Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/7/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche uns einen guten Tag, kluge Entschei- dungen und danach die verdiente parlamentarische Os- terpause. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({1}) auf Grundlage der Resolution 1663 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006 - Drucksachen 16/1052, 16/1148 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer ({3}) Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Dr. Uschi Eid b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1177 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Herbert Frankenhauser Lothar Mark Alexander Bonde Wir werden über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst für die Bundesregierung der Staatsminister Gernot Erler.

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Verlängerung der Mission der Vereinten Nationen im Sudan, abgekürzt UNMIS, bis zum 24. September, also um ein halbes Jahr, beschlossen. Bereits am 22. März hat das Bundeskabinett beschlossen, die deutsche Beteiligung um den in der Resolution genannten Zeitraum zu verländern, und bittet jetzt um die Zustimmung des Bundestages. Weder der Sicherheitsrat noch die Bundesregierung haben irgendetwas an dem Mandat geändert, das der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr erstmals zustimmend beschlossen hat. Worum geht es bei UNMIS? Im Januar 2005 gelang es, den jahrelangen blutigen Bürgerkrieg im Sudan - zwischen dem Norden und dem Süden - mit dem Friedensvertrag von Nairobi zu beenden. Die Bilanz dieses Bürgerkriegs erschreckt noch heute: 2 Millionen Tote, 4 Millionen Vertriebene und eine enorme Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser Menschen in diesem Land. Am 24. März 2005 hat der Sicherheitsrat den Beschluss gefasst, dieses auch „Comprehensive Peace Agreement“ genannte Dokument von Nairobi mit einer Beobachterund Schutzmission zu unterstützen, die teilweise nach Kap. VI und teilweise - was die Schutzaufgaben, auch bezüglich der Bevölkerung und der internationalen Helfer angeht - nach Kap. VII der UN-Charta agiert. Für diese Hilfe zur Umsetzung des Friedensvertrags sollten 10 000 bewaffnete Kräfte eingesetzt werden. Von denen sind im Augenblick 80 Prozent im Einsatz, das heißt, UNMIS ist immer noch im Aufbau begriffen. Wir erwarten, dass bis Sommer dieses Jahres tatsächlich 10 000 Mann eingesetzt werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat bei der Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi durchaus sichtbare Fortschritte gegeben: Es gibt inzwischen eine Verfassung, nach der der Süden des Sudans eine Teilautonomie genießt, mit einer eigenen, regionalen Regierung. Es gibt eine Gesamtregierung der nationalen Einheit, die Redetext auch die Rebellen aus dem Süden - von der SPLM - einbindet. Mehrere der in dem Friedensvertrag vorgesehenen Kommissionen haben ihre Arbeit inzwischen aufgenommen. Die wichtigste ist wahrscheinlich die Nationale Petroleumkommission, die für die Verteilung des Reichtums zuständig ist. Die ungerechte Verteilung war einer der Kriegsgründe im Hintergrund der blutigen Auseinandersetzungen. Inzwischen hat auch die Internationale Kommission zur Überwachung des Friedensprozesses ihre Arbeit aufgenommen. Die Situation vor Ort ist aber immer noch nicht stabil. Es gibt immer noch Misstrauen der verschiedenen Parteien untereinander, was zu einer Verzögerung bei der Implementierung des Friedensvertrages führt. Es gibt immer noch Übergriffe und Gewalt gegen die Bevölkerung, zum Beispiel von den Rebellen der LRA, der Lord’s Resistance Army, die über die Grenze von Uganda agiert, und auch von kriminellen Gruppen, die die Bevölkerung attackieren. Mit anderen Worten: Eine Absicherung des Friedensvertrages ist weiterhin notwendig. Dabei geht es um die Aufgaben, die Truppen weiter zu entflechten, die Milizen zu entwaffnen und eine gemeinsame sudanesische Armee zu bilden. Es geht auch um Streitschlichtung. Schließlich geht es dort nach wie vor auch um die Verteilung der Öleinkünfte, um den Schutz der Bevölkerung und der internationalen Helfer sowie um die Bildung einer gemeinsamen Polizei. Warum ist es so wichtig, dass die Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi weiterhin erfolgreich und ohne nennenswerte Verzögerung erfolgt? - Dies ist wichtig für die Menschen vor Ort, die unter dem Bürgerkrieg gelitten und erstmals eine Chance auf ein Ende der Gewalt, auf Frieden, auf Mitbeteiligung an den politischen Entscheidungsprozessen, auf Selbstbestimmung und auf einen fairen Anteil an den Einkünften aus dem Verkauf der Ölreserven haben. Dies ist auch wichtig, weil nach dem Nord-Süd-Ausgleich längst auch andere Teile des Landes Forderungen erheben. Wir sprechen inzwischen auch von einer Eastern Front. Dort drohen neue bewaffnete Auseinandersetzungen, wenn es nicht gelingt, diesen Nord-Süd-Konflikt auf Dauer und nachhaltig zu beenden. Die Welt schaut außerdem nach wie vor mit großer Sorge auf die Situation in Darfur; das wissen wir alle. Sie ist immer noch dramatisch. Leider ist es den Kräften der Afrikanischen Union, der AMIS, dort noch nicht gelungen, die Menschenrechtsverletzungen auf Dauer zu beenden. Sie wissen, dass wir eine Diskussion darüber führen, ob diese Aufgabe nicht auch in die Verantwortung der Vereinten Nationen gegeben werden muss. Eine Entscheidung darüber steht möglicherweise im Herbst an. Eine Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass UNMIS weiter besteht und erfolgreich ist. Ich fasse zusammen: UNMIS wird gebraucht, um das Wiederaufflammen eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrika auf Dauer zu verhindern. UNMIS wird gebraucht, um einen Friedensweg für den ganzen Sudan - inklusive für Darfur - zu eröffnen und den Störungen, die sowohl von innen als auch über die Grenzen von außen kommen, nachhaltig entgegenzutreten. UNMIS wird auch gebraucht, damit der Sudan ein Beispiel für eine unblutige, vertragsgestützte Streitbeilegung wird. Das ist ganz besonders in dieser Region wichtig, wo es in der Nachbarschaft noch eine ganze Reihe von anderen Konflikten gibt. Insofern gibt es sehr gute Gründe, den deutschen Beitrag zu UNMIS aufrechtzuerhalten und dadurch mit dafür zu sorgen, dass UNMIS ein Erfolg wird. Dieser deutsche Beitrag besteht nach der Mandatsentscheidung in der Entsendung von bis zu 75 bewaffneten Kräften. Im Augenblick sind 28 entsandt, nämlich acht Stabsoffiziere und 20 Militärbeobachter. Mit Blick auf diese friedenspolitische Aufgabe von UNMIS bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um die konstitutive Zustimmung zur Verlängerung des Mandates. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Rainer Stinner. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDPFraktion wird heute dem Verlängerungsantrag der Bundesregierung zustimmen. ({0}) Wir wären auch mit dem vereinfachten Verfahren einverstanden gewesen; aber nun diskutieren wir darüber. Trotz aller Probleme bei der Umsetzung halten wir es für ein richtiges und verantwortbares Mandat. Deshalb stimmen wir heute zu. Allerdings birgt der vorliegende Antrag eine Gefahr. Diese Gefahr versteckt sich in den letzten Absätzen der Begründung. Bei einer kritischen und genauen Lektüre deutet einiges darauf hin, dass hier eine Zusammenlegung von UNMIS und AMIS und - das steht zwischen den Zeilen - eine eventuelle deutsche Beteiligung vorbereitet wird. Ich sage für die FDP-Fraktion sehr deutlich: Unsere Zustimmung zur Verlängerung des UNMISMandates heute beinhaltet in keiner Weise irgendeine Festlegung oder Zustimmung zur Zusammenlegung von AMIS und UNMIS und eine eventuelle deutsche Beteiligung. Das möchte ich für meine Fraktion deutlich machen. ({1}) Es handelt sich hier schließlich um völlig unterschiedliche Einsätze. Bei UNMIS geht es darum, einen geschlossenen Friedensvertrag abzusichern. Diese Absicherung beinhaltet viele Probleme - Herr Staatsminister, Sie haben darauf hingewiesen -; aber diese richtige AkDr. Rainer Stinner tion müssen wir unterstützen. Bei AMIS hingegen geht es um friedenserzwingende Maßnahmen. Das ist eine völlig andere Situation. Hier eine Beteiligung in Aussicht zu stellen, wäre aus heutiger Sicht sehr problematisch. Bisher gibt es keinen Ansatz für eine annehmbare Friedenslösung im Darfurkonflikt. Solange für den Frieden kein politisches Konzept vorliegt, wäre es unverantwortlich, deutsche Soldaten dorthin zu schicken. Bei UNMIS ist die sudanesische Regierung Partner eines Friedensprozesses. Bei AMIS hingegen ist die sudanesische Regierung eventuell an diesem Konflikt beteiligt. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied. Im Darfurkonflikt unterstützen wir völlig zu Recht die Afrikanische Union. Wir sprechen von „African Ownership“. Dieses Konzept halte ich trotz aller Probleme nach wie vor für richtig. Das Konzept des „African Ownership“ ist das einzige Konzept, das auf diesem geplagten Kontinent langfristig zu einer positiven Entwicklung führen kann. Wir können nicht auf Dauer von außen einwirken und helfen. ({2}) Wir bekommen Signale aus Brüssel und New York, dass das AU-Mandat eventuell durch ein UN-Mandat abgelöst werden soll. Das unterstützen wir zwar; aber mit der Ablösung habe ich Probleme. Wir erleben, dass NATO und EU schon vorauseilend Hilfe und die Übernahme des Mandats anbieten. Wir alle wissen: Wenn NATO und EU dabei sind, dann ist die Anfrage an uns, dort mitzumachen, nahe liegend, weil wir der größte Partner der Europäischen Union sind. Deshalb sage ich: Wir als FDP-Fraktion werden einem solchen Automatismus nicht folgen, sondern uns das im Herbst sehr genau überlegen. ({3}) Ich fordere die Bundesregierung angesichts der Kongodebatte auf: Begeben Sie sich nicht noch einmal auf den falschen Weg, der dazu führt, angeblich mitmachen zu müssen. Das darf nicht passieren. Ich will heute keine Kongodebatte initiieren, obwohl wir alle wissen, dass jedes Mandat in Afrika heutzutage im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz diskutiert wird. Aber wir können feststellen, dass das politische Management der Kongodebatte sowohl auf UN-Ebene als auch auf EU-Ebene und auch vonseiten der Bundesregierung nur mit dem Wort „miserabel“ gekennzeichnet werden kann. ({4}) Lassen Sie uns bei AMIS nicht in dieselbe Falle laufen, wie das der Bundesregierung beim Kongoeinsatz leider passiert ist. Bei der Betrachtung der Auslandseinsätze überall auf der Welt stellen wir fest: Der Engpass ist nie unsere Bundeswehr. Wir haben eine überdurchschnittlich gute Bundeswehr, die international Anerkennung gewinnt. Diese Bundeswehr kann vieles und macht vieles möglich. Der Engpass ist immer die Politik. Ich habe die Befürchtung, dass auch in diesem Falle die Qualität der Bundeswehr höher ist als die Qualität der Politik, die dahintersteht. Daran muss die Bundesregierung verstärkt arbeiten. ({5}) Das gilt auch für UNMIS. Unsere Soldaten sollen ein Friedensabkommen absichern. Aber die Politik ist nicht in der Lage, die in dem Friedensvertrag festgelegten Bedingungen politisch wirklich umzusetzen. Das geschieht nur marginal. Sie haben festgestellt, Herr Staatsminister, dass es eine ganze Reihe von Lücken gibt. Es ist Aufgabe der Politik, diese zu schließen. Nur so können wir unseren Soldaten gegenüber glaubwürdig sein. Afrika wird uns in den nächsten Jahren leider noch häufiger beschäftigen. Wir als FDP stehen zu unseren internationalen Verpflichtungen. Wir wissen, dass der afrikanische Kontinent für uns in Europa und in Deutschland sehr wichtig ist. Wir wissen - salopp gesagt -, dass uns eines Tages all das, was in Afrika passiert, auf die Füße fallen wird. Deshalb müssen wir an einer Afrikastrategie arbeiten. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ein schlüssiges Afrikakonzept vorzulegen. Wir haben seinerzeit auch Ihre Vorgängerregierung dazu aufgefordert. Sie sind neu im Amt; trotzdem haben Sie die Verpflichtung, das endlich zu tun. Denn nur dann, wenn wir die deutschen und europäischen Interessen nachhaltig definieren, können wir ein Raster für unsere wichtigen Entscheidungen über die Einsätze deutscher Soldaten bekommen. Die Soldaten, die in unserem Auftrag in Auslandseinsätzen Leib und Leben riskieren, haben einen Anspruch darauf, dass wir als Politiker diese Vorarbeit für sie leisten. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir sprechen heute über die Verlängerung des UNMISMandates im Sudan und nicht über den Kongo, auch wenn sich die FDP bemüht, aus jeder außenpolitischen Debatte eine Kongodebatte zu machen. ({0}) Wir debattieren heute über das UNMIS-Mandat. Ich will zu Anfang darauf hinweisen, dass es um die Verlängerung eines bestehenden Mandates geht und dass die Bundesregierung zu Recht beantragt hatte, diesem Mandat im so genannten vereinfachten Verfahren zuzustimmen. Die heutige Debatte wird nur deshalb geführt, weil die Fraktion Die Linke Widerspruch eingelegt hat. ({1}) Wir als CDU/CSU unterstützen den Antrag der Bundesregierung und werden ihm zustimmen. Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich für ihren Einsatz für den Frieden im Südsudan. ({2}) Wenn die Fraktion Die Linke aber eine Debatte führen möchte, dann ist das eine Gelegenheit, sich mit den Positionen dieser Partei zur Afrikapolitik und mit der besonderen Verantwortung, die diese Partei für das trägt, was sie in Afrika angerichtet hat, auseinander zu setzen. ({3}) Der eine oder andere glaubt, die Konflikte in Afrika alleine mit postkolonialen Problemen erklären zu können. Das ist aber zu kurz gesprungen. Ein anderer Aspekt sind die Spuren, die der Ost-West-Konflikt auf diesem Kontinent hinterlassen hat. Dabei ist es interessant, was die damalige DDR in der Verantwortung der SED in Afrika angerichtet hat. Ich will in diesem Zusammenhang aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 24. März dieses Jahres zitieren, in der über den Einsatz der Nationalen Volksarmee berichtet worden ist: Die DDR sandte Spezialisten, die in den jeweiligen Ländern von ihren Freunden hoch gelobt wurden, - da war kein Demokrat dabei von ihren Gegnern aber als „Neonazis“, „wiederkehrende Preußen“ oder als „Rote Legion Condor“ beschimpft wurden. In dem Artikel heißt es weiter: Wie die Hilfe aussah, zeigt ein Beispiel aus Moçambique. Dort bedienten DDR-Techniker einen Störsender, um den Radiosender „Stimme des Freien Afrikas“ zu unterbinden. In Angola sollen Angehörige der Staatssicherheit geholfen haben, KZ-ähnliche „Genesungslager“ aufzubauen. Das ist die Verantwortung insbesondere Ihrer Partei. Ich würde mich freuen, wenn Sie - auch durch Ihre Zustimmung - einen Beitrag dazu leisten würden, Freiheit und Demokratie in Afrika zu stärken, statt sie zu bekämpfen ({4}) und denjenigen in die Hände zu spielen, die nach wie vor meinen, dass Morden und Brandschatzen Mittel der Politik sein könnten. Wenn man mit dem eigenen Militär Menschenrechte, Demokratie und Frieden verletzt hat, dann ist es die falsche Lehre, jeden militärischen Einsatz, der der Unterstützung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten dient, abzulehnen. Wenn Sahra Wagenknecht erklärt, Militäreinsätze führten niemals zu Stabilität und Sicherheit, ({5}) sollten Sie sich einmal in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien, in Afghanistan, im Kongo oder im Sudan umsehen. ({6}) Der Besuch von Herrn Gysi bei Herrn Milošević ist uns allen noch in lebhafter Erinnerung. Welche Interessen haben wir in Afrika? Wir haben ein Interesse daran, dass in Afrika politische Instabilität und Unordnung ein Ende finden und dass es nach und nach zu einem Demokratisierungs- und Stabilisierungsprozess kommt. Es gibt unmittelbare Zusammenhänge zwischen den Konflikten in Afrika: Der Konflikt in Norduganda ist ohne Frieden im Südsudan und im Kongo nicht zu bewältigen. Die endgültige Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda ist ohne endgültige Befriedung des Kongos nicht zu erreichen. Der Zerfall Somalias hat die Ausbreitung des islamistischen Terrors nach Ostafrika erleichtert. Afrikas Kriege und Konflikte bringen humanitäre Katastrophen bis hin zu länder- und kontinentübergreifenden Migrationsströmen mit sich. Wir sollten die Lehre aus Afghanistan berücksichtigen. Wir hatten dieses Land zu lange vernachlässigt. Wir haben uns zu wenig klar gemacht, was permanente Konflikte, permanentes Morden und permanentes Brandschatzen in Gesellschaften anrichten können. Wir haben ein Interesse daran, dass es zu Good Governance, zu einer an Demokratie und Menschenrechten ausgerichteten Regierungsform, kommt. Wir haben ein Interesse daran, dass es zu stabilen Wirtschaftsbeziehungen mit den Staaten Afrikas kommt, dass die Rohstoffressourcen dort nicht ausgebeutet, sondern nach internationalen Standards abgebaut werden und dass die Bevölkerung, der die Gewinne aus dem Abbau der Rohstoffe zustehen, nicht ausgenutzt wird. ({7}) Wir müssen darauf achten, dass unsere Politik glaubwürdig bleibt. Wenn wir uns für das Funktionieren internationaler Organisationen einsetzen, wenn wir es mit einer Verpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen und einem internationalen Vorgehen ernst meinen, dann müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und nach sorgfältiger Risikobeurteilung zustimmen, wenn die Vereinten Nationen uns um Hilfe bitten. In diesem Fall ist unser Beitrag denkbar gering. Es ist ein Mandat, das den Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern vorsieht. 28 sind derzeit im Einsatz. Angesichts dessen von einer Militarisierung der Außenpolitik zu sprechen, ist geradezu grotesker Unsinn. ({8}) Wir sehen, dass gemäß dem Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 der Wiederaufbau staatlicher Strukturen sowie die Entwaffnung und Eingliederung der zahlreichen Milizen vorankommen, wenn auch schleppend. Es geht um die Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. Wir haben ein Interesse daran, dass UNMIS auf diesem beschwerlichen Weg weitergehen kann. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat bereits im Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um zu einer friedlichen Lösung im gesamten Sudan zu kommen. Deswegen spielen auch der Erfolg von UNMIS und der Erfolg des Friedensprozesses nach dem Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 für eine friedliche Lösung des Konflikts in Darfur eine entscheidende Rolle. Wer den Völkermord in Darfur stoppen will, der kommt um die Unterstützung von UNMIS nicht herum. ({9}) Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, zum Erfolg dieser Mission der Vereinten Nationen einen bescheidenen, aber wichtigen Beitrag zu leisten. Wie gesagt, das Mandat sieht den Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern vor. Zurzeit sind 28 im Einsatz. Dabei geht es um die Wiederherstellung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. Ich finde, eine Fraktion zeigt ihr wahres Gesicht, wenn sie einem solchen Einsatz zustimmt oder wenn sie einen solchen Einsatz ablehnt. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Herren und Damen! Herr von Klaeden, die politische Realität nach der Bundestagswahl 2005 sieht so aus, dass die neue Linke in den Bundestag eingetreten ist und nicht die alte SED. ({0}) Wir haben heute über die Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an UNMIS zu entscheiden. Ich rufe in Erinnerung, in welchem Umfang deutsche Soldaten bereits „out of area“ tätig sind: Sie sind in BosnienHerzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, in Usbekistan und demnächst auch im Kongo. Sämtliche Mandate sind höchst unterschiedlich. Doch die Hemmschwelle, Militär mit einem Kampfauftrag einzusetzen, sinkt von Einsatz zu Einsatz. ({1}) Eine andere als die über die Selbstverteidigung hinausgehende Militäraktion diskutiert außer uns anscheinend niemand mehr. Wir teilen nicht die Auffassung, dass die Konflikte der heutigen Zeit nur noch mit Militär gelöst werden können, zumal die Energiesicherung in nahezu allen akuten Krisengebieten, die in den Fokus unserer Wahrnehmung geraten, eine wichtige Rolle spielt. Dazu ist zu sagen: Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass, erstens, gerechte Verträge mit ressourcenreichen Ländern geschlossen werden, die der Bevölkerung einen Anteil am Reichtum ihres Landes garantieren, ({2}) und dass wir, zweitens - dies ist ein zentraler Punkt -, über unsere eigene Emanzipation von fossilen Energieträgern eine Friedensdividende für die Zukunft generieren. ({3}) Diese Chance dürfen wir nicht verspielen. Die Linke erkennt an, dass die ehemaligen Kriegsparteien im Sudan der UN-Mission im Rahmen des Friedensabkommens zugestimmt haben. Das bisherige Mandat hat erheblich dazu beigetragen, das Friedensabkommen abzusichern. Das wiegt im positiven Sinn schwer; denn es verhalf dem Peacekeeping trotz Diskriminierung des Südsudans, trotz der Konflikte in Darfur und trotz einer arabisch geprägten Regierung zum Erfolg. Obgleich dieser Einsatz auf der Grundlage von Kap. VII der UN-Charta stattfand, war es de facto ein klassischer Blauhelmeinsatz. Das festzustellen, gehört zur Redlichkeit. Das Friedensabkommen sieht ein Referendum im Jahr 2011 vor, wodurch es möglicherweise zu einer Sezession des Landes in Nord und Süd kommt. Das ist eine souveräne Angelegenheit des Sudans. Unter den Prämissen des jetzt bestehenden Mandats - wie gesagt, es wird auf der Grundlage von Kap. VII der UN-Charta ausgeübt - ist in Verbindung mit der zu erwartenden Zusammenlegung der Operationen UNMIS und AMIS fast eine „NATOMIS“ entstanden, was zu erheblichen Konflikten führen kann. ({4}) Es stellt sich die Frage, weshalb die AMIS nicht angemessen finanziell unterstützt wird. Außerdem stellt sich die Frage, wie belastbar die prinzipielle Zustimmung des Friedens- und Sicherheitsrates der AU ist. Bislang lehnte die sudanesische Zentralregierung die Ausdehnung der UNMIS auf Darfur nämlich ab. All diese Überlegungen prägen unsere heutige Entscheidung. Aber weisen sie deshalb zwingend auf die Entsendung von Militär hin? Unserem Parlament steht es frei, zu entscheiden, mit welchen Mitteln der Friedensprozess unterstützt werden soll. Die UN-Resolution 1590 ermöglicht zahlreiche Aufgaben. 75 deutsche Militärbeobachter sollen entsandt werden. Warum nicht 750 Zivildienstleistende? ({5}) Eine Blauhelmmission kann im Sudan bleiben und von deutschen Zivilkräften unterstützt werden. Mit dieser Auffassung mögen wir in diesem Haus eine Minderheit sein, aber nicht in der Bevölkerung. ({6}) Eine neue Studie besagt - über sie wurde in den letzten Tagen in der „FAZ“ berichtet -, dass die Bevölkerung den Verfassungsauftrag mehrheitlich nach wie vor als Verteidigungsauftrag interpretiert. Es geht uns darum, der Kultur des Friedens die Kraft der nicht militärischen Intervention und der Stabilisierung der Zivilgesellschaft zu geben. Damit muss endlich einmal begonnen werden. Das heutige Mandat ist durch eine solche Form von zivilgesellschaftlichem Engagement ersetzbar. ({7}) Deshalb fragen wir heute: Welcher Art soll die Hilfe sein, die es dem Sudan ermöglicht, maximalen Nutzen aus dem deutschen Engagement zu ziehen? Wir als Linke wollen keine deutschen Soldaten, aber viele zivile Kräfte im Sudan. Verspielen wir nicht die Gelegenheit für ziviles Tun und damit eine positive Identifikation der Bevölkerung mit deutscher Außenpolitik! Weil wir das bejahen, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Danke. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Monika Knoche, Ihr Vorschlag, 750 Zivildienstleistende in den Südsudan zu schicken, ({0}) ist so absurd, so abenteuerlich und verantwortungslos, dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte. ({1}) Sie haben offenkundig nicht den Film gesehen, der in den letzten Monaten hier zu sehen war, nämlich „Lost Children“. ({2}) - Ich fange jetzt erst einmal mit meiner Rede an. - In diesem Film wird in einer äußerst erschütternden Weise das Schicksal von Kindersoldaten in Norduganda dargestellt. Sie leiden dort fürchterlich und werden von der Lord’s Resistance Army zu mörderischen Instrumenten gemacht. Dieser Film schildert auch, dass der UN-Sicherheitsrat gegenüber dem verheerenden 20-jährigen Krieg in Norduganda bisher weitgehend versagt hat. Aber sonst brauchen sich die Vereinten Nationen nicht zu verstecken. Wer weiß schon, dass die Vereinten Nationen in den letzten 15 Jahren durch Verhandlungen zum Ende von mehr Bürgerkriegen beigetragen haben, als dies in den letzten 200 Jahren zuvor gelang? Eine fantastische Leistung! ({3}) Aber der Nachteil dabei ist: Innerhalb von fünf Jahren ist die Hälfte dieser Länder wieder in den Krieg zurückgerutscht. Woran lag es? Es lag wesentlich daran, dass die internationale Friedenssicherung inkonsequent war und zu wenig Ausdauer hatte. Hierum geht es im Südsudan. ({4}) Wenn man sich einmal den Fahrplan des Friedensabkommens von Nairobi ansieht, dann stellt man fest, wie hochkompliziert das ist und dass das nicht einfach nur aus militärischen Maßnahmen besteht. Es geht in erster Linie um politische Unterstützung, um den Aufbau von Zivilpolizei, um die Menschenrechtsförderung, die Verwaltung sowie die humanitäre und Entwicklungsunterstützung. Das alles ist ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und Frieden nicht möglich. ({5}) Das alles zusammen bildet die UNMIS - beschlossen einhellig, einmütig vom UN-Sicherheitsrat, personell getragen von mehr als 60 Staaten, darunter Russland, China und sogar Simbabwe. ({6}) Der Bundestag entscheidet heute über den militärischen Teilbeitrag von deutscher Seite. Es ist schon darauf hingewiesen worden: UNMIS ist insgesamt nach Kapitel VII mandatiert. Das heißt, UNMIS ist über die Selbstverteidigung hinaus grundsätzlich berechtigt, Zwang auch zur Nothilfe und zur Durchsetzung des Auftrags einzusetzen. Es ist inzwischen eine zehn Jahre alte Erfahrung von UN-Peacekeeping, dass man das machen muss; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen. Wenn man sich die Situation in Südsudan anschaut, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass das auch unverzichtbar ist. Denken Sie nur an die Angriffe, die es zuletzt wieder von der Lord’s Resistance Army gegeben hat! Den Vorschlag, Zivildienstleistende dahin zu schicken, brauche ich nicht noch einmal zu kommentieren. ({7}) Der deutsche Beitrag besteht aus - das ist die Regelhöhe - 50 Militärbeobachtern und einigen Stabsoffizieren. Diese unbewaffneten Militärbeobachter wirken in Uniform gewaltfrei für Gewaltverhütung. Sie sind so sehr auf sich gestellt und auf UNMIS-Blauhelme von Nichtverbündeten angewiesen wie nirgendwo sonst. Diesen Militärbeobachtern ist, so finde ich, für ihren Einsatz ganz besonders zu danken. ({8}) Vor einem Jahr stimmte die Bundesregierung zum ersten Mal über die deutsche UNMIS-Beteiligung ab. Dabei hat es drei Stimmen aus der FDP dagegen gegeben. Damals gab es eine zusammenfassende Bewertung dieser UNMIS-Beteiligung. Zitat: Der Blauhelmeinsatz im Süd-Sudan ist völkerrechtlich abgesichert, politisch begründet und moralisch geboten. … Diese Entscheidung entspricht dem … Verständnis, Gewalt und Androhung von Gewalt aus der Politik zu verbannen. Völlig richtig. Wer hat diese Worte damals gesagt? Das war der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky. ({9}) Heute sind Gegenstimmen gegen die UNMIS noch weniger begründbar. Sie können nur aus innenpolitischen Gründen motiviert sein. ({10}) Kollege Gehrcke, Sie weisen - ich finde, zu Recht immer wieder darauf hin, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf. ({11}) Seit 1945 müssen Sie dazu aber immer auch einen zweiten Satz sagen, der inhaltlich aussagt: Die Vereinten Nationen und die UN-Charta sind das Regelwerk und der Weg zur Kriegsverhütung und Friedenssicherung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Gegenüber diesem zweiten Gebot internationaler Friedenspolitik verweigert sich die Mehrheit Ihrer Fraktion. Von UNO-Fähigkeit, von Friedensfähigkeit sind Sie offenkundig noch sehr weit entfernt. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche noch einmal das Wort.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Nachtwei, gestatten Sie mir, dass ich Folgendes sage. Ich stelle fest, dass Sie und Ihre Fraktion sich in der heutigen und den zurückliegenden Debatten, in denen es um prinzipielle Friedensfragen und Militäreinsätze geht, in Ihrer Argumentation ausschließlich gegen die Linke wenden, weil es erkennbar außerhalb Ihrer Gewöhnungen und Ihres Selbstverständnisses liegt, dass es in diesem Deutschen Bundestag eine konsequente Friedenspolitik noch gibt. ({0}) Einen ganz deutlichen Hinweis darauf finde ich in zwei Ihrer Bemerkungen. Sie haben sich gleich zu Beginn Ihrer Rede einen sehr euphorischen Applaus aus dem Hause verschafft, indem Sie einen wirklich offenkundigen Versprecher von mir aufgegriffen haben. Selbstverständlich meinte ich „zivile Friedensdienste“, die in diesem Gebiet ihren Einsatz finden können, was die Resolution 1590 der UNO in ausführlicher Breite darstellt. ({1}) Das deutsche Engagement findet sich da nicht in hinreichendem Maße wieder. ({2}) Ich finde es, wenn Sie gestatten, etwas uncharmant und schon gar nicht galant, wenn jemand auf einem offenkundigen Versprecher eine rhetorische Figur aufbaut. Danke. