Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/4/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in unsere Tagesordnung habe ich einige wenige Mitteilungen zu machen. Unser Vizepräsident Dr. Wolfgang Thierse hat am 22. Oktober seinen 65. Geburtstag begangen. Dazu möchte ich ihm im Namen des Hauses unsere herzlichen Glückwünsche übermitteln; ({0}) wir werden das auch noch in angemessener Weise würdigen. Der Kollege Joachim Günther beging am gleichen Tag seinen 60. Geburtstag, die Kollegin Rita Pawelski am 29. Oktober. Im Namen des Hauses Ihnen allen alle guten Wünsche für das nächste Jahr und die kommenden Lebensjahre! ({1}) Die Kollegen Jörg Rohde und Martin Zeil haben am 1. November auf ihre Mitgliedschaften im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger begrüße ich herzlich die neuen Kollegen Dr. Daniel Volk und Dr. Erwin Lotter. ({2}) Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit! Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 1 auf: Eidesleistung der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 27. Oktober 2008 Folgendes mitgeteilt: Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Herrn Horst Seehofer, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen. In einem weiteren Schreiben vom 31. Oktober 2008 hat mir der Herr Bundespräsident mitgeteilt: Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - gleiche Fundstelle ({3}) habe ich heute auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin Frau Ilse Aigner zur Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ernannt. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid. Frau Bundesministerin Aigner, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. ({4}) Ich darf Sie, Frau Bundesministerin, bitten, den im Grundgesetz vorgesehen Eid zu leisten.

Ilse Aigner (Minister:in)

Politiker ID: 11003028

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Bundesministerin hat den nach dem Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet. Ich darf ihr in Ergänzung der gerade stattgefundenen eindrucksvollen persönlichen Gratulationskur nun auch die geballten guten Wünsche und die Gratulation des ganzen Hohen Hauses übermitteln. IhRedetext Präsident Dr. Norbert Lammert nen, verehrte Frau Aigner, wünschen wir für die Übernahme des neuen Amtes Freude, Erfolg und Gottes Segen. ({0}) Ich möchte gleichzeitig dem ausgeschiedenen Bundesminister Horst Seehofer für seine Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung herzlich danken und auch ihm für die neue Aufgabe alles Gute wünschen. Wir werden ihn ja ganz sicher gelegentlich auf der anderen Seite, der Bundesratsbank, in neuer Funktion erleben und dann Gelegenheit haben, die einen oder anderen guten Wünsche oder Hinweise vorzutragen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({1}) und 1373 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 16/10720 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich sehe, dass dazu Einvernehmen besteht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier, das Wort. ({4})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag gesagt - wir erinnern uns -: Der Kampf gegen den Terror, der Kampf gegen al-Qaida wird wohl einen langen Atem brauchen. Auch wenn es in Europa und den USA von heute aus gesehen seit mehreren Jahren keinen Anschlag der al-Qaida mehr gegeben hat und Afghanistan heute nicht mehr die Brutstätte und das Trainingszentrum für die al-Qaida-Terroristen ist, bleibt es dennoch dabei: Die Gefahr ist in der Tat nicht gebannt. Sie hat sich aber verändert. Darum müssen wir diese Mandate, durch die der Rahmen für unser militärisches Engagement in Afghanistan gegeben wird, auch an veränderte Situationen und neue Herausforderungen anpassen. Das entspricht dem, was viele von Ihnen gefordert haben, nämlich kein simples „Weiter so!“. Das gilt auch für das ISAF-Mandat und auch für das OEF-Mandat, meine Damen und Herren. ({0}) Es hat sich in Afghanistan in der Tat die Erkenntnis durchgesetzt - das haben wir alle hier in vielen Debatten miteinander ausgesprochen -, dass der Kampf gegen den Terror nicht allein mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist und dass wir mehr für den Wiederaufbau von Institutionen und für den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur tun müssen. Darum ist die Zahl der Soldaten für die ISAF-Mission, die neben der Gewährleistung von Sicherheit eben auch den zivil-militärischen Aufbau des Landes sicherstellt, in den letzten Jahren von 10 000 auf 50 000 angewachsen, während sich in der gleichen Zeit die Zahl der bei OEF eingesetzten Soldaten von 20 000 auf etwa 10 000 halbiert hat. Auch im Norden Afghanistans spiegelt der Einsatz unserer Bundeswehr durchaus diese Entwicklung wider. Auch wir haben in der Tat die Zahl der Soldaten unter ISAF erhöht, auch, um den militärischen Wiederaufbau abzusichern, auch, um mit den zusätzlich eingesetzten Soldatinnen und Soldaten Polizeiausbildung und vor allen Dingen Armeeausbildung zu betreiben, damit die Regierung dieses Landes nach und nach mehr in die Lage versetzt wird, für Sicherheit und Ordnung im eigenen Land zu arbeiten. Dafür sind unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Das ist - der Überzeugung bin ich - ein weiterhin sinnvoller und notwendiger Einsatz. ({1}) Gleichwohl - auch das gehört dazu - müssen wir uns mit der Veränderung der Lage in der Region auch stärker um Pakistan kümmern. Sie wissen, dass ein Teil der alQaida, die früher in Afghanistan tätig und präsent war, nach Pakistan ausgewichen ist und dort teilweise unkontrolliert agieren kann. Deshalb muss es uns gelingen, Pakistan zu stabilisieren. Das kann uns nur gelingen, wenn wir mit der Regierung in Islamabad und dem neu gewählten Präsidenten zusammenarbeiten. Ich füge auch hinzu: Keine Hilfe sind die grenzüberschreitenden Luftschläge. Das trägt nicht zur Stabilisierung dieser Regierung bei, wie ich jüngst bei meinem Besuch in Pakistan erfahren konnte. ({2}) Konkrete Politik hilft da sehr viel mehr. Darum bemühen wir uns durch Gespräche mit der Regierung in Pakistan oder wie zuletzt auf der Reise nach Pakistan und in die Golfstaaten. Worum geht es nämlich? Neben der Bekämpfung von Terrorismus geht es darum, Pakistan insgesamt zu stabilisieren und dieses Land und seine Regierung fähig zu halten, Terrorismus im eigenen Land zu bekämpfen. DaBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier rum beteiligen wir uns mit anderen an einer internationalen Pakistan-Freundesgruppe. Wir treffen uns bereits am 17. November in Abu Dhabi. Daran mögen Sie erkennen, warum es sinnvoll ist, das Rettungsseil, das wir Pakistan jetzt mit der möglichen Bereitstellung von IWF-Krediten hingehalten haben, an möglichst vielen Stellen auf der Erde zu verankern. Dafür brauchen wir die Golfstaaten. Ich bin jedenfalls froh, festzustellen, dass in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten offensichtlich Bereitschaft besteht, Pakistan im Konzert mit anderen zu unterstützen. Was bedeuten die Veränderungen, von denen ich spreche, insgesamt für die deutsche Beteiligung am OEFMandat? Wir ziehen jetzt die Konsequenzen daraus, dass es seit mehreren Jahren keine deutschen OEF-Einsätze mehr in Afghanistan gegeben hat. Wir haben deshalb die für den Afghanistan-Einsatz vorgesehenen Spezialkräfte aus dem OEF-Mandat herausgenommen. In Zukunft werden wir uns in Afghanistan militärisch nur noch im Rahmen von ISAF engagieren. Das ist gleichzeitig der Grund, weshalb wir die Personalobergrenze von 1 400 auf zukünftig 800 Soldaten reduzieren. Wir werden damit weiterhin an der Mission teilnehmen können, die im Mittelmeer bzw. am Horn von Afrika operiert, und da die Bewegungsfreiheit von Terroristen und ihren Unterstützern auch weiterhin nachhaltig einschränken können. Das beinhaltet noch nicht - um auch das vorweg zu sagen - den Kampf gegen Piraterie in der Region. Dazu wird die Bundesregierung ein gesondertes Mandat vorlegen, das die Beteiligung Deutschlands an einer geplanten EU-Mission regeln wird. Herr Präsident, meine Damen und Herren, das OEFMandat ist nur ein Faktor in unserer vielfältigen Arbeit für Sicherheit und Stabilität in Afghanistan. Ich weiß, dass nach der Rechtsgrundlage gefragt wird. Debattiert worden ist darüber auch in den Fraktionen. Ich will deshalb noch einmal darauf hinweisen: Dieser Einsatz ist nach wie vor durch das Recht auf Selbstverteidigung durch Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gedeckt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das mehrfach bekräftigt und diesen Einsatz, wie Sie wissen, auch mehrfach positiv gewürdigt. Alles in allem ist das Grund genug, um Sie als Mitglieder des Deutschen Bundestages um eine breite Zustimmung zu einer Verlängerung des OEF-Mandates zu bitten. Das wäre nicht nur ein politisches Signal, dass wir uns aus der Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft nicht verabschieden; es wäre vor allen Dingen auch ein starkes Zeichen für unsere Soldatinnen und Soldaten, die bei ihrem Einsatz für unsere Sicherheit Leib und Leben riskieren. Wir schulden unseren Soldaten dafür nicht nur Dank; wir schulden ihnen dafür vor allen Dingen unsere volle Unterstützung. ({3}) Ich appelliere deshalb an das Hohe Haus: Bitte geben Sie den Soldatinnen und Soldaten die notwendige politische Rückendeckung! Ganz herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Stinner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion wird dem Mandatsantrag der Bundesregierung zustimmen. Aber diese Zustimmung ist mit vielen Fragenzeichen und vielen Forderungen unsererseits an die Bundesregierung verbunden. Das jetzige Mandat unterscheidet sich wesentlich von dem vorherigen Mandat, und zwar vor allem deshalb, weil diesmal zum ersten Mal die Unterstützung der OEF in Afghanistan nicht einbezogen ist. Das heißt, dass die 100 KSK-Kräfte nicht mehr mandatiert werden. Diese Änderung des Mandats ist eindeutig parteipolitisch motiviert. Herr Außenminister, das ist die weiße Salbe, die Sie auf die Wunden Ihrer SPD-Fraktion auftragen; denn in der SPD-Fraktion ist seit jeher die Diskussion über das „gute“ ISAF-Mandat und das „schlechte“ OEF-Mandat im Gange. Das möchte man abmildern, bzw. diesem möchte man ausweichen, indem man diesmal das Mandat entsprechend ändert. Es erscheint uns allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, als ob Sie die Tatsache verbergen möchten, dass Spezialkräfte in Afghanistan noch eingesetzt werden. Deswegen wiederhole ich ganz deutlich, was wir in einem Entschließungsantrag zur Verlängerung des ISAF-Mandats vor einigen Wochen gesagt haben: Selbstverständlich ist es auch in Zukunft möglich, KSK-Kräfte in Afghanistan einzusetzen. Es obliegt allein und ausschließlich der militärischen Führung, die Kräfte einzusetzen, die sie für notwendig hält, um das Mandat zu erfüllen. ({0}) Aufgabe des Parlamentes, unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die eingesetzten Soldaten richtig ausgebildet und vor allem richtig ausgerüstet sind. ({1}) Dazu gibt es gerade im Hinblick auf Afghanistan eine ganze Reihe von Fragen. Unsere Soldaten in Afghanistan sind nicht nur dazu da, Sicherheit in Afghanistan herzustellen. Sie dienen auch dazu, die Sicherheit in Deutschland zu erhalten und zu fördern. Auch das ist ihr Auftrag in Afghanistan. Wir haben eine Kleine Anfrage zur Ausrüstung der Soldaten in Afghanistan an die Bundesregierung gestellt. Interessanterweise - oder frevelhafterweise - sind die Antworten klassifiziert worden. Das heißt, sie sind vertraulich gegeben worden, sodass mit ihnen politisch nicht gearbeitet werden kann. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das wirft ein schlechtes Licht auf das, was Sie in Afghanistan tun. Natürlich wird dadurch das Vertrauen der Bevölkerung und auch der Soldaten, dass wir das Richtige tun, nicht gerade gefördert. Ich bitte Sie herzlich, diese Ihre Entscheidung nachhaltig zu überdenken. ({2}) Ich verhehle nicht, dass die völkerrechtliche Grundlage dieses Mandates auch in unserer Fraktion wieder zu umfangreichen Diskussionen geführt hat. Selbstverständlich ist es richtig, die Frage zu stellen, ob die Begründung noch Bestand hat. Wir müssen darüber diskutieren, ob das Selbstverteidigungsrecht und der Angriff nach Art. 5 des NATO-Vertrages noch heute, sieben Jahre später, Grundlage sein können. Für uns gilt: Ad infinitum kann diese Begründung nicht dafür herhalten, dieses Mandat fortzuführen. Wir müssen darüber gemeinsam nachdenken. Kern dieses neuen Mandats ist also der Marineeinsatz am Horn von Afrika. Es ist ohne jeden Zweifel in unserem deutschen Interesse, dass die Seewege am Horn von Afrika sicherer werden. Wir als größte Exportnation dieser Welt haben ein vehementes eigenes, nationales Interesse daran, dass diese Wege sicher sind. Deshalb ist der Einsatz deutscher Soldaten dort sinnvoll und richtig. ({3}) Was machen aber nun unsere Soldaten am Horn von Afrika? Genauso wichtig ist die Frage: Stimmen eigentlich die Regeln, unter denen sie arbeiten, mit ihrem Auftrag heute noch überein? Im Antrag zur Erteilung des Mandats steht wörtlich, es sei Aufgabe, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen …“. Wie können aber Soldaten das machen, wenn sie zum Beispiel ein Schiff gegen den Willen des Kapitäns nicht betreten dürfen? Ganz zu schweigen von der Anwendung militärischer Gewalt, wenn es sich nicht um eng definierte Nothilfe handelt. Wie können eigentlich deutsche Soldaten Führungs- und Ausbildungsstrukturen ausschalten, wenn sie militärisch nur im Rahmen eng begrenzter Nothilfe vorgehen können? Das sind offene Fragen, ({4}) denen wir uns stellen müssen. Das sind nicht Fragen des Mandats, meine Damen und Herren von der Regierung, das sind Fragen, die die Bundesregierung beantworten muss. Es ist Ihre Aufgabe, für unsere Soldaten eindeutige Regeln festzulegen, damit sie den Auftrag, den wir ihnen hier geben, wirklich erfüllen können; denn wenn wir unsere Soldaten nicht mit einem klaren Auftrag und klaren Einsatzregeln versehen, bringen wir sie, wie geschehen - das erfahren wir alle, wenn wir in Einsatzgebieten sind -, in eine unmögliche, in eine ungünstige Situation. Das dürfen wir unseren Soldaten nicht zumuten. Genauso schlimm ist: Wir machen uns leider häufig vor aller Welt lächerlich. Das gilt auch für das Problem der Abgrenzung zwischen Terrorismus und Piraterie. Die Bundesregierung hat bis dato immer wieder gesagt, das könne man klar voneinander abgrenzen. Ich sage Ihnen: Die deutsche Marine ist schon etwas klüger. Das Flottenkommando der deutschen Marine schreibt nämlich in einem Bericht, dass der grenzüberschreitende internationale Terrorismus, der von Piraterie und organisierter Kriminalität häufig nicht zu trennen sei, ebenfalls den freien Seeverkehr zum illegalen Transport von Waffen und Personen nutze. Hier ist eindeutig festgehalten, was unsere Partnernationen seit Jahren betonen. Selbstverständlich ist gerade am Horn von Afrika eine eindeutige Trennung zwischen Piraterie und Terrorismus nicht möglich. Unsere Partnernationen verfahren entsprechend. ({5}) Das heißt, sie gehen schon heute im Rahmen des OEFMandats gegen Piraterie vor, wo es möglich und geboten ist. Nur unsere Bundesregierung verstrickt sich hier in eine Debatte, die mittlerweile kein Mensch mehr richtig nachvollziehen und verstehen kann. Die Regierungsparteien sind in dieser Frage heillos zerstritten. Wir bekommen auf unsere Anfragen völlig unterschiedliche Mitteilungen vom Außenministerium und vom Verteidigungsministerium. So bestätigt zum Beispiel das Auswärtige Amt auf eine schriftliche Anfrage von uns, dass die Bundeswehr selbstverständlich Polizeiaufgaben im Ausland übernehmen dürfe und es selbstverständlich weder völkerrechtlich noch verfassungsrechtlich ein Problem sei, dass die Bundeswehr gegen Piraten vorgehe. Das ist die Aussage des Auswärtigen Amts. Das Verteidigungsministerium behauptet das Gegenteil. Herr Kossendey geht sogar so weit, die Nothilfe auf einen ganz engen Bereich zu begrenzen, nämlich auf den Moment der Piraterie und der Gefangennahme. Nach Aussage des Verteidigungsministeriums besteht Nothilfe dann nicht mehr, wenn die Piraten ein Schiff gekapert haben und mit Geiseln abgedampft sind. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Nothilfe besteht so lange, wie die Not für die betroffenen Menschen anhält. Das ist, glaube ich, eine eindeutige Definition. ({6}) Die Regierungspraxis steht im klaren Widerspruch zum Seerechtsübereinkommen, das wir, der Deutsche Bundestag, im Jahr 1994 ratifiziert haben. Darin ist das eindeutig geregelt. Ich kann auch hierzu nur sagen: Unsere Soldaten schütteln den Kopf darüber und unsere Verbündeten wundern sich ein weiteres Mal. Dieses Problem setzt sich leider fort. Wir haben im Rahmen der NATO einen Verband - er war sowieso auf dem Wege zum Horn von Afrika -, der jetzt auf Wunsch der Vereinten Nationen die Aufgabe übernehmen soll, Schiffe des World Food Programme am Horn von Afrika zu schützen. Sehr geehrte Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, die deutsche Bundesregierung, Ihre Bundesregierung, verhindert, dass deutsche Soldaten im Auftrag der Vereinten Nationen Lebensmittellieferungen schützen, die die Ärmsten dieser Welt erreichen sollen. Das ist deutsche Außen- und Sicherheitspolitik des Jahres 2008. Das kann so nicht weitergehen. ({7}) Es geht aber weiter. Jetzt ist die Rede davon, eine ESVP-Mission zur Bekämpfung der Piraterie zu unternehmen, wahrscheinlich ab Dezember. Es ist uns - übrigens, wie ich erkannt habe, auch vielen Kolleginnen und Kollegen der SPD - beim besten Willen nicht klarzumachen, wieso der Bezug auf Art. 24 des Grundgesetzes für die ESVP-Mission gilt und möglich ist, aber für die NATO-Mission nicht. Hier sind, glaube ich, Debatten im Gange, die völlig widersprüchlich sind. Deshalb sagen wir: Wir müssen Klarheit schaffen in den Regeln und in den Abgrenzungen zwischen der OEF-Mission und der ESVP-Mission. Hier gibt es erhebliche Schnittstellen. Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als wolle sie unter allen Umständen den Anschein verhindern, dass deutsche Soldaten schließlich auch einmal militärische Mittel einsetzen müssen. Deshalb agiert sie nach unserem Dafürhalten hier in einer unklaren Art und Weise. Mit diesem Verhalten lässt die deutsche Bundesregierung viele Soldaten im Stich, und wir machen uns, wie gesagt, international unglaubwürdig. Dies muss geändert werden. Sie sehen also: Wir haben uns die Entscheidung zu diesem Mandat weiß Gott nicht leichtgemacht. Wir haben weiterhin viele Fragen. Wir stimmen trotzdem zu, weil es als politisch Verantwortliche im Deutschen Bundestag unsere Aufgabe ist, die grundsätzlichen Weichenstellungen im Hinblick auf das, was zu tun ist, hier vorzunehmen. Aber wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie ihre Anstrengungen hinsichtlich der Art und Weise der Ausführung dieses Mandates wesentlich verbessert, damit Sicherheit und Vertrauen herrschen, nicht nur bei unseren Soldaten, sondern insbesondere auch bei denen, für die wir diese Aufgabe weltweit erfüllen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Bundesminister Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 11. September 2001 markiert eine sicherheitspolitische Zäsur. Auf diesen schrecklichen Anschlag hat die internationale Gemeinschaft geschlossen und einmütig reagiert. Ich denke, es ist eine wirkungsvolle Antwort im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gewesen. Bereits einen Tag nach den Anschlägen erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 1368 die Anschläge zur Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit, und der Nordatlantikrat hat den Bündnisfall ausgerufen. Deshalb war es folgerichtig, dass der Deutsche Bundestag erstmals am 16. November 2001 dem Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen der Operation Enduring Freedom zugestimmt hat. An dieser Grundlage und auch an der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus für unser Land hat sich bis heute nichts geändert. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir diesen Auftrag zur Bekämpfung der Gefahren für unser Land an der Quelle fortsetzen. ({0}) Seit Ende 2001 erbringen wir unseren Beitrag sowohl in Afghanistan als auch im Mittelmeer sowie im Seeraum rund um das Horn von Afrika. Es liegt im deutschen Interesse, den Terrorismus und dessen Verbindungslinien, seine Kommunikation und seinen Nachschub an der Quelle zu bekämpfen. Wir sind am Horn von Afrika mit einem Marineverband gemeinsam mit Koalitionskräften aus Australien, Frankreich, Großbritannien und Pakistan im Einsatz. Die deutschen Einheiten schützen in der Taskforce 150 die Seeverbindungslinien in einem Operationsgebiet, das vom Roten Meer über das Arabische Meer und den Golf von Oman bis hin zur Straße von Hormuz reicht. Der Auftrag beinhaltet Identifikation, Überwachung und Aufklärung. Der Seeverkehr im Einsatzgebiet wird umfassend beobachtet und dokumentiert. Ziel ist es, den Transport von Personen und Gütern, Waffen und Munition, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen, zu unterbinden. Sehr geehrter Kollege Stinner, leider geht das, was Sie in dem Zusammenhang zum Thema Pirateriebekämpfung gesagt haben, an der Realität vorbei; ich sage: an unserer Verfassung vorbei. Sie müssen sich schon dazu durchringen, einen Beitrag zur verfassungsrechtlichen Klarstellung zu leisten, wenn Sie das Ziel erreichen wollen, das Sie hier ansprechen. Ich bin nicht bereit, die Verfassung zu brechen. Wir sollten eine Klarstellung vornehmen, um die Chance zu haben, Piraterie in dem Umfang zu bekämpfen, den Sie eben eingefordert haben. ({1}) Es ist - ich sage es noch einmal - ein Einsatz zum Kampf gegen den Terrorismus, nicht gegen die Piraterie. Im Hinblick auf jene Bedrohung wird zurzeit die ESVPMission vorbereitet. Wir werden in dem Zusammenhang unseren Beitrag dazu leisten, dass auch dieser Gefahr wirkungsvoll entgegengetreten wird. Neben der Nothilfe kann man selbstverständlich auch prüfen, ob in Zukunft im Rahmen des OEF-Mandats eine Unterstellung unter das ESVP-Mandat möglich ist. Aber das bedarf dann auch der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Neben unseren Fregatten stellen wir mit unseren Seefernaufklärungsflugzeugen Orion fallweise auch Fähigkeiten zur Aufklärung aus der Luft zur Verfügung. Die Bundeswehr hält zudem Kräfte für luftgestützte medizinische Notfallversorgung durchgehend in Bereitschaft. Im Januar werden wir, wenn der Deutsche Bundestag diesem Mandat zustimmt, zum wiederholten Male für drei Monate die Führung dieser Taskforce übernehmen. Neben dem Einsatz am Horn von Afrika gehört die NATO-Operation Active Endeavour im Mittelmeer zu diesem Mandat. In wechselnder Stärke und Formation leisten wir hier ebenfalls unseren Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Kollege Stinner, ich finde, die Bilanz unseres Einsatzes kann sich sehen lassen. Wir haben mit unseren Kräften über 14 500 Abfragen von Schiffen, über 340 Stopps, detaillierte Befragungen von Schiffsbesatzungen, 70 Durchsuchungen, also Boardings, und über 70 Geleitaufträge für besonders schützenswerte Schiffe durchgeführt sowie zusätzlich diverse Hilfeleistungen für Schiffe in Not erbracht. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar, die einen wirkungsvollen Einsatz leisten - im Interesse der Sicherheit unseres Landes und im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. ({2}) Wir wollen die Diskussion über dieses Mandat aus der Zeit heraushalten, in der dieser Bundestag noch amtiert, ein neuer aber schon gewählt ist, und schlagen deshalb vor, das Mandat bis in den Dezember 2009 hinein zu verlängern. Des Weiteren wollen wir die derzeitige Obergrenze von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldaten zurückführen, weil dies im Hinblick auf unseren Einsatz sachgerecht ist. Außerdem haben wir die 100 Spezialkräfte bei OEF für das Einsatzgebiet Afghanistan herausgenommen. Diese Kräfte waren in den vergangenen Jahren eine wichtige Rückversicherung. Jedoch hat sich der Charakter von OEF in Afghanistan mit der schrittweisen Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit in ganz Afghanistan durch ISAF spürbar gewandelt. Natürlich kann die knappe Ressource der Spezialkräfte weiterhin im Rahmen von ISAF eingesetzt werden, falls dies in Afghanistan erforderlich ist. Wir wollen in unseren Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus nicht nachlassen, auch und gerade im Interesse unserer Sicherheit. Wir stellen uns mit unseren alliierten Partnern, mit der Weltgemeinschaft nachdrücklich und entschlossen gegen diese Geißel der Menschheit. Das ist ein wichtiger Teil unseres Beitrages, die Welt ein Stück friedlicher und sicherer zu machen. Deutschland wird und darf sich hier seiner Verantwortung nicht entziehen. Ich denke, wir können insgesamt stolz und dankbar hinsichtlich des Engagements unserer Soldatinnen und Soldaten sein, die gut ausgebildet und gut ausgerüstet sind und diesen Auftrag gut motiviert erfüllen. Er dient unseren Sicherheitsinteressen, den Sicherheitsinteressen unserer Bürgerinnen und Bürger. Ich bitte Sie deshalb um möglichst breite Zustimmung zur Fortsetzung unseres Engagements im Rahmen der Mandate zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, Operation Enduring Freedom und Operation Active Endeavour, in dem einen Fall am Horn von Afrika - in diesem Mandat haben wir im Übrigen das Seegebiet klar konkretisiert, in dem die Kräfte im Einsatz sind -, in dem anderen Fall im Mittelmeer; denn so können wir unseren Beitrag auch in Zukunft wirkungsvoll leisten. Ich denke, für diesen Einsatz im Interesse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnen und Soldaten eine breite Unterstützung dieses Parlamentes verdient. Recht herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Stinner noch einmal das Wort.