werden. ({1}) Das ist eine Sabotage der WTO. Wir sehen das sehr kritisch. In diesem Bereich können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir möchten eine Entwicklungsrunde, die diesen Namen verdient. Das Wort Entwicklungsrunde soll kein Etikettenschwindel sein. Das macht weit größere Zugeständnisse auch der Europäischen Union bei der Abschaffung der Agrarexportsubventionen - nicht nur der direkten Agrarexportsubventionen, sondern aller Subventionen im Agrarbereich, die sich handelsverzerrend und nachteilig für die Entwicklungsländer auswirken können - erforderlich. Zum Schluss möchte ich einige Redner bremsen. Einige Rednerinnen und Redner haben zitiert, eine grenzenlose Liberalisierung aller Märkte würde große Wohlstandsgewinne für die ganze Welt bringen. Es gibt neue Studien der Weltbank - ich habe die Zahlen leider nicht vorliegen; ich kann sie Ihnen aber zur Verfügung stellen -, die besagen, dass eine grenzenlose Liberalisierung beispielsweise für die Staaten Afrikas große Risiken in sich berge. Man hat die bisherigen Zahlen stark relativiert. Das, was ich sage, hat weder Attac noch die Kirchen, sondern die Weltbank selber formuliert. Es heißt dort, gerade die ärmsten, aber auch die weniger armen Staaten Afrikas brauchten in einigen Bereichen mehr Schutzmechanismen, mehr Außenschutz, um nicht nur den Ernährungssektor, sondern auch die sonstige Industrie, die sich gerade entwickelt und noch sehr verletzlich ist, zu schützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werbe also für eine Entwicklungsrunde, die diesen Namen wirklich verdient. Wir sollten der Entwicklungsrhetorik nicht auf den Leim gehen. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Anstrengungen für einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Welthandelsrunde mit höchster Priorität fortsetzen“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 16/3810? - Das sind die Antragsteller. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das erste war die Mehrheit. Dann ist der Antrag angenommen. Zum Tagesordnungspunkt 24 b stimmen wir nun über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3584 zum Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Doha-Runde wieder beleben - WTO-Generaldirektor als Schlichter einsetzen“ ab. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2658 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit gegen die Stimmen der FDP angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Cornelia Pieper, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit schützen - Entschiedenes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wertprüfungs- und Sortenversuchen sowie von Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen - Drucksache 16/2835 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion. ({1})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 23 Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen wurden in diesem Jahr zerstört. Forschungsinvestitionen wurden entwertet, Wissensfortschritt verhindert und das Engagement junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Leere geführt. Wir in der FDP empfinden diese Situation als unerträglich. ({0}) Dabei wollen wir festhalten: Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich nicht gegen den kommerziellen Anbau von Bt-Mais, eine gentechnisch veränderte Maissorte, die gegen das Schadinsekt Maiszünsler resistent ist. Die Mehrzahl der Zerstörungen richtete sich gegen Sortenversuche und Wertprüfungen, gegen Versuche zur biologischen Sicherheit und gegen Koexistenzversuche. All diese Versuche finden auf Miniflächen statt. Damit richteten sich diese Zerstörungen gezielt gegen den Züchtungsfortschritt von landwirtschaftlich genutzten Sorten und die Steigerung der Wertschöpfung in den ländlichen Räumen. Die Schäden betrugen mehrere Millionen Euro. Ich meine, dass wir das nicht länger hinnehmen können. ({1}) Eine Regierung, die eine Hightechstrategie auf den Weg gebracht hat und diese auch umsetzen will, wie ich annehme, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU/CSU, und die im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, dass Anbau und Forschung gentechnisch veränderter Pflanzen zum Wohle der ländlichen Räume gefördert werden sollen, ist angesichts dieses zerstörerischen Demonstrationstourismus gefordert, Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Mittelständische Zuchtunternehmen haben wegen dieser Situation bereits vor mehreren Jahren Forschungsabteilungen ins Ausland verlagert. Studenten, Diplomanden, Doktoranden und andere Wissenschaftler können aufgrund ihrer guten Sprachkenntnisse ebenfalls ins Ausland gehen. Es ist für sie kein Problem, ein Arbeitsplatzangebot im Ausland anzunehmen. Aber was wird aus unserem Mittelstand, aus der Gastronomie und dem Handwerk, wenn diejenigen unser Land verlassen, die relativ gut verdienen und es sich leisten können, ein Haus zu bauen, die hier Urlaub machen und gerne in die Gastwirtschaft gehen? ({2}) Das wäre ein großer Verlust für unser Land und vor allem für die Menschen, die darauf angewiesen sind, dass andere ihr Geld bei ihnen ausgeben. ({3}) Deswegen ist es nicht nur eine Frage des Züchtungsfortschritts, sondern auch des sozialen Miteinanders, ob es sinnvoll ist, dass wir als ein Land, in dem relativ hohe Gehälter gezahlt werden, diejenigen ins Ausland vertreiben, die diese hohen Einkommen beziehen. Es stellt sich auch die Frage, ob es sinnvoll ist, diejenigen, die bei uns studiert und sich ein umfassendes Wissen erarbeitet haben, ins Ausland gehen zu lassen, weil sie bei uns keine Arbeit finden. Der Wackelkurs von Minister Seehofer in der Frage der Novellierung des Gentechnikgesetzes hat den Demonstrationstourismus noch gefördert. Er hat die Hoffnung geweckt, es gäbe Möglichkeiten, die Gentechnik zu verhindern. Dabei wissen wir alle, dass gentechnisch veränderte Pflanzen inzwischen weltweit auf über 90 Millionen Hektar angebaut werden. ({4}) - In mehr als vier Ländern, und es sind große Länder. Die Produkte kommen zu uns. Es macht keinen Sinn, sich gegen eine Züchtungsmethode zu wehren, über die zum Beispiel der Senat der Bundesforschungsanstalten sagt: Bt-Mais ist gesünder als herkömmlich gezüchteter Mais. Warum soll dieser Züchtungsfortschritt bei uns verhindert werden? ({5}) - Ich kenne auch das Gutachten, das in Bayern erarbeitet wurde. Das Bt-Mais-Monitoring wurde in vier Jahren an fünf Standorten durchgeführt. Das Gutachten ist hervorragend. Wenn Sie es ganz lesen, dann werden Sie feststellen, was uns alles entgeht. ({6}) - Das Bundesamt für Naturschutz hat in seinen Stellungnahmen in der Regel eine sehr abwegige Sicht der Dinge. Es weiß noch nicht einmal, dass beispielsweise Kartoffeln nicht auskreuzen. ({7}) - Das ist nicht höhnisch. Ich habe mich mit dem Gutachten des Bundesamtes für Naturschutz und den an mich gerichteten Briefen auseinander gesetzt. Ich habe sie mithilfe von Wissenschaftlern gegengecheckt und musste feststellen, dass das Bundesamt für Naturschutz in Forschungsfragen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das bedauere ich als engagierte Biologin. ({8}) - Ich fahre in meiner Rede fort. Aber Sie dürfen mir selbstverständlich gerne eine Frage stellen, Herr Kollege.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein. Es gab bereits vorher eine andere Wortmeldung. Diese müssen wir, wenn überhaupt, zuerst berücksichtigen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gestatten Sie denn eine Zwischenfrage? Sehen allein reicht nicht.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Frau Kurth.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Happach-Kasan, habe ich richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, dass das Bundesamt für Naturschutz in der Einschätzung wissenschaftlicher Sachverhalte nicht auf der Höhe der Zeit ist?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe mich insbesondere mit den Arbeiten des Bundesamtes für Naturschutz zur Freisetzung von Kartoffeln auseinander gesetzt. Ich habe einen Brief von Herrn Vogtmann zu diesem Thema bekommen. Ich habe nach Kontrolle durch andere wissenschaftliche Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland feststellen müssen, dass bestimmte Dinge, die das Bundesamt für Naturschutz vertritt, nicht richtig sind. Ich möchte zudem daran erinnern, dass das UBA und das BfN gemeinsam Gutachten über die Wirksamkeit von Freisetzungsversuchen herausgegeben haben, die meine Position sehr deutlich bestätigen. Das heißt, wenn das UBA beteiligt wird, kann auch das BfN gut arbeiten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Möchten Sie eine weitere Zwischenfrage aus den eigenen Reihen beantworten?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, dass die Bundesregierung offenbar die Zuständigkeit für die Gentechnologie im Bereich des Auswärtigen Amtes ansiedelt? Denn außer Herrn Erler ist niemand sonst von der Bundesregierung bei diesem Tagesordnungspunkt vertreten. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich teile Ihre Auffassung, dass die Bundesregierung offensichtlich die Verantwortung für die Grüne Gentechnik in das Auswärtige Amt verlagert hat. Ich glaube, dass sie dort gut aufgehoben ist. Ich darf an meine Erfahrungen in Argentinien erinnern. Dort wurde uns gesagt: Die Koexistenz ist die Sache derjenigen, die ohne Gentechnik anbauen wollen. Insofern vielen Dank für Ihre Unterstützung. ({0}) Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes verspielt Bundesminister Seehofer viele Chancen für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Willentlich hat Minister Seehofer die Novellierung des Gentechnikgesetzes so weit hinausgeschoben, dass es in der kommenden Anbausaison nicht mehr zur Geltung kommt. Damit enttäuscht insbesondere die CDU/CSU, mit der ich noch vor einem Jahr völlig übereingestimmt habe, die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler. ({1}) - Das glaube ich sehr wohl, Frau Kollegin Tackmann. ({2}) Es gibt in unserem Rechtsstaat keinen Freibrief für rechtswidriges Handeln. Im Grundgesetz ist der Schutz des Eigentums verankert. Die Zerstörung von Feldern ist eine gesetzeswidrige Aktion. Den Aktivisten, die für die Zerstörung von Feldern werben, ist dies bekannt. Laut „taz“ sagte eine Aktivistin: „Wir wissen, dass es sich im Prinzip um eine Sachbeschädigung handelt, und gehen von einer Anklage aus.