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollegin Monika Knoche, ich erlaube mir, mich deshalb mit den Positionen der Linksfraktion auseinander zu setzen, weil ich erstens begrüße, dass durch die Linksfraktion jetzt wieder so konträre Positionen in den Bundestag kommen, wie sie auch in der Gesellschaft vorhanden sind, ({0}) und weil es mir zweitens äußerst wehtut, dass es hier eine Fraktion gibt, die die friedens- und sicherheitspolitischen Entwicklungen des letzten Jahrzehnts vollkommen verpennt hat und trotzdem die Backen so aufbläst. ({1}) Dieses Maß an Heuchelei in diesem Bereich muss man erst einmal an den Tag legen. Nun zu Ihrem Versprecher. Ich nehme gern Ihre Korrektur zur Kenntnis, dass Sie meinten, der „zivile Friedensdienst“ solle dorthin geschickt werden. Ich gehöre zu den Förderern und Betreibern des zivilen Friedensdienstes von Anfang an. Ich weiß daher, wie schwierig diese Aufgabe ist und dass dieses Feld noch weit mehr der Unterstützung dieses Hauses und der Bundesregierung bedarf. ({2}) Zugleich muss ich Ihnen sagen: Wir müssen immer sehr genau aufpassen, dass diese Friedensfachkräfte nicht überfordert und dass sie nicht in Abenteuer geschickt werden. ({3}) Aus Ihrem Munde hört sich der gute Begriff von der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wie eine faule Ausrede an. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion. ({0})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für den freundlichen Anfangsapplaus meiner Kolleginnen und Kollegen. Frau Knoche, Sie haben heute hier etwas ins Spiel gebracht, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Ich gebe dem Kollegen Nachtwei völlig Recht: Sie müssen sich Ihrer Verantwortung stellen. Sie haben ein Problem damit, bis zu 75 gut ausgebildete deutsche Soldaten an UNMIS zu beteiligen. Aber Sie hätten kein Problem damit, zivile Friedenskräfte dorthin zu schicken. Erst UNMIS muss doch den Boden dafür bereiten, dass sich dort zivile Friedenskräfte betätigen können. ({0}) In der Debatte am 22. April 2005 über die Beteiligung der deutschen Streitkräfte an der Friedensmission im Sudan sagte die damalige Kollegin Brigitte Wimmer: Die Umsetzung des Friedensabkommens wird in hohem Maße davon abhängen, wie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gelingt. Das ist auch heute noch richtig. Denn wir stehen am Anfang eines Prozesses, dessen Gelingen, wie es auch im Falle des Kongos zutrifft, zur Stabilisierung des afrikanischen Kontinents beitragen wird. Der Übergangsprozess - so sieht es der Friedensvertrag von Nairobi vom 9. Januar 2005 vor - soll bis zum Jahr 2011 dauern. Dann wird die Bevölkerung im Südsudan per Referendum über den Verbleib im Gesamtsudan entscheiden. Eine von der SPLM und der Zentralregierung vereinbarte Übergangsverfassung trat am 9. Juli 2005 in Kraft. Im September wurde die Regierung der nationalen Einheit vereidigt. Im Dezember trat im Südsudan eine eigene Verfassung in Kraft. Eine Interimsregierung war seit Ende Oktober im Amt. Das sind wichtige Stationen eines langen Weges, an dessen Ende nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm stehen soll, sondern - ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. Es wäre schon ganz gut, wenn es außer der Ruhe vor dem Sturm auch ein bisschen Ruhe für die letzten Rednerinnen und Redner gäbe. Danach wird abgestimmt. ({0}) Bitte schön, Frau Kollegin.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich, Herr Präsident. Es wäre schon gut, wenn, wie gesagt, dieser lange Weg nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm, sondern die Hoffnung auf ein Leben in Würde für die sudanesische Bevölkerung wäre. ({0}) Wir übersehen dabei nicht, dass nicht alle Vorgaben des Friedensvertrages so erfüllt werden, wie es wünschenswert wäre. Dazu einige Beispiele: Die strittige Grenzziehung im ölreichen Abyei ist nicht umgesetzt worden. Noch immer greifen ugandische Rebellen die Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen im Südsudan an; die Rebellengruppe Eastern Front entfaltet im Ostsudan Aktivitäten. Die Gespräche zur Lösung des Konflikts in Darfur verlaufen nur schleppend. Deshalb ist es konsequent, wenn Deutschland auf der Basis der Resolutionen 1590 und 1663 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen das Mandat seiner Soldaten entsprechend verlängert. ({1}) Der Einsatz wird sich inhaltlich nicht ändern. Dies gilt auch für die Protokollnotiz der Bundesregierung, nach der die Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses unterrichtet werden, wenn deutsche Soldaten außerhalb des Schwerpunktgebietes des UNMIS-Einsatzes eingesetzt werden sollen. Im Falle erheblicher Bedenken würde einem solchen Einsatz nicht zugestimmt werden. Die Kosten für den Einsatz von bis zu 75 Soldaten sind mit 900 000 Euro überschaubar. Zurzeit sind - das wurde mehrmals erwähnt - 28 Soldaten im Einsatz. Sie sind mit der Wahrnehmung von Militärbeobachteraufgaben beauftragt. Sie sind in den für UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren eingesetzt. Sie sind an der Bewältigung von Verbindungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben bei AMIS beteiligt und unterstützen die VN-Programme in dieser Region. An dieser Stelle darf ich den deutschen Soldaten für ihre bisher geleistete Arbeit meinen herzlichsten Dank aussprechen. ({2}) Es besteht kein Zweifel: Der Friedensprozess muss von einem Aufbau der Infrastruktur begleitet werden. Die Kinder brauchen Schulen. Ein Gesundheitssystem muss etabliert werden und die Ernährungssicherung bleibt eine enorme Herausforderung. Dazu kommen all die Anstrengungen, das Leid der Vertriebenen zu lindern und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Binnenflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können. All das kostet natürlich viel Geld. Deutschland beteiligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten. Die Bundesregierung beteiligt sich mit 10 Millionen Euro am Multi Donor Trust Fund für den Südsudan und gehört zu den größten Gebern im Sudan. Es erfordert einen sorgfältigen Umgang mit den Mitteln, die in den Sudan fließen. Ich halte nichts davon, dass Erlöse aus dem sudanesischen Erdölexport zu einem großen Teil dazu verwendet werden, den Waffennachschub zu finanzieren. ({3}) Mit der Umsetzung des Waffenembargos in Verbindung mit Sanktionsmöglichkeiten könnte dem vielleicht ein Riegel vorgeschoben werden. Dies wird allerdings von China verhindert, das mehr als die Hälfte des sudanesischen Erdöls bezieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist es, für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Zerfallende Staaten bieten den Nährboden für Kriminalität und Terror. Die internationale Staatengemeinschaft versucht, in Kooperation mit der AU im Sudan einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den Konfliktparteien zu flankieren. Es ist ein schwieriger Einsatz. Aber die Hoffnung auf dauerhaften Frieden und eine Zukunftsperspektive für das sudanesische Volk sind alle Mühen wert. ({4}) Der Einsatz der deutschen Soldaten im Sudan dient dem Frieden. Um es mit Willy Brandt zu sagen: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Deshalb bitte ich um breite Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Verlängerung des Mandats der deutschen UNMIS-Soldaten. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! UNMIS wird gebraucht. Die besonnenen Kräfte im Sudan stellen fest: UNMIS ist die einzige Hoffnung, dass der Krieg nicht wieder ausbricht. Gleichzeitig stellt der UNO-Sondergesandte fest: Wir brauchen deutsche Hilfe. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Die Bundeswehr hat diesen Einsatz wie immer sehr sorgfältig und fürsorglich geplant. Wir vertrauen auch hier dem Bundesminister der Verteidigung und dem Generalinspekteur. Das deutsche Interesse ist begründet worden. Das Interesse des Sudans ist begründet worden. Die außenpolitische Linie ist durch Staatsminister Erler begründet worden. Ich möchte das alles nicht wiederholen und es in unserem Interesse nur zusammenfassen in einem Zitat von Pestalozzi, der festgestellt hat: Man muss das Unglück mit Händen und Füßen und nicht mit dem Maul angreifen. Wir stellen uns unserer Verantwortung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1148 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 16/1052 anzunehmen. Es ist namentliche Abstim- mung verlangt. Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung des Kollegen Jürgen Koppelin vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Die Plätze sind of- fenkundig besetzt. Ich eröffne hiermit die Abstimmung. 1) Anlage 3 Präsident Dr. Norbert Lammert Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung später bekannt geben und setzen jetzt die Beratungen fort. Es wäre gut, wenn der größere Teil der Mitglieder des Hauses die dafür vorgesehenen Plätze einnehmen würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch einmal darum, Platz zu nehmen, weil das die Fortsetzung unserer Beratungen sehr erleichtern würde. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angefeuert durch einen Vorsitzenden einer Fraktion dieses Hauses möchte ich noch einmal einen Versuch unternehmen, in unserer Tagesordnung fortzufahren. - Lieber Kollege Andreas Schmidt, könnten Sie - stilbildend für andere - vielleicht schon einmal die Auflösung des Stehkonventes in Ihrer Nähe organisieren? - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch noch einzelne Sitzplätze! ({1}) Für diejenigen, die Orientierungsprobleme haben, ist Hilfestellung organisiert. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf: Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten - Drucksache 16/1116 Die Fraktion Die Linke schlägt die Abgeordnete Petra Pau als Stellvertreterin des Präsidenten vor. ({2}) Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar nicht der Fall. Ich gebe nun einige Hinweise zum Ablauf der Wahl. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Für die Wahl benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die blaue Stimmkarte wird von den Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausgegeben. Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen, die neben den Sitzreihen der Bundesregierung und des Bundesrates sowie hier vorne auf dem Stenografentisch aufgestellt sind. Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren blauen Wahlausweis übergeben. Ein Hinweis bezüglich der günstigsten Anmarschordnung ist erkennbar unnötig, weil sich die meisten Mitglieder des Hauses schon in der Nähe der Wahlurnen aufhalten. Ich hoffe, das trifft auch für die Schriftführerinnen und Schriftführer zu. - Das wird bestätigt. Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat noch jemand eine Stimmkarte, die er noch nicht abgegeben hat? ({3}) - Dann wäre es schön, wenn diese in die Nähe der Wahlurnen transportiert würde. Offenkundig haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten abgegeben. Dann schließe ich die Wahl. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir setzen unsere Beratungen fort; das Wahlergebnis geben wir bekannt, sobald es vorliegt. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 34 aufrufe, kann ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, mitteilen: Abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 523, mit Nein haben gestimmt 45, Enthaltungen neun. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 523 nein: 45 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({4}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({5}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({6}) Georg Fahrenschon Ilse Falk Präsident Dr. Norbert Lammert Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({7}) Dirk Fischer ({8}) Axel E. Fischer ({9}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({10}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({11}) Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({12}) Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({13}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({14}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Maximilian Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({15}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({16}) Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Hildegard Müller Carsten Müller ({17}) Stefan Müller ({18}) Bernward Müller ({19}) Bernd Neumann ({20}) Henry Nitzsche Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({21}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({22}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({23}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Richard Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({24}) Andreas Schmidt ({25}) Ingo Schmitt ({26}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({27}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({28}) Gerald Weiß ({29}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Wolfgang Zöller SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({30}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({31}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({32}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({33}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({34}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({35}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({36}) Frank Hofmann ({37}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Präsident Dr. Norbert Lammert Johannes Jung ({38}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({39}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Markus Meckel Petra Merkel ({40}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({41}) Michael Müller ({42}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({43}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({44}) Michael Roth ({45}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({46}) Axel Schäfer ({47}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({48}) Silvia Schmidt ({49}) Renate Schmidt ({50}) Heinz Schmitt ({51}) Carsten Schneider ({52}) Olaf Scholz Reinhard Schultz ({53}) Swen Schulz ({54}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Wolfgang Thierse Jörn Thießen Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({55}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({56}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({57}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({58}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({59}) Markus Löning Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({60}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({61}) Volker Beck ({62}) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Kai Boris Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({63}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({64}) Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Brigitte Pothmer Claudia Roth ({65}) Krista Sager Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({66}) Nein FDP Heinz-Peter Haustein Jürgen Koppelin DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Inge Höger-Neuling Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Ulrich Maurer Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Präsident Dr. Norbert Lammert Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({67}) ({68}) Dr. Herbert Schui Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Enthaltung CDU/CSU Norbert Schindler FDP Joachim Günther ({69}) DIE LINKE Roland Claus Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Petra Pau Bodo Ramelow Dr. Petra Sitte ({70}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({71}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksachen 16/990, 16/1179 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christine Lambrecht Jörg van Essen Ulrich Maurer Volker Beck ({72}) Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen. - Ich stelle Einvernehmen fest. Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner Mitglieder verlangt wird. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1179, den Antrag auf Drucksache 16/990 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit großer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. ({73}) - Die Übersicht von hier oben ist eigentlich relativ ordentlich. ({74}) Deswegen wiederhole ich: Die Beschlussempfehlung ist mit breiter Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Damit ist der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode eingesetzt. ({75}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung - Drucksache 16/240 - a)Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({76}) - Drucksache 16/1161 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({77}) b)Bericht des Haushaltsausschusses ({78}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/1178 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Königshofen Carsten Schneider ({79}) Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anna Lührmann Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. ({80})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Deutsche Flugsicherung ist ein Unternehmen von besonderer Sensibilität. Sie wurde 1953 als Bundesanstalt für Flugsicherung gegründet. 40 Jahre später erfolgte durch einen vom Parlament breit getragenen Beschluss die Organisationsprivatisierung. Das gleiche Parlament, der Deutsche Bundestag, hat die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode aufgefordert, auch die Kapitalprivatisierung vorzubereiten. Nun sind wir an dem Punkt, diese Kapitalprivatisierung des Unternehmens zu beschließen. Gleichzeitig halten wir aber auch fest, unter welchen Bedingungen eine solche Kapitalprivatisierung stattfinden muss. Dazu möchte ich hier und heute ein paar Dinge sagen. Ich glaube, das Unternehmen hat in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren - also gerade nach der Organisationsprivatisierung - Hervorragendes geleistet. Die Steigerung der Sicherheit im unteren und oberen Luftraum in Deutschland, die diese 5 300 Mitarbeiter - Fluglotsen und Flugtechniker - geschaffen haben, macht sich alleine daran fest, dass es 1990 bei ungefähr 1,5 Millionen kontrollierten Flügen über Deutschland immerhin noch 40 gefährliche Annäherungen von Flugzeugen gab. 15 Jahre vorher, 1975, waren es noch 210 und im Jahre 2005 gab es gerade einmal noch drei Fälle, die unter diese Definition zu fassen sind. Das heißt, es wurde eine exorbitante Steigerung von Sicherheit produziert. Ich glaube, das ist eine ganz tolle Leistung der Deutschen Flugsicherung. ({0}) Sie ist ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter und Geschäftsführung pro Jahr insgesamt 2,8 Millionen Flüge in Deutschland kontrollieren. Der Markt wächst ständig. Die zivile Luftfahrt ist in Deutschland auf einem guten Wege und die Deutsche Flugsicherung leistet dazu Hervorragendes. Wir wollen, dass sich diese Deutsche Flugsicherung im konsolidierten Flugsicherungsmarkt in Europa breiter aufstellen kann. Deshalb wollen wir diese Kapitalprivatisierung durchführen. In diesem Zusammenhang haben wir festzuhalten, dass das Thema Sicherheit natürlich auch vor dem Hintergrund der zivil-militärischen Integration der Flugsicherung eine große Rolle spielt; denn immerhin haben wir es noch mit gut 80 000 Militärflügen über Deutschland pro Jahr zu tun. Wir haben eine Form gefunden, durch die sichergestellt wird, dass auch der militärsicherheitspolitische Aspekt so gefasst ist, dass er umgesetzt wird. Auch nach der Kapitalprivatisierung ist in Zukunft gewährleistet, dass die sicherheitspolitisch sensiblen Aspekte im Krisenfall so umgesetzt werden, dass es für den Verteidiger eine Rückholmöglichkeit, also eine Call-back-Möglichkeit, gibt. In diesem Fall kann der Bund seine wichtigen Flugsicherungsaspekte jederzeit umsetzen. Bei dieser Kapitalprivatisierung können wir davon ausgehen, dass bis zu 74,9 Prozent der Gesellschaftsanteile der Deutschen Flugsicherung verkauft werden können. Ich will hier im Parlament nicht über die Erträge spekulieren. Aber ich glaube, hier kann von einem ansehnlichen drei- bis vierstelligen Millionenbetrag ausgegangen werden. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir es uns nicht einfach gemacht haben. Wir wollen - das haben wir in dem Entschließungsantrag der Fraktionen deutlich gemacht - einige Eckpunkte festgehalten wissen, die bei dieser Kapitalprivatisierung zu beachten sind. Insofern gibt der Bundestag mit dieser Entschließung seiner Erwartung Ausdruck, dass bei den Verkäufen von Gesellschaftsanteilen Interessenskonflikte hinsichtlich der Unternehmensziele der Deutschen Flugsicherung und interessierter Übernehmer von Gesellschaftsanteilen ausgeschlossen werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Deutsche Flugsicherung im europäischen Konsolidierungsprozess mit einem neuen Gesellschafter wachsen kann und dass auch Möglichkeiten der Beteiligung an Partnerorganisationen im europäischen Raum nicht behindert, sondern erleichtert werden. Auf diesen entscheidenden Punkt möchte ich hinweisen. ({1}) Im Vorfeld dieses Gesetzes wurde die Frage aufgeworfen: Ist das deutsche Flugsicherungsgesetz verfassungskonform? Darüber wurde in den vergangenen Tagen an der einen oder anderen Stelle noch diskutiert. Ich darf einmal aus einem Kommentar zu Art. 87 d des Grundgesetzes zitieren: Der privatrechtlich organisierte Verwaltungsträger kann die Aufgabenerfüllung in Form unmittelbarer oder mittelbarer Bundesverwaltung ganz ersetzen oder zum Teil neben diese treten. Auch kann hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse der Privatrechtsgesellschaft eine Mischform zwischen öffentlicher und privater Kapitalbeteiligung vorgesehen werden, sofern ein hinreichender Einfluss des Bundes auf die Verwaltungstätigkeit gewahrt bleibt. - Ich bin mit den Rechtspolitikern meiner Fraktion der Meinung: Dies ist durch die Sperrminorität von 25,1 Prozent und auch durch die Call-back-Option im Krisenfall gewährleistet. Insofern bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das zweite Thema, das ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, sind die Einwände der Gewerkschaften. Diese haben wir ernst genommen. Die Gewerkschaften haben davor gewarnt, dass die Sicherheitskette aus zertifiziertem Flugzeug, zertifiziertem Lotsen und zertifiziertem Techniker möglicherweise gefährdet ist, weil sich Europa bei der Zertifizierung von Technikern anders aufstellt, als dies in Deutschland der Fall ist. Nach den Beratungen haben wir im Rahmen der Änderungswünsche der Fraktionen eins zu eins die Formulierungen in das Gesetz aufgenommen, die bei den Eurocontrol Safety Regulatory Requirements die Sicherheitsanforderungen beschreiben. Insofern befinden wir uns in völligem Einklang mit den einschlägigen europäischen Vorschriften. Ich glaube, die Kollegen von der Gewerkschaft der Flugsicherung sind mit diesen Änderungen einverstanden. ({2}) Zum Schluss möchte ich mich bedanken; denn die Beratungen der Berichterstatter und auch die Beratungen in den Ausschüssen waren von einem breiten Konsens getragen. Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass man dieses Thema sachorientiert bearbeitet hat. Wir haben mit den Beteiligten - sei es die Flugsicherung selbst, seien es die Gewerkschaften, seien es die politischen Parteien dieses Hauses - dafür gesorgt, dass der breite Konsens, der in diesem Haus in den vergangenen Jahrzehnten bei dem sensiblen Thema Deutsche Flugsicherung immer bestand, weitergetragen wird. Ich freue mich, dass zumindest vier Fraktionen den gemeinsamen Entschließungsantrag gezeichnet haben und ihn, wie ich denke, nachher auch verabschieden werden. Insofern ist dem Anliegen des Hauses Rechnung getragen, die Kapitalprivatisierung so zu vollziehen, dass sie letztlich zu mehr Sicherheit beiträgt, die Deutsche Flugsicherung wachsen kann und wir dadurch auch auf europäischer Ebene die Sicherheit stärken können. Denn wir haben in Deutschland eine der besten Flugsicherungsgesellschaften der Welt, was auch für Europa gut ist. Ich möchte mich bei den Beteiligten der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, aber auch der Grünen recht herzlich bedanken. ({3}) Ich würde mich freuen, wenn auch die Fraktion Die Linke dem Antrag zustimmen würde. Man kann sich aber auch der Stimme enthalten. Es wäre vielleicht ein Zeichen von Noblesse, das Vorhaben auf diese Art zu unterstützen. Ich würde mich darüber freuen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor wir mit der Aussprache fortfahren, kann ich Ih- nen das Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Prä- sidenten mitteilen: Abgegebene Stimmen 581, gültige Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 385.1) ({0}) Es hat auch einzelne Neinstimmen gegeben. Vielleicht darf ich das der Vollständigkeit halber zumindest für das Protokoll bekannt geben: Mit Nein haben gestimmt 138. Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat die Kollegin Petra Pau die erforderliche Mehrheit erhalten und ist somit zur stellvertretenden Präsidentin gewählt. Liebe Frau Kollegin Pau, ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des ganzen Hauses und auch meine ganz persönlichen Wünsche. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen bei der Wahrnehmung der nicht immer einfachen Aufgaben eine glückliche Hand. Alles Gute! (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Abgeordnete aller Fraktionen gratulieren der Vizepräsidentin - Abg. Dr. Gregor Gysi ({1}) und Abg. Oskar Lafontaine ({2}) überrei- chen der Vizepräsidentin Petra Pau einen Blu- menstrauß) Frau Kollegin Pau, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die Wahl anzunehmen bereit sind?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herzlichen Dank. Wir fahren nun fort mit der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 24. Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Beratung des Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Flugsicherung findet aus Sicht der FDP eine Erfolgsgeschichte ihren Abschluss, die 1992 vom Parlament - und zwar von allen Seiten des Parlaments; auch das muss deutlich gemacht werden gegen den anhaltenden Widerstand vieler Bedenkenträger begonnen wurde, die zum damaligen Zeitpunkt die Privatisierung der Flugsicherung für völlig unvorstellbar hielten. Es wurde gesagt: Die Welt geht unter; die Flieger fallen vom Himmel. Es kann nicht funktionieren. Der Kollege Uwe Beckmeyer hat deutlich gemacht, wie die Entwicklung tatsächlich verlaufen ist. Insofern finde ich es ausgesprochen bedenklich, dass dieselben Bedenkenträger, die schon damals nicht im Recht waren, jetzt wieder anfangen, mit denselben falschen Argumenten erneut gegen den nächsten - aus unserer Sicht völlig logischen - Schritt zu opponieren, die Deutsche Flugsicherung, die ich nicht ganz ohne Stolz als die beste der Welt bezeichnen möchte - sie ist auch schon zweimal ausgezeichnet worden -, für den weltweiten Wettbewerb fit zu machen, einen Wettbewerb, der mit den Airlines begonnen hat. Sicherlich denkt kaum jemand in diesem Hause noch daran, dass die Lufthansa früher vollständig in Staatsbesitz war. Auch damals gab es eine Diskussion über die beabsichtigte Privatisierung, in der die Meinung vertreten wurde, die Lufthansa könne niemals privatisiert werden. Heute wage ich zu behaupten: Wenn die Privatisierung nicht erfolgt wäre, gäbe es die Lufthansa heute gar nicht mehr. Tatsächlich ist sie aber inzwischen eine der führenden Fluglinien innerhalb der Star Alliance und positioniert sich weltweit. Was bei den Fluglinien begonnen hat, setzt sich jetzt bei den Flugsicherungsgesellschaften fort. Wir müssen sie fit machen. ({0}) Es ist sicherlich ärgerlich, dass die damalige Bundesregierung, insbesondere das Finanzministerium, eine bereits 1998 vom Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossene Novellierung des Flugsicherungsgesetzes förmlich nicht umgesetzt hat. Wir hätten schon damals der Flugsicherung mehr Möglichkeiten der geschäftlichen Betätigung einräumen können. Was nun umgesetzt wird, ist ein Kompromiss, über den, glaube ich, breiter Konsens besteht. Uwe Beckmeyer ist schon auf einiges eingegangen. Ich will auf die Voraussetzungen eingehen. Ausgangspunkt war, nicht nur die Kapitalprivatisierung und damit die Beschlusslage des Bundestages in der letzten Legislaturperiode, sondern auch die Vorgaben der so genannten Single-European-Sky-Verordnungen umzusetzen, die Horst Friedrich ({1}) eine Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben erforderlich machen. Das bedeutet, dass man wieder ein Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung errichten muss, das die Aufsichtsaufgaben wahrnehmen soll. Die Position der FDP war, nicht wieder ein solches Amt zu installieren, von dem man ja durch die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung wegzukommen versucht hat. Die Zahlen sprechen ja für sich. Die Kompetenz der Mitarbeiter eines Bundesaufsichtsamtes muss höher sein als die derjenigen, die den Luftverkehr kontrollieren. Daher müssen die Mitarbeiter eines solchen Amtes eine höhere Dotierung erhalten. Das kann man aber mit dem öffentlichen Haushaltsrecht allein nicht hinbekommen. Eine höhere Dotierung ist jedoch möglich, weil die Kosten eines Bundesaufsichtsamtes im Endeffekt die Nutzer, die Fluggesellschaften und die Passagiere, tragen. Ich bitte die Bundesregierung daher, in manchen Fällen das klassische Haushaltsrecht hintanzustellen. Es wird uns nicht auf die Füße fallen, weil die Nutzer die Kosten tragen. Wir brauchen dort hoch qualifizierte Mitarbeiter und dürfen keinen neuen Flaschenhals - diesen haben wir 1992 durch die Privatisierung der Bundesanstalt für Flugsicherung beseitigt - schaffen. Schließlich soll hier auch eine ökonomische Regulierung stattfinden. Das ist aber nur möglich, wenn Kompetenz von außen zugeführt wird. Nun erleben wir eine Aktion der Gewerkschaft Verdi. Uwe Beckmeyer hat es schon angesprochen. Die Gewerkschaft behauptet, dass das Gesetz die Sicherheit des Luftverkehrs in Deutschland gefährde; das trifft mich. Wie wird das begründet? Momentan bildet die Deutsche Flugsicherung ihre Fluglotsen an eigenen Schulen aus und zertifiziert sie; das ist völlig richtig. Aber alle anderen wie Techniker und Ingenieure werden nicht von der Flugsicherung ausgebildet, sondern erhalten ihre Ausbildung - wie nun auch vorgesehen - an anderen Institutionen, an Hochschulen oder Fachhochschulen. Was sich ändert, ist lediglich, dass ein Zertifikat der Flugsicherung nicht mehr ausgestellt wird, weil es im europäischen Bereich nicht mehr notwendig ist. Aber an der Qualität des Personals und damit an der Sicherheit ändert sich nichts. Deswegen, finde ich, ist es höchst fahrlässig, zu sagen: Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, leidet die Sicherheit unter den Kapitalinteressen. Das ist aus meiner Sicht eine völlig unzulässige Verkürzung der Fakten. Das sollten wir nicht mittragen. ({2}) Ich musste lesen, dass eine andere Gewerkschaft angedroht hat, während der Fußballweltmeisterschaft zu streiken, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Dazu kann ich nur sagen: Aus unserer Sicht wäre das ein politischer Streik; das darf nicht sein. Politik darf sich so nicht beeinflussen lassen. Das muss deutlich werden. ({3}) Zum Gesetzgebungsverfahren möchte ich für die FDP-Fraktion noch zwei Dinge anmerken. Wir wären durchaus bereit gewesen, das Ganze noch klarer wirtschaftlich zu positionieren. Aber wir tragen den Kompromiss mit. Mich hat jedoch verwundert, dass kurz vor Ende der Sitzung des Verkehrsausschusses am vergangenen Mittwoch vorgeschlagen wurde, dass die Flugsicherung auch die Aufgaben Überprüfung, Warnung und Umleitung von Luftverkehrfahrzeugen im Luftraum übernehmen soll. Aus unserer Sicht kann die Flugsicherung das nicht übernehmen. Das kann man mit einem Piloten, der kooperiert, also den Anweisungen der Flugsicherung folgt, sicherlich machen. Das kann man aber von einem Piloten, der ein gekapertes Flugzeug führt, wahrscheinlich nicht erwarten. Flugsicherung allein kann das nicht leisten. Es ist etwas höchst Ungewöhnliches geschehen: Die Geschäftsführung der Deutschen Flugsicherung hat mitgeteilt, wie sie diese Gesetzesformulierung interpretiert, nämlich im Sinne der bereits bestehenden Zusammenarbeit mit dem Nationalen Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum in Kalkar. Die Bundesregierung hat die Richtigkeit dieser Interpretation bestätigt. Ich gebe zu: Das ist ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang; in einem Gesetzgebungsverfahren ist er sicherlich nicht alltäglich. Die Flugsicherung hat signalisiert, dass sie mit dieser Regelung leben könne. Wenn das die Grundlage für die Arbeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist, dann tragen wir das Ganze im Endeffekt mit. Die große Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses trägt diesen Entschließungsantrag im Konsens; Kollege Uwe Beckmeyer hat schon darauf hingewiesen. Das Parlament hat 1992 die Erfolgsgeschichte der Flugsicherung begonnen, und zwar gegen den Widerstand vieler Bedenkenträger. Das Parlament macht jetzt den nächsten Schritt. Ich sage voraus: Das Parlament hat sowohl die Kraft als auch die Zuständigkeit, im Falle von diversen Fehlallokationen nach entsprechenden Entscheidungen Korrekturen im Sinne der Flugsicherung vorzunehmen. Insofern vielen Dank für die bisherige Unterstützung! Wir wünschen unserer Flugsicherung weiterhin den Erfolg, den sie bisher hatte. Die FDP wird den Vorlagen zustimmen. Danke sehr. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Norbert Königshofen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch für die Union ist der heutige Tag verkehrspolitisch ein besonderer Tag: Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung soll heute verabschiedet werden. 13 Jahre lang sind hier im Bundestag Gespräche und Verhandlungen, auch Auseinandersetzungen geführt worden; Anträge sind gestellt worden. Ich bin seit 1994 Abgeordneter des Bundestages. Das Thema FlugsicheNorbert Königshofen rung hat uns seitdem dauend beschäftigt; es war mir ein ständiger Wegbegleiter. Es ist bereits erwähnt worden: 1992/93 gab es die Organisationsprivatisierung. Das war der erste wichtige Schritt. Er wurde damals von fast allen Mitgliedern des Hauses unterstützt. Ich hoffe, dass der vorliegende Gesetzentwurf und die Abänderungen, die wir beraten haben, hier eine überwältigende Mehrheit finden werden. Organisationsprivatisierung und Kapitalprivatisierung sind zwei Fixpunkte im Bemühen, die DFS zu reformieren. Man kann sich fragen: Muss die DFS reformiert werden? Kollege Friedrich und Kollege Beckmeyer haben darauf hingewiesen, dass die DFS eine der erfolgreichsten Flugsicherungsorganisationen der Welt ist. Ich möchte in Erinnerung rufen: Sie hat im Jahre 2000 immerhin den so genannten Eagle Award bekommen, das ist eine Auszeichnung für außergewöhnlich gute Flugsicherung, für Pünktlichkeit und für Kostenbewusstsein. Die Wettbewerbsbedingungen auf dem Luftverkehrsmarkt haben sich radikal verändert. Außerdem hat sich die Rechtslage in Europa verändert. Einerseits ist der Luftverkehr heute ein viel wichtigerer Wirtschaftsfaktor als vor 15 oder 20 Jahren. Er ist eine Schlüsselindustrie für moderne Volkswirtschaften, eine Jobmaschine. 1 Million Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt davon ab. Diese Industrie schafft immer wieder neue Arbeitsplätze. Zum Beispiel sind zuletzt bei der Lufthansa 2 700 neue Arbeitsplätze entstanden. Andererseits ist der Luftverkehr internationaler und liberaler geworden. Die Single-European-Sky-Verordnungen sind gerade schon kurz angesprochen worden. Es gibt Open-Sky-Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Das muss berücksichtigt werden. Die DFS muss sich auf die neuen Entwicklungen einstellen können, um ihre internationale Spitzenposition zu behaupten und auszubauen. Nach der erfolgten Kapitalprivatisierung wird sie noch mehr als bisher am Markt teilnehmen, andere Geschäftsfelder erschließen ({0}) und sich an anderen Unternehmen beteiligen können. Das hat wiederum mit Sicherheit Auswirkungen auf den Luftverkehrsstandort Deutschland. ({1}) So wie die Lufthansa in Europa der führende Carrier an der Spitze der Star Alliance geworden ist, so soll die DFS - das stellen wir uns vor - an die Spitze der Flugsicherungsgesellschaften in Europa kommen. Die DFS für die Zukunft fit zu machen, ist also eine der Aufgaben. Die andere Aufgabe ist: Die staatlichen Verpflichtungen, die hoheitlichen Aufgaben müssen abgesichert werden. Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Änderungen, die wir gemeinsam beschließen werden, beides erreicht wird. Die Flugverkehrskontrolle bleibt hoheitliche Tätigkeit. Sie dient der Gefahrenabwehr und der Prävention von Gefahren. Wir werden weiter eine Fortsetzung der erfolgreichen zivilmilitärischen Integration haben. Das gibt es bei der überörtlichen Flugsicherung sonst nirgendwo in der Welt. Die Kapitalprivatisierung bedeutet nicht, wie vielleicht befürchtet wird, eine Aufgabenprivatisierung. Die DFS bleibt ein mit staatlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen. Der Bund hat Durchgriffsrechte. Wir sichern das zum Ersten durch die Sperrminorität von 25,1 Prozent ab. Bei der Kapitalprivatisierung werden nämlich 25,1 Prozent beim Bund verbleiben. Zum Zweiten - auch das ist gerade schon dargelegt worden - wird eine nationale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, BAF, geschaffen. Diese Aufsichtsbehörde hat die Rechts- und Fachaufsicht über die DFS. Sie kontrolliert die DFS. Sie verfügt über ein Informationsbeschaffungsrecht. Sie hat ein Weisungsrecht. Sie hat das Recht zur Ersatzvornahme. Sie hat ein Betretungsrecht und sie hat ein Herausgaberecht. Sie kann auch ein Warnungsgeld in Höhe von bis zu 500 000 Euro verhängen. Wenn man den Eindruck hat, die kapitalprivatisierte DFS erfülle ihre Aufgaben nicht so recht, dann kann man sie zur Kasse bitten und notfalls auch durchgreifen. Also erfüllt das Gesetz beides: Es sichert die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben und macht die DFS zu einem erfolgreichen Teilnehmer am expandierenden Luftverkehrsmarkt. Eines wollen wir nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung - das freut den Finanzminister - bringt auch einen zehnstelligen Eurobetrag - ich wiederhole: einen zehnstelligen Eurobetrag - in die klammen Kassen des Bundes. Das ist auch Geld. Es gibt einen Entschließungsantrag, gestellt von allen vier Fraktionen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Auf den möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal lenken; denn er ist wichtig. Er ist deswegen wichtig, weil wir in diesem Entschließungsantrag etwas darüber aussagen, wie wir uns die Kapitalprivatisierung und die zukünftigen Eigentümer vorstellen. Wir wollen ein langfristiges Engagement derjenigen, die sich da beteiligen. Wir wollen nicht die, die berühmte Kollegen einst „Heuschrecken“ genannt haben, die nämlich kommen, drei Jahre etwas halten und dann wieder verkaufen. Wir suchen nicht den Investor, der 20 Prozent Dividende haben möchte. Nein, wir suchen die, die ein Interesse an der Flugsicherung haben, die sich beteiligen wollen und die natürlich auch eine auskömmliche Rendite für ihr Geld bekommen müssen. Denn wer gibt schon Geld, wenn er damit nichts verdienen kann? Aber es muss im Rahmen bleiben. Wir haben auch deutlich gemacht: Niemand soll dort einen beherrschenden Einfluss haben, kein Carrier, kein Einzelner, der dann am Ende über 50 Prozent der Anteile hält. Das wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass auch die deutschen Nutzer sich beteiligen; denn es macht Sinn, wenn die Flughäfen, die Airlines und die DFS zusammenarbeiten. ({2}) Wir hätten natürlich gern, wenn es geht, in Ergänzung auch einen internationalen Investor, weil wir, wie gesagt, bei der DFS auch auf Expansion im europäischen Raum setzen. Es gibt da viele sozusagen artnahe Geschäfte, in denen die DFS tätig werden kann und die dazu beitragen, die DFS mit den entsprechenden Geldern zu versehen. Bei den Investoren muss also - das wollen wir mit dem Entschließungsantrag klar machen - das Interesse am Unternehmen im Vordergrund stehen, langfristig, dauerhaft, verlässlich. ({3}) Zum Schluss, meine Damen und Herren: Man muss danken, weil das, was heute hier passiert, in diesem Hohen Hause nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Gesetz, über das man natürlich hier und da verschiedener Meinung sein kann, am Ende eine Mehrheit von über 90 Prozent findet - jedenfalls wenn alle da sind und abstimmen. Wir werden die Zustimmung der Union und der SPD, der Koalitionsfraktionen, haben - das gehört sich so -, aber, was nicht selbstverständlich ist, auch der FDP und der Grünen. Ich möchte mich beim Kollegen Beckmeyer bedanken, mit dem ich diese Gesetzgebung sehr eng vorbereitet und begleitet habe, aber auch bei den Kollegen Friedrich und Hermann, ({4}) die uns immer konstruktiv, wenn auch kritisch, begleitet haben. Auch bezüglich der Seite des Ministeriums - das ist ebenfalls nicht selbstverständlich; häufig gibt es ja einen gewissen Dualismus zwischen der Politik und den Ministerien - kann man nur sagen: hervorragende Zusammenarbeit. Mein Dank gilt Staatssekretär Kasparick, aber auch seinen Mitarbeitern Schmidt und von Elm. ({5}) Ebenso müssen wir Staatssekretär Karl Diller danken; denn er hat es möglich gemacht, dass wir bei der BAF, also beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die Leute engagieren können, die wir brauchen. Für einen Außenstehenden scheint das vermutlich kein Problem zu sein: Wenn die Nutzer es ohnehin bezahlen, kann man auch ordentliche Leute einkaufen. Aber für eine Behörde ist es schon schwierig, davon abzugehen, Mitarbeiter nach einem ganz bestimmten Schema zu bezahlen; in diesem Fall erfolgt die Bezahlung normalerweise nach B 3 bzw. den darunter liegenden Besoldungsgruppen. Da gibt es nicht mehr und nicht weniger. Das wird hier durchbrochen. Die Leute, die von der DFS kommen und bei der Bundesaufsicht arbeiten, können ihre Zulagen behalten. Das ist durch den Kollegen Diller möglich geworden, der sich da vermittelnd eingeschaltet hat. Also herzliches Dankeschön! ({6}) Ich danke dem Bundesrechnungshof, mit dem wir nicht nur korrespondiert, sondern auch gesprochen haben. Ebenso haben wir das Gespräch mit den Freunden aus dem Südwesten gesucht, die natürlich unter dem Flughafen Zürich-Kloten leiden. Aber dieses Gesetz hat mit dem Problem sehr wahrscheinlich gar nichts zu tun. ({7}) Aber die Bedenken und die bestehenden Probleme haben wir natürlich gesehen. Deswegen haben wir Verständnis, dass sie sich so eingelassen haben, wie sie es getan haben. Außerdem haben wir

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- das ist mein letztes Wort, Herr Präsident, mit Dank an Sie für Ihren Großmut ({0}) ebenfalls sehr konstruktiv mit der Unternehmensführung und den Arbeitnehmervertretern gesprochen. Auch dafür mein herzliches Dankeschön. Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie gleich zustimmen werden. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bedanke mich für das Kompliment in Sachen Großmut, Herr Kollege Königshofen, und erteile als nächster Rednerin Dorothee Menzner für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0}) ({1})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kollege Königshofen hat es eben schon breit ausgeführt: Wir haben es heute mit einer Superkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zu tun. Sie wollen den Verkauf der Flugsicherung beschließen. Damit beginnt nach unserer Meinung die Play-off-Serie der Privatisierungsfestspiele dieser Regierung. Bundesvermögen wird ans Kapital verkauft, während breite Bevölkerungskreise wegen Hartz IV am Existenzminimum leben müssen. ({0}) Was passiert genau und warum diese Eile? Nur um Haushaltslöcher zu stopfen, will die Bundesregierung unser Tafelsilber veräußern - ohne Sinn, ohne Herz und ohne Verstand. ({1}) Drei Viertel der Flugsicherung liegen auf dem Gabentisch. Dafür kriegen Sie - das wurde eben ausgeführt eine einmalige Finanzspritze. Aber was bleibt danach? Nichts! Dann fehlen die Gewinne der Flugsicherung im Haushalt. Dieses Jahr sind es fast 13 Millionen Euro. Schlimmer noch: Perspektivisch könnte die Situation eintreten, dass gar keine Gewinne aus der Flugsicherung mehr in den Bundeshaushalt fließen. Seit längerem kursieren in Juristenkreisen genau die gleichen Formulierungen, die jetzt in den Drucksachen geschrieben stehen und die hier debattiert werden. Wir aber, also meine Fraktion, bekamen nichts Offizielles. Daher wundert es mich zutiefst, weshalb die seit langem angekündigten Änderungen des Gesetzentwurfs mein Büro erst auf den allerletzten Drücker erreichten. Letzten Dienstag um 19 Uhr bekamen wir die Drucksache, genau 14 Stunden vor der entscheidenden Ausschusssitzung. ({2}) Schon tags darauf gab es im Ausschuss die gemeinsame Entschließung dieser Superkoalition. ({3}) Dies ist mir als Neuling ziemlich unverständlich und ich frage mich, weshalb das so lief. Absicht? ({4}) Ich darf daran erinnern: Die Linke hat zu all den Fragen der Privatisierung der Flugsicherung, die aus unserer Sicht noch offen sind, eine Anhörung im Ausschuss beantragt. Leider konnte sich nur die Fraktion der Grünen entschließen, diesem Antrag zuzustimmen. ({5}) So sind aus unserer Sicht nach wie vor viele Fragen offen: Erstens. Die Gewerkschaft der Fluglotsen erhebt nach wie vor starke Einwände. Zweitens. Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm befürchtet bei der Planung der Flugrouten den Vorrang der Wirtschaftlichkeit vor dem Lärmschutz. Drittens. Die EU-Vorgaben - sie wurden hier schon angesprochen - sehen keine Kommerzialisierung bei hoheitlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr vor. Wozu auch? Viertens. Besonders der Flugzeugabsturz im Jahr 2002 am Bodensee wirft bis heute Fragen auf. Die schwierigste davon: Ist es überhaupt mit unserer Verfassung vereinbar, dass ein Schweizer Privatunternehmen den südwestdeutschen Luftraum verwaltet? ({6}) Damit komme ich - fünftens - zu meinem und unserem Haupteinwand. Die Linke sagt es klipp und klar: Die Neuregelung der Flugsicherung verstößt eindeutig - ich wiederhole es gerne: eindeutig - gegen die geltende Verfassung. ({7}) Kollege Beckmeyer zitierte vorhin aus einem Kommentar zum Grundgesetz. Ich möchte es nicht unterlassen, Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zu zitieren: Die Luftverkehrsverwaltung wird in bundeseigener Verwaltung geführt. Satz 2 lautet: Über die öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche Organisationsform wird durch Bundesgesetz entschieden. Dazu sollten wir wissen: Dieser zweite Satz wurde bewusst in die Verfassung eingefügt, als die Flugsicherung organisationsprivatisiert wurde. Manche werden sich erinnern: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte die Unterzeichnung eines Gesetzes zur Flugsicherung damals wegen ungenügender Verfassungsvorgaben verweigert. Und heute, wo eine viel schwerwiegendere Entscheidung ansteht? Heute geht es um die Frage: Dürfen hoheitliche Belange hinsichtlich Gefahrenabwehr und Ordnungsrecht überhaupt durch privates Kapital wahrgenommen werden? (Beifall bei der FDP: Wer privatisiert denn die Gefahrenabwehr? Die Verfassungsfrage ist auch - aber nicht nur wegen des Flugzeugabsturzes vor wenigen Jahren am Bodensee brisant. Der Vertrag, die dortige Flugsicherung einem Privatunternehmen zu übertragen, wurde vom Schweizer Bundesrat bis heute nicht ratifiziert. Juristen nennen das: Der Vertrag ist nicht in Geltung gewachsen. Damit ist die Flugsicherung durch die Schweizer Skyguide AG bis heute auf keine belastbare Rechtsgrundlage gestellt. Ich schließe mit der eindringlichen Bitte an Sie alle: Vertagen Sie die Entscheidung! Einen Verstoß gegen die Verfassung werden wir nicht hinnehmen. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redebeitrag meiner Kollegin von der Linksfraktion macht es notwendig - auch andere Kollegen fragen immer wieder, ob diese Neuregelung, diese Privatisierung, zwingend ist -, dass ich zu Beginn meiner Rede ein paar grundsätzliche Ausführungen mache. ({0}) Es gilt festzuhalten, dass die Europäische Union durch ihre Verordnung zum Single European Sky einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Diese Verordnung schafft unmittelbares Recht. Das heißt, vieles ist jenseits unserer bisherigen nationalen Regelungen schon neu geregelt. Diese Neuregelung, diese Verordnung gibt uns zusätzlich die Möglichkeit, das deutsche Recht dementsprechend auszugestalten. Die EU zwingt allerdings nicht zur Privatisierung, sondern ermöglicht sie. Das ist ein Unterschied. Die EU verlangt mehr Wettbewerb. Das darf sie; das soll sie. Aber sie verlangt keinen ungeregelten Wettbewerb. Darauf reagieren wir. Sie verlangt zwingend die Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben in der Luftsicherung. Das erkennen wir an. Zugleich wird damit anerkannt, dass es eine europäische und eine nationalstaatliche hoheitliche Verantwortung gibt. Insofern meine ich, dass das verfassungsrechtliche Argument, das gerade vorgetragen wurde, ins Leere geht. ({1}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist im parlamentarischen Verfahren erheblich verbessert worden. Dies zeigt, dass wir im Parlament einen eigenständigen und eigenverantwortlichen Umgang mit dem Luftsicherheitsrecht praktiziert haben und europäisches Recht und deutsches Recht gemeinsam gestaltet haben. Übrigens folgt dieser Gesetzentwurf einigen wichtigen Grundeinsichten - dies wurde im vorherigen Redebeitrag anders dargestellt -, die ich gerne ansprechen will. Er folgt der Einsicht, dass mehr Wettbewerb, mehr unternehmerisches Handeln und eine klare Trennung der Durchführung der Aufgaben und der Kontrolle zu einer effizienten und sehr hohen Flugsicherheit führen und dass dies eine effiziente Wirtschaftsform ist. ({2}) Es wird anerkannt, dass es nicht zwingend ist, dass bestimmte betriebliche Abwicklungen zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum sein müssen. Das genau brauchen wir nicht. Dies ist also keine wildliberale Veranstaltung, wie es gerade wieder geäußert wurde nach dem Motto: Die verkaufen alles und die Grünen sind auch dabei. Ich kann nur sagen: Wer in Dresden unter Beteiligung der Linkspartei und ihrer Abgeordneten zusammen mit anderen alle kommunalen Wohnungen versilbert, sollte das Maul im Parlament in solchen Fragen nicht voll nehmen. ({3}) Denn starke Sprüche allein genügen nicht. Man muss vielmehr einen Rechtsrahmen schaffen. Die vorliegende gesetzliche Regelung schafft sehr verantwortungsvoll und sehr verantwortungsbewusst einen Rechtsrahmen gegen eine wildliberale Privatisierung. ({4}) Wir haben sichergestellt, dass bei dieser neuen, teilprivatisierten Flugsicherung die kommerziellen Interessen nicht ganz obenan stehen dürfen, sondern dass das oberste Prinzip der Sicherheit erhalten bleibt. Die Deutsche Flugsicherung soll also ein starker Partner im Wettbewerb sein, aber auch klaren sicherheitspolitischen Vorgaben dienen. Wir haben uns als Grüne jetzt über drei bis vier Jahre kritisch an dem Verfahren beteiligt. Ich kann bestätigen, was meine Kollegen dankenswerterweise bereits gesagt haben: Es lief außerordentlich kooperativ. Ich habe bisher im Parlament noch kein Verfahren erlebt, bei dem es einen so engen Austausch gab und bei dem es tatsächlich einmal gelungen ist, über Fraktionsgrenzen hinweg Argumente und kritische Einwände anzuerkennen. Danke schön für diese Kooperation! ({5}) Für uns war wichtig, dass wir sicherstellen, dass wir europäisches Recht und unsere Verfassung in Einklang bringen und zusammenführen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Wir haben klargestellt, dass die hoheitlichen Aufgaben weiterhin klar in hoheitlicher Hand und letztendlich in Bundesverantwortung sind. Das ist ganz klar geregelt, trotz Wettbewerbsbeteiligung, trotz Teilprivatisierung. Das hat mit Sicherheit viel damit zu tun, dass wir neben den zahlreichen Regelungen auch die unabhängige Aufsicht geschaffen haben, die eben voll öffentlich ist. Wir haben - es ist mir wichtig, das zu sagen - mit der Konstruktion der Sperrminorität ein Konstrukt gefunden, das ganz klar macht, dass die wesentlichen Ziele dieser neuen Gesellschaft nicht einfach geändert werden können. Eventuelle hoheitliche Bedenken können also nicht einfach aufgrund von Marktinteressen oder anderen ökonomischen Interessen übergangen werden. Das ist hiermit sichergestellt. Wir haben übrigens - was uns sehr wichtig war - in der Resolution deutlich gemacht, dass wir bei der Veräußerung sehr genau darauf achten müssen, wer sich einkauft und wie die Aktien verkauft werden. Denn eines wollen wir klarstellen: Wir sind doch nicht für mehr Wettbewerb im Prinzip und sorgen dann hinterher beim Verkauf dafür, dass ein neues Monopol entsteht, indem sich etwa eine Fluggesellschaft die Flugsicherheit aneignet und sozusagen als billige Tochter, als billige Dienstleistung hält. Mit der Resolution haben wir deutlich gemacht: So etwas wollen wir nicht. ({6}) Insofern gibt es auch klare Ansprüche und klare Auflagen an zukünftige Investoren. Wir haben sichergestellt, dass die zivil-militärische Integration weiterhin funktioniert - sie muss funktioWinfried Hermann nieren -; wir haben sichergestellt, dass es ein Weisungsrecht gibt - etwa im militärischen Notfall -; wir haben über ein Konstrukt der Beleihung und des Widerrufs sichergestellt, dass die private DFS nicht einfach gegen die Interessen des Staates verstoßen kann. Diese Beleihung findet auf Zeit und auf Widerruf statt und ist an harte Kriterien gebunden. Das Argument, dass ein Privater etwas gegen die öffentlichen Sicherheitsinteressen tun kann, stimmt somit grundlegend nicht. ({7}) Ich muss jetzt etwas abkürzen; ich will aber noch daauf hinweisen, dass wir Einwände der Gewerkschaften und der Deutschen Flugsicherung mit aufgenommen haben. Es ist sehr selten, dass man auch arbeitsrechtliche Einwände und Bedenken - etwa Mitbestimmungsinteressen - berücksichtigt. Auch als Linker kann ich daher sehr gut zu dem Gesetzentwurf stehen. Ich komme zum Schluss. Wir verabschieden heute nach mehrjährigen Debatten und Verhandlungen einen überfraktionellen Gesetzentwurf - samt Veränderungen und einen Resolutionstext. Der Entwurf führt zu einer Teilprivatisierung in politisch klar gestalteter öffentlicher Verantwortung. Ich bedanke mich. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag für die deutsche Luftsicherheit und - das darf ich hinzufügen - für die europäische Luftsicherheit, weil wir ein Unternehmen im europäischen Markt aufstellen und für den Wettbewerb stark machen, das noch von sich reden machen wird. Die deutsche Flugsicherheit ist zu Recht ausgezeichnet worden als die beste der Welt. Wir wollen sie stark machen für den europäischen Wettbewerb. Wir wollen die Rahmenbedingungen, die uns Europa bietet, nutzen, um die deutsche Wirtschaft in einem sehr stark wachsenden und wirtschaftlich hoch interessanten Markt an die erste Stelle im Wettbewerb zu stellen. Die Entscheidung, die das Parlament heute trifft, hat eine längere Vorgeschichte. Die Organisationsprivatisierung aus dem Jahre 1993 ist ebenso wie die Integration der militärischen Flugsicherungsdienste in die DFS im Jahre 1994 bereits erwähnt worden. Der Schritt, den wir jetzt unternehmen, die Kapitalprivatisierung, ist die logische Folge dieser vorausgegangenen Schritte. Man muss sich klar machen, dass wir in Europa derzeit noch 31 unterschiedliche nationale Systeme der Flugsicherung haben. Die neuen Richtlinien geben den Rahmen vor und weisen die Richtung: Wir wollen einen einheitlichen europäischen Luftraum schaffen. Wir sind der Überzeugung, dass der in einem dichten Beratungsnetzwerk erarbeitete Gesetzentwurf dazu beitragen wird, eines unserer stärksten Unternehmen besonders gut für den Wettbewerb aufzustellen. Ich will in zweierlei Hinsicht kurz auf die Kritik der Linken eingehen. Das Verfahren wurde kritisiert. Mich hat überrascht, dass eine Fraktion bereits zu Beginn der Beratungen, nach der ersten Lesung, erklärt hat, sie sei gegen das Gesetz. ({0}) Dass man sich so dem Beratungsprozess entzieht, ist zumindest bemerkenswert. ({1}) Jetzt, am Ende des Beratungsprozesses, beschweren Sie sich, Sie seien nicht ausreichend beteiligt worden. Für mich tut sich da ein Widerspruch auf. Es war das Bemühen unseres Hauses, mit den Berichterstattern, mit den Mitarbeitern der DFS und mit den Gewerkschaften einen ganz engen, persönlichen Kontakt zu pflegen sowie alle Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen, sorgfältig zu diskutieren und abzuwägen. Ich will das unterstreichen, was Kollege Hermann gesagt hat: Dieser Gesetzgebungsprozess ist auch nach meinem Eindruck etwas Besonderes, weil eine parteiund fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in dieser Form in diesem Haus nicht selbstverständlich ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Menzner?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich würde gerne zu Ende vortragen. ({0}) Die fraktions- und parteiübergreifende Zusammenarbeit an diesem Gesetz ist in der Tat etwas Besonderes, was lohnt, erwähnt zu werden. ({1}) Zum zweiten Kritikpunkt will ich ausdrücklich etwas betonen, was schon mehrfach angesprochen wurde: Die Flugsicherung bleibt hoheitliche Aufgabe des Bundes. Das ist die zentrale Aussage. Der Bund hat nach wie vor Durchgriffsrechte. Diese Rechte haben wir gesichert. Über die Anteile ist bereits gesprochen worden. Ich finde es besonders wichtig, dass nicht nur das Ministerium, sondern auch das Parlament an der Kontrolle direkt beteiligt ist. Wir haben an zentralen Stellen Parlamentsvorbehalte in das Gesetz eingefügt. Das ist bei dem hochsensiblen Bereich der Luftverkehrssicherheit zwingend. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird bei der Sicherstellung dieser hoheitlichen Aufgaben eine ganz zentrale Funktion übernehmen müssen. Wir haben uns bemüht - ich bin der Überzeugung, es ist gelungen -, in einem kooperativen Arbeitsstil ein Gesetz zu erarbeiten. Das war ein mehrjähriger Prozess. Heute können wir erleben, dass der Erfolg viele Väter hat. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die sich seit vielen Jahren mit diesem Problem befassen, kennen die Geschichte aus eigenem Erleben. Das, was wir heute vorlegen, ist nach unserer Überzeugung eine runde Sache. Die wesentlichen Kritikpunkte, bis hin zu denen des Bundesrechnungshofs, sind nach ausführlichen Gesprächen ausgeräumt worden. Die gefundene Lösung macht es nicht zuletzt für Investoren interessant, sich bei der deutschen Flugsicherung zu engagieren. Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der deutschen Flugsicherung eine gesicherte, wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, wenn sie denn wieder einmal mit dem Flugzeug unterwegs sind - das sind viele unserer Kollegen -, dass sie davon profitieren, dass wir unsere Sicherheit neu aufstellen. ({2}) Ich bin mir ganz sicher, dass die DFS mit diesem Gesetzentwurf in die Lage versetzt wird, im europäischen Wettbewerb ganz vorne mitzuspielen. Das war Ziel dieses Gesetzes. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit und alles Gute! ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär Kasparick, Ihre Ausführungen kann ich nur so verstehen: Für Sie ist es offenbar normal, dass dann, wenn sich eine Fraktion kritisch zu einer Vorlage in erster Lesung und in den Beratungen im Ausschuss äußert, die veränderte Version ganz kurzfristig kommt, obwohl sie im Vorfeld bereits im Hause und in den einschlägigen Kreisen breit kursierte. Ich finde, das offenbart zumindest ein etwas schwieriges Verständnis. ({0})

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich habe nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass sich eine Fraktion am Beginn eines Beratungsprozesses schon auf eine Ablehnung festlegt und sich dann darüber beschwert, sie sei zu wenig beteiligt worden. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/ CSU-Fraktion.