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Minister! Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie mich direkt angesprochen haben. Das gibt mir die Möglichkeit, die Dinge noch einmal sehr deutlich darzustellen. Erstens. Dieses Parlament hat im Jahr 1994 das Seerechtsübereinkommen ratifiziert. In diesem Seerechtsübereinkommen steht ausdrücklich, dass die Vertragsstaaten gegen Piraterie auf hoher See auf der ganzen Welt vorgehen können - nicht müssen, aber können. Auf unsere Anfrage, ob denn Art. 25 des Grundgesetzes, der besagt, dass völkerrechtlich verbindliche Verträge auch für deutsches Recht bindend sind, auch für dieses Seerechtsübereinkommen gilt, hat die Bundesregierung eindeutig mit Ja geantwortet. Zweitens. Die zweite Ausrede, die Sie, Herr Minister, und Ihr Ministerium verwenden, ist, die Bundeswehr dürfe angeblich im Ausland keine Polizeiaufgaben wahrnehmen. Das ist falsch, Herr Minister. Die Bundeswehr nimmt schon gegenwärtig im Ausland in umfangreichem Maße Polizeiaufgaben wahr. Ich erinnere an den Kosovo, wo wir nach den Umständen des Jahres 2004 die Bundeswehr extra mit Polizeiausrüstung wie Schilden, Schlagstöcken und Reizgas versehen haben, damit sie polizeiähnliche Aufgaben wahrnehmen kann. Auch dieses Argument hilft also nicht. Drittens verweise ich auf meine eben schon gemachte Beschreibung der, wie ich finde, völlig unzuträglichen Eingrenzung des Begriffes „Nothilfe“ durch Ihr Ministerium. Das halte ich, Herr Minister, wirklich für völlig abwegig. Diese Eingrenzung muss aufgehoben werden. Nein, Herr Minister - ich komme zum Schluss, Herr Präsident -, Sie und Ihre Partei wollen - das hat auch die Ausschussberatung gezeigt - über eine Änderung des Art. 87 unseres Grundgesetzes etwas völlig anderes, und dafür haben Sie von Ihren Kollegen von der SPD in der Öffentlichkeit und in den Ausschüssen die Rote Karte bekommen. Deshalb gibt es weiterhin einen Konflikt in der Bundesregierung, auf den ich hingewiesen haben wollte. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Kollege Stinner! Wir haben die Diskussion schon im Ausschuss geführt. Ich will meinen Standpunkt aber gerne noch einmal vor dem Parlament deutlich machen. Erstens. Völkerrecht bricht nicht Verfassungsrecht. Für mich gilt die verfassungsrechtliche Grundlage unseres Grundgesetzes; daran werde ich mich halten. Zweitens. Wir bereiten zurzeit eine ESVP-Mission vor, die uns im Rahmen des Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz - da geht es um gegenseitige kollektive Sicherheit - die Rechtsgrundlage gibt, Piraterie wirkungsvoll zu bekämpfen. Das halte ich für richtig und notwendig. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag einem derartigen Mandat zustimmt, sodass wir einerseits im Rahmen unseres OEF-Mandates, über das wir jetzt beraten, den Terrorismus bekämpfen können und andererseits im Rahmen des zukünftigen Mandats, der ESVP-Mission, Piraterie bekämpfen können. Das dient unserer Seesicherheit und dem freien Seehandel. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geschieht ja nicht sehr oft, dass wir die Regierung loben. Aber in diesem Fall ist es angebracht, da Sie aus der Kritik die Konsequenz gezogen haben, den Antiterroreinsatz - zumindest in Afghanistan - einzustellen. Ich will nicht darüber reden, ob Sie sich vielleicht dadurch die Zustimmung zu einem Einsatz im Rahmen der ISAF erkaufen wollen, der sich ohnehin nicht mehr von dem Kampfeinsatz der OEF unterscheidet. Leider sind Sie auf halbem Wege stehen geblieben. Sie hätten die Bundeswehr vollständig aus diesem vollkommen falschen und auch völkerrechtswidrigen Einsatz zurückziehen müssen. ({0}) Sie wollen uns erneut weismachen, dass alles völkerrechtlich in Ordnung ist, und verweisen dann auf das Selbstverteidigungsrecht in Art. 51 der UN-Charta. Das mag ja unmittelbar nach den Anschlägen am 11. September zugetroffen haben. Aber ein Krieg von sieben Jahren gegen einen Feind, der kein Staat und keine Regierung ist, sondern der sich über ein Netzwerk von über 60 Staaten verteilt, hat mit dem Selbstverteidigungsrecht nach der UN-Charta nichts mehr zu tun. ({1}) Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch daran festhalten? Glauben Sie, dass Sie das, was Sie in sieben Jahren nicht geschafft haben, nämlich al-Qaida militärisch zu besiegen, im nächsten Jahr schaffen werden? Ich sage Ihnen: niemals. Sie benutzen OEF als Generalermächtigung für militärische Abenteuer, die nun ihren Schwerpunkt auf See haben sollten. Sie verweisen auf die unsichere Situation am Horn von Afrika und die Gefahren für Handelswege, auf denen Gas, Öl und andere lebenswichtige Rohstoffe zu uns kommen. Natürlich ist sind diese Handelswege für die Industrieländer von eminenter Bedeutung. Aber die Frage ist: Rechtfertigt das eine Antiterrormission wie die OEF? Die Bundeswehr - Herr Jung, wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie das zugeben - dümpelt seit Jahren im Rahmen von OEF dort herum. Sie hat bisher noch keinen einzigen Terroristen aufgespürt. Konsequenterweise müsste sich die Bundeswehr von dort endlich zurückziehen. Stattdessen instrumentalisieren Sie das Piraterieproblem, um weiterhin am Horn von Afrika militärisch präsent zu sein. Dabei verfolgen Sie eine ganz gefährliche militärische Doppelstrategie: zum einen Maßnahmen gegen die Piraten im Rahmen der EU - es gibt dazu Vorbereitungen - und zum anderen Maßnahmen gegen Terroristen im Rahmen der OEF. Ich sage Ihnen aber: Wie bei ISAF und OEF wird auch hier wieder eine Vermischung stattfinden. Herr Stinner, ich gebe Ihnen in diesem Punkt vollkommen recht; ich brauche Ihre Äußerung dazu nicht zu wiederholen. Denn wer kann schon im Ernstfall Piraten von Terroristen unterscheiden? Wir sind gegen eine solche Mission. Sie lösen damit weder das Problem des Terrorismus noch das Problem der Piraterie. Sie schicken vielmehr die Soldaten immer wieder an neue Kriegsschauplätze. Dagegen sind wir. ({2}) Die Sicherheit am Horn von Afrika und die Bekämpfung von Piraten und Terroristen sind nur mit einer Stabilisierung der staatlichen Ordnung und mit Bekämpfung der Armut zu erreichen. Das ist nur mit politischen Mitteln und mit ökonomischer Unterstützung möglich, niemals militärisch. Dabei ist es gleichgültig, ob die Truppen aus der Afrikanischen Union, der EU, der UNO oder der NATO kommen. Selbst die Briten - das kann man nachlesen - haben jüngst den militärischen Ansatz und die Militarisierung des Antiterrorkampfes durch die USA als vollkommen falsches Konzept kritisiert. Sie machen uns immer den Vorwurf, dass wir zwar gegen den Einsatz des Militärs seien, aber keine Alternativen hätten. Diese liegen aber auf der Hand. Schauen Sie sich einmal die umfassenden Aktivitäten der UNO an, die sie nach dem 11. September gegen den internationalen Terrorismus unternommen hat. Es gibt zahlreiche Resolutionen und insgesamt zwölf Antiterrorkonventionen, in denen die Staaten zu ganz konkreten Maßnahmen aufgerufen werden. An keiner Stelle ist vom Einsatz des Militärs die Rede. Gestehen Sie sich endlich ein, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan für das Erstarken des internationalen Terrorismus ganz wesentlich verantwortlich sind. ({3}) Um die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen, um gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die den Menschen ein Leben ohne Armut und Gewalt, einen Weg aus Krieg und Perspektivlosigkeit bieten, was der Nährboden des Terrorismus ist, braucht es ziviler Instrumente und nicht des Militärs. Die Bundeswehr ist dafür ganz und gar ungeeignet. Deswegen fordern wir Sie auf: Beenden Sie die deutsche Beteiligung an OEF! Wir werden diesem Mandat nicht zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Winfried Nachtwei, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum siebten Mal haben wir im Bundestag über die Verlängerung der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom zu diskutieren und zu entscheiden. Ich erinnere mich noch sehr genau: Im November 2001 war diese Entscheidung in den beiden Koalitionsfraktionen der SPD und der Grünen äußerst umstritten. Man kann sagen, dass sich in den Jahren danach die Befürchtungen, die wir damals im November hatten, nicht bestätigt haben. Im Gegenteil: Die Dinge sind in Afghanistan zunächst viel besser gelaufen. Bis 2005 - da waren wir wieder in der Opposition - waren wir nach Abwägung verschiedener Aspekte der Meinung, dass Enduring Freedom weiterhin notwendig sei, um die zu diesem Zeitpunkt schwache ISAF in Afghanistan stärken zu können. Das war damals die Haltung. Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Der internationale Terrorismus stellt weiterhin eine Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens dar und muss weiterhin bekämpft werden. ({0}) Überwiegender Konsens ist sicher auch, dass er auf der einen Seite nicht primär militärisch bekämpft werden kann, dass dabei auf der anderen Seite aber auch der Einsatz militärischer Mittel notwendig sein kann. Allerdings reicht es bei Mandatsentscheidungen ganz und gar nicht, nur zu diesen Grundsätzen etwas zu sagen. Entscheidungen über solche Mandate und solche Einsätze sind ja schließlich keine Bekenntnisfragen. Vielmehr muss konkret beantwortet werden, ob dieser Einsatz weiterhin zur Gewalt- und Terroreindämmung sicherheitspolitisch dringlich ist, ob er weiterhin legitim und legal ist und ob er überhaupt geeignet, wirksam und verantwortbar ist. Dass die Bundesregierung nun für Afghanistan die Landkomponente im Rahmen des Kommandos Spezialkräfte abgemeldet hat, ist ein richtiger Schritt. Allerdings muss man nüchternerweise hinzufügen: Dies ist seit einigen Jahren überfällig. Im Untersuchungsausschuss, der aus dem Verteidigungsausschuss hervorging, haben wir herausfinden müssen, dass das KSK im Rahmen von Enduring Freedom in Afghanistan seit 2002 militärisch gar nicht mehr gebraucht wurde. Danach ist es dort nur aus symbolpolitischen Gründen gehalten worden, im Grunde als Solidaritätsbeweis gegenüber den USA. Gerade als Verteidigungspolitiker möchte ich feststellen: Es ist vor allem gegenüber den Soldaten falsch und verantwortungslos, sie aus symbolpolitischen Gründen einzusetzen und zu missbrauchen. ({1}) Das heißt im Klartext, Herr Minister Jung und Herr Minister Steinmeier: Da dieser Teileinsatz jetzt zu Ende ist, muss auch endlich ein Abschlussbericht vorgelegt werden. Das ist bisher nicht geschehen. Bisher hat dazu der Verteidigungsausschuss den bei weitem besten Bericht vorgelegt. Zur anderen Komponente, zum Horn von Afrika. Seit Jahren stellen wir fest, dass der reale Einsatz mit dem Auftrag, terroristische Kräfte an ihren Bewegungsmöglichkeiten zu hindern, nichts mehr zu tun hat. Wenn man die Admirale fragt, was sie erkunden, dann erhält man die Antwort, dass sie alles mögliche andere erkunden, aber nicht terroristische Bewegungen. Deshalb ist das Mandat in diesem Bereich schlichtweg nicht ehrlich. ({2}) Es gibt andere Sicherheitsrisiken, die man klar mit einem UN-Mandat angehen muss. Die Mandatsentscheidung, die ansteht, ist nicht nur eine Entscheidung darüber, was die Bundesrepublik dabei macht, sondern sie ist schlichtweg auch eine politische Stellungnahme zu Enduring Freedom überhaupt. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die UN-Sicherheitsratsresolution vom 12. September 2001 der völkerrechtliche Ausgangspunkt ist, in der das Recht auf Selbstverteidigung betont wurde. Das wurde damals vom größten Teil des Parlaments mitgetragen. Allerdings beziehen Sie sich sieben Jahre danach weiterhin ganz allgemein auf das Selbstverteidigungsrecht. Dünner könnte die rechtliche Grundlage nicht sein; sie ist nach unserer Auffassung eindeutig fragwürdig und nicht mehr zu halten. ({3}) Man muss dabei immer die Konsequenzen bedenken: Es läuft auf eine völlige Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs und de facto auf eine Enthemmung hinaus. Im Klartext: Operation Enduring Freedom setzt sich in der Realität immer wieder über den völkerrechtlichen Grundsatz territorialer Integrität hinweg. Das, was Enduring-Freedom-Kräfte in Pakistan inzwischen fast jeden Tag machen, nämlich Verdächtige abschießen, liegt in der Logik von Enduring Freedom; da soll man gar nicht so überrascht sein. Das aber ist eindeutig verwerflich und völkerrechtswidrig. ({4}) Wie sieht heute die Realität von Enduring Freedom aus? Was sind die Wirkungen? Kollege Stinner, ich möchte einen Punkt schnell beiseiteräumen: Sie haben wieder das Bild vom vorigen Jahr gebracht, das Bild von der angeblich bösen OEF und der guten ISAF. Heutzutage kann man feststellen, dass die Ausbildungskomponente bei Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr enthalten ist. Das heißt, in Afghanistan ist Enduring Freedom wieder auf den ursprünglichen Auftrag der militärischen Terrorbekämpfung reduziert worden. Seit Jahren frage ich die Bundesregierung, wie wirksam diese Operation insgesamt ist. Ich erhalte dazu notorisch null Aussagen. Die Bundesregierung ist aber nicht die einzige Auskunftsquelle; wir bemühen uns selber um entsprechende Hinweise. Was besagen die hierbei gewonnenen Erkenntnisse? Erstens. Zur Zielgruppe von Enduring Freedom in Afghanistan gehören nicht nur al-Qaida als Drahtzieher und Unterstützer, sondern ziemlich unterschiedslos alle Aufständischen. Der Effekt davon ist eine Solidarisierung: Es werden diejenigen zusammengebracht, die man bei einer vernünftigen Antiterrorpolitik eigentlich auseinanderbringen müsste. Zweitens. Entsprechende Personen werden auf Verdacht liquidiert. Noch vor kurzem habe ich im ISAFHeadquarter gehört, dass der Unterschied zwischen ISAF und OEF wesentlich ist; OEF tötet auf groben Verdacht. Drittens. Bei OEF-Einsätzen sind überproportional oft Zivilopfer zu beklagen. Zudem kommen OEF-Operationen immer wieder ISAF-Operationen in die Quere; das habe ich kürzlich von Kommandeuren in Uruzgan, Südafghanistan, gehört. Was die Wirksamkeit angeht, fasse ich zusammen: OEF soll zur Eindämmung von Terrorismus beitragen. Alle Hinweise, die wir haben, deuten auf das Gegenteil hin, nämlich darauf, dass islamistische Militanz, Gewalt und Terror dadurch angefacht werden. ({5}) OEF steht - das sollte man nicht außer Acht lassen für den Global War on Terrorism, für den Irrglauben, nicht nur mit Militär, sondern ausdrücklich mit Krieg Terrorismus besiegen zu können. Aufschlussreich sind jüngste Veröffentlichungen aus den USA, insbesondere eine RAND-Studie mit dem Titel „How terrorist groups end - lessons for countering Al Qa’ida“. Das Ergebnis ist äußerst interessant. Es wurden zwischen 1968 und 2006 über 600 Terrorgruppen untersucht. Die allermeisten davon wurden aufgelöst, weil sie in den politischen Prozess einbezogen wurden. Das zweitbeste Mittel zur Auflösung waren polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen. Am allerwenigsten haben militärische Maßnahmen gewirkt. Die Schlussfolgerung dieser Studie ist - gerichtet an die alte und an die neue Regierung -: Hört auf mit dem War on Terrorism! - Die Alternativen liegen eindeutig auf der Hand. Ich komme zum Schluss. Ich habe alle Mandatsentscheidungen, die im Bundestag seit 1994 getroffen wurden, mitbekommen. Als alter Oppositioneller war ich immer wieder überrascht, wie sorgfältig diese Diskussionen geführt wurden. Allerdings muss ich sagen: Die Diskussionen der letzten Jahre über Enduring Freedom waren Tiefpunkte der parlamentarischen Beratungen und in Sachen Parlamentsbeteiligung. Herr Minister Steinmeier, ich habe heute von Staatsminister Erler Antworten auf von mir gestellte Fragen zur Wirksamkeit von Enduring Freedom usw. erhalten. Ich kann sie Ihnen gleich einmal geben. Diese Antworten sind eine Frechheit. Ich glaube, Sie werden sich für diese Antworten schämen. So geht das nicht weiter. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heute findet die Wahl eines neuen US-Präsidenten statt, die wir wohl alle mit großen Hoffnungen begleiten. Der Deutsche Bundestag steht gegenüber der US-Administration meiner Meinung nach in der Pflicht, ein klares und aktives Zeichen gegen den „Krieg gegen den Terror“, für einen kooperativen Multilateralismus, für die Rückkehr zum Völkerrecht und zur Achtung der Menschenrechte zu setzen, und zwar auch bei der Bekämpfung des Terrorismus. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Niels Annen, SPD-Fraktion.

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Winni Nachtwei hat eben gesagt, dass der Ursprung des Mandats für den Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen von OEF - das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir über dieses Mandat beraten - die Anschläge vom 11. September sind. Vielleicht ist es in der Tat bezeichnend, dass wir heute hier darüber debattieren, während in den USA ein neuer Präsident gewählt wird. Der amtierende US-Präsident ist mit dem internationalen Kampf gegen den Terrorismus verbunden und wird damit verbunden bleiben. Ich glaube, es ist nicht besonders mutig, wenn man voraussagt, dass er nicht aufgrund weiser Entscheidungen im Kampf gegen den Terror in Erinnerung bleiben wird. So deutlich ich sage, dass es richtig gewesen ist, dass dieses Haus damals zugestimmt hat, so klar muss man auch sagen, dass sich das Nebeneinander von zwei unterschiedlichen Missionen nicht ausgezahlt hat. Die Vereinten Nationen haben, nachdem der eigentliche Auftrag in Afghanistan relativ schnell erfüllt war - Zerschlagung der al-Qaida-Camps und Absetzung der Taliban-Regie19762 rung -, eine Grundlage für die Wiederaufbauarbeit geschaffen, die wir mit unseren Soldatinnen und Soldaten, den Entwicklungshelfern und den anderen nach Afghanistan entsandten Menschen, mit allen, die dort arbeiten, leisten. Wir mussten feststellen - darüber haben wir im Deutschen Bundestag häufig diskutiert -, dass das Nebeneinander von OEF und ISAF letztlich dazu geführt hat, dass die Legitimität unserer gemeinsamen internationalen Anstrengungen in den letzten Jahren Stück für Stück dadurch untergraben worden ist, dass es immer wieder, auch in den letzten Tagen und Wochen, zu unabgestimmten, unverhältnismäßigen und unkoordinierten Aktivitäten kam, und zwar in der Regel bei Beteiligung - das muss ich leider sagen - der amerikanischen Soldaten unter dem Mandat von Enduring Freedom. Vor wenigen Wochen wurde uns eine Studie von Human Rights Watch vorgelegt, die eindrucksvoll für die einzelnen Provinzen darlegt, dass der Strategiewechsel, den wir in diesem Haus immer wieder eingefordert haben, der allerdings schwer zu erklären ist, insofern erfolgreich war, als es so gut wie keine Todesopfer bei geplanten Luftoperationen der ISAF-Truppen gegeben hat. Wir müssen allerdings feststellen, dass es bei Luftunterstützungsoperationen zunehmend, auch in den letzten Tagen, zu zivilen Opfern gekommen ist, wenn amerikanische Streitkräfte in sogenannte Antiterroroperationen verwickelt waren. An dieser Stelle möchte ich eines deutlich sagen: Wir haben häufig gehört, dass all das völkerrechtswidrig sei und unsere ganze Diskussion nur für die Galerie stattfinde. Auch der Kollege Paech von der Linksfraktion hat darauf hingewiesen. Er hat gesagt, die Regierung und die Regierungsparteien müssten endlich begreifen, dass dieses Problem nicht mit militärischen Mitteln zu lösen ist. Ich sage Ihnen: Das ist die tägliche Praxis dieser Koalition und dieser Regierung. ({0}) Ich empfehle Ihnen, Herr Paech, sich einmal den Antrag anzusehen. Ich kann Ihnen gerne daraus vorlesen; ich habe ihn mitgebracht. Die Bundesregierung schreibt: Der Kampf gegen den Terrorismus ist in erster Linie keine militärische, sondern eine umfassende politische Aufgabe. - Dem ist nichts hinzuzufügen. ({1}) Dass die Diskussion in diesem Hause, aber auch in der Zivilgesellschaft und die Arbeit der vielen Nichtregierungsorganisationen, die sich vor Ort, aber auch in Deutschland mit der Lage in Afghanistan und mit dem Stand des Antiterrorkampfes auseinandersetzen, hier ernst genommen werden und dass wir Konsequenzen auch aus dem Nebeneinanderher und dem Mangel an strategischer Abstimmung im Bündnis gezogen haben, zeigt die Vorlage, über die der Deutsche Bundestag in dieser Beratung zu entscheiden hat. Ich glaube, dass es der richtige Weg ist, zu sagen: Wir ziehen die 100 KSK-Kräfte aus dem OEF-Mandat zurück. Das ist, wenn ich das einmal sagen darf, keine virtuelle Entscheidung. Diese Entscheidung hat einen politischen Wert und wird von unseren Verbündeten verstanden; denn wir sind nicht die Einzigen, die sich über diese Mängel im Alltag bei der Arbeit in Afghanistan im Rahmen dieser Operation beklagen. Kollege Nachtwei hat darauf hingewiesen. Wir waren gemeinsam in Uruzgan und haben uns beispielsweise mit unseren niederländischen Kollegen unterhalten. Sie führen dort dieselbe Debatte. Deswegen bitte ich darum, dass wir auf Folgendes hinweisen: Wir machen hier keine innenpolitischen Spielchen. Wir machen auch keine Geschäfte - das haben Sie angedeutet, Herr Paech -, um die Zustimmung zu erleichtern. Wir arbeiten hier seit Jahren und suchen nach Wegen, in der richtigen Art und Weise mit dieser Verantwortung umzugehen. ({2}) Die Beteiligung an einer internationalen Koalition ist nichts, aus dem man eben einmal aussteigt wie bei einer Aktie, die im Wert abstürzt. Das hat mit Abstimmungsprozessen und Diskussionsprozessen zu tun. Das kann man nicht von heute auf morgen entscheiden. Deswegen will ich ganz klar sagen: Die völkerrechtliche Grundlage steht nicht infrage. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - auf den berufen Sie sich ja immer, Herr Paech - hat das am 12. September 2001 festgestellt; er hat den Angriff auf die Vereinigten Staaten mit einem Angriffskrieg gleichgesetzt. Das ist die Lage, in der wir uns befinden. Etwas ganz anderes ist die Frage, ob wir es uns als internationale Staatengemeinschaft dauerhaft erlauben wollen, uns auf dieser Rechtsgrundlage zu bewegen. Es gibt Diskussionen - auch in unserer Fraktion und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - über die Frage, ob wir die Bekämpfung der Piraterie, die hier schon angesprochen worden ist, möglicherweise als Anlass nutzen sollten, um miteinander eine klarere politische Grundlage zu finden. Aber lassen Sie uns hier keine haarspalterischen Diskussionen führen. Auch in der erneuten UN-Resolution wird die Operation Enduring Freedom erwähnt. Deswegen sollten wir uns hier nicht auf Nebenkriegsschauplätze konzentrieren, sondern wir sollten die politische Diskussion führen. Wir stehen zu unserer Verantwortung und erkennen die Bedrohung, die hier genannt worden ist und auch am Horn von Afrika sichtbar wird. Ich plädiere dafür, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, dieses Zeichen auch an diejenigen zu senden, die nicht nur darüber diskutieren, sondern auch unter Einsatz ihres Lebens dafür einzustehen haben. Das sind unsere Soldatinnen und Soldaten. Ich bitte um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Norman Paech.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Annen, ich kann durchaus lesen. Ich lese zum Beispiel immer wieder, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht militärisch zu gewinnen ist. Das sagen die US-Amerikaner sowieso; das sagen die Generäle immer wieder. Eines aber müssen wir sehen: Wir führen hier zum wiederholten Mal eine Debatte, in der es ausschließlich um die Verteilung von Geldern für militärische Maßnahmen geht. ({0}) Haben wir jemals eine Diskussion von der gleichen Güte und Länge geführt, in der es um die Finanzierung ökonomischer und ziviler Instrumente zur Bekämpfung des Terrorismus ging? So eine Diskussion haben wir bisher nicht geführt. Wenn wir sie führen werden, dann werden wir auch anders zu dem Thema reden. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Annen, bitte.