“ Die FDP bedauert, dass sich trotz der eindeutigen Rechtslage nur wenige Verbände sowie nur wenige Politikerinnen und Politiker von - rechtswidrigen - Zerstörungsaktivitäten distanzieren. Ministerin Künast hat in ihrer Amtszeit auf die konkrete Anfrage des ZDF eine Distanzierung verweigert. Greenpeace begrüßt laut einer Sprecherin eine Vielzahl von Protesten. Ich wünsche mir, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen in den kommenden Debatten öffentlich von diesen Zerstörungen distanzieren; denn unser Rechtsstaat ist ein sehr hohes Gut, das wir einer tagespolitischen Auseinandersetzung nicht opfern sollten. ({3}) Wer Transparenz beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen will, muss den Zerstörungen aktiv entgegentreten. Es ist in meinen Augen extrem doppelzüngig, die Ortsangabe für diese Felder einzufordern, aber wenn sie zerstört werden, die Hände in Unschuld zu waschen. Wir sollten uns einig sein -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, einig sollten wir uns auch über die Redezeit sein. Diese ist, wie Ihnen entgangen sein dürfte, schon deutlich überschritten.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte die Geduld der Kolleginnen und Kollegen nicht zu lange strapazieren und komme deshalb zum Schluss. Ich bin in Brandenburg bei einer der 23 Zerstörungsaktionen dabei gewesen. ({0}) - Als Beobachter und Schützer des Landwirts! - Erschreckend waren der extrem geringe Informationsstand vieler Aktivisten - nicht aller - und die Tatsache, dass die Veranstalter vor Fehlinformationen nicht zurückscheuten und dass diese Aktion durchgezogen wurde, obwohl sie in der dortigen Bevölkerung keinerlei Unterstützung fand. Nur die „taz“ hat von dieser Aktion berichtet. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die gewaltigen Proteste nicht von Ängsten motiviert sind, sondern - immer am Wochenende organisiert - eine Form der Freizeitgestaltung sind. ({1}) Diese sollte durch das Gentechnikgesetz keine weitere Unterstützung finden. Auch deswegen muss das Gentechnikgesetz novelliert werden. Diese Art der Freizeitgestaltung ({2}) muss auf den Widerstand der Gesellschaft, der Politikerinnen und Politiker und von ernsthaft im Naturschutz engagierten Verbänden treffen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen schöne Weihnachten und ein gutes neues Jahr. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Max Lehmer, Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Kirsten Tackmann und Ulrike Höfken geben ihre Reden zu Protokoll.1) 1) Anlage 2 ({0}) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/2835 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle fest, dass das so ist. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung - Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken - Drucksache 16/1809 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hierzu soll eine dreiviertelstündige Debatte stattfinden. Ich stelle dazu Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Staatsminister Gernot Erler.

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 12. Mai 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vorgelegt. Er enthielt mehr als 160 Handlungsvorschläge, baute auf einer Reorientierung von Sicherheitspolitik seit dem Jahr 2000 auf und reflektierte Erfahrungen mit verschiedenen Konflikten, unter anderem auf dem Balkan und später auch in Afghanistan. Zwei Jahre später, am 31. Mai 2006, hat das Bundeskabinett den ersten Bericht zur Umsetzung dieses Aktionsplans verabschiedet und vorgelegt. Auf 133 Seiten wird hier bilanziert, was zwischen Mai 2004 und Mai 2006 erreicht werden konnte. Dieser Bericht stellt fest: Der Aktionsplan hat das deutsche Engagement bei Krisenpräventionsmaßnahmen verstärkt und das auch international sichtbar gemacht. Der Aktionsplan hat insgesamt zu erhöhter Aufmerksamkeit auf diesen Politikbereich geführt und dazu beigetragen, dass heute Krisenprävention zunehmend Teil von Sicherheitspolitik geworden ist. Diese Erkenntnis hatte sich auch in dem kürzlich vom Deutschen Bundestag beratenen Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006 niedergeschlagen. Ich möchte daraus eine kurze Passage in Erinnerung rufen. Dort heißt es wörtlich: Sicherheit kann weder rein national noch allein durch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist. Das Gesamtkonzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ ist ein Baustein hierzu. Dieser Baustein wird immer wichtiger. Warum? Weil jeder sieht, dass ein alleiniges Setzen auf Fähigkeiten, Konflikte, wenn sie ausbrechen, durch militärische Intervention unter Kontrolle zu bringen, große Risiken birgt. Wir wissen aus dem Balkan und aus Afghanistan, dass das Risiko besteht, dass jede solche Intervention zu einer sehr aufwendigen Langzeitverantwortung führt und dass dabei tendenziell eine Überforderung, ein so genanntes Overstretching, der Weltgemeinschaft entsteht. Die Alternative ist in der Tat eine wirksamere, vorausschauende Friedenspolitik, eine bessere und frühzeitige Analyse, Early Warning, und eine bessere und frühzeitige Antwort, Early Action, auf drohende Konflikte, also letztlich die Verhinderung von Krisen, bevor sie überhaupt richtig ausbrechen können. ({0}) Dieser Baustein ist aber auch wichtig, weil wir die Erfahrung machen, wie schwierig Friedenskonsolidierung, also die langfristige Stabilisierung nach einer vorläufigen Konfliktlösung, ist. Wir verdanken dem scheidenden UN-Generalsekretär Kofi Annan die Erkenntnis, dass 50 Prozent aller schon gelösten Konflikte nach fünf Jahren wieder virulent werden und wieder ausbrechen. Weil das so ist, ist es kein Wunder, dass zivile, präventive und friedenskonsolidierende Missionen immer wichtiger werden. Es ist kein Zufall, dass von den 15 laufenden Maßnahmen im Rahmen der ESVP heute 13 ziviler und nur zwei militärischer Natur sind. In diese Richtung geht es weiter. Während unserer Ratspräsidentschaft in der EU werden wir wahrscheinlich die bisher umfangreichste Rechtsstaatsmission in der bisherigen Geschichte der ESVP auf den Weg bringen, nämlich die im Kosovo. Dort werden etwa 950 Spezialisten plus 250 Polizisten eingesetzt, die auf Crowd-and-Riot-Control spezialisiert sind. Wir werden vielleicht darüber beraten müssen, was das Ergebnis der Fact-Finding-Mission ist, die gerade in Afghanistan war und die dort über eine Polizeimission Fakten gesammelt hat. Wir werden uns sicher darüber unterhalten, wie es im Kongo weitergehen soll, wo im Augenblick zwei zivile Missionen in Sachen Sicherheitssektor und Polizei sind, um den schönen Erfolg im Kongo, den die Weltgemeinschaft und speziell die EU erreicht haben, mit der EUFOR abzusichern. Es gibt sogar schon erste Überlegungen über künftige ESVP-Aufgaben in Zentralasien. Das alles zeigt die Vitalität der Nachfrage nach wirksamen Missionen im Bereich ziviler Krisenprävention. Damit zeigt sich auch die Bedeutung der Umsetzung des Aktionsplans, dessen Bericht wir hier beraten. Der Bericht der Bundesregierung zeigt allerdings auch, dass noch viel zu tun ist. Dessen ist sich die Bundesregierung bewusst. Ich will hier fünf Punkte stichwortartig anführen: Erstens. Wir brauchen ein Missionspersonalgesetz, um den Rechtsstatus von Leuten, die bei ziviler Krisenprävention eingesetzt werden, zu klären. Zweitens. Wir sind uns noch nicht klar, wie genau das Ressourcenpooling, das wir auch brauchen, gestaltet werden soll. Drittens. Wir müssen klären, wie die Beiträge der Privatwirtschaft zur Friedensförderung systematisch unterstützt werden können. Viertens. Wir müssen sehen, dass die internationalen, multilateralen Strukturen gestärkt werden. Das gilt auch für unser Engagement bei der kürzlich erst gebildeten UN-Peacebuilding Commission. Allein die Bildung dieser Kommission zeigt, wie aktuell der deutsche Ansatz ist. Fünftens. Schließlich brauchen wir eine bessere internationale Vernetzung der Akteure, das heißt Zusammenarbeit der EU mit den europäischen NGOs, die sich mit ziviler Krisenprävention beschäftigen. Das alles sind Erkenntnisse aus diesem Bericht, den wir heute hier beraten. Abschließend möchte ich feststellen: Zivile Krisenprävention ist nicht mehr ein Randthema oder ein Thema für Sonntagsreden. Das Thema ist bei uns und zunehmend weltweit in die Mitte verantwortungsbewusster Sicherheitspolitik gerückt. Dazu hat die deutsche Politik seit 2000 und besonders mit der Arbeit an dem Aktionsplan seit 2004 nicht unwesentlich beigetragen. Es besteht eine belastbare, glaubwürdige Selbstverpflichtung der Bundesregierung, sichtbar in diesem Aktionsplan, sichtbar aber auch im Koalitionsvertrag, der ausdrücklich auf die Umsetzung dieses Aktionsplans hinweist. Das Ganze findet im Rahmen der europäischen Sicherheitsstrategie statt. Wir können eigentlich jeden Vergleich aushalten, was die Umsetzung dieser europäischen Sicherheitsstrategie angeht. Die Bundesregierung will die Arbeit an dem Großthema zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung fortsetzen. Sie bittet dabei um die kritische Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen, die sich für dieses Thema interessieren. ({1}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen alles Gute und mir selber gute Besserung. