Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/12/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Einen schönen guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass das Thema der heutigen Kabinettssitzung war: Politik für ländliche Räume. Für den einleitenden fünfminütigen Beitrag gebe ich das Wort dem Herrn Bundesminister Horst Seehofer.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute zum wiederholten Male mit der Stärkung der ländlichen Räume in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und, quasi als zweite Stufe der Politik für die ländlichen Räume, eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus Vertretern von acht Bundesministerien besteht und deren Federführung bei meinem Haus liegt. In dieser Arbeitsgruppe soll bis Ende des Jahres über die Fragen einer integrierten Förderung der ländlichen Räume, die auf Bundesebene zu lösen sind, diskutiert werden: von der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung bis hin zur Stärkung der Wirtschaftskraft durch Wertschöpfung im ländlichen Raum. Der Einsetzung dieser interministeriellen Arbeitsgruppe ging in den letzten beiden Jahren ein sehr intensiver Dialog mit Beteiligten aus verschiedenen Bundesländern voraus. Die Lage der ländlichen Räume wurde analysiert, und Lösungsansätze zur Stärkung der ländlichen Räume wurden entwickelt. Außerdem hat jedes Bundesministerium im Rahmen seiner Möglichkeiten Maßnahmen eingeleitet, die in die Zuständigkeit des jeweiligen Ressorts fielen. Ein ganz wesentlicher Aspekt, mit dem sich mein Ressort beschäftigt hat, war die Frage, wie man dünnbesiedelte Räume besser mit schnellen Internetzugängen versorgen kann. Dafür ist Geld zur Verfügung gestellt worden. Die Bundesländer haben ihrerseits ebenfalls die Mittel erhöht. Es ist also eine große Gemeinschaftsaufgabe, die heute noch vorhandenen 1 700 unversorgten Gemeinden in Deutschland in absehbarer Zeit mit schnellen Internetzugängen zu versorgen. Wir rechnen damit, dass in den nächsten drei Jahren etwa zwei Drittel dieser sogenannten weißen Flecken mit einem entsprechenden Internetanschluss versorgt werden können. Darüber hinaus haben wir seit vielen Jahren erstmals wieder die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ erhöht. Mithilfe dieser können strukturelle Maßnahmen für den ländlichen Raum gefördert werden; so ist neuerdings der Bau von Energieleitungen im ländlichen Raum förderfähig. Das ist zum Beispiel bei Biogasanlagen sehr wichtig und attraktiv: Die Energiebilanz der Biogasanlagen kann nämlich dadurch verbessert werden, dass Fernwärmeleitungen zwischen der Biogasanlage und Gewerbe- oder Siedlungsgebieten ausgebaut werden. Auch die für die Einspeisung von Biogas in Gasleitungen notwendigen Investitionen sind jetzt ebenfalls förderfähig. In den letzten zwei Jahren haben wir also innerhalb der einzelnen Ressorts sehr viel vorangebracht. Jetzt ist es notwendig, dass die integrierte, ressortübergreifende Politik für den ländlichen Raum verbessert wird. Die Bundesregierung hält nach wie vor an dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland fest; das ist ein klares Ergebnis der Kabinettssitzung gewesen. Wir machen keine Politik nach dem Motto „Stadt oder Land“, sondern halten gemäß dem Motto „Stadt und Land - Hand in Hand“ an dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland fest. Diese ergeben sich jedoch nicht von alleine, sondern bedürfen einer wohlüberlegten und klugen politischen Strategie, die jetzt auch mit dieser interministeriellen Arbeitsgruppe verfolgt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zuerst zu Fragen zu diesem Themenbereich. Ich gebe das Wort an Frau Happach-Kasan für die FDP-Fraktion. Redetext

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. Sie haben im Zusammenhang mit dem heutigen Beschluss der Bundesregierung sehr zutreffend die Lage in den ländlichen Räumen beschrieben. Von daher müssen wir schauen, ob die geplanten Maßnahmen tatsächlich helfen werden, die schwierige Lage in verschiedenen ländlichen Räumen zu verbessern. Sie haben auch dargestellt, dass wir im Bereich der Breitbandversorgung einen Schritt vorangekommen sind. Das ist richtig; das sehen wir als FDP genauso. Wir sehen aber gleichzeitig, dass es durch die Politik der Bundesregierung im Bereich der Biokraftstoffe zu Wertvernichtung gekommen ist. Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, was konkret die koordinierende Rolle Ihres Ministeriums dabei ist: Bedeutet das, dass Sie koordinieren und die anderen das machen, was Sie wollen? Oder bedeutet das - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Landwirtschaft in den funktionierenden, strukturstarken ländlichen Räumen den prägenden Faktor darstellt -, dass Sie sich dafür einsetzen, dass die EU-Agrarmittel vor allem in die erste Säule fließen, damit die ländlichen Räume durch die Landwirtschaft gestärkt werden und sich aus eigener Kraft weiterentwickeln können?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Kollegin, die parlamentarische Demokratie wäre so schön, wenn man keine Mehrheiten bräuchte; aber andere richten sich nicht automatisch nach einem, sondern man muss sie überzeugen. Man kann koordinieren, aber man kann nicht bevormunden. Das nur vorneweg gesagt. Dass wir diese Koordinierungsfunktion wahrnehmen, gilt auch für die Biokraftstoffe. Hier müssen wir in den nächsten Monaten sicher noch einige Fragen zur Besteuerung, Beimischung und zu anderen Maßnahmen beantworten. Dies kann vielleicht dazu beitragen, nicht nur wichtige Klimaschutzziele zu erreichen, sondern auch Wertschöpfung im ländlichen Raum zu garantieren. Das ist ja oft ein unterschätzter Gesichtspunkt bei der Förderung der regenerativen Energien. Ich werde weiterhin dafür kämpfen. Ich glaube, da hat die Regierung bisher auch eine sehr gute Bilanz vorzuweisen. Hinsichtlich der Landwirtschaft als Rückgrat des ländlichen Raumes kann man nur unterstreichen: Landwirtschaft ist nicht gleich ländlicher Raum, aber ohne eine dynamische und zukunftsorientierte Landwirtschaft ist nicht zu erwarten, dass sich der ländliche Raum in Zukunft vernünftig entwickelt. Deshalb bin ich froh, dass es in den letzten zwei Jahren gelungen ist, in der Landwirtschaft wieder für einen innovativen und zukunftsorientierten Geist zu sorgen. Ich glaube nämlich, dass alles, was mit Agrarwirtschaft zusammenhängt, sozusagen das Fundament für den ländlichen Raum ist. Ich darf darauf hinweisen, dass Landwirtschaft nicht nur aus der eigentlichen Urproduktion besteht - so wird es ja in der Öffentlichkeit oft gesehen -, sondern aus vielen Bereichen: der Verarbeitung, dem Handel und der Ernährungswirtschaft. Die jüngste Zahl, die hierzu zur Verfügung steht, lautet: In diesem Bereich sind in Deutschland 4,9 Millionen Menschen beschäftigt. Das übertrifft bei weitem Wirtschaftsbereiche, die stärker im öffentlichen Fokus und in der öffentlichen Diskussion stehen. Die Landwirtschaft mit all ihren Produktionsprofilen - Biolandwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft sowie regionale Landwirtschaft wie Landwirtschaft, die Weltmarktanteile erobert - ist selbstverständlich ein Pfeiler für die Zukunft des ländlichen Raums. Darum geht es bei der interministeriellen Arbeitsgruppe aber nicht; Landwirtschaft fällt in meine Ressortzuständigkeit. Bei der interministeriellen Arbeitsgruppe geht es zum Beispiel um die Frage: Wie stellen wir angesichts zurückgehender Bevölkerungszahlen die medizinische Versorgung durch niedergelassene Ärzte sicher? Wie können wir gewährleisten, dass wir flächendeckend und wohnortnah genug Ärzte für die Versorgung der Bevölkerung zur Verfügungen haben?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Happach-Kasan, ich schreibe Sie gern noch einmal auf die Liste der Fragesteller. Aber es haben sich sehr viele gemeldet; deswegen gehen wir der Reihe nach. Der Kollege Klaus Hofbauer stellt die nächste Frage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen zunächst, dass diese interministerielle Einrichtung geschaffen wurde, weil damit gewährleistet ist, dass eine gute Zusammenarbeit zugunsten des ländlichen Raumes erfolgt. Ich darf herausstreichen, dass die Große Koalition dazu einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Darin wird unter anderem die Zusammenarbeit der Ministerien gefordert. Ich bin sehr dankbar, dass diese Initiative vom Parlament innerhalb weniger Wochen aufgegriffen wurde und die Chance genutzt wird, den ländlichen Raum als ganzheitlichen Lebens- und Wirtschaftsraum darzustellen und gleichwertig neben den Ballungsräumen ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Dazu, Herr Minister, habe ich zwei Anliegen: Erstens. Natürlich geht es auch um die finanzielle Ausstattung des ländlichen Raumes. Wird in dieser Arbeitsgruppe auch eine gewisse Koordination der Programme vorgenommen? Wie geht es mit der Breitbandversorgung weiter? Ich darf hier erwähnen, dass von Ihrem Haus wie vom Wirtschaftsministerium entsprechende Impulse ausgegangen sind. Wie sieht die praktische Umsetzung aus? Erlauben Sie mir, Herr Minister, auch mein zweites Anliegen vorzutragen. Wir diskutieren zurzeit - Sie haben es angesprochen - den Entwurf des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes. Für den ländlichen Raum ist es von ganz entscheidender Bedeutung, dass die Wertschöpfung im ländlichen Raum verbleibt. Für mich ist vor allen Dingen sehr wichtig ist, dass die Bauern mit ihren Betrieben von dieser Wertschöpfung profitieren. Ich formuliere es einmal ein bisschen überspitzt: Es darf nicht sein, dass jetzt wieder die Konzerne einsteigen und die Bauern zu Lieferanten von Rohprodukten degradiert werden. Dies ist ein zentrales Anliegen des Parlaments. Ich wäre dankbar, wenn das auch in der Arbeitsgruppe eine entsprechende Rolle spielen könnte.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich komme zu Ihrem ersten Anliegen. Natürlich geht es auch darum, Programme zu koordinieren und deren Effizienz zu erhöhen. Natürlich ist es auch mein Anliegen, dass wir mehr Mittel für die Programme bekommen, die sich unmittelbar im ländlichen Raum auswirken, denn nur Programme zusammenzulegen und zu koordinieren, ohne die Mittel zu erhöhen, stellt keine Verbesserung der Politik für den ländlichen Raum dar. Dadurch, dass man zwei Kranke zusammenlegt, werden die ja auch nicht gesund. Man muss die Programme schon mit mehr Mitteln ausstatten. Darum werde ich kämpfen; das habe ich mehrfach im Parlament gesagt. Die Mittel für dieses Jahr wurden aber schon erhöht, sodass es hier also um die Fortsetzung einer bereits eingeschlagenen Politik geht und nicht um leere Ankündigungen. Dabei muss man immer darauf hinweisen, dass nach unserer Verfassungslage primär die Bundesländer für die Entwicklung der ländlichen Räume zuständig sind. Wir schieben Programme an. Wir versuchen, in einem guten Miteinander mit den Bundesländern Ideen zu entwickeln, wie man das Ganze optimieren kann. Aber primär liegt die Zuständigkeit bei den Bundesländern. Ihr zweites Anliegen bezog sich auf die regenerativen Energien. Dazu möchte ich sagen, dass die regenerativen Energien in ihrer klima- und wirtschaftspolitischen Wirkung von vielen Seiten oft infrage gestellt werden. Dahinter stehen oft sehr durchsichtige Motive. Ich teile diese Auffassung überhaupt nicht. Ich glaube, dass wir einerseits gut beraten sind, zur Stärkung des ländlichen Raumes und zur Beibehaltung der Wertschöpfung vor Ort die regenerativen Energien zu fördern, weil ihre Wertschöpfung primär im ländlichen Raum erfolgt. Wir sind aber auch aus der gesamtpolitischen Situation heraus gut beraten, wenn wir für eine stärkere dezentrale Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland sorgen. Die Diskussion darüber, wie groß deren Anteil sein soll, ist dabei zweitrangig. Wir müssen über den Einsatz von Biogas, Biokraftstoffe und Biomasse sowie anderen regenerativen Energieformen zu einer stärkeren dezentralen Energieversorgung in Deutschland beitragen. Das ist in erster Linie eine gute Zielsetzung vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, der eine große Herausforderung darstellt. Aber das trägt vor allem auch ganz wesentlich zur Stärkung des ländlichen Raums bei, weil dort dann die Wertschöpfung stattfindet. Ich teile Ihre Ansicht, dass wir hier sehr aufmerksam sein müssen, um Konzentrationsbestrebungen und -entwicklungen entgegenzutreten. Wir haben nichts gewonnen, wenn am Schluss alles in der Hand von ein oder zwei Konzernen ist. Deshalb ist es gut, wie beim EEWärmeG vorgesehen, jetzt die Strukturen so zu gestalten, dass hier Vielfalt, also einzelne Bauern oder der Zusammenschluss mehrerer Bauern, zum Tragen kommt und die Entwicklung nicht auf wenige Konzerne zentralisiert wird. Deshalb fördert die öffentliche Hand auch massiv den Bau von Energieleitungen, zum Beispiel von einer Biogasanlage in ein Gewerbegebiet; diese Leitungen könnte ja der einzelne Bauer nicht aus eigener Kraft finanzieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es folgt die Kollegin Cornelia Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben sich nach dem Regierungswechsel, als Sie Ihr Amt als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz antraten, die Federführung für den Bereich „Entwicklung der ländlichen Räume“ in der Nachfolge von Frau Künast gesichert - eine politisch durchaus kluge Entscheidung, wie ich sagen muss -, und Sie haben im vergangenen Jahr eine Reihe von Veranstaltungen zu dem Thema durchgeführt. Das waren sehr schöne, sehr nette, zum Teil auch sehr inhaltsreiche Veranstaltungen, teilweise mit Publikum aus der ganzen Welt. Auf diesen Veranstaltungen wurde noch einmal die ganze Schärfe der Situation, in der sich ländliche Räume befinden, dargelegt. Es ist klar geworden, dass die Entwicklung ländlicher Räume eine Querschnittsaufgabe ist. Es ist aber auch deutlich geworden, dass ein Instrument zur Förderung der ländlichen Räume, nämlich die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, aufgrund ihrer Agrarzentriertheit nicht ausreichend geeignet ist, um das umzusetzen, was man mit europäischen Mitteln über den ELERFonds machen kann. Sie haben sich dazu in der Weise geäußert, es sei sinnvoll, die GAK auszuweiten, und angekündigt, sie zu einer Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum weiterzuentwickeln. Meine Fraktion hat dazu im Übrigen entsprechende Vorschläge gemacht, weil auch wir uns mit dieser Frage dezidiert auseinandergesetzt haben. Ich würde gern von Ihnen wissen, wie weit dieses Projekt bis jetzt gediehen ist; denn man muss feststellen, was ich sehr traurig finde: Sie haben gute Veranstaltungen durchgeführt, aber politisch resultierte bisher wenig daraus.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich das etwas anders beurteile. Ihre Schlussbemerkung war nach Ihrem langen Lob am Anfang, für das ich mich bedanke, zu erwarten. Ich wollte zunächst einmal keine Theoriediskussion über unser Grundgesetz führen, sondern mir waren ganz konkrete Projekte, ganz konkrete Diskussionen auf Kongressen und auch ganz konkrete Mittelerhöhungen wichtig. Ich selbst kann es auch nicht ertragen, wenn den Sonntagsreden zum ländlichen Raum keine Taten folgen. In einem zweiten Schritt wird es um die Frage gehen: Was können wir im Zuge dieser Gemeinschaftsaufgabe leisten? Die Gemeinschaftsaufgabe ist verfassungsrechtlich immer begrenzt, und zwar für jeden Finanzminister, auf agrarstrukturelle Förderungen. ({0}) - Ja, das gehört dazu. - Über die Gemeinschaftsaufgabe, über die wir hier sprechen, ist zum Beispiel keine Wirtschaftsförderung möglich. Das kann der Wirtschaftsminister tun, und das tut er auch. Aber mir wäre es noch lieber, wenn der Bund, vielleicht als Ergebnis dieser interministeriellen Arbeitsgruppe, ohne diese Schranke „Reduzierung auf Agrarstruktur“ mit den Ländern eine Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum vereinbarte. Das verschweige ich nicht. Das ist allerdings nur mit einer Grundgesetzänderung machbar, und deshalb macht diese interministerielle Arbeitsgruppe Sinn. Aber noch wichtiger war, Frau Kollegin, die Mittel zu erhöhen und konkrete Projekte auf den Weg zu bringen; denn die Bevölkerung sowie die Bürgermeister und Landräte hätten kein Verständnis, wenn wir zwei Jahre nur über eine Verfassungsänderung diskutieren würden, ohne dass sich ihre konkrete Situation verändern würde. Die Antwort ist also: Das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun folgt der Kollege Peter Bleser.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie und die Koalitionsfraktionen waren die ersten, die die Notwendigkeit einer flächendeckenden Breitbandversorgung im ländlichen Raum erkannt haben. Dafür stehen im Bundeshaushalt Mittel in Höhe von jährlich 10 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bereit. Ich weiß, dass die Resonanz groß ist. Haben Sie einen Überblick darüber, wie sich der Mittelabfluss gestaltet und welche Aktivitäten in den verschiedenen Bundesländern schon unternommen worden sind? ({0}) Ich halte es auch für sehr zielführend, dass Sie eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet haben. Verfolgen Sie damit auch das Ziel, für eine Gleichbehandlung ländlicher und städtischer Räume zu sorgen, indem verstärkt auch Infrastrukturmaßnahmen anderer Art - Stichworte: Straßen, Schulen und ärztliche Versorgung durchgeführt werden? Dadurch könnte ja die Besiedlung der ländlichen Räume dauerhaft gesichert und unsere dezentrale Struktur, die sicher ökologisch sinnvoll ist, aufrechterhalten werden.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Das Programm zur Breitbandversorgung, das, wie gesagt, gemeinsam von Bund und Ländern finanziert wird - 60 Prozent der Kosten trägt der Bund, den Rest übernehmen die Länder im Rahmen von Zuschüssen -, ist ein Renner. Mich freut besonders, dass es vor allem dort, wo man am Anfang Bedenken hatte, zu einem Renner geworden ist. ({0}) Es ist ja oft so im politischen Leben, dass zunächst einmal gefragt wird: Passt es eigentlich in eine Marktwirtschaft, dass die öffentliche Hand den Ausbau der Breitbandversorgung fördert? Dazu ist zu sagen: Eine ähnliche Förderung zur Entwicklung der ländlichen Räume praktizieren wir bei vielen Infrastrukturmaßnahmen seit 60 Jahren. Denn die marktwirtschaftlichen Gesetze können nicht alles regeln. Ich kann Ihnen jetzt keine konkrete Zahl nennen. Wir rechnen aber damit, dass etwa zwei Drittel der 1 700 Gemeinden, die derzeit noch nicht mit Breitbandanschlüssen versorgt sind, von dem Programm, das jetzt aufgelegt worden ist, erfasst werden. ({1}) - Sie dürfen nicht nur die 30 Millionen Euro, die der Bund zur Verfügung stellt, in den Blick nehmen, sondern Sie müssen auch die Beteiligung der Länder berücksichtigen. Manche Bundesländer steuern mittlerweile nicht nur ihre anteilige Finanzierung bei, sondern noch mehr. ({2}) - Ich will mich jetzt nicht zu einzelnen Bundesländern äußern. Denn dann würden Sie sagen, das sei Wahlkampf. Zu diesen Bundesländern gehört allerdings auch ein Bundesland, in dem gerade Wahlkampf ist. ({3}) Hier ist also viel Bewegung entstanden. Ich finde, das ist sehr gut. Im Kabinett haben wir heute auch kurz über das Verhältnis von Stadt und Land gesprochen. Der Kollege Tiefensee, mit dem wir übrigens, was Fragen der Raumordnung betrifft, hervorragend zusammenarbeiten, wird im April dieses Jahres ein Programm zur Stadtentwicklung und zu den Metropolregionen Deutschlands vorstellen. Heute haben wir erneut bekräftigt, dass wir die Entwicklung in Städten und ländlichen Räumen nicht als Gegensatz betrachten. Auch auf den Kongressen, die durchgeführt worden sind, wurde deutlich, dass beide Raumtypen aufeinander angewiesen sind. Der ländliche Raum braucht die Städte - zu ihm gehört auch die eine oder andere kleinere Stadt -, und umgekehrt ist auch der ländliche Raum für die Städte aus unterschiedlichen Gründen ungeheuer wichtig. Deshalb ist es nicht etwa ein Schlagwort, wenn ich sage: „Stadt und Land - Hand in Hand“. Vielmehr wird daran deutlich, dass wir beides im Blick haben: eine gute organische Stadtentwicklung und die Wertschöpfung im ländlichen Raum. Der ländliche Raum hat aufgrund der demografischen Entwicklung - ich verweise auf die neuen Länder - natürlich größere Herausforderungen zu bewältigen. Denn der Wegzug der Bevölkerung aus den ländlichen Räumen, jedenfalls aus den peripher gelegenen ländlichen Räumen, führt, was die Situation in Kindergärten und Schulen, die Wirtschaftskraft und die Auslastung der Infrastruktur betrifft, zu ganz anderen Problemen, als es in Städten der Fall ist. Es wurde ja eine Reihe von Gutachten und Studien in Auftrag gegeben. Dabei wurde unter anderem am Beispiel Brandenburgs untersucht, welche Folgen es hat, wenn Schulen geschlossen werden und die Kinder sozusagen abwandern. Man kam zu dem Ergebnis: Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Eltern abwandern. Auf jeden Fall birgt diese Entwicklung die Gefahr, dass der ländliche Raum irgendwann daniederliegt. Dem muss man durch die richtige Strukturpolitik entgegenwirken. In den neuen Ländern ist diese Entwicklung gewissermaßen mit Händen zu greifen, wie übrigens auch in manchen peripher gelegenen ländlichen Räumen im Westen unseres Landes. Das sind aber nur die Vorboten. Mit den echten Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, werden wir es erst im Laufe der nächsten 20, 30 Jahre zu tun bekommen. Daher bedarf es sehr kluger Entscheidungen und - davon bin ich überzeugt - auch völlig neuer Überlegungen und Maßnahmen. Wenn wir die Bildungspolitik der Vergangenheit fortsetzen, werden wir die wohnortnahe Versorgung unserer Kinder mit Bildung nach dem Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ in den nächsten 20, 30 Jahren nicht mehr gewährleisten können. Außerdem müssen wir die überkommene Planung nach dem Motto „Hier das Krankenhaus, dort der niedergelassene Arzt“ überdenken. Um die Versorgung des ländlichen Raumes sicherzustellen, brauchen wir neue Konzepte und innovative Ideen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Tackmann hat eine Frage. Bitte schön.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für den Kurzreport, Herr Minister. In der dazugehörigen Pressemitteilung hieß es, dass Sie schon eine beachtliche Reihe von Maßnahmen ergriffen haben. Die Situation in den ländlichen Räumen ist aber dermaßen dramatisch, dass man sich fragen muss: Haben die Maßnahmen nicht gegriffen? Müssen wir uns etwas anderes überlegen? Einige Aspekte haben Sie ja eben genannt. Ich hoffe, dass die interministerielle Arbeitsgruppe nicht unter dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ ich einen Arbeitskreis“ einberufen worden ist und es hier nicht nur um strukturelle Entscheidungen geht, sondern dass tatsächlich etwas Konkretes unternommen wird. Wir wissen, dass die Abwanderung aus den ländlichen Räumen sozialselektiv und geschlechtsselektiv erfolgt: Insbesondere junge Frauen verlassen die ländlichen Räume, weil sie die entsprechenden Lebensbedingungen dort nicht mehr vorfinden. Ich vermisse aber eine Beteiligung des Familienministeriums an Ihrer interministeriellen Arbeitsgruppe. Doch gerade für dieses spezielle Problem brauchen wir zügig Antworten, brauchen wir spezifische Handlungsansätze. Deswegen frage ich: Wie sehen Sie dieses Problem? Welche Handlungsmöglichkeiten würden Sie entwickeln wollen? Es ist dann schon darauf hingewiesen worden, dass die Landesregierungen etwas tun müssen. Diese Handlungsebene muss aber einbezogen werden. Wenn zum Beispiel die Landesregierung von Brandenburg sagt: „Wir können in peripheren Räumen nur noch Bildung anbieten; die Menschen müssen halt wissen, ob sie dort dann noch leben wollen oder nicht“, konterkariert das in gewisser Weise unsere Bemühungen. Wie wollen Sie mit diesem Problem umgehen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Die Gründung der interministeriellen Arbeitsgruppe folgte nicht dem Motto „Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis“. Diese Arbeitsgruppe ist die zweite Stufe der integrierten Politik. Zunächst einmal hat jedes Bundesministerium - das Raumordnungsministerium, das Wirtschaftsministerium, das Finanzministerium die Anstrengungen, die in der Zuständigkeit seines Ressorts liegen, verstärkt. Jetzt geht es um Querschnittsaufgaben. Wir wollen nämlich eine integrierte Politik machen. Da nutzt es aber nichts, isoliert die Landwirtschaft, die Energiewirtschaft oder die regenerativen Energien zu sehen, wenn man gleichzeitig zum Beispiel die Bildungspolitik aus dem Auge verliert. Zumal wir aus belastbaren aktuellen Studien wissen, dass der Anker für die Zukunft des ländlichen Raumes die Bildungseinrichtungen sind. Die Studie, die das Berlin-Institut im Auftrag des Landtags Brandenburg erstellt hat, hat belegt: Wenn Schulen geschlossen werden und Kinder erst in eine weiter entfernte Schule transportiert werden müssen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Eltern mit den Kindern umziehen. ({0}) Wer also die jungen Leute, die Familien im ländlichen Raum halten will, der muss neben der Wertschöpfung im ländlichen Raum - damit dieser nicht nur eine Schlafstätte ist - insbesondere die Bildungseinrichtungen im Auge behalten. Es ist immer schwierig, eine Arbeitsgruppe abzugrenzen. Wir haben uns für eine bestimmte Abgrenzung entschieden; das bedeutet aber nicht, dass die Ebenen bzw. Ressorts, die an diesem Arbeitskreis nicht teilnehmen, nicht beteiligt werden könnten. Natürlich wird man bei Spezialthemen andere Ressorts, die Kommunen oder die Länder beteiligen, um dieses integrierte Vorgehen in der Praxis mit Leben zu erfüllen. Ich glaube, wenn acht Ministerien eines Kabinetts einen Arbeitskreis bilden, kann man davon ausgehen, dass ein breiter Sachverstand für die gewünschte integrierte Konzeption vorhanden ist. Wir werden darüber hinaus sicherlich Rückkopplungen mit den zuständigen Ausschüssen vornehmen, sodass auch der Sachverstand des Parlaments einfließen kann. Es muss aber eine Kerntruppe geben, die sich kraft ihrer Ressortzuständigkeit primär um die Fragen kümmert. ({1}) - Natürlich werden wir uns, wenn es um Familienthemen geht, mit dem Familienministerium und Frau Kollegin von der Leyen in Verbindung setzen. Gerade was die Kinderbetreuung angeht, hat sie ja in Deutschland den Durchbruch geschafft. Also bitte nicht daraus, dass die Länder oder die Kommunen an diesem Arbeitskreis nicht beteiligt sind, schließen, wir würden den Föderalismus vernachlässigen! Wir werden in dieser interministeriellen Arbeitsgruppe auch mit Verbänden reden müssen. Aber diese Arbeitsgruppe muss in ihrer Kernzusammensetzung arbeitsfähig bleiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Franz-Josef Holzenkamp, bitte.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie haben die Gefahr angesprochen, dass die ländlichen Räume zunehmend menschenleer werden. Wollen wir diese Entwicklung zulassen, und was können wir andernfalls dagegen tun? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Gemeinsame Agrarpolitik, und zwar insbesondere die zweite Säule? Sind Sie für eine Umschichtung von Mitteln von der ersten zur zweiten Säule? Ich habe noch eine kurze Nachfrage zu der von Ihnen angesprochenen GAK, bei der vielleicht eine breitere Zuständigkeit von Vorteil wäre. Setzt das eine Aufstockung der Mittel voraus, um zu verhindern, dass ein solcher Schritt zulasten der Landwirtschaft erfolgt?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Was Ihre letzte Frage angeht, ist es meines Erachtens notwendig, dass man die Gemeinschaftsaufgabe auch durch eine entsprechende Aufstockung der Mittel unterstützt. Das Beispiel der Breitbandverkabelung hat gezeigt, was eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen zu leisten vermag. Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir die dabei entstehende Dynamik nicht weiter nutzen würden. Was die erste und zweite Säule angeht, verfolge ich bekanntlich das Anliegen, verlässliche Bedingungen für die Beteiligten zu schaffen. Verlässlichkeit schafft Vertrauen, und Vertrauen fördert Investitionen. In diesem Sinne sollten wir darauf verzichten, jedes Jahr die Bedingungen zu ändern, wenn es um die Unterstützung der Bauern oder der Agrarwirtschaft geht. Vor dem Hintergrund der beginnenden Diskussionen innerhalb der Europäischen Union empfehle ich, sich nicht auf die Alternative einer Umverteilung von der ersten zur zweiten Säule zu beschränken, sondern auch die Umschichtung nicht ausgeschöpfter EU-Mittel in die zweite Säule in Erwägung zu ziehen. Es geht nicht immer um ein Entweder-oder. Es wäre bei der Gemeinschaftsaufgabe auch kaum vermittelbar, wenn man den ländlichen Raum unterstützen will, aber denjenigen, die dort Wertschöpfung betreiben - nämlich die landwirtschaftlichen Betriebe -, die dafür notwendigen Mittel nimmt. Damit hat man nichts für den ländlichen Raum gewonnen oder richtet sogar Schaden an. Nun komme ich zu Ihrer ersten Frage. Ich bin ein entschiedener Gegner, durch die Politik die Entleerung des ländlichen Raumes zu fördern. Die seitens der Wissenschaft erhobene Forderung, eine Prämie dafür zu zahlen, dass Menschen vom ländlichen Raum in die Städte ziehen, um Infrastrukturmaßnahmen einzusparen, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht. Ich habe das Thema in der heutigen Kabinettssitzung angesprochen. Wir teilen die klare Auffassung, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland weiterhin als politisches Ziel zu verfolgen. Das gilt für Stadt und Land. Die Zahlung einer Prämie zur Förderung der Landflucht ist für uns kein Thema. Wir wollen lebensfähige ländliche Räume. Neben der Bildung halte ich die Wertschöpfung der Landwirtschaft und für kleine und mittlere Betriebe im ländlichen Raum für unabdingbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat der Kollege Dr. Edmund Geisen das Wort.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrter Herr Minister, Ihr Ressort ist für die Koordination zuständig. Mich interessiert vor allen Dingen, wie Sie frühzeitig die betroffenen Länder und Kommunen einbinden wollen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob Sie noch derselben Meinung sind wie am 26. September 2006 in Oulu, dass in Bayern pausenlos Gelder ohne Sinn und Verstand verteilt werden, wie Sie in der FAZ vom 27. September 2006 zitiert wurden, oder hat sich seitdem etwas geändert? Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Landwirtschaft vor großen neuen Herausforderungen steht, was die effiziente und nachhaltige Nahrungsmittel- und Energieproduktion im Sinne des Klimaschutzes angeht und dass dadurch weitere neue Mittel und Programme notwendig sind, die vor allen Dingen im Sinne des Klimaschutzes zu dem Ziel beitragen, die CO2-Senken zu erhalten?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Zu Letzterem kann ich nur uneingeschränkt Ja sagen. Auf der einen Seite ist die Landwirtschaft Hauptbetroffene des Klimawandels. Ich führe zum Beispiel die besorgniserregende Entwicklung der Blauzungenkrankheit auf die Veränderung des Klimas zurück; denn ein Virus ist aus den Tropen zu uns gewandert. Auf der anderen Seite kann die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Deshalb sind die Fördermittel, die in die Landwirtschaft fließen, um dieses Ziel zu erreichen oder um Nachteile aufgrund der Maßnahmen zum Klimaschutz auszugleichen - wir wollen schließlich, dass die Nahrungsmittelproduktion bei uns erfolgt, um uns nicht in größerem Maße von Importen abhängig zu machen -, gut angelegtes Geld. Was die Lebensmittelpreise angeht: Wären wir bei der Nahrungsmittelversorgung genauso abhängig wie bei der Energieversorgung, bräuchten wir über die Preise und die Qualität unserer Lebensmittel nicht mehr zu reden; denn dann wären wir auf den Weltmarkt angewiesen. Wir sind hier also völlig d’accord. Wenn man für Förderprogramme und die Förderung durch die öffentliche Hand eintritt, muss man darauf achten, ob die Verwendung der Steuergelder effizient und für den richtigen Zweck erfolgt. Deshalb habe ich an meiner Äußerung aus dem Jahre 2006 nichts zu korrigieren. Ich denke, sie hat auch gewirkt. Die Effizienz wurde verbessert. Wenn mir aber in einem Landkreis ein Gipsmuseum, gefördert mit ELER- und Europamitteln, vorgeführt wird, stellt sich mir schon die Frage, ob das dem eigentlichen Zweck der Förderung entspricht. Herr Kollege Geisen, alle Beteiligten sind einbezogen. Wir führen seit zwei Jahren einen breiten Dialog. Der Landkreistag, der Städtetag, der Städte- und Gemeindebund, also die gesamte kommunale Ebene, und die Bundesländer sind einbezogen. Wir reden auch auf der Agrarministerkonferenz darüber. Ich habe vorhin in meiner Antwort gesagt, dass wir diesen breiten Dialog weiter pflegen wollen. Es sind hochkomplizierte Sachverhalte, die es zu lösen gilt, gerade wenn es um die Sicherstellung der öffentlichen Infrastruktur bei zurückgehender Bevölkerung - sie wird von 80 Millionen auf 70 Millionen sinken - geht. Hier müssen völlig neue Wege gegangen werden. Die einschlägigen Pfade der Fachplanung werden in den nächsten 20, 30 Jahren nicht zu halten sein. Für das Protokoll: Ich bedanke mich für die Zustimmung des Kollegen Goldmann. Das ist ein seltener historischer Moment im Hause. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dass wir eine historische Stunde haben, zeigt sich auch daran, dass wir sehr viel mehr Fragebedarf als Zeit haben. Diese ist für die Regierungsbefragung um. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/8446, 16/8487 Gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde kommen wir zuerst zu den dringlichen Fragen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Volker Schneider ({0}) auf: Trifft eine Meldung der Agentur Reuters vom 9. März 2008 bzw. der Berliner Zeitung vom 10. März 2008 zu, dass nach einem Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sogenannte Aufstocker, die Arbeitslosengeld I beziehen und sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder einer „sonstigen Erwerbsarbeit“ mit einem Mindesteinkommen von 400 Euro monatlich nachgehen, von einer Ausnahmeregelung bei drohender Zwangsverrentung ab dem 63. Lebensjahr profitieren, sogenannte Minijobs mit bis zu 400 Euro Einkommen aber nicht unter die Ausnahmeregelung fallen? Herr Thönnes, bitte schön.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Volker Schneider, Sie haben zwei dringliche Fragen gestellt. Ich bitte darum, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schneider, sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich auch die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker Schneider ({0}) auf: Trifft es ebenfalls zu, dass die Bundesregierung in diesem Entwurf davon ausgeht, dass es sich bei einem Minijob auf 400-Euro-Basis lediglich um eine reine Nebenerwerbstätigkeit handelt und deshalb die betroffenen Personen auch weiterhin ab dem 63. Lebensjahr mit einer Zwangsverrentung zu rechnen haben? Bitte, Herr Staatssekretär.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Bundesregierung stimmt den Entwurf einer Unbilligkeitsverordnung derzeit ab. Zu der konkreten Ausgestaltung der Unbilligkeitsverordnung kann vor Inkrafttreten der im Siebten Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vorgesehenen Verordnungsermächtigung keine Aussage getroffen werden. Die Bundesregierung weist allerdings darauf hin, dass vorgesehen ist, in der Verordnung nicht nur einen, sondern mehrere Unbilligkeitsgründe zu regeln, bei deren Vorliegen Hilfebedürftige trotz Vollendung des 63. Lebensjahres nicht auf eine Abschlagsrente zu verweisen sind. Anders als in den Fragestellungen impliziert, sind vom zuständigen Träger der Grundsicherung alle Unbilligkeitsgründe im Einzelfall zu prüfen. Das Vorliegen eines Unbilligkeitsgrundes reicht aus.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schneider, eine Nachfrage, bitte.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Leider gehen Sie mit meiner Frage ähnlich um, wie wir es in den letzten Wochen und Monaten im Zusammenhang mit Zeitungsartikeln immer erlebt haben. Deshalb erlaube ich mir folgende Nachfrage: Die Nachrichtenagentur Reuters hat behauptet, dass ihr der angesprochene Entwurf einer Verordnung des Bundesarbeitsministeriums vorgelegen habe. Können Sie definitiv erklären, dass Reuters hier die Unwahrheit behauptet, weil es derzeit einen solchen Entwurf in Ihrem Haus nicht gibt? Falls ein solcher Entwurf doch existieren sollte, können Sie verbindlich erklären, dass die von Reuters berichteten Regelungen so nicht in dem Entwurf enthalten sind? Wären Sie des Weiteren so freundlich, das Parlament darüber zu informieren, was in dem Entwurf tatsächlich steht, soweit es einen gibt?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Schneider, ich habe gerade ausgeführt, dass erst einmal eine Verordnungsermächtigung vorhanden sein muss, um überhaupt eine Verordnung herbeizuführen, in diesem Fall eine Unbilligkeitsverordnung. Ich habe Ihnen auch gesagt, dass das Siebte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch noch nicht in Kraft getreten und damit auch noch nicht verkündet worden ist. Damit gibt es keinen Anlass, jetzt schon Stellung zu nehmen oder irgendwelche Zeitungsartikel zu kommentieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schneider, Sie haben eine weitere Nachfrage.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch drei, wenn ich es richtig sehe; ich habe zwei Fragen gestellt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ja, Sie haben recht.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe befürchtet, dass das Frage-und-AntwortSpiel in dieser Weise abläuft. Herr Staatssekretär, ich komme nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass ich Ihnen eben eine präzise Frage gestellt habe. Völlig unabhängig davon, ob Sie schon eine Ermächtigung durch das Gesetz haben, behauptet Reuters, dass Sie in Ihrem Haus an einem solchen Entwurf arbeiten und dass dieser Entwurf Reuters vorliegt. Ich habe Sie gefragt, ob dies sein kann oder ob Sie es als Unwahrheit zurückweisen, weil es einen solchen Entwurf nicht gibt. Ich bitte Sie, diese Frage auch zu beantworten.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Schneider, ich habe Ihnen bei meiner ersten Antwort auf Ihre beiden Fragen gesagt, die Bundesregierung stimme den Entwurf einer Unbilligkeitsverordnung derzeit ab. Das heißt, sie befindet sich im Abstimmungsverfahren innerhalb der Bundesregierung. Solange dieses Abstimmungsverfahren nicht abgeschlossen ist und solange es die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht gibt, gibt es - das habe ich Ihnen eben auch deutlich zu machen versucht - keine Veranlassung, zu irgendwelchen Zeitungsberichten Stellung zu nehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schneider, bitte schön, die dritte Frage.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da es offensichtlich Überlegungen gibt, bitte ich Sie um Verständnis, dass ich zu diesen Überlegungen nachfrage, weil sie, wenn sie denn tatsächlich in eine Unbilligkeitsverordnung münden, weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben werden, über die wir uns bestimmte Gedanken machen. Ich frage nach, weil meiner Fraktion aus den Reihen der Großen Koalition - der Kollege Brauksiepe, der sich hier besonders hervorgetan hat, ist gerade eingetroffen - immer wieder der Vorwurf gemacht worden ist, dass wir das Thema Zwangsverrentung künstlich aufbauschten. Dies wurde damit begründet, dass die Zahl der betroffenen Personen eher klein sei - Sie selbst geben sie mit 25 000 bis 30 000 Personen an - und dass durch diese Unbilligkeitsverordnung weitere Ausnahmen vom Grundsatz der Nachrangigkeit geschaffen werden könnten. Wenn jetzt aber, wie ich es in dem Artikel lese, selbst solche Personen zwangsverrentet werden sollen, die einer Beschäftigung nachgehen, würden Sie mir dann nicht zustimmen, dass die angekündigte Rechtsverordnung anscheinend eher dem Zweck dienen soll, Ausnahmen von der Zwangsverrentung zu vermeiden, als solche zu ermöglichen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich habe gerade dargestellt, dass es in dieser Unbilligkeitsverordnung mehrere Gründe geben wird. Wenn Sie jetzt das Kriterium der Beschäftigung ansprechen, dann muss schlichtweg darauf hingewiesen werden, dass bei der Frage des Nachrangigkeitsgrundsatzes immer zu beachten ist, dass man bei einem Betroffenen, der einer Beschäftigung nachgeht, davon ausgehen können muss, dass alles getan wird, um aus der Situation der Bedürftigkeit herauszukommen. Deswegen wird es natürlich Kriterien geben, die etwas mit der Beschäftigung zu tun haben. Das Kriterium Beschäftigung wird so bewertet werden, dass der Einsatz der Arbeitskraft überwiegend dazu da sein muss, um gar nicht erst hilfebedürftig zu werden. So etwas wird mit Sicherheit Eingang in diese Unbilligkeitsverordnung finden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine Frage, Herr Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das finde ich angesichts dessen, was uns jetzt hier berichtet worden ist, einigermaßen überraschend; denn wenn ich mir überlege, dass die Ausweitung der Möglichkeiten von Mini- und Midijobs im Rahmen der Hartz-Reformen stets damit begründet worden ist, dass diese die Chance eröffnen, möglicherweise wieder in eine Vollzeitbeschäftigung zu kommen - man sprach von der sogenannten Brückenfunktion -, dann wundere ich mich doch, dass hier im Grunde genommen steht, dass 63-Jährige, die einen Minijob ausüben, zwangsverrentet werden sollen. Heißt das, dass Sie nicht mehr davon ausgehen, dass diesen Jobs tatsächlich eine Brückenfunktion zukommt, oder gehen Sie davon aus, dass diese für 63-Jährige und Ältere keine Brückenfunktion mehr haben? Wenn ja, dürfen wir damit rechnen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beabsichtigt, die Begünstigung solcher prekären Beschäftigungsverhältnisse wieder abzuschaffen, damit deren Umfang zurückgeht, der allein zwischen 2003 und 2005 um 1,2 Millionen Stellen angestiegen ist?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Auch mit dem geschickten Versuch, etwas aus dem Zeitungsartikel zu zitieren, wird es Ihnen nicht gelingen, dass ich von meinen vorherigen Antworten abweiche, was die Inhalte der Verordnung angeht. Ich sage Ihnen nur so viel und will damit das unterstreichen, was ich gerade geantwortet habe: Die abhängige Beschäftigung oder die sonstige Erwerbstätigkeit, über die wir hier sprechen, müssten in einem zeitlichen Umfang ausgeübt werden, der zeigt, dass die hilfebedürftige Person ihre Arbeitskraft überwiegend zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit einsetzt. Reine Nebentätigkeiten scheiden dabei aus. Mit dem Ziel, Eingliederung in Arbeit zu fördern, das wir mit dem SGB II verfolgen, wäre es nicht vereinbar, gerade diese in Arbeit eingegliederten Personen zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente zu verpflichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind die dringlichen Fragen beantwortet, und ich komme zu den Fragen auf Drucksache 16/8446 in der üblichen Reihenfolge. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Sabine Zimmermann werden schriftlich beantwortet. Somit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Antworten wird der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick. Wir kommen zur Frage 3 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter: Inwieweit treffen Aussagen zu, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, LuFV, zwischen Bund und Deutscher Bahn AG, DB AG, unterschriftsreif im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorliegt, und inwieweit ist die LuFV mit den Bundesländern abgestimmt?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Dazu kann ich Ihnen sagen, dass diese Auskunft nicht zutreffend ist. Die LuFV liegt nicht unterschriftsreif im Bundesministerium vor. Das hat einen einfachen Grund. Man kann eine LuFV erst endverhandeln, wenn klar ist, welches Modell bei einer Beteiligung privaten Kapitals an der Deutschen Bahn AG gewählt werden wird. Sie wissen, wir sind da mitten in einer aktuellen Debatte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, Sie haben eine Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht auch meine zweite Frage direkt beantworten? Denn sie steht in einem engen Zusammenhang mit der ersten Frage. Das wäre sehr nett.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe Frage 4 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wann wird die LuFV dem Parlament vorgelegt, und welchen Zeitplan zur Umsetzung der LuFV hat die Bundesregierung?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