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Paech, es freut mich natürlich sehr, dass Sie des Lesens mächtig sind. Ich möchte Ihnen deswegen die Lektüre des Protokolls der Plenarsitzung, in der es um die Ergebnisse der Paris-Konferenz ging, empfehlen. Darüber haben wir hier in diesem Hause diskutiert. Ich würde Sie gerne daran erinnern, dass die Bundesregierung die finanziellen Aufwendungen für den Wiederaufbau in Afghanistan verdoppelt hat; da kann ich auch aus der Rede, die Sie gerade vorgetragen haben, zitieren. Wir haben Konsequenzen gezogen, auch aus den Diskussionen im Deutschen Bundestag und in der interessierten Öffentlichkeit, in denen man sich mit der Frage auseinandergesetzt hat: Ist die Beteiligung von über 100 KSK-Kräften am OEF-Mandat eigentlich ein Weg, der in die richtige Richtung geht? Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie selbst, als Sie vor wenigen Minuten an diesem Pult standen, diese Entscheidung gelobt. - Das sollten Sie sich noch einmal durchlesen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind auf einem guten Weg. Wir führen hier keine Debatten für die Galerie. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Thomas Silberhorn, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schon bei der Verlängerung des ISAF-Mandates wird auch in Bezug auf das OEF-Mandat hin und wieder gemutmaßt, wir würden die Mandatsdauer deshalb auf 13 Monate festlegen, um eine öffentliche Debatte darüber aus dem nächsten Bundestagswahlkampf herauszuhalten. ({0}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem ausdrücklich entgegenzutreten. Niemand gibt sich der Illusion hin, man könne eine Debatte über Auslandseinsätze der Bundeswehr aus der Öffentlichkeit heraushalten. ({1}) Wir wissen, dass im nächsten Jahr in Afghanistan Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bei jedem Anschlag, was Gott verhüten möge, ist eine breite öffentliche Debatte zu erwarten. Es wäre geradezu naiv, anzunehmen, man könne eine solche Diskussion verhindern. Wir sollten sie vielmehr offensiv führen. Wir müssen bei der Verlängerung dieses Mandats aber auch deutlich machen, dass wir aus Respekt vor dem nächsten Deutschen Bundestag ({2}) den Kolleginnen und Kollegen, die am 27. September nächsten Jahres gewählt werden, die Gelegenheit geben müssen, darüber zu entscheiden, ob das Mandat, das wir heute verlängern, im nächsten Jahr nochmals verlängert werden sollte. Es wäre für den nächsten Deutschen Bundestag eine Zumutung, wenn dieses Haus nach der nächsten Bundestagswahl, aber vor der Konstituierung des dann bereits gewählten Bundestages noch einmal eine Mandatsverlängerung beschließen würde. Es gehört zur Selbstbescheidung der Mandatsträger, die auf Zeit gewählt sind, diese Aufgabe dem nächsten neu zu wählenden Bundestag zu überlassen. ({3}) Meine Damen und Herren, die Reduzierung im Hinblick auf den Bundeswehreinsatz im Rahmen von OEF, sowohl was den Personalumfang als auch was das Einsatzgebiet angeht, ist im Ergebnis eine Anpassung an die Einsatzrealität, die nicht mit operativen Einschränkungen verbunden ist. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass das OEF-Mandat teilweise dadurch ersetzt worden ist, dass durch das ISAF-Mandat die Sicherheit in ganz Afghanistan gewährleistet werden soll. Wir haben das ISAF-Mandat erweitert und das Kontingent um 1 000 Soldaten aufgestockt. Ich füge aber hinzu: Wir können uns der Gesamtverantwortung für Afghanistan, die wir im Rahmen des ISAF-Mandats wahrnehmen, nicht dadurch entziehen, dass wir uns aus dem OEF-Mandat in Bezug auf Afghanistan zurücknehmen; denn die Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz sind, werden als Bestandteil der internationalen Gemeinschaft wahrgenommen. In der Bevölkerung Afghanistans fragt niemand danach, ob ein Soldat unter dem OEF-Mandat oder dem ISAF-Mandat handelt. Deswegen ist es notwendig, dass wir deutlich machen: Deutschland trägt weiterhin einen Teil der Gesamtverantwortung der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan, auch wenn wir mit den 100 Spezialkräften nicht mehr im Rahmen des OEF-Mandates in Afghanistan im Einsatz sein werden. Wie schon angeklungen ist, können sie im Rahmen des ISAF-Mandates auch weiterhin zum Einsatz kommen. Ich halte es für wichtig, dass wir zum Ausdruck bringen: Auch wenn keine deutschen Soldaten mehr im Rahmen des OEF-Mandates in Afghanistan eingesetzt werden, müssen wir uns dennoch weiterhin um eine gemeinsame Zielsetzung der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Afghanistan, aber auch um eine abgestimmte und gemeinsame Durchführung militärischer Aktionen bemühen. Das betrifft auch die Herangehensweise, die hier von manchen meiner Vorredner sehr kritisch beleuchtet worden ist. Ich stimme dem ehemaligen US-Botschafter John Kornblum zu, der heute in der Frankfurter Rundschau erklärt hat - ich zitiere -: Verantwortung übernehmen heißt aber auch: Ein Ziel zu definieren und es mit unterschiedlichen, abgestimmten Mitteln zu verfolgen. Vernetzte Sicherheit aus zivilen und militärischen Mitteln - das ist genau der Ansatz, den wir in der NATO mit Erfolg propagiert haben, den wir aber auch in der Einsatzrealität einlösen müssen. Ich stelle mir allerdings schon Fragen, wenn ich gleichzeitig lese, was der Präsidentschaftskandidat Barack Obama am vergangenen Sonntag in der Welt am Sonntag in einem Interview erklärt hat. Ich zitiere auch hier: Meine generelle Haltung ist, dass wir al-Qaida auslöschen, Bin Laden festnehmen und töten müssen, … Wenige Sätze weiter führt er aus - ich zitiere wieder -: Wir werden ihn töten oder festnehmen, - gemeint ist Bin Laden ihn anklagen, zum Tode verurteilen. Für den Fall, dass dieser Präsidentschaftskandidat der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte, bitte ich Sie, Herr Bundesaußenminister, uns eine Erläuterung dieser Aussagen des möglicherweise künftigen Präsidenten zu geben und uns zu erklären, ({4}) in welchem Umfang Sie eine deutsche Beteiligung am Einsatz in Afghanistan mit dieser Zielsetzung weiterhin für möglich und überhaupt für zulässig erachten. Meine Damen und Herren, das Ziel unseres Einsatzes ist nicht Rache, sondern die Stabilisierung Afghanistans im Interesse der internationalen Sicherheit vor terroristischen Bedrohungen, im Interesse der Sicherheit Afghanistans vor Aufständen und Terroranschlägen und nicht zuletzt auch im Interesse der eigenen Sicherheit. Wir wollen den Bedrohungen dort begegnen, wo sie entstehen, und nicht warten, bis sie bei uns sind. Ich stimme allen Vorrednern zu, die hier erklärt haben, dass wir eigenständige staatliche Strukturen aufbauen müssen. Wir tun das in Afghanistan und mit zunehmendem Einsatz auch in Pakistan. Gerade zu diesem Zweck haben wir das zivile Engagement in Afghanistan und jetzt auch in Pakistan deutlich ausgeweitet. Ich glaube, das ist die beste Voraussetzung dafür, dass uns ein Übergang von der militärischen Stabilisierung hin zu zivilem Wiederaufbau gelingen kann. Der Militäreinsatz ist also kein Abenteuer, sondern notwendig, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass der zivile Wiederaufbau gelingen kann. Durch das OEF-Mandat soll sichergestellt werden, dass das Einrichten von Rückzugsund Aktionsräumen für Terroristen auf den Seewegen erschwert wird und dass auch die für den Welthandel strategisch wichtigen Seepassagen am Horn von Afrika gesichert werden. Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die sich an dieser Aufgabe bisher mit Erfolg beteiligt haben. Wir wollen sie weiter darin unterstützen und mit der Zustimmung für dieses OEF-Mandat die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Bundeswehr weiterhin am Horn von Afrika und im Mittelmeer erfolgreich im Einsatz sein kann. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es hier darum geht, deutsche Soldatinnen und Soldaten ins Ausland zu schicken, dann brauchen wir eine größtmögliche Klarheit und Wahrhaftigkeit. Das ist bei dem vorliegenden OEF-Mandat aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Es handelt sich im Grunde genommen um zwei Lügen. Die Unwahrheit Nummer eins ist, dass es bei dem Einsatz am Horn von Afrika darum gehe - 2002 wie auch heute -, Terroristen zu bekämpfen. Die Unwahrheit Nummer zwei ist, dass die Bundesrepublik mit dem Verzicht darauf, die Spezialkräfte der Bundeswehr, KSK, unter dem OEF-Mandat einzusetzen, nichts mehr mit dem Antiterrorkrieg in Afghanistan zu tun habe. Ich bleibe bei Afghanistan. Es ist klar und folgerichtig, das KSK nicht mehr im Rahmen des OEF-Mandats einzusetzen. Unter ISAF wird es aber schon noch eingesetzt. Der entscheidende Punkt ist aber der: Sie weichen dem grundsätzlichen Streit über OEF und über die Wirkung von OEF aus. Damit billigen Sie diesen Einsatz im Grundsatz. Paul Schäfer ({0}) Hier hieß es, es sei doch alles halb so schlimm, OEF bedeute doch im Wesentlichen Ausbildung für die afghanische Armee. Das wird jetzt ISAF zugeschlagen. Was verbleibt bei OEF? Die Frage, wozu OEF in Afghanistan überhaupt nötig ist, müssen Sie hier beantworten. ({1}) Die Auskunft der NATO-Militärs ist eindeutig. Sie sagen, dass die bösen Buben - the bad guys - aus dem Spiel genommen werden müssen. Dafür brauche man eben besondere Regeln, genauer gesagt, möglichst wenig Regeln. OEF-Angehörige dürfen auch ohne begründeten Verdacht festnehmen. Sie müssen sich nicht unbedingt an Landesgrenzen halten, und sie können - auch das ist hier schon gesagt worden - auf Verdacht töten. Das macht den Unterschied aus. Der springende Punkt ist: Die alte Arbeitsteilung bleibt bestehen. Bei OEF geht es um den schmutzigeren Teil der Kriegsführung, aber dies ebenfalls im Zusammenwirken mit ISAF. Auch das lesen wir weder im ISAF-Mandat noch im OEF-Mandat. Es geht dabei nicht um die allgemeine Abstimmung zwischen ISAF und OEF, und es geht dabei auch nicht um die unmittelbare Nothilfe. Es geht durchaus auch um gemeinsame Operationen. Vielleicht fragen Sie die Bundesregierung in den nächsten Tagen einmal danach. All das steht nicht in den Mandaten. Das nenne ich eine Täuschung des Parlaments. ({2}) Was die Armada, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor der somalischen Küste betrifft, so wissen wir aus den Unterrichtungen der Bundesregierung, dass keine Terroristen gefangen genommen wurden. Stattdessen lesen wir dort, dass der Terrorismus seinen Aktionsraum von Algerien über den Maghreb bis in die Sahelzone ausgeweitet hat. Jemen ist weiter Aktions- und Rückzugsraum für islamistische Terroristen. In Somalia galoppiert die Gewalt weiter. Das ist eine ernüchternde Bilanz. Die Marinesoldaten, die am Horn von Afrika ihren Dienst tun, können am allerwenigsten etwas dafür. Es zeigt sich nur, dass der Militäreinsatz das völlig falsche Mittel ist, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. ({3}) Der Aufwand dafür ist beträchtlich. Ich habe es nachgerechnet: Allein der deutsche Kostenanteil am OEF-Einsatz am Horn von Afrika beträgt von 2001 bis 2008 circa 1 Milliarde Euro. Mit diesem Betrag hätte man eine Menge für die Stabilisierung der Region machen können. Das ist der entscheidende Punkt. ({4}) Wenigstens in einem Punkt sind Sie ehrlicher geworden. Sie sagen jetzt, beim OEF-Einsatz am Horn von Afrika gehe es auch darum, Handelsschiffe zu begleiten und Marineeinheiten verbündeter Nationen im Einsatzgebiet zu eskortieren. Das erinnert mich fatal an die Eskortierung der US-Truppen beim Aufmarsch in den Irak. An dieser Stelle und an diesem Tag sei es gesagt: Good bye and see you again in Den Haag, Mr. Bush. Sie sind zumindest in einem Punkt deutlicher: Der Auftrag der Marine in Dschibuti ist die umfassende Kontrolle der Seewege im Interesse mächtiger Industrienationen. Aber im Mandat steht das so nicht. Es kann auch nicht angehen, dass sich eine Handvoll Staaten selbst den Auftrag gibt, Teile der Weltmeere systematisch zu überwachen und zu kontrollieren. OEF ist und bleibt in diesem Zusammenhang eine Amtsanmaßung außerhalb des Völkerrechts. Deshalb sagt die Fraktion Die Linke dazu entschieden Nein. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hans-Peter Bartels hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Bundesregierung stellt eine gewisse Mandatsbereinigung dar. Das heißt, wir beschließen das, was tatsächlich geplant ist und stattfindet, und wir beschließen unseren Beitrag jetzt exakt für die Region, in der dieser Beitrag tatsächlich gebraucht wird. Das ist gut so. Denn wie beim Bundeshaushalt sollte auch bei den Bundeswehreinsätzen gelten: Wahrheit und Klarheit. Unser Prinzip der Parlamentsarmee bedeutet, dass der Regierung gerade keine Blankoschecks ausgestellt werden. Der Bundestag kann nur dann die Verantwortung für den Einsatz militärischer Gewaltmittel übernehmen, wenn er weiß, was wann wo von wem zu tun ist. Ich sage ausdrücklich: Das war in der Vergangenheit insbesondere bei der Mission OEF nicht immer so. Der Sachverhalt, dass KSK-Spezialkräfte unter OEF in Afghanistan eingesetzt wurden bzw. nicht eingesetzt wurden, galt als geheim. Ob also Bundeswehrsoldaten in diesem Mandatsrahmen seit 2001 tatsächlich im Einsatz waren, wurde gegenüber dem Parlament - auch gegenüber dem Verteidigungsausschuss - geheim gehalten. Erst einer wohl unbeabsichtigten Indiskretion des Verteidigungsministers war zu entnehmen, dass seit 2005 unsere Beteiligung an OEF in Afghanistan praktisch erloschen ist. In der Sache ist das absolut in Ordnung. Aber die Geheimniskrämerei darum herum war nicht besonders parlamentsfreundlich. Es darf nicht - dies sage ich ganz klar - zweierlei Bundeswehren geben: eine normale und eine geheime. Wir müssen wissen, wofür wir als Abgeordnete die Verantwortung übernehmen, wenn wir hier in namentlicher Abstimmung Entsendebeschlüsse fassen. ({0}) Uns interessiert nicht das operative Detail oder die taktische Planung, sondern die Frage, ob überhaupt deutsche OEF-Soldaten ein Jahr lang im Einsatzgebiet eingesetzt werden. Diese Frage kann und darf vor dem Parlament und vor der deutschen Öffentlichkeit nicht unbeantwortet bleiben. Wir haben dazu auch in dem Untersuchungsausschuss - das wurde bereits angesprochen -, zu dem sich der Verteidigungsausschuss in der Sache Kurnaz erklärt hat, diskutiert und Verabredungen getroffen, die dieses Problem der, ich sage einmal: blinden Flecken im Parlamentsvorbehalt hoffentlich ein für allemal ausräumen. Wir sind Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung dankbar, dass sie nun die Konsequenz aus der Schwerpunktverlagerung in Afghanistan gezogen haben und zu OEF dort nichts mehr beitragen. ISAF ist inzwischen im ganzen Land präsent. Unser Schwerpunkt liegt auf ISAF, insbesondere auf dem Regionalkommando Nord. Die Doppelstruktur von NATO und US-geführter Antiterroroperation OEF ist historisch gewachsen. Aber sie ist mehr und mehr ein Hindernis für eine einheitliche Sicherheitsstrategie der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan. Das wird mittlerweile auch auf amerikanischer Seite gesehen. Egal wie die Präsidentenwahl heute Nacht ausgeht, es wird Anstrengungen zu mehr Kohärenz geben müssen. Auch der neue CENTCOM-Befehlshaber Petraeus hat sich schon in diese Richtung geäußert. Meine Damen und Herren, die Fortsetzung unserer Beteiligung an der Seeraumüberwachung am Horn von Afrika sollte unstrittig sein. Die deutsche Marine mit ihren Fregatten, Versorgern, Hubschraubern und Aufklärungsflugzeugen leistet hier einen kontinuierlichen, guten, hoch anerkannten Beitrag fern der Heimat. Wären die Verbündeten nicht da, wären die Verbindungswege der Terroristen schnell wiederhergestellt. Deshalb sind wir da. Daneben wird wohl noch in diesem Jahr eine ESVPMission zur Pirateriebekämpfung vor der somalischen Küste starten. Daran sollten wir uns ebenfalls beteiligen. Die Zahl der Piraterieattacken hat in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommen. Das Schifffahrtsbüro der Internationalen Handelskammern in Kuala Lumpur teilt mit, dass es seit Anfang dieses Jahres 200 Pirateriefälle weltweit gegeben hat, davon ein Drittel im Seeraum vor Somalia. Über 500 Seeleute sind dort als Geiseln genommen worden. Auch Schiffe deutscher Reedereien sind immer wieder betroffen. Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Das sollten wir wirksam unterbinden können. Dies mit einem eigenen Bundestagsbeschluss zu tun, entspricht den Grundsätzen von Mandatswahrheit und Mandatsklarheit. ({1}) Gut, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken, die es bei den Mehrheitsfraktionen dieses Hauses wohl gab, mittlerweile ausgeräumt sind! Wir sind uns in der Koalition einig, wenn ich das richtig sehe. Ob man auf Dauer immer eine deutsche Doppelpräsenz am Horn von Afrika braucht - eine Fregatte für OEF und eine Fregatte für die Antipiraterie -, wird die Zukunft zeigen. Man könnte sich auch vorstellen, dass beide Mandate je nach Bedarf auf die gleichen Mittel zurückgreifen. Ein Schiff kann ja in Sekundenschnelle einem anderen Kommando unterstellt werden. Das wäre eine Frage pragmatischen Ressourcenmanagements, dem der Bundestag gewiss nicht im Wege stehen würde, wenn die Beschlüsse klar sind und kontinuierlich informiert wird. Ich empfehle das von der Regierung bereinigte OEFMandat der Zustimmung des ganzen Hauses. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich könnte ich heute meine Rede vom vorigen Jahr zum gleichen Anlass halten; ({0}) denn faktisch hat sich nichts geändert, außer dass nun auch offiziell auf den KSK-Einsatz in Afghanistan verzichtet wird. Aber sonst? Wie ein Mantra wiederholen die Juristen der Bundesregierung seit sieben Jahren eine falsche Behauptung, die Behauptung, dass die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1368 und 1373 die Bundesregierung und die NATO angeblich ermächtigten, bei der Bekämpfung des Terrorismus militärische Gewalt anzuwenden. Das wird auch durch noch so viele Wiederholungen nicht wahrer. Mit einer solchen Begründung würden die Hausjuristen der Bundesregierung mit Pauken und Trompeten durch jede Staatsprüfung fallen. Sie berufen sich immer wieder darauf, dass in den Präambeln der beiden Resolutionen das Recht auf Selbstverteidigung bekräftigt wird. An dieser Stelle der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates hat das dieselbe Relevanz für das Handeln der UNO-Mitglieder, als wenn dort die Formulierung stünde, dass das schöne Wetter begrüßt werden würde. Entscheidend ist einzig und allein, was der Sicherheitsrat in den Beschlussteilen anordnet, und das ist eindeutig und glasklar. Um ein Zitat von Herrn Fischer aus dem Jahre 1994 abzuwandeln: Ich wundere mich nicht zum ersten Mal, wie sich die Mehrheit hier im Parlament seit Jahren an der Nase des Rechtes auf militärische Selbstverteidigung in den globalen Krieg gegen den Terrorismus hineinführen lässt. Nicht ein einziges Wort ist dort zu finden, das sich auch nur im Entferntesten als Militäreinsatz interpretieGert Winkelmeier ren ließe. Dort steht vielmehr die Aufforderung zur Zusammenarbeit, um Verantwortliche und Hintermänner der Terroranschläge vom 11. September 2001 vor Gericht zu bringen und den Terrorismus mit politischen, polizeilichen, gesetzgeberischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Mitteln auszutrocknen. Auch die Ausrufung des NATO-Bündnisfalles vom 4. Oktober 2001 führt die Bundesregierung wieder als Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz an. Das war nichts anderes als eine Selbstermächtigung zum Kriegführen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sicherheitsrat bereits die zivilen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus beschlossen. Damit war das Recht auf militärische Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta der UNO für den vorliegenden Fall ein für alle Mal beendet. Denn es gilt nur - Zitat - „bis der Sicherheitsrat … die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Dies hatte er mit den Resolutionen 1368 und 1373 getan. Ich stelle somit fest, dass sich Bundesregierung und Parlamentsmehrheit nicht an Recht, Grundgesetz und Völkerrecht halten wollen. Das war vor der sogenannten Normalisierung und der Enttabuisierung des Militärischen in unserem Land einmal anders. Da galt noch - Zitat -: Wir Deutschen haben angesichts unserer Geschichte im 20. Jahrhundert gute Gründe, mit eigener Beteiligung an militärischen Interventionen zurückhaltend zu sein. Das Zitat ist von Helmut Schmidt und in der aktuellen Ausgabe der Zeit nachzulesen. Wer mitten im Glashaus sitzt, der sollte übrigens nicht mit Steinen werfen. Mit welcher moralischen Autorität will der Finanzminister eigentlich die Schweiz in die Nähe von Schurkenstaaten rücken, indem er das Land auf die schwarze Liste der OECD setzen lassen will? Das ist kein Witz. Diese Äußerung ist gemacht worden. Etwa mit der moralischen Autorität der Bundesregierung, die den usbekischen Geheimdienstchef in Deutschland nach dem Motto empfängt „aber er ist unser Schweinehund“, Herrn Inojatow, der die Islamische Dschihad-Union erfunden hat, damit der Bundesregierung die Begründungen für den Krieg gegen den Terrorismus nicht abhanden kommen und Herrn Schäuble nicht die Gründe zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze und der Vermengung von innerer und äußerer Sicherheit? Ich rate Ihnen: Verstecken Sie Ihre machtpolitischen Ambitionen nicht länger hinter der fadenscheinigen Begründung, es gehe bei OEF um Terrorismus; denn dazu müssen Sie ständig das Recht beugen. Das wird Ihnen eines Tages bitter aufstoßen - garantiert. Der Einsatz der Marine am Horn von Afrika zeigt doch exemplarisch auf, dass es um alles andere als um Terrorbekämpfung geht. Seit Jahren ist Ihnen nicht ein einziger Fang gelungen. Das ist auch verständlich bei der Jagd nach Phantomen. Geben Sie einfach zu, dass es Ihnen um die Sicherung einer der wichtigsten Seestraßen der Welt geht und um nichts anderes. Dann könnten wir hier im Bundestag endlich eine Debatte führen, die schon seit Jahren überfällig ist und auf die unsere Bevölkerung einen Anspruch hat: Welche Rolle soll und darf die Parlamentsarmee Bundeswehr im Rahmen einer an Recht und Verfassung ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik spielen? Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Erteilung eines Mandates für einen Auslandseinsatz gehört für das Parlament des Deutschen Bundestages nicht zum Alltagsgeschäft, sondern zu den schwersten Entscheidungen. Es ist eine äußerst verantwortungsvolle Entscheidung, deutsche Soldaten in den Einsatz zu entsenden, um gemeinsam auf Basis der einschlägigen Rechtsgrundlagen mit multinationalen Kräften für die Schaffung und Wahrung des Friedens zu agieren. Dieser Einsatz ist weiter notwendig, um der asymmetrischen terroristischen Bedrohungslage entgegenzuwirken und mit der Bekämpfung des Terrorismus die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen. Daher wird die CDU/CSU-Fraktion der OEF-Mandatsverlängerung zustimmen. ({0}) Das zu beschließende Mandat umfasst eine Reduzierung der Einsatzstärke von 1 400 auf 800 Soldaten. Das zeigt, dass wir lageorientiert handeln und das maximale Kontingent entsenden. Eine Reduzierung im OEF-Mandat und eine kürzlich beschlossene Erhöhung des ISAF-Mandates auf 4 500 Soldaten machen deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Deutschland verzichtet auf einen OEF/ KSK-Einsatz in Afghanistan und verstärkt gleichzeitig, wie beschlossen, unter dem ISAF-Mandat die Anstrengungen zum zivilen Aufbau Afghanistans. Parallel werden über OEF am Horn von Afrika und über Active Endeavour im Mittelmeer der Zugang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nutzung potenzieller Verbindungswege zu terroristischen Gruppen verhindert sowie der Schutz wichtiger Seepassagen für den freien Welthandel gewährleistet. Den Terrorismus weltweit zu bekämpfen, den zivilen Aufbau in Afghanistan zu unterstützen, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen, das ist unsere Aufgabe. Dieser Aufgabe stellen wir uns, zum Wohle und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger. ({1}) Der Antiterrorkampf muss konsequent weitergeführt werden. Die Gefahr muss weiterhin dort bekämpft werden, wo sie entsteht. Ich danke an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten sowie allen zivilen Kräften, die ihren Beitrag dazu leisten. Herzlichen Dank dafür! ({2}) Meine Damen und Herren, gestern ist von Wilhelmshaven aus die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ in Richtung Horn von Afrika ausgelaufen, um demnächst als Führungsschiff der OEF die Spitze der US-geführten internationalen Überwachungsflotte zu stellen. Dies ist auch ein sichtbares Zeichen der transatlantischen Kooperation mit unseren verbündeten amerikanischen Freunden. Am heutigen Wahltag wünsche ich allen US-Bürgerinnen und -Bürgern eine gute Wahl. Wir freuen uns - unabhängig vom Ausgang der Wahl - auf eine gute, auf eine noch bessere Zusammenarbeit. Aber es ist auch wichtig, dass wir in Europa unsere eigenen Strukturen verbessern. Ich begrüße daher sehr die Ankündigung unseres Bundesministers der Verteidigung, eine Beteiligung der deutschen Marine am ESVPMandat zur Bekämpfung der Piraterie zu überprüfen. Die derzeitige Lage ist aus meiner Sicht zu verbessern. Im Augenblick eines Überfalls gelten die allgemeinen Grundsätze des Notwehr- und Nothilferechts. Zu diesem Zeitpunkt könnten unsere Soldatinnen und Soldaten noch eingreifen. Sobald der Überfall nicht mehr gegenwärtig ist, wenn zum Beispiel die Piraten mit dem gekaperten Schiff abziehen, ist eine Verfolgung durch deutsche Marineeinheiten aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich. Ich glaube, wir sind uns weitestgehend einig, dass hier reagiert werden muss. Wir müssen über eine Anpassung des Grundgesetzes nachdenken, die es unserer Marine ermöglicht, mit eigenen Kräften gegen Piraten vorzugehen. ({3}) Unseren Soldatinnen und Soldaten ist genauso wie allen Bundesbediensteten im Auslandseinsatz ein angemessener Rechtsschutz zu gewährleisten. Bei meinem letzten Besuch in Afghanistan ist hier konkret Regelungsbedarf aufgetreten. Werden Soldaten wegen einer dienstlichen Tätigkeit im Ausland einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit beschuldigt, trägt der Dienstherr nunmehr alle Kosten der Rechtsverteidigung, sofern abschließend kein vorsätzliches Vergehen festgestellt wird. Die jetzige Regelung schafft Rechtssicherheit und ist ein wesentlicher Beitrag zum Rechtsfrieden unter den Soldaten. Auch hier danke ich unserem Verteidigungsminister dafür, dass er diese Rechtsschutzlücke so schnell geschlossen hat. ({4}) Neben der erfolgten Verbesserung des Rechtsschutzes halte ich es für notwendig, auch bei den seit 1995 unveränderten Auslandsverwendungszuschlägen eine Verbesserung zu erzielen. Die Auslandseinsätze unserer Soldaten erfolgen nicht allein wegen eines Auslandsverwendungszuschlages, sondern aus Überzeugung im Einsatz für unsere Bundesrepublik. Die finanzielle Anerkennung dieser auch lebensgefährlichen Einsätze darf aber nicht unterschätzt werden. Sie muss deshalb nicht nur der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch der Gefahrenlage angepasst werden. Ich habe daher gefordert, dass die Zahlungen, orientiert am Gefährdungsgrad, angepasst werden. Ich freue mich, dass das Verteidigungsministerium hierzu einen Vorschlag unterbreitet hat. Konkret geht es in Anbetracht der gestiegenen Gefahr für Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten zum Beispiel in der höchsten Gefahrenstufe um eine Anhebung von derzeit 92,03 Euro auf 110 Euro. Es wäre ein richtiges Signal, wenn das Finanzministerium diese notwendige und angemessene Erhöhung in der aktuellen Haushaltsplanung berücksichtigen würde. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, am 24. Oktober fand in Zweibrücken die Trauerfeier für zwei gefallene Soldaten statt. Die Teilnahme an der Feier hat mir einmal mehr verdeutlicht, welche Gefahren und Risiken die Auslandsmandate beinhalten und wie wichtig es ist, den Sinn dieser Einsätze zu verdeutlichen. Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen. Ich bin mir sicher, dass wir alles unternehmen, um für unsere Soldaten im Einsatz den größtmöglichen Schutz zu gewährleisten. Eine absolute Sicherheit jedoch kann gerade in einer asymmetrischen Bedrohungslage niemand garantieren. Für uns ergibt sich daraus die Verpflichtung, unseren Kräften die größtmögliche Unterstützung zu bieten und klar zum Ausdruck zu bringen, dass der Deutsche Bundestag hinter der verdienstvollen Arbeit unserer Soldaten sowie der zivilen Kräfte steht. Dass die Fraktion Die Linke oder der fraktionslose Vorredner durch populistische Reden diese schwierige Aufgabe für sich instrumentalisieren möchte, ist verantwortungslos. Die CDU/CSU-Fraktion steht zu ihrer Verantwortung für eine friedliche Weltordnung und zu den daraus resultierenden Verpflichtungen. Wir werden der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an OEF daher zustimmen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, die Vor- lage auf Drucksache 16/10720 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern - Drucksache 16/10775 ({0}) -

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern - Drucksache 16/10776 Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache hier eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Datum des 9. November 1938 verbinden wir in besonderer Weise das Gedenken an den bestialischen Versuch der Nazis, jüdisches Leben in Deutschland durch Gewalt und millionenfachen Mord zu beseitigen. Mit diesem einmalig frevelhaften Verbrechen hat sich Deutschland selbst einer seiner wesentlichen kulturellen Wurzeln beraubt; schließlich sind die jüdische Religion und die jüdische Kultur ein fester Bestandteil der deutschen Geschichte und der deutschen Gesellschaft. Nach alldem grenzt es an ein Wunder, dass nach Jahrzehnten jüdisches Leben in Deutschland wieder gedeiht und dass sich Juden in diesem Land wieder beheimatet fühlen. Mitten in unseren Städten haben sie wieder ihren angestammten Platz erhalten. Gerade in einer Stadt wie München, aus der ich komme, ist es ganz wichtig, dass in Rufweite des Alten Rathaussaales, nämlich am Jakobsplatz, die neue jüdische Synagoge errichtet worden ist. Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Frau Charlotte Knobloch, dieses Tages gedenken - am 9. November, am kommenden Sonntag, abends, in München. Doch leider, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist Antisemitismus kein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte. Selbst in Deutschland hält sich bei vielen Menschen nach wie vor die fatale Bereitschaft, Verschwörungstheorien und Negativbilder zu pflegen. Noch heute werden in bestimmten Kreisen mit - in Anführungsstrichen - „den Juden“ Misstrauen und Vorbehalte verbunden. Das Bild der viel zu mächtigen Gruppe der Juden, wie man dort sagt, dieser Mythos hält sich zählebig, und zwar leider in allen Teilen der Gesellschaft. Was mit dummen Vorurteilen und unreflektierten Klischeebildern beginnt, endet leider nicht selten in üblen antisemitischen Drohbriefen und Hetzreden. Es ist bedauerlich, dass auch heute noch in Deutschland sämtliche jüdische Einrichtungen von der Polizei bewacht werden müssen. Nach Auskunft der Bundesregierung beläuft sich die Zahl der antisemitischen Straftaten in diesem Jahr auf circa 800. Da das Gift des Antisemitismus quer durch alle gesellschaftlichen Kreise wirksam werden kann, sind alle Politiker aufgerufen, in besonderer Weise und besonders sorgfältig mit diesem Thema umzugehen. ({0}) Wir dürfen uns antisemitische Reflexe in unseren Reden in keiner Form zunutze machen. Wir müssen uns eindeutig erklären: für die Aufarbeitung latent vorhandener antisemitischer Stimmung, für die Pflege jüdischer akademischer, kultureller und gesellschaftlicher Institutionen, für eine angemessene Erinnerungskultur und ernsthafte Anstrengungen zur Werte- und Wissensvermittlung. Dem dient unser Antrag, den wir seit Monaten fraktionsübergreifend gemeinsam erarbeitet haben. ({1}) In der Tat handelt es sich hier um ein überparteiliches Anliegen. Das ist nicht Sache einer Fraktion; dieses Anliegen sollten wir möglichst alle verfolgen. ({2}) Es geht hier auch nicht um parteipolitische Prinzipienreiterei. Genau das aber ist uns in den letzten Tagen vorgeworfen worden. ({3}) Die Frage ist, warum die CDU/CSU diesen Antrag gemeinsam mit der FDP, den Grünen und der SPD, aber nicht gemeinsam mit den Linken formuliert. ({4}) Deshalb möchte ich einiges klarstellen; das ist mir wichtig an dieser Stelle. Es ist unbestritten, dass ein verkappter Antisemitismus geradezu zur Staatsräson der DDR gehört hat. ({5}) Dieses Thema muss 18 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR nicht im Mittelpunkt der heutigen Diskussion stehen; ({6}) es muss an anderer Stelle aufgearbeitet werden. Es gibt Antisemitismus in allen politischen Lagern, von rechts bis links; ({7}) das ist meine Kernaussage. Die Linke - nicht alle Linken, Herr Gysi, aber Teile - spielt allerdings bisweilen auf der Schalmei einer überzogenen Israel-Kritik. Darauf wird einzugehen sein. Es ist inakzeptabel, wenn Bundestagsabgeordnete der Linken - Jelpke, Dağdelen, Hirsch - im Juli 2006 in Berlin zusammen mit radikalislamischen Hisbollah-Anhängern gegen Israel demonstrieren. Wir wissen, dass Hisbollah-Anhänger das Volk der Juden, soweit sie sich in Israel aufhalten, ins Meer treiben wollen. Wer mit diesen Menschen gemeinsam durch die Straßen zieht, kann kein Partner im Kampf gegen Antisemitismus sein. ({8}) In diese Reihe gehört auch die Behauptung, Israel betreibe einen Vernichtungskrieg. Presseberichten zufolge sagte der Bundestagsabgeordnete Gehrcke im April dieses Jahres unter Applaus seiner Anhänger, dem Bild des kleinen jüdischen Jungen im Warschauer Getto - wir kennen alle das Bild - entspreche heute das Bild von palästinensischen Jungen vor anderen Gewehrläufen. Wer solche Bilder zusammenstellt und in solcher Weise antisemitische Kreise in ihren Vorurteilen bedienen will, der spielt mit dem Feuer. Das ist nicht unsere Art des Umgangs mit dem Thema. ({9}) Ich will Israel-Kritik nicht per se verbieten. Jeder Mensch hat das Recht, das tagespolitische Handeln der israelischen Regierung zu kritisieren. Aber es gibt eine Israel-Kritik, die etwas anderes bezwecken will. Wir wollen keine Kritik, die in verhängnisvoller Weise an antiisraelische Klischees anknüpft. So hat der Abgeordnete Paech von den Linken in einem Reisebericht aus Palästina Investitionshilfen der Europäischen Union für das Westjordanland in folgender Weise diffamiert: Sie - also diese Hilfen dienten vor allem israelischem und internationalem Kapital als Investitionsmöglichkeit zur Beschäftigung billiger palästinensischer Arbeitskräfte. Das ist nicht die Israel-Kritik, die wir zulassen dürfen. ({10}) Ich möchte mich mit der Linken aus folgendem Grund nicht weiter beschäftigen. Herr Gysi, ich habe sehr aufmerksam Ihre Grundsatzrede vom April dieses Jahres gelesen, die Sie vor der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehalten haben. ({11}) Sie haben mit Ihrer Feststellung recht, die Sie anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels und des 75. Jahrestages der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten getroffen haben: Schon diese beiden Daten weisen auf die besonderen Beziehungen Deutschlands und somit auch auf die besondere Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel hin. Sie sprachen auch davon, dass die Linke die Haltung zu Israel überdenken muss, und weiter sagten Sie: … denn die Haltung der Linken zu Israel ist keineswegs so eindeutig … Es besteht also durchaus Klärungsbedarf in der Linken, … ({12}) Sie haben recht, diese Haltung ist keineswegs eindeutig. Sie müssen das klären. Wenn Sie die Position der Linken zum Staate Israel, also zu dem Staat, in dem die Juden leben, ehrlich und aufrichtig geklärt haben, könnten Sie ein Partner für einen solchen Antrag sein. Solange Sie dies nicht getan haben, können Sie nicht unser Partner sein. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. ({14}) Wir müssen den 9. November, den Schicksalstag der Juden in Deutschland, in einer würdigen, ehrlichen und anständigen Form begehen, indem wir den Juden versprechen: Antisemitismus wird es in diesem Land nicht mehr geben. Die politische Klasse, egal welcher Coleur, will mit dieser Ideologie nichts zu tun haben. ({15}) Wir werden auf keinen Fall antisemitische Klischees bedienen, um auf diese Weise den einen oder anderen Wähler zu uns herüberzuziehen. Mit solchen Wählern wollen wir nichts zu tun haben. Hier halten wir alle zusammen. Es darf in Deutschland nie mehr dieses Gedankengut geben. Danke schön. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Christian Ahrendt hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der 9. November 1938 jährt sich in wenigen Tagen zum 70. Mal. Es war eine der schrecklichsten Nächte, die Deutschland erlebt hat. Jüdische Geschäfte wurden zerstört, Friedhöfe geschändet und Synagogen angezündet. In dieser Nacht verloren 400 jüdische Mitbürger ihr Leben. Sich im Bewusstsein unserer Geschichte mit einem neuen Antisemitismus in Deutschland auseinanderzusetzen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben dieses Hauses. Ich glaube, es ist unbestritten, dass alle Mitglieder dieses Hauses eine Überzeugung eint - das kann ich zumindest für meine Fraktion sagen -: Antisemitismus, egal welChristian Ahrendt cher Ausprägung, darf in Deutschland keine Chance mehr haben. ({0}) Dennoch ist vor dem Hintergrund des Themas, mit dem wir uns hier befassen, die Diskussion über einen gemeinsamen Antrag, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, eher ein kleinliches Parteiengezänk. An dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Dr. Uhl, sagen, dass Sie sich diesem Thema insofern etwas kleinmütig genähert haben, als Sie sich an dieser Stelle nur mit der Linken auseinandergesetzt haben. ({1}) Der interfraktionelle Antrag, den wir heute beraten, hat eine doppelte Natur. Er erinnert an die Ereignisse vor 70 Jahren, und hieran anknüpfend wird in dem Antrag beschrieben, dass Antisemitismus trotz vielfältiger Fortschritte noch immer ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem in Deutschland ist. Wir begegnen Antisemitismus bei Sportveranstaltungen. Jüdische Einrichtungen in Deutschland müssen besonders gesichert werden. Oftmals ist Polizeischutz vonnöten. Im Jahr 2007 wurden laut Verfassungsschutzbericht 1 541 Straftaten registriert, die antisemitisch motiviert waren. 1 541 Straftaten sind 1 541 Einzelschicksale. Eines möchte ich Ihnen kurz schildern: Eine Kleinstadt in Deutschland, 3 000 Einwohner, Tatort ist ein Gymnasium. Die Täter sind drei Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren. Das Opfer ist ebenso alt. Die Tat besteht darin, dass man dem Mitschüler ein Schild umhängt. Das, was auf dem Schild geschrieben steht, ist 2006 geschrieben worden. Der Satz, der auf dem Schild zu lesen ist, stammt aus der Zeit vor 70 Jahren. Auf dem Schild steht - ich zitiere diesen Satz -: Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein. Deutschland 2006. Diese Entwicklung ist bedrohlich und muss uns zutiefst ängstigen. ({2}) Erschreckend ist aber auch, dass die antisemitische Einstellung nicht nur bei den Ewiggestrigen vorkommt und nicht nur bei extremistischen Parteien anzutreffen ist, sondern dass sie auch einen Resonanzboden in der Mitte der Gesellschaft hat. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Was müssen wir heute unter Antisemitismus verstehen? Das Spektrum von Antworten, die hier gegeben werden, ist recht vielfältig. Eine Erklärung gibt Professor Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin - ich zitiere -: Es handelt sich beim Antisemitismus … nicht bloß um Xenophobie oder um ein religiöses und soziales Vorurteil, das es gegenüber Juden auch gibt, sondern um ein spezifisches Phänomen: eine antimoderne Weltanschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache sozialer, politischer, religiöser und kultureller Probleme sieht. Entsprechend wurden und werden bestimmte moderne politische Strömungen und Ordnungen … oder wirtschaftliche Entwicklungen … als Erfindungen jüdischen Geistes betrachtet, die den anderen Nationen als etwas Fremdes aufgezwungen werden. Wenn man sich diesen Erklärungsversuch vergegenwärtigt und ihn mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit verknüpft, wird eines deutlich: Wir können Antisemitismus nicht allein mit einer Ausrichtung an zwölf Jahren schrecklicher deutscher Geschichte bekämpfen. Wir brauchen neue und vor allen Dingen moderne Bildungskonzepte, um uns mit dem Vorurteil, dass Antisemitismus zeitlich nur auf die Jahre von 1933 bis 1945 fixiert werden kann, auseinanderzusetzen. ({3}) Wir dürfen uns auch nicht dem Irrglauben hingeben, dass die Mahnung an unsere jüngere Geschichte bereits genug ist, um Antisemitismus erfolgreich zu bekämpfen. Wer so argumentiert und es beim ausschließlich historischen Bildungsansatz bewenden lassen möchte, macht es sich am Ende zu einfach. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bemühe mich, mich kurzzufassen. Für ein Urteil gilt, dass es widerlegt werden kann. Für Vorurteile gilt das nicht; sie können nicht widerlegt werden. Im Sinne des eben vorgetragenen Zitates ist Antisemitismus ein Vorurteil. Deswegen ist der Kampf gegen Antisemitismus keine befristete Aufgabe, sondern eine dauernde Aufgabe. Lassen Sie uns gemeinsam in diesen Kampf gehen! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Gabriele Fograscher hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere - das sage ich für die SPD-Bundestagsfraktion -, dass es trotz vielfältiger Bemühungen, die bis zum Schluss angehalten haben, nicht gelungen ist, hier einen gemeinsamen Antrag aller fünf Fraktionen zustande zu bringen. ({0}) Mit den Äußerungen einiger Unionspolitiker in der öffentlichen Diskussion, die einzig zum Ziel hatten, die Linke mit fragwürdigen, historisch falschen Argumenten auszugrenzen - Herr Uhl, Sie haben das hier wiederholt -, ({1}) haben sie selbst ein unwürdiges Zeichen gesetzt. Das müssen Sie auch verantworten. ({2}) Zu Ihrer Erinnerung: Bei dem Antrag „Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung“ sind Sie über Ihren Schatten gesprungen und haben die Linksfraktion als Mitantragsteller akzeptiert. Ich zitiere in diesem Zusammenhang Salomon Korn, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland: Es wäre wichtig gewesen, an diesem besonderen Datum auch den Zeitzeugen gegenüber ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Es hätte Ihnen gut angestanden, diese Gelegenheit heute hier zu nutzen. ({3}) In wenigen Tagen jährt sich eines der schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte zum 70. Mal: die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. In jener Nacht im November brannten jüdische Synagogen in ganz Deutschland. Angehörige der SA und der SS zertrümmerten die Schaufenster jüdischer Geschäfte, demolierten die Wohnungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger und misshandelten ihre Bewohner. Mehr als 1 300 Menschen starben in jener Nacht. Mehr als 1 400 Synagogen und Gebetshäuser gingen in Deutschland und Österreich in Flammen auf, wurden beschädigt oder ganz zerstört. Mehr als 30 000 männliche Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. Die Reichskristallnacht war der Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus, der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begonnen hatte. Große Teile der Bevölkerung zeigten keinen zivilen Widerstand gegen die Verbrechen. Im Gegenteil: Auch Nichtangehörige von SA und SS beteiligten sich aktiv an den Zerstörungen und Brandschatzungen oder sie sahen weg. Wenige - zu wenige - leisteten Widerstand, versteckten und schützten jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und riskierten damit ihr eigenes Leben. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Entrechtungen, Enteignungen, Zwangsarisierungen. Juden wurden zur Auswanderung gezwungen. Es begann die systematische Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern. Diese Geschehnisse im Herbst 1938 waren der Auftakt; jegliches Zeugnis jüdischen Lebens in Deutschland sollte vernichtet werden. Doch heute, 70 Jahre nach der Reichspogromnacht, gibt es zum Glück wieder jüdisches Leben in Deutschland. Seit 43 Jahren unterhält Deutschland freundschaftliche und diplomatische Beziehungen mit dem Staat Israel. Diese Geste Israels, 20 Jahre nach dem Holocaust auf Deutschland zuzugehen, ist beispiellos. Dafür sind wir dankbar. ({4}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die deutsche Sozialdemokratie begrüßen die kulturelle Bereicherung durch das jüdische Leben in Deutschland. Wir wollen und müssen Lehren aus der Geschichte ziehen. Antisemitismus ist auch heute noch ein ernstzunehmendes Problem in Deutschland. Noch heute müssen sämtliche jüdische Einrichtungen in Deutschland besonders gesichert werden. Im Jahr 2007 wurden 1 541 antisemitische Straftaten registriert, darunter 59 Gewalttaten, die sich gegen Jüdinnen und Juden gerichtet haben. Antisemitismus ist Bestandteil der rechtsextremen Ideologie. Nicht nur die Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und die seit Jahren hohe Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten, sondern auch die durch Studien belegte rechtsextremistische Einstellung in allen Schichten der Bevölkerung erfordern unser entschiedenes Handeln. Die große Mehrheit der Deutschen lehnt Antisemitismus entschieden ab. Aber es gibt eben auch eine nennenswerte konstante Minderheit, die antisemitisch denkt. 