Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/1/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um eine Debatte zur Demokratie in der Ukraine zu erweitern und diesen Punkt im Anschluss an die Fragestunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Verbraucherpolitischer Bericht 2004 der Bundesregierung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat heute den Verbraucherpolitischen Bericht 2004 beschlossen. Mit der Arbeit an diesem Fortschrittsbericht haben wir im Frühjahr 2003 begonnen. Auch an dieser Stelle haben wir den Aktionsplan Verbraucherschutz der Bundesregierung und die Schwerpunkte, die wir in dieser Legislaturperiode setzen, vorgestellt. Im vorliegenden Bericht wird ausgeführt, welche Fortschritte wir in diesem Bereich gemacht haben. Dabei greifen wir im Wesentlichen auf abgeschlossene und größere, bereits weit fortgeschrittene Rechtsetzungsvorhaben zurück. Alle Ausführungen beziehen sich auf den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Wir lassen uns von zwei verbraucherpolitischen Zielen leiten: zum einen vom Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden - das ist der Schutzaspekt der Verbraucherpolitik -, zum anderen vom Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher, als gleichberechtigte und informierte Marktpartner selbstbestimmt entscheiden zu können; das setzt Informationen voraus. Wir gehen davon aus, dass auch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Märkte, bestimmte Produkte und Dienstleistungen sowie ihre Funktionen Wirtschaftskapital ist. Man könnte also sagen: Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher ist für ein Unternehmen quasi Geld wert. Ich will nun auf einen weiteren Punkt eingehen, den wir im Kabinett besprochen haben. Der aktuellste Aspekt, der in diesem Bericht nur kurz erwähnt ist, ist das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch, das der Bundestag in der letzten Woche in zweiter und dritter Lesung verabschiedet hat; hier wird der gesamte Weg eines Produkts - vom Stall bis auf den Teller - dargestellt. Darüber hinaus enthält es, wie Sie wissen, eine Verbesserung der Informationsmöglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Hier finden sich Regelungen des ehemaligen Verbraucherinformationsgesetzes wieder. Wie es mit diesem Thema weitergeht, werden wir wohl am 17. Dezember dieses Jahres, wenn sich der Bundesrat damit beschäftigt, wissen. Nun will ich ein paar Schwerpunkte nennen, die wir im Bereich des vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes setzen. Wir gehen davon aus, dass es Fälle gibt, in denen der vorsorgende Verbraucherschutz bzw. die Gesundheit der Verbraucher Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Beispiele hierfür, die inzwischen erledigt wurden, sind die Neufassung der Lebensmittelhygieneregeln und die Verbesserung der Vorschriften für eine einheitliche Durchführung der Lebens- und Futtermittelüberwachung. Ebenfalls gehören schärfere Kennzeichnungsregeln, auch bei kosmetischen Mitteln, in diesen Bereich. Wir alle kennen das extrem zunehmende Problem der Allergien. Ich will kurz darauf hinweisen, dass auch die gesundheitlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Kosten von Fehlernährung und mangelnder Bewegung ein Teil der Verbraucherpolitik sind; denn es geht darum, Prävention zu betreiben. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Interessen gehen wir davon aus, dass eine moderne Verbraucherpolitik den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleisten und ihre Informationsmöglichkeiten stärken Redetext muss. Somit ist sie keine Behinderung der Wirtschaft, sondern die notwendige Voraussetzung, um schwarze Zahlen schreiben und Kunden halten zu können. Wir sagen: Es gibt, was neue Märkte und Vertragsgestaltungen betrifft, eine verwirrende Vielfalt. Die Verbraucherpolitik muss also immer auf der Höhe der Zeit bleiben, wenn sich die Strukturen verändern. Was haben wir in dieser Hinsicht getan? Die Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ist Mitte dieses Jahres in Kraft getreten: Der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wurde in den Gesetzeszweck aufgenommen und wir haben einige veraltete Regeln abgeschafft und Neues geschaffen wie den Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbraucherverbänden bei vorsätzlich begangenen Verstößen. Wir haben an dieser Stelle Regelungen über belästigende Werbung getroffen: Anrufe und Faxsendungen zu Werbezwecken bedürfen der vorherigen Zustimmung; dafür hat sich insbesondere das Verbraucherministerium stark gemacht, um die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des BGH gesetzlich zu verankern. Ich glaube, es muss so etwas wie einen Schutz der Privatsphäre geben angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Werbung zu machen. Spamming, also die unverlangte Zusendung von Werbebotschaften per E-Mail oder SMS, war ein Thema; sie ist ein Problem, das wir nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene werden angehen müssen. Lockvogelangebote werden ausdrücklich verboten. Sie alle kennen das, wir als Abgeordnete auch aus eigener Praxis: Da wird mit besonders günstigen Angeboten geworben, doch wenn Sie um halb elf in das Geschäft kommen, ist der Artikel längst vergriffen. Weil Sie schon einmal da sind, kaufen Sie trotzdem ein. Dieser Trick ist von manchem in der Vergangenheit bewusst eingesetzt worden. Das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190er-/0900er-Mehrwertdiensterufnummern führt meines Erachtens zu mehr Preistransparenz auf dem Markt. Es ermöglicht der Regulierungsbehörde ein Mehr an Schutzmaßnahmen. Ich glaube, dass wir da richtig aufgestellt sind, weil eine Vielzahl von Privathaushalten und auch mittelständischen Unternehmen durch solchen Missbrauch finanziell extrem belastet waren. Bei Versicherungen und Kapitalanlagen geht es um verbesserte Information beim Fernabsatz solcher Dienstleistungen, über eine Verbesserung des Schutzes von Anlegern bis hin zum Alterseinkünftegesetz. Ich glaube, dass dies ein weites Betätigungsfeld für die Zukunft ist; denn je mehr private Vorsorge organisiert werden soll, desto transparenter muss diese sein. Bei der RiesterRente müssen ab 2006 beide Geschlechter gleich behandelt werden; in dieser Hinsicht sind die Unisextarife von Bedeutung. Verbraucherinformation und Täuschungsschutz sind ein Punkt. Ich will darauf hinweisen, dass wir uns um Label und Zertifizierungen bemühen, die auch stimmen. Wir haben ein Internetportal aufgebaut, den „Verbraucherschutzkompass“, der einen zentralen Einstieg darstellt, um Informationen zu bekommen. Dass das Verbraucherinformationsgesetz erneut in der Beratung ist, ist bekannt. Mein letzter Punkt fällt unter die Überschrift „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster“. Die Verbraucher treffen ihre Konsumentscheidungen immer mehr vor dem Hintergrund von Umweltfragen, sozialen Fragen und Nachhaltigkeit. Angebotene Waren müssen entsprechend erkennbar sein. Die Bundesregierung will nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen fördern; der „Rat für nachhaltige Entwicklung“ der Bundesregierung legt auch darauf Wert. Wir beginnen hierzu einzelne Kampagnen, um aufzuklären und auch öffentlich sichtbar zu machen, wo man als Verbraucher Informationen bekommen und nach welchen Zertifizierungen man sich richten kann. Nicht unerwähnt bleiben sollte, auch wenn ich es im Bericht nicht konkret erwähnt habe, dass diese Woche die Stiftung Warentest ihren 40. Geburtstag feiert. Ich glaube, wir wissen alle, dass dies die Institution in der Bundesrepublik Deutschland ist, die das höchste Vertrauen genießt. ({0}) Die Kunden wissen: Hier bekommen sie gute Beratung. Dies war ein Überblick. Wir werden mit beiden Standbeinen, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Verbraucherschutz und Information der Verbraucher, damit sie selbstbestimmt entscheiden können, auch in Zukunft weitermachen. Unsere Aufgabe wird sein, auch für neue Vertragsgestaltungen, gerade über das Internet und mittels neuer Technologien, wodurch auf die Verbraucher viel größere Kosten zukommen können als durch ein unklug eingegangenes Zeitungsabo, Regeln wie beispielsweise zum Haustürwiderruf und damit das gleiche Schutzniveau zu schaffen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat Frau Kollegin Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich denke wir sind uns einig, dass unsere Verbraucher im Hinblick auf den Schutz ihrer Gesundheit einen hohen Anspruch besitzen; diesem werden wir in unserem Lande auch gerecht. Ich frage mich aber, wie Sie die Tatsache rechtfertigen, dass Nahrungsmittel, die aus der EU zu uns in die Läden bzw. auf den Teller des Verbrauchers kommen, nicht den strengen Verbraucherschutzvorschriften entsprechen müssen, die für deutsche Produkte gelten. Ich bin der Meinung, hiermit gaukeln Sie den Verbrauchern in Deutschland etwas vor. Ich will das an dem Beispiel Erdbeeren deutlich machen. Die Erzeuger im Inland müssen die strengen Schutzvorschriften in Deutschland akzeptieren. Die Erdbeeren, die aus dem Ausland zu uns kommen, unterlieMarlene Mortler gen diesen strengen Schutzvorschriften dagegen nicht. Es gäbe viele weitere Beispiele dafür. Im Bereich Biosiegel ist es genau andersherum. Hier konnten wir in den letzten Jahren feststellen, dass die deutschen Biobauern sehr hohe Standards erfüllen. Frau Ministerin Künast, aufgrund des von Ihnen neu geschaffenen Biosiegels kommen immer mehr Bioprodukte aus dem Ausland auf den deutschen Markt, was zulasten der einheimischen Produktion geht. Der Verbraucher kann nicht mehr erkennen, woher das jeweilige Produkt kommt. Was sagen Sie dazu? Ich bitte Sie, mir diese zwei Fragen zu beantworten. Danke schön.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Mortler, Sie haben Recht: Bezüglich der Pflanzenschutzmittel ist Deutschland besser. Wir sind aber auch nur deshalb besser, weil wir uns in den letzten Jahren bemüht haben, einen neuen Standard zu erreichen. Ich weiß noch sehr genau, dass wir vor drei Jahren mit der Opposition große Probleme hatten, als wir die Frist für die Umstellung der Pflanzenschutzmittel nicht noch einmal verlängern wollten. Es ging darum, diese nicht mehr einfach nur mit der Gießkanne zu verteilen, also pauschal zu nutzen, sondern eine Indikation einzuführen. Das heißt, bei Vorliegen eines bestimmten Problems darf jetzt nur ein gegen dieses Problem wirkendes und entsprechend zugelassenes Pflanzenschutzmittel benutzt werden. Wir haben auf diese Indikation umgestellt und es gibt Landwirte, die sich bemühen, diese Mittel systematisch und ordentlich anzuwenden. Durch unser Pestizidminimierungsprogramm werden wir das auch weiterhin unterstützen. Ich glaube, die Landwirte tun dies nicht nur, damit es weniger Rückstände in den Produkten gibt, sondern auch, weil es für sie schlicht und einfach wirtschaftlich preiswerter ist. Dieser extrem schwierige Weg der Umstellung auf Indikation hat dazu geführt, dass wir die Rückstandshöchstmengen an einigen Stellen plötzlich erhöhen mussten. Dafür gab es an anderen Stellen wiederum massive Reduzierungen. Es kommt hier also zu einem richtigen Wechsel der Regeln. Wir wollen die Harmonisierung auf europäischer Eben weiter betreiben. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass teilweise unterschiedliche Regeln gelten. Das liegt aber daran, dass wir uns in einem Vereinheitlichungsprozess befinden und dass im Zweifelsfalle umgekehrt gelten würde - was ich nicht hoffen will -: Wenn andere Länder strengere Regeln haben, dann können diese auch auf unsere Produkte angewandt werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns in Zukunft dabei unterstützen würden, dass wir mit der Harmonisierung auf europäischer Ebene schneller vorankommen und dass die Europäische Kommission im Bereich der Pflanzenschutzmittel mehr Personal einsetzt, damit wir schneller weiterkommen und europaweit einheitliche Werte und keine auseinander fallenden Regeln haben. Wie gesagt: Dies habe nicht ich geregelt, sondern das ist europäisches Recht. Damit sind wir bezogen auf die Rückstände allerdings noch lange nicht am Ende. Ich habe das Interesse, dass wir die Rückstandshöchstmengen europaweit und im international geltenden Codex Alimentarius komplett neu berechnen. Sie wurden nämlich nicht auf die kleinen Körper der Kinder bezogen. Ausgangsbasis war das Gewicht eines 35-jährigen Mannes. Die zulässige Menge für dieses Gewicht hat man auf das Gewicht eines zehnjährigen Kindes umgerechnet. Wir müssen wissen, wie Kinder verzehren und was die Körper der null- bis sechsjährigen Kinder vertragen, bei denen die inneren Organe noch nicht endgültig entwickelt sind. Ich gehe davon aus, dass wir hier an einem Strang in die gleiche Richtung ziehen werden. Sie haben gesagt, dass es beim Biosiegel genau andersherum ist. Ich muss Sie darauf hinweisen: Wir leben in einem Binnenmarkt und in einer sozialen und - das hoffe ich zumindest - ökologischen Marktwirtschaft. Ein gemeinsamer Binnenmarkt bedeutet, dass jeder in der Europäischen Union seine Produkte mit dem europäischen Biosiegel, das dem Standard der europäischen Regeln entspricht, verkaufen kann. Das ist längst der Fall. Wir haben in Absprache mit den Verbänden - alle großen Verbände haben dem zugestimmt, als wir vor Jahren überlegt haben, welches Biosiegel wir einführen - entschieden, ein deutsches Siegel auf europäischem Niveau festzulegen. Warum? Die großen Verbände haben uns gesagt: Wenn die Standards sehr viel höher sind, dann würde dies zu einer Offensivkampagne der anderen Länder in der Europäischen Union führen, die ihre Produkte mit dem europäischen Siegel und den niedrigeren Standards auf den deutschen Markt bringen würden, sodass wir Deutsche das Nachsehen hätten. Heute können alle auf das Biosiegel zurückgreifen. Schließlich sind wir ein Binnenmarkt; daran führt kein Weg vorbei. Aber in Deutschland können wir sagen: Unsere Produkte mit dem Biosiegel sind besser als die auf EU-Ebene. Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeit, als Top up Werbung für ihre Produkte mit höheren Standards zu machen. Die Geschäftsführer der Verbände haben mir erklärt, dass sie das wollen, weil sie glauben, so am Markt den meisten Profit machen zu können. Diesen sollen sie auch machen können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höfken, bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ganz herzlichen Dank für die Vorlage des Berichtes. Wir sind sehr froh, dass wir auf diese Weise nachvollziehen können, welche Fortschritte der Verbraucherschutz in Deutschland gemacht hat. Dies geht aus diesem Bericht sehr deutlich hervor. Ich hoffe, dass wir weiterhin gemeinsam daran arbeiten. Ich möchte auf einen anderen Bereich eingehen, der ebenfalls dazugehört, nämlich die Lebensmittelüberwachung. Welche Fortschritte hat die Bundesregierung bei der Lebensmittelüberwachung und der Zusammenarbeit mit den Lebensmittelkontrollbehörden der Länder machen können? Wie gut arbeiten inzwischen die neuen Bundesbehörden im Hinblick auf die neu geschaffenen Strukturen? Auch das ist sicherlich ein Erfolg der Arbeit der Ministerin.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Diese Frage, Frau Abgeordnete, könnte man in einen Zusammenhang mit den Debatten in der Föderalismuskommission stellen. Auch dort geht es darum: Wie kann man im Interesse der Gesundheit und der Wirtschaft Regelungen finden, mit denen sichergestellt wird, dass wir gleiche Standards haben? Das würde die Kontrollen in den Ländern erleichtern, aber auch für die Unternehmen würde es einfacher. Das gilt für Krisenfälle und bei der Frage: Wer will wo produzieren und welches Recht gilt in dem jeweiligen Bundesland? Grundsätzlich ist es so, dass die Lebensmittelüberwachung, also die Kontrollen selbst, in den Aufgabenbereich der Länder fallen. Aber auch die Produzenten selber haben Pflichten. Unser Recht sieht vor, dass die Lebens- und Futtermittelproduzenten als Erstes dafür Sorge zu tragen haben, dass die von ihnen gelieferten Produkte, also Lebensmittel oder Futtermittel, sicher sind. Das ist ihre primäre Verantwortung. Auch auf europäischer Ebene gibt es Verordnungen über amtliche Futter- und Lebensmittelkontrollen, in denen diese Pflichten festgelegt sind, aber auch einheitliche Kontrollen vorgesehen sind. Dabei ist die Lebensmittelüberwachung - schließlich nehmen wir mindestens dreimal am Tag Nahrungsmittel zu uns - beim vorsorgenden Verbraucherschutz ein herausragender Punkt. Obwohl für die Kontrollen die Länder zuständig sind, haben wir durch die Einrichtung der beiden Bundesbehörden, nämlich des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie des Bundesinstituts für Risikobewertung - darüber haben wir in diesem Haus oft diskutiert -, einen Schritt in die richtige Richtung getan. Neben der Einrichtung dieser beiden Behörden haben wir einen weiteren Schritt zur Vereinfachung der Kontrolltätigkeit der Bundesländer gemacht. Wir haben mit dem Bundesrat die Allgemeine Verwaltungsvorschrift Rahmenüberwachung verabschiedet. Hinter diesem nicht sehr aussagekräftigen Begriff verbergen sich die Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung für Lebensmittel und Wein. Diese Verwaltungsvorschrift enthält eine Vielzahl von Regelungen über Anforderungen an die Überwachungsbehörden, die Prüflaboratorien für amtliche Untersuchungen, damit Mindeststandards geregelt werden, die Inspektionshäufigkeit und ein einheitliches Verfahren beim Informationsaustausch. Mit der AVV Rahmenüberwachung soll das vorhandene Wissen gebündelt werden. Das ist für die Wirtschaft und die Länder ein wichtiger Punkt. Bei der Vielzahl von Kontrollen, die die Länder durchführen müssen - ich nenne hier nur die Referenzlabore auf nationaler Ebene -, soll die Einhaltung von Regeln bei zugelassenen Produkten kontrolliert werden. Wir wollten aber auch sicherstellen, dass flächendeckend in der Republik der Einsatz längst verbotener Stoffe, zum Beispiel Dioxin, zumindest stichprobenweise kontrolliert wird. Es war klar, dass nicht 16 Bundesländer ein solches Prüfset vorbereiten; wir haben vielmehr einen Plan entwickelt, anhand dessen Prüfaufgaben republikweit verteilt werden. Wir fangen auch etwas Neues an und nutzen den Zoll in Hamburg für ein Pilotprojekt. Der Zoll ist mit Computern ausgestattet und weiß schon vorher, welcher Container mit welchem Lebensmittel kommt. Wir betreiben ein Risikomanagement. Wenn es den Verdacht gibt, dass sich Anhaftungen oder Pilze an Lebensmitteln befinden, gibt uns der Zoll einen Hinweis, zum Beispiel dass in fünf Tagen ein Container mit einer bestimmten Ware kommt, und dann kann die Kontrolle dort erfolgen. Wir vermeiden dadurch die Verteilung des Containerinhalts auf die ganze Republik. Ich glaube, dass wir uns damit in guter Kooperation mit den Ländern systematisch neu aufgestellt haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die nächste Frage geht an die Kollegin Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. - Frau Ministerin, eine Frage zum Thema Überschuldung Jugendlicher. Sie nehmen sich gerne der Gruppe der Kinder und Jugendlichen an, zum Beispiel beim Thema Übergewicht. Wir stellen uns auch die Frage, wie wir junge Menschen davor schützen können, dass sie in einen Strudel gelangen, der in Überschuldung und letztlich in Privatinsolvenzen mündet. Es ist festzustellen, dass bei der Schufa über 100 000 Jugendliche, die über Geld und über das Recht verfügen, Verträge abzuschließen, gemeldet sind. Sieht man die Gefahr, dass die Zahl überschuldeter Jugendlicher zunimmt? Was gedenken Sie dagegen zu tun? Planen Sie dazu etwas in Ihrem Ministerium? Müssen Sie dieses Thema - ich denke nicht nur an die Mobilfunknutzung, sondern auch an die schulische Erziehung und die Prävention - nicht auch auf die Agenda setzen?