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nie zuvor verzeichnete der deutsche Luftraum so viele Flugbewegungen wie in diesem und im letzten Jahr. Mit 2,8 Millionen kontrollierten Flügen in 2005 und bisher rund 700 000 in 2006 befindet sich die deutsche Flugsicherung im Höhenflug. Gut, dass wir diesen positiven Trend aufnehmen und durch das vorstehende Gesetz der deutschen Flugsicherung noch größere Leistungsfähigkeit und Expansionsfähigkeit ermöglichen. ({0}) Gemeinsames Ziel sollte es sein, dass die deutsche Flugsicherung auch im Wettbewerb gegenüber den europäischen Anbietern künftig eine Führungsrolle übernimmt. Damit stellen wir uns einer besonderen Herausforderung; denn der Luftraum über Europa ist eine knappe Ressource. Verbesserungen, die durch die Flugsicherung geschaffen wurden, werden ebenso schnell wieder vom Verkehrswachstum aufgezehrt. Bis zum Jahre 2010 werden in Europa schätzungsweise rund 11 Millionen Flüge jährlich erwartet. Im Jahre 2020 sollen es sogar knapp 16 Millionen sein. Höchste Zeit also, dass sich die europäische und mit ihr auch die deutsche Flugverkehrslandschaft neu definiert. Richtungweisende Schritte, wenn auch manchmal nur halbherzig durch die Mitgliedstaaten mitgetragen, sind bereits durch die Single-European-Sky-Verordnungen der Europäischen Kommission getan worden. Der europäische Luftraum und die Flugsicherungseinrichtungen werden künftig umstrukturiert. Die Fluglotsenausbildung und die Flugsicherungstechnik werden harmonisiert. Deshalb ist der Handlungsbedarf für uns dieser Tage sehr hoch. Denn für die deutsche Flugsicherung müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sie im europäischen Markt erfolgreich bestehen lassen. In diesem Zusammenhang ist die Kapitalprivatisierung der DFS ein notwendiger und zielführender Schritt. Schließlich dürfen wir den Blick nicht nur auf Deutschland, sondern sollten ihn auch auf Europa richten. Die deutsche Flugsicherung wird in der Gemeinschaft eine Vorreiterrolle übernehmen können. Denn einerseits steht sie für höchste Qualität und andererseits wird sie durch dieses Gesetz die modernsten RahmenbeIngo Schmitt ({1}) dingungen aufweisen können. Es lässt sich also sagen, dass wir hierzulande ein Modell für Europa schaffen, als Anreiz für andere Mitgliedstaaten, sich diesem anzuschließen. ({2}) Der europäische Luftraum glich bisher einem Flickenteppich; der Flugverkehr wurde von über 40 unterschiedlichen Kontrollzentren geregelt. Dies führte zu unnötigen potenziellen Gefahren, zu einem Anstieg der Verspätungen und zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch. Die Fragmentierung des Luftraumes zieht nach Feststellung der Europäischen Union das europäische Gesamtssystem derart in Mitleidenschaft, dass in einem einheitlichen europäischen Luftraum zukünftig zwingend funktionale Luftraumblöcke gebildet werden müssen. Diese orientieren sich dann nicht mehr an Ländergrenzen, sondern an Verkehrsströmen. ({3}) Für diese gewaltigen Herausforderungen durch die kommende Marktsituation muss die deutsche Flugsicherung fit gemacht werden, in einem Teilbereich bereits bis Ende des Jahres. Denn mit Einführung der so genannten Platzkontrolle an den Regionalflughäfen kann dort künftig jedes EU-zertifizierte Flugsicherungsunternehmen in Deutschland tätig werden. Die Kapitalprivatisierung ist zwar ein notwendiger, ordnungspolitisch gebotener, jedoch längst nicht hinreichender Schritt für den Erfolg. Das Management sowie die Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen müssen neu ausgelegt werden können. Der Wille zum Mitspielen auf europäischem und internationalem Parkett muss der Motor für unternehmerisches Denken und Handeln sein. Durch den bevorstehenden Prozess wird es der deutschen Flugsicherung gelingen, unter Beibehaltung höchster Sicherheitsstandards noch effizienter zu arbeiten und dadurch das deutsche Gesamtsystem sowie die hiesige Volkswirtschaft zu stärken. Einen zusätzlichen positiven Aspekt darf man natürlich nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung dient zudem dazu, Finanzmittel in die Kasse des Bundes fließen zu lassen. Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Es wäre schön, wenn wenigstens ein Teil dieser Gelder für verkehrspolitische Vorhaben zur Verfügung gestellt würde. In den letzten sechseinhalb Jahren habe ich mich im Europäischen Parlament um Verkehrs- und insbesondere um Luftverkehrspolitik gekümmert. Aufgrund dieser Erfahrung darf ich Ihnen heute sagen: Ich bin davon überzeugt, dass die deutsche Flugsicherung, wenn dieses Gesetz beschlossen wird und sie dadurch andere Rahmenbedingungen erhält, eine Riesenchance hat, in dem sich bildenden Single European Sky nicht nur zu bestehen, sondern zukünftig auch eine entscheidende Rolle als Topplayer im europäischen Luftraum zu übernehmen. ({4}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich empfinde den Gedanken als äußert angenehm, dass man sich in einigen Jahren auch bei Flügen, die die deutsche Grenze überschreiten, in sichersten Händen fühlen kann, nämlich in den Händen der deutschen Flugsicherung. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schmitt, ich habe gehört, dass dies Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause war. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, sage ich noch, dass eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder und Andreas Jung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt.1) Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Flugsicherung auf Drucksache 16/240. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1161, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({1}) Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU - mit Ausnahme dreier Kollegen aus der CDU/CSU - und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken und drei Gegenstimmen von CDU/CSU angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken, dreier CDU/CSU-Abgeordneter und einer Ent- haltung eines Abgeordneten der Grünen angenommen. Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1174. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim- men der Fraktion der Linken angenommen. 1) Anlage 4 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 c auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({2}), Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz - Drucksache 16/957 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Europäische Union hat ihre Mitgliedstaaten in vier Richtlinien zum Arbeitsrecht und zum Zivilrecht aufgefordert, ihre Bürgerinnen und Bürger vor Diskriminierungen im Alltag zu schützen. Der freie Zugang zu Waren, Gütern und Dienstleistungen und die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind von zunehmender Bedeutung in einer Zeit, in der sich der Staat aus immer mehr Bereichen der Gesellschaft zurückzieht und auf die Eigenverantwortung und das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger setzt. Deshalb ist es entscheidend, soziale Sicherheit für jeden zum gleichen Preis und zu den gleichen Bedingungen zu ermöglichen. Wenn wir von den Bürgerinnen und Bürgern eigenverantwortliche Vorsorge erwarten, dann kann es nicht sein, dass ganze Gruppen vom Markt ausgeschlossen werden aufgrund von Vorurteilen der Versicherungswirtschaft, die wir immer wieder erleben, zum Beispiel wenn es um Homosexuelle und Lebensversicherungen geht. ({0}) Wird die Homosexualität eines Versicherungsnehmers bekannt, wird ihm der Versicherungsschutz verweigert. Ähnliches ist auch bei privaten Krankenversicherungen zu beobachten. Viele Gruppen unserer Gesellschaft haben im zivilen Rechtsverkehr Probleme, die Diskriminierungen und Nachteile zur Folge haben. Ich finde es sehr wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag sagen: Wenn wir einen Schutz vor Diskriminierung schaffen, dann muss er für alle Bürgerinnen und Bürger in gleicher Weise gelten. Hier darf es keine Ausnahmen geben. ({1}) In Art. 13 des Amsterdamer Vertrages sind sämtliche Diskriminierungsgründe aufgeführt. Im Bereich des Arbeitsrechts darf auch nach den EU-Richtlinien niemand aufgrund von Alter, Behinderung, Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Identität oder Geschlecht diskriminiert werden. Für das Zivilrecht gibt uns die Europäische Union vor, dass dieser Schutz nur hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht zu gewähren ist. Was die übrigen Kriterien betrifft, stellt sie ihren Mitgliedstaaten die Ausgestaltung des Diskriminierungsschutzes frei. Allerdings geht sie eigentlich von einem horizontalen Ansatz aus. Der Streit im Deutschen Bundestag dreht sich im Wesentlichen um die Frage: Wollen wir im Zivilrecht hinsichtlich Religion, Alter, Behinderung und sexueller Identität den gleichen Diskriminierungsschutz gewähren, der auch bezüglich der Kriterien Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht gilt? Ich meine, ein Antidiskriminierungsgesetz, das diesen Schutz nicht gewährleistet, ist kein Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetz, sondern ein Diskriminierungs- und Ungleichbehandlungsgesetz. Ein solches Gesetz darf dieses Haus nicht verlassen. ({2}) Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Der Bundestag hat bereits im Juni 2005, damals noch unter Rot-Grün, einen Gesetzentwurf verabschiedet, den wir im Januar dieses Jahres erneut eingebracht haben, und zwar eins zu eins und ohne auch nur ein Jota zu ändern. Nun befindet er sich im Rechtsausschuss. Wir haben bereits mehrmals versucht, hier im Hause eine Abstimmung darüber herbeizuführen. ({3}) Sie wurde uns bislang verweigert. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass es zu diesem Thema keinen Gesetzentwurf der großen Koalition gibt. ({4}) Das wird uns unter Umständen noch teuer zu stehen kommen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie uns in der heutigen Debatte sagt, wann es einen Gesetzentwurf geben wird und ob in dem Gesetzentwurf der gleiche Diskriminierungsschutz für alle oder nur für einige Gruppen gelten wird. Der Unionsvize Wolfgang Bosbach hat in der Presse verkündet - die SPD hat es bestritten -, man wolle nach dem Motto „Um vier Kriterien geht es“ zwei rein- und zwei rausnehmen. ({5}) Sie gestehen zu, Behinderung und Alter hineinzunehmen. Für die Berücksichtigung der Behinderten ist auch Volker Beck ({6}) die Caritas; also kompatibel mit Ihrer Klientel. Alt sieht die CDU/CSU sowieso manchmal aus. ({7}) Aber damit die Vorurteilsstrukturen auch stimmen, müssen die Homosexuellen ausgeschlossen werden. Das Kriterium Religion muss wegen der Muslime erst recht ausgeschlossen werden, trifft jedoch die Juden gleich mit. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dieses Haus auf der Grundlage der Geschichte dieses Landes im vergangenen Jahrhundert ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet, in dem die Juden nicht in gleicher Weise wie andere Gruppen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit geschützt sind. ({8}) - Aber das Antisemitismusproblem gibt es in diesem Land leider auch noch im Jahr 2006. ({9}) Ich möchte jüdische Bürgerinnen und Bürger nicht rechtlich schutzlos lassen, während ich anderen Bürgern zu Recht Schutz vor Diskriminierung gewähre. Seit Juli 2003 müssen wir einen Teil der Richtlinien umsetzen. Wir haben das bis heute nicht getan. Es gibt keinen Grund, länger säumig zu sein. Ich erwarte, dass diese Koalition endlich handelt. Ich verstehe auch nicht, warum über unseren Antrag heute nicht sofort abgestimmt werden kann. Es geht lediglich darum, die Regierung aufzufordern, endlich etwas vorzulegen und in den Diskriminierungsschutz alle Kriterien einzubeziehen. Darüber kann man heute entscheiden, das muss nicht noch einmal in den Ausschuss überwiesen werden. ({10}) Da liegt schon seit Januar ein Gesetzentwurf. Es gibt keinen Grund zum Zögern. Handeln Sie endlich! Diese Koalition ist nur im Abwarten und Nichtstun groß. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der gestrigen Debatte über das Forderungssicherungsgesetz hat der Kollege Montag mit schneidiger Stimme seine Rede mit den Worten begonnen: Forderungssicherungsgesetz zum Ersten, Forderungssicherungsgesetz zum Zweiten, Forderungssicherungsgesetz zum Dritten. Herr Kollege Montag, ich will es mit gleicher kleiner Münze heimzahlen: Antrag zum Antidiskriminierungsgesetz zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Wer hat noch nicht, wer will noch einmal? Herr Kollege Montag, die Tage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind nicht Ihre Tage. Sie entpuppen sich mehr und mehr als eine politische Eintagsfliege. ({0}) Der Deutsche Bundestag ist verpflichtet, vier europäische Gleichstellungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen. Die beiden ersten Richtlinien stammen bereits aus dem Jahr 2000. Die Richtlinie 2000/43/EG stammt vom 29. Juni 2000 und die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000. Nun habe ich mir zwei Jahre nach dem Erlass der Richtlinien erlaubt - wie immer ganz höflich -, bei der rot-grünen Bundesregierung nachzufragen, wie und wann sie denn gedenke, diese Richtlinien umzusetzen. Ich habe das nicht getan, weil mich die Umsetzung umgetrieben hat. Dennoch habe ich mir diese Anfrage erlaubt. Am 6. Dezember 2000 - bezeichnenderweise war das der Nikolaustag - erhielt ich die Antwort: Die Bundesregierung überprüft die Umsetzung. Das können Sie in der Bundestagsdrucksache 15/176 auf Seite 4 nachlesen. Nun hat die Bundesregierung geprüft und geprüft und geprüft. Sie hat sich damals Zeit gelassen - viel Zeit, ganz viel Zeit, Herr Beck. ({1}) Sie haben am 16. Dezember 2004 - es ist geradezu rekordverdächtig -, am 1 631. Tag nach der Geburtsstunde der ersten Richtlinie, den Gesetzentwurf vorgelegt. 1 631 Tage! ({2}) Und dann ({3}) haben Sie, als hätten Sie nichts Eiligeres zu tun gehabt, als hätte die Republik nie ohne ein solches Gesetz leben können, bereits am 27. Tag der neuen Bundesregierung Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Sie haben also selbst 1 631 Tage gewartet, dann aber unverzüglich Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Dabei ist dieses Katastrophengesetz wegen der Diskontinuität eigentlich hinfällig. ({4}) Jetzt mahnen Sie Woche für Woche mit einem Antrag im Plenum. Nun kann ich das gut verstehen; als Opposition, wenn einem das Sonnenlicht nicht mehr so auf das Haupt scheint, würden wir das vielleicht auch so machen. ({5}) - Herr Montag, es ist doch nicht Ihr Tag heute. ({6}) Ich habe ja noch Verständnis dafür, dass Sie versuchen, uns zu hetzen. Wofür ich aber kein Verständnis mehr habe, ist, dass wir jetzt auch noch pausenlos über die Sache diskutieren sollen. Wir haben vor wenigen Tagen in der Sache über dieses Gesetz debattiert und ich habe überhaupt keine Lust - und nicht nur ich nicht, meine gesamte Fraktion -, mich Woche für Woche von Ihnen treiben zu lassen. ({7}) Wir werden nämlich alsbald selbst einen Gesetzentwurf einbringen. Vor zwei Tagen hat der Parlamentarische Staatssekretär Hartenbach - ich kann ihm nur zustimmen - vorgetragen, dass die Bundesregierung wegen der besonderen, jetzt immer drängender werdenden Eilbedürftigkeit kurzfristig den Entwurf für ein solches Gesetz einbringen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Anders als sonst muss ich sagen: Ich gehe schon ein bisschen auf die 60 zu. Jede Sekunde ist wertvoll; da möchte ich keine Zeit vergeuden. ({0}) Herr Hartenbach hat also gesagt: Wir werden den Entwurf alsbald einbringen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Anders als viele Kollegen, die eher gemahnt werden, ihre Redezeit nicht zu überziehen, ende ich an dieser Stelle. Mehr ist Ihr Antrag nämlich nicht wert. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einleitend möchte ich sagen, dass die FDP-Fraktion teilweise sogar Verständnis für den heutigen Antrag der Grünen aufbringen kann. Es muss schon frustrierend sein, wenn die große Koalition die Behandlung des von der Fraktion der Grünen eingebrachten Gesetzentwurfes im Rechtsausschuss nun schon zum zweiten Mal verschoben hat und damit eine Abstimmung im Plenum verhindert. Aber ob Sie mit dem Ergebnis einer Abstimmung zufrieden gewesen wären, ist eine andere Frage. Zu Recht, meine Damen und Herren von den Grünen, fordern Sie, dass die Bundesregierung endlich einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien vorlegt. Die Umsetzungsfristen - Sie haben noch einmal darauf hingewiesen - sind zum Teil verstrichen. ({0}) - Ja, ein Vertragsverletzungsverfahren ist bereits eröffnet und es drohen empfindliche Strafen. Von der Koalition ist im Rechtsausschuss angekündigt worden, dass noch vor der Sommerpause ein Gesetzentwurf eingebracht werde. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie die Koalition nun zu einer gemeinsamen Linie findet. Das Hü und Hott innerhalb der Koalition ist schon bemerkenswert. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede des Kollegen Dr. Gehb im Plenum am 20. Januar 2006 erinnern, in der er folgende Auffassung vertrat - ich zitiere -: Der vorliegende Gesetzentwurf, aber auch die ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinien … stellen den Kern unserer historisch gewachsenen Rechts- und Werteordnung auf den Kopf. Sie setzen sich über alle kontinentaleuropäischen und verfassungsrechtlichen Grundsätze hinweg. ({1}) Also, Herr Dr. Gehb, vor drei Monaten wollten Sie diese Richtlinien offensichtlich überhaupt nicht umsetzen. ({2}) Am 17. März 2006 haben die Bundesministerin Zypries und Herr Dr. Gehb bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien den Eindruck vermittelt, man sei gar nicht mehr so weit voneinander entfernt. Näheres war damals auch nicht zu erfahren. Offensichtlich liegt der Teufel im Detail; sonst hätten wir ja schon einen Gesetzentwurf und müssten nicht die hohen Strafen der Kommission fürchten. Sollte es tatsächlich daran liegen, dass man sich hauptsächlich darüber streitet, wo die - unseres Erachtens völlig unnötige - neue Behörde, die sich um die Bürgerbeschwerden kümmern soll, angesiedelt werden soll: bei einem SPDMinisterium oder bei einem CDU/CSU-Ministerium? ({3}) Darf ich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU daran erinnern, dass auch sie diese zusätzliche Behörde und die damit verbundene Bürokratie bisher immer abgelehnt haben? ({4}) Als Regierungspartei ist aber offensichtlich alles anders. Das Sein verändert das Bewusstsein. Die FDP-Fraktion wird jeden Gesetzentwurf kritisch daraufhin überprüfen, ob zusätzliche Bürokratie und zusätzliche Belastungen geschaffen werden, die sich wettbewerbsschädigend auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Nach dem, was von den Planungen der Koalition nunmehr auch nach außen gedrungen ist, soll offensichtlich zumindest der Titel des Gesetzes mittlerweile feststehen. Man spricht jetzt nicht mehr von einem Antidiskriminierungsgesetz, vielmehr geht es jetzt um ein Gleichbehandlungsgesetz. Uns und auch die Öffentlichkeit interessiert aber der Inhalt des Gesetzes viel mehr. ({5}) Hier sollte endlich zügig Klarheit für unsere Gesellschaft geschaffen werden. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Aspekt eingehen, der auch der Europäischen Kommission sehr wichtig ist. In dem von der Kommission vorgelegten Grünbuch „Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierung in einer erweiterten Europäischen Union“ vom 28. Mai 2004 führt diese aus - ich zitiere Seite 19 des Grünbuchs -: Es ist auch wichtig, darauf zu verweisen, dass Rechtsvorschriften nicht das einzige auf europäischer, nationaler oder regionaler Ebene zur Verfügung stehende Instrument sind. Auch die FDP-Bundestagsfraktion hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sich der Abbau von Diskriminierungen nicht nur per Gesetz verordnen lässt. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle in ganz unterschiedlicher Weise stellen müssen und stellen werden. Ich erinnere nur an die vielen ehrenamtlichen Engagements zum Abbau von Diskriminierung und Benachteiligung sowie an Aktionen, wie Sie uns Abgeordneten zum Beispiel vom Verein „Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland e. V.“ gerade in der letzten Woche bei einer Veranstaltung eindrucksvoll vorgestellt wurden. Aber auch im Bereich des Zivilrechts und des Arbeitsrechts gibt es auf freiwilliger Basis viele gute Beispiele und Ansätze, um Diskriminierungen vorzubeugen. Lassen Sie uns also gemeinsam gegen jede Art von Diskriminierung vorgehen. ({7}) Wichtig ist, dass wir jetzt zügig zu einem sorgfältig ausgearbeiteten Gesetzentwurf gelangen. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer, SPDFraktion. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn erzähle ich Ihnen eine in Deutschland spielende Geschichte, die man vielleicht woanders vermutet hätte: Ein netter Fußballabend war geplant. Er sollte besonders nett sein, weil Werder Bremen in der Champions League spielte. Ein Staatsbürger Kameruns, der in unserem Land lebt und der deutschen Sprache gut mächtig ist - vielleicht ist er auch in der Beantwortung eines bestimmten Fragebogens fit -, wollte ein Bier trinken und sich das Spiel in einer Kneipe anschauen. Es kam ganz anders. Eine Kellnerin verwies ihn der Kneipe. Dies geschah ausgerechnet in Kreuzberg. Angeblich war dort eine geschlossene Gesellschaft. Andere Gäste erklärten, es würden dort grundsätzlich keine Ausländer bedient. Dann sollte ihm ein Bier ausgegeben werden. Doch auch das scheiterte. Der ausländische Mitbürger musste gehen und tat meiner Meinung nach das Richtige, weil er sich diese Demütigung nicht gefallen lassen wollte: Er ging zur Polizei; denn zivilrechtlich gibt es immer noch keine Handhabe gegen ein solches Verhalten. Es gibt weder einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zutritt noch einen Anspruch auf Schadensersatz - jedenfalls keinen unmittelbaren. So erging gegen die Kellnerin Strafbefehl wegen Beleidigung aus rassistischen Motiven. Der ehemalige Justizsenator von Hamburg polterte in der letzten Debatte zu diesem Thema im Deutschen Bundestag im Januar noch, ({0}) er habe nicht ein einziges Mal in Deutschland die Situation erlebt, dass jemand wegen seiner Hautfarbe aus einem Restaurant geworfen worden sei. Meine Damen und Herren, ich fand damals und ich finde auch heute noch, dass das ein skandalöser Beitrag war, der nichts mit dem zu tun hat, was in diesem Lande passiert. ({1}) Diese Geschichte stand im „Tagesspiegel“ vom 25. März dieses Jahres. Man musste nicht lange danach suchen. Ein solcher Fall ist in Deutschland nicht die Regel, aber er ist leider auch kein Einzelfall. Auch in der Privatwirtschaft - das ist einer der Kernpunkte des von uns zu verabschiedenden Gesetzes - müssen solche Formen von Diskriminierung in Zukunft untersagt und zivilrechtlich sanktioniert werden. Das wird jedenfalls nach unserer Auffassung ein wichtiger Bestandteil des neuen Gesetzes sein, über das wir hier demnächst diskutieren werden. ({2}) Nach den Vorgaben der Europäischen Union ist ein umfassender Diskriminierungsschutz im Zivilrecht jenseits des arbeitsrechtlichen Bereichs nur wegen der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft gefordert. Niemand aber hindert den nationalen Gesetzgeber daran, mehr als das zu regeln, was in der Richtlinie vorgegeben ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die SPD-Fraktion die Regelungen des Antidiskriminierungsgesetzes aus der 15. Legislaturperiode nach wie vor für gut und richtig hält. ({3}) Dieses Gesetz ist aus den bekannten Gründen der Diskontinuität anheim gefallen. Aber für uns ist wichtig, weitere Gruppen mit in den Schutz vor Diskriminierung aufzunehmen. Wir bleiben dabei: Bei den Regelungen, über die wir noch zu diskutieren haben werden, sollten die Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität Bestandteil des Gesetzes werden. ({4}) Noch immer können behinderte Menschen zum Beispiel im Restaurant oder im Hotel wegen einer befürchteten Störung der anderen Gäste abgewiesen werden. Das gilt auch bei anderen Massengeschäften des täglichen Lebens. Dagegen gibt es keinen Rechtsschutz. Diesen Zustand sollten wir beseitigen. ({5}) Wir gehen in die abschließenden Verhandlungen über dieses Gesetz mit dem Ziel, diese Merkmale in die Vereinbarungen der großen Koalition aufzunehmen; denn wir wollen und werden mit diesem Gesetz ein deutliches Zeichen setzen und Benachteiligten den Rücken stärken. Es bleiben - das ist schon besprochen worden - noch offene Fragen, die in der Koalition zu klären sind. Ich gehe davon aus, dass die hier gemachten Ankündigungen zutreffen und wir noch vor der Sommerpause über einen konkreten Gesetzentwurf werden reden können. Die Umsetzung ist eilbedürftig, da die ersten Umsetzungsfristen bereits abgelaufen sind. Das wissen wir sehr genau. Mit Verlaub: Dazu hätten wir Ihren Antrag nicht gebraucht. ({6}) - Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben uns in dieser Debatte bereits im Januar Aussitzen vorgeworfen. Das, was Sie Aussitzen nennen, hat bislang einen Zeitraum von sechs Monaten in Anspruch genommen. Die gemeinsame Umsetzung in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung hat fast fünf Jahre gedauert. Das ist - das sage ich ganz klar - ein Teil des Problems. Ergänzend füge ich in der Retrospektive hinzu: Das war leider auch bei anderen rechtspolitischen Projekten der Fall. ({7}) Mein persönlicher Favorit ist die Umsetzung der EUBiopatentrichtlinie. Ich nenne sie hier nur am Rande, weil sie mich noch bis in den Schlaf verfolgt. ({8}) Auch das Antidiskriminierungsgesetz aus unserer Zeit ist nicht vom Himmel gefallen. Dabei kann ich mich sehr langwieriger Verhandlungen entsinnen. Es stimmt, das Ergebnis dieser Verhandlungen war gut. Aber ich darf auch darauf hinweisen - das tut dem einen oder anderen weh -: Die Konstellationen haben sich geändert. Bei allem Verständnis für den Antrag, den Sie einbringen, und für das Verfahren, das Sie gewählt haben: Für mich macht es überhaupt keinen Sinn, bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen denselben Gesetzentwurf wie in der letzten Legislaturperiode mit absehbarem, ich glaube sogar: sicherem Ergebnis erneut einzubringen und zur Abstimmung zu stellen. Das wird nach meiner Auffassung nur noch mehr Zeitverlust verursachen, das Erreichen gemeinsamer Ziele noch unwahrscheinlicher machen und den betroffenen Menschen jedenfalls nicht helfen. ({9}) Es ist klar: Dabei wird es Kompromisse geben müssen. Auch wir werden Kompromisse eingehen müssen, die uns wehtun. Aber nichts zu tun - das wäre in letzter Konsequenz die Einbringung und Verhandlung des alten Gesetzentwurfes -, führt uns überhaupt nicht weiter. Ich glaube, das würde das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik weiter erschüttern. Wir jedenfalls stecken unsere Kraft in ein Projekt, das am Ende sachlich vernünftig und mehrheitsfähig sein wird. Wir hoffen, dass dieser Gesetzentwurf schnell auf den Tisch kommt. Wir begeben uns in der neuen Situation anders als Sie in die Mühen der Ebene, um in dem neuen Gesetz so viel wie möglich von unseren sozialdemokratischen Überzeugungen wiederzufinden. Mit diesem Gesetz wollen wir den benachteiligten Gruppen in dieser Gesellschaft den Rücken stärken. Wir wollen dabei natürlich auch die bürokratischen Belastungen so gering wie möglich halten. Deshalb halte ich es für vertretbar, wenn abweichend von unserem früheren Gesetzentwurf in diesem neuen Gesetz zum Beispiel die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen von sechs auf drei Monate verkürzt wird. Grotesk sind die Vorhaltungen, dass man mit diesem neuen Gesetz Bürokratie aufbaut und die Wirtschaft belastet. Ich sage es noch einmal: Schon die Sachverständigenanhörung in der letzten Legislaturperiode hat eindeutig bestätigt, dass es nach den von der alten Koalition vorgenommenen Änderungen weder zu einer Klageflut - ich darf an die Erfahrungen mit § 611 a BGB erinnern, der vor mehr als zehn Jahren in Kraft getreten ist und weniger als 200 Verfahren nach sich gezogen hat noch zu einer übermäßigen Belastung der Wirtschaft - was auch immer darunter zu verstehen ist - gekommen ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern wie Irland, Belgien, Frankreich und die Niederlande. Ich denke, dass wir mit dem so genannten Allgemeinen Gleichstellungsgesetz der Kultur dieses Landes einen Gefallen tun und die Diskussion insgesamt nach vorne bringen. Eine Kultur der Antidiskriminierung entsteht bekanntlich nicht allein durch ein Gesetz. Auch der vorzulegende Gesetzentwurf kann nur einen Rahmen bieten; er ist eine Aufforderung an alle gesellschaftlichen Akteure - die Politik wie die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft wie die Gewerkschaften und alle anderen Bereiche -, daran mitzuwirken, dass die Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen kein Kavaliersdelikt ist, sondern von der Gesellschaft geächtet wird. ({10}) Erst dann werden sich Vorfälle wie der in der Kreuzberger Kneipe nicht wiederholen. Das streben wir mit dem vorzulegenden Gesetzentwurf an. Wir wollen einen Schritt in Richtung einer solidarischen Gesellschaft gehen. Der Charakter einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit ihren Minderheiten. Deshalb machen wir dieses Gesetz. Ich bin sehr gespannt auf die Debatte und lade besonders unseren früheren Koalitionspartner ein, sich einem guten Gesetz nicht aus vielleicht verständlichen, aber sachfremden Gründen zu widersetzen. Das erwarte ich. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was die große Koalition derzeit zu einem Antidiskriminierungsgesetz zusammenbastelt, lässt meines Erachtens nichts Gutes erwarten. Es ist durchgesickert, dass Menschen mit Behinderungen eventuell doch in den Diskriminierungsschutz im Zivilrecht aufgenommen werden. Auf der Strecke bleiben dagegen Schwule und Lesben, Alte und Angehörige religiöser Minderheiten, die beim Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen auch weiterhin nicht vor Diskriminierung geschützt werden sollen. Deswegen begrüßt die Bundestagsfraktion Die Linke ausdrücklich den vorliegenden Antrag des Bündnisses 90/ Die Grünen. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das gleichzeitig benachteiligte Gruppen ausgrenzt, verdient seinen Namen nämlich nicht. ({0}) Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Hierarchie von Diskriminierungen gesetzlich festgeschrieben wird. Warum soll ein Schwarzer, der bei der Vergabe einer Wohnung diskriminiert wird, gegen den Vermieter klagen können, eine Muslimin, die, weil sie ein Kopftuch trägt, diese Wohnung ebenfalls nicht bekommt, dagegen nicht? Aus sachlichen Gründen ist der Einschluss aller genannten Merkmale nach Art. 13 EG-Vertrag in den Diskriminierungsschutz zwingend erforderlich. Schwule Männer erhalten oft - wie auch mein Kollege Beck kurz deutlich gemacht hat - pauschal und ohne Begründung keine Lebens- und Krankenversicherung. Älteren Menschen wird der Dispo ihres Girokontos mit dem Hinweis auf ihr Lebensalter gekündigt. Dagegen sind die vermeintlich berechtigten inhaltlichen Einwände, die gegen einen breiten Diskriminierungsschutz angeführt werden, nicht haltbar, Herr Gehb. ({1}) Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Staates, per Gesetz die Einstellungen der Menschen zu verändern. Aber hier handelt es sich um die Regelung und Bewertung äußerlich sichtbaren Verhaltens. Der Staat ist im Rahmen seiner Schutzpflicht nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz verpflichtet, benachteiligte Gruppen auch vor Diskriminierung durch Privatpersonen zu schützen. Dabei ist das Recht zwar nicht das einzige Mittel, aber - das wird auch oft bei anderen Themenkomplexen angeführt - ein unverzichtbares. ({2}) - Können Sie bitte etwas ruhiger sein und sich nach draußen begeben, wenn Sie Ihre Gespräche fortführen wollen? ({3}) Für ebenfalls nicht überzeugend halte ich die vielstimmige Klage über angeblich übertriebene Schutzvorstellungen, die die Privatautonomie und die allgemeine Handlungsfreiheit einschränken. Freiheit bedeutet eben nicht die Freiheit, andere zu diskriminieren. Diskriminierungsverbote werden Optionen gesellschaftlicher Teilhabe erweitern. Ein umfassendes Benachteilungsverbot zielt nämlich gerade darauf, die Vertragsfreiheit auch für diejenigen zu gewährleisten, die bisher durch Diskriminierung von ihr ausgeschlossen blieben. ({4}) Die heftigen Reaktionen aus Teilen der Wirtschaft lassen eher darauf schließen, dass in diesem Bereich in erheblichem Umfang Diskriminierungen stattfinden. Der breite Diskriminierungsschutz des ehemals rotgrünen Gesetzentwurfs ist also zwingend beizubehalten. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, fordere ich auf, bei Ihrem früheren politischen Vorhaben etwas mehr Standhaftigkeit zu zeigen. ({5}) Kritisch anmerken muss ich an dieser Stelle aber, dass der Begriff der Rasse in einem Antidiskriminierungsgesetz nichts zu suchen hat. Dieser Begriff ist Teil des Rassismus, weil er suggeriert, es gäbe unterschiedliche Menschenrassen. Wir plädieren in unserem Antrag dafür, diesen Begriff durch die Diskriminierungsmerkmale Nationalität, Hautfarbe, Sprache und Staatsangehörigkeit zu ersetzen. ({6}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union, in Baden-Württemberg stellt die CDU mit dem Gesinnungstest alle Muslime unter den Generalverdacht, eine homophobe Gesinnung zu haben. ({7}) Ihre Weigerung, diese Gruppe aufzunehmen, offenbart, dass Sie eigentlich diejenigen sind, die ein gestörtes Verhältnis zu Schwulen und Lesben haben. ({8}) Aber Gleichbehandlung ist unseres Erachtens nicht teilbar. Die Bundestagsfraktion Die Linke wird beim Antidiskriminierungsgesetz keine faulen Kompromisse akzeptieren. ({9}) Lassen wir es nicht zu, und zwar gemeinsam, Herr Wieland, dass mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien einem umfassend ausgestalteten Diskriminierungsschutz die rote Karte gezeigt wird. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/957 mit dem Titel „Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz“. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 16/957 nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet - Drucksache 16/444 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet - Drucksache 16/754 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/1162 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wesentlicher Bestandteil der gesetzlichen Regelungen, über die wir beraten, ist die Umsetzung von Entscheidungen oberster Bundesgerichte. Erstens geht es um die Grundsatzentscheidungen des 9a. Senats des Bundessozialgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes zum sozialen Entschädigungsrecht. Das betrifft eine Änderung des Bundesversorgungsgesetzes. Hier ist vorgesehen, dass neben der Beschädigtengrundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage für Kriegsbeschädigte und SED-Opfer in den neuen Bundesländern die Alterszulage nach dem Bundesversorgungsgesetz mit Wirkung zum 1. Januar 1999 zu gewähren ist. Das werden wir mit den neuen Regelungen umsetzen. Zum Zweiten geht es um das Opferentschädigungsrecht. Hierzu gibt es einen Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2004. Eigentlich wären wir gehalten gewesen, das bis zum 31. März dieses Jahres umzusetzen. Ich glaube aber, dass die geringe zeitliche Verzögerung zeigt, dass wir uns sehr intensiv bemüht haben. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, wenn ein Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft aus dem Opferentschädigungsgesetz keine Versorgungsleistung erhält, wenn er nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners unter Verzicht der Erwerbstätigkeit die Betreuung des gemeinsamen Kindes bzw. der gemeinsamen Kinder übernimmt bzw. ausübt. Es wird zugrunde gelegt, dass zumindest in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes, also in dem Zeitraum, in dem der nicht eheliche Partner Kinderbetreuungsunterhaltsansprüche hätte geltend machen können, der unverheiratete Elternteil beim Tod des Partners genauso auf staatliche Unterstützung angewiesen wäre wie der verheiratete. Wir werden dies nun umsetzen, damit Leistungen gewährt werden können. Ähnliche Konstellationen gibt es im Soldatenversorgungsgesetz, im Zivildienstgesetz und im Infektionsschutzgesetz. Ich glaube, wenn wir jetzt diese Ergänzung vornehmen, geben wir den Betroffenen neue Sicherheit. Ein weiterer zentraler Punkt betrifft den Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht am 21. November 2001 eine Entscheidung getroffen. Dabei geht es um Regelungen zu Dienstbeschädigtenteilrenten aus den Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR. Entschieden worden ist, dass die Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes über den Wegfall dieser Renten beim Zusammentreffen mit anderen Leistungen für die Angehörigen der vier ehemaligen Sonderversorgungssysteme - damit auch für die Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR - mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Dies korrigieren wir jetzt. Wir sind aber den Beratungen im Bundestag und den Begehren, die hier unter anderem in den Reden von Frau Michalk, von Herrn Haustein, von Frau Schmidt und in der Ausschussanhörung geäußert worden sind, gefolgt und verankern mit dieser Korrektur einen gesetzlichen Verwirkungstatbestand. Dieser Verwirkungstatbestand regelt Folgendes: Wenn Leistungsberechtigte im Dienst gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, werden ihnen diese Leistungen nicht gewährt. - Grundlage hierfür wird die Möglichkeit einer sehr intensiven Prüfung sein, insbesondere bei jenen, die der Staatssicherheit der DDR angehört haben. Wir setzen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eins zu eins um, aber mit Rücksicht auf die Opfer des SED-Unrechtregimes. Verfassungsrechtler haben uns diese Möglichkeit einer rechtsstaatlichen Vorgehensweise in der Anhörung erläutert. Bei den beiden weiteren Punkten geht es um rechtliche Klarstellungen: Die vom Bundesversorgungsgesetz vorgesehene Grundrente für Bewohner des Beitrittsgebiets - auf sie wird im Dienstbeschädigungsausgleich Bezug genommen - hat sich an den Maßgaben des Einigungsvertrages zu orientieren. Eine ähnliche Klarstellung erfolgt beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und bei der Sonderleistungsverordnung. Dort geht es darum, dass der Wegfall von Leistungen wegen Zusammentreffens mit Altersrenten oder von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit so geregelt werden muss, dass klar ist, dass diese Regelung auch für Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Altersversorgungssystemen gilt. Was die Sozialversicherungsmeldepflicht angeht, führen wir Erleichterungen für kleinere Unternehmen herbei, die über keine Computerausstattung verfügen. Sie können Meldungen an die Krankenkassen bezüglich der Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge auch schriftlich abgeben. Wir schaffen also Erleichterungen für den Mittelstand. Summa summarum geht es um die Umsetzung von Entscheidungen höchster Gerichte, um Klarstellungen im Recht und darum, für den Mittelstand Erleichterungen bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zu schaffen. Ich glaube, dass das gute gesetzliche Vorhaben sind. Ich bitte Sie, wie die breite Mehrheit der Ausschussmitglieder, für den Gesetzentwurf zu stimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde, FDP-Fraktion.