In Frage 3 haben Sie auch nach dem Prozess der Abstimmung mit den Ländern gefragt. Es gehört zu unserer selbstverständlichen Alltagspraxis, die wesentlichen Fragen der Infrastruktur mit den Ländern abzusprechen. Ich komme zu Frage 4. Wir haben in den Ausschüssen immer wieder deutlich gemacht - wir haben es den zuständigen Ausschussvorsitzenden schriftlich mitgeteilt -, dass wir die parlamentarischen Gremien vor der Unterzeichnung einer LuFV selbstverständlich über den Sachverhalt informieren werden. Das ist aktenkundig und für uns selbstverständlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Herr Hofreiter? - Bitte schön.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wenn ich mich richtig erinnere, bestand eigentlich sowohl im Ausschuss als auch im Unterausschuss Konsens darüber, dass wir völlig unabhängig vom Privatisierungsmodell eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung benötigen. Selbst wenn sich bei der Bahn überhaupt nichts ändert, wenn also jegliche Privatisierungsmodelle scheitern - das ist angesichts der momentanen Debattenlage durchaus möglich -, ist es dringend nötig, eine LuFV abzuschließen. Das, was in einer LuFV vereinbart wird, ist unabhängig davon, ob 48 Prozent der Holding, in der die Transporttöchter der Bahn zusammengefasst sind, an Private verkauft werden; es ist auch egal, welches Privatisierungsmodell gewählt wird. Das ist, wenn ich mich richtig erinnere, der Stand der Debatte im Ausschuss. Deswegen kann ich Ihre Aussage nicht nachvollziehen, nach der wir die LuFV erst vorgelegt bekommen, wenn sich die Bundesregierung oder die großen Fraktionen oder Transnet und Herr Mehdorn auf ein Modell geeinigt haben. Eigentlich bestand Konsens darüber, dass die LuFV dem Parlament vorgelegt wird, sobald ein Entwurf vorhanden ist. Hat sich das jetzt plötzlich geändert?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Nein, Herr Dr. Hofreiter, das hat sich nicht geändert. Der Sachverhalt stellt sich folgendermaßen dar: Eine LuFV ist zwingend erforderlich. Es geht darum, Qualitätskriterien für den Ausbau der Infrastruktur festzulegen, die es ermöglichen, dass der Ausbau für den Bund finanziell überschaubar bleibt und dass andererseits die zuständigen Unternehmen Investitionssicherheit erhalten. Die Frage ist, wie man eine solche Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ausgestaltet. Das hängt davon ab, welches Privatisierungsmodell verfolgt wird bzw. politisch durchsetzbar ist. Es stellen sich beispielsweise die Fragen: Muss man einzelvertragliche Regelungen treffen? Kann man bei einem Vorschlag eventuelle Privatisierungserlöse berücksichtigen? Wenn sich der Deutsche Bundestag auf ein bestimmtes Modell geeinigt hat - der Deutsche Bundestag muss es beschließen -, kann man eine entsprechende LuFV entwickeln. Sie wissen, dass verschiedene Modelle einer LuFV in der Debatte sind. Wir sind uns politisch einig darüber, dass wir eine LuFV brauchen; aber in welcher Ausformung wir sie am Ende durchsetzen oder politisch verabreden können, hängt davon ab, auf welches Modell einer Teilprivatisierung der DB AG man sich einigt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, Sie haben eine weitere Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wann sieht sich die Bundesregierung in der Lage, vernünftige Eckpunkte für eine LuFV im Ausschuss vorzulegen? Wir haben extra einen Unterausschuss Infrastruktur eingerichtet, um ebendiese Dinge zu besprechen. Es mag in einem gewissen Umfang richtig sein, dass letzte juristische Details der LuFV vom Privatisierungsmodell abhängen; aber die entscheidenden Qualitätskennziffern der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sind völlig unabhängig vom Modell. Der Ausschuss und der Bundestag interessieren sich für genau diese Qualitätskennziffern. Hierbei ist es nicht entscheidend, wie die Einigung unter Berücksichtigung des konkreten Modells im letzten juristischen Detail aussieht. Das Entscheidende ist: Welche Qualitätskennziffern werden in die LuFV aufgenommen? Meine Frage ist: Wann sieht sich die Bundesregierung in der Lage, die Qualitätskennziffern für eine LuFV dem Ausschuss vorzulegen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Mein Kollege Achim Großmann - er betreut in unserem Haus diesen Politikbereich für das Parlament - hat mich darüber informiert, dass diese Dinge auch im Unterausschuss mehrfach sehr detailliert diskutiert wurden. Deswegen bin ich ein wenig von Ihrer Frage überrascht; denn genau das war Gegenstand der Sitzungen. Zum Ablauf kann ich Ihnen nur noch einmal sagen: Die Bundesregierung kann dem Parlament erst einen sachgerechten Vorschlag für die Ausgestaltung einer LuFV unterbreiten, wenn politisch klar ist, mit welchem Modell wir bei der DB AG weiterarbeiten können; das ist der sachliche Zusammenhang.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, Sie wollen jetzt die Nachfragen zu Ihren beiden Fragen stellen? Sehe ich das richtig? - Dann können Sie noch zwei Fragen stellen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es tut mir leid, dass ich weiter nachfragen muss, aber die entscheidende Frage wurde nicht beantwortet. Sie haben es richtig dargestellt: Wir haben das im Unterausschuss ausführlich diskutiert. Nach der Debatte sollte dargestellt werden, welche dieser Qualitätskennziffern in welcher Form der Bahn von der Bundesregierung vorgeschlagen - wie auch immer man es nennen will und welche übernommen werden sollen. Wir haben die verschiedensten Modelle diskutiert. Wir haben die Vor- und Nachteile bestimmter Regelungen diskutiert. Nur weil wir sie diskutiert haben - ich präferiere ganz bestimmte Modelle und Qualitätskennziffern -, heißt das noch lange nicht, dass sie Gegenstand Ihrer Regelung sein werden. Genau das würde mich aber interessieren: Welche Qualitätskennziffern sollen in die LuFV übernommen werden und welche nicht? Das ist beantwortbar - unabhängig vom Modell. Es hilft also nichts, nochmals zu antworten - das haben Sie bereits zweimal getan -, dass Sie uns die detaillierte LuFV erst vorlegen können, wenn über das Modell entschieden ist. Das mag ja sein - ich würde dies allerdings auch bestreiten, aber darüber wollen wir jetzt nicht diskutieren -; die Qualitätskennziffern können Sie uns trotzdem nennen. Bis wann ist dies möglich? Wollen Sie sie dem Ausschuss überhaupt vorlegen? Das ist beantwortbar.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Dr. Hofreiter, ich möchte noch einmal auf das Verfahren aufmerksam machen. Sie haben im Unterausschuss, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, in mehreren Sitzungen die Qualitätskriterien mehrfach ausgiebig diskutiert. Sie wissen also, dass abhängig davon, welches Bahnprivatisierungsmodell politisch durchsetzbar ist, unterschiedliche Kriterien zum Zuge kommen werden. Je nachdem, wie das Parlament sich entscheidet - die Bundesregierung wird entsprechende Vorschläge machen -, wird, daraus abgeleitet, eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung getroffen, die wir dem Parlament selbstverständlich vor der Unterzeichnung vorlegen werden, sodass ausreichend Zeit zur Diskussion besteht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, eine letzte Nachfrage? - Bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn ich glaube, dass es keinen Sinn hat - Sie wollen es uns einfach nicht sagen -, frage ich noch einmal nach. Völlig unabhängig vom juristischen Modell Holdingmodell, Eigentumssicherungsmodell, Trennung, Modell von Attac, Modell der Volksaktie oder Modell von wem auch immer - ist die Frage, welche Qualitätskriterien genannt werden. Danach frage ich. Es gibt in Ihrem Ministerium - das wissen wir - einen Vorschlag dafür. Wir kommen leider nicht daran; sonst brauchte ich jetzt hier nicht nachzufragen. Ihr Ministerium - das nur am Rande - ist normalerweise ein Sieb, aber in dem Punkt leider nicht. Noch einmal die Frage: Sehen Sie sich in der Lage, uns Qualitätskennziffern zu nennen, ja oder nein? Sie brauchen nicht noch einmal auf das Verfahren hinzuweisen. Sagen Sie einfach „ja“ oder „nein“.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Dr. Hofreiter die Frage ist, ob wir eine LuFV auf Basis des geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes verabreden oder ob wir eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage schaffen müssen. Davon hängt die Diskussion um die Qualitätskriterien ab. Ob wir spezialgesetzliche Regelungen brauchen oder auf der Basis des geltenden Gesetzes agieren können, hängt zentral davon ab, wie die nächsten Schritte bei der Bahnprivatisierung sein werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen jetzt zur Frage 5 der Abgeordneten Bettina Herlitzius: Inwieweit nimmt die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und DB AG Einfluss auf die Höhe der Trassenpreise, und inwieweit wird mit der LuFV eine Quersubventionierung, zum Beispiel des Schienenpersonenfernverkehrs, SPFV, mit Einnahmen aus den Trassenerlösen aus dem Schienenpersonennahverkehr, SPNV, vermieden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Kollegin Herlitzius, Sie beziehen sich auf denselben Sachverhalt, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Sie wissen, wie der Mechanismus ist. Der Bund wird mit den Infrastrukturunternehmen und den zu beteiligenden Unternehmen deshalb die LuFV abschließen, weil wir im Netz Qualität erreichen wollen. Dafür wird der Bund eine feste Summe verabreden. Sie wissen, wir sprechen über etwa 2,5 Milliarden Euro. Wir wollen diese Mittel auf der Basis der heutigen Ertragsstruktur der Unternehmen zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass die LuFV keinen Einfluss auf die Trassenpreisgestaltung haben wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Herlitzius, eine Nachfrage?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bitte Sie, beide Fragen zusammen zu beantworten. Dann werde ich Nachfragen stellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Herlitzius auf: Wie stellt die LuFV eine Erneuerung der überwiegend für den SPNV genutzten Strecken sicher, und auf welche Weise spielen Kriterien eines integralen Taktfahrplanes wie Reisegeschwindigkeiten, Pünktlichkeit, Fahrzeitreserve, Anschlusssicherung und Zahl möglicher Anschlüsse mit kurzen Umsteigezeiten eine Rolle?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Wir haben verabredet, dass Qualitätsparameter auf Nahverkehrsstrecken dasselbe Gewicht erhalten sollen wie auf Strecken des Fernverkehrs. Wir wollen eine Gleichstellung zwischen Nahverkehrs- und Fernverkehrsstrecken im Fern- und Ballungsraumnetz. Dadurch ist gewährleistet, dass es sich die Unternehmen nicht werden leisten können, Nahverkehrsstrecken mit minderer Qualität zu betreiben. Es geht gerade darum, im Gesamtnetz eine hohe Qualität zu erreichen. Wenn die Unternehmen das nicht tun würden, dann hätte dies finanzielle Konsequenzen für sie. Man muss dabei beachten, dass die LuFV nur auf die Qualität der Infrastruktur abstellt. Wenn es also bei einer fertig ausgebauten Strecke zu Zugverspätungen kommt, weil das Unternehmen die Züge nicht pünktlich verkehren lässt, dann geht dies nicht zulasten des Bundes, sondern zulasten des Unternehmens. Wir können über die LuFV die Qualität der Infrastruktur regeln. Wir wollen dafür sorgen, dass die Schiene in Ordnung ist und befahren werden kann. Wenn ein Unternehmen, obwohl die Infrastruktur eine entsprechende Qualität aufweist, die Qualitätsnormen nicht einhält, dann hat es mit Sanktionen zu rechnen. Das ist der Sinn der LuFV. Auf diesem Weg wollen wir Qualität erreichen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Herlitzius, Ihre Nachfrage, bitte.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie wissen ebenso wie die meisten Anwesenden hier, dass das Netz der DB in Bezug auf den Standard und die Qualität heute sehr unterschiedlich ist. Gerade im ländlichen Raum gibt es Bahnstrecken, deren Ausbaustandard nur gewisse Geschwindigkeiten und somit auch nur gewisse Taktverkehre zulässt. Das liegt daran, dass Bahnübergänge nicht ausgebaut sind; das liegt aber auch daran, dass Zweigleisigkeit und Überholstrecken nicht Standard sind. Wenn Sie die Qualität des Service und die Qualität des Bahntransports von Investitionen in den Ausbau der Trasse abkoppeln, werden Sie die Qualität nicht verbessern können. Denn die Qualität der Trasse und die Qualität des Service hängen eng mit den Investitionen zusammen. Daher habe ich eine Nachfrage: Wieso kann diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung jetzt nicht abgeschlossen werden? Denn sie kann nichts mit der Privatisierung zu tun haben. Die Ansprüche an die Fahrleistung der Bahn gibt es jetzt schon. Wenn Sie dies - wie von Ihnen gerade gesagt - koppeln, so heißt dies, dass es in den Regionen in Abhängigkeit von dem Modell der Privatisierung, das Sie wählen, zu Veränderungen kommt. Ich nenne einmal eine Negativinterpretation: Das hieße, die Strecken im ländlichen Raum werden sich mit Blick auf ihre Qualität und auf die Fahrleistung verändern. Ansonsten könnte dieses Modell bei der einfachen Verabredung einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nicht so wichtig sein.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Kollegin, ich sage es vielleicht auch noch einmal für unsere Zuschauer: Die LuFV hat die Funktion, dass wir hinsichtlich des Qualitätsstandards beim Ausbau der Schieneninfrastruktur besser werden als in der Vergangenheit. Wir sind uns einig: Dafür wollen wir eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen. Diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung hat das Ziel, im gesamten Netz die Qualität zu steigern, und zwar so, dass die finanzielle Belastung für den Bund überschaubar und fest kalkulierbar bleibt und für die Unternehmen Investitionssicherheit entsteht. Das Ziel ist, im Vergleich zur Vergangenheit im gesamten Netz zu einer besseren Qualität zu kommen. Denn die Verkehre, auch die internationalen Verkehre nehmen zu. Zudem wollen wir mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Sie beschreiben zu Recht die Defizite; auch wir sehen sie, die Länder ebenfalls. Jeder, der mit der Bahn unterwegs ist, kennt das. Das, was wir mit der LuFV regeln wollen, ist die Frage, wie wir die Infrastrukturqualität verbessern können. Ob das Unternehmen, das diese Infrastruktur nachher nutzt, pünktlich fährt, ob es zu Verspätungen kommt, ob ein schlechter Service angeboten wird, liegt zunächst nicht in der Verantwortung des Bundes. Vielmehr ist der Bund verantwortlich für die Infrastruktur. Darum geht es.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie haben eine weitere Nachfrage? Bitte sehr.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Zusammenhang zwischen Ausbaustandard der Infrastruktur und dem möglichen Angebot eines Betreibers ist Ihnen aber doch klar.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Es besteht natürlich ein ganz enger Zusammenhang, weil Sie auf einer Langsamfahrstrecke nicht schnell fahren können. Aber ich sage noch einmal: Welche Form einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wir am Ende treffen können, hängt von der Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich des Privatisierungsmodells ab, mit dem wir im Ministerium weiterarbeiten können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Herlitzius, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Frau Präsidentin, ich habe eine konkrete Nachfrage. Nehmen wir einfach einmal die Strecke Aachen-Düsseldorf; denn ich komme aus NRW. Heißt das, dass konkrete Veränderungen für diese Strecke - bezüglich Taktverkehr, Anbindung kleinerer Bahnhöfe und Geschwindigkeit - davon abhängen, welches Bahnprivatisierungsmodell am Ende herauskommt?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich kann Ihnen das noch einmal darstellen, damit es da keine Irritationen gibt. Das Bundesverkehrsministerium hat ein Interesse daran, dass sich die Infrastruktur, die wir in Deutschland haben, und zwar die gesamte Infrastruktur, sowohl im Fernverkehr als auch im Nahverkehr, verbessert. Das wollen wir erreichen durch eine klare finanzielle Obergrenze; da ist uns auch der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages immer sehr hilfreich zur Seite. Ferner wollen wir den Unternehmen Investitionssicherheit geben. Innerhalb dieses Rahmens wird es natürlich Prioritäten geben müssen, an welchen Strecken man zuerst investiert. Da werden wir uns besonders um Langsamfahrstrecken kümmern müssen, um die Durchgangsverkehre besser fahren lassen zu können. Man wird sich auch um besonders belastete Strecken kümmern müssen. Das ist aber schon jetzt das übliche Verfahren, dass Investitionen in Schienenwege nach Prioritäten abgeschichtet vorgenommen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Noch eine weitere Nachfrage, Frau Herlitzius?

