Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/15/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts - Drucksachen 15/3917, 15/4068 ({0}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({1}) - Drucksache 15/5268 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/5269 - Berichterstattung: Abgeordnete Volker Kröning Otto Fricke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Joachim Pfeiffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Klaren und funktionsfähigen Ordnungsrahmen für die Strom- und Gasmärkte schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für mehr Wettbewerb und Transparenz in der Energiewirtschaft durch klare ordnungspolitische Vorgaben - Drucksachen 15/3998, 15/4037, 15/5268 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur Beratung der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts. Ich komme gerade - nach einem 18-stündigen Flug - direkt aus Japan zurück, nur um diesen wichtigen Gesetzentwurf mit Ihnen zu beraten ({0}) und um anschließend natürlich noch mit Herrn Laumann zusammenzusitzen. Das wird er nie wieder gutmachen können. ({1}) Mit der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, die innerhalb der Koalition und auch im Bundesrat - dort sind von allen Seiten verschiedene Anregungen eingegangen - außerordentlich intensiv beraten worden ist, wird die Strom- und Gasversorgung in Deutschland einen völlig neuen Rechtsrahmen erhalten. Wir haben im Kabinett auch die Verordnungen über den Netzzugang und die Netzentgelte für Strom und Gas verabschiedet, die jetzt dem Bundesrat zugehen werden. Dann liegt Redetext alles auf dem Tisch, was zur Neuregelung dieses außerordentlich wichtigen Sektors wichtig ist. Die Strom- und Gasnetzbetreiber in Deutschland werden künftig einer staatlichen Aufsicht unterliegen, die durch die bisherige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Bonn wahrgenommen wird. Diese Regulierungsbehörde hat in den letzten Jahren umfangreiche Erfahrungen bei der Liberalisierung des Kommunikationsmarktes gewonnen. Wir sind überzeugt, dass uns diese Erfahrungen sowohl im Bereich der Strom- und Gasmärkte als auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Eisenbahn, zugute kommen werden. Folgerichtig wollen wir auch den Namen dieser Behörde ändern. Sie wird zukünftig Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn heißen. Die Aufsicht über alle netzgebundenen Infrastrukturen unter einem Dach zu bündeln führt zu Synergien und ist ganz im Sinne einer leistungsfähigen und schlanken Regulierung. Zugleich stärken wir durch diese Struktur die Rolle der neuen Bundesnetzagentur auf europäischer Ebene, da ihre Vertreter in den unterschiedlichen Regulierungsgremien mit einer Stimme sprechen können. ({2}) Angesichts der unübersehbaren Erfolge der Regulierungsbehörde in den Bereichen Post und Telekommunikation sind wir zuversichtlich, dass sie ihre neuen Aufgaben mit ähnlichem Erfolg wird meistern können. Für den Aufbaustab „Energieregulierung“ jedenfalls sind inzwischen qualifizierte und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen worden, die sich jetzt auf ihre neuen Aufgaben vorbereiten, die sie offiziell natürlich erst nach Verabschiedung dieses Gesetzes wahrnehmen können. Deshalb warten sie wie alle Beteiligten im Land darauf, dass ihnen der Gesetz- und Verordnungsgeber das erforderliche Handwerkszeug zur Verfügung stellt. Mit diesem neuen Gesetz wollen wir sicherstellen, dass alle Strom- und Gaskunden einen effizienten und diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen erhalten. Wir wollen die Rechte der Verbraucher nachhaltig stärken, indem wir ihnen vielfältige Möglichkeiten an die Hand geben, sich gegen Missstände zur Wehr zu setzen. Die Tätigkeit der Bundesnetzagentur wird auch dazu führen, dass das Verhalten der Netzbetreiber durchschaubarer und transparenter wird. Das wird dem Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt zusätzliche Impulse geben. Unser Ziel ist, dem Wirtschaftsstandort Deutschland im europäischen Vergleich dauerhaft wettbewerbsfähige Strom- und Gaspreise zu sichern. Wir sind überzeugt, dass wir dies mit unserem Entwurf, der wirklich außerordentlich intensive Beratungen und auch Veränderungen erfahren hat, erreichen können. Dass dies - das will ich gleich hinzufügen - nicht zulasten der in Deutschland bekanntlich hohen Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit der Netze gehen darf - wir wollen ja, wenn irgend möglich, keine Blackouts in Deutschland -, steht außer Frage. Dabei ist klar, dass die Sicherheit der Versorgung auch ihren Preis hat. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht richtig und klug, die Verantwortung dafür auch künftig in den Händen der Netzbetreiber zu lassen. Die dazu im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen sind eine klare Absage an Vorstellungen, dem Staat gewissermaßen Instrumente zur Investitionslenkung an die Hand zu geben. Das wollen wir nicht. Unser Ziel ist: So viel Regulierung wie nötig und so viel Liberalisierung, das heißt: offener Wettbewerb, wie möglich. ({3}) Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, für den ich Sie um Ihre Zustimmung bitte, liegt ein Regulierungskonzept auf dem Tisch, das wir passgenau auf die besonderen deutschen Verhältnisse - wir haben, anders als in anderen europäischen Industrienationen, weit über 1 000 Netzbetreiber - zugeschnitten haben. Die klaren Vorgaben zur Entflechtung sind die Basis der künftigen Regulierung. Sie werden maßgeblich dazu beitragen, dass der Wettbewerb um Strom und Gas nicht durch eine Diskriminierung von Konkurrenten bei der Nutzung der Netze behindert werden kann. Organisatorische und personelle Vorgaben werden diese Neutralität des Netzbetriebs verstärken. So müssen die Unternehmen künftig für den Netzbereich gesonderte Konten führen. Dies wird Quersubventionierungen verhindern und eine kosteneffiziente Überprüfung der Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde erleichtern. Die Vorgaben zur Entflechtung stellen die Unternehmen vor einige Herausforderungen und sind, jedenfalls zunächst, auch mit Kosten verbunden. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Gestaltungsspielräume nutzen, die wir in Brüssel insbesondere für die kleineren und mittleren Netzbetreiber durchgesetzt haben. Die steuerneutrale Entflechtung wird den Netzbetreibern helfen, bestmögliche Strukturen zu finden, ohne ökonomische Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die Vorgaben zur Entflechtung sind ein Eckpfeiler des gesamten Regulierungskonzepts. Unser Entwurf orientiert sich dabei, um das noch einmal zu sagen, an den Brüsseler Mindestvorgaben und schöpft die rechtlichen Gestaltungsspielräume, die uns die Europäische Union belässt, für kleinere und mittlere Netzbetreiber voll aus. Zum Kernbereich der Novelle zählt die künftige Regulierung der Netzentgelte, die wir, wie Sie alle wissen, innerhalb der Koalition außerordentlich intensiv erörtert haben. Danach ist klar, dass die Bundesnetzagentur grünes Licht erhält, ein für Deutschland geeignetes Modell für die Anreizregulierung zu erarbeiten, und zwar binnen Jahresfrist. Dieses Modell kann sie spätestens zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes eigenständig umsetzen, so schlagen wir vor. Dies ist ein ausgesprochen ehrgeiziger Zeitplan. Aber das ist notwendig, weil alle Marktteilnehmer so rasch wie möglich stabile Vorgaben benötigen. Bei der Anreizregulierung werden den Netzbetreibern Preisobergrenzen gesetzt. Diese Obergrenzen treten an die Stelle einer permanenten Kostenkontrolle. Bei sachgerechter Verteilung von Chancen und Risiken erhalten die Betreiber auf diese Weise marktwirtschaftliche Anreize, um die Effizienz der Versorgung zu steigern. Wir sind überzeugt, dass diese Anreizregulierung einen Modernisierungsruck im Denken und Handeln der gesamten Branche auslösen kann, und setzen darauf, dass sie dies auch auslösen wird. Das ist gut für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland. In der Übergangsphase bis zum In-Kraft-Treten der Anreizregulierung müssen sich die Netzbetreiber, die ihre Entgelte anheben wollen, einer Ex-ante-Überprüfung, also einer vorausgehenden Überprüfung, stellen. Wir gewährleisten damit, dass die Nutzer der Netze keine Entgeltanhebungen akzeptieren müssen, die nicht gerechtfertigt sind. Für die Erarbeitung des Anreizregulierungsmodells ist es wichtig, dass die Bundesnetzagentur den Dialog mit allen Marktteilnehmern sucht und auch die Wissenschaft einbindet. Ich will damit sagen, dass wir mit diesem Projekt am Beginn eines sehr bedeutungsvollen Prozesses stehen, den wir nur bestehen werden, wenn sich alle Beteiligten konstruktiv beteiligen. Die Weichen für sinkende Netzentgelte sind gestellt. Es wird einen Wettbewerb in den Netzen geben, wie wir ihn bisher nicht hatten. Dieser Wettbewerb wird unzweifelhaft zu sinkenden Netzentgelten führen. Ich will mich allerdings nicht an Spekulationen darüber beteiligen, in welcher Höhe wir mit sinkenden Netzentgelten rechnen können. Eines müssen wir immer im Auge behalten: Unsere Volkswirtschaft braucht nicht nur preisgünstige Energie. Sie braucht auch Energie, die beim Kunden, bei den Verbrauchern genauso wie bei den Unternehmen, jederzeit in der gewohnten Qualität ankommt. Substanzerhaltung und angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals sind dabei nicht nur zentrale Voraussetzungen für die Attraktivität der Netze für Investitionen, sie haben auch eine immense Bedeutung für die Qualität der Netze. Um es noch einmal zu sagen: Wir sollten die Fehler anderer Länder nicht wiederholen und das Risiko von Blackouts bei uns nicht erhöhen. Dieses Risiko sollten wir so gering wie möglich halten. Wir sind davon überzeugt, dass wir das auch schaffen. ({4}) Der heute vorliegende Gesetzentwurf belegt, dass sich der Deutsche Bundestag ausgesprochen konstruktiv und intensiv mit den im ersten Durchgang des Gesetzgebungsverfahrens von den Ländern erhobenen Forderungen auseinander gesetzt hat. Eine Reihe von wichtigen Anliegen des Bundesrates ist vollständig übernommen worden. Ich denke zum Beispiel an die Überprüfung der Erhöhung von Netzentgelten und an die verbindliche Einführung der Anreizregulierung. Ich hoffe, dass das eine gute Ausgangsbasis ist, um sich in diesem sehr komplexen Gesetzgebungsverfahren mit dem Bundesrat zügig verständigen zu können. Es wäre gut, wenn wir das schafften. Ich habe auch auf die Notwendigkeit von Investitionen und auf die Planungssicherheit, die wir mit diesem Gesetz schaffen, hingewiesen. Mir ist wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass wir nach allem, was wir vonseiten der Versorgungsunternehmen wissen, allein bis 2010 mit Investitionen in der Größenordnung von etwa 19 Milliarden Euro rechnen können. Bis 2010 sollen 9,7 Milliarden Euro in Kraftwerke und 9,3 Milliarden Euro in die Stromnetze investiert werden. Soweit mir bekannt ist, ist das das größte Investitionsprogramm, das in Deutschland zur Stunde auf den Weg gebracht wird. ({5}) Ich begrüße es, dass der Vorstandsvorsitzende von RWE, Herr Roels, gestern auf der RWE-Hauptversammlung erklärt hat, sein Unternehmen plane weiterhin Milliardeninvestitionen im Inland. Ich zitiere ihn wörtlich: Deutschland ist für uns nach wie vor die erste Adresse, wenn es um Investitionen geht. Sein Unternehmen plane in Deutschland und auch in anderen Staaten, insbesondere in Großbritannien, bis 2009 Investitionen in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Ich begrüße auch, dass der Vorstandsvorsitzende von EnBW, Herr Professor Claassen, erklärt hat, dass sein Unternehmen ebenfalls Milliardeninvestitionen plane, und zwar in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Soweit ich das zur Stunde erkennen kann, sind in Baden-Württemberg zwei Kraftwerke geplant, über deren Standorte innerhalb der kommenden zwei Jahre entschieden werden soll. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg spielen als Standorte der Kraftwerksindustrie übrigens eine sehr zentrale Rolle. In Nordrhein-Westfalen sind ein hochmoderner Braunkohledoppelblock mit einer optimierten Anlagentechnik und einer Leistung von 2 100 MW, zwei Steinkohlekraftwerke mit zusammen rund 1 600 MW und zwei Gaskraftwerke mit rund 1 200 MW geplant. Diese Planungen sind uns bisher bekannt. Das gehört in den Gesamtrahmen der Investitionen, für die wir die rechtlichen und planerischen Grundlagen schaffen müssen. Wir sind davon überzeugt, dass uns dies mit diesem Gesetzentwurf, für den wir um Ihre Zustimmung bitten, auf eine sehr vernünftige Weise gelingen wird. Unser Ziel ist, dass der neue Ordnungsrahmen zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten kann. Soweit ich das sehe, haben sich die Beteiligten inzwischen darauf eingestellt. Der Erwartungsdruck ist groß. Insbesondere für die Investitionen brauchen wir stabile Rahmenbedingungen. Ich meine, dass wir den Wünschen und Anliegen der Länder schon weitgehend entgegengekommen sind. Die Länder wollen überdies beim Vollzug der Regulierung mehr beteiligt werden. Ich stehe dem prinzipiell offen gegenüber. Allerdings sollten wir hinzufügen, dass dies nur möglich ist, wenn die Bundeseinheitlichkeit der Regulierung nicht gefährdet wird. Ich sage dies in vollem Ernst: In einer Zeit, in der die Föderalismuskommission einen neuen Anlauf unternimmt, um eine klare Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zu erreichen, sollte es unser wichtigstes Anliegen sein, hier Einheitlichkeit - in diesem Fall kann es nur um Bundeseinheitlichkeit gehen - zu sichern. ({6}) Wir sollten jetzt zügig mit den Gesprächen beginnen. Wir sind zu jeder Zeit für Gespräche offen; das gilt natürlich auch für mich. Ich bin nicht sicher, ob es zu einem Vermittlungsverfahren kommen muss. Meiner Meinung nach wäre es besser, wenn wir ohne Vermittlungsverfahren zu einem Ergebnis kommen könnten. In jedem Fall aber gilt unser Angebot zu konstruktiver Zusammenarbeit. Wir sind dazu bereit. Wir bitten Sie, dem Gesetzentwurf grünes Licht zu geben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Verfahren zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes nähert sich langsam, aber sicher dem Ende. Ich glaube, das ist auch gut so. Die Energiewirtschaft und die Verbraucher brauchen endlich Klarheit; denn man sagt ja zu Recht, dass dies das Grundgesetz der Energiewirtschaft ist. Für uns war es unverständlich, warum man dies über ein Jahr lang hat schludern lassen. ({0}) Diese Neuregelung sollte schon letztes Jahr umgesetzt werden. Wir sagen Ihnen zu, dass wir hier nicht verzögern werden. Aufgrund der Zwistigkeiten zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium ist es nicht zu einer schnellen Einigung gekommen. Wir als Opposition werden aber alles dafür tun, damit das Gesetz schnell verabschiedet werden kann, und haben deswegen auch auf die Inanspruchnahme der uns zustehenden Fristen verzichtet. Der Herr Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass hohe Investitionen getätigt werden sollen. Etwa 19 Milliarden Euro sollen bis zum Jahr 2010 investiert werden, davon allein 9,3 Milliarden Euro in die Netze. Eine Investitionssumme von 6 Milliarden Euro hängt von der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs ab. Ich hoffe, dass die Energieversorgungsunternehmen die Investitionen, die sie angekündigt haben, schnell tätigen werden. Das ist wichtig für unsere Versorgungssicherheit und auch für die Leistungsfähigkeit unserer Netze. Sie haben wichtige Impulse von der Union und vom Bundesrat aufgenommen; das war vernünftig. Trotzdem sind diese Impulse im Hinblick auf mehr Wettbewerb - es handelt sich ja schließlich um ein Wettbewerbsgesetz - noch nicht ausreichend. Wir brauchen einen Rahmen für die Wettbewerbsordnung, mit dem wir eine kostengünstige, sichere und umweltfreundliche Energieversorgung erreichen. Auf der anderen Seite brauchen wir natürlich auch leistungsfähige Energienetze. Den Ausgleich zu schaffen zwischen Wettbewerb auf der einen Seite und Versorgungssicherheit auf der anderen Seite ist die Aufgabe dieses Gesetzes. Unser Ziel ist es, eine Stärkung des Wettbewerbs herbeizuführen. Wir erhoffen uns natürlich auch niedrigere Netzentgelte und damit auch niedrigere, wettbewerbsfähige Energiepreise. Das ist dringend notwendig. ({1}) Die Energiepreise in Deutschland sind, verglichen mit ganz Europa, mit am höchsten. Gemessen an einem Haushalt mit einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 3 500 Kilowattstunden haben wir hinter Italien und Dänemark die höchsten Energiepreise. ({2}) Gemessen an einem gewerblichen Kunden aus der Industrie mit einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 1,5 Millionen Kilowattstunden sind unsere Strompreise hinter Italien die höchsten. Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Allein mit der Energierechtsnovelle werden wir es nicht schaffen, die Energiepreise zu senken, auch wenn dadurch Effizienzgewinne generiert werden. In den letzten Jahren hat der Staat in diesem Bereich eine derart starke staatliche Interventionspolitik betrieben, dass dies auch dann, wenn es aufgrund dieses Gesetzes zu einer 10-prozentigen Senkung der Netzentgelte kommt, nicht ausgeglichen werden kann. ({3}) Über 40 Prozent des Strompreises sind durch staatliche Abgaben und Belastungen bedingt. Die Kosten sind heute sechsmal höher als zu unserer Regierungszeit. Das ist die Hauptursache für das Ansteigen der Strompreise. Es ist daher wichtig, dass wir stark darauf achten, dass wir wettbewerbsfähige - ich betone: wettbewerbsfähige - Energiepreise haben. Wir haben viele energieintensive Unternehmen in unserem Land. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Unternehmen in unserem Land bleiben, wenn sie nicht schon in andere Länder abgewandert sind, in denen die Energiepreise weit niedriger sind. ({4}) Sie haben in dieser Woche davon gesprochen, die Familienpolitik ganz oben auf Ihre Agenda zu setzen. Ich sage Ihnen eines: Das Wichtigste für Familien mit vielen Kindern sind niedrige Energiepreise; denn die belasten die Haushalte der Familien. ({5}) Wenn wir heute fragen, ob der vorliegende Gesetzentwurf für den notwendigen Wettbewerbsschub, den wir uns erhoffen, ausreicht, dann müssen wir sagen: Es ist richtig, dass Sie auf die Forderung der Union eingegangen sind, eine Ex-ante-Regelung einzuführen. Es ist richtig, dass Sie auf unsere Forderung eingegangen sind, eine Anreizregulierung auf den Weg zu bringen. Aber leider sind einige Forderungen, die sehr wichtig sind, immer noch nicht erfüllt worden. So lässt die Gasnetzregulierung noch eine Reihe von Fragen offen. Die Vorgaben der Entflechtung sind noch nicht auf das von der EU geforderte Minimum zurückgeführt worden. Das führt zu einer sehr starken Belastung vor allem der kleineren und mittleren Stadtwerke in unseren Kommunen. Schließlich haben Sie eine unsinnige Verschärfung der Stromkennzeichnung auf den Weg gebracht, die nicht mehr Verbraucherschutz bringt, sondern zu Verzerrungen und mehr Bürokratie führt. Sie wollen, dass in Zukunft in jeder Rechnung, in jedem Angebot und in jedem Werbematerial der Anteil jedes einzelnen Energieträgers an dem Gesamtenergiemix aufgeführt ist. Hinzu kommen Informationen über Umweltauswirkungen und CO2-Emissionen in Gramm je Kilowattstunde, Angaben über den radioaktiven Abfall in Milligramm je Kilowattstunde und Angaben über den Anteil des KWK-erzeugten Stroms. ({6}) - Sie klatschen, Frau Hustedt. Ich frage mich: Was soll denn das? Der Verbraucher hat nichts davon und der Unternehmer wird dadurch mit immensen Kosten belastet. Vor allem frage ich mich: Wer versteht denn überhaupt, wie stark die Umwelt belastet wird, wenn er in seiner Stromrechnung liest, dass soundso viel Gramm je Kilowattstunde an CO2-Emissionen anfallen? ({7}) Wenn man Ökostrom haben will, dann kann man ihn schon jetzt bekommen. Ich erinnere auch an Helmut Schmidt, der einmal vor 30 Jahren gesagt hat, er verstehe seine Stromrechnung nicht. ({8}) In Zukunft wird die Stromrechnung ein ökologisches Kreuzworträtsel sein, für das Sie einen Berater brauchen. ({9}) Der beste Verbraucherschutz - das schreibe ich Ihnen ins Stammbuch - sind niedrige Energiepreise. Das ist der beste Verbraucherschutz, den wir den Verbrauchern vor Ort geben können. ({10}) Nun haben wir eine neue Bundesbehörde, die natürlich finanziert werden muss. ({11}) - Gut, Sie erweitern die jetzige Regulierungsbehörde; dagegen ist nichts zu sagen. - Diese Behörde muss natürlich finanziert werden; das ist eine Staatsaufgabe. Sie aber wollen die Behörde nicht finanzieren, obwohl Sie sie einrichten wollen. Sie wollen einen Regulierungsbeitrag erheben, den die Energieversorgungsunternehmen bezahlen sollen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch über eines im Klaren sein: Das wird auf die Strompreise umgelegt werden. Die Behörde wird keinen Anreiz haben, wirklich effizient zu regulieren. Es wird eine aufgeblähte Behörde werden. ({12}) Wahrscheinlich, Frau Hustedt, geht es auch noch um einen zusätzlichen Vizepräsidenten, der von Ihnen angedacht ist. Wahrscheinlich wollen Sie einem Parteimitglied einen Posten verschaffen, der auch noch finanziert werden muss. ({13}) Ein ganz großer Mangel an dem vorliegenden Gesetzentwurf ist etwas, das sich wie ein roter Faden durch Ihre ganze Gesetzgebung zieht. Bei jeder Vorlage zur Umsetzung einer EU-Richtlinie, die wir hier umsetzen müssen - das ist in Ordnung; dagegen sagt keiner etwas -, gehen Sie über die Vorgaben der EU hinaus. Damit belasten Sie die Menschen vor Ort und die Unternehmen, wodurch es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Das ist ein Wust an Bürokratie. Des Weiteren führen Sie ein Verbandsklagerecht mit einer Vorteilsabschöpfung und immense Berichtspflichten ein. Zukünftig wird es an die 100 Berichtspflichten geben. Die meisten davon haben keinen erkennbaren Sinn. Sie erfordern aber einen zusätzlichen Aufwand und Millioneninvestitionen in dreistelliger Höhe, um die technischen Voraussetzungen für die Erfüllung der Berichtspflichten zu schaffen. Dass wir diesem Vorhaben nicht zustimmen, muss ich wohl nicht extra erwähnen. ({14}) Sie haben in Ihren Gesetzentwurf auch die vorrangige Einspeisung von Biogas aufgenommen. Wie auch immer man zu Biogas steht, es steht außer Frage, dass es sinnvoll ist. Aber es geht bei dem Gesetzentwurf um das Energiewirtschaftsgesetz, das heißt um ein Wettbewerbsgesetz. Insofern ist der diskriminierungsfreie Zugang das oberste Ziel. Warum wollen Sie in dem Gesetz, das wir endlich auf den Weg gebracht haben, schon wieder eine Ausnahme machen? ({15}) Wenn die vorrangige Einspeisung von Biogas beabsichtigt ist, dann ist sie nicht in diesem Gesetz zu regeln, sondern dann muss sie im Zusammenhang mit dem Energieeinspeisungsgesetz diskutiert und gegebenenfalls darin geregelt werden. Anderenfalls würde die gesamte Zielsetzung, die mit diesem Gesetzentwurf verfolgt wird, von vornherein konterkariert. ({16}) Eine wichtige Frage im Vermittlungsverfahren werden die Bund/Länder-Kompetenzen sein. In den Ländern ist bereits jetzt Sachverstand in Form der Preis- und Kartellbehörden vorhanden. Ich bin sicher, dass wir uns in dieser Frage einigen werden. Wichtig ist aber, dass wir insgesamt zu einer kostengünstigen Regulierung kommen. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, die kleinen und mittelgroßen Stadtwerke Belastungen auszusetzen, die nicht in der EU-Richtlinie vorgesehen sind. Ich denke dabei an das Gleichbehandlungsprogramm, das sie durchführen müssen, und an den Gleichbehandlungsbeauftragten, den sie in diesem Zusammenhang einsetzen müssen. An dieser Stelle sehe ich Diskussionsbedarf; denn gerade die kleinen und mittleren Stadtwerke - vor allem diejenigen mit weniger als 100 000 Kunden würden so mit einem zusätzlichen Bürokratieaufwand belastet. Zusammenfassend ist festzuhalten: Sie sind uns entgegengekommen; das ist positiv und vernünftig. Es wird zu einem Vermittlungsverfahren kommen. Ich gehe davon aus, dass wir offen in die Beratungen gehen werden. Wir wollen auch zugunsten der Investitionssicherheit in vielen Bereichen, dass das Gesetz schnell umgesetzt wird, und hoffen auf eine gute und konstruktive Zusammenarbeit im Vermittlungsverfahren. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über ein sehr großes Reformprojekt dieser Legislaturperiode. Die Energiewirtschaft bildet das Rückgrat der gesamten Industriewirtschaft, für die wir in ordnungspolitischer Hinsicht eine völlig neue Basis schaffen. Das erfolgt zwar erst ein Jahr später, als in der EU-Richtlinie vorgesehen, aber damit befinden wir uns in der Gesellschaft vieler anderer Staaten; etwa zehn Länder haben die Richtlinie bislang noch nicht umgesetzt. Ein viel wichtigerer Grund dafür aber ist, dass wir das einzige Land sind, das den großen Sprung, den Paradigmenwechsel vom verhandelten zum regulierten Netzzugang, noch vollziehen muss. Wir sind das einzige Land in der Europäischen Union, das noch keine Wettbewerbsbehörde als fairen Schiedsrichter im Markt geschaffen hat. Dass es in Deutschland zu einer mehrjährigen Verzögerung hinsichtlich eines echten Wettbewerbs gekommen ist, ist Ihnen zuzurechnen. Sie haben auf den verhandelten Netzzugang gesetzt, statt von vornherein festzustellen, dass dieser Weg nicht erfolgreich sein kann. ({0}) Ich glaube, dass wir nun einen Riesensprung machen. Wir haben gleichzeitig die Unbundling-Richtlinie umgesetzt. Das müssen andere Länder erst noch tun. Das heißt, wir werden uns in der Frage eines ambitionierten Regulierungssystems, in der wir bisher Schlusslicht waren, direkt an die Spitze der europäischen Wettbewerbspolitik setzen. Ich finde, das ist ein großer Verdienst. Das sollten wir heute feiern. ({1}) Das war längst überfällig; denn wir haben in Deutschland die höchsten Energiekosten in Europa. ({2}) Wir können gerne über den staatlichen Anteil an den Energiekosten reden. Herr Glos, ich biete Ihnen folgende Wette an: Ich wette, dass Sie, falls Sie - das ist allerdings unwahrscheinlich - in der nächsten Legislaturperiode regieren sollten, ({3}) die Ökosteuer nicht senken werden. Frau Wöhrl hat sich bislang geweigert, diese Wette anzunehmen. Ich bin gespannt, ob Sie in diese Wette einschlagen. Die Höhe der Förderung der erneuerbaren Energien beträgt 0,5 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Die Durchleitungsgebühren belaufen sich auf 7 Cent pro Kilowattstunde. Wir stehen zur Förderung der erneuerbaren Energien. Das soll auch auf den Rechnungen transparent gemacht werden; denn angesichts steigender Energiepreise ist es dringend notwendig, Alternativen aufzubauen. Ein Beispiel: Im Februar dieses Jahres waren die erneuerbaren Energien, insbesondere die Windenergie, an der Börse billiger als ein Mix aus fossilen und atomaren Energien. Das hatte mit den hohen Preisen für fossile Energieträger und mit dem Kälteeinbruch zu tun. Das heißt, die Nutzung erneuerbarer Energien wird langsam wirtschaftlich. Investitionen in diesen Bereich sind also Zukunftsinvestitionen. Dazu stehen wir. ({4}) Auch nach Abzug der staatlichen Abgaben haben wir bislang in Deutschland die höchsten Energiepreise europaweit. Wir haben außerdem europaweit die höchsten Durchleitungspreise, und das bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen der Stromkonzerne. Es ist also absolut notwendig, dass hier gehandelt wird. Neutrale Netze sind eine wichtige Voraussetzung für mehr Wettbewerb. Die Hälfte der Kraftwerkskapazitäten muss ersetzt werden. Es wurde nun von der Wirtschaft angeboten, 20 Milliarden Euro zu investieren. Das begrüßen wir. Aber neutrale Netze sind eine Voraussetzung dafür, dass wir jeden einladen können, in Deutschland zu investieren, und zwar nicht nur die vier großen Stromkonzerne, sondern auch ausländische und kleine Investoren. Die Vielfalt der Akteure ist eine Voraussetzung für eine Vielfalt der Technologien in Deutschland. Wir wollen angesichts eines weltweit wachsenden Energieverbrauchs die Investitionen nutzen, um Deutschland zu einem Schaufenster der Anlagetechnologie zu machen. Das ist unser Ziel. Dafür brauchen wir neutrale Netze. Nur dann kann jeder Investor seinen Strom zum Verbraucher transportieren. ({5}) Auch auf dem Gasmarkt ist eine Diversifizierung notwendig. Wir dürfen uns nicht mehr nur auf wenige Anbieter konzentrieren; denn Gas ist eine Energiequelle, deren Bedeutung wächst und die als Primärenergie für den Übergang absolut notwendig ist. Wir sorgen auf dem Gasmarkt erstmalig für einen Einstieg in den Wettbewerb. Sie haben das mit der alten Verbändevereinbarung versäumt. Wettbewerb ist eine Voraussetzung für Versorgungssicherheit. Hier sind wir einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Ich freue mich, dass auch die CDU/CSU und die FDP inzwischen einsehen, dass ein regulierter Netzzugang und eine Wettbewerbsbehörde als fairer Schiedsrichter auf dem Markt der richtige Weg sind. Sie sind auf diesen Zug aufgesprungen, als wir ihn schon lange in Gang gesetzt hatten. Wenn Sie nun die Backen für noch mehr Wettbewerb aufblasen, dann kann ich nur sagen: Wir werden Sie im Bundesrat daran messen. Die Welle der Lobbyisten rollt ja nun auf Sie zu. Ich bin gespannt, inwieweit Sie weiter gehende Forderungen für noch mehr Wettbewerb, die ich durchaus unterstützen könnte, im Bundesrat tatsächlich durchsetzen werden. Daran werden wir Sie jedenfalls messen. ({6}) Frau Wöhrl, Sie haben erneut angekündigt, dass Sie eine Vorrangregelung zugunsten von Biogas bekämpfen wollen. Ich sage Ihnen: Das Ziel muss sein, auch einen diskriminierungsfreien Zugang für Strom aus Biogas zu schaffen. Dafür ist eine Vorrangregelung notwendig. Es geht hier nicht darum, eine Einspeisevergütung zu zahlen. Es ist völlig klar: Die Kosten für die Einspeisung von Biogas müssen vom Einspeiser getragen werden. Es geht hier nicht um eine Subventionierung von umweltfreundlichem Biogas, sondern schlichtweg um die Regelung, dass Biogas auch dezentral, also vor Ort, eingespeist werden kann. Frau Merkel hat einerseits auf der Grünen Woche gesagt: Die Bioenergie hat eine Zukunft; wir müssen sie stärker fördern. Andererseits hat sie ihre Truppen in Gang gesetzt, um gegen die mit der Bioenergie verbundenen Errungenschaften - Stichwort: der Landwirt als Energiewirt von morgen - zu kämpfen. Daher muss ich Sie schon fragen: Wofür stehen Sie? Sind Sie dafür oder sind Sie dagegen? Sie müssen sich einmal entscheiden. ({7}) Sie haben hier angekündigt, die Verbraucherrechte zu schleifen. Dazu sage ich Ihnen: Viel Spaß! Es gibt in Deutschland inzwischen mehrere Bürgerinitiativen mit Tausenden von Bürgern, die sich weigern, ihre Gasrechnung und ihre Stromrechnung zu bezahlen, weil sie große Angst haben, dass sie von Stromkonzernen, die quasi wie Monopole agieren, einfach nur abgezockt werden. ({8}) Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei, zu versuchen, die Verbraucherrechte zu schleifen. Ich glaube nicht, dass Sie dabei viel Zustimmung in der Bevölkerung bekommen. Jeder Wettbewerbstheoretiker behauptet: Starke Verbraucherrechte sind auch ein Motor für mehr Wettbewerb; denn gerade der Kleinste ist der Schwächste auf dem Markt. Wenn wir den Kleinsten schützen - der beste Schutz ist ein starkes Verbraucherrecht -, zieht das tatsächlich mehr Dynamik und mehr Wettbewerb auf dem Markt nach sich und das ist gut so. Ich möchte noch etwas zum Thema Transparenz sagen. Transparenz ist die absolute Voraussetzung dafür, dass eine Wettbewerbsbehörde regulieren kann. Bislang besteht nämlich das Problem, dass absolut undurchsichtig ist, was die Stromkonzerne in diesem Bereich vereinbaren. Die Preisaufsichten der Länder waren bislang völlig überfordert, wenn es darum ging, in die Bücher zu schauen. Transparenz ist ein Bestandteil von Wettbewerb. Sie wollen die entsprechenden Berichtspflichten - sie sind uns übrigens von der EU auferlegt - abbauen. Das ist ein Hinweis darauf, dass Sie weniger Wettbewerb wollen. ({9}) Der Bundesrat wird darüber demnächst verhandeln. Wir sollten versuchen, auch hier miteinander darüber zu sprechen. Ich glaube, das Bund/Länder-Problem wird ein Thema sein. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Bereich einen Kompromiss finden werden. Wie ich weiß, ist man sich auf Bundesebene einig, dass es eine bundeseinheitliche Regulierung geben muss und dass es nicht 16 verschiedene Regulierungsansätze geben darf. Ich weiß aber auch, dass die Landesregierungen beider Seiten durchaus andere Interessen vertreten. Ich hoffe, dass wir zusammenfinden werden. Das „Handelsblatt“ schrieb direkt nach unserem Beschluss zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts: Man kann nur hoffen, dass auch die unionsgeführte Ländermehrheit im Bundesrat … ein einigermaßen konsistentes Konzept nicht noch im Ringen um politische Punktsiege zerstört. Jeder Beitrag zum zügigen Abschluss des Verfahrens wird ein Beitrag zur Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik im Lande sein. Ich kann dem „Handelsblatt“ nur zustimmen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Deutschland ist bei den Energiepreisen Spitzenreiter, ({0}) und zwar sowohl, was die privaten Endverbraucher, als auch, was die Wirtschaftsunternehmen betrifft. Ich sage in Richtung der rot-grünen Regierung und der sie tragenden Fraktionen: Das hat natürlich Ursachen. Sie brauchen sich heute Morgen wegen dieses Gesetzentwurfs, der endlich auf dem Tisch liegt, gar nicht zu feiern. Ich nenne nur ein paar Kenndaten: Auf jedem Bundesbürger lasten allein für Steuern und Abgaben auf Energie 798 Euro. Die Ministererlaubnis für die Fusion von Eon und Ruhrgas hatte zur Folge, dass auf dem Energiemarkt in Deutschland eine Konzentration ersten Ranges erfolgen konnte. Das heißt, wir sind von echten Wettbewerbsstrukturen hier weit entfernt. ({1}) Sie haben dem Standort Deutschland ein regulierungsfreies Jahr beschert; es gab nämlich Differenzen zwischen den beiden Ministern bzw. Ministerien - das ist schon gesagt worden -; man hat sich lange nicht einigen können. Das hat dazu geführt, dass Netzbetreiber und Versorger noch einmal kräftig zugreifen, also die Verbraucher zur Kasse bitten konnten. Das, sehr geehrter Herr Minister Clement, liegt auch in Ihrer Verantwortung. Insofern haben wir allen Grund, dafür zu sorgen, dass es künftig wenigstens im Netzbereich einen diskriminierungsfreien Zugang und damit Wettbewerb gibt. Wir sind weit davon entfernt, den Wettbewerb dort gestaltet zu haben. Insbesondere problematisch ist der Gasbereich; auf den komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Es geht darum, gerade dieses natürliche Monopol Netz zu öffnen. Wir wissen, dass es eine Regulierung geben muss. Wir hätten uns gewünscht, dass das Bundeskartellamt als der Wettbewerbshüter Nummer eins in dem Bereich hätte agieren können. Nun kommt es nicht so. Sie wollen die Reg TP damit beauftragen. Um die Zielrichtung der Regulierung noch genauer zu beschreiben, würden wir uns wünschen, dass die Regulierungsbehörde künftig „Wettbewerbsagentur Netze“ genannt werden könnte. Dann wüsste man gleich, wohin die Reise gehen soll. Wichtig ist uns als FDP-Bundestagsfraktion, dass die neue Regulierungsbehörde politisch unabhängig agieren kann, dass dort nicht eingegriffen wird. ({2}) Zur Finanzierung der Regulierung sage ich für die Liberalen noch einmal ganz ausdrücklich: Die Regulierung ist eine staatliche Aufgabe. Sie müsste deshalb aus dem Bundeshaushalt finanziert werden und dürfte nicht per Umlage den Unternehmen und dann wieder den Verbrauchern auferlegt werden. Sie haben unsere Anregung, den Regulierungsbeitrag - das sind ja Kosten - wenigstens zu deckeln, leider nicht aufgegriffen, was dazu führt, dass in der Regulierungsbehörde beliebig viel Personal eingestellt und die Behörde so personell aufgebläht werden kann. Auf der anderen Seite wird das Bundeskartellamt personell immer weiter ausgedünnt; ihm werden Gelder entzogen. Das finden wir nicht richtig. Zumindest eine Deckelung des Beitrags hätte also erfolgen müssen. Wir hätten uns auch gewünscht, dass bei Missbräuchen Gewinnabschöpfungsmöglichkeiten gegeben wären, um so einen Finanzierungsbeitrag für die Regulierungsbehörde leisten zu können, wie das im Übrigen auch beim Bundeskartellamt möglich ist. ({3}) Ich sagte eben schon: Dringend nachgebessert werden muss im Gasbereich. Wenn Sie das einmal genau betrachten, stellen Sie fest, dass das Gesetz, gerade was Gasregulierung, Zugang zu den Netzen betrifft, immer noch unterbelichtet ist. Hier müssen wir nachbessern. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass in dem Bereich Langfristlieferverträge mit Unternehmen über 30, 40 Jahre bestehen und dass diese Kapazitäten über viele Jahrzehnte abgeschöpft, nicht mehr frei zugänglich sind. Ich frage Sie: Wie wollen Sie angesichts dessen Wettbewerb in diesen Bereich bringen? ({4}) Es gibt im europäischen Ausland so genannte GasRelease-Projekte, über die wir nachdenken müssen. Ein bestimmter Anteil von Gaslieferungen muss auch in Zukunft dem freien Markt zugänglich sein. Diesbezüglich müssen wir noch einmal in dezidierte Verhandlungen eintreten. Zu diesem Gesetz ist zu kritisieren, dass Sie sachfremde Aspekte eingearbeitet haben, wie meine Kollegin Wöhrl vorhin schon gesagt hat. Sie haben eine Vorrangregelung für Biogas und Kraft-Wärme-Kopplung aufgenommen. Wir sagen: Das hat in diesem Gesetz nichts zu suchen. Das sind regulierungsfremde Bestandteile. Sie sollten keinen Eingang in dieses Gesetz finden. ({5}) Bei den Regelzonen ist uns wichtig, dass es zu einer Einheitlichkeit kommt. Bei der Komplexität des Themas muss sehr viel mehr Transparenz gewährleistet werden, als es durch dieses Gesetz möglich ist. Unseres Erachtens besteht eine Unterbelichtung bei den so genannten Entflechtungsregelungen, also den Unbundling-Regelungen. Da sieht der Gesetzentwurf nach wie vor die so genannte 100 000-Endkunden-Regelung vor. Entflochten werden müssen also Unternehmen ab einer Zahl von 100 000 Endkunden. Das scheint uns ein viel zu hoch gegriffener Wert zu sein. Sie würden auf diese Weise nur wenige Unternehmen zur Entflechtung zwingen, die für mehr Transparenz und Wettbewerb nötig ist. ({6}) Wir plädieren dafür, auf eine Marge von etwa 25 000 Endkunden herunterzugehen, um so den Markt besser zu liberalisieren. ({7}) Damit würde dem Wettbewerb Vorrang eingeräumt. Wir finden es sehr gut, was zur Anreizregulierung vorgelegt wurde: Innerhalb von zwölf Monaten soll ein Anreizsystem geschaffen werden, was zugleich ein lernendes System ist. Dieses Ziel ist ehrgeizig und zugleich unterstützenswert. Im Gesetz ist aber nach wie vor als Kalkulationsmethode für die Abschreibung die Nettosubstanzerhaltung vorgesehen. Wir dagegen plädieren für die Verankerung der Realkapitalerhaltung. Das bedeutet, dass bei der Kapitalbeschaffung die Anschaffungskosten zugrunde gelegt werden. Das würde mehr Transparenz schaffen und dadurch würde die Möglichkeit eingeschränkt, Gewinne zu verstecken, was bei Zugrundelegung der Kalkulationsmethode Nettosubstanzerhaltung eher möglich wäre. Darauf sollten wir achten. Deshalb sollten wir an der Stelle nachverhandeln. Auf die Berichtspflichten wurde schon eingegangen, es handelt sich um etwa 100 Pflichtberichte. Wir wissen, dass Berichte für das Monitoring während der Regulierungsphasen notwendig sind. Aber den Wust von 100 Pflichtberichten müssen wir unbedingt noch einmal durchleuchten, durchforsten und schauen, auf welche wir verzichten können. Ich denke dabei insbesondere an solche, die aufgrund der EU-Beschleunigungsrichtlinien nicht zwingend vorgeschrieben sind. Wir finden es sehr gut und unterstützen es, dass jetzt das Mess- und Zählwesen liberalisiert werden soll. Wir wünschen uns hier aber keinen Aufschub, der sich ja durch die Anlaufzeit von fünf Jahren ergibt, sondern wir möchten, dass das Mess- und Zählwesen, sobald es rechtlich möglich ist, liberalisiert wird. Das geht schneller als im Gesetzentwurf dargelegt. Das Verbandsklagerecht zum Beispiel für die im vzbv zusammengeschlossenen Verbraucherverbände lehnen wir Liberale ab. Wir sind der Ansicht, dass ein gut arbeitender unabhängiger Regulierer, der für einen diskriminierungsfreien Netzzugang sorgt, den besten Verbraucherschutz darstellt. Wir brauchen nicht noch ein zusätzliches Verbandsklagerecht, was zu einer Verschleppung des nötigen Liberalisierungsverfahrens führen kann. Wir bitten also, auch diesen Punkt noch einmal zu überdenken. Priorität hat für uns eine bundeseinheitliche Zuständigkeit bei der Regulierung. Wir müssen aufpassen, dass es hier nicht zu Mischzuständigkeiten kommt. Ich weiß natürlich, dass es einige Länder gerne sähen, wenn sie hier in irgendeiner Weise beteiligt würden. Wir müssen sehen, was sich in dem Fall bei den Verhandlungen ergibt und welche Möglichkeiten es gibt, hier zu einer Einigung zu kommen. Die Marschrichtung muss aber lauten: Schaffung von Wettbewerb und nicht Behinderung von Wettbewerb. Wir wollen diskriminierungsfreien Zugang und möglichst auch in diesem Bereich niedrigere Preise. Der Standort Deutschland hat es nötig, sich zukünftig im Industrie- und Energiebereich besser aufzustellen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Hempelmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0}) - Nein, natürlich SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident, Sie sehen, die Angebote kommen sofort, aber ich weiß, wo ich zu Hause bin. ({0}) Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute über nichts weniger als über ein neues Grundgesetz für die Energiewirtschaft und Energiepolitik. ({1}) Mit dem neuen Energiewirtschaftsrecht sehen wir einen doppelten Paradigmenwechsel vor. Insofern ist, wie ich denke, diese Begrifflichkeit durchaus gerechtfertigt. Auf der einen Seite errichten wir eine Regulierungsbehörde, die zukünftig Bundesnetzagentur heißen soll. Damit begeben wir uns in den Geleitzug der Europäischen Union, wo es schon seit Jahren Regulierungsbehörden gibt, die über den Wettbewerb wachen. Dass wir das erst jetzt tun, hat - das ist, glaube ich, deutlich geworden - etwas damit zu tun, dass dies der breite Wunsch der Energiewirtschaft, aber auch der Politik, und zwar nicht nur der regierenden Fraktionen, sondern auch ihrer Vorgänger in der Regierung, gewesen ist. Ich glaube, dass es gut ist, dass wir dieses regulierte System jetzt einführen, weil es uns nämlich ermöglicht, im Chor der europäischen Mitgliedstaaten sehr deutlich zu machen, dass wir uns damit sozusagen an die Spitze der Bewegung setzen. Denn in allen anderen Punkten der Marktöffnung sind wir in Deutschland erheblich weiter als die meisten anderen europäischen Mitgliedstaaten. Darüber hinaus wird binnen zwölf Monaten eine Anreizregulierung eingeführt werden, ein System, das bisher nur sehr wenige Mitgliedstaaten eingerichtet haben und bei dem wir von Fehlern anderer lernen können, die wir Gott sei Dank nicht wiederholen müssen. Ich denke, dass angesichts dieses doppelten Paradigmenwechsels, dieses doppelten Betretens von Neuland auch deutlich wird: Eine solche Operation braucht Zeit. Wir haben uns diese Zeit genommen und einen Dialog auch mit den Marktteilnehmern geführt. Hier geht Qualität vor Geschwindigkeit. Deswegen glaube ich, dass wir hier und heute etwas Gutes auf den Tisch gelegt haben. ({2}) Ziel dieses neuen Energiewirtschaftsgesetzes ist insbesondere die Verbesserung des Wettbewerbs bei den leitungsgebundenen Energien, also bei Strom und Gas. Das bedeutet vor allem einen diskriminierungsfreien Zugang Dritter zu den Strom- und Gasnetzen. Damit verbunden ist in der Folge die Erwartung sinkender Netznutzungsentgelte. Ich unterstreiche ausdrücklich, was auch Minister Clement hier schon gesagt hat: Wir dürfen die Erwartungen aber nicht überstrapazieren. Wir setzen darauf, dass die Entgelte und in der Tendenz letztendlich auch die Endverbraucherpreise sinken werden. Aber klar ist ebenso: Es gibt eine ganze Menge anderer Faktoren, die auf die Strom- und Gaspreise einwirken, ({3}) zum Beispiel die Kosten von Primärenergien. Wir wissen, dass gerade in letzter Zeit die Bezugspreise für Importkohle und Gas deutlich gestiegen sind. Insofern muss man mit den Erwartungen der Bevölkerung ehrlich umgehen. Ziel ist nicht - auch das ist hier schon deutlich geworden - die Preissenkung sozusagen um jeden Preis; es ist kein Preisdumping geplant. Wir wollen die Beibehaltung, ja die Fortentwicklung der in Deutschland hohen Netzqualität. Diese ist Bestandteil der Versorgungsqualität. Versorgungssicherheit zeichnet sich nicht nur durch das Vorhandensein von Kohle, Gas und anderen Primärenergien, die der Verstromung dienen, aus, sondern eben auch durch eine hohe Qualität der Netze. Das funktioniert nur über Investitionen und diese werden nur getätigt, wenn sie rentierlich sind. Meine Damen und Herren, die Erwartungen, die wir an dieses Gesetz knüpfen, sind also hoch. Einige davon werden - das ist von Minister Clement hier ebenfalls schon berichtet worden - offenbar schon sehr frühzeitig erfüllt. Jedenfalls sind Investitionen, die wir uns erhoffen, zum großen Teil schon von wichtigen Marktakteuren angekündigt worden; sie werden allein bis 2010 fast 10 Milliarden Euro in die Netze bringen. Das führt auch zu einem ausgesprochen hohen Beschäftigungseffekt. Ich will an dieser Stelle, durchaus mit einem gewissen Stolz, sagen, dass wir ähnliche Investitionsankündigungen auch für den Bereich der Kraftwerke haben und dass dies nicht ausschließlich mit dem Energiewirtschaftsgesetz zu tun hat, sondern auch mit gesetzgeberischen Aktivitäten, die wir im letzten Jahr vollzogen haben, insbesondere mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und mit dem Nationalen Allokationsplan. Offenbar sind uns hier Rahmenbedingungen gelungen, die auch Investitionen in den Kraftwerkssektor rentierlich erscheinen lassen. Um das Ganze rund zu machen: Auch im Bereich der erneuerbaren Energien sind umfängliche Investitionen angekündigt worden. In meinem Wahlkreis, in Essen, gab es kürzlich eine Veranstaltung, in der die Ankündigungen von Investitionen in diesem Bereich im Mittelpunkt standen. Offenbar ist es der Koalition also mit dem EEG, mit dem Emissionshandelsgesetz und jetzt mit dem Energiewirtschaftsgesetz gelungen, einen Rahmen zu schaffen, der Wettbewerb, aber eben auch Investitionen ermöglicht. ({4}) Schon in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses ist deutlich geworden, dass wir in den meisten Fragen nicht sehr weit auseinander liegen. Die CDU/CSU macht in dem grundsätzlichen Teil ihres Antrags, der ebenfalls heute zur Abstimmung steht, deutlich, dass es auch ihr um die Zielsetzungen geht, die bei uns im Mittelpunkt gestanden haben. Das heißt hinsichtlich des Energiewirtschaftsgesetzes insbesondere, dass es neben der Wettbewerbsfähigkeit eben auch um die Wirtschaftlichkeit und die Versorgungssicherheit geht. Die Debatte im Wirtschaftsausschuss war ausgesprochen konstruktiv. Ich denke, es ist eine verzeihliche Sünde, wenn dieser Stil in öffentlicher Debatte nicht immer durchgehalten werden kann. Frau Wöhrl, Sie haben Ihr Lob gelegentlich versteckt. Der Anteil Ihrer Rede, der sich mit Tadel beschäftigt hat, war - für uns ungünstig - höher. Trotzdem hoffe ich, dass wir bei den Beratungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat - wenn es denn notwendig sein sollte, ihn einzurichten - letztendlich zu guten Ergebnissen kommen werden. Unsere Gesprächsbereitschaft haben wir genauso erklärt, wie Sie das für Ihre Seite getan haben. Wir sind dafür dankbar, dass Sie einer Fristverkürzung zugestimmt haben. So können wir möglichst schnell in die Verhandlungen eintreten. Gleichzeitig sage ich: Die Tatsache, dass wir ein wenig Zeit gebraucht haben, hat etwas mit der Komplexität der Materie zu tun. Wir haben hier einen Bereich zu regeln, in dem über 1 000 Netzbetreiber und natürlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre berechtigten Interessen haben. In diesem Bereich hatten wir sehr viel mehr zu tun als andere Mitgliedstaaten. Ich nenne insbesondere die Einrichtung des Regulierers. Die Zeit, die bisher investiert worden ist, ist also keine vertane Zeit gewesen. Zu den einzelnen Instrumenten will ich relativ wenig sagen, weil dazu schon vieles gesagt worden ist. Ein Kernbestandteil ist die Entflechtung des Netzbetriebs von den anderen Bereichen - das sind die Bereiche Produktion und Vertrieb - vertikal integrierter Energieversorgungsunternehmen. Ich denke, das ist eine wichtige Voraussetzung für Wettbewerb. Damit ist der Regulierer in der Lage, eine Wettbewerbskontrolle durchzuführen. Für Ausnahmeregelungen, die wir für kleinere Unternehmen formuliert haben - das sind Unternehmen mit weniger als 100 000 angeschlossenen Kunden - und die wir für angemessen halten, haben wir schon in Brüssel gekämpft. Wichtig ist, dass es uns gelungen ist, den gesamten Vorgang steuerneutral zu halten. Auf die Unternehmen kommen also keine zusätzlichen Kosten zu. Es gibt darüber hinaus - damit haben wir dringenden Wünschen des Bundesrates entsprochen - eine Ex-postKontrolle, also eine nachträgliche Kontrolle, aller zwischenzeitlich stattgefundenen Entgelterhöhungen. Das war auch ein Wunsch der Verbraucherverbände, dem wir auf diese Art und Weise entsprochen haben. ({5}) Genauso wichtig ist, dass es eine Ex-ante-Kontrolle, also eine Vorabkontrolle, aller Entgelterhöhungen geben wird, die ab In-Kraft-Treten des Gesetzes vorgenommen werden. Das ist ein wichtiger Baustein, um sozusagen eine Brücke in Richtung Anreizregulierung zu bauen. Ich kann mir vorstellen, dass so mancher Netzbetreiber zweimal nachdenkt, ob er in diesem Zeitraum tatsächlich Entgelterhöhungen durchführen will. Als drittes wichtiges Instrument haben wir die Anreizregulierung. Es ist deutlich geworden, dass wir Anreize zur Kostensenkung geben wollen, die letztlich in sinkende Netzentgelte mündet. Dabei sollen besonders effiziente Unternehmen überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften können. Es handelt sich also um ein sehr marktwirtschaftliches Instrument. Wir wollen außerdem über vorgegebene Qualitätsstandards sicherstellen, dass nicht die gleichen Fehler wie in anderen Mitgliedstaaten gemacht werden. Wir wollen Netzsicherheit und die dafür notwendigen Investitionen ermöglichen. Auch dazu geben wir die notwendigen Anreize. ({6}) Im Gasbereich - eben ist angemahnt worden, hier müsse man mehr tun - haben wir den größten Schritt nach vorne gemacht. Wir gehen von einem entfernungsabhängigen, also von einem transaktionsabhängigen, System zu einem so genannten Entry-Exit-System über. Das ist ein System, bei dem es nur noch um die Festlegung eines Einspeise- und eines Ausspeisepunktes geht. Es ist ein ausgesprochen einfaches System, das von allen Seiten, gerade auch von Verbrauchern und Händlern, gelobt wird. Deswegen glaube ich, dass wir auch auf diesem Gebiet wichtige Voraussetzungen für mehr Wettbewerb geschaffen haben. Wir werden eine schrittweise Liberalisierung des Mess- und Zählwesens haben. „Schrittweise“ heißt aber nicht: verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; in einem Jahr wird das Zählwesen liberalisiert sein. Beim Messwesen braucht man etwas mehr Zeit, weil es wichtige technische Voraussetzungen zu schaffen gibt. Dafür braucht man Zeit. In diesem Bereich ist aber Musik. Da ist auch für die Verbraucher eine Menge zu holen. ({7}) Ein wichtiger Punkt, gerade für diejenigen, die in Industrieregionen leben, ist die verursachergerechte Verteilung der Netzentgelte. Das wird zu Entlastungen bei ganz besonders stromintensiven Unternehmen führen; aber nicht etwa, weil wir um jeden Preis Härtefallregelungen einrichten, sondern weil es honoriert wird, wenn diese Unternehmen zum Beispiel Verträge schließen, bei denen sie zulassen, dass ihr Strom abgeschaltet wird, wenn das Angebot an Strom geringer ist als die Nachfrage. Das führt zu Netzentlastungen aller anderen Netzteilnehmer. Das kann man honorieren; das kann man bezahlen. Deswegen sind in einem solchen Fall niedrigere Netzentgelte angemessen. Ich will deutlich machen: Mit diesem Energiewirtschaftsgesetz, mit der Einrichtung der Regulierungsbehörde, der Bundesnetzagentur, begibt sich Deutschland, was das Thema Marktöffnung bei Strom und Gas angeht, eindeutig in die Spitzenreiterrolle, jedenfalls in die Spitzengruppe innerhalb der Europäischen Union. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass wir in den letzten Jahren in dem Bereich Marktöffnung - wir hatten auf diesem Gebiet von Anfang an 100 Prozent Öffnung durchaus vorbildliche Arbeit geleistet haben. Wir hatten aber noch keinen Regulierer. Das gab den anderen die Möglichkeit, wenn wir mehr Wettbewerb anmahnen wollten, immer wieder auf uns zu zeigen und zu sagen: Schafft ihr doch bitte erst einmal den Regulierer. Das ist jetzt vorbei. Wir können jetzt gegenüber anderen Ländern - Sie wissen, von welchen Ländern ich vornehmlich spreche; sie sind unsere Hauptwettbewerber sehr deutlich machen, dass wir von ihnen weitere Marktöffnungsschritte erwarten. Das kommt unseren Unternehmen zugute, die dann auch in diesen Ländern am Wettbewerb teilnehmen können, zugunsten von Arbeitsplätzen auch in Deutschland. ({8}) Zum Schluss: Dies ist keine abschließende Debatte, die Debatte wird im Bundesrat weitergehen. Angebote für einen konstruktiven Dialog wurden schon gemacht. Ich hoffe in der Tat auf eine sehr baldige Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat. Die Fristverkürzung wird uns dabei helfen. Es wird darauf ankommen, dass das Angebot, dass der Geist konstruktiver Zusammenarbeit tatsächlich durchgehalten wird. ({9}) Wir sollten uns jedes Populismus enthalten und letztlich versuchen, die Probleme, die unterschiedlichen Auffassungen, die noch vorhanden sind, zu beseitigen. Was das Thema Länderkompetenzen angeht, gilt das, was Minister Clement gesagt hat: Wir erwarten eine bundeseinheitliche Regulierung. Mit „wir“ meine ich auch die Verbraucher. Alle Marktteilnehmer erwarten das. ({10}) Wenn es von Länderseite Vorschläge gibt, wie man dieses Ziel unter Einbeziehung der Länder und Abgabe von Teilkompetenzen an die Länder erreichen kann, sind wir offen für das Gespräch. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Clement, wir haben es selbstverständlich gerne gehört, dass Sie eingangs betonten, wie wichtig die Energiepreise für Wachstum und Beschäftigung sind und dass wir ein Interesse an wettbewerbsfähigen Energiepreisen haben. Wir brauchen im europäischen Kontext nämlich wettbewerbsfähige Energiepreise für Wirtschaft und Verbraucher: für die Wirtschaft, damit die Arbeitsplätze und die Investitionen hier im Land bleiben, und für den Verbraucher, damit er seine Konsumentensouveränität erhält und durch die Nachfrage die Binnenkonjunktur antreiben kann. Allerdings muss man schon feststellen, dass Ihre Politik - wir wollen keine selektive Wahrnehmung betreiben in den letzten sechs Jahren nicht gerade darauf angelegt war, die Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise zu fördern. Es wurden die Primärenergiepreise angesprochen, die in der Tat gestiegen sind und wahrscheinlich weiter steigen werden. Aber der entscheidende und größte Faktor für die Beeinflussung der Energiepreise am Standort Deutschland sind die staatlich verursachten und administrierten Abgaben und Belastungen, ({0}) die durch Sie, durch diese Bundesregierung, seit 1998 eingeführt wurden. Die staatlich administrierten Belastungen betrugen 1998 knapp über 2 Milliarden Euro pro Jahr. Bezogen auf das Jahr 2004 reden wir heute von staatlichen Belastungen in Höhe von deutlich mehr als 12 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine Versechsfachung der staatlichen Belastungen mit einer direkten Auswirkung auf den Energiepreis über die Ökosteuer, die Förderung der erneuerbaren Energien und die KraftWärme-Kopplung sowie über andere Dinge mehr. Das ist die Wahrheit. ({1}) Das beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und den Verbraucher. Wenn Sie über die Liberalisierung sprechen, dann sollten Sie schon bei der Wahrheit bleiben. 1998 wurde die Liberalisierung auf den Weg gebracht, Herr Kollege Hempelmann. Damals saß die SPD noch im Schützengraben und hat versucht, mit einer Verfassungsklage zum kommunalen Monopol die Staats- und Planwirtschaft in diesen Bereichen festzuschreiben. Ich freue mich, dass wir heute alle in dieser Runde der Meinung sind, dass wir die Wettbewerbsförderung brauchen. Nur, wir müssen auch da bei der Wahrheit bleiben. 1998 war die Lage noch eine andere. Wir haben Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte in der Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr erzielt. Diese Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte haben dazu geführt, dass von 1998 bis 2001 die Energiepreise und damit auch die Belastung für die Wirtschaft und die Verbraucher zurückgegangen sind. Erst durch die Überkompensierung und den Ausgleich durch staatliche Abgaben wurde dieser Liberalisierungsfortschritt wieder zunichte gemacht. Gleichwohl - damit komme ich zum heutigen Thema geht es beim Energiewirtschaftsgesetz natürlich darum, den Wettbewerb weiter zu fördern. Die durch die Liberalisierung anfänglich durchaus erkennbare Dynamik ist nämlich sehr schnell zum Erlahmen gekommen. Die Zahl der Marktakteure, die, was zum Beispiel den Strombereich anbelangt, hinzugekommen sind und sich dort engagiert haben, ist rückläufig. Im Gasbereich ist die Liberalisierung nie so richtig in Gang gekommen, was sich an der Zahl der Marktakteure ablesen lässt. Wenn man einmal schaut, wer im Gasbereich den Versorger gewechselt hat, dann stellt man fest, dass gerade einmal 1 Prozent der Verbraucher den Versorger gewechselt hat. Damit ist klar, dass die wettbewerbliche Situation nicht zum Besten steht. Deshalb müssen wir heute im Hinblick auf das Energiewirtschaftsgesetz zu Fortschritten kommen. Es ist nämlich in der Tat richtig, dass wir mit dem Energiewirtschaftsgesetz in Form der Energiepreise eine wichtige Stellgröße für die Wettbewerbsfähigkeit in der Hand haben. Die Netznutzungsentgelte machen beispielsweise bei den Strompreisen ungefähr 30 Prozent im Haushalt aus. Das heißt, das ist durchaus ein Hebel, den wir justieren und an dem wir ansetzen können. Was ist aus unserer Sicht zu tun? Wo stehen wir heute? Wir müssen die Liberalisierung - denn sie ist zum Erlahmen gekommen - aus eigenem Interesse, aus eigenem Antrieb betreiben. Wir müssen darüber hinaus - auch das ist angesprochen worden - die EU-Beschleunigungsrichtlinien umsetzen, um die europäische Harmonisierung voranzutreiben. ({2}) Deshalb freue ich mich, dass wir heute einen großen Schritt auf diesem Weg vorangekommen sind. Wenn man einmal den Referentenentwurf betrachtet - Herr Kollege Hempelmann, Sie haben dies in zarten Worten angesprochen -, den das Haus Clement im Mai letzten Jahres vorgelegt hat, dann stellt man fest, dass der reichlich wenig mit dem zu tun hatte, was jetzt vorliegt. Er war nicht gerade wettbewerbsfreundlich, sondern stellte mehr oder weniger eine Festschreibung des Status quo, eine Festschreibung der Verbändevereinbarung dar. Dank der Union im Bundesrat, aber auch im Bundestag und der Diskussion, die uns alle erfreulicherweise weitergebracht hat, ist es so weit gekommen, dass wir einen Paradigmenwechsel einleiten und, was die Netznutzungsentgelte anbelangt, zu einem marktorientierten Regulierungssystem übergehen, womit wir substanzielle Fortschritte für den Wettbewerb erzielt haben. Das will ich durchaus an dieser Stelle goutieren. ({3}) Wesentliche Fortschritte wurden durch die Ex-anteGenehmigung - das wurde bereits erwähnt - erreicht. Ich verstehe allerdings immer noch nicht ganz, Herr Bundesminister Clement - darüber haben wir auch im Ausschuss diskutiert -, warum die Ex-ante-Genehmigung sich nur auf den Strombereich beschränkt und nicht auch für den Gasbereich gilt. Auch im Bereich der Anreizregulierung wurden Fortschritte erzielt. Die Frage, wie die zuständige Stelle später heißen wird - der Name Bundesnetzagentur geht auf jeden Fall in die richtige Richtung, weil Regulierung und staatliche Administrierung nicht der richtige Weg sind, da es ja um Wettbewerbsförderung geht -, ist nicht so wichtig; viel wichtiger ist es, diese Stelle mit dem notwendigen Instrumentarium auszustatten, damit im Netzbereich der Als-ob-Wettbewerb initiiert werden kann. Ebenso wurden Fortschritte bei der Frage, welche Kalkulationsprinzipien als Grundlage für diese Anreizregulierung dienen, erzielt. Es ist die Frage heiß diskutiert worden, dass die Nettosubstanzerhaltung gewissen Gestaltungsspielraum bei der Kostenkalkulation eröffnet und ob damit auch die Gefahr des Missbrauchs besteht. Die jetzigen Vorschläge, die insbesondere zu den Tagesneuwerten gemacht werden, führen auf jeden Fall zu mehr Transparenz. Ebenso besteht bei der jetzt von Ihnen vorgeschlagenen Saldierung der kumulierten Abschreibung, die sicher förderlich ist, mehr Transparenz. Im weiteren Verfahren wird man aber noch einmal darüber sprechen und abwägen müssen, inwieweit diese nicht einen sehr weitgehenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstellen. Wir werden auch darüber reden müssen, ob wir beispielsweise mit der Realkapitalerhaltung - diese stellt eine Alternative dar - besser fahren. All diese Fragen sind noch zu klären und entsprechende Festlegungen sind zu treffen. Es gibt aber nicht nur Fortschritte, sondern auch zahlreiche Punkte, bei denen noch Nachbesserungsbedarf besteht. Wir als Union werden einer Energierechtsnovelle nur zustimmen, wenn neben dem Wettbewerb bei Strom und Gas auch die Versorgungssicherheit garantiert wird. Diese Kriterien erfüllt der Koalitionsentwurf nicht. Von Frau Kopp wurde bereits angesprochen, dass insbesondere im Gasbereich noch Handlungsbedarf besteht. Sie schlagen zwar ein Entry-Exit-Modell vor - das ist in der Tat ein großer Fortschritt -, das auch börsentauglich sein soll - die Börsentauglichkeit ist die Messlatte, die wir im Gasbereich an die Regulierung und an die Wettbewerbsförderung anlegen müssen -; dadurch aber, dass gleichzeitig wieder Teilnetze mit vielen nichttarifären Handelshemmnissen gebildet werden können, kommen wir im Ergebnis dazu, dass die Börsentauglichkeit ausgehebelt ist und wiederum nur Punkt-zu-Punkt-Modelle bestehen. Hierüber werden wir auf jeden Fall noch zu reden haben; denn hier sehen wir eindeutig Nachbesserungsbedarf. Ebenso müssen wir über die Frage der Regelenergiekosten sprechen. Die Regelenergiekosten beeinflussen die Netznutzungsentgelte zu rund 40 Prozent und stellen damit eine der stärksten Stellgrößen bei den Netznutzungsentgelten dar. Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen in den §§ 24 und 123 im Gesetz und die Regelungen in der Stromnetzverordnung sind ein erster Schritt zu einem funktionierenden Markt. Aber in einigen Bereichen, beispielsweise bei der regelzonenübergreifenden Saldierung, der gemeinsamen Ausschreibung für die vier Regelzonen und der Schaffung der Marktgängigkeit eines so genannten Stundenreservenmarktes, also des Intraday-Handels, gibt es noch einiges zu tun. Die Vorschläge im Bereich des Mess- und Zählwesens gehen in die richtige Richtung, aber sie werden noch ein wenig zögerlich angegangen. Zur Finanzierung der Behörde wurde schon gesagt, dass wir die von Ihnen vorgeschlagene Umlage ablehnen. Auch halten wir es für sinnvoll, bei Sicherstellung einer bundeseinheitlichen Regulierung - hier sind wir uns in diesem Hause, wenn ich das richtig verstanden habe, einig - zu einer sinnvollen Aufteilung zwischen Bund und Ländern zu kommen; denn auch in den Ländern ist Know-how vorhanden. Hier können wir, was Rechtswege und andere Bereiche anbelangt, eine Optimierung erzielen. Ich will noch einen Punkt ansprechen, den wir nicht ganz außen vor lassen sollten und der bisher nur gestreift wurde: die Auswirkungen des Unbundling auf die Stadtwerke und auf die vielfältige Struktur, die auch kleinere Unternehmen beinhaltet. Denn es geht nicht nur um die großen vier Netzgesellschaften und Energieversorgungsunternehmen, sondern vor allem auch um die vielen kleinen Stadtwerke und andere Unternehmen. Die Anzahl der betroffenen Stadtwerke beläuft sich im Strombereich auf eine Größenordnung von 750 bis 800, im Gasbereich auf 650. Hier gibt es also eine erkleckliche Zahl von Wettbewerbern und Betroffenen. Daher ist sehr wohl abzuwägen, inwieweit wir beim Unbundling die Vorteile der Entflechtung, die zweifelsohne vorhanden sind und die wir alle nutzen wollen, überkompensieren bzw. inwieweit die Gefahr besteht, dass die Kosten der Zerschlagung der Synergieeffekte, insbesondere für kleine Unternehmen, die Vorteile der Wettbewerbsförderung an anderer Stelle überkompensieren. Deshalb sagen wir: Hier darf es, um auch im europäischen Kontext wettbewerbsfähig zu bleiben, kein Hinausgehen über die EU-Richtlinie geben. ({4}) - Sie gehen zum Beispiel beim Gleichbehandlungsprogramm darüber hinaus. ({5}) - Doch; schauen Sie sich das mal an. ({6}) - Das steht da noch drin; aber wir können Ihnen gerne eine Lesehilfe geben. Daran soll es nicht scheitern. ({7}) - Sie haben zwar einige Elemente gestrichen, aber andere hinzugefügt. Darüber werden wir uns im weiteren Verfahren auf jeden Fall zu unterhalten haben. Auch die Frage der Überbürokratisierung wurde angesprochen. Bis zu 130 Informations- und Berichtspflichten gehen zu weit. Ebenso schießen Sie, was die Stromkennzeichnung und die Verbandsklage anbelangt, weit über das Ziel hinaus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Pfeiffer, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich darf sagen: Wir sind auf dem zur Schaffung von mehr Wettbewerb notwendigen Weg gemeinsam und konstruktiv ein gutes Stück vorangekommen. Aber wir können Ihrem Gesetzentwurf aus den genannten Gründen heute noch nicht zustimmen. Eines will ich an dieser Stelle allerdings mit aller Deutlichkeit feststellen: Wir haben Ihr Vorhaben an keiner Stelle, weder inhaltlich noch im Verfahren, aufgehalten. Vielmehr konnten Sie sich bisher nicht einigen. Aber lassen wir es, wie es ist. Jetzt sind wir auf jeden Fall bereit, auf die Fristen des Bundesrates zu verzichten, um im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Unser gemeinsames Ziel muss sein, das Energiewirtschaftsgesetz im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, des Energiestandortes Deutschland und der Planungssicherheit für die Energiewirtschaft zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft zu setzen. Wir sind dazu bereit. Gehen Sie den Weg in Richtung Wettbewerb, den Sie gemeinsam mit uns eingeschlagen haben, weiter. Dann werden wir zu einem Ergebnis kommen und zum 1. Juli dieses Jahres ein Energiewirtschaftsgesetz haben. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat vollenden wir heute ein Vorhaben, für das Grüne - Michaele Hustedt ist hier namentlich zu nennen - seit geraumer Zeit streiten: die Schaffung von mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten. Wettbewerb, auch und gerade im Bereich des Betriebs von Netzen, ist deswegen nötig, weil Monopole in Netzen den Wettbewerb in der Stromerzeugung unterbinden können. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In den letzten Monaten hat ein Anbieter seine Strompreise vor dem Hintergrund steigender Ölpreise mit Verweis auf diese Regeln munter erhöht. Man muss wissen, dass dieser Anbieter seinen Strom zu 100 Prozent aus heimischer Braunkohle und Kernenergie bezieht, von den steigenden Rohstoffkosten also überhaupt nicht betroffen war. Die Realisierung und Durchsetzung solcher Strompreiserhöhungen ist nur möglich, solange in den Netzen faktisch kein Wettbewerb herrscht. Dieses haben wir mit dieser Novelle angegangen. Ich glaube, dass wir hier in der Tat auf einem Weg sind, der langfristig zu Senkungen der Kosten führen kann. Als wir über dieses Gesetz beraten haben, ist versucht worden, noch einmal schnell Kasse zu machen. Die Regel, hier auch all die Erhöhungen zu überprüfen, die angekündigt und gemacht worden sind, war, glaube ich, die richtige politische Antwort. Es wäre schön gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn es heute bei dem gemeinsamen Grundverständnis, das ich aus allem herausgehört habe, geblieben wäre. Stattdessen bewegen Sie sich in, wie ich finde, eigentümlichen Widersprüchen: Auf der einen Seite beklagt Herr Pfeiffer die steuerlichen Belastungen in diesem Bereich. Mit seinem nächsten Argument kommt er aber wie Frau Wöhrl zu dem Ergebnis, es sei verkehrt, dass diejenigen, deren Marktzutritt über die Regulierungsbehörde, über die Wettbewerbsbehörde, geregelt wird, für die Kosten dieser Behörde aufkommen. Ja was heißt das? Sie verlangen, dass diese Behörde nicht von den Verursachern bezahlt wird, sondern aus Steuermitteln. ({0}) Was ist das für eine Logik? Ihnen, Frau Wöhrl, geht die Anreizregulierung im Gasbereich nicht weit genug. Gleichzeitig haben Sie sich dagegen ausgesprochen, dass Biogas künftig vorrangig einen Anspruch auf Einspeisung haben soll. Das ist etwas ganz anderes als eine Kosten- und Einspeiseregelung wie im EEG: Das ist genau dieses Stück mehr Wettbewerb. ({1}) Deswegen glaube ich, liebe Frau Wöhrl: Es wird mit der Einspeisung von Biogas sein wie mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz: Erst hat Bayern munter dagegen gestimmt, aber jetzt sind die Bayern diejenigen, die in ganz großem Stil von dieser Entwicklung profitieren. ({2}) Was wir mit diesem Gesetz auf den Weg gebracht haben, ist ein Signal, einen Zustand zu überwinden, der dieses Land sehr lange geprägt hat. Wir haben, wenn man von der hervorragenden Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien absieht, ({3}) in Deutschland seit über zehn Jahren faktisch eine sehr große Zurückhaltung - um nicht zu sagen: einen Attentismus - bei Investitionen in den Kraftwerksbau. Wir können uns das langfristig nicht leisten. Wir alle wissen: Bis zum Jahre 2020 müssen wir in Deutschland neue Kraftwerke in der Leistungsgrößenordnung von ungefähr 40 000 Megawatt bauen. Das, was wir hier mit dem Energiewirtschaftsgesetz und - Herr Hempelmann hat darauf hingewiesen - mit den Regeln des Emissionshandels auf den Weg gebracht haben, hat Deutschland wieder zu einem Ort für Investitionen in moderne, hoch effiziente, klimafreundliche Kraftwerke gemacht. ({4}) Das, lieber Herr Goldmann, wird offensichtlich nicht nur von heimischen Anbietern erkannt. Sie haben auf die Modernisierung des Braunkohlekraftwerks in Grevenbroich verwiesen. Schauen Sie sich einmal an, wer hier investiert. Wer baut in Hürth-Knapsack? Ein ausländisches Unternehmen investiert hier. Wer investiert außerhalb des eigenen Versorgungsgebietes - ein für Deutschland ungewöhnlicher Vorgang? Die EnBW ist es, die den Mut hat, mitten im tradierten Versorgungsgebiet von RWE ein Kraftwerk zu bauen. Für diese neuen Investitionen in die Netze und in neue Kraftwerke in einer Größenordnung von 10 Milliarden Euro - die Hälfte davon übrigens in Nordrhein-Westfalen - und für dieses Stück Wachstum tragen wir mit diesem Gesetz ein Stück Verantwortung. Deswegen ist es ein guter Tag. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Bietmann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Rolf Bietmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003506, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Energiewirtschaftsgesetzes treten wir in die zweite Phase der Liberalisierung der Energiewirtschaft ein. Das Ziel, das mit dem zu novellierenden Gesetz verfolgt wird, ist die längst überfällige Schaffung eines funktionierenden Wettbewerbs bei den leitungsgebundenen Energien. Herr Minister Trittin, ich habe von Ihnen soeben gerne gehört, dass gerade Sie sich zum Wettbewerb und zur Senkung der Kosten bekennen. Wenn Sie dies wirklich tun, dann schaffen Sie die Voraussetzungen für Wettbewerb auch dadurch, dass Sie die staatlichen Belastungen durch Steuern und Abgaben auf Strom endlich reduzieren, damit der Wahnsinn der ständig anwachsenden staatlichen Belastungen gestoppt wird! ({0}) Sie haben gesagt, staatliche Regulierung müsse von den Verursachern bezahlt werden. Man muss sich das in der Praxis einmal vorstellen: Eine neue Behörde wird eingerichtet, mit 180 neuen Planstellen ausgerüstet und dem Bundeswirtschaftsministerium zugewiesen. Die Kosten für die behördliche Regulierung sollen aber die Unternehmen und zum Schluss wieder die Verbraucher tragen. Trotzdem steht dieser Minister hier und spricht von einer Senkung der Kosten. Das ist in sich doch nicht schlüssig und in hohem Maße unehrlich. ({1}) Es ist doch das Kernproblem rot-grüner Energiepolitik, dass sich die Minister Clement und Trittin nicht auf ein energiepolitisches Konzept einigen können. Damit bleiben elementare Fragen für die zukunftsfähige Ausrichtung des Energiesektors unbeantwortet. Herr Trittin, so richtig es ist, erneuerbare Energien zu fördern, so falsch ist es, in diesen erneuerbaren Energien das Allheilmittel für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unserer Energieversorgung zu sehen. ({2}) Spätestens seit der Dena-Studie über Windkraft wissen wir, dass Windkraft bei CO2-Vermeidungskosten von 42 bis 77 Euro je Tonne in 2015 weit davon entfernt ist, marktgerechte Preise zu garantieren. Als ebenso konzeptionslos erweist sich Ihr vorzeitiger Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Ich sage es hier noch einmal: Wer den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie erklärt, ohne die Frage zu beantworten, wie der jährliche Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland in Höhe von 28 Prozent ersetzt werden soll, der schadet dem Standort Deutschland. ({3}) Angesichts dieser erkennbaren energiepolitischen Fehlentwicklungen kommt der Diskussion über das EnWG und seinen Verordnungen natürlich eine hohe Bedeutung zu. Wir brauchen ein Regelwerk, in dem inhaltlich klare Vorgaben formuliert und keine neuen bürokratischen Hemmnisse aufgebaut werden. Diesem Anspruch werden Sie mit Ihrem jetzt vorliegenden Entwurf bei kritischer Prüfung nicht gerecht. Der Gesetzentwurf lebt erkennbar von dem guten Glauben an die Kompetenz der Behörde, hier also der Regulierungsbehörde. Auf normative Vorgaben wird gesetzestechnisch weitgehend verzichtet. Stattdessen arbeiten Sie in Ihrem Entwurf mit einer ungeheuren Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Interpretation der Behörden und der Gerichte bedürfen. Ich sage schon heute: Die Gerichte werden wieder einmal Ersatzgesetzgeber für das Wirtschaftsrecht. Rechtsicherheit wird so jedenfalls nicht geschaffen. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen: Erstens. Die deutschen Unternehmen warten derzeit auf klare Vorgaben für die Gründung von Netzgesellschaften. Die vom europäischen Recht geforderte operationelle Entflechtung zwischen Netz und Produktion wird gemäß § 8 Abs. 2 des Gesetzentwurfs über den Weg der personellen Trennung definiert. Nach dem Entwurf müssen Personen - ich zitiere jetzt einmal -, die die Befugnisse zu Entscheidungen besitzen, die für die Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs wesentlich sind, den betrieblichen Einrichtungen des Netzbetreibers angehören. Nun fragt sich natürlich jeder in den Unternehmen: Um welche „wesentliche Personen“ handelt es sich dabei? Ungeschickter kann man nicht formulieren. Für mich ist auch fraglich, warum wir hier über die EURichtlinie hinausgehen, die ganz klar von „Personen mit Leitungsfunktionen“ spricht. Zweitens. Der Gesetzgeber verzichtet auf eine normative Fixierung der von uns allen gewünschten Anreizregulierung. Die Einführung der Anreizregulierung bedeutet einen grundlegenden Systemwechsel bei der Kalkulation der Netzentgelte. Der Gesetzgeber überlässt aber die Entwicklung der Anreizregulierung der Regulierungsbehörde und läuft damit Gefahr, einen Kernbereich gesetzgeberischer Regelungskompetenz einem behördlichen Experimentierfeld zu überlassen. Für mich ist es jedenfalls politisch unverzichtbar, über die zu entwickelnde Anreizregulierung zumindest im Wege der Verordnung normativ zu entscheiden. Die Politik darf sich im Glauben an die Weisheit einer Regulierungsbehörde nicht aus der Verantwortung stehlen. Drittens. Für Industrieregionen wie Nordrhein-Westfalen sind klare Regelungen über Werksnetze unverzichtbar. Die gesetzliche Definition ist hier nicht ausreichend. Viertens. Abzulehnen sind die im Gesetz vorgesehenen Verbandsklagerechte. Im Bereich des EnWG besteht für ein Tätigwerden von Verbraucher- bzw. Wettbewerbsschützern überhaupt kein Bedürfnis. Hier überwacht schließlich eine eigens zu diesem Zweck geschaffene Regulierungsbehörde die Einhaltung der Marktregeln. Fünftens. Die überzogenen Informations-, Dokumentations-, Berichts- und Auskunftspflichten führen zu mehr Bürokratie und Verwaltungskosten und machen keinen Sinn. Sechstens. Die vorgesehene Finanzierung der Regulierungsbehörde durch die Netzbetreiber ist abzulehnen. Siebtens. Die Kennzeichnungspflicht in Bezug auf den Energieträgermix beim Strom geht ebenfalls deutlich über EU-Vorgaben hinaus. Auch sie führt zu unvertretbaren bürokratischen Belastungen. Achtens. Wir brauchen klare Formulierungen für die Entlastung energieintensiver Unternehmen. ({4}) Neuntens. Wir müssen die Vermutungsregel mit Beweislastumkehr in § 21 Abs. 4 dieses Gesetzes auf den Prüfstand stellen; denn es gibt überhaupt keinen Grund, die Energiewirtschaft, die durch die Regulierungsbehörde überwacht wird, einem schärferen Regime zu unterwerfen als Unternehmen, die der Kontrolle durch die Kartellbehörde unterliegen. Zehntens. Die Streichung der Saldierung kalkulatorischer Abschreibung ist mit Blick auf die laufenden Abschreibungszeiträume rechtlich hoch problematisch. Man kann allenfalls darüber nachdenken, kalkulatorische Abschreibung bei Neuanlagen festzuschreiben. Diese von mir aufgezeigten zehn Punkte verdeutlichen, dass der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form eben noch nicht zustimmungsfähig ist. Es sind Änderungen in gesetzestechnischer und inhaltlicher Art notwendig, um ein für die deutsche Energiewirtschaft handhabbares Gesetz zu präsentieren. Weitere Fehlentwicklungen der Energiewirtschaft können wir uns am Standort Deutschland nicht leisten. Der Schaden einer bislang weitgehend konzeptionslosen Energiepolitik dieser Bundesregierung ist schon groß genug. Darum lehnen wir den Gesetzentwurf in dieser Form ab. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Martin Dörmann, SPDFraktion.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes werden wir ein neues Grundgesetz für die Energiewirtschaft verabschieden, das weit reichende Konsequenzen für alle Beteiligten haben wird. Gerade auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt die Novelle entscheidende Verbesserungen und einen echten Durchbruch. Haushaltskunden sind sowohl an einer preisgünstigen als auch an einer sicheren und umweltverträglichen Versorgung mit Strom und Gas interessiert. Zur Verwirklichung dieses Dreiklangs haben wir in diesem Gesetz gute Lösungen gefunden. ({0}) Die wichtigsten Fortschritte im Sinne der Verbraucherinteressen möchte ich stichwortartig zusammenfassen: Mit der Errichtung einer starken und unabhängigen Regulierungsbehörde, der Bundesnetzagentur, wird erstmals eine wirkungsvolle Aufsicht über die Strom- und Gasnetze hergestellt. Dies schafft endlich mehr Wettbewerb und Transparenz. ({1}) Alle Preiserhöhungen von Netzbetreibern kommen auf den Prüfstand. Bereits vollzogene Preiserhöhungen können bei Missbrauch revidiert werden. Alle neuen Preiserhöhungswünsche werden sich einer Vorabprüfung stellen müssen, die die Regulierungsbehörde vornimmt. Hierdurch wird die Angemessenheit der Netznutzungsentgelte sichergestellt. Darüber hinaus wird bereits ein Jahr nach In-Kraft-Treten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes eine Anreizregulierung mit Preisobergrenzen eingeführt, die sich an den Effizienzsteigerungen orientiert. Ich rechne fest damit, dass es im Zuge dieser Anreizregulierung zu sinkenden Netzentgelten zugunsten der Kunden kommen wird; denn jetzt hat die Regulierungsbehörde endlich ein entscheidendes Instrument in der Hand, um Spielräume für Preissenkungen tatsächlich auszuschöpfen. ({2}) Gleichzeitig werden mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz die Voraussetzungen für die Beibehaltung und Fortführung der in Deutschland hohen Versorgungsqualität geschaffen. Die Energiewirtschaft hat bereits Investitionen in das Netz und in die Kraftwerke in Höhe von 19 Milliarden Euro bis 2010 angekündigt. Mit diesem Gesetz schaffen wir Planungssicherheit für diese Investitionen und das ist gut für unsere Wirtschaft. Wir liberalisieren zudem das Mess- und Zählwesen. Das war längst überfällig. Das bisherige Monopol hat dazu geführt, dass die Kunden zwangsläufig überhöhte Preise zahlen mussten. Zukünftig können der Einbau, der Betrieb und die Wartung von Netzeinrichtungen auf Wunsch des betroffenen Kunden von einem Dritten durchgeführt werden. Damit setzen wir auch in diesem Bereich einen Wettbewerb in Gang, der in der Folge zu spürbaren Kostenersparnissen bei den Haushaltskunden führen wird. ({3}) Die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre Stellung als Marktteilnehmer werden auch durch andere Vorschriften gestärkt, beispielsweise bei der Abwicklung eines Anbieterwechsels. Der Wechsel eines Stromanbieters wird zukünftig nach standardisierten und möglichst einfachen Regeln durchgeführt werden können. Aus Verbrauchersicht besonders zu begrüßen ist es, dass ein Klagerecht auch für die Verbraucherverbände vorgesehen ist. ({4}) Bei Gesetzesverstößen oder Zuwiderhandlungen gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde sind sie berechtigt, Anträge auf Unterlassung und Schadensersatz zu stellen. In Fällen, in denen missbräuchliches Verhalten eine Vielzahl von Verbrauchern geschädigt hat, haben Verbraucherverbände darüber hinaus die Möglichkeit, eine Vorteilsabschöpfung zu beantragen. Ein solch umfangreiches Verbandsklagerecht ist ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({5}) Weitreichende Vorschriften zur Stromkennzeichnung stellen eine umfassende Information der Haushaltskunden sicher. Sie ermöglichen eine bewusste Produktwahl und verhindern irreführende Werbeaktionen von Stromanbietern. Der Endverbraucher kann zukünftig in der Anlage zu seiner Stromrechnung beispielsweise den Anteil der einzelnen Energieträger und Informationen über die Umweltauswirkungen ablesen. Darüber hinaus schaffen wir Kostentransparenz. Die Rechnungen enthalten auch eine Aufschlüsselung über einzelne Kostenbestandteile. Schließlich wird - das ist ganz besonders wichtig - im Gesetz ausdrücklich der Verbraucherschutz als Ziel festgeschrieben. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Verbraucherrechte und Verbraucherinteressen werden durch das neue Energiewirtschaftsgesetz entscheidend gestärkt. ({6}) Die Novelle bringt sowohl mehr Wettbewerb, mehr Transparenz, mehr Effizienz und größere Spielräume als auch Planungssicherheit für zusätzliche Investitionen und Versorgungssicherheit. Deshalb wünsche ich mir sehr, dass es gelingt, im Vermittlungsverfahren, das heute von der Opposition angekündigt wurde, zu einer Regelung zu finden. Ich denke, das wäre im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Julia Klöckner, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns noch einmal, wie mein Vorredner auch, den Blick auf die Verbraucher lenken. Wir sind uns parteiübergreifend alle darüber einig, dass die Energiekosten in Deutschland eindeutig zu hoch sind. Deutschland gehört zu den Spitzenreitern in Europa. Mittlerweile haben sich die Belastungen durch die Energiekosten für die Privathaushalte sozusagen zu einer zweiten Miete entwickelt. ({0}) Das darf nicht sein. Ich weiß, dass die Kollegen von den Koalitionsfraktionen immer sehr unruhig werden, wenn das erwähnt wird, weil dabei ein Fünkchen Wahrheit ans Licht kommt. Woher kommen denn die Energiebelastungen? Mein Kollege Herr Pfeiffer hat es bereits angesprochen; er hat es ausgerechnet. Diesmal sollten Sie nicht einfach dazwischenrufen; denn in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage wurde uns bestätigt, dass seit dem Regierungswechsel die Belastungen durch Stromkosten um ein Vielfaches gestiegen sind. Der staatliche Anteil am Strompreis ist von 25 Prozent auf 40 Prozent gestiegen. Das ist Fakt. Was mich bei dem ganzen Thema irritiert, ist die Aussage von Herrn Stiegler in einem Interview auf die Frage, ob der private Verbraucher nicht durch die höheren Energiepreise belastet würde. Seine Antwort lautete: „In privaten Haushalten spielen sie nicht die Rolle wie in der Wirtschaft. Wir haben … dafür gesorgt, dass die Wirtschaft Energie sparende Geräte vorgelegt hat.“ Das soll Verbraucherschutz sein, der familiengerecht und sozial ist?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne meine Rede beenden. ({0}) Frau Hustedt hat schließlich vorhin schon geredet. ({1}) Es ist doch Hohn, die Verbraucher darauf hinzuweisen, dass es Energie sparende Geräte gebe, mit denen der Energieverbrauch und damit die Energiekosten gesenkt werden könnten. Sie können nicht leugnen, dass ein Teil der Belastungen - wenn auch nicht alle - staatlich hervorgerufen wurde. Es ist auch Hohn, davon zu reden, dass sich die Regierung der Verbraucher angenommen und zügig gearbeitet habe. In diesem Fall ist Zeit wirklich Geld. Der Bundesrat hat im Unterschied zur Bundesregierung extrem zügig gearbeitet. Das möchte ich an dieser Stelle in Erinnerung rufen. ({2}) Ärgerlich ist, dass die Regierung ziemlich dreist die Frist für das neue Gesetz am 1. Juli 2004 verstreichen ließ und dass sie, nachdem der Bundesrat binnen fünf Wochen im vergangenen September seine Empfehlungen für eine verbraucher- und umweltfreundlichere Verschärfung der Regulierung beschlossen hatte, weitere sechs Monate brauchte, um sich zwischen Rot-Grün abzustimmen. Diese Verzögerungstaktik freut zwar die Aktionäre der Energiekonzerne, aber die Zeche zahlen die Verbraucher und damit diejenigen, die sich nicht wehren können. ({3}) Mich irritiert auch, dass die selbst ernannte Retterin der Verbraucher, Frau Künast, kein einziges Wort dazu geäußert hat. Sie sagt sehr viel zum Thema Schrottimmobilien und zum nachhaltigen Waschen. ({4}) In diesem Fall geht es aber um Grundbedürfnisse des Verbrauchers, denen er sich nicht entziehen kann. Ich würde es begrüßen, dass sich die Verbraucherministerin dazu äußert. Wo ist sie heute? Sie darf keine PR machen und sie darf nach Ansicht des Ministers nichts zu dem Thema sagen. Das ist sehr traurig. ({5}) Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Regulierungsbehörde anmerken. Ich habe schon etwas Bauchschmerzen hinsichtlich der Ausgestaltung der Regulierungsbehörde, bei der vorsichtig vorzugehen ist. Denn es ist klar, dass die durch eine Aufblähung der Behörde entstehenden Kosten auf die Verbraucher umgewälzt würden. Wenn der vorgesehene Regulierungsbeitrag auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt wird, richte ich an uns alle parteiübergreifend die Bitte, diesen Vorgang sensibel zu begleiten. Das gilt auch für die Rabatte. Rabatte für die industriellen Großkunden, die energieintensiv arbeiten müssen, sind sehr wichtig. Aber es geht nicht an, dass die den Großkunden gewährten Rabatte auf die Verbraucher umgelegt werden. Auch dabei sind wir alle gefordert, sensibel vorzugehen. Ich komme zum Verbandsklagerecht. Nicht überall, wo Verbraucherschutz draufsteht, ist auch Verbraucherschutz drin. ({6}) Weder die Klageflut von Verbänden vor den Gerichten, die Kosten verursachen, noch die Bürokratie bei den Stromrechnungen bedeuten Verbraucherschutz. Im Gegenteil: Bedenken Sie den Druck des Verbandsklagerechts auf die Verbraucherverbände vor Ort. Bei jeder angedachten Preiserhöhung müsste der Klageweg beschritten werden. ({7}) Ich unterstütze die in unserem Antrag erhobene Forderung, dass die Regulierungsbehörde umfangreiche Möglichkeiten für Sanktionen hin zur Abschöpfung ungerechtfertigt erlangter wirtschaftlicher Vorteile erhält und dass die Überprüfung der Netzbetreiber durch die Verbraucherverbände in die Wege geleitet werden kann. Das ist ein richtiger und unbürokratischer Ansatz, der keine Kosten verursacht, die wiederum die Verbraucher tragen müssten. ({8}) Insofern freue ich mich, dass wir in vielen Punkten den Forderungen des Bundesrates entgegengekommen sind, um Wettbewerb und Verbraucherschutz zu gewährleisten. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Wenn auf der Stromrechnung alles - wie Frau Wöhrl gesagt hat: in Milligramm je Kilowattstunde - aufgelistet bzw. - weil es nicht erwünscht ist oder weil es nicht möglich ist, es auszuzeichnen - vom Energielieferanten unbestimmt weitergeben wird, damit der Verbraucher die Kosten aufschlüsseln soll, dann kann ich dazu nur sagen: Das ist blauer Dunst; das ist weiße Salbe. Denn der Verbraucher kann erstens die Stromrechnung nicht lesen und zweitens nichts zuordnen. Drittens sind die Konzerne nicht verpflichtet, eine Aufschlüsselung vorzunehmen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich mit uns für eine verbrauchergerechte Regulierung einsetzten. Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie den Forderungen der Union zumindest in einigen Punkten nachgekommen sind. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 19 a: Wir kommen zur Ab- stimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neurege- lung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksachen 15/3917 und 15/4068. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 15/5268, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5279. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- nen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Tagesordnungspunkt 19 b: Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5268 emp- fiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3998 mit dem Titel „Klaren und funk- tionsfähigen Ordnungsrahmen für die Strom- und Gas- märkte schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stim- men der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4037 mit dem Titel „Für mehr Wettbewerb und Transparenz in der Energie- wirtschaft durch klare ordnungspolitische Vorgaben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen - Drucksachen 15/3805, 15/5264 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Hofmann ({2}) Silke Stokar von Neuforn Dr. Max Stadler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Einsatz der automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen durch den Bundesgrenzschutz - Drucksachen 15/3713, 15/5266 Berichterstattung: Abgeordnete Frank Hofmann ({5}) Roland Gewalt Gisela Piltz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Ralf Göbel, CDU/CSU-Fraktion.

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Großrazzia in Deutschland und in Belgien hat uns erneut gezeigt, wie real die Bedrohung durch Islamisten in der Bundesrepublik Deutschland ist. Den beiden Hauptverdächtigen, die festgenommen worden sind, einem Tunesier und einem Ägypter, werden Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Beide sollen islamistische Gruppen mit Geldern im hohen sechsstelligen Bereich unterstützt haben. Beide haben sich legal in Deutschland aufgehalten. Der Tunesier wurde bereits vorher in Tunesien wegen eines Brandanschlags auf eine Schule und wegen eines versuchten Attentats auf ein Flugzeug zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt. In Deutschland hat er sich seinen Lebensunterhalt durch den Handel mit Altkleidern verdient. Der Ägypter vertrieb in Deutschland Medien mit Ansprachen bekannter Hassprediger. Er pflegte Kontakt mit Personen, gegen die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde. Er hatte über Mittelsmänner Kontakt zu den Attentätern des 11. September und zu einem Hintermann des Gott sei Dank verhinderten Anschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt. Beide haben in Deutschland gelebt. Sie haben sich hier in einem bürgerlichen Gewand aufgehalten. Sie haben Deutschland als Aktionsraum genutzt, um ihr Ziel, islamistische Terroristen zu unterstützen, von hier aus zu realisieren. Diese Beispiele - viele weitere könnten hinzugefügt werden - zeigen, dass in Deutschland größte Aufmerksamkeit geboten ist und dass es wichtig ist, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland unsere Sicherheitsbehörden so organisieren, dass eine effektive und eine effiziente Bekämpfung solcher Umtriebe möglich ist. ({0}) Die CDU/CSU-Fraktion hat mit dem Antrag vom 28. September des letzten Jahres - ich werde später noch erklären, warum ich „letzten Jahres“ hinzugefügt habe den Vorschlag zur Schaffung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung gemacht. Damit hat sie einen guten Vorschlag unterbreitet, wie eine solche Organisation gestaltet werden kann. Wenn ich die Redebeiträge der Koalitionsfraktionen aus der ersten Lesung dieses Antrags nachlese und mir die Erörterung dieses Themas in der Sitzung des Innenausschusses in dieser Woche in Erinnerung rufe, dann ergibt sich für mich das gleiche Bild wie bei vielen anderen Debatten über Sicherheitspolitik: Die Anträge werden überhaupt nicht gelesen; ({1}) vielmehr nimmt man reflexhaft eine Abwehrhaltung ein. Man ist überhaupt nicht bereit, auf diese Dinge konstruktiv einzugehen. Auch deswegen will ich - auch für diejenigen, die uns auf der Galerie zuhören - die wesentlichen Punkte unseres Vorschlags hier noch einmal in aller Kürze darstellen: Wir wollen, dass alle 37 Behörden, die sich in dieser Republik mit Terrorismusbekämpfung beschäftigen, in einem gemeinsamen Zentrum arbeiten. ({2}) Wir wollen, dass eine zentrale Stelle für den Informationsaustausch und die Informationsanalyse eingerichtet wird. Die beteiligten Behörden sollen nicht nebeneinander, sondern miteinander arbeiten. ({3}) Das ist das wesentliche Ziel. Dieses Zentrum soll rund um die Uhr ein gemeinsames Lagebild zur Bekämpfung des Terrorismus erstellen. Es soll Polizei und Nachrichtendienste bei ihren Ermittlungen unterstützen und bei Einsätzen und Überwachungsmaßnahmen an der Koordination mitwirken. Wir wollen sicherstellen, dass bei aktuellen Gefährdungslagen eine schnelle und effiziente Reaktion möglich ist. Das von der Bundesregierung eingerichtete Terrorismusabwehrzentrum, das im Dezember des letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kann diese Funktionen nicht vollständig erfüllen; damit sage ich nicht, es könne sie gar nicht erfüllen. Wir haben es mit dem organisatorischen Nebeneinander zweier Säulen, der polizeilichen und der nachrichtendienstlichen, zu tun. Diese beiden Säulen werden über sieben Gesprächskreise koordiniert. Man kann das Miteinander einfacher haben, denke ich, und braucht keine sieben Koordinationskreise. ({4}) Es ist zuzugeben: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben ein kleiner Schritt. Dass wir als Opposition das kritisieren, ist eigentlich klar. Ich will noch jemanden zu Wort kommen lassen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei hat sich in der „Nordwest-Zeitung“ am 14. Dezember 2004, also drei Jahre nach dem Anschlag in New York, zu dem Terrorzentrum wie folgt geäußert: Das ist endlich ein Schritt nach vorn, aber es wurde erneut eine Chance vergeben. Es wäre besser gewesen, für Polizei und Nachrichtendienste ein gemeinsames Lagezentrum einzurichten. Das ist genau der Vorschlag, den wir in dieser Debatte behandeln. ({5}) Wir brauchen bei diesem Thema keine Tippelschritte, sondern wir müssen unseren Sicherheitsbehörden im Rahmen des rechtlich Möglichen das Optimale zur Verfügung stellen. Ich nehme an, dass wir nachher noch etwas zum Trennungsgebot hören werden. Jeder, der das Ganze ernsthaft betrachtet, weiß, dass das Trennungsgebot bei der Gestaltung, die wir vorgeschlagen haben, nicht verletzt wird. Ich will am Ende zu einem Punkt kommen, der die Arbeit dieses Zentrums zumindest mittelbar betrifft. Es geht um die Frage: Mit welcher Datenbasis arbeitet dieses Zentrum? Da bin ganz schnell bei der Debatte, die wir hier in Februar dieses Jahres über die Antiterrordatei geführt haben. Für die Öffentlichkeit ist es sehr interessant, zu wissen, wie hier mit einem solchen Instrument umgegangen wird. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Körper hat uns versprochen, dass diese Datei in Kürze im Deutschen Bundestag behandelt wird. Das war im Februar. Frau Kollegin Stokar hat auf eine Zwischenfrage des Kollegen Schröder hier geantwortet: Noch vor Ostern werden wir diesem Haus einen Vorschlag unterbreiten. ({6}) Jetzt komme ich dazu, warum ich vorhin „letzten Jahres“ dazugesagt habe. Sie hat bei der Angabe „Ostern“ vergessen, die Jahreszahl zu nennen. Ich glaube, dass wir es uns in der Bundesrepublik Deutschland bei der Bedrohungslage, die wir derzeit haben, nicht leisten können, noch Jahre zu warten, bis Sie sich endlich darüber einig geworden sind, was Sie nun tatsächlich wollen. ({7}) Das ist ein sicherheitspolitisches Risiko. Das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir weiterhin unsere guten Vorschläge hier zur Debatte stellen und mit Ihnen auch streitig behandeln. Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, SPDFraktion, das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vorgestern hat sich in der Sitzung des Innenausschusses etwas ganz Bemerkenswertes abgespielt. Der Kollege Binninger - er sitzt hier in der zweiten Reihe - stellte kurz fest, dass die Vorstellungen seiner Fraktion dem ziemlich nahe kämen, was bei dem im Dezember eröffneten Terrorismusabwehrzentrum des BKA in BerlinTreptow realisiert werde. Sodann verlegte er sich auf eine deftige Gerichtsschelte und geißelte die deutsche Justiz, weil die drei wichtigsten Prozesse gegen mutmaßliche Terroristen vorerst gescheitert seien. Man fragt sich, Herr Binninger: Warum eigentlich solche Ausweichmanöver? Die Antwort ist: Weil die Regierung, während die Opposition noch kritisierte und lamentierte, längst gehandelt hatte. ({0}) So fügt sich denn Ihr Antrag in die Reihe vergeblicher Versuche ein, der rot-grünen Koalition die Kompetenz für die innere Sicherheit abzusprechen. Das ist Ihnen nicht gelungen und das wird Ihnen auch nicht gelingen. Sie verbreiten Panik und wir schaffen Tatsachen. ({1}) Sie haben sich inzwischen selbst einen Eindruck von der Einrichtung in Treptow machen können. Dort ist die Startphase angelaufen. Die behördenübergreifende Zusammenarbeit wird gestärkt, selbstverständlich unter Wahrung des Trennungsgebotes. Operative Maßnahmen werden abgestimmt, Informationen gesammelt und verwertet, Kommunikationswege verkürzt; das ist dort in der räumlichen Nähe möglich. In täglichen Lagebesprechungen wird die Gefährdung durch das islamistisch-terroristische Personenpotenzial analysiert. Beteiligt sind neben dem BKA - das wissen Sie - das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, der BGS, das Zollkriminalamt, Vertreter der Landeskriminalämter und der Landesämter für Verfassungsschutz sowie der Generalbundesanwalt. Die Bereitschaft der Länder, Informationen nicht nur abzusaugen, sondern auch einzubringen, wächst zwar langsam, aber stetig. Sie sehen: Der Aufbau läuft. Auch das Erstgeburtsrecht an einem solchen Konzept - darauf spielten Sie an haben Sie nicht; denn die Vorbereitungen des Ministeriums waren längst im Gange, als Sie im September vorigen Jahres Ihren Antrag formulierten. Mit anderen Worten: Auch wenn der Idealzustand noch nicht erreicht ist, die Bundesrepublik ist für den Antiterrorkampf gut gerüstet. ({2}) Wir wollen bestmögliche Koordination und Kooperation und einen engmaschigen Informationsverbund. Natürlich bleibt unsere Forderung bestehen, dem Bundeskriminalamt das notwendige Instrumentarium an die Hand zu geben, einschließlich der Befugnis, präventiv tätig zu werden, so wie es die Länder ihren Landeskriminalämtern einräumen und wie es auch jeder Dorfpolizist darf. ({3}) Deshalb, liebe Kollegen, zwei Ratschläge zum Schluss: Bringen Sie erstens die Innenpolitik der Unionsfraktion im Bundestag einerseits und die der unionsgeführten Länder andererseits weg vom ewigen Schlangenlinienfahren hin auf einen klaren Kurs. ({4}) Wenn der auf Profilierung ja sehr erpichte niedersächsische Ministerpräsident seinen bayerischen Kollegen wegen dessen Arbeit in der Föderalismuskommission geißeln zu müssen glaubt, ({5}) ist das seine Sache. Sehr viel besser wäre es, einen beherzten Wiedereinstieg in diese Debatte zu wagen; dann könnte auch das Kompetenzgezerre bei der Terrorismusbekämpfung endlich beendet werden. Sonst bleiben Sie, was Ihnen die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich einmal bescheinigte, nämlich Maulhelden der inneren Sicherheit. ({6}) Der zweite Appell: So ernst die Bedrohung durch den internationalen und islamistischen Terrorismus zu nehmen ist - die Situation verlangt Tatkraft, Entschlussfähigkeit, einen hohen Ermittlungs- und Verfolgungsdruck, zugleich aber das nötige Maß an Sachlichkeit und Gelassenheit. Was uns nicht gut tut, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Versuche, die sicherheitspolitische Lage so zu verzerren, dass die Menschen mit Horrorszenarien faktisch in Angst und Schrecken versetzt werden. Das trifft die Sache nicht. Ich würde Ihnen dringend raten, dieses bleiben zu lassen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Binninger das Wort.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, Sie hatten mich angesprochen wegen des Hinweises auf die Terrorprozesse in meinem Beitrag vorgestern im Innenausschuss. Wir reden hier heute Morgen über Terrorismusbekämpfung. Ein Schritt dazu ist, eine Organisation einzurichten, die die Aktivitäten der 37 zuständigen Behörden bündelt. Das haben wir beantragt, nicht Sie. Terrorismusbekämpfung heißt aber, nicht nur eine neue Organisation einzurichten, sondern auch dafür zu sorgen, dass gefährliche Täter, die bei uns in Deutschland agieren, möglichst hinter Schloss und Riegel kommen. In diesem Punkt haben Sie komplett versagt. ({0}) Ich will Ihnen vier Beispiele nennen, so viele sind es nämlich mittlerweile: Sie wissen, dass der 11. September maßgeblich hier in Deutschland vorbereitet wurde. Schlimm genug! Es gab zwei Tatverdächtige, in Bezug auf deren Prozesse Innenminister Schily vollmundig angekündigt hat, das werden die ersten Terroristenprozesse weltweit sein, die zu einer Verurteilung führen. In beiden Prozessen wurde dieses Ziel nicht erreicht. Ein Täter läuft mittlerweile wieder frei herum, beim anderen läuft die zweite Verhandlungsrunde. Es gibt ein drittes Verfahren in Berlin, das gerade in dieser Woche gescheitert ist. Es hat zu einer Verurteilung nicht, wie gewünscht, wegen Terrorismus, sondern nur wegen Nebendelikten geführt. Ganz aktuell in der Diskussion: Ein Hintermann von al-Qaida, Darkazanli aus Hamburg - man darf den Namen ja nennen, weil dieser auch in den Medien so erscheint -, agiert hier seit vielen Jahren. Es ist den Bundesbehörden und dem Bundesinnenminister trotz vieler Maßnahmen nicht gelungen, in dieser Zeit etwas gegen diesen Herrn zu unternehmen. Erst die Spanier wären dazu in der Lage. Jetzt gibt es aber einen Rechtsstreit darüber, ob der europäische Haftbefehl in diesem Fall angewandt werden kann. Das heißt in der Bilanz: Vier Hauptdrahtzieher des internationalen Terrorismus befinden sich hier in Deutschland. Sie wurden nicht verurteilt bzw. eingesperrt oder abgeschoben. Das ist eine Blamage. ({1})