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion der FDP begrüße ich es, dass der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet nun sowohl von beiden Koalitionsfraktionen als auch vom Bündnis 90/Die Grünen und von der FDP getragen wird. Die uns als Bundestag durch einige verfassungsgerichtliche Entscheidungen und auch durch ein Urteil des Bundessozialgerichts aufgegebenen Gesetzesänderungen werden somit von einer breiten Mehrheit hier im Plenum getragen. Insgesamt handelt es sich um eine bunte Mischung verschiedener Regelungskomplexe. Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass der erste Regelungskomplex, die Dienstbeschädigungsrenten für ehemalige Mitarbeiter des MfS, sich in einem sehr empfindlichen Spannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite soll das Sozialrecht nicht als Strafrecht angewandt werden. Auf der anderen Seite dürfen auch im Dienstbeschädigungsrecht die tatsächlichen Unterschiede der verschiedenen Rechtssysteme und Leistungshöhen in diesen Systemen nicht einfach als unbeachtlich vernachlässigt werden. Daher ist der vorgeschlagenen Regelung des Freibetrags Ost beim Zusammentreffen von Dienstbeschädigungsund Altersrenten zuzustimmen. Die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf am Montag hat klar ergeben, dass andernfalls eine Überversorgung der ehemaligen MfS- und NVA-Mitarbeiter eintreten würde. In diesem Haus sind wir uns fast alle einig, dass wir das wohl nicht wollen. ({0}) Richtig ist jedenfalls, dass nun bei Dienstbeschädigungsteilrenten eine Kürzung oder Aberkennung vorgenommen werden kann, wenn der Beschädigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und auch in schwerwiegendem Maß seine Stellung zum eigenen Vorteil bzw. zum Nachteil anderer missbraucht hat. Die nun gesetzlich vorgesehene Einzelfallprüfung hat unter anderem auch die FDP in der ersten Lesung gefordert. Daher begrüßen wir den entsprechenden Änderungsvorschlag. Entscheidend an diesem Punkt ist auch, die berechtigten Interessen der Opfer der SED-Gewaltherrschaft zu wahren. Wie gesagt, es ist rechtsstaatlich zwingend, das Sozialrecht nicht als Strafrecht zu nutzen. Allerdings darf dies auch nicht dazu führen, dass die damals Benachteiligten heute weiterhin benachteiligt sind. Es ist daher bedauerlich, dass die Koalition nicht zeitgleich eine Initiative für die Verbesserung der Opferpensionen vorschlägt, obwohl dies doch sogar im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Das ist einige Monate her - Herr Schaaf, Sie haben mich im Ausschuss darauf hingewiesen -; Sie hätten also ein halbes Jahr Zeit gehabt, das voranzutreiben. Das ist nicht geschehen; das ist schade. Aber es wird Besserung gelobt. Wir haben die Hoffnung, dass sich das schnell bewahrheitet. Die Bundesregierung sollte hier Klarheit schaffen; denn die Opfer des MfS und der SED-Diktatur spüren teilweise noch heute die Benachteiligungen in ihrem Leben. Zum zweiten Regelungskomplex des Gesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich der Änderung des Bundesversorgungs- und Opferentschädigungsgesetzes einen Beschluss bis zum 31. März dieses Jahres angemahnt. Danach soll nun auch der Partner in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners eine Versorgungsleistung erhalten, wenn er unter Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernimmt. Dies ist sinnvoll; denn in den ersten drei Lebensjahren des Kindes ist der nicht eheliche überlebende Elternteil genauso wie ein ehelicher Elternteil auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das ist auch gesetzessystematisch konsequent, da für diesen Zeitraum der nicht eheliche Lebenspartner Kinderbetreuungsunterhaltsansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch geltend machen kann und für diesen Zeitraum auch hier bereits dem Ehepartner gleichgestellt ist. Allerdings müsste zu gegebener Zeit überdacht werden - da schaue ich besonders in Richtung der Grünen -, ob nicht auch gleichgeschlechtliche Partner von dieser Regelung profitieren sollen. ({1}) Das hatten wir gemeinsam in den Beratungen angemahnt. ({2}) - Genau. Wir arbeiten daran. Schließlich ist zu begrüßen, dass künftig im sozialrechtlichen Meldeverfahren auch schriftliche Meldungen zugelassen werden und nicht alles elektronisch abzuwickeln ist. So wird insbesondere auch den Interessen von Menschen mit Behinderungen nachgekommen, die mit der Einführung des persönlichen Budgets nun auch als Arbeitgeber in die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben kommen könnten. Es ist also nicht nur der Mittelstand Nutznießer dieser Verbesserung; das betrifft auch viele andere. Das wird zwar die Anzahl der Fälle erhöhen, die diese Formulare nutzen, aber das ist ja in unserem gemeinsamen Sinne. Insofern begrüßen wird das außerordentlich. Insgesamt beinhaltet der von der Koalition, der FDP und den Grünen gemeinsam getragene Gesetzentwurf einige Regelungen, die den Betroffenen weiterhelfen werden. Er steht für eine Sozialpolitik mit Augenmaß. Dafür kann man die Liberalen gewinnen. Wir werden der heute vorliegenden Beschlussempfehlung zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben uns für die verbundene Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet etwas mehr Zeit genommen, als eigentlich vorgesehen war. Das war richtig - Herr Staatssekretär, das bestätige ich Ihnen ausdrücklich; denn nun können wir in diesem Hohen Hause in großer Einvernehmlichkeit ein den ergangenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts sowie unserer parlamentarischen Grundeinstellung entsprechendes Gesetz verabschieden. Nur die Fraktion der Linken hat sich enthalten, was wohl nicht heißt, dass sie keine Meinung hat. Sie steht eben in ihrer eigenen Tradition. ({0}) Nun zum Inhalt. Mit dem neuen Gesetz - darauf wurde schon hingewiesen - erhält ein Partner einer nicht ehelichen Gemeinschaft Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungs- und Opferentschädigungsgesetz, wenn er nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernimmt und dabei bis zum dritten Lebensjahr des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Damit ist eine Lücke geschlossen worden, womit nicht nur dem Leid der Hinterbliebenen Rechnung getragen, sondern auch dem Bedürfnis des Kindes in dieser frühkindlichen Phase entsprochen wird. Ein zweiter Punkt im Gesetz beinhaltet die Neufassung des § 84 a BVG. Der Verweis führt nach der bisherigen Verwaltungspraxis dazu, dass beim ZusammentrefMaria Michalk fen von einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit einer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für Berechtigte in den neuen Bundesländern ein geringerer Freibetrag zum Tragen kommt. Die Neufassung bestätigt die bisherige Verwaltungspraxis; es ist also eine Klarstellung. Ein unterschiedlicher Freibetrag je nach Wohnort der Berechtigten spiegelt die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse in Ost und West wider, die zum Beispiel auch für einen niedrigeren Rentenwert sorgen. Ein einheitlicher Freibetrag würde das Gesamtgefüge zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und Unfallversicherung verschieben. Das musste auch ich begreifen, nachdem ich anfangs Schwierigkeiten hatte, das einzusehen. Aber die Regelung liegt in der Rechtssystematik begründet und ist gerecht. Wir sind gefordert, von diesem Hohen Haus Gerechtigkeit ausgehen zu lassen. In den weiteren Punkten wird das seit Januar 1997 geltende Gesetz über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet für die Angehörigen der ehemaligen Sonderversorgungssysteme, also der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei, der Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs sowie der Zollverwaltung, die am 1. August 1991 Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente eines DDR-Sonderversorgungssystems hatten, auf die Zeit von August 1991 bis Dezember 1996 erstreckt. Hier setzen wir präzise um, was uns das Bundesverfassungsgericht an Vorgaben gemacht hat. Die Beschränkung der Gewährung von Leistungen auf solche Fälle, in denen keine bestandskräftigen Verwaltungsakte vorliegen, wurde in der Anhörung noch einmal bestätigt. Die Anhörung hat zudem einen Fakt aufgezeigt, der bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfes von verschiedenen Seiten thematisiert wurde. Grundsätzlich sollen neben den bereits genannten Berufsgruppen auch frühere Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit und des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen für den genannten Zeitraum erhalten. Ohne all diese Neuregelungen wären Mehrkosten von rund 1,3 Millionen Euro jährlich sowie Nachzahlungen von bis zu 5,5 Millionen Euro zu erwarten; das stelle man sich einmal vor. Mit jedem Erfolg, den ehemalige Mitarbeiter des MfS hinsichtlich ihrer materiellen Besserstellung erreichen, wird die Kluft zwischen den heutigen Lebensverhältnissen der früheren Täter und ihrer Opfer größer. ({1}) Der Respekt gegenüber den Opfern der SED-Diktatur gebietet nicht nur, dass den Opfern öffentlich Rechtfertigung zuteil wird, dass wir ihnen immer und immer wieder zuhören und dass ihre besonderen Verdienste und Leiden von uns aufmerksam wahrgenommen und gewürdigt werden; ({2}) auch die materielle Entschädigung der Opfer muss uns ein zentrales Anliegen bleiben. Deshalb bin ich besonders dankbar, dass wir im Ausschuss einvernehmlich die Notwendigkeit der Einführung einer Opferpension - die noch nicht als Gesetzentwurf vorliegt; das ist wahr - gerade im Hinblick auf die permanente Besserstellung der Systemträger erkannt haben. ({3}) Ich denke, dass es eine gute parlamentarische Stunde war, als wir in der Ausschussberatung nach Auswertung der uns zugegangenen Stellungnahmen und der Anhörung mit großer Mehrheit eine Beschlussempfehlung verabschiedet haben, nach der eine Dienstbeschädigungsteilrente zu kürzen oder abzuerkennen ist, wenn sich der Unfall im Zusammenhang mit einer dienstlichen Handlung ereignet hat, bei der der Beschädigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. ({4}) Da diese Möglichkeit nur individuell auf eine Person anwendbar ist, haben wir für die Mitglieder des MfS/AfNS die Einzelfallprüfung festgeschrieben. Dies wird vom Einigungsvertrag als auch vom Bundesverfassungsgericht getragen. Die Stasi hat auch für ihre Mitarbeiter akribisch Personalakten geführt. Schon seit einigen Jahren werden aus diesen Unterlagen auf Anfrage die für Rentenberechnungen und Gewährung anderer Leistungen notwendigen Daten den zuständigen Behörden mitgeteilt. Zu diesen Unterlagen mit Personalbezug gehören auch Gesundheitsunterlagen, einschließlich der Unterlagen zu den Dienstunfällen. Deshalb ist es auch im Nachhinein möglich, den Hergang von Dienstunfällen nachzuvollziehen und gesundheitliche Folgen einzuordnen. Die Behörde für Stasiunterlagen hat 1990 - das muss man sich einmal vorstellen - rund 1 300 anerkannte Dienstunfälle aus diesem Bereich übernommen. Das entbindet die betroffenen Dienstbeschädigten aber nicht von ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht; sie haben die Beweispflicht. Von den bearbeitenden Stellen erwarten wir die nötige Sensibilität bei der Antragsprüfung und -bearbeitung. ({5}) Für die rechtliche Beurteilung des Ausschlusstatbestandes - keine Zahlung von Unfallrente oder Kürzungen - kommt es nicht auf die formale Gesetzmäßigkeit der Handlung an, sondern auf den materiellen Unrechtscharakter des Verhaltens nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen. Es muss zwar ein innerer Zusammenhang zwischen der Tat, die zur Unfallrentenkürzung oder -aberkennung führt, und der gesundheitlichen Schädigung vorliegen. Aber grundsätzlich reicht es aus, dass die Schädigung allgemein im Rahmen eines die gesamte Tätigkeit prägenden übergeordneten Unrechtsgeschehens erfolgt ist. Diese neue Regelung erfasst alle Angehörigen der Sonderversorgungssysteme nach Anlage 2 des AAÜG. So kommen auch an dieser Stelle die vom Mielke-Ministerium in der DDR selbst initiierten Akten der Systemträger zur Anwendung und quasi zur eigenen Beweisführung des menschenverachtenden Systems. Zur Bekräftigung zitiere ich aus einer Rede des Präsidenten der damaligen Tschechoslowakei, Václav Havel, der im Dezember 1992 in Davos sagte: Er - der Kommunismus war der Versuch, das gesamte Leben nach einem simplen Modell zu organisieren und es einer zentralen Planung und Kontrolle zu unterwerfen, völlig unabhängig davon, ob es dem wirklichen Leben auch entsprach … Der Kommunismus wurde nicht durch militärische Macht besiegt, sondern durch das Leben als solches. Durch den menschlichen Geist. Durch das Gewissen der Menschen. Durch den Widerstand der Menschen gegen die Manipulation des Menschlichen. ({6}) Diese Worte sind nicht nur Bestätigung unserer Erkenntnisse aus der Geschichte, sondern auch Mahnung. Wir alle haben die Pflicht, uns gegen die Geschichtsklitterung der damaligen Systemträger, die immer offensiver wird - das hat sich die letzten Wochen in Berlin und an anderen Orten unserer Republik gezeigt -, stark zu machen. Deshalb muss sich eines der nächsten Gesetze, die wir auf der Tagesordnung haben werden, mit der Pensionsentschädigung der Opfer befassen. Ich bitte zu helfen, dass wir hier eine bessere Regelung finden. Ich hoffe, dass uns die österliche Auferstehungsgeschichte in der nächsten Zeit die Kraft dazu gibt. Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider, Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Weiß, wenn Sie sich beruhigt haben, kann ich anfangen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich des Entschädigungsrechts und des Ausgleichs von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet ist der Gesetzgeber aufgefordert - das ist schon ausgeführt worden -, die Gesetzgebung verfassungskonform zu gestalten. An dem vorliegenden Entwurf begrüßt die Fraktion Die Linke, dass der Versuch unternommen wird, die unterschiedliche Behandlung von dienstbeschädigten Kriegsopfern und Opfern von Straftaten in Ost und West aufzuheben. Der Entwurf sieht allerdings vor, die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf die eine Reihe der angesprochenen Leistungsgesetze Bezug nehmen, für Ansprüche aus dem Beitrittsgebiet auch in Zukunft zu mindern. Dies müssen wir als einen Versuch des Gesetzgebers ablehnen, nachträglich die Rechtsprechung oberster Bundesgerichte zu ändern. ({0}) Zudem halten wir einen Abschlag für Berechtigte aus dem Beitrittsgebiet angesichts einer weit gehenden Angleichung der Lebenshaltungskosten für nicht mehr zeitgemäß. Auch hinsichtlich der Verbesserung der Situation hinterbliebener Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner scheint uns der Entwurf zu kurz gesprungen. In den Fällen, in denen aus einer Lebensgemeinschaft gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, wäre aus unserer Sicht sowohl hinsichtlich der Leistungsdauer wie auch der Leistungshöhe eine Gleichstellung mit vergleichbaren Personen aus einer Ehe anzustreben. Besonders beschäftigt haben den zuständigen Ausschuss - das ist hier mehrfach angesprochen worden die Regelungen zum Wegfall der Dienstbeschädigungsteilrenten aus den vier Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR. Das Verfassungsgericht hat diese als Verfassungsverstoß angesehen und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet. Opfer der Staatssicherheit, die bis heute auf eine umfassende Wiedergutmachung erlittenen Unrechts warten, sehen Nachzahlungen an Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit als eine - ich zitiere - „völlig unerklärliche Sanftmut gegen Angehörige eines Unterdrückungsapparats“. Auch für unsere Fraktion ist unbestreitbar, dass den Opfern durch Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit in vielen Fällen kaum wieder gutzumachender Schaden zugefügt worden ist. ({1}) Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass hinzufügen, dass wir die Geschichtsklitterung einiger unbelehrbarer Ewiggestriger und die damit verbundene Verhöhnung von Opfern, wie sie kürzlich in Hohenschönhausen stattgefunden hat, nicht akzeptieren und in aller Deutlichkeit verurteilen. ({2}) Aber soweit nun durch die Einfügung eines Paragrafen zur Leistungsversagung und -entziehung Voraussetzungen dafür geschaffen werden, die Täter über das Sozialrecht verfassungskonform sühnen zu lassen, bezweifeln wir die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens. Die Anhörung, die zu diesem Thema stattgefunden hat, hat klar ergeben, dass sich die Überprüfung nicht auf die relativ wenigen betroffenen ehemaligen Volker Schneider ({3}) Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amts für Nationale Sicherheit begrenzen lassen wird. ({4}) Es droht ein erheblicher Prüfungsaufwand mit zweifelhaftem Erfolg. Der uns nicht nahe stehende Sachverständige Professor Dr. Steinmeyer sprach in der Anhörung von einem schön gemeinten Gesetz, das auf nicht genügend Fälle zutreffen würde, sodass es verpufft. ({5}) Kollege Schaaf meinte dagegen, dass sich dieser Aufwand schon dann lohne, wenn es sich nur um einen einzigen Fall handele. Nein, Kollege Schaaf, was Sie sagen, ist zwar emotional verständlich, hält aber einer rationalen Prüfung nicht stand. Das Geld, das für den Verwaltungsaufwand nötig ist, wäre bei den Opfern allemal besser aufgehoben, ({6}) zumal es traurig ist, dass auch im Jahre 16 nach der Wiedervereinigung noch immer keine Regelung gefunden worden ist, den Opfern für die entstandenen Schäden, die sich im juristischen Sinne nicht operationalisieren lassen, eine unbürokratische Wiedergutmachung zu gewähren. ({7}) Frau Michalk, wenn Sie ein solches Gesetz auf den Weg bringen würden, könnten Sie sich auf unsere Unterstützung verlassen. Kurz: Auch wenn der Gesetzentwurf in die richtige Richtung geht, können wir ihm aufgrund der genannten Mängel nicht zustimmen. Die Fraktion Die Linke wird sich daher in der Abstimmung enthalten. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts umgesetzt. Ich möchte auf zwei Punkte besonders eingehen. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dem Gesetzgeber aufgetragen, nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern im Opferentschädigungsgesetz der Ehe gleichzustellen. Das ist geschehen. Allerdings hätten wir uns gewünscht - da unterstütze ich Herrn Rohde, der das gerade vorgetragen hat -, die Regierung wäre etwas mutiger gewesen und hätte die Versorgungssituation nicht ehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern umfassender geregelt und sich nicht nur auf die ersten drei Lebensjahre bezogen. ({0}) Zum anderen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf Regelungsbedarf hinsichtlich des Entschädigungsrechtes für Dienstunfälle von Personen, die in den so genannten Sonderversorgungssystemen der DDR waren. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, diesem Personenkreis zusätzlich zur Altersrente auch einen Ausgleich für Unfälle im Dienst zu gewähren. Der Ausgleich von Dienstbeschädigungen kommt damit auch Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit zugute. Für die Opfer der SED-Diktatur ist diese Vorgabe von Karlsruhe wirklich bitter. In der Anhörung wurde überdeutlich, dass die Gerechtigkeitslücke zwischen Täter und Opfer damit weiter vergrößert würde. Für viele Opfer, die in der ehemaligen DDR beruflich eingeschränkt waren und die deshalb heute eine niedrigere Rente bekommen, ist dieses Ergebnis ein Schlag ins Gesicht. ({1}) Der Sachverständige Hubertus Knabe berichtete von resignativen Aussprüchen eines Opfers der SED-Diktatur, der das Resümee zog: Widerstand lohnt sich nicht. Das bringt die herbe Schlussfolgerung, die Opferverbände aus den Vorgaben von Karlsruhe ableiten, auf den Punkt. Die Vorkommnisse in Hohenschönhausen und der aggressive Auftritt von 250 ehemaligen Stasimitarbeitern, die die Opfer der SED-Diktatur verhöhnten, sind gerade für die Opfer nur schwer zu ertragen, zumal sich diese Ewiggestrigen der guten Zusammenarbeit mit einigen Kollegen dieses Hauses - da werden Gesine Lötzsch oder Martina Bunge genannt - rühmen. An dieser Stelle möchte ich gerne ausdrücklich der Kollegin Petra Pau zur Vizepräsidentschaft gratulieren. Ich bin froh, dass sie sich sehr eindeutig von solchen Machenschaften distanziert hat. ({2}) Dennoch, ein genereller Ausschluss von MfS-Mitarbeitern ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich, ebenso wenig eine pauschale Regelung für einzelne Berufsgruppen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation rechtfertigt für sich allein keinen Leistungsausschluss. Ich bin wirklich sehr froh, dass uns die Sachverständigen in der Anhörung einen Weg aufgezeigt haben, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil korrekt umgesetzt, aber dennoch eine Einzelfallprüfung in das Gesetz aufgenommen werden kann. Es ist uns im Ausschuss gelungen, den Gesetzentwurf so zu formulieren, dass ihm alle Fraktionen - außer den Linken - zustimmen konnten. Nunmehr ist festgelegt, dass Mitarbeiter der Stasi, die nachweislich gegen Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, ganz vom Bezug einer zusätzlichen Dienstbeschädigungsrente ausgeschlossen werden können oder zumindest der Leistungsbezug gemindert werden kann. Voraussetzung ist, dass die Dienstbeschädigung damit in einem inneren Zusammenhang steht. Ich finde, das ist ein Gebot der Gerechtigkeit. ({3}) Ich frage mich wirklich, Herr Kollege Schneider, wieso es der Linken nicht möglich ist, einen solchen Antrag zu unterstützen. ({4}) Wir haben Ihnen angeboten, eine getrennte Abstimmung nur zu diesem Punkt zu machen, wenn Sie mit anderen Vorschriften dieses Gesetzes Probleme haben. Sie haben im Ausschuss argumentiert, Sie könnten nicht zustimmen, weil eine Einzelfallprüfung zu bürokratisch und zu teuer sei. ({5}) - Ja, das haben Sie im Ausschuss gesagt. - Hier haben Sie gerade gesagt, man finde nicht genügend Fälle. Diese Begründung ist bei 800 vorliegenden Fällen, die noch zu regeln sind, geradezu heuchlerisch. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei der Stimmabgabe zu diesem Gesetz haben Sie die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, auf welcher Seite Sie stehen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zuerst gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Rohde und anschließend gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Lötzsch. Dann, Frau Schewe-Gerigk, können Sie auf beide antworten.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Eine kurze Korrektur: Wir stimmen überein, dass wir bei den Versorgungsansprüchen nicht ehelicher Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtliche Partner berücksichtigen sollten, nicht jedoch bei der Forderung, dass wir Kinder über das dritte Lebensjahr hinaus mit Versorgungsansprüchen ausstatten sollten. ({0}) Das wollte ich nur kurz richtig stellen, wenn Sie erlauben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Lötzsch, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin von den Grünen, mir ist schon erzählt worden, dass Sie im Ausschuss unsachliche Angriffe gegen mich gemacht haben. Ich darf dazu Folgendes erklären. Erstens bin ich mit meiner Fraktion in voller Übereinstimmung, dass das Rentenrecht kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist. Zum Zweiten darf ich Ihnen mitteilen, dass auch mein Mann diese Einschätzung teilt. Mein Mann hat aus politischen Gründen drei Jahre seines Lebens in Bautzen, im Gefängnis, verbracht. Daher weiß ich ganz genau, wie das mit der Entschädigung und dem Opferrecht läuft. Die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft - die hat mein Mann erhalten - ist niedriger als die Entschädigung von Opfern eines Justizirrtums. Seit 16 Jahren höre ich: die Opferrente. Ich frage mich, warum es seit 16 Jahren nicht gelungen ist, diese Opferrente einzuführen. Frau Kollegin, ich empfehle Ihnen, mit den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion darüber zu sprechen, wie sie die Arbeit eines Abgeordneten verstehen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich direkt gewählte Abgeordnete. Das bedeutet für mich, dass ich mit allen Bürgern und Bürgerinnen meines Wahlkreises spreche und mich mit ihnen in der Sache kritisch auseinander setze. Solche Diffamierungen, wie Sie sie auch im Ausschuss vorgenommen haben, lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen! Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Schewe-Gerigk zur Erwiderung.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zunächst zur Anmerkung des Kollegen Rohde. Es ist schade, dass Sie uns bezüglich der drei Jahre nicht unterstützen. Die Frage bezüglich der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften haben wir bereits in der ersten Lesung gestellt. Inzwischen ist geklärt, dass auch diese mit aufgenommen werden. Jetzt zu dem entscheidenden Vorwurf der Kollegin Lötzsch. Ich habe mir gedacht, dass Sie darauf reagieren würden. Es tut mir Leid. Der Vorsitzende der ISOR e.V. sagt: Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir in Dr. Martina Bunge und Dr. Gesine Lötzsch verlässliche und kompetente Partnerinnen für unsere Ziele haben. Das muss ich hier zitieren dürfen. Ich habe das schriftlich vorliegen. ({0}) Ich habe zur Kenntnis genommen, was Sie gerade gesagt haben. Vielleicht werden Sie von ISOR instrumentalisiert. Das kann ja sein. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie sich von dieser Aussage distanzieren. Dann ist das ja in Ordnung. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schneider, ich bleibe dabei: Wenn wir mit der jetzt getroffenen Regelung - ich werde zu den Änderungen Stellung nehmen, damit die Menschen wissen, worum es geht - einen einzigen Fall, in dem zu Unrecht Leistungen des Staates bezogen wurden, aufdecken, dann wird sie den Opfern gerecht. Das ist unsere Aufgabe: den Opfern gerecht werden. ({0}) Damit die Menschen wissen, worum es geht, damit sie wissen, was Sie ablehnen, trage ich wesentliche Teile der Änderungen vor: Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1 - er ist schon zitiert worden vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzwürdig ist. Soweit die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistungen zu einer unbilligen Härte führt, soll die Entziehung oder Minderung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen. In Abs. 3 regeln wir ganz genau, was wir meinen: Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer Zugehörigkeit des Berechtigten zu dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR ergeben. Das ist die Regelung, der Sie nicht zustimmen wollen, weil - das muss man ganz deutlich sagen - das ein zu großer Aufwand wäre. Meine Damen und Herren von der PDS, Sie verhöhnen damit die Opfer! ({1}) Welcher Aufwand kann denn zu groß sein, wenn es darum geht, Aufklärung zu betreiben oder Täter zu verfolgen? Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen, das Soziale Entschädigungsrecht sei kein Recht, mit dem man abstrafen könne. Im Sozialen Entschädigungsrecht kann man aber differenzieren. Ich finde es gut, dass wir das in großer Übereinstimmung nach der Anhörung geschafft haben: Wir differenzieren zwischen dem, was uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, und dem Wunsch, den Opfern gerecht zu werden. Das ist uns gelungen. Den Fraktionen bin ich dafür dankbar. ({2}) Dazu kann ich nur noch sagen - vielleicht sollte man das den WASG-Mitgliedern in Ihren Reihen auch noch einmal sehr deutlich sagen -: Es kommt mir so vor, als hätte der eine oder andere von Ihnen nach wie vor ein sehr unaufgeräumtes Verhältnis zur Geschichte der DDR und zur Geschichte der PDS. ({3}) Sie sollten aus meiner Sicht noch einmal in Klausur gehen und Ihre Geschichtsbilder aufräumen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Schneider?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Angesichts der Tatsache, dass wir alle baldmöglichst in die vor uns liegende Osterpause gehen wollen, lasse ich diese jetzt nicht zu. Ich schließe: Selten ist es uns nach einer Anhörung in so großer Einigkeit gelungen, etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen. Die Nichtzustimmung der PDS werde ich in den nächsten Wochen vor mir hertragen. Die Menschen sollen das ruhig wissen! ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1162, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/444 und 16/754 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen - Drucksache 16/672 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann, FDP.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der stationären Pflege führt eine zeitstehlende Bürokratie dazu, dass - so jedenfalls der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe - nur 50 Prozent der Bruttoarbeitszeit von Pflegekräften als effektive Pflegezeit genutzt werden können. Die FDP möchte, dass die Pflegenden wieder mehr Zeit für die Pflege und soziale Betreuung der Pflegebedürftigen haben. Die Pflege ist mit Gesetzen und Verordnungen überfrachtet. Insbesondere die Struktur- und Prozessqualität wird in den Einrichtungen detailliert geregelt. Hinzu kommt ein erheblicher Aufwand für Doppel- und Mehrfachprüfungen, auch mit widersprüchlichen Ergebnissen. Mehr als 40 Instanzen können zur Prüfung in einer Einrichtung berechtigt sein. Die Dokumentationspflichten steigen und es gibt widersprüchliche Regelungen im Heimgesetz und im SGB XI. In der Praxis heißt das zum Beispiel: An einem Tag kommt die Heimaufsicht und verlangt, die Einrichtung mit einer Sitzecke auf dem Gang wohnlicher zu gestalten. Am nächsten Tag prüft der Brandschutz und die Sitzecke muss wieder entfernt werden. In der Pflege wird bisher nach dem Schema verfahren: Je mehr Qualität von außen in die Einrichtung hineinreguliert wird, desto besser soll das Pflegeergebnis sein. Pflegende empfinden das eher als Misstrauen - als seien sie nicht in der Lage, eigenverantwortlich für ein gutes Ergebnis zu sorgen. Sie werden so eher demotiviert. Wir fordern mit dem hier vorliegenden Antrag einen Paradigmenwechsel für die Pflege: weg von einer starren Festlegung von Strukturen und Prozessen, weg von einem Hineinregulieren von Qualität in die Einrichtungen, hin zu einer Fokussierung auf das Pflegeergebnis und hin zu einer höheren Transparenz bezüglich der Qualität der Pflegeleistung. ({0}) Von den Forderungen der FDP, die Sie in Gänze unserem Antrag entnehmen können, möchte ich hier nur einige kurz vorstellen: Erstens. Die Prüfkompetenzen von Medizinischem Dienst der Krankenkassen und Heimaufsicht sollen konkretisiert werden, auch mit dem Ziel einer verbesserten inhaltlichen und terminlichen Zusammenarbeit der weiteren Prüfinstanzen. Als ordnungsrechtliche Instanz prüft die Heimaufsicht die Strukturqualität, der MDK vorrangig die Ergebnisqualität. Was die eine Instanz geprüft hat, ist von der anderen nicht mehr zu prüfen. Die Heimaufsicht und die weiteren zur Prüfung berechtigten Instanzen stimmen sich ab und erstellen ein gemeinsames Ergebnis der Prüfung. Im SGB XI soll schwerpunktmäßig zu anlassbezogenen und unangemeldeten ergebnisqualitätsorientierten Prüfungen übergegangen werden. Zweitens. Regelungen des Pflege-Versicherungsgesetzes und des Heimgesetzes, die sich vorrangig der Struktur- und Prozessqualität zuordnen lassen, sollen auf ihre Erforderlichkeit und Praxistauglichkeit überprüft werden. Zu nennen sind hier insbesondere die Regelungen des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes sowie die Regelungen zu Anzeige-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten des Heimgesetzes, die §§ 12 und 13. ({1}) Zusätzlich sollen bisher voneinander abweichende Regelungen im SGB XI und Heimgesetz harmonisiert werden. Ich erwähne beispielhaft den § 87 a Abs. 1 SGB XI, Pflicht zur Zahlung des Heimentgelts endet mit dem Tod des Bewohners, und § 8 Abs. 8 Heimgesetz, Vertragsverhältnis endet zwar mit dem Tod des Bewohners, Vereinbarungen für eine Fortgeltung für die so genannten Hotel- und Investitionskosten von bis zu zwei Wochen sind jedoch zulässig. Drittens. Um in der Pflege von dem bisher noch ziemlich starren „ambulant“ und „stationär“ wegzukommen und den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen, soll geprüft werden, welche Regelungen des Heimgesetzes und der zugehörigen Verordnungen einem Entstehen neuer Wohnformen für Pflegebedürftige entgegenstehen. Ich nenne als Beispiele: betreutes Wohnen, generationenübergreifendes Wohnen, Altenwohngemeinschaften usw. Wichtig für die FDP - ich denke, damit heben wir uns von all den anderen Initiativen zur Entbürokratisierung der stationären Pflege etwas ab - ist unsere Forderung nach einer Erhöhung der Transparenz bezüglich der Qualität der Pflegeleistungen. Kontrollen allein verbessern die Qualität nicht. ({2}) Wir brauchen in der Pflege verstärkt wettbewerbliche Elemente. ({3}) Der Pflegebedürftige muss endlich als mündiger, entscheidungsfähiger Kunde betrachtet werden, natürlich unterstützt durch Angehörige und Betreuer, wenn er in seiner Alltagskompetenz bereits eingeschränkt ist. Aus diesem Grund sollen die Einrichtungen ein Benchmarking nach bundeseinheitlichen Qualitätskriterien durchführen. Durch ein Benchmarking, dessen Kriterien sich möglichst nah an der Ergebnisqualität orientieren sollen, wird Einrichtungen, die ein gutes Pflegeergebnis liefern, die Möglichkeit gegeben, dies auch öffentlich darzustellen. Pflegebedürftige können dann besser eine Einrichtung nach Qualitätsaspekten auswählen. Zum Schluss möchte ich noch grundsätzlich sagen: Die in der Pflege vorhandenen Regelungen müssen sich daran messen lassen, ob - und, wenn ja, inwieweit - sie wirklich im Interesse der Pflegebedürftigen liegen. Oberstes Ziel eines Abbaus von Bürokratie in der Pflege muss immer eine Verbesserung der Lebensqualität der Pflegebedürftigen sein. Ein Bürokratieabbau in diesem Sinne erlaubt es den Einrichtungen aber auch, kreative Lösungen auf dem Weg zu einer hohen Qualität in der Pflege und als Antwort auf die demografischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu entwickeln. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Willi Zylajew, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unstrittig: Das Thema Entbürokratisierung in der Pflege muss angegangen werden. Schon seit langem häufen sich die Klagen der Pflegekräfte und der Einrichtungen über Behinderungen ihrer eigentlichen Aufgaben durch gesetzlich verursachten Bürokratieaufwand. ({0}) Ich meine, diese Beschwerden erfolgen zu Recht. Die Pflege ist eine wichtige gesellschaftliche und fachliche Aufgabe. Diejenigen, die sich dieser Aufgabe widmen, sollten wir nicht durch bürokratische Hemmnisse behindern. ({1}) Unser Ziel muss es sein, die Bürokratie zu stutzen. Pflegekräfte sollen wieder mehr Zeit haben, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen, sich mit den älteren Menschen zu beschäftigen und sich um deren Wohlergehen zu kümmern. Die große Koalition hat dies bereits vor Ihrem Antrag, Herr Lanfermann, klar postuliert. Wir haben uns des Themas angenommen. Ich verweise hier auf die Koalitionsvereinbarung - angesichts der knappen Redezeit zitiere ich nur den Eingangssatz -: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste - das ist wichtig, Herr Lanfermann werden durch eine Vielzahl von Regelungen, Verwaltungsvorschriften, Dokumentationspflichten und anderen bürokratischen Auflagen beschwert. Wir müssen den professionellen Pflegekräften wieder die Zeit geben, die sie brauchen, um ihre eigentliche Arbeit zu tun. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie sehen: Ihr Anliegen findet sich in unserer Koalitionsvereinbarung wieder. In diesen Fragen sind wir schlichtweg gut. ({3}) Das können wir auch an anderer Stelle belegen. Der Inhalt Ihres Antrags mit dem Titel „Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen“ ist auch das Anliegen der großen Koalition. Das ist nicht erst seit einigen Monaten der Fall. Ich will nur auf unseren Antrag verweisen, mit dem wir uns bereits im Februar 2005, also in der 15. Wahlperiode, nach vorne gewagt haben. ({4}) Danach haben wir Ihnen immerhin vier Monate Zeit gelassen, um selbst mit einem Antrag nachzulegen. Das haben Sie dann am 15. Juni 2005 getan. ({5}) In Ihren Antrag haben Sie sehr exakt all die Positionen aufgenommen, die auch in unserem Antrag standen. Mein Respekt gilt an dieser Stelle der Kollegin Lenke, die daran konstruktiv mitgewirkt hat. Ihre fachliche Kompetenz spiegelt sich in Ihrem Antrag wider. ({6}) Nun will ich kurz auf die Positionen eingehen, die Sie in Ihrem Antrag vertreten: Hinsichtlich der Prüfinstanzen gemäß § 20 Heimgesetz soll eine bessere terminliche und inhaltliche Koordination erreicht werden. Bundeseinheitlich soll stärker die Ergebnisqualität und weniger die Prozessqualität überprüft werden. ({7}) Dem, was Sie zur Veränderung der Prüfkompetenzen von Heimaufsicht und MDK sagen, stimmen wir zu. Des Weiteren fordern Sie, es sollten weniger angemeldete und mehr unangemeldete Kontrollen durchgeführt werden; auch hier sind wir einer Meinung. Sie sprechen sich für eine Ausweitung der Definition einer Fachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI aus; auch wir wollen, dass neu definiert wird, wer eine Fachkraft ist. In diesem Punkt bestand zwischen uns bereits im letzten Jahr Einigkeit. Wie wir es in unserem damaligen Antrag getan haben, stellen auch Sie fest, dass abweichende Regelungen im SGB XI, im SGB XII und im Heimgesetz miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Darüber hinaus wollen auch wir die Praxistauglichkeit vieler Regelungen überprüfen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bahr?