8,4 Prozent haben - so die in diesem Jahr von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte Studie „Ein Blick in die Mitte“ - Vorurteile gegen Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens. Politik allein kann das Problem des Antisemitismus und des Antizionismus nicht lösen. Politik kann und muss aber Impulse geben, um die Zivilgesellschaft zu stärken und alle demokratischen Akteure und Kräfte zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, ein Expertengremium einzusetzen, das in regelmäßigen Abständen einen Antisemitismusbericht für Deutschland erstellen und Empfehlungen zur Entwicklung und Weiterentwicklung von Programmen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus geben soll. Neben der Förderung des weiteren Aufbaus und der Pflege jüdischer akademischer, kultureller und gesellschaftlicher Institutionen möchten wir dafür werben, dass jüdisches Leben und die jüdische Geschichte in die Lehrpläne an Schulen aufgenommen und unsere demokratischen Werte, die Menschenrechte sowie die religiöse und kulturelle Vielfalt aktiv im Unterricht vermittelt werden. Nur so können wir es erreichen, dass unsere Kinder und Jugendlichen tolerante, selbstbewusste und vorurteilsfreie Erwachsene werden, die diese Werte leben und an die folgenden Generationen weitergeben. Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus beinhalten und fördern auch Projekte und Initiativen gegen Antisemitismus. Viele dieser Projekte arbeiten sehr erfolgreich, können aufgrund des Modellcharakters aber nicht langfristig fortgesetzt werden und somit nicht nachhaltig wirken. Das vorwiegende Anliegen von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist, Lösungen zu finden, diese erfolgreichen Projekte nicht nur zeitlich befristet zu fördern, sondern nachhaltig finanziell abzusichern. ({5}) Ich möchte schließen mit einem Zitat aus einer Rede, die Johannes Rau im Jahr 2000 vor der Knesset gehalten hat: Deutschland will ein offenes, liberales und gastfreundliches Land sein, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen ihren Platz haben und zusammenleben können. Das setzt die Bereitschaft zur guten Nachbarschaft voraus, die sich im Alltag bewähren muss. Das heißt, nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu suchen. Bei allen kulturellen und religiösen Unterschieden sollten wir die gemeinsamen Werte suchen und pflegen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Petra Pau hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein erster Gedanke gilt den Millionen Jüdinnen und Juden, die in der NS-Zeit gedemütigt, vertrieben und ermordet wurden. Mein zweiter Gedanke gilt den Jüdinnen und Juden, die trotz alledem heute wieder mit uns leben. Der Schmerz und der Dank gehören zusammen, ebenso die Sorge, dass sich nie wiederholen möge, was schon einmal geschehen ist. Vor 70 Jahren, am 9. November 1938, ging das NSRegime zum offenen Angriff auf Jüdinnen und Juden über. Die sogenannte Pogromnacht war die Generalprobe für den Holocaust. Allzu viele sahen zu. Eine Lehre aus dieser furchtbaren Geschichte war: Das NSRegime kam nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war. Es kam an die Macht, weil die Demokraten in zentralen Fragen zerstritten und deshalb zu schwach waren. Ich wünschte, alle hätten diese Lektion gelernt. ({0}) Ich möchte an vier Ereignisse jüngeren Datums erinnern. Vor reichlich einem Jahr wurde in Berlin eine jüdische Schule mit antisemitischen Parolen beschmiert. Auf das Spielzeug des dazugehörenden jüdischen Kindergartens wurden SS-Runen geschmiert. Die Fußballer des jüdischen Vereins TuS Makkabi brachen ein Spiel ab. Sie wurden fortwährend antisemitisch beschimpft und mit Sprechchören wie „Hier regiert die NPD und nicht der DFB“ bedroht. Aktuelle empirische Untersuchungen belegen, dass 25 Prozent der Bevölkerung latent antisemitisch eingestellt sind; im Westen der Bundesrepublik übrigens mehr als im Osten. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Fraktion Die Linke ergab, dass seit Jahren im statistischen Schnitt Woche für Woche ein jüdischer Friedhof geschändet wird, und zwar bundesweit. Die letztgenannte Meldung war übrigens der Anlass dafür, dass sich vor Jahresfrist Abgeordnete aus allen Fraktionen des Bundestages fanden, um gemeinsam etwas gegen diese schlimmen Befunde zu tun. Auch daran möchte ich erinnern: Im Mai dieses Jahres hatten wir hier eine Debatte aus Anlass des 60-jährigen Bestehens Israels. Ich mahnte damals für die Fraktion Die Linke: Man kann nicht 60 Jahre Israel würdigen, ohne zugleich über den aktuellen Antisemitismus zu sprechen. Abschließend sprach ich von der überfraktionellen Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus. Im Protokoll ist dazu vermerkt: Beifall bei der Linken, bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der FDP und bei der CDU/ CSU. Die gemeinsame Arbeit kam gut voran. Die Fachpolitiker suchten das Gemeinsame im Trennenden. Dann übernahmen Machtpolitiker das Vorhaben. Sie suchten das Trennende im Gemeinsamen. Seither kann von einem starken Signal des Bundestages keine Rede mehr sein. Viele Kommentatoren, auch jüdische Organisationen bescheinigen uns stattdessen ein Trauerspiel. Ich bedauere das außerordentlich. ({1}) Wie aber kommt es, dass die Union im Mai ein gemeinsames Vorhaben beklatscht und dasselbe im September vehement bekämpft? Ich habe dafür nur eine Erklärung. Die neue Wahlstrategie der Union für 2009 lautet kurz gefasst: Die Linke prügeln, um die SPD zu treffen. Dass man dafür sogar ein mögliches Miteinander aller Bundestagsfraktionen gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben opfert, das wiederum finde ich geschichtsvergessen, kurzsichtig und würdelos. ({2}) Dasselbe trifft auf die meisten bemühten Unionsvorwürfe gegen die Linksfraktion zu. Erst wurde suggeriert, die DDR sei mit den Juden genauso umgegangen wie seinerzeit das NS-Regime. Schließlich wurde die Linke pauschal als antisemitisch diffamiert. Beides ist infam. ({3}) Wieder und wieder wurde ich von Journalisten bedrängt, ich möge nun doch endlich mit gleicher Elle heimzahlen. Ich habe das nicht getan und auch meine Fraktion nicht. Ich wollte das kleinkarierte Parteiengezänk nicht noch selbst vergrößern. Mein Rat ist älter. Ich empfehle insbesondere den vermeintlich christlichen Parteien Johannes 8: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein. Es gibt ohnehin bessere Beispiele. In Delmenhorst fand sich parteiübergreifend ein sehr breites gesellschaftliches Bündnis, um zu verhindern, dass Neonazis dort ein bundesweites Schulungszentrum errichten. Dieses Bündnis hatte Erfolg. Im Land Brandenburg verhinderte ein ebenso breites Bündnis mit einem „Fest der Demokratie“, dass rechtsextreme Kameraden auf dem Soldatenfriedhof Halbe ein Heldengedenken für die Wehrmacht inszenieren konnten. Erst vor wenigen Wochen hat die CSU im bayerischen Memmingen gemeinsam mit der Linkspartei und vielen anderen gegen einen Aufmarsch der NPD demonstriert; ich war dabei. Alle, die solche Zivilcourage zeigen, haben einen Anspruch darauf, dass der Bundestag sie in ihrem täglichen Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unterstützt und keine egoistischen Signale dagegensetzt. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke hat den Antrag der anderen Fraktionen übernommen. Wir stellen ihn als eigenen Antrag wortgleich zur Abstimmung. Ich appelliere an uns alle: Gehen wir souverän damit um! Die Linke tut dies, wohl wissend, dass der aktuelle Antrag, was seine konkreten Vorhaben angeht, schwächer ist als der Entwurf, den der überfraktionelle Arbeitskreis im Konsens unterbreitet hatte, und wohl wissend, dass die eigenen Vorschläge der Linksfraktion weitgehender sind, als es der Kompromiss des Arbeitskreises war. Aber die aktuelle Alternative heißt: Entweder schwächt der Bundestag die gesellschaftlichen Bündnisse, oder wir kehren gemeinsam zur Vernunft zurück. Ich plädiere für Vernunft. Alles andere wäre fatal. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Renate Künast hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages verpflichten sich heute gemeinsam, jüdisches Leben in Deutschland zu fördern, den Kampf gegen den Antisemitismus zu verstärken und für konkrete Projekte Geld in die Hand zu nehmen. Ich bin froh darüber, dass wir im Vergleich zu dem Antrag, der noch bis vor kurzem vorgelegen hat, zwei Verbesserungen erzielt haben; hier bin ich anderer Ansicht als Frau Pau. Der erste Punkt ist, dass die Formulierung, durch die die Linkspartei ausgeschlossen wurde, gestrichen worden ist. Darüber bin ich froh, weil ich finde, dass man des 70. Jahrestages der Pogromnacht und ihrer Folgen nur dann angemessen gedenken kann, wenn man jetzt nicht wieder das tut, was auch damals am Anfang stand, dass man nämlich jemanden ausgrenzt, welcher Partei auch immer er angehört. Frau Pau, der zweite Verhandlungserfolg ist, dass jetzt konkrete Projekte benannt sind. Wer für den Beauftragten war, fand den alten Antrag vielleicht besser. Ich finde es aber besser, dass nun avisiert ist, konkrete Projekte - quer durch das ganze Land, überall dort, wo Menschen vor Ort mühevolle Arbeit verrichten - auf Dauer zu finanzieren und nicht nur als Modellprojekte. Insofern glaube ich, dass uns ein guter Antrag vorliegt. ({0}) Ich will an dieser Stelle all denen danken, um die es dabei auch geht. Denn wir gedenken nicht nur, sondern es muss hier und heute auch um all diejenigen gehen, die vor Ort in den Projekten arbeiten. Beispiele sind das Projekt Exit, dessen finanzielle Förderung leider ausgelaufen ist, und die weiteren Anlaufstellen für NPD-Aussteiger. Außerdem werden in vielen Städten quer durch das Land Jugendprojekte durchgeführt. Diejenigen, die sich dort engagieren, sind zum Teil selbst Druck und Bedrohungen ausgesetzt. All diesen Menschen sollten wir gemeinsam danken, egal welcher Fraktion wir angehören. ({1}) Ich glaube, wir im Deutschen Bundestag haben buchstäblich in letzter Minute eine sehr große Blamage verhindert. Früher, als ich Jugendliche und junge Erwachsene war, hatte ich manchmal einen Kloß im Hals, wenn ich an die Art dachte, wie wir in der alten Bundesrepublik mit der NS-Zeit umgegangen sind; da lag nämlich manches im Argen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich heute die Rede von Herrn Uhl hörte, hatte ich wieder einen Kloß im Hals, und er ist noch nicht weg. Ich muss jetzt sagen: Trotz alledem, trotz seiner Rede, stimmen wir diesem Antrag zu. ({2}) Das war unglaublich selbstgerecht, Herr Uhl. Ich glaube, die Jüdinnen und Juden in Deutschland und alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Land dürfen erwarten, dass wir uns in dieser Frage einig sind, dass wir tatsächlich nach vorne gehen und dass wir heute und hier das Signal senden: Jeder Antisemit und jede Antisemitin soll wissen, dass sie außerhalb des demokratischen Spektrums stehen. Jeder Antisemit und jede Antisemitin in diesem Land soll wissen, dass sie damit außerhalb des Spektrums aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien stehen. ({3}) Das ist das notwendige Signal und Zeichen. Wir alle wissen - das ist hier schon gesagt worden -, dass Antisemitismus nicht auf den politischen Extremismus beschränkt ist. Er ist auch kein Unterschichtenproblem, sondern er ist quer durch die verschiedenen Schichten dieses Landes vertreten. Es gibt täglich Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Gerade am Wochenende hat es in Berlin einen Angriff auf einen jüdischen Rabbiner und seine Schülerinnen und Schüler gegeben. Die Menschen erleben diese Angst also heute hier. Wir alle zusammen müssen sagen: Wir stehen mit euch zusammen und kämpfen für dieses „Nie wieder“. ({4}) Wir dürfen das auch nicht kleinreden. Wir wissen, dass es innerhalb des Rechtsextremismus Leute gibt, die seit vielen Jahren versuchen, in diesem Land, wie sie es nennen, national befreite Zonen zu organisieren, sodass es Bereiche gibt, in denen junge Menschen gar kein Jugendzentrum mehr finden, in dem nicht alle anderen antisemitisch und rechtsextrem sind. Wie sollen denn diese zehn-, elf- und zwölfjährigen Kinder - gerade die Jungen, die aus dem Elternhaus herausgehen und eine Bezugsgruppe suchen, an der sie teilhaben und sich orientieren können - eigentlich als kleine Demokraten aufwachsen können, wenn wir nicht alle gemeinsam an dieser Stelle stehen und „Nie wieder“ und „Gegen den Antisemitismus“ sagen? Gerade weil Herr Uhl von seinen elf Minuten Redezeit, ich glaube, fast zehn Minuten für die Auseinandersetzung mit der Partei Die Linke verwendet hat, muss ich sagen: Lassen Sie uns an dieser Stelle keine Lebenslügen aufbauen. Deshalb sage ich klar: Es gab eine lückenhafte Aufarbeitung. Das war ja auch das Desaster dieser Länder. Es gab personelle und ideologische Kontinuitäten nach dem Ende des Dritten Reichs. Die gab es aber überall. Es gab sie in der DDR, und es gab sie in der frühen Bundesrepublik. Wer hier spricht und andere kritisiert, dabei aber nur das eine benennt, ohne auch das andere zu benennen, Herr Uhl, ist nicht glaubwürdig. ({5}) Die DDR hat Israel nie anerkannt. Sie hat alte NSVertreter und Soldaten weiterbeschäftigt und so getan, als sei nichts. Ich bin in der frühen Bundesrepublik groß geworden und weiß, dass es einen Globke gab, dass es herbe Auseinandersetzungen über Filbinger gab, dass es lange dauerte, bis klar war, dass die, die nach der KZZeit im Nationalsozialismus im Westen irgendeiner wilden K-Gruppe angehörten, keine Opferentschädigung erhielten, und dass kein einziger NS-Jurist letztinstanzlich rechtskräftig verurteilt wurde. Das alles liegt mir auf der Seele und war mir sowieso wie ein Kloß im Hals. Durch Herrn Uhls Rede ist er noch größer geworden. Lassen Sie uns an dieser Stelle keine falschen Signale geben! Ich will Ihnen zwei Leute aus Ihren Reihen benennen, die mich in diesem Zusammenhang beeindrucken. 1992 - es war am 8. November 1992 am Lustgarten - hat es in Berlin eine sehr große Demonstration gegeben. Viele haben gesagt, dass diese Demonstration von 400 000 Menschen unter dem Titel „Die Würde des Menschen ist unantastbar - Gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus“ die größte der Nachkriegszeit war. Ich habe sie gemeinsam mit anderen initiiert, und ich weiß noch, wie wir im Berliner Abgeordnetenhaus - das wurde später von vielen anderen, auch von von Weizsäcker, Süssmuth und anderen unterstützt - saßen und auch die CDU sagte: nicht mit der PDS, wie sie damals noch hieß. Ich ging dann zu einer der stärksten Frauen, die die CDU in Berlin je hatte, nämlich zu Hanna-Renate Laurien. Sie war Präsidentin des Abgeordnetenhauses. Sie saß da und sagte: Wenn sie das untereinander nicht wollen, dann rufe ich als Parlamentspräsidentin für alle auf. - Das ganze Abgeordnetenhaus sagte: Die Würde des Menschen ist unantastbar. - 400 000 Menschen, Parteien, NGOs, Gewerkschaften: Alle waren auf der Straße. Ich finde, Hanna-Renate Laurin ist eine große und starke Frau. ({6}) Ich muss noch jemanden aus der CSU nennen. Denn damals hat sich die CSU geweigert, daran teilzunehmen. Max Streibl hat es als bloße Schaufensterveranstaltung bezeichnet, an der die CSU nicht teilnehme - und das nach Hoyerswerda, Hünxe und Lichtenhagen. Er ist nicht hingegangen. Enoch zu Guttenberg, der Vater des neuen CSU-Generalsekretärs zu Guttenberg, hat einen Großonkel - er ist also der Urgroßonkel des CSU-Generalsekretärs - namens Karl Ludwig zu Guttenberg. Er war Widerstandskämpfer in dem Kreis um Stauffenberg. Enoch zu Guttenberg war damals über Streibl entsetzt. Er hat mit ihm diskutiert, und weil Streibl sich immer noch weigerte, hat er seinen Austritt aus der CSU erklärt. Ich finde, er ist ein mutiger Mann, weil er die Sache über eine Partei stellte, der er nahestand. Ich finde es gut, dass uns die Geschäftsordnung die Chance gibt, das Ganze zu retten, und dass wir heute gemeinsam über die Anträge abstimmen. Es geht um das Gedenken an die NS-Opfer und den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus. Wir werden das Thema hier wieder diskutieren. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kristina Köhler ist die nächste Rednerin für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In wenigen Tagen jähren sich zum 70. Mal die Novemberpogrome des Jahres 1938. In der Nacht vom 9. zum 10. November wurden über 1 000 jüdische Synagogen in ganz Deutschland beschädigt oder in Brand gesetzt. Unzählige jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. Hunderte Menschen verloren ihr Leben. 30 000 Juden wurden am nächsten Tag, dem 10. November, in Konzentrationslager verschleppt. Zuvor waren an menschenfeindlichem Zynismus nicht mehr zu überbietende Fernschreiben, gezeichnet vom damaligen SS-Führer Heydrich, bei Stellen der Staatspolizei eingegangen. In diesen hieß es zum Beispiel - ich zitiere -: Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen ({0}). Diese Nacht des organisierten Terrors war nicht der Ausgangspunkt des Holocaust. Seine Wurzeln liegen viel früher und tiefer. Diese Nacht lieferte jedoch für alle im In- und Ausland den sichtbaren Beweis, dass die Nationalsozialisten mit dem von Goebbels ausgerufenen Ziel eines sogenannten judenfreien Reiches ernst machen wollten - zumindest für alle, die das Sichtbare auch sehen wollten. In dieser Nacht wurden die jüdischen Bürger unseres Landes zum Objekt degradiert. Der Historiker Hans Mommsen schrieb dazu - ich zitiere -: Zweifellos trugen die Ereignisse des Pogroms und seine Folgen entscheidend zu der „Entpersönlichung“ der jüdischen Mitbürger bei, die eine wichtige psychologische Voraussetzung des Genozids war. Der Einzelne mag mit diesen damals organisierten Ausschreitungen noch nicht verbunden haben, was später in den Todesfabriken von Treblinka oder Auschwitz passierte, wie es der leider viel zu früh verstorbene ehemalige Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, formulierte. Er sagte aber: Doch war nicht alles, was bis Mitte November 1938 geschehen war, schon schrecklich und menschenverachtend genug? Das war es. Dies zu wissen, verpflichtet uns alle, auf Antisemitismus und Menschenverachtung nicht mit Erschrecken oder Schweigen zu reagieren, sondern aufzustehen und zu sagen: „Nie wieder! Erst recht nicht in Deutschland!“ ({1}) Die Bekämpfung des Antisemitismus muss für uns alle in diesem Haus auch im Jahr 2008 eine besondere Aufgabe sein. Freilich ist es nicht so - auch dieses Signal wäre verheerend oder falsch -, dass Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten die Bekämpfung des Antisemitismus nicht ernst genommen hätten, ganz im Gegenteil. Dabei schließe ich alle in diesen Jahren an den Regierungen beteiligten Fraktionen ein. Es ist auch nicht so, dass der Antisemitismus in Deutschland in diesen Jahren, verglichen mit anderen Ländern, besonders auffällig wäre oder überproportional zugenommen hätte. Auch dieser Eindruck ist falsch. Aber zum einen müssen wir nach wie vor zur Kenntnis nehmen, dass etwa im Jahr 2007 1 500 antisemitische Straftaten, darunter 1 300 Propagandadelikte oder Fälle von Volksverhetzung sowie 59 Gewalttaten registriert wurden. Zum anderen gibt es den Satz unseres Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, der immer wieder eindringlich mahnt und richtigerweise formuliert hat: Antisemitismus, wo immer er auftritt, ist nicht akzeptabel. In Deutschland ist er unerträglich. Gerade weil er in Deutschland unerträglich ist, haben wir eine besondere Verantwortung. Diese Verantwortung ist ein Auftrag ohne Verfallsdatum. Diese Verantwortung erschöpft sich nach meiner festen Überzeugung nicht in symbolischen Gesten. Der Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, über den wir heute beraten, kann deshalb nicht nur der Erinnerung und der Symbolik dienen; denn das Geschwür des Antisemitismus entwickelt sich weiter. Deswegen muss sich auch die Antisemitismusbekämpfung weiterentwickeln. Sie muss es in der Frage der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Sie muss es in der Frage der Bildung, die mit zunehmendem persönlichen und zeitlichen Abstand vom Holocaust vor neuen Aufgaben der Vermittlung steht. Sie muss es aber auch in der grundsätzlichen Frage, aus welchen Quellen sich der Antisemitismus von heute überhaupt speist; denn ohne eine umfangreiche Analyse, woher das Geschwür des Antisemitismus kommt, ist die Antisemitismusbekämpfung nur ein Placebo. Deswegen ist es richtig, in regelmäßigen Abständen Expertenberichte zum Antisemitismus erstellen zu lassen. Das haben wir gefordert, und das unterstützen wir. ({2}) Zum Thema Linke und zum Thema antisemitischer Antizionismus nur ein einziger Satz: Der Kollege Uhl hat Ihnen Zitate von hochrangigen Funktionsträgern der Linken vorgetragen. Das Schlimme ist nicht in erster Linie, dass es solche Äußerungen gibt. Dagegen ist keine Partei gefeit. Das Schlimme ist vielmehr, dass kein Einziger dieser Abgeordneten oder Funktionsträger für diese Äußerungen seinen Hut nehmen musste. Das sagt alles. ({3}) Der Deutsche Bundestag wird heute seiner Verantwortung gerecht. Wir werden niemals mehr verstummen, und wir werden niemals mehr schweigen, wenn Menschenverachtung oder Judenhass versuchen, sich Bahn zu brechen. Für mich als relativ junge AbgeordKristina Köhler ({4}) nete ist dabei der Auftrag maßgebend, den unser damaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede vom 8. Mai 1985 formuliert hat: Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind dafür verantwortlich, was in der Geschichte daraus wird. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Markus Löning, FDP-Fraktion. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist unsere Verantwortung als Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die Freiheit unserer Gesellschaft und unserer Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Es ist unsere Verantwortung als frei gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes, uns für die Werte unserer Verfassung einzusetzen und für die Werte unserer Verfassung zu kämpfen. Das ist eine Verpflichtung, die uns die Geschichte lehrt. Die Weimarer Republik ist daran gescheitert, dass die Mitte der Gesellschaft nicht bereit war, sich für die Werte und die Freiheit der Gesellschaft einzusetzen. Daraus müssen wir die Lehre ziehen. ({0}) Es ist daher unsere Verantwortung als Abgeordnete, die Feinde der Freiheit und Angriffe auf die Freiheit abzuwehren. Antisemitismus in all seinen Facetten ist ein schwerwiegender Angriff auf die Freiheit von Menschen in unserem Land, auf die Freiheit einer Minderheit und damit ein Angriff auf die Freiheit unserer Gesellschaft, ein Angriff auf unser aller Freiheit. ({1}) Der Gradmesser für die Freiheit einer Gesellschaft ist immer die Freiheit von Minderheiten. Wie frei und wie sicher fühlt man sich in Deutschland, wenn man eine Kippa oder als Schmuckstück einen kleinen silbernen Davidstern trägt? Es wurden heute schon verschiedene Beispiele genannt. Frau Künast, Sie haben die Angriffe, die gerade in dieser Woche in Berlin stattgefunden haben, angesprochen. Wie sicher und wie frei fühlt man sich, wenn man sich erkennbar als Jude in unserer Gesellschaft bewegt? Da müssen wir ansetzen, meine Damen und Herren. ({2}) Die Versuche, im Kampf gegen Antisemitismus etwas zu erreichen, wirken oft hilflos. Wir haben über verschiedene Maßnahmen diskutiert, die wir als Abgeordnete ergreifen können: die Einrichtung einer EnqueteKommission, die Einsetzung eines Beauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus; jetzt sollen ein Expertengremium eingesetzt und ein jährlicher Bericht erstellt werden. Der Kern der Sache ist doch, dass wir als Abgeordnete unsere Verantwortung wahrnehmen, das, was wir in diesem Land sehen, zum Thema zu machen, in die Öffentlichkeit zu tragen, Übergriffe zu geißeln und zu sagen, dass es in unserem Land nicht akzeptabel ist, wenn Leute ausgegrenzt werden. ({3}) Eines ist ganz klar für unsere Gesellschaftsordnung: Der Kampf gegen den Antisemitismus, der entschlossene gemeinsame Kampf aller Demokraten und aller Parteien ist ein konstitutives Element unserer Gesellschaft, unserer freien Bundesrepublik. Wir dürfen nicht nachlassen, dies immer wieder gemeinsam zu tun. Wenn wir die Geschlossenheit an dieser Stelle aufgeben, so öffnen wir die falsche Tür. Ich denke, es ist unerlässlich, dass wir als Deutscher Bundestag hier geschlossen stehen, um ein gemeinsames und entschlossenes Signal gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung von Minderheiten und für die Freiheit in unserer Gesellschaft zu setzen. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin von der Unionsfraktion, ja, Antisemitismus gibt es in vielen Ländern dieser Erde, aber für uns Deutsche ist es noch einmal etwas anderes. ({0}) Denn wir wissen: Der Antisemitismus kommt wie der Dieb in der Nacht, und wenn er da ist, dann greift er von innen an. Wir haben in der Weimarer Republik erlebt, wohin das führt. Es führt zum Mord an der Demokratie, und es führt dazu, dass Menschen ausgerottet werden. Das ist es, was Antisemitismus für uns Deutsche bedeutet. Deswegen darf es für uns nicht darum gehen, zu verharmlosen, zu beschönigen, gar davonzulaufen ({1}) oder mit dem Finger auf andere zu zeigen; denn immer wenn man mit einem Finger auf andere zeigt, weisen drei Finger auf einen selbst zurück. ({2}) Der 9. November 1938, als die vielen Synagogen - es waren wohl 1 500 an der Zahl - in Flammen aufgegan19778 Gert Weisskirchen ({3}) gen sind und viele Hunderte von Juden erschlagen, ermordet worden sind, war der Vorschein dessen, was sich im Holocaust zeigte: die industrielle Ermordung von Menschen. Ihnen wurde das Recht genommen, Rechte zu haben, wie Hannah Arendt es ausgedrückt hat. Das war der Vorschein dessen, was damals am 9. November in vielen Städten Deutschlands geschah. Dieser Vorschein hat dazu geführt, dass bis zum Ende aller Zeit, dass bis an das Ende aller Tage der Name Holocaust in den Namen Deutschlands eingebrannt bleibt, ich wiederhole: eingebrannt bleibt. Weil das so ist, müssen wir - ich bin der Frau Bundeskanzlerin dafür dankbar, dass sie das vor der Knesset so gesagt hat - anerkennen, dass die unverbrüchliche Zustimmung zum Existenzrecht Israels unsere eigene Staatsräson ist. ({4}) Das ist ein Satz, der in die Geschichte gemeißelt ist und der für uns Aufruf bleibt, auch für immer und für alle Zeit. Was bedeutet das heute, wenn wir uns anschauen, dass Jüdinnen und Juden zurückkehren nach Deutschland, hierher kommen, in ein Land, lieber Kollege Kauder, aus dem sie fliehen mussten, aus dem sie vertrieben wurden von Deutschen, die gemordet haben? Wenn sie heute zurückkommen: Was bedeutet das für unser eigenes Selbstverständnis? Ich finde, liebe Frau Goodman-Thau - Sie sind aus Israel hierher gekommen und hören dieser Debatte zu -, das ist ein ermutigendes Zeichen für uns. Warum sind Jüdinnen und Juden nach Deutschland zurückgekommen? Weil sie hier versuchen, gemeinsam mit Deutschen an einem kollektiven Gedächtnis zu arbeiten, nämlich an einem Gedächtnis, das immer getrennt bleiben wird - das ist der Schmerz, der uns von Nazideutschland überlassen bleibt - zwischen Tätern und Opfern. Nur das Partikulare der Opfer wird uns und allen, die nach uns kommen, als Stachel und als Pfeiler der Erinnerung in unserem eigenen politischen Handeln bleiben. Dieser Pfeiler, dieser Stachel des kollektiven Gedächtnisses wird uns aber auch das Fundament einer Brücke in eine andere Zukunft sein, in eine Zukunft, in der Jüdinnen und Juden erneut bei uns leben können und versuchen, den Teil ihres historischen Gedächtnisses, der von den Tätern immer getrennt bleiben wird, weil sie Opfer waren, zu bewahren. Er wird ihnen aber eine Chance geben, eine gemeinsame neue Brücke in die Zukunft zu bauen. Ich verweise zum Beispiel auf Hermann Cohen, ein deutscher Jude aus Marburg, demokratischer Sozialist. Er war einer derjenigen, die mitgeholfen haben - wie Rudolf Hilferding; man braucht nur das Buch Das Finanzkapital zu lesen -, die Konflikte jener Zeit zu erkennen, zu bearbeiten und neue Wege zu gehen. Ich muss sagen: Ich bin stolz darauf, dass jemand wie Rudolf Hilferding Mitglied unserer sozialdemokratischen Fraktion war. Er hat uns deutlich gemacht, dass es in jener Zeit andere Wege aus der Krise des internationalen Finanzkapitals geben konnte. Also: Das, was an jüdischem Vermächtnis für unser eigenes Gedächtnis unverzichtbar ist und bleibt, ist, dass wir gemeinsam eine Brücke in die Zukunft bauen dürfen. Das erlauben uns sowohl diejenigen, die als Opfer Deutschlands durch den Rauch von Auschwitz gehen mussten, als auch diejenigen, die haben zurückkommen dürfen, weil sie zurückkommen wollten. Das ist ein großartiges Geschenk. Ich bin dankbar dafür, dass wir dieses Geschenk jetzt in dem Text gemeinsam festhalten. Das ist die Aufgabe, jeden Tag neu gegen den Antisemitismus anzukämpfen, ihm ein Stoppsignal entgegenzusetzen; denn wenn wir das nicht tun, besteht die gleiche Gefahr wie in der Weimarer Republik: Er kommt wie der Dieb in der Nacht, ermordet die Demokratie, und am Ende wird Deutschland im Innersten zerstört. Das ist der Auftrag der Geschichte: Wir bauen an einem gemeinsamen neuen historischen Gedächtnis, und wir tun das mit den jüdischen Gemeinden hier in Deutschland - für eine neue, eine europäische Zukunft, vielleicht sogar mit dem Ziel, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder den Ort finden, der zuvor ausgelöscht worden war. Darum geht es. Ich bin dankbar dafür, dass wir das gemeinsam hier so beschließen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist vereinbart, dass über die gleichlautenden Anträge der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke gemeinsam abgestimmt werden soll. Dazu liegt mir eine Erklärung von elf Mitgliedern der Fraktion Die Linke nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung vor, ({0}) in der sie erklären und erläutern, dass und warum sie sich an dieser Abstimmung nicht beteiligen. ({1}) Die Erklärung fügen wir, wie immer in solchen Fällen, dem Protokoll bei.1) Wir stimmen jetzt ab über die Anträge auf den Drucksachen 16/10775 ({2}) und 16/10776 mit dem Titel „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdi- sches Leben in Deutschland weiter fördern“. Wer stimmt für diese Anträge? - Stimmt jemand dagegen? - Eine Gegenstimme. Gibt es Enthaltungen? - Dann ist das mit 1) Anlage 2 Präsident Dr. Norbert Lammert überwältigender Mehrheit des Deutschen Bundestages so beschlossen. ({3}) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf: Vereinbarte Debatte Wachstum stärken - Beschäftigung sichern Finanzmarktkrise überwinden Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({4}) - Vielleicht warten wir noch einen Augenblick, bis der neue Tagesordnungspunkt die notwendige Aufmerksamkeit findet.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für unsere Wirtschaft müssen wir jetzt auf zwei Feldern entschlossen handeln. Zum Ersten müssen wir wieder Vertrauen schaffen - das ist ungeheuer wichtig -, und zum Zweiten müssen wir das Wachstum stärken. An den Finanzmärkten ist in den letzten Wochen, wie wir wissen, sehr viel Vertrauen zerstört worden. Vertrauen ist eine kostbare Pflanze, die sehr leicht vernichtet werden kann, aber nur ganz schwer wieder nachwächst. Deswegen dürfen wir nicht abwarten, bis sich in der Wirtschaft alles zum Schlechteren wendet, sondern müssen Maßnahmen ergreifen, die einen Abschwung abwenden. Die Wirtschaft kann weder ohne das nötige Vertrauen noch ohne die nötigen Finanzmittel arbeiten. Insofern begrüße ich, dass sich jetzt immer mehr Banken bereit erklären, das anzunehmen, was wir als Bund insgesamt anbieten. Wir möchten nämlich, dass die Banken ihr Eigenkapital so stärken, dass sie der Wirtschaft - darum geht es uns - wieder Kreditmittel gewähren können. ({0}) Nur so können wir verhindern, dass die Finanzkrise zu einer Krise der realen Wirtschaft wird. Ich habe bei mir im Hause zusätzlich ein Sorgentelefon für den Mittelstand eingerichtet. ({1}) - Uns werden sehr viele Sorgen mitgeteilt. Wir hören den Menschen auch zu - offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen. Der Mittelstand hat auch noch Vertrauen in unsere Handlungsfähigkeit. Wir wollten vor allen Dingen wissen, wie es mit der Kreditversorgung aussieht. Da hören wir erste Klagen. Wenn die Banken also nur ihre Bilanzen konsolidierten oder möglicherweise sogar ihr Kreditvolumen verkleinerten, um zu erreichen, dass die Kernkapitalquote stimmt, dann wäre das der falsche Weg. Wir möchten das Gegenteil erreichen. ({2}) Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die gegenwärtig sozusagen noch gut handeln - ich höre vom Einzelhandel, dass der Konsum nicht zurückgeht -, brauchen weiterhin die nötige Kaufkraft. Um zu verhindern, dass der Konsum zurückgeht, dürfen nun allerdings nicht so hohe Löhne gefordert werden, dass möglicherweise die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Vielmehr ist es notwendig, dass nicht nur negative, sondern auch positive Entwicklungen auf dem Markt, die es ja auch gibt, an die Verbraucher weitergegeben werden. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, warum es unseren Energiekonzernen bzw. -versorgern nicht möglich ist, dafür zu sorgen, dass sich die stark gesunkenen Ölpreise noch vor Beginn der Heizperiode auf die Gaspreise auswirken. ({3}) Wir brauchen hier offensichtlich noch mehr Wettbewerb, als wir ohnedies haben; ({4}) denn der Wettbewerb löst die Probleme am allerbesten. Wenn dieser durch die Koppelung des Gaspreises an den Ölpreis nicht ohne Weiteres möglich ist, dann könnten zumindest die Abschlagszahlungen gesenkt werden. Ich habe den Eindruck, hier steckt ein Kaufkraftvolumen von circa 15 Milliarden Euro, ({5}) das ansonsten im wahrsten Sinne des Wortes durch den Schornstein geht. ({6}) Aber zurück zu dem Paket, das wir morgen im Kabinett verabschieden wollen. Uns geht es dabei insbesondere darum, das Wachstum zu stärken und die Beschäftigung zu sichern. Das Paket fördert in den Jahren 2009 und 2010 Investitionen in Höhe von insgesamt circa 50 Milliarden Euro. Zum einen werden langfristige Programme und Investitionsprojekte verstärkt, zum Beispiel der Ausbau der Infrastruktur. Das sind Maßnahmen, die nötig sind und jetzt vorgezogen werden müssen. Zum anderen wird die Energieeinsparung gefördert. Wir geben befristet Impulse für diejenigen, die in der Lage sind, jetzt zu investieren. Ich nenne nur ein Beispiel für einen solchen Impuls: die auf zwei Jahre befristete Wiedereinführung der 30-prozentigen degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter. Genauso wichtig ist es, dem Handwerk zu mehr Aufträgen zu verhelfen. Das tun wir, indem wir Schwarzarbeit bekämpfen und den Handwerkerbonus, der ungefähr 600 Euro beträgt, auf 1 200 Euro erhöhen. ({7}) Damit werden nötige Renovierungs- und Wartungsarbeiten sowie Energiesparinvestitionen angestoßen. Vor allen Dingen darf es keine Kreditklemme für den Mittelstand geben. Wir müssen den Mittelstand weiter mit Kapital versorgen können. Hier kann der Staat nur flankierende Hilfe leisten. Wir werden das tun, indem wir die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu einem Kreditprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro veranlassen. Die Haushaltsbelastungen für dieses Programm liegen also weit unter dem Umfang der angestoßenen Investitionen. Es ist wichtig, zu sehen, wie viel mehr wir mit dem, was an Haushaltsmitteln fließt, in Bewegung setzen können. Trotz der Krise müssen wir, wie ich meine, auch die Angebotsseite verstärken, um so langfristige Wachstumsaussichten für unsere Volkswirtschaft zu ermöglichen. Das steht nicht im Widerspruch zu konkreten Maßnahmen. Ich will ein Beispiel herausgreifen, das sehr umstritten ist, auch in der eigenen Fraktion. Wir haben jetzt das Problem, dass die Automobilproduktion stoppt. Viele Bänder wurden angehalten, viele Fabriken pausieren. Der Druck wird hauptsächlich auf die Zulieferer abgegeben, insbesondere auf die kleinen Zulieferer, die mit dieser Krise schwerer fertig werden. Ich kann nur an die Automobilfirmen appellieren, dass sie mit ihren Zulieferern pfleglich umgehen. All diese wird man wieder brauchen. ({8}) Wir wollen deswegen per Kabinettsbeschluss die Kfz-Steuer für Neuwagen - das ist eine Art symbolischer Akt, der zeigt, wie wichtig für uns die Automobilindustrie ist, von der jeder sechste Arbeitsplatz in Deutschland abhängt - für ein Jahr aussetzen, weil jedes neu gekaufte Auto weniger Schadstoff ausstößt als die alten Stinker, die auf unseren Straßen relativ stark verbreitet sind. Für diejenigen Autos, die jetzt schon vorbildlicherweise die Euro-5- und die Euro-6-Norm erfüllen, wollen wir die Kfz-Steuer für zwei Jahre aussetzen. All dies sind Beispiele, die zeigen, dass wir rasch handeln, um das Vertrauen der Märkte zu stärken. Ohne Vertrauen in die Zukunft lässt sich nämlich keine Stabilisierung erreichen. Es kann alles nur funktionieren, wenn auch weiterhin, sowohl von den Verbrauchern als auch von den Investoren, an die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft geglaubt wird. Wir haben in der Großen Koalition sehr viel erreicht. Die Arbeitslosenzahl im Oktober lag zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder unter 3 Millionen. Wir haben bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte Fortschritte erzielt. Deswegen ist der Staat handlungsfähig, und wir konnten gezielt Abgaben und Steuern senken. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. Die erfolgreiche Haushaltssanierung, die wir in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen müssen, eröffnet Spielräume. Wir müssen aber als Welthandelsnation Nummer eins auch aufpassen. Wir wissen, dass wir auf vielen Exportmärkten Schwierigkeiten haben und dass die Zahlungsfähigkeit einer Reihe von Staaten gefährdet ist. Für die Wirtschaft sind die Risiken manchmal nicht zu überschauen, die mit der Lieferung von Waren und Leistungen nach außen verbunden sind. Wir haben durchaus die Möglichkeit, unsere Maßnahmen der Kreditversicherung, die sogenannte Hermes-Deckung, weiter zu verstärken, ohne dass wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen müssen. Ich habe mein Haus angewiesen, hier großzügiger zu sein. Ich kann die Wirtschaft nur einladen, sich dieser Instrumente zu bedienen. ({9}) Wir möchten aber nicht, dass international eine Art Subventionswettlauf entsteht. Deswegen müssen wir schauen, dass die Regeln der WTO eingehalten werden. Es geht nicht an, dass einzelne Staaten, wie angekündigt, ihre Automobilindustrie überdimensional subventionieren. Auch hier müssen die Spielregen eingehalten werden. Das Allerfalscheste wäre, wenn man in dieser Krise den freien Welthandel gefährden würde. Es ist deswegen richtig, dass sich die Bundeskanzlerin auf dem G-20Treffen dafür einsetzt - das hat sie heute noch einmal vor unserer Fraktion erklärt -, dass die Doha-Runde der WTO weitergeht; denn Protektionismus wäre die allerfalscheste Antwort, die wir auf diese Krise geben könnten. ({10}) Meine werten Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen die richtige Mischung aus Marktwirtschaft, Wettbewerb und natürlich sozialer Absicherung. Wir brauchen aber auch weiterhin die private Risikobereitschaft. Ich möchte einen letzten Punkt erwähnen. Der Kampf um Investitionskapital ist jetzt überall ausgebrochen. Deswegen meine ich, dass wir die Erbschaftsteuer so regeln müssen, dass die Betriebsübergänge im Mittelstand und in der gewerblichen Wirtschaft in einer Art und Weise erfolgen können, dass den Firmen nicht zusätzlich Kapital entzogen wird, das dann anderweitig fehlt. ({11}) Der Staat kann immer nur flankierend tätig sein und helfen. Handeln müssen die Menschen selber. Danke schön. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Rainer Brüderle das Wort. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat allen Grund, sich Sorgen um das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu machen. Die Europäische Kommission prognostiziert Stagnation. Das Land befindet sich am Rande der Rezession. Im Herbstgutachten wird eine Spannbreite von plus 0,2 bis minus 0,8 Prozent Wachstum angegeben. Die Finanzkrise hat die Realwirtschaft erreicht. Das Geschäftsklima ist in den letzten fünf Monaten permanent gesunken. Die Signale aus den verschiedenen Wirtschaftsbranchen - aus dem Automobilsektor, aus dem Maschinenbau - sind alarmierend. Auftragseinbrüche und Kurzarbeit sind wieder an der Tagesordnung. In einer solchen Situation ist von einer Regierung entschlossenes Handeln gefragt. Doch das, was die Regierung auf den Weg zu bringen beabsichtigt, ist eine Aneinanderreihung von Einzelmaßnahmen. Ein Konzept ist hinter der Auflistung von Gebäudesanierungsmaßnahmen, Autohilfen, Handwerkersubventionen und Luftfahrtfonds nicht erkennbar. Das alles ist zwar im Einzelnen durchaus liebenswert; aber es ist kein Konzept. Das sind Konjunkturprogrämmchen; aber das ist kein klares Antirezessionsprogramm. ({0}) Selbst in der Unionsfraktion können viele keinen rechten Sinn dahinter erkennen; ich erinnere an die Äußerungen von Herrn Kampeter und Herrn Dr. Fuchs in den letzten Tagen. Offenbar will man im beginnenden Wahljahr die eigene Klientel bedienen. Schwarz-Rot hat kein wirtschaftspolitisches Konzept. Dies ist vordergründiger Aktionismus mit wenig ökonomischer Substanz. ({1}) Wichtig wären Schritte, die die Nettoeinkommen der Bürger erhöhen und zu einer steuerlichen Entlastung führen. Die Nettoeinkommen sind in den letzten Jahren gesunken. Die private Nachfrage macht zwei Drittel des Bruttosozialprodukts aus. Sie zu stärken, wäre der richtige Ansatz, um die Wachstumskräfte zu stärken und Deutschland angesichts der Gefahr einer Rezession wieder ein Stück zu kräftigen. Hier müsste man vorankommen. ({2}) Steuersenkungen werden aber abfällig beurteilt. Es wird gesagt, die Leute gäben das Geld dann falsch aus. Der Staat weiß viel besser, wie die Verwendung auszusehen hat! - Das ist eine Lenkung in bestimmte Sektoren, in bestimmte Konsumbereiche hinein. Da wird ein bisschen für die Automobilindustrie gemacht. Es glaubt doch keiner, dass jemand, weil er ein Jahr lang keine Kfz-Steuer zahlen muss, ein neues Auto für 35 000 Euro kauft. Es grenzt an Volksverdummung, ein solches Konzept zur Wirtschaftsbelebung vorzutragen. ({3}) Ähnlich ist es im Handwerksbereich. Es dient vielleicht der Bekämpfung von Schwarzarbeit, wenn man Handwerkerrechnungen etwas höher steuerlich absetzen kann. Aber es wird sich keiner deshalb ein neues Bad installieren lassen, weil er 600 Euro mehr steuerlich absetzen kann. Auch das ist nicht der Push, den man braucht, um jetzt die Wachstumskräfte zu stärken. Die SPD glaubt, mit diesen Subventionen Aufträge von 60 Milliarden Euro zu mobilisieren. Der Wirtschaftsminister erklärt, 1 Million Arbeitsplätze könne man damit sichern bzw. schaffen. Chefökonomen der Deutschen Bank und der deutschen Wirtschaft sagen, dazu brauche man 8 Prozent Wachstum. ({4}) Aber offenbar besteht bei der Regierung die Einschätzung, mit diesen Progrämmchen könne man das erreichen. Symptomatisch ist der Umgang mit der Pendlerpauschale. Erst wurde sie in weiten Teilen abgeschafft. Jetzt soll der Kauf von Autos mit subventionierten Krediten und einer Befreiung von der Kfz-Steuer für ein Jahr gefördert werden. Setzen wir doch die alte Regelung der Pendlerpauschale wieder in Kraft! Das würde sofort wirken und würde gerade für die Bürger in der Fläche eine Entlastung darstellen. ({5}) Verbesserte Abschreibungsbedingungen sind gut. Aber hier gibt es ein Hickhack. Die Wirtschaft braucht für Wachstum Konstanz. Vor einiger Zeit wurde die degressive Abschreibung für zwei Jahre eingeführt. Dann wurde sie abgeschafft. Jetzt ermöglichen Sie sie wieder für zwei Jahre. Dann wird sie wieder abgeschafft. Dann kommt sie vielleicht wieder einmal für ein oder zwei Jahre in die Wundertüte. Das ist keine Politik, die der Wirtschaft eine klare Richtung und Stabilität gibt. Eine solche Wirtschaftspolitik gibt keine klare, verlässliche Orientierung. Es gäbe eine Reihe von Maßnahmen, die sofort wirken würden. Der Wirtschaftsminister hat zu Recht vorgeschlagen, die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge um ein Jahr vorzuziehen. 