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, lieber Herr Staatsminister, das Thema ist aus der Sicht der Bundesregierung doch ein Randthema; wenn ich die Präsenz auf der Regierungsbank betrachte, sieht das jedenfalls so aus. ({0}) Joschka Fischer hatte gestern, wie man weiß, keinen besonders guten Auftritt. Aber heute möchte ich ihn loben. Denn der von ihm verantwortete Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung war eine wichtige Initiative. Sie eröffnet große Chancen, jedenfalls wenn sie richtig umgesetzt wird. Der Vorrang der Prävention und des Zivilen vor der rein militärischen Reaktion ist natürlich ein vernünftiger Ansatz, wenn die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Leider ist das nicht ganz selbstverständlich. Auch wir hier im Hohen Hause haben immer wieder erlebt, dass wir Militäreinsätze fast schon routinemäßig beschließen und beschließen müssen. Der Aktionsplan unternimmt wenigstens den Versuch, solchen Krisen vorzubeugen, mit zivilen Mitteln einzugreifen und insbesondere durch eine kohärente Politik ressortübergreifend die Kräfte zu bündeln, bevor ein Militäreinsatz erforderlich wird. ({1}) Dadurch wird zugleich versucht - auch das ist gut -, Ressortegoismen dem großen Ziel unterzuordnen. So weit, so gut. Leider verliert sich die Umsetzung des Aktionsplans allerdings in Kleinigkeiten und Einzelheiten. Vielleicht - das kann man sicherlich konzedieren - ist das der Preis, den man zahlen muss, wenn man bestimmte Aufgaben zwar ressortübergreifend berät, aber in den einzelnen Häusern entscheiden lassen muss. Hier werden wieder Reibungsverluste sichtbar, die beispielsweise der leidigen Trennung von AA und BMZ geschuldet sind. Das will ich hier jetzt nicht vertiefen. Aber eines muss man feststellen: In dem eigens gebildeten Ressortkreis geben die Mitarbeiter ihr Bestes. Das gilt auch für die Mitglieder des beim AA angesiedelten Beirats, zu denen übrigens viele Vertreter von NROs gehören, aber auch viele Mitarbeiter von internationalen Unternehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Ihnen gebührt der besondere Dank der FDP-Fraktion und, wie ich annehme, des ganzen Hauses. ({2}) Ich nehme an, dass diesen Dank auch die Kolleginnen und Kollegen von der Union und der Linken teilen, ({3}) obwohl sie dem Beirat bisher noch keinerlei Zeichen von Teilnahme gezeigt haben. Das wird sich hoffentlich ändern. Die Kollegin Hänsel, die noch in letzter Minute ihren Beitrag hier angemeldet hat - normalerweise nennt man das eine Spätberufene -, wird uns sicher erklären, dass auch die Linken dieses Thema ernst nehmen. Trotz der genannten Hemmnisse und Hindernisse ist es also insgesamt ein lobenswertes Vorhaben. Aber was hat sich an positiven Ansätzen konkret daraus entwickelt? Wir wissen es: leider nicht besonders viel. Der Bericht selbst belegt dies. Es ist Kleinkram. Es fehlt einfach der politische Wille, den mit dem Aktionsplan verfolgten Zielen wirkliche Priorität zu geben. Hier muss das punktuelle Lob, das ich eben für Rot-Grün und Fischer ausgesprochen habe, in Kritik umschlagen. Wir wissen alle, dass die Krisenprävention bei Joschka Fischer in der praktischen Politik nicht an erster Stelle stand. Das ist leider Gottes heute nicht wesentlich anders. Das Thema ist so wesentlich, dass es die Richtlinienkompetenz auf den Plan rufen muss. Es muss Chefbzw. Chefinnensache sein; denn sonst fehlt es - das ist klar - an Geld, Aufmerksamkeit und auch Durchsetzungskraft. ({4}) Ich will in diesem Zusammenhang das Beispiel Afghanistan in Erinnerung rufen. Wir wissen alle, dass die Entwicklung dort dramatisch ist und dass der militärisch fast gewonnene Konflikt in das Gegenteil umzuschlagen droht, weil es beim Aufbau nicht vorangeht und weil das Vertrauen der Menschen dort verloren geht. Das wird von der Bundesregierung und insbesondere vom BMZ allerdings nicht ernst genommen. ({5}) Während in aller Welt erzählt wird, wie wichtig für uns Deutsche die zivile Aufbauhilfe sei, stattet die Bundesregierung sie nur mit einem ganz mickrigen Aufwuchs in Höhe von 5 Millionen Euro aus. Die Ministerin lässt per Pressemitteilung sinngemäß erklären, es werde schon jetzt genug für Afghanistan getan, und rechtfertigt, in der Haushaltsdebatte darauf angesprochen, das im Übrigen auch noch. Das ist peinlich. ({6}) Wo ist denn die Ministerin oder ein Vertreter ihres Ministeriums heute, da wir dieses Thema behandeln? Die Ministerin fährt lieber um die Welt, um mit einem Pulk von Journalisten und mit einem Jubelchor von Koalitionsabgeordneten in Indonesien eine Homestory mit schönen Fotos zu produzieren. So sollte man an dieses wichtige Thema nicht herangehen. ({7}) - Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Katastrophe von Aceh schon zwei Jahre zurückliegt. Man hätte also auch zu einem anderen Zeitpunkt dorthin fahren können. ({8}) Da ein Thema auf der Tagesordnung steht, das im Zentrum unserer Aufmerksamkeit liegen sollte, hätte die Ministerin heute hier und nicht dort sein müssen. ({9}) Hier zeigt sich, dass für die Ministerin die Öffentlichkeitsarbeit mit „Frau im Spiegel“ wichtiger ist als die mit dem „Spiegel“. ({10}) Diese Geringschätzung der Krisenprävention in der praktischen Arbeit ist das Problem, mit dem wir uns auseinander setzen sollten. Sie sollten genauso wie wir einmal danach fragen, wo eigentlich die ordnende Hand ist, die tatsächlich Prioritäten setzt. Rund ein halbes Prozent unserer gesamten EZ-Mittel gehen zurzeit nach Afghanistan. Obwohl wir am Hindukusch, wie der jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Verteidigungsminister - er ist sozusagen ein Sachverständiger in dieser Frage - sagt,

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- ich habe es gesehen, Herr Präsident - unsere Freiheit verteidigen, passiert nichts Adäquates. ({0}) Der Plan ist also gut. Aber seine Verankerung in den Köpfen ist leider miserabel und seine Umsetzung deshalb weitestgehend misslungen. ({1}) Da ich außerhalb meiner Redezeit keine Weihnachtswünsche mehr äußern darf, möchte ich wenigstens darum bitten, dass die Bundesregierung für das neue Jahr gute Vorsätze fasst und sich vornimmt, diesen Aktionsplan wenigstens zu lesen. Wir wünschen uns, Frau Kollegin Zapf, dass er in konkrete Politik umgesetzt wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller vorweihnachtlichen Friedfertigkeit, Herr Kollege Königshaus, muss ich sagen: Was Sie eben von sich gegeben haben, kann man nicht unkommentiert stehen lassen. ({0}) Ich glaube, die Entwicklung im Kongo und die Aufgaben, die Deutschland im Bereich der Friedenskonsolidierung und der Konfliktprävention in vielen anderen Ländern übernommen hat - zum Beispiel werden 885 Millionen Euro für Entwicklungshilfe in Afghanistan ausgegeben - zeugen davon, dass in der Bundesregierung und in den sie tragenden Fraktionen sehr wohl der Wille existiert, an dieser Stelle etwas zu tun. ({1}) Es ist daher richtig, wenn wir versuchen, vorurteilsfrei an die Sache heranzugehen und zu schauen, was in den letzten beiden Jahren wirklich passiert ist. ({2}) Niemand bestreitet doch, dass dieser Bereich ausbaufähig ist. Jeder von uns würde gerne mehr Mittel zur Verfügung stellen, damit mehr getan werden kann. Aber schauen Sie einmal auf den Rest von Europa und auf die anderen Kontinente. Viele Länder dieser Welt haben das Instrument der zivilen Krisenprävention, der Konfliktlösung und der Friedenskonsolidierung gerade erst entdeckt. In Deutschland sind wir immerhin schon so weit, dass wir diesen Weg seit zwei Jahren gehen. Natürlich ist dies immer noch ein zartes Pflänzchen; aber es ist immerhin eines vorhanden und wir brauchen nicht erst noch den Samen zu streuen. Auch das sollten Sie bei aller notwendigen Kritik seitens der Opposition anerkennen. ({3}) Ich glaube, dass in dem heute vorliegenden Bericht sehr deutlich gemacht wird, wo in Zukunft unsere Schwerpunkte liegen müssen. Ich möchte auf das zu sprechen kommen, was der Kollege Königshaus gesagt hat: Wir sind in letzter Zeit sehr häufig dafür kritisiert worden, dass wir uns zu wenig an harten Militäreinsätzen beteiligen, ({4}) dass wir nicht an diesem internationalen Einsatz teilnehmen und nicht in jenes Land gehen. Wir leisten aber einen wichtigen Beitrag. Die Konsolidierung von Friedensprozessen und die Konfliktprävention sind vielleicht nicht sehr spektakulär; denn sie liefern nicht solche Bilder, wie sie Kriegseinsätze liefern. Aber sie wirken zum Schluss dauerhafter und nachhaltiger und verdienen deshalb unsere volle Unterstützung. ({5}) Natürlich ist es in diesem Zusammenhang schwierig, einen ressortübergreifenden Ansatz zu wählen. Aber es ist immerhin gelungen. Ich finde, dass man an vielen Stellen sehr deutlich sehen kann, wo wir Möglichkeiten und Chancen haben. Natürlich gibt es Länder, von denen wir heute sagen: Da sind wir nicht so weit, wie wir gerne wären. Das ist gar keine Frage. Mir fällt in diesem Zusammenhang auch Afghanistan ein. Afghanistan ist ein Land, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient; über die Mittel, die dort hinfließen, habe ich schon gesprochen. Es ist ein Land, für dessen Stabilisierung wir alle Kräfte - in diesem Fall von der klassischen Verteidigungs-, also Militärpolitik, über die klassische Außenpolitik und die Menschenrechtspolitik bis hin zur Entwicklungspolitik - bündeln müssen. Gerade an dieser Stelle sollten wir die Entwicklungspolitik viel mehr als strategisches Element und strategisches Moment begreifen; denn nur sie kann dabei helfen, soziale Verwerfungen zu beseitigen und nachhaltige Lösungen zu schaffen. ({6}) Ich denke dabei gerade an den Bereich, der sicherlich mit am wichtigsten ist: die Verbreitung von Drogen. Dies ist eine große Aufgabe; das ist gar keine Frage. Sie lässt sich nicht nur mit militärischen Mitteln lösen. Wir haben zum einen ein Mentalitätsproblem und zum anderen vor allen Dingen das Problem zu lösen, dass wir denjenigen, die Drogen anbauen, eine tatsächliche Alternative bieten müssen, damit sie damit aufhören, Drogen anzubauen. Da sind unsere Kreativität und unsere Mittel gefragt; denn wir können an dieser Stelle nur dann etwas erreichen, wenn wir echte Alternativen haben. Zu sagen: „Baut irgendein Getreide an“, das dann vielleicht nur ein Zehntel oder ein Hundertstel des Gewinnes abwirft, den der Drogenanbau bringt, wird keine Lösung sein. Auch das sollten wir für die Zukunft sehen. ({7}) Ein Weiteres, wenn wir über Afghanistan reden. Wir haben es mit einem Land zu tun, das eine Grenze zu Pakistan hat. Diese Grenze ist, wenn wir über die Verbreitung und den Transport von Drogen reden, ein großes Problem für uns; das wissen wir alle. Es gibt noch keine richtige Lösung dafür. Aber ich glaube, auch hierin liegt durchaus ein Ansatz für entwicklungs- und menschenrechtspolitische Maßnahmen. Wir haben es nun einmal mit einer Grenzregion zu tun, die sich nicht mit einer europäischen Grenzregion oder einer auf dem amerikanischen Kontinent vergleichen lässt. Es leben dort Menschen, die sich nicht zwingend als Afghanen oder Pakistanis bezeichnen würden. Es sind vielleicht Paschtunen oder Angehörige einer anderen Volksgruppe. Es gehört für uns dazu, zu lernen, dass die Mentalitäten anders sind. Wir müssen uns auf diese anderen Mentalitäten einstellen und sie bei unseren Maßnahmen im Bereich der Entwicklungspolitik berücksichtigen. So könnte man viele andere Gebiete auf dieser Welt beleuchten. Ich möchte daher - es hat in der Debatte vorhin eine Rolle gespielt - noch den Sudan ansprechen. Da erleben wir eine verkehrte Welt. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hätte vielleicht vor zehn Jahren nicht so gesprochen, wie sie es heute tut, wenn es um die Frage geht: Brauchen wir mehr Militär an dieser Stelle in der Welt? Dazu sage ich ganz deutlich: Natürlich hat das etwas mit militärischem Engagement zu tun. Aber es ist doch unverantwortlich, Soldaten in eine Mission zu schicken, von der wir von vornherein wissen, dass sie angesichts der gegenwärtigen Situation keine Aussicht auf Erfolg hat. Dementsprechend brauchen wir auch hier einen übergreifenden Ansatz und eine übergreifende Lösung. Ich glaube nicht, dass wir mit kurzfristigen Aussagen weiterkommen, mögen sie auch recht interessant sein. In einem Land, wo das bis vor einigen Monaten vielleicht nicht ohne weiteres denkbar gewesen wäre, können wir gewisse Entwicklungen feststellen: in den USA. Der Baker-Report hat dort gerade die große Runde gemacht. Der Bericht behandelt zum einen die Frage des zukünftigen militärischen Engagements. Daneben enthält er aber einen wichtigen Hinweis: Wir brauchen einen breiteren Politikansatz, der alle Politikfelder sowie die handelnden Personen und Institutionen einbezieht. Ich denke, dass Deutschland aufgrund seiner guten Expertise, die es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewonnen hat, einen wichtigen Beitrag leisten kann. Das gilt vielleicht nicht unbedingt für den persönlichen Kontakt; wir sollten uns aber einbringen, denn wir haben die entsprechende Expertise und können etwas erreichen. Ich glaube, dass wir einen solchen Beitrag leisten können und auch leisten müssen. Die vernünftige Einbindung von Nichtregierungsorganisationen ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Ich habe den Eindruck, dass auch insoweit bereits ein wichtiger Schritt getan wurde. Es wird immer wieder gefragt: Was macht die Bundesregierung, und was macht die Bundesregierung nicht? Deutschland verfügt - das will ich an dieser Stelle erwähnen, weil es immer wieder vergessen wird - mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze über ein ganz hervorragendes Instrument zur Ausbildung von Menschen, die an Friedensmissionen beteiligt sind. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Das sollte man in dieser Debatte einmal deutlich erwähnen. ({8}) Interessanterweise ist der Kollege Königshaus ja Mitglied des Aufsichtsrats. Deswegen finde ich es ausgesprochen spannend, dass er das an dieser Stelle leider gar nicht gesagt hat. In dem Bericht kann man nachlesen, wo sich Deutschland überall engagiert. Ich zähle es einmal auf: bei Missionen der Europäischen Union und der UN in den Ländern Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Sudan, Äthiopien, Eritrea, Georgien, Sierra Leone, Liberia, Mazedonien, Aceh in Indonesien, Moldau/ Ukraine und am Grenzübergang Raffah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Dazu kommen 180 OSZEMissionen und 10 Missionen des Europarates. Ich glaube nicht, dass man davon sprechen kann, dass sich Deutschland zu wenig engagiert. ({9}) Natürlich ist es wichtig - Herr Staatsminister Erler hat das schon angesprochen -, dass wir die Kräfte in Zukunft bündeln; das muss die Aufgabe der kommenden Jahre sein. Wir wissen, dass uns nicht die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen werden, die wir eigentlich bräuchten. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns besser verzahnen, dass wir uns hinsichtlich der Initiativen mit anderen Ländern zusammenschließen. Wir müssen dieses Thema in der Europäischen Union und der transatlantischen Partnerschaft in den Vordergrund rücken. Ich habe vor zwei Tagen ein Gespräch mit Mitarbeitern des britischen Außenministeriums geführt. Sie versuchen in diese Richtung etwas, was beispielhaft ist. Ich denke, dass wir dort und auch jenseits des Atlantiks gute Anknüpfungspunkte finden. Wir haben es, so meine ich, mit einer durchaus erfolgreichen Angelegenheit zu tun. Ich kann die Bundesregierung nur ermuntern, auf diesem Weg weiterzufahren. Ich wünsche uns allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Ich danke Ihnen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister Erler, Herr Botschafter Däuble, bitte bestellen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren ganz herzlichen Dank dafür, dass sie diesen Bericht zusammengestellt haben. ({0}) Dieser Bericht zeigt erneut, in welcher Breite und Intensität in diesem Bereich schon seit längerem vonseiten der Bundesregierung gearbeitet wird. ({1}) Im Unterschied zum ursprünglichen Aktionsplan kommt es in diesem ersten Überprüfungsbericht erstmals zu Schwerpunktsetzungen, was sehr wichtig ist. Defizite - den Ball werde ich gleich noch stärker aufnehmen werden zumindest angedeutet. Zur Erinnerung: Der Aktionsplan „Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ geht auf zwei wesentliche Erfahrungen zurück, erstens auf die Erfahrungen, die man im Rahmen des internationalen Krisenengagements gesammelt hat. Es gab ein eklatantes Defizit bei den Fähigkeiten zur zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung. Daraus sind seit 1998 erhebliche Schlussfolgerungen gezogen worden. Das ZIF ist nur ein Beispiel von vielen. Ein anderes Beispiel ist der Zivile Friedensdienst. Die zweite Erfahrung: Es kam darauf an, nicht nur einzelne Maßnahmen und Instrumente, sondern auch neue Fähigkeiten systematisch zu entwickeln. Dies ist der Ansatz des Aktionsplans. Es kommt darauf an, die ganze Politik der Bundesregierung an dieser Querschnittsaufgabe auszurichten. Das Echo vor zwei Jahren auf den Aktionsplan war deutlich gespalten. In der Fachwelt sah man ihn sehr positiv und war zustimmend, in der Öffentlichkeit lag die Reaktion praktisch bei null. Das muss man so deutlich sagen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Ansatz der zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung aktueller denn je ist. Wir erinnern uns an die zunehmende Ernüchterung in den letzten Wochen und Monaten, die alle angesichts der Auslandseinsätze packt. Wir sehen immer deutlicher die Grenzen dieser Auslandseinsätze und merken, dass es von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass die zivile Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung mit einer ganz anderen Intensität vorangetrieben werden. Es reicht nicht aus, wenn wir als Parlament diesen Bericht jetzt nur wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Das kennen wir bereits aus dem militärischen Bereich, Herr Staatssekretär Schmidt, wenn zu Recht ein „wohlwollendes Desinteresse“ an der Bundeswehr beklagt wird. Das wollen wir nicht. Es kommt darauf an, dass die Bundesregierung mit diesem Bericht konstruktive Kritik und vor allem Rückenstärkung bekommt. Hier möchte ich zunächst einmal bestimmte Punkte ansprechen, bei denen ich politischen Klärungsbedarf sehe; es gibt noch andere, aber diese sind mir besonders wichtig. Erstens dominiert im Überprüfungsbericht der große Bereich der so genannten Konfliktnachsorge. Wir müssen aufpassen, dass wir die Primärprävention, die um einiges schwieriger ist, darüber nicht vernachlässigen. ({2}) Zweitens ist das zivil-militärische Verhältnis, die zivil-militärische Zusammenarbeit zu klären. Sie wird im Überprüfungsbericht sehr stark aus der Perspektive des Militärischen geschildert. Hier ist es wichtig, auch die Perspektive der anderen einzubeziehen. Da muss deutlich nachgearbeitet werden. Schließlich nenne ich das Nebeneinander der verschiedenen Grundlagendokumente der Bundesregierung in diesem Bereich: Aktionsplan und Weißbuch. Staatsminister Erler, Sie haben das angesprochen. Ich habe - im Gegensatz zu Ihrer offiziellen Einschätzung - den Eindruck, dass beide Dokumente sehr unverbunden nebeneinander stehen. Im letzten Anlauf sind sozusagen noch einzelne Andockstellen eingebaut worden, aber insgesamt ist das noch kein Ausdruck integrierter Außen- und Sicherheitspolitik, die wir uns inzwischen auf die Fahnen geschrieben haben. ({3}) Wo gibt es Verstärkungsbedarf? Erstens braucht der Ressortkreis mehr Steuerungskompetenz. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung. ({4}) Da kann, glaube ich, helfen, dass der Ressortkreis einen Ressourcenpool mit „neuem“ Geld zugeordnet bekommt, wodurch ressortübergreifende Maßnahmen gefördert werden. Zweitens brauchen wir - das kennen wir im militärischen Bereich seit Jahren; das ist dort eine Selbstverständlichkeit - zivile Planziele. Mit wie vielen Friedensfachkräften muss die Bundesrepublik für eine effektive Krisenbewältigung im Rahmen von Friedensmissionen beitragen? Ich nenne das Stichwort Sicherheitssektorreform. Wir müssen uns - auch bezüglich der Polizei auf Zahlen einigen, die wir anstreben wollen. Wir müssen auch zu einer schnellen Verfügbarkeit dieser Kräfte kommen. Das ist im Personalgesetz angesprochen. Da müssen wir schnell zu Potte kommen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist - der Redner der FDP hat es angesprochen -, dass wir eine deutliche Aufstockung der entsprechenden Haushaltstitel brauchen. ({5}) Hier bekommen wir für wenig Geld viel Extrakt. Als Letztes komme ich zum Schlüsselprojekt. Bisher gibt es eine schlimme Unsichtbarkeit dieses Politikansatzes. Bei Google zum Beispiel gibt es zum Aktionsplan - er ist inzwischen seit zwei Jahren auf dem Markt - ungefähr 28 700 Treffer, das Weißbuch - es ist seit zwei Monaten auf dem Markt - erzielt dort über 125 000 Treffer. Dies ist ein riesiger Unterschied. Daran muss gearbeitet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluss. Im Umsetzungsbericht ist von einer Kommunikationsstrategie die Rede. Sie muss jetzt schleunigst angegangen werden. Es kann nicht wie in der Vergangenheit sein, dass über Jahre das Geld fehlt, um den Aktionsplan zum Beispiel als Broschüre bekannt zu machen. Zusammengefasst: Krisenprävention ist in jeder Hinsicht sehr kostensparend, aber es gibt sie nicht zum Billigtarif. Ich danke Ihnen. Gute Feiertage! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier schon eine Menge zu den Inhalten und zu den Perspektiven gesagt worden. Ich würde ganz gern - weil ich glaube, dass das notwendig ist - etwas zur Geschichte und zur Entstehung dieser neuen Politik und dieser neuen Strukturen hier im Deutschen Bundestag beitragen. Ich gebe meinem Kollegen Nachtwei Recht: Das alles ist ziemlich im Verborgenen geschehen. Umso froher bin ich, dass es in reale Politik umgesetzt worden ist. Denn es ist in der Tat mit Händen zu greifen, dass es einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik gegeben hat - und zwar nicht nur national, sondern auch auf den anderen Ebenen, bei der EU, der OSZE und den UN. Es ist traurig, dass zum Beispiel der Kollege Paech, der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, vorhin bei der Debatte über „AMIS“ in völliger Unkenntnis dieser neuen politischen Entwicklungen mit Blick auf die Mission, die wir eben verlängert haben, wieder nur von militärischer Intervention gesprochen und gesagt hat, man müsse auf zivile und diplomatische Mittel zurückgreifen und dann wäre alles in Ordnung. Das ist ein offensichtlich völlig blinder Fleck in der Wahrnehmung von manchen Leuten; ob das nun bewusst geschieht oder nicht, weiß ich nicht. Es ist wirklich höchste Zeit, dass man genau auf das schaut, was wir seit den Balkankriegen, seit Srebrenica, seit Ruanda und seit Darfur entwickelt haben, um es nicht so weit kommen zu lassen. Dass das noch nicht in vollem Umfang Früchte trägt, das, denke ich, weiß jeder hier in diesem Hause. Auch dass es nicht ohne militärische Mittel und Unterstützung geht, diese Erkenntnis haben wir allmählich gewonnen. Ich will auch noch zu Ihrem Redebeitrag, Herr Königshaus, etwas sagen. Ich bin von Ihrer Rede etwas enttäuscht. Ich erlebe Sie in dem Beirat als einen sehr auf diese Politikinhalte eingehenden Kollegen, der daran sehr interessiert ist. Sie haben nun aber eine Kritik an der Entwicklungsministerin geäußert, die ich für völlig unangemessen halte. Sie haben außerdem kritisiert, dass sie heute nicht da ist. Wo ist denn Ihre Fraktionsspitze? Wo sind denn, bitte, Herr Hoyer, Herr Gerhardt, Herr Westerwelle? Aber auch wir bekleckern uns in dieser Beziehung nicht gerade mit Ruhm. Wenn Sie sich umschauen, merken Sie: Wir sind schlicht und ergreifend unterbesetzt. ({0}) Es ist auch ein schlechter Zeitpunkt für diese Debatte. Ich wollte etwas zur Vorgeschichte dieses Politikfeldes sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat vor über zehn Jahren angefangen, an diesem Thema zu arbeiten. Wir haben eine Anhörung im Auswärtigen Ausschuss am 25. Mai 1994 veranlasst; das ist tatsächlich schon so lange her. Diese Anhörung haben wir in der Fraktion ausgewertet und haben im Februar 1997 einen Antrag im Deutschen Bundestag gestellt. Er ist natürlich nicht auf Resonanz gestoßen; das ist klar. 1998 haben wir diese Prinzipien in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün niedergeschrieben. Von diesem Zeitpunkt an ist von der rot-grünen Regierung eine Entwicklung vorangetrieben worden, die wir Parlamentarier stark unterstützt haben. Im Juni 2000 hat Rot-Grün einen Antrag eingebracht, der viele Elemente enthalten hat, die heute von der aktuUta Zapf ellen Politik umgesetzt werden. Darin waren enthalten: die Ausbildung für Menschen, die wir in Krisengebiete entsenden; die Forderung nach Schaffung eines Zentrums für internationale Friedenseinsätze. Das alles ist umgesetzt worden. Das ist eine gute Entwicklung. Wenn wir beklagen, dass noch nicht alles verwirklicht worden ist, möchte ich darauf hinweisen, dass vieles, was auch eine Veränderung in den Strukturen bedeutet, gewöhnungsbedürftig ist und dass es Zeit braucht, bis es angenommen wird. In der neuen Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und SPD sind diese Prinzipien enthalten. Ich beklage nicht, dass das im Weißbuch noch nicht in allen Kapiteln der Fall ist. Vielmehr bin ich ganz froh, dass im ersten Entwurf des Weißbuchs überhaupt davon die Rede ist, im Rahmen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik verstärkt zivile Instrumente einzusetzen. Ich muss in diesem Zusammenhang an Boutros Boutros-Ghali denken, der im Jahre 1992 die Agenda for Peace ins Leben gerufen hat. Wir haben mit diesem Bericht den ersten konkreten Schritt zur Umsetzung dieser Agenda gemacht. Ich möchte noch einen zweiten Aspekt ansprechen. Wir befassen uns mit diesem Thema nicht nur im kleinen Kreis, sondern wir haben es auch auf die europäische Ebene transportiert. Diese Vorschläge sind auf dem Europäischen Rat in Köln im Jahre 1999 unter deutscher Präsidentschaft zum ersten Mal eingebracht worden. Damals waren sie durchaus neu. Andere Länder, allerdings eher die Zwerge unter den europäischen Staaten, haben uns unterstützt. Aufgrund der Erkenntnis, dass neue Konflikte auch einen neuen Sicherheitsbegriff erfordern, haben sie diese Konzepte mitgetragen. Dieser Sicherheitsbegriff umfasst viel mehr als nur militärische Sicherheit. Wichtig ist, dass es fast keine zwischenstaatlichen Kämpfe mehr gibt. Im Jahre 2002 waren 32 von 33 Konflikten innerstaatliche Konflikte. Daran wird deutlich, dass wir andere Mittel brauchen. Deshalb ist es richtig, dass wir den Ressortkreis eingesetzt haben. Die Beratung all dieser Themen findet nun in einem Gremium statt. Wenn es dort hin und wieder holpert, ist das kein Wunder. Da in diesem Gremium der Finanzminister neben der Entwicklungsministerin und der Innenminister neben dem Außenminister sitzt und darüber hinaus auch der Verteidigungsminister anwesend ist, ist es schwierig, sich zu koordinieren. Aber wir sind auf dem Weg, für eine kohärente Politik zu sorgen. Da wir dieses Thema auf die europäische Ebene transportiert haben und es dort verankert ist, verfügen wir über die entsprechenden Strukturen. Ich bin froh, dass im Konzept Deutschlands für die EU-Ratspräsidentschaft darauf hingewiesen wird, dass wir diese Prinzipien auch auf europäischer Ebene fördern wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen, den vorliegenden Bericht und den Aktionsplan an den Weihnachtsfeiertagen zu lesen. Man kann viel daraus lernen. Das sollten wir auch tun. Wir sollten zum Beispiel noch mehr Interesse für eine Politik entwickeln, die dazu beiträgt, die zivile Krisenprävention zu etablieren, und wir sollten uns dafür einsetzen, dass neue Strukturen gefördert und alte evaluiert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Stichwort „lessons learned“ ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Wir müssen, zum Beispiel in Bezug auf unser Engagement in Afghanistan, überprüfen

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen erläutern. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ich bin sofort fertig -, was wir falsch und was wir richtig gemacht haben. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die noch vor uns liegt. Fröhliche Weihnachten, ein glückliches neues Jahr und Frieden! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Königshaus, ich war davon ausgegangen, dass alle Abgeordneten, die zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen wollten, ihre Reden zu Protokoll geben. Als ich erfahren habe, dass sich das geändert hat, habe ich mich, weil dieses Thema sehr wichtig ist, nachnominieren lassen. ({0}) Eines muss ich Ihnen gleich zu Beginn sagen: Weder durch die Präsenz im Beirat noch dadurch, dass man hier eine Rede hält, leistet man einen nachhaltigen Beitrag zur Friedenspolitik. Das glauben Sie hoffentlich nicht im Ernst! Dafür sind größere Anstrengungen notwendig. Ich zum Beispiel war als Anhängerin der Friedensbewegung jahrelang auf der Straße, habe viele Krisenregionen besucht und mich für die Nutzung von Instrumenten der zivilen Krisenprävention eingesetzt. Die Politik der Bundesregierung war nämlich eine andere. Wenn Sie glauben, dass Sie mit einer Rede die Welt verändern können, dann muss ich Ihnen sagen: Das ist völlig unrealistisch. Entscheidend ist, dass wir aktiv sind und Initiativen ergreifen. ({1}) Damit komme ich zum Knackpunkt des Konzeptes der zivilen Krisenprävention. Dieser Aktionsplan wurde von Friedensgruppen und von entwicklungspolitischen Organisationen erst einmal begrüßt. Aber es gab schon bei der Formulierung einige Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung. Mehrere Bereiche, die wir kritisieren, wurden genannt. Zentraler Kritikpunkt ist der Sicherheitsbegriff, der dem Aktionsplan zugrunde liegt und den Sie auch erwähnt haben, Frau Zapf. Für uns ist ganz klar: Solange wir in Deutschland von einem Sicherheitsbegriff ausgehen, zu dem eine militärische Absicherung des Zugangs zu Ressourcen zählt, sind wir ein Teil des Problems, nicht der Lösung. ({2}) Zivile Krisenprävention macht überhaupt nur Sinn als Teil einer aktiven Friedenspolitik, die von der Bundesregierung formuliert werden muss. Sie kann eine militärische Politik nicht abfedern, sie kann kein Beiwerk sein. Man kann nicht Jugoslawien bombardieren und dann einfach ein paar zivile Friedenskräfte in die Region schicken; diese Arbeitsteilung funktioniert nicht. Deswegen fordern wir einen Wechsel in der Grundausrichtung der deutschen und europäischen Außenpolitik. ({3}) Wir erleben zunehmend eine Vermischung des Zivilen und des Militärischen. So etwas liegt auch diesem Aktionsplan zugrunde: Es werden zunehmend zivil-militärische Instrumente formuliert. Für mich als Mitglied des Ausschusses für Entwicklungspolitik ist es ein Widerspruch in sich, zu behaupten, militärische Instrumente könnten einen Beitrag zu ziviler Krisenprävention leisten. Zivile Krisenprävention muss - das ist der Anspruch an uns - zivil formuliert werden. Wir müssen die zivilen Instrumente entsprechend ausstatten, ja erst entwickeln. Ich glaube, in vielen Bereichen fehlt schlicht die politische Fantasie, was es alles an zivilen Instrumenten geben kann. Mit welcher Intensität, mit welchen finanziellen Ressourcen wird unsere Armee, wie auf europäischer Ebene formuliert, in eine Interventionsarmee umgebaut! Das steht in keinem Verhältnis zur Bedeutung ziviler Instrumente, geschweige denn zu ihrer angemessenen finanziellen Unterstützung. Wir sagen: Wir brauchen ganz andere Instrumente. Im Grunde müssen wir das Ministerium für Verteidigung in ein Ministerium für zivile Krisenprävention umbauen. Denn es geht überhaupt nicht mehr um Landesverteidigung - wir betreiben eine Politik der militärischen Intervention. ({4}) Ein richtiger Schritt wäre es, zu sagen: weg von diesen Militärhaushalten und weg von Rüstungsexporten! Der beste Beitrag zu ziviler Krisenprävention sind internationale Abrüstung und ein Stopp aller Rüstungsexporte. ({5}) Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir müssen uns auch Gedanken über unseren Ressourcenverbrauch machen. Es ist ein integraler Bestandteil ziviler Krisenprävention, das Energiesystem umzustellen. Auch da sind die Ansätze der Bundesregierung viel zu zaghaft. Es gibt sogar Stimmen, die in eine ganz andere Richtung gehen, und das, obwohl ganz klar ist, dass die Umstellung des Weltenergiesystems ein entscheidender Beitrag zu ziviler Krisenprävention ist. Das betrifft auch die Handelspolitik. Wir haben gerade über die Doharunde gesprochen. Solange wir ein Handelssystem und ein Energiesystem haben, die die Ursachen für Konflikte sind, die weltweit entstehen, und die diese Dynamik auch noch verstärken, ist die zivile Krisenprävention marginalisiert. Deswegen setzen wir uns für einen grundsätzlichen Politikwechsel ein. Mein letzter Punkt - auch das kommt viel zu kurz, dabei ist es sehr wichtig - sind die Akteure und Akteurinnen. Es geht darum, Partizipation zu organisieren. Viel mehr Menschen müssen in die Suche nach Lösungen für eine zivile Krisenprävention einbezogen werden. Wir haben solche Kapazitäten, wir haben umfassende Kompetenz in unserem Land, außerhalb dieses Parlaments, nämlich bei den Friedensgruppen und auch vor Ort in den Krisenregionen. Wir besuchen die Mitarbeiter Jahr für Jahr vor Ort, in vielen Ländern. Es gibt viel zu wenig Unterstützung für diese Friedenskräfte, die in diesen Ländern unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Das betrifft zum Beispiel den Nahen Osten. Wir geben sehr viel Geld aus für unsere UNIFIL-Beteiligung. Die israelischen Friedenskräfte, die libanesischen Friedenskräfte, die palästinensischen Friedenskräfte haben keine vergleichbare Unterstützung. Wir müssen die Menschen in diesen Regionen unterstützen. Das ist für mich ein ganz konkreter Beitrag zu ziviler Krisenprävention. Danke. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1809 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Dr. Dieter Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Haltung der Bundesregierung zur Europäi- schen Dienstleistungsrichtlinie - Drucksachen 16/136, 16/2058 - Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze so- wie die Kolleginnen und Kollegen Doris Barnett, Kurt Bodewig, Martin Zeil, Ulla Lötzer und Dr. Thea Dückert geben ihre Reden zu Protokoll.1) 1) Anlage 3 Präsident Dr. Norbert Lammert Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 11: 28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({0}), Marieluise Beck ({1}), Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten nach der Resolution 1701 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 - Drucksache 16/3547 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Den Friedensprozess im Nahen Osten wieder aufnehmen - Drucksache 16/3802 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({4}) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ({5}) - Drucksache 16/3816 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Debatte eine halbe Stunde dauern, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Redezeit erhalten soll.1) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: Um einen dauerhaften und stabilen Frieden im Na- hen Osten zu erlangen, reichen militärische und po- lizeiliche Maßnahmen nicht aus. Seine Konflikte lassen sich nur durch politische Verhandlungen lö- sen. Die Region benötigt dringend neue Friedens- impulse. 1) Anlage 4 Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung Deutschlands an den UNIFIL-Einheiten. Mit unserem Antrag verfolgen wir das Ziel, dass genau diese Friedensimpulse wieder verstärkt werden. Wir sollten uns dabei nicht überschätzen. Aber das, was wir als Bundesrepublik Deutschland leisten können, sollten wir auch tatsächlich leisten. Schauen wir uns den Bericht der Baker-HamiltonKommission an. Die Empfehlungen dieser Kommission beruhen auf zwei Säulen: Zum einen müsse die Sicherheitslage im Irak stabilisiert werden; zum anderen müsse man sich um das Verhältnis des Iraks zu seinen Nachbarn bemühen, also um die regionale Stabilität. Meine Befürchtung ist zurzeit, dass man sich auf die erste Säule beschränkt und es nur zu einem einfachen Abzug kommt - das wird dann aber nicht funktionieren und dass die zweite Säule zu kurz kommt. Wir erwarten gerade von der Bundesregierung energische Initiativen, damit tatsächlich eine regionale Stabilisierung stattfinden kann. Das gilt beispielsweise auch und gerade für das Verhältnis zu Syrien. Ich will ausdrücklich sagen: Wir finden es richtig, dass Herr Steinmeier nach Syrien gefahren ist. Was passiert, wenn keine Stabilisierung stattfindet? Mir bereitet die Ankündigung Saudi-Arabiens, den irakischen Sunniten gegen Angriffe der irakischen Schiiten militärisch zu helfen, extrem große Sorge. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Chancen sehen, die sich in schwierigen Situationen eröffnen. So unerträglich in diesen Tagen die Konferenz der Holocaustleugner in Teheran ist, so schwierig der Umgang mit dem iranischen Atomprogramm ist, man muss sich fragen: Hat der Iran wirklich ein Interesse an einem Zerfall des Iraks? Bedeutet eine Destabilisierung nicht auch für ihn als Vielvölkerstaat eine massive Bedrohung? Ist es deswegen nicht richtig, wie die Baker-Hamilton-Kommission vorgeschlagen hat, über die Frage der Stabilisierung der Situation im Irak Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu führen? Das ist nach den Äußerungen von Herrn Olmert über die israelische Atombewaffnung nicht einfacher geworden; das will ich an dieser Stelle feststellen. Gleichzeitig will ich aber auch darauf hinweisen, dass Israel in diesen Tagen durch die Ankündigung seines Ministerpräsidenten einen großen Schritt nach vorne gemacht hat, der nämlich zugesagt hat, den Waffenstillstand durchzuhalten, obwohl es mehrfach Verletzungen vonseiten der Palästinenser gegeben hat. Das heißt aber auch, dass wir überlegen müssen, was wir eigentlich zur Stabilisierung der Situation der Palästinenser und beispielsweise zur Herausbildung einer Regierung der nationalen Einheit beitragen können. Ist es eigentlich klug, mit der Umsetzung des vereinbarten Finanzmechanismus an dieser Stelle noch zu warten und zuzusehen, wie Herr Haniyeh mit Taschen voller Dollars aus Teheran zurückkehrt, was nur der Hamas, aber nicht hinsichtlich des Aufbaus ziviler Strukturen in Palästina helfen würde? Ich glaube, dass die Bundesregierung im Rahmen des Nahostquartetts große Anstrengungen unternehmen muss, um dafür zu sorgen, dass sich die USA in diesem Prozess wieder engagieren. Ich denke, dass Deutschland durch die Präsidentschaften eine gute Funktion einnehmen kann und eine gute Ausgangsbasis dafür hat, um ein erneutes Engagement der USA in diesem Prozess zu erreichen und um im Rahmen dieses Prozesses etwas gegen das zu tun, was uns vielleicht am aktuellsten Sorgen macht, nämlich die weitere Destabilisierung der Situation im Libanon. Ich glaube, dass wir die gewählte Regierung des Libanon nur dann gegen die Ansprüche, die aus dem Libanon heraus formuliert werden, stützen können, wenn es zu sichtbaren Fortschritten beim Ausgleich mit Israel kommt. Dazu gehört beispielsweise die Lösung des Problems der Schebafarmen ohne Präjudizierung, indem man sie zum Beispiel einer Verwaltung durch die Vereinten Nationen unterstellt. Eine - wenn nicht die zentrale - Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland während der EU-Ratspräsidentschaft ist es, solche Ansätze nachdrücklich und bei jeder Gelegenheit zu verfolgen. Ich wünsche mir dafür die Unterstützung des ganzen Hauses. Ihnen allen schöne Feiertage und ein schönes neues Jahr. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die CDU/CSU Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir sprechen heute über die drei Anträge der drei Oppositionsfraktionen. Ich will gleich zu Anfang sagen, dass sich der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hinsichtlich der Sorgfalt und der Qualität wohltuend von den beiden anderen unterscheidet. ({0}) Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Linkspartei mit ihrem Antrag der altbekannten Tradition folgt, vor allem den Westen und Israel für die Konflikte verantwortlich zu machen. Bezeichnend ist auch, dass die Infragestellung des Existenzrechts Israels durch den Iran in dem Antrag der Linkspartei keine Erwähnung findet. ({1}) In allen Anträgen wird von dem israelisch-palästinensischen Konflikt als dem Kernkonflikt in der Region gesprochen. Ich halte diese Bezeichnung für falsch; denn weder das iranische Verhalten in den Verhandlungen über das Nuklearprogramm noch die Nichtanerkennung des Libanon durch Syrien noch die Lage im Irak noch das Bestreiten des Existenzrechts Israels durch den Iran haben irgendetwas mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu tun. Das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Konflikt natürlich grundlegend ist und dass durch Fortschritte bei der Lösung wesentliche Beiträge zur Befriedung der gesamten Region geleistet werden können. Ich halte aber die Analyse für falsch, diesen Konflikt als den Kernkonflikt zu bezeichnen. In allen drei Anträgen wird eine Reihe von Anregungen gemacht, die entweder schon lange Regierungshandeln darstellen oder Schwerpunkte für die nun bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union sind. Durch die Besuche sowohl des ägyptischen Präsidenten Mubarak als auch des israelischen Ministerpräsidenten Olmert in Berlin in dieser Woche wird deutlich gemacht, wie engagiert die Bundesregierung bei den Initiativen zur Lösung des Nahostkonflikts ist. Auch die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die kommende Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland zu einer Wiederbelebung des Nahostquartetts und zur Vermittlung zwischen Israelis und Palästinensern zu nutzen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bundesregierung mehr als die Vorgängerregierungen in dieser Angelegenheit engagiert ist. Wir halten am vorrangigen Ziel einer Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern fest. Wir sehen in der Rede von Ministerpräsident Olmert, die er am Grab von Ben Gurion gehalten hat, eine ganze Reihe von Hoffnungszeichen. Die palästinensische Seite hat auf diese Rede mit dem Angebot von Endstatusverhandlungen reagiert. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass es - jedenfalls aus meiner Sicht - erfolgreicher sein kann, eine Strategie kleinerer vertrauensbildender Schritte zu verfolgen, als jetzt sofort mit der großen Frage eines möglichen Endstatus des palästinensischen Staates zu beginnen. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass es zur Lösung des Konflikts auch ungewöhnlicher Schritte bedarf. Wir sehen auf der palästinensischen Seite insbesondere in Präsident Abbas einen Bündnispartner, jemanden, der an einer nachhaltigen Lösung des Konflikts interessiert ist. Wir müssen alles tun, um ihn zu unterstützen und seine Stellung bei den Palästinensern weiter zu stärken. Es ist etwas Neues, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, in der Region - bei der Unterstützung und Absicherung eines Waffenstillstandes im Rahmen der UNIFIL-II-Mission - militärisch engagiert sind. Darüber hinaus sind wir aber auch unmittelbar in den palästinensischen Autonomiegebieten, im Libanon engagiert. Es geht insbesondere darum, durch wirtschaftliche Prosperität die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der Weg zu Frieden und Demokratie der richtige Weg ist und dass die Fortsetzung der Gewalt jeglichen Fortschritt verhindert. Aus diesem Grund begrüßen wir auch, dass auf dem heutigen EU-Gipfel beschlossen wurde, den Mechanismus, nach dem die Europäische Union Finanzhilfen an bedürftige Palästinenser direkt, ohne Beteiligung der Hamas-Regierung, weiterleitet, weiterhin anzuwenden. Unser Ziel ist es, die libanesische Regierung bei der Stärkung ihrer staatlichen Identität zu unterstützen; denn sie ist die demokratisch legitimierte Kraft in dem Land. Eine Stärkung der Souveränität des Libanon bedeutet einen Gewinn an Sicherheit für die gesamte Region. Unser Engagement im Rahmen der UNIFIL-II-Mission dient ebenfalls dem Ziel, die Sicherheit in der gesamten Region zu stärken. In den Anträgen ist die Rede von einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten bzw. im Nahen und Mittleren Osten. Die Grünen möchten eine solche Konferenz an eine Reihe von Bedingungen knüpfen, die, wie ich finde, nachvollziehbar sind. Ich denke, bevor es an die Umsetzung der Idee einer Konferenz geht, müssen ein paar Voraussetzungen, ein paar Punkte geklärt sein. Wenn sie nicht geklärt würden, könnte das dazu führen, dass diese an und für sich gute Idee scheitert. Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, dass eine gute Forderung zur falschen Zeit bedauerlicherweise eine falsche Forderung ist. Die Idee einer solchen Friedenskonferenz ist zu wertvoll, als dass man sie dadurch beschädigen dürfte, dass die Voraussetzungen für ihre Umsetzung nicht geklärt sind. Dazu gehört zunächst einmal die Frage, wer an dieser Konferenz teilnehmen soll. Wollen wir den Iran zu dieser Konferenz einladen? Nicht einmal Syrien möchte dem Iran ein Mitspracherecht einräumen. Wer soll die palästinensische Seite vertreten: der Präsident oder die Regierung? Wollen wir tatsächlich eine Hamas-geführte Regierung zu einer solchen Konferenz einladen, obwohl sie die selbstverständlichen Forderungen der internationalen Gemeinschaft noch nicht erfüllt hat? All das sind Fragen, die zu klären sind, bevor es zu einer solchen Konferenz kommen kann. Diejenigen, die an dieser Konferenz teilnehmen, müssen bereit sein, müssen sich selbst verpflichtet haben, an einer friedlichen Lösung der Konflikte mitzuwirken. So richtig die allgemeine Forderung nach einer Einbeziehung Syriens und des Iran auch sein mag, verkommt sie doch zu einer Floskel, wenn man die Länder nicht differenziert betrachtet, wenn man nicht individuelle Beiträge fordert, damit es zu einer vernünftigen Lösung kommen kann. Der Iran könnte einen solchen Beitrag im Zusammenhang mit dem Nuklearprogramm leisten. Herr Kollege Trittin, es mag sein, dass der Iran im wohlverstandenen Sinne ein Interesse daran haben muss, dass der Irak nicht zerfällt. Im Augenblick scheint mir aber das übergeordnete iranische Interesse zu sein, letztlich alles zu unterstützen, was den Amerikanern schaden kann. Dabei nimmt der Iran eine Verschlechterung der Lage im Irak in Kauf. Ein anderes Beispiel ist die Situation in Syrien. Es fehlt nicht an diplomatischen Initiativen, Syrien gegenüber eine konstruktive Rolle zu spielen. Die syrische Führung hat eine ganz Reihe von Möglichkeiten, zu zeigen, dass sie an einer friedlichen Lösung interessiert ist. Insbesondere bietet sich in diesem Zusammenhang die Resolution 1680 an, die Syrien verpflichtet, den Libanon endlich anzuerkennen und diplomatische Beziehungen mit Beirut aufzunehmen. Die Chance, die der Besuch von Außenminister Steinmeier in Damaskus geboten hat, ist von der syrischen Führung leider vergeben worden. Die Signale, die aus Syrien kommen - dazu zählen ein „Spiegel“-Interview, das vor kurzem mit Assad geführt wurde, aber auch der heutige Aufruf, dass Israel und die USA mit Syrien in einen Dialog eintreten mögen -, werden unglaubwürdig, wenn es daran fehlt, bei solchen Besuchen oder auf andere Weise zumindest kleine, aber doch substanzielle Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang auch die unsägliche Konferenz der Holocaustleugner bleiben, ({2}) die in diesen Tagen in Teheran stattgefunden hat und die leider alles andere als ein Zeichen dafür ist, dass man in dieser Zeit mit einem positiven Signal vonseiten des Iran und insbesondere von seinem Präsidenten rechnen kann. ({3}) All diese Beispiele lassen mich einer Initiative zu einer solchen Konferenz zum jetzigen Zeitpunkt zurückhaltend gegenüberstehen, weil ich die Sorge habe, dass die an sich gute Idee durch unzureichende Vorbereitung und fehlende Voraussetzungen beschädigt werden könnte. Auch von mir die besten Wünsche für ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Dr. Rainer Stinner. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Jahren schon oft Nahostdebatten in diesem Hause geführt. Aber durch die Tatsache, dass wir seit drei Monaten selber in der Region durch deutsche Soldaten vertreten sind, bekommt die Diskussion meines Erachtens eine andere Qualität. Denn jetzt sind wir selber Teil des Konfliktes. Wir haben uns selber engagiert. Ich weiß, dass wir in diesem Hause eine heiße Diskussion über den Einsatz geführt haben, aber wir sind jetzt vor Ort. Aus der Tatsache, dass deutsche Soldaten vor Ort sind, ergibt sich, glaube ich, nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, uns noch intensiver in den politischen Prozess in dieser Region einzuschalten. ({0}) Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung zum UNIFIL-Mandat wörtlich gesagt: Die militärische Umsetzung der UN-Resolution 1701 kann … nur der Anfang eines langen Weges sein. Natürlich muss die Waffenruhe in einen neuen Anlauf für einen umfassenden politischen Friedensprozess übergeleitet werden. Das ist völlig richtig. Der Meinung sind wir schon seit langem. Aber in der Diskussion über einen solchen Prozess sind zwei Dimensionen zu beachten. Das sind erstens die Gestaltung dieses Prozesses und zweitens seine Inhalte. Schon hinsichtlich der Gestaltung gibt es offensichtlich eine Reihe von unterschiedlichen Meinungen, Herr von Klaeden. Dass sich jetzt mehrere Fraktionen für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten aussprechen, zeigt, dass wir dasselbe anstreben wie die Frau Bundeskanzlerin, nämlich einen integrierten und umfassenden politischen Ansatz. Dieser Ansatz ist aber umstritten. Zumindest ein Land in der Region glaubt nach wie vor, dass es besser ist, die einzelnen Konfliktfelder sequenziell, das heißt nacheinander abzuarbeiten, und hält es nicht für sinnvoll, die Konfliktlösung umfassend zu bearbeiten. Wir halten das aber für sinnvoll und haben deshalb noch einmal einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir haben schon vor vier Jahren einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Bisher haben Sie unsere Forderungen abgelehnt. Ich beglückwünsche alle, die nunmehr auch die höheren Weihen der Weisheit genossen haben und jetzt derselben Meinung sind wie wir. Deshalb rechne ich damit, dass Sie unserem Antrag heute entsprechend freudig zustimmen werden. ({1}) Herr von Klaeden, bei den von Ihnen genannten Voraussetzungen handelt es sich doch um Details. Wir können uns doch nicht schon jetzt mit den Teilnehmern und der Tagesordnung beschäftigen. Im ersten Schritt geht es darum, die Grundvoraussetzungen bzw. das Verständnis dafür zu schaffen, dass der integrierte Ansatz richtig ist, und einen entsprechenden Prozess einzuleiten. Ein solcher umfassender Prozess bedeutet auch, dass es sinnvoll ist, mit all denen zu reden, mit denen man reden muss, um etwas bewegen zu können. Deshalb sind wir in der Tat derselben Meinung wie die Mehrheit dieses Hauses, dass der Besuch des Bundesaußenministers in Syrien sinnvoll und richtig war. Das ist alles andere als Appeasementpolitik. Es kommt nicht darauf an, mit wem man redet, sondern darauf, was man dort sagt. Das, was man sagt, muss in der Sache sehr klar sein. Ich bin der Überzeugung, dass der Herr Außenminister es richtig gemacht hat. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit ist sicherlich ein Vorbild für diese Region; denn dieser Prozess hat erstmals gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit Menschen und Staaten in einen Diskussionsprozess einzutreten, obwohl man vorher weiß, dass die Meinungen völlig unterschiedlich sind. Herr Trittin, Sie haben die Hoffnung geäußert, dass die Vereinigten Staaten in den nächsten Monaten aktiver werden. Auch ich habe diese Hoffnung, allein mir fehlt der Glaube. Die augenblicklichen Signale aus Washington sind nicht so eindeutig, dass wir darauf hoffen können, dass die USA ihrer wesentliche Rolle nachkommen. Ich bedauere das sehr. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass es angesichts der Rolle, die die deutsche Regierung im nächsten halben Jahr spielen wird, die Aufgabe Deutschlands ist, darauf hinzuwirken, dass die USA wieder verstärkt ihrer Rolle nachkommen. Darüber sind wir uns alle sicherlich einig. Natürlich können und wollen wir die Inhalte eines solchen umfassenden Friedensprozesses heute nicht endgültig festschreiben. Aber ich glaube, wir alle sind einer Meinung, dass es gewisse Grundsätze und Grundbedingungen gibt. Dazu gehören sicherlich das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel sowie ein lebensfähiger palästinensischer Staat als Ergebnis eines solchen Prozesses. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass der Libanon möglichst weitgehend selbstbestimmt handeln kann und nicht von fremden Mächten dominiert wird und dass die legitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten in der Region in einem solchen umfassenden Sicherheitsprozess Berücksichtigung finden. Dass wir uns darüber hinaus wünschen, dass nicht nur dieser Konflikt gelöst wird, sondern dass dort auch eine Region der Stabilität und des Friedens entsteht, ist richtig. Aber das ist noch ein langer Weg. Herr von Klaeden, darüber, ob es der Kernkonflikt oder ob es nur ein wesentlicher Konflikt ist, kann man sicherlich semantisch streiten. Uns allen ist aber klar, dass er nicht nur für die Region wesentlich ist. ({2}) - Ich bin nicht sicher, ob uns die semantische Diskussion darüber, ob es der Konflikt oder ob es ein wesentlicher Konflikt ist, weiterbringt. Das mögen Sie anders sehen. Die Bundesregierung hat in den nächsten sechs Monaten eine nahezu einzigartige Möglichkeit, zu gestalten; denn in diesem Zeitraum hat sie die EU-Ratspräsidentschaft und die G-8-Präsidentschaft inne. Ich glaube, dass wir aufgrund unserer Beteiligung an dem militärischen Engagement das Recht und die Pflicht haben, hier verstärkt einzuwirken. Die Bundesregierung ist aufgefordert, hier aktiv zu werden und Initiativen zu ergreifen. Ich hoffe, dass sie das tut. Sie hat jedenfalls unsere Unterstützung, wenn es darum geht, eine nachhaltige Friedenslösung in dieser Region zu finden. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und voraussichtlich letzter Redner in diesem Jahr ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte schon immer einmal das letzte Wort in diesem Hause haben. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich muss Sie enttäuschen. Das wird Ihnen nicht ganz gelingen. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stimmt, das letzte Wort werden Sie haben. Aber auch das vorletzte Wort ist ganz in Ordnung. ({0}) Die Bundeskanzlerin hatte eine neue Nahostinitiative Deutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft angekündigt. Ich finde, das ist zu begrüßen. Ich war gespannt, was sie inhaltlich vorschlägt. Dann kam der Vorschlag, das Nahostquartett wieder zu beleben. Das ist richtig, aber nicht ausreichend. Bis heute hat die Bundesregierung keinen einzigen inhaltlichen Vorschlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie eine neue Nahostinitiative aussehen soll. Die Politik der Bundesregierung ist konturlos. Nun kann man wie Herr von Klaeden die Oppositionsfraktionen ob ihrer Ideen kritisieren. Aber das setzt voraus, dass man selber Ideen hat. Wenn man keine hat, sollte man nicht kritisieren. Dann bleibt man im unverbindlichen Nebel. ({1}) Ich halte fest, dass in den letzten Monaten in diesem Hause alle Vorschläge zum Nahostkonflikt entweder von den Grünen, von der FDP oder von den Linken kamen. ({2}) Die CDU/CSU und die SPD haben es nicht fertig gebracht, einen einzigen schriftlichen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Man kann deswegen nichts kritisieren, weil Sie einfach nichts haben und nichts vorlegen können. Damit werden Sie in der EU-Ratspräsidentschaft und in der G 8 nicht durchkommen. ({3}) Ich finde es richtig, dass alle hier im Hause - es hätte sehr viel früher passieren müssen - die Holocaustlügnerkonferenz im Iran nachhaltig verurteilen. ({4}) Ich hätte es für notwendig gehalten - es wäre gut gewesen, wenn Sie dazu etwas gesagt hätten -, dass die Frau Bundeskanzlerin Herrn Olmert etwas zu seinem offiziellen Eingeständnis, dass Israel Atomwaffen hat - gewusst haben wir es schon länger -, gesagt hätte. Atomwaffen bringen Israel kein Stück mehr Sicherheit, sondern sie gefährden die Sicherheit in dieser Region. ({5}) Dieses Eingeständnis - unkommentiert von der Bundeskanzlerin - könnte ein Signal für weitere Staaten in der Region sein - nicht nur für den Iran -, sich Atomwaffen zulegen zu wollen. Eine solche Politik wird aus meiner Sicht mit Sicherheit scheitern. ({6}) Zu der strategischen Zielsetzung, die hier beschrieben werden müsste - da müssen Sie einmal Butter bei die Fische geben -, muss gehören: Wir sollten einen massenvernichtungsfreien Nahen Osten anstreben, weil das die einzige politisch tragfähige Konzeption ist. ({7}) Das steht ja auch in unseren Anträgen. Dabei ist es nicht erheblich, ob Sie den Konflikt als Kernkonflikt bezeichnen. Klar ist doch, dass ohne Lösung des Konflikts zwischen Israel und Palästina auch die anderen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten nicht lösbar sind. Das ist der Punkt, auf den es entscheidend ankommt. ({8}) Das bedingt - miteinander verbunden und nicht nebeneinander - die Existenz Israels in völkerrechtlich verbindlichen und gesicherten Grenzen und ebenso die Existenz eines eigenständigen palästinensischen Staates, und zwar lebensfähig und nicht in einem Flickenteppich. Wer das voneinander trennen will - wie es bei Herrn Olmert immer noch anklingt -, der wird weder das eine noch das andere erreichen. Der Weg dazu wird ein Dialog sein. Man kann sich natürlich seinen Dialogpartner nicht aussuchen. Man muss mit Positionen in die Gespräche gehen und den Partnern sagen, was geht und was nicht geht. Das muss man dem Iran, der Hisbollah, der Hamas, aber auch Israel sagen. Aber ohne Dialog wird es keinen Weg für den Frieden im Nahen Osten geben. Das muss man deutlich aussprechen. Daran muss sich die deutsche Politik orientieren. ({9}) Der Präsident mahnt; ich habe doch nicht das letzte Wort. Die große Weihnachtsbotschaft lautet: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich finde, auf Erden ist kein Frieden, und so, wie die Welt ist, kann sie den Menschen auch nicht wohlgefallen. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3802 - Tagesordnungspunkt 28 b - soll zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/3816 - Zusatzpunkt 11 - soll ausschließlich im Auswärtigen Ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Da ich bereits allen gute Wünsche für das bevorstehende Weihnachtsfest und das neue Jahr übermittelt habe, wünsche ich denen, die es bis zum Schluss durchgehalten haben, exklusiv ein wunderschönes drittes Adventswochenende unter Aufrechterhaltung der guten Wünsche für die Festtage, die sich daran anschließen. Wenn diejenigen, die heute bis zum Schluss da waren, zu den Ersten gehörten, die in der nächsten Sitzung des Deutschen Bundestages wieder gebraucht werden, dann wäre das eine besonders schöne Verbindung. Jedenfalls berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 17. Januar 2007, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. ({0})