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich glaube, wir reden - bewusst oder unbewusst - ein Stück weit aneinander vorbei. Sie haben meine Sorge - die Sorge von jemandem, der aus einer etwas strukturschwächeren Gegend als Berlin kommt - um den öffentlichen Nahverkehr aber wohl verstanden. Diese Sorge wird gesteigert durch Ihre Äußerung, dass Sie die LuFV, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, im Prinzip sehr eng mit der Bahnprivatisierung koppeln. Das halte ich für äußerst kritisch. Es zeigt eigentlich, dass die Bahnprivatisierung, anders als es bisher von Ihrem Haus dargestellt wird, doch konkrete Auswirkungen auf den Nahverkehr hat. Gehe ich also recht in der Annahme, dass Sie, wenn das Privatisierungsmodell vorliegt, sich die einzelnen Strecken im Land noch einmal genau ansehen und danach Leistungsvereinbarungen abschließen werden? Das heißt, wirtschaftliche Strecken - denn Privatisierung hat ja auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun - werden von der Bahn oder von den Betreibern, die dann die Ausschreibung gewinnen, weiterbetrieben und unwirtschaftliche Strecken werden dann vermutlich geschlossen. Ist das so richtig?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Nein, das ist so nicht richtig. Ich will deswegen noch einmal ausdrücklich auf Ihre Sorge eingehen, dass es im Nahverkehr oder in ländlichen Gebieten eventuell zu Schwierigkeiten kommen könnte. Im Moment haben wir als gesetzliche Grundlage § 8 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz und Art. 3 § 21 des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes. In beiden Gesetzen ist vorgesehen, dass 20 Prozent der Mittel, die der Bund für die Schienenwege nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz den Eisenbahnen zur Verfügung stellt, für Maßnahmen in die Schienenwege, die dem Schienenpersonennahverkehr dienen, zu verwenden sind. Das ist ein ganz zentraler Punkt, und wir wollen auch künftig dafür sorgen, dass wir in diese Infrastruktur investieren können. Ich versuche, noch einmal das Interesse des Bundes an dieser Stelle deutlich zu machen, damit das ganz unmissverständlich und klar ist: Wir wollen besser werden beim Ausbau der Schieneninfrastruktur, weil wir mit stark wachsenden Verkehren zu rechnen haben, die wir irgendwie bewältigen müssen. Unser Ziel dabei ist es, deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Dazu müssen Langsamfahrstellen beseitigt und Fahrplanzeiten besser eingehalten werden. Die Infrastruktur in ihrer dienenden Funktion muss mehr ertüchtigt werden. Dem dient die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Welche gesetzliche Ausgestaltung diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung haben kann, hängt allerdings ab von der Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich der Art der Teilprivatisierung der Bahn, mit der wir politisch im Ministerium weiterarbeiten können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Herlitzius, Sie haben jetzt Ihr Fragerecht ausgeschöpft. - Jetzt gibt es noch eine Nachfrage des Kollegen Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, da Sie uns anscheinend wenig Konkretes sagen wollen, möchte ich eine Nachfrage stellen, die Sie eigentlich beantworten können müssten, weil sie relativ allgemeiner Natur ist. Wir haben im Moment das Problem, dass die Trassengelder nicht dort verwendet werden, wo sie generiert werden. Kurz zur Erklärung: Trassengelder sind von einem Schienenverkehrsunternehmen für die Benutzung der Gleise zu zahlen. Man spricht verkürzt auch von Schienenmaut. Wie gedenken Sie in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Transparenz sicherzustellen, sodass klar ist, in welchen Bereichen des Netzes die Einnahmen, die über die Trassengelder generiert werden, reinvestiert werden? Im Moment haben wir das große Problem, dass der durch die öffentliche Hand finanzierte Personenschienennahverkehr den pseudoeigenwirtschaftlichen Personenfernverkehr der DB AG, also einen privatwirtschaftlichen Bereich, über erhöhte Trassengelder querfinanziert. Die Frage stellt sich also, wie man die Transparenz herzustellen und die Querfinanzierung abzustellen gedenkt. Eine solche Regelung ist wirklich völlig unabhängig vom Modell.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Das ist Gegenstand der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Winfried Hermann werden schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 9 der Kollegin Sevim Dağdelen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Undine Kurth werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 12 des Abgeordneten Jörg Rohde: Erwartet die Bundesregierung innerhalb der nächsten zehn Jahre auf EU-Ebene eine Veränderung von Emissionsgrenzwerten, die für den Betrieb von Asphaltwerken relevant sind, und wird die Bundesregierung selbst auf eine Verschärfung entsprechender Grenzwerte hinwirken? ({0}) - Ja. Dann rufe ich auch noch die Frage 13 des Kollegen Jörg Rohde auf: Wie bewertet die Bundesregierung die unterschiedlichen Emissionsgrenzwerte für die Verbrennung von Kohlestaub im Vergleich zur Verbrennung von Öl, und beabsichtigt die Bundesregierung, auf eine Veränderung der Differenz zwischen den Emissionsgrenzwerten hinzuwirken?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Zu Ihrer ersten Frage. Ich kann natürlich nicht wissen, was in einem Zeitraum von zehn Jahren passiert. Aber aufgrund unseres derzeitigen Kenntnisstandes muss man davon ausgehen, dass es in der zugrunde liegenden Richtlinie - das ist die Richtlinie 96/61/EG aus dem Jahre 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung - keinen Ansatz gibt, der die Herstellung von Asphalt betrifft. Bisher gibt es dafür also kein gemeinschaftliches Recht. Veränderungen des europäischen Rechtes sind derzeit auch nicht absehbar. Die Bundesregierung beabsichtigt zudem keine Verschärfung. Zu Ihrer zweiten Frage. Man muss wissen, dass die Anforderung hinsichtlich der Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik erfolgt. Der Stand der Technik umfasst im Wesentlichen vier Eckpunkte: erstens den Entwicklungsstand bestimmter technischer Verfahren, zweitens die Gewährleistung der Anlagensicherheit, drittens die Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung und viertens die generelle Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt. Die Unterschiedlichkeit der Verfahren zur Verbrennung von Kohlestaub und von Öl bedingt deshalb auch unterschiedliche Festlegungen bei den einzuhaltenden Emissionsgrenzwerten. Veränderungen hinsichtlich der Differenz zwischen Emissionsgrenzwerten dieser unterschiedlichen Verfahren können sich somit nur aus Veränderungen beim Stand der Technik ergeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ihre Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass die unterschiedlichen Grenzwerte technisch begründet sind? Der eine Grenzwert liegt höher als der andere. Es gibt aber keinen Druck auf die Asphalthersteller, sich dem niedrigen Grenzwert anzunähern, indem beispielsweise technisch umgerüstet wird.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es gilt generell, dass von Zeit zu Zeit der Stand der Technik bewertet wird. Wenn die Bundesregierung beispielsweise der Auffassung ist, dass der Stand der Technik verbessert werden könnte, könnte es unter anderem sein, dass wir durch entsprechende Forschungsinitiativen deutlich machen, dass es zu einem höheren Stand der Technik kommen müsste.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es bleibt dann bei dem Stand der Technik der einzelnen Verfahren, der Ölverfeuerung oder der Kohlestaubverfeuerung. Angesichts des derzeit hohen Ölpreises scheint es vielen Asphaltherstellern in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll zu sein, auf Kohlestaubverfeuerung umzurüsten. Sind da, wenn Sie das kurz sagen könnten, die Grenzwerte höher oder niedriger, und wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es ist so, dass wir aufgrund der Veränderungen der Ressourcenpreise Verschiebungen erleben. Das ist ein generelles Problem, mit dem sich sicherlich dieses Haus und vor allem auch die zuständigen Ausschüsse beschäftigen müssen. Ich glaube, da sind wir erst am Beginn. Wir erleben, dass in vielen Bereichen aus reinen Kostengründen Verfahren gewählt werden, die beispielsweise aus ökologischen Gründen eher problematisch sind; das ist gar keine Frage. Trotzdem bleibt es dabei: Was Stand der Technik ist, wird nicht von der Politik festgelegt, sondern von Gremien, beispielsweise von Ingenieuren des VDI. In dem Bereich können wir also nur durch politische Initiativen etwas ändern. Darüber muss man nachdenken. Darüber können wir Ihnen sicherlich berichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement schon bestätigt, dass es derzeit solche Überlegungen in der Bundesregierung nicht gibt. Der Hintergrund meiner Frage ist folgender: Es gibt ein Asphaltwerk in meinem Wahlkreis und eine Bürgerinitiative, die nicht sehr glücklich über das Asphaltwerk vor Ort ist. Es gibt weitere Emissionen, und zwar nicht nur Verbrennungsemissionen, sondern auch Lärmemissionen. Gibt es bei den Lärmemissionen in dem Bereich der Asphaltwerke - um es konkret zu machen und bei der Frage zu bleiben - irgendwelche Veränderungen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wir hatten ja vor kurzem eine Veränderung aufgrund der sogenannten Umgebungslärmrichtlinie. Ich weiß nicht, wie dies vor Ort eingehalten wird und ob das alles schon vollzogen ist. Wir bieten Ihnen natürlich an, dass wir, wenn Sie uns den konkreten Fall schildern, einmal genauer hinschauen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ihre letzte Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich ziehe daraus für mich den Schluss, dass ein Asphaltwerk, das alle Richtlinien einhält, seinen Betrieb natürlich ordnungsgemäß weiterführen darf und ich mir deswegen andere Lösungen ausdenken muss, um zum Beispiel einer Bürgerinitiative, die sich das Ziel gesetzt hat: „Das Asphaltwerk muss weg“, zur Hilfe zu kommen.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Die Entwicklung, die sich hier zeigt, ist natürlich eine Regulierung des Marktes, die, wenn ich das richtig sehe, Ihre Partei ja immer besonders hochhält. Aber tatsächlich ist es so, dass manche ökologisch problematischen Entwicklungen gerade dadurch entstehen. Insofern muss man schauen, ob man Instrumente, die solche Verlagerungen ermöglichen, einsetzen muss. Darüber zu reden, halte ich - ich sage es noch einmal - für einen wichtigen Punkt vor dem Hintergrund, dass sich im Augenblick manches durch die dramatische Veränderung der Rohstoffpreise verschiebt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier wird der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel die gestellten Fragen beantworten. Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl auf: Welcher Zusammenhang besteht nach Ansicht der Bundesregierung zwischen den im Februar 2008 bekannt gewordenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen zwei leiVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt tende Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich „Stilllegung des Forschungszentrums Karlsruhe“ wegen Bestechlichkeit und Korruption und den exorbitanten Kostensteigerungen beim Rückbau atomarer Anlagen, und welche Verstöße gegen atomrechtliche Bestimmungen spielen bei den Ermittlungen eine Rolle?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung besteht zwischen den genannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und den Kostensteigerungen beim Rückbau atomarer Anlagen in Karlsruhe kein Zusammenhang. Die größeren Kostensteigerungen bei den Rückbauprojekten auf dem Gelände des Forschungszentrums Karlsruhe, die sich im Vergleich zum Bericht des BMBF zum mittel- und langfristigen Mittelbedarf für die Stilllegung und Entsorgung nuklearer Versuchsanlagen vom 6. November 2006 ergeben, betreffen nur das WAK-Projekt. Die dazu dem Haushaltsausschuss des Bundestages Anfang 2008 vom BMBF vorgelegte Projektkostenschätzung 2007 beruht ausschließlich auf dem im Jahr 2006 angepassten technischen Gesamtkonzept und den hieraus zukünftig resultierenden terminlichen und dann auch kostenmäßigen Auswirkungen. Im Übrigen spielen Verstöße gegen atomrechtliche Bestimmungen bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen keine Rolle.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, laut Meldungen aus Baden-Württemberg hat die Staatsanwaltschaft einen Zusammenhang nicht ausgeschlossen. Ist Ihnen das bekannt? Wie bewerten Sie das?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Diese Pressemeldung ist mir nicht bekannt. Ich kann Ihnen nur mitteilen, dass nach den Erkenntnissen der Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Kostensteigerungen beim Rückbau atomarer Anlagen nicht vorhanden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Nachfrage zielt in die gleiche Richtung; Herr Staatssekretär, Sie werden es verzeihen. Selbst Peter Fritz vom Vorstand des Forschungszentrums Karlsruhe schließt einen Zusammenhang zwischen den Bestechungsvorwürfen und den Kostensteigerungen nicht aus. Ich frage Sie: Woraus schließt die Bundesregierung, dass sie einen Zusammenhang ausschließen kann?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Informationen, die wir haben, ergeben sich aus der Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft. Die Information ist: Hier wird kein Zusammenhang gesehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Kotting-Uhl auf: Seit wann wusste das Bundesministerium für Bildung und Forschung von den Bestechungsvorwürfen, und weshalb wurde die baden-württembergische Atomaufsicht erst am 12. Februar 2008 informiert?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die anonyme Anzeige, die zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt hat, am 8. März 2007 der Staatsanwaltschaft Karlsruhe per Telefax übermittelt. Diese hat das BMBF um strikte Vertraulichkeit gebeten, um die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht zu gefährden. Das baden-württembergische Umweltministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde wurde am 12. Februar 2008 darüber informiert, dass polizeiliche Durchsuchungen im Forschungszentrum Karlsruhe durchgeführt werden sollen. Das baden-württembergische Umweltministerium wurde nicht in die Ermittlungen einbezogen, da die in der Anzeige erhobenen Vorwürfe nicht mit einer atomrechtlichen Genehmigung oder Zulassung in Zusammenhang stehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kotting-Uhl, bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn wegen Korruption und Bestechlichkeit ermittelt wird, muss es neben demjenigen, der bestochen worden ist - in diesem Fall werden zwei Angestellte verdächtigt -, jemanden geben, der bestochen hat. Ein solches Geschäft hat ja immer zwei Seiten. Haben Sie irgendwelche Hinweise darauf, dass Personen aus politischen Kreisen daran beteiligt sind?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Bundesregierung äußert sich nicht zu Vermutungen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Da ich diese Antwort erwartet habe, erübrigt sich die Nachfrage. Danke schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage 16 der Kollegin Hirsch wird schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Volker Beck auf: Welche konkreten Initiativen und Gespräche hat die Bundesregierung bilateral oder multilateral ergriffen, um Gefangene aus Guantánamo, die von den USA nicht als Terroristen eingestuft werden ({0}), freizubekommen und damit auch einen Beitrag dazu zu leisten, das rechtsstaatswidrige Gefangenenlager aufzulösen, und warum hat sie - gegebenenfalls auch gemeinsam mit anderen Staaten - bisher kein Angebot zur Aufnahme eines Teiles dieser Gefangenen gemacht?

Not found (Gast)

Ich darf wie folgt antworten: Die Bundesregierung setzt sich, wie auch die Europäische Union, seit geraumer Zeit bei der US-Regierung für die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo ein. Die Bundesregierung tut das nicht nur aufgrund ihrer eigenen Überzeugung, sondern auch, weil eine Schließung im Interesse unserer transatlantischen Wertegemeinschaft liegt. USPräsident Bush hat selbst erklärt, Guantánamo so bald wie möglich schließen zu wollen. Die Bundesregierung sieht die US-Regierung in der Pflicht, deutliche Schritte zur Schließung des Lagers zu unternehmen. Ich darf grundsätzlich anmerken: Die Aufnahme von Personen, die in Guantánamo gefangen gehalten werden, ohne von den USA als Terroristen eingestuft zu sein, liegt in erster Linie in der Verantwortung der Länder, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen. Diesem Prinzip folgend, haben inzwischen mehrere Staaten, darunter auch EU-Mitgliedstaaten, ehemalige Insassen des Lagers in Guantánamo Bay aufgenommen. Die USA führen außerdem mit mehreren Ländern, deren Staatsangehörige in Guantánamo inhaftiert sind, Verhandlungen über eine Rückführung oder haben solche bereits geführt. Soweit eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen nicht in Betracht kommt, liegt die humanitäre Verantwortung für die Lösung der durch die Inhaftierung der Personen entstandenen Situation bei den Vereinigten Staaten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Beck, Sie haben eine Nachfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Ich habe diese Frage gestellt, weil wir uns - damals mit dem Kollegen Erler - am 17. Januar 2007 hier schon einmal darüber unterhalten haben. Er hatte mir damals geantwortet: Die Bundesregierung ist durchaus bereit, einen Beitrag dazu zu leisten, wenn sie dazu aufgefordert wird und wenn es, auch unter Berücksichtigung anderer politischer Wirkungen einer solchen Maßnahme, Sinn macht, das zu tun. Wir sind jetzt über ein Jahr weiter. Ich habe das Gefühl, dass es nicht sehr glaubwürdig ist, dass man einerseits gegen Guantánamo ist, aber andererseits keinen Beitrag zur Entlassung leistet. Ihnen ist doch sicher bekannt, dass es unter den Gefangenen in Guantánamo Personen aus Algerien, China, Jordanien, Libyen, den palästinensischen Gebieten, Russland, Somalia, Sudan, Syrien, Tadschikistan, Tunesien und Usbekistan gibt. Das alles sind Länder, die sowohl bei uns als auch in den Vereinigten Staaten als klassische Länder gelten, in denen wir politische Verfolgung durchaus für möglich halten. Es gibt von den Verwandten einiger Gefangener Hinweise darauf, dass diese Opfer von Übergriffen durch die dortige Staatsmacht bis hin zu Folter und unmenschlicher Behandlung geworden sind. Ist die Bundesregierung vor diesem Hintergrund bereit, zu erklären, auf Grundlage von § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz oder auf einer anderen Rechtsgrundlage - welche, ist mir egal - eine begrenzte Anzahl von Personen aufzunehmen, zumal das Europäische Parlament den Europäischen Rat im Dezember des letzten Jahres aufgefordert hat, auf europäischer und internationaler Ebene eine Initiative zur Umsiedlung von Gefangenen aus Guantánamo einzuleiten, die aus Drittstaaten stammen, die aber aufgrund der Gefahr von Hinrichtung oder Folter nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden können?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, diese Erklärung kann ich nicht abgeben. Ich habe schon einmal die Position der Bundesregierung deutlich gemacht. Ich glaube, Kollege Erler hatte in seiner Antwort gesagt, dass man die politischen und sonstigen Wirkungen generell prüfen müsse. So etwas wäre eventuell im Rahmen der Europäischen Union möglich. Das ist auf europäischer Ebene aber bisher nicht geschehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Beck, Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Europäische Parlament hat diese Aufforderung beschlossen. Sie richtet sich an den Ministerrat. Die Bundesregierung ist im Ministerrat vertreten. Hat die Bundesregierung diese Aufforderung des Europäischen Parlaments im Ministerrat in irgendeiner Weise thematisiert, oder wurde es von anderer Seite thematisiert? Wenn ja, in welcher Weise?

Not found (Gast)

Ich kann nur mit der Einschränkung sagen: Soweit mir bekannt ist, ist das im Ministerrat nicht thematisiert worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ströbele, Sie haben eine Nachfrage dazu.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ich gebe Ihnen ja recht, dass die fortdauernde Inhaftierung von Gefangenen in Guantánamo, bei denen die US-Regierung selber der Auffassung ist, dass sie in keinerlei terroristischem Zusammenhang stehen, und denen keinerlei Vorwürfe in dieser Richtung gemacht werden können, ein moralischer, humanitärer und politischer Skandal ist und dass das in erster Linie den USA auf die Füße fällt. Wir wissen, dass mindestens 50 solcher Gefangener derzeit noch in Guantánamo sind. Die Bundesregierung weiß, dass, wenn sie bereit ist, ein, zwei, drei, zehn dieser Gefangenen aufzunehmen, diesen weitere unmenschliche Behandlung, möglicherweise Folter, erspart bleibt, wenn sie nicht mehr in Guantánamo sind. Sieht die Bundesregierung aufgrund dieser Tatsache nicht eine humanitäre, eine menschliche Verpflichtung, gerade wenn wir die Menschenrechte in unserer Politik ganz hoch halten, hier einen Schritt zu tun und zu sagen: Wir nehmen Gefangene auf und empfehlen auch anderen europäischen Staaten, dies zu tun? Ist es in diesem Zusammenhang nicht völlig falsch, zu sagen: Wir warten so lange, bis es eine gemeinsame Überzeugung aller Staaten Europas gibt und dann handeln wir gemeinsam? Das könnte möglicherweise noch Monate oder Jahre dauern, und die Gefangenen, von denen man glaubt, dass sie nicht in terroristische Aktivitäten verstrickt sind, würden dann möglicherweise noch monate- oder jahrelang unschuldig dahinvegetieren. Meinen Sie nicht, dass man hier politisch einige Maßstäbe zurechtrücken und sich humanitären Gesichtspunkten annähern muss?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, ich habe am Anfang betont, dass dies erst einmal - das haben Sie bestätigt - in der Verantwortung der Vereinigten Staaten liegt, gerade auch was die Personengruppe der Nichtterroristen angeht. Wir haben ausdrücklich bei verschiedenen Begegnungen, sowohl bilateral zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten als auch im letzten Jahr während unserer EURatspräsidentschaft, darauf hingewiesen, dass das Lager baldmöglichst geschlossen werden sollte, damit nicht das eintritt, was Sie eben gesagt haben, also die Gefangenen eine nicht fixierte Zeit inhaftiert bleiben. Im Übrigen ist die Initiative nur eines EU-Landes nicht richtig, wenn überhaupt, dann muss das auf der europäischen Ebene abgestimmt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ströbele, Sie können nur eine Frage stellen. Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Wolfgang Gehrcke werden schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zur Frage 20 des Kollegen Paul Schäfer ({0}): Was unternimmt die Bundesregierung, um zu verhindern, dass von der afghanischen Armee Kinder unter 18 Jahren eingezogen, ausgebildet und bei militärischen Operationen eingesetzt werden? Herr Gloser, bitte.

Not found (Gast)

Ich darf wie folgt antworten: In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das Verfahren der Anwerbung von Freiwilligen für die afghanischen Streitkräfte ist durch ein afghanisches Gesetz geregelt. Dieses sieht ein Mindestalter von 18 Jahren für die Anwerbung von männlichen Bewerbern vor. Im Einklang mit dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom 25. Mai 2000, dem Afghanistan beigetreten ist, dürfen Freiwillige ab vollendetem 16. Lebensjahr als Mindestaltersgrenze angeworben werden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die afghanische Regierung das in ihren Kräften Stehende tut, um die Einhaltung afghanischer Gesetze und der übernommenen freiwilligen Selbstverpflichtungen zu überwachen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schäfer, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich bin dankbar, dass Sie auf das abgehoben haben, worum es hier geht, nämlich um das Fakultativprotokoll, dem Deutschland beigetreten ist und das es mit umsetzen muss und sollte. Meine Frage ist: Wenn es so ist, wie Sie es beschreiben, warum findet sich dann auf einer Homepage, die die Bundesregierung zu verantworten hat, seit dem 8. Februar dieses Jahres ein Bericht, in dem dargelegt wird, wie ein Angehöriger deutscher Streitkräfte an der Ausbildung beteiligt ist? Es heißt hier wörtlich: Er - der Hauptmann kennt die Rekruten seit dem ersten Tag, war bei der Ausbildung dabei, hat beobachtet, beraten und hin und wieder selbst mit angepackt. Dann wird ausgeführt, der Jüngste, der dort ausgebildet werde, sei 16 Jahre alt und würde für Kampfeinsätze vorbereitet. Wie erklären Sie sich diesen Sachverhalt, dargestellt auf einer Homepage der Bundesregierung?