2010 muss dies sowieso eingeführt werden. Dies könnten wir doch schon für 2009 vorsehen. Das würde die Bürger um 9 Milliarden Euro entlasten. Hier könnte man schnell eine Wirkung erzielen. Diese Maßnahme und die vollständige Wiedereinführung der Pendlerpauschale brächten eine Entlastung von 12 Milliarden Euro; damit könnte man eine Wirkung erzielen. ({6}) Man kann diese Beträge auch sehr schnell zu verfügbarem Einkommen machen - noch vor dem Weihnachtsgeschäft -, etwa durch Steuerschecks. Auch das wird in Deutschland immer belächelt. Aber immer mehr fordern dies - vom liberalen Professor Straubhaar vom Hamburgischen Welt-Wirtschaftsinstitut bis hin zu Herrn Bofinger, dem DGB-nahen Wirtschaftsweisen des Sachverständigenrats. Das ist der Weg, der in Amerika mehrfach gegangen wurde. Diese Maßnahme ging zu über 60 Prozent direkt in den Konsum, in die Nachfrage. Aber dann kommt der Einwurf, dass die Menschen dieses Geld sparten. Sparen ist aber nichts Schlechtes. Wenn die Bürger einen Teil des Geldes zu den Banken tragen, haben die Banken Geld und können wieder Kredite, zum Beispiel in Form von Mittelstandsdarlehen, geben. So funktioniert eine soziale Marktwirtschaft. Das Sparen zu diskreditieren, ist deshalb eine volkswirtschaftliche Dummheit. ({7}) Sie sollten froh sein, wenn die Bürger sparten; Sie sollten froh sein, wenn sie Geld auf die Bank brächten, wenn sie dabei Vertrauen in Wachstum und Entwicklung unserer Wirtschaft hätten. Den Gesundheitsfonds zu stoppen, würde sofort eine Entlastung von 6 Milliarden Euro bringen. Fast alle wissen - das muss man zugeben, wenn man ehrlich ist -, dass diese Gesundheitsreform Murks ist. ({8}) Egal wie die nächste Bundestagswahl ausgeht: Man wird dies neu regeln müssen. Jetzt erhöhen wir aber die Beiträge auf 15,5 Prozent, was zu einer Mehrbelastung von 6 Milliarden Euro führt. Das soll ein Beitrag sein, um die Wirtschaft zu beleben? Das ist eine Lachnummer! Alle wissen, dass es falsch ist. Haben Sie den Mut, etwas Falsches zu korrigieren und die Bürger zu entlasten, nicht zu belasten! ({9}) Bei der Erbschaftsteuer gibt es ein Hickhack; die großen Heroen kämpfen. Es gäbe eine ganz einfache Lösung: Destinatar, Begünstigter der Erbschaftsteuer sind die Länder. Gebt doch den Ländern, die das Geld bekommen, auch die Kompetenz, zu entscheiden! ({10}) Das wäre das Einfachste. Die Länder sind volljährig. Wir haben einen Föderalismus; die Länder haben Selbstentscheidungsfähigkeiten. Lasst die Bundesländer entscheiden! Ich sage voraus, dass die neuen Bundesländer als Erste sagen würden: Die Erbschaftsteuer ist Unsinn; wir schaffen sie ab; dann brauchen die Unternehmen nicht mehr nach Österreich, Schweden, Frankreich oder sonst wo hinzugehen, sondern können in Deutschland bleiben. ({11}) Lasst es die Länder entscheiden! Das ist Föderalismus. Wir wollen eine Föderalismusreform, führen Diskussionen, machen dicke Backen, aber entschieden wird nichts. Am Schluss kommt dann etwas Komisches heraus, das weiterhin eine Belastung von 4 Milliarden Euro mit sich bringen soll. Wir brauchen eine vernünftige Ordnungspolitik. Die Finanzmarktarchitektur ist nicht stimmig. Da ist vieles aus dem Ruder gelaufen. Hier müssen Freiheit und Verantwortung, Gewinnchancen und die Pflicht zur Haftung wieder zusammengebracht werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich würde nicht darauf warten, dass sich die ganze Welt einigt. Wir können bei uns schon mit ersten Regelungen anfangen, etwa die Anforderungen für Eigenkapital bei den Finanzinstituten ändern. Der Staat sollte eine Vorreiterrolle übernehmen. Die KfW sollte wieder eine Förderbank sein. Die ganzen Abenteuer, die Versuche, Privatbanker zu spielen - das konnte ja nicht gutgehen -, bei denen 10 Milliarden Euro Steuergelder riskiert wurden, müssen endgültig aufhören. Die Landesbanken müssen zu einem Institut zusammengelegt werden. Sie können es aber nicht, denn alles wird politisch besetzt, nach Farbenlehre. Da fahren sie die Kiste an die Wand und verbrennen das Geld der Steuerzahler. Auch das belastet unsere Wirtschaftsentwicklung. ({12}) Wo sind denn die Reformansätze, die endlich konsequent dieses Problem angehen? Dass wir uns in einer Mischung aus Konjunkturproblematik und Strukturkrise befinden, hat damit zu tun - ({13}) - Es hat nichts mit Karneval zu tun; Sie haben es immer noch nicht verstanden. Sie treiben Karneval mit den Bürgern: ({14}) Sie werden für dumm verkauft, sie dürfen nicht selbst entscheiden. Sie dürfen eine halbe Billion Euro - das sind 500 Milliarden Euro - Steuern zahlen, sind in Ihren Augen aber nicht fähig, eigenverantwortlich zu entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen, wenn man sie um 5 bis 10 Prozent steuerlich entlastet. Wir haben ein anderes Bild von den Bürgern und von den Menschen: Die Menschen in Deutschland können sehr wohl eigenverantwortlich entscheiden, wie sie ihr Geld ausgeben. ({15}) Sie brauchen keinen Vormund, weder einen schwarzen, noch einen roten; denn sie sind eigenständige Bürger in einem freien Land. Solange Sie das nicht respektieren, werden Sie die Sache nicht wieder flottkriegen. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erste Aufgabe des Staates ist es, Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern fernzuhalten und sie vor Gefahren zu schützen. Das ist die Hauptaufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir haben mit staatlichem Handeln, wie ich glaube, richtig auf die aktuelle Finanzmarktkrise reagiert. Es ging darum, einen Zusammenbruch der Geldmarktkreisläufe zu verhindern, nicht nur im Interesse der Banken, sondern im Interesse von Sparern, im Interesse derjenigen, die für ihr Alter sparen, im Sinne der Kommunen, im Sinne des Mittelstandes, im Sinne der großen Unternehmen, die Investitionen nicht allein über ihren Cashflow finanzieren können, sondern dazu intakte und stabile Finanzmärkte brauchen. Wir sind dieser Bedrohung, wie ich glaube, richtig entgegengetreten. Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass wir zukünftig neue Verkehrsregeln auf den Finanzmärkten bekommen. Dies wird Gegenstand wichtiger Veranstaltungen in den nächsten Wochen sein: beim Europäischen Rat, bei einem Finanzgipfel in Washington, zu dem die Bundeskanzlerin und ich fahren werden. Heute komme ich von Beratungen in Brüssel, wo diese wichtigen Termine vorbereitet worden sind. Nun droht zusätzlich, verstärkt durch die Finanzmarktkrise, eine Konjunkturabschwächung, und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland. Auch hier ist in unseren Augen der Staat gefordert, ökonomisch sinnvoll, zielgenau und mit der größtmöglichen Hebelwirkung, also mit einem Euro ein Maximum an Investitionen zu bewirken, um dieser Konjunkturabschwächung entgegenzuwirken. Das ist unsere Aufgabe. ({0}) Wir dürfen nicht in eine Beliebigkeit verfallen und irgendwelche Wunschzettel bedienen, sondern müssen sehr gezielt vorgehen, um ein Maximum an Wirkung zu erzielen, insbesondere bezogen auf die Arbeitsplätze. Man muss hinzufügen, dass der deutsche Staat - das gilt insbesondere für den Bundeshaushalt, aber auch für die Haushalte der anderen Gebietskörperschaften - nicht in der Lage ist, mit nationalstaatlichen Programmen allein gegen einen weltwirtschaftlichen Abschwung anzufinanzieren. Wir sollten den Menschen ehrlicherweise sagen, dass das nicht möglich sein wird. ({1}) Der Staat, die Politik kann aber in und für Deutschland durchaus sinnvoll und wirksam handeln. In unseren Augen ist es in diesen konjunkturell schwierigen Zeiten das wichtigste Ziel, einen Schutzschirm für Arbeitsplätze zu spannen. Das heißt, wir müssen alles dafür tun, dass die Arbeitslosigkeit nicht wieder zunimmt, dass die Arbeitsplätze gesichert werden. Das tut die Bundesregierung durch das, was morgen Gegenstand unserer Beratungen im Kabinett sein wird. Sie tut dies nicht mit einem klassischen Konjunkturprogramm nach dem Motto „Viel hilft viel“. Das wäre Inputorientierung nach dem Motto „Nimm doch einfach 10, 20, 30, 35 Milliarden Euro in die Hand“. Dann setzte sofort ein politischer Überbietungswettbewerb ein, ohne dass die Frage beantwortet wird, was im Sinne der Sicherung von Arbeitsplätzen schnell, ohne irgendwelche Zeitverzögerungen - Herr Brüderle, auf die Zeitverzögerungen komme ich gleich zu sprechen - wirkt. Dabei ist dies die entscheidende Fragestellung. In meinen Augen standen klassische Konjunkturprogramme daher nicht auf der Tagesordnung. Mit der Gießkanne übers Land zu gehen, hätte im Ergebnis viel Geld verbrannt, und der Schuldenstand für nachfolgende Generationen wäre noch größer geworden. ({2}) Ich füge hinzu, wohl wissend, dass Teile dieses Hauses darüber anders denken: Kein wirksamer Schutz für Arbeitsplätze wären Steuersenkungen, die durch neue Schulden finanziert werden müssen. Wir werden das nicht tun. ({3}) Keiner diskreditiert die Spartätigkeit. Herr Brüderle, das ist ein völliger Irrtum. Die Wirksamkeit von Maßnahmen für die Inlandsnachfrage würde dann allerdings relativiert, wenn viel Geld auf Sparkonten geht. Bei Ihrem Hinweis darauf, dass man die Absetzungsfähigkeit von Krankenversicherungsbeiträgen hätte vorziehen müssen, haben Sie völlig übersehen, dass die damit verbundenen Vorteile erst mit einem Zeitverzug von einem Jahr über die jeweiligen Steuererklärungen geltend gemacht werden können. Das verschweigen Sie. ({4}) Sie tun so, als wäre das eine Art goldener Schlüssel, mit dem man jetzt etwas tun könnte. In Wirklichkeit wirkt das zeitversetzt. Herr Brüderle, auch der Eindruck, dass der Gesundheitsfonds das große Problem ist, ist falsch. Alle in diesem Saal wissen, dass die Krankenversicherungsbeiträge auch ohne Gesundheitsfonds hätten erhöht werden müssen. Insofern ist das, was Sie sagen, sachfremd. ({5}) Die Art und Weise, in der Sie die gute und richtige Förderpolitik der KfW in Ihrem Potpourri mitverschwirbeln, ist nicht sehr hilfreich für die Debatte, die wir im Augenblick zu führen haben. ({6}) Es wäre auch kein wirksamer und dauerhafter Schutz für Arbeitsplätze, jetzt die Staatsausgaben wahllos und maßlos hochzufahren. Es macht keinen Sinn, mit nationalen Ausgabenprogrammen ein Strohfeuer zu entfachen, wenn am Ende langwirksame Belastungen durch eine neue Schuldenaufnahme entstehen. Wenn Sie sagen, man könnte das am besten organisieren, indem man Steuernachlässe bietet, dann stellen sich die Fragen: Welche Größenordnung hätten Sie denn gerne? 1 Prozent des Bruttosozialproduktes? 2 Prozent des Bruttosozialproduktes oder 3 Prozent? Sind Sie bereit, 25, 50 oder 75 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden mit dem damit verbundenen Kapitaldienst zu schultern? Sie müssen schon konkreter werden und unseren Kindern und Enkelkindern erklären, was das auf Dauer an Belastungen mit sich bringt, statt in einer solchen Debatte einfach darüber hinwegzusurfen. Ich will darauf hinaus, dass die Komponenten dieses Programms in meinen Augen sinnvoll sind. Das sind Impulse für Investitionen: angefangen bei einer zeitlich befristeten Wiedereinführung der degressiven AfA, über dringlich notwendige Verkehrsinvestitionen und eine Ausweitung der Gemeinschaftsaufgabe, über ein CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das auch strukturell langfristig richtige Effekte hinsichtlich des Klima- und Umweltschutzes hat - das wird gut angenommen und ist ein Erfolgsmodell -, ({7}) bis hin zur Sicherung der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen, indem wir, ähnlich wie wir es bei den Banken gemacht haben, eine Garantieposition auch für das Kreditangebot an den Mittelstand in Gang setzen. Letztlich übernehmen wir die Haftung, damit das Kreditangebot zunimmt. Wir entlasten auch private Haushalte und tragen dabei zugleich den Interessen der Handwerker Rechnung, die gern in privaten Haushalten Dienstleistungen erbringen möchten. Wir bauen ein weiteres Sicherheitsnetz für die Beschäftigung, indem wir zum Beispiel die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von zwölf auf 18 Monate verlängern und - auch über die Programmangebote der Bundesagentur - den wichtigen Grundsatz verfolgen: Qualifizieren statt entlassen. ({8}) Mein Appell an die Unternehmen lautet: Halten Sie die Arbeitsplätze! Diese gut qualifizierten oder zu qualifizierenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Sie aufgrund der weiteren demografischen Entwicklung in zwei, drei Jahren dringend. Deshalb setzen Sie sie nicht auf die Straße, sondern nehmen Sie die Qualifizierungsangebote, die es gibt, an. Ich möchte dieses Paket, über das immer einige sagen, es sei das kleine „k“ oder es sei nicht genug, noch einmal in einen Gesamtzusammenhang stellen, der sehr schnell verloren geht. Das Kabinett hat am 7. Oktober dieses Jahres Maßnahmen verabschiedet, die den deutschen Steuerzahler bzw. Abgabenzahler im nächsten Jahr um 6 Milliarden Euro und ab dem Jahr darauf um 14 Milliarden Euro entlasten werden. Das ist knapp vier Wochen her. Ich erinnere daran, dass wir eine Unternehmensteuerreform in Gang gesetzt haben, die die Unternehmen im nächsten Jahr um ungefähr 7 Milliarden Euro entlasten wird. Ich erinnere daran, dass diese Große Koalition innerhalb von drei Jahren die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesetzlich von 6,5 Prozent auf 3,0 Prozent und weitergehend auf 2,8 Prozent gesenkt hat. Das ist eine Entlastung um 30 Milliarden Euro, ({9}) und zwar paritätisch: Arbeitgeber auf der einen Seite, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Dies erhöht die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und entlastet die Arbeitgeber von Bruttoarbeitskosten. Wir haben insbesondere über deutliche Personalverstärkungen eine Erhöhung der Vermittlungsaktivitäten der BA in Gang gesetzt, weil wir bei den Tests, die wir durchgeführt haben, festgestellt haben, dass eine Personalverstärkung eindeutig bessere Ergebnisse in der Vermittlung von Arbeitslosen zur Folge hat. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das wir verabschiedet haben, zielt auf eine Kreditversorgung der Realwirtschaft und ist dadurch ein stabilisierender Faktor. Nicht zuletzt - das ist kein Verdienst der Bundesregierung oder des Parlaments - sind die deutlich gesunkenen Öl- und Rohstoffpreise eindeutig das größte Verbraucherförderungsprogramm, das es gibt, und zwar im zweistelligen Milliardenbereich. Ich wäre dankbar, wenn das, was wir jetzt tun bzw. morgen im Kabinett beschließen werden, in Bezug zu diesen Komponenten gesetzt wird. Dann wird daraus durchaus ein System mit einer Größenordnung, von dem ich überzeugt bin, dass es wirksam ist. Es wird die typischen Reaktionen geben. Man wird alldem mit Geringschätzung begegnen und sagen, die Dimension und das Konzept seien falsch. Herr Brüderle, ich habe allerdings in Ihrem Potpourri kein überzeugenderes Konzept gefunden. Ich sage abschließend: Wenn die Stimmen, die sich kritisch äußern, mithelfen würden, wenn sie nicht nur aus dem zweiten Rang Buhrufe organisieren oder mit faulem Obst auf diejenigen werfen würden, die auf der Bühne Verantwortung haben, ({10}) wenn diese kritischen Stimmen etwas mehr Zuversicht verbreiten und sich dafür einsetzen würden, dass wir wieder Vertrauen gewinnen, wenn diejenigen, die die Leute auf die Bäume reden, gelegentlich auch die Leitern nehmen würden, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und die Leute an die Hand nehmen würden, statt sie nur rhetorisch hochzujubeln, wenn sich all diese Stimmen für das einsetzen würden, worum es jetzt in dieser schwierigen Lage geht, dann würden wir die jetzigen konjunkturellen und finanziellen Probleme sehr viel schneller und sehr viel besser überwinden als durch manche ritualisierte politische Auseinandersetzung. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Oskar Lafontaine das Wort. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben einen riesigen Schutzschirm für die Banken aufgespannt; das wird niemand in Abrede stellen. ({0}) In letzter Zeit ist auch das Bild vom Schutzschirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder bemüht worden. Nach allem, was die Bundesregierung hier vorgetragen hat, bleibt folgende Bilanz: Der Schutzschirm für die Banken ist riesig, der Schirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist kaum zu sehen. Das ist ein falscher Ansatz der Wirtschaftspolitik. Dies will ich begründen. ({1}) Man hätte erwartet, dass Sie irgendeine Konsequenz aus dem ziehen, was täglich draußen passiert. Sie, Herr Bundesfinanzminister, bitten die Arbeitgeber, niemanden zu entlassen, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu qualifizieren. Wer würde das nicht gern unterstreichen? Wer würde nicht gern sagen: Bitte macht das so? Aber was geschieht denn draußen? Zigtausende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden entlassen. Die erste Konsequenz wäre doch gewesen, diese löchrige Regelung für die Leiharbeiter abzuschaffen, damit sich solches nicht wiederholt. ({2}) Sie reden hier immer nur über Dinge, ziehen aber überhaupt keine Konsequenzen. Nun haben Sie vorhin einen Ansatz vorgetragen, auf den man eingehen kann. Sie haben gefragt: Wollen Sie 1 Prozent, 2 Prozent oder 3 Prozent vom Sozialprodukt? Das ist ein Ansatz, über den man diskutieren kann. Sagen Sie doch, dass Sie der Überzeugung sind, 0,3 Prozent des Sozialprodukts pro Jahr seien ausreichend. Das wäre allerdings ein lächerlicher Ansatz, Herr Bundesfinanzminister. Wenn Sie in der jetzigen Situation von einer Größenordnung von 0,3 Prozent sprechen, zeigt das, dass Sie die Größe des Problems überhaupt nicht erfasst haben. ({3}) Als es damals in Schweden eine regionale Krise gab, wurden dort 3 Prozent des Sozialprodukts zur Verfügung gestellt. Sie können zwar sagen, das sei alles falsch und völlig übertrieben gewesen. Aber die Schweden haben mit immerhin 3 Prozent des Sozialprodukts pro Jahr versucht, gegenzusteuern. Diese Krise war allerdings eine regionale Krise. Jetzt befinden wir uns in einer globalen Krise. Wir werden im nächsten Jahr eine sehr tiefe Rezession erleben. Um es in aller Klarheit zu sagen: Die Schrittlein, die Sie machen wollen, sind überhaupt nicht geeignet, diese Rezession zu stoppen. ({4}) Man muss nur einmal genau zuhören, was Sie hier vortragen. Der Wirtschaftsminister hat gesagt, wir müssten die Angebotsseite stärken. Da traut man den eigenen Ohren nicht mehr. Sie haben in den letzten Jahren überhaupt nichts anderes gemacht, als die Angebotsseite der Unternehmen zu stärken. Sie haben sogar nachgelegt, Herr Bundesfinanzminister, und vorgetragen: Den Unternehmen haben wir 7 Milliarden Euro erlassen. Sie haben außerdem vorgetragen: Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir 30 Milliarden Euro erlassen. Hier muss man ergänzen: 15 Milliarden Euro wurden den Arbeitnehmern und 15 Milliarden Euro den Unternehmen erlassen. Wenn Sie redlich gewesen wären, hätten Sie hinzufügen müssen: Das, was wir den Arbeitnehmern an dieser Stelle gegeben haben, haben wir ihnen durch die Mehrwertsteuererhöhung doppelt und dreifach wieder genommen. Dann würde daraus ein Gesamtbild werden. Aber man kann sich, wenn man das will, natürlich auch in die eigene Tasche lügen. Sie haben in den letzten Jahren einseitig entlastet. Das geht Ihnen anscheinend aber nicht in den Kopf, weil Sie die Zahlen nicht saldieren. ({5}) Weil das so ist, stellt sich die Frage: Wie kann man die Konjunktur überhaupt stabilisieren? Was die Angebotsseite angeht, wenn man also aus Sicht der angebotsorientierten Theorie argumentiert, haben Sie sich wirklich die Note „sehr gut“ verdient. Aber was ist mit den Staatsausgaben? Beim letzten Mal haben Sie hier von einer sinkenden Staatsquote geredet. Ich habe Ihnen gesagt: Lassen Sie diesen Unsinn! Erzählen Sie keinen solchen Quatsch, den Sie nirgendwo vertreten können! Natürlich kann die Staatsquote in diesen Zeiten nicht sinken. Sie haben ernsthaft am Ziel festgehalten, bis zum Jahre 2011 eine Nullverschuldung des Haushalts zu erreichen. Ich habe Ihnen gesagt: Das Lachen wird Ihnen noch vergehen. - So kann man nicht analysieren, und erst recht darf man an diese Sache nicht so herangehen. Jetzt wäre es notwendig - überall auf der Welt wird das auch gemacht -, die investiven Staatsausgaben deutlich zu erhöhen, um die Nachfrage zu stabilisieren. ({6}) Wenn Sie von Zweit- oder Dritteffekten sprechen, dann handelt es sich dabei um das international anerkannte Mittel. Glauben Sie doch nicht, wir könnten hier in Deutschland die Ökonomie neu erfinden! Das ist das international anerkannte Mittel. Wenn wir unsere eigene Situation analysieren, stellen wir fest: Beim Export ist die Situation seit vielen Jahren hervorragend. Viele Unternehmen haben exorbitante Gewinne gemacht. Seit sehr vielen Jahren haben wir aber auch eine stagnierende oder sogar sinkende Nachfrage auf dem Binnenmarkt zu verzeichnen. Wenn man an der richtigen Stelle ansetzen möchte, müsste man also die Nachfrage auf dem Binnenmarkt stabilisieren. Das heißt nicht, Steuersenkungen anzukündigen, von denen wir alle, die wir hier sitzen, profitieren würden. Vielmehr muss man die Treppe einmal von unten kehren. Es geht also um Hartz-IV-Empfänger, Rentnerinnen und Rentner und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Das wäre eine Reaktion auf die Krise, um die Nachfrage, wenn auch nur ganz bescheiden, zu stabilisieren. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus Zeitgründen kann ich diesen Gedanken nicht weiter fortführen. Ich will aber noch etwas zu den Konsequenzen, die Sie aus der Finanzkrise gezogen haben, sagen. Ich kann nicht erkennen, dass Sie irgendwo ansetzen, um Konsequenzen zu ziehen. Sie betteln lediglich bei den Banken und sagen: Nehmt unser Geld! - Ansonsten machen Sie nichts. Es waren mehrere Punkte, die diese Entwicklung ermöglicht haben. Ein Aspekt war zum Beispiel die Möglichkeit, in Zweckgesellschaften auszulagern. Warum haben Sie diese Möglichkeit nicht gestrichen? Warum gibt es noch keine Vorlage, durch die dies in Zukunft vermieden wird? Das ist doch die Frage. ({8}) Ferner haben Sie der Verbriefung Tür und Tor geöffnet. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Warum gibt es aber keine Vorlage, durch die diese Geschäfte in Zukunft eingeschränkt bzw. verboten werden? Warum ziehen Sie keine Konsequenzen? ({9}) Wir haben weitere Vorschläge gemacht, um aus der Finanzkrise Konsequenzen zu ziehen. Auf einen unserer Vorschläge, der einen Grundsatz der wirtschaftlichen Ordnung thematisiert, will ich jetzt zu sprechen kommen. Wir haben Ihnen gesagt: Setzt keine falschen Anreize im Hinblick auf das Handeln der Manager, nicht nur bei den Banken - allerdings insbesondere bei den Banken -, sondern auch in der Wirtschaft generell. Wir haben auch von Ihnen gefordert: Verbieten Sie Aktienoptionen! - Aber Sie haben all das abgelehnt. Warum haben wir das gefordert? Weil die einseitige Orientierung auf Shareholder-Value und auf das eigene Einkommen eine grundsätzliche Fehlentwicklung ist. Man muss nachhaltig wirtschaften und darf nicht kurzfristig Aktien hochjubeln, um das eigene Einkommen zu steigern. Das ist ein Fehlanreiz. Warum tun Sie hier nichts? ({10}) Sie beklagen die Bonuszahlungen der Banken. Die Frage ist doch: Warum gibt es keine Vorlage, um die Zahlungen solcher Boni einzuschränken? ({11}) Sie haben gesagt, weil das populistisch ist - ich habe Ihnen das schon einmal vorgehalten -: Bei den Banken, die so gnädig sind, das Kapital, das wir anbieten, anzunehmen - so muss man das heute ja fast formulieren -, wollen wir die Managergehälter befristet begrenzen. Hier geht es um einen Grundgedanken der Wirtschaft, den ich als Fraktionsvorsitzender der Linken gerne und mit Genuss ansprechen möchte. Ich zitiere Walter Eucken: Eine Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn Freiheit auf der eine Seite ist, aber auch Verantwortung und Haftung für das eigene Tun auf der anderen Seite. ({12}) Durch falsche Anreizsysteme sind in den letzten Jahren insbesondere bei den Banken Verantwortung und Haftung im Management ausgesetzt worden. Das ist eine Ursache für die Fehlentwicklung der marktwirtschaftlichen Ordnung. ({13}) Ich habe nicht erkennen können, dass Sie irgendwo einen Anreiz geben, um daran etwas zu ändern. Eine letzte Bemerkung. Ich wiederhole es hier immer wieder, obwohl ich nicht den Eindruck habe, dass das großartige Wirkung zeigt: Wir haben derzeit Währungskrisen in der Welt. Unter diesen Währungskrisen leidet auch die deutsche Exportwirtschaft. Deswegen wäre es ganz nett, wenn Sie angesichts einer Reihe von Vorschlägen, die schon sehr, sehr lange im Raum sind, etwas dazu sagen würden, wie Sie in Zukunft dazu beitragen wollen, dass Währungskrisen dieser Art - ich denke jetzt nur einmal an die Bewegung des Yen gegenüber dem Euro - in Zukunft vermieden werden; denn nur so kann man das Wachstum dauerhaft stabilisieren. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Fritz Kuhn das Wort.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über die Ursachen der Krise redet, die sich jetzt abzeichnet, dann kommt man auf ein vielschichtiges Bild. Die einen sagen wahrscheinlich nicht zu Unrecht, dass es starke psychologische Faktoren dafür gibt, dass die Investitionen laut den Umfragen jetzt zurückgehen. Wahrscheinlich schlägt die Finanzkrise auch schon durch, weil Kreditverkürzung und -verknappung angesagt sind. Vielleicht ist das auch ein allgemeiner Konjunkturrückgang im Rahmen einer Weltkonjunkturkrise. Schließlich gibt es den Krisenfaktor - den erkennen wir bei der Automobilindustrie -, also dass gegenwärtig zum Teil versucht wird, mit falschen Produkten auf den Markt zu gehen, mit Produkten, die niemand abnimmt. ({0}) Es ist also ein ganz diffuses Bild der Krise. In einem solchen Moment kann und muss der Staat reagieren. Er kann aber nicht blind mit einem Sammelsurium von Maßnahmen agieren, sondern er muss - ich greife das Wort des Finanzministers auf, wenn wir auch eine andere Konsequenz ziehen - zielgenau und effektiv eingreifen, da es sonst nicht funktioniert. ({1}) Für ein Konjunkturprogramm im großen Stil - Entlastung auf allen Ebenen - fehlen die Mittel natürlich vollständig. So etwas kann man nicht mit 30 Milliarden Euro, sondern so etwas müsste man mit 100 oder 150 Milliarden Euro machen. Dabei käme aber eine große Verschuldung heraus, und bei vielen würde das wahrscheinlich nur ein Strohfeuer bewirken. Deswegen ziehen wir Grüne eine andere Konsequenz. Wir haben heute in der Fraktion ein Papier beschlossen, das jetzt vorliegt. Wir sagen: Wenn wir gegen solche schillernden, also vielschichtigen Krisenphänomene effektiv und wirksam vorgehen wollen, dann dürfen wir das nicht mit einem blinden und wilden Konjunkturprogramm und auch nicht mit einem Sammelsurium tun, sondern dann müssen wir gezielte Investitionen in Bereichen tätigen, in denen wir ohnehin Probleme haben und etwas tun müssen, weil uns die Folgekosten unterlassenen Handelns teuer zu stehen kommen würden. ({2}) Dadurch entstehen letztendlich Arbeitsplätze, und wir lösen Probleme, die wir ohnehin lösen müssen, die wir verdrängen und vor uns herschieben. Deswegen muss jetzt ein vernünftiges Investitionsprogramm - ich sage noch einmal: kein blindes Konjunkturprogramm - für drei Bereiche greifen. Der erste Bereich ist die ökologische Modernisierung. Wir haben hinsichtlich der Themen Energie, Verkehr und auch ökologische Modernisierung Vorschläge gemacht, mit denen wir weiter als die Bundesregierung gehen. Es geht zum Beispiel um Wasserentsorgung und -aufbereitung; hier schieben wir viele Kosten vor uns her. Wir sagen: Mit grünen Ideen und ökologischen Investitionen kann man schwarze Zahlen schreiben und Arbeitsplätze schaffen, wenn man etwas mehr Mittel richtig in die Hand nimmt und Investitionen vorzieht, die wir für den Klimaschutz ohnehin tätigen müssen. ({3}) Herr Steinbrück und Herr Glos, dabei darf man aber keinen solchen Unsinn machen, wie Sie ihn bei der KfzSteuer vorhaben. Dass man jetzt die großen Fahrzeuge - auch die CO2-Dreckschleudern -, die von den Leuten übrigens zu Recht nicht mehr abgenommen werden, weil sie nicht blöd sind, für ein Jahr von der Kfz-Steuer befreit - in der Glos’schen Variante wird noch ein Kaufkredit gewährt -, ist doch der blanke Unsinn. Keynesianismus zulasten der Umwelt - das ist es, was Sie vorhaben, Herr Glos - kann nicht funktionieren. Erklären Sie den Menschen, warum für einen Geländeschlitten eine Steuervergünstigung von 1 800 Euro vorgesehen ist, für ein kleines Auto aber nur 130 Euro! Das ist doch Unsinn. Deswegen richte ich einen Vorschlag an Sie: Räumen Sie diesen Mist weg! Führen Sie endlich eine CO2-bezogene Kfz-Steuerreform durch, die dazu führt, dass endlich die Fahrzeuge gefördert werden, die wenig emittieren, damit wir die strukturelle Krise im Fahrzeugbau in Deutschland überwinden und endlich Autos bauen, die der modernen Zeit - das heißt dem Klimaschutz adäquat sind, statt solcher Schrottdinger, die man nicht mehr fahren kann. Das ist eine ganz einfache Antwort. ({4}) Das zweite Investitionsfeld neben der ökologischen Modernisierung - es erstaunt mich, dass Sie das nicht aufgreifen, obwohl Sie an anderen Stellen darüber reden ist die Bildung in Deutschland. Wenn wir mehr für Bildung tun - damit meinen wir Personalausstattung, Gebäude, Ganztagsschulen, also die ganze Breite dessen, was auf dem Bildungsgipfel ergebnislos diskutiert worden ist -, dann erreichen wir zwei Ziele: erstens mehr Gerechtigkeit - denn Bildung ist Gerechtigkeit -, und zweitens machen wir unser Land innovationsfähig. Meiner Meinung muss man gerade dann, wenn man in Krisen kommt, die Innovationsfähigkeit eines Landes steigern. Das geht nur über Bildung. Deshalb liegt der zweite Investitionsschwerpunkt auf der Bildung. ({5}) Der dritte Investitionsschwerpunkt - ich sage bewusst Investitionsschwerpunkt und nicht Konsumschwerpunkt, Herr Kauder - bezieht sich auf die Frage, wie wir in unserem Land gerade in einer solchen Situation für mehr Gerechtigkeit sorgen können. Dabei komme ich in einem - allerdings in einem einzigen - Punkt zu einem ähnlichen Ergebnis wie Herr Lafontaine. Das Arbeitslosengeld II ist nach allgemeiner Überzeugung zum Beispiel der Wohlfahrtsverbände und auch schon von Gerichten in Hessen - es wird auch bald vor das Bundesverfassungsgericht kommen - zu niedrig und mit Blick auf die Kinder in Arbeitslosengeld-II-Haushalten nicht mehr ausreichend. Warum erhöhen wir nicht das Arbeitslosengeld II, statt diffuse Steuersenkungen vorzunehmen, die breit gestreut sind und kaum konjunkturelle Effekte haben werden? Damit schaffen wir mehr Gerechtigkeit. Dass das Geld wieder zurückkommt, ist logisch; denn die Menschen können es gar nicht sparen. Sie müssen es für Konsum ausgeben, wenn die Mittel im Familienhaushalt knapp sind. ({6}) Herr Steinbrück, auch wenn Sie anders argumentiert haben, kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, dass die von Ihnen vorgelegten Vorschläge ein Sammelsurium sind, dem keine klare ordnungspolitische Theorie zugrunde liegt und das keine klare Konzeption hat. Stattdessen schlagen wir vor: Lasst uns mit den vorhandenen Mitteln oder mit Mitteln, die vorgezogen werden müssen oder gegenfinanziert werden können wie bei der Kfz-Steuer, in Klimaschutz, Bildung und mehr soziale Gerechtigkeit investieren. Damit tun wir das Beste auch gegen die drohende Wirtschaftskrise. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Michael Fuchs spricht nun für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Lafontaine, als Allererstes muss ich Ihnen sagen, dass ich mich darüber wundere, dass Sie anscheinend mittlerweile nicht einmal mehr Zeitung lesen. Der Dollar ist im letzten Monat gegenüber dem Euro um über 20 Prozent an Wert gestiegen. Das bedeutet ein dickes Konjunkturprogramm für die deutsche Wirtschaft, weil damit die Exporte in die dollarabhängigen Regionen - das sind fast 40 Prozent unseres Exports - erleichtert werden. Darüber können wir alle froh sein. Das wird auch letztlich der Automobilindustrie vermutlich mehr helfen als eine Einsparung bei der Kfz-Steuer für ein, eineinhalb oder zwei Jahre. Ich meine, dass die Bundesregierung mit diesem Paket schon einige richtige Maßnahmen vorgesehen hat. Sie hat bei der Finanzkrise gezeigt, dass sie schnell, vernünftig und zielgenau gehandelt hat. Wir haben meiner Meinung nach im Vergleich mit den Programmen weltweit das vernünftigste Programm hinbekommen, und zwar in großer Einigkeit in diesem Hause. Sie haben dazu gar nichts beigetragen; Sie haben nur gestört. ({0}) Ich glaube auch, dass wir jetzt weiter in die richtige Richtung unterwegs sind, weil wir mit den Maßnahmen, die der Bundeswirtschaftsminister zusammen mit dem Bundesfinanzminister ausgearbeitet hat, gerade im Bereich der Gebäudesanierung, Herr Kuhn, die CO2-Einsparung etc. fördern, dem Handwerk helfen und auch in diversen anderen Bereichen hilfreich tätig sind. Gezielte Investitionen müssen jetzt her. Es darf nicht irgendwo herumgekleckert werden; das bringt gar nichts. Nach meiner Meinung gewährleistet das dieses Programm. Ich weiß genau, dass wir in bestimmten Bereichen viel mehr machen müssten. Aber das zentrale Ziel der Großen Koalition war immer, so schnell wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Wir haben uns das für 2011 vorgenommen. Wir hätten das auch erreicht, wenn die Finanzmarktkrise nicht auch unser Land getroffen hätte. Dem kann sich kein Mensch entziehen. Das konnte keine Bundesregierung ahnen. Man kann nicht argumentieren, dass das unser Fehler ist. Das war es ganz sicherlich nicht. Ich finde, dass der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister genau den richtigen Weg aufgezeigt haben, den wir jetzt zu gehen haben. Dennoch darf das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, nicht aus den Augen verloren werden. Wir müssen uns fragen, ob es nicht möglich ist, in dem einen oder anderen Bereich, vor allen Dingen dort, wo wir konsumtiv Gelder ausgeben, Einsparungen vorzunehmen, um den Folgen der Finanzmarktkrise ein bisschen entgegenzusteuern, damit wir dieses Ziel nicht allzu weit aus den Augen verlieren. Ich halte es für richtig, die KfW-Mittel aufzustocken, wie der Bundeswirtschaftsminister eben erklärt hat. Allerdings müssen wir dabei die Banken auffordern, dafür zu sorgen, dass diese KfW-Mittel durchgereicht werden. Ich selber habe als Unternehmer erlebt, dass KfW-Mittel nicht unbedingt sofort angeboten werden, weil die Banken natürlich ein Interesse daran haben, dem Kunden zuerst ihre eigenen Produkte zu verkaufen. Dafür habe ich jedes Verständnis. Auf jeden Fall müssen wir die günstigen KfW-Mittel publik machen. Dafür ist eine Bundestagsdebatte sicherlich gut und richtig. Aber parallel dazu müssen die Banken aufgefordert werden, die KfW-Mittel so schnell wie möglich an die mittelständische Wirtschaft weiterzureichen, damit diese Mittel abgerufen werden. Wenn man sich das eine oder andere Programm der KfW anschaut, dann stellt man fest, dass die Mittel oft nicht dort ankommen, wo sie ankommen sollten. Hier muss noch nachgearbeitet werden. Ich halte es für notwendig - Herr Lafontaine, auch hier haben Sie wieder unrecht; aber das sind wir gewohnt -, ein internationales Programm für Finanzmarktregulierungen anzugehen. Es nutzt uns gar nichts, wenn wir irgendetwas in Deutschland machen. Dann machen die Banken es eben in Irland, auf den Cayman Islands oder irgendwo anders auf der Welt. Wir können mit einem Finanzmarktregulierungsprogramm nur etwas erreichen, wenn wir alle mitnehmen. Ich erinnere daran, dass die Bundeskanzlerin schon in Heiligendamm genau das gewollt hat; das ist eineinhalb Jahre her. Aber damals waren Blair und Bush nicht bereit, mitzuspielen. Wir wären sonst schon ein gutes Stück weiter und hätten auf diesem Gebiet den einen oder anderen Ansatz. Wir haben heute in meiner Fraktion dazu ein Papier beschlossen. Wir werden mit den Kollegen von der SPD in Kürze tätig werden. Die Bundeskanzlerin wird auf dem G-20-Gipfel ein solches Programm einfordern. Das funktioniert aber nur, wenn alle mitspielen. Ich hoffe, dass die Amerikaner und die Engländer das mittlerweile begriffen haben. Die angelsächsischen Länder waren bislang nicht gerade hilfreich. Für mich ist noch ein anderer Punkt wichtig. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, was zurzeit belastend wirkt und was zusätzlich belastend auf die deutsche Wirtschaft sowie auf die Bürgerinnen und Bürger zukommt. Folgendes möchte ich wirklich infrage stellen: Es kann in meinen Augen nicht angehen, dass das Emission-Trading, der Emissionshandel, aufgrund der Verteuerung durch die Vollauktionierung der CO2-Zertifikate dazu führt, dass gerade die deutsche Wirtschaft besonders betroffen wird, und zwar in zweierlei Hinsicht. Wir haben hier die meisten Industrieunternehmen in Europa. Das können Sie nicht mit Schweden vergleichen. In Schweden gibt es beispielsweise keine chemische Industrie. Bei uns ist das größte chemische Unternehmen der Welt angesiedelt, nämlich BASF in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz. Sie können auch nicht davon ausgehen, dass wir so günstig Energie erzeugen, wie es Frankreich tut, wo der Anteil der Kernkraft bei 87 Prozent liegt. Wir müssen also sehr aufpassen, dass wir die deutschen Unternehmen mit der Vollauktionierung nicht zu sehr belasten. Sie hat ungefähr 5 Milliarden Euro zusätzliche Belastung pro Jahr zur Folge, und das nur im Energiesektor. Ob wir uns das in dieser Phase leisten können, weiß ich nicht. Wir sollten den Beginn dieses Programms ein wenig verschieben. Ich halte das für notwendig. ({1}) Lassen Sie mich noch einen Satz zur Automobilindustrie sagen. Ich glaube wirklich, dass die Automobilindustrie durch den stärker gewordenen Dollar sehr schnell wieder Tritt fassen wird. Ich halte es auch für richtig, dass wir so schnell wie möglich mit den Bundesländern eine Einigung finden und dafür sorgen, dass dieses CO2-Minderungspaket eingebaut wird und wir eine CO2-abhängige Kfz-Steuer hinbekommen. Das muss schnell gehen, weil es meiner Meinung nach sehr gefährlich ist, die Leute in Unsicherheit zu lassen, weil sie nicht wissen, welche Steuern sie nachher zu zahlen haben. Wir sollten nicht noch zwei Jahre warten. Wenn wir 500 Milliarden Euro innerhalb einer Woche bereitstellen können, dann muss auch so etwas schnell gehen können. Herr Bundesfinanzminister, ich habe eine Bitte an Sie. Bitte streichen Sie so schnell wie möglich die im Jahressteuergesetz vorgesehene Einschränkung des Vorsteuerabzugs für dienstlich genutzte Kraftfahrzeuge. ({2}) Das führt dazu, dass heftigst gespart und darüber nachgedacht wird, nicht zu investieren. Ich halte es für notwendig, dass das so schnell wie möglich getan wird. Zum Schluss. Im Herbstgutachten, das vor drei Wochen erschienen ist, steht eine Reihe von Punkten. Dieses Maßnahmenpaket haben wir zum Teil umgesetzt, aber nicht alles. Es ist richtig, dass wir nicht alles umgesetzt haben, weil wir für diese Einsparungen einfach nicht die Steuermittel haben. Dennoch glaube ich, dass eine weitere Direktentlastung der Bürger notwendig wäre. Herr Bundesfinanzminister, in einem Punkt bin ich mit Ihnen nicht einig - sonst bin ich fast immer mit Ihnen einig -: Wenn Sie beispielsweise die steuerliche Absetzbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge vorziehen würden, hätte das sehr wohl Wirkungen in 2009; denn die Menschen sind nicht blöde. Sie tragen das auf der Lohnsteuerkarte ein, oder sie senken ihre Vorauszahlungen. Das alles kann man machen, und damit wird das schon 2009 wirksam. Ich halte das für richtig. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob nicht weitere Spielräume bei den Lohnzusatzkosten erarbeitet werden können. Hier haben wir mit dem Ausgleichsbeitrag, den die Bundesagentur für Arbeit zu zahlen hat, ein verfassungsrechtlich größeres Problem. Dass uns das erhalten bleiben wird, wage ich zu bezweifeln. Wenn wir wissen, dass uns das nicht erhalten bleiben wird, dann wäre es sinnvoll, bereits jetzt nach einer Lösung zu suchen. Das Programm, das jetzt aufgelegt wird, bedeutet einen Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen aber sehr genau die Situation am Arbeitsmarkt und in der gesamten Wirtschaft beobachten. Es kann durchaus sein, dass wir das eine oder andere noch nachsteuern müssen. Wir sind dazu bereit, wenn es sein muss. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich der Bundesregierung, ({0}) dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister danken. ({1}) Es ist fast wie in der ersten Großen Koalition: Wenn die Krise da ist, sind auch Plisch und Plum da, die dagegen ankämpfen müssen. Ich denke, Sie haben mit dem Gesamtmosaik durchaus ein richtiges Bild gezeichnet. Herr Brüderle war mit der Nase zu nahe dran, und Oskar Lafontaine will eh nur das sehen, was er bekämpfen kann. Aber wenn man mit dem nötigen Abstand herangeht, dann sieht man: Dieses Mosaik von Maßnahmen passt zu der ökonomischen Landschaft. Deshalb sollten Sie, Herr Brüderle, uns lieber unterstützen, anstatt Ihre alten Steckenpferde hier zu reiten. ({2}) Das passt nicht für diesen Bereich. Das Wichtigste ist: Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Weltwirtschaft in einem schweren Abschwung ist, was vor Wochen noch nicht der Fall war; wir nehmen zur Kenntnis, dass die europäische Wirtschaft zu einem Stillstand gekommen ist und das Risiko eines Abschwungs besteht; und wir nehmen zur Kenntnis, dass die deutsche Wirtschaft in einer Gefährdungslage ist. Dagegen gehen wir an. Wir sagen nicht wie manche Professoren, das sei Schicksal und man müsse unter dem unteren Bogen des Zyklus durchlaufen, sondern wir sagen, dass wir uns gegen den Wind lehnen und etwas gegen die falsche Entwicklung tun können. Was wir hier brauchen, Herr Brüderle, sind Investitionen. Wir haben in Deutschland aber weit mehr Ersparnisse, als es Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von privater Wirtschaft gibt. Darum haben manche Banken Ersatzinvestitionen, nämlich in diese toxischen Papiere, getätigt. Wenn wir es jetzt schaffen, die Privaten zu veranlassen, zu investieren, und wenn die öffentliche Hand, und zwar Bund, Länder und Gemeinden, investiert, Herr Brüderle, dann nutzen wir die Ersparnisse in diesem Land für Wachstum und für Beschäftigung. Darauf zielt dieses Programm, das die Bundesregierung aufgelegt hat. ({3}) Wir sollten auch darauf achten, dass wir international aktiv bleiben. Wir Deutschen allein können uns nicht wie Münchhausen selber aus dem Sumpf ziehen; viel19790 mehr brauchen wir bei G 7, bei G 8, bei G 20 oder bei Gott weiß welchen Gs eine internationale Abstimmung. ({4}) - Ja, Sie denken wieder an den G-Punkt oder irgendetwas Ähnliches; aber das ist nicht in Ordnung. - Wir brauchen eine internationale Abstimmung. Deshalb ist es wichtig, dass alle europäischen Länder - wie damals beim Venedig-Gipfel von Helmut Schmidt vorgemacht und die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt in Kooperation mit dem Weltwährungsfonds zusammenarbeiten, damit wir uns weltweit gegen die Entwicklung lehnen, damit wir weltweit durch ein abgestimmtes Verhalten auch in der Ökonomie vorankommen. Der Weltwährungsfonds forderte das schon seit dem April dieses Jahres. Er hat diese Entwicklung eher überschätzt als unterschätzt. Es geht um die Hebelwirkung. Mit der Gebäudesanierung, mit der Investitionsförderung lösen wir durch eine überschaubare Förderung mit staatlichen Mitteln erhebliche private Investitionen aus. Diese Hebel müssen wir nutzen. Diese Hebel werden uns auch dabei helfen, dass wir wieder an den Problemen ansetzen. Unsere Wirtschaft ist bisher auf dem Exportmotor gefahren. Dieser Motor stottert. Ihn können wir nur international wieder zum Laufen bringen. Es fehlen im Inland eben auch die Investitionen in Bauten, in Ausrüstungen, in Maschinen und in Anlagen. All das können wir durch diese Anstöße voranbringen. Deshalb sollten wir diese Möglichkeiten miteinander nutzen. Wir müssen, gerade was die Automobilindustrie anbetrifft, weniger auf die fetten Daimlers und BMWs schauen, auf diese großen Gesellschaften, die sehr gut verdient haben, die sehr viel Speck angesetzt haben. Sie repräsentieren nur etwa 25 Prozent der Wertschöpfung. 75 Prozent der Wertschöpfung werden von den Zulieferern erbracht, und deren Bilanz schaut nicht so gut aus. Denen müssen wir helfen, damit sie Produktionskürzungen überleben können. Wenn wir nicht aufpassen, befinden sich am Ende der Krise ein Drittel oder mehr der Zulieferer nicht mehr auf dem Markt, und dann haben wir es mit einem quasi automatischen Outsourcing zu tun. Hier muss die Automobilindustrie selber ihren Zulieferern, denen sie die Aufträge kürzt, auch mit Krediten beistehen. ({5}) Die KfW und der Bund werden dabei sicher helfen. Wir haben die ganz wichtige Aufgabe, das Gespräch mit diesen Herrschaften zu suchen. Es darf nicht einfach eine E-Mail verschickt werden, in der gesagt wird: Schicken Sie Ihre Leute weg! Wir werden erleben, dass die Kurzarbeit, die fast verschwunden war, wiederkehrt. Ich bin froh, dass Olaf Scholz in diesem Paket verankert hat, dass während der Kurzarbeit Qualifikation, Weiterbildung für die Zukunft durchgeführt werden. Das Entscheidende ist, nicht zu entlassen und anschließend wieder zu suchen, sondern die Zeit der Produktionspause zu nutzen, um sich auf den neuen Aufschwung vorzubereiten. Das ist unsere Form, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen. ({6}) Das ist eine Vielzahl von Maßnahmen, die wir international und national durchführen müssen. Ich bin froh, dass auch die Haushälter der Union - auch wenn Herr Kampeter aus Protest weggeblieben ist - sehen: Nur dann, wenn wir uns jetzt gegen die Krise stemmen, werden wir einen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Als der Kollege Runde und ich zu Beginn der Großen Koalition für das große Investitionsprogramm eingetreten sind, haben manche gesagt - ich kann mich noch erinnern -: Um Gottes willen; wir gefährden den ausgeglichenen Haushalt. - Das Gegenteil war der Fall. Wir wachsen aus der Krise heraus; wir können uns nicht daraus heraussparen. Das muss in die Köpfe hinein. Deshalb ist der Ansatz, den die Bundesregierung wählt, gut. Wir unterstützen ihn. Es muss noch nicht jedes Detail stimmen. Auch da gilt das Struck’sche Gesetz, das den Fortschritt in der parlamentarischen Beratung definiert. Das werden wir wieder in Anspruch nehmen. ({7}) Entscheidend ist: Wir beugen uns nicht dem Geschick der Wirtschaft, sondern wir stemmen uns gegen den Wind und kämpfen für Wachstum und Beschäftigung sowie sichere Arbeitsplätze. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. November 2008, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.