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Abgeordnete Klöckner, wir haben mit diesem Thema längst begonnen. Verbraucherschutz für Kinder und Jugendliche ist ein Thema, das sich an vielen Stellen wiederfindet. Sie haben einen Punkt angesprochen, nämlich den Unterricht an der Schule. Wir vertreten die Auffassung, dass im Schulunterricht auch Alltagskompetenzen vermittelt werden müssen. Alltagskompetenzen würde ich zum einen in den Bereich Ernährung - das betrifft den Alltag von uns allen - und zum anderen in den Bereich Haushaltsführung - das betrifft die wichtigsten Vertragsstrukturen, Rechte und Möglichkeiten - aufteilen. Wir haben dazu schon Veranstaltungen und Diskussionen mit einer Vielzahl von Entscheidungsträgern und Multiplikatoren, zum Beispiel mit der Verbraucherzentrale Bundesverband, gehabt. Ich sehe, dass das auch bei den zuständigen Landesministern, die für den entsprechenden Unterricht verantwortlich sind, angekommen ist. Das wird weiterhin ein Thema sein. Anders als in meiner Kindheit, als man im Wesentlichen mit Bargeld zahlte, gibt es heute eine Vielzahl von Möglichkeiten, zu bezahlen, zum Beispiel mit dem Handy oder dem Computer, und sich relativ schnell zu verschulden. Besonders perfide ist, dass Anbieter Handyverträge zwar mit den Eltern abschließen, weil die Kinder nach den Vorschriften des BGB nicht voll geschäftsfähig sind und nur über ihr Taschengeld verfügen, die Kinder aber die Handys benutzen, sich beispielsweise Klingeltöne herunterladen und sich oft durch ihre Anrufe verschulden. Deshalb haben wir mit den Mobilfunkunternehmen darüber Gespräche geführt. Vor ungefähr zwei Jahren haben wir dafür Sorge getragen, dass bei den 0190-Nummern andere Regelungen getroffen wurden. Damit hat man seinerzeit viele Jugendliche geködert. Das hat teilweise dazu geführt, dass sich Jugendliche verschuldet haben, weil sie Rechnungsbeträge in vierstelliger Höhe bezahlen mussten. Wir reden weiterhin mit Anbietern über andere Tarife und Möglichkeiten als die PrepaidCard. Diese hat nur einen begrenzten Nutzen. Sie bietet zwar eine finanzielle Absicherung, weil das Guthaben begrenzt ist, aber insgesamt werden die Jugendlichen über den Tisch gezogen, weil die Tarife zu hoch sind. Das muss also weiter diskutiert werden. Ich denke dabei auch daran, ob man Handys kaufen kann, die die 5erServicenummern nicht haben. Das ist, glaube ich, das neueste Unglück auf dem Markt. Es kann geschehen, dass man jede Menge überflüssige Dinge geliefert bekommt und kaum wieder aus dem Geschäft herauskommt. Des Weiteren bemühen wir uns in einigen von uns geförderten Modellprojekten um die Verbesserung der Medienkompetenz. Dabei geht es nicht nur um das Fernsehen, sondern um alle Medien. Wir haben im Wettbewerbsrecht entsprechende Regelungen vorgesehen. Wir haben zum Thema Alcopops zusammen mit dem Gesundheitsministerium Regelungen erarbeitet, bei denen es auch um den Jugendschutz geht. Das Thema Ernährung habe ich bereits angesprochen. Das Rauchen ist auch im Gesundheitsministerium ein Thema. Schließlich sind die gesundheitlichen Belastungen durch Azofarbstoffe zu nennen, die sich durch ihre Verwendung bei Spielwaren und Textilien besonders auf Kinder belastend auswirken. Da sich die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen beispielsweise seit meiner Jugendzeit völlig verändert hat, bin ich mir sicher, dass uns dieses Themenfeld sicherlich noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Kopp, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Frau Ministerin, ich habe zwei sehr kurze Fragen. Erstens erwähnten Sie die Stiftung Warentest, die bekanntermaßen sehr gute Arbeit leistet und jetzt ein Jubiläum feiert. Ich habe festgestellt, dass die Stiftung Warentest seit neustem das Prüfverfahren für die Produkte um Umwelt- und Sozialstandards erweitert hat. Damit führt sie in einem großen Umfang weitere Prüfungen durch, die mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand verbunden sind. Die Stiftung Warentest erhält 6,5 Millionen Euro aus der Bundeskasse. Ich frage Sie, wie Sie - auch im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen, die außerhalb Deutschlands und Europas Zulieferer haben - zu dieser Testerweiterung stehen und ob Sie über die dabei angelegten Methoden und Standards - zum Beispiel, dass Firmen über 37 Seiten umfassende Fragebögen ausfüllen müssen - Bescheid wissen. Meine zweite Frage betrifft die Entschädigungszahlungen der Bahn an die Kunden. Ich möchte gerne wissen, warum Sie sich mit einer Eigenverpflichtung bzw. einer freiwilligen Schadenersatzregelung der Bahn zufrieden gegeben haben, statt die Entschädigungszahlungen der Bahn nach dem BGB zu regeln, das einen gesetzlich verankerten Schadenersatzanspruch für die Verbraucher vorsieht.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Ich beginne mit unserem Geburtstagskind der Woche, der Stiftung Warentest, die ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Sie haben angesprochen, dass sie Umwelt- und Sozialstandards in ihren Kriterienkatalog mit aufgenommen hat. Ich begrüße das, weil ich weiß, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher danach fragen. Die Stiftung Warentest hat auch schon früher gesundheitliche und umweltbezogene Kriterien berücksichtigt, zum Beispiel wenn sie den Formaldehydgehalt in Körperpflegeprodukten getestet hat. Ich glaube, dass es sich um einen sich weiter entwickelnden Bereich handelt. Dem trägt die Stiftung Warentest durch die Erweiterung der Standards Rechnung. Mir stand und steht es nicht zu, der Stiftung Warentest die Standards vorzuschreiben. Dass sie sie in ihren Kriterienkatalog mit aufgenommen hat, ist ihre eigene Entscheidung. Ich persönlich begrüße das und kann nur meinem Wunsch Ausdruck verleihen, dass sie dies fortsetzt. Offensichtlich hat die Stiftung Warentest gemerkt, dass ihr mit Ökotest eine Konkurrenz erwachsen ist, die sich mit Fragen befasst, die die Verbraucher beschäftigen. Was wollen denn die Verbraucher wissen, wenn sie einen Laden betreten? Angesichts dessen, wie sich das Rugmark-Zeichen für Teppiche, die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, ausgewirkt hat - es ist bekannt, welche gesundheitliche Belastung die Kinderarbeit bedeutet -, halte ich es für völlig verständlich, dass die Verbraucher über die Mindeststandards vor Ort Bescheid wissen wollen. In Deutschland gibt es eine massive Abwanderung von Arbeitsplätzen. Ich habe gewisse Bedenken, Frau Kopp, wenn sich unsere Verbraucher wundern, wo unsere Arbeitsplätze geblieben sind, gleichzeitig aber bei einem Produkt nicht erkennen können, wie hoch der Anteil der in Deutschland eingesetzten Arbeitskraft daran ist oder ob die Firma, beispielsweise wenn sie in China produziert, zumindest bestimmte soziale oder gesundheitliche Mindeststandards eingehalten hat. Im Übrigen würde ich die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Zusammenhang auf keinen Fall so definieren, die Standards immer weiter zu senken. Denn dann würden wir zulassen, dass bald kein einziger deutscher Arbeitsplatz mehr existiert, sondern dass in Deutschland nur noch der Verkauf stattfinden würde, während die Waren woanders produziert würden. Das entspricht definitiv nicht meiner Zukunftsvorstellung. Wettbewerbsfähigkeit kann auch dadurch entstehen, dass sich ein Unternehmer für die Einhaltung von Standards entscheidet. Beispielsweise gibt es Puppenfirmen, die in Deutschland gute Geschäfte machen. Ich denke in diesem Zusammenhang an eine Babypuppe, die offenbar alle Mädchenherzen erfreut. Sie wird von einer Firma produziert, die sich in China nach den Mindeststandards des Internationalen Spielwarenverbandes zertifizieren ließ. Dabei handelt es sich um eine von 37 Firmen unter insgesamt 9 000 Spielzeugfirmen. Wenn man deren Standard sieht, hat man eine böse Ahnung, wie der Standard bei allen anderen aussieht. Ich meine, dass die hiesigen Kunden das wissen sollten. Die Unternehmen machen sonst beispielsweise mit dem geringen Wasser- und Energieverbrauch einer Waschmaschine gerne positiv Werbung. Die Verbraucher wollen das wissen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir 6,5 Millionen Euro hierfür ausgeben, und behauptet, nun würden Firmen gezwungen, große Fragebögen auszufüllen. Dazu kann ich nur sagen: Der Steuerzahler bezahlt die Stiftung Warentest. Viele Wirtschaftsunternehmen werben mit einem positiven Testergebnis dieser Stiftung. Wenn ein Unternehmen kein positives Ergebnis von der Stiftung Warentest haben möchte, dann muss es den angesprochenen Fragebogen nicht ausfüllen und muss ohne Ergebnis Werbung machen. ({0}) - Frau Kopp, Sie haben Recht: Man kann auch eine Negativbewertung bekommen. Aber wir beide wissen doch, welchen enormen finanziellen Profit und Nutzen jede Firma von guten Testergebnissen der Stiftung Warentest hat, und zwar seit ihrem Bestehen. In den 50er-Jahren war man der Auffassung, dass es Aufgabe der Wirtschaft ist, selber für ihre Produkte zu werben. Später hat die Republik begonnen, Werbung und Information auseinander zu halten. Werbung macht die Wirtschaft, während Organisationen wie die Stiftung Warentest für unabhängige Informationen sorgen. Es kann aber nicht sein, dass ein Unternehmen mit den positiven Ergebnissen der durch Steuerzahlergelder finanzierten Stiftung Warentest auf seinen Produkten werben will, um guten Profit zu machen, und es gleichzeitig ablehnt, einen kritischen Fragebogen auszufüllen. Damit habe ich ein Problem. Ich glaube, die Stiftung Warentest ist frei, das zu testen, was nach ihrer Meinung die Verbraucher, ihre Kunden, wissen wollen. So verhält es sich auch mit dem Fragebogen. Ich jedenfalls möchte - genauso wie beispielsweise beim Teppichkauf - gerne wissen, ob ein Produkt durch Kinderarbeit hergestellt worden ist. Frau Kopp, Sie hatten mich auch noch etwas zur Deutschen Bahn gefragt; die Antwort auf diese Frage will ich gar nicht unterschlagen. Sie haben Recht: Wir haben dafür gesorgt, dass die Deutsche Bahn freiwillig ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert hat. Ich glaube, dass die Deutsche Bahn damit einen wichtigen Schritt gemacht hat. Sie könnte die Änderungen jederzeit zurücknehmen, weil diese nicht gesetzlich verankert sind. Das wird sie aber sicherlich nicht tun; den dann einsetzenden Sturm der Entrüstung will die Deutsche Bahn ganz bestimmt nicht ertragen. Insofern gehe ich davon aus, dass die betreffenden Regelungen von Bestand sein werden. Ich glaube, dass das ein guter Ansatzpunkt ist. Wir haben heute die Schlichtungsstelle Mobilität eröffnet, an der sich auch die Deutsche Bahn beteiligt. Dort können alle Fälle vorgetragen werden, die nicht unter die allgemeinen Geschäftsbedingungen fallen. Die Deutsche Bahn ist bereit, im Zweifelsfall ein Stück weit Kulanz zu zeigen. ({1}) - Sie sagen, dass dies die Verbraucher schlechter stelle. Aber die Zahlen zeigen im Vergleich zu vorher eine positive Entwicklung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Ministerin, ich kann einen Dialog mit Frau Kopp und die Beantwortung der geäußerten Zusatzfragen nicht zulassen, weil das auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen geht. Es gibt noch viele andere Fragestellerinnen und Fragesteller. Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bedanke mich ganz herzlich für den verbraucherpolitischen Bericht der Bundesregierung. Er zeigt, welchen Stellenwert der Verbraucherschutz in Deutschland einnimmt. Ich hätte gerne gewusst, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung gewährleistet, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor unlauterem Wettbewerb geschützt werden.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Ich glaube, der Kernpunkt des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb ist das geänderte UWG, das nach entsprechender Beratung im Sommer dieses Jahres in Kraft getreten ist. Neu ist, dass zum ersten Mal der Verbraucherschutz als Gesetzesziel aufgenommen worden ist. Das UWG regelt und schützt damit nicht länger nur die unterschiedlichen Interessen der Unternehmen, das heißt, dass es beispielsweise verhindert, dass sich ein Unternehmer durch trickreiche Sonderangebote einen wirtschaftlichen Vorteil auf Kosten anderer Unternehmer verschafft. Nun gilt ein Verbot benachteiligender Praktiken wie Lockvogelangebote und Mondpreise. Man darf also nicht mit einem sehr billigen Angebot - sei es für einen Bräter oder sei es für einen Eierkocher oder einen Computer - werben, ohne das so beworbene Produkt vorrätig zu haben. Insbesondere bei den Discountern war es Praxis, bestimmte Produkte mit großformatigen Anzeigen zu bewerben, die aber spätestens um 10.30 Uhr nicht mehr vorhanden waren. Viele Kunden, die losgerannt sind, um die beworbenen Produkte zu kaufen, aber keine bekommen haben, haben dann bei den Discountern eingekauft, weil sie schon einmal da waren. Das war ja der Trick. Man wollte die Kunden sozusagen locken. Das ist in Zukunft verboten. Mit Mondpreisen zu werben ist in Zukunft ebenfalls verboten. Man darf also nicht behaupten, etwas sei ein super Sonderangebot, wenn es nicht bereits eine bestimmte Anzahl von Tagen zu dem entsprechenden Preis vorrätig war und verkauft wurde; denn sonst behauptet man, ein Schnäppchen zu haben, obwohl es keines ist. Es gibt zudem wirtschaftliche Sanktionen - das ist ein neues Instrument der Verbraucherverbände -: Wer gegen die Regeln verstoßen hat, der muss in Zukunft gewärtigen, dass die Verbraucherverbände klagen und eine so genannte Unrechtsgewinnabschöpfung vornehmen, deren Einnahmen dem Bundeshaushalt zufallen. Darüber hinaus gibt es eine Kombination aus aktivierenden Verbandsrechten - darunter fällt auch ein Verbandsklagerecht - und ökonomischen Reaktionen. Darunter fällt auch das, was im Energierecht neu geregelt worden ist. Mein Wunsch ist eigentlich, dass wir das in den verschiedenen rechtlichen Regelungen in Zukunft zum Standard machen. Das Energierecht ist besonders bedeutsam, weil wir alle in der letzten Zeit darüber diskutiert haben, was die Gaspreise mit der Ölförderung und den entsprechenden Rohölpreisen zu tun haben. Dabei geht es um Alltagskosten der Verbraucherinnen und Verbraucher; deshalb ist es richtig, an dieser Stelle nicht nur zu kontrollieren, sondern schlechte Praktiken, durch die Unrechtsgewinne erzielt werden, zu beseitigen. Die Unternehmen müssen wissen, dass die Verbraucherverbände ein Werkzeug haben, mit dem sie ihnen wirtschaftlich schaden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Heinen, bitte.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sprechen in Ihrem Bericht - wie auch sonst immer wieder gerne - an, dass nicht nur der gesundheitliche Verbraucherschutz wichtig ist, sondern wir einen umfassenden Verbraucherschutz brauchen, also einen Verbraucherschutz im wirtschaftlichen und im rechtlichen Bereich. Umso erstaunter bin ich, dass diese beiden Bereiche nur einen relativ geringen Teil Ihres Berichts ausmachen. Mich verwundert sehr, lesen zu müssen, dass Sie sich mit der Bundesanstalt für Finanzen auseinander setzen wollen, da Sie eine neue Aufgabenverteilung beim Umgang mit Schrottimmobilien - das ist ein wichtiges Thema - wünschen. Dazu steht in Ihrem Bericht überhaupt nichts: Weder gibt es irgendeinen Bezug zur Vergangenheit - wahrscheinlich ist Ihnen die Wichtigkeit dieses Themas erst jetzt aufgefallen - noch enthält der Ausblick in Bezug auf die Immobilien mehr als die Behandlung des kleinen Bereichs des Bauvertragsrechts und der Frage, was die Bauunternehmer leisten müssen. Angesichts dessen frage ich mich: Warum nehmen Sie dieses Thema nicht noch in Ihren Bericht auf? Warum erwähnen Sie in diesem Bericht nicht, dass dieses Thema wichtig ist? Was sagt der Finanzminister dazu? Haben Sie das mit ihm abgesprochen?

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Ich sehe mit Freude - dass Sie erfreut sind, schließe ich zumindest aus Ihrer Frage -, dass sich auch die CDU/CSU-Fraktion dem Thema des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes widmen möchte und deshalb Zustimmung signalisiert. Die erste Chance, mitzumachen, haben Sie bei der weiteren Beratung des Verbraucherinformationsgesetzes. Im Übrigen: Ich glaube, Sie haben bei der Beratung letzte Woche eine Chance verpasst. Vielleicht reagieren die B-Länder, also die CDU-geführten Länder und Bayern, am 17. Dezember anders. Frau Heinen, damit fängt es an. Wir haben in diesem verbraucherpolitischen Bericht diejenigen größeren Vorhaben aufgezählt - ich habe es bereits gesagt -, die beendet wurden. Dieser Bericht beschreibt ja das, was getan wurde. Wir beschreiben Verfahren, die schon fast abgeschlossen sind, und haben logischerweise nur einen extrem knappen Ausblick gegeben. Auch dabei wurden diejenigen Dinge beschrieben, die sehr konkret bearbeitet werden. Sie können sich darauf freuen, im nächsten verbraucherpolitischen Bericht sowohl die Beschreibung einer größeren Anzahl von erledigten Projekten als auch von weiteren Aktivitäten zu finden. Das Thema Schrottimmobilien steht ganz oben auf der Liste. Eine angemessene Behandlung dieses Themas erfordert zunächst einmal eine Tatsachensammlung, die Auswertung der Rechtsprechung usw. Wir werden Ihnen darüber weiter berichten, natürlich erst, nachdem ich das mit den Kolleginnen und Kollegen im Justizministerium, im Finanzministerium und anderswo besprochen habe.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Connemann, bitte.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben das Erfordernis einer guten Information des Verbrauchers wiederholt angesprochen. Insoweit haben Sie sich, auch seitens Ihrer Fraktion, auf das im Lebens- und Futtermittelrecht verankerte Informationsrecht berufen. Dieser Regelung haben wir aus vielen Gründen nicht zugestimmt; wir glauben nämlich, dass eine wirklich angemessene Information des Verbrauchers nicht gewährleistet wird. Eine Information von hohem Wert für den Verbraucher ist zum Beispiel eine, die ihn erkennen lässt, von woher die Lebensmittel kommen, die er verzehrt. Ich denke etwa an die Geflügelfleischimporte aus Drittländern, die in den vergangenen Jahren enorm zugenommen haben. Waren es im Jahr 2001 noch 211 000 Tonnen, die aus Brasilien und Thailand nach Deutschland importiert worden sind, so waren es im Jahr 2003 schon 270 000 Tonnen. Nach der entsprechenden Verordnung auf EU-Ebene besteht eine Pflicht, diese Geflügelfleischimporte aus Drittländern zu kennzeichnen, nur dann, wenn das Fleisch keiner auf seine Haltbarkeit einwirkenden Behandlung unterzogen worden ist. Sie gilt also nur für Frischfleisch sowie gefrorenes und tiefgefrorenes Fleisch. Eine Deklaration ist nicht erforderlich, wenn das Fleisch einzelnen Behandlungsschritten, zum Beispiel Einsalzen, Einwürzen, Braten, unterzogen worden ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, ich habe das Problem, dass noch fünf Kolleginnen und Kollegen eine Frage stellen wollen.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zu meiner Frage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Zeit für die Befragung der Bundesregierung ist schon abgelaufen. Ich bin aber gern bereit, dem Fragebedarf noch Rechnung zu tragen, allerdings nur dann, wenn sich die Fragesteller kurz fassen und Sie, Frau Ministerin, sich auch kurz fassen; denn sonst funktioniert das nicht.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut; ich komme schon zu meiner Frage. Was beabsichtigt die Bundesregierung zur besseren Herkunftsbezeichnung bei tierischen Produkten aus Drittstaaten zu unternehmen? Beabsichtigt sie, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, die Pflicht zur Angabe des Herkunftslandes bei Geflügelfleisch, das aus Drittländern in die EU eingeführt wird, auf behandeltes Geflügelfleisch, zum Beispiel thermisch behandeltes, gesalzenes, gewürztes Fleisch bzw. so genannte Geflügelfleischzubereitung, auszudehnen? Vielen Dank.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Das ist eine wunderbare Fachfrage. Von Ihnen ist, glaube ich, viel Sachverstand eingeholt worden, um diese Frage zu formulieren. Ich habe mich wie Sie, Frau Connemann, darüber gewundert, dass solche Regelungen auf europäischer Ebene überhaupt bestehen. Sie sind, wie auch Sie wissen, vor meiner Amtszeit geschaffen worden. Ich habe mich auch darüber gewundert, dass Deutschland in der Vergangenheit auf europäischer Ebene nie hinreichend Sorge dafür getragen hat, dass durch eine Herkunftsbezeichnung klar ist, was woher kommt. Insofern habe ich Ihre Frage so verstanden, dass Sie unsere Politik ein Stück unterstützen wollen. Ich möchte mehr an Kennzeichnung. Wir haben dafür gesorgt, dass einige steuerliche Regelungen, die dazu geführt haben, dass besonders viel entsprechend bearbeitetes Geflügelfleisch nach Deutschland hereingekommen ist, verändert wurden, sodass Deutschland nicht mehr Haupteinfuhrland für solches Fleisch ist. Grundsätzlich möchte ich bei allem die Herkunft erkennen oder auch erkennen können, wo das entsprechend bearbeitet worden ist. Das zu erreichen erfordert, denke ich, gemeinsame Anstrengungen. Trotz alledem habe ich etwas im ersten Teil Ihrer Frage nicht verstanden. Sie haben gesagt, das Verbraucherinformationsgesetz biete zu wenig Informationen. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was Sie wollen. Das ist Ihnen zu wenig. Mehr wollen Sie aber nur, wenn es abgestimmt in Europa passiert. Also machen Sie im Ergebnis gar nichts. - Aber ich darf ja keine Gegenfrage stellen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich lasse jetzt noch zwei Fragen zu. Mehr kann ich leider nicht mehr zulassen, weil die Zeit für die Befragung der Bundesregierung schon überschritten ist; das geht also zulasten der Fragestunde. Ich bitte die beiden Fragesteller, kurz und knapp zu fragen, und Sie, Frau Ministerin, auch die Antwort nach Möglichkeit kurz und knapp zu halten. Das Wort hat der Kollege Zöllmer. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin Künast, auf das Jubiläum zum 40-jährigen Bestehen der Stiftung Warentest ist bereits hingewiesen worden. Auf die Frage eines Journalisten „Sind Sie mit dem Stellenwert zufrieden, den die rot-grüne Regierung dem Verbraucherschutz einräumt?“ antwortete Werner Brinkmann, Alleinvorstand der Stiftung Warentest: Ja, seit Verbraucherministerin Renate Künast im Amt ist, hat die Politik für Verbraucher zweifellos an Einfluss und Profil gewonnen. Das ist erfreulich und macht auch unsere Arbeit einfacher. ({0}) Frau Ministerin, ich frage Sie, ob Sie mit diesem Qualitätsurteil zufrieden sind. ({1})

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Präsidentin, nun kann ich Ihrem Wunsch nachkommen und eine knappe Antwort geben: Ich bin zufrieBundesministerin Renate Künast den und würde ein solches Lob zum 50. Geburtstag der Stiftung Warentest notfalls noch einmal annehmen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Feibel, bitte.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin von Lockvogelangeboten und Mondpreisen gesprochen. Ich frage Sie, ob bei der Billigfliegerei diese Grundsätze, die beim Verbraucherschutz beherzigt werden sollen, noch angewendet werden, wenn gerade einmal 10 Prozent der Flugplätze zu diesen Billigpreisen zur Verfügung gestellt werden müssen, also zum Beispiel vielleicht nur zehn Sitzplätze für den Preis von 9,99 Euro von Köln nach Perpignan angeboten werden. Widerspricht das nicht dem Verbot von Lockvogelangeboten und Mondpreisen? Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die Deutsche Bahn serienweise Bahnhöfe schließt? Dadurch wird dem Verbraucher ja eigentlich die Möglichkeit genommen, sich ausführlich über Fahrpläne, Fahrpreise und Ähnliches zu informieren. Hinzu kommt, dass die Bahn auch noch die Provision für die Vermittlung von Leistungen absenkt, sodass der Verbraucher fast ausschließlich auf Internet und Callcenter angewiesen ist, deren Beratungsqualität ja nicht sonderlich herausragend ist.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Bei der Billigfliegerei muss man unterscheiden: Zum einen muss man sich fragen, wie es überhaupt zu einem solchen Erscheinungsbild kommt, wie die Konkurrenzsituation der Flughäfen untereinander ist und wie die rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Bedingungen aussehen. Dieser Themenbereich fällt nicht in die engere Zuständigkeit des Verbraucherschutzministeriums. Zum anderen muss man sich fragen - das ist der wichtigere Punkt -, ob es in diesem Bereich Lockvogelangebote und Mondpreise gibt. Um das zu prüfen, muss man wie in anderen Bereichen schauen, ob das, womit geworben wird, auch tatsächlich im Angebot ist. Es wird im Zweifelsfalle auch kontrolliert, ob man solche Angebote bekommt. Hier ist der Sachverhalt aber natürlich ein anderer als bei Angeboten in Geschäften, die man erst einmal aufsuchen muss. Aus dem Internet dagegen, wo man in der Regel nachschaut, ob es einen Flug für 40 Euro zum gewünschten Ziel gibt, kommt man leichter wieder heraus als aus einem Geschäft. Die grundsätzlichen Regelungen gelten natürlich auch für den Bereich der Fliegerei, aber nur in Bezug auf die interne Preisgestaltung der Unternehmen, nicht in Bezug auf das Erscheinungsbild der Billigfliegerei, das durch die Konkurrenz der Unternehmen untereinander entstanden ist. Hinsichtlich der Schließung von Bahnhöfen und Servicecentern lassen Sie mich Folgendes sagen: Ich wundere mich darüber, dass ich auf der einen Seite so häufig dafür kritisiert werde, dass durch die Festschreibung von Verbraucherrechten die Wirtschaft gestört würde, jetzt auf der anderen Seite aber ständig Fragen kommen, in denen die Auswirkungen unternehmerischen Handelns kritisiert werden. Ich würde vorschlagen, beide Punkte auch bei der Bahn miteinander zu verbinden: Wenn die Bahn aus bestimmten Gründen Bahnhöfe oder Servicecenter schließt, dann darf das nicht dazu führen, dass nur noch das Internetangebot übrig bleibt. Ich finde es gut, dass auf Initiative Einzelner mittlerweile aus ehemaligen Servicecentern richtige Anlaufstellen geworden sind, weil hier verschiedenste Produkte verkauft werden, Postleistungen angeboten und Auskünfte über Bahnpreise gegeben sowie Bahntickets verkauft werden. Wir brauchen nämlich eine flächendeckende Versorgung mit diesen Produkten, gerade auf dem Land. Hierzu ist es aber nötig, Verbraucherinteressen, Kundeninteressen und wirtschaftliche Interessen zu verbinden. Das geht aber nicht im Rahmen des alten Systems, sondern das schaffen wir nur, wenn neue kreative Ideen entwickelt werden. Ich glaube, dass es hier schon längst viel versprechende Ansätze gibt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Beantwortung der Fragen. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettsitzung? - Frau Kollegin Pau, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke, Frau Präsidentin. - Den Medien habe ich entnommen, dass sich das Bundeskabinett heute auch mit dem Rüstungsexportbericht beschäftigt hat und dass sich die Rüstungsexporte gegenüber dem Vorjahr vervierfacht haben und mittlerweile ein Volumen von 1,3 Milliarden Euro umfassen. Ich möchte wissen, ob sich die Bundesregierung mit dem in den letzten Tagen vielfach erhobenen Vorwurf beschäftigt hat, dass durch diese exorbitante Steigerung der Rüstungsexporte der Irakkrieg indirekt unterstützt wurde und damit die deutsche Wirtschaft auch noch an diesem völkerrechtswidrigen Krieg verdient hat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wagner, bitte.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin Pau, das Kabinett hat sich im Gegensatz zu dem, was Sie vermuteten, damit nicht näher befasst. Auch die anderen Schlüsse, die Sie gezogen haben, sind unzutreffend.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank. - Eine zweite Frage kann ich leider nicht mehr zulassen, Frau Kollegin Lötzsch. Ich beende nun die Befragung zu den Themenbereichen der heutigen Kabinettsitzung. Gibt es darüber hinaus Fragen die die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 15/4284, 15/4376 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen des Abgeordneten Jürgen Koppelin auf Drucksache 15/4376 auf: Teilt die Bundesregierung die Aussage des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, dass ein Großteil der Fördermittel für den Aufbau Ost zweckentfremdet eingesetzt wird, dpa vom 28. November 2004? Trifft die Aussage des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, zu, der in „Bild am Sonntag“ vom 28. November 2004 wie folgt zitiert wird: „Die meisten ostdeutschen Länder - und zuallererst Berlin - setzen die Solidarpaktmittel nicht im Sinne des Erfinders ein“? Zur Beantwortung der dringlichen Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller bereit.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Koppelin, die gemäß § 11 Abs. 4 Finanzausgleichsgesetz für den Abbau teilungsbedingter Sonderlasten und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft gewährten Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen wurden nur in Sachsen vollständig zweckgerecht verwendet. Aus der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ geht hervor, dass alle anderen Länder die Mittel in Höhe von insgesamt 10,5 Milliarden Euro stattdessen zu einem erheblichen Teil für laufende Ausgaben eingesetzt haben. Ich habe dem Haushaltsausschuss über den einvernehmlichen Beschluss der 101. Sitzung des Finanzplanungsrates vom 18. November 2004 berichtet. Dort heißt es - ich zitiere -: Des Weiteren wurden die Fortschrittsberichte „Aufbau Ost“ der neuen Länder und Berlins nach § 11 Abs. 4 Finanzausgleichsgesetz sowie die Stellungnahme der Bundesregierung dazu beraten. Die vierte Punktation dieses einvernehmlichen Beschlusses lautet wie folgt: Im Finanzplanungsrat wurden die Fortschrittsberichte „Aufbau Ost“ der neuen Länder und Berlins für das Jahr 2003 vorgelegt und gemeinsam mit einer Stellungnahme des Bundes erörtert. Mit Ausnahme von Sachsen werden die zur Verfügung gestellten Mittel nicht vollständig zweckgerecht verwendet. Dies liegt nach Auffassung der betroffenen Länder vor allem an den langjährigen konjunkturbedingten Einnahmeeinbrüchen, die trotz ausgewiesener restriktiver Ausgabenpolitik eine erhöhte Kreditaufnahme erzwangen. Die neuen Länder und Berlin tragen die Verantwortung, durch konsequente Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung die sachgerechte Verwendung der Mittel zu gewährleisten. Sie sehen: Nicht nur Bundesfinanzminister Hans Eichel und die Bundesregierung, sondern auch die Länderfinanzminister sind dieser Auffassung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte, Herr Kollege.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie wissen natürlich, dass auch ich diesen Bericht habe, denn ich habe ihn im Haushaltsausschuss vorgetragen. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung die Auffassung von Finanzminister Eichel teilt. Das haben Sie eben bestätigt. Wie kommt es dann zu den Äußerungen des Ministers Stolpe, der die Aussagen von Herrn Eichel mit Vehemenz zurückgewiesen hat, so jedenfalls Agenturmeldungen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Auch ich kenne nur Agenturmeldungen, nicht den Wortlaut seiner Ausführungen. Nach den Agenturmeldungen hat Herr Stolpe darauf hingewiesen, dass die neuen Länder unter anderem Sonderlasten geltend machen. Diese Sonderlasten wie auch die Sondersituation der neuen Länder durch die wirtschaftliche Entwicklung sind in dem Bericht der Bundesregierung ausführlich gewürdigt und entsprechend bewertet worden. Die Bewertung bezüglich der Sonderlasten können wir allerdings nicht teilen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können Sie denn die Aussage von Minister Eichel bestätigen, dass die zweckentfremdeten Mittel für den Aufbau Ost etwa die Summe von 10 Milliarden Euro ausmachen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich habe eben darauf hingewiesen, dass insgesamt 10,5 Milliarden Euro - zu einem erheblichen Teil für laufende Ausgaben - eingesetzt worden sind. Ich kann Ihnen auch die Anteile in den einzelnen Ländern mitteilen: In Sachsen wurden die Mittel vollständig zweckgerecht eingesetzt. In Brandenburg wurden sie 2003 zu etwa 43 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern zu rund 27 Prozent, in Sachsen-Anhalt zu etwa 48 Prozent und in Thüringen zu etwa 66 Prozent sachgerecht eingesetzt. In Berlin konnte keine zweckgerechte Verwendung der erhaltenen Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen festgestellt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Staatssekretär, war das jetzt schon die Antwort auf die Frage 2?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die beiden Fragen überlappen sich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das ist deshalb von Bedeutung, weil es noch eine Zusatzfrage zur dringlichen Frage 1 gibt. ({0}) - Dann haben Sie, Herr Kollege Koppelin, noch zwei weitere Zusatzfragen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Teilt der Bundesfinanzminister die Auffassung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers, der gefordert hat, es müssten genaue Nachweise über die Verwendung der Mittel erbracht werden und es müsste gegebenenfalls, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, über Sanktionen nachgedacht werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Koppelin, in ihrer Stellungnahme vom Oktober 2004 zu den Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fordert die Bundesregierung auf Seite 51: Die Bundesregierung erwartet, dass die neuen Länder ihrer Verantwortung für das Gelingen des Aufbaus Ost nachkommen. Die Solidarpaktmittel müssen vollständig und nicht wie bisher in den meisten Ländern nur zur Hälfte bis zu zwei Dritteln zur Förderung des Aufbauprozesses eingesetzt werden. Länder, die Solidarpaktmittel nicht für aufbaugerechte Zwecke einsetzen, verstoßen gegen den Geist des Solidarpakts. Um ihrer Verantwortung für den Aufbauprozess gerecht zu werden, sind die Länder gefordert, darzulegen, welche zusätzlichen Maßnahmen sie ergreifen, damit zukünftig die erhaltenen Solidarpaktmittel vollständig sachgerecht eingesetzt werden. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe hier eine dpa-Meldung, in der es heißt: Eichel betonte, die Zweckentfremdung der Gelder bremse den Fortschritt beim Aufbau Ost. Eichel wird dann wörtlich zitiert: „Das kann und werde ich nicht länger akzeptieren.“ Darf ich Sie fragen, welche konkreten Maßnahmen der Minister durchzuführen beabsichtigt, um sicherzustellen, dass die Mittel nicht mehr zweckentfremdet eingesetzt werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich habe eben auf den Beschluss der Finanzministerkonferenz hingewiesen. In diesem Beschluss ist der entscheidende Punkt enthalten. Ich habe außerdem die Forderung in unserer Stellungnahme erwähnt. Dies entspricht der Auffassung des Bundesministers der Finanzen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass sich das Land Berlin insbesondere dadurch bundestreu verhält, dass es in den letzten Jahren seine Neuverschuldung nachhaltig reduziert hat? Allein in den letzten drei Jahren ist das Primärdefizit um 2,2 Milliarden Euro gesenkt worden.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, ich kann Ihnen bestätigen, dass der Finanzsenator Sarrazin äußerste Anstrengungen unternimmt, um den Haushalt des Landes Berlin in Ordnung zu bringen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nachdem die dringlichen Fragen beantwortet worden sind, rufe ich die Fragen auf Drucksache 15/4284 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach bereit. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Conny Mayer auf: Welche Schritte verfolgt die Bundesregierung im Hinblick auf die Umsetzung der am 30. August 2003 beschlossenen Vereinbarung der Welthandelsorganisation, WTO, zu grenzüberschreitenden Zwangslizenzen in ihre nationale Patentrechtsgesetzgebung und welche Konsequenzen zieht sie daraus für ihre Forderung nach kostengünstigen antiretroviralen Medikamenten für Entwicklungsländer?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrte Frau Dr. Mayer, zur Umsetzung der im Allgemeinen Rat der Welthandelsorganisation, WTO, am 30. August 2003 gefundenen Lösung der Problematik so genannter grenzüberschreitender Zwangslizenzen hat die Europäische Kommission die Initiative ergriffen. Sie hat am 4. November 2004 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Zwangslizenzen für Patente an der Herstellung von Arzneimitteln, die für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit bestimmt sind, vorgelegt. Die Verordnung ist nach ihrer Verabschiedung unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sodass für den nationalen Gesetzgeber zunächst kein Handlungsbedarf besteht. Sie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Forderung der Bundesregierung nach Zugang zu kostengünstigen Medikamenten zu erfüllen. Sie hat weit über die eigentliche gesundheitspolitische Bedeutung hinaus einen hohen politischen Symbolcharakter für die Bereitschaft der Industrieländer, auf spezifische Interessen der Entwicklungsländer einzugehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte, Frau Kollegin.