Not found (Gast)

Herr Kollege Schäfer, wir müssen hier differenzieren. Zum einen geht es darum, inwieweit die Bundesregierung ihren eigenen Bürgern verpflichtet ist. Zum anderen geht es Ihnen darum - so verstehe ich Ihre Anmerkung -, was dann ist, wenn Deutsche in Afghanistan bei der Ausbildung aktiv werden. Ich kann gerne noch einmal sagen, dass im Fakultativprotokoll, das ich vorhin erwähnt habe und das auch Afghanistan ratifiziert hat, ausdrücklich auch die Altersgruppe der 16-Jährigen erfasst wird. Afghanistan hat sich jedoch verpflichtet, dass diese jungen Menschen nicht im aktiven Einsatz verwendet werden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte, Herr Schäfer.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist völlig richtig: Auch Afghanistan ist diesem Protokoll beigetreten. Trotzdem bleibt die Frage, ob aus der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland an Ausbildungsvorgängen der afghanischen Streitkräfte beteiligt ist, Ihrer Meinung nach für uns irgendwelche Pflichten erwachsen und ob Sie sich darüber Gedanken gemacht haben, wie man die Durchsetzung und Einhaltung dieses Fakultativprotokolls in diesem Fall sicherstellen kann.

Not found (Gast)

Herr Kollege Schäfer, uns sind keine Hinweise bekannt, wonach Afghanistan dieses Protokoll, das ich vorhin zitiert habe, nicht anwenden würde. Es gibt sicherlich Probleme hinsichtlich der Frage, ob das angegebene Alter tatsächlich richtig ist. Das ist sicherlich in manchen Situationen auch der Dokumentenechtheit geschuldet. Aber grundsätzlich können Sie davon ausgehen, dass Deutschland in genauer Beachtung afghanischer Gesetze dort Menschen ausbildet, die entsprechend diesem Protokoll und gemäß den internationalen Abkommen von den Afghanen eingesetzt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 21 der Kollegin Sevim Dağdelen und die Fragen 22 und 23 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn werden schriftlich beantwortet. Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen wurden die Fragen 24 und 25 des Kollegen Jürgen Koppelin, die Fragen 26 und 27 des Kollegen Frank Schäffler sowie die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. Hermann Otto Solms zurückgezogen. Schriftlich beantwortet wird die Frage 30 des Kollegen Rainder Steenblock. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dr. Ilja Seifer auf: Wie bewertet die Bundesregierung, dass laut dbsv-direkt Onlineinformationsservice des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes vom 7. Februar 2008 - die europäische Postrichtlinie, die die vollständige Öffnung der Postmärkte ab 2011 vorsieht, die Schutzbestimmungen für kostenlose Blindensendungen abschafft?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich beantworte die Frage wie folgt: Durch die vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit gebilligten Änderungen zur Postdiensterichtlinie werden keine Schutzbestimmungen für kostenlose Blindensendungen abgeschafft. In dem Erwägungsgrund 16 zur Postdiensterichtlinie aus dem Jahr 1997 wurde festgestellt, dass der Liberalisierungsprozess die Fortführung von bereits eingeführten kostenlosen Postdiensten für blinde und sehbehinderte Menschen nicht einschränken darf. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung der unentgeltlichen Beförderung dieser Sendungen ist und war damit auch in der Vergangenheit nicht verbunden. In den am 31. Januar 2008 vom Europäischen Parlament verabschiedeten Änderungen zur Postdiensterichtlinie wird im Erwägungsgrund 37 auch mit dem Hinweis auf geltende internationale Verpflichtungen - gemeint ist der Weltpostvertrag - bekräftigt, dass die eingeführten kostenlosen Dienste nicht durch die Marktöffnung im europäischen Postsektor eingeschränkt werden sollten. Eine Veränderung der europarechtlichen Vorgaben entgegen den berechtigten Interessen blinder oder sehbehinderter Menschen ist demnach nicht erkennbar. Soll ich die zweite Frage, in der es um den gleichen Themenkomplex geht, gleich mit beantworten?