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Binninger, ich verstehe ja, dass Sie sich auf diesem Wege noch ein wenig Redezeit verschaffen wollten. Ich will nur zwei knappe Anmerkungen zu Ihrer Kurzintervention machen. Zunächst ging es darum, klar zu machen, dass Sie mit Ihrem Antrag ein wenig hinter den Tatsachen herhinken und deshalb bei Ihrem Beitrag im Innenausschuss auf ein anderes Thema ausweichen mussten. ({0}) Das Zweite ist: Herr Kollege Binninger, in Deutschland gilt immer noch das Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz. ({1}) Ich kenne die Problematik dieser Prozesse. Aber auch im Terrorismusbereich muss es aussagekräftige und sichere Beweise für die Schuld geben. Ansonsten können Sie ein solches Urteil nicht kritisieren. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Piltz.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass die beiden vorliegenden Anträge in diesem Hause zusammen behandelt werden, war für uns schon eine Überraschung. Überraschend fanden wir auch, dass das automatisierte Kennzeichen-Scanning in die sachliche Nähe zur Terrorismusbekämpfung gestellt wird, insbesondere in der Begründung der Unionsfraktion, und dass damit die Ängste der Bevölkerung auch in dieser Hinsicht instrumentalisiert werden sollen. ({0}) Wenn Sie damit aus CDU/CSU-Sicht dem berühmt-berüchtigten „Otto-Katalog“ etwas entgegensetzen wollten, muss ich Ihnen sagen, dass das nicht mehr als ein Koschyk/Strobl-Päckchen geworden ist. So gewinnt jeder Antrag nur die Hälfte der Aufmerksamkeit - und das reicht dann, ehrlich gesagt, auch. Zum ersten Antrag. Mein Kollege Max Stadler hat bereits in der ersten Lesung an dieser Stelle gesagt, die FDP stimme einer neuen Behörde nur dann zu, wenn sie uns von Praktikern als zwingend deutlich gemacht würde. Nach den Diskussionen in den letzten Wochen ist uns der Glaube, dass das, was von Ihnen vorgeschlagen worden ist, sinnvoll ist, ferner denn je. Eine Notwendigkeit können wir nicht erkennen. Auch heute haben wir nichts in dieser Richtung gehört. Der Antrag ist ja auch - das haben wir hier schon mehrfach diskutiert - nicht mehr wirklich aktuell. ({1}) Das kennen wir von Anträgen, die über ein halbes Jahr brauchen. Das geht auch uns manchmal so. Aber geben Sie das doch einfach zu, anstatt an diesem Antrag festzuhalten! ({2}) - Erstaunlich. ({3}) Wir halten es für sinnvoll, erst einmal die Arbeit des neu eingerichteten Zentrums zu begleiten und die Ergebnisse zu bewerten. Erst danach können wir gerne noch einmal über etwas anderes reden. Aber eines ist für uns klar: Wir werden über nichts reden, was das Trennungsgebot ernsthaft aufweicht. Das ist mit den Liberalen nicht zu machen. ({4}) Es ist eben nicht so, dass viel auch viel hilft, wie Sie immer glauben. Auch die Vorstellung, je mehr Apparate man an einen Patienten anschließt, desto besser geht es ihm, trifft nicht zu. ({5}) Wir brauchen unserer Meinung nach keine neuen Apparate, sondern müssen die vorhandenen richtig nutzen. Diesen Vorgang warten wir ab. Deswegen werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. ({6}) Nun zu dem zweiten Antrag. Nach dem, wie er uns heute vorliegt - Sie haben ihn ja nach der Innenausschusssitzung nicht mehr verändert -, wollen Sie das Kfz-Kennzeichen-Scanning quasi flächendeckend, nämlich in einem Grenzbereich von bis zu 50, sogar 80 Kilometern, einführen. ({7}) - Von der Grenze an. Schauen Sie mal ins Gesetz! Wenn Sie das Gesetz nicht kennen, freut mich das. Aber apropos Grenze noch ein Wort zu den Beratungen im Innenausschuss: Wenn Sie versuchen, uns aufs Glatteis zu führen, indem Sie in Ihrem Antrag „Zuständigkeitsbereich“ durch „Grenzbereich“ ersetzen, dann ist das ein netter Versuch von Ihnen; aber Sie dürfen sich nicht wundern, wenn wir dem nicht zustimmen. Das ist nämlich nur ein Wortspiel; denn das Gesetz unterscheidet zwischen Grenze und Grenzgebiet. Deshalb müssen Sie sich sagen lassen, dass Sie in Ihrem Änderungsantrag letztendlich nichts geändert haben. ({8}) Für uns ist klar: Sie haben auch an Ihrer Einstellung nichts verändert. Sie wollen das Kfz-KennzeichenScreening, soweit es geht, im gesamten Zuständigkeitsbereich des BGS einführen. Es geht Ihnen eben nicht nur um die Grenze. Das haben Sie damit ganz deutlich zum Ausdruck gebracht. Noch einige Anmerkungen zum Inhalt. Zum einen sind verdachtsunabhängige Kontrollen unserem Recht grundsätzlich fremd. ({9}) Die Ausnahmen, die wir haben, reichen aus unserer Sicht aus. Man sollte nicht die Ausnahme zur Regel machen. Deshalb haben wir damals gegen die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes gestimmt und sind auch jetzt konsequent weiter dagegen. ({10}) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2004 zum Außenwirtschaftsgesetz sind präventive Maßnahmen nur begrenzt anwendbar. Diese Begrenzung kann ich in Ihrem Antrag nicht erkennen. Manche Datenschützer - das habe ich Ihnen schon am Mittwoch gesagt; aber jetzt fangen Sie wieder an, bezüglich des Datenschutzes zu quengeln - sind auch mit Ihren Stimmen gewählt worden. Die Datenschützer von Bund und Ländern warnen vor einem ersten Schritt in die Überwachung, dem bald der nächste und dann der übernächste folgen werden. ({11}) Aus unserer Sicht weist der Antrag auch logische Brüche auf. Vorne sprechen Sie von Grenzen und hinten vom Grenzbereich. Vorne sprechen Sie von der Erkennung gestohlener Fahrzeuge und hinten vom gesamten Zuständigkeitsbereich des BGS. Geben Sie doch einfach zu, dass es Ihnen um mehr geht als nur um die Grenze und um gestohlene Fahrzeuge. Es geht Ihnen um den Schritt in die absolute Überwachung. ({12}) - Es bleibt dabei. Zwei Bemerkungen zum Schluss. Erstens. Wenn Ihnen dieses Anliegen so wichtig ist, dann setzen Sie Ihre Vorschläge doch erst einmal in den Ländern konsequent durch, in denen Sie mitregieren. ({13}) Aber das schaffen Sie nicht. Zweitens. Wir werden uns immer für die Wahrung von Grundrechten einsetzen. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir konnten gerade den interessanten Versuch von Union und FDP beobachten, hier im Plenum öffentlich Koalitionsverhandlungen zu führen. ({0}) Ich kann nur feststellen: Diese Verhandlungen sind gescheitert. Sie sind nicht fähig, im Bereich der inneren Sicherheit auch nur annähernd eine gemeinsame Politik zu formulieren. ({1}) Deswegen ist es gut, dass Rot-Grün in den Kernbereichen der inneren Sicherheit immer wieder deutlich macht, dass wir das Thema der Bedrohung durch den Terrorismus sehr ernst nehmen und dass wir - im Gegensatz zu Ihnen - handlungsfähig sind. Ihr Antrag ist nicht neu. Interessant daran ist, dass die darin enthaltenen Vorschläge in keinem Bundesland umgesetzt werden. ({2}) Das Gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung wird mittlerweile von allen Landeskriminalämtern akzeptiert. Sie arbeiten dort längst mit. Auf der Fachebene wird dieses Zentrum sehr gelobt. Aber Sie erwecken hier den Eindruck, dieses Zentrum könne nicht effektiv arbeiten. Darauf sage ich Ihnen, dass dort jeden Tag viel geleistet wird. Die Kollegen von der Union, die sich die Arbeit vor Ort angesehen haben, sind beeindruckt. Aber sie sind nicht in der Lage - das finde ich merkwürdig -, die gute Arbeit anzuerkennen. Es geht ihnen eben nur um Populismus und darum, vermeintliche Widersprüche zwischen Rot-Grün aufzudecken, die es in diesen Fragen aber nicht gibt. ({3}) Das wissen Sie ganz genau. In diesem Zentrum werden tägliche Lagebesprechungen von verschiedenen Sicherheitsbehörden wie Polizei, Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, Zoll und Bundeskriminalamt gemeinsam mit den Landeskriminalämtern durchgeführt. Es fehlen nur noch einige Landesämter für Verfassungsschutz. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass es keine Konflikte zwischen Rot und Grün in dieser Frage gibt. Wir haben die Einrichtung dieses Zentrums von Anfang an begrüßt. Die Notwendigkeit eines solchen Zentrums haben die Grünen schon vor anderthalb Jahren in entsprechenden Beschlüssen deutlich gemacht. Die Problematik liegt in einem ganz anderen Bereich, nämlich im Bereich des Föderalismus. Das wissen Sie sehr genau. Es ist doch der bayerische Landesinnenminister, der auf seiner Landeskompetenz im Bereich der Bekämpfung auch des internationalen Terrorismus besteht und der nicht kapiert hat, dass es hier längst eine internationale Zusammenarbeit gibt. Das BKA mit seinen 60 Außenstellen in aller Welt sammelt die Informationen, die für die Bekämpfung des Terrorismus notwendig sind. Der Föderalismus, so wie ihn beispielsweise Bayern und Hessen mit Herrn Koch an der Spitze verstehen, ist das tatsächliche Hemmnis bei der Zusammenarbeit. Versuchen Sie also nicht, einen Konflikt zwischen Rot und Grün zu konstruieren, den es nicht gibt. ({4}) Neben den täglichen Lagebesprechungen und den Gefährdungsbewertungen gibt es einen - auch das ist ein fachlich wichtiger Teil der operativen Arbeit - gemeinsamen Informationsaustausch. Ich nenne beispielsweise Fallauswertung und Strukturanalysen. Das ist die Arbeit, die dort gemacht wird. Es wäre gut für diese neue Einrichtung, wenn wir im Parlament sagen würden: Wir stehen hinter dieser Arbeit der Sicherheitsbehörden; wir versuchen, ihnen nicht durch parteipolitisch geprägte, sinnlose Debatten Steine in den Weg zu legen. Vielmehr unterstützen wir das und versuchen, es zu optimieren.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Göbel?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. ({0}) - Bei dem Kollegen Göbel muss man nicht mutig sein. ({1})

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Stokar, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass ich in meiner Rede die Arbeit, die dort geleistet wird, in keiner Weise kritisiert habe, sondern lediglich gesagt habe: Der Aufgabenbereich des Zentrums geht aus unserer Sicht nicht weit genug. Da Sie den bayerischen Innenminister Beckstein erwähnt haben, möchte ich übrigens sagen, dass unser gesamter Antrag mit unseren Länderinnenministern abgestimmt worden ist. Weil Sie auf die Geschlossenheit der beiden Koalitionsfraktionen in der Frage der Terrorismusbekämpfung verwiesen haben: Wären Sie bereit, uns heute, vielleicht sogar mit Angabe einer Jahreszahl, einen Tag zu nennen, an dem endlich die Antiterrorismusdatei, über die wir ja im Februar debattiert haben, in diesem Hohen Hause behandelt wird? ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Göbel, ich bedanke mich für Ihre beiden Fragen. Zu der ersten. Sie müssten wissen - diese Kapazität müsste eigentlich in Ihrer Fraktion vorhanden sein -, dass Ihr Antrag und der Antrag aus dem Bundesrat vom Herbst des letzten Jahres stammen. Seitdem hat es in der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz eine Weiterentwicklung gegeben. Es sind auch auf Länderebene - ich weiß es aus Niedersachsen - unterschiedliche Einrichtungen ins Leben gerufen worden, bei denen es um eine Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ging. Aus gutem Grunde ist so verfahren worden. Ich verweise hier aber auf das Trennungsgebot. Es handelt sich hier doch nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Rot und Grün; vielmehr sprachen doch fachliche Gründe für das Prinzip der zwei Säulen. Natürlich sollen die Sicherheitsbehörden weiterhin auf der Grundlage der jeweiligen, für sie zuständigen Aufgabengesetze, in denen ihre Kompetenzen beschrieben werden, arbeiten. Geheimdienste und Polizei haben unterschiedliche gesetzliche Grundlagen; sie haben unterschiedliche Kompetenzen. Sie ergänzen sich in ihrer Facharbeit. Zu diesem Ergebnis ist auch die Innenministerkonferenz gekommen. Deswegen wird mittlerweile von allen Landeskriminalämtern und den Landesämtern für Verfassungsschutz in den Fällen, in denen eine qualifizierte Zusammenarbeit möglich und sinnvoll ist, genau die Organisationsstruktur bevorzugt, die der Bund gewählt hat. Man will also die Sicherheitsbehörden nicht zusammenführen. Natürlich sind in diesem Zusammenhang die verfassungsrechtliche Grenze und das Trennungsgebot zu beachten. ({0}) - Sie haben spannende Fragen gestellt; nun ertragen Sie auch meine Antwort und hören Sie zu. Ansonsten dürfen Sie hier keine Fragen stellen. ({1}) - Sie haben nicht sehr viel Standfestigkeit; das muss ich hier feststellen. ({2}) Zu Ihrer Frage nach dem Datum, an dem wir die Antiterrorismusdatei behandeln. Sie haben Recht: Ich habe gesagt, bis Ostern schaffen wir das; davon war ich ausgegangen. Aber auch hier - ich sage das, damit Sie das nachvollziehen können - gibt es überhaupt keine parteipolitischen Differenzen zwischen Rot und Grün. Vielmehr gab es Probleme. Zum einen gestaltete sich die Absprache mit dem Generalbundesanwalt außerordentlich schwierig. ({3}) Ferner war die Beteiligung des Justizressorts außerordentlich schwierig. Auch bei der Antiterrordatei haben wir es mit dem Problem zu tun, dass wir all diese Dinge mit 16 Bundesländern abstimmen müssen, damit die Zusammenarbeit klappt. Damit bin ich am Ende meiner Antwort auf Ihre Fragen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie nicht in der Lage sind, sie in angemessener Form entgegenzunehmen. ({4}) Meine Damen und Herren, ich komme zu meinen eigentlichen Ausführungen zurück. Meine Redezeit ist so gut wie beendet. ({5}) Ich möchte daher zusammenfassen, dass das Gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung auch in der internationalen und europäischen Zusammenarbeit eine Rolle spielen kann. Das sind Dimensionen, die Sie noch gar nicht entdeckt haben. ({6}) Die Unionsfraktion bewegt sich in der Innenpolitik immer auf einer Ebene, die von den Landesinnenministern entwickelt wird. Deren Interessen vertreten Sie hier. Sie entwickeln keine eigenständige Position, die die Bundesinteressen berücksichtigt. Sie nehmen nicht darauf Rücksicht, dass es im Bereich der Terrorismusbekämpfung eine europäische und internationale Zusammenarbeit gibt. Das kommt in Ihren Anträgen nicht vor. Deswegen zum Schluss: Haben Sie Vertrauen in die Arbeit von Rot-Grün! Das Richtige und Wichtige tun wir. Leider ist es manchmal ein Problem, dass wir aufgrund der föderalen Strukturen vieles nicht so schnell umsetzen können, wie wir es möchten. Ich bin aber sicher, dass Staatssekretär Körper Ihnen gleich sehr deutlich sagen kann, wann das Anti-Terror-Datei-Gesetz konkret eingebracht wird. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es soll kein Zweifel bestehen: Wir alle haben das Ziel, den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen. Das ist eine Aufgabe, die uns von der Bevölkerung gestellt wird. Das erwartet die Bevölkerung von uns. Das Erlebnis des 11. September 2001 und des 11. März 2004 sitzt tief im Bewusstsein der Bevölkerung. Es herrscht immer noch Angst vor der brutalen, rücksichtslosen Gewalt der islamistischen Terroristen. Das muss man sehen. Deswegen müssen wir uns voll darauf konzentrieren, diesen Terrorismus zu bekämpfen. Dabei muss man auch einmal über lieb gewordene Vorstellungen hinweggehen können. Es geht jetzt darum, den Verfassungsstaat zu erhalten. Es geht darum, die Sicherheit im Land zu erhalten. Das ist ein hohes Verfassungsgut. Dem sollte man einiges unterordnen können. ({0}) Es besteht aber kein Grund zur Panik. ({1}) Es ist wichtig, dies zu sagen. Wir haben keine Veranlassung zu der Annahme, dass es demnächst in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Anschlag kommen wird. Dennoch weiß jeder von uns, dass aus dem Ruheraum Deutschland sehr schnell ein Zielort für einen islamistischen Anschlag werden kann. Deshalb geht es uns darum, die islamistischen Netzwerke, die in unserem Land, aber auch in Europa und weltweit existieren, kenntlich zu machen, aufzuspüren und, wenn es möglich ist, zu zerschlagen. Dazu kann die Bevölkerung einen maßgeblichen Beitrag leisten; auch das soll gesagt werden. Durch die Wachsamkeit der Bevölkerung kann Kriminalität, aber auch Terrorismus bekämpft werden. - Das ist das eine, was zu sagen ist. Aber es geht auch darum, dass wir in dieser Frage auf Bundes- und Landesebene gut zusammenarbeiten. Das war der Hintergrund unseres Antrages. Es gibt in Bayern ein Konzept zur Bekämpfung islamistischer Straftaten, genannt AKIS, das, wie ich meine, ein hervorragendes System geschaffen hat, die Erfahrungen der Polizeipräsidien, die Informationen des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes und die Erkenntnisse der Justiz zusammenzubringen, diese in einem gemeinsamen Lagezentrum zu besprechen und eventuelle Aktionen vorzuschlagen. Dieses Zentrum, das wir bereits in Bayern haben, war natürlich ein Vorbild für unseren Antrag, in dem wir ein solches bundesweites Zentrum vorschlagen. Es geht uns in unserem Antrag um eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf Bundesebene, aber auch um eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Sicherheitsbehörden der Länder. Das war das Ziel unseres Antrages. ({2}) Das ist sowohl akzeptabel als auch richtig. Es geht uns nicht, Herr Hofmann, um eine neue zentralistische Behörde. Wir wollen die Länderkompetenzen nicht beschneiden. Wir sind der Auffassung, dass sich die föderalen Sicherheitsstrukturen, die in unserem Land vorherrschen, bewährt haben. Das wollen wir in keiner Weise mit unserem Antrag beeinträchtigen, vielmehr wollen wir die Informationen zusammenführen. Nur darum geht es uns. Es besteht kein Zweifel, dass die Bundesregierung unseren Vorschlag aufgenommen hat. Wir haben diesen Vorschlag nicht erst im September gemacht, sondern lange vorher parteiintern und in der Fraktion darüber diskutiert. Wir haben uns mit Vertretern aus Bayern und anderen Bundesländern, die von CDU und FDP regiert werden, ausgetauscht. Dann haben wir den Vorschlag im September eingebracht. Sie haben ihn, so meine ich, aufgegriffen - das ist auch nichts Schlechtes - und ein Zentrum geschaffen, das sich zwar nicht vollständig mit unseren Vorstellungen deckt, ihnen aber sehr nahe kommt. Deshalb begrüßen wir dieses Zentrum; wir müssen gar nicht drum herumreden, Frau Kollegin Piltz. Wir sind großzügig genug, das anzuerkennen. Wir haben trotzdem - das hat der Kollege Göbel schon gesagt - eine Kritik, die mir auch entscheidend zu sein scheint. Es sind zwei Säulen entstanden: zum einen die Dienste, die eine eigenständige Analyse erstellen und Informationen auswerten, zum anderen die Polizei. Sie, auch Sie, Herr Stadler, begründen das mit dem Trennungsgebot. Ich befürworte dieses Trennungsgebot. Ich halte es zwar nicht unbedingt für ein Verfassungsprinzip, aber für ein Organisationsprinzip, an das sich alle demokratischen Kräfte in diesem Land seit 50 Jahren gehalten haben. Ich bin für das Trennungsgebot, also für die Aufteilung der Zuständigkeiten der Polizei, der Justiz und der Dienste. Die Zuständigkeiten werden sich immer wieder einmal überlappen, das wissen wir, aber im Prinzip sind wir für die Trennung. Ich glaube aber nicht, dass bei dem Informationszentrum das Trennungsprinzip berührt wird. Der Austausch von Informationen bedeutet nicht, dass nun plötzlich die Nachrichtendienste polizeiliche Befugnisse erhalten werden. ({3}) Das wollen wir nicht und das geschieht auch nicht. Deswegen halten wir die zwei Säulen für falsch. Sie sind ein Zugeständnis an die Grünen, wie wir vermuten. Sie führen unter Umständen zu Reibungen und Reibungsverluste können wir uns in der Frage der Terrorismusbekämpfung am wenigsten leisten. ({4}) Wir sind auch der Meinung, dass die Datei längst hätte geschaffen werden können. Der Antrag NiederNorbert Geis sachsens liegt schon lange vor und auch wir haben ihn in unseren Antrag wieder aufgenommen. Es ist ein Versäumnis und Sie müssen es der Opposition schon gestatten, dass sie auf dieses Versäumnis angesichts der großen Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, hinweist. ({5}) Wenn wir nicht darauf hinweisen, wer soll es denn dann tun? Wir sind der Meinung, die Datei hätte längst geschaffen werden können, und wir hoffen darauf, dass sie demnächst geschaffen wird. ({6}) Ich glaube, dass wir mit der zentralen Datei und dem Zentrum zur Terrorismusbekämpfung zwei hervorragende Instrumente haben, um der Aufgabe, den Terrorismus in unserem Land gut zu bekämpfen, gerecht zu werden. Ich meine aber, das reicht nicht aus. Wir brauchen darüber hinaus die internationale Zusammenarbeit, insbesondere auf europäischer Ebene. Wir müssen das Schengener Informationssystem fortentwickeln und dafür sorgen, dass es zu einer Vernetzung der bereits in den einzelnen Ländern Europas vorhandenen Dateien kommt. Es geht uns darum, den Schengenraum zu einem einheitlichen Fahndungs- und Operationsraum umzugestalten. Wir müssen uns natürlich auch darüber Gedanken machen, wie wir die Kräfte der Bundeswehr bei der Bekämpfung des Terrorismus stärker beanspruchen können. Das muss natürlich verfassungskonform sein, aber das müssen wir ermöglichen. ({7}) Allerdings müssen wir der Bevölkerung auch sagen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit vor fanatischen islamistischen Terroristen gibt. ({8}) Dieses Wissen kann und darf uns aber nicht daran hindern, alles zu unternehmen, diese große Geißel entschieden zu bekämpfen. Es kann nicht sein, dass das Leben unserer Bevölkerung von der Angst vor dem Terrorismus bestimmt wird. Danke schön. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen, was mein Vorredner, Herr Geis, gesagt hat. Ich glaube, es ist wichtig, als Ausgangssituation festzuhalten, was das Potenzial an terroristischen Bedrohungen für uns bedeutet und dass es in Deutschland zu großer Aufmerksamkeit führen muss. Panik allerdings wäre falsch am Platze. Das wäre der falsche Ausgangspunkt. ({0}) Ich will ganz deutlich festhalten: Wer die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden kennt und sie in den letzten Monaten beobachtet hat, der muss zu dem Ergebnis kommen, dass sie hervorragend war und ist. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt dafür ein herzliches Dankeschön. ({1}) Ich denke, dass man das deutlich sagen muss. Heute liegt uns ein Antrag vor, der sich mit dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum beschäftigt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie versuchen - das müssen Sie tun -, eine Art Urheberrecht für sich in Anspruch zu nehmen. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Das ist mir völlig egal. Wichtig ist, dass die Bundesregierung solch ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum geschaffen hat, das seine Arbeit im Dezember 2004 aufgenommen hat. ({2}) Dass das einer gewissen Vorbereitung bedurfte, ist völlig klar. Dieser Gedanke ist nicht erst im Dezember letzten Jahres geboren worden, sondern er hatte einen gewissen Vorlauf. Dieser Vorlauf war wesentlich davon geprägt, dass wir dieses Zentrum unter Beachtung unserer föderalen Strukturen konstruieren mussten. Auch sage ich ganz offen: Das war nicht gegen die Länder, sondern nur mit den Ländern zu machen, und ich denke, dass das richtig war. Wir müssen festhalten: Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus können wir nur gemeinsam erfolgreich sein. Wir dürfen hier keine Gegensätze aufkommen lassen. Deswegen war es sehr wichtig, Lösungen zu finden, die vonseiten der Länder mitgetragen und organisatorisch umgesetzt werden. Es war beispielsweise richtig, zu versuchen, BKA, BfV, BND, MAD und BGS, also die Bundesebene und die Länderebene, zusammenzuführen. Wir sind sehr froh und dankbar, mittlerweile feststellen zu können, dass sich alle 16 Landeskriminalämter beteiligen. Wir können das nicht von der Bundesebene par ordre du mufti anordnen, sondern wir sind hier auf die Bereitschaft der Länder angewiesen. Das Gleiche gilt für die Landesverfassungsschutzämter. Ich glaube, Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast hat gesagt, dass sich von den 16 Landesverfassungsschutzämtern bisher zwölf beteiligt haben und dass sich auch die anderen vier beteiligen werden. Wie es so schön heißt, ist das im Zulauf begriffen. Alles in allem werden 40 Behörden zusammengefasst. Der Wille, erfolgreich miteinander zu arbeiten, ist vorhanden. Das ist im Übrigen auch im Hinblick auf die Debatte, die auf europäischer Ebene geführt wird, wichtig. Herr Kollege Geis, Sie haben zu Recht angesprochen, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht nur eine nationale, sondern auch eine europäische bzw. internationale Komponente hat. Daher ist es wichtig, dass die Zusammenarbeit auch auf diesen Ebenen funktioniert und dass die Bereiche, in denen eine Weiterentwicklung notwendig ist - als Beispiel nenne ich das Schengener Informationssystem -, fortentwickelt werden. Sie wissen, dass es auch ein Schengener Informationssystem II gibt, das sich in der Umsetzung befindet. Das ist in diesem Zusammenhang also eine völlig richtige Antwort. Ich sage - damit gehe ich auf die Äußerungen von Frau Piltz ein - ganz deutlich: Das Trennungsgebot ist uns als Organisationsprinzip sehr wichtig. Herr Kollege Geis, darüber würde ich gerne einmal mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, unsere Vorgehensweise führt zu keinerlei organisatorischen Hindernissen, kommt aber dem Organisationsprinzip des Trennungsgebotes entgegen. Wir haben unser Vorhaben auf zwei Säulen gestellt und - auch das ist entscheidend - die Zusammenführung und die organisatorische Ausgestaltung den gesetzlichen Grundlagen entsprechend durchgeführt. Dazu gehört auch, was wir zukünftig in Bezug auf Dateien machen. Niedersachsen hat ja eine so genannte Volltextdatei vorgeschlagen. Wir sind der Auffassung, dass eine Volltextdatei diesem Trennungsgebot nicht gerecht wird, dass wir das anders konstruieren müssen: mit einer so genannten Projektdatei sowie einer Indexdatei. Es wäre zu schwierig, jetzt im Einzelnen noch einmal darzulegen, wie das konzeptionell vorgesehen ist. Aber Tatsache ist: Wir werden dies vorlegen und ich glaube, dass die Vorstellungen und Vorschläge so weit ausgereift sind, dass wir sagen können: Wir haben in Begleitung zu dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum eine richtige Konstruktion zur Handhabung der Dateien. Ich hoffe, dass dem in Bälde auch zugestimmt werden kann. ({3}) - Ich habe bei der letzten Debatte „in Kürze“ oder „in Bälde“ gesagt. ({4}) - Herr Bietmann, Sie haben schon bessere Zwischenrufe gemacht. Die Ressortabstimmung in dieser Frage ist erfolgt. Ich will gar nicht verhehlen - Frau Kollegin Stokar hat darauf hingewiesen -, es gab an einer bestimmten Ecke Diskussionsbedarf; Sie haben das näher gekennzeichnet. Das hing in der Tat mit dem Justizministerium und dem GBA zusammen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir eine Lösung finden, an der sich auch der GBA beteiligen kann und bei der er sich wiederfindet. ({5}) Es ist ganz wichtig, dass wir hier die Akzeptanz haben. Denn auch die Akzeptanz bestimmt den erfolgreichen Einsatz eines solchen Zentrums. ({6}) Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht von Ihnen, was die innere Sicherheit anbelangt. Man hat ja manchmal ein bisschen den Eindruck, dass es Sie ärgert, dass die innere Sicherheit, die sich in den Händen dieser Bundesregierung und der Koalition befindet, von uns so erfolgreich gewährleistet wird. ({7}) Sie haben damit relativ wenig Raum für die politische Auseinandersetzung. Ich muss im Übrigen noch einmal sagen: Ich bin sehr dankbar, wie Herr Geis sich mit dieser Frage auseinander gesetzt hat. ({8}) Lieber Herr Geis, da ist noch die eine oder andere Frage zur Sicherheitsarchitektur innerhalb unseres föderalen Systems zu stellen. Das heißt aber noch lange nicht, dass Sie und ich Zentralisten wären. Die Frage ist, inwieweit wir vielleicht hier und da auch das eine oder andere fortentwickeln müssen, beispielsweise die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ich denke, da sollte man die Diskussion und die Debatte in aller Sachlichkeit führen. Was die Frage des Kfz-Kennzeichen-Scannings anbelangt, die Sie in Ihrem zweiten Antrag vorschlagen, bin ich der Auffassung, dass auch im Bereich der inneren Sicherheit zuerst ein Nachdenken darüber stattfinden sollte, ob wir mit einem vorgeschlagenen Instrument tatsächlich die Wirkungen erreichen können, die man erreichen zu können meint. ({9}) Ich bin der Auffassung, da muss man sehr vorsichtig sein. Übrigens haben Sie in Ihrem Antrag „umfassend einzusetzen“ geschrieben. Das bedeutet einen hohen Investitionsaufwand. Ich sage einmal: Bevor man Steuergelder einsetzt, sollte man vernünftig darüber nachdenken, ob man mit so einem Mittel erfolgreich sein kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Baumann. ({0})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute in Europa umschauen, was die einzelnen Länder auf dem Gebiet der inneren Sicherheit tun, dann müssen wir feststellen, dass DeutschGünter Baumann land nicht zu den Spitzenreitern gehört. Wir haben eine Reihe von Ideen, aber sie sind schwierig umzusetzen; ich denke, das kann man sowohl über gesetzliche Regelungen als auch über technische Mittel zur Verbrechensbekämpfung sagen. Ich weiß, dass es bei manchen technologischen Innovationen Probleme mit der Finanzierung gibt. Herr Staatssekretär, auch beim BOS-Digitalfunk tun wir uns mit der gesamten Finanzierung seit Jahren sehr schwer. Ich möchte heute darauf hinweisen, dass es auch sicherheitstechnische Verbesserungen gibt, die kostengünstig, effizient und unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sind. ({0}) Dazu gehört die automatische Erfassung von KfzKennzeichen. Ich denke, darüber wollen wir jetzt sprechen. Nach den intensiven Beratungen der vergangenen Monate sollten wir heute gemeinsam einen sicherheitspolitischen Schritt ins 21. Jahrhundert tun und die Bundesregierung auffordern, dort, wo sie die Kompetenz dazu hat, diese auch auszuüben und das Kfz-Kennzeichen-Scanning als Fahndungsmittel einzusetzen. ({1}) Wir sollten insbesondere auch prüfen, inwieweit vorhandene Mautstellen und Mautbrücken hier genutzt werden können, was die Kosten entsprechend reduzieren würde. ({2}) Dort werden ja bereits Fahrzeuge erfasst; wir kennen das Mautsystem. Es wäre also nur die Vernetzung mit einer zentralen Fahndungsdatei herzustellen. Diese würde solche Kennzeichen enthalten, die im Zusammenhang mit irgendeiner schweren Straftat - Kfz-Diebstahl, Bankraub oder wie auch immer - gesucht werden. ({3}) Kritiker meinen, dass die Fahndungskompetenzen des BGS erheblich verändert würden. Ich sehe das anders. Ich denke, das BGS-Gesetz reicht aus. Herr Hoffmann, wenn es, wie im Ausschuss diskutiert, geringfügig geändert werden müsste, dann wäre es im Interesse der inneren Sicherheit vernünftig, dies an dieser Stelle auch zu tun. Es war schon immer die ureigenste Aufgabe von Polizei und BGS, Verbrechen zu bekämpfen, zu verhindern und aufzuklären. Wir wollen eigentlich nur die herkömmliche Methode des Notizblockes, des Schauens und des Kontrollierens durch eine neue Methode, das technische Auge, ersetzen. Es ist bei den Beratungen im Innenausschuss in dieser Woche auch kritisch angemerkt worden, dass eine hohe Fehlerquote vorhanden sei. Es kann ja durchaus sein, dass das technische Auge bei verschmutzten Kfz-Kennzeichen oder bei schlechter Sicht versagen würde. Das ändert aber doch nichts an der Tatsache, dass die automatische Erfassung Trefferquoten aufweist, die mit menschlichem Auge und persönlicher Kontrolle niemals erzielt werden könnten. ({4}) Datenschutzrechtliche Probleme sehe ich bei dieser Methode überhaupt nicht; denn aus der ungeheuren Datenmenge aufgrund der Vielzahl an Kennzeichen, die durch die Technik aufgenommen wird, wird nur ein Bruchteil herausgefiltert, mit dem Computer verglichen und gespeichert. Der überwiegende Teil der Daten wird in Bruchteilen von Sekunden wieder gelöscht. Unbescholtene Bürger brauchen also nicht zu befürchten, dass sich der Staat für weitere Daten von ihnen interessiert. Ich denke, die Individualrechte der Bürger werden hier nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt. ({5}) Gleichzeitig wird gerade die übergroße Mehrzahl gesetzestreuer Bürger entlastet, die, wenn sie irgendwo angehalten werden, bei Fahrzeugkontrollen stichprobenartig kontrolliert werden. Dies könnte stark reduziert werden und vielleicht sogar teilweise entfallen. Aus sicherheitspolitischer Sicht sprechen die Erfahrungen, die bisher in anderen Ländern gemacht worden sind - Schweiz, Frankreich und Großbritannien -, für einen Erfolg dieser Technik. Auch die Modellprojekte in Deutschland - ich denke an Bayern, Hessen und Thüringen - sind viel versprechend verlaufen. So wurden in Bayern bei einem halbjährlichen, eng begrenzten Testbetrieb 282 Treffermeldungen - 71 davon im Grenzbereich und 211 im Landesinneren - verzeichnet. In 114 Fällen wurden Ermittlungen in Richtung Kennzeichendiebstahl und in 2 Fällen wurden Ermittlungen in Richtung Schleusung durchgeführt. Aufgrund dieser Erfahrungen und Ergebnisse wäre es geradezu fahrlässig, ausgerechnet dem BGS die Nutzung einer solchen funktionsfähigen Technologie vorzuenthalten. Gegenwärtig sind in Deutschland etwa 500 000 KfzKennzeichen und über 300 000 Kfz auf der Fahndungsliste. Ich glaube, die hohen Trefferquoten des Scannings bei der Fahndung nach gestohlenen oder verdächtigen PKWs sprechen für sich. Es wäre auch eine klare Ansage an die Kriminellen. Die Innenministerkonferenz hat sich auch damit beschäftigt und legt gegenwärtig - parallel zu unserem Antrag - ein Konzept für die Polizei vor. Auch hiernach sollen mit Videokameras Autokennzeichen erfasst werden. Das Kfz-Kennzeichen-Scanning ist ein Instrument der Aufklärung und der Prävention. Es ist - das möchte ich deutlich sagen - kein Allheilmittel. Versuche damit sind jedoch positiv verlaufen. Gewiss wird sich die organisierte Kriminalität darauf einstellen und neue Methoden entwickeln. Aber ich glaube, dies ist ein wichtiger Baustein der Sicherheitsarchitektur, mit dem wir an dieser Stelle ein Schlupfloch schließen könnten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Frank Hofmann. ({0})