Dr. Conny Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003590, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung. Sie haben Dinge dargestellt, nach denen ich gar nicht gefragt habe. Ich danke ausdrücklich dafür. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Forderung nach kostengünstigen antiretroviralen Medikamenten für Entwicklungsländer?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Kollegin, ich hatte das beantwortet. Wir brauchen nichts zu machen. Wenn die angesprochene Verordnung umgesetzt wird - dies geschieht gerade -, wird sie in den 25 Mitgliedstaaten der EU geltendes Recht, sodass wir keinen Handlungsbedarf haben. Wir unterstützen und fördern dies. Unsere Forderungen werden hiermit erfüllt. Ich habe also Ihre Frage schon beantwortet, wenn auch vielleicht ein bisschen verklausuliert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin. ({0}) - Haben Sie keine zweite Zusatzfrage mehr, Frau Mayer? ({1}) - Sie verzichten auf Ihre zweite Zusatzfrage? ({2}) - Es ist aber üblich, dass zunächst Sie Ihre zwei Zusatzfragen stellen und dann andere Abgeordnete ihre Fragen stellen.

Dr. Conny Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003590, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann will ich das gerne tun. Vielen Dank. Hält die Bundesregierung das Thema HIV/Aids unter den Ministerien für optimal und ausreichend koordiniert? Eine Anmerkung dazu. Wir haben mehrere Fragen zum Thema HIV/Aids gestellt und haben heute einen Staatssekretär und zwei Staatssekretärinnen zur Beantwortung da.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich sehe an Ihrem Outfit, dass Sie den Weltaidstag sehr ernst nehmen. Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass ich Ihnen keine Antwort auf Ihre Frage geben kann. Es ist noch die Staatssekretärin aus dem Gesundheitsministerium hier. Ich bitte um Nachsicht. Wir trennen die Zuständigkeiten ganz sauber. Ich gebe Ihnen gerne Antworten auf alle Fragen, die meinen Zuständigkeitsbereich betreffen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es ist wirklich so, Frau Kollegin, dass sich diese Frage nicht auf Ihre schriftliche Frage bezieht. Sie müssen aber Ihre Zusatzfragen auf Ihre schriftliche Frage beziehen. Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, was bedeutet die Änderung des TRIPS-Abkommens für die Bundesregierung hinsichtlich formaler Änderungen? Welche Folgen hat das?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Für die Bundesregierung hat das keine weiteren Änderungen zur Folge.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann bedanke ich mich beim Herrn Staatssekretär Alfred Hartenbach für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Die Fragen wird Herr Parlamentarischer Staatssekretär Matthias Berninger beantworten. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Artur Auernhammer auf: Wie viel Euro hat der gesamte Messeauftritt des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, BMVEL, auf der „Euro-Tier“ 2004 in Hannover gekostet? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Kollege Auernhammer, das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft war mit zwei Messeständen auf der „Euro-Tier 2004“ vertreten, zum einen im Rahmen der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums mit einem Gemeinschaftsstand mit ZADI und AID und zum anderen im Rahmen des Bundesprogramms „Ökologischer Landbau“ zu dem Thema „ökologische Tierhaltung“, nach dem Sie auch gefragt haben. Parl. Staatssekretär Matthias Berninger Die genauen Kosten dieser Messepräsenz lassen sich noch nicht beziffern, weil die „Euro-Tier“ diese noch nicht abschließend in Rechnung gestellt hat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hätte gern die genauen Zahlen nachgereicht bekommen, damit bekannt wird, was dieser Messeauftritt gekostet hat. Ist das möglich? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Das ist selbstverständlich möglich. Da Sie aber nach den genauen Kosten gefragt haben, kann ich Ihnen diese erst mitteilen, wenn sie vorliegen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Haben Sie noch eine Zusatzfrage zur Frage 2? ({0}) Dann eine weitere Zusatzfrage vom Herrn Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich finde Ihre Antwort durchaus amüsant. Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass Sie auf eine Messe gehen, ohne vorher zu wissen, welche Kosten in etwa auf Sie zukommen? Wir brauchen hier keine Abrechnung darüber, wie viel Teewasser dort verbraucht worden ist. Ich weiß doch grundsätzlich vorher - auch ich war schon mit Ständen auf einer Messe vertreten -, wie viel Geld ich dafür bereitstellen muss. Ansonsten kann ich das im Grunde genommen gar nicht realisieren. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Goldmann, in der Tat haben wir wie bei allen Messepräsenzen vorab eine Kalkulation gemacht. Es ist so, dass wir für diese Messepräsenz eine finanzielle Größenordnung kalkuliert hatten, die sich mit vergleichbaren Aktivitäten auf anderen Messen deckt. Der Messeauftritt wurde bei uns mit ungefähr 220 000 Euro kalkuliert. ({0}) Ihr Kollege hatte allerdings gefragt, was es genau gekostet hat. Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beziffern. Die Kosten können also durchaus niedriger sein; das weiß man immer erst nachher. In unserer Jahreskalkulation sind wir von 220 000 Euro ausgegangen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, Sie dürfen zu dieser Frage keine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Goldmann. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Artur Auernhammer auf: Welche Vorteile für die deutsche Landwirtschaft hat sich das BMVEL von dem Messeauftritt versprochen und wie effizient war dieser angesichts der Tatsache, dass der Stand nur auf Ökolandwirtschaft ausgerichtet war? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den ökologischen Landbau zu fördern. Hierzu dient insbesondere das „Bundesprogramm Ökologischer Landbau“. Wir haben in den letzten Jahren gerade in die Forschung im Bereich Tierhaltung erheblich investiert. Wir sahen es als eine sehr gute Maßnahme an, diese Erkenntnisse dem breiten und fachkundigen Publikum der „EuroTier“ mit einem entsprechenden Angebot bereitzustellen. Die Resonanz auf unseren Stand bestärkt uns darin, dass eine richtige Entscheidung war, auf die besonderen Aktivitäten im Bereich der Förderung des ökologischen Landbaus auf der „Euro-Tier“ hinzuweisen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, ob Sie auf der „Euro-Tier“ waren. Es waren 110 000 Fachbesucher dort, darunter 25 000 ausländische Besucher. Der Stand des Bundesministeriums war einer der Stände, die am schlechtesten besucht waren. ({0}) Die Effektivität dieses Messeauftritts kann ich daher in keiner Weise nachvollziehen. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Abgeordneter, Sie müssen ganz offensichtlich die ganze Zeit diesen Stand beobachtet haben. Wir haben aufgrund der Rückmeldungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein anderes Bild gewonnen. Auch die Experten, die wir eingeladen hatten, haben ein anderes Bild geschildert. Klar ist, dass ein Stand zum ökologischen Landbau gerade auf einer traditionellen Messe wie der „EuroTier“ von dem einen oder anderen Besucher, der sozusagen ideologisch an dieses Thema herangeht, nicht so gern gesehen wurde. Wir sind aber mit der Präsenz und der Resonanz auf diesen Stand sehr zufrieden. Sollten Sie genaue Daten haben, aufgrund deren Sie zu der Meinung gekommen sind, dass die Resonanz so furchtbar schlecht war, bin ich sehr daran interessiert, diese zu bekommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft hat dieser Stand dann nicht beigetragen, oder? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Auernhammer, wenn ich die Messepräsenzen, die ich auch in meiner Zeit als Haushälter zur Kenntnis nehmen konnte, immer daran gemessen hätte, ob sie sich im agrarpolitischen Bereich sofort positiv auswirken, kämen wir sicherlich zu interessanten Ergebnissen. Wir gehen davon aus, dass die hervorragenden Forschungsergebnisse in den Bereichen „artgerechte Tierhaltung“ und „ökologischer Landbau“ auf jeden Fall zur Steigerung der Wirtschaftskraft beitragen. Das können Sie schon daran erkennen, dass die Ergebnisse, sowohl was die Ertragssteigerung als auch was die Zahl der Betriebe des ökologischen Landbaus angeht, positiv sind, während die Ergebnisse in der Landwirtschaft ansonsten eher rückläufig sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe den Eindruck, dass Sie wirklich nicht auf der „Euro-Tier“ waren. Es war schon interessant, dass Sie gesagt haben, die „Euro-Tier“-Aussteller und -Besucher hätten nicht so ganz kapiert, um was es im Bereich der Agrarwirtschaft geht. Es sei auch - wie sagten Sie? - eine traditionelle Messe. Ich empfehle Ihnen, sich einmal die Auszeichnungen anzusehen, die dort verteilt worden sind. Meine Frage, Herr Staatssekretär: Warum gab es diese sehr einseitige Ausrichtung? Ich habe mir den Stand angeguckt und fand ihn auch hübsch. Vor dem Hintergrund aber, dass der Ökobereich, den ich sehr schätze, 4 Prozent des Gesamtmarktes ausmacht, erscheint mir ein Mitteleinsatz von 220 000 Euro - es wird möglicherweise noch mehr - nicht ganz richtig gewichtet. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Zunächst einmal, Herr Kollege, zu der Ihrer Frage vorangestellten Unterstellung. Ihre Beurteilung der „EuroTier“ ist nicht mit dem in Einklang zu bringen, was ich dazu gesagt habe. Klar ist, dass der Ökolandbau bei den Besuchern der „Euro-Tier“ nicht ganz unumstritten ist, ebenso wie hier im Parlament. Ich freue mich sehr, dass Sie den Stand hübsch fanden. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass es sich lohnen würde, die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, wie artgerechte Tierhaltung in der Praxis sowohl wirtschaftlicher umsetzbar ist als auch im Sinne der Gesundheit der Tiere zu besseren Ergebnissen führt, an eine breitere Fachöffentlichkeit weiterzugeben. Der ökologische Landbau ist eine sehr moderne Form der Landwirtschaft. Hier gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Innovationen. Anders als Vorgängerregierungen hat sich diese Bundesregierung zum Ziel gesetzt, dem ökologischen Landbau ein stärkeres Gewicht zu geben und ihn nicht gleichsam als Nische innerhalb der Landwirtschaft zu „erdulden“. Von daher erklärt es sich auch, dass wir die Unterstützung der Koalitionsfraktionen bekommen - obwohl wir zwar Jahr für Jahr Schwierigkeiten haben, die Opposition davon zu überzeugen -, größere Mittel zur Förderung des ökologischen Landbaus im Rahmen des „Bundesprogramms Ökologischer Landbau“ zur Verfügung zu stellen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Fragen liegen nicht vor. Deswegen schließe ich diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick. Ich rufe Frage 4 des Kollegen Schummer auf: Inwieweit beteiligt sich die Bundesregierung zu Fragen der Wettbewerbsklarheit am Aufruf der Europäischen Union durch das „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ und wie setzt sie sich für Wettbewerbsklarheit bei der Teilnahme am Weiterbildungsmarkt in Bezug auf Volkshochschulen, Hochschulen und Kammern ein?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Kollege Schummer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hat sich an den Konsultationen, die die EU-Kommission im Jahr 2003 auf der Grundlage eines „Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ durchgeführt hat, im September 2003 mit einer gemeinsamen Bund/Länder-Stellungnahme beteiligt. In dieser Stellungnahme, die, wie übrigens das Grünbuch der Kommission selber, keine speziellen Ausführungen zu Bildungsdienstleistungen enthält, hat sie sich gegen eine EU-Rahmenrichtlinie für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausgesprochen. Wir haben auf die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten und ihrer Untergliederungen für Leistungen der Daseinsvorsorge hingewiesen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Mehrwert einer horizontalen Regelung aufgrund der Unterschiede zwischen den verschiedenen Sektoren nicht erkennbar. Die EU-Kommission hat daraufhin im Mai 2004 ein Weißbuch mit ihren Schlussfolgerungen aus dem Konsultationsprozess vorgelegt. Danach wird sie zunächst keine Rahmenrichtlinie für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorlegen. Auch das Weißbuch enthält keine spezifischen Ausführungen zum Bildungsbereich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie bewertet die Bundesregierung die anhaltende Kritik von Weiterbildungsträgern an einer unkoordinierten Vergabe von Bildungsgutscheinen und wie hoch ist nach Ihren Erkenntnissen der Rücklauf dieser Bildungsgutscheine, indem sie eingelöst werden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Wir sind mit den Bildungsträgern in Deutschland in einem sehr engen Gespräch zu diesem Prozess. Zusammen mit den Bildungsträgern sind wir der Überzeugung, dass wir uns insbesondere im europäischen Wettbewerb, so wie wir das begonnen haben, noch stärker um eine Verbesserung des Zugangs zu Bildungsangeboten bemühen müssen. Wir sind sicher, dass wir uns da auf einem guten Weg befinden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gedenkt die Bundesregierung, die Vergabepraxis zu entspannen und die Vergabebürokratie abzubauen, indem beispielsweise bei Berufsvorbereitungsmaßnahmen Aufträge nicht nur für zehn oder elf Monate, sondern für drei Jahre vergeben werden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Bei den berufsvorbereitenden Maßnahmen ist wichtig - das wissen Sie ja -, dass auch regionale Angebote vorhanden sind. Uns liegt daran, dass wir sehr zügig zu Entbürokratisierungsprozessen kommen. Diese Position vertreten wir in Europa auch in Bezug auf andere Politikfelder ganz energisch. Wir müssen hinsichtlich der Entbürokratisierung besser werden. Insofern stimmen wir in der Grundannahme überein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Fragen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich auch diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Hans Martin Bury. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf: Über welche Erkenntnisse in Bezug auf Betrug und Korruption durch die Regierung des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein im Zusammenhang mit dem Programm „Öl für Lebensmittel“ der Vereinten Nationen verfügt die Bundesregierung und wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika, Henry Hyde, in seiner Stellungnahme für die Anhörung des Ausschusses am 17. November 2004, dass es bei der Durchführung des Programms „Öl für Lebensmittel“ zu dem „vielleicht größten Finanzbetrug in der Geschichte“ gekommen sei?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, der Bundesregierung sind Vorwürfe über einen möglichen Missbrauch des „Öl für Lebensmittel“-Programms bekannt. Sie fordert eine Aufklärung dieser Vorwürfe und hat im Sicherheitsrat für die Resolution 1538 gestimmt, mit der die Entscheidung des VN-Generalsekretärs, eine unabhängige, hochrangige Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Chefs der US-Notenbank, Paul Volcker, einzurichten, begrüßt wird. Die Übergangsregierung der Koalition, die Regierung Iraks und alle VN-Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, mit der Kommission uneingeschränkt zusammenzuarbeiten. Für eine Bewertung der erhobenen Vorwürfe bleibt die Vorlage des Abschlussberichtes des Untersuchungsausschusses abzuwarten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung den Vorwurf der US-amerikanischen Kommission zur Überwachung des Iraks, die in ihrem Zwischenbericht festgestellt hat, dass Saddam Hussein seine Methode, irakisches Öl zu Vorzugsbedingungen zu verkaufen - das war ja Grundlage seines Betrugssystems -, ebenfalls dazu genutzt hat, politischen Einfluss auf ständige Mitglieder des Sicherheitsrates wie Frankreich, China oder Russland hinsichtlich ihres Stimmverhaltens in Angelegenheiten, die den Irak betreffen, zu nehmen?

Not found (Gast)

Kollege Weiß, ich hatte in Beantwortung Ihrer ersten Frage darauf hingewiesen, dass die Untersuchungen zu diesem Gesamtkomplex laufen und ein Abschlussbericht der eingesetzten unabhängigen Kommission noch nicht vorliegt. Insofern ist es zu früh, um jetzt zu behaupteten Verstößen abschließend bewertend Stellung zu nehmen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem bekannt geworden ist, dass auch der Sohn von Kofi Annan bis Februar 2004 bei einer Firma beschäftigt war, die offensichtlich in das gesamte Betrugssystem involviert war, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass unter diesen Umständen nicht auch der UN-Generalsekretär eventuell über politische Konsequenzen nachdenken muss, nachdem dieser Betrugsfall bereits heute als größter Finanzbetrug in der Geschichte der Vereinten Nationen bezeichnet wird?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, Sie sind sehr schnell mit Ihren Urteilen. Ich kenne Presseberichte über entsprechende Vorwürfe und ich erwarte selbstverständlich, dass die Untersuchungskommission diesen Sachverhalt überprüfen wird. Vom Ergebnis der Überprüfung wird es abhängen, welche Schlussfolgerungen man dann zieht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Peter Weiß auf: Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Erfolg der Vereinten Nationen bei der Überwachung der korrekten Durchführung des Programmes „Öl für Lebensmittel“ und welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über eine etwaige Verstrickung deutscher Banken oder Firmen in die mutmaßliche Korrumpierung des Programms „Öl für Lebensmittel“ vor?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, es gibt Hinweise, dass trotz umfangreicher Vorkehrungen gegen einen Missbrauch des Programms durch die irakische Regierung diese Maßnahmen nicht ausreichten, um jeden Missbrauch auszuschließen. Eine Bewertung der Überwachung des Programms wird aber erst möglich sein, wenn der Bericht der unabhängigen, hochrangigen Untersuchungskommission vorliegt. Die Bundesregierung hat bisher keine Erkenntnisse über eine etwaige Verstrickung deutscher Unternehmen in angebliche Manipulationen des „Öl für Lebensmittel“-Programms. Der Bundesregierung sind auch keine entsprechenden Vorwürfe an die Adresse deutscher Unternehmen bekannt geworden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da die an dem Betrugsvorhaben beteiligten Firmen zumindest mittelbar in erheblichem Maße Geld veruntreut haben, frage ich Sie: Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, dass die UN nach Vorlage ihres Berichts entsprechende Konsequenzen gegenüber den Firmen ergreift und eventuell teilweise eine Art Wiedergutmachungsleistung einfordert?

Not found (Gast)

Kollege Weiß, ich darf Sie noch einmal auf meine zuvor gegebenen Antworten verweisen: Wir reden über Vorwürfe, die zu klären sind. Dieser Klärungsprozess ist im Gange. Es wird einen Abschlussbericht der unabhängigen Kommission geben. Auf dessen Basis wird man über die daraus zu ziehenden Konsequenzen beraten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, für wann erwartet die Bundesregierung den Abschlussbericht dieser Kommission, sodass ich anschließend meine weiteren Fragen stellen kann?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, nach den jüngsten Äußerungen des Kommissionsvorsitzenden Volcker wird der Abschlussbericht Mitte 2005 und werden Teilberichte ab Anfang kommenden Jahres vorgelegt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Fragen liegen nicht vor. Dann schließe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Hartmut Koschyk auf: Von wann bis wann hat sich nach Kenntnissen der Bundesregierung der Ausländer R. a. I., der nach Medienberichten einer der Drahtzieher an dem Mord an Theo van Gogh sein, mit Unterbrechungen seit 1997 in Deutschland als Asylbewerber gelebt haben und als Wanderprediger und Drogenhändler zwischen Holland und Deutschland gependelt sein soll, in Deutschland mit welchem Aufenthaltstitel - bitte tabellarisch auflisten - aufgehalten?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Koschyk, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Ausländer reiste erstmalig im Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Er hielt sich nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen mit Unterbrechungen von Dezember 1994 bis etwa Juni 1998 und von Januar 2003 bis April 2004 in Deutschland auf. Sein Aufenthalt war lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens erfolgt kraft Gesetzes. Ihr liegt keine Behördenentscheidung zugrunde. Der Ausländer besaß zu keinem Zeitpunkt eine Aufenthaltsgenehmigung. Nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrags - klageabweisendes Urteil vom 18. Februar 1997 - war er vollziehbar ausreisepflichtig. Zur Prüfung eines später gestellten Asylfolgeantrags war die Abschiebung ausgesetzt. Seit Mai 2004 gilt der Ausländer als untergetaucht. Er wurde zur Festnahme im Schengen-Gebiet zur Fahndung ausgeschrieben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, treffen dann Pressemitteilungen, nach denen der Betreffende vor 1998 eine Duldung in Deutschland erhalten hat, nicht zu?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen: nein. So habe ich auch Ihre Frage beantwortet. Ich will ihr aber gerne noch einmal nachgehen. Ich kann Ihnen auch im Einzelnen auflisten, wie sich dieser Fall, was die Daten betrifft, darstellt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre nächste Zusatzfrage, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihren Angaben zufolge ist der Betreffende nach 1998 zeitweise wieder in Deutschland gewesen. In den Niederlanden - so jedenfalls die Aussagen des niederländischen Innen- und des niederländischen Justizministers - gehörte er zum Umfeld einer Terrorgruppe, gegen die die niederländischen Behörden seit 2002 ermittelt haben, weil man diese Terrorgruppe zum Umfeld des Terrornetzwerkes al-Qaida gezählt hat. Ist denn der Bundesregierung, als sich der Betreffende bis zum Jahr 2004 wieder in Deutschland aufgehalten hat, bekannt gewesen, dass er in den Niederlanden einer Gruppe angehört, gegen die von niederländischer Seite wegen eines terroristischen Umfeldes ermittelt worden ist?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, hier kommt es auf die genaue Datenlage an. Ich habe Ihnen geschildert, dass die betreffende Person zum ersten Mal im Jahr 1994 eine Einreise in das Bundesgebiet vornahm. 1996 gab es dann bei der Einreise aus den Niederlanden einen Aufgriff an der Grenze. Am 22. Juni 1998 erfolgte die Asylantragstellung in den Niederlanden unter Verwendung von Aliaspersonalien. Am 4. Januar 2003 erfolgte mit einem gefälschten niederländischen Reisepass eine Einreise aus den Niederlanden nach Deutschland. Am 3. Juni 2003 kam es zur Einreise nach Deutschland aus den Niederlanden, am 12. Oktober 2003 zur Ausreise in die Niederlande, am 17. Oktober 2003 zur Festnahme in den Niederlanden und am 12. November 2003 zur Überstellung aus den Niederlanden nach Deutschland aufgrund eines Wiederaufnahmeersuchens nach der so genannten Dublin-II-Verordnung. Zur Zusammenarbeit, zwischen der niederländischen und unserer Seite hinsichtlich der Erkenntnislage, nach der Sie gefragt haben, sage ich Ihnen: Einen ersten intensiven Austausch gab es, wenn ich mich richtig erinnere, Anfang 2003. Aber das exakte Datum - auch Sie haben sich im entsprechenden Gremium damit beschäftigt müsste ich nachschlagen. Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt, war das im Jahr 2003.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe schon zwei Zusatzfragen gestellt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das war Frage 8.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nein, das war Frage 7.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Entschuldigung. - Herr Kollege Grindel, Sie haben eine weitere Zusatzfrage zu Frage 7? - Bitte.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, das Netzwerk, dem dieser Mann zuzuordnen ist, wird nach Angaben des niederländischen Justizministers seit 2002 beobachtet. Insofern ist, wenn er 2003 in die Bundesrepublik überstellt worden ist, davon auszugehen, dass seitens der Niederländer entsprechende Hinweise gegeben worden sind. Ich möchte gerne wissen, in welcher Weise er von deutscher Seite in den Jahren 2003 und 2004 beobachtet wurde und wie es sein kann, dass er - offenbar ohne dass man die geringste Spur von ihm hat - untergetaucht ist.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Grindel, an dieser Stelle muss ich auf die Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am 1. Dezember 2004 verweisen. Ich denke, dass ich diese Frage in dieser Form und an dieser Stelle nicht beantworten kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gewalt, bitte.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die niederländische Polizei hatte - auch gestützt auf Presseberichterstattung - ermittelt, dass er im terroristischen Umfeld tätig war. In Deutschland wurde ihm die Auflage erteilt, alle drei Wochen bei der Ausländerbehörde vorstellig zu werden. Halten Sie diese lange Frist in einem solchen Fall für ausreichend?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich kann Ihnen nicht beantworten, ob das ausreichend ist, weil ich das, was Sie aus Pressemitteilungen zitieren, hier aufgrund des Vorganges nicht bestätigen kann; ich verweise noch einmal auf die besagte Sitzung. Ich will aber nicht ausschließen, dass das der Wahrheit entspricht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Meines Erachtens nein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Hartmut Koschyk auf: Was tut die Bundesregierung gegen den Imageschaden im Ausland, dass jetzt mit dem Verdacht im Mordfalle Theo van Gogh zum wiederholten Male im Zusammenhang mit islamistischen Terroranschlägen Spuren nach Deutschland führen, und warum ist es nach Kenntnis der Bundesregierung nicht gelungen - sofern erforderlich, bitte Auskunft bei den Ländern einholen -, den Asylantrag abzulehnen und den Ausländer R. a. I. in sein Herkunftsland abzuschieben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Asylantrag des Ausländers vom 12. Dezember 1994 wurde vom Bundesamt für die Anerkennung aus13374 ländischer Flüchtlinge bereits am 7. April 1995 abgelehnt, die dagegen erhobene Klage am 18. Februar 1997 rechtskräftig abgewiesen. Ebenso wurde ein Asylfolgeantrag vom 7. Januar 2003 bestandskräftig abgelehnt. Dem Ausländer wurde also zu keinem Zeitpunkt Asyl oder Abschiebeschutz gewährt. Eine Abschiebung war nicht möglich, da trotz wiederholter und intensiver Bemühungen der zuständigen Ausländerbehörde - in diesem Fall war das die Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises in Meschede - von der syrischen Botschaft keine Passpapiere zu erhalten waren. Die Bundesregierung kann aufgrund des Vorliegens dieses Falles keinen Imageschaden Deutschlands im Ausland feststellen. Ihr ist vielmehr bekannt, dass die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden international hohes Ansehen genießt. Die Anstrengungen der Bundesregierung bei der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung wurden in der Vergangenheit auch im Ausland immer wieder besonders gewürdigt. Selbstverständlich arbeiten die Sicherheitsbehörden Deutschlands und der Niederlande auch in dieser Angelegenheit intensiv zusammen. Davon konnten auch Sie sich überzeugen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, dass gegen diese Person, als sie nach Deutschland überstellt wurde, in den Niederlanden im Zusammenhang mit der vermutlichen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe ermittelt worden ist. Welche besonderen Maßnahmen haben die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder nach der Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Betroffenen seinerzeit angeordnet und welche sind tatsächlich durchgeführt worden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, es gab Maßnahmen; ich verweise, wie gesagt, auf die Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am - ich sehe noch einmal nach dem Datum - 1. Dezember 2004. Ich dachte, auch Sie hätten daran teilgenommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir müssen im Zusammenhang mit den Bemühungen der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder bei Personen, die vermutlich zum Umfeld terroristischer Vereinigungen gehören, bemüht sein, unsere Maßnahmen, wie wir mit solchen Personen umgehen, öffentlich darzustellen, um dem Vorwurf zu begegnen, wir wären hier zu nachlässig, und um einen Imageschaden der Bundesrepublik Deutschland im Ausland abzuwenden. Ich habe wirklich kein Verständnis, Herr Staatssekretär, dass Sie nicht in der Lage sind, zu sagen, wann welche Maßnahmen durchgeführt worden sind, nachdem er aus den Niederlanden nach Deutschland überstellt worden ist, und wie es dazu kommen konnte, dass er 1994 einfach untergetaucht ist, und immer auf ein entsprechendes Gremium verweisen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, es gab bestimmte Observationsmaßnahmen. Aber haben Sie bitte Verständnis, dass ich Ihnen an dieser Stelle keine Details dazu sagen kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Grindel, bitte.