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich jetzt die Frage 32 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung auf nationaler Ebene, den behinderungsbedingten Nachteil für blinde Postkunden sowie für Blindenbibliotheken - Brailleschrifttexte sind immer umfangreicher und schwerer als Schwarzschrift; elektronische Tonträger sind in der Regel ebenfalls nicht als Standardbrief versendbar - weiterhin auszugleichen?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Die Antwort: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hatte im Zusammenhang mit dem Interesse einer entgeltfreien Beförderung von Blindensendungen bereits Ende letzten Jahres das in Deutschland marktbeherrschende Unternehmen Deutsche Post AG angeschrieben. Die Deutsche Post AG hat dazu mitgeteilt, es sei nicht geplant, die entgeltfreie Beförderung von nationalen und internationalen Blindensendungen bei Briefen und Paketen bis 7 kg einzustellen. Die Gewichtsgrenze bis 7 kg berücksichtigt damit durchaus auch schwerere Sendungen. Die Zusage der Deutschen Post AG, die die Bundesregierung sich aktuell nochmals hat bestätigen lassen und auf die sie vertraut, wurde auch der Präsidentin des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V., Frau Renate Reimann, mitgeteilt. Solange der Markt hier seiner gesellschaftlichen Verantwortung weiterhin im bisherigen Rahmen gerecht wird, hält die Bundesregierung eine weitergehende staatliche Reglementierung nicht für zwingend erforderlich. Die Bundesregierung wird diese Thematik weiterhin mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Seifert, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Schauerte, herzlichen Dank für die Auskünfte. Wenn das tatsächlich alles so zutrifft, braucht man sich ja wenig Sorgen zu machen. Allerdings bereitet es mir doch ein bisschen Kopfzerbrechen, dass in der ersten Lesung der jetzt in Rede stehenden Richtlinie, die vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde, diese Postsendungen, bei denen es sich ja um Kultur für blinde Menschen handelt - meistens geht es um Bibliotheken und dergleichen -, ausdrücklich noch erwähnt wurden. Nach der zweiten Lesung waren sie nicht mehr enthalten. Es macht mich natürlich stutzig, warum sie herausgenommen wurden. Können Sie mir Argumente nennen, die dafür sprechen, dass das wirklich keinerlei Auswirkungen hat? Oder ist das nur vorläufig so, damit die bestehenden Schutzbestimmungen erst dann, wenn die Postmärkte geöffnet sind und es von allen Seiten und in allen Ländern zu einer Konkurrenzsituation kommt, aufgeweicht werden können?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Zunächst einmal, Herr Kollege Seifert, freue ich mich mit Ihnen, dass diese Regelung nun nicht mehr in der Richtlinie enthalten ist. Warum sie überhaupt aufgenommen wurde, ist mir nicht bekannt. Was diese Frage angeht, kann ich mich gerne einmal erkundigen. Dazu kann ich Ihnen jetzt aber keine weitere Antwort geben. Ansonsten meine ich, deutlich gemacht zu haben, dass wir dieses Thema ganz aktuell auf unsere Tagesordnung gesetzt haben und dass wir die Entwicklungen in Zukunft sorgfältig beobachten werden. Wir sehen allerdings keine Veranlassung, schon jetzt irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Denn der bisherige Status verschlechtert sich in keinem einzigen Punkt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie weitere Nachfragen? - Bitte, Herr Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine Frage hätte ich noch, Herr Staatssekretär. Wäre es nicht auch im Sinne der Fairness gegenüber zukünftigen Wettbewerberinnen und Wettbewerbern sinnvoll, wenn die Regierung schon jetzt verkünden würde, dass dann, wenn es zu einer Marktöffnung kommt, alle Wettbewerber diese Leistungen anbieten müssen? Denn es kann doch nicht sein, dass das nur ein Unternehmen macht, alle anderen aber nicht.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Vergleicht man die Marktanteile der verschiedenen Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, stellt man fest, dass der eindeutige Marktführer, die Deutsche Post AG, weiterhin privilegiert ist. ({0}) Solange sich an seinem Marktanteil nichts Wesentliches ändert, sehe ich keine Notwendigkeit, hier korrigierend einzugreifen. Die Deutsche Post AG erbringt einen Universaldienst. Dafür wurden ihr im Gesetzgebungsverfahren einige Privilegien eingeräumt; wir alle erinnern uns daran. Insofern denke ich, dass das ein fairer Ausgleich ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie noch eine weitere Frage? - Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Darf ich dann von der heutigen Fragestunde mit der Gewissheit nach Hause gehen und den blinden Menschen sagen, dass der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile, den ich übrigens nicht als Privileg bezeichnen würde, auch in Zukunft die volle Unterstützung der Bundesregierung haben wird, unabhängig davon, welche Entwicklung auf diesem Markt stattfindet?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich bitte Sie sehr, mit dieser Aussage aus der heutigen Fragestunde zu gehen und das allen Menschen zu erzählen.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dazu fallen mir jetzt Bibelzitate ein; darauf möchte ich an dieser Stelle aber nicht eingehen. ({0}) Die Frage 33 der Kollegin Tackmann und die Fragen 34 und 35 des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Die Fragen 36 und 37 des Kollegen Niebel, die Frage 38 der Kollegin Lötzsch und die Frage 39 der Kollegin Hirsch werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Alexander Ulrich auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, EGB, nach der ein Handlungsbedarf im Verhältnis zwischen EU-Primärrecht und EU-Sekundärrecht besteht, um künftige Urteile des Europäischen Gerichtshofes, EuGH, die Grundfreiheiten höher bewerten als Grundrechte wie das Streikrecht, auszuschließen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Meine Antwort lautet wie folgt: Im Moment sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die Urteile in den Fällen Viking und Laval keinen Bedarf, Änderungen im EU-Primärrecht oder EU-Sekundärrecht vorzunehmen. Der EuGH hat das Streikrecht in seinen Urteilen in den Fällen Viking und Laval explizit als europäisches Grundrecht anerkannt. In beiden Urteilen wurde die soziale Dimension der Gemeinschaft betont und darauf hingewiesen, dass ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der Arbeitnehmer einerseits und den Grundfreiheiten der Unternehmen andererseits gefunden werden müsse und dass dies eine Abwägung im Einzelfall erfordere.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ulrich, haben Sie eine Nachfrage? Bitte schön.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für Ihre Antwort, die mich allerdings nicht befriedigt. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat in einer Anhörung im Europäischen Parlament erklärt, dass Art. 28 der Grundrechtecharta nicht ausreicht, um Urteile wie das Viking-Urteil und das Vaxholm-Urteil zu verhindern. Er hat gefordert, dass in einem Protokoll ausdrücklich festgelegt wird, dass das Streikrecht nicht eingeschränkt werden darf und dass es ausschließlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt. Wie schätzt die Bundesregierung dies ein?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Ulrich, ich glaube, wir müssen bei der Bewertung der Urteile zu Viking und Laval davon ausgehen, dass die Wirkung vor dem Hintergrund der differenzierten Tarifvertragssysteme in den einzelnen EUMitgliedstaaten sehr unterschiedlich zu beurteilen ist. Von diesen Urteilen sind in erster Linie die skandinavischen Staaten betroffen; es geht ja um Sachverhalte aus Finnland und Schweden. Deutschland ist aufgrund der Unterschiedlichkeit seines Systems nicht davon betroffen. Vor diesem Hintergrund sehen wir keine Notwendigkeit, in irgendeiner Form zu reagieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine zweite Nachfrage.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks, hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er unterstrichen hat, welche Bedrohungen von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für das Streikrecht und die Tarifautonomie in Europa ausgehen. Er hat darauf hingewiesen, dass das in einzelnen Mitgliedstaaten per Verfassung festgeschriebene Streikrecht wie auch die Tarifautonomie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Gefahr sind und dass die Idee eines sozialen Europas beschädigt wurde. Wenn der Generalsekretär des EGB so etwas sagt, sollte man das ernst nehmen, Herr Thönnes. John Monks fordert, sowohl die Verträge als auch die sekundärrechtlichen Akte der EU dahin gehend abzuändern, dass das Verhältnis zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten explizit geregelt wird, damit eine weitere Rechtsprechung des EuGH, die die Grundrechte zugunsten der Grundfreiheiten einschränkt, in Zukunft nicht mehr möglich ist. Wie schätzt die Bundesregierung - Sie verneinen die Notwendigkeit einer Präzisierung der EU-Verträge - diese Aussagen des Generalsekretärs des EGB ein?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Ulrich, um das an den beiden von Ihnen genannten Fällen deutlich zu machen: Im Fall Laval ist der EuGH davon ausgegangen, dass Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften grundsätzlich zulässig sind und die Grundfreiheiten des EG-Vertrages beschränken können. Der EuGH hat allerdings auch gesagt, dass die Maßnahmen dem Arbeitnehmerschutz dienen müssen und nicht unverhältnismäßig sein dürfen. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass auch Streiks zugunsten entsandter Arbeitnehmer mit dem Ziel, dieser Gruppe ein bestimmtes Niveau von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu sichern, das Ziel des Arbeitnehmerschutzes verfolgen. Im konkreten Fall hat der EuGH allerdings die spezifischen Verpflichtungen, die sich für das Unternehmen Laval aus dem Beitritt zum schwedischen Bautarifvertrag ergeben hätten, als unverhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen. Der EuGH hat an dieser Stelle darauf abgestellt, dass die Verpflichtungen aus dem Bautarifvertrag über die Arbeitsbedingungen hinausgehen, die sich - das schreibt die Entsenderichtlinie den Mitgliedstaaten vor - auf entsandte Arbeitnehmer erstrecken müssen. Zum anderen hat er darauf abgestellt, dass für Laval nicht transparent gewesen sei, welche Lohnforderungen auf das Unternehmen zugekommen wären, wenn es sich den Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften gestellt hätte. Auch beim Urteil zu Viking hat der EuGH entschieden, dass Arbeitskampfmaßnahmen, die darauf abzielen, ein ausländisches Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrages zu bringen, der das Unternehmen von einer Standortverlagerung abhalten soll, die Niederlassungsfreiheit beschränken. Der EuGH wendet damit die Grundfreiheiten des EGVertrages auch im Verhältnis zwischen Privaten - hier Gewerkschaften und Unternehmen - an. Arbeitskampfmaßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen müssen sich demnach am Maßstab des Europarechts messen lassen. Dies bedeutet konkret, dass solche Arbeitskampfmaßnahmen am gemeinschaftlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind und somit eine Abwägung zwischen den Grundrechten vorzunehmen ist. Der EGB und die am Rechtsstreit beteiligte International Transport Workers’ Federation haben das Urteil des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich begrüßt und dabei auf die Anerkennung des Streikrechts als europäisches Grundrecht hingewiesen. Wir leiten nicht etwa aus den Stellungnahmen ab, dass Maßnahmen zu ergreifen sind - auch wenn Sie es anders darstellen -; vielmehr hat nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Überprüfung zu erfolgen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Dehm hat eine zusätzliche Frage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, der Europäische Gewerkschaftsbund hat sogar bekräftigt, dass er von den Urteilen und der Ausweitung der Kompetenzen durch den EuGH auf Kosten des Streikrechts sein Votum zum Lissabon-Vertrag abhängig macht. Es begann mit dem Urteil gegen Demonstranten in Österreich, mit dem die Grundrechte zugunsten der Unternehmerfreiheit eingeschränkt wurden. Im Übrigen sehen das auch einzelne Gewerkschaften in unserem Land ähnlich. Es wundert mich, dass Sie zu einer anderen Einschätzung kommen. Insofern frage ich Sie, was Sie - wenn Sie zu einer ähnlichen Sicht kämen wie die Gewerkschaften - gegen die Stärkung der Grundfreiheiten zulasten der Grundrechte in diesen Urteilen tun würden.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Dehm, wie Sie wissen, steht in einem weiteren Verfahren - dem Rüffert-Fall - die Entscheidung aus. Dabei geht es um die Frage, ob diese Regelung gegen die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit und die Entsenderichtlinie verstößt, die gewisse Mindeststandards vorsieht. Ob man darüber hinaus ein höheres Schutzniveau für die Arbeitnehmer - nämlich den regulären Tariflohn fordern kann, ist strittig. Wir meinen, dass dies ohne Weiteres möglich ist. Die Bundesregierung hat sich in dem Verfahren dafür eingesetzt, die Schutzbestimmungen der Entsenderichtlinie nur als Mindestgarantien zu sehen, die grundsätzlich einen verstärkten nationalen Schutz erlauben. Der Generalanwalt teilt unsere Auffassung in den Schlussanträgen. Ich denke, wir müssen das Urteil am 3. April abwarten, um uns ein konkreteres Bild machen zu können, bevor wir zu einer Schlussfolgerung kommen, wie Sie sie schon aufgrund der beiden vorangegangenen Urteile für notwendig halten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit kommen wir zu Frage 41 des Kollegen Alexander Ulrich: Welche Auswirkungen auf das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen haben nach Einschätzung der Bundesregierung die beiden Urteile des EuGH zu Viking ({0}) und Vaxholm ({1}) auf die unterschiedlichen Arten von Tarifsystemen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Ulrich, die Antwort lautet wie folgt: Die Auswirkungen der Urteile auf die Tarifvertragssysteme sind, wie ich bereits ausgeführt habe, sehr unterschiedlich. In erster Linie sind die Systeme der skandinavischen Staaten betroffen. Deutschland dagegen ist nicht unmittelbar betroffen, da in diesem Bereich grundlegende Systemunterschiede bestehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Kollege Ulrich.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie das Problem in Bezug auf Deutschland herunterspielen. Ich weise aber noch einmal darauf hin, dass keine skandinavische Gewerkschaft, sondern die deutsche Gewerkschaft IG BAU festgestellt hat, dass durch die Urteile den Gewerkschaften im Rahmen ihrer Koalitionsbetätigung jede Autonomie abgesprochen wird, indem sie mit mitgliedstaatlichem Handeln gleichgesetzt werden. Folgt man dieser Argumentation, dann wird deutlich, dass eine schwere Beeinträchtigung des Rechts auf Streik durch den EuGH festgeschrieben wurde. Deshalb frage ich die Bundesregierung nochmals, ob sie diese Gefahr nicht doch sieht, und wenn nicht, warum sie diese Einschätzung nicht teilt.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich wiederhole: Vor dem Hintergrund der Gestaltung unserer Tarifautonomie, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und der Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie sehe ich das nicht und verweise auf die Reaktionen und die Stellungnahmen, die seitens des EGB zu den Urteilen Laval und Viking abgegeben worden sind, wonach Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften grundsätzlich als zulässig anerkannt wurden. Ich teile Ihre Interpretation daher nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine zweite Nachfrage.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich beziehe mich auf eine deutsche Gewerkschaft, die IG BAU. Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass in Sektoren, in denen noch keine flächendeckenden, allgemein verbindlichen Mindestregelungen herrschen, wie dies in Deutschland oft der Fall ist und in Schweden und Dänemark die Regel ist, nach dem Laval-Urteil infrage steht, inwieweit Unternehmen mit formalem Auslandssitz überhaupt noch tariflich gebunden werden können und Gewerkschaften diese Unternehmen durch Streiks dazu bringen können, verbindliche Tariflöhne zu akzeptieren. Wir fragen deshalb die Bundesregierung noch einmal, ob sie die Befürchtung der Gewerkschaft teilt, dass durch das Laval-Urteil das Territorialprinzip und die Autonomie der Gewerkschaften unmittelbar berührt werden und - mit dem Hinweis auf die Grundfreiheiten - in die Tarifautonomie eingegriffen wird.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Ulrich, ich wiederhole meine Antwort: Vor dem Hintergrund unserer Regelungen in Deutschland teile ich die Befürchtung nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage des Kollegen Dehm.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wenn das Streikrecht eingeschränkt wird, sind wir auf einer schiefen Ebene. Ich glaube, darin sind wir uns einig. Teilen Sie denn die Auffassung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, dass das Streikrecht völlig unabhängig von den Grundfreiheiten europaweit uneingeschränkt gelten muss?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich habe Ihnen vorhin dargelegt, dass sogar der Europäische Gewerkschaftsbund und die am Rechtsstreit beteiligte International Transport Workers’ Federation das Urteil des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich begrüßen und dabei auf die Anerkennung des Streikrechts als europäisches Grundrecht hingewiesen haben. Das gilt im Prinzip für beide Urteile, wobei vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit die Verhältnismäßigkeit in der Ausübung ein Punkt gewesen ist, der zur Überprüfung zurückverwiesen wurde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zu Frage 42 des Abgeordneten Dr. Diether Dehm: Wird die Bundesregierung Initiativen ergreifen, damit keine negativen Auswirkungen auf das Streikrecht in Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der EU erfolgen, da durch das am 11. Dezember 2007 durch den EuGH in der Rechtssache „Viking“ gefällte Urteil, in dem festgestellt wurde, dass „kollektive Maßnahmen, die darauf abzielen, ein ausländisches Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrags mit einer Gewerkschaft zu veranlassen, der geeignet ist, das Unternehmen davon abzubringen, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, … diese Freiheit beschränken“, das Grundrecht auf Streik eingeschränkt wurde, und sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf aufgrund der vom Europäischen Gewerkschaftsbund vorgelegten Stellungnahme zu diesen Urteilen, in der der Europäische Gewerkschaftsbund kritisiert, dass durch diese beiden Urteile des EuGH zu Viking und Vaxholm den Grundfreiheiten im Bereich der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit Vorrang vor dem Grundrecht auf Streik eingeräumt wird und aufgrund dieser Tatsache eine Bedrohung für das Streikrecht und die Tarifautonomie in Europa bestehe, auch wenn zu diesem Thema am 12. März 2008 auf Nachfrage der Fraktion Die Linke im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, ausgeführt wurde, dass beide Fälle keine unmittelbare Bedeutung für Deutschland hätten, gleichzeitig aber aus den Urteilen festzustellen sei, dass als Grundsatz in der Rechtsprechung des EuGH eine Einschränkung des Grundrechts auf Streik zugunsten der Grundfreiheiten des Binnenmarkts zulässig sei? Bitte, Herr Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Bundesregierung sieht im Hinblick auf die Urteile Viking und Laval im Moment keinen Handlungsbedarf. Die Urteile haben keine unmittelbare Auswirkung auf Deutschland. Der EuGH hat in seinen Urteilen Viking und Laval das Streikrecht explizit als europäisches Grundrecht anerkannt. In beiden Urteilen wurde die soziale Dimension der Gemeinschaft betont und darauf hingewiesen, dass ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der Arbeitnehmer einerseits und den Grundfreiheiten der Unternehmen andererseits gefunden werden müsse.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dehm, eine Nachfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Streikrecht ist nach Art. 137 Abs. 5 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft ausdrücklich vom europäischen Geltungsbereich ausgenommen. Können Sie bestätigen, dass durch das Viking-Urteil die Zuständigkeit der finnischen Seeleutegewerkschaft für die Seeleute der „Rosella“ nur so lange anerkannt wurde, bis diese formal umgeflaggt, also verlagert wurde, und bedeutet eine solche Interpretation durch den EuGH nicht, dass in Zukunft zum Beispiel auch hier in Deutschland - das haben Sie ja gerade bestritten - die Gefahr besteht, dass sich deutsche Unternehmen, die ihre Firma formal in eine britische Limited umwandeln, obwohl sie weiterhin hier in Deutschland unternehmerisch tätig sind, auf dieses Viking-Urteil berufen können?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Bei einem strittigen Fall, der dem von Ihnen beschriebenen vergleichbar ist, werden künftig die nationalen Gerichte bei den Arbeitskampfmaßnahmen im Einzelfall prüfen müssen, wie weit die Vereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten gegeben ist. Wir brauchen sicherlich nicht die grundsätzliche Befürchtung zu haben, dass hier das Streikrecht als europäisches Grundrecht eingeschränkt wird. Gleichwohl bleibt an dieser Stelle jeder Einzelfall im Hinblick auf die Formen der Auseinandersetzung und der jeweiligen Vorgehensweise der beteiligten Unternehmen differenziert zu bewerten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das, was die Gewerkschaft in ihrer demokratischen Arbeit einschränkt, sind die Warenverkehrsfreiheit, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Aus diesem Grunde frage ich Sie, wie die Bundesregierung das Verhältnis des Rechts auf Kollektivmaßnahmen durch Gewerkschaften auf der einen Seite und die EG-Grundfreiheiten auf der anderen Seite sieht und in welchem Zusammenhang sie nach ihrer Ansicht zueinander stehen, insbesondere, ob Arbeitskämpfe, die nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates zulässig sind, nach Ansicht der Bundesregierung in Einzelfällen auch gegen EU-Recht verstoßen können, wie dies in der jüngsten Rechtsprechung des EuGH in den beiden genannten Fällen zum Ausdruck kommt. Ergibt sich daraus nicht eindeutig die Notwendigkeit, zur Rettung des ungehinderten Rechts auf Streik sofort zu handeln?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Unsere schriftliche und mündliche Position in dem Viking-Verfahren, auf das Sie explizit abheben, war, das Verhalten der Gewerkschaften als grundsätzlich gemeinschaftsrechtskonform zu verteidigen. Die Bundesregierung hat die Auffassung vertreten, dass Gewerkschaften als private Rechtssubjekte im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar an die Grundfreiheiten des EG-Vertrages gebunden sind. Selbst wenn man sie gegebenenfalls daran gebunden sieht, unterliegen sie nur einem Diskriminierungsverbot, nicht aber, wie die Mitgliedstaaten, einem umfassenden Beschränkungsverbot. Von daher waren die Streiks keine diskriminierende Maßnahme. Hier sind die Absichten der Viking Line mit der Niederlassungsfreiheit abzuwägen. Am Ende bleibt vor den nationalen Gerichten jeweils zu klären, ob die Maßnahmen der Gewerkschaft verhältnismäßig gewesen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat nun der Kollege Alexander Ulrich das Wort.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Thönnes, aufgrund Ihrer Ausführungen frage ich konkret nach: Aus rechtlicher Sicht handelt es sich bei der Ausflaggung im Viking-Fall um eine Situation, die mit Produktionsverlagerungen innerhalb der EG vergleichbar ist. Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Akzeptieren des VikingUrteils - Sie akzeptieren es ja - die Tür geöffnet wird, um alle Arbeitskämpfe, die gegen transnationale Produktionsverlagerungen gerichtet sind, als Eingriff in die Grundfreiheiten des Binnenmarkts und dadurch als Verstoß gegen das EU-Recht einzustufen? Ich halte das insbesondere vor dem Hintergrund von Standortverlagerungen und Massenentlassungen in Europa für besonders problematisch, da es Gewerkschaften und Beschäftigten die Mittel nimmt, sich gegen diese Maßnahmen adäquat zur Wehr zu setzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Ulrich, Sie sprechen wiederum den Fall der Viking Line an. Dabei müssen wir, wenn wir das Urteil des EuGH betrachten, zur Kenntnis nehmen, dass der EuGH die Regelungen zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages auch im Verhältnis zwischen Privaten, hier zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, anwendet. Demnach müssen auch Arbeitskampfmaßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen, zum Beispiel Arbeitskampfmaßnahmen, um, wie in diesem Fall, Standortverlagerungen zu verhindern, am Maßstab des Europarechts gemessen werden. Das bedeutet konkret, dass solche Maßnahmen am gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind und somit eine Abwägung zwischen den Grundrechten - hier: Streikrecht der Gewerkschaften - und den Grundfreiheiten des Vertrages - dort: Niederlassungsfreiheit des Unternehmens - vorzunehmen ist. In diesem Zusammenhang - ich unterstreiche das noch einmal - hat der EuGH ausdrücklich das Recht der Gewerkschaften auf Arbeitskampfmaßnahmen, insbesondere Streiks durchzuführen, als ein europäisches Grundrecht anerkannt. Weiterhin weist der EuGH aber auf das Spannungsverhältnis zwischen den im Vertrag garantierten wirtschaftlichen Freiheiten und der sozialen Dimension der Gemeinschaft hin. Im vorliegenden Fall und auch in künftigen Verfahren müssen nun die nationalen Gerichte entscheiden, ob die jeweilige Arbeitskampfmaßnahme tatsächlich dem Schutz der Arbeitnehmer - Sicherung der Arbeitsplätze, Sicherung der Arbeitsbedingungen - dient und ob dieses Ziel gegebenenfalls auch mit anderen Mitteln, die das Unternehmen weniger belasten, erreicht werden kann. Das ist also eine von den nationalen Gerichten zu klärende Entscheidung, ohne dass das Grundrecht auf Streikfreiheit eingeschränkt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 43 des Kollegen Dr. Dieter Dehm: Wird die Bundesregierung aufgrund des Falles Rüffert und der beiden Urteile zu Vaxholm und Viking Initiativen ergreifen, um in den Europäischen Verträgen zum Beispiel eine Ergänzung durch ein Zusatzprotokoll vorzunehmen, damit der Widerspruch zwischen den Grundfreiheiten und den Grundrechten, der sich beispielsweise durch die Bindung öffentlicher Ausschreibungen an soziale, einkommenspolitische - zum Beispiel Tariftreue - oder diskriminierungsfreie Bedingungen ergeben kann, verhindert wird, da mit den Urteilen zu Viking und Vaxholm, aber auch aufgrund der Tatsache, dass durch die vom Oberlandesgericht Celle an den EuGH im Fall Rüffert überwiesene Frage: „Stellt es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag dar, wenn dem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen?“ sich direkte Auswirkungen auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Sicherung solcher sozialen Regulierungen ergeben könnten, die in Zukunft eindeutig durch den EU-Vertrag ausgeschlossen sind? Bitte, Herr Staatssekretär.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Bundesregierung sieht im Hinblick auf die Urteile zu Viking und Laval im Moment keinen Handlungsbedarf. In der Rechtssache Rüffert geht es um et15802 was anderes als bei Viking und Laval. Das Land Niedersachsen verpflichtet mit seinem Tariftreuegesetz die öffentlichen Auftraggeber dazu, Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die ihren Arbeitnehmern bei Ausführung der Leistung mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt bezahlen. Es geht um die Frage, ob diese Regelung gegen die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit und die Entsende-Richtlinie verstößt. Die Entsende-Richtlinie sieht selbst gewisse Mindeststandards vor. Die Frage ist, ob man darüber hinaus ein höheres Schutzniveau für die Arbeitnehmer fordern kann, nämlich den regulären Tariflohn. Nach Auffassung der Bundesregierung ist das so. Die Bundesregierung hat sich in dem Verfahren dafür eingesetzt, die Schutzbestimmungen der Entsende-Richtlinie nur als Mindestgarantien zu sehen, die grundsätzlich einen verstärkten nationalen Schutz erlauben. Der Generalanwalt teilt unsere Auffassung in seinen Schlussanträgen. Im Laval-Urteil hat der EuGH eher eine restriktive Grundtendenz zur Entsende-Richtlinie erkennen lassen. Ich denke aber, wir müssen jetzt erst einmal das Urteil am 3. April zum Fall Rüffert abwarten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben zu meiner ersten Frage gesagt, dass jetzt nationale Gerichte am Zug sind. Im Fall Rüffert hat ein nationales Gericht eine Anfrage an den EuGH gerichtet. Darin wird suggeriert, dass die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gefährdet sind, wenn Mindestanforderungen in die Ausschreibungen aufgenommen werden, wie das in Berlin auf Druck der Partei Die Linke geschieht. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, dass es in der Sache Rüffert nicht zu einem Urteil des EuGH zugunsten der Grundfreiheiten kommen kann, welches zu europaweiten Einschränkungen im Hinblick auf Mindeststandards bei den Löhnen führen würde, weil damit inländische Unternehmen diskriminiert würden, die nationale Regelungen einhalten müssen, während konkurrierende Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten dank der vermeintlichen Unternehmensfreiheit nicht zu Mindestbedingungen gezwungen werden können?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Dr. Dehm, Sie sprechen eine mögliche Entscheidung des EuGH an. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich Ihre Frage nicht beantworten kann. Ich habe darauf verwiesen, dass wir das Urteil abwarten sollten. Erst dann kann eine Einschätzung erfolgen. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir die Meinung, die der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen äußert, im Kern teilen. Wenn das Urteil und seine Begründung vorliegen, können wir dazu Position beziehen. Zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich um eine hypothetische Frage. Sehen Sie mir nach, dass ich dementsprechend jetzt keine andere Antwort geben kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine zweite Nachfrage? - Bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich werde Ihre Vorfreude nicht trüben: Wir können uns im April noch einmal über diese Frage unterhalten. Aber wir sind als Opposition geradezu zu einer gewissen präventiven Bösgläubigkeit verpflichtet: Sollte der EuGH im Fall Rüffert, wenn auch nur in Teilbereichen, wieder zugunsten der Grundfreiheiten entscheiden, bestünde die Gefahr, dass aus Mindestlöhnen, die eine Deckelung nach unten darstellen, plötzlich Lohnobergrenzen werden. Sieht die Bundesregierung hier die Gefahr, dass im Falle eines Urteils in der Sache Rüffert zugunsten der Grundfreiheiten Mindestlöhne zukünftig eine faktische Lohnobergrenze bei der öffentlichen Auftragsvergabe darstellen könnten? Besteht damit nicht die Gefahr, dass die Idee der Mindestlöhne dadurch geradezu pervertiert würde?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Bei aller Böswilligkeit, die Sie gerade in der Einleitung Ihrer Frage für sich selbst reklamiert haben ({0}) - Entschuldigung, Bösgläubigkeit -: Sie haben wieder eine hypothetische Frage gestellt. Nach unserer Auffassung werden mit der Entsende-Richtlinie gewisse Mindeststandards gesetzt, auf die auf nationaler Ebene ein höheres Schutzniveau aufgesetzt werden kann. Ich habe mich gerade für den regulären Tariflohn als Mindeststandard ausgesprochen; der Generalanwalt teilt diese Ansicht. Lassen Sie uns den 3. April abwarten. Wir werden uns dann vielleicht bei der Behandlung dieses Fragenkomplexes wiedersehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Ulla Lötzer werden schriftlich beantwortet. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 46 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie wird die in das Jahr 2008 vorgezogene Auszahlung von Abfindungen von Kleinrenten in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung finanziert, für die erst für 2009 Haushaltsmittel aus dem Bundeshaushalt vorgesehen waren?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Kollegin Behm gibt mir die Gelegenheit, auf den besonderen Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung hinzuweisen. Zum 1. Januar 2008 wurde die Möglichkeit geschaffen, Kleinrenten herauszukaufen. Sie wurde von Anfang an sehr rege in Anspruch genommen. Bis Anfang März 2008 hat es bereits 34 000 Anträge gegeben. Durch das große Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ist es gelungen, dass diese Anträge mittlerweile größtenteils bearbeitet worden sind. Über 32 000 Abfindungen wurden bewilligt und ausgezahlt. Die dafür aufgewendeten Mittel in Höhe von 600 Millionen Euro sind gut angelegt; denn damit werden die jährlich wiederkehrenden Rentenzahlungen bereits heute um 70 Millionen Euro verringert. Das wird sich voraussichtlich schon in diesem Jahr positiv auf die Beiträge zur Berufsgenossenschaft auswirken. Die konkreten Finanzierungsfragen mussten allein von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften in enger Abstimmung mit der jeweiligen Aufsichtsbehörde geklärt werden. Die Aufsichtsbehörden der Berufsgenossenschaften haben damit einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass wir die hohe Anzahl von Anträgen zügig bearbeiten konnten. Klar ist nämlich: Je früher die Abfindungen bewilligt und gezahlt werden können, desto früher kann die laufende Rente entsprechend eingespart werden, sodass sich das bereits im laufenden Jahr auswirkt. Wir haben uns ebenfalls unserer Verantwortung gestellt und die für das gesamte Jahr 2008 vorgesehenen zweckgebundenen Bundeszuschüsse in Höhe von 200 Millionen Euro bereits Ende Januar 2008 in einem Rutsch ausgezahlt. Soll ich Ihre zweite Frage auch gleich beantworten? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 47 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie wird die Bundesregierung damit umgehen, falls über das vorgesehene Abfindungsvolumen von 650 Millionen Euro hinaus Anträge auf Abfindung einer Kleinrente in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gestellt werden?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Behm, ich teile Ihnen mit, dass die Anträge nur so lange bewilligt werden können, wie diese 650 Millionen Euro reichen. Ein derartiges Verfahren wird üblicherweise als Windhundverfahren bezeichnet. Sowohl das BMELV als auch die Berufsgenossenschaften haben immer wieder auf die Folgen aufmerksam gemacht, die auftreten, wenn mit den Anträgen zu lange gewartet wird. Momentan sind noch Mittel verfügbar. Es wird jedoch davon auszugehen sein, dass die Abfindungsaktion in wenigen Wochen beendet sein wird. Ich möchte daran erinnern - Frau Kollegin Behm, wir hatten es das eine oder andere Mal im Ausschuss besprochen -, dass oft, auch vonseiten der Opposition, gesagt wurde: Niemals wird diese Abfindungsaktion ein so starkes Interesse finden. Es ist viel zu viel Geld bereitgestellt worden. - Die heutigen Zahlen geben uns recht. Wir haben mit der Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung richtig gehandelt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben jetzt die Möglichkeit, insgesamt vier Nachfragen zu stellen. Bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. So viele Nachfragen habe ich gar nicht, weil Sie zum Teil schon auf das eingegangen sind, was mich noch interessiert. In der Tat haben die Beteiligten nicht damit gerechnet, dass die Aktion in dem Maße angenommen würde. Umso besser ist es - auch in unser aller Interesse. Meine erste Frage bezieht sich auf das sogenannte Windhundprinzip. Der 1. Januar 2008 war der Stichtag, an dem diese Regelung wirksam wurde. Wie ist mit Anträgen umgegangen worden, die vor dem 1. Januar 2008 gestellt worden sind? Gab es einen Stichtag, ab dem Anträge gestellt werden konnten? Wenn eine Regelung erst zum 1. Januar greift, denken viele Menschen vielleicht, dass sie erst ab dem 1. Januar Anträge stellen können. Die zweite Frage. Wahrscheinlich liegen so viele Anträge vor, dass die für diese einmalige - so ist es geplant - Abfindungsaktion eingestellten Mittel nicht ausreichen. Denkt das Ministerium über eine Neuauflage dieser Aktion nach?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Wir denken momentan nicht über eine Neuauflage nach. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen, wie ich eingangs gesagt habe, 34 000 Anträge vor; 32 000 Anträge sind bereits bewilligt worden. Es steht auch noch Geld zur Verfügung, sodass durchaus noch Anträge gestellt werden können. Wir werden die weitere Entwicklung sehr genau beobachten. Was den Stichtag angeht, werde ich mich natürlich gern noch einmal erkundigen. Aber in der Regel ist es so, dass ein Stichtag ein Stichtag ist. Für die Antragstellung ist der 1. Januar maßgeblich. Es besteht aber, wie gesagt, noch die Möglichkeit, Anträge zu stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es wäre sehr schön, wenn Sie da noch einmal nachlegen und mich darüber informieren könnten, wie vorher gestellte Anträge behandelt werden.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Diese Information werden Sie zügig erhalten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur Frage 48 des Kollegen Helmut Lamp: Wie beurteilt die Bundesregierung folgende Aussage des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, BMELV, unter Vorsitz von Professor Dr. Folkhard Isermeyer: „Wenn Deutschland ein Drittel seiner Agrarfläche komplett für die Bioenergieerzeugung umwidmen würde, so ließen sich damit beim gegenwärtigen BioenergieMix bestenfalls 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen“ angesichts der von der Bundesregierung - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Arbeitsgruppe „Erneuerbare-Energien-Statistik“ - veröffentlichten Zahlen, nach denen bereits 2006 bei einem Anteil der agrarisch für die Bioenergie genutzten Fläche von circa 10 Prozent in Deutschland 45,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart wurden?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Zur Frage des Kollegen Lamp möchte ich zunächst grundsätzlich anmerken, dass es sich hier um unterschiedliche Berechnungsmethoden handelt. Der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik hat sich bei seiner Kalkulation des Bioenergiepotenzials auf die Agrarfläche und auf die darauf erzeugte Biomasse bezogen. Dabei kommt der Beirat zu der Erkenntnis, dass sich bei der Umwidmung von einem Drittel der Ackerfläche Deutschlands zur Bioenergieerzeugung beim gegenwärtigen Bioenergiemix und bei den derzeit verwendeten Technologien pro Jahr rund 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen. Kollege Lamp, das ist die Zahl, über die wir meistens diskutieren. Sie wissen, dass Sie die konkrete Herleitung im Kapitel 4 des Gutachtens finden. In den Berechnungen des Beirats ist nur die auf diesen Flächen - nicht auf Forstflächen - erzeugte Biomasse berücksichtigt. Es wird ferner nur Biomasse einbezogen, die gezielt zur energetischen Verwertung angebaut wird. So werden Biomasseabfälle sowie Reststoffe aus der Landwirtschaft und aus der Ernährungsindustrie sowie weitere Biomassesorten nicht berücksichtigt. Die von der Bundesregierung für das Jahr 2006 genannte Menge an vermiedenen CO2-Emissionen in Höhe von 45,2 Millionen Tonnen geht dagegen auf eine Berechnung der Arbeitsgruppe „Erneuerbare-Energien-Statistik“ der Bundesregierung zurück. Diese Angabe bezieht sich auf die gesamte Nutzung von Biomasse in Deutschland, einschließlich der Nutzung von Holz, Abfall- und Reststoffen biogener Herkunft, Deponie- und Klärgas sowie anderer biogener Stoffe, die nicht in der Berechnung des Beirats berücksichtigt worden sind. Ferner betrachtet die Arbeitsgruppe „Erneuerbare-Energien-Statistik“ im Jahr 2006 nicht die Prozesskette der Biomassenutzung, sondern nur die direkte Reduktion von CO2-Emissionen durch die Substitution von konventionellen Energieträgern. Während die durch die energetische Biomassenutzung induzierte Treibhausgasemission im Bereich der Strom- und Wärmegewinnung aus Biomasse, die in Deutschland angebaut wurde, in der Regel sehr gering ist, kann sie bei importierter Biomasse und im Bereich der Biotreibstoffe eine relevante Größe darstellen. Wie gesagt, es sind hier von der Arbeitsgruppe „Erneuerbare-Energien-Statistik“ und von dem Wissenschaftlichen Beirat unterschiedliche Berechnungsgrundlagen gewählt worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. - Selbst wenn man die Agrarflächen nimmt, mit denen die Arbeitsgemeinschaft gerechnet hat, besteht immer noch ein himmelweiter Unterschied, der nicht allein durch Berechnungsmethoden - wenn diese denn auf realistischer Grundlage basieren - zu erklären ist. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft „Erneuerbare-Energien-Statistik“ haben wir im Jahr 2006 auf 10 Prozent der Fläche und unter Einbeziehung von Biogas und biogenen Treibstoffen um die 16 Millionen Tonnen CO2 einsparen können, während Professor Isermeyer mit seinem Wissenschaftlichen Beirat davon ausgeht, dass etwa 30 Prozent der Fläche nötig wären, um diese Menge einzusparen. Hier gibt es also gravierende Unterschiede, die so nicht erklärbar sind. Sie haben hierzu schon eine Erklärung abgegeben. Diese wird man überprüfen müssen. Sie brauchen das nicht zu wiederholen. Ich frage mich nur: Kommunizieren die Wissenschaftler, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, die Bundesregierung aber zum gleichen Thema beraten, nicht miteinander? Gleichen sie ihre Ergebnisse nicht ab? Gleichen sie ihre Untersuchungsmethoden nicht an? Ist dies geschehen? Haben Professor Isermeyer und sein wissenschaftlicher Agrarbeirat den Kontakt zu dieser Arbeitsgruppe gesucht, um sich mit ihr abzustimmen? Wenn dies nicht geschehen ist, frage ich, ob Sie dies für die Zukunft als sinnvoll ansehen würden.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Um auf den ersten Teil Ihrer Frage einzugehen, weise ich noch einmal darauf hin, dass es in der Tat unterschiedliche Berechnungsmethoden sind. Der Wissenschaftliche Beirat hat die gesamte Prozesskette in Augenschein genommen und ist so zu anderen Werten und Daten gekommen. Wenn Sie sich die Literaturliste bzw. die Zitierliste im wissenschaftlichen Gutachten anschauen, so werden Sie erkennen, dass diese sehr ausführlich ist, was zeigt, dass schon eine gewisse Kommunikation der Wissenschaftler untereinander stattgefunden hat. Ich nehme Ihre Anregung sehr gerne auf, was die unterschiedlichen Berechnungen und die Verbesserung der Kommunikation zwischen den beiden Einrichtungen angeht. Aber Sie wissen: Es hilft uns auch in der Politik, wenn unterschiedliche Berechnungsmethoden angewendet werden. Wir lassen sie in unsere politischen Ergebnisse einfließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können noch eine Frage stellen. - Gut, Sie verzichten. Dann kommen wir zur Frage 49 des Kollegen Helmut Lamp: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Professor Dr. Folkhard Isermeyer, dargelegt im Bericht „Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung Empfehlungen an die Politik“, November 2007, dass die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe in ihrer gegenwärtigen Struktur nicht optimal für die Politikberatung aufgestellt sei und dass die Einbettung des Deutschen Biomasse-Forschungszentrums in die deutsche Forschungslandschaft ein Schritt in die falsche Richtung sei? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich antworte auf Ihre Frage wie folgt: Es ist, glaube ich, sonnenklar, dass wir diese Kritik überhaupt nicht teilen. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe ist eine Einrichtung unseres Hauses, also des BMELV. Die Förderaktivitäten, bei denen das BMELV von seinem Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe unterstützt wird, richten sich an unserem Programm zur Förderung von Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben im Bereich nachwachsender Rohstoffe aus. Ziele unseres Förderprogramms sind, einen Beitrag für eine nachhaltige Rohstoff- und Energiebereitstellung zu leisten, die Umwelt durch Ressourcenschutz, besonders umweltverträgliche Produkte und CO2-Emissionsverminderungen zu entlasten sowie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Forstwirtschaft und der vor- und nachgelagerten Bereiche zu stärken. Die Fachagentur stimmt ihre Aktivitäten sehr eng mit dem BMELV ab und unterliegt unserer Rechtsund Fachaufsicht. Das gilt im Übrigen auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal gerne auf unseren Bioenergiewettbewerb, den wir zurzeit über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe durchführen. Wir streben darüber hinaus den nachhaltigen Ausbau der energetischen Nutzung von Biomasse zu einer wesentlichen Säule für unsere zukünftige Energieversorgung an. In diesem Zusammenhang ist es Auftrag des Deutschen Biomasse-Forschungszentrums in Leipzig, die effiziente Integration von Biomasse als einer wertvollen Ressource für eine nachhaltige Energiebereitstellung voranzutreiben und wissenschaftlich im Rahmen einer angewandten Forschung zu unterstützen.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wie gehen Sie jetzt mit der Kritik, die von engen Beratern der Bundesregierung gegenüber der Politik der Bundesregierung geübt wird, um? Wie werden Sie sich mit den Kritikern Ihrer Politik, die Ihre Berater sind, auseinandersetzen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Wir haben zu einem Workshop eingeladen - auch Sie haben, glaube ich, eine Einladung dazu erhalten -, der am 24. April dieses Jahres stattfinden wird. Auf diesem Workshop werden wir die von Ihnen angesprochenen Fragen diskutieren; denn auch uns ist das natürlich sehr bewusst, und wir handeln entsprechend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist es richtig, dass die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig, an der Professor Isermeyer tätig ist, sich als Standort für das jetzt so massiv kritisierte Biomasse-Forschungszentrum bemüht hat?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Lassen Sie es mich relativ kurz fassen: Professor Isermeyer ist Institutsdirektor in Braunschweig. Wir haben im Koalitionsvertrag im Jahr 2005 vereinbart, dass das Biomasse-Forschungszentrum in den neuen Ländern eingerichtet werden soll. Ein Bemühen von Professor Isermeyer, das Forschungszentrum nach Braunschweig zu holen, hätte also in klarem Widerspruch zum Koalitionsvertrag gestanden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Fragen sind leider nicht möglich. Die Frage 50 der Kollegin Ulrike Höfken und die Frage 51 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet. Damit herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Die Fragen 52 und 53 des Kollegen Alexander Bonde werden schriftlich beantwortet.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin, habe ich das gerade richtig verstanden, dass die Frage 52 des Kollegen Bonde, in der er Auskunft darüber erbittet, in welchem Zeitraum das Bundesministerium der Verteidigung Besuchergruppen zu McDonald’s geschickt hat, schriftlich beantwortet werden soll?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das haben Sie richtig verstanden. Die Frage 52 wie auch die Frage 53 des Kollegen Bonde sollen schriftlich beantwortet werden.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich hatte eine ökotrophologische Stellungnahme vorbereitet. Auf Grundlage der Expertise der Bundeswehr, die sich im kulinarischen Bereich vor allem auf die Zubereitung von Erbsensuppe und Gulaschsuppe bezieht, wollte ich dem Kollegen Bonde einen Informationsgewinn ermöglichen. Ich werde dies nun schriftlich tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich sehe natürlich, dass es hier im Saal ein großes Interesse an der Beantwortung dieser Frage gibt. Ich verweise somit auf das Plenarprotokoll. Ich rufe nun die Frage 54 des Kollegen Schäfer auf: Bei welchen Einheiten der afghanischen Armee sind derzeit militärische Ausbilder bzw. Operation Monitoring and Liaison Teams, OMLT, des deutschen ISAF-Kontingents aktiv, und wie stellt die Bundeswehr dort sicher, dass im Fall eines Einsatzes des afghanischen Kontingents keine Minderjährigen eingesetzt werden?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Sehr geehrter Herr Kollege Schäfer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die als Operation Monitoring and Liaison Teams bezeichneten Kräfte werden durch die Bundeswehr derzeit wie folgt bei der afghanischen Armee ANA eingesetzt: je ein Team beim Stab des 209. ANA-Korps, beim Stab der 1. Brigade des 209. ANA-Korps, bei deren 1. Kandak, vergleichbar mit einem Bataillon, sowie beim Grundausbildungs-Kandak. Alle bisher genannten Einheiten befinden sich in Masari-Scharif. Ein Team befindet sich beim 2. Kandak der ersten Brigade in Kunduz. Die Aufstellung der afghanischen Streitkräfte, deren organisatorische und personelle Struktur, die Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens und der Einsatz der afghanischen Streitkräfte liegen in der Verantwortung der afghanischen Behörden. Nach Kenntnis des Bundesministeriums der Verteidigung beruft Afghanistan ausschließlich Volljährige ein. Zweifel und eine sich daraus ergebende Notwendigkeit der Überprüfung der Einhaltung der eigenen Gesetze bestanden zu keinem Zeitpunkt. Ungeachtet dessen wird das Bundesministerium der Verteidigung das Führungspersonal der Einsatzkontingente im Rahmen der einsatzvorbereitenden Kontingentführerausbildung hierfür sensibilisieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Staatssekretär, habe ich es richtig verstanden, dass Sie bei der Vorbereitung und Durchführung der Ausbildungsunterstützung für die afghanischen Streitkräfte jetzt darangehen, die Angehörigen der Bundeswehr zu sensibilisieren?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, diese Sensibilisierung gab es von Anfang an. Seit Beginn der Ausbildung gab es die Befürchtung, dass die Regelungen, die der afghanische Staat für seine Armee zugrunde gelegt hat, nicht beachtet würden. Es haben sich aber keine Anzeichen ergeben, dass diese Befürchtungen zutreffen. Nach der uns vorliegenden Übersetzung des afghanischen Rekrutierungsgesetzes ist ein Mindestalter von 18 Jahren vorgesehen. Ein freiwilliger Dienst Minderjähriger mit einem Mindestalter von 16 Jahren ist gemäß des Fakultativprotokolls der Vereinten Nationen nur unter folgenden Auflagen möglich: Der Eintritt muss tatsächlich freiwillig sein und darf nur mit Zustimmung der Eltern bzw. des Vormundes erfolgen. Es muss eine umfassende Aufklärung der minderjährigen Person über die sich aus einem Beitritt ergebenden Pflichten geben. Außerdem ist ein Altersnachweis durch die Freiwilligen beizubringen. Der Einsatz Minderjähriger ist bei Feindseligkeiten immer unzulässig. Die Sensibilisierung bezieht sich anhand der vorliegenden Unterlagen darauf, dass die afghanische Seite darauf hingewiesen wird, dass wir auf der Einhaltung der Regelungen des Fakultativprotokolls bestehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Bitte.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich muss einen Hinweis von vorhin wiederholen: Wie erklärt es sich denn, dass es auf der Homepage der Bundeswehr - sie ist von Ihnen zu vertreten - einen Bericht über eine Ausbildungsunterstützung gibt, in dem steht, dass Angehörige der Bundeswehr an der Ausbildung beteiligt sind? Darin wird auch dargestellt, der jüngste Auszubildende sei gerade 16 Jahre alt, was in gewisser Weise unter bestimmten Voraussetzungen - Sie haben sie gerade genannt - geht. Es ist aber nicht möglich, dass sie in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. Dazu findet sich der Hinweis: Demnächst werden sie in die Einsätze gehen. - Wie interpretieren Sie das, was auf der Homepage der Bundeswehr steht, und in welcher Weise ist das mit den Pflichten der Bundesrepublik Deutschland, die sich aus dem Fakultativprotokoll ergeben, vereinbar?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, darf ich kurz um Aufklärung des Präsidiums bitten? Soweit mir bekannt ist, hatten Sie diese Frage bereits beim Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes gestellt. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, in der Fragestunde eine Frage von mehreren Ressorts beantworten zu lassen. Insofern beziehe ich mich vollinhaltlich auf die Aussage und Antwort, die Ihnen gegeben worden ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Volker Beck ({0}) auf: Inwiefern trägt ein Träger oder Seminaranbieter ({1}) den Vorgaben der Richtlinien des Kinder- und Jugendplanes Rechnung, „Mädchen und Jungen darin [zu] unterstützen, ihre Identität zu entwickeln, ihr Selbstbewusstsein [zu] stärken und sie zu befähigen, ihr Leben eigenständig zu planen und selbstbestimmt ihre Interessen zu verfolgen, Mädchen und junge Frauen sowie Jungen und junge Männer für einen partnerschaftlichen Umgang [zu] sensibilisieren, ihnen die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Rolle [zu] ermöglichen und sie dazu [zu] befähigen, Konflikte gewaltfrei zu lösen“, wenn er als Folgen des sexuellen Missbrauches „homosexuelle Neigungen“ definiert ({2}), Homosexualität generell für veränderbar, therapierbar oder heilbar hält ({3}) vor dem Hintergrund der korrekten wissenschaftlich begründeten Feststellung der Bundesregierung: „Die Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist“ ({4}), und war die Bundesregierung inzwischen in der Lage, die Website des Vereins wuestenstrom e. V. und andere Quellen einzusehen, die von den „Konversionstherapien“ für Homosexuelle berichten ({5})?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: In den letzten Wochen haben wir vielfach zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit Christival schriftlich und auch mündlich ausführlich beantwortet. Zu der jetzt gestellten Frage will ich auf die Antworten auf die mündlichen Fragen 32 und 33 in der Fragestunde am 13. Februar 2008 hinweisen, in denen dargelegt worden ist, dass der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland, AEJ, für die Durchführung des Christival 2008, des Kongresses junger Christen vom 30. April bis 4. Mai 2008 in Bremen, ein Zuschuss in Höhe von bis zu 250 000 Euro aus Mitteln des KJP, also des Kinder- und Jugendplanes, in Aussicht gestellt worden ist. ({0}) - Da Sie immer ähnliche Fragen stellen, werde ich zunächst einmal verdeutlichen, in welchem Zusammenhang das erörtert werden muss. Im Falle der Gewährung von Fördermitteln wird die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, die als zuständige Zentralstelle mit einer gewissen Verantwortung ausgestattet ist, diese Mittel an den Ausrichter von Christival 2008, an Christival e. V., weiterleiten. Das ist Anfang März 2008 in der Antwort auf die mündliche Frage 39 bereits deutlich gemacht worden. Zum Christival 2008. Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass das ein konfessionsübergreifender Kongress junger Christen ist, der in Bremen stattfindet. ({1}) Es ist die vierte Veranstaltung dieser Art seit 1976. Der Kongress hat das Ziel, junge Christen zu motivieren und zu befähigen, ihre christliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen. Er soll insbesondere zu ehrenamtlicher Arbeit in Gemeinden, Kirchen und anderen Bereichen der Gesellschaft ermutigen. Insofern entspricht die Förderung von Christival 2008 den Zielsetzungen des Kinder- und Jugendplans. Das Christival 2008 ist ein Impulsgeber für die christliche Kinder- und Jugendarbeit der kommenden Jahre. Die Erfahrungen aus vergangenen Christivals haben gezeigt, dass diese Kongresse weitreichende Impulse für die Nachhaltigkeit von Jugendarbeit in Verbänden und Gemeinden geben. Das wird nach wie vor auch vom Christival 2008 erwartet. Nach den Richtlinien des KJP für Sonder- und Großveranstaltungen wird das Christival 2008 als Einzelmaßnahme und somit als Ganzes bezuschusst. Innerhalb dieser Einzelmaßnahme gibt es keine gesonderte Förderung von bestimmten Vereinen bzw. Veranstaltungsteilen. Im Zuwendungsrecht ist das im Allgemeinen so üblich. Mehrfach, zuletzt in der Antwort auf die mündliche Frage 40 in der Fragestunde vom 5. März 2008, ist ausgeführt worden, dass es nach dem Verständnis, das die Bundesregierung vom Verhältnis zwischen Staat und freien Trägern sowie kirchlichen Gruppierungen hat, nicht Aufgabe des Staates ist, die Angebote und Webseiten auf weltanschauliche Auffassungen und wissenschaftliche Qualität des Therapieverständnisses hin zu bewerten. Allgemein kann aber gesagt werden: Wenn sogenannte Konversionstherapien durch Organisationen und Gruppierungen angeboten und beworben werden, so können unterschiedliche, meist religiöse oder weltanschauliche Motive, die sich einem empirisch-wissenschaftlichen Ansatz entziehen, eine Rolle spielen. Diese, vor allem in den 60er- und 70er-Jahren häufig angebotenen Therapien, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten oder der homosexuellen Orientierung abzielten, werden auf der Grundlage der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in der Fachwelt heute weitgehend abgelehnt. Zu den auf der genannten Webseite und in anderen Quellen vertretenen Positionen zu Konversionstherapien ist zu sagen: Sie widersprechen der von der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler vertretenen Position. Im Übrigen verweise ich zum Thema Konversionstherapien auf die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Herr Kollege Beck, weil Sie zwischendurch versucht haben, mich zu unterbrechen, will ich ausdrücklich sagen: Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, über die diese Großveranstaltung abgewickelt wird, ist für uns ein absolut verlässlicher Veranstalter. Sie müssen sich damit abfinden - das sage ich ganz ausdrücklich -, dass es zum Thema Homosexualität und dazu, wie man damit umgeht, in Deutschland auch andere Auffassungen gibt als die, die Sie vertreten. Ich glaube - da schließe ich mich dem CVJM an -, dass andere Auffassungen respektiert und toleriert werden sollten. Nach unserem Verständnis ist es die Aufgabe eines weltanschaulich neutralen Staates, Großveranstaltungen zu fördern, wenn sie sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen und den Zielsetzungen folgen, die ich eben beschrieben habe. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, zu überprüfen, welche Auffassung Veranstalter, die im Rahmen einer Großveranstaltung auftreten, im Einzelnen haben. Hier gibt es so etwas wie Meinungs-, Religions- und Überzeugungsfreiheit. Ich glaube, das muss man respektieren. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zuallererst weise ich die Kolleginnen und Kollegen, welche sich zu Zusatzfragen gemeldet haben, darauf hin, dass wir die Zeit für die Fragestunde schon ausgeschöpft haben. Gleichwohl, da die Frage 55 des Kollegen Beck aufgerufen ist, gebe ich die Möglichkeit zu zwei kurzen Zusatzfragen. Ich bitte aber sowohl den Fragesteller als auch den Vertreter der Bundesregierung, zu versuchen, sich kurzzufassen. Ich ahne, dass wir uns auch in der nächsten Sitzungswoche mit diesem Thema beschäftigen werden. - Bitte, Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muss sagen: Hier Altbekanntes und Allgemeinplätze zu wiederholen, die Frage selbst aber nicht zu beantworten, ist eine Missachtung der Rechte des Parlaments. Es kann nicht sein, dass man den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen nicht die Gelegenheit gibt, darauf zu reagieren. ({0}) Ich habe - wenn Sie dem Link in der Frage nachgegangen wären, wüssten Sie das - danach gefragt, ob der Träger des Seminars 650 „Tabuthema: Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs“ von Stefan Schmidt, Marbach, Wüstenstrom e. V., in den Augen der Bundesregierung ein angemessener Träger ist, um potenzielle Missbrauchsopfer, die in ein solches Seminar kommen, zu betreuen. Ich habe die Frage angesichts der Tatsache gestellt, dass dieser Träger - weiterer Link in der Frage, dem Sie hätten nachgehen können; ich habe Ihnen das gestern auch noch einmal ins Büro gefaxt - die Ansicht vertritt, dass Opfer sexuellen Missbrauchs unter anderem homosexuell werden und das sozusagen einer der Schäden ist, die man bei der Therapierung des Missbrauchsopfers beseitigen kann. Meinen Sie wirklich, dass Sie als Bundesjugendministerium verantwortlich handeln, wenn Sie es in Kauf nehmen, dass - durch die Bundesregierung gefördert; hier geht es nicht ums Christival und auch nicht um die AEJ, sondern um dieses Seminar - Missbrauchsopfer, die traumatisiert sind, unter Umständen einer Therapie ausgesetzt werden, die sie erneut traumatisiert, weil man ihnen sagt: „Wenn du homosexuell bist, ist das ein Schaden; den therapieren wir dir hier jetzt einmal zügig weg, damit du entsprechend unserer Ideologie von dem Defizit Homosexualität befreit bist“? Glauben Sie nicht, gerade als Jugendministerium und im Sinne des Jugendplans, eine andere Aufgabe zu haben? ({1})