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Beschlussempfehlung, die wir heute zu beraten haben, geht es um ein Terrorabwehrzentrum und die automatische Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung. Was die CDU/CSU daraus gemacht hat, ist: Was kann ich zur Terrorismusbekämpfung sagen und was fällt mir sonst noch ein? Das ging bis hin zum Digitalfunk. Herr Geis hat wieder einmal ganz nebenbei vom Einsatz der Bundeswehr im Inland gesprochen. ({0}) Herr Binninger hat in seinem Beitrag deutlich gemacht, dass Erfolge bei der Polizei auf die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zurückzuführen sind. Gibt es hingegen irgendwo Misserfolge, dann sind dafür natürlich die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition verantwortlich. Herr Geis hat von dem Lagezentrum in Bayern gesprochen und gefordert, dass der Bund diese Idee übernehmen solle. Ich lese daraus: Was gut für Bayern ist, muss auch für den Bund gut sein. ({1}) So einfach geht es nicht. Der Bund ist auch international eingebunden. Das ist etwas völlig anderes. ({2}) Die Zusammenarbeit mit 16 Bundesländern und anderen Behörden ist ebenfalls etwas völlig anderes. So kann man keine Kriminal- und Sicherheitspolitik gestalten. ({3}) Herr Baumann hat gefordert, die Kfz-Kennzeichenerfassung an den Mautstellen vorzunehmen. ({4}) Dadurch geben Sie das Signal nach außen, dass die Mautstellen für verdachtsunabhängige Fahndungen eingesetzt werden können. Dazu kann ich nur sagen: Mit uns geht so etwas nicht. ({5}) Liebe Frau Piltz, Ihnen muss ich leider sagen: In der Beschlussempfehlung wurden die Änderungswünsche der CDU/CSU, bei denen es um die Erprobung der Kennzeichenerfassung im Grenzbereich geht, aufgenommen. Aber, liebe Mitglieder von der CDU/CSU, eines muss ich Sie fragen. Sie haben den Antrag gestellt, dass im „Grenzbereich des Bundesgrenzschutzes“ probeweise gescannt werden soll. „Grenzbereich des Bundesgrenzschutzes“ - was bedeutet das sprachlich? ({6}) Sie meinten natürlich den Grenzbereich der Bundesrepublik Deutschland. Aber so schlampig, wie Ihr Änderungsantrag war, so schlampig sind auch Ihre beiden Anträge. ({7}) Seit zwei Tagen meinen Sie, der Bundesgrenzschutz solle die automatische Kennzeichenerfassung an den Grenzen erproben. Bereits in der ersten Lesung habe ich deutlich gemacht, dass die EU-Binnengrenzen nach 2007, also in zwei Jahren, aufgehoben werden. Dann sind die Grenzen nach Polen, Tschechien und der Schweiz wie EU-Binnengrenzen zu behandeln. Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass der BGS jetzt Investitionen für Maßnahmen tätigen soll, die in nur zwei Jahren für den Regelfall nicht mehr eingesetzt werden können. Unter diesem Aspekt ist Ihr Vorschlag ein Schildbürgerstreich. Der Bundesrechnungshof und der Bund der Steuerzahler würden uns das zu Recht um die Ohren schlagen. Wie wollen Sie den Menschen erklären, dass der Bundesgrenzschutz an der Grenze aufrüstet, um dort die automatische Kennzeichenerfassung zu erproben, die Grenzen aber 2007, 2008 fallen? Ich kann das niemandem erklären und kann deshalb dem Antrag nicht zustimmen. Für mich kommt noch hinzu, dass Sie völlig überflüssige Anträge stellen, sowohl hinsichtlich des Terrorabwehrzentrums als auch der Kfz-Kennzeichenerfassung. Damit beschäftigt sich doch die Innenministerkonferenz. Weshalb kann man das nicht in den Arbeitsgruppen behandeln, in denen die Ergebnisse der Erprobung aus den Bundesländern - ob nun Brandenburg, Hessen oder Bayern - zusammenfließen, in denen geprüft wird, ob es etwas bringt und wo man es möglicherweise einsetzen kann? Wieso müssen Sie vorpreschen und diesen Antrag im Bundestag stellen? Ihnen geht es offenkundig darum, sagen zu können, die Ersten gewesen zu sein. Das aber ist Kinderei und das Gegenteil von rationaler Kriminalund Sicherheitspolitik. ({8}) Das, was Ihnen völlig fehlt oder abhanden gekommen ist - ich weiß nicht, ob es Ihnen schon immer gefehlt hat -, ist das Fingerspitzengefühl für den Datenschutz. Frank Hofmann ({9}) Sie gehen nach der Rasenmähermethode vor. Mit uns ist das nicht zu machen. ({10}) Wir sind neuen technischen Möglichkeiten, die Sicherheitsgewinn versprechen, keinesfalls abgeneigt, sondern stehen ihnen aufgeschlossen gegenüber. Wenn sich nach der abschließenden Bewertung der Modellversuche herausstellt, dass dies eine effiziente, Erfolg versprechende Technologie ist, dann werden die rechtlichen Möglichkeiten und die datenschutzrechtlichen Grenzen auch für den BGS geprüft werden. ({11}) Das ist rationale Sicherheitspolitik und die geht immer mit Rot-Grün. Vielen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5264 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3805 mit dem Titel „Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5266 empfiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3713 mit dem Titel „Einsatz der automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen durch den Bundesgrenzschutz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen - Drucksache 15/4924 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1}) - Drucksache 15/5272 Berichterstattung: Abgeordneter Matthias Sehling Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Eike Hovermann. ({2})

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon froh, dass ich als Abgeordneter angekündigt worden bin; denn in manchen Sitzungen werde ich wegen meines Vornamens Eike Anna Maria als Frau Eike Hovermann angekündigt. ({0}) Wir haben - und das ist doch etwas ganz Besonderes eine Beschlussempfehlung vorliegen, in der einstimmig die Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen wird. ({1}) Wir haben das bei einem Gesetz erreicht, das vielfältige juristische und wirtschaftliche, aber auch forschungspolitische Implikationen enthält, die weit in die Zukunft reichen werden. Damit ist eines der größten IT-Vorhaben in der Geschichte nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch der EU und weltweit angeschoben worden. Die Resonanz in diesem Raum ist dem Gesetz entsprechend. Wir haben das unter Zustimmung der Selbstverwaltung, des Datenschützers und alsbald sicherlich auch der Länder erreicht. Wir haben alles mehrfach intensiv beraten. Es gab eine Anhörung, es gab qualifizierte Änderungsanträge und wir haben, Herr Sehling, auch den zwischendurch verloren gegangenen § 3 gemeinsam wiedergefunden. Ich danke Ihnen auch dafür. Für diese Arbeit und das Resultat ist insbesondere allen damit befassten Damen, aber auch den Herren von Herzen zu danken. Das will ich für unsere Fraktion hiermit tun. ({2}) Wir werden die intelligente Chipkarte ab 2006 schrittweise in Deutschland einführen können. Damit werden, wie Sie wissen, über 80 Millionen Beitragszahler, 2 000 Krankenhäuser - noch -, über 260 Kassen, über 100 000 niedergelassene Praxen und 20 000 Apotheken vernetzt. In Zukunft kommen sicherlich noch die Leistungserbringer und Produzenten im Heil- und Hilfsmittelbereich und die Psychotherapeuten in Gänze hinzu. Die Basis dafür bildet die vorliegende Lösungsarchitektur als Voraussetzung für interoperable und kompatible Anwendungen. Denn nur durch solche Anwendungen sind wir in der Lage, die knapper werdenden Mittel optimal zu steuern und die Schnittstellen von ambulanter und stationärer Versorgung zu überwinden. Das ist alles im Sinne der Beitragszahler. Denn insbesondere sie werden ein Interesse an einer größeren Transparenz im Hinblick darauf haben, an welcher Stelle und mit welchem Resultat ihre Beiträge in Zukunft eingesetzt werden. Das wird den Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern, aber auch zwischen den Kassen verstärken und hoffentlich auch zu einer größeren Compliance der Patienten beitragen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die technischen Möglichkeiten auch genutzt werden, das heißt, dass auch der Patient umfassend daran mitwirkt. Wir sollten verhindern, dass 80 Millionen Chipkarten ausgegeben werden, die nur unzureichend genutzt werden und nur lückenhafte Auswertungen im Sinne einer qualitativen Versorgungsforschung erlauben. Es ist klar, dass bei einer so hochwertigen Nutzung der Chipkarte die Daten auf Dauer serverbasiert gespeichert werden müssen, meiner Ansicht nach auch dezentral. Notwendig sind zudem ein kompatibler Heilberufeausweis für alle in der gesamten Behandlungskette tätigen Ärzte und vor allem die Überzeugung und Bereitschaft aller Beteiligten, bei diesem Projekt mitzumachen. Wir müssen vermitteln, dass es eben nicht um lästige Mehrarbeit geht, sondern darum, Behandlungsabläufe besser, leichter - weil vernetzter - und schneller zu machen. Das ist meiner Ansicht nach eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass auch der ländliche und strukturschwache Raum nicht den Anschluss an den Standard der Ballungsräume verliert. Für die Umsetzung dieses ehrgeizigen Zieles werden wir noch viele Gespräche auch in und mit den Ländern führen müssen. Denn nach den ersten Schritten mit E-Rezept und Notfalldaten wird es bald um die ganze Behandlungskette gehen müssen, vor allen Dingen auch im Hinblick auf den in technischer Hinsicht sehr anspruchvollen Lösungsansatz einer ständigen Aktualisierung im Zusammenhang mit geänderten gesetzlichen Bestimmungen. Dem müssen wir uns stellen. Wir sollten alle gemeinsam weiterhin versuchen, den weiteren und erfolgreichen Ausbau der Chipkarte durchzusetzen, und zwar erstens deshalb, weil die intelligente Chipkarte die notwendige Kommunikationsstruktur liefert, um die integrierte Versorgung mit Leben zu erfüllen. Es darf auf diesem Weg nicht wieder zu Insellösungen kommen, auch wenn die Versuchung dazu manchmal groß zu sein scheint. Zweitens ist der Erfolg des gesamten Projekts Gesundheitskarte auch industrie- und vor allen Dingen arbeitsmarktpolitisch von höchster Bedeutung. Es schafft Planungssicherheit und erhöht die Investitionsbereitschaft; dies nicht nur in unserem nationalen Raum, sondern auch in Erwartung von hohen Exportchancen für ein enorm wichtiges und weltweit nachgefragtes Produkt. Hier können wir mit unserer Gesundheitskarte neue Standards setzen, auch mit Blick auf die zukünftige europäische Gesundheitskarte. Ich bitte daher erneut um alle Stimmen des Hohen Hauses zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, auch wenn es hier und da noch Bauchschmerzen gibt. Die wird es bei solch gewaltigen Vorhaben immer geben und auch geben müssen, um eine allzu große Sorglosigkeit zu vermeiden. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Sehling. ({0})

Matthias Sehling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003634, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zur zweiten und dritten Beratung anstehenden Gesetzentwurf zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen geht es vor allem um die beschleunigte Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. In dem im Jahr 2003 beschlossenen Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben die Koalitionsfraktionen und die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass die elektronische Gesundheitskarte spätestens - wie es wörtlich im Gesetz heißt - zum 1. Januar 2006 eingeführt werden soll. Die Partner der Selbstverwaltung wurden im GMG damals beauftragt, eine Vereinbarung über die Schaffung einer Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur zu erarbeiten. Der mit dem Gesetz seinerzeit verbundene Zwang zur Einstimmigkeit hat die zwei Jahre wie im Flug vergehen lassen. Diese Jahre haben gezeigt, dass die Vielzahl von durchaus gerechtfertigten Einzelinteressen einer raschen Erzielung von grundlegenden Ergebnissen insgesamt manches Mal entgegenstand. Zu Recht hat nicht nur die auf konkrete Aufträge wartende Informationswirtschaft darauf gedrängt, das bisher geltende Einstimmigkeitsprinzip durch eine Regelung der qualifizierten Mehrheit zu ersetzen. Die Selbstverwaltung hat Ende letzten Jahres in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium - sicherlich auch ein bisschen auf Druck - eine neue Organisationsform für eine gemeinnützige Gesellschaft für Telematik ausgehandelt. Die Gesellschaft namens Gematik wurde am 11. Januar dieses Jahres errichtet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird deshalb konsequenterweise das erste Ziel verfolgt, die bestehende Gematik mit den notwendigen öffentlich-rechtlichen Grundlagen, Aufgaben und Befugnissen auszustatten. Daneben geht es in dem Gesetzentwurf um den gesetzgeberischen Rahmen für die zu treffende, aber tatsächlich schon existierende Finanzierungsvereinbarung über die Kosten der Einführung und der erstmaligen Ausstattung der Leistungserbringer in der Einführungsphase, aber auch über die Kosten des laufenden Betriebs. Schließlich war zwingend eine Entscheidung über eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung eines Telematikzuschlages im Krankenhaus zu treffen. Die Bundesregierung hat es darüber hinaus für notwendig erachtet, mit einer Vielzahl von Vorlagepflichten und Beanstandungsmöglichkeiten bei Beschlüssen der neuen Gesellschaft Gematik einen ziemlich rigorosen Überprüfungsmechanismus vorzusehen, der bereits vor der offiziellen Anhörung die Frage aufwerfen musste und auch aufgeworfen hat, ob denn - praktisch einzigartig im System der gesetzlichen Krankenversicherung der Übergang von der Rechtsaufsicht zur Fachaufsicht gewollt ist. Die Union hat diese „Über-Regelungswut“ des Gesundheitsministeriums schon in der ersten Lesung am 24. Februar dieses Jahres deutlich kritisiert. Unsere Hauptkritik bezog sich aber auf das nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf anzunehmende finanzielle Selbstbedienungsrecht des Ministeriums bei den Kosten für Forschungs- und Entwicklungsaufträge. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf war nämlich nicht klar gewesen, welche Forschungs- und Entwicklungsausgaben das Ministerium für die Vergangenheit und welche es sogar in Zukunft den Partnern der Selbstverwaltung aufs Auge hätte drücken können. Die öffentliche Anhörung der Verbände und Sachverständigen am 9. März dieses Jahres hat zahlreiche dieser Kritikpunkte bestätigt und weitere Schwachpunkte offen gelegt. Die CDU/CSU-Fraktion kann aber nun dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung aus folgenden Gründen zustimmen: Erstens. Der geänderte Gesetzentwurf stellt nun eindeutig klar, dass die Beschlüsse der Gesellschaft für Telematik betreffend die Regelungen, den Aufbau und den Betrieb der Telematikinfrastruktur nur beanstandet werden können, soweit sie gegen Gesetz oder sonstiges Recht verstoßen. Es bleibt daher - sozialrechtssystemgerecht - bei der bloßen Rechtsaufsicht. Eine Fachaufsicht mit Zweckmäßigkeitserwägungen des Ministeriums statt bloßer Rechtsüberprüfung findet nicht statt. Zweitens. Rechnung getragen wurde nun auch dem von den Ländern vorgetragenen Wunsch, die in ihrem Umsetzungsbereich liegenden Aufgaben bei der Ausgabe von Heilberufs- und Berufsausweisen detaillierter wahrzunehmen und im Fachbeirat zahlenmäßig stärker vertreten zu sein. Drittens. Ein für die Union besonders wichtiger Erfolg sind - ich erwähnte es schon - die Klarstellungen im Bereich der Finanzierung von Forschungsaufträgen des Ministeriums. Der ursprüngliche Gesetzentwurf gab sich, wie erwähnt, in dieser Frage mehrfach kryptisch. Nun gilt: Bei den Kosten der Vergangenheit handelt es sich nach der vorgenommenen zeitlichen Eingrenzung ausschließlich um die Kosten des Projekts der Fraunhofer-Gesellschaft. Das ist in der Sache vertretbar, da deren Beauftragung gemeinsam von Ministerium und Selbstverwaltung vereinbart worden war. Andere Forschungskosten etwa aus früheren Zeitabschnitten - das hätte wesentlich höhere Ausgaben bedeutet - trägt die Selbstverwaltung nicht. Das Ministerium blieb aber bis heute eine klare Antwort schuldig, ob es im Herbst 2004 eine Finanzierungszusage über den Auftrag an die Fraunhofer-Gesellschaft gegeben hatte. Ein Thema für sich ist offenbar die Qualitätsbewertung des anlässlich der CeBIT am 14. März dieses Jahres in Hannover öffentlichkeitswirksam abgelieferten und von Frau Bundesministerin glorreich vorgestellten Arbeitsergebnisses der Fraunhofer-Gesellschaft, der so genannten Spezifikation der Lösungsstruktur. Eine Fachveröffentlichung hat das weniger glorreiche Bild eines Schweizer Käses gewählt. Dieser Schweizer Käse sei, so hört man hinter den Kulissen, nur durch die kurzfristige Hilfe eines - ausgerechnet! - österreichischen Professors überhaupt genießbar geworden. Nur ein Schelm denkt hier an die ansonsten ausgeschlagenen österreichischen Hilfsangebote in Zusammenhang mit Minister Stolpes LKW-Maut. ({0}) Schon in der Anhörung Anfang März hat die Selbstverwaltung in Gestalt der Ersatzkassenchefin Doris Pfeiffer anklingen lassen, dass man in der Gematik zunächst wegen dieses Forschungs- und Entwicklungsprojektes in eine aktive Qualitätssicherung eintreten müsse und dass deshalb der Zeitplan für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte noch unsicherer geworden sei. Ins gleiche Horn stieß vor drei Tagen in der „Ärzte-Zeitung“ der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler; er sprach von erheblichen Lücken im Fraunhofer-Kartenkonzept, die jetzt in vier Gematik-Arbeitsgruppen untersucht und geschlossen werden müssten. Ob dieser Schweizer Käse der Gematik bekommen wird? Eine weitere notwendige Klarstellung wurde von den Koalitionsparteien auch hinsichtlich der Forschungskosten für die Zukunft vorgenommen. Jetzt ist klar, dass solche Kosten nur im Falle einer Ersatzvornahme durch Rechtsverordnung überbürdet werden könnten, also wenn die Selbstverwaltung ihren Aufgaben nicht oder nicht rechtzeitig nachkäme. Viertens. Bei den Regelungen für die Test- und Einführungsphase der elektronischen Gesundheitskarte hatte die Koalition des Weiteren zunächst vorgesehen, für eine Übergangsphase nicht nur von dem Erfordernis der qualifizierten Signatur abzusehen, sondern - ganz allgemein - von den Vorschriften des Apotheken- und Arzneimittelrechts. Nach einer Intervention des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Zöller haben sich die Koalitionsfraktionen mittlerweile dankenswerterweise bereiterklärt, dies in Richtung auf den eigentlichen und unterstützenswerten Sinn der Regelung, nämlich die Aufhebung von dortigen Formvorschriften, einzuschränken. In der Sache geht es darum, im Massengeschäft, zum Beispiel im Apothekenbereich, auch biometrische Daten zur Identifizierung einer Zugriffsberechtigung, beispielsweise einen Fingerabdruck, probeweise zuzulassen. Lieber Kollege Hovermann, im Übrigen konnte die Union auch deshalb den geänderten Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf beruhigt zustimmen, weil der in den Ausschussberatungen zunächst vermisste, offenbar zentrale § 3 des Nutzungszuschlags-Gesetzes im Verlauf der weiteren Ausschussberatungen wiedergefunden werden konnte. Das beruhigt uns sehr, wie gesagt. So viel zu den Gemeinsamkeiten. Die Bundesregierung und ihr heutiger Gesetzentwurf lassen zentrale Fragen weiterhin unbeantwortet: Erstens. Wie steht es mit dem Zeitplan? Wann kommt die Gesundheitskarte für alle? Die Bundesgesundheitsministerin wiederholt formelhaft: Wir liegen im Plan. Ich denke, das ist wenig überzeugend. Neuerdings spricht auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung davon, dass erst im Dezember dieses Jahres mit den ersten Modellprojekten zur Gesundheitskarte zu rechnen ist. Jedenfalls müssen die Startschüsse für die Testphasen in den Modellregionen jetzt möglichst rasch gegeben werden. Zweitens. Wie erreichen wir, dass die Karte hinsichtlich der freiwilligen Anwendungen häufig genutzt wird, damit sich die Kosten-Nutzen-Waage möglichst bald zugunsten der Patienten und zugunsten der Allgemeinheit neigt? Zu Recht hat die gesetzliche Krankenversicherung in der Anhörung darauf hingewiesen, dass die freiwillige Nutzung der Karte eng mit der Gewissheit um die Sicherheit der Daten zusammenhängt. Hier sollte die Bundesregierung auf kritische Fragen der Fachöffentlichkeit und vielleicht auch der kritischen Ärzte stärker als bisher eingehen. ({1}) Drittens. Ungeklärt ist auch, wie es mit der Datenhoheit der Patienten einerseits und wie es mit dem Anliegen der Versorgungsforschung und der Versorgungsepidemiologie andererseits steht. Zu Recht haben die Verbraucherschützer in der Anhörung dem Datenschutz, der Datensicherheit und der Datensouveränität einen hohen Stellenwert eingeräumt. Gleichzeitig muss Gematik und muss notfalls auch die Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass - selbstverständlich unter strenger Beachtung des Datenschutzes - durch diese neuen Technologien auch die Versorgungsforschung, die Versorgungsplanung, die Versorgungsepidemiologie und die Gesundheitsberichterstattung eine deutliche Unterstützung erfahren. Die elektronische Gesundheitskarte soll für alle Beteiligten im Gesundheitswesen Nutzen und Vorteile bringen: zuerst für die Patienten, dann für die Gesundheitsberufe und -einrichtungen, für die Kostenträger und auch für die Allgemeinheit, nämlich durch eine vorausschauende Gesundheitspolitik. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Biggi Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am letzten Wochenende fand in Berlin ein so genannter Ärztetag von unten statt. Dort trafen sich Ärzte und Ärztinnen, die sich von ihren Berufsorganisationen nicht angemessen vertreten fühlen. Sie hatten auch darüber hinaus - wie sie sagten - eine große Sorge, nämlich die, dass der Bürger durch die Gesundheitskarte zum gläsernen Patienten werde, der hilflos dem staatlichen Zugriff ausgesetzt sei. Nun weiß ich nicht, welches eigene Anliegen diese Ärzte im Zusammenhang mit der Gesundheitskarte haben, aber ich kenne sehr wohl das Prinzip, dass Leistungsanbieter im Gesundheitswesen ganz gern vom Patienteninteresse reden, wenn sie in Wirklichkeit eigene Ziele verfolgen. ({0}) - Ach, Herr Kollege Parr, ich glaube, dass auch Sie das durchaus so sehen. Das sollte uns auf eines aufmerksam machen, nämlich darauf, dass der Weg zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte in der Praxis nicht nur von technischen Anforderungen gesäumt wird, sondern dass es hierbei auch ganz entscheidend auf die Frage der Akzeptanz bei den Bürgern und Bürgerinnen ankommt. Natürlich gilt im Prinzip für jedes Gesetz, dass wir um Akzeptanz werben müssen, aber gerade in diesem Fall, denke ich, gibt es dafür auch ganz praktische Gründe. Die Gesundheitskarte wird neben der Speicherung der administrativen Daten als Anwendung zunächst nur das elektronische Rezept haben. Aber man muss auch an die Möglichkeiten denken, die darin weiter liegen, also elektronische Patientenakten, Arztbriefe usw. Wir wissen, dass dies alles nur - das ist auch richtig so - mit Zustimmung der Patienten und der Patientinnen geschehen wird und dass auch der Zugriff auf gespeicherte Daten von dieser Zustimmung abhängig ist. Das heißt, die Gesundheitskarte muss mit allen ihren Anwendungsmöglichkeiten von den Bürgern und Bürgerinnen angenommen werden; sonst wird sie keine praktische Bedeutung erlangen. Deswegen müssen wir erläutern, welchen Wert diese Karte hat. Das sollte uns auch nicht schwer fallen. Ärzte, Krankenhäuser, andere Anbieter von Gesundheitsleistungen werden, wenn die Gesundheitskarte einmal voll entwickelt sein wird, deutlich mehr Hand in Hand arbeiten. Der Arzt/die Ärztin wird viel mehr als bisher erfahren, was der Kollege/die Kollegin bereits an Diagnosen gestellt und an Behandlungen durchgeführt hat. Das kann dazu führen, dass es weniger Doppeluntersuchungen und mithin weniger Belastung der Patienten gibt, dass es mehr Arzneimittelsicherheit gibt und dass es auch weniger unnötige Ausgaben gibt; ich erinnere daran, dass Experten von der Anwendung der Gesundheitskarte Einsparungen in Milliardenhöhe erwarten. Für die Akzeptanz der Gesundheitskarte ist auch der Datenschutz entscheidend. Ich erinnere an die Redeweise vom gläsernen Patienten. Wenn man genau hinschaut, muss man erkennen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten durch die Gesundheitskarte nicht eingeschränkt, sondern, im Gegenteil, sogar erweitert wird. Man wird davon ausgehen dürfen, dass in Zukunft die Praxis aufhört, dass Patientendaten ohne jede Sicherheitsvorkehrung per Fax oder per E-Mail durch die Welt bzw. von Praxis zu Praxis gehen. Auch die Patienten selbst werden ungleich mehr Möglichkeiten haben, auf ihre eigenen Daten zuzugreifen, weil es eben nicht mehr notwendig ist, sich mit in Arztpraxen gebunkerten Papierdokumenten auseinander zu setzen, sondern weil dieser Zugriff über die elektronische Gesundheitskarte möglich wird. ({1}) Kurz und gut: Die Gesundheitskarte wird es den Patienten ermöglichen, sich souveräner im Gesundheitswesen zu bewegen und sich auch aktiver an der Behandlung zu beteiligen. Die gesetzlichen Grundlagen schaffen wir heute. Es ist erfreulich, dass wir sie einstimmig schaffen. Das kommt ja im Gesundheitswesen nicht so häufig vor. Bei der weiteren Ausgestaltung der Anwendungsmöglichkeiten werden wir darauf zu achten haben, dass sich Datenschutz und Patientenorientierung auch im konkreten Einsatz wiederfinden. Dann, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mir um die Akzeptanz der elektronischen Gesundheitskarte nicht bange. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nur zu natürlich, dass bei einem so gewaltigen Projekt wie der Einführung der Gesundheitskarte im Laufe der Vorbereitungsarbeiten Änderungen erforderlich werden. Eine solche Modifikation erfolgt mit diesem Gesetz, dem wir zustimmen werden. ({0}) Das im Verfahren angewandte Einstimmigkeitsprinzip ist zwar schön und gut, aber die Arbeiten am Telematikprojekt könnten doch zu stark verzögert werden. Deswegen begrüßen wir, dass es durch eine Mehrheitsregelung ersetzt wird. Es hat sich ferner herausgestellt, dass wir eine solide gesetzliche Grundlage für die Finanzierung der Kosten brauchen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung und Einführung der Karte entstehen. Dieser Notwendigkeit wird berechtigterweise heute ebenfalls Rechnung getragen. Allerdings war das, was zunächst als Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, für uns nicht akzeptabel. So konnte es nicht angehen, dass das Bundesministerium eine Fachaufsicht in den mit der Entwicklung zusammenhängenden Fragen ausübt. Es konnte auch nicht angehen, dass die Selbstverwaltung für Projekte zahlen soll, die das Bundesministerium in Auftrag gibt. ({1}) Wer bestellt, der auch bezahlt. Das darf man nicht an andere delegieren. Insofern begrüßen wir es sehr, dass diese beiden Punkte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens geändert worden sind, auch wenn ich nicht verhehlen will, dass wir eine Beschränkung der Rechtsaufsicht auf grundsätzliche Fragen sicherlich vorgezogen hätten. Aber hier müssen wir realistisch sein: Wenn der Datenschutzbeauftragte nicht bereit ist, eine solche Lösung zu akzeptieren, werden wir uns einem anderen Vorgehen nicht verschließen. Ärgerlicher ist allerdings, dass das bereits vom Bundesministerium in Auftrag gegebene Gutachten beim Fraunhofer-Institut jetzt doch durch die Selbstverwaltung finanziert werden muss. Es ist gut, dass eine solche Entlastungsaktion nach dem vorliegenden Gesetz nicht mehr möglich ist. Mit den Regelungen für eine gesicherte Finanzierung ist nun eine solide Grundlage für die zukünftige Arbeit gegeben. Wir als FDP werden bei der weiteren Entwicklung vor allem sehr genau hinschauen, ob dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich hinreichend Rechnung getragen wird. Ich hoffe, dass die Prognose, die Sie, Kollegin Bender, gegeben haben, zutreffend ist. ({2}) Nur dann wird es gelingen, die Menschen von dem Nutzen zu überzeugen und Vertrauen zu schaffen. Die elektronische Gesundheitskarte darf nicht entwickelt werden, um die Versicherten zu überwachen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({3}) Sie darf ausschließlich die Möglichkeit schaffen, die Informationen über den eigenen Gesundheitszustand und eventuell erfolgte Behandlungen auf freiwilliger Basis zentral speichern zu können, wohlgemerkt als Angebot und nicht als Pflicht. Darauf legen wir allergrößten Wert. ({4}) Genauso legen wir Wert darauf, die gewonnenen Daten in anonymisierter Form für epidemiologische Zwecke der Gesundheitsversorgungsforschung zu nutzen; Kollege Sehling hat darauf hingewiesen. Diese Verwendungsmöglichkeiten müssen bereits bei der Entwicklung der Telematikinfrastruktur mitbedacht werden. Es darf später kein böses Erwachen geben. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine nachdenkliche Bemerkung machen, meine Damen und Herren. Es läuft mir schon ein Schauer über den Rücken, wenn Kollege Wiefelspütz die Nutzung der Daten auf der Gesundheitskarte zur Terrorismusbekämpfung nicht ausschließt. Wir alle sind uns einig: Der weltweite Terror muss entschlossen bekämpft werden. Er darf aber nicht zum Deckmäntelchen für mehr und mehr staatliche Eingriffe in die Privatsphäre werden. ({5}) Allen Beteiligten raten wir daher, mit Ruhe und Sorgfalt die weitere Entwicklung anzugehen. Wir müssen Ängste und Sorgen der Versicherten und der im Gesundheitswesen Tätigen im weiteren Verfahren sehr ernst nehmen. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einsatz der Telematik im Gesundheitswesen verspricht zum einen, neue Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen; zum anderen verbessert die elektronische Gesundheitskarte die Behandlungsqualität für die Patienten. Ich denke, das ist die zentrale Bedeutung. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Statistik verweisen: Es ist leider immer noch so, dass jährlich mehr Todesopfer durch falsch verordnete Medikamente als durch Unfälle im Straßenverkehr zu beklagen sind. Ich denke, das steht für sich. ({0}) Der Einsatz der Telematik legt den Grundstein für ein moderneres und effizienteres Gesundheitssystem. Aufbau und Koordination einer solchen IT-Infrastruktur für das Gesundheitswesen bedürfen aber einer leistungsfähigen Organisationsstruktur. Allein die Zahl der zu vernetzenden Beitragszahler, Akteure und Leistungserbringer - Kollege Hovermann hat sie schon genannt veranschaulicht die Dimension, um die es hier geht: 80 Millionen Patienten und Versicherte, 2 000 Krankenhäuser, 22 000 Apotheken sowie 350 000 Ärzte und Zahnärzte. Dadurch wird klar, dass die Einführung einer solchen Gesundheitskarte das Innovations- und Modernisierungsprojekt unseres Gesundheitswesens ist. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft die notwendigen Grundlagen, um den hohen Abstimmungsbedarf - in dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht - sowie die Zusammenführung der Beteiligten und die Organisation zu realisieren und zu organisieren. Ein Modernisierungsprojekt dieser Größenordnung - es ist schon angedeutet worden - geht mit einem Innovations- und Entwicklungsbedarf einher. Es ist zu begrüßen, dass jetzt erstmalig eine gemeinsame Vereinbarung im Hinblick auf den Forschungs- und Entwicklungsbedarf getroffen wurde und damit auch eine gemeinsame Verantwortung - auch eine finanzielle Verantwortung für die Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems übernommen wurde. Es betreibt also nicht jeder für sich in seinem eigenen Sektor Klein-Klein. Ich freue mich auch, dass wir im März auf der CeBIT die Rahmenarchitektur vorstellen konnten. Drei Fraunhofer-Institute haben zusammengearbeitet, weil ein Institut allein das gar nicht schaffen kann. Auch die Wiener Fachgruppe für industrielle Software - das ist schon angedeutet worden - war beteiligt. Ich begrüße auch, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine flexible Regelung für die Entwicklungsund Testphase - Sie haben das schon angesprochen gefunden wurde, nach der im Einvernehmen mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten im Rahmen von befristeten Ausnahmen bis zu sechs Monate von der qualifizierten Signatur und von Vorschriften des Apothekenund Arzneimittelbetriebs abgewichen werden kann. Dadurch werden, wenn ich das richtig sehe, die Tests und die Entwicklung in der ersten Zeit erleichtert. Ich hoffe, dass das Einvernehmen, das hier im Hause über diese Regelung erzielt worden ist, auch im Bundesrat erzielt werden kann. ({1}) Mit der Einführung und dem Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte verbinden sich vielfältige Wünsche: vom Wunsch nach der Speicherung von Notfalldaten - wir haben im Gesetz vorgesehen, dass Notfalldaten in Unfall- und Notsituationen auch ohne Netzzugang abrufbar sind - über den Wunsch, die persönliche Haltung zu einer Organspende zu dokumentieren, bis hin zum Wunsch, aussagekräftige Datenbanken zu erstellen und eine leistungsfähige Epidemiologie zu ermöglichen. Das Spektrum der Wünsche und Möglichkeiten ist sehr groß. Mit dieser gesetzlichen Grundlage ermöglichen wir jetzt den Aufbau einer solchen Infrastruktur und kommen den Anforderungen und Wünschen, die die zahlreichen Akteure haben, nach. Danke sehr. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen einge- brachten Gesetzentwurf zur Organisationsstruktur der Te- lematik im Gesundheitswesen, Drucksache 15/4924. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung bei einer Enthal- tung fast einstimmig angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit Ausnahme des Abgeordneten Addicks, der sich auch jetzt enthalten hat, einstimmig angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarieLuise Dött, Dr. Peter Paziorek, Dr. Christian Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Zügige Umsetzung der EU-Linking-Directive - Drucksache 15/4389 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kostensenkungspotenziale für den Klimaschutz erschließen - Verbindungsrichtlinie zum europäischen Emissionshandel unverzüglich umsetzen - Drucksache 15/4848 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Marie-Luise Dött. ({2})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 100 Tage Emissionshandel - dieser Zeitpunkt bietet sich an, Bilanz zu ziehen. Die Bilanz, die die Bundesregierung in Sachen Pünktlichkeit und Qualität beim Emissionshandel abgeliefert hat, ist mehr als traurig. ({0}) Erst einmal musste die Antragsfrist verschoben werden, weil die Deutsche Emissionshandelsstelle noch nicht arbeitsfähig war. Das war keinesfalls eine Verlängerung der Antragsfrist, wie Sie es werbewirksam zu verkaufen versuchten. Die Antragsfrist betrug nach wie vor drei Wochen und keinen Tag länger. Es war auch keine Großzügigkeit Ihrerseits gegenüber den Unternehmen. Die Verschiebung war allein aus der Macht des Faktischen heraus begründet, weil Ihre Behörde, Herr Trittin - er ist nicht anwesend; Frau Probst sitzt auf der Regierungsbank -, noch nicht arbeitsfähig war. Der zweite Termin, den Sie verpasst haben, war die Frist zur Bescheidung der Zuteilungsanträge. Im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, das die Regierungskoalition in diesem Hause im Sommer 2004 selbst verabschiedet hat, steht es schwarz auf weiß: Die Anträge waren bis zum 1. November 2004 zu bescheiden. Der Termin verstrich und nichts geschah. Immer wieder wurde die Zustellung der Bescheide hinausgezögert, bis sie schließlich kurz vor Toresschluss, Ende Dezember, zu den Antragstellern gelangten - zwei Monate zu spät. Damit waren Sie, Herr Trittin und Frau Probst, die ersten, die sich nicht an das Emissionshandelsgesetz gehalten haben. Vor Ihrem eigenen Gesetz mussten Sie kapitulieren. Wenn aber schon die Bundesbehörden das Gesetz nicht einhalten können, wie wollen Sie das dann von den Bürgern verlangen? Zum Jahreswechsel konnte man dann die stolzen Pressemitteilungen vom BMU und der Deutschen Emissionshandelsstelle mit dem Tenor „Der Emissionshandel startet in Deutschland pünktlich zum 1. Januar“ lesen. Ich frage mich, wie Sie zu dieser Behauptung gekommen sind. Von den 100 Tagen Emissionshandel haben die ersten 60 Tage ohne Handel stattgefunden. Bis Anfang März war es keinem Unternehmen in Deutschland möglich, Zertifikate an der Strombörse zu kaufen oder zu verkaufen. Wie gesagt: Ein Handel hat nicht stattgefunden. Auch der ursprünglich avisierte Termin, der 28. Februar, wurde wiederum verschlafen. Die 100 Tage sind auch verstrichen, ohne dass die Bundesregierung den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet hat, Zertifikate aus den anderen Mechanismen des Kioto-Protokolls in Deutschland anerkennen zu lassen. Neben dem Emissionshandel kennt das Kioto-Protokoll auch andere Reduktionsmöglichkeiten wie die gemeinsame Projektumsetzung, Joint Implementation, und den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, Clean Development Mechanism. Diese Mechanismen sind ebenso wie der Emissionshandel geeignet, den Treibhausgasausstoß zu verringern. Noch dazu wird mit ihnen der Erkenntnis Rechnung getragen, dass der Klimaschutz eine globale Aufgabe ist. Für die Klimavorsorge ist es nämlich völlig egal, ob die Tonne CO2 in Deutschland, China oder Brasilien eingespart wird. Deswegen schreibt die EU-Linking-Directive eine mengenmäßige Beschränkung des Umtausches auch nicht vor. Weder im jetzigen Umsetzungsgesetz noch in kommenden Regelwerken zum Emissionshandel sollte daher eine Quotierung aufgenommen werden. Wenn Unternehmen in Projekte in Dritt- und Entwicklungsländern investieren und dadurch erreichen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen verringert wird, dann sollen ihnen diese Anstrengungen zu Hause, also auch hier in Deutschland, zugute kommen. Die Emissionsreduktionen, die sie erreichen, sollen als Erfüllungsbeitrag zum Emissionshandel anerkannt werden. So sieht es das Kioto-Protokoll vor und so legt es die EU-Linking-Directive fest. Damit unsere deutschen Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen, das auch können, ist eine Umsetzung der EU-Linking-Directive in nationales Recht notwendig. Bis heute, 100 Tage nach dem offiziellen Beginn des Emissionshandels, liegt aber noch kein abgestimmter Entwurf der Bundesregierung vor. Dabei ist eine zügige Umsetzung der Richtlinie notwendig, um die Planungssicherheit für die teilnehmenden Unternehmen zu gewährleisten. ({1}) Bei der noch ausstehenden Umsetzung der EU-Linking-Directive ist neben der zügigen Implementierung vor allem darauf zu achten, dass der Umtausch von internationalen Emissionsreduktionseinheiten in EUZertifikate schnell und unkompliziert erfolgt. Die Tatsache, dass bisher nur zwei Projekte durch das CDMExecutive-Board zugelassen worden sind, zeigt, dass bereits das internationale Verfahren sehr hohe Anforderungen stellt. Deswegen sollten wir hier, auf nationaler Ebene, möglichst schnell den Weg für den internationalen Klimaschutz freimachen. Unternehmen und Investoren werden nur dann internationale Projekte zur Reduktion von Treibhausgasen vorantreiben, wenn sie die Gewissheit haben, dass ihnen diese in Deutschland auch zuerkannt werden. Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es daher notwendig, im Umsetzungsgesetz eine Grundlage für einen Anspruch auf Anerkennung der international erbrachten Klimaschutzleistungen zu formulieren. Dabei sollte das Anerkennungsverfahren so schlank wie möglich ausgestaltet werden. Bürokratie muss klein und Effizienz groß geschrieben werden. In keinem Falle darf es zu einem nationalen Parallelverfahren zu dem internationalen Verfahren kommen, bei dem die Firmen zusätzliche bürokratische Hürden zu nehmen haben, die international nicht vorgesehen sind. Sowohl Anerkennungsvoraussetzungen als auch Versagungsgründe müssen sich dabei am internationalen Recht orientieren. Zusätzliche Ausschlussgründe, die weder durch das Regelwerk von Marrakesch, das Kioto-Protokoll oder die EU-Linking-Directive gefordert werden, sind für den Klimaschutz kontraproduktiv. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, die EU-Linking-Directive rechtstechnisch sehr viel sauberer umzusetzen, als es bei den bisherigen Gesetzeswerken zum Emissionshandel der Fall war. Ich möchte hier nur an die so genannte Optionsregel erinnern, die dem Umweltminister sicherlich schlaflose Nächte bereitet hat; denn er musste begründen, warum die Anwender dieser Regelung, entgegen dem Gesetzeswortlaut, nun doch unter den zweiten Erfüllungsfaktor fallen. Darüber hinaus beschert die Optionsregel, die von den Regierungsfraktionen sprichwörtlich über Nacht in das Zuteilungsgesetz hineingeschrieben wurde, eine denkbar schlechte Quote bei den Zuteilungsbescheiden. Ganze 40 Prozent der Zuteilungsbescheide sind aufgrund der unsauberen Gesetzgebung - ich betone: der unsauberen Gesetzgebung - angegriffen worden und noch nicht bestandskräftig. Über die Rechtmäßigkeit werden die Gerichte entscheiden. Wenn ich jedoch den Informationen Glauben schenken darf, die bisher zu mir durchgedrungen sind - es ist schade, dass Herr Trittin nicht da ist, aber Frau Probst wird das vielleicht bestätigen können -, plant die Bundesregierung, die Anerkennung von der Zuverlässigkeit des Antragstellers abhängig zu machen. Im deutschen Recht findet man eine Zuverlässigkeitsprüfung nur in gefahrgeneigten Bereichen, zum Beispiel im Waffenrecht. Es leuchtet ein, dass demjenigen, der eine Waffe trägt, eine gesteigerte Verantwortung zukommt und er deswegen zuverlässig sein muss. Ich kann aber nicht erkennen, dass das Einsparen einer Tonne CO2 ähnlich gefährlich ist wie das Tragen einer Waffe. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn nun also die Bundesregierung erwägt, für Handlungen, die nicht gefährlich sind, sondern dem Allgemeininteresse dienen, eine Zuverlässigkeitsprüfung einzuführen, so lässt mich das an einer gesetzestechnisch sauberen Umsetzung stark zweifeln. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gerade die Wahlkampfeinlage der nordrhein-westfälischen Abgeordneten Marie-Luise Dött erlebt. Ihre Fraktion hat einen Antrag eingebracht und zusammen mit der FDP, die ebenfalls einen Antrag eingebracht hat, darauf bestanden, über dieses Thema während der Kernzeit zu sprechen. Man sollte dazu festhalten: Neben den beiden Rednern der CDU/CSU-Fraktion ist gerade noch der Parlamentarische Geschäftsführer anwesend. Das sind 1,25 Prozent der Fraktion. Aus dem Facharbeitskreis ist niemand da. ({0}) In der FDP-Fraktion, in der der Geschäftsführer gerade das Kuchendiagramm verlassen hat, sitzt nur noch der Redner in dieser Debatte. Vielleicht sollte sich jemand von uns dorthin setzen, damit es dort nicht so leer aussieht. - So viel zum Interesse an dieser Debatte. Man sollte ein Parlament nicht in der Frage verhohnepipeln, wann man etwas debattieren will und wann man etwas nicht debattieren will. Ich will nur einen einzigen Punkt ansprechen. Am 30. November letzten Jahres haben Sie mit großen Worten Ihren Antrag eingebracht, die EU-Linking-Directive schleunigst in nationales Recht umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt war die Richtlinie elf Arbeitstage in Kraft. ({1}) Wie schnell soll ein Land diese Richtlinie eigentlich umsetzen? ({2}) Bis heute hat sie kein einziges Land umgesetzt. Ich halte es für falsch, am Freitag gegen 12 Uhr vor Publikum Wahlkampfreden zu halten und nicht mehr als 1 Prozent der Fraktion hier versammeln zu können. Meine Argumente können Sie auf meiner Website finden. Von meinen insgesamt 18 Minuten Redezeit schenke ich Ihnen 16 Minuten und 40 Sekunden. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Darf ich eine formale Sache klarstellen: Die Kernzeit ist am Donnerstagvormittag. Im Zusammenhang mit der Parlamentsreform haben wir vereinbart, dass die Debatten über große allgemeine Projekte am Donnerstag stattfinden. Der Freitag ist für Fachdebatten vorgesehen. ({0}) - Genau. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kelber, wir hätten heute gerne zu einer besseren Zeit darüber diskutiert, ({0}) warum der Steinkohleverband Wahlkampf für die SPD in NRW macht, ({1}) indem er kurz vor der Wahl Anzeigen schaltet. Eine Debatte zu einem früheren Zeitpunkt wollten Sie nicht. Sie haben die jetzige Debatte vorterminiert. Deshalb diskutieren wir jetzt gerne mit Ihnen über den Klimaschutz; denn der ist uns offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen wichtig. ({2}) - Sehr geehrter Herr Kelber, die Kollegin Homburger ist heute leider wegen eines anderen Termins verhindert. Deshalb vertrete ich sie hier. Die FDP engagiert sich seit Jahren für eine aktive und kostenoptimierte Klimapolitik. ({3}) Die FDP hat immer wieder die außerordentliche Bedeutung des Kioto-Protokolls und des internationalen Emissionshandels für die Klimapolitik betont. Wir haben in den letzten Jahren mehr als ein halbes Dutzend Anträge gestellt, damit die Bundesregierung das, was sie jetzt tun will, schon früher hätte machen können. Wir haben sie dazu aufgefordert, die Chancen des Emissionshandels entschlossen zu nutzen und vor den Entscheidungen, die jetzt zwingend notwendig geworden sind, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Emissionshandel im Interesse unserer Unternehmen, aber auch im Interesse der Entwicklungs- und Schwellenländer früher hätte genutzt werden können. ({4}) Alle Anträge wurden mit der Mehrheit der rot-grünen Koalitionsfraktionen abgelehnt, ohne dass die Bundesregierung in der Lage gewesen wäre, ein eigenes konsistentes Konzept für den Emissionshandel vorzulegen. ({5}) Die Zeiten, in denen man hätte Einfluss nehmen können, sind vorbei. Jetzt hat die EU entschieden, wie die Ausgestaltung der Linking Directive aussehen soll. Wir haben nur noch bis November Zeit, sie umzusetzen. Angesichts dieses Zeitplanes ist es schon bemerkenswert, dass dem Deutschen Bundestag bis heute kein Gesetzentwurf zugeleitet worden ist. In drei Tagen, am kommenden Montag also, wird, vom Bundesumweltministerium initiiert, eine Verbändeanhörung stattfinden, eine Anhörung, die nach Aussage Ihres Hauses, Frau Probst, immer noch nicht in allen wesentlichen Fragen innerhalb der Bundesregierung abgestimmt ist. Einen solchen Satz in die Einladung zu einer Verbändeanhörung zu schreiben ist schon sehr blamabel. ({6}) Worüber wird am Montag eigentlich geredet, Frau Probst, etwa über einen Gesetzentwurf zum Emissionshandel bzw. zur Umsetzung der Linking Directive, wie ihn sich Teile der Bundesregierung vorstellen könnten? Wer stellt sich diesen Gesetzentwurf denn nun so vor? Vor allen Dingen: Wie stellen sich andere Teile der Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vor? Es bleiben Fragen über Fragen. Die Pläne, die Sie offensichtlich mit den Verbänden bereden wollen, wurden schon im Vorfeld kommentiert, und zwar nicht im guten Sinne. Es gibt keine Spielräume für nationale Aktivitäten, keine Signale, keine Inspiration und keinen Impuls, um die klimapolitische Diskussion und die Entwicklung auf internationaler Ebene voranzubringen. Wieder wird eine Chance vertan. Es ist zu hören, dass Sie unnötige bürokratische Regulierungen und unnötige Prüfungs- und Genehmigungspflichten, die nicht von der EU-Richtlinie gefordert werden, vorsehen. Das macht die Nutzung von CDM und JI durch deutsche Unternehmen unnötig schwer. Der Entwurf enthält offensichtlich auch Verordnungsermächtigungen, deren Konsequenzen heute überhaupt nicht absehbar sind. ({7}) Sie von Rot-Grün behindern die Umsetzung dieser Möglichkeiten, die nicht nur Deutschland, sondern auch den Entwicklungsländern helfen würden, wirtschaftlich optimierten Klimaschutz zu betreiben. ({8}) Der Grund für dieses neuerliche Versagen, Frau Probst, ist das tiefe Misstrauen, das Ihre Bundesregierung gegenüber marktwirtschaftlichen Mechanismen hegt. Marktwirtschaftlichem Klimaschutz werden wieder einmal Steine in den Weg gelegt. ({9}) Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie Geld verschenken, mit dem man einen besseren Klimaschutz betreiben könnte; denn wir geben jetzt mehr Geld aus, als es angesichts des Effekts wirtschaftlich notwendig wäre. ({10}) Die FDP fordert Sie deshalb auf, endlich ein Artikelgesetz in den Deutschen Bundestag einzubringen und sicherzustellen, dass Gutschriften aus klimarelevanten Investitionsprojekten so schnell wie möglich in den Emissionshandel in Deutschland einbezogen werden können. Machen Sie den Weg frei für klimarelevante Investitionsprojekte in den Entwicklungsländern gemeinsam mit Deutschland, damit wir kostenoptimiert beim Klimaschutz vorankommen! Vielen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ist zu betonen, dass es von großer Bedeutung ist, dass das Kioto-Protokoll seit dem 16. Februar dieses Jahres in Kraft ist. Das ist eine historische Zäsur in der globalen Klimapolitik, es ist gewissermaßen eine Wasserscheide. Es trägt entscheidend dazu bei, dass wir die projektbezogenen Mechanismen, über die wir heute reden, überhaupt nutzen können. Wir sind uns alle klar darüber, dass das Kioto-Protokoll nur ein erster kleiner und ganz und gar unzureichender Schritt ist. Es muss wesentlich mehr geschehen, sowohl international und europaweit als auch national. Zur Erreichung der Kioto-Ziele und für ihre Weiterentwicklung brauchen wir auf internationaler Ebene - das ist ein zentraler Punkt - Vereinbarungen über weiter gehende Reduktionsziele. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die EU auf ihrem Frühjahrsgipfel ein wichtiges Signal gesetzt hat. Es muss sehr bald eine verbindliche Festlegung der Europäischen Union geben, den Ausstoß von klimaverändernden Spurengasen bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren. Die Bundesrepublik Deutschland muss ihren Ausstoß im gleichen Zeitraum um 40 Prozent senken. ({0}) Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Energieeinsparung und bei der Energieeffizienz Verbesserungen vornehmen, und zwar in allen Bereichen, beim Verkehr, bei den Haushalten, der Industrie und der Energiewirtschaft. Auf europäischer Ebene kommt es jetzt stark darauf an, dass der Emissionshandel endlich beginnt. Der Start zum Jahresbeginn war durchaus vielversprechend. Der Markt entwickelt sich und wir erwarten und hoffen, dass sich das Instrument tatsächlich als so effizient und erfolgreich erweist, wie es dies theoretisch sein könnte. Wir müssen diese Entwicklung beobachten und das Instrument im EU-Maßstab weiterentwickeln. Dazu - jetzt komme ich zum Thema - gehören auch die Mechanismen JI und CDM, Joint Implementation und Clean Development Mechanism, die bedeuten - das sollte man vielleicht einmal auf gut Deutsch erklären -, dass man einen Teil seiner Minderungsverpflichtungen, die man eigentlich im eigenen Lande erbringen müsste, auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen erbringen darf, etwa in Entwicklungsländern oder in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Das ist der tragende Gedanke dieser beiden Mechanismen. Die Idee, die dahinter steht, ist, dass man Klimaschutz dort realisieren soll, wo es am kostengünstigsten ist. Das ist theoretisch eine gute Idee. Aber in der Praxis gibt es Pferdefüße, auf die ich gleich zu sprechen komme. Zunächst zur formalen Kritik der FDP bzw. der Opposition, die ich schon ein bisschen hanebüchen finde. Die Richtlinie, über die wir heute reden, ist am 13. November 2004, also vor fünf Monaten, in Kraft getreten. Wir bemühen uns, sie zügig umzusetzen und befinden uns mitten im Verfahren. Nun müssen wir uns von CDU/ CSU und FDP anhören - ausgerechnet von den Leuten, die die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht bis 1998 ständig verschleppt haben; teilweise laborieren wir heute noch an den Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof -, ({1}) es gehe nicht schnell genug. Das ist falsch und inakzeptabel. ({2}) Herr Kollege Kauch, diese Richtlinie ist vor fünf Monaten in Kraft getreten. Bleiben Sie also auf dem Teppich! Denn sonst glaubt Ihnen kein Mensch mehr. Wir sind für die Nutzung der projektbezogenen Mechanismen. Sie bieten, wie schon zur Sprache kam, eine gute Chance, einen Beitrag zum Klimaschutz, zum Technologietransfer - auch das ist ganz wichtig - und zur Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Entwicklungsländern zu leisten. Dafür bietet die EU-Richtlinie gute Ansatzpunkte. Zweierlei muss klar sein. Erstens. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und die Klimaschutzziele, die wir uns vorgenommen haben, im Wesentlichen innerhalb unserer eigenen Landesgrenzen erreichen. ({3}) Das ist sinnvoll, weil es technologiepolitisch nicht nur darum gehen kann, unsere heutige Technologie auf den Rest der Welt zu übertragen - das wäre nicht zukunftsfähig -, sondern weil auch Innovationen in unserem Lande vorangebracht sowie neue Technologien und Verfahren entwickelt werden müssen. ({4}) Denn wir müssen mit diesen Technologien auf den Weltmärkten von morgen präsent sein. ({5}) Deswegen ist eine reine Kostenfixierung, wie Sie sie propagieren, völlig falsch; das muss man ganz klar sagen. Es geht auch um neue Technologien. Das ist der erste wichtige Aspekt. Zweitens. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass an die Projektmechanismen CDM und JI auch qualitative Maßstäbe angelegt werden. Deswegen sind wir froh darüber, dass in der EU-Richtlinie festgeschrieben ist, dass zum Beispiel, was einige von Ihnen nicht wollen, keine Atomprojekte gefördert werden sollen. ({6}) Auch ist wichtig, dass keine Senkenprojekte gefördert werden können. Wir müssen den Wald seiner selbst wegen schützen und dürfen ihn nicht zu einer reinen CO2-Senke degradieren. ({7}) Ebenfalls wichtig ist, dass, wenn es um große Staudämme und Wasserkraftwerke geht, klare ökologische Kriterien herangezogen werden, wie sie die Weltkommission für Dämme entwickelt hat, damit keine unverhältnismäßigen Umwelteingriffe stattfinden. ({8}) Von solchen qualitativen Kriterien, die wir wollen, hört man bei Ihnen kaum etwas; das muss ich Ihnen schon einmal sagen. ({9}) Ich komme zum Schluss. Wir wollen diese Mechanismen nutzen und werden sehr bald eine entsprechende Vorlage erarbeiten. Wir wollen sie qualitativ ausgestalten. Sie müssen klaren ökologischen Kriterien genügen. Gleichzeitig wollen wir sie begrenzen, weil wir glauben, dass wir bei uns technische Innovationen voranbringen können. Wir haben die Kraft dazu. Dann haben wir die Chance, auf den Weltmärkten der Zukunft ganz vorne zu sein. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber, quantitative Anwesenheit sollten Sie nicht mit Qualität verwechseln. ({0}) Zu Ihrer Einlassung, die nur wenige Sekunden dauerte, möchte ich nur Folgendes sagen: Das, was Sie sich heute bei diesem wichtigen Thema geleistet haben, grenzt an Arbeitsverweigerung, zumindest aber an Pflichtverletzung eines Parlamentariers, dessen Aufgabe es ist, die Regierung zu kontrollieren. ({1}) Sie sollten wissen, dass unser Antrag nichts anderes zum Ziel hat, als die Bundesregierung anzutreiben, die Verbindungsrichtlinie in unserem Land möglichst rasch umzusetzen. Ich möchte ausführen, warum das so wichtig ist. Bei der EU-Verbindungsrichtlinie wiederholt sich, was die Regierungspolitik bei der Umsetzung von Richtlinien wie ein Schimmel durchzieht: Eine EURichtlinie wird zunächst einmal beiseite gelegt. Erst wenn kurz vor dem „Verfallsdatum“ ein Klageverfahren vor der Tür steht, wird im Eilverfahren ein Gesetzentwurf vorgelegt, handwerkliche Fehler inklusive. Regelmäßig geht die Umsetzung in Deutschland dann weit über die EU-Vorgaben hinaus; die Gesetze werden im Überregulierungseifer zusätzlich befrachtet. Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und zusätzliche Belastungen deutscher Unternehmen im Vergleich zu ihren Konkurrenten in anderen EU-Staaten spielen dann keine Rolle mehr. Planungssicherheit für Unternehmen? - Fehlanzeige! Viele Umsetzungen in nationales Recht halten einer späteren gerichtlichen Überprüfung nicht stand. ({2}) Doch die Betriebe müssen erst einmal danach handeln, wodurch ihnen hohe Kosten entstehen. Das ist eine weitere Schubkraft für die Verlagerung von Betrieben ins Ausland. Gebetsmühlenartig muss die rot-grüne Koalition von uns dazu animiert werden, doch endlich mit der Umsetzung von EU-Recht zu beginnen. Das zeigt vor allem eines: die innere Zerrissenheit dieser Koalition, ({3}) die sich regelmäßig in Ressortabstimmungen verliert. Auch wenn es wehtut, möchte ich dem Zwischenrufer nur die Novelle zum Fluglärmgesetz in Erinnerung rufen. ({4}) Heute geht es darum, dass auch deutsche Unternehmen endlich die Möglichkeit bekommen, sich im Rahmen des EU-Emissionshandels CDM-Zertifikate anrechnen zu lassen. Das ist seit 1. Januar 2005 grundsätzlich möglich, nur in Deutschland eben nicht; denn unsere Regierung hat es wieder einmal nicht geschafft, rechtzeitig tätig zu werden und die EU-Verbindungsrichtlinie, die so genannte Linking Directive, die seit dem 13. November vergangenen Jahres in Kraft ist, umzusetzen. Zum Start des Handels mit Emissionsrechten in Europa Anfang des Jahres lag der Preis pro Tonne CO2 bei rund 7 Euro. Doch im März schnellte er auf mehr als 16 Euro hoch. Das zeigt: Wir brauchen dringend eine Erhöhung der Zahl verfügbarer EU-Emissionsrechte; wir brauchen ein genügend großes Handelsvolumen. Wir brauchen die Nutzung aller flexiblen Instrumente: Emissionshandel, Joint Implementation, Clean Development Mechanism. Denn nur so kann der hohe Preis etwas reduziert werden. Ansonsten haben wir auf Dauer ein im Verhältnis zur Nachfrage zu geringes Angebot. Das treibt bekanntermaßen den Preis in die Höhe, und zwar ohne zusätzlichen Nutzen für den Klimaschutz. ({5}) Hier wurde so getan, als würden wir die Umsetzung zu früh anschieben. Ich möchte zu bedenken geben, dass die Regierung der Niederlande, die es bekanntermaßen sehr schwer hat, ihr Reduktionsziel von 6 Prozent einzuhalten, bereits jetzt auf dem Markt tätig wird und kostengünstig Emissionsrechte aus JI- und CDM-Projekten einkauft. ({6}) Die Niederländer haben es ebenso wie die Österreicher bereits geschafft, zwischenstaatliche Abkommen über die Anerkennung von Klimaschutzprojekten ihrer Unternehmen im Ausland abzuschließen. ({7}) Unsere Regierung übt sich hier in der Kunst des Stillstands. Warum sollte die Bundesrepublik Deutschland nicht den Weg gehen, ihre ehrgeizigen Ausstoßminderungsziele des Burden-Sharing-Agreements durch den internationalen Emissionshandel kostengünstig zu erreichen? ({8}) Entscheidend ist doch allein die Erreichung der Klimaschutzziele, die Verringerung von Treibhausgasemissionen. ({9}) Wir haben nur ein weltumspannendes Klima. Es kommt also nur darauf an, dass weniger CO2 ausgestoßen wird, egal in welchem Land. Das heißt, Klimaschutzleistungen müssen nicht nur bei uns im Land erbracht werden. Ich gehe sogar so weit und sage, dass es auch aus ökonomischen Gründen besonders sinnvoll ist, dies dort zu tun, wo die Umweltschutzbestimmungen noch nicht so streng sind wie bei uns, also dort, wo alte Anlagen modernisiert ({10}) oder durch neue Anlagen gemäß dem Stand der Technik ersetzt werden müssen, kurzum dort, wo die klimapolitischen Potenziale besonders hoch sind. ({11}) Herr Dr. Loske, ich teile Ihre Auffassung, dass wir die Potenziale im Inland so weit wie möglich nutzen müssen. ({12}) Wir sind offen für Innovationen, die dem Erreichen der Reduktionsziele dienen. Nebenbei aber dürfen wir nicht vergessen, dass wir auch die Fragen zu beantworten haben, wie wir dem Leitbild der Nachhaltigkeit sowie sowohl den ökologischen als auch den ökonomischen und sozialen Belangen in unserem Land gerecht werden können. ({13}) Deswegen müssen wir sowohl im Inland unsere Pflichten erledigen als auch den Blick auf die Kioto-Mechanismen richten und möglichst frühzeitig dafür sorgen, dass das Volumen des Handels mit Kioto-Zertifikaten möglichst groß ist, damit sich ein gerechter Preis entwickeln kann, der für unsere Unternehmen nicht zu große Nachteile bringt. ({14}) Lassen Sie mich zum Abschluss zusammenfassen. ({15}) Wir fordern die Bundesregierung aus diesen Gründen auf: Setzen Sie die EU-Verbindungsrichtlinie so schnell wie möglich um, überschreiten Sie dabei aber nicht die europäischen Vorgaben! Vermeiden Sie unnötige Bürokratie! ({16}) Werden Sie endlich aktiv! Ergreifen Sie alle notwendigen Maßnahmen, damit handelbare CO2-Zertifikate und alle Instrumente des Kioto-Protokolls schnellstmöglich in das europäische System einbezogen werden! Flankieren Sie die Anstrengungen der Wirtschaft durch zwischenstaatliche Abkommen! Leisten Sie politische Überzeugungsarbeit und unterstützen Sie Investitionsprojekte im internationalen Kontext! Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/4389 und 15/4848 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 15/5213 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Abgeordneten Zöllmer, Heil, Krogmann, Heinen und Funke sowie der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/5213 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Reform des Tarifvertragsrechts zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit - Drucksache 15/2861 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Nachdem es hier hin und her ging, frage ich jetzt, ob alle reden werden. - Das habe ich demnach richtig verstanden. Als Erstes gebe ich dem Abgeordneten Dirk Niebel das Wort.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der FDP- Bundestagsfraktion zur Reform des Tarifrechts zur Si- cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Wir haben ihn eingebracht, weil wir eingesehen haben, dass unser bisher geltendes Recht nicht dazu geführt hat, dass die Menschen entsprechend ihrer Produktivität entlohnt werden und einen gesicherten Arbeitsplatz haben, son- dern dazu, dass sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. 1) Anlage 2 ({0}) Wir sind der tiefen Überzeugung, dass Belegschaft und Betriebsleitung oder Betriebsrat und Unternehmensleitung, wenn sie zu dem Ergebnis kommen, dass sie aufgrund der Situation in ihrem Betrieb andere Wege gehen müssen als die im Flächentarifvertrag vorgeschriebenen, um ihre Lebens-, Arbeits- und Zukunftschancen zu sichern, diese Chance erhalten sollten, ohne dass irgendein Funktionär - sei es von einem Arbeitgeberverband, sei es von einer Gewerkschaft - dagegen vorgehen kann. ({1}) Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über Mindestlöhne möchte ich noch einmal ganz besonders auf die Bedeutung dieses Antrags hinweisen. Woher kommt die hohe Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland? Sie kommt daher, weil in den vergangenen Jahrzehnten die Sockellöhne in Deutschland überproportional erhöht worden sind. ({2}) Dadurch, dass besonders die Vergütung unterer Tariflohngruppen angehoben worden ist, sind gerade gering qualifizierte Menschen aus dem Erwerbsprozess herausgedrängt worden. Ihnen ist faktisch der Arbeitsmarkt verschlossen worden. Wenn wir Menschen die Chance eröffnen wollen, wieder in den Erwerbsprozess zurückzukehren, dann müssen wir über die Frage nachdenken: Wann wird ein Arbeitsplatz überhaupt geschaffen? Er wird in aller Regel erst einmal nur geschaffen, wenn es Aufträge gibt. Das heißt, die Rahmenbedingungen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik insgesamt müssen verbessert werden. Aber ein Arbeitsplatz wird auch nur dann geschaffen, wenn er die Kosten des Arbeitsplatzes zumindest wieder hereinholt. Kein Unternehmer kann es sich leisten, einen Arbeitsplatz anzubieten, der die Kosten nicht deckt und nicht vorzugsweise noch einen minimalen Gewinn mit sich bringt. Zumindest die Kosten müssen gedeckt sein. ({3}) - Auch der Staat kann sich das nicht leisten. Das sehen wir, wenn wir uns die Finanzen des Staates ansehen. ({4}) Deswegen müssen wir Menschen die Chance geben, wieder in den Erwerbsprozess hineinzukommen. ({5}) Wir wissen, dass man ein gewisses Maß an Einkommen benötigt, um in einem Hochlohnland, einem Land mit hohen Lebenshaltungskosten, menschenwürdig leben zu können. Deswegen wissen wir auch, dass der Staat und die Allgemeinheit gerade in geringer produktiven Bereichen flankierend eingreifen müssen. Wenn wir bereit sind, die Erkenntnis anzunehmen, dass wir in Deutschland schon eine Dauersubventionierung in Form von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe haben, dann können wir auch anerkennen, dass es sinnvoll ist, wenn man Menschen, produktivitätsorientiert bezahlt, in den Erwerbsprozess zurückführt und dies durch einen Zuschuss existenzsichernd ausgestaltet, damit man mehr hat, wenn man arbeitet, als wenn man nicht arbeitet. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir. ({6}) Wir wollen im Rahmen der Möglichkeiten, die es für die Betriebe gibt, flexibel zu reagieren, gleichzeitig dafür sorgen, dass wieder Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, die in der Vergangenheit schlicht und einfach wegrationalisiert worden sind, weil sie zu teuer wurden. Ich nenne gerne ein Beispiel. Es hinkt wie alle anderen Beispiele auch, aber es verdeutlicht, was das Ziel ist. Früher gab es in mittleren und größeren Betrieben eine Art Faktotum. Das war jemand, der den Hof gekehrt, ein Möbelstück von A nach B getragen, Schrauben nachgezogen und ähnliche Arbeiten verrichtet hat. Ein solches Faktotum kann, wenn man ehrlich ist, im besten Fall produktivitätsorientiert 5 Euro verdienen. Herr Beck, davon können auch Sie in diesem Land nicht leben. Aber es ist doch sinnvoll, einem Menschen als Faktotum die Chance zu geben, durch eigene Leistungen einen Teil seines Lebensunterhaltes zu erarbeiten und durch einen Teil eingesparter Transferleistungen das Ganze existenzsichernd auszugestalten, als auf der anderen Seite diesen Menschen zu 100 Prozent zu alimentieren. Das hat auch etwas mit der Würde des Betroffenen zu tun. ({7}) In einer arbeitsteiligen Gesellschaft bedeutet es, einen Menschen auszugrenzen, wenn man den Arbeitsmarkt durch tarifvertragliche Regelungen verschließt und ihm so die Chance zur Teilhabe nimmt. Man nimmt ihm so die Möglichkeit, als wertvoller Bestandteil dieser Gesellschaft zu seinem eigenen Lebensunterhalt beizutragen. Das bedeutet in der Konsequenz mehr Kosten für die Allgemeinheit. Deswegen ist es nicht an der Zeit, sich aus ideologischen Gründen möglichen Verbesserungen im Arbeitsmarkt zu verschließen. Vielmehr ist nun angezeigt, endlich zu sagen: Die Menschen sollen ihre Interessen vertreten und ihr Leben in die Hand nehmen können, wenn sie das wollen und sich das zutrauen. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind nicht so eingeschränkt, wie Sie uns das manchmal weismachen wollen. Als Gesetzgeber sind Sie durchaus in der Lage, das Günstigkeitsprinzip und das Tarifvertragsgesetz zu ändern. Geben Sie sich einen Ruck und helfen Sie den Menschen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, damit sie eine Chance erhalten! Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede der Kollegin Anette Kramme von der SPD- Fraktion nehmen wir zu Protokoll. Sie liegt uns bereits vor.1) Dann hat jetzt der Kollege Laurenz Meyer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Hintergrund der Diskussion ist eindeutig und die Lage braucht nicht beschrieben zu werden. Ich begrüße den FDP-Antrag, weil er genau auf der Linie unseres Zehnpunkteprogramms liegt. Wir sind uns völlig darüber einig, dass wir etwas tun müssen, weil sonst die Entwicklung aus Konkursen und Abwanderungen immer weitergeht. Wenn wir nicht wirklich Bewegung in die Tariflandschaft bringen, dann werden wir bei der Steigerung des Wirtschaftswachstums und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit keinen Erfolg haben. Der FDPAntrag ist also wichtig. Rot-Grün war 2003 - das muss ich ganz klar sagen - schon weiter als heute. 2003 war man noch der Meinung, wenn sich die Tarifpartner nicht selber einigen könnten, sei es notwendig, gesetzliche Regelungen zu treffen, um mehr Flexibilität zu erreichen. ({0}) Freiwillige Regelungen sind eben nicht zustande gekom- men. Das ist die Situation, die wir haben und vor deren Hintergrund wir handeln müssen. Wir wollen - da besteht sicherlich ein Unterschied zwischen uns und der Diktion des FDP-Antrags - Flä- chentarifverträge erhalten. Wir wollen die Flächenta- rifverträge nicht abschaffen, sondern wir wollen Flexibi- lität schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass das eher die Arbeitszeiten als die Löhne betreffen wird; denn bei qua- lifizierten Arbeitnehmern wird es gar nicht zu Lohndum- ping kommen, wie das gelegentlich aus den Reihen der Koalition behauptet wird. Qualifizierte Arbeitnehmer würden sofort abwandern, wenn man sich grundsätzlich von Flächentarifverträgen verabschieden würde. Deswe- gen wollen wir das auch nicht. Ich möchte als Beispiel den mit der IG Metall ge- schlossenen Tarifvertrag aus dem letzten Jahr anführen. Es ist doch ganz eindeutig, dass einige Große den Flä- chentarifvertrag beschlossen haben, der Auswirkungen auf ganz Deutschland gehabt hat. Die Zulieferer der Au- tomobilhersteller und der großen Firmen mussten an- schließend die Suppe auslöffeln. Sie haben die Arbeits- plätze in die Beitrittsländer Osteuropas verlagert. Die Folgen waren für die Arbeitnehmer in Deutschland zu spüren. Deswegen brauchen wir gerade für die kleinen und mittleren Betriebe mehr Flexibilität. Die großen Un- ternehmen können sich zur Not mit der jeweiligen Ge- werkschaft einigen. Bei den kleinen und mittleren Unter- nehmen gibt es vielfach die Schwierigkeit, dass die Funktionäre von außen hineinreden wollen, selbst wenn 1) Anlage 3 Laurenz Meyer ({1}) die Betriebsräte und die Arbeitnehmer etwas ganz anderes wollen. ({2}) Es gibt im Moment vielfach illegale Verhältnisse in Deutschland. In vielen Betrieben wird von den Tarifverträgen im Einverständnis mit den Arbeitnehmervertretern und den Betriebsräten abgewichen, ohne dass das rechtlich eindeutig geklärt wäre. Um diese Zustände zu beseitigen, sollten wir handeln und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Dass die Koalition dazu überhaupt nicht bereit ist, zeigt, dass sie den Menschen in diesem Land nichts zutraut ({3}) und dass sie nicht bereit ist, ihnen Verantwortung zu geben für das, was vor Ort passiert. Sie traut Funktionären mehr zu als den Arbeitnehmern in den Betrieben. Das ist genau der Unterschied, der zwischen uns besteht. Wir trauen den Menschen mehr zu. ({4}) Deshalb muss das Kriterium, dass Arbeitsplätze erhalten bzw. geschaffen werden, eingebaut werden, und zwar sowohl in die Tarifvertragsgesetze als auch in das Betriebsverfassungsgesetz. Wir haben beschlossen, dass wir qualifizierte Mehrheiten bei Betriebsräten und Arbeitnehmern wollen. Das ist unsere Position. Insofern glaube ich schon, dass wir uns - bei einigen kleineren Korrekturen - auf den FDP-Antrag einigen könnten. Über die Diktion gegen die Flächentarifverträge insgesamt und das, was die Nachlauffristen usw. angeht, müsste man reden. Was Herr Müntefering in diesen Tagen vorgetragen hat, zeigt, dass die SPD in ihrer Not ganz offensichtlich versucht, einen völlig anderen Kurs einzuschlagen. Zumindest blinkt sie, als ob sie einen anderen Kurs einschlagen wollte. ({5}) Sie werden aber trotzdem wieder geradeaus und wie in der Vergangenheit leider voll vor den Baum fahren. Das ist die Situation, wie sie zurzeit ist und an der Sie offensichtlich nichts ändern wollen. Wir werden weiterhin auf Änderungen bestehen und halten das im Interesse der Menschen und der Arbeitsplätze für richtig. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede des Kollegen Markus Kurth vom Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir ebenfalls zu Proto- koll.1) 1) Anlage 3 Damit kommen wir zur Rede des Kollegen Matthäus Strebl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allen in diesem Hause müsste klar sein, dass in Deutschland dringend Änderungen erforderlich sind. Denn Deutschland hat mit den 5,2 Millionen Arbeitslosen die schlechteste Arbeitsmarktbilanz in ganz Europa, das geringste Wirtschaftswachstum in Europa und die niedrigsten öffentlichen Investitionen seit der Gründung der Bundesrepublik und ist mit seinen Rekordschulden der Hauptsünder im Verstoßen gegen den europäischen Stabilitätspakt. Deutschland, einst die Lokomotive in der Europäischen Union, ist jetzt unter der rot-grünen Regierungsverantwortung der Bremser. Vor allem die Schwindel erregende Situation auf dem Arbeitsmarkt lähmt die deutsche Wirtschaft. Dennoch verfolgt die Bundesregierung nicht einen einzigen effektiven Ansatz, um den Abwärtstrend zu stoppen. Auf die deutsche Bevölkerung kam in den vergangenen Jahren zwar eine enorme Flut von politischen Maßnahmen zu, doch leider sind diese wirkungslos geblieben. Der Kanzler hat mit seiner Regierungserklärung vor vier Wochen - am 17. März - keine Antwort auf die bisherige Misere gegeben. Er hätte die Rede auch zu Protokoll geben können. Wichtige Strukturreformen wie eine durchgreifende Flexibilisierung am Arbeitsmarkt und ein radikaler Abbau der überbordenden Bürokratie sind bisher unterblieben. Es geht nicht an, dass immer mehr Arbeitgeber die Tarifflucht ins Ausland antreten, illegale Arbeitskräfte aus dem Ausland holen oder immer mehr Arbeitsplätze abbauen. Vor allem Änderungen im Tarifvertragsrecht und im Arbeitsrecht können dazu beitragen, die Arbeitsmarktsituation in Deutschland zu verbessern. Die FDP-Fraktion hat in ihrem Antrag zu Recht festgestellt, dass eine Abkehr von einer starren Regulierung zugunsten von mehr Flexibilität notwendig ist. Die Tarifpolitik ist nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Solidarität zu betreiben. Die Subsidiarität beinhaltet für uns die Notwendigkeit, betriebliche Bündnisse für Arbeit zu fördern. Denn die Beschäftigten in von Insolvenz bedrohten Betrieben können am besten erkennen, mit welchen Instrumenten die Insolvenz abgewendet werden kann. Wichtig sind auch tarifvertragliche Öffnungsklauseln. Denn sie geben den Tarifpartnern die nötigen Gestaltungsspielräume, um effektive Regelungen im Sinne von Betrieb und Arbeitnehmern zu schaffen. Es ist besser, durch solche flexiblen Lösungen Arbeitsplätze zu erhalten, statt durch das Festhalten an alten Rechten Beschäftigung abzubauen. Doch leider sind nicht alle Punkte im FDP-Antrag zustimmungsfähig. Eine totale Aushebelung des Tarifvertragsrechts, wie sie die FDP mit der Änderung von § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes vorsieht, ist nicht im Sinne der Arbeitnehmer und vor allem der Arbeitgeber. Daher wäre es fatal, wenn vom Flächentarifvertrag abweichende Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene zwischen Unternehmen und Belegschaftsvertretungen unter den genannten Voraussetzungen der FDP möglich sein sollten. Dann nämlich drohten Tarifverhandlungen und Arbeitskampf nur noch im Betrieb stattzufinden. Für mich steht fest: Die Tarifautonomie muss nach wie vor unantastbar sein. Die Tarifpartner haben nur in Einzelfällen Vorrang, wenn es um die Sicherung von Beschäftigung geht. Auch eine komplette Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist nicht wünschenswert. So ist die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein gutes Mittel, um übergreifend eine gewisse Lohnstruktur festzulegen. Gerade im Hinblick auf die derzeitige Diskussion um Billiglöhne sind sie von elementarer Wichtigkeit. So wäre zum Beispiel im Bereich der Gebäudereiniger ohne eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung Lohndumping bald gang und gäbe. Auch wenn der FDP-Antrag Ansätze aufzeigt, um Deutschland zu reformieren, bedarf es noch ganz anderer Reformen, um unser Land wieder auf Vordermann zu bringen. ({0}) Die CDU/CSU hat mit dem „Pakt für Deutschland“ ihre Pläne vorgelegt. ({1}) Nun ist die Bundesregierung gefordert, ihre strukturellen Reformen vorzulegen und durchzusetzen. ({2}) Es kann nicht sein, dass die Agenda 2010 alles gewesen ist, wie es Kanzler Schröder bereits zum Jahreswechsel 2004/2005 angedeutet hat, indem er sagte: „Wir haben jedenfalls unser Möglichstes zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit getan.“ ({3}) Dies kann man im „Stern“ vom 30. Dezember 2004 nachlesen. Wenn die Agenda 2010 alles gewesen sein soll, was von der Bundesregierung kommt, dann wird Rot-Grün bis zum Jahr 2010 Deutschland längst in den Bankrott getrieben haben. ({4}) - Kollege Schauerte, Sie haben Recht. - Aber vorher werden wir diese Regierung ablösen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2861 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Die aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensubventionen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Professor Andreas Pinkwart von der FDP-Fraktion das Wort.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf unseren Antrag hin debattieren wir heute über eine Werbekampagne der RAG-Tochter Deutsche Steinkohle AG - abgedruckt im „Spiegel“ dieser Woche -, die mit dem Slogan „Kohle glänzt nicht, aber sie wärmt“ wirbt. Nun gilt in unserem Land - gerade für Liberale - das unbestrittene Recht auf Werbefreiheit. Es handelt sich aus unserer Sicht hier jedoch um einen unerhörten Vorgang, der der parlamentarischen Aufklärung bedarf. ({0}) Denn während Herr Müntefering öffentlich gegen die Macht der Konzerne zu Felde zieht, tritt hier ein hoch subventionierter Monopolist auf und macht zum wiederholten Male mit Millionenaufwand Propaganda für die Dauersubventionierung eines Industriezweiges, der nach mehrheitlicher Meinung der Bevölkerung ein Auslaufmodell ist und nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weiter gefördert werden darf. ({1}) Darüber hinaus ist bis heute nicht geklärt, ob und in welchem Umfange die bisherigen Kampagnen von DSK und RAG aus Steuergeldern finanziert werden. Daher gilt unser Interesse der Kostenprüfung der Zuwendungsbescheide durch das Bundeswirtschaftsministerium bzw. das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. ({2}) Im Rahmen der Abrechnung ist zu klären, ob in den Gemeinkosten Gelder für die jetzige Kampagne genauso wie für Vorgängerkampagnen enthalten sind bzw. wie sichergestellt wird, dass die öffentlichen Subventionen nicht für die Durchführung derartiger Lobbykampagnen genutzt werden. ({3}) Es geht uns dabei sowohl um eine politische als auch um eine rechtliche Klärung, ob in diesem Falle ein Subventionsmissbrauch vorliegt und, wenn ja, wie dem künftig wirksam begegnet werden kann. ({4}) Wir sehen der hierzu von uns erbetenen Stellungnahme des Bundesrechnungshofes mit großem Interesse entgegen. ({5}) Solange diese Fragen nicht zweifelsfrei geklärt sind, stellt sich für uns im Parlament natürlich die Frage, wen diese fortgesetzte Kampagne von RAG und DSK wirklich wärmen soll. ({6}) Die Faktenlage zur Wirksamkeit der Steinkohlensubventionen in unserem Land und zu den Rahmenbedingungen ist jedenfalls alles andere als erwärmend. Jede Tonne Steinkohle wird in Höhe von mehr als 50 Prozent der Kosten subventioniert, mithin jeder Arbeitsplatz mit 50 000 Euro pro Jahr. Die Subventionen werden mit immer größeren Kraftanstrengungen aus den hoch verschuldeten Haushalten des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen aufgebracht. Allein das Land Nordrhein-Westfalen zahlt jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro für die Steinkohlensubventionen. Gleichzeitig fallen nach Angaben der nordrhein-westfälischen Landesregierung über 5 Millionen Unterrichtsstunden pro Jahr aus, weil das bevölkerungsreichste Bundesland angeblich nicht genügend Geld für Bildung aufbringen kann. ({7}) Dabei garantiert die Steinkohle - anders als es in der Anzeige suggeriert wird - längst keine zukunftsfeste Jobperspektive mehr. ({8}) So ist es das erklärte Ziel selbst der rot-grünen Bundesregierung, die Anzahl der Beschäftigten von circa 42 000 auf 20 000 zurückzuführen. Dabei bestehen begründete Zweifel hinsichtlich der Bereitschaft der EUKommission, die Subventionsgenehmigung über 2010 hinaus zu verlängern. Frankreich, unser Nachbar, hat nicht ohne Grund bereits vor einem Jahr die letzte Tonne Steinkohle gefördert. Dort, in unserem Nachbarland, hat man nämlich erkannt, dass die Steinkohle keine Zukunft haben wird. ({9}) Eine künstliche Verlängerung des Steinkohlenbergbaus nützt auch den Bergbauregionen nicht. Vielmehr wird in der bisherigen Politik des Strukturwandels, die maßgeblich in der Konservierung und Historisierung des Vergangenen bestand, eine Ursache für die wirtschaftlichen Probleme in diesen Regionen gesehen. Dies bestätigt in anderer Form auch ein Gutachten des Bundesumweltamtes. Es belegt, dass mit dem Einsatz der entsprechenden Mittel in anderen Bereichen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, als im Bergbau verloren gehen. ({10}) Wir fordern die Bundesregierung daher auf, in dieser konkreten Frage für Aufklärung zu sorgen. Sie ist auch aufgefordert, mit der RAG ins Gespräch zu kommen, damit die RAG ihren gesellschaftspolitischen Beitrag dazu leistet, den Menschen im Hinblick auf den sowieso nicht aufhaltbaren Strukturwandel Mut zu machen. Das ist besser, als die Menschen in diesem Land weiter in die Irre zu führen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet: Die aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensubventionen Leider enthält schon diese Aussage zwei dicke Fehler: Erstens. Die Ruhrkohle AG gibt es nicht mehr; es gibt nur die RAG. Aber diese Kampagne wird nicht von der RAG durchgeführt, sondern von der DSK. ({0}) Zweitens. Sie sprechen von den „von der Bundesregierung … gewährten Steinkohlensubventionen“. Der Korrektheit halber wollen wir deutlich machen: Es handelt sich dabei um die von der 1997 im Amt befindlichen Bundesregierung gewährten Subventionen. Wir erfüllen nur die Verträge, die Sie geschlossen haben. ({1}) Ich möchte allerdings hinzufügen: Wir führen die Politik einer degressiven Subvention des deutschen Steinkohlenbergbaus fort, und zwar aus den gleichen Gründen wie zuvor Schwarz-Gelb. Wir führen die Subventionen zum Beispiel deswegen fort, weil eine Menge Arbeitsplätze in der Stahlherstellung von der deutschen Steinkohle abhängen, weil Zulieferbetriebe des deutschen Bergbaus und damit Beschäftigung in diesem Bereich von der deutschen Steinkohle abhängen, natürlich weil es um zahlreiche Arbeitsplätze im Bergbau selbst geht und - last, not least - weil wir die Versorgungssicherheit angesichts steigender Rohstoffrisiken - die Preise für den Import von internationalen Rohstoffen steigen und die heimischen Reserven werden knapper - gewährleisten wollen. ({2}) Wenn ich mir die Kampagne der DSK anschaue, dann frage ich mich: Worüber beschwert man sich eigentlich? Man informiert über genau das, worum es Schwarz-Gelb 1997 ging und worum es uns heute geht: Die deutsche Steinkohle ist ein Rohstoff; sie ist die Grundlage für Koks; sie ist wichtig für die Stahlherstellung, für Tausende von Arbeitsplätzen, für Zulieferbetriebe des Bergbaus und auch für weltweit führende Technologien. All das, was ich gerade angeführt habe, stand in Ihren Papieren und steht noch immer in unseren. Früher standen Sie dazu; wir stehen dazu noch heute. Es ist überhaupt nicht erkennbar, aus welchen Gründen man gegen diese Informationskampagne zu Felde zieht, es sei denn, man will mit diesem Thema selbst auf populistische Art und Weise Wahlkampf machen. ({3}) Übrigens: Auch andere hoch subventionierte Bereiche machen Eigenwerbung, zum Beispiel die deutsche Landwirtschaft. Das ist auch in Ordnung so, finde ich. ({4}) Die Kampagne ist ausgesprochen sympathisch. Obendrüber steht: Deutschland hat Geschmack. - Ich stimme dem zu. Die FDP hat offenbar keinen Geschmack. ({5}) Sie führt eine Kampagne nach dem Motto „Kinder fördern statt Steinkohle“, eine Kampagne, die Bergleute und ihre Familien diskriminiert und Anfeindungen aussetzt, eine Kampagne, die mit „schäbig“ noch nicht einmal angemessen beschrieben ist. ({6}) Die Steinkohlenförderung ging nie zulasten von Kindern, weder zu schwarz-gelben noch zu rot-grünen Zeiten. ({7}) Die Bundesregierung, denke ich, wird gleich auch über die anderen Punkte aufklären, die Sie angesprochen haben. Dass Spezialfirmen für den Bergbau Aufträge ausführen, gibt es seit 20 Jahren. Das ist auch notwendig; denn es gibt Arbeiten, die nicht das ganze Jahr, sondern nur sporadisch anfallen. Dafür hält man nicht das ganze Jahr eigenes Personal vor. Die Auftragsvergabe geschieht nach europäisch vorgeschriebenen Vergabekriterien, gemäß der EU-Sektorrichtlinie, gemäß den Vergabebestimmungen, die durch das BMWA geprüft werden, und nach deutschem Subventionsrecht. Man muss sich einmal vor Augen führen, dass am Ende 1 Prozent der Aufträge, die hier vergeben werden, ausländische Unternehmen betreffen. Das zeigt, welcher Popanz von Ihnen hier aufgebaut wird. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von CDU/CSU-Fraktion.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute eine offensichtlich zweifelhafte Werbekampagne für einen Subventionsbereich in der deutschen Wirtschaft. Die Ruhrkohle AG und die nach- und zugeordneten Unternehmen beziehen mehr als 2,5 Milliarden Euro pro Jahr vom deutschen Steuerzahler. Es ist gut und richtig, finde ich, dass wir als Opposition hier darauf aufmerksam machen und prüfen, ob das Geld auch richtig ausgegeben wird; denn es soll im Wesentlichen dazu dienen, den Wandel im deutschen Steinkohlenbergbau sozialverträglich zu gestalten; es soll nicht dazu dienen, Arbeitsplätze in der Werbewirtschaft zu erhalten. Das ist den Steinkohlenkumpeln nicht zuzumuten. ({0}) Lassen Sie mich auf eine bestimmte Dimension der Werbekampagne hinweisen. Derjenige, der dort abgebildet ist, ist Marius Müller-Westernhagen. Er wirbt unter dem Slogan „Kohle glänzt nicht, aber sie wärmt“ für die deutsche Steinkohle. Ich war eigentlich immer der Auffassung, dass man Westernhagen vielleicht für LKWs oder Whiskey werben lassen kann; mir ist seine Affinität zur Kohle neu. ({1}) Ich bin sicher, dass die Kohle, die er dafür bekommen hat, in seiner Tasche ganz schön glänzt. Als ich in die Texte der Songs auf seiner neuen CD geguckt habe, war mir klar, warum die Sozialdemokraten und die Ruhrkohle AG ihn ausgewählt haben, nämlich deshalb, weil er ein perfekter Interpret der derzeitigen Situation in der rot-grünen Koalition ist. Sein Song „Gejammer“ geht wie folgt - das muss ihm von einem rot-grünen Abgeordneten getextet worden sein -: Du mit deinem ew’gen Gejammer Ich kann diesen Weg mit dir nicht mehr gehn Ich will nur noch weg Weg, unser Boot hat ein Leck Weg aus dieser Klammer Weg, nichts wie weg von diesem klebrigen Fleck Wir haben uns geliebt Sprachlosigkeit ist, was uns blieb Und dieses ew’ge Gejammer Tot, mausetot die schöne Chemie ({2}) Wer hätte besser ausdrücken können, wie es denen da drüben auf der linken Seite geht? ({3}) Die zukünftige Kohlepolitik bedarf keiner Hochglanzwerbung. Sie muss ehrlich sein, sie muss verlässlich sein und sie muss für alle Beteiligten bezahlbar sein. Deswegen wird in der nächsten Zeit auch eine verlässliche Anschlussregelung für die Steinkohlenfinanzierung gefunden werden. Sie hängt im Wesentlichen von einem Datum ab, nämlich dem 22. Mai, dem Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ich hoffe, dass ab dann eine Landesregierung dieses Land regiert, die mit dem Geld besser umgehen kann als die Landesregierung, die in Nordrhein-Westfalen 105 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft hat. ({4}) Klare Ansage in der Kohlepolitik ist, dass man den Degressionskurs bei der Kohleförderung weiterfahren muss. Dies müssen die Beschäftigten und Unternehmen im Bergbau auch frühzeitig erfahren, denn Aktionismus in der Kohlepolitik ist ein erheblicher Unsicherheitsfaktor. Wie sich Unsicherheit auswirkt, konnte man ja in dieser Woche nachlesen. Was sich da im Bergbau zum Beispiel mit Vertragsarbeitnehmern ereignet, ist nicht das, was wir mit deutschen Steuergeldern subventionieren wollen. ({5}) Ziel ist - das ist, wie ich glaube, auch der Bundesregierung klar - eine weitere Degression. Wir wollen falsche Weichenstellungen im Bergbau vermeiden und ein klares Signal für Degression geben. Bezüglich des Bergbaus sind jedoch in den letzten Monaten Fehlentscheidungen getroffen worden. Ich erinnere an eine Fehlentscheidung im Hinblick auf den Haushalt. Herr Hempelmann hat hier eben gesagt, die SPD mache weiter bei der Degression. Degression steht ja hier als Synonym für sinkende Subventionen. Schauen wir uns das einmal genauer an: Auf der einen Seite gibt es den Kohlekompromiss der Regierung Kohl. Er ist 1997 geschlossen worden und bringt Degression mit sich. Auf der anderen Seite haben Sie vor wenigen Monaten, anstatt den Bergleuten zu sagen, man könne sich auf Dauer nicht mehr leisten, die Kohlesubventionen auf dem hohen Niveau weiter laufen zu lassen, ein anderes Signal gegeben und im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gesagt: Das macht nichts, wir verringern die Kohlesubventionen nicht weiter, sondern erhöhen sie sogar, obwohl dieser Staat selbst bei sinkenden Subventionen - Herr Hempelmann, das sollten Sie sich einmal anschauen - an die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit stößt. ({6}) Dann gibt es ja noch etwas Schönes: Obwohl die Finanzen sehr knapp sind, wollen Sie sich im Wahljahr 2006 de facto einen Kredit von der Ruhrkohle Aktiengesellschaft geben lassen, damit die Staatsfinanzen während des Wahlkampfes nicht völlig auseinander brechen. Das ist charakterlos, unanständig und muss angeprangert werden. Ich will an dieser Stelle noch einen letzten Punkt kurz aufgreifen. Es ist in der Presse zu lesen, dass die Ruhrkohle Aktiengesellschaft einen Börsengang plant. Wir sind offen für die Überlegungen, wenn sie denn konkret vorgelegt werden. Wir knüpfen aber daran drei Bedingungen: Erstens: Die absehbare Finanzierungslast des Bundes für Personal- und Sachkosten stillgelegter Zechen und Bergbauanlagen muss durch das Kapitalaufkommen des anstehenden Börsenganges gedeckt sein. Zweitens: Mit der Übernahme der Altlasten muss auch die Verfügung über werthaltige Reste verbunden sein. Eine Sozialisierung von Risiken und eine Privatisierung von Erträgen kommen aus Sicht der Union nicht in Betracht. Drittens: Nachdem wir die schlechte Erfahrung gemacht haben, dass Geld aus Börsengängen irgendwo verschwunden ist, ist für uns klar: Die am Kapitalmarkt aufgebrachten Mittel müssen in einem Sondervermögen außerhalb des Bundeshaushaltes angelegt und bewirtschaftet werden. Dies sind unsere Kriterien. Ein Beitrag zur Sicherung des Steinkohlenstandortes Deutschland ist es, wenn die Subventionen in diesem Bereich degressiv ausgestaltet werden. Allein das ist verlässlich, ehrlich und anständig. So sieht unsere Kohlepolitik aus. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kampeter hat ja gerade aus Westernhagens Liedern rezitiert. ({0}) Dieser hat ja allerlei Lieder gesungen, so auch „Ach wie gut, dass ich kein Dicker bin“ und ähnliches Zeug. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob die Inhalte gut oder schlecht sind. Ich schlage vor, dass wir das einfach einmal so im Raum stehen lassen und zum Thema übergehen. ({1}) Im ersten Beitrag in dieser Aktuellen Stunde hat Herr Pinkwart argumentiert, es wäre besser, die Subventionen für die Steinkohle ganz zu streichen und sie in Bildung zu stecken. ({2}) Das war, wenn ich es richtig verstanden habe, Ihr tragender Gedanke. Dazu kann ich nur eines sagen: Wenn Sie das ernst meinen, lieber Herr Kollege, dann könnten Sie endlich auch der Abschaffung der Eigenheimzulage zustimmen. Seien Sie doch da nicht so hasenfüßig! ({3}) Das ist doch genau der Punkt; auch hier geht es darum, Gelder für Bildung zu mobilisieren. Es ist vollkommen richtig: Der Abbau von Subventionen in Bereiche ohne Zukunft muss vorangetrieben werden. Das Geld muss mobilisiert werden für Zukunftsinvestitionen. Da sind wir voll auf Ihrer Linie. ({4}) Das Problem ist nur, dass Sie dann, wenn es um Lobbyinteressen geht, nicht ganz so konsequent sind, aber da will ich jetzt nicht ins Detail gehen. ({5}) Ich glaube, der Abbau von Kohlesubventionen muss deutlich forciert werden. Die Lücke zwischen Förderkosten von 150 Euro pro Tonne und Weltmarktpreisen von 50 bis 60 Euro wird sich nicht mehr schließen. Deswegen müssen wir hier aussteigen. Das ist vollkommen richtig. ({6}) Wenn man sich aber fragt, welche Maßstäbe man beim Subventionsabbau anlegen muss, kommt man zu dem Schluss, dass es sich insbesondere um drei Maßstäbe handelt: Subventionsabbau muss zeitlich befristet sein, degressiv gestaltet sein und regelmäßig überprüft werden. Vor dem Hintergrund möchte ich gerne einmal darauf verweisen, wie wir beim Steinkohlenkompromiss verfahren sind. Erstens. Die derzeit geltende Regelung ist zeitlich befristet bis 2012. ({7}) Sie ist zweitens degressiv gestaltet. Die Subventionen werden von anfänglich 2,7 Milliarden Euro auf 1,8 Milliarden Euro pro Jahr reduziert. Die Fördermenge wird von 27 Millionen Tonnen auf 16 Millionen Tonnen reduziert. Die Anzahl der Beschäftigten sinkt von 36 000 auf 20 000. Dass der FDP das gar nicht schnell genug gehen kann, ist klar, denn soziale Sensibilität ist bei euch nicht angesagt. ({8}) Jedenfalls ist das doch wohl klar degressiv. Das, was Herr Kampeter gerade erzählt hat, ist natürlich auch nicht wahr. Es ging dabei um ein spezifisches Problem, das wir jetzt den Zuhörern hier ersparen wollen. Es geht dabei nämlich um die Bugwelle, um einen Mechanismus, den die schwarz-gelbe Bundesregierung seinerzeit installiert hat, durch den die Ruhrkohle AG im Prinzip die öffentlichen Haushalte als Sparkasse nutzen konnte. Wir machen - das will ich ganz klar festhalten mit dieser Lüge im Steinkohlenkompromiss ein Ende. ({9}) Ich halte fest: Wir nehmen eine klare Anpassung nach unten vor; wir beschreiten den Pfad der Degression. Wir haben die Subventionen zeitlich befristet. Wir haben drittens - Stichwort: Überprüfung - auch einen Mechanismus eingebaut, der bewirkt, dass die Subventionen sinken, wenn die Weltmarktpreise für Steinkohle weiter steigen. Wir haben nämlich festgelegt: Alles, was über einem Preis von 46 Euro pro Tonne liegt, soll sich subventionsmindernd auswirken. Auch an so etwas haben Sie natürlich nie gedacht. Diese Regelung ist ein klarer Fortschritt. Wir haben einen Mechanismus für eine zeitnahe Abrechnung geschaffen; in Zukunft wird unmittelbar abgerechnet. Wir haben ökologische Kriterien - Stichwort: Unterwanderung des Rheins bei Walsum - klar berücksichtigt. ({10}) All das sind Dinge, die Ihnen nicht eingefallen sind. Wir haben auch klare Transparenzregeln für die so genannten Ewigkeitskosten eingeführt. Ich fasse zusammen: Die Regelungen, die wir bezüglich des Abbaus von Subventionen getroffen haben, sind konsequent, gut und sachgerecht. Sie sind auch sozial sensibel; das ist - man muss es noch einmal ganz klar sagen - eine Dimension, die Ihnen abgeht. ({11}) Zu der öffentlichen Kampagne muss ich ganz klar sagen: Ich finde sie nicht gut. Erst einmal habe ich mich gefragt, ob die Augen von Müller-Westernhagen wirklich so blau sind wie in der Anzeige; aber das ist ein Nebenthema. ({12}) Die Anzeige ist Teil einer längeren Kampagne. Ich finde die Kampagne nicht gut, weil sie erstens - das muss man ganz klar sagen - an vielen Stellen mit Angst, etwa mit der Angst vor Terrorismus, operiert. Zweitens stellt sie Fakten sehr einseitig - um nicht zu sagen: verzerrt - dar. ({13}) - Dass ich da von Ihnen Beifall bekomme, wundert mich nun wirklich; denn die Dinge werden dort ziemlich genau so dargestellt, wie Sie sie normalerweise beschreiben. ({14}) Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich lächerlich, hier mit dem Haushaltsausschuss usw. zu kommen. Mit der Landwirtschaft - Kollege Hempelmann hat zu Recht darauf hingewiesen - verhält es sich genauso. Ich möchte an dieser Stelle eher an die Ruhrkohle AG appellieren, ein bisschen maßvoller, mit ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl zu agieren. Es sind nämlich Gelder des Steuerzahlers, die da fließen. Das muss berücksichtigt werden. Danke schön. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Loske, fast hätte ich mir die jetzige Rede sparen können. Was Sie sagten, entsprach zu 80 Prozent unserer Argumentationslinie. Umso mehr wünschen wir uns, dass Sie nicht nur so reden, sondern auch in der Koalition so handeln und darauf dringen, dass diese Subventionen ein Ende haben. ({0}) Herr Loske, mir hat nicht gefallen, dass Sie davon sprachen, bei der FDP gebe es keine soziale Sensibilität. ({1}) Jetzt möchte ich kurz eine Quelle heranziehen, der Sie eher glauben werden. „Der Spiegel“ berichtet in dieser Woche von einer sozialen Sensibilität, die schon von einer gewissen Pikanterie ist. Dort ist nämlich zu lesen, dass die Bergleute - Sie alle wissen das ja - im Alter von 48 Jahren in den Ruhestand gehen können und danach 85 Prozent ihrer bisherigen Bezüge erhalten. Ebenso ist zu lesen, dass auf der anderen Seite gerade im Schachtbau ausländische Firmen zu Billiglöhnen die Arbeit verrichten bzw. dass Ruheständler sich etwas dazuverdienen. ({2}) Die Ruheständler werden auf eine Drehscheibe gesetzt und kommen wieder hinein in den Bergbau. Ich muss Ihnen sagen: Das ist überhaupt nicht sozial sensibel. ({3}) Die Frage, die immer auch von Rot-Grün gestellt wird, ist nämlich: Wie sieht es dort mit den Sicherheitsstandards aus? Verstehen die ausländischen Mitarbeiter überhaupt, welche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind, welche Meldepflichten es gibt, wie sie sich unter Tage zu verhalten haben? Es geht um die Frage von Sicherheiten und Kontrollen. Ich habe bei meiner Nachfrage nur gehört, dass es dort Kontrollen dieser Art trotz bestimmter Anzeigen bei den Landesarbeitsämtern nicht gegeben hat. ({4}) Ich finde es schon bezeichnend, dass Sie einfach darüber hinweggehen und sagen: „Es ist so!“ und „Schauen wir mal!“ Denn gleichzeitig wird hier mit großem Populismus über gesetzliche Mindestlöhne diskutiert. ({5}) Diese Doppelbödigkeit muss unbedingt angeprangert werden. Ich möchte noch auf die Feinheiten des Subventionsgebarens zu sprechen kommen. Sie haben davon gesprochen, dass die Anschlussregelung degressiv ausgestaltet ist. Das ist zwar richtig. Aber wir von der FDP verstehen nicht, dass die rot-grüne Bundesregierung angesichts der finanziellen Fakten 16 Milliarden Euro im Zuge einer Anschlussregelung für 2006 bis 2012 nachlegt. ({6}) Rechtlich und haushalterisch besteht die Möglichkeit, 2008 aus der Subventionierung auszusteigen. Wir würden dies tun. ({7}) - Ich kann mir vorstellen, Herr Kollege Hempelmann, dass Ihnen das nicht gefällt. Bei Ihrer Darstellung der Situation haben Sie völlig übersehen, dass die Anschlussregelung bis 2012 noch nicht in trockenen Tüchern ist. ({8}) EU-Kommissar Piebalgs hat es mir gegenüber bestätigt. ({9}) Er hat gesagt, ab 2010 müsse Schluss sein mit der deutschen Steinkohlensubventionierung und eine Anschlussregelung werde es nicht geben. ({10}) Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass Sie für die Übergangszeit einen Deal zulasten Dritter machen, wie es schon einmal bei der Subventionsregelung zulasten des deutschen Speditionsgewerbes der Fall gewesen ist. Wenn Sie so etwas im Schilde führen sollten, dann wäre das mehr als fragwürdig. ({11}) Ich möchte mich noch mit einem anderen Argument auseinander setzen. Herr Hempelmann, Sie haben davon gesprochen, wir brauchten den deutschen Steinkohlenbergbau zur Versorgungssicherheit. ({12}) Das ist ein großer Irrtum. Wir haben Braunkohlevorräte und es gibt die Möglichkeit, Steinkohle zu importieren. Wir können außerdem Öl und Gas importieren und die Kernenergie nutzen. Deswegen legt die FDP-Bundestagsfraktion Wert darauf, dass es auch in Zukunft einen breiten Energiemix gibt, damit wir uns nicht abhängig machen. Wir brauchen die deutsche Steinkohle nicht, um Deutschland mit Energie zu versorgen. Die deutsche Steinkohle kann erst in Tiefen von etwa 800 Metern abgebaut werden, während sie in anderen Ländern der Erde fast im Tagebau abgebaut werden kann, was natürlich enorme Kosten spart. Ihre Anschlussregelung ist mit Blick auf die junge Generation wirklich nicht akzeptabel. Denn im Bereich Bildung, aber auch in vielen anderen Bereichen fehlt das Geld. Schauen Sie sich beispielsweise einmal die Straßen in Nordrhein-Westfalen an. Auf die Behauptung, wir müssten einen bestimmten Sockel an Kapazitäten im Bergbau erhalten, um die entsprechende Technologie exportieren zu können, kann ich nur erwidern, dass man dafür keinen Referenzbergbau braucht. Ich denke, die Technologie hat sich längst durchgesetzt. Ich möchte abschließend noch einmal die relevanten Zahlen nennen. Die Kosten für die Importsteinkohle betragen 40 Euro pro Tonne. Die deutsche Steinkohle kostet 140 Euro pro Tonne. Wir werden in diesem Bereich also nie wettbewerbsfähig sein. Deshalb ist es nur konsequent, zu sagen, wir brauchen „Kohle“, um die Kinder zu fördern. Stecken wir also das Geld in die Bildung und Ausbildung unserer Kinder und nicht in einen rückwärts gewandten Industriebereich! Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts hoher und weiter wachsender Importabhängigkeiten bei Energierohstoffen stellt der Zugang zur eigenen Steinkohle ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit dar. Die deutsche Energieversorgung ist bereits heute mit rund 60 Prozent in hohem Maße von Energieimporten abhängig. ({0}) Nach vorliegenden Energieprognosen ist bis 2010 mit einem Anstieg der Einfuhrabhängigkeit Deutschlands auf etwa 67 Prozent zu rechnen. ({1}) Der Nutzung heimischer Energieträger kommt daher auch im liberalisierten deutschen Energiemarkt eine erhebliche Bedeutung zu. Kohle ist der einzige Energieträger, über den Deutschland in nennenswertem Umfang verfügt. Rund 90 Prozent der Energiereserven Deutschlands entfallen auf Kohle. Rund zwei Drittel davon sind Steinkohlenvorräte. ({2}) Der einheimische Steinkohlenbergbau stellt auch die Grundlage für die deutsche Bergbaumaschinenindustrie dar. Auf dieser Basis konnte sie sich zum führenden Anbieter von Bergbaumaschinen in der Europäischen Gemeinschaft und auf dem Weltmarkt entwickeln. ({3}) Der Exporterfolg sichert Beschäftigung und Wertschöpfung am Industriestandort Deutschland. Vom Gesamtumsatz der Bergbaumaschinenindustrie im Jahre 2004 von 1,8 Milliarden Euro entfallen rund 70 Prozent auf den Export. Diese Position ist vor allem auf den hohen Entwicklungsstand der Technik für den untertägigen Steinkohlenbergbau in Deutschland zurückzuführen. ({4}) Der Weiterentwicklung dieser modernen Technologie in deutschen Bergwerken kommt somit eine wichtige Rolle für den Industriestandort Deutschland zu. ({5}) Auch die moderne Kraftwerkstechnik, die auf der Basis des einheimischen Steinkohlenbergbaus entwickelt wird, hat hervorragende Exportchancen. ({6}) Die Steinkohlenhilfen sind seit Jahren degressiv ausgestaltet. Die Kohlevereinbarung von 1997 regelt die Finanzierung des deutschen Steinkohlenbergbaus bis zum Jahre 2005. Sie beinhaltet eine kontinuierliche Rückführung der Beihilfen von 4,7 Milliarden Euro auf 2,7 Milliarden Euro in 2005. Die Bundesregierung hat sich darauf verständigt, die Steinkohlenförderung von gegenwärtig 26 Millionen Tonnen bis 2012 auf 16 Millionen Tonnen zurückzuführen. Dazu gehören auch die jeweiligen Koalitionspartner; ich sage das, damit wir wissen, wovon wir reden. ({7}) Damit ist ein weiterer Rückgang der Steinkohlenhilfen in den nächsten Jahren verbunden. ({8}) Seit 2003 führt die Deutsche Steinkohle AG - vielleicht darf ich das noch einmal sagen: seit 2003 - eine bundesweite Imagekampagne mit dem Ziel durch, bei der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz für die deutsche Steinkohle und ihre Subventionierung zu erreichen. Am 5. April 2005 ist die neue Werbekampagne des Unternehmens - übrigens die vierte seit 2003 - angelaufen. Dass Sie das gerade jetzt zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde machen, Herr Pinkwart, und dass Sie als FDP-Landesvorsitzender den Wahlkampf im Auge haben, ist wahrscheinlich reiner Zufall. ({9}) Es ist die vierte Werbekampagne; ich wiederhole das. Ich könnte Sie in diesem Zusammenhang fragen: Haben Sie die anderen drei verschlafen? Warum haben Sie dazu noch keine Aktuellen Stunden beantragt? ({10}) Herr Loske, das muss ich einmal sagen: Man kann über den Inhalt von Werbekampagnen sehr streiten und darüber, ob einem die blauen Augen des einen oder anderen gefallen oder nicht. ({11}) Das mag ja alles sein. Das sind aber keine Fragen, mit denen sich die Bundesregierung oder das Parlament befassen sollte. ({12}) - Ich werde hier ja nach der Meinung der Bundesregierung gefragt. Dass ein Abgeordneter eine freie Meinung haben kann, ist unbestritten. ({13}) Wir begrüßen diese Imagekampagne. Sie macht darauf aufmerksam, dass die heimische Steinkohle nach wie vor ein bedeutender und sicherer Energieträger ist und bleiben soll. Darauf hinzuweisen ist notwendig, scheint doch einigen die Wahrnehmung für die eigene Rohstoffbasis in unserem Land verloren gegangen zu sein. ({14}) Die Finanzierung der Imagekampagne erfolgt seit 2003 im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Steinkohle AG. Die Angemessenheit und der Bezug dieser Imagekampagne zur Kohleförderung werden im Rahmen der Abrechnung der Steinkohlenbeihilfen vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geprüft. ({15}) Der jetzt ergangene Prüfauftrag für das Beihilfejahr 2004 an die Wirtschaftsprüfgesellschaften, die die Deutsche Steinkohle AG im Auftrag des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle prüfen, beinhaltet auch die Prüfung der in den Produktionskosten des Unternehmens enthaltenen Beiträge für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. In dem Auftrag sollen die Angemessenheit und der Bezug zur Kohleförderung festgestellt werden und in diesem Zusammenhang soll auch auf die im Jahre 2003 gestartete Imagekampagne eingegangen werden. Damit kommt die Bundesregierung auch ihrer Kontrollpflicht bei der Prüfung der Subventionen für den Steinkohlenbergbau nach. ({16}) Ich will auf etwas eingehen, was Frau Kopp gesagt hat. Sie hat unterstellt, dass es hier eine Doppelbödigkeit gebe. Frau Kopp, ich sage Ihnen ganz offen: Doppelbödig ist es, wenn man Behauptungen, die in der Presse oder sonst wo erhoben werden, einfach völlig ungeprüft übernimmt. ({17}) Es ist der Bundesregierung bekannt, dass Arbeitnehmer ausländischer Firmen im deutschen Steinkohlenbergbau für Bergbauspezialarbeiten eingesetzt werden. Das Unternehmen ist verpflichtet, diese Aufträge europaweit auszuschreiben und das wirtschaftlichste Angebot zu berücksichtigen. Der größte Teil aller Arbeiten wird aber weiterhin von deutschen Firmen ausgeführt. In 2004 lag der Anteil der von beauftragten Bergbauspezialfirmen aus Mittel- und Osteuropa ausgeführten Arbeiten bei unter 1 Prozent aller im Steinkohlenbergbau angefallenen Arbeiten. Einzelne Firmen, die der „Spiegel“ genannt hat, arbeiten seit über 20 Jahren über Werk- und Spezialaufträge im deutschen Bergbau. Das ist überhaupt nichts Neues. ({18}) Im Jahre 2005 ging noch kein einziges der vorgegebenen Projekte an einen ausländischen Anbieter. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften im Bergbau, insbesondere die der Arbeits- und Sicherheitsvorschriften nach der Allgemeinen Bundesbergverordnung, wird von den Bergverwaltungen der Länder ständig überprüft. Es sind keine Anhaltspunkte bekannt, dass im Zusammenhang mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gegeben sei. Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung, wenn dies der Fall sein sollte, dem massiv nachgehen wird. Für deutsche Bergleute, die im Rahmen einer Frühverrentung mit einem Anpassungsgeld ausscheiden, führt jede Beschäftigung in einem knappschaftlichen Betrieb - auch eine geringfügige - zur Beendigung des Anpassungsgeldbezuges, den Sie hier angesprochen haben. Nach den Richtlinien ist nur eine geringfügige Beschäftigung außerhalb des Bergbaus entsprechend § 8 Sozialgesetzbuch IV erlaubt. Das bedeutet einen Hinzuverdienst von maximal 400 Euro. Möglich ist also nur eine geringfügige Beschäftigung. Das ist wie bei anderen Rentnern auch. Dem deutschen Steinkohlenbergbau ist der Einsatz von Frührentnern in ausländischen Unternehmen nicht bekannt. Auch ich habe den Artikel im „Spiegel“ gelesen. Man muss da sehr genau hinschauen. In diesem Artikel wird über einen Obersteiger geschrieben, der mit 40 aus dem deutschen Steinkohlenbergbau ausscheidet und sich bei einer anderen Bergbaufirma verdingt. Er ist ganz normal ausgeschieden. Er bekam möglicherweise eine Abfindung oder eine Entschädigung nach dem Sozialplan wie andere auch; das hat nichts mit der Bergbauförderung zu tun. Diesem 40-Jährigen können Sie natürlich nicht sagen, dass er nirgendwo mehr beschäftigt werden darf. Wenn dieser sich, wie in dem „Spiegel“-Beispiel dargestellt, bei einer österreichischen Spezialfirma bewirbt und dort arbeitet, ist natürlich klar, dass er, wenn diese österreichische Bergbaufirma Anschlussaufträge übernimmt, indirekt wieder bei der ehemaligen Firma arbeiten kann. Das hat aber überhaupt nichts damit zu tun, dass hier Arbeitnehmer beschäftigt werden, die ein Anpassungsgeld beziehen. Für diesen Fall gibt es ziemlich rigide und harte Vorschriften. ({19}) Zum Schluss sage ich Ihnen - denn Sie haben dies angesprochen -: Für den Fall, dass es Hinweise darauf geben sollte, dass es im Bergbau zu illegaler Beschäftigung oder zu einer Umgehung der Dienstleistungsrichtlinie kommt, können Sie sich darauf verlassen, dass wir dem mit aller Rigidität nachgehen werden. Wenn es solche Vorgänge geben sollte, werden wir die abstellen. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten ein paar Aufgeregtheiten beiseite lassen: Ob zum einen die RAG oder der deutsche Steinkohlenbergbau die Anzeige, um die es hier geht, bezahlt, ist ziemlich egal. Am Ende kommt alles aus einem Topf. ({0}) Hier wird einfach nur hin und her geschoben. Zum anderen regt man sich darüber auf, dass, wenn gefordert wird, nicht die Kohle, sondern die Kinder zu fördern, die Bergleute belastet werden. Wenn man fordert, die Eigenheimzulage zugunsten der Bildung abzuschaffen, besteht das gleiche Problem; Sie haben es angesprochen. Das alles sollte man nicht so überhöht sehen. Das ist eine normale Formulierung, die akzeptabel sein kann und - in beiden Fällen - einen wahren Kern hat. Es geht um die Frage: Wo setzt man die Prioritäten? Mir ist es wichtig, zu hinterfragen, ob diese Angelegenheit ein politisches Geschmäckle hat oder nicht und ob die Werbung wahrheitsgemäß und zielführend ist. Das sind für mich in diesem Zusammenhang zwei interessante Fragen. Angesichts dessen, dass diese Werbung zu einem bestimmten Zeitpunkt zustande gekommen ist und die entsprechenden Beschlussgremien die politische Brisanz dieser Anzeigenkampagne sehr wohl gesehen haben, und angesichts der Tatsache, dass Müller vor wenigen Tagen im kleinen Kreis gesagt hat: „Auch wenn die FDP so gegen die Kohle ist, müssen wir das machen können“, befinden wir uns mitten in der Politik und mitten im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen. ({1}) Dazu sagen wir: Verdammt noch mal, so mit subventioniertem Geld umzugehen gehört sich nicht! ({2}) Das kann, wenn es politische Wirkung hat - die soll diese Kampagne, so wie sie läuft, haben -, sogar eine Umgehung der Parteienfinanzierung sein. ({3}) Das geht zu weit, das hat ein politisches Geschmäckle. Es sollen Fronten aufgebaut werden. Darüber hinaus ist es unklug, so etwas zu machen. Wenn in Nordrhein-Westfalen eine andere Regierung trotz einer solchen Kampagne gewählt wird, wird das die Freundlichkeiten nicht erhöhen. Wenn ich an die Zukunft der Steinkohle denke, würde ich ihr dringend empfehlen, unmittelbar vor Wahlkämpfen jeden Verdacht, in politische Entscheidungsprozesse eingreifen zu wollen, zu vermeiden. ({4}) Das geschieht hier nicht. Dieses Thema muss angepackt werden und dieses Vorgehen müssen wir kritisieren. So darf es nicht ablaufen. Dabei ist es mir fast egal, ob es sich um Subventionen handelt oder nicht. Diese Art von politischer Beeinflussung durch wirtschaftliche Werbekampagnen von Unternehmen gehört sich nicht und muss gerügt werden. Sie müssen erst recht gerügt werden, wenn es um öffentliche Mittel geht, nämlich um die Ausgabe von vorher erhaltenen Subventionen. Das kränkt uns als CDU ganz besonders; denn die Kohle muss wissen, dass der Kohlekompromiss, zu dem wir gelangt sind, ein Kompromiss von Helmut Kohl aus dem Jahre 1997 ist. Er hat der Kohle die Sicherheit gegeben, die sie bis heute genießen kann. Deswegen fühlen wir uns in dieser Frage auch zu Unrecht verdeckt angegriffen und im Ringen um Mehrheiten im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen verdeckt behindert. Das müssen wir anprangern. Das ist sicherlich auch der Auslöser für die Aktivitäten der FDP. Herr Andres, zum Thema ziel- oder irreführend: Diese Anzeigen erwecken einen falschen Eindruck. Das meine ich völlig losgelöst von der politischen Ausstrahlung. Sie suggerieren eine Sicherheit, die Ihre eigenen Entscheidungen nicht gewähren. Es gibt doch die Degression, deshalb kann es gar nicht sicher sein. Es wäre ehrlich, den Leuten bei der Einstellung zu sagen, dass es zu erheblichen Veränderungen und einem Abbau von Arbeitsplätzen - es ist sogar wahrscheinlich, dass der Bergbau in Nordrhein-Westfalen auf null zurückgeführt wird - kommen kann. Das ist noch nicht entschieden, das soll noch entschieden werden. Deshalb kann man doch nicht einfach so tun, als sei ein Arbeitsplatz im Bergbau das Verlässlichste, Zukunftsträchtigste und Sicherste in der Welt. Die Kernkompetenzen des Landes Nordrhein-Westfalen sind Energie, Chemie, Maschinenbau, Logistik, Verkehr, Information und Kommunikation, Medien, Ernährung, Medizintechnik, Bio- und Gentechnologie, neue Werkstoffe, Nanotechnologie, Mikrosystemtechnik. ({5}) Keine Kernkompetenz ist die Förderung heimischer Steinkohle. Im Gegensatz dazu steht die Kohletechnologie, sie gehört zu den Kernkompetenzen. Die Förderung der heimischen Steinkohle ist kein Zukunftsfeld für Nordrhein-Westfalen. ({6}) Deswegen ist die Anzeige falsch, wenn sie das suggeriert. Die Reduzierung des Bergbaus ist sozialverträglich zu organisieren. Dabei kann man über die Geschwindigkeit, aber nicht über die Richtung reden. Die Anzeigen suggerieren einen falschen Eindruck. Sie leiten die Menschen in eine falsche Richtung. Auch deshalb ist das irreführende Werbung, die sich nicht gehört. Der Börsengang wurde bereits angesprochen. Auch er muss sehr kritisch begleitet werden. Ein Geschäft zulasten des Steuerzahlers werden wir nicht akzeptieren. Die Fakten müssen auf den Tisch und geprüft werden. Für diesen Gang ist auch politische Zustimmung nötig. Deshalb sage ich an die Kohle, an Herrn Müller gerichtet: Sie werden den Börsengang nicht ohne politische Begleitung und Unterstützung durchsetzen. Vielleicht ist es für das Ruhrgebiet gut, wenn wir in diesem Bereich neue Beweglichkeit herstellen und von prinzipieller Privatisierung sprechen. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Das wird aber ohne politischen Prozess nicht möglich sein. Auch deswegen ist es für die Kohle schädlich, wenn der Bergbau solche Anzeigen schaltet, die erstens ein politisches Geschmäckle haben und zweitens in der Sache in die Irre führen. Die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Herrn Müller als Gesprächspartner leidet darunter. Ich kann ihm nur dringend raten, diesen Unsinn sein zu lassen. Er weiß, dass er einen Fehler macht. Ich fordere ihn auf, zur Sachlichkeit zurückzukommen, damit wir wirklich über die Zukunftsfragen reden können. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk vom Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schauerte, als Sie sich kritisch auf den Inhalt der Anzeige bezogen haben, haben Sie gesagt: „Sie leiten die Menschen falsch.“ Jetzt muss ich Sie einmal fragen: Wen haben Sie damit eigentlich angesprochen? ({0}) Ich muss Ihnen sagen: Mittlerweile bin ich von Ihrem Staatsverständnis richtig irritiert. Reden wir jetzt darüber, dass die Opposition meint, es sei Aufgabe der Regierung, die Werbekampagne eines Unternehmens zu analysieren und zu steuern? ({1}) Das, was Sie hier abziehen, ist wirklich sehr überzogen. ({2}) Sonst sagen Sie immer, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren soll. Besinnen Sie sich einmal darauf, wie sehr Sie sich bei Ihrer Interpretation des Zustandekommens der Anzeige versteigen. ({3}) Deswegen glaube ich - das ist wohl auch richtig -, dass das auch mit der Wahlkampfsituation in NRW zu tun hat. ({4}) Ich muss ganz deutlich sagen: Es ist vollkommen richtig, dass diese Kampagne hinsichtlich der Angemessenheit der Ausgaben überprüft werden muss; ({5}) denn unsere Steinkohlensubventionen haben ja einen sehr großen Umfang. Das hat Herr Andres allerdings gesagt. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und tun Sie nicht so, als würde das nicht geschehen. ({6}) Dafür gibt es Verfahren, die hier genau beschrieben worden sind. ({7}) - Die Steinkohlenförderung wird immer erst danach geprüft. ({8}) Ich kann Ihnen nur sagen - das werde ich gleich ausführen -: Wir sorgen dafür, dass sie demnächst schneller geprüft wird, was Sie früher nicht zustande bekommen haben. ({9}) Ich möchte auf einen weiteren Vorwurf eingehen, Herr Schauerte - denn hier sollten wir ehrlich sein -: Es ist egal, wie wir die Imagekampagne der DSK finden. Abgeordnete haben unterschiedliche und freie Meinungen. Herr Loske hat sie kritisch beurteilt. Auch ich sehe sie kritisch. ({10}) Herr Andres hat eine andere Meinung. Auch er ist ein freier Abgeordneter und darf das. ({11}) - Er ist beides: Regierungsmitglied und Abgeordneter. ({12}) Herr Schauerte, der Ehrlichkeit halber muss gesagt werden, dass es diese Image-Werbekampagne der Deutschen Steinkohle AG seit dem Jahr 2003 gibt. Sie haben betont, dass wir kurz vor der Wahlentscheidung in NRW im Jahr 2005 stehen. Das muss man also relativieren; denn diese Imagekampagne ist schon älter und steht daher nicht in so engem Zusammenhang mit dem Wahlkampf. ({13}) Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema Steinkohlenförderung sagen. ({14}) Hier ist davon gesprochen worden, wie die Zukunft der Steinkohlenförderung aussehen soll. Frau Kopp hat ausgeführt, welche Situation besteht und was Rot-Grün entschieden hat. Es gibt eine gesetzliche Regelung zur Steinkohlenförderung, die bis Ende 2005 Geltung hat. Es ist richtig, dass wir im Mai letzten Jahres einen Kompromiss für die zukünftige Förderung geschlossen haben. Auch wir Grünen stehen zu diesem Kompromiss. Er ist, was die Förderung und die Subventionierung angeht, degressiv. Ich möchte darauf hinweisen, dass er - es war nicht einfach, das in den Verhandlungen durchzusetzen ({15}) ein Instrument beinhaltet, das die zu Recht von Ihnen angesprochene Höhe des Weltmarktpreises berücksichtigt, was dazu führt, dass der Umfang der Subventionen, die wir aus dem Bundeshaushalt tätigen, verringert wird. ({16}) Diese wichtige Zielsetzung haben wir Grünen verfolgt. Zwischen SPD und Grünen ist darüber verhandelt worden, ({17}) dass diese Regelung für den Zuwendungsentscheid der Jahre 2006 bis 2008 wirksam wird. ({18}) - Auch Sie, Herr Kampeter - jetzt rufen Sie immer sehr laut dazwischen -, haben gesagt: ({19}) Natürlich brauchen wir einen degressiven Pfad. Auch Sie wissen, dass man die Förderung nicht einfach abhaken und sagen kann: Übermorgen gibt es für die Steinkohle keinen einzigen Euro mehr. Angesichts dessen, dass Sie gerade eben geschildert haben, NRW müsse eine verlässliche Perspektive gegeben werden, müssten Sie dieses Instrument, mit dem wir den Weltmarktpreis subventionsmindernd einbauen, ausgesprochen gut finden. Ich denke, in einem Vieraugengespräch würden Sie das vielleicht sogar zugeben. Noch ein Satz zu Ihrer Behauptung, dass der Pfad nicht degressiv sei und dass wir den Umfang der Förderung noch einmal erhöhen, ihn also nicht verringern würden. ({20}) Ich muss Ihnen sagen: Im Jahr 2006 - dem ersten Jahr, in dem die neue Förderung durchgeführt wird -, müssen wir als Allererstes die aufgestauten Fördersummen, die in der von Ihnen beschlossenen, ehemaligen kohlegesetzlichen Regelung enthalten sind, abbauen. Es ist richtig, dass eine Bugwelle aufgebaut und auch von RotGrün fortgesetzt wurde. ({21}) Aber mit dem neuen Kompromiss räumen wir diese Bugwelle 2006 komplett ab. Diese Finanzierungslast nicht weiter in die Zukunft zu schieben ist langfristig gesehen seriös und richtig; auch das müssten Sie uns ehrlicherweise einmal zugestehen. Dem haben auch Sie früher zugestimmt. ({22}) Ich möchte schließen: Es ist längst überfällig, dass wir uns zu einer weiter zunehmenden Degressivität in der Steinkohlenförderung durchringen und dass das alle auch ehrlich sagen. Aber CDU/CSU und FDP haben sich erst letztens, vorgestern, im Haushaltsausschuss als Fürsprecher der Zulieferunternehmen der Steinkohlenindustrie aufgebaut. Sie haben heute diese Werbemaßnahmen in einem Ausmaß gegeißelt, was damit nicht ganz zusammenpasst; dann müssen Sie hier wirklich ehrlich bleiben. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine sinnvolle Steinkohlenförderung heißt für uns: Abbau. Aber ein einfacher Schnitt und die Förderung nur schlechtzureden, das ist nicht glaubhaft. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Kues von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, Aktuelle Stunden haben manchmal das Problem, dass da sehr gezielt Nebelkerzen geworfen werden. ({0}) Die, die zuhören, die das verfolgen, fragen sich immer: Um was geht es eigentlich? Die einen sagen, es geht hier um den Steinkohlenkompromiss, den die eine Seite abschaffen will. Die anderen sagen, es geht um vordergründige politische Taktik. Ich glaube, es ist völlig unbestritten, dass Herr Müller auch zu der Auseinandersetzung beigetragen hat, als er gesagt hat: Wir starten jetzt eine Werbekampagne, weil wir uns politisch wehren wollen. Das heißt, hier wird ganz klar im Hinblick auf die Landtagswahl eine politische Aktion gestartet. Deswegen darf man sich auch nicht wundern, dass darüber politisch gestritten wird. Doch damit schadet man der Steinkohle im Endeffekt. ({1}) Im Übrigen glaube ich, dass die Menschen in unserem Lande sehr empfindlich sind, Herr Schmidt, wenn sie das Gefühl haben, es gebe eine Art Filz oder Interessenverquickung. Deswegen muss man sagen: Die maßgeblichen Leute bei der Steinkohle sind besagter Herr Müller, ({2}) der in der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Koalition Wirtschaftsminister war, und ein Herr Tacke, der sein Staatssekretär war, der Entscheidungen gefällt hat, weil die Gefahr bestand, dass sein Minister befangen sein könnte. ({3}) Das sind Zusammenhänge, die den Leuten das Gefühl geben, dass hier eine Interessenverquickung zwischen Wirtschaft und politischen Absichten vorliegt. ({4}) Das, meine Damen und Herren, ist nicht in Ordnung. Es geht nicht um die Bergleute, sondern es geht darum, dass hier politische Interessen mit wirtschaftlichen verquickt werden. ({5}) Ich bin allerdings sehr überrascht, wie sich die Grünen hier präsentieren. Wenn man bislang über energiepolitische Fragen mit Grünen diskutiert hat, dann beschränkte sich das auf erneuerbare Energien. Da kann man über vieles streiten, auch wenn ich ausdrücklich für erneuerbare Energien bin. Dann ging es um den Kernenergieausstieg. Aber die Frage von heute Morgen - wo eigentlich neue, zusätzliche Kraftwerkskapazität herkommen soll - spielte überhaupt keine Rolle. An dieser Stelle unterstützt die SPD ganz klar einen Kurs, der in die Vergangenheit weist. Sie machen sich damit völlig unglaubwürdig und liefern sich Ihrem Koalitionspartner aus, auch in NRW. ({6}) - Es ist so. Ich versuche mich so auszudrücken, dass es nachvollziehbar ist, Frau Kollegin Hajduk. Sie laufen in die Irre, wenn Sie diese Zusammenhänge nicht sehen. Über Subventionen kann man lange streiten, aber ich glaube, es muss klar sein, dass sie zeitlich befristet sind, dass sie überprüft werden und dass sie vor allen Dingen nicht politisch missbraucht werden dürfen; das ist der entscheidende Punkt. ({7}) Und genau das haben Sie im Grunde genommen getan; ich habe auf die personellen Verflechtungen hingewiesen. Ich will ausdrücklich sagen: Auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen - ich sage das als Niedersachse haben einen Anspruch darauf, dass man ihnen die Wahrheit sagt, was in der Steinkohlenpolitik auf sie zukommt und was sie energiepolitisch künftig zu erwarten haben. Da gibt es ein Konzept, das wir so, wie es von der Regierung Kohl entwickelt worden ist, ausdrücklich für richtig halten. Wir sind dagegen gewesen, hier ein neues Fass aufzumachen - entgegen allem, was man uns vorher gesagt hatte. Dort wird nicht degressiv vorgegangen, sondern das Geld wird im Endeffekt mit vollen Händen ausgegeben. Das ist unseres Erachtens nicht in Ordnung. Langfristig müssen die Investitionen zurückgefahren und auf null gebracht werden. ({8}) Die entsprechenden Mittel müssen für Zukunftstechnologien eingesetzt werden. Darum geht es. Machen Sie sich frei von einer Verfilzung zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen. Das ist nicht in Ordnung und das wollen die Menschen auch nicht. Es geht um die Zukunft - auch die der Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen - und nicht darum, dem Bergbau etwas wegzunehmen. Darum geht es uns nicht. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Kröning von der SPD-Fraktion.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Kues, Ihre beiden Schlüsselbegriffe waren „Wahrheit“ und „Zukunft“. So seriös Sie hier auch auftreten, ich muss Ihnen aber doch entgegenhalten: Die Wahrheit ist, dass Herr Dr. Müller, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und jetzige Chef der RAG, parteilos ist und dass vor allen Dingen der von Ihnen angegriffene Sozialdemokrat Dr. Tacke während seiner Amtszeit im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit niemals mit der RAG zu tun hatte. ({0}) Wenn man sich das Verhalten der Opposition heute anschaut, dann ist einem sehr auffällig, dass die CDU in der Frage der Ausführung des Kohlekompromisses, der in der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP geschlossen worden ist, und bei der Fortsetzung des Kohlekompromisses, den wir beschlossen haben, nicht schlüssig ist, sondern eiert. Die FDP sagt klipp und klar - mit welchen Argumenten auch immer -, dass die Kohleförderung auslaufen soll. Das ist das Angebot von CDU und FDP für Nordrhein-Westfalen. Sie sind sich nicht einig. Das müssen die Wähler wissen. ({1}) Mario Müller-Westernhagen ist kritisiert worden. ({2}) - Marius, nicht Mario. Ich bin bei dieser Musik kein Experte. ({3}) Unabhängig von seinen blauen Augen möchte ich doch einmal sagen, dass seine Anzeige folgende Aussage hat, die sich hören lassen kann: Als Rohstoff ist deutsche Steinkohle die Grundlage für Koks - wichtig für die Stahlherstellung und Tausende von Arbeitsplätzen. Auch in Zulieferbetrieben des Bergbaus hilft sie, die Beschäftigung zu sichern - als Auftraggeber und in der Entwicklung weltweit führender Technologien. ({4}) Und der Steinkohlenbergbau selbst bietet Arbeitsund Ausbildungsplätze in einem hoch technisierten Arbeitsbereich. ({5}) Viele Menschen leben also direkt oder indirekt von ihr - darum kann man sich darauf verlassen: Kohle fördert Deutschland. ({6}) Warum sollte das nicht gesagt werden? Das wollte ich - Dank an den Kollegen Loske - anmerken. Sie haben von Technologie gesprochen. Lassen Sie mich deshalb noch deutlicher sagen, was die Anzeige ausgesagt hat, durch die die Kampagne 2005 eröffnet wurde. Es ist schon gesagt worden, dass sie nur die Fortsetzung der bisherigen Kampagnen gewesen ist. ({7}) Auch hinter folgende Aussage kann man sich stellen. Herr Professor Dr. Ulrich Lehner, Henkel KGaA, hat gesagt: Steinkohle wird in unserem Land unter geologisch schwierigen Bedingungen abgebaut. Das hat dazu geführt, dass das spezielle Know-how unserer Bergleute und Ingenieure heute internationale Standards setzt - sowohl unter als auch über Tage. In Sachen innovativer Bergbautechnik ist Deutschland Exportweltmeister, und rund um die Steinkohle ist eine Zukunftsindustrie entstanden, die diesen wichtigen Rohstoff mit modernster Technik fördert und nutzt. Darum gilt hier: Kohle fördert Deutschland. ({8}) Herr Kollege Addicks, der Sie aus dem Saarland kommen, es ist schade, dass Sie heute keine Gelegenheit haben, hier Stellung zu nehmen. ({9}) - Das haben aber Ihre Parteifreunde zu vertreten. - Dass Sie zu diesem Punkt nicht sprechen, ist der beste Beweis dafür, dass es der FDP nicht um die Sache, sondern um den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geht. ({10}) Ich möchte noch ein paar Worte zu den Stichworten Zukunft, Technologie und Export sagen. Es fällt mir ein bisschen schwer. Neulich war ich in Begleitung des Bundeswirtschaftsministers, des Kollegen Dr. Fuchs anstelle des Kollegen Schauerte und des Kollegen Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen in Indien. Wir haben uns dort unter anderem klar gemacht, welche Rolle der Bergbau beispielsweise in Indien spielt. Ich will Ihnen zum Thema der außenwirtschaftlichen Bedeutung unseres Technologieexports - man kann darüber streiten, ob man einen Referenzbergbau braucht oder ob ein in einem Glashaus ausgestellter Bergbau genügen würde - etwas sagen. ({11}) Ich will deutlich machen, welche Rolle der Export auf diesem Gebiet inzwischen spielt. Die Höhe der Ausfuhr von Bergbaumaschinen ist zwischen 2003 und 2004 von 905 auf 1 131 Millionen Euro, also auf mehr als 1 Milliarde Euro, gestiegen. Die Hauptimportländer für diese Technologie sind China, Russland, aber auch Indien und übrigens die Ukraine. Es ist sehr interessant, dass wir mit diesen Ländern inzwischen gemeinsame Arbeitsgruppen unterhalten und Messen betreiben, um diesen Technologie- und Know-how-Export voranzutreiben. ({12}) Der größte russische bzw. sibirische Kohleproduzent hat neulich Ausrüstung zum Ausbau dreier Bergwerke bestellt. China hat mit der deutschen Bergbautechnik den größten Kaufabschluss in der gesamten Unternehmensgeschichte getätigt. Diese interessanten Hinweise zeigen, dass wir den Menschen Mut machen müssen, um die Stärken unserer Volkswirtschaft zu stärken. ({13}) Ich denke daran, was der leider inzwischen verstorbene frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Rexrodt 1997 beim Abschluss des Kohlekompromisses 1 gesagt hat. Er hat den Weg von traditioneller Technologie zur Zukunftstechnologie aufgezeigt. Genau diesen Weg hat die Koalition eingeschlagen. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg von der CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mich erinnert das an Folgendes: Es ist eigentlich schon alles gesagt worden, aber noch nicht von allen. ({0}) Da ich für meine Truppe als Letzter spreche und nach mir noch Herr Grasedieck für die SPD-Fraktion reden wird, wird sich herausstellen, ob wir zur Debatte noch etwas Neues beisteuern können. Ich habe mich auch gefragt, ob diese Aktuelle Stunde an einem Freitagmittag, wo sich alles in Auflösung befindet, unbedingt sein muss. ({1}) Ich habe aber verstanden, dass jetzt ganz aktuell die Anzeigenkampagne der RAG zum dritten oder vierten Mal aufgelegt worden ist. Das ist Anlass genug, darüber zu reden. Mich würde an dieser Stelle vielmehr interessieren, was das gekostet hat und woher das Geld kommt. Diese Fragen müssen geklärt werden. Formal können wir das nicht in einer Aktuellen Stunde machen. Hier ist das zu öffentlich. Wir müssen das im Ausschuss weiterverfolgen, um den Sachverhalt zu klären. Auch ist klar, dass wir Wahlkampf haben. Die Präsenz von Herrn Pinkwart und Herrn Gerhardt zeigen, dass das Thema Kohlesubvention wichtig ist. Lassen Sie mich noch etwas zu den Anzeigen sagen. Mir liegt nicht die Anzeige mit Herrn MüllerWesternhagen vor, sondern ich beziehe mich auf die Anzeige von der letzten oder dieser Woche: „Prof. Dr. Ulrich Lehner, Henkel KGaA“. Die Überschrift lautet: „Technologisch gesehen, ist unten ganz oben“ - ich habe das Gefühl, über Werbung reden zu dürfen, weil wir sie über die Subventionen mitbezahlen, also können wir auch darüber diskutieren -; danach kommt: „Denn unsere Bergbautechnik ist weltweit führend.“ Wer wusste das vorher nicht? Ich könnte hier den ganzen Text vorlesen. Da steht all das drin, was Sie gesagt haben. Aber jeder, der sich mit dem Thema Kohle beschäftigt hat, weiß das. Beim Stichwort Kohletechnologie können wir zu Recht sagen: Da sind wir im Export tatsächlich Weltmeister. Dennoch stelle ich mir die Frage: Wer oder was wird hier eigentlich beworben? Hier wird kein Produkt verkauft. Diejenigen, die sich für den Export von Kohletechnologie interessieren, können es nicht lesen, weil die Anzeige dann beispielsweise auf Chinesisch sein müsste. ({2}) Sollen wir Politiker beworben werden? Das ist nicht nötig. Also ich komme nicht umhin, zu sagen: Zumindest diese vierte Anzeigekampagne hat wohl etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Das müssen wir einmal festhalten. ({3}) Wir müssen in aller Deutlichkeit sagen: So etwas geht in einem Unternehmen, das von Subventionen lebt, nicht. Das muss klargestellt werden. Das ist nicht zulässig. ({4}) Das Thema Kohle spielt natürlich auch eine Rolle. Die verkürzenden Slogans, die wir zurzeit haben, helfen auch nicht weiter. „Bildung statt Kohle“ ist eine Zuspitzung. ({5}) - Nein, hören Sie einmal auf zu klatschen. Ihre Zuspitzung heißt: Eigenheimzulage für Bildung. Auch der Jäger 90 musste für alles herhalten. So einfach ist die Welt leider nicht. ({6}) Man muss beim Thema Kohle festhalten, dass wir klare Positionen haben. Vielleicht darf ich Sie von der SPD daran erinnern, dass Sie in der letzten Woche auch einen Ausrutscher hatten. ({7}) Im „Vorwärts“ - ich lese ihn nicht regelmäßig ({8}) stand die Zeile: Sozialer Ausstieg aus der Steinkohle. Korrekt müsste es laut NRW-SPD - es ist klar erkennbar, dass das nur ein Druckfehler war ({9}) heißen, die Partei setze sich für die Sicherung eines Sockels an heimischer Steinkohle über das Jahr 2012 ein. Bei Ihnen ist nicht so ganz klar, was Sie wirklich wollen. ({10}) Ich fand das jedenfalls sehr interessant. ({11}) Ein klarer Kurs ist da nicht vorhanden. Ich sage zum Abschluss in Bezug auf die Kohlepolitik: Wir haben immer eine klare Position gehabt. Ich komme aus einer ehemaligen Bergbaustadt. Der Bergbau ist mittlerweile in den Norden gewandert. Wir haben die degressive Förderung durch den Staat eingeleitet. Das war gar nicht einfach. Ich kann mich noch gut an das Jahr 1997 erinnern. Das war die Basis und das muss weitergehen. Wir haben klare Positionen in unserem Wahlprogramm in NRW. Wir haben einfach nicht mehr genug Geld, um es herauszuschmeißen. Es muss mit der Degression weitergehen. Dann muss rechtzeitig entschieden werden, bis wohin es weitergeht. Die Kernfrage für mich wird am Ende lauten: Brauchen wir den heimischen Bergbau, um technologisch führend zu bleiben, oder nicht? Bei allen anderen Maßnahmen - zum Beispiel denjenigen, die die Förderung betreffen - muss man darauf achten, dass die notwendige Verringerung der Subventionen nicht zu Verwerfungen führt, die möglicherweise zu hohen Kosten an anderer Stelle führen. Deswegen sage ich ganz klar: Der sofortige Ausstieg ist undenkbar, ({12}) weil das Kosten an anderer Stelle verursacht. Wir müssen aber über die degressive Förderung einen Ausstieg finden. Das ist unsere Politik seit langen Jahren. Wir werden diese Politik weiter verfolgen. Ich schätze, dass wir nach dem 22. Mai in Nordrhein-Westfalen mit der FDP zusammen diesen Kurs fortsetzen werden. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Dieter Grasedieck von der SPD.

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Meckelburg hat vorhin darauf hingewiesen, dass man eine degressive Förderung will. Ich verDieter Grasedieck stehe dann aber nicht, dass Sie mit der FDP einen Antrag im Haushaltsausschuss gestellt haben, die Subventionen auf null zurückzufahren. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit. Das hat man unter anderem auch von Herrn Kues gehört. Er sprach von einer Degression und der schrittweisen Reduzierung, was aber dann nicht der Fall sein wird, wenn man Ihrem Antrag folgt. Die FDP betreibt eine Hexenjagd. ({0}) Ich bin überrascht, dass die CDU beim Werfen der Nebelkerzen mitmacht. ({1}) Denn eines muss man feststellen: Das Volumen der Subventionen betrug im Jahr 2001 insgesamt 156 Milliarden Euro. Davon entfallen auf den Steinkohlenbergbau 3 Prozent und auf die Eigenheimzulage 10 Prozent. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Auf die Landwirtschaft entfallen ebenfalls 10 Prozent. ({2}) Auf den Wohnungsbau entfallen 15 Prozent. Seit 2003 wird eine Informationskampagne von der DSK durchgeführt. Jetzt kommen Sie auf einmal auf die Idee, das als Katastrophe darzustellen. Warum dürfen eigentlich die Bausparkassen werben? Das hat auch etwas mit der Eigenheimzulage zu tun. ({3}) Warum darf eigentlich die Landwirtschaft werben, Herr Pinkwart? Das ist die Frage. Die FDP betreibt eine Hexenjagd nach dem Motto „Die Steinkohle muss kaputt gemacht werden, koste es, was es wolle.“ ({4}) So behauptet zum Beispiel Frau Kopp, Kommissar Piebalgs habe gesagt, dass der Steinkohlenbergbau 2010 ausläuft. Ich habe das überprüft, Frau Kopp. Ich habe einen Brief mitgebracht - ich kann Ihnen nachher eine Fotokopie davon geben -, in dem der Kommissar schreibt: Wie ... vorgesehen wird die Kommission spätestens am 31. Dezember 2006 dem Rat, dem Europäischen Parlament ... einen Bericht vorlegen. In dem Brief steht kein Wort davon - ich habe das genau überprüfen lassen -, dass der Steinkohlenbergbau 2010 ausläuft. Soviel zum Thema Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit. ({5}) Daraus wird ganz deutlich, dass es nur um Wahlkampf geht. Die FDP führt ihren Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen im Bildzeitungsstil durch. Das Motto „Kinder fördern statt Steinkohle“ ist eine Beleidigung für unsere Bergleute und ihre Familien. ({6}) Dass Sie um die 5 Prozent kämpfen und dafür nach Wahlkampfthemen suchen, ist verständlich. Ich habe dazu ein paar Vorschläge, die wirkliche Knaller sind, wie „Kinder fördern statt Eigenheimzulage“ - das wäre doch schon etwas -, ({7}) „Kinder brauchen Bildungschancen - keine Studiengebühren“ - auch das wäre super ({8}) oder „Kinder fördern mit Steinkohle“. Denn damit ist auch die Familie verbunden. Die FDP muss vorsichtig sein. Denn auch die Industrievertreter äußern sich anders, Herr Pinkwart. Der Hauptgeschäftsführer der BDA, Herr Göhner von der CDU, sagt: „Die heimische Steinkohle ist unverzichtbar.“ Der BDI-

Not found (Mitglied des Präsidiums)

„Rohstoffsicherheit bringt unsere Steinkohle.“ Sie verärgern Ihre Koalitionspartner in der zukünftigen Opposition in Düsseldorf und Berlin. Seien Sie deshalb lieber vorsichtig mit Ihren Koalitionspartnern! ({0}) Bildung, Innovation, Export und Steinkohle gehören zusammen. ({1}) Sie sollten wissen, Herr Pinkwart, dass im Steinkohlenbergbau in ganz Deutschland 3 000 Jugendliche ausgebildet werden, und zwar in genau den Zukunftsberufen, die Sie angesprochen haben. ({2}) Sie wohnen wohl nicht in Nordrhein-Westfalen; deshalb können Sie nicht so gut informiert sein. In den Ausbildungswerkstätten werden Mechatroniker, Elektroniker, Mechaniker und Ingenieure ausgebildet. ({3}) Allein in meinem Wahlkreis sind es 400 junge Menschen, die die Chance haben, in Hightechberufen ausgebildet zu werden. ({4}) Sie bekommen auch nach der Lehre eine Chance in Handwerksbetrieben bzw. in mittelständischen Betrieben, weil es sich um hoch qualifizierte Ausbildungen handelt, die wir erhalten müssen. ({5}) Dass die deutsche Bergbautechnik ein Exportschlager ist, ist bereits angesprochen worden. Auch damit sind viele Arbeitsplätze - zum Beispiel für Ingenieure - verbunden. Sie betreiben nur Wahlkampfgetöse. Nehmen Sie am besten Ihr Wahlkampfmotto zurück und entschuldigen Sie sich! ({6}) Dann gehören Sie auch der Mehrheit an. 65 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stehen zum Glück noch zu unserer Steinkohle. ({7}) Ich meine, das ist wichtig und entscheidend für unsere Zukunft. Diese Bürgerinnen und Bürger wissen, dass die Steinkohle unsere Zukunft auch im nächsten Jahrhundert sichert. Glückauf! ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. April 2005, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.