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie Sie gesagt haben, ist versucht worden, den Verdächtigen nach Syrien abzuschieben; man geht davon aus, dass er syrischer Staatsbürger ist. Das ist mehrfach gescheitert, weil Syrien nicht bereit war, Passersatzpapiere auszustellen; das ist eines der klassischen Probleme in dem ganzen Ausweisungs- und Abschiebungsgeschäft. Das Verhalten der syrischen Botschaft ist in einer ganzen Reihe von Fällen so, und zwar auch dann, wenn es um Leute geht, die in der Tat zum extremistischen Umfeld zu zählen sind. Was hat die Bundesregierung in der Vergangenheit getan, um Syrien hier zu einer etwas stärkeren Kooperation und zur Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung zu ermahnen, eigene Staatsangehörige zurückzunehmen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Grindel, Sie haben Recht: Mit Syrien ist es an dieser Stelle schwierig. Wir haben in dieser Frage bis in die jüngste Gegenwart hinein immer wieder Initiativen unternommen. Sie wissen vielleicht, dass es hier einen Botschafterwechsel gegeben hat. Auch diese Thematik ist an dieser Stelle aufgegriffen und aufgenommen worden; dort gehört sie hin. Wir haben mit viel Energie versucht, eine Veränderung herbeizuführen. Bisher hatten wir dabei keinen besonders großen Erfolg.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Niebel, bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Auffassung, dass Syrien ein Interesse daran hat, Personen, die zum islamistischen Umfeld gezählt werden, möglichst lange im Schengenbereich, also quasi in einer Außenstelle, verbleiben zu lassen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Niebel, dieses Interesse kann ich Ihnen von meiner Warte aus nicht bestätigen. Ich kann Ihnen nur das Ergebnis der Untersuchung bezüglich der Beschaffung von Ersatzpapieren bestätigen, wonach vorhin gefragt wurde: Es ist ausgesprochen schwierig, wenn es sich um syrische Staatsbürger handelt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gewalt.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie die Aussagen der zuständigen Ausländerbehörde im Fall Issar gegenüber der Presse bestätigen, dass es sich hier keineswegs um einen Einzelfall handelt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Diese Aussage kann ich nicht bestätigen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Albrecht Feibel auf: Wie ist der Entwicklungsstand des Beamtenpensionsfonds, Versorgungsfonds, und welchen Einfluss hatte die Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden auf diesen Fonds?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Feibel, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Errichtung des Versorgungsfonds ist Teil des Vorhabens zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes des Bundes, das sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Die Arbeitszeiterhöhung für Bundesbeamtinnen und -beamte ist zum 1. Oktober 2004 in Kraft getreten. Die hierdurch bewirkte Erhöhung der Arbeitskapazität soll über zusätzliche Stelleneinsparungen in Einsparungen bei den Personalausgaben umgesetzt werden. Die Einsparungen verbleiben bei den jeweiligen Ressorts und können gegebenenfalls zur Deckung der Zuführungen an den Versorgungsfonds verwendet werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Körper, sind die Erwartungen der Bundesregierung damit erfüllt worden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich weiß nicht, welche Erwartungen Sie mit Ihrer Frage ansprechen.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie hatten keine Erwartungen? Sie müssen doch Vorstellungen gehabt haben. Wenn die Bundesregierung einen Pensionsfonds einrichtet, dann hat sie doch bestimmte Erwartungen, wie sich ein solcher Fonds entwickelt und wie damit Probleme gelöst werden. Meine Frage lautet ganz einfach: Sind diese Erwartungen - vorausgesetzt, die Bundesregierung hatte welche - erfüllt worden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Zunächst einmal muss ich darauf antworten - das habe ich im Grunde genommen aber schon getan -, dass sich das Vorhaben Versorgungsfonds in der Ressortabstimmung befindet. Das heißt, dieses Vorhaben hat noch keine Gültigkeit und es wurde letztendlich noch nicht umgesetzt. Zum Zweiten weiß ich nicht, ob Sie sich mit dieser Frage schon ein bisschen näher beschäftigt haben. Die Vorstellungen bezüglich eines Versorgungsfonds sind so, wie es ihn im Lande Rheinland-Pfalz seit dem Jahre 1996 gibt. Dritte Bemerkung. Dort entstehen zusätzliche Kosten in einer Größenordnung von 22 bis 29 Prozent, die von der jeweiligen Laufbahn abhängen. Diese werden allein durch die Arbeitszeitverlängerung mit Sicherheit nicht finanzierbar sein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bis wann werden die Ressortabstimmungen abgeschlossen sein und können Sie ein Datum nennen, bis zu dem es einen realen Überblick über die Entwicklung gibt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Dafür müsste ich prophetische Gaben haben. Vonseiten des Bundesinnenministeriums bemühen wir uns, das relativ schnell und zügig zur Entscheidung zu bringen. Ich verrate Ihnen aber kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass es eine recht muntere und interessante Diskussion unter den Ressorts gibt, weil es bei der Frage, welche Personalentwicklung man sich vorstellt, auch um Geld geht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Erwin Marschewski werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung. Ich rufe nun die Frage 12 des Kollegen Dirk Niebel auf: Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung zur Nutzung oder Veräußerung von Bundeswehrliegenschaften, die geschlossen werden sollen, und sieht sie Kompensationen vor, um große Härten aufzufangen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Niebel, es liegt auch im Interesse der Bundesregierung, die aufgegebenen Militärflächen so schnell wie möglich einer Anschlussnutzung zuzuführen. Der Bund ist dabei auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Gemeinden angewiesen; denn diese haben es als Planungsträger in der Hand, selbst oder mit Unterstützung des Bundes, des jeweiligen Bundeslandes oder von Investoren Nutzungsvorstellungen zu entwickeln und in Planungsrecht umzusetzen, das die Entwicklungsmöglichkeiten der Region einbezieht. Die militärischen Liegenschaften sind in den Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen weiße Flächen. Das heißt, sie müssen zuerst einer bauleitplanerischen Ordnung zugeführt werden. Dabei beteiligt sich der Bund erforderlichenfalls an der Finanzierung von Machbarkeitsstudien und anderen planerischen Maßnahmen, damit alle Beteiligten zügig die notwendige Planungssicherheit erhalten. Bisher haben sich in der Konversion verschiedene Modelle bewährt, Fragen der städtebaulichen Entwicklung, der Erschließung, der Kaufpreisgestaltung, der Kaufpreisfälligkeit usw. im Hinblick auf eine angemessene Chancen- und Risikoverteilung mit den Gemeinden einvernehmlich zu regeln. Die strukturpolitische Verantwortung für die Bewältigung der Konversionsfolgen liegt vorrangig in der Verantwortung der betroffenen Länder und Gemeinden. Dabei können die Länder und die betroffenen Gemeinden auch vom Bund und der Europäischen Union zur Verfügung gestellte Fördermittel einsetzen. Ein zusätzliches Konversionsprogramm wird die Bundesregierung nicht auflegen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Könnte vielleicht meine zweite Frage schon aufgerufen werden, sodass ich danach meine Zusatzfragen stellen kann?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wenn Herr Staatssekretär einverstanden ist, können wir das machen.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Gern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich auch die Frage 13 des Kollegen Niebel auf: Wann erhalten die betroffenen Standorte eine offizielle Mitteilung über die geplante Strukturveränderung bzw. Schließung und das weitere Vorgehen, damit in den Kommunen konkrete Handlungsoptionen entwickelt werden können? Herr Staatssekretär Diller, bitte schön.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Diese Frage fällt eigentlich mehr in die Ressortzuständigkeit des BMVg, aber uns wurde die Beantwortung auferlegt. Mit der Umsetzung des neuen Struktur- und Stationierungskonzepts wird durch das Bundesverteidigungsministerium umgehend begonnen. Die dazu erforderlichen Realisierungspläne der Organisationsbereiche werden derzeit im Ministerium der Verteidigung erarbeitet und sollen Ende März 2005 vorliegen. Wie Sie wissen, soll die Umsetzung bis 2010 abgeschlossen werden. Es gibt unter anderem im Internet eine Veröffentlichung des Stationierungskonzeptes. Die Adresse liegt mir zwar vor, aber ich erspare mir ihre Nennung an dieser Stelle. Aufgrund dieser Veröffentlichung, aber auch aufgrund der politischen Debatte, die sich daran entzündet hat, sind die Kommunen bereits jetzt in der Lage, sich im Rahmen ihrer Planungshoheit auf die anstehenden Veränderungen vorzubereiten und alternative Nutzungskonzepte für die frei werdenden Liegenschaften zu entwickeln. Als Informationsquelle dazu dienen weiterhin die im Internet regelmäßig veröffentlichten Angaben über die Freigabe von Liegenschaften. Außerdem erfolgt wie bisher - nach den bisherigen Erfahrungen war das in der Regel zwei bis drei Jahre vor der Freigabe - rechtzeitig eine objektbezogene Freigabeankündigung durch die jeweilige zuständige Bundesvermögensverwaltung an die Gemeinde.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre erste Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Entnehme ich Ihrer Antwort zu Recht, dass die betroffenen Kommunen über die Schließung der Standorte in Form eines Schreibens der Bundesvermögensverwaltung, des Bundesverteidigungsministeriums - oder wer auch immer dafür zuständig ist - noch nicht offiziell informiert worden sind?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, das Bundesvermögensamt vor Ort ist erst dann zuständig, wenn die Liegenschaft frei gezogen ist. Erst dann wird diese Liegenschaft aus der Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums in die Zuständigkeit des allgemeinen Grundvermögens und damit in die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen übergehen. Insofern müssen Sie Ihre Frage an das Bundesverteidigungsministerium richten.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nun, ich frage die Bundesregierung. Die Bundesregierung entscheidet, wer auf die Frage antwortet. Sie selbst haben festgestellt, dass Ihnen die Beantwortung auferlegt worden ist. Lassen Sie mich die Frage anders formulieren: Halten Sie es nicht für ein Stück weit stillos, dass den jeweiligen Entscheidungsträgern vor Ort die sich verändernden Strukturen, von denen die Kommunen massiv betroffen sind, noch nicht einmal in Form eines offiziellen Schreibens zur Kenntnis gebracht werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich weiß aus meiner eigenen Heimatgemeinde, die ebenfalls von der Schließung der dortigen Garnison betroffen ist, dass sich beispielsweise der Kommandeur in der Öffentlichkeit dahin gehend geäußert hat, dass er sehr angetan gewesen sei, dass er vom Verteidigungsministerium rechtzeitig über die Schließung seiner Kaserne informiert worden sei.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das hätte den Oberbürgermeister wahrscheinlich auch interessiert. Eine weitere Zusatzfrage: Ist denn daran gedacht, wenn schon kein Konversionsprogramm aufgelegt wird, wie das früher bei Standortschließungen unter anderen Regierungen der Fall war, dass die Liegenschaften den betroffenen Kommunen wenigstens zu einem vergünstigten Preis angeboten werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, dass der Bund etwa 1992/93, als das damalige Konversionsprogramm auslief, den Ländern unter anderem deshalb - da gab es ein ganzes Paket von Maßnahmen - einen Anteil an der Umsatzsteuer in Höhe von zwei Prozentpunkten überlassen hat. Die Frage nach dem günstigeren Preis stellt sich nicht, weil wir nach der Bundeshaushaltsordnung gehalten sind, den Verkehrswert zu ermitteln und auf der Basis des Verkehrswerts mit den Kommunen zu verhandeln.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ganz konkret würde mich interessieren, wie zum Beispiel die Große Kreisstadt Horb am Neckar, die überproportional hart von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Schließung betroffen wird, unterstützt werden kann, wenn sie ihre Liegenschaften überplanen möchte und das nur mit einem vernünftigen Gewinn für die Kommune kann, wenn der vergünstigte Preis gewährt wird. Sehen Sie nicht eine Aufgabe der Bundesregierung darin, die Verwerfungen der Strukturveränderungen wenigstens auf diesem Wege etwas abzufedern?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, der Oberbürgermeister von Horb am Neckar wird morgen hier sein und unter anderem mit dem Kollegen Kolbow vom Bundesverteidigungsministerium und mit mir über seine Betroffenheit und die Lösungsmöglichkeiten diskutieren. Für meine Heimatgemeinde muss ich sagen: Wir sind ungleich härter betroffen; denn Horb hat bestimmt mehr als 6 000 Einwohner. In Horb geht es um 540 Dienstposten, bei uns um 750. Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, Sie auf folgende Möglichkeiten hinzuweisen, die es nach wie vor gibt: Erstens. Wir fördern die Baureifmachung unter anderem durch die finanzielle Beteiligung an Machbarkeitsstudien oder Nutzungskonzepten bis hin zur Bauleitplanung. Wir erwarten die Refinanzierung des Bundesanteils durch entsprechend höhere Verwertungserlöse. Zweitens. Es kann vor In-Kraft-Treten eines Bebauungsplans verkauft werden. Dabei werden finanzielle Regelungen - Nachzahlungen, Erstattungen - für den Fall planungsbedingter Wertveränderungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums als Interessenausgleich zwischen dem Bund und dem Käufer getroffen. Drittens. Der Bund ermöglicht Zahlungserleichterungen wie zum Beispiel ein Hinausschieben der Kaufpreisfälligkeit oder die zinspflichtige Stundung des Kaufpreises über mehrere Jahre mit moderaten Zahlungen. Viertens. Der Bund schließt mit der Kommune einen städtebaulichen Vertrag, wonach er sich an den Erschließungs- und Entwicklungskosten auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Planungs- und Baurechts sowie einer entsprechenden Kosten- und Erlösprognose maßgeblich beteiligt. Dabei erwartet der Bund eine Refinanzierung über den Kaufpreis. Fünftens. Die Kommune erwirbt die Fläche vom Bund und vermarktet sie selbstständig. Sind bauleitplanerische Vorbereitungen, Sanierungen, Entwicklungen der Liegenschaft notwendig, kann an Kommunen oder von ihnen getragene Gesellschaften oder Treuhänder zunächst gegen eine moderate Anzahlung verkauft werden. Der erst nach der Weiterveräußerung an den Bund auszukehrende Kaufpreis wird aus dem Weiterveräußerungserlös abzüglich einer angemessenen Beteiligung des Bundes an den Erschließungs-, Entwicklungs- und Folgekosten ermittelt. Das ist ein Teil des Instrumentenkastens, den wir gegenwärtig haben. Die einzelnen Instrumente können wir auch kombinieren. Wir haben damit in der Zwischenzeit viel Erfahrung. Alle Gemeinden sind sehr zufrieden mit dem, was wir anbieten können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Pau, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund, dass zur Verfügung stehende EU-Konversionsprogramme an die Existenz oder Auflage von nationalen Konversionsprogrammen gebunden sind, und nachdem Sie vorhin ausgeführt haben, dass die Kommunen EU-Konversionsmittel nutzen sollen, um bestimmte Härten auszugleichen, frage ich Sie, wie die Kommunen diese EU-Mittel abrufen sollen, wenn Sie nicht vorhaben, ein weiteres nationales Konversionsprogramm aufzulegen.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, wir haben bereits dem Kollegen Austermann mit Datum vom 28. Oktober mitgeteilt, ({0}) dass die Länder und Kommunen Förderinstrumente einsetzen können, die der Bund und die Europäische Union mitfinanzieren. Dazu gehören die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, der Europäische Strukturfonds - das wären in diesem Fall der ESF bzw. EFRE - und die Städtebaufördermöglichkeiten. Ich habe mir vom Wohnungsbauministerium heraussuchen lassen, welche Kommunen und militärischen Liegenschaften in meinem Bundesland gegenwärtig aus Städtebaufördermitteln in ihrer strukturellen Umwandlung gefördert werden. Es geht um eine Entscheidung vor Ort seitens der Länder. Sie müssen entscheiden, mit welchen Instrumenten sie ihrerseits an die Aufgabe herangehen und die Gemeinden unterstützen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da meine Wortmeldung etwas zurückliegt und Sie zu dem Zeitpunkt die zusätzlichen Möglichkeiten noch nicht erwähnt hatten - wobei ich aus Erfahrung weiß, dass es solche zusätzlichen Möglichkeiten gibt -, frage ich Sie: Übertrumpfen Sie frühere Bundesregierungen in ihrem Bemühen, den durch Standortschließungen sehr stark betroffenen Kommunen zu helfen und sie zu unterstützen, indem Sie den Katalog vielleicht noch ausweiten?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, Sie waren selbst in der Funktion des Parlamentarischen Staatssekretärs Mitglied der vorigen Bundesregierung und kennen die Details. Ich war damals in der Opposition und habe mich vehement beispielsweise dafür eingesetzt, die Verkehrswertermittlung dadurch zu beschleunigen, dass wir nicht erst abwarten, bis die Angaben seitens der Länder vorgelegt wurden. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel waren die Staatsbauämter des Landes für die Verkehrswertermittlung bei Liegenschaften zuständig, mit der Folge, dass ihre Kapazitäten so schnell ausgelastet waren, dass jede frei werdende Liegenschaft erst nach einem Dreivierteljahr oder noch später zur Begutachtung kommen konnte. Damals habe ich vorgeschlagen, die Liegenschaften auszuschreiben und den Markt darauf zu testen, welchen Verkehrswert sie haben könnten; dann würde immer noch die Möglichkeit bestehen, nach den jeweiligen Grundregeln zu schätzen, ob das ungefähr mit dem übereinstimmt, was man fordern müsste. Das ist schließlich umgesetzt worden. Insofern besteht eine gute Kontinuität des gemeinsamen Bemühens Ihrerseits und mir, damals aus der Opposition heraus.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Klaus Hofbauer sowie die Fragen 16 und 17 des Kollegen Fahrenschon und die Fragen 18 und 19 des Kollegen Albert Rupprecht werden schriftlich beantwortet. Deshalb schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen und bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Staatssekretär Diller für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Beantwortung der Fragen übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt. Die Frage 20 des Kollegen Hans-Joachim Otto wird schriftlich beantwortet. Deswegen rufe ich die Frage 21 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Hat die Bundesregierung einen Überblick darüber, wie unterschiedlich die Kommunen bei der Berechnung der Wohnkosten für Empfänger von Arbeitslosengeld II, ALG II, vorgehen, und gedenkt die Bundesregierung, von der in der Pressemitteilung Nr. 597 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 17. November 2004 angesprochenen Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Frau Präsidentin! Frau Kollegin Dr. Lötzsch, die Gewährung der Leistungen für Unterkunft und Heizung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Die Gewährung der Wohnkosten richtet sich nach den unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten. Die Kommunen verfügen über jahrelange Erfahrungen und Kompetenz bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung, auf die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zurückgegriffen wird. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Bei der Angemessenheitsprüfung wird immer der Besonderheit des Einzelfalles Rechnung getragen. Hierdurch können vertretbare Abweichungen von den vorgegebenen öffentlichen Kriterien gerechtfertigt sein. Ob die Kosten der Unterkunft angemessen sind, hängt von den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles ab, zum Beispiel von der Zahl der Familienangehörigen oder dem jeweiligen Alter der Betroffenen sowie von der Zahl der Zimmer, dem örtlichen Mietniveau und den Möglichkeiten des örtlichen Wohnungsmarktes. Da die individuelle Situation sehr viel besser vor Ort bewertet werden kann, beabsichtigt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit derzeit nicht, die Angemessenheit der Unterkunfts- und der Heizungskosten im Wege einer Verordnung zu regeln.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich bin über Ihre Auskunft etwas erstaunt; denn ich habe mich auf die Pressemitteilung Ihres Bundesministeriums - Nr. 597 vom 17. November 2004 - bezogen, in der es heißt, dass das Bundesministerium von einer Verordnungsermächtigung Gebrauch machen werde, wenn es zu der Auffassung gelange, dass es große Unterschiede gebe. Das setzt doch voraus, dass Sie sich einen Überblick verschaffen, wie die Kommunen die Sache handhaben, wie sie die Wohnkosten berechnen. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet. Ich bitte Sie, mir im Nachgang zu sagen, welche Kriterien Sie bei der Umsetzung einer Verordnungsermächtigung anlegen und wie Sie sich einen Überblick verschaffen wollen. Wenn Sie keinen Überblick über das haben, was in den Kommunen Praxis ist, können Sie die Sache auch nicht einschätzen und die Ankündigung einer Verordnungsermächtigung wäre dann - gelinde gesagt - nur zur Beruhigung der Betroffenen gedacht.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich kann nur wiederholen: Erstens. Es ist nicht daran gedacht, das im Wege einer Verordnung zu regeln. Zweitens. Wir glauben - zu Recht -, dass in diesen Fragen dezentral sehr viel besser zum Wohle der Menschen entschieden werden kann und dass die Kommunen über einen großen Erfahrungsschatz diesbezüglich verfügen. Drittens. Uns erreichen letztendlich nur solche Mitteilungen und Meldungen über sozusagen herausragende bzw. sehr strittige Fälle. Die von Ihnen angesprochene Presseerklärung ist so zu verstehen, dass das Bundesministerium - wenn es in größerem Umfange Beschwerden geben sollte - darüber nachzudenken hat, was es seinerseits tun muss, um gegenzusteuern. Anders ist diese Pressemitteilung nicht zu interpretieren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Dr. Lötzsch, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Eine kurze Vorbemerkung: Sie haben bei der Beantwortung meiner Frage so getan, als ob ich diese Pressemitteilung geschrieben hätte. Aber tatsächlich kommt sie aus Ihrem Hause.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Das stimmt.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, gehören nach Auffassung der Bundesregierung Wasserkosten zu den Wohnkosten?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wasserkosten gehören nach unserer Auffassung sicherlich zu den Wohnkosten. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung davon aus, dass Presseveröffentlichungen realitätsnah sind, wonach mit massenhaften Zwangsumsiedlungen in neue Wohnungen zu rechnen sei?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich glaube das nicht. Ich traue den Kommunen und den Verantwortlichen vor Ort sehr wohl zu, dass sie nicht nur menschlich und sozial verantwortlich handeln, sondern auch ökonomisch und betriebswirtschaftlich denken. In manch einem Fall wird sich in der Praxis das Überschreiten bestimmter Grenzwerte, die vorgegeben sind, im Vergleich zu den zu übernehmenden Umzugsund anderen Folgekosten sicherlich als hinnehmbar herausstellen. Streitfälle wird man zwar nie ganz ausschließen können. Aber ich bin sehr sicher, dass die Kommunen hier - großflächig - sehr verantwortungsbewusst vorgehen werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um die Verdrängung von regulären Stellen, zum Beispiel im Reinigungsgewerbe - „Berliner Zeitung“ vom 25. November 2004 -, durch 1-Euro-Jobs zu verhindern?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Frau Abgeordnete, im SGB II ist zur Umsetzung des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten vorgesehen, um für die erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen einen möglichst passgenauen Integrationsplan mit den notwendigen Eingliederungsinstrumenten zu erarbeiten. Eines dieser Instrumente ist die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten unter Fortzahlung des Arbeitslosengeldes II bei zusätzlicher Gewährung einer angemessenen Mehraufwandsentschädigung bei zusätzlichen und im öffentlichen Interesse liegenden Arbeiten nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II, von der Bundesregierung als „Zusatzjobs“ bezeichnet. Der Einsatz der Zusatzjobs und weiterer Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung des SGB II ist gegenüber anderen Eingliederungsleistungen, zum Beispiel Qualifizierungsmaßnahmen, nachrangig und soll nur erfolgen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige auch unter Einsatz dieser anderen Instrumente nicht in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Über den Einsatz von Zusatzjobs wird auf lokaler Ebene in eigener Verantwortung der Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen und optierenden Kommunen entschieden. Die Bundesregierung nimmt mit Besorgnis wegen möglicher Wettbewerbsverzerrungen die eine oder andere Entwicklung außerordentlich ernst. Dies gilt für das Reinigungsgewerbe genauso wie für andere Wirtschaftsbereiche oder auch für den öffentlichen Dienst. Die Bundesregierung geht davon aus, dass bei einem verantwortungsbewussten Einsatz von Zusatzjobs durch die Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen und optierenden Kommunen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden können. Dadurch, dass Zusatzjobs nur für im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten geschaffen werden dürfen, ist gesetzlich ausgeschlossen, dass es im Kernbereich erwerbswirtschaftlichen Handelns zu einer Verzerrung des Wettbewerbs kommen kann. In diesem Zusammenhang ist gut vorstellbar, dass die regional Beteiligten zur Klärung derartiger Fragen die Schaffung eines gemeinsamen Gremiums verabreden, zum Beispiel einen Beirat, in dem die Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen und optierenden Kommunen gemeinsam mit den Kammern, Fachverbänden, Gewerkschaften und anderen vertreten sind, um die verschiedenen Interessen frühzeitig auszugleichen. Die Bundesregierung wird die Entwicklung bei der Umsetzung der Zusatzjobs dennoch sehr aufmerksam beobachten, um beim Beschreiten neuer Wege nie ganz auszuschließende Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls rechtzeitig gegenzusteuern. Gegenwärtig sind der Bundesregierung derartige Fehlentwicklungen aber nicht bekannt, jedenfalls nicht im Sinne flächendeckender Fehlentwicklungen. Insoweit gilt zunächst, das In-Kraft-Treten des neuen Rechts zum 1. Januar 2005 abzuwarten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre erste Zusatzfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es gelte zunächst, das In-Kraft-Treten des neuen Rechts abzuwarten. Ich glaube, damit ist meine Frage nicht so richtig beantwortet worden. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es diese ersten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen, so genannte 1-Euro-Jobs, bereits seit einigen Wochen im Zuge einer Testphase gibt. ({0}) Sie haben gerade implizit gesagt, Ihnen seien keine flächendeckenden Verstöße gegen das Kriterium der Zusätzlichkeit bekannt. Welche Einzelfälle sind dem Bundesministerium bekannt?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Es hat sicherlich Einzelfälle gegeben, die vor Ort zu prüfen sind. Wir können nach wie vor nur anempfehlen, dass jeder Fall, der auftaucht, in der hier angesprochenen Weise gelöst wird, indem man sich mit allen Beteiligten an einen Tisch setzt. Ich sage noch einmal: Wir haben überhaupt kein Interesse daran, dass solche Zusatzjobs etwa in den Kernbereichen wirtschaftlichen Handelns Verwendung finden. Das Gesetz ist hier sehr klar. Die Umsetzung desselben kann natürlich immer Grenzbereiche berühren. Da müssen wir Acht geben. Da verlassen wir uns in erster Linie auf die Verantwortlichen vor Ort. Wenn wir allerdings Meldungen hierüber erhalten, fassen wir sozusagen nach und bitten vor Ort noch einmal darum, dass solchen Fällen die entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich stelle einmal eine Frage aus der Sicht von Betroffenen. Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die solche Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, also 1-Euro-Jobs, wahrnehmen. Ich frage Sie, wie sich Ihrer Meinung nach eine Teilnehmerin an einer derartigen Maßnahme - so heißen die 1-Euro-Jobber - verhalten sollte, wenn Folgendes eintritt: Die Teilnehmerin ist im Pflegebereich eingesetzt und merkt, dass sie von der Pflegedienstleitung der Einrichtung im Pflegedienstplan als Vollzeitkraft eingeplant ist und bei Ausfall von ausgebildeten Kräften deren Arbeit voll leisten muss. An wen kann sich die Teilnehmerin an einer derartigen Maßnahme wenden, ohne gleichzeitig Gefahr zu laufen, diese Tätigkeit überhaupt nicht mehr ausüben zu können? Was wäre Ihr Rat?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich kann in diesem Zusammenhang nur Folgendes sagen: Wenn irgendwer eine Beschwerde hat, dann sollte er sich an die zuständige Arbeitsgemeinschaft oder Arbeitsagentur oder die optierende Kommune wenden und seinen speziellen Fall vortragen. Einen solchen Fall können wir natürlich nicht von hier aus bewerten und entscheiden. Ich möchte mich deshalb zu diesem Einzelfall - Sie wissen selbst: solche Einzelfälle sind meist sehr kompliziert und diffizil - auch nicht äußern. Ich kann nur den Ratschlag geben, das vor Ort mit den Verantwortlichen zu klären.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein Berliner Senator einmal den Vorschlag gemacht hat, auf dieser Basis auch arbeitslose Lehrer zusätzlich zu beschäftigen, weil das im öffentlichen Interesse ist - dieser Vorschlag ist wieder zurückgenommen worden -, muss man feststellen, dass die Kriterien „zusätzlich“ und „öffentliches Interesse“ zur Definition nicht wirklich ausreichend sind. Würden Sie mir zustimmen, dass derartige Beschäftigungsgelegenheiten, ohne dass Wettbewerbsverzerrungen befürchtet werden müssen, eigentlich nur in zwei Fällen möglich sind, nämlich erstens um die Arbeitsbereitschaft festzustellen, was nur einen relativ kurzen Einsatz erfordert, und zweitens um jemandem, der lange aus dem Erwerbsprozess heraus war, wieder an bestimmte Arbeitstugenden heranzuführen - nicht mehr, aber auch nicht weniger -, und dass vor diesem Hintergrund durch den Gesetzgeber dringend eine deutlichere Definition der Einsatzmöglichkeiten benötigt wird?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich kann Ihnen darin im Moment nicht zustimmen. Wir brauchen noch sehr viel mehr Erfahrungen. Ich will nicht ausschließen, dass wir aufgrund der praktischen Erfahrungen an bestimmten Stellschrauben drehen müssen. Aber im Moment läuft dieses Projekt erst an. Wir müssen schauen, ob es sich in der Praxis unter den gegebenen gesetzlichen Bestimmungen bewährt. Die Konstruktion ist ja bewusst so gewählt worden, dass vor Ort in den Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen und Kommunen Fantasie entwickelt werden soll, um solche Arbeitseinsätze zu ermöglichen. Hierbei kann man immer nur am praktischen Beispiel prüfen und nicht nur von der theoretischen Seite her. Deshalb haben wir von vornherein auch keine Begrifflichkeit gewählt, die die Fantasie schon vorab einschränken würde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, und zwar der Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, das mit der Fantasie scheint im Moment schon sehr gut zu funktionieren. Mich interessiert, welche Vorkehrungen die Bundesregierung trifft, damit in sensiblen Bereichen, wo es auch darum geht, Beziehungen zu Menschen aufzubauen, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, zum Beispiel im Pflegedienst - dort hat sich meine Kollegin Lötzsch umgesehen - oder auch bei der Kinderbetreuung, Bildung und Erziehung, nicht Abstriche an der Qualität der Betreuungs- und Pflegearbeit dadurch zustande kommen, dass zur Deckung von personellen Engpässen, zum Beispiel in der nächtlichen Betreuung von Pflegefällen, unqualifiziertes Personal eingesetzt wird.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich möchte dazu den Hinweis geben, dass gerade im Pflegebereich auch bereits zuvor sehr unterschiedlich ausgebildete Kräfte im Einsatz waren. Das Entscheidende ist, dass die vorgegebenen Schlüssel für qualifiziertes bzw. durch praktisches Handeln vor Ort eingewiesenes Personal nicht einseitig verändert werden dürfen; denn damit ginge ja eine qualitative Verschlechterung der Betreuung einher. Darauf muss man also achten. Diejenigen, die vor Ort tätig sind, tragen dafür die Verantwortung. Zugleich will ich aber darauf verweisen, dass gerade auch im Pflegebereich derartige Personen eingesetzt werden könnten, da sie hier ganz im Sinne des Gesetzes einen öffentlichen Auftrag erfüllen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir gleich zur Frage 23 der Kollegin Pau: Trifft es zu, dass Bescheide für Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, SGB II, mit der Rechtsbehelfsbelehrung verschickt werden, dass Widersprüche erst ab dem 1. Januar 2005 eingelegt werden können bzw. erst ab diesem Zeitpunkt bearbeitet werden, und, wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage geschieht dies?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Präsident! Frau Kollegin Pau, es trifft zu, dass Bescheide mit der Rechtsbehelfsbelehrung verschickt werden, dass die Widerspruchsfrist von einem Monat am 1. Januar 2005 beginnt und dass zuvor eingehende Widersprüche auf diesen Termin wirken. Grund hierfür ist, dass die leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB II, wie zum Beispiel § 7 SGB II betreffend den Personenkreis der Anspruchsberechtigten, erst am 1. Januar 2005 in Kraft treten. Auch der auf der Grundlage der Übergangsvorschrift des § 65 a SGB II erlassene erste Bewilligungsbescheid kann somit erst ab dem 1. Januar 2005 seine vollständige rechtliche Wirkung als Verwaltungsakt entfalten und den Lauf der Widerspruchsfrist auslösen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja. - Ich möchte trotzdem wissen, warum man diesen Weg gewählt hat; er ist ja durchaus unüblich. Normalerweise bekommt man einen Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung und kann diesen Bescheid, der in die persönlichen Verhältnisse eingreift und auch Verluste für den Betroffenen bedeuten kann, sofort anfechten, um sich sozusagen einen anderen Status zu sichern.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich dieses Haus einig darin war, dass ab 1. Januar gezahlt werden soll. Um dies sicherzustellen, sind natürlich entspre13382 chende Vorläufe erforderlich. Das Gesetz selbst tritt aber erst zum 1. Januar 2005 in Kraft. Dies ist zugegebenermaßen vielleicht nicht der übliche Weg. Wir sind aber im Moment in einer Phase, in der wir auch mit unüblichen Maßnahmen die Modernisierung dieses Standortes vorantreiben müssen. Ich glaube, dass es wichtiger und richtiger ist, zunächst einmal am 1. Januar zu beginnen und dann diese Widersprüche abzuarbeiten. Mir ist zugesichert worden - ich war zum Beispiel heute bei der Arbeitsagentur in Berlin -, dass dann sehr schnell solche Widersprüche bearbeitet werden und gegebenenfalls auch mit Abschlagszahlungen gearbeitet wird, um der entsprechenden Person und ihrem Anliegen Rechnung zu tragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Da wir ja heute immer wieder über Einzelfälle reden, möchte auch ich auf einen Einzelfall aus meinem Wahlkreis eingehen. In diesem Fall verstehe ich das Vorgehen der Bundesagentur für Arbeit nämlich überhaupt nicht. Es kommt bei der Eingabe der Daten - das ist bei der Arbeitsbelastung völlig verständlich - sowohl bei der Arbeitsagentur als auch in den Sozialämtern an der einen oder anderen Stelle natürlich einmal zu Versehen in Form von Zahlendrehern oder anderem. Die Bundesagentur soll, so das Sozialamt meines Wahlkreises, angewiesen haben, dass solche offensichtlich fehlerhaften Bescheide, die auch durch die zuständigen Bearbeiter als solche eingeschätzt werden, nicht vor dem 1. Januar korrigiert werden dürfen. Das heißt also, dass auch ein derartiger fehlerhafter Bescheid erst am 1. Januar angefochten werden kann, was zur Folge hat, dass Menschen, die ganz offensichtlich Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, jetzt erst einmal leer ausgehen und wahrscheinlich einen Monat überbrücken müssen. Wie wird eine solche Handlungsweise begründet? Es wäre doch ein Einfaches, so etwas zu heilen.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ihre Frage kann ich, wie solcherlei praktische Fragen überhaupt, natürlich von hier aus nur schwer beantworten. Ich bin gerne bereit, mir diesen Fall von Ihnen vorlegen zu lassen. Gegebenenfalls, wenn es sich tatsächlich um einen Übertragungsfehler oder Ähnliches handelt, würden wir schauen, ob man hier eine Korrektur vornehmen kann. Ich finde, hier gilt es, unbürokratisch vorzugehen, wenn es möglich ist. Sollte sich allerdings herausstellen, dass andere Gründe vorliegen, dann können wir natürlich keine Abhilfe schaffen. Aber wenn es so, wie von Ihnen dargelegt, sein sollte, will ich mich gerne in den Dienst der Sache und der Person stellen und wir wollen sehen, dass wir das Problem lösen können, damit niemandem Nachteile entstehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 24 der Kollegin Pau: Inwieweit stehen Studentinnen nach Auffassung der Bundesregierung grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und haben daher Anspruch auf ALG II und inwieweit wird vor diesem Hintergrund künftig allein erziehende Studentinnen Mehrbedarf gewährt, der an die Auszahlung von ALG II gekoppelt ist?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Präsident! Frau Kollegin Pau, das Bestehen von Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ist keine Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld II. Vielmehr erhält bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen derjenige Arbeitslosengeld II, der erwerbsfähig und hilfebedürftig ist, also grundsätzlich auch eine allein erziehende Studentin. Allerdings haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, im Regelfall keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Hierzu gehört auch die Ausbildung an einer Hochschule. Dieser Anspruchsausschluss umfasst aber nur die Leistungen, die mit den im Rahmen des BAföG zu gewährenden Bedarfen abgedeckt sind: Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Leistungen für Unterkunft und Heizung. Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt - das ist § 21 SGB II - sind nicht durch das BAföG abgedeckt. Daher können solche auch für Personen gewährt werden, die im Übrigen nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes haben. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz. Unabhängig von der Möglichkeit der Gewährung eines Mehrbedarfs bei Alleinerziehung wird einer allein erziehenden erwerbsfähigen Studentin im Regelfall keine Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung zumutbar sein. Sie kann insoweit bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit einen wichtigen Grund im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II geltend machen. ({0}) - Das war sicher vollumfassend erhellend.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollegin Pau?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

So umfassend nun auch nicht; ich habe jedenfalls noch eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. Nachdem wir die Regelung in Bezug auf den Mehrbedarf für die Mütter geklärt haben, nun zu den Mehrbedarfen für die Kinder. Bisher haben Mütter ja - zusätzlich zu den Mitteln für ihren eigenen Mehrbedarf - einen Mehrbedarfszuschlag für ihre Kinder bezogen. Das wird durch die so genannte familienpolitische Leistung für Geringverdiener abgelöst, die für die Kinder gezahlt wird. Allerdings ist der Bezug eines Mehrbedarfszuschlags für die Kinder nach dem Hartz-IV-Gesetz auf drei Jahre beschränkt. Ein Studium dauert, selbst wenn sich die Mutter sehr bemüht, im Allgemeinen etwas länger als drei Jahre. Wie wird also der Mehrbedarf für die Kinder nach Ablauf der drei Jahre in Zukunft geregelt? ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich höre gerade: Dann muss neu beantragt werden. Diese zeitliche Begrenzung ist Teil der gesetzlichen Regelung. Es wird im Einzelfall zu entscheiden sein, wie unter solchen Bedingungen ein Bescheid ausfallen kann. In jedem Fall ist zunächst einmal nicht vorgesehen, dass länger als diese drei Jahre gezahlt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Da aber diese familienpolitische Leistung die bisherige Sozialhilfeleistung für Kinder ablöst, stellt sich für mich die Frage, auf welche Art und Weise der Lebensunterhalt für die Kinder tatsächlich abgesichert werden soll. Denn wir sind uns sicherlich einig, dass das, was die allein erziehende Mutter mit BAföG und aufgrund ihrer Mehrbedarfe bezieht, nicht ausreichen wird, um auch die Bedürfnisse der Kinder vollständig abzudecken, wenn Sie das jetzt auf drei Jahre beschränken.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich hatte eben gesagt, dass die Unterstützung auf drei Jahre begrenzt ist. Gegebenenfalls muss im Einzelfall Weiteres entschieden werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, aus Ihren Antworten ist hervorgegangen - ich glaube, es ist Ihnen selber deutlich geworden -, dass sehr große Regelungslücken bestehen. Ich rege an - und frage Sie, ob Sie dieser Anregung folgen wollen -, diesen konkreten Fall zum Ausgangspunkt zu nehmen, um über eine Korrektur dieser Regelung nachzudenken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in der Bundesrepublik für jemanden mit einem Kind auch bei größtem Fleiß möglich ist, sein Hochschulstudium innerhalb von drei Jahren zu beenden. Wir wissen, dass sehr viele, auch wenn sie keine Kinder haben, wesentlich länger studieren.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Aber es gibt in der Bundesrepublik Deutschland glücklicherweise schon jetzt Studiengänge - ich nenne beispielsweise Studiengänge an den Fachhochschulen -, die auf eine Regelstudienzeit von drei Jahren ausgelegt sind. Man kann die Situation also nicht generalisieren. Deshalb habe ich ganz ausdrücklich gesagt, dass der Einzelfall betrachtet werden muss. Ich werde in dieser Angelegenheit gerne eine Prüfung anregen. Allerdings glaube ich, dass die Gesamtsituation durchaus vertretbar ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung. Die Fragen 25 bis 28 sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Daniel Bahr ({0}) auf: Weshalb geht die Bundesregierung davon aus, dass - so die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Marion CaspersMerk, in ihrer Antwort auf meine mündliche Frage 14 in der Fragestunde am 10. November 2004 - „… die Finanzreserven der Pflegeversicherung bis ins Jahr 2008 reichen“ - Plenarprotokoll 15/137, Seite 12554 C -, wenn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2004/05 darauf hinweist, dass die Rücklagen der sozialen Pflegeversicherung bereits bis Mitte des Jahres 2007 aufgebraucht sein könnten - „Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland“, Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2004/05, Seite 331 -, und wie ist diese Diskrepanz in der Berechnung nach Meinung der Bundesregierung zu begründen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Bahr, bei der Einschätzung der Finanzentwicklung in der Pflegeversicherung besteht keine Diskrepanz zwischen dem Sachverständigenrat und der Bundesregierung. Der Sachverständigenrat bezieht seine Aussage wahrscheinlich darauf, dass im Laufe des Jahres 2007 der Mittelbestand der Pflegeversicherung voraussichtlich 1,5 Monatsausgaben unterschreiten wird. Bei dem Betriebsmittelsoll handelt es sich allerdings nicht um eine Mindestreserve, die gesetzlich vorgeschrieben ist und die von den Pflegekassen zwingend vorzuhalten ist, sondern um das Maximum an Betriebsmitteln, die bei der Pflegekasse verbleiben dürfen. Darüber hinausgehende Mittel müssen die Pflegekassen im Finanzausgleichsverfahren an die Ausgleichsfonds abführen. Der Finanzausgleich der Pflegeversicherung funktioniert auch noch bei einem geringeren Mittelbestand. Dieser Mittelbestand wird in der aktuellen Finanzschätzung der Bundesregierung erst im Laufe des Jahres 2008 unterschritten. Daher bleibe ich bei meiner Aussage, dass wir durch die zusätzlichen Einnahmen - die Beitragszahler ohne Kinder werden stärker belastet; damit setzen wir ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts um - Zeit für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung gewonnen haben. Mit diesen Einnahmen in einer Größenordnung, so die Prognose, von 700 Millionen Euro kann das Defizit der Pflegekassen abgebaut werden. Das schafft Finanzsicherheit für die Pflegebedürftigen und auch für die Pflegedienstleister bis zum Jahr 2008.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Bahr.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für Ihre Darstellung. Der Sachverständigenrat hat deutlich gemacht, wie dringend eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung ist. Er hat angemahnt, keine Zeit zu verlieren. Wir dürfen uns also nicht ausruhen, nur weil wir durch die verkappte Beitragserhöhung in Form des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes Zeit gewonnen haben. Ich möchte Sie fragen: Wie viel Zeit haben wir noch für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung angesichts der Tatsache, dass spätestens bis zum Jahr 2008 - das ist Ihre Einschätzung - die Rücklagen so aufgebraucht sein werden, dass es zwangsläufig zu Beitragserhöhungen kommen muss?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Wir müssen zwischen der finanziellen und der strukturellen Situation der Pflegeversicherung unterscheiden. Ich sehe den Hauptänderungsbedarf in der strukturellen Situation der Pflegeversicherung. Denn in der jetzigen Struktur der Pflegeversicherung ist beispielsweise der Bereich der Demenzerkrankungen nicht ausreichend abgebildet. Wenn man hier strukturelle Veränderungen will, dann muss man auch sagen, woher die Mittel kommen sollen. Bei der derzeit angespannten finanziellen Lage der Pflegekassen haben wir im Augenblick keine Möglichkeit, mehr Leistungen ohne eine Erhöhung der Beiträge zu organisieren. Deswegen war unser Ziel, in einer ersten Stufe die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts mit der finanziellen Konsolidierung der Pflegeversicherung zu verknüpfen, um dann in einem nächsten Schritt festzulegen, was noch verändert werden muss. Ich will an dieser Stelle sagen: Ich bin über den Beschluss der Ländersozialminister sehr froh. Die Arbeitsund Sozialministerkonferenz hat jüngst in Friedrichshafen bekräftigt, dass sie der Auffassung ist, dass ein Teil der Leistungen aus der Pflegeversicherung selbst erwirtschaftet werden soll, wenn es bei der Pflegeversicherung Reformen geben soll. Das ist ein wichtiger Aspekt für gemeinsame weitere Gespräche. Wir haben in einem ersten Schritt finanziell konsolidiert. Wir müssen in einem zweiten Schritt die Pflegeversicherung umgestalten und nachhaltig verändern. Im Hinblick auf diese Nachhaltigkeit werden wir darüber diskutieren müssen, was dieser Gesellschaft die Pflege wert ist. Denn das hat natürlich Konsequenzen für die Pflegeversicherungsbeiträge. Aber Sie fragen jetzt nach dem dritten Schritt, bevor der zweite getan ist. Einen ersten Umsetzungsschritt haben wir gemacht. Ich habe dazu auch an dieser Stelle schon Antworten gegeben. Es gibt derzeit einen runden Tisch gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Vorschläge zur Entbürokratisierung und zur Umsetzung zum Beispiel von moderneren Personalmanagementstrukturen werden die nächsten Schritte sein, die wir Ihnen vorstellen werden. Wir werden zu gegebener Zeit die Gesetzgebungsverfahren hierzu einleiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Ihr Ziel, in dieser Legislaturperiode noch etwas im Bereich der Entbürokratisierung zu unternehmen, findet die Unterstützung vieler. Dennoch ist eine Entbürokratisierung noch keine Leistungsausweitung bzw. Leistungsverbesserung. Sie haben eben gesagt, dass Sie das Kinder-Berücksichtigungsgesetz und seine verkappte Beitragserhöhung dazu benötigt haben, finanziellen Spielraum für Leistungsverbesserungen zu erhalten. Ich frage Sie daher - denn wir haben ja, obwohl das Kinder-Berücksichtigungsgesetz eine Einnahmeverbesserung darstellt, im nächsten Jahr immer noch ein Defizit von 300 Millionen Euro und dieses Defizit wird in den Folgejahren wachsen; das heißt, wir haben in der Pflegeversicherung erwartungsgemäß keine Überschüsse -: Werden Sie deshalb die Zusatzeinnahmen, die sich aus dem Kinder-Berücksichtigungsgesetz ergeben - es sind meines Wissens 700 Millionen Euro -, für Leistungsverbesserungen noch in dieser Legislaturperiode nutzen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sie greifen damit Ihrer nächsten Frage vor, in der Sie nach der Einnahme- und Ausgabensituation der nächsten Jahre fragen. Ich weiß nicht, ob mir die Frau Präsidentin schon jetzt, bevor Ihre nächste Frage aufgerufen worden ist, eine Antwort darauf erlaubt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Staatssekretärin, die Präsidentin ist schon seit einer halben Stunde nicht mehr hier.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Entschuldigung, Herr Präsident. Da sehen Sie, wie intensiv ich mich mit meinen Antworten beschäftige.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das ist gut so; das erwarten wir. Dann rufe ich die Frage 30 des Abgeordneten Daniel Bahr auf: Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Defizite der sozialen Pflegeversicherung für die folgenden Jahre unter Berücksichtigung der Zusatzeinnahmen durch das Kinder-Berücksichtigungsgesetz?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Es geht dabei um die Prognosen. Die aktuellen Prognosen sehen zunächst einmal so aus, dass wir in diesem Jahr mit einem Defizit in der Größenordnung von circa 910 bzw. 920 Millionen Euro rechnen. Wir haben prognostiziert, dass wir dann, wenn man die Einnahmesituation dieses Jahres zugrunde legt und man die Prognosen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Entwicklung heranzieht - wir müssen ja immer die aktuellen Wachstumsdaten zugrunde legen -, im Jahr 2005 mit einem verringerten Defizit in der Größenordnung von 300 Millionen Euro rechnen müssen. Ohne die Einnahmen infolge des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes läge das Defizit bei knapp 1 Milliarde Euro. Wenn das so wäre, dann würden wir hier nicht über Leistungsverbesserungen reden, sondern über die Frage: Wie können wir die Pflegekassen so sanieren, dass sie überhaupt in der Lage sind, ihre Aufgabe zu erfüllen? Wir sehen die Konsolidierung als ersten Beitrag an; erst danach kann man über Strukturveränderungen reden. Sie haben aber auch nach der weiteren Entwicklung gefragt. Für das Jahr 2006 rechnen wir derzeit aufgrund der Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung mit einem Defizit von cica 550 Millionen Euro. In den Jahren 2007 und 2008 wird sich das Defizit auf circa 700 Millionen Euro belaufen. Leistungsverbesserungen müssen also, wenn daran gedacht wird, im Rahmen der Pflegeversicherung selbst erwirtschaftet werden. Ich möchte dazu noch einen Hinweis geben: Sie wissen, dass das Thema „medizinische Behandlungspflege“ im Zusammenhang mit dem GKV-Modernisierungsgesetz auf das Jahr 2007 verschoben wurde. Das war Bestandteil des Konsenses. Wir haben heute im Fachausschuss darüber diskutiert. Natürlich ist es möglich, Pflegeleistungen zu verbessern, indem die Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege von der GKV getragen wird. Im Jahr 2007 besteht dann die Möglichkeit, mit diesen Verbesserungen auch Strukturveränderungen vorzunehmen. Das ist aber noch nicht inhaltlich diskutiert worden. Dies müssen wir miteinander erörtern. Dazu haben wir ausreichend Zeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre erste Zusatzfrage, bitte.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Sachverständigenrat hat deutlich gemacht, dass, bevor wir über Verbesserungen auf der Leistungsseite diskutieren, angesichts der Finanzierungsrestriktion eine grundsätzliche Reform der Pflegeversicherung dringend ansteht. Der Sachverständigenrat gibt also ein klares Plädoyer dafür ab, zunächst die Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung zu lösen und sich erst dann über Leistungsverbesserungen zu unterhalten. Teilen Sie diese Einschätzung, Frau Staatssekretärin? Wann können wir vonseiten der Bundesregierung mit einer grundlegenden Reform der Pflegeversicherung, die auch die Finanzierungsbasis umfasst, rechnen? Könnte dies noch in dieser Legislaturperiode der Fall sein?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, es gibt derzeit unterschiedliche Konzepte für eine grundlegende Finanzreform der sozialen Sicherungssysteme, die sowohl in diesem Hause als auch an anderer Stelle diskutiert werden. Es gibt unterschiedliche Positionen der Parteien bzw. Fraktionen. Während die einen eine Privatisierung mit Aufbau von Altersrückstellungen wollen, verfolgen die anderen das Konzept der Kopfpauschale und Dritte das Konzept der Bürgerversicherung, das eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage und damit eine Einnahmeverbesserung erlaubt. Dies ermöglicht es auch, eine strukturelle Veränderung vorzunehmen. Ob man alles gemeinsam umsetzt oder Schritt für Schritt vorgeht, muss entschieden werden. Wir haben unser Konzept vorgelegt. Wir wollen, wie gesagt, als ersten Schritt die finanzielle Konsolidierung. Als Nächstes gehen wir das Thema der Entbürokratisierung an, danach die Themen, die uns auf den Nägeln brennen, zum Beispiel die Personalstruktur und ihre Bemessung, und dann strukturelle und finanzielle Veränderungen. An dieser Reihefolge wollen wir festhalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte schön.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine zweite Zusatzfrage: Frau Staatssekretärin, wie stehen Sie zur Verlautbarung Ihres Koalitionspartners Bündnis 90/Die Grünen, der gesagt hat, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu einer grundlegenden Reform der Pflegeversicherung kommen muss?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich weiß nicht, worauf sich Ihre Äußerung bezieht. Mir liegen derzeit, zumindest offiziell, keine solchen Anträge aus den Reihen der Regierungskoalition vor. Für Presseberichterstattungen sind weder Sie noch ich verantwortlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke zur Verfügung. Die Fragen 31 und 32 sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zu Frage 33 der Kollegin Renate Blank: Wer war von der Bundesregierung zur Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung „Traffic“ im BMVBW eingeladen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Sehr geehrte Frau Kollegin Blank, insgesamt wurden rund 1 600 Personen eingeladen, darunter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Mitglieder des Deutschen Bundestages, Mitglieder der Landtage, Mitglieder der Bundesregierung und von Landesregierungen, aber auch Repräsentanten von Unternehmen, Medien, Vereinen und Verbänden sowie sozialen Einrichtungen. Zur Ausstellungseröffnung erschienen rund 400 Personen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Frau Blank, bitte schön.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Kosten in Höhe von 86 230 Euro aufschlüsseln? Was wurde für den Künstler ausgegeben, was für den Katalog und die Hochglanzbroschüre? Wie hoch waren die Kosten für die Vergrößerung und warum war diese erforderlich?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Blank, die genaue Kostenaufstellung liegt mir jetzt nicht vor. Die Gesamtkosten von 86 230 Euro enthalten zu einem ganz erheblichen Teil die Positionen, die Sie genannt haben, also die Kosten für die Herstellung des Ausstellungskatalogs und für die Ausstellungsfotos.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wann wurde der Vertrag zwischen dem Künstler und dem BMVBW über die Ausstellung und die anschließende Verwendung der Bilder abgeschlossen und wer hat, neben dem Künstler, den Vertrag unterzeichnet?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Wir haben mit der Durchführung der Ausstellung das bei uns für Messen und Ausstellungen zuständige Referat beauftragt. Dieses Referat bediente sich dazu einer Veranstaltungsagentur. Dies geschah auf der Grundlage eines Rahmenvertrages, der aufgrund einer Ausschreibung zustande gekommen ist. Die ausgestellten Bilder sowie Restbestände des Katalogs befinden sich im Eigentum des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Mit dem Künstler wurde vereinbart, dass die Ausstellungsbilder und die dazugehörigen Kataloge interessierten öffentlichen Stellen und sozialen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Mit den künftigen Ausstellern werden Vereinbarungen über Transport und Haftung getroffen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Nitzsche.