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Kollege Beck, erstens möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen: Wenn Sie im Verlaufe von Fragestunden - ich glaube, es ist das dritte oder vierte Mal, dass wir uns ausgiebig mit diesem Thema befassen - versuchen, dieses zugegebenermaßen komplexe Thema zu erörtern - Sie haben immer wieder neue Ansätze gesucht -, müssten Sie auch einmal darüber nachdenken, ob dies das geeignete Verfahren ist, sich damit auseinanderzusetzen. Zweitens. Ich bleibe ausdrücklich dabei, dass ich es nicht als Aufgabe des Jugendministeriums ansehe, wenn absolut seriöse Veranstalter - ich nenne sie noch einmal: die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und das Christival e. V. - eine Großveranstaltung durchführen ({0}) - darum geht es schon - und dabei verschiedene Kleinangebote zulassen - das ist jetzt nicht zufällig entstanden, sondern wird sehr bewusst entschieden -, im Einzelnen zu analysieren, welche Aspekte dort wie auch immer vertreten werden. Das ist meine Auffassung. So verstehe jedenfalls ich die Aufgabe des weltanschaulich neutralen Staates, der unterschiedliche Meinungen zu respektieren hat, auch zu dem Thema, das Sie jetzt bewegt; ich bin ja grundsätzlich gar nicht völlig anderer Meinung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit, noch eine Frage zu formulieren.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben die Bundesregierung gebeten, ihre Auffassung zu den Angeboten dieses Vereins, die wir Ihnen übermittelt haben, hier dem Plenum zur Kenntnis zu geben. Entspricht das Angebot von Wüstenstrom, wie es auf der Webseite, die in der Frage zitiert wird, dargestellt wird, dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand, den Vorgaben des Kinder- und Jugendplans zur Stärkung der Identität von jugendlichen Menschen und den Erkenntnissen, die die Bundesregierung noch in der Drucksache 16/8022 vertreten hat, nämlich dass Homosexualität einer Therapie nicht bedarf und auch nicht zugänglich ist? Sie protegieren hier indirekt eine Organisation, deren Hauptgründungszweck die Propagierung von Konversionstherapien für Homosexuelle war und ist. Haben Sie sich diese Organisation inzwischen einmal angesehen und deren Inhalt geprüft? Was ist Ihre Beurteilung des Inhalts?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen zur Einschätzung von Homosexualität mehrfach die Meinung der Bundesregierung dargelegt, die der überwältigenden Auffassung in den zuständigen Wissenschaften seit über 20 Jahren entspricht. Ich sage Ihnen auch, dass es nicht richtig ist, dass die Bundesregierung bis in die Einzelheiten einer Großveranstaltung hinein überprüft, welche Auffassungen dort von Einzelanbietern vertreten werden. Das ist Aufgabe des großen Trägers, der bundeszentralen Einrichtung, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend. Ich denke, nur so kann man in einem pluralen Staat miteinander umgehen. Wir können nicht von jedem Anbieter verlangen, dass er exakt die Meinung vertritt, die auch von der Bundesregierung mehrheitlich vertreten wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Die Fragen 56 und 57 werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der FDP und DIE LINKE Haltung der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zum Mindestlohn für Briefdienste Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Leonhard Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick in den Kalender zeigt: Wir befinden uns noch im Winter. Stellen Sie sich also bitte die folgende Situation vor: Eine Gruppe von Spaziergängern ist unterwegs. Sie kommen an ein Gewässer. Es ist mit Eis bedeckt. Es ist unklar, ob das Eis trägt. Angefeuert durch einen aus der Gruppe, der behauptet, sich auszukennen, betritt die Gruppe das Eis. Doch schon nach wenigen Schritten knackt es kräftig, laut und unüberhörbar. Ein großer Riss im Eis tut sich auf. ({0}) Der von Selbstzweifeln nicht geplagte Anführer rät, weiterzugehen. Begründung: Im letzten Winter hat das Eis auch gehalten. Andere aus der Gruppe empfehlen, man möge sich erst einmal flach aufs Eis legen und abwarten, ob Tauwetter komme oder nicht. ({1}) Jeder vernünftig denkende und handelnde Mensch in diesem Lande würde in einer solchen Lage ruhig, aber entschlossen umkehren und versuchen, so schnell wie irgend möglich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. ({2}) Genau das ist die Situation, über die wir hier heute reden. Der Bundesarbeitsminister hat die Koalition bei den Postmindestlöhnen auf trügerisches Eis geführt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat es kräftig knacken lassen. Die Union wirft sich aus Angst, einzubrechen, flach und bäuchlings auf die eisige Fläche. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, insbesondere der Union: Wenn Sie wieder festen Boden unter die Füße bekommen wollen, gibt es nur eines: Runter vom Eis! Ich fordere Sie namens der FDP-Bundestagsfraktion auf: Setzen Sie die Verordnung zum Postmindestlohn außer Kraft! ({4}) Denn bis zur endgültigen und rechtskräftigen Entscheidung schafft die vom Verwaltungsgericht verworfene Regelung unumkehrbare Fakten. Eine Unternehmungsbefragung, Herr Kollege Steppuhn, im Auftrag des Wirtschaftsministeriums zu der Frage, wie viele Arbeitsplätze durch die Einführung eines Postmindestlohns verloren gehen, hat folgendes Ergebnis gebracht: 30 Prozent der 113 befragten Unternehmen erklärten, dass sie seit der Einführung des Mindestlohns bereits Stellen abgebaut haben. 53 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sie in den nächsten zwölf Monaten mit einem Stellenabbau rechnen. Insgesamt sind von einem tatsächlichen oder geplanten Stellenabbau rund 1 800 Arbeitsplätze betroffen, also jeder zehnte Arbeitsplatz. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sind 1 800 gute Gründe, dem Mindest15810 lohnspuk bei den Postdienstleistungen ein sofortiges Ende zu bereiten, ({5}) ein Mindestlohnspuk, bei dem es in Wahrheit um nichts anderes geht, als nach der Öffnung des Marktes für Postdienstleistungen das Monopol der Deutschen Post mit neuen Mitteln dauerhaft zu sichern. ({6}) Das Aufräumen beginnt also damit, dass in dem Fall, über den das Verwaltungsgericht geurteilt hat, Konsequenzen gezogen werden. Die beanstandete Verordnung muss aufgehoben werden. Es genügt mir und den um ihren Arbeitsplatz fürchtenden Mitarbeitern, zum Beispiel bei der PIN AG, insoweit nicht, wenn der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU, Ralf Brauksiepe, ({7}) in einem Anfall koalitionären Großmuts zwar sagt, dass das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes Konsequenzen für die laufenden Gesetzesprojekte der Koalition haben müsse - das sicher auch, Herr Brauksiepe -, er aber im Übrigen den Bundesarbeitsminister in seiner trotzigen Haltung nach dem Urteil zum Postmindestlohn eher noch unterstützt. ({8}) Das, Herr Brauksiepe, war schon eine bemerkenswerte Pirouette, die Sie heute Morgen im Frühstücksfernsehen gedreht haben. Aber das Drehen von Pirouetten auf brüchigem Eis birgt die große Gefahr, sich selbst zu versenken. Das sollten Sie immer bedenken. ({9}) Keinesfalls darf die Koalition, um zum eingangs geprägten Bild zurückzukehren, in die als falsch erkannte Richtung weitergehen und sich noch weiter hinaus aufs brüchige Eis wagen. Auch für die Zeitarbeitsbranche gelten die Feststellungen des Gerichts, dass über das Entsendegesetz bestehende Tarifverträge nicht ausgehebelt werden dürfen. Dies gilt umso mehr, als es dort eine fast hundertprozentige Tarifbindung gibt. Die geplante Ausweitung des Entsendegesetzes und auch die Novellierung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen müssen, wenn sie schon nicht gänzlich gestoppt werden, was an sich richtig wäre, mindestens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bei den Postdienstleistungen auf Eis gelegt werden, und zwar deshalb, weil es erklärte Absicht des Bundesarbeitsministers ist, auch in Branchen mit gültigen Tarifverträgen hineinzuwirken und zwischen den Tarifpartnern vereinbarte Löhne zu überschreiben. ({10}) Das darf nicht sein. ({11}) Ich fordere daher die Union auf, die Linie des Gerichts nun auch politisch aufzunehmen. Mindestlöhne sind Gift für den Wettbewerb, Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze, Mindestlöhne gefährden die Tarifautonomie. ({12}) Die Väter unseres Grundgesetzes haben mit gutem Grund festgelegt, dass der Staat sich aus der Lohnfindung heraushalten muss. Dabei muss es bleiben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Sieg der Vernunft über die Ideologie. Dafür war und ist es allerhöchste Zeit. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ist Ihnen, um im anfänglichen Bild zu bleiben, für den Rückweg vom Eis sozusagen ein Steg gezimmert worden. Sie sollten nicht zögern, diesen Weg zu gehen. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die Unionsfraktion.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kompliment, Herr Kolb! Karnevalistisch war das völlig okay. Jetzt sollten wir gleichwohl zur eigentlichen Sachfrage kommen. Wir haben es mit einem nicht rechtskräftigen Urteil zu tun, das zu respektieren ist. Ich warne vor irgendeiner Form von Urteilsschelte oder auch Spekulationen darüber, wie sich dieses Verfahren weiterentwickelt. Es gibt schon seit dem 10. März 2004 ein ähnlich lautendes Urteil eines Oberverwaltungsgerichts. Wir werden sehen, wie die Sache vor Gericht weitergeht. Wir müssen zwei Dinge unterscheiden. Zum einen haben wir, sozusagen auf die Vergangenheit bezogen, einen laufenden Rechtsstreit zu einem abgeschlossenen Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren. Der Abschluss dieses Verfahrens ist ja die Voraussetzung für einen Rechtsstreit; denn es kann keine Klage gegen einen Referentenentwurf geben. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass das Gericht den Vertrag, den die vom ehemaligen Sozialminister von Kurt Beck initiierte Gewerkschaft mit einem Arbeitgeberverband geschlossen hat, als Tarifvertrag gewertet hat, ({0}) anders als der Tenor in der Anhörung des federführenden Ausschusses war. Wir haben auch zur Kenntnis zu nehmen, dass nach Meinung des Gerichts die Mindestlohnverordnung nur Nichttarifgebundene binden darf. Für Tarifungebundene ist das im Übrigen unbestritten. Schon von daher wäre eine Aussetzung dieser RechtsDr. Ralf Brauksiepe verordnung gar nicht geboten, weil sie unstrittig ja auch diejenigen bindet, die über keine Tarifbindung verfügen. Deswegen erkläre ich ganz deutlich für die CDU/ CSU-Fraktion: Es ist völlig in Ordnung, dass der Bundesarbeitsminister nun für die Bundesrepublik Deutschland in Berufung geht, nachdem die Bundesrepublik Deutschland in erster Instanz verloren hat. ({1}) Dass es dadurch keine aufschiebende Wirkung für die Rechtsverordnung gibt, ist ganz selbstverständlich. Darauf haben Volker Kauder, Ronald Pofalla und andere schon hingewiesen. Es ist nicht zu kritisieren, dass die Bundesregierung hier Berufung einlegt und es nun eine Berufungsverhandlung geben wird. Die Kläger können im Übrigen einstweiligen Rechtsschutz beantragen. Auch das wissen Sie, Herr Kolb. Ich möchte das jetzt nicht der Fraktion Die Linke auseinanderlegen, ({2}) aber ich denke, Sie kennen den Grundsatz der Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat und wissen, dass für einstweiligen Rechtsschutz die Gerichte zuständig sind, aber nicht der Deutsche Bundestag und nicht die Bundesregierung. Ich würde den Klägern empfehlen, diesen Weg des einstweiligen Rechtsschutzes zu versuchen, statt sich mit Drohungen im Hinblick auf Schadenersatzzahlungen gegen die Bundesrepublik Deutschland zu wenden. ({3}) Von diesen Fragen im Zusammenhang mit dem abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren sind natürlich die Fragen zu laufenden Gesetzgebungsverfahren zu trennen. Auch das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass es bis zu einem Urteil in einer Berufungsverhandlung mindestens sechs Monate dauern wird. Wir müssen ferner davon ausgehen, dass ein solches Urteil dann noch nicht rechtskräftig ist, weil auch dagegen die Revision möglich ist. Für uns ist klar: Wir halten an den Verabredungen in der Koalition fest, ({4}) die vorsehen, dass nach dem 31. März unverzüglich mit dem Gesetzgebungsverfahren zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zum Mindestarbeitsbedingungengesetz begonnen wird. Das ist klar. Daran halten wir fest. ({5}) In dieser Zeit gilt natürlich das erstinstanzliche Urteil; denn bis zum 31. März dieses Jahres wird kein Urteil eines Berufungsgerichts vorliegen. Selbstverständlich kann dieses Urteil bei den laufenden und anstehenden Gesetzesvorhaben nicht ignoriert werden. ({6}) Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Urteil und seine Begründung in die weitere Gesetzgebung des Deutschen Bundestages einzubeziehen sind. ({7}) Wir wollen die Tarifvertragsparteien stärken und sie nicht ersetzen. Das ist nicht nur die Mahnung der Richter, die dieses Urteil gefällt haben, sondern das ist und war schon immer auch die politische Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion. Wer wie wir tarifliche Mindestlöhne will, der muss ein Interesse daran haben, dass möglichst viele der Beteiligten daran mitwirken, auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen und Verhandlungen eine Lösung zu finden. ({8}) Die Gesetzgebung ist nicht dazu gedacht, bei Grabenkämpfen innerhalb des Arbeitgeber- oder des Gewerkschaftslagers Schiedsrichter zu sein. ({9}) Dieses Urteil mahnt uns, den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass Tarifverträge nicht außer Kraft gesetzt werden. ({10}) Deswegen muss die Botschaft lauten: Tarifpartner, rauft euch zusammen und kommt zu gemeinsamen Lösungen! Was die Zeitarbeit betrifft, liegen die Angebote der Tarifpartner nur 31 Cent auseinander. Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es hier keine Möglichkeiten gäbe, sich zu einigen. Wenn in bestimmten Branchen Unfrieden herrscht, kann die Politik keinen Frieden diktieren; auch das ist ein Ergebnis dieses Urteils. Die Arbeit der Koalition steht nicht still. Wir legen nicht die Hände in den Schoß und warten auf ein höchstrichterliches Urteil. ({11}) Die Große Koalition wird ihren Beitrag zur Lösung der Probleme im Niedriglohnsektor leisten, die CDU/CSUFraktion allemal. Das Gesetzgebungsverfahren wird wie verabredet durchgeführt. Selbstverständlich werden dabei alle notwendigen Erkenntnisse und alle Gerichtsurteile berücksichtigt. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Werner Dreibus das Wort. ({0})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Dr. Kolb, das, was Sie mit klammheimlicher Freude als großen Erfolg feiern ({0}) - auch in Zeitungen hat man lesen können, dass Sie das als Sieg der freien Marktwirtschaft bezeichnet haben -, ist aus der Sicht unserer Fraktion nichts anderes als das Ergebnis eines sehr dreisten Betrugsversuches. Verantwortlich für den Betrug, der hier stattfindet, ist der sogenannte Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste, geführt von Herrn Gerster, einem Sozialdemokraten, dem ehemaligen Minister für Arbeit und Soziales in Rheinland-Pfalz und dem ehemaligen Chef der Bundesanstalt für Arbeit. ({1}) Das Bedauerliche ist, dass diesem offensichtlichen und dreisten Betrugsversuch auch das Berliner Verwaltungsgericht aufgesessen ist. Bekanntlich hat der Verband von Herrn Gerster im vergangenen Jahr in Köln eine Briefkastenfirma gegründet; das ist öffentlich bekannt, und auch Sie, Herr Dr. Kolb, haben von Briefkastenfirmen geredet. ({2}) Er hat ihr den Namen „Gewerkschaft der Neuen Briefund Zustelldienste“ gegeben, sie mit Geld ausgestattet und die Beschäftigten von Dumpingfirmen aufgefordert, dieser Pseudogewerkschaft beizutreten. Anschließend hat Herr Gerster mit der von ihm initiierten Scheinorganisation, also faktisch mit sich selbst - deshalb ist es auch Betrug -, einen Vertrag über Löhne ausgehandelt und über diesen Vertrag das Wort „Tarifvertrag“ geschrieben. All das sind bekannte Tatsachen. ({3}) - Diese Tatsachen müssten auch Sie zur Kenntnis genommen haben, Herr Meyer. Kürzlich wurde nämlich in der ARD auf die zwielichtigen Machenschaften von Gerster & Co. hingewiesen. Weil all das bekannt ist, ist völlig unverständlich, dass das Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt nicht berücksichtigt hat. Hätte es ihn berücksichtigt, hätte das Gericht relativ eindeutig feststellen müssen, dass der zwischen dem Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste und seiner Scheingewerkschaft geschlossene Tarifvertrag null und nichtig ist ({4}) und dass somit auch alle Anträge, die dort gestellt worden sind, null und nichtig sind. Die sogenannte Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste ist keine Gewerkschaft. Deshalb kann sie auch keine Tarifverträge abschließen. Wir reden hier nämlich über Tarifverträge, nicht über Verträge, die Herr Gerster mit sich selbst abschließt. ({5}) Das Skandalöse an diesem Vorgang ist die Reaktion des Bundeswirtschaftsministers. ({6}) Kaum war das Urteil bekannt, hat Herr Glos es als einen Sieg des Wettbewerbs gefeiert. Das heißt im Klartext: Der Minister begrüßt das illegale Treiben von Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Hungerlöhnen beruht und die bereit sind, mit rechtswidrigen Methoden das deutsche Tarifvertragssystem zu zerstören. Das ist ein Skandal. ({7}) Indirekt bestärkt er diese Unternehmen - das ist ein noch größerer Skandal -, Schadensersatzforderungen an uns, an den Staat, zu stellen und sich ihr unsoziales Treiben damit von der Allgemeinheit bezahlen zu lassen. ({8}) Die Bundesregierung hat Herrn Glos nicht widersprochen. Es sind also Zweifel daran angebracht, dass die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit Ernst macht mit dem Ziel, den Beschäftigten menschenwürdige Löhne zu garantieren, Dumpinglöhne zu verhindern. Eine Bemerkung sei mir noch gestattet: Wer Dumpinglöhne verhindern will, wer Barrieren gegen Hungerlöhne errichten will, der muss aufräumen mit dem Mythos - den auch Sie, Herr Dr. Kolb, mit Ihrer Eiswette wieder zu illustrieren versucht haben -, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten würden. ({9}) Tatsächlich ist es doch so, dass Mindestlöhne dafür sorgen, dass anständige Arbeit nicht mehr mit 3 oder 4 oder 5 Euro die Stunde entlohnt wird, sondern dass man von anständiger Arbeit leben kann. ({10}) Die Arbeit, die von den Unternehmen erledigt wurde, die behaupten, sie gerieten durch den Mindestlohn in Schwierigkeiten, werden andere Unternehmen übernehmen, Herr Dr. Kolb. Kein einziger Arbeitsplatz ist vernichtet worden. ({11}) Schlechte Arbeitsplätze sind durch wesentlich bessere Arbeitsplätze, durch gute Arbeit ersetzt worden. An der Zahl der Arbeitsplätze ändert sich, wenn überhaupt, relativ wenig. Doch jetzt besteht wenigstens die Chance, dass ein Teil der Menschen, die bei Wind und Wetter - auch bei Eis - ihre Post austragen, ein bisschen mehr Gerechtigkeit und damit ein bisschen höhere Löhne bekommen. ({12}) Aus der Sicht unserer Fraktion ist dieser Vorgang ein weiteres Beispiel dafür, dass allein das Setzen auf Branchenlösungen das Problem von Mindestlöhnen in unserem Land nicht lösen kann. ({13}) Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn als eine allgemeine Haltelinie für alle. Wenn in einer Branche tatsächliche Tarifvertragsparteien - nicht Scheingewerkschaften - in freien Vereinbarungen bessere Tarifverträge abschließen, sollen diese Branchentarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden. An einem gesetzlichen Mindestlohn, der möglichst wie in Frankreich bei 8,44 Euro liegt, führt jedoch kein Weg vorbei. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes. ({0})