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Zylajew, es freut mich, dass Sie so viele Übereinstimmungen zwischen unserem Antrag und Ihren Anliegen sehen. Daher möchte ich Sie fragen: Sprechen Sie gerade im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder sehen Sie auch sehr viele Übereinstimmungen zwischen den Koalitionsfraktionen von SPD und CDU/CSU? Ihre Antwort auf diese Frage ist interessant; denn vielleicht können wir unseren Antrag, wenn es so viele Übereinstimmungen gibt, sofort beschließen. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter junger Kollege Bahr, Sie müssen noch etwa zweieinhalb Minuten Geduld haben; dann werde ich Ihre Frage beantworten. ({0}) Ich muss natürlich darauf hinweisen, ({1}) dass Ihr Antrag fast alle Ergebnisse des „Runden Tisches Pflege“ beinhaltet. Es gibt keine markanten Unterschiede. Somit können Sie davon ausgehen - daher hätten wir uns diese Redezeit sparen können -, dass meine Position von den Koalitionsfraktionen mitgetragen wird, also auch von der wichtigen und starken SPD-Fraktion, ({2}) die bei diesem Thema gemeinsam mit uns auf einem guten Weg ist. Ich denke, damit ist Ihre Frage beantwortet. Wir alle wissen, dass Ihr Antrag nicht schlecht sein kann. Wenn Sie 99 Prozent des Antrags, den wir im Februar 2005 eingebracht haben - das war ein guter Antrag -, abgeschrieben haben, wie kann Ihrer dann schlecht sein? ({3}) Ich kann Ihnen zumindest testieren, dass Sie fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die des Abschreibens mächtig sind. ({4}) Dennoch gibt es ein paar Unterschiede, zum Beispiel bei der Frage, ob wir auch die ambulante Pflege einbeziehen sollten. Wir sagen klar und deutlich: Ja. Die ambulante Pflege muss entbürokratisiert werden. Diesen Punkt müssen wir noch sehr intensiv beraten und genau überlegen, was wir tun. Ihre Forderung nach Einführung eines Benchmarkings ist, abstrakt gesehen, sicherlich interessant. Faktisch würde ein Benchmarking aber zu einem neuen Bürokratieauswuchs führen. Das ist aus unserer Sicht nicht zumutbar. Es müssen bundeseinheitliche Qualitätskriterien her. Gute Einrichtungen unterwerfen sich dem längst. Ich will darauf eingehen, dass die FDP dort, wo sie zurzeit mitregiert oder demnächst mitregieren wird, nämlich in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, prüfen sollte, was bereits Sinnvolles geschieht. In beiden Ländern gibt es vorbildliche Initiativen, die wir berücksichtigen sollten. ({5}) Letztendlich bleibt die Frage, wo wir das Heimgesetz künftig ansiedeln wollen. Wir müssen klären, ob die Zuständigkeit für die Heime und damit auch für die Entbürokratisierung bei den Ländern oder beim Bund liegen soll. Nach derzeitigen Überlegungen wird die Zuständigkeit eher bei den Ländern liegen. Im Mai wird es dazu eine große Anhörung geben. Wir müssen unsere Überlegungen einbringen und uns positionieren. Dieser Punkt duldet keinen weiteren Aufschub. Ich glaube, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden. Wir werden uns in weiteren Beratungen im Ausschuss, die parallel zu den Beratungen über die Föderalismusreform stattfinden, diesem Thema mit ganzer Kraft und in breitem Einvernehmen über die Fraktionsgrenzen hinweg - zumindest hoffe ich, dass es so sein wird - widmen. Wir müssen den Menschen, die im Pflegebereich fachlich kompetent und engagiert arbeiten, endlich Perspektiven eröffnen. Mit wenigen Ausnahmen orientieren sie sich alle am Wohl der älteren und behinderten Menschen. Diesen Menschen sollten wir durch die Entbürokratisierung helfen. Die Bürokraten, die sich Freiräume erkämpft und ihre Arbeitsplätze gesichert haben, müssen erleben, dass wir den bürokratischen Wildwuchs zurückschneiden. Das wollen wir tun. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und danke den Liberalen sehr, dass sie im InWilli Zylajew teresse der Menschen zusammen mit der großen Koalition einen wichtigen Schritt gehen wollen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In dieser Woche kam ein junger Mann, der seinen Zivildienst vor einem Monat angetreten hatte, zu mir und sagte: Eigentlich wollte ich in einem Altenheim arbeiten, ich kann das aber nicht, weil dort 60 Menschen eher verwahrt als versorgt werden; ich habe nicht die Möglichkeit, ihnen zusätzliche Angebote zu machen. Das Personal im Pflegebereich hat weder die Zeit noch die Kraft, sich den Menschen zuzuwenden. In den Pflegeheimen herrscht ein Klima, in dem ein Leben nicht möglich ist und ein Arbeiten erst recht nicht. Der junge Mann bittet um Versetzung. Sie fordern in Ihrem Antrag die Entbürokratisierung im Pflegebereich. Das ist zu kurz gesprungen. Auch ich will keine Bürokratie, erst recht nicht in der Pflege; das ist ganz klar. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir uns zunächst einmal darüber verständigen müssen, was Pflege überhaupt heißt. Der total überkommene, medizinisch orientierte Pflegebegriff, der im SGB XI und anderswo herumgeistert, muss überwunden werden. Wir müssen hin zu einem neuen Pflegebegriff, der die assistierende Unterstützung unterstreicht. Von der Vorstellung „satt, sauber, trocken“ müssen wir uns verabschieden, zumal selbst dies nicht immer gewährleistet ist. Die Linke schlägt deshalb vor - wir hatten versucht, das fraktionsübergreifend zu gestalten -, eine EnqueteKommission einzurichten, die sich mit ethischen, rechtlichen und finanziellen Fragen des assistierten Wohnens befasst. Darunter fällt auch das Leben im Heim. Bedauerlicherweise haben mir gerade die Kollegin Evers-Meyer von der SPD, die Behindertenbeauftragte, und der Kollege Kurth von den Grünen mitgeteilt, dass sie diesen Antrag nicht unterstützen wollen, weil sie der Meinung sind, dass sich dies auch auf andere Weise regeln ließe. Doch gerade weil die Föderalismusreform möglicherweise zum Ergebnis haben wird, dass wir demnächst 16 verschiedene Heimgesetzgebungen haben, 16 verschiedene Auslegungen der Anweisungen für Heime, wäre es sehr sinnvoll, wenn sich der Bundestag als oberstes gesetzgebendes Organ in diesem Lande intensiv mit dieser Frage befasst. Liebe Kollegen von der FDP, wir können durchaus darüber debattieren, ob schwarze Schafe an den Pranger gestellt werden sollten. Man muss sich genau überlegen, ob das sinnvoll ist. Denn wer kann wirklich beurteilen, wie gut oder schlecht Heime sind? Das können eigentlich nur die Bewohnerinnen und Bewohner, und selbst ihnen fehlt eine Vergleichsmöglichkeit - denn man wechselt nicht von einem Heim zum anderen -, um sagen zu können: „Dieses Heim ist gut“ oder: „Jenes Heim ist schlecht“. Und was passiert denn, wenn die Bewohner sagen, ihr Heim ist schlecht? Dann werden sie eher mehr drangsaliert, als dass es ihnen besser geht; das ist doch das Problem, vor dem wir stehen. Letzter Punkt. Wir müssen endlich Strukturen dafür schaffen, dass Heime und andere Großeinrichtungen immer überflüssiger werden. „Ambulant vor stationär“ darf nicht nur postuliert werden. Anstatt die Heimstrukturen zu stärken, muss im Haushalt endlich Geld zur Schaffung solcher ambulanter Strukturen eingestellt werden. Zudem müssen wir den in den Heimen arbeitenden Menschen eine Perspektive bieten, damit sie, wenn Heime geschlossen werden, keine Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Im Gegenteil, wir wollen ja gerade, dass sich ihnen bessere Arbeitsmöglichkeiten auftun, Arbeitsmöglichkeiten, die ihren ethischen Ansprüchen entsprechen, sodass sie sich den Menschen zuwenden, sich ihnen widmen können, sie unterstützen können in ihrer selbstständigen Lebensweise, und das nicht nur im betreuten Wohnen, nicht nur in Wohngruppen, sondern auch in der eigenen Wohnung, mitten in der Gemeinde, mitten in der Stadt, mitten im Dorf, dort, wo man wohnen möchte, und nicht irgendwo am Rande, in irgendeiner separierenden Einrichtung; das wäre der Punkt. Um auf Ihren Antrag zurückzukommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: In der Überschrift schreiben Sie: „Entbürokratisierung“. Aber wenn ich genau hinschaue, muss ich feststellen: Sie schaffen nur neue Bürokratie: ({0}) Sie ordnen bürokratisch zu, wer wie arbeiten kann. Anstatt dafür zu sorgen, dass die Selbstbestimmungskräfte der Betroffenen, der Bewohnerinnen und Bewohner, gestärkt werden, stärken Sie nur die Kräfte, die die Qualitätsstandards absenken können. Das will ich auf gar keinen Fall. Deswegen lasst uns euren Antrag beraten - wir werden sehen, wie wir weiterkommen - und lasst uns eine solche Enquete-Kommission einrichten, ({1}) die in Ruhe arbeiten und mit Zwischenberichten auch Vorschläge ins Parlament einbringen kann, mit denen wir bald und schnell arbeiten können; das wäre ein guter Vorschlag, das wäre eine gute Herangehensweise. Auch ich wünsche Ihnen frohe Ostern. Denken Sie auch an die Menschen in den Einrichtungen - sie brauchen uns immer, nicht nur sonntags. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion die Kollegin Hilde Mattheis.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir heute schon mitbekommen haben, ist der Antrag, der hier heute besprochen wird, nicht neu. Wir haben ihn im März 2005 in diesem Hohen Hause schon einmal beraten. Die FDP hat den Inhalt übernommen und das, was die CDU/CSU-Kollegen damals schon eingebracht hatten, noch einmal zu aktualisieren versucht: indem sie das Datum umgeschrieben und ein paar Varianten hineingebracht haben. ({0}) Ich glaube, das ist dem Thema nicht angemessen. Wir können hier gemeinsam betonen, dass die Ergebnisse des runden Tisches und die Vereinbarungen in unserem Koalitionsvertrag wesentlich weiter und präziser sind als das, was hier formuliert worden ist. ({1}) Ich möchte jetzt meine Rede, die ich damals zur Entbürokratisierung gehalten habe, nicht wiederholen, sondern nur meine drei Grundkritikpunkte noch einmal anführen: Erstens. Das, was hier im Antrag vorgelegt und als notwendige Schritte zur Weiterentwicklung der Pflege bezeichnet wird, ist wenig konkret. Ich kann natürlich verstehen, dass Sie als FDP nicht unbedingt mit dem Koalitionsvertrag unter dem Arm herumlaufen möchten; aber ein kurzer Blick hinein wäre hier schon einmal angemessen gewesen. Denn mit dem, was wir im Koalitionsvertrag dazu geschrieben haben, zielen wir genau auf das ab, was Sie als Grundtenor formuliert haben. Zweitens. Es ist richtig, dass Sie Entbürokratisierungspotenziale anmahnen; das wird niemand bestreiten. Wir haben hier in diesem Hohen Hause aber schon darüber diskutiert, dass in den Einrichtungen selber noch ein unglaubliches Entbürokratisierungspotenzial besteht, das dort schlicht und ergreifend auch organisatorisch entwickelt werden kann. Ich hatte damals schon verschiedene Untersuchungen angeführt und kann jetzt eine neuere vom KDA hinzufügen, das in diesem Jahr noch einmal gesagt hat, dass es in den Einrichtungen selber zu einem unglaublichen Anwachsen der Dokumentation und Bürokratisierung kommt. Da Sie in Ihrem Antrag Entbürokratisierung mit Qualität und Transparenz verbunden haben, mahne ich ganz schlicht und ergreifend an, dass Sie auch diesen einzelnen Punkt beachten. Außerdem müssen Sie beachten, dass die Länder, die Sie ja ebenfalls zum Handeln auffordern, im Prinzip das abgelehnt haben, was im SGB XI unter § 92 a ja schon vorgesehen ist. Durch ein Benchmarking wollen Sie im Prinzip eine Art Vergleich und Transparenz schaffen. Dabei beachten Sie aber nicht, dass Sie durch diese Art des Vergleichs selbst Bürokratie erzeugen. ({2}) Sie beachten dabei auch nicht - Sie haben es im Text ausgeführt; ich empfehle Ihnen, Ihren eigenen Antragstext noch einmal zu lesen, aber wenn man ihn abschreibt - ({3}) - Okay. ({4}) Im SGB XI ist diese Möglichkeit des Vergleichs von Pflegeeinrichtungen schon vorgesehen. Die Bundesländer lehnen genau das ab mit dem Hinweis, dass das zu viel Bürokratie erzeugen würde. Der dritte Punkt, den ich genannt habe, ist, dass der Aufwand für die Pflegedokumentation nicht selten als Alibi für fehlende innerbetriebliche Ablaufstrukturen herhalten muss. Das können Sie im neuesten Projektbericht des Bayerischen Staatsministeriums noch einmal nachlesen. Ich habe das schon genannt. In dem Projektbericht wird noch einmal ganz eindeutig aufgelistet, dass es auch darum geht, die Mängel in den Einrichtungen zu beheben. Bei Ihrem aktuellen Antrag möchte ich mich auf zwei Kritikpunkte konzentrieren. Dabei geht es einmal um Ihre Aussage zur Fachkräftequote und zum anderen um Ihre Aussage zum Heimrecht. Erster Punkt. Sie schreiben von einer Überreglementierung des Personaleinsatzes und meinen, dass die Regelungen in der Heimpersonalverordnung zur Fachkraftquote und die Definition der Pflegefachkraft dazu führen, dass - jetzt zitiere ich die Sicherung von Qualität und ein effizientes unternehmerisches Handeln der Einrichtung sogar erschwert wird. Was Sie mit dieser Aussage meinen, kann man ganz deutlich an Ihrem fünften Spiegelstrich ablesen. ({5}) Dort fordern Sie nämlich, Maßnahmen zur stärkeren Professionalisierung der Pflege und der Pflegenden einzuleiten. Dazu gehört unter anderem eine Ausweitung der Definition der Pflegefachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI … Mit der Ausweitung meinen Sie wohl die Anerkennung von Personen als Fachkräfte mit einer geringeren Qualifikation, als dies in dem eben genannten § 71 Abs. 3 festgeschrieben ist. Etwas anderes kann nicht gefolgert werden und lässt sich auch mit der oben zitierten Aussage von effizientem unternehmerischen Handeln nicht anders zusammenbringen. Was die in der Überschrift verwandten Begriffe wie Entbürokratisierung, Qualität und Transparenz mit diesen Forderungen zu tun haben, erschließt sich mir wirklich nicht. Aber ich kann für mich feststellen: Der Begriff Entbürokratisierung bedeutet für Sie bei Pflegefachkräften offensichtlich den Abbau von Qualitätsstandards. ({6}) Nun zum zweiten Punkt, dem Heimrecht und der Heimmitwirkungsverordnung. Ich darf mich auf eine Presseerklärung beziehen, die Sie zusammen mit der Landesvorsitzenden der FDP, Frau Homburger, veröffentlicht haben. Dabei haben Sie das Wort „Entbürokratisierung“ im Zusammenhang mit dem Heimrecht verwandt. Ich möchte an Sie und auch an die Landesvorsitzende Homburger den dringenden Appell richten, in Ihrer neuen Funktion als Mitregierende in BadenWürttemberg im Zusammenhang mit dem Thema Entbürokratisierung - das nehme ich sehr ernst - einfach einmal zu hinterfragen, ob das Heimrecht wirklich Ländersache werden sollte. Dies würde in Deutschland zu 16 verschiedenen Heimrechten führen. - So viel zu Ihrer geforderten Entbürokratisierung. ({7}) - Ich bitte Sie, Herr Lanfermann. ({8}) Die Länder haben hier ihren Anspruch angemeldet. Das ist unbestritten. ({9}) Ich möchte noch einmal auf das Heimrecht und die Heimmitwirkungsverordnung im Sinne der Patienten und Patientinnen zu sprechen kommen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Menschen in den Einrichtungen im Prinzip den Ablauf dadurch stören, dass sie ihr Mitspracherecht in Anspruch nehmen. ({10}) - Schauen Sie sich Ihren Antrag genau an. ({11}) - Ich zeige es Ihnen gleich. ({12}) Aufgrund dieser Mitsprachemöglichkeiten könne es im unternehmerischen Ablauf zu einer Verzögerung kommen. Dazu muss ich anmerken: Wenn Sie diesen Punkt so hervorheben und die Menschen in Heimen darauf reduzieren wollen, über den Speiseplan, wie Sie das schreiben, mitzubestimmen, ist das eine Art und Weise, mit Patienten und Patientinnen bzw. Bewohnerinnen und Bewohnern umzugehen, die ich nicht teilen und auch nicht gutheißen kann. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stelle also fest: Die FDP will unter dem Stichwort „Entbürokratisierung“ in erster Linie die Tür für Standardsenkungen öffnen und Bewohnerinnen und Bewohner entmündigen. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Danke. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bürokratieabbau in der Pflege ist das Ziel dieses Antrags. Dass die FDP das so wörtlich nehmen würde, hätte ich nicht erwartet. Herr Lanfermann, es ist wahrer Bürokratieabbau, den Antrag vom Juni letzten Jahres ohne eine Aktualisierung einfach wieder aufzuwärmen. ({0}) Das Thema Bürokratieabbau ist zurzeit zu Recht in aller Munde, so auch im Bereich der Pflege. In Bezug auf die Doppelprüfungen, die umfangreichen Dokumentationen und unzähligen Verordnungen muss etwas passieren, keine Frage. In dem Antrag der FDP stecken viele richtige Ansätze, ({1}) zum Beispiel die vorgeschlagene Arbeitsteilung zwischen der Heimaufsicht für die Strukturqualität und dem MDK für die Ergebnisqualität, die Überprüfung und eventuell auch die Streichung der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung, die Harmonisierung von SGB XI und Heimgesetz oder die Reform des Heimgesetzes, um neue Wohnformen zu fördern, statt sie weiter zu behindern. Diese Vorschläge sind ja allesamt im letzten Jahr auch vom „Runden Tisch Pflege“ gemacht worden, den die FDP übrigens in ihrem Antrag ziemlich heftig angreift. So viel weiter gehen Ihre Forderungen aber auch nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Wie dem auch sei: Wir können uns sicherlich darauf verständigen, dass schon viel gewonnen wäre, wenn die Empfehlungen des Runden Tisches umgesetzt würden. Kommen wir aber noch einmal zu den beiden genannten Forderungen zum Heimgesetz. Die können wir nach derzeitigem Stand komplett vergessen. Denn das Heimgesetz soll im Zuge der Föderalismusreform in die Zuständigkeit der Länder übergehen. Wenn das wirklich passiert, dann können wir - auch wenn wir uns im Bundestag auf den Kopf stellen - in Bezug auf das Heimgesetz gar nichts mehr ausrichten. Genau zu diesem Punkt, verehrter Herr Lanfermann, hätte ich in Ihrem Antrag gerne etwas gelesen. Ich wüsste wirklich gerne, wie Sie dazu stehen. ({2}) Selbst die Union und die SPD äußern inzwischen öffentlich ihre Bedenken gegen die Verlagerung des Heimrechts. Hierbei - darauf darf ich an dieser Stelle hinweisen, Frau Mattheis - hat die große Koalition unsere volle Unterstützung. ({3}) Erlauben Sie mir noch zwei grundsätzliche Anmerkungen zu dem Antrag der FDP. Erstens. So lobenswert ich das Anliegen der FDP, Bürokratie abzubauen, finde, so unbehaglich ist mir der Grundduktus des Antrags. Wenn ich lese, dass die Mitwirkungsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner im Heimrecht wenig bringen, sondern nur den Aufwand steigern, dann macht mich das schon sehr stutzig. Ich bekomme beim Lesen Ihres Antrages den Eindruck, als sei die Mitwirkung der Heimbewohner in Ihren Augen eine reine Last, die am besten abgeschafft werden sollte. ({4}) Die Beteiligung der Heimbewohner ist aber ein elementares Recht, das eher gestärkt als abgebaut werden muss. ({5}) Aus eigener Berufserfahrung - sie liegt bei mir nicht so lange zurück wie bei vielen anderen in diesem Haus kann ich berichten, dass für die Menschen in den Heimen gerade das Instrument des Heimbeirates extrem wichtig ist. ({6}) Ich habe in Altenheimen regelrechte Wahlkämpfe um den Heimbeirat erlebt. Er ist sehr wichtig. ({7}) Auch das hat im Übrigen etwas mit Freiheit zu tun. Aber es ist nicht allzu neu, dass der Freiheitsbegriff bei den so genannten Liberalen etwas dehnbar ist. Damit komme ich zum zweiten Punkt. Jede bürokratische Regelung kann und sollte darauf untersucht werden, ob sie sinnvoll ist bzw. ob sie sich mit anderen Regelungen reibt. ({8}) Solche Regelungen - ob unsinnig oder nicht - kommen aber nicht deshalb zustande, um die Liberalen im Land zu ärgern; sie sind vielmehr der Versuch einer Antwort auf konkrete Probleme. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP machen es sich aber etwas einfach. Die Quintessenz ihres Antrags lautet: Bürokratie ist per se schlecht; Bürokratieabbau ist per se gut. Bürokratieabbau bedeutet gleichsam Freiheit. Das aber ist der falsche Weg. Denn dadurch werden die Probleme nicht gelöst; sie werden nur unter den Teppich gekehrt. Wir müssen von den Problemen ausgehen. In diesem Fall bedeutet das: Welche Erwartungen haben wir an die Pflege und die Pflegequalität?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Um es auf den Punkt zu bringen: Wie möchten Sie im Alter gepflegt werden, Herr Lanfermann? Vielen Dank und frohe Ostern. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/672 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({0}), Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Zukunftsaufgabe Weiterbildung - Drucksache 16/785 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Volker Schneider von der Fraktion Die Linke.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Koalition kündigt im Koalitionsvertrag an, die Weiterbildungsbeteiligung, insbesondere die sozial Benachteiligter, zu erhöhen. Mittelfristig will die Koalition die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren. Hinsichtlich dieser Zielsetzung dürfen Sie auf die volle Unterstützung meiner Fraktion rechnen. Wir werden nicht überkritisch darauf hinweisen, dass das Säulenmodell eigentlich den Stand der Fachdiskussionen in den 70er-Jahren und den 80er-Jahren reflektiert. Wir hoffen allerdings, dass die Ergebnisse der jetzigen Fachdiskussion vor 2030 Eingang in die politischen Diskussionen finden. Warnen müssen wir aber vor Tendenzen in den Ausführungen des Koalitionsvertrags, einseitig Aspekte der ökonomischen Verwertbarkeit von Weiterbildung in den Vordergrund zu stellen. Neben der beruflichen sind die allgemeine, die politische und die kulturelle Weiterbildung ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen, berufliche Entfaltung, kulturelle Teilhabe und gesellschaftliche Innovation. Nun sind Ankündigungen das eine; die Wirklichkeit ist aber eine andere Sache. Nicht, dass hier ein weiterer Leuchtturm, nämlich ein strahlender Leuchtturm der Ankündigungspolitik, entsteht. Denn so sieht die Realität aus: Erstens. Die berufliche Weiterbildung seitens der Bundesagentur für Arbeit ist dramatisch zurückgegangen. Waren es 2002 noch 300 000 Teilnehmer, sind es heute gerade noch 100 000. Zweitens. Einher geht dieser Rückgang mit zahlreichen Insolvenzen und Trägerzusammenbrüchen. Der von der Bundesagentur für Arbeit gewollte und von der Bundesregierung geförderte Dumpingwettbewerb hat nicht nur zum Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich geführt, sondern auch zu Hungerlöhnen, die oft lediglich auf Honorarbasis gezahlt werden. Drittens. Auch der Haushaltsansatz 2006 deutet keine Verbesserungen an. Mit 38 Millionen Euro wird die Koalition ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen können. Wie soll etwas Neues finanziert werden, wenn die Mittel für lebenslanges Lernen und Weiterbildung um 14 Millionen gekürzt werden? Viertens. Am wenigsten nachzuvollziehen und zu akzeptieren sind die drastischen Kürzungen der Mittel für die Integrationskurse im Haushalt des BMI. ({0}) Dies ließe sich fortsetzen. Aber meine Redezeit zwingt mich zur Zurückhaltung. Aufgrund dieser zeitlichen Beschränkung will ich nur kurz auf die Vorschläge meiner Fraktion eingehen. Ich gehe einmal davon aus, dass zumindest die Bildungspolitiker unter Ihnen unseren Antrag sehr sorgfältig gelesen haben. Erstens. Wer eine vierte Säule schaffen will, müsste zuallererst die Zuständigkeiten klären. Nur die berufliche Bildung ist durch das Grundgesetz eindeutig zugewiesen, und zwar der Kompetenz des Bundes. Dies sollte auch für die weiteren Bereiche der Weiterbildung im Rahmen der Föderalismusreform geregelt werden. Zweitens. Dies könnte dann die Vorlage eines Gesamtkonzeptes für die Weiterbildung mit bundeseinheitlichen Rahmenregelungen ermöglichen. Drittens. Dringend ist mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Beschäftigten in der Weiterbildung. In dieser Woche habe ich auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Träger der beruflichen Weiterbildung die Ausführungen einiger der mir nun folgenden Rednerinnen und Redner verfolgt. Nach dem, was Frau Hinz und Herr Rossmann dort gesagt haben ({1}) - deshalb erwähne ich es hier ausdrücklich -, müsste es heute große Zustimmung zu unserem Antrag geben. Oder werden Sie unseren Antrag nach dem leider häufig anzutreffenden Motto „Guter Antrag, aber falsche Antragsteller“ behandeln? ({2}) Wie auch immer Sie mit dem Antrag umgehen, ersparen Sie meiner Fraktion und den Zuhörern zumindest den oft erhobenen falschen Vorwurf, die Linke veranstalte ein Wunschkonzert und mache sich keine Gedanken um die Finanzierung. In den parallel stattfindenden Haushaltsberatungen haben wir die finanziellen Auswirkungen unserer Vorschläge korrekt beziffert und einen annehmbaren Vorschlag zur Finanzierung durch Umschichtung vorgelegt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ruhige und besinnliche Ostertage. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Alexander Dobrindt das Wort. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht außer Frage, dass das Thema Weiterbildung in der Zukunft mehr Bedeutung haben wird, als es - zumindest bei uns ohnehin schon hat. Dafür gibt es eine ganze Reihe wichtiger Gründe; das ist wahr. Ein Grund ist, dass man heute nicht mehr davon ausgehen kann, dass man den einmal erlernten Beruf sein Leben lang fortführen kann. Dafür gibt es genügend Beispiele. Als ich jung war, war Fotolaborant ein ganz normaler Ausbildungsberuf. Ich kenne heute keinen Menschen mehr, der diesen Beruf ausübt, geschweige denn eine entsprechende Lehre anbietet. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fortbildungsniveau und der Arbeitslosenquote bzw. der Dauer des Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. Dieser Zusammenhang zwingt uns dazu, dieses Thema sehr ernst zu nehmen. Auch der Abschlussbericht der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ hat sehr deutlich gezeigt, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit durch die Teilnahme an Fortbildungen signifikant sinkt. Benjamin Franklin hat gesagt: Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen. Dieser Ausspruch hat seine Gültigkeit nicht verloren. ({0}) Genau deswegen hat die Koalition dem Thema Weiterbildung in ihrem Koalitionsvertrag einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt. Wir haben uns vorgenommen, die Weiterbildungsbeteiligung insgesamt zu erhöhen. Außerdem haben wir uns vorgenommen, ein Modell für das Bildungssparen zu entwickeln, das die Finanzierung von Weiterbildung auf neue Beine stellt und damit mehr Menschen die Chance gibt, an Weiterbildungsmaßnahmen zu partizipieren. ({1}) Dass dies nötig ist, zeigt auch ein Bericht, der vor wenigen Wochen in der „Financial Times Deutschland“ erschien. Unter der Überschrift „Deutsche kümmern sich nicht um Weiterbildung“ wird beklagt, dass die Quote der Teilnehmer an Weiterbildungskursen in den letzten Jahren rückläufig ist. Dagegen kann man nichts sagen; das ist eine Tatsache. In diesem Zusammenhang darf man allerdings nicht vergessen, dass Weiterbildung heute nicht nur in Kursen stattfindet. Eine ganze Reihe von Weiterbildungsmaßnahmen findet heute direkt in den Betrieben, in der konkreten Arbeitssituation statt: Ein Kollege, der auf einer Schulung etwas gelernt hat, zum Beispiel die Bedienung von Maschinen, gibt sein Wissen an andere direkt weiter. ({2}) Auch das selbstständige Lernen gewinnt durch die neuen Medien, zum Beispiel durch das Internet, immer mehr an Bedeutung. Dadurch ergeben sich natürlich Substitutionseffekte. Auch das mag eine Erklärung dafür sein, dass die Teilnahme an Kursen momentan rückläufig ist. Trotzdem müssen wir diese Entwicklung sehr ernst nehmen, weil wir den Weiterbildungsbereich schon aufgrund des demografischen Wandels deutlich forcieren müssen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Erwerbspersonenpotenzial der über 50-Jährigen wird bis zum Jahr 2020 um 50 Prozent steigen, und das bei einem ansonsten annähernd konstanten Erwerbspersonenpotenzial. Das heißt, der Anteil der über 50-jährigen Erwerbspersonen wird von 22 Prozent im Jahr 2000 auf über 36 Prozent im Jahr 2020 steigen. Angesichts dieses Anstiegs ist es umso bedrückender, dass gerade diese Personen, die Älteren, in der Arbeitswelt diejenigen sind, die an Weiterbildungsmaßnahmen am wenigsten teilnehmen. Deswegen müssen wir unser Augenmerk auf diese Gruppe richten und wir müssen für die älteren Arbeitnehmer Anreize schaffen, an Weiterbildungen teilzunehmen. Hinzu kommt die Ehrlichkeit, den Menschen jetzt zu sagen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter nach und nach an das gesetzliche Renteneintrittsalter herangeführt wird. Viele knapp über 50-Jährige glauben immer noch: Weiterbildung muss jetzt vielleicht nicht mehr sein; die paar Jahre komme ich schon noch durch; das klappt schon. Das Ergebnis wird heute ein anderes sein. Der alte Spruch „Das braucht’s bei mir nimmer“ wird so keine Gültigkeit mehr haben. Aber es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Gründen, die den Menschen den Zugang zum Weiterbildungssystem versperren. Ein Grund sind die heute nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten bei sinkenden Einkommen; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ein anderer Grund ist, dass gerade kleinere Unternehmen in aller Regel überhaupt keine Weiterbildungskultur haben, wie man sie bei größeren Unternehmen vorfindet. So gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Dingen mehr. Diesen Barrieren werden wir uns in der Koalition sehr schnell nähern. Wir werden einen Teil dieser Barrieren aus dem Weg räumen. Wir werden politisch allerdings nicht alles aus dem Weg räumen können, was wir an Barrieren erkennen; wir müssen den Einstieg schaffen. Ein zentrales Modell, diesen Einstieg in mehr Weiterbildung zu schaffen, wird das Bildungssparen sein. Wir sind dabei, ein System zu konkretisieren, für das man als Vorbild vielleicht das Vermögensbildungsgesetz andenken kann, also gezieltes monatliches Ansparen für eine Weiterbildungsmaßnahme. Das heißt ganz konkret, man könnte einen Teil dessen, was wir heute als vermögenswirksame Leistungen kennen, mit einer kürzeren Bindewirkung versehen, wenn es dann für Weiterbildung verwendet wird. ({3}) Ein weiterer Punkt, den wir zurzeit überlegen, ist die Schaffung eines Weiterbildungskredits - ähnlich einem Studienkredit -, unter Einbindung der KfW. So geben wir den Leuten die Möglichkeit, mit Kreditleistungen ihre Weiterbildung zu finanzieren. ({4}) Auf jeden Fall wollen wir die Grundlagen für eine finanzielle Neuausrichtung schaffen. Wir wollen, dass Bindewirkungen für finanzielle Mittel entstehen. Wir wollen erreichen, dass in den Köpfen der Leute Weiterbildung wieder eine größere Rolle spielt. Wir müssen das Thema an die Menschen heranbringen. Einer der wichtigen Aspekte dabei ist, auch zu erkennen: Wir schultern das nicht allein politisch. Wir brauchen die Menschen dazu. Wir brauchen auch die Unternehmen dazu. Wenn ich heute mit Unternehmern rede, dann sagen sie mir: Weiterbildung ist ein wichtiger Punkt. Die Kosten, die mit der Weiterbildung verbunden sind, sind nicht das direkte Problem. Das können wir finanzieren. Daraus haben wir auch Vorteile. Das sind Effektivitätsgewinne, motiviertere Mitarbeiter, Produktivitätsgewinne. Alles das ist vorhanden. Das Problem, das wir haben, ist der Faktor Zeit. Das heißt, die Mehrzahl der Kosten ist mit der Abwesenheit der Mitarbeiter verbunden. Das Doppelte bis Dreifache der Kosten, die wir heute in der Weiterbildung haben, ist nicht durch die Maßnahme selbst verursacht, sondern durch die Abwesenheit der Leute vom Arbeitsplatz. Das können wir beim besten Willen nicht politisch lösen, auch wenn die PDS es vielleicht gern hätte, dass der Staat alle diese Probleme lösen könnte. Weiterbildung ist heute nicht in jedem Fall eine Sozialleistung des Staates. Sie sollte es auch nicht sein. Wir brauchen in hohem Maße die Erkenntnis der Menschen, dass Weiterbildung ihnen bei der Bewältigung der derzeitigen und künftigen Lebensanforderungen hilft. ({5}) Wenn sie das erkennen, dann werden sie bereit sein, einen höheren Eigenbeitrag zu leisten. Unsere Aufgabe ist es also, die Erkenntnis zu befördern und Anreize zu geben. So werden wir die Menschen vielleicht davon überzeugen können, dass man mit Arbeitszeitkonten auch etwas ansparen kann und seinen Eigenbeitrag leisten kann. Wir wollen die Eigeninitiative nicht ausblenden. Wir wollen, dass die Menschen sich selber deutlich einbringen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen dazu schaffen. Dazu haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Wir haben in der letzten Wahlperiode das Berufsbildungsgesetz gemeinsam mit der SPD novelliert. ({6}) Wir haben den stufenweisen Ausbau der Ausbildung da hineingebracht. Wir brauchen langfristig auch ein Konzept der Weiterbildung, das modular aufgebaut ist, also ein Konzept des lebensbegleitenden Lernens mit Modulen. Bei uns in Bayern heißt es immer: „G’lernt ist g’lernt“. Das stimmt. Allerdings muss man erkennen, dass wir bei dem „G’lernt ist g’lernt“ mehr Transparenz hineinbringen müssen, weil wegen der Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander heute auch das Erkennen des Gelernten durch andere eine größere Rolle spielt. ({7}) Wir arbeiten also an einem System, das Weiterbildung nachvollziehbar macht, das eine Verlängerungswirkung in Bezug auf Qualifikation hat und das das Verfallsdatum der Bildung - so schwer verständlich das auch klingt - aufheben kann. Zusammengefasst möchte ich sagen, dass uns drei Dinge im Besonderen wichtig sind: Wir brauchen eine aktive Weiterbildung als einen entscheidenden Standortvorteil für die Menschen und für die Wirtschaft in unserem Land. Wir werden diesen Standortvorteil ausbauen, weil wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, zum Beispiel mit dem Bildungssparen. Wir werden die Menschen dazu bringen, die Entwicklung zum lebensbegleitenden Lernen aufzunehmen und Eigeninitiative mitzubringen. Das sind die drei wesentlichen Punkte, die wir aus dieser Debatte mitnehmen müssen. Dann sind wir auf einem guten Weg, die Menschen mit mehr Weiterbildung auch zukünftig lernbereit zu halten. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Patrick Meinhardt das Wort für die FDP-Fraktion.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesellschaft des lebenslangen Lernens, das ist die wirkliche Herausforderung in der Bildung für die Bundesrepublik Deutschland. Die Zeiten sind sicherlich endgültig vorbei, in denen es hieß: Schule, Abschluss, Beruf. Diese Lebensbiografien sind Vergangenheit. Die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag und die Antragsteller mit ihrem Ziel eines Gesamtkonzepts Weiterbildung stimmen hier mit der FDP und ihren zahlreichen Initiativen in der vergangenen Legislaturperiode überein: Die Weiterbildung muss zur vierten Säule unseres Bildungssystems werden. ({0}) Das war es dann bezüglich der Übereinstimmung aber auch schon. Hier endet der Konsens mit dem Antrag der Linken. Den Forderungen, die Sie in Ihrem so genannten Weiterbildungskonzept anführen, können wir uns in vielen Bereichen nicht anschließen. Sie formulieren erstens - ich zitiere -: Um Offenheit, Lernbereitschaft … zu fördern, tritt der Deutsche Bundestag dafür ein, die Weiterbildungsbeteiligung … zu erhöhen. Jetzt aber würde es erst interessant werden: Wodurch, womit und mit welchen Mitteln? Selbst Sie scheuen sich davor, Zwangskurse vorzuschlagen. Mit welchem konkreten Mittel soll das also geschehen? Zweitens. Auch die weiteren Forderungen sind abzulehnen, da sie unkalkulierbare Folgen für den Haushalt nach sich ziehen würden. Ein Recht auf Weiterbildung, das hier garantiert werden soll, existiert in der Bundesrepublik Deutschland doch schon längst. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat natürlich schon jetzt das Recht, an Kursen der Volkshochschule oder an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilzunehmen. Was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich kritisieren wollen, steht dort leider nicht. Sie haben es jetzt in Ihren Ausführungen erwähnt. Wir alle wissen um die Bedeutung der Weiterbildung. Trotzdem haben wir es in den vergangenen Jahren, von 2001 bis 2006, zugelassen, dass die Zahl der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen von 370 000 auf sage und schreibe 106 000 Teilnehmer zurückgegangen ist. Hier hätten wir in der Vergangenheit schon längst mit einer sinnvollen und notwendigen Weiterbildungsoffensive richtige Zeichen setzen können. ({1}) Drittens. Auch wenn Sie eine „ausreichende Finanzierung eines bedarfsgerechten Angebots“ fordern, fehlt uns, dass Sie weder definieren, was Bedarf ist, noch, was „bedarfsgerecht“ ist, noch, was unter „ausreichend“ verstanden wird. Dieser Antrag offenbart Ihren Anspruch an einen Staat, der sich in alle Belange einmischen darf und alle Belange mitfinanzieren muss. Das ist ein Denken, das den Ansprüchen unserer heutigen Zeit nicht mehr gerecht wird. ({2}) Für uns ist es wichtig, die richtigen Fragen am richtigen Ort zu stellen. Wir als FDP haben uns erst letzte Woche mit allen Beteiligten - den Verbänden, der Wissenschaft sowie den Sozialpartnern inklusive Verdi und GEW - zusammengesetzt, um die wirklich drängenden Fragen zur Zukunft der Weiterbildung zu beraten, denen sich auch dieses Parlament stellen muss. Diese sind: Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um den Stellenwert und die Akzeptanz der Weiterbildung zu vergrößern? Wie kann die Finanzierung der Weiterbildung auf solide Grundlagen gestellt werden? Wie kann die Politik mithelfen, den Schlüsselaufgaben E-Learning und Wissensmanagement gerecht zu werden? Wie können die Weiterbildungs- und insbesondere die Nachqualifizierungsangebote effizienter werden? Das sind die Fragen, die wir in der letzten Woche hier mit den Fachleuten erörtert haben und denen wir uns auch in diesem Hohen Haus stellen müssen. Ausgehend von diesen Fragen werden wir als FDPFraktion eine ganze Reihe von parlamentarischen Initiativen starten: Erstens. Im aktuellen Haushalt wollen wir erreichen, dass die zukunftsweisende Lernform des E-Learnings nicht weniger Mittel erhält, sondern verstärkt finanziell gefördert wird. Denn gerade dieser virtuelle Bildungsraum ist der Bildungsraum der Zukunft und muss ein Schwerpunkt im Bereich der Weiterbildung sein. ({3}) Zweitens. Wir brauchen das Gesetz zur Weiterbildungsfinanzierung. Dabei geht es, wie korrekt angesprochen, um das Bildungssparen, aber auch um den nächsten Schritt, nämlich um die Absicherung der Weiterbildungskonten bei Insolvenz von Arbeitgebern. Beides muss zusammenkommen. Drittens. Die Teilnehmer der FDP-Anhörung hatten eine ganze Reihe von Zweifeln an der Weiterbildungspolitik der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb ist es für uns als FDP klar: Die Bundesagentur für Arbeit muss in ihrer Weiterbildungspolitik kritisch, sogar sehr kritisch überprüft werden. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir hier in diesem Parlament der Weiterbildung einen deutlich höheren Stellenwert geben wollen, sollten wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg auf eine umfassende Anhörung zum Themenbereich Weiterbildung einigen. Damit würden wir dem Thema den Stellenwert geben, den es braucht, um dann die richtige Weiterbildungsstrategie zu entwickeln. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion hat den Aufschlag gemacht für die Weiterbildungsdiskussion, die wir jetzt zu führen haben. Diese Diskussion hatten wir allerdings schon in der Vergangenheit. Ich möchte zum Verfahren, zu Inhalten und zur strategischen Einordnung einige Bemerkungen machen. Was das Verfahren angeht, so muss ich sagen, dass wir eine Restgröße aus der letzten Legislaturperiode noch abzuarbeiten haben. Das ist die Anhörung im Ausschuss zum Bericht der so genannten TimmermannKommission. ({0}) Es ist tatsächlich überfällig, das jetzt in Angriff zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als wir als Koalitionspartner mit Offenheit und durchaus mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass die Ministerin einen Rat für Weiterbildung angekündigt hat, nachdem schon ein Rat für berufliche Bildung eingerichtet wurde. Es ist wichtig, dass sich das Parlament in diese Diskussion einbringt, was die Zielsetzung und die zentralen Fragestellungen angeht, damit all dies zusammenfließen kann. Es wird auch eine Ausschussaufgabe sein, diese Punkte mit der Ministerin zu erörtern. Ihre Frage bezüglich der beruflichen Bildung berührt die Nahtstelle zwischen beruflicher Bildung und Weiterbildung. Das gilt speziell für die Nachqualifizierung junger Erwachsener ohne Schul- und Ausbildungsabschluss. Dazu gehören ferner die optimale Verzahnung und die Durchlässigkeit vom beruflichen Bereich zum Hochschulbereich. Wir möchten, dass die entsprechenden Maßnahmen zusammen mit dem Parlament entwickelt werden. Dies ist umso wichtiger, als die Ministerin wie die gesamte Regierung im Jahr 2007 die Aufgabe hat, die EU-Präsidentschaft wahrzunehmen. Dazu gehört, dass das lebenslange Lernen als ein zentrales Thema der Europäischen Union ausgestaltet werden muss. Diese Entwicklungen müssen also zusammenlaufen. Wir als Parlamentarier wollen uns daran beteiligen. Ihr Antrag gibt dem noch einmal einen Schub. ({1}) Wir haben uns als Bildungspolitiker einzubringen - das klang von vielen Seiten, auch vonseiten der FDP schon an -, wenn es aus bildungspolitischer Sicht um Korrekturen beim so genannten Hartz-Prozess geht. Wir hätten uns manches ersparen können, hätten wir damals mehr Zeit gehabt, nachzudenken. ({2}) Das soll eine Aufforderung sein, wenigstens jetzt gründlich nachzudenken. Ich denke im Zusammenhang mit dem Bildungsbereich und der Hartz-Gesetzgebung an die Bindungswirkung der Gutscheine, an die Vergabedauer von Aufträgen, an die Losgrößen und auch an die Qualitätsstandards, die man dem Personal in Sachen Bezahlung und Ausstattung zusichern muss. Wir müssen manches ernsthaft weiterverfolgen, damit es in diesem Bereich zu Korrekturen kommt. ({3}) Wir bitten, dass sich auch die CDU/CSU darauf einlässt, mit uns zusammen Korrekturen in diesem Bereich zu ermöglichen. Dieses Zusammenfließen ist ein Prozess. Wir werben dafür, dass alle Seiten dafür Verständnis haben, dass dieser Prozess nicht so schnell zu Ergebnissen führen kann. Denn in der letzten Legislaturperiode haben wir zusammen mit dem Bündnis 90/Die Grünen erlebt, dass sich die Erfolge in den sieben Jahren unserer Regierungszeit nur schrittweise eingestellt haben. In der Stunde Null lag nicht gleich das fertige Ergebnis vor. Aber durch die systematische Erarbeitung von Bausteinen sind wir zu guten Ergebnissen gekommen. Denken Sie daran, dass wir das Meister-BAföG und das Zuwanderungsgesetz als Leistungsgesetze im Weiterbildungsbereich ausbauen konnten! Denken Sie daran, dass wir zusammen mit der Stiftung Warentest unter Einbeziehung von Bildungstestaufgaben und Instrumenten der Qualitätssicherung bei der Bundesagentur für Arbeit neue Qualitätsstandards gesetzt haben! Denken Sie ferner daran, dass wir mit dem Programm „Lernende Regionen - Förderung von Netzwerken“ und mit dem Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen für alle“ vorankommen konnten. In diesem Sinne gibt es in dieser Legislaturperiode keine Stunde null, sondern den gleichen Aufbau mit dem zentralen Baustein, die Säule Weiterbildung zu verstärken, um in Zukunft neue Chancen zu eröffnen. Kollege Dobrindt hat im Zusammenhang mit der Koalitionsvereinbarung dargestellt, dass wir in drei zentralen Bereichen zusätzliche Bausteine einführen wollen. In einem ersten Feld geht es um erste und zweite Chancen. Wenn Sie sich das Arbeitsprogramm der Ministerin ansehen, dann stellen Sie fest, dass dort ausdrücklich von dem Programm „Grundbildung Erwachsener“ die Rede ist, mit dem Menschen, die die Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen und den Umgang mit neuen Medien bisher nicht erwerben konnten, gefördert werden sollen. Das ist faktisch eine erste Chance. Es soll im Weiteren ein Programm zur Nachqualifizierung im Sinne einer zweiten Chance begründet werden. Das zweite Feld bezieht sich auf das Übergangsmanagement bzw. die Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule. Das Programm „Lernende Region“ soll im Sinne einer besseren Vernetzung bis hin zu kulturellen Bezügen ({4}) und auch in betriebliche Bezüge hinein ausgebaut werden. Beides soll in Kombination erfolgen. Auch die Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule soll verstärkt, vor allem transparent gemacht und auf einen gleichen Standard gehoben werden. ({5}) Schließlich ist das dritte Aktionsfeld eine bessere Unterstützung bei betrieblichen Qualifizierungsprozessen, die es in der Wirtschaft gibt, und dort, wo sich berufliche Weiterbildung in entscheidenden Bereichen vollzieht. Die Stichworte „Bildungssparen“ und „Einsetzung einer stärkeren Rückversicherung bei Bildungszeitkonten“ wurden schon genannt. - Dies sind die drei Handlungsfelder. Man merkt aber auch, wo es noch eine Differenz gibt. Die Partei der Linken hat geäußert, dass sie ein Bundesrahmengesetz für Weiterbildung einführen wollten. Das gehört auch zur Programmatik der SPD. Aber wie es nun einmal in Koalitionen ist: Man kommt nicht gleich zum Ziel. Ich will Frau Merkel zitieren, die in einem anderen Zusammenhang gesagt hat: Wir machen erst einmal das, was im Koalitionsvertrag steht, und dann müssen wir sehen, wie wir weiterkommen. ({6}) Die SPD hat etwas vor, was darüber hinaus zielt, nämlich die Einführung eines gesetzlich begründeten Anspruchs auf Mindestzeiten, eine Mindestabsicherung und eine Mindestqualitätssicherung bei der Weiterbildung in Form eines Rahmengesetzes, zu dem wir genauso bekennen müssen: Dies muss sich entwickeln. Die Einbringung eines solches Gesetzentwurfes kann man jetzt noch nicht auf den Tag genau festlegen. Wir sind durchaus hoffnungsvoll, dass wir dafür auch die Zustimmung der anderen großen Volkspartei - vielleicht schneller als erwartet - gewinnen können. Wenn es um die Strategie geht, kann ich an Bemerkungen anknüpfen, die Kollege Dobrindt und andere gemacht haben, nämlich dass die Einordnung unseres Anliegens so erfolgen muss, dass wir den Schwung aus anderen Quellen dafür nutzen, Weiterbildung nicht nur zu beschwören, sondern sie in der Gesellschaft als ein positives Element der Lebensgestaltung, der Absicherung des Erwerbs und zusätzlicher Lebenschancen zu verankern. Subjektiv gesehen sind wir dicht bei diesem Anliegen; aber objektiv gesehen fehlt uns noch etwas. Bei einem Vergleich der innovativen Volkswirtschaften mit denjenigen, die nicht so wertschöpfungsintensiv sind, kann man erkennen, dass in Finnland, in Dänemark und in Schweden kontinuierlich vorbildliche Leistungen in Bezug auf die berufliche Weiterbildung erbracht worden sind. Hier besteht ein Rechtsanspruch, der von den Beschäftigten als Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit positiv aufgenommen worden ist. Das hat England übernommen. Objektiv müssen wir feststellen: In Deutschland sind wir noch auf dem Niveau von Ungarn. Das kann nicht so bleiben. ({7}) Das muss sich vielmehr auch bei uns verändern, wenn wir den Lissabonprozess, in dem es darum ging, über die Verstärkung der Forschung und Entwicklung eine nachhaltige Wertschöpfung zu erreichen, ernst nehmen wollen und unser System um das ergänzen wollen, was uns Beobachter, Bildungsforscher und Ökonomen im Zusammenhang mit diesem Prozess sagen, nämlich dass Investitionen in die Qualifizierung ein nachhaltiger Beitrag sind, den man leisten muss, damit es dauerhafte Wertschöpfung auf einem hohen Niveau gibt. So lautet der Zwischenbericht von Wim Kok zu dem so genannten Lissabonprozess aus dem Jahr 2000. - Das ist der eine objektive Faktor, der Weiterbildung mächtiger werden lässt. Der zweite Faktor ist von Ihnen angesprochen worden mit der - vielleicht nicht eintretenden, aber auch nicht auszuschließenden - Perspektive der Rente mit 67. Wenn es eine längere Lebensarbeitszeit gibt, dann erhält man Beschäftigungsfähigkeit unter anderem durch Weiterbildung, aber nicht erst Weiterbildung bei den 55- bis 60-Jährigen, sondern in der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen. Mit dieser Weiterbildung werden die entscheidenden Grundlagen dafür gelegt, dass es nicht den wahrzunehmenden Abbruch in der Qualifikation von Menschen über 55 gibt, der in Deutschland leider zu verzeichnen ist. ({8}) Auch wenn der großen Koalition Anerkennung dafür auszusprechen ist, dass sie in einer Partnerschaft auf Zeit konstruktiv und dynamisch zusammenarbeitet, müssen wir dennoch in die Gesellschaft schauen. Die positiven Gesichtspunkte, die in Bezug auf die Unternehmen bereits genannt wurden, möchte ich im Hinblick auf die Gewerkschaften noch ergänzen. Wenn ich zurückblicke, dann stelle ich fest, dass die IG Metall einen Orden Pour le Mérite verdient, was die Weiterbildung angeht. ({9}) Sie hat das Thema Weiterbildung in Tarifverträge und Tarifauseinandersetzungen hineingebracht, mit der Folge, dass es jetzt Weiterbildungsberatungen und sogar einen Anspruch auf Weiterbildung gibt. Diese Auseinandersetzungen verliefen nicht immer zur Zufriedenheit aller Mitglieder, die sich am Ende sogar mit einem Streik das Recht auf Weiterbildung und die Unterstützung für Weiterbildung erkämpft haben. Diese Facette sollten wir in der aktuellen Tarifrunde durchaus beachten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, dass die Partei der Arbeitnehmer und die Partei, die viele Dinge eher aus unternehmerischer Sicht sieht, ein gemeinsames Interesse in der Gesellschaft verbindet: nämlich das Interesse an Weiterbildung als einem Garanten für Wertschöpfung und individuelle Chancensicherung in der Zukunft. Diesem Interesse zu entsprechen, wäre das Wichtigste, was wir in dieser Legislaturperiode erreichen können. Danke. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Priska Hinz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schneider, Sie sprechen in Ihrem Antrag zu Recht von der Zukunftsaufgabe Weiterbildung. Sie haben gemutmaßt, dass man Ihrem Antrag nicht zustimmt, weil er so ein Wunschkonzert ist. Ich muss dazu sagen: Wenn man eine Zukunftsaufgabe beschreibt, dann muss das anders aussehen als in Ihrem Antrag; denn Sie haben wichtige Themen leider ausgespart. Veränderte Lebensbiografien zum Beispiel führen dazu, dass sich künftig die Phasen von Bildung, Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit abwechseln werden. Hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter verschoben wird. Priska Hinz ({0}) Des Weiteren brauchen wir eine Verknüpfung von Weiterbildung mit der Erstausbildung. Das bedeutet, wir brauchen ein ganz anderes Verständnis von lebenslangem Lernen und auch von dessen Finanzierung. Leider kommt das in Ihrem Antrag zu kurz. ({1}) Außerdem ist Ihr Antrag geschlechterblind - wenn ich das einmal so sagen darf. Die Tatsache, dass vor allen Dingen Frauen von Weiterbildungsangeboten unterdurchschnittlich profitieren und von Angeboten gar nicht erreicht werden, wenn sie sich in der Familienphase befinden oder hinterher wieder in den Beruf einsteigen wollen, ist Ihnen keine Zeile in Ihrem Antrag wert. Das ist aber ein gravierendes Problem nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt und für die Wirtschaft. Auch die anderen Gruppen, die viel zu wenig an Weiterbildung teilnehmen - seien es die gering Qualifizierten, die Älteren, die Migranten oder die Behinderten -, werden in Ihrem Antrag nicht genannt. Eigentlich ist Ihr Antrag immer noch so aufgestellt, dass er die normale männliche Erwerbsbiografie vor Augen hat: Da muss man halt noch Weiterbildung machen, um im Erwerbsleben vorwärts zu kommen, und wenn man arbeitslos ist, muss eben das Arbeitsamt für Fortbildung sorgen. So ist Ihr Antrag aufgebaut; er geht eigentlich an den Notwendigkeiten vorbei. ({2}) Natürlich wollen auch wir Weiterbildung in der Arbeitslosigkeit in Zukunft sicherstellen. Deswegen muss dringend - das hat Herr Rossmann schon gesagt - das System der Bildungsgutscheine verändert werden, das gerade bildungsferne Arbeitslose ausschließt. Wir brauchen andere Arten von Qualitätskriterien und wir brauchen Planungssicherheit für die Weiterbildungsträger, damit sie auch qualifizierte Weiterbildung vermitteln können. ({3}) Weil wir ganz unterschiedliche Zielgruppen und Lebensphasen ins Auge nehmen müssen, brauchen wir ganz unterschiedliche Weiterbildungsmöglichkeiten: Arbeitszeitkonten, Job-Rotation, natürlich tarifvertragliche Regelungen und Bildungsurlaub. Wir müssen aber auch über das neue Modell der Lebensphasenteilzeit nachdenken und uns mit der Frage, wie informelles Lernen stattfinden kann und nach welchen Qualitätskriterien es anerkannt werden kann, beschäftigen. Eventuell brauchen wir im Rahmen der Weiterbildung auch Elemente einer Beschäftigtenversicherung. Im Antrag der Linken habe ich ein Thema besonders vermisst: Die Rolle der Unternehmen bei der Weiterbildung wird völlig ausgespart. Bei diesem Thema sind Sie doch sonst immer vorne dabei. ({4}) Worin sehen Sie den Anteil der Wirtschaft an der Weiterbildung? Weiterbildung ist Innovation. Die Unternehmen brauchen sie, um wettbewerbsfähig zu sein, um mithalten zu können. Sie brauchen gute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie die Zukunft eines jeden Unternehmens sind. Darüber verlieren Sie überhaupt kein Wort. Das hat mich sehr gewundert. ({5}) Beim Thema Finanzierung darf man nicht nur die öffentliche, beitragsfinanzierte, sondern muss auch die betrieblich und privat finanzierte Weiterbildung berücksichtigen. Insofern ist in meinen Augen auch die Vorstellung der CDU/CSU zu einseitig. Bildungssparen ist ein Aspekt bei der Finanzierung, der Weiterbildungskredit könnte ein weiterer sein. Wir müssen aber den ganzen Strauß von Möglichkeiten sehen. ({6}) Ich halte es für notwendig - das habe ich auf der besagten Veranstaltung auch schon gesagt -, dass wir zu dem Bericht aus der letzten Wahlperiode und zum neuen Weiterbildungsbericht der Bundesregierung eine Anhörung durchführen, damit wir uns bei diesem Thema gut einmischen und ein Gesamtkonzept entwickeln können. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/785 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({0}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken - Drucksache 16/1063 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens - Drucksache 16/1127 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort erneut der Kollegin Priska Hinz von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({4})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Keine Angst, das wird kein Dauerzustand. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Europäischen Union gibt es seit vielen Jahren vielfältige Bemühungen, einen gemeinsamen Bildungsraum zu gestalten. Eine neue Initiative ist die Entwicklung eines europäischen Qualifikationsrahmens. Das ist ein sehr komplexes Thema. Dieser EQR, wie er kurz heißt, bietet die Chance, Qualifikationen europaweit vergleichbar zu machen. Gleichzeitig soll er eine Übersetzungshilfe sein. Er soll die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen nationalen Systemen befördern, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung herstellen - das ist aus unserer Sicht besonders wichtig - und bessere Übergangsmöglichkeiten zwischen den Bildungsgängen schaffen. Zum Beispiel soll man beim Wechsel in einen anderen Bildungsgang auf bereits erworbenen Kompetenzen aufbauen können und nicht wieder von vorne anfangen müssen. Der europäische Qualifikationsrahmen soll sich an Lernergebnissen orientieren, die in Kompetenzstufen eingeordnet werden. Das ist für Deutschland wichtig, weil dann die im Rahmen der dualen Ausbildung vermittelten, oftmals sehr hohen Kompetenzen im europäischen Vergleich auf einer Skala entsprechend gewertet würden. Das Problem, dass wir zu wenig Akademiker haben, stünde dann in einem anderen Licht. Durch die Einführung des europäischen Qualifikationsrahmens würde der Wert von Kompetenzen - zurzeit werden eigentlich nur Kompetenzen wahrgenommen, die im akademischen Raum erworben werden - verschoben. Es gibt aber auch viele Probleme und ungelöste Fragen, die im Zusammenhang mit dem Qualifikationsrahmen aufgeworfen werden. Umso bedauerlicher finden wir es, dass die Bundesregierung mit einer zweiten Stellungnahme noch immer auf sich warten lässt, ({0}) dass sie sich noch nicht richtig in den europäischen Umsetzungsprozess eingebracht hat. Wir hoffen sehr, dass die Bundesregierung den Prozess beeinflussen möchte. Es ist doch auch im nationalen Interesse wichtig, zu überlegen: Wo sind unsere Stärken? Was wollen wir in diesen Prozess einbringen? Was ist an unseren Bildungsgängen gut? Wie können wir uns in die Gestaltung des europäischen Bildungsraums einbringen? Man sollte nicht - wie bei der Dienstleistungsrichtlinie am Ende dastehen und sagen: So haben wir uns das nicht gedacht, aber die anderen waren schneller. Wir wollen also, dass die Ganzheitlichkeit der Ausbildung bei der Umsetzung des EQR gesichert werden kann. Bei uns werden in der Erstausbildung berufliche Grundlagen vermittelt. So wird eine fachlich gute Ausbildung erreicht, die aber auch soziale Kompetenzen stärkt und die Grundlage für eine weitere Spezifizierung ist. Darauf sind wir stolz; das wollen wir auch in einem europäischen System wiederfinden. Wir wollen, dass der EQR in ein System lebenslangen Lernens eingebettet wird. Ich beziehe mich hierbei auf die Debatte von vorhin. Es macht keinen Sinn, mit dem höchsten akademischen Abschluss aufzuhören; lebenslanges Lernen - Stufen darüber hinaus - ist wichtig. Man muss die entsprechenden Kompetenzen auf verschiedene Weise erwerben können. Die Zusammenführung durch den Europass und das europäische Leistungspunktesystem für berufliche Bildung, ECVET, muss gesichert werden. Die Zertifizierung, die von der Linken gefordert wird, muss vor allen Dingen unbürokratisch und transparent vollzogen werden. Jeder muss wissen, wer welche Qualifikationen warum wie bewertet. Das ist für die Akzeptanz des Qualifizierungsrahmens sehr wichtig. ({1}) Der EQR macht nur Sinn, wenn ein nationaler Qualifikationsrahmen darauf aufbaut. Erst dann ist der europäische Qualifikationsrahmen praktisch anwendbar. Auch für den nationalen Rahmen gilt: Durchlässigkeit, Gleichwertigkeit und lebenslanges Lernen müssen gewährleistet sein. Man sollte seine Einführung als Qualifizierungsoffensive begreifen. Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die Entwicklung des europäischen Qualifikationsrahmens und des nationalen Qualifikationsrahmens. Auch bei diesem Thema wollen wir, das Parlament, uns einmischen, damit die Entwicklungen nicht an uns vorbeilaufen. ({2}) Wir wollen die Bundesregierung dabei im Ausschuss gerne beraten. Danke schön. Priska Hinz ({3}) ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Uwe Schummer das Wort. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die öffentliche Debatte über die Weiterbildung und über den europäischen Bildungsraum wurde mit der Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung gestartet. Es gibt kaum eine Koalitionsvereinbarung, in der sich die Weiterbildung und der europäische Bildungsraum fundiert und klar umrissen wiederfinden, und zwar mit ganz konkreten Projekten wie Bildungssparen, BAföG für Weiterbildungen und Insolvenzabsicherung von Lernzeitkonten. Das heißt, diese Koalitionsvereinbarung ist eine Selbstverpflichtung der sie tragenden Fraktionen und hat bereits diese Debatte angeschoben. ({0}) Für uns geht es bei der beruflichen Ausbildung auf der einen Seite um Quantität und auf der anderen Seite um Qualität. Die Quantität wird durch den Ausbildungspakt, der verlängert werden muss, sichergestellt; die Steigerung der Qualität wird von der Strukturkommission, die Annette Schavan eingerichtet hat und in der kreative Köpfe, nicht Lobbyisten, letztlich das Sagen haben, begleitet und vorangetrieben. Wir müssen ein neues Denken entwickeln, damit es in der beruflichen Ausbildung und Weiterbildung wieder vorangeht. ({1}) Die Berufsbildungsreform war - anders, als es im Antrag der Grünen formuliert ist - ein Gemeinschaftswerk des Deutschen Bundestages. ({2}) Das heißt, wir, die Unionsfraktion, haben bereits im Frühjahr 2003 die Eckdaten formuliert. Sie sprechen im Antrag lediglich von einem rot-grünen Projekt. Es war aber ein gemeinsames Projekt, das letztendlich von der Unionsfraktion angetrieben wurde. Wir haben die Berufsbildungsreform dann einstimmig im Deutschen Bundestag verabschiedet; im Bundesrat wurde sie ebenfalls einstimmig verabschiedet. ({3}) Es ist entscheidend und wichtig, dass es seit der Berufsbildungsreform die Möglichkeit gibt, dass durch Zusatzqualifikationen während der ersten Ausbildung eine Vernetzung von Berufs- und Weiterbildung stattfinden kann. Auch eine Initiative der Union war entscheidend, durch die wir grenzüberschreitende Ausbildungsverbünde zwischen Betrieben rechtlich abgesichert haben, sodass bei der Abschlussprüfung auch die Zeiten angerechnet werden, die in Italien, Holland oder in anderen Ländern verbracht wurden. Damit können wir in der beruflichen Ausbildung grenzüberschreitend tätig werden. ({4}) Die qualifizierte Stufenausbildung ist ein Zukunftskonzept. 100 000 junge Menschen landen jedes Jahr ohne eine Qualifizierung auf der Straße oder kommen in Ersatzmaßnahmen. Uns geht es darum, dass bei der Stufenausbildung das Alles-oder-nichts-Prinzip überwunden wird, dass mit Zwischenabschlüssen dafür Sorge getragen wird, dass derjenige, dem nach der ersten Stufe der Atem ausgeht, durch die Vernetzung der Weiterbildung und Ausbildungsmodule die Chance hat, die zweite Stufe später nachzuholen. ({5}) 100 000 junge Menschen stehen vor dem Nichts. Sie sollen mit dieser Vernetzung und über Zwischenabschlüsse eine Chance für die Zukunft bekommen. Der wichtigste Punkt - gerade vor dem Hintergrund dessen, was gerade in der Rütli-Schule in Berlin stattfindet - ist, dass Berufsbilder, die Hauptschülern heute verschlossen sind, ihnen durch die Stufenausbildung wieder geöffnet werden. Das gilt auch für praktisch Begabte, die mit der ersten Stufe die Zugangsberechtigung für die zweite Stufe bekommen. ({6}) Das ist entscheidend. Deshalb müssen wir die Stufenausbildung vorantreiben. Wir wollen den europäischen Bildungsraum. Qualifikationen sollen europaweit vergleichbar werden. Dabei müssen und werden wir darauf achten, dass die duale Ausbildung und das Berufsprinzip erhalten bleiben. Von daher ist entscheidend, dass die Lernergebnisse anhand der Kompetenzen bewertet werden und dass wir die Kompetenzen nach ihrem Vorhandensein bewerten und nicht danach, über welche Wege sie erlangt wurden, also ob sie über schulische, akademische Wege oder über berufliche Wege, zum Beispiel die Meisterprüfung, erlangt wurden. Entscheidend ist, dass die Kompetenzen vorhanden und abrufbar sind. Wichtig ist auch, dass wir beim Berufsprinzip bleiben. Sie, die Grünen, haben in Ihrem Antrag das Berufsprinzip nicht einmal erwähnt. ({7}) - Zwischen den Zeilen, aber nicht als Begriff und nicht so, wie es angesichts seiner Wichtigkeit sinnvoll gewesen wäre. ({8}) Wir wollen keine Zerstückelung des Berufsbildes in 64 Module, durch die jeder einzelne sich die entsprechenden Bausteine für die Betriebe suchen müsste. Wir wollen die breite Ausbildung und das Berufsprinzip bewahren, weil eine breite Bildungsbasis die beste Voraussetzung für spätere Weiterbildung ist. ({9}) In unserem Antrag wird formuliert, was Sie in Ihrem Antrag vergessen haben. Durchlässigkeit, aber auch Wechsel zwischen akademischer und beruflicher Bildung sind entscheidend. Man muss auch Kritik üben dürfen, selbst wenn man an der Regierung beteiligt ist. Der von Ihnen erwähnte Ausbildungspass, der zum 1. Januar eingeführt wurde, wurde bisher viertausendmal abgerufen. Das ist ein Anfang. Man muss dafür sorgen, dass dieser noch verstärkt genutzt wird und dass er durch gemeinsame Zertifizierungen im Bildungsbereich aufgewertet wird. Entscheidend ist - das haben auch Sie gesagt, Frau Hinz -, dass bei den bisherigen Bewertungsstufen zum europäischen Qualifizierungsrahmen der Europäischen Union die akademischen Qualifizierungsstufen oben liegen und die beruflichen in der Mitte. Vor 14 Tagen wurde eine gemeinsame Erklärung des Hauptausschusses des Bundesinstitutes für Berufsausbildung mit den Sozialpartnern verabschiedet, in der die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Bildungsforschung gemeinsam an uns appellieren, dass wir dafür Sorge tragen, dass zur Erreichung der höchsten Niveaustufe auf europäischer Ebene, Stufe 8, Berufserfahrung bei der Bewertung verpflichtend vorausgesetzt wird. ({10}) Dies würde das duale System in Deutschland stärken und dies sollten wir so in Brüssel umsetzen. Ein wichtiger Meilenstein wird die deutsche EURatspräsidentschaft im Jahr 2007 sein. Bundesbildungsministerin Schavan wird den europäischen Qualifizierungsrahmen federführend mit den europäischen Partnern abstimmen. Dazu gehört natürlich auch die Umsetzung dessen, was wir in der Koalitionsvereinbarung beschlossen haben. Das heißt letztendlich, dass wir Bildungssparen vorantreiben. Mit dem Vermögensbeteiligungsgesetz schaffen wir neben Bausparen und Alterssicherung eine dritte Säule, mit der das Bildungssparen ermöglicht wird. Dann kann jeder Einzelne für sich entscheiden, ob er ein Drittel Bildungssparen und zwei Drittel Alterssicherung möchte oder 50 Prozent Bausparen und 50 Prozent Bildungssparen. Hier muss der Gesetzgeber nicht tätig werden. Vielmehr kommt es auf diese drei Elemente an. Der Einzelne soll zwischen den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten wählen können. Entscheidend wird sein, dass wir neben dem MeisterBAföG, das aufgewertet worden ist, auch ein generelles Weiterbildungs-BAföG schaffen. Wir müssen Studienund Weiterbildungskredite zur Verfügung stellen, damit Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung auch ergriffen werden können. Nutznießer der beruflichen Weiterbildung müssen einerseits die Betriebe sein, da sie qualifizierte, innovative Beschäftigte haben, andererseits die Arbeitnehmer selbst, da sie ein höheres Einkommen erzielen und besser vermittelbar sind. Hier brauchen wir auch eine verstärkte Selbstfinanzierung. Hans Katzer, der im Jahr 1967 in der damaligen großen Koalition das Arbeitsförderungsgesetz geschaffen hat, sagte mir noch kurz vor seinem Tod, es sei ein Webfehler gewesen, dass die berufliche Weiterbildung über die Arbeitsämter aus den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert worden sei. Es wäre richtig gewesen, die berufliche Bildung, wie auch die akademische Bildung, aus Steuermitteln zu finanzieren. Darum ist es notwendig, dass die Weiterbildung weiterhin von der Bundesagentur für Arbeit finanziert wird, allerdings aus Steuermitteln und nicht über die Arbeitskosten. Hier müssen wir bei der Revision der Hartz-Gesetze umswitchen. Ebenso müssen wir die Selbstfinanzierung ausbauen: erstens durch Bildungssparen, zweitens durch die Möglichkeit, Studien- und Weiterbildungskredite in Anspruch zu nehmen, und drittens durch die Einführung von Lernzeit- und Langzeitkonten, die allerdings insolvenzgesichert sein müssen, damit sich die Tarifpartner in den Betrieben auch darauf verständigen können, wie es gegenwärtig in der Metallindustrie zu beobachten ist. Das Arbeitsförderungsgesetz war gedacht, um Arbeitslose für ihre Integration in den Arbeitsprozess fit zu machen. ({11}) Wenn wir Weiterbildung aber als permanente Aufgabe, als vierte Säule des Bildungssystems, betrachten, dann geht es um 33 Millionen Menschen. Dies geht nicht mehr über die Arbeitskosten. Die Vernetzung von Ausund Weiterbildung wurde durch die Berufsbildungsreform vorangetrieben. Hier wollen wir jetzt mit der Einführung eines europäischen Qualifikationsrahmens ansetzen. Ich denke, der Antrag, den die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vorgelegt hat, stellt eine interessante und gute Vorarbeit dar. Die Koalitionsfraktionen werden diese Debatte im zuständigen Ausschuss ergänzen, indem sie einen gemeinsamen Antrag vorlegen. SPD und Union werden ein Fachgespräch vereinbaren, das dazu führen wird, dass ein solcher Antrag formuliert werden kann. Kollegin Hinz, ich bin mir sicher, dass alle Abgeordneten, die guten Willens sind, unserem Antrag werden zustimmen können. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Patrick Meinhardt von der FDP-Fraktion hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich das Wort dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Fraktion. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei aller Wertschätzung meines Kollegen Uwe Schummer muss ich sagen: Es waren einige in diesem Hause, die sehr intensiv und sehr frühzeitig mit den notwendigen Vorarbeiten für eine Reform der beruflichen Bildung begonnen haben. Was wir aus dieser Debatte mitnehmen können, ist, dass wir im zuständigen Ausschuss, im Bundestag insgesamt und auch gemeinsam mit dem Bundesrat einige Dinge auf den Weg gebracht haben, die langsam anfangen, positive Wirkungen zu zeigen. ({0}) An den Debatten, die wir gerade führen und die wir vorhin zum Aspekt der Weiterbildung geführt haben, wird aber auch deutlich, wie umfangreich das Thema Einführung eines europäischen Qualifizierungsrahmens ist. Ich möchte aus Sicht der SPD-Fraktion einige grundsätzliche Anmerkungen machen. Wir wissen: Einerseits will die Europäische Kommission Europa zu einem einheitlichen Arbeitsmarkt und zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum mit unbegrenzter Mobilität für Unternehmen und Arbeitskräfte entwickeln. Andererseits betont Art. 150 des EG-Vertrages, dass die Verantwortlichkeit für Bildung und berufliche Bildung bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt. Deshalb müssen wir sehr genau überprüfen, ob das Prinzip der offenen Koordinierung nicht vielleicht doch, sozusagen durch die Hintertür, zu einer Vereinheitlichung von Bildung und beruflicher Bildung führt, die aus unserer Sicht nicht positiv wäre. Hier müssen wir aufpassen. ({1}) Für die SPD-Fraktion ist die Entwicklung des euro- päischen Qualifizierungsrahmens daran zu messen, wie die Umsetzung vorangehen soll. Für uns sind das Be- rufskonzept und die Beschäftigungsfähigkeit, wenn man so will: die Beruflichkeit, grundlegender Maßstab bei der Betrachtung und der Erarbeitung. Was heißt Berufsprinzip? Das Berufsprinzip bindet Arbeitsqualifikationen an den betriebsübergreifenden oder betriebsexternen Arbeitsmarkt, orientiert sich an professionellen Standards, gibt Qualifizierungsansprü- che auf flexibel einsetzbare und vergleichsweise auto- nome verwertbare Qualifikationen. Unsere Berufsbilder lassen überbetrieblichen Einsatzfeldern genügend Raum, und das müssen wir auch zukünftig ermöglichen. 1) Anlage 5 Für uns ist das Berufsprinzip gestaltende Kraft und das Identifikationsmedium der Wirtschaft und der Selbstverwaltung in diesem Themenfeld. Arbeitnehmerund Arbeitgeberorganisationen arbeiten vertrauensvoll zusammen. Damit sind beliebigen Formen und Inhalten von Teilqualifizierungen natürliche Grenzen gesetzt. Dieses Prinzip muss erhalten bleiben. ({2}) Für uns heißt Berufsprinzip auch: Vollständigkeit, Einheitlichkeit und Systemanteile eines Qualifizierungsprozesses oder auch Unteilbarkeit und Ganzheitlichkeit von Qualifikationsprofilen. Berufsprinzip ist berufliche Handlungskompetenz und - nicht zu vergessen - gesellschaftlicher Status von Facharbeit, der Voraussetzung sowohl beruflicher Identität als auch angemessener Entlohnung ist. Vorhin wurde in einem Beitrag sehr deutlich von Schule, Ausbildung und Beruf gesprochen. Es heißt nicht: Schule, Ausbildung und Tätigkeit. Es heiß immer noch: Beruf. Diese Identifikation muss auch in Zukunft vorhanden sein. ({3}) Deshalb darf es bei der Einführung eines EQR und ECVET, also von Leistungspunkten, und beim nationalen Qualifizierungsrahmen nicht zu den Entwicklungen kommen, die ich jetzt beschreiben werde. Wir wollen keine Zergliederung der beruflich geschnittenen Qualifikation in einzelzertifizierbare Lerneinheiten. Man kann diese Lerneinheiten übrigens, wenn man es so machen würde, zu Kompetenzpatchworks addieren. Das ist aber nicht mit einem Berufskonzept unterlegt. Wir wollen auch keine engen spezialisierten Tätigkeiten, die nur einen Teilaspekt beinhalten. ({4}) Wir wollen ebenso wenig eine Fragmentierung von Bildungsgängen in Modulen, die dazu führt, dass Lernprozesse nicht mehr auf breite Felder verwandter Tätigkeiten ausgerichtet werden, sondern nur noch schmale Ausschnitte derselben getestet werden. Das kann es nicht sein. Wir wollen ebenso wenig eine Individualisierung von Ausbildungswegen. Gesellschaftlich geplante und normierte Lernprozesse werden durch solche abgelöst, die bestenfalls vom einzelnen Jugendlichen oder Betrieb geplant würden, ansonsten aber aus dem Angebot von Bildungsanbietern, zufälligen Arbeitseinsätzen und lebensweltlichen Erfahrungen resultieren. Die Verlagerung der Identifizierung und Anerkennung von Qualifikationen auf Zertifikationsorganisationen sowie einzelne Betriebe wird nach unserer Auffassung dem Berufsrahmen und der Dualität nicht gerecht. Die Privatisierung ist an dieser Stelle falsch und bedeutet letztlich Dequalifizierung. Das darf nicht passieren. Ich will einige Punkte nennen, die wir zugespitzt betrachten müssen und über die wir im Ausschuss und im Plenum diskutieren werden. Welche wesentlichen Punkte einer europäischen Berufsbildungspolitik sind eigentlich mit unserem dualen System vereinbar und sinnvoll? Wie gehen wir mit der Ganzheitlichkeit um? Was machen wir mit den Modulen? Wie werden die Kompetenzen erbracht und wie werden sie bewertet? Welche Möglichkeiten sehen wir im Ansatz der Freiwilligkeit bei der Einführung des europäischen Qualifizierungsrahmens? Ich glaube, das geht nur über Freiwilligkeit. Wie kann eine ausreichende Erprobungsphase mit allen relevanten Akteuren der beruflichen Bildung als unabdingbar erreicht werden? Unser Prinzip „vom Novizen zum Meister“ darf nicht zerstört werden. Wir stellen fest, dass Meister Auszubildende über mehrere Jahre hinweg an ihrem Arbeitsplatz beobachten und ihre Bewertung erst nach mehreren Jahren abgeben, während Gutachter anhand bestimmter Vorgänge oder einer kleinen Auswahl Beurteilungen treffen. Das ist ein Unterschied, den wir in dieser Frage berücksichtigen müssen. ({5}) 1996 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Kongress der europäischen Staaten organisiert, die duale Berufsausbildungen durchführen; dieser Prozess diente der Standortbestimmung. Ich empfehle dem Haus, eine Nachfolgeveranstaltung auf den Weg zu bringen, damit die ganzheitliche Berufsausbildung im europäischen Qualifizierungsentwicklungsprozess nicht unter die Räder kommt. Eine solche Nachfolgeveranstaltung der Staaten, die eine duale berufliche Ausbildung haben, wäre zur Abstimmung und Bündelung des Qualifizierungsentwicklungsprozesses sehr hilfreich. ({6}) Wir sollten beobachten, wie die Debatte über einen nationalen Qualifizierungsrahmen in Großbritannien verläuft. Wir wissen, dass gerade britische Wissenschaftler die wesentlichen Vorarbeiten für das derzeitige Gedankengut des europäischen Qualifizierungsrahmens entwickelt haben. Wenn man sich die Debatte in der englischen Wissenschaft anschaut, stellt man fest, dass dort auch sehr gezielt diskutiert wird, ob der englische Weg von Teilqualifizierungen, von Units, von Lerneinheiten etc. der richtige ist. Ich meine, wir sind gut beraten, dieses mit zu berücksichtigen. Wir als SPD wollen bei der Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik die genannten Ziele im Auge behalten. Wir brauchen auch zukünftig eine gesellschaftliche Verantwortung für Bildungszugang und Bildungsinhalte. Der Zugang zu qualifizierter beruflicher Bildung ist den Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern auch zukünftig zu gewähren. Wir wollen die Rechte der Selbstverwaltung in der beruflichen Bildung, also der Sozialpartner, wahren und stärken; damit beziehen wir sie in die gesellschaftliche Entwicklung ein. Die angesprochene Vergleichbarkeit und Gleichheit allgemeiner und beruflicher Bildung ist ebenso wichtig und muss berücksichtigt werden. Zur Durchlässigkeit habe ich etwas gesagt. Die Debatte über die Weiterbildung, die wir hier eben geführt haben, zeigt, wie notwendig und wichtig sie ist. Die Wirtschaftsministerkonferenz der Bundesländer hat sich im Dezember 2005 ebenfalls mit dem EQR und den ECVET-Prinzipien auseinander gesetzt. Auch hier wurde die Forderung nach dem Erhalt des Berufsprinzips laut. Die Definition von Lerneinheiten muss im Rahmen des Berufskonzeptes erfolgen. Betriebliches Erfahrungslernen muss angemessen eingeordnet werden können. Deskriptoren und Niveaustufen sind zu überprüfen. Wir brauchen einen angemessenen Raum für die gründliche Erprobung in Form von Projekten und Einzelaktivitäten. Auch wir sind dafür, die Weiterentwicklung dieses Prozesses ruhig, sachgerecht und ohne Hast zu begleiten. Die Entwicklung eines NQR, eines nationalen Qualifizierungsrahmens, wird von zentraler Bedeutung sein; wir haben darüber in einem internen Workshop mit Experten erste Gespräche geführt. Ich will schließen: Die europäische Akzeptanz sollten wir bei der Gestaltung dieser Prozesse nicht unterschätzen. Ein europäischer Qualifizierungsentwicklungsprozess kann nur auf den Weg gebracht werden, wenn es gelingt, die Sozialpartner - die Organisationen und nicht zuletzt die jungen Menschen - mitzunehmen. Die SPD wird dies kritisch begleiten. Es wäre schön, wenn wir das im Ausschuss gemeinsam auf den Weg bringen könnten. Wir wollen die bewährten Prinzipien der dualen Berufsausbildung erhalten; sie dürfen nicht unter die Räder kommen; der Koalitionsvertrag gibt uns den Auftrag hierzu. Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Ostern und danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort die Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den heutigen Antrag zunächst vielen Dank an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir begrüßen ausdrücklich die Forderung nach einer öffentlichen Debatte über den europäischen und den nationalen Qualifikationsrahmen. Ich möchte für die Fraktion Die Linke drei Anforderungen nennen, die für uns dabei entscheidend sind. Der erste Punkt betrifft die unter anderem von den Gewerkschaften geäußerten Befürchtungen, der Qualifikationsrahmen könnte ein Einfallstor für weitere Bildungsprivatisierungen sein. Diese Befürchtungen sind aus unserer Sicht berechtigt. Es ist bekannt, dass sich die Bildungsindustrie gerade von so genannten sekundären Bildungsdienstleistungen wie der Entwicklung von Testverfahren und Bewertungsmaßstäben oder von der Zertifizierung von Qualifikationen die größten Gewinne verspricht. Wenn man sich die Gestaltung des Qualifikationssrahmens ansieht, ist offensichtlich, dass der Bedarf nach ebendiesen Dienstleistungen zunehmen wird. Wir sagen deshalb ganz klar: Bei der Diskussion über den Qualifikationsrahmen muss von vornherein festgehalten werden, dass die Bewertung und Zertifizierung von Qualifikation eine öffentliche Aufgabe ist. ({0}) Ansonsten führt der Qualifikationsrahmen nur zu einer wesentlich teureren Dokumentation der Bildung, aber nicht zu einer besseren Bildung. ({1}) Gewinner sind dann nicht die Lernenden, sondern Akkreditierungsinstitute und Testagenturen. Das wollen wir definitiv nicht. ({2}) Das Stichwort „bessere Bildung“ bringt mich zu unserem zweiten Punkt. Im Antrag der Grünen wird gefordert, durch den Qualifikationsrahmen solle die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöht werden. Wir sind der Ansicht, dass man sich diesen Begriff und diese Forderung noch einmal sehr viel genauer anschauen muss; denn im Prinzip ist das exakt das gleiche Bildungsverständnis, das sich auch in der Lissabonstrategie der EU widerspiegelt. Nach dem, was man in den entsprechenden Dokumenten lesen kann, ist ganz deutlich, dass es das Ziel von Bildung ist, dass die Menschen mit Instrumenten ausgestattet werden, die sie benötigen, um sich an den sich wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen. Die Fraktion Die Linke teilt dieses Bildungsverständnis nicht. Bildung hat für uns nicht die Aufgabe, dass Menschen möglichst störungsfrei in den Arbeitsmarkt eingepasst werden. ({3}) Für uns muss Bildung die Menschen dazu qualifizieren, eine aktive und gestaltende Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen zu können. Dazu gehört natürlich auch die Teilnahme am Erwerbsleben, aber nicht Anpassung, sondern Hinterfragen muss das primäre Ziel von Bildung sein. ({4}) Damit komme ich zum letzten Punkt. Im Antrag der Grünen und auch in der ersten Stellungnahme des BMBF wird eine umfassende Evaluationsphase bei der Einführung des Qualifikationsrahmens gefordert. Das finden wir richtig. Eine solche Evaluation macht aber nur dann Sinn, wenn wir uns auch darüber verständigen, nach welchen Kriterien wir evaluieren wollen. Wir schlagen hier vor, die Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens mit dem Ziel zu verknüpfen, soziale Unterschiede in den betreffenden Bildungsphasen abzubauen. Im Koalitionsvertrag gibt es hierzu schon einige richtige Ansätze, ({5}) etwa die Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen mit Berufsabschluss. Mit der Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens können wir solche Ansätze weiterverfolgen. Unser Fazit lautet also: Mit diesen drei Punkten kann der Qualifikationsrahmen ein Instrument für eine bessere Bildung und auch für ein Mehr an Chancengleichheit sein. Dann findet er unsere volle Unterstützung. Vielen Dank und ich wünsche Ihnen erholsame Ostertage. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1063 und 16/1127 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: 30 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Horst Friedrich ({0}), Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - Drucksache 16/473 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung - Drucksache 16/519 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Die Kolleginnen und Kollegen Patricia Lips, Florian Pronold, Dr. Volker Wissing, Dr. Barbara Höll und Kerstin Andreae haben ihre Reden dazu zu Protokoll ge- geben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent- würfe auf den Drucksachen 16/473 und 16/519 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 31 sowie Zusatzpunkt 9: 1) Anlage 6 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt 31 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Sevim Dagdelen, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution - Rechtsstellung der Opfer stärken - Drucksache 16/1006 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschenhandel bekämpfen - Opferrechte weiter ausbauen - Drucksache 16/1125 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auch hier haben die Kolleginnen ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben. Es handelt sich um folgende Kollegin- nen: Michaela Noll, Renate Gradistanac, Ina Lenke, Karin Binder und Irmingard Schewe-Gerigk.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1006 und 16/1125 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/1006 zu Tagesordnungspunkt 31 soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Auch ich wünsche Ihnen eine erholsame Osterpause und frohe Ostern. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 10. Mai 2006, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.