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Brauksiepe, der Beitrag des Kollegen Kolb war gar kein so karnevalistischer Beitrag: Über Eis zu reden, entspricht zutiefst der Kompetenz von jemandem, der auch ansonsten in seinen sozialpolitischen Vorstellungen eiskalt ist. ({0}) Wer hier die Tarifautonomie lobt, aber noch vor wenigen Monaten gefordert hat, dass von Tarifverträgen abgewichen werden können soll; wer es zulassen will, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Dumpinglöhnen Konkurrenz machen; ({1}) wer über Armut im Alter redet, aber nicht dafür sorgen will, dass die Menschen im Arbeitsleben ein anständiges Einkommen haben - das doch die Voraussetzung für eine sichere Rente ist -, der ist eiskalt, der hat Ahnung von Eis. Das haben Sie bewiesen. ({2}) Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts gibt uns, auch wenn es sein mag, dass sich einige das wünschen, keinen Anlass zur Unruhe. Die Mindestlohnverordnung für Briefdienstleister ist weiterhin in Kraft, und wir sind davon überzeugt, dass wir bei der Berufung für die Bestätigung unserer Rechtsauffassung sehr gute Argumente vorbringen können. ({3}) Wir setzen unsere Arbeit am Arbeitnehmer-Entsendegesetz und am Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen fort. ({4}) Es gibt keinen Grund, unsere Vorhaben aufzuhalten. Das Verwaltungsgericht in Berlin hat am vergangenen Freitag die Auffassung vertreten, dass die Mindestlohnverordnung die Kläger in ihrer Koalitionsfreiheit und Berufsausübungsfreiheit verletzt. Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. ({5}) Erst dann kann konkret ausgewertet werden, warum das Gericht zu diesem Urteil gekommen ist. Eines ist allerdings schon jetzt offensichtlich: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts widerspricht der Rechtsprechung oberster Bundesgerichte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind die Klagen gar nicht zulässig, weil zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Klägern kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht. Das Bundesarbeitsgericht hat inhaltlich bislang stets die Einführung von branchenbezogenen Mindestlöhnen auf der Grundlage von Tarifverträgen für zulässig erklärt. Es hat ausdrücklich bestätigt, dass Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingende Mindeststandards für die gesamte Branche setzen können. Ebenso wurde klargestellt, dass von solchen Mindeststandards weder durch Arbeitsvertrag noch durch Tarifvertrag nach unten abgewichen werden kann, und zwar weder von einem deutschen Arbeitgeber noch von einem ausländischen Arbeitgeber, der Arbeitnehmer nach Deutschland entsendet. Wir haben sofort Berufung gegen das Urteil eingelegt. Auf die Mindestlohnverordnung hat die Entschei15814 dung keine unmittelbaren Auswirkungen. Sie bleibt weiterhin in Kraft. ({6}) Wir wollen unseren Weg branchenspezifischer Mindestlöhne weitergehen. ({7}) Erlauben Sie mir - auch zur Erinnerung - einige grundsätzliche Bemerkungen. Die Koalition hat sich im Sommer 2007 auf ein Konzept für branchenbezogene Mindestlöhne auf der Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes verständigt. Für alle standen dabei tarifvertragliche Lösungen im Vordergrund. Der Gesetzgeber hält sich zurück, während Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die für eine Branche angemessenen Arbeitsbedingungen aushandeln. Die gewerkschaftliche Organisation und Verhandlungsstärke stellen dabei sicher, dass Arbeitnehmerinteressen bei der Lohnfindung ausreichend Berücksichtigung finden. Wer jetzt fordert, der Staat solle die zu erstreckenden Tarifverträge auf ihre inhaltliche Angemessenheit kontrollieren, fordert eine Tarifzensur. Das lehnen wir ab. ({8}) Unterbietende Tarifverträge können im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes keine Wirkung entfalten. Sonst würde der Grundgedanke des Gesetzes, einheitliche Mindeststandards zu setzen, nicht zum Tragen kommen. Auch in der Briefdienstleistungsbranche ist die Koalition den Weg der Branchenlösung zur Sicherung angemessener Löhne gegangen. Der Deutsche Bundestag hat daher im letzten Jahr die Erweiterung des ArbeitnehmerEntsendegesetz auf diese Branche beschlossen und den Weg für die Festsetzung eines tariflichen Branchenmindestlohnes freigemacht. Er hat sich dabei auch mit der Rechtsverordnung und dem zugrunde liegenden Tarifvertrag befasst. Dieses Parlament kannte den Posttarifvertrag und wollte, dass er für allgemein verbindlich erklärt wird. Die Entscheidung für einen solchen Mindestlohn bringt es zwingend mit sich, dass ein Wettbewerb zu darunter liegenden Löhnen ausgeschlossen ist. Dies gilt es nun zu verteidigen, auch in zweiter Instanz. Zu dem Zwischenruf: Ich halte es für keine besonders pfiffige Geschäftsidee, Unternehmen auf Lohnzahlungen aufzubauen, die auch auf Zahlungen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als ergänzendem fehlenden Lohnbestandteil basieren. ({9}) Wer sich vorschnell über das Urteil freut, der sollte sich auch der möglichen Konsequenzen bewusst sein, die vielen nicht gefallen dürften. Wir haben in der Koalition vereinbart, branchenspezifische Mindestlöhne zu ermöglichen, um einen Lohndumpingwettbewerb zu verhindern. Wenn dieser Weg nicht mehr gangbar wäre, dann bliebe als einzige Alternative, doch noch das politische Ziel dieser Koalition zu erreichen, ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. ({10}) Dass einer der Koalitionspartner an einer solchen Regelung kein Interesse hat, ist allseits bekannt. Deswegen ist es nur konsequent, dass sich auch der Vorstand der CDU/CSU hinter die Berufung gestellt hat, die wir am Freitag eingelegt haben. Trotzdem sage ich an dieser Stelle schönen Dank dafür. Alle im Parlament müssen wissen: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Umsetzung des Koalitionsbeschlusses zum Mindestlohn haben. Am Freitag ist die Frist zur Stellungnahme zu den Entwürfen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes abgelaufen. Wir werden die Anmerkungen jetzt auswerten und die Ressortabstimmung fortsetzen. Dabei muss allen klar sein, dass die Vereinbarungen der Koalition aus dem vergangenen Jahr nicht verhandelbar sind. Allen muss ebenso klar sein, dass wir diese Vorhaben weiter voranbringen werden, und zwar im Interesse aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit ist auch klar: Mindestlohnfragen sind keine Winterfragen und keine Sommerfragen, sondern Ganzjahresfragen; denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land wollen für gute Arbeit über das Jahr auch einen guten Lohn haben. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kolb, die FDP ist doch auf der Suche nach neuen Koalitionspartnern. Das kann man allenthalben lesen und hören. ({0}) Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihrer bockbeinigen Politik zum Mindestlohn und Ihrer Sozialpolitik des kalten Herzens wird das nicht einfacher. Hier müssen Sie sich schon ein bisschen bewegen; das kann ich Ihnen nur raten. Die Union ist in Sachen Mindestlohn tief gespalten. Herr Brauksiepe, darüber kann auch Ihre Rede nicht hinBrigitte Pothmer wegtäuschen. Sie versuchen, falsche Tatsachen vorzuspiegeln. Das lässt sich bei der Lektüre der Pressemitteilungen eindeutig verfolgen. Die CDU-Spitze und Frau Merkel haben sich, wenn auch verhalten, hinter den Postmindestlohn gestellt. Das hat Herrn Glos wahrlich nicht besonders beeindruckt. Auch Herr Meyer hat sich als Repräsentant des Wirtschaftsflügels dadurch nicht den Mund verbieten lassen. Herr Glos hat dieses Urteil als einen Sieg gegen den Mindestlohn gefeiert. Daher kann man nicht darüber hinwegsehen, dass es in dieser Frage in der CDU keine gemeinsame Linie gibt. Ganz offensichtlich sind die Koalitionsabsprachen das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. ({1}) Bei der Auseinandersetzung, die jetzt geführt wird, geht es in Wahrheit gar nicht um das Berliner Urteil. Dieses Urteil wird instrumentalisiert. Herr Brauksiepe, sagen Sie einmal ehrlich, warum in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren ein Urteil einbezogen werden soll, das höchst fragwürdig und nicht rechtskräftig ist. Welche Vorstellungen haben Sie denn von Gesetzgebungsverfahren? ({2}) In Wirklichkeit geht es um eine fundamental unterschiedliche Bewertung des Themas Mindestlohn. Es geht nicht um irgendeine tarifliche Festlegung, sondern grundsätzlich um die Frage des Sozialstaatsverständnisses. Wenn der Wirtschaftsaufschwung, wie es derzeit der Fall ist, bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht ankommt, wenn die Gewinnausschüttung bei den 30 DAX-Unternehmen in diesem Jahr um 20 Prozent auf 28 Milliarden Euro angestiegen ist und wenn gleichzeitig die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Reallohnverluste in Höhe von 1,2 Prozent zu verzeichnen haben, dann kann man sich hier nicht hinstellen und sagen: Beim Mindestlohn braucht die Regierung nicht tätig zu werden. ({3}) Bei den 1,2 Prozent Reallohnverlust handelt es sich um einen Durchschnittswert. Die unteren Einkommen haben überproportional verloren. Herr Kolb, nichtsdestotrotz stellen Sie sich hier hin und reden gegen einen Mindestlohn. ({4}) - Entschuldigung, in vielen europäischen Ländern ist es bewiesen, dass ein Mindestlohn die Probleme löst sowie zusätzliche und bessere Arbeitsplätze schafft. ({5}) Ein Mindestlohn ist eine Art Unterpfand dafür, dass die Gesellschaft es mit dem Sozialstaatsgebot und der sozialen Gerechtigkeit ernst meint. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Die Große Koalition hat dieses große Gerechtigkeitsthema an den Rand des Abgrundes bugsiert; das muss man einfach feststellen. ({6}) Sie hat sich in dieser Sache durch ihr Gezänk, durch falsche Zusagen, die nicht eingehalten worden sind, und durch eine grundsätzliche Unfähigkeit zur Einigung disqualifiziert. ({7}) Ich kündige Ihnen deshalb an, dass wir diese Verschleppungstaktik nicht weiter mitmachen werden. Wenn Sie nicht subito diese Gesetzentwürfe selber einbringen, dann werden wir es an Ihrer Stelle tun ({8}) und im parlamentarischen Verfahren herausfinden, ob es Probleme gibt. ({9}) Diese Probleme werden dann identifiziert und, wenn nötig, ausgeräumt werden. Anschließend werden wir hier im Bundestag sehen, wo die parlamentarischen Mehrheiten in Sachen Mindestlohn zu finden sind. ({10}) Dann kommt es zum Schwur über das Wohl und Wehe der sozialen Marktwirtschaft. Die Union brüstet sich immer damit, quasi Geburtshelfer der sozialen Marktwirtschaft gewesen zu sein. Ich sage Ihnen eines: Derzeit gebärden Sie sich mehr als Totengräber der sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhard, der arme Knabe, würde sich im Grabe umdrehen. Ich danke Ihnen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Gerald Weiß das Wort. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Frau Pothmer ist eine ernst zu nehmende Diskussionsteilnehmerin. Deshalb verdient sie noch etwas Aufklärung. Dies gilt für die FDP allemal, Herr Dr. Kolb. Sie haben gesagt, Herr Dr. Brauksiepe habe ein nicht rechtskräftiges Urteil instrumentalisiert. Er hat selbst davon gesprochen, dass es nicht rechtskräftig sei. Urteilsschelte ist jetzt nicht angezeigt, auch nicht Spekulationen oder ein früher und falscher Triumph. ({0}) Der Mindestlohn für Briefdienste bleibt intakt. Alle früheren Verordnungen auf Basis des ersten Mindestlohngesetzes, das es in Deutschland gab, des Blüm’schen von 1995, dem auch die Partei von Herrn Dr. Kolb zugestimmt hat ({1}) - Sie nicht, aber Ihre Partei -, bleiben in Kraft. Aber Brauksiepe hat doch recht, wenn er sagt: Wenn das Urteil jetzt eine Wirkung haben kann, dann ist es die: Im Hinblick auf die jetzt in Arbeit befindlichen Gesetze zum Mindestlohn - das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf der einen und das Mindestarbeitsbedingungengesetz auf der anderen Seite - muss es das Signal geben, dass wir glasklare, eindeutige und rechtlich unzweifelhaft belastbare Normen schaffen. Daraus ist eine gewisse Folgerung für die Gesetzgebungsarbeit ganz in dem Sinne zu ziehen, wie es die Koalition beschlossen hat: Sie hat beschlossen, dass wir für alle nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz künftig fixierten Mindestlöhne zweifelsfrei klären, dass sie für Tarifverträge von Ausländern wie von Inländern gelten. Wäre dies infrage gestellt - ich mache einmal dieses Gedankenspiel -, könnten wir uns die gesamte Gesetzgebung im Zusammenhang mit dem Entsendegesetz schenken. Dann wären wir nicht bei der Problemlösung, sondern beim Kern des Problems, weil wir ruinöse Dumpinglöhne und schmutzigen Wettbewerb in Deutschland nicht beherrschen könnten. ({2}) Aber dafür sind die Entsenderichtlinie und das Entsendegesetz doch gemacht. Jetzt werden wir ein novelliertes und modernisiertes Entsendegesetz gestalten. Wenn Tarifverträge Vorfahrt vor den Festlegungen nach dem Entsendegesetz und vor dem Mindestlohn hätten, dann kämen morgen ein rumänischer Tarifvertrag, übermorgen ein tschechischer und überübermorgen ein polnischer zum Zuge. Wir hätten dann genau das, was wir nicht wollen: Dumpinglohnwettbewerb in Deutschland. Das wollen wir verhindern. ({3}) Wir geben eine differenzierte Antwort auf ein differenziertes Problem. Wir wollen den Mindestlohn nicht über die ganze Volkswirtschaft spannen. Die Chemie braucht ihn nicht, der Maschinenbau und die Pharmazie auch nicht. Aber es gibt arbeits- und wettbewerbsintensive Dienstleistungsbranchen, in denen die Balance verrutscht ist und in denen nicht zuletzt die Politik Bedingungen gesetzt hat, die dazu geführt haben, dass es heute im Grunde genommen kein Machtgleichgewicht mehr zwischen denen gibt, die die Verhandlungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Da muss der Staat ordnend eingreifen. Ich füge hinzu: Wir wollen die Wettbewerbsordnung gestalten, nicht den Wettbewerb beschränken. Wir wollen einen fairen Wettbewerb herstellen, aber wir wollen ihn nicht zerstören. Herr Dr. Kolb, wir wollen Beschäftigung stabilisieren. Lesen Sie einmal die angloamerikanische Literatur genau zu diesem Problem. Wir wollen Arbeitsplätze nicht gefährden, sondern Beschäftigung stabilisieren, weil zum Beispiel die deutschen Handwerksbetriebe gefährdet wären, wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen ließen wie bisher. ({4}) Wir wollen die freie Lohnfindung durch die Tarifparteien nicht durch Maßnahmen des Staates ersetzen. Wir wollen ihr gerade wieder Geltung verschaffen, die Tarifautonomie also nicht schwächen, sondern sie stärken. Das ist angesagt, und deshalb legen wir diese beiden Gesetzentwürfe vor. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Gudrun Kopp das Wort. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Nach den durchweg sozialdemokratischen Rednern aus den Koalitionsfraktionen ({0}) wird es Zeit, den Blick genau auf das Problem zu lenken. Es kommt nämlich nicht darauf an, größte Wohltaten zu verteilen, sondern darauf, zu sagen, was eigentlich eiskalt ist. ({1}) Wir als FDP-Bundestagsfraktion empfinden es als eiskalt, dass es Ihnen egal ist, wenn bei den Wettbewerbern der Deutschen Post AG 1 800 Arbeitsplätze konkret in Gefahr sind. ({2}) Nehmen Sie einfach einmal zur Kenntnis, dass der Durchschnittsmindestlohn in Europa bei etwa 3,50 Euro liegt. ({3}) Dabei gibt es flexible Arbeitsmarktregeln. Aber das soll für uns doch überhaupt kein Maßstab sein; ({4}) wir möchten vielmehr ein auskömmliches Mindesteinkommen, ({5}) aber keine Mindestlöhne, weil wir davon überzeugt sind, dass Mindestlöhne marktwirtschaftlich maximaler Unsinn sind, weil sie Arbeitsplätze kosten. ({6}) Wir werden nicht müde zu betonen, dass endlich der wirtschaftliche Sachverstand Einzug halten sollte. Ich fand schon interessant zu lesen, was Bundeswirtschaftsminister Glos gesagt hat ({7}) - er wurde eben schon einmal zitiert -, als das Urteil bekannt wurde. Er hat nicht nur gesagt, das sei ein Sieg für den Wettbewerb, sondern er hat auch gesagt, das Urteil zeige, dass Mauscheleien vor Gericht keinen Bestand hätten. Ich kann Ihnen nur sagen: An diesen Mauscheleien und an der Wettbewerbsverhinderungspolitik war die Union entscheidend beteiligt. Jetzt schlägt sie sich in die Büsche ({8}) und versucht, darzustellen, dass einige nicht daran beteiligt waren. Mit Blick auf die Deutsche Post AG ist dieser weltweit höchste Mindestlohn von 9,80 Euro Ausdruck einer reinen Günstlingswirtschaft. ({9}) Es handelt sich um eine reine Sicherung des Postmonopols. Das kann nicht das Anliegen von uns allen hier im Deutschen Bundestag sein. ({10}) Ich will Ihnen kurz darstellen, dass die PIN Group für das Jahr 2008 mit Mehrkosten von 35 bis 45 Millionen Euro wegen dieses Postmindestlohns rechnet. Sie wissen, dass die 120 Einzelgesellschaften mit ihren 11 000 Mitarbeitern ums Überleben am Markt ringen und kaum einen Fuß auf die Erde bekommen. Überhaupt noch keine Rolle gespielt hat am heutigen Tag ein weiterer Vorteil, den der Monopolist Deutsche Post AG hat: Das ist die Mehrwertsteuerbefreiung. ({11}) Das ist ein weiterer Faktor, der wettbewerbsverzerrend wirkt, und zwar in großem Stil. ({12}) Sie müssen bedenken, dass Banken, öffentliche und private Körperschaften - Kommunen, Stiftungen und Kirchen - sowie Privatverbraucher nicht vorsteuerabzugberechtigt sind; sie machen 50 Prozent des gesamten Briefaufkommens aus. Das bedeutet für den Staat einen großen Steuerausfall. ({13}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung gefragt, wie hoch dieser Steuerausfall zu beziffern sei. Es wäre doch interessant, zu wissen, wie hoch die Steuereinnahmen sind, auf die der Staat zugunsten der Deutschen Post AG verzichtet. ({14}) Unser Finanzexperte Dr. Hermann Otto Solms hat zur Antwort bekommen, dass die Bundesregierung darauf keine Antwort geben könne, weil das dem Steuergeheimnis unterliege. ({15}) Das finde ich sehr interessant: Die Bundesregierung bemüßigt sich nicht einmal, diese wichtige Frage zu beantworten. ({16}) Es gibt aber ein WIK-Gutachten, das die Summe des Steuerausfalls mit 500 Millionen Euro beziffert. Ich finde, das ist eine Größenordnung, die nicht zu vernachlässigen ist. ({17}) - 500 Millionen Euro pro Jahr. ({18}) Deshalb fordern wir Sie auf, das Mindestlohndiktat zu beenden. ({19}) Wir fordern Sie auf, den Mitbewerbern am Postmarkt eine Chance zu geben, sich mit ihren Beschäftigten überhaupt auf dem Markt zu positionieren; das geht nur ohne den Monopolschutz, den Sie mit dem Postmindestlohn erwirkt haben. Wenden Sie von diesen Unternehmen Schaden ab! Wischen Sie nicht deren Klagen vom Tisch! Sehen Sie vor allem bei diesem Urteil von einer Berufung ab! Sorgen Sie dafür, dass der Wettbewerb eine Chance hat! ({20}) - Das Gelächter zeigt natürlich, dass es bis auf die Fraktion der FDP keine Fraktion im Deutschen Bundestag gibt, die überhaupt noch weiß, was soziale Marktwirtschaft und Wettbewerb bedeuten. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kopp, kommen Sie bitte zum Schluss.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Andrea Nahles das Wort.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich erschreckend, dass die FDP die Zeichen des Klimawandels heute wieder massiv falsch einschätzt; ({0}) denn keinesfalls bewegt sich die Große Koalition mit ihren Plänen für einen Mindestlohn auf dünnem Eis, sondern das tun die Gegner der Mindestlohnregelung. Man muss sich nur die Headlines der Wirtschaftsteile in den Zeitungen der Republik anschauen: ({1}) Berliner Handwerker fürchten Lohndumping Zwei Drittel der Betriebe sprechen sich für gesetzliche Untergrenzen aus. Im Handelsblatt steht: Die meisten Top-Manager aber lässt das Thema kalt. Vier von fünf Führungskräften sagen: Gesetzliche Lohnuntergrenzen haben keine Konsequenzen für Unternehmen. ({2}) Ja, wo ist denn das Tauwetter, von dem Sie reden? Offensichtlich herrscht bei den Gegnern der Mindestlohnregelung Tauwetter. Ihre Angstmache im Hinblick auf einen möglichen Arbeitsplatzverlust ist völlig unangebracht. Die Arbeitgeber selber wollen in Wirklichkeit faire Wettbewerbsregeln. Das ist Fakt. ({3}) Ich freue mich, dass wir in der Großen Koalition Marktwirtschaft, Wettbewerb und Mindestlohn zusammenbringen. Wir haben das schon im letzten Sommer getan. Im Originaltext der Koalitionsvereinbarung heißt es: Die Gewährleistung einer fairen und angemessenen Bezahlung ist ein Gebot der Menschenwürde, aber auch der wirtschaftlichen Vernunft. Genau dieses Argument scheint mittlerweile Urstände zu feiern. Ich möchte auf ein zweites Argument von Ihnen eingehen, das sich auf die Regelungen bezieht, die vom Gericht kritisiert wurden; es liegt zwar kein rechtsgültiges Urteil vor, aber man muss sich - da gebe ich Gerald Weiß vollkommen recht - natürlich damit beschäftigen. Bereits heute dürfen tarifliche Mindestlöhne, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, nicht durch andere Tarifvereinbarungen unterboten werden. Genau das muss auch in Zukunft gelten. Das ist vom BAG in Urteilen mehrfach bestätigt worden. Wir reden darüber, was wir in die Novelle zum Entsendegesetz hineinpacken sollen. Es kann nicht sein, dass am Ende darin steht: Es gilt immer nur der Tarifvertrag mit dem niedrigsten Lohnniveau. - Es müssen Kriterien vereinbart werden, die einen repräsentativen Tarifvertrag markieren. Ein repräsentativer Tarifvertrag ist dann der, der für allgemeinverbindlich erklärt wird. Genau das ist übrigens auch die Vereinbarung in der Großen Koalition. Deswegen warne ich an dieser Stelle Voreilige, durch ein nicht rechtsgültiges Gerichtsurteil motiviert, im Nachhinein Vereinbarungen über einen so zentralen Punkt infrage zu stellen. Das kann es nicht geben. ({4}) Die Gründe dafür, dass wir Mindestlohnregelungen vorschlagen - das ist für mich zentral -, sind nicht von der Hand zu weisen. Wir haben mittlerweile 4,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, die weniger als 7,50 Euro in der Stunde verdienen. Viele von ihnen müssen, obwohl sie vollschichtig arbeiten, zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen. Wer Arbeitslosengeld II einsparen will, dem biete ich eine gute Möglichkeit. Die Quersubvention von Dumpinglöhnen kostet uns 1,5 Milliarden Euro. Diese Summe können wir leicht einsparen, wenn wir in der Bundesrepublik Mindestlöhne durchsetzen. Genau das werden wir als weiteres Ziel verfolgen. ({5}) Ich denke, dass dies auch im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in unserem Land ist. Insoweit kann ich nur sagen - das ist vielleicht die wichtigste Botschaft, auch für die Menschen, die uns draußen zuhören -: Es handelt sich um ein nicht rechtsgültiges Urteil. Es gibt gute Gründe, die uns Hoffnung geben, dass es als nicht rechtsgültig bestätigt wird. ({6}) Deswegen gilt unsere Linie weiterhin, und wir müssen die folgende Botschaft ganz klar vermitteln: Es bleibt beim Postmindestlohn, und es werden weitere Branchen folgen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dagmar Enkelmann das Wort. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie gestatten, dass ich bei diesem Stand der Debatte doch ein kurzes Fazit ziehe: Erstens. Das Urteil des Verwaltungsgerichts macht sehr deutlich, dass der Weg über das Entsendegesetz nicht der glücklichste Weg ist und dass es auf keinen Fall der alleinige Weg sein kann. ({0}) Zweitens. Ich habe mit großem Erstaunen Ihre Reden, Kollege Weiß und Kollege Brauksiepe, zur Kenntnis genommen. Ich kann mich noch an ganz andere Reden von Ihnen erinnern. Sie haben offenkundig dazugelernt. Es ist ja auch gar nicht schlecht, dazuzulernen. Sozialdemokratisch, Frau Kopp, war das allerdings noch lange nicht. Dafür muss wahrscheinlich noch ein bisschen mehr getan werden. ({1}) Drittens. Der Arbeitsminister - das sollte man so deutlich sagen, Kolleginnen und Kollegen von der SPD - befindet sich auf dem Holzweg, wenn er glaubt, damit in der Bundesrepublik flächendeckend existenzsichernde Löhne durchsetzen zu können. Das ist genau nicht der Weg. Dazu brauchen wir einen gesetzlich garantierten Mindestlohn. ({2}) Den schaffen wir auf dem von ihm vorgesehenen Weg nicht. Ich will auf ein paar Fakten aufmerksam machen. 6,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten zu Niedriglöhnen. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland haben ein Einkommen, das um 50 Prozent unter dem Durchschnittslohn liegt - 2,5 Millionen! Seit 1995 ist die Zahl dieser Menschen um 43 Prozent gestiegen. Es ist also ein gravierender Lohnverfall zu verzeichnen. Es gibt eine gravierende Zunahme der Zahl von Menschen, die unter unwürdigen Arbeitsbedingungen tätig sind. ({3}) - Ach, hören Sie damit doch einmal auf! Das ist langsam abgegriffen. ({4}) Es ist auch eine Tatsache, dass es sich dabei in der Mehrheit nicht um Menschen handelt, die keine Berufsausbildung haben. 60 Prozent derer, die zu Niedriglöhnen arbeiten, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein Problem dabei ist auch: Wenn man einmal im Niedriglohnbereich ist, kommt man nur sehr schwer wieder heraus. Deshalb ist darüber zu reden: Was bedeutet das in der Konsequenz zum Beispiel für die Alterssicherung der Betroffenen? Eines macht diese Debatte aber auch deutlich: In diesem Haus gibt es sehr wohl eine politische Mehrheit, nämlich eine politische Mehrheit für einen gesetzlich garantierten Mindestlohn. ({5}) Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, gebt endlich eure Blockadehaltung auf! Sorgt im Interesse der Betroffenen endlich dafür, dass wir gemeinsam die politische Mehrheit, die es hier gibt, auch in Politik umsetzen! ({6}) Die Linke hat Ihnen inzwischen dreimal Vorschläge vorgelegt. Die haben Sie tapfer abgelehnt. Wenn Sie es wirklich ernst mit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Linken meinen, dann sollten Sie endlich damit anfangen. Der Mindestlohn ist ein Thema, das wir gern dafür wählen. Unterschriftenkampagnen im Wahlkampf sind kein Ersatz für Politik, schon gar nicht für verlässliche und seriöse Politik. Politik wird hier in diesem Bundestag gemacht und nicht auf den Marktplätzen. ({7}) - Wir werden uns garantiert wieder sprechen. Ich freue mich sehr auf die Auseinandersetzung im nächsten Wahlkampf. Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land doch einmal, warum das, was in 20 EUStaaten geht, nämlich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, ausgerechnet in Deutschland nicht geht. ({8}) - Sie wissen sehr wohl, dass das nicht stimmt. Ich kann Ihnen gern die Liste zeigen. ({9}) Es ist also eine Mär, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Das haben andere europäische Staaten bewiesen. Es gibt unter anderem von Verdi Berechnungen, dass im Gegenteil sogar Arbeitsplätze geschaffen werden können. Verdi geht von etwa 70 000 Arbeitsplätzen aus, die so geschaffen werden könnten. Die Linke fordert einen dualen Mindestlohn. Das ist von meinem Kollegen schon erklärt worden. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist die Untergrenze. Dort, wo in anderen Branchen tatsächlich höhere Mindestlöhne vereinbart wurden, sind diese gesetzlich zu sanktionieren. Wir wollen eine stufenweise Einführung. Wir wollen zeitlich befristete begleitende Maßnahmen, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Analog zu Großbritannien wollen wir einen Mindestlohnrat, der sich aus Vertretern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften zusammensetzt. Dieser Rat soll Empfehlungen für die Entwicklung des Mindestlohns und für eine jährliche Anpassung des Mindestlohns abgeben. In Sachen Mindestlohn ist es längst fünf nach zwölf. Handeln Sie! Von Arbeit muss man leben können. Ich denke, das ist sehr zeitgemäß. Danke. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Paul Lehrieder das Wort. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten Wochen haben uns - was Koalitionsmöglichkeiten und Ampeln aller Farbkombinationen angeht - ziemlich abgehärtet. ({0}) Aber dass Linke und Liberale in trauter Zweisamkeit eine Aktuelle Stunde beantragen, ist eine Variante mit Fantasie. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, machen Sie sich trotzdem keine Hoffnungen. FDP und Linke sind aus gutem Grund im Plenum weit voneinander getrennt; ({2}) und natürlich nicht nur hier, sondern auch inhaltlich. Danke, Herr Kolb, Sie kennen meine Rede. Die Linke will den Mindestlohn für alle und jeden zu überhöhten Preisen. Die Liberalen halten ihn für Teufelszeug. In der Mitte die Grünen, dir uns vorwerfen, wir hätten bis jetzt noch nichts Vernünftiges zustande gebracht. Liebe Frau Pothmer, Sie haben sieben Jahre mitregiert. Sie haben in diesen sieben Jahren keinen einzigen Mindestlohn eingeführt. ({3}) Alle Mindestlöhne in Deutschland sind unter Mitwirkung der Union zustande gekommen. Ob man darauf stolz ist oder das zum Teil bedauert, muss jeder selbst sehen. ({4}) Meine Damen und Herren, beides ist nicht realitätstauglich. Echte Politik muss gestalten und auch lernen können. Das zeigt sich gerade an der Mindestlohndebatte und auch an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin zum Post-Mindestlohn. Das Bundesministerium für Arbeit hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin Berufung eingelegt. Auch wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts möglicherweise am Ende keinen Bestand haben sollte, so können auf diese Weise auch im Sinne der Tarifautonomie Fragestellungen geklärt werden, die bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Frau Pothmer, im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Auffassung, dass die Erwägungen in einem Rechtsverfahren - in einem Verfahren der Gerichte - sehr wohl auch für uns zur Aufklärung beitragen können und dass man diese Erwägungen mitberücksichtigen sollte. Schauen wir uns das Urteil und seine bereits bekannten Gründe zunächst in Ruhe an: Laut Entsendegesetz werden von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag grundsätzlich nur jene Arbeitnehmer und Arbeitgeber erfasst, die unter diesen Tarifvertrag fallen oder nicht anderweitig tariflich gebunden sind. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kannte das Problem der konkurrierenden Gewerkschaften noch nicht. Tarifkonkurrenz war damals noch kein Thema. Der Entwurf zur Änderung des Entsendegesetzes sieht nunmehr nach dem sogenannten Repräsentationsprinzip vor, denjenigen Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären, der die meisten Arbeitnehmer organisiert. Große Gewerkschaften würden so allerdings begünstigt, kleinere an die Wand gedrängt. Hier ist sorgfältig zu prüfen, ob dies mit der Tarifautonomie und insbesondere mit Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes noch vereinbar ist, werden doch autonom getroffene Vereinbarungen zwischen Tarifparteien durch derartige Bestimmungen überlagert und ausgehebelt. Eine abschließende und grundsätzliche Klärung dieser Fragen halte ich deshalb für dringend erforderlich. Auf dieser Grundlage können dann von der Politik neue Schlüsse gezogen werden. Der neue Entwurf zum Entsendegesetz ist zwar auf einem guten Weg. Da er sich aber noch in der Abstimmung zwischen den Ministerien befindet, ist er natürlich auch noch verbesserungsfähig. ({5}) Ich bin deshalb sicher, dass alles getan werden wird, mit der jetzigen Situation vergleichbare rechtliche Komplikationen, etwa bei der Einbeziehung der Zeitarbeit, zu vermeiden. Sicherlich müssen wir auch hier eine Lösung für das Problem der Tarifkonkurrenz finden. Das wird uns das Verfahren mit Sicherheit als Hausaufgabe mitgeben, dass wir dieses Problem vernünftig lösen, bevor wir weitere Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz einbeziehen. Das ändert aber am Sinn des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und an der Aushandlung tariflicher Mindestlöhne nichts. ({6}) Für die Union haben der Schutz der Tarifautonomie und fairer Wettbewerb Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung. Es ist auch unser Ziel, mit dem bisherigen Vorgehen in Bezug auf tarifliche Mindestlohnvereinbarungen die Tarifpartner zu stärken. Wir wollen sie nicht ersetzen. Herr Dreibus, da Sie hier vorhin einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verlangt haben, weise ich darauf hin, dass vor wenigen Stunden hier im Rahmen der Fragestunde Ihre Kollegen Alexander Ulrich und Diether Dehm die Tarifautonomie im Fall der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter anderem zu den Fällen Viking und Vaxholm reklamiert haben. ({7}) Das heißt, auf der einen Seite verlangen Sie Tarifautonomie; auf der anderen Seite sagen Sie, die Tarifvertragsparteien könnten das nicht regeln, wir als Gesetzgeber müssten das machen. Das passt nicht zusammen. ({8}) Meine Damen und Herren, wir fühlen uns der Tarifautonomie verpflichtet. Wir müssen gründlich prüfen, ob die Bedingungen für tarifliche Mindestlöhne tatsächlich erfüllt sind. Dazu gehört zunächst das Kriterium, nach dem mindestens 50 Prozent der Beschäftigten von der Tarifregelung abgedeckt sein müssen. Ich lege ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass es hier um tariflich vereinbarte Löhne und nicht um einen vom Bundesgesetzgeber oder von einer wie auch immer gearteten Kommission festzulegenden flächendeckenden Lohn geht. Wenn Sie immer das Beispiel Frankreich bringen, müssen Sie auch berücksichtigen: In Frankreich ist der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn mit 8,44 Euro nur deshalb von allen Unternehmen zu zahlen, weil der Staat den Unternehmen immerhin circa 20 Milliarden Euro zuschießen kann, sodass zu diesen Konditionen auch geringfügig Qualifizierte eingestellt werden können. Auch das sollte man den Leuten ehrlicherweise sagen. Wir müssen im Blick behalten, dass das Instrument Arbeitnehmer-Entsendegesetz einerseits der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern und andererseits der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen soll. Lassen Sie uns deshalb in der Großen Koalition mit allem Sachverstand vernünftig daran weiterarbeiten, bevor wir Schnellschüsse machen, die wir vielleicht bereuen. Herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Josip Juratovic das Wort. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir bitte, jenen, die über das Gerichtsurteil zum Mindestlohn jubeln, ein paar Aspekte zum Nachdenken zu geben. Zunächst eine Feststellung: Niedriglöhne schaden in vielerlei Hinsicht unserer Volkswirtschaft. Niedriglöhne schwächen den Wettbewerb, da ordentliche, innovative Betriebe durch Lohndumping unterboten werden und damit gutbezahlte Arbeitsplätze wegfallen. Diese guten Betriebe können damit bis in die Insolvenz getrieben werden, weil sie mit den Billiglohnbetrieben nicht mithalten können. Andererseits sind in Billiglohnbetrieben die Fachkräfte so demotiviert, dass die Qualität nachlässt und somit wiederum auch diese Betriebe Aufträge verlieren. Solch ein Wettbewerb, der nicht auf Innovation, sondern auf Unterbieten und Lohndumping baut, hemmt unsere Wirtschaft und den Fortschritt. ({0}) Die Zukunft unserer Wirtschaft darf nicht durch „billig“, sondern muss durch „günstig“ bestimmt werden, durch Innovation, Organisation, Geschäftssinn und Qualität durch zufriedene Arbeitnehmer. Konkurrenzfähigkeit durch Hungerlöhne ist kein Zeichen von Geschäftstüchtigkeit, sondern von massiver Ausbeutung. Ja, es gibt ein paar Arbeitgeber, die die Meinung vertreten, dass ein gesetzlicher Mindestlohn zu Beschäftigungseinbrüchen führen würde. Diese Befürchtung teilen nicht nur kleine Betriebe, sondern auch einige Großunternehmen. Einige haben ihre Konkurrenzfähigkeit unter anderem durch eine Mischkalkulation gesichert, der wiederum Dumpinglöhne bei Zulieferern zugrunde liegen. Doch diese Befürchtung ist unbegründet. Der gesetzliche Mindestlohn trifft alle gleich, und außerdem steigt durch einen Mindestlohn die Kaufkraft. Gerade im Niedriglohnbereich fließt jeder Euro direkt in den Konsum. Dies stärkt den ohnehin schwachen Binnenmarkt. ({1}) Es wurde schon erwähnt: Die meisten Handwerker haben bereits erkannt, dass ein Mindestlohn für sie Vorteile bringt. Im kommenden Jahr soll der deutsche Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa geöffnet werden. Nur die Einführung allgemein verbindlicher Mindestlöhne kann verhindern, dass die Arbeitnehmer aus diesen Ländern für extrem niedrige Löhne bei uns arbeiten. ({2}) In Großbritannien dürfen bereits heute Arbeitnehmer aus diesen neuen EU-Ländern arbeiten. Großbritannien hat, wie die meisten anderen EU-Staaten, einen Mindestlohn eingeführt. Die Mindestlohnkommission in Großbritannien beschreibt in ihrem letzten Bericht, dass der Mindestlohn eine Erfolgsstory ist. Durch Mindestlöhne werden weder Arbeitsplatzabbau noch Arbeitsplatzflucht begründet. Wohin soll denn der Arbeitsplatz des Friseurs, der Floristin oder der Bedienung im Restaurant verlagert werden? Es geht doch hauptsächlich um Dienstleistungen, die in unserem Land, vor unserer Haustür, erbracht werden. Mindestlohn bedeutet auch mehr Einkommen und somit bessere Leistungen unserer maroden Sozialversicherungssysteme. Gerade die Rentner müssen zum wiederholten Male um ihre Rentenerhöhung bangen, weil die Lohnzuwächse durch Niedriglöhne zu gering ausfallen werden und die Rentenerhöhung von durchschnittlichen Lohnzuwächsen abhängig ist. Nicht zuletzt hat der Mindestlohn auch etwas mit der Menschenwürde zu tun. Der Lohn ist nicht nur Wertschätzung der geleisteten Arbeit, sondern er ist auch mit Wertschätzung für die Menschen verbunden. Womit verdient ein Manager das Hundertfache des Lohns eines Facharbeiters? Gerade im Niedriglohnbereich ist die Situation niederschmetternd. Über 1 Million Menschen in Deutschland gehen täglich zur Arbeit, schuften Stunde um Stunde in einem Vollzeitjob und müssen am Ende des Monats zum Sozialamt. Sie müssen trotz anständiger Arbeit betteln, um ihre Familien über die Runden zu bringen. So etwas darf nicht sein. Woher soll die Motivation dieser Arbeitnehmer für ihre Arbeit kommen, vor allem dann, wenn sie feststellen müssen, dass sie über Sozialleistungen mehr Geld als durch Arbeit erhalten? Dies ist beschämend für unser Land. Es ist Zynismus pur, die Armut von 2,6 Millionen Kindern zu beklagen, Steuergelder für die Leidminderung auszugeben und gleichzeitig ihre Eltern für einen Hungerlohn arbeiten zu lassen. ({3}) Deshalb ist es in unserem Land höchste Zeit, zu begreifen, dass der Mindestlohn keine Gefahr, sondern Ausdruck von Fairness und eine Chance für unsere Volkswirtschaft ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Laurenz Meyer für die Unionsfraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Thönnes, ich möchte zuerst Sie ansprechen und Folgendes klarstellen: Auch in der Unionsfraktion ist unbestritten, dass wir auf der Basis von Meseberg und auf der Basis der Koalitionsvereinbarungen die Dinge umsetzen werden. ({0}) Das ist, wie gesagt, unstrittig; das werden wir gemeinsam tun. Dies wird allerdings nicht - auch das ist klar auf der Basis der Entwürfe, die Sie bisher vorgelegt haben, geschehen. ({1}) Ich finde die nassforsche Art Ihres Vortrags nicht ganz passend. Mir tut es als Mitglied einer Fraktion, die die Regierung stützt, schon weh, wenn der Arbeitsminister bei seinem ersten großen Projekt zu schnell und überhastet agiert, statt zu prüfen, welche Situation sich auf der Basis eines neuen Tarifvertrages ergibt. ({2}) Das Parlament konnte dies nicht tun; denn er lag bei der Verabschiedung des Gesetzes noch nicht vor. Vor der Verordnung, die Sie erlassen haben, hätten Sie aber die Punkte, die jetzt beklagt werden, prüfen müssen. ({3}) Sie haben überhastet gehandelt. Jetzt dürfen Sie nicht so tun, als sei nichts gewesen. ({4}) Ich als Abgeordneter einer Regierungskoalition finde es nicht schön, dass einer unserer Minister vom Gericht bescheinigt bekommt, dass der Post-Mindestlohn nicht rechtmäßig ist. Der Postsektor ist übrigens ein ganz besonderer Bereich. Wir reden von sozialer Marktwirtschaft, wir reden von Managergehältern und wir reden von Liechtenstein. Aber wir reden nicht davon, dass das sozialpolitische Argument für die Einführung eines Mindestlohns zum Teil von Unternehmern missbraucht wird, um Wettbewerb zu verhindern und unsere soziale Marktwirtschaft auszuhebeln. ({5}) Es ist besonders pikant, dass bei der Post zwei von drei Faktoren, die ich eben genannt habe - Liechtenstein und Laurenz Meyer ({6}) die Verhinderung des Wettbewerbs -, zusammenkommen. Wenn in der Öffentlichkeit Tarifvertragsparteien in Zweifel gezogen werden - dies geschieht im Hinblick auf die Rechtsposition der von den Postwettbewerbern neu gegründeten Gewerkschaft -, dann kann man darüber durchaus diskutieren. Aber ich würde die Rechtsposition des Arbeitgeberverbandes Postdienste genauso in Zweifel ziehen. Das ist ein Arbeitgeberverband, der ausschließlich dazu da ist, die Monopolsituation der Post und ihrer Anhängsel zu unterstützen. ({7}) Wenn sich die Gerichte die Tariffähigkeit ansehen, dann sollten sie sich das Vorgehen auf allen Seiten anschauen. Ich halte es für pervers, dass ein Monopolunternehmen einen eigenen Arbeitgeberverband gründet und daraufhin die Konkurrenten ihre eigene Gewerkschaft gründen. Ich habe das hier schon einmal vorgetragen und bitte das Arbeitsministerium, das mit einzubeziehen. Es ist klar geworden - das will ich wiederholen -: Wir werden unsere Hand nicht dazu reichen, existierende Tarifverträge per Gesetzgebung zu brechen. Das ist doch die Position, die wir hier einnehmen. Sie ist anhand des jetzt vorliegenden Gerichtsurteils zu überdenken. Ich stelle fest: Wir sind für die Regelung in Bezug auf Mindestlöhne, so wie wir sie verabredet haben, um Dumpinglöhne und soziale Verwerfungen zu verhindern, die insbesondere durch Druck aus dem Ausland entstehen und zum Teil auch im Inland existieren. Aber das Entsendegesetz ist kein Mittel für Wettbewerbsregulierungen im Inland, sondern ein Mittel, um Dumpinglöhne von Unternehmen aus dem Ausland zu verhindern; das muss hier klipp und klar gesagt werden. ({8}) Frau Nahles, Sie haben gesagt - ich fand es toll, dass Sie das vorgetragen haben -: Vier von fünf Unternehmern und Arbeitgebern haben keine Angst vor Mindestlöhnen. - Dazu passt das Märchen, das gerade vorgetragen worden ist, dass in Deutschland flächendeckend zu niedrige Löhne bzw. Hungerlöhne gezahlt würden. Das ist ein Ammenmärchen, ({9}) wie uns die Bundesagentur für Arbeit in einem Gutachten gezeigt hat. Ganze 60 000 alleinstehende Vollbeschäftigte wären von dieser Mindestlohnregelung, von einem Mindestlohn von 7,50 Euro, betroffen. ({10}) Das sollte man einmal klarziehen. Alle anderen kommen nicht aus dem ALG-II-Bezug heraus. Vier von fünf Arbeitgebern haben aber deshalb keine Angst vor Mindestlöhnen, weil sie ordentliche Löhne zahlen. ({11}) Sonst wären wir auch nicht eines der teuersten Länder auf der Welt. Das muss man doch klar sagen, und das haben wir auch immer gesagt. ({12}) Was mir nicht gefallen hat - dies ist mein Resümee -, ist: Keine Rolle haben in dieser Debatte die Beschäftigten der Post-Konkurrenten gespielt, ({13}) die jetzt möglicherweise alle arbeitslos sind. Keine Rolle haben - übrigens auch bei der Linken nicht - die Unternehmen in Sachsen gespielt, die gerade gestern Konkurs haben anmelden müssen. Keine Rolle haben die Verbraucher gespielt, die anschließend höhere Preise zu zahlen haben. Keine Rolle haben diejenigen gespielt, die durch den Wettbewerb ausgehebelt werden sollen. Deswegen sage ich ganz klar: Auch in diesem Fall - Herr Thönnes, bitte richten Sie das Ihrem Herrn Minister aus - hat er aus meiner Sicht zu schnell reagiert. Er hätte sich erst einmal das Urteil durchlesen und es ordentlich prüfen sollen, damit er nicht wieder einen Fehler macht. Es muss doch möglich sein - ich trage hier meine persönliche Meinung vor -, für die Zeit bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung mit einem Mindestlohn der Konkurrenten von 7,50 Euro - nicht mit Hungerlöhnen - die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten ({14}) und zu verhindern, dass noch mehr Unternehmen kaputtgehen. Daher bitte ich die Bundesregierung, das vorliegende Urteil genau zu prüfen und sich zu überlegen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, weitere Konkurse in dieser Branche zu verhindern, bis die Gerichte dann endgültig entscheiden. Für die anstehenden Beratungen über das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz kann ich nur klipp und klar sagen: Hier geht auf alle Fälle Sorgfalt vor Schnelligkeit. So etwas darf uns nicht wieder passieren. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Kolb, ich bin mir sicher, dass Sie grundsätzlich für Fachlichkeit in der Debatte sind, wenngleich das, was Sie sich heute geleistet haben, schlichtweg ein Kolbenfresser war. ({0}) Ich bin grundsätzlich auch der Auffassung, dass Herr Laurenz Meyer sorgfältig Politik betreibt. ({1}) Zwar ist manche Debatte, die wir im Bundestag führen, kurios, aber die Debatte, die wir heute führen, ist schlichtweg nur skurril. Wie viele Abgeordnete haben an der neunstündigen Verhandlung des Berliner Verwaltungsgerichts teilgenommen? Wie viele Abgeordnete haben die mündliche Urteilsbegründung vernommen? Eine schriftliche Urteilsbegründung existiert bislang nicht. Die Pressemitteilungen sind dürftig und inhaltslos. ({2}) Wir führen im Moment eine Debatte über ein Urteil, gegen das Berufung eingelegt worden ist. ({3}) Wissen Sie, welchen Stellenwert dieses Urteil damit hat? Es hat den Stellenwert einer juristischen Meinungsäußerung - nicht mehr. Sie alle kennen den Spruch über Juristen, der immer wieder vorgetragen wird: Zwei Juristen, drei Meinungen. ({4}) Ich weiß, dass ich mich damit ein klein wenig spöttisch über meinen eigenen Berufsstand äußere. ({5}) An diesem Spruch ist aber durchaus etwas Wahres dran. ({6}) Was wir heute erleben, ist das Aufbauen eines Popanzes durch die Besserwisser und Marktradikalen einiger Fraktionen. Ich habe mir wenigstens die Mühe gemacht, mit den Prozessbeobachtern und den Prozessbeteiligten zu sprechen. An diesem Urteil ist eines in keinerlei Weise verständlich: Im Prozess ist darüber gestritten worden, ob die Rechtsverordnung über den Mindestlohn den Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste ({7}) und dem Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste verdrängen kann. Ohne einen wirksamen Tarifvertrag zwischen dieser neuen Gewerkschaft und diesem neuen Arbeitgeberverband erledigt sich jede weitere Rechtsdiskussion. ({8}) Mir kann niemand erzählen, dass diese Pseudogewerkschaft tatsächlich tariffähig ist. Herr Meyer, Sie verneinen eine jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Diese Gewerkschaft hat 1 300 Mitglieder. Darüber lacht jeder Tarifpolitiker und jeder Arbeitsrechtler. ({9}) Wir haben Anhaltspunkte für eine Arbeitgeberfinanzierung. Der Bericht der Sendung Frontal 21 war da sehr eindeutig. ({10}) Konsequenterweise hätte das Verfahren durch das Berliner Verwaltungsgericht ausgesetzt und im Hinblick auf die Tariffähigkeit der Tarifpartner an die Arbeitsgerichtsbarkeit überwiesen werden müssen. ({11}) Verlassen wir die rechtliche Ebene: ({12}) Der Ausgang dieses Verfahrens ist an und für sich völlig egal. Unter Juristen besteht nämlich Einigkeit: Wo ein Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Wir erleben das bei vielen Tricksereien. Hier geht es aber um ein ehrliches Anliegen. Viele Leute mit vielen Interessen haben von Anfang an versucht, die Einführung eines Mindestlohns für die Briefzusteller zu verhindern. ({13}) Mondzahlen sind aus dem Hut gezaubert worden. Es wurde gegackert und gekräht, und letztlich schlüpfte eine Pseudogewerkschaft aus dem Ei. Aber die Vernunft siegte. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit, auch mit den Stimmen der CDU/CSU, den richtigen Beschluss gefasst. ({14}) Der Beschluss lautet: Liberalisierung nur mit Mindestlöhnen; Marktöffnung ja, aber nicht für Schmutzkonkurrenz; Wettbewerb ja, aber nicht über Dumpinglöhne. Das war die allgemeine Überzeugung, auch die der Kollegen der Union, die jetzt wieder den Kopf in den Sand stecken wollen. Herr Laurenz Meyer, eigentlich muss es Ihnen doch wehtun, dass Sie sich in einer solchen Minderheitenposition, in einer solchen Isolation in Ihrer Fraktion befinden. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass Sie in letzter Konsequenz sehr wohl die gemeinsamen Beschlüsse dieser Koalition infrage stellen. ({15}) Wir wollen eine zügige Umsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Wir wollen eine zügige Umsetzung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes. Es ist Zeit, die Zeitarbeitsbranche hierin aufzunehmen. Wir wollen keine menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kramme, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz. - Ich sage zuallerletzt: Es ist verheerend, wenn der Staat über Arbeitslosengeld II Lohndumping mitfinanzieren soll. ({0}) Es ist Zeit für Mindestlöhne, und das in großer Menge und in großem Umfang. In dem Sinne, herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel für die SPDFraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Schluss noch etwas zum Postsektor selber sagen. Denn jetzt sind einige Schlaumeier unterwegs, ({0}) die versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, es herrschte im Postbereich wieder wie früher Wildwest und man könne wieder wie früher versuchen, Lohn- und Sozialdumping zu betreiben. Aber ich stelle fest: Die Rechtslage ist unverändert, und es gibt Mindestarbeitsbedingungen im Postsektor. Ich werde das im Folgenden begründen. Ich möchte zunächst einmal aus dem Grußwort des Bundeswirtschaftsministers an die Bundesnetzagentur zu ihrem zehnjährigen Jubiläum am 28. Februar, also vor knapp zwei Wochen, zitieren: Nun, nach dem Ende der Exklusivlizenz, wird die Herausforderung für die Bundesnetzagentur eher noch zunehmen: Sie wird mit Aufmerksamkeit dafür sorgen müssen, dass chancengleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Vielleicht kann Herr Schauerte als Vertreter des Ministeriums einmal weitergeben, was die Bundeskanzlerin zur Definition dieser chancengleichen Wettbewerbsbedingungen ebenfalls aus Anlass dieses zehnjährigen Jubiläums der Bundesnetzagentur gesagt hat. Ich zitiere: … ich hoffe natürlich auf gute Zusammenarbeit über die Frage des Mindestlohns. Manch einer hatte sich gar nicht mehr erinnert, dass sich eine der letzten Schlachten in der Bundesregierung damals bei der Post-Privatisierung - da war die FDP auch noch in der Regierungsverantwortung darauf bezog, dass die Postdienstleistungen ganz erhebliche Lohnanteile haben. Damals wurde von der Mehrheit des Bundesrates, gestellt durch die Sozialdemokraten, gefordert, dass kein unvergleichbarer Wettbewerb aus der Frage des Lohns entstehen darf. Ähnlich hat sie sich auch beim Arbeitgebertag geäußert. All das mündete in das bis heute unveränderte Postgesetz ein, wonach eine Lizenz dann zu versagen und gegebenenfalls zu widerrufen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Antragsteller die wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unterschreiten. Damals war die FDP, wie gesagt, noch dabei. Jetzt ist auch hinreichend geklärt, was in Bezug auf Löhne chancengleicher Wettbewerb ist. Wir haben nämlich dafür gesorgt, dass das definiert wird. Die Bundesnetzagentur hat die üblichen Arbeitsbedingungen untersucht und Ende Januar einen Abschlussbericht mit Stand 31. Dezember 2007 dazu vorgelegt. Einmal alles zusammenrechnet, kommt sie im Durchschnitt der Arbeitnehmer im Postsektor auf einen Stundenlohn von mindestens 11,86 Euro. Eine wesentliche Abweichung wären mehr als 10 Prozent. Also liegt die Lohnuntergrenze gemäß Postgesetz bei 10,67 Euro. Selbst dann ist immer noch genügend Platz für Wettbewerb, weil die Deutsche Post AG durchschnittlich fast 3 Euro mehr pro Stunde zahlt. Deswegen stelle ich fest - Urteil hin oder her -: Erstens. Der Tarifvertrag der neuen Postwettbewerber ist rechtswidrig zustande gekommen, weil die neue Gewerkschaft keine Gewerkschaft ist. Sie war zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses nicht einmal im Vereinsregister eingetragen. Schon bevor ein Tarifvertrag unterzeichnet worden ist, hat der Arbeitgeberverband verkündet, wie dieser Tarifvertrag aussieht, dass nämlich Löhne in Höhe von 7,50 Euro und 6,50 Euro Bestandteil sind. Erst dann hat er verhandelt und unterschrieben. Was ist das für eine Gewerkschaft, die sich auf so etwas einlässt, auf Verhandlungen, deren Ergebnis die Arbeitgeber vorher veröffentlichen? Deswegen gibt es jetzt ja auch die Strafanzeige. Zweitens ist der Tarifvertrag rechtswidrig, weil er die branchenüblichen Arbeitsbedingungen mit Löhnen von 7,50 Euro und 6,50 Euro wesentlich, also um mehr als 10 Prozent, unterschreitet. Drittens ist die Begründung für diesen Tarifvertrag, es handele sich um höherwertige Dienstleistungen, die nichts mit dem sonstigen Postsektor zu tun haben, völlig absurd. Abgesehen davon, dass sowohl das Postgesetz als auch der Mindestlohn, den wir beschlossen haben, für den Postbereich insgesamt gelten, ist es doch völlig absurd, zu behaupten, höherwertige Dienstleistungen seien mit der Hälfte der Löhne zu bestreiten. Das ist doch wohl absolut grotesk. Also liegt der Ball jetzt bei der Bundesnetzagentur. Daraus folgt ganz klar: Lizenzentzug für alle, die diesen rechtswidrigen Tarifvertrag der GNBZ anwenden. Auch Herr Glos ist nicht nur der Koalition politisch verpflichtet, sondern er hat gemäß seinem Amtseid die Gesetze des Bundes zu achten. Anstatt jetzt von Mauscheleien zu faseln, sollte er die Bundesnetzagentur anweisen, das geltende Recht sowohl im Hinblick auf die Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als auch in Bezug auf das Postgesetz durchzusetzen. Letzte Bemerkung: Der Postsektor ist und bleibt also vom Eise befreit; bald sind es die Zeitarbeitsbranche und viele andere Branchen auch noch. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. März 2008, 10.30 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen und sicherlich auch angenehmen Tag. Die Sitzung ist geschlossen.