Henry Nitzsche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003601, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gibt es in Ihrem Haus eine Förderung von Kunstprojekten in vergleichbarer Größenordnung? Wie wir gehört haben, waren es ja über 86 000 Euro.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Nitzsche, aufgrund der Frage der Kollegin Blank wurden die vermeintlich hohen Kosten verifiziert. Sie wissen, dass man bei Ausstellungen nicht pauschal beurteilen kann: Was ist teuer? Was ist weniger teuer? Das wird Ihnen die Kollegin Blank, die ja im Kunstbeirat sitzt, bestätigen können. Wir haben die Frage der Kollegin Blank zum Anlass genommen, zu überprüfen, ob die Mittel wirtschaftlich verausgabt worden sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Habe ich es richtig verstanden, Frau Staatssekretärin, dass es keine öffentliche Ausstellung war, dass vielmehr beabsichtigt war, nur einmal die Öffentlichkeit einzuladen, sodass sich sonst niemand die Ausstellung ansehen kann? Wurde dafür so viel Geld ausgegeben?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Nein, diese Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und sie steht, wie ich ausgeführt habe, selbstverständlich zur Verfügung, wenn Interessierte sie zeigen wollen. Es gibt da auch Kontakte. So soll die Ausstellung im kommenden Jahr in Rostock gezeigt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 34 der Kollegin Renate Blank: Wurde im Zusammenhang mit der Ausstellung eine vertragliche Regelung abgeschlossen, insbesondere im Hinblick auf eine konkrete Vereinbarung der weiteren Verwendung der ausgestellten Bilder?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Das war im Kern der Inhalt meiner Antwort auf die zweite Zusatzfrage der Kollegin Blank. Ich wiederhole sie: Das für Messen und Ausstellungen zuständige Referat wurde mit der Durchführung der Ausstellung beauftragt. Es bediente sich dabei einer Veranstaltungsagentur. Hierüber besteht ein Rahmenvertrag, der aufgrund einer Ausschreibung zustande gekommen ist. Die ausgestellten Bilder sowie Restbestände des Katalogs befinden sich im Eigentum des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Mit dem Künstler wurde vereinbart, dass die Ausstellungsbilder und die dazugehörigen Kataloge interessierten öffentlichen Stellen und sozialen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Mit den künftigen Ausstellern werden Vereinbarungen über Transport- und Haftungsfragen getroffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Blank, eine Zusatzfrage, bitte schön.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, dem Vernehmen nach beinhaltet der Vertrag, dass die Bilder nach der Ausstellung in das Eigentum eines Mitarbeiters des BMVBW, der ein Freund des Künstlers sein soll, übergehen sollen. Trifft dies zu?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Blank, Sie werden verstehen, dass ich Aussagen zu persönlichen Beziehungen weder bestätigen noch dementieren kann. Und was den schriftlichen Vertrag angeht: Den gibt es nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Frau Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es ist bei solchen Veranstaltungen etwas unüblich, keinen Vertrag abzuschließen, zumal es - wie Sie gesagt haben - einen Rahmenvertrag gibt. Meine Frage - auch wenn Sie, Frau Staatssekretärin, sagen, dass es keinen Vertrag gebe - lautet: Gab es nachträgliche Vertragsänderungen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Blank, ich habe Ihnen geschildert, dass mit dem Künstler vereinbart worden ist, die Ausstellung weiterhin zu zeigen. Die Ausstellung befindet sich im Eigentum des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen und wird auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Wir überprüfen an dieser Stelle, ob alle haushaltsrechtlichen Vorschriften und Verfahrensregeln eingehalten worden sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Nitzsche.

Henry Nitzsche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003601, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gibt es in Ihrem Ministerium Pläne, in welchen öffentlichen oder sozialen Einrichtungen die Bilder nach der Präsentation bei Ihnen im BMVBW gezeigt werden, und ist dies bereits vertraglich zugesichert?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich habe vorhin schon gesagt, dass die Ausstellung im September nächsten Jahres in der Rathaushalle in Rostock gezeigt werden soll. Weitere konkrete Absprachen sind noch nicht getroffen, aber es gibt Kontakte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, hat es bisher irgendeine Art von Medienbegleitung gegeben? Da es sich um eine öffentliche Ausstellung handelt, möchte man darüber auch etwas lesen oder hören.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich habe bereits gesagt, dass zum Kreis der Geladenen bei der Ausstellungseröffnung auch Medienvertreterinnen und -vertreter gehörten, die, soweit ich weiß, auch anwesend waren. Ansonsten ist die Ausstellung in den öffentlichen Räumen des Ministeriums gezeigt worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Zeit für die Fragestunde ist nahezu abgelaufen. Deswegen beende ich die Fragestunde jetzt. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte Die Demokratie in der Ukraine festigen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Gernot Erler von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zum zweiten Mal innerhalb einer Woche über die Vorgänge in der Ukraine. Das ist neu. Das hat es bisher noch nicht gegeben. Das ist eine Premiere. Die ganze Welt schaut im Augenblick auf die Ukraine. Dieses Land tritt auf einmal auf eine Bühne, auf der es bisher noch nie war. Dieses Land handelt plötzlich selber, spricht selber, aber nicht in der Weisheit seiner Führung, sondern mit den Stimmen vieler Tausender, die nicht mehr schweigen und dulden wollen. Das ist ein faszinierender Vorgang, der unsere neugierige Aufmerksamkeit, unseren Respekt, ja unsere Bewunderung für so viel Zivilcourage findet. Unsere Sympathie ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Landes. ({0}) Uns geht es schlicht darum, dass wir versuchen, im Sinne der Wahrung europäischer Werte zu helfen, damit so viel Mut, so viel persönliche Risikobereitschaft - übrigens auch so viel Disziplin und Umsicht - nicht mit einer Demonstration dumpfer Macht beantwortet wird, damit nicht mit faulen Tricks versucht wird, diese Bewegung ins Leere laufen zu lassen, sondern damit das Ganze mit einem fairen Ergebnis endet, das dem ganzen Land Ukraine hilft. Was ist das für ein Land, von dem wir hier sprechen? Ukraine heißt Land an der Grenze, Grenzland. Das spielt auf Mitteleuropa an und bedeutet auch immer, zwischen anderen, größeren Mächten eingeklemmt zu sein. Kein anderer hat das besser ausgedrückt als der derzeit populärste ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch in seinem Essay „Mittel-Ost-Revision“, aus dem ich eine kleine Passage zitieren möchte. Da schreibt er: Der Platz zwischen den Russen und den Deutschen ist die historische Bestimmung von Mitteleuropa. Die zentraleuropäische Angst schwankt historisch hin und her zwischen zweierlei Sorge: Die Deutschen kommen, die Russen kommen. Der zentraleuropäische Tod - das ist der Tod im Lager oder im Gefängnis, dazu kommt noch ein kollektiver Tod: Massenmord, Säuberung. Die zentraleuropäische Reise - das ist die Flucht. Aber von woher und wohin? Von den Russen zu den Deutschen? Oder von den Deutschen zu den Russen? Gut, dass es für alle Fälle noch Amerika gibt. Vielleicht ist das die kürzeste und prägnanteste Ortsbestimmung von Mitteleuropa und damit vom größten Land dort, der Ukraine. Das weist uns aber auch darauf hin, mit welcher Umsicht und Vorsicht wir auf die Vorgänge bei unserem Nachbarn reagieren müssen. Ich bin froh, dass man diese Sensibilität hier bemerken kann. Ich bin froh, dass Vertreter der EU, der polnische Präsident Kwasniewski, der litauische Präsident Adamkus und der Hohe Repräsentant und Generalsekretär der EU, Solana, jetzt schon zum zweiten Mal in der Ukraine sind, um ihre guten Dienste anzubieten. Ich finde, wir sollten ihnen für diese Bemühungen Dank sagen. ({1}) Auch bin ich froh, dass Außenminister Fischer deutlich gemacht hat, dass wir die Menschen und die Demokratie, nicht aber einen einzelnen Kandidaten unterstützen. Im Namen der Koalition und der SPD-Fraktion möchte ich Dank sagen und unsere volle Unterstützung für die Bemühungen des deutschen Bundeskanzlers zum Ausdruck bringen, der seine guten und freundschaftlichen Beziehungen zum russischen Präsidenten hilfreich genutzt hat. ({2}) Er hat zwei Telefongespräche mit ihm geführt, die jedes Mal ein gutes Ergebnis gebracht und in Moskau deutlich gemacht haben, dass das Prestige der russischen Politik auf dem Spiel steht. ({3}) Der Preis ist hoch. Präsident Putin hat auf dem EURussland-Gipfel in Den Haag davor gewarnt, dass sich andere in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischen. Allerdings ist vorher die ganze Welt Zeuge davon geworden, dass sich Russland ziemlich intensiv in den ukrainischen Wahlkampf eingemischt und dabei eine massive Kampagne gegen den Kandidaten Wiktor Juschtschenko organisiert hat, dem man sogar vorgeworfen hat, ein amerikanischer Agent zu sein. Das ist komisch; ich wusste noch nicht, dass sich ein amerikanischer Agent dadurch auszeichnet, dass er ankündigt, die 500 ukrainischen Soldaten alsbald vom Schauplatz Irak zurückzuziehen. In den letzten Tagen des Wahlkampfes haben wir auch demonstrative Besuche von Präsident Putin in der Ukraine beobachtet. Wir haben gesehen, dass, obwohl die Fälschungen offensichtlich waren, zweimal seine Gratulation an den angeblichen Sieger Janukowitsch erfolgt ist. Wir haben Respekt vor der - so nennt man es - strategischen Partnerschaft zwischen Russland und der Ukraine. Wir wissen, dass die Ukraine Hilfe aus Russland bekommt, zum Beispiel subventionierte Lieferungen von Energie. Auch wissen wir, dass 5 Millionen Ukrainer als Gastarbeiter in Russland tätig sind und dadurch wesentlich zu Wohlstand und Fortschritt in der Ukraine beitragen. Nach unserer Auffassung kann eine strategische Partnerschaft aber nicht heißen: Kumpanei mit einem Machtclan, der in der eigenen Bevölkerung keinerlei Kredit mehr hat. Sie kann auch keine Diskriminierung eines Kandidaten bedeuten, der im ersten Wahlgang in der eigenen Bevölkerung die überwiegende Zustimmung bekommen hat. Strategische Partnerschaft kann doch nur heißen: intensive Zusammenarbeit zweier souveräner Staaten; Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe. ({4}) Es stimmt übrigens: An einigen amerikanischen Schreibtischen sitzen Leute, die geopolitische Spiele aus dem Kalten Krieg im Kopf haben und die diese Präsidentenwahl tatsächlich zu einer Art Endspiel im Kampf um Einfluss und Einflusszonen in Mitteleuropa hochschreiben wollten. All denen - egal wo sie sitzen -, die davon ausgehen, die Ukraine sei ein Spielball anderer Mächte, sie sei Objekt der Politik und nicht Subjekt, rufen wir heute aus dem Plenum des Deutschen Bundestages zu: Ihr irrt euch! Schaut auf die Straßen von Kiew, von Charkow, von Lemberg, von Tarnopol und vielen anderen Städten! Die Menschen in der Ukraine sind fest entschlossen, Subjekt von Geschichte und Politik zu werden. Sie wollen nicht eingeklemmt bleiben und zerrieben werden, sie wollen endlich selber über ihren Weg bestimmen. Im 21. Jahrhundert kann die Ukraine nicht mehr Hinterhof von irgendwem oder passives Objekt irgendwelcher geopolitischen Spiele sein. Wir werden Partner dabei sein, diese Situation zu beenden und dieses von Jurij Andruchowytsch beschriebene Trauma zu überwinden. Meine Damen und Herren, es gibt keine politische Einmischung von uns - und es wird auch keine geben -, aber es gibt auf allen Ebenen Sympathie für die orangene Revolution. Zum Beispiel hat der Freiburger Gemeinderat gestern einstimmig, über alle Fraktionen hinweg, ein Unterstützungsschreiben an den Gemeinderat in Lemberg geschickt. Ich wünsche mir, dass so etwas „von unten“ vielerorts passiert. Das ist Sympathie mit Menschen, die nicht bereit sind, die groben Wahlfälschungen vom 21. November zu akzeptieren. Wir wissen und wir haben Belege dafür, welchen Umfang diese Wahlfälschungen angenommen haben: dass Wählerlisten gefälscht wurden, dass Busse mit Mehrfachwählern herumgefahren sind, dass Kisten mit vorab ausgefüllten Wahlzetteln gefunden wurden. In diesen Stunden treten vor dem obersten Gericht der Ukraine Zeugen auf, die von Hunderten von Wahlbezirken berichten, in denen eine Wahlbeteiligung von mehr als 100 Prozent festgestellt wurde. Es ist eindeutig: Diese Wahl kann nicht anerkannt werden. Kein Präsident, der nach einer solchen Wahl sein Amt antritt, kann irgendeine Autorität beanspruchen, weder in seinem eigenen Land noch bei uns. Der Konsens darüber wird breiter. Aber wir müssen auch erkennen, dass es nicht nur um diese Wahl geht; diese Wahl hat eigentlich nur ein Fass überlaufen lassen, das schon vorher voll war. Ich meine damit die Wahlkampagne, bei der die Anhänger von Wiktor Juschtschenko in unfairster Weise behindert wurden. Seine Flugzeuge konnten plötzlich nicht starten, seine Busse kamen nie an den Bestimmungsorten an. Man nennt das „die administrativen Ressourcen nutzen“. Es ist schon zynisch, dass nach dem unaufgeklärten Giftanschlag auf diesen Kandidaten, der sein Gesicht bekanntlich sehr entstellt hat, die Gegner sagten: Wie kann eigentlich jemand, der so aussieht, die Ukraine nach außen vertreten? Das ist blanker Zynismus. Es gab eine neue Studentenbewegung; sie heißt „Pora“, das heißt „Es ist Zeit“. Schon vor der Wahl sind viele der Studenten, die sich engagiert haben, die sich politisch betätigt haben, festgenommen worden. Sie sind bedroht worden, verhaftet worden, zum Teil aus den Universitäten ausgeschlossen worden. Übrigens gab es dafür ein Vorbild: Das war die Studentenbewegung im Jahr 2000 in Serbien; sie hieß „Vreme“, auf Deutsch auch „Es ist Zeit“. Es gab eine massive Einschüchterung und Vermachtung der Medien. Der einzige unabhängige Kanal der Ukraine ist der Kanal 5. Er ist immer wieder in seiner Arbeit behindert worden. Wir kennen die berühmten und berüchtigten „Temniki“, die Anweisungen des Chefs der ukrainischen Präsidialverwaltung, Wiktor Medwedtschuk, der den Medien jeweils im Detail vorschrieb, was zu berichten ist und was nicht. Wir haben großen Respekt vor den über 330 ukrainischen Journalisten, die schon vor dem Wahltag ihren Protest gegen diese Bevormundung angekündigt haben und sich damit praktisch die eigene Entlassungsurkunde ausgestellt haben. Immer mehr Menschen in der Ukraine sagen einfach: Wir machen nicht mehr mit. Wir wollen Ehrlichkeit und nicht mehr diesen Sumpf und diese verborgenen Spiele zwischen politischer und ökonomischer Macht, zwischen Oligarchen und dem organisierten Verbrechen. Wir wollen keine politischen Marionetten mehr, an deren Fäden andere ziehen. Wir wollen auch keine Einmischung in unsere Angelegenheiten von außen mehr, egal woher sie kommt. Das ist eine Revolution mit der Farbe Orange, die zum Ziel hat, die Ukraine zum zweiten Mal nach 1991 - dieses Mal aber richtig - unabhängig zu machen. Sie kämpft für eine neue politische Kultur, die den europäischen Werten und der Würde der Menschen in der Ukraine entspricht. Darum geht es in der Tat. Vaclav Havel hat die Demonstranten ermuntert, durchzuhalten, weil ihre Bewegung ihn an den Prager Frühling von 1968 erinnert. Lech Walesa ist nach Kiew geeilt, um zu vermitteln, weil er sich an die SolidarnoscBewegung Anfang der 80er-Jahre erinnert fühlte. Viele denken heute an die Ereignisse vor dem Sturz von Milosevic in Belgrad im Jahre 2000 und an die Rosenrevolution in Georgien, die genau ein Jahr her ist. Wir haben hier so etwas wie einen „Kiewer Frühling im Novemberschnee“. Auf den Erfolg dieses Kiewer Frühlings hoffen und warten sehr viele Menschen auch außerhalb der Ukraine. Deshalb gilt unsere Sympathie den Menschen, die hier aktiv werden. Es ist gut, dass in der Vergangenheit Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Fraktionen des Deutschen Bundestages nach Kiew gereist sind, um diesen Menschen ihre Unterstützung und ihre Sympathie zum Ausdruck zu bringen. Das war eben keine Einmischung. Ich möchte diesen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich danken. ({5}) Viele Tricks sind jetzt möglich. Wir müssen damit rechnen, dass Tricks angewandt werden, um Zeit zu gewinnen und die Wahlen zu wiederholen. Es wird heißen, Herr Juschtschenko und Herr Janukowitsch können nicht mehr kandidieren; denn sie haben die Ukraine durch ihren Streit an den Rand des Bruchs gebracht. Ich sage nur: Diese Tricks werden nicht wirken. Dort sind Menschen aufgebrochen, die nicht wieder zurück in ihre Häuser gehen werden. Wir glauben nicht, dass die Menschen aufhören, für diese neue Ukraine zu kämpfen. Es gibt diese neue Ukraine schon. Wir haben alles Recht und die Pflicht, ihr unsere Sympathie und unsere Unterstützung zuzusagen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Claudia Nolte von der CDU/CSU-Fraktion.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die drei Tage in Kiew in der letzten Woche waren für mich unglaublich bewegend. Ich habe Tausende von Menschen gesehen, die mit viel Hoffnung und Optimismus für ihre Grundrechte auf der Straße streiten und demonstrieren und die ihre sehr klare Entschlossenheit zum Ausdruck bringen: Wir werden nicht eher aufhören, bis der aus unserer Sicht rechtmäßige Sieger der Wahl auch zum Präsidenten erklärt wird. Ich denke, es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass es einen Wahlbetrug gegeben hat. Der Kollege Erler hat das schon ausgeführt. Für mich ist es ein unglaublich hoffnungsfrohes Zeichen, dass sich in der Ukraine inzwischen eine so große Zivilgesellschaft herausgebildet hat, die diesen Betrug nicht mehr akzeptieren will, und dass es eine starke Opposition gibt, was ein wesentliches Merkmal für demokratische Strukturen ist. Für mich war es sehr wichtig, zu erleben, dass dies friedliche Menschen waren und dass es ihnen ganz wichtig ist, dass keine Gewalt angewendet wird. Auch von Juschtschenko und den anderen ist immer darauf hingewiesen worden, sich nicht provozieren zu lassen, sondern den Protest friedlich auszutragen. ({0}) Dass es Gründe für diese Warnung gab, wurde mir klar, als ich die Busse gesehen habe, mit denen Janukowitschs Anhänger, in der Regel Männer, aus dem Ostteil des Landes nach Kiew gebracht worden sind. Dadurch kam es zu einer spannungsgeladenen Atmosphäre. Es wurde deutlich: Es ist nicht unbedingt sicher, dass die Lage auf Dauer friedlich bleibt. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation stellt sich die Frage: Wie lässt sich dieser Konflikt auflösen? Der rechtliche Weg ist nicht ganz einfach. Das Wahlgesetz sieht beispielsweise keine Wiederholung von Stichwahlen vor. Genau das aber verlangt die Opposition. Ich kann diesen Wunsch der Opposition sehr gut nachvollziehen. Ihrer Meinung nach würde eine Neuwahl den ganzen Prozess erneut in Gang setzen, was viel Zeit braucht. Sie sind sich jedoch nicht sicher, was in dieser Zeit alles passiert. Maßnahmen der Regierung wären nur schwer kontrollierbar. Daher sind die Befürchtungen der Opposition nicht unbegründet. Der Vorschlag, der immer wieder ins Feld geführt worden ist, man könne ja in einzelnen Regionen die Stimmen nachzählen, ist kein gangbarer Weg. ODIHR hat ausdrücklich davor gewarnt; denn viele Wahlfälschungen fanden vor der Wahl statt. Wenn man diese Stimmen auszählt, würde man im Nachgang ein falsches Ergebnis sanktionieren. Das ist also keine Lösung. Die Wiederholung der Stichwahl, wie es die Opposition fordert, wäre nur über eine politische Einigung möglich. Dafür müsste das Wahlgesetz geändert werden, damit eine rechtliche Grundlage geschaffen wird. Man müsste es auch ändern, um die Instrumentarien, die als Einfallstore für Wahlfälschungen dienen, abzuschaffen, wie die fliegenden Wahlurnen oder die Wahlscheine, mit denen man außerhalb des eigenen Wahllokals wählen kann, und vieles mehr. Ebenso müsste darauf geachtet werden, dass die Wahlkommissionen paritätisch besetzt werden. Die Rada hat wichtige politische Zeichen gesetzt. Das ist deshalb beeindruckend, weil die Gemengelage in der Rada nicht einfach ist. Schon am letzten Samstag hat sie die Stichwahl für ungültig erklärt. Dies ist zwar nicht rechtsverbindlich, aber ein wichtiges politisches Zeichen. Sie hat heute in einer geheimen Abstimmung der Regierung das Misstrauen ausgesprochen. Sie hat gleichermaßen dem Programm der Regierung ihre Zustimmung entzogen. Als Folge wurde eine Diskussion über die Rechtsverbindlichkeit ausgelöst; denn nur wenn dieses Regierungsprogramm vom Parlament nicht anerkannt würde, könnte das Misstrauensvotum rechtlich verbindlich sein. Sie, Herr Erler, sagten gestern, Präsident Kutschma komme an einem solchen Votum nicht vorbei. Die spannende Frage ist trotzdem, wie er darauf reagieren wird. Kurzzeitig kam die Meldung, er akzeptiere das Misstrauensvotum. Aber diese Meldung ist schon wieder zurückgezogen worden. Es ist typisch für diese Zeit, dass sich die Meldungen geradezu überschlagen. Mein Eindruck ist allerdings, dass auf Zeit gespielt wird. Das oberste Gericht hat sich zwei Tage nur mit Verfahrensfragen beschäftigt. Dabei wäre ein Votum des obersten Gerichtes sehr wichtig, weil nur das Gericht diese Wahl rechtswirksam für ungültig erklären kann. Präsident Kutschma zeigt sich eher uneinsichtig. Er schloss zum Beispiel eine Wiederholung der Stichwahl ganz klar aus. Wenn überhaupt eine Wahl, dann müsse es Neuwahlen geben. Dabei könnte dieser Präsident eine wichtige Rolle spielen. Es liegt sehr wohl in seiner Hand, eine rechtlich gangbare Lösung für diesen Konflikt zu finden. Es liegt in seiner Hand, dass dieser Prozess friedlich verläuft. Er könnte seinem Land einen großen Dienst erweisen. Was noch viel wichtiger ist, ist die Frage an uns: Wie gehen wir mit der Situation in der Ukraine um und was können wir tun? Es war ganz wichtig, ein politisches Zeichen der Unterstützung des Protestes deutlich zu machen, um zu zeigen, dass wir einen Wahlbetrug nicht hinnehmen werden. Hier geht es um das demokratische Grundrecht auf Wahlfreiheit und damit einhergehend auch um andere Grundrechte wie Meinungsfreiheit und vor allen Dingen auch Medienfreiheit. Dies ist nicht, wie uns oft suggeriert wird, eine Auseinandersetzung zwischen Ost und West in der Ukraine. Diese Einschätzung teile ich nicht. Vielmehr geht es um eine Auseinandersetzung zwischen den demokratieorientierten Kräften und den Beharrungskräften eines autoritären, von Wirtschaftsclans regierten Regimes. ({1}) Es ist zwar richtig, dass der Osten stärker nach Russland ausgerichtet ist, aber das heißt doch nicht, dass die Menschen im Osten Wahlbetrug wollen. Sie haben vielmehr gleichermaßen den Anspruch und das Recht, dass ihr Votum, egal in welche Richtung es geht, ernst genommen und dass ihr Wählerwillen akzeptiert wird. Ich denke auch, dass die Stimmung im Osten zum großen Teil damit zusammenhängt, dass im östlichen Landesteil eine vollkommene Desinformation stattgefunden hat. Der einzige freie Fernsehkanal war dort in vielen Regionen nicht empfangbar. Über Monate hinweg ist eine Kampagne geführt worden, sodass viele Menschen im Ostteil des Landes überhaupt keine richtigen Vorstellungen davon haben, was in Kiew und den westlichen Landesteilen vorgeht. Ich kann nur hoffen, dass sich dieses Meinungsbild ändern wird, wenn die Medien heute offener und neutraler berichten. Die Rückmeldungen, die ich habe, besagen, dass Autonomiebestrebungen, wie Janukowitsch sie jetzt ins Gespräch gebracht hat, im Osten des Landes keine Mehrheit finden würden und dass ihm diese Aktion eher geschadet hat, auch in den eigenen Reihen. Ich bin in der Ukraine immer wieder darauf angesprochen worden, dass man von der Europäischen Union klare Zeichen erwartet. Diese Zeichen kamen spät, sie kamen auch von der Bundesregierung spät. Ich begrüße es sehr, dass jetzt und schon am Freitag letzter Woche der EU-Außenbeauftragte, Herr Solana, in Kiew Gespräche mit beiden Seiten führt, um auszuloten, welche Wege es gibt, und um zu schauen, wie man beide Seiten zu Verhandlungen bewegen kann. Mir wurde auch immer wieder bedeutet, dass man die Hoffnung hat, dass Deutschland seine guten Beziehungen zu Russland nutzt. Man möchte, dass Russland das ukrainische Volk entscheiden lässt und nicht die Ukraine umklammert. Wenn Russland einem Präsidenten die Unterstützung gibt, der durch Wahlbetrug ins Amt gekommen ist, dann wird das von den Menschen auf der Straße nicht akzeptiert. Russland hat im Wahlkampf sehr stark Partei ergriffen. Deswegen finde ich es notwendig, Herr Bundeskanzler, dass Sie diese Gespräche mit Präsident Putin führen. Wenn uns Einmischung vorgeworfen wird, obwohl der Westen nicht einmal sagt, dass er einen bestimmten Kandidaten präferiert - das haben wir nie getan -, sondern nur darauf beharrt, dass kein Wahlbetrug passiert und dass der Wählerwille zum Ausdruck kommt, dann stellt sich für mich die Frage nach dem jeweiligen Demokratieverständnis. Sie, Herr Bundeskanzler, haben auf die Frage, ob der russische Präsident Putin ein lupenreiner Demokrat sei, mit Ja geantwortet. Dann müsste es doch aus Ihrer Sicht möglich sein, mit ihm darin eine Übereinstimmung zu bekommen, dass so ein Wahlbetrug nicht akzeptabel ist. ({2}) Da der russische Präsident Einfluss hat, nicht zuletzt auf den Präsidenten Kutschma, müsste es doch auch einen Weg geben, zu versuchen, dass dieser Einfluss dahin gehend genutzt wird, dass Kutschma den Weg für eine friedliche und positive Lösung freimacht. Es ist doch keine Einmischung, wenn Sie dies nachdrücklich in Gesprächen mit dem russischen Präsidenten erörtern. Es geht doch nicht um eine Konfrontation zwischen Russland und uns. Ein Konflikt darf überhaupt keinen Platz haben. Es geht auch nicht um Einflusssphären, sondern es geht schlicht und ergreifend um die Frage nach einer gemeinsamen Wertebasis, die wir anstreben und die letztendlich die Grundlage dafür ist, dass wir in Partnerschaft sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine zusammenarbeiten können. ({3}) Wir wollen Russland als Partner haben und die beste Grundlage für die Partnerschaft ist die Übereinstimmung in gemeinsamen Grundwerten. Dafür müssen wir werben, dafür müssen wir auch streiten. Da geht es nicht um Macht und nicht um wirtschaftlichen Einfluss. Vielleicht hätte die Entwicklung in der Ukraine in der Vergangenheit eine andere Wendung genommen, wenn sich die EU stärker um dieses Land bemüht hätte. Die Ukraine genoss in der Vergangenheit ganz sicher keine Priorität. Umso mehr ist es meines Erachtens jetzt Zeit, über die Form der zukünftigen Zusammenarbeit nachzudenken. Wenn das Nachbarschaftskonzept der Europäischen Union das Signal aussendet, dass der Platz der Ukraine bei den Ländern ist, die nie eine Aussicht auf eine Integration in die Europäische Union haben, dann klingt das wie eine Ausladung. Ich denke, wir brauchen positive Signale für dieses Land, dass die Türen offen sind. Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben bei der Demonstration auf dem Unabhängigkeitsplatz den Menschen sinngemäß zugerufen: Ihr stoßt die Tür von Osten nach Westen in das Herz Europas auf! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns daran mitwirken, dass diese Tür offen bleibt! Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin GöringEckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eintopf und Euphorie - das sind die Zutaten der orangenen Revolution. Was in der Ukraine passiert, kommt vom Volk. Volkes Wille wird dokumentiert mit Wattejacke und Pelzmantel, von Großmüttern und Enkelsöhnen. Es sind viele Junge, die protestieren und aushalten. Es geht um ihre eigene Zukunft. Übrigens sind nicht alle politisiert. Es treffen sich keine kleinen Zirkel und es finden auch keine runden Tische statt, bei denen man sich fragt, was nach dem Sieg passiert. Nein, die Politik sollen die Politiker machen. Darin zeigt sich fast ein wenig Demut. Aber worum geht es dann? Sind wirklich alles Anhänger von Juschtschenko, seiner Politik und seinen Wahlversprechen? Auch auf diese Frage lautet die Antwort Nein. Es geht um Wahrheit, Würde und Stolz. Man lässt sich nicht die Wahlen stehlen. Mit dem Aufzwingen des Willens von oben und von außen muss Schluss sein. Auch deswegen ist der Protest so friedlich und wird es hoffentlich bleiben. Es geht bei diesem Protest auch nicht um ein Wohlstandsversprechen. Es geht nicht um Autos für alle, sondern um Freiheit und Demokratie auch in einem sehr armen Land. Das unterscheidet die Ukrainer übrigens von manchen anderen Revolutionären. Es wird ganz bestimmt Enttäuschungen geben, wenn sich erst wieder Apparate und Bürokraten über das Land beugen. Aber egal, wie lange jetzt verzögert oder hingehalten wird: Das, was jetzt geschieht, ist nicht zurückzudrehen. Der Gedanke an die Freiheit ist ebenso wie der Rausch der Revolution tief in die Herzen eingegraben. Als wir am Samstag, nachdem das Parlament dokumentiert hatte, dass es die Wahlen nicht für rechtmäßig hält, die Pressesprecherin der Wahlkommission trafen, war sie von oben bis unten in einen orangen Schal gehüllt. Es geht in der Tat um die Einheit der Ukraine, um eine gemeinsame Identität. Für uns heißt das: mehr eigenständigere Ukrainepolitik, nicht eine, die über Russland definiert wird. Es geht nicht darum - auch wenn es noch so gut gemeint ist -, der Ukraine jetzt eine EU-Perspektive zu eröffnen. Das würde zu einer Spaltung führen und verhindern, dass die Ukraine ihren eigenen Weg findet. Das bedeutet für Russland, einen eigenständigen und demokratischen Weg der Ukraine zu respektieren. Das Verhältnis der beiden Länder mit der langen gemeinsamen Grenze wird - von welchem rechtmäßigen Präsidenten die Ukraine auch immer regiert wird - sehr eng bleiben. Wladimir Putin hat durch seine Einmischung von außen viel von seiner Reputation in der Ukraine verspielt. Diese Einmischung von außen will man nicht mehr respektieren - weder auf den Straßen Kiews noch in anderen Teilen der Ukraine. Man will sich nicht mehr vorschreiben lassen, wen man wählen und was man denken soll. ({0}) Es ist nicht richtig - darauf haben schon andere an dieser Stelle hingewiesen -, von einer gespaltenen Ukraine zu reden. Erst seit wenigen Tagen kommen die Nachrichten über das, was in Kiew und Lemberg geschieht, auch im Osten des Landes an. Bis dahin hatte die Staatsmacht das offizielle Fernsehen daran gehindert, frei zu berichten. Inzwischen sind aber mehr und mehr Journalistinnen und Journalisten dazu übergegangen, real und objektiv zu berichten. Es ist übrigens ausgerechnet eine Gebärdendolmetscherin gewesen, die dies als eine der Ersten tat. Während die Wahlkommission den Sieg Janukowitschs verkündete, übersetzte sie in Gebärdensprache: Glaubt ihnen kein Wort! ({1}) Im Osten des Landes kommt die Revolution an - den üblen Verleumdungen mancher Janukowitsch-Leute zum Trotz. Während Ludmilla Janukowitsch in Donezk verkündet, die Apfelsinen in Kiew seien mit Drogen versetzt, wird der Marktplatz von Charkow, 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, orange. Einer von Tausenden dort ist der Schriftsteller Sergej Shadan. Er sagt: In der Ukraine geht es den Menschen um Größeres und Wichtigeres als Politik. In der Ukraine unterstützen sie nicht allein den Oppositionskandidaten Juschtschenko. In der Ukraine unterstützt das Volk mehr als alles andere das Recht, sich „Volk“ zu nennen. „Juschtschenko!“ skandieren die Menschen auf den Straßen, und zwar in dem gleichen Rhythmus wie damals die Bürger der DDR „Wir sind das Volk!“ Das ukrainische Parlament hat heute der Regierung Janukowitsch das Misstrauen ausgesprochen, ein wichtiger, ein längst überfälliger Schritt. Weitere müssen folgen. ({2}) Am besten wäre die Wiederholung der Stichwahl. Aber niemand, der nun versucht, auf Zeit zu spielen und zu tricksen, sollte glauben, dass sich das Volk der Ukraine noch einmal betrügen lässt. „Was können wir tun?“, werden wir in diesen Tagen immer wieder gefragt. Die Bilder von den Apfelsinen auf unseren Tischen und den orangefarbenen Schals im Bundestag sind über alle Sender des ukrainischen Fernsehens gegangen. Unsere Solidarität mit der Demokratiebewegung in der Ukraine ist auch deswegen so wichtig, weil klar ist, dass wir, das Ausland, genau hinschauen und beobachten, was passiert. Das unterstützt das ukrainische Volk in seinem Kampf um Freiheit und Demokratie. Natürlich ist es in diesem Zusammenhang außerordentlich hilfreich - darauf haben schon verschiedene Redner hingewiesen -, dass die Europäer - mit Javier Solana an der Spitze - vor Ort sind; denn sie werden als unabhängige Vermittler anerkannt. Ich bin außerordentlich froh, dass der Bundeskanzler mit Wladimir Putin telefoniert hat und mit ihm verabredet hat, dass das rechtmäßige Ergebnis einer Wahlwiederholung zu respektieren ist. Daran führt kein Weg vorbei. ({3}) Es geht dabei nämlich um unsere Werte: Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. An die Adresse der Abgeordneten, die es erwägen, nach Kiew zu fahren, kann ich nur sagen: Jede Unterstützung von außen gibt neue Kraft. Das kennen wir noch gut von 1989. Für mich ist es ein ziemlich großes Glück, zum zweiten Mal im Leben bei einer Revolution dabei zu sein. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich! Die Orangenen rufen auf den Straßen: Nas bahato, nas ne podolati! Das heißt: Wir sind viele und wir sind nicht zu bezwingen! Das ist wahr. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt von der FDP-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir die Bilder von den Ereignissen in der Ukraine wahrnehmen, dann sollten wir uns - genauso wie viele in unseren europäischen Nachbarländern - daran erinnern, dass die Ukraine das zweitgrößte Land Europas ist. Das scheint völlig aus dem Blick geraten zu sein; denn die Aktivitäten, die sich nun überschlagen und die notwendig sind, stehen ja im Kontrast zu dem jahrelangen Vorbeiblicken. Das betrifft auch die Aktivitäten der Europäischen Union, die in ihrer Bewertung eher zurückhaltend ist. Die Ukraine ist ein Land mit 70 Prozent Ukrainern, mit 20 Prozent Russen, mit Weißrussen und Moldawiern, mit Menschen griechisch-orthodoxen sowie Menschen römisch-katholischen Glaubens, mit Erdöl, Erz, Getreide und einer Rüstungsindustrie sowie mit kulturellen Glanzpunkten. Ich habe mich nicht allein an diejenigen erinnert, die wir auf den Plätzen sehen. Erinnern Sie sich an einen bedeutsamen Mann aus der Literaturgeschichte: Nikolai Gogol. Dieses Land ist zutiefst europäisch. Die Ukraine ist unser Nachbar. Stellen Sie es sich bildlich vor: Es ist so weit entfernt wie die Schweizer Grenze. Das geht uns etwas an: Wir sollten uns nicht einmischen, aber im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Landes Hilfestellung leisten. ({0}) Mit den Bildern, die wir alle beschreiben und die uns alle emotional so berühren, gehen Momente einher, die Dahrendorf mit den Worten „Charmes of Liberty“ beschrieben hat. Vielleicht handelt es sich um die Geburtsstunde einer freiheitlichen Ordnung. Voraussetzung ist, dass der von der Opposition eingeschlagene Weg durchgehalten werden kann. Manches, womit wir uns hier beschäftigen, nennt Dahrendorf - er schreibt ja mehr in Englisch - „cold projects“. In einer solchen Stunde muss anscheinend immer wieder einmal daran erinnert werden, dass Freiheit für Menschen etwas bedeuten kann und dass diese Menschen emotionale Zuwendung brauchen. ({1}) Wir sollten den Menschen dort dafür Dank aussprechen, dass sie diesen Weg gehen. Sie ringen um ihre Sicherheit und um ihre Zukunft in Freiheit. Aber sie ringen auch um ganz einfache soziale Sicherheiten. Ich verstehe, dass ein Minenarbeiter in Donezk sagt: Es ist für mich wichtig, dass ich am Monatsende einfach Lohn erhalte. Für einen solchen Menschen hängt die Legitimierung der Herrschaft von ganz einfachen sozialen Fragen ab, von denen wir uns kaum mehr vorstellen können, dass sie für Menschen etwas bedeuten. Allen, die ihren Blick jetzt auf dieses Land richten und Informationen entgegennehmen, muss klar sein: Über die Zukunft dieses Landes entscheiden einzig und allein die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine selbst. Wer auch immer mit wem spricht, wer auch immer wen trifft, wer auch immer respektiert, dass der russische Präsident alle Versuche unternimmt, das Riesenland Russland zusammenzuhalten: Es darf keine Akzeptanz einer Haltung geben, die die Ukrainer über ihr Schicksal und ihre Herrschaft nicht selbst bestimmen lässt. Das muss international völlig klar sein. ({2}) Wir wollen gute Beziehungen zu Russland. Wir wissen, dass wir all diejenigen Kräfte in diesem Land unterstützen müssen, die sich international orientieren wollen. Aber das Russland, an dem wir Interesse haben, darf eben kein Machtfaktor von unbestimmter Qualität und diffuser Richtung sein. Wir wollen, dass dieses Land für uns ein großer Nachbar ist und bleibt. Aber wir wollen auch, dass es sich in seinem Selbstwertgefühl nicht immer wieder verletzt fühlt, wenn andere Völker anders entscheiden, als man sich das in der Hierarchie im Kreml vorstellt. Durch Einmischung, auch nicht durch Einmischung im nahen Ausland, wird Russland seine alte imperiale Größe nicht mehr gewinnen können. Russland wird nur dann wieder zu einer großen internationalen Rolle finden - diese Chance gibt es; wir sollten es dabei unterstützen -, wenn es die innere Souveränität entwickelt, auch andere Völker über ihr eigenes Schicksal entscheiden zu lassen. ({3}) Alles, was dem hilft, sollten wir tun. Der russische Präsident soll beim EU-Russland-Treffen gesagt haben - er hat das auch in Richtung Europäische Union gesagt -: Die Ukraine ist unser beider Problem. Das ist völlig richtig ausgedrückt. Wir sollten ihm erwidern: Unser beider Problem kann nur gelöst werden, wenn beide akzeptieren, dass die Ukrainer über ihre Zukunft entscheiden. Es gibt keinen anderen Weg. ({4}) Das muss man so klarstellen. Als der jetzige Bundesaußenminister Fischer noch Vorsitzender der Fraktion der Grünen war, haben wir - noch im alten Plenarsaal in Bonn - über die Entwicklung Russlands wiederholt Debatten im Parlament geführt. Er ist immer leidenschaftlich dafür eingetreten, dass gegenüber Russland mit Klarheit, mit Unbeugsamkeit und mit deutlicher Haltung gesprochen wird. Entsprechende Appelle hat er seinerzeit mehrfach - ich erinnere mich - an die Adresse des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl gerichtet. Kohl führte Telefongespräche mit Jelzin; die Entwicklung in Tschetschenien war dramatisch. Fischer hat gesagt: Telefonieren allein genügt nicht. Er hat präzise gesagt: Diese Stunde der Diplomatie muss genutzt werden, um die anderen wissen zu lassen, nach welchen Regeln eine Problemlösung nur stattfinden kann. Deshalb ist es kein verborgener Lauschangriff auf Ihr Gespräch mit dem russischen Präsidenten, Herr Bundeskanzler, zumal der Regierungssprecher dazu schon Stellung genommen hat, wenn ich Sie bitte, noch einmal klar und eindeutig zu sagen, da sich ein Teil der Meldungen in Moskau so nicht niederschlägt, ob Gegenstand des Gesprächs mit dem russischen Präsidenten tatsächlich eine Hoffnung gewesen sein könnte, nämlich die, dass dort auf jeden Fall eine legitimierte Wahl in der Ukraine, wenn sie denn stattfinden kann, respektiert wird. ({5}) Jeder Tag, an dem man so etwas erfährt, ist wichtig; das wäre nämlich ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Da Sie, Herr Bundeskanzler, in vielen Gesprächen einen besonderen Zugang zum russischen Präsidenten entwickelt haben, was wir begrüßen, was auch richtig ist, sollten Sie, glaube ich, die Chance wahrnehmen, das hier vor dem Parlament zu erklären. Folgende Prinzipien sollten gelten: erstens und zuallererst Klarheit über die territoriale Integrität der Ukraine; zweitens Klarheit darüber: Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes über die zukünftige Herrschaft; drittens eine klare internationale Verabredung des Inhalts, dass alle das Ergebnis entweder von nachgeprüften, korrigierten Wahlen oder von Neuwahlen respektieren. Viertens: Jeder enthält sich der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine. Fünftens: Wir sagen dem ukrainischen Volk, dass der Deutsche Bundestag über alle Parteigrenzen hinweg die Aktivitäten, die in der Ukraine entfaltet worden sind, als aufgeklärten europäischen zivilen Beitrag einer Gesellschaft empfindet, mit der wir gern in friedlicher Nachbarschaft zusammenleben, und fügen gleichzeitig hinzu, dass wir allen großen Erfolg wünschen, dass die Opposition durchhalten sollte und dass dieses Land jetzt die große Chance hat, seine Zukunft selbst zu gestalten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder. ({0})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist deutlich geworden: Die Krise in der Ukraine macht uns alle insgesamt besorgt. Das ist auch klar. Was in diesem großen europäischen Land geschieht, ist von enormer Bedeutung für die Sicherheit und die Stabilität in Europa und damit natürlich auch für die Sicherheit der Menschen in Deutschland. Das haben wir bei dem, was wir tun, im Auge zu behalten. Das ist auch der Grund dafür, dass Deutschland und die Partner in der Europäischen Union ebenso wie Russland ein vitales Interesse daran haben, dass es eine demokratische, eine stabile und eine einige Ukraine gibt. Wir teilen mit der Ukraine nicht nur gemeinsame Interessen; wir teilen mit der Ukraine auch eine gemeinsame und gerade im vergangenen Jahrhundert sehr leidvolle Geschichte. Wir dürfen nicht vergessen, was den Menschen in der Ukraine während des Krieges von Deutschen angetan worden ist. Ich erwähne das, weil auch das ein Teil der Verantwortung ist, die wir heute für eine gedeihliche, eine demokratische Entwicklung in der Ukraine haben. Die Bundesregierung verfolgt die gegenwärtige Krise in der Ukraine, die auch eine Verfassungskrise ist, mit wirklich großer Aufmerksamkeit. Sie beteiligt sich mit ihren Partnern in der Europäischen Union aktiv an den Bemühungen um eine politische Lösung; denn genau um die geht es und nicht um Sehnsüchte, die man vielleicht sonst noch hat. Wir brauchen eine politische Lösung; alles andere führt, glaube ich, in die Irre. Dabei geht es im Kern darum, dass der wirkliche Wille des ukrainischen Volkes zum Tragen kommt und der wirkliche Wille des ukrainischen Volkes die Zukunft dieses Landes bestimmt. Nur eine demokratische Lösung auf der Basis der ukrainischen Verfassung kann auf Dauer jene Stabilität gewährleisten, die die Menschen dort sowie wir in Europa und in Deutschland brauchen. ({0}) Letztlich, meine Damen und Herren, kann das nach den Ereignissen, die stattgefunden haben, ohne eine Wahlwiederholung nicht gelingen. Davon bin ich überzeugt. Die Entscheidung über die Zukunft der Ukraine kann als letzte Instanz nur das dortige Volk selbst treffen. Es liegt jetzt in der Verantwortung aller Beteiligten, alles zu tun, um eine friedliche und demokratische Lösung zu ermöglichen. Deshalb haben wir die Parteien nachdrücklich zum Dialog und auch zur Kompromissbereitschaft aufgefordert. Diese Parteien in der Ukraine haben nämlich das Geschehen in der Hand; nicht wir. Gewalt - das ist immer deutlich gemacht worden - darf kein Mittel zur Lösung der dortigen Krise sein, weder von der einen noch von der anderen Seite. Natürlich freue auch ich mich wie jeder andere darüber, dass Gewalt vermieden werden konnte. Ich habe die Hoffnung, dass das auch in Zukunft so bleibt. Über die künftige Gestalt Europas wird auch die Entwicklung in der Ukraine entscheiden. Zu Recht hat die Europäische Union deshalb ihre Unterstützung bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise angeboten. Die Europäische Union ist durch ihren Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik an der Suche nach einer Lösung beteiligt. Wir, die Bundesregierung, unterstützen diese Bemühungen ausdrücklich und nachdrücklich. Sie zeigen übrigens, dass die Europäische Union in der Lage ist, rasch und verantwortungsvoll auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik zu handeln. Das war nicht immer so, aber das wird in Zukunft mehr und mehr der Fall sein, auch der Fall sein müssen. Sie zeigen auch, dass die Europäische Union dies mit einem größeren Gewicht tun kann, als jeder einzelne Mitgliedstaat das tun könnte; dabei beziehe ich Deutschland ausdrücklich ein. Zur Stunde sind der Hohe Vertreter Solana und der polnische Präsident Kwaśniewski, mit dem ich im Übrigen auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin in ständigem Telefonkontakt stehe, ebenso wie andere Vermittler erneut in Kiew. Sie leisten, so denke ich, einen wirklich wichtigen Beitrag dazu, den politischen Verhandlungsprozess voranzubringen. Der Einsatz der Europäischen Union für eine friedliche Lösung in der Ukraine ist gegen niemanden gerichtet, sondern er ist Ausfluss bestimmter Prinzipien, die wir für richtig halten, und dient insbesondere dazu, eine demokratische und stabile Perspektive für die Ukraine zu entwickeln. Es geht schlicht darum, auf der einen Seite Demokratie in der Ukraine - da stimme ich Ihnen durchaus zu, Herr Gerhardt - und auf der anderen Seite die territoriale Integrität der Ukraine zu gewährleisten. Niemand kann ein Interesse an der Verletzung ihrer territorialen Integrität haben. Darüber, was im Inneren wie organisiert wird, wird die Ukraine in einer demokratischen Entscheidung selbst bestimmen müssen. Von außen hat sich da jeder einer Einmischung zu enthalten. Beides liegt übrigens im Interesse nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas und genauso im richtig verstandenen Interesse Russlands. Die Europäische Union hat deshalb schon in den vergangenen Jahren versucht, im Rahmen einer partnerschaftlichen Beziehung die politische und die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine zu fördern. Die Bundesregierung hat in den Konsultationen, die sie natürlich mit denen - mit wem denn sonst? -, die in der Ukraine gegenwärtig an der Regierung sind, geführt hat, ein Gleiches getan, sowohl ökonomisch als auch politisch. Wir haben das im Rahmen unserer bilateralen Kontakte getan und werden das weiterhin tun. Wie weit diese Partnerschaft künftig gehen wird und gehen kann, hängt nicht nur von der Europäischen Union, sondern auch und in besonderem Maße von der politischen und ökonomischen Entwicklung in der Ukraine selbst ab. Deshalb wird der Ausgang der gegenwärtigen Krise auch über die Qualität der Beziehungen zwischen der Union auf der einen Seite und der Ukraine auf der anderen Seite mitentscheiden. Genauso klar muss sein - das soll und kann das ukrainische Volk wissen -, dass die Europäische Union zum Ausbau der Beziehungen mit einer demokratischen Ukraine, wenn sie es denn so will, wie wir es wollen, zu einer wirklich funktionierenden politischen und ökonomischen Partnerschaft durchaus bereit ist. Deutschland wird das immer unterstützen. ({1}) Vieles - ich füge hinzu: auch sehr Polemisches - ist in den vergangenen Tagen über die Rolle Russlands und des russischen Präsidenten gesagt worden. Richtig ist: Auch für Russland ist die Entwicklung in der Ukraine von größter Bedeutung. Wie kein anderes Land in Europa ist Russland mit der Ukraine durch Geschichte, Kultur - es ist ja wiederholt auf die Literatur hingewiesen worden - und auch durch Sprache verbunden. Beide Länder sind im Übrigen füreinander absolut unersetzliche Wirtschaftspartner. Das gilt jedenfalls für die - wie auch immer politisch organisierte - Ukraine und das betrifft nicht nur den Energiesektor, sondern weit mehr. Sie sind also aufeinander angewiesen, wenn ich das so sagen darf. Jeder, der Ratschläge erteilt, was die innere Entwicklung dort und anderswo angeht, sollte das wissen, wenn er wirklich hilfreich sein will. Kein anderes Land in Europa hat so vielfältige menschliche und familiäre Bindungen zur Ukraine wie Russland. Russland hat deshalb ein vitales Interesse an einer stabilen, auch einer prosperierenden und einer - richtig verstanden - geeinten Ukraine, und zwar einer, die eng mit Russland zusammenarbeitet. Dass das auf der Basis der Souveränität zweier Staaten zu geschehen hat, ist, denke ich, für uns außer jeder Diskussion. All das sollte bei der Beurteilung der russischen Politik und der Entwicklung in der Ukraine nicht vergessen werden. Die Lage in der Ukraine habe ich in zwei ausführlichen Telefonaten mit Präsident Putin besprochen. Er hat mir zugesichert, dass Russland an einer friedlichen und demokratischen Lösung der Krise in der Ukraine interessiert ist, und zwar an einer Lösung, die die territoriale Integrität des Landes nicht infrage stellt. Er hat sich ferner, wie auch wir, für Verhandlungen zwischen den an der Krise beteiligten Parteien ausgesprochen und in Den Haag, aber auch in den verschiedenen Gesprächen erklärt, dass das Ergebnis eines demokratischen Prozesses - und was könnte das zur Entscheidung dieser Situation anderes sein als demokratische Wahlen? -, der den Willen der ukrainischen Bevölkerung widerspiegelt, von allen, also auch von Russland, zu respektieren ist. Ich sage es noch einmal: Für mich ist völlig klar - ich denke, darüber kann es bei allen sprachlichen Möglichkeiten auch keine wirklichen Differenzen geben -, dass der wirkliche Wille des Volkes, soweit es um politische Gestaltung geht, nur durch manipulationsfreie Wahlen ermittelt werden kann, durch nichts anderes. Ich denke, das ist für jeden verständlich. ({2}) Weil wir, meine Damen und Herren, von der Lage ausgehen müssen, wie sie wirklich ist, und nicht von einer Lage, wie wir sie uns wünschen - sie soll ja erst so werden, wie wir sie uns wünschen -, rate ich dringend dazu, die Tatsache, dass Russland seine Verantwortung wahrnehmen und die Entscheidung respektieren wird, als ein wirklich positives Signal zu begreifen und sich darum zu bemühen, dass die Führung dort daran auch festhält. Wir sind wirklich gut beraten, die Willensbildung und die Willensäußerungen des russischen Präsidenten ernst zu nehmen, aus sehr vielen Gründen, vor allem dann, wenn wir, wie hier von jedem zum Ausdruck gebracht worden ist, an einer vernünftigen Lösung der Krise interessiert sind - und wir müssen daran interessiert sein. Im Übrigen, meine Damen und Herren, ändert die gegenwärtige Situation dort nichts an unserem Ziel, eine strategische Partnerschaft mit Russland auf- und auszubauen. Was immer uns in der Bewertung der Situation trennt: Dies muss unabhängig davon unser fester Wille sein. Im kommenden Jahr werden wir den 60. Jahrestag des Kriegsendes begehen. Ich sehe dieses Datum und die Erinnerung an die Schrecken, die mit dem Krieg verbunden sind - in Russland, aber auch in Deutschland -, als eine Verpflichtung zu gemeinsamer Politik, eine Verpflichtung, alles zu tun, um die strategische Partnerschaft mit Russland auf eine neue Stufe zu heben und durch Politik, aber auch durch Kontakte zwischen den Zivilgesellschaften und durch wirtschaftlichen Austausch dafür zu sorgen, dass das, was im letzten Jahrhundert geschehen ist, nie wieder passieren kann. Die Sicherheit ganz Europas, unsere Stabilität und auch unseren Wohlstand werden wir auf Dauer nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland, sondern nur in Partnerschaft mit Russland gewährleisten können. ({3}) Niemand sollte dieses grundlegende Prinzip der europäischen Politik vernachlässigen. Daraus folgt, dass wir den Weg der Partnerschaft, den wir jetzt beschritten haben, entschlossen weitergehen, ohne unsere Grundsätze aufzugeben. Dieser Weg ist politisch, aber auch ökonomisch ohne eine vernünftige Alternative. Ich meine damit nicht nur die Frage, wie wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die für die deutsche Wirtschaft so wichtige Energieversorgung sichern können. Es ist nicht ganz unwichtig, über diese Frage nachzudenken; ich jedenfalls werde mich davon nicht abbringen lassen. Daneben wollen und müssen wir aber die allgemeinen wirtschaftlichen Beziehungen ausbauen. Das liegt in unserem ureigenen Interesse und dient der Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit in Europa. Bilateral werden die deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Hamburg und auf Schloss Gottorf der nächste Schritt sein. Wir wollen dabei mit der Unterzeichnung eines Abkommens über einen verstärkten Jugendaustausch unsere Partnerschaft auch in der Zivilgesellschaft, insbesondere bei der jungen Generation, verankern. Für die Europäische Union geht es darum, die so genannten vier gemeinsamen Räume mit Russland in den Bereichen Inneres und Justiz, Äußeres und Sicherheit, Bildung und Forschung sowie Wirtschaft zu entwickeln. Klar ist: Die Krise in der Ukraine stellt Europa vor eine wirklich große Herausforderung. Durch die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre seit dem großen Umbruch 1989 hat Europa seine schmerzliche Teilung endgültig überwunden. Jetzt stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, auch in der Ukraine zu einer Entwicklung beizutragen, die uns dauerhaftem Frieden und dauerhafter Stabilität in Europa einen entscheidenden Schritt näher bringt. Das ist - dessen bin ich sicher - nur zu gewährleisten, wenn eine wirklich demokratische Entwicklung in der Ukraine Platz greift. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Angela Merkel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle halten in diesen Tagen den Atem an. Mit großem Respekt und mit großen Hoffnungen schauen wir uns die Bilder aus Kiew und aus der übrigen Ukraine an. Wir nehmen somit Anteil an den Demonstrationen und den Protesten der Menschen dort. Ich freue mich, dass heute ukrainische Wissenschaftler unter den Zuschauern sind, die auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung den Deutschen Bundestag besuchen und diese Debatte verfolgen können. ({0}) Jeder, der die friedliche Revolution 1989 in der DDR miterleben konnte, kann sich ungefähr vorstellen, welche Gefühle die Menschen in der Ukraine bewegen. Ich möchte hinzufügen, dass die Lebensumstände, aber auch die Witterungsumstände viele zusätzliche Ängste und Sorgen unter den Menschen auslösen. Deshalb kann ihr Mut gar nicht hoch genug bewertet werden. Auch ich möchte darauf hinweisen, dass es ganz wichtig ist, dass es nicht zu einer Trennung in die Ostund in die Westukraine kommt. Die Trennlinie muss vielmehr angesetzt werden zwischen denen, die bereit sind, für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit einzutreten, und denen, die sich den Beharrungskräften unterordnen. Eine einige Ukraine ist die Voraussetzung für eine friedliche Lösung. Ich glaube, das wollen auch die Menschen dort. Das sollten wir unterstützen. ({1}) Deshalb gilt unsere Solidarität all denen, die ihr Recht auf freie, ungefälschte Wahlen einklagen. Wir sind glücklicherweise über alle Fraktionen hinweg mit allen Wahlbeobachtern der Meinung, dass die Wahlen, so wie sie stattgefunden haben, gefälscht waren. Deshalb ergreifen wir Partei für die Menschen, die sich das nicht bieten lassen wollen. Diese Parteiergreifung erfolgt zurzeit für den Kandidaten der Opposition, für Wiktor Juschtschenko. Das hat nichts mit Parteinahme für einen ehrlichen Wahlsieger zu tun, sondern damit, wer die Stimme des Protestes in der Ukraine ist. Das ist die Bewegung von Juschtschenko. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Geist der Demokratie, der sich jetzt in der Ukraine Bahn bricht und sich im Übrigen schon über eine lange Zeit eines Selbstfindungsprozesses entwickelt hat, in der Allgegenwärtigkeit des ukrainischen Volkes unumkehrbar ist. Es ist deshalb gerade unsere Aufgabe, Aufgabe der Deutschen, die eine erfolgreiche Wiedervereinigung erreicht haben, den Geist der Demokratie, wo immer wir können, zu stärken und zu ermutigen. Natürlich sind friedliche Wege zu suchen; aber vor allen Dingen sind Demokratie und Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen - und dies sowohl auf politischer als auch auf menschlicher Ebene, sowohl über die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als auch über das Parlament. Das ist erfreulicherweise durch vielfältige Reisen geschehen. Hinter diesem Ziel müssen alle anderen Interessen zurückstehen. Unsere Wertebasis muss bei dem, was wir jetzt tun, vollkommen klar sein. Denn - da bin ich mir vollkommen sicher - der Ausgang dieser Krise, wie sie sich jetzt darstellt, und die Art und Weise, wie wir Europäer und wir Deutschen agieren, werden weit über diese Krise hinaus etwas über europäisches und deutsches Handeln und über die Glaubwürdigkeit unserer Politik aussagen. ({2}) Deshalb sollten wir drei Signale aussenden: Erstens. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden sich niemals mit Wahlfälschung abfinden. Sie werden niemals Regierungen akzeptieren, die durch Wahlfälschung an die Macht gekommen sind. ({3}) Deshalb wird zu Recht die Forderung nach neuen Wahlen gestellt. Wir haben nicht zu befinden, auf welchem Weg das genau geht. Der Vorschlag einer Stichwahl ist sicherlich eine Möglichkeit, vielleicht auch der Vorschlag einer Neuwahl. Aber klar müssen zwei Dinge sein: Der Prozess zu einer Neuwahl darf zum einen nicht in der Absicht geführt werden, zum Schluss die Zermürbung der Opposition zu bezwecken. Das ist die große Gefahr. ({4}) Welche Wahlvorgänge auch immer abgehalten werden: Es muss zum anderen von Anfang an sicher sein, dass die in der Ukraine Handelnden bereit sind, OSZEStandards zu akzeptieren - und das nicht nur am Tag der Wahl, sondern im Vorfeld und im Nachhinein, damit nicht nur einmal flächendeckend geschaut wird, ob diese eingehalten werden, sondern damit auch in der Tiefe kein Zweifel an dem dann zukünftigen Wahlergebnis besteht. ({5}) Zweitens. Weil es so sehr um das Selbstverständnis Europas geht, brauchen wir ein handlungsfähiges, einiges und engagiertes Europa. Ich begrüße ausdrücklich für die CDU/CSU-Fraktion die Aktivitäten des Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana. Er ist zum zweiten Mal in der Ukraine. Ich begrüße ausdrücklich, dass diesmal nicht zwischen Deutschland, Frankreich und Russland über Polen hinweg agiert wird, sondern dass die polnische Regierung intensiv einbezogen ist. Herr Bundeskanzler, ich glaube, die deutsche Rolle muss eine aktive, kameradschaftliche und nachbarschaftliche Rolle sein, eine Rolle, die auf ein einiges Europa hinwirkt. Natürlich brauchen wir eine politische Lösung. Ich finde nur, die Nebenbemerkung, welche Sehnsüchte auch immer manch einer haben mag, ist ein wenig irreführend, weil wir alle an einer politischen, aber demokratischen Lösung interessiert sind. Es gibt niemanden, der irgendwelche poujadistischen Sehnsüchte hat. Wir alle wollen vielmehr einen friedlichen, erfolgreichen Prozess mit einer klaren Zielsetzung: der Einführung der Demokratie. ({6}) Drittens. Ich glaube, für uns alle ist klar, dass Russland als ein auf das Engste mit der Ukraine verbundener Nachbar dazu Stellung nehmen kann und auch muss. Vorhin wurde schon ausgeführt, dass es eine gemeinsame Geschichte, Kultur und teilweise auch eine gemeinsame Sprache gibt, obwohl sich diese auseinander entwickeln. Russland trägt Verantwortung für einen friedlichen, aber demokratischen Prozess. Auch Russland steht in der Frage, wie es vorgeht, vor einer ganz schwierigen, aber existenziell wichtigen Entscheidung. Russland könnte sich von dem Denken in imperialen Einflusssphären - solche Kräfte gibt es - leiten lassen. Russland könnte aber auch die Kraft und den Mut haben, deutlich zu sagen, nach welchen Prinzipien die russische Entwicklung und damit auch der Umgang mit Nachbarstaaten geleitet werden. Das müssten rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien sein. An dieser Frage wird sich entscheiden, ob dieser Prozess auf einem guten Fundament gebaut ist oder ob es ein Prozess ist, an dem wir Kritik üben müssen. Für uns darf es keinen Zweifel geben: Das Fundament muss aus Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bestehen. ({7}) Meine Damen und Herren, es steht viel auf dem Spiel. Es steht viel auf dem Spiel für die Menschen in der Ukraine, für ihr persönliches Leben. Es geht um die Frage, ob es gelingt, diesen Konflikt friedlich und erfolgreich zu lösen. Wir wissen, wenn solche Aufstände schief gehen - ich erinnere an Prag im Jahr 1968 -, wie viel Leid, wie viel Schrecken, wie viele zerstörte Karrieren und Menschenleben dies mit sich bringen kann. Es steht aber auch sehr viel auf dem Spiel für das Bild, das wir, die Deutschen und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bei den Menschen in der Ukraine hinterlassen. Deshalb glaube ich, dass wir entscheidende Stunden erleben. Ich finde es gut und erfreulich, dass Sie, Herr Bundeskanzler, aufgrund Ihrer guten Beziehungen in intensiven Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Putin auch über das, was notwendig ist, geredet haben. Natürlich sind die Interessen Russlands ebenso wie die Interessen der Europäischen Union zu beachten. Ich glaube aber, dass wir in der Sprache ganz vorsichtig sein sollten. In Ihren Ausführungen, Herr Bundeskanzler, ist dies eben auch deutlich geworden. Dass der russische Präsident das Ergebnis eines demokratischen Prozesses in der Ukraine respektieren wird, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. ({8}) Wenn dies noch einmal ausgesprochen wird, ist es gut. Dass Sie aber hinzufügen: „Was anderes soll das Ergebnis eines demokratischen Prozesses sein als neue Wahlen?“, scheint Ihre Interpretation von demokratischen Prozessen zu sein. Ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher - das erklärt auch die unterschiedlichen Verlautbarungen in Moskau und in Berlin -, ob auch der russische Präsident als einzige Möglichkeit eines demokratischen Prozesses Neuwahlen ansieht. Wir werden dies abwarten. Auch das ist letztendlich in der Ukraine zu entscheiden. Aus zwei Gründen ist es für uns Deutsche in besonderer Weise wichtig, dass bei allem, was die Bundesrepublik Deutschland tut, Rechtsstaatlichkeit und freiheitliches, demokratisches Handeln vor allen anderen Interessen Vorrang haben: Der erste Grund ist der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges; darin bin ich mit Ihnen vollkommen einig. Der zweite Grund ist unsere Erfahrung mit der Einigung Deutschlands in Freiheit, Frieden und Freundschaft mit unseren Nachbarn. Wir Deutsche haben beides erlebt. ({9}) Herr Bundeskanzler, das ist keine Absage an eine wirtschaftliche Kooperation, an eine Orientierung an wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Wenn wir aber langfristig denken, kann auch der Bundesrepublik Deutschland ein nicht auf Demokratie, sondern auf hegemoniales Machtdenken beruhendes gemeinsames Wirtschaftsprojekt nicht recht sein. Es muss auf Rechtsstaatlichkeit in Russland gegründet sein. Das ist die Basis, auf der wir gute strategische Partnerschaften aufbauen können. Ob die Demokratie in Russland schon lupenrein ist, darüber kann man in Deutschland sicherlich verschiedener Meinung sein. Das ist auch wichtig und richtig so. ({10}) - Um die Frage zu beantworten: Ich schlage vor, dass wir unsere Maßstäbe - das ist dann auch meine letzte Bemerkung - ganz klar definieren und Prioritäten setzen. Und die Priorität heißt: rechtsstaatliches Handeln in Russland. Es kann auch in einer strategischen Partnerschaft eine kritische Auseinandersetzung geben; nicht jede kritische Auseinandersetzung muss in einer Konfrontation enden. Niemand in diesem Hause zweifelt daran, dass eine strategische Partnerschaft mit Russland wichtig ist. Aber manchmal wächst auch die Autorität, wenn man ein offenes Wort mehr sagt. Das tun wir ja gegenüber anderen Ländern dieser Erde auch. ({11}) Es geht also in diesen Tagen um die Gemeinsamkeit europäischer Prinzipien. Wir können in diesem Hause, im Deutschen Bundestag in Berlin, sitzen, weil über Jahrzehnte sehr klar eine Auseinandersetzung um die Frage der deutschen Einheit geführt wurde, um die Frage: Reicht es, wenn sie im Frieden stattfindet? Oder muss sie in Frieden und Freiheit stattfinden? Ich sage: Das, was uns glücklich gelungen ist, verpflichtet uns, nicht nur für eine friedliche Lösung - das auch -, sondern für eine Lösung für die Ukraine in Frieden und Freiheit zu kämpfen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainder Steenblock von Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht, glaube ich, heute um zwei wichtige Punkte. Zum einen geht es um die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, um die Millionen von Menschen, die seit einer Woche auf der Straße sind und für ihre nationale Würde kämpfen, die dafür kämpfen, dass sie als Volk demokratisch und selbstbestimmt über ihre Zukunft entscheiden können. Die Menschen in der Ukraine verdienen natürlich unsere volle Unterstützung. Uns, die wir in freien Wahlen gewählt worden sind, um das deutsche Volk, die Menschen in Deutschland zu vertreten, steht es gut an, in der Frage der Solidarität mit den Freiheitsbewegungen eines Volkes gemeinsam zu handeln. Ich bin sehr froh darüber und auch ein bisschen stolz darauf, dass Gert Weisskirchen, Jelena Hoffmann, Katrin Göring-Eckardt, Claudia Nolte und ich mit einem gemeinsamen Beschluss dieses deutschen Parlaments in die Ukraine fahren und sagen konnten: Der Bundestag ist auf eurer Seite und unterstützt die demokratische Bewegung in der Ukraine. - Ich glaube, das war ein ganz wichtiges Signal. ({0}) Aber dies ist zum anderen nicht nur eine Stunde der Solidarität. Vielmehr glaube ich, dass es auch die Stunde einer selbstkritischen Nachdenklichkeit ist. Denn wir alle in diesem Parlament, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, und auch die Länder der Europäischen Union haben in der Vergangenheit die Dynamik der Entwicklung in der Ukraine unterschätzt. Wir haben uns nicht ausreichend um dieses Thema gekümmert. Das müssen wir alle selbstkritisch zur Kenntnis nehmen. Wir haben die Kraft dieses Volkes unterschätzt, sich trotz all der Schwierigkeiten, trotz der Unterdrückung, trotz der Manipulation, trotz der Erpressung zu erheben und zu sagen: Das lassen wir uns nicht bieten. Das haben wir in der Vergangenheit nicht ernst genug genommen und das ist auch ein Grund, in Bezug auf den Blick nach Osten nachdenklich zu sein. Die Kraft, die in diesem Volk steckt, verdient unsere Solidarität. Ich glaube, wir müssen uns in Zukunft darum mehr kümmern. Diese Solidarität, die heute alle Fraktionen sehr deutlich gemacht haben, und unsere Aufmerksamkeit dürfen nicht ihr Ende finden, wenn das eintritt, was wir alle hoffen und wofür wir kämpfen, wenn nämlich neue Wahlen ein demokratisch legitimiertes Ergebnis bringen. Wir müssen uns vielmehr dafür einsetzen, dass dieses Land und die Menschen, auf die so viele Frustrationen und Schwierigkeiten warten, auch in Zukunft auf unsere Solidarität bauen können. Wir können nicht jetzt sozusagen ein Solidaritätsevent durchführen, auf das die Öffentlichkeit schaut, und dann, wenn der Tross der öffentlichen Berichterstattung weitergezogen ist, in unserer Solidarität nachlassen. Wir müssen in unserer Politik verankern, dass dieses Land zu Europa gehört. Es ist ein europäisches Land, welches auch weiterhin unsere Solidarität verdient. ({1}) Die Situation in der Ukraine - einige Kollegen haben das angesprochen - ist nicht so sehr durch ethnische, kulturelle oder sprachliche Spaltung gekennzeichnet. Dieses Land ist gespalten durch den möglichen Zugang zu Informationen. Demokratie braucht Medien, die objektiv, aber natürlich auch streitbar Bericht erstatten und Meinungen wiedergeben. Demokratie und demokratische Kultur - das macht gerade die jetzige Auseinandersetzung in der Ukraine deutlich - brauchen den demokratischen Diskurs, für den die Medien mit verantwortlich sind. Deshalb - das möchte ich hier noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen - bin ich persönlich Ute Schaeffer, der Redaktionsleiterin des ukrainischen Programms der Deutschen Welle, sehr dankbar. Alle Oppositionellen und Demokraten in der Ukraine sagen immer, wie wichtig dieses Informationsprogramm auch in schwierigen Zeiten gewesen ist, um überhaupt über Demokratie diskutieren zu können, um Rückhalt zu haben. Deshalb herzlichen Dank für diese Arbeit. ({2}) Lassen Sie mich heute noch einmal ein Problem ansprechen, in dem es auch um Solidarität geht. Wir haben heute den Weltaidstag. Gerade das Beispiel Ukraine zeigt die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung von Aids. Die Infektionszahlen sind in den letzten Jahren in ganz Osteuropa geradezu explodiert. Die Ukraine ist besonders betroffen. Wir wissen aus afrikanischen Ländern, wie dramatisch diese Entwicklung werden kann, wenn bei den Infektionszahlen ein bestimmter Schwellenwert überschritten worden ist. Ich glaube, dass es für die Zukunft und die Binnenstruktur einer Gesellschaft wichtig ist, dass hier Standards eingehalten werden, dass Aufklärung möglich ist, dass Bildung sowie Solidaritätsprogramme der Europäischen Union möglich sind. Gerade im Bereich der Aidsbekämpfung werden wir uns in Zukunft sehr viel stärker um dieses Land kümmern müssen. Ich würde gerne einen positiven Aspekt erwähnen, weil ich mich wirklich darüber gefreut habe. Die Unterstützung, die die Ukraine und die Menschen dort spät, aber nicht zu spät, durch die Europäische Union erhalten haben, zeigt, dass die neue, größere Europäische Union durch ihre Größe nicht handlungsunfähig wird. Gerade die neuen Mitgliedsländer wie Polen, Litauen und die anderen baltischen Länder haben mit ihrer Sicht dieses Problems und ihrem Engagement die europäische Politik ein ganzes Stück weiter nach vorn gebracht. Wir können wirklich zufrieden mit dem und stolz auf das sein, was die europäische Politik hier geschlossen und gemeinsam leisten kann. Mehr Länder in der Europäischen Union - das zeigt die Erweiterung - müssen nicht mehr Chaos bedeuten, sondern bedeuten vielmehr: Die Polen und Litauer haben uns einen neuen, besseren und sachkundigeren Blick auf diese Probleme gelehrt. Wir können und müssen gerade als Deutsche hier besonderes Engagement zeigen. Lassen Sie uns die Ukraine auf ihrem Weg, ihre nationale Würde zukünftig selbstbestimmt und in Freiheit zu gestalten, unterstützen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage in der Ukraine ist dramatisch und unübersichtlich. Das ukrainische Parlament hat heute beschlossen, dass die Regierung zurücktreten soll. Einige Minister haben das bereits getan. Der Druck der Demonstranten ist weiterhin groß. Sie sind offensichtlich nicht bereit, sich mit Kompromissen besänftigen zu lassen. Präsident Kutschma lehnt eine Wiederholung der Stichwahl ab und will vollständige Neuwahlen. Er hofft, wie auch Russlands Präsident Putin, dass Neuwahlen die Möglichkeit bieten, den verbrauchten Wiktor Janukowitsch fallen zu lassen und einen unverbrauchten Kandidaten präsentieren zu können. Kutschma und Putin spielen auf Zeit, in der Hoffnung, dass der Opposition die Luft ausgeht. Die OSZE bestätigte, dass die Wahl in der Ukraine nicht den internationalen Standards entsprochen hat. Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, dann muss unbedingt darauf geachtet werden, dass diese Standards eingehalten werden. ({0}) Doch nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Situation in der Ukraine spitzt sich weiter zu. Viele Menschen sind verunsichert. Aus Furcht vor Unruhen werden Spareinlagen geplündert. Darum, finde ich, ist es die dringlichste Aufgabe der Bundesregierung, alles zu unternehmen, damit die Situation in der Ukraine nicht eskaliert und damit es nicht zu Gewalt und Blutvergießen kommt. Nicht nur die Lage in der Ukraine ist unübersichtlich, sondern auch die Interessen Russlands, der USA, der EU und der Bundesrepublik sind nicht immer deutlich. Der Bundeskanzler und der Außenminister scheinen manchmal zweigleisig zu fahren. Ich habe den Eindruck, dass der Kanzler alles tut, damit die Handelswege sicher bleiben und die deutsche Exportindustrie keinen Schaden nimmt. Der Außenminister scheint mehr die Demokratieschiene bedienen zu sollen. In der Krise zeigt sich dramatisch, dass die Bundesregierung kein überzeugendes Konzept hat, wie sie ihre Beziehungen zur Ukraine und zu Russland gestalten will. Der Weg aus dieser politischen Krise und die Verhinderung einer Spaltung der Ukraine werden nicht dadurch erleichtert, dass man einfache Lösungen verfolgt. ({1}) Auch der Demonstrationstourismus einiger Bundestagsabgeordneter nach Kiew bringt uns keinen Schritt näher an die Lösung des Problems. ({2}) Im Gegenteil, der Parlamentstourismus schürt nur den begründeten Argwohn der Menschen im Osten der Ukraine, die hinter der Opposition das Werk des Westens vermuten. Bedauerlich ist, dass die EU und die Bundesregierung der Ukraine bis zu den Wahlen die kalte Schulter gezeigt haben. Da ist es doch nur zu verständlich, dass das Engagement einiger Politiker etwas überraschend wirkt und Argwohn erzeugt. Mein Vorredner von den Grünen hat ganz zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht angehen könne, jetzt daraus ein Politikevent zu machen, aber dann, wenn die Fernsehkameras nicht mehr dabei sind, kein Interesse mehr für die Ukraine zu zeigen. Die Bundesregierung und die EU sollten zusammen mit Russland und den legitimierten Vertretern des ukrainischen Volkes schnell nach Formen der vertrauensvollen Zusammenarbeit suchen, damit die Ukraine nicht Spielball unterschiedlichster Interessen bleibt. ({3}) Jetzt muss diese Krise im Interesse aller Menschen in der Ukraine und im Interesse der Europäer schnell, gewaltfrei und demokratisch gelöst werden. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann von der SPD-Fraktion.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine heutige Rede zur Situation in der Ukraine mit einem lyrischen Exkurs beginnen. Ein Abgeordnetenkollege aus dem ukrainischen Parlament, Herr Moroz, hat in der vergangenen Woche Folgendes auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew gesagt: Die Weite der Güte schwebt über dem Platz der Unabhängigkeit, über den Straßen und Plätzen der Ukraine. Offene Blicke und das Lächeln unbekannter Menschen kommen dir entgegen - ein Meer von Jugend, in welchem du schwimmst ohne Angst vor Wellen und Tiefe, eine neue Generation, das Entstehen eines Volkes, das die Ketten der aufgezwungenen Gehorsamkeit abgeworfen hat. Es ist möglich, die Wahrheit zu sagen, und wie leicht ist es, dies ohne Angst vor dem scharfen Blick des Staates zu tun! Glaube, Hoffnung und Freiheit - willkommen! Besser als mit diesen Worten, die ich authentisch zu übersetzen versucht habe, lässt sich die Stimmung des Volkes in der Ukraine in diesen Tagen nicht beschreiben. Es klingt wie ein Paradox, dass diese undemokratischen, gefälschten Wahlen zu solch einer Demokratisierung des Volkes, der ukrainischen Gesellschaft geführt haben. ({0}) Als wir hier vor fast genau sechs Wochen spät am Abend über unseren Antrag zur Ukraine abgestimmt haben, hat keiner von uns an solch eine Entwicklung gedacht. Die Administration, die ukrainische Regierung hat unseren Appell ignoriert. In der zweiten Runde der Stichwahl waren sich alle sehr schnell einig: Die Wahlen sind gefälscht. Ich habe gesehen, wie schon in der Nacht nach der Stichwahl die Zelte der Anhänger von Wiktor Juschtschenko auf dem Platz der Unabhängigkeit aufgestellt wurden. Tausende Menschen haben bei Schnee und klirrender Kälte den Sieg gefeiert; nicht unbedingt den Sieg ihres Kandidaten, sie haben den Einzug der Demokratie in die ukrainische Gesellschaft dokumentiert. Politisch, demokratisch, europäisch - so haben wir in Deutschland und auch im Westen Europas die Ukraine noch nicht gesehen und noch nicht erlebt. In Kiew wird der Wille des ukrainischen Volkes sichtbar, der Wille nach Demokratie und Freiheit. ({1}) Das Rad der Geschichte darf in der Ukraine nicht mehr zurückgedreht werden. Diese Demokratiebewegung hat unsere Unterstützung verdient, nicht nur in diesen Tagen des Protestes, sondern langfristig. ({2}) Das war der Grund unserer Reise am Wochenende in die Ukraine, liebe Kollegin, die Sie vor mir gesprochen haJelena Hoffmann ({3}) ben. Als wir mit Gert Weisskirchen auf der Bühne des Majdan, wie die Ukrainer den Platz der Unabhängigkeit in Kiew nennen, gestanden haben, hat mich ein Abgeordneter, der unsere Reden übersetzen sollte, gefragt, ob ich auf Russisch reden möchte. Ich habe auf Ukrainisch angefangen, dann Deutsch gesprochen und auf Russisch meine Worte beendet, weil das der Situation im Lande entsprochen hat. ({4}) Als ich gleich danach gesagt habe, dass es keine Westund keine Ostukraine gibt, sondern nur ein ukrainisches Volk, ein Land, eine Ukraine, jubelten und applaudierten Tausende von Menschen, weil sie sich auch wie ein Volk gefühlt hatten. Die Spaltung des Landes war im Wahlkampf die Strategie der Regierung und des Stabes von Janukowitsch. Die historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der Ukraine sind nicht zu unterschätzen, doch sie dürfen nicht missbraucht werden. Ich glaube und ich hoffe - da bin ich Ihrer Meinung, Frau Nolte -, dass eine Teilung der Ukraine nicht stattfinden wird. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit des ukrainischen Volkes dies nicht will und auch nicht zulassen wird. An dieser Stelle möchte ich dem Bundeskanzler für sein großes politisches und persönliches Engagement für eine friedliche Lösung des Konfliktes danken. ({5}) Ich möchte feststellen, dass unser Kanzler die höchste Kunst der Diplomatie beherrscht. ({6}) Was Frau Merkel möchte und vom Kanzler erwartet, ist, dass er sich wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt, dass er eine Art Basar-Diplomatie macht. Ich freue mich, dass der Kanzler auf Frau Merkel und ähnliche Aussagen nicht hört. Auch dem Außenminister sei für sein Engagement in Richtung der Europäischen Kommission gedankt. Das ukrainische Volk braucht unsere Unterstützung. Sobald die demokratischen Kräfte in der Ukraine gewonnen haben, werden sie eine Antwort auf die Frage ihrer eigenen Zukunft in Europa suchen. Dabei dürfen wir sie nicht allein lassen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hoffmann, ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Lob für den Bundeskanzler an dieser Stelle und in dieser Form wirklich angebracht war. ({0}) Ich denke, die Rede des Bundeskanzlers hat deutlich gemacht, dass die Telefonate innenpolitisch zwar verwendet werden, außenpolitisch im Ergebnis aber nicht das bringen, was hier suggeriert wird. ({1}) - Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Kritik muss man in der Demokratie vertragen können. ({2}) - Darüber entscheiden Sie an dieser Stelle sicherlich nicht. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede einen Zusammenhang nicht hergestellt - was ich für dringend geboten gehalten hätte -, nämlich den Zusammenhang von strategischer Partnerschaft einerseits und dem Einfordern von Freiheit, Recht und Demokratie andererseits, und zwar nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland. ({3}) Das ist die entscheidende Frage. Deswegen möchte ich an den Anfang meiner Betrachtung zu dem heutigen Thema gerne ein Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 26. November 2004 stellen. Die Rede des Bundeskanzlers hat gezeigt, dass es notwendig ist, über diese Frage zu reden. Die „FAZ“ schrieb: Öl und Gas sind nicht die höchsten Werte des Westens. ({4}) Von dieser Frage ausgehend sollten wir uns anschauen, welche Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten in der Ukraine vonstatten gegangen ist. Vor dem Hintergrund der strategischen Fragen in diesem Zusammenhang und der entsprechenden Berichterstattung ist es ungemein wichtig, die richtige Prioritätenfolge zu wählen, wenn es um unser politisches Engagement für die Gestaltung Europas, in der Ukraine, aber auch in der Partnerschaft mit Russland geht. Bei den Voraussetzungen für ökonomisches Wachstum und für strategische Partnerschaften sind auch Fragen von Recht, Freiheit und Demokratie zu beachten, weil sie die Grundlagen für stabile wirtschaftliche und politische Verhältnisse sind. ({5}) Ich denke, wenn man von dieser Seite aus an die Sache herangeht, dann wird deutlich, dass die Interessen Europas, Deutschlands und Russlands letztendlich gar nicht so weit auseinander liegen. Es muss sowohl im Interesse Europas insgesamt als auch im Interesse Deutschlands und Russlands liegen, eine stabile, demokratische, ökonomisch entwickelte und damit sozialverträgliche Ukraine zu haben. Wenn wir allerdings mit unseren russischen Partnern über diese Begrifflichkeiten reden, auch im Rahmen EU-Nachbarschaftspolitik, neigen diese dazu - ich beklage das, weil ich es für nicht angemessen halte -, in den alten Kategorien des Kalten Krieges zu denken, anstatt die Lage bezogen auf die heutige Zeit zu interpretieren. ({6}) Mit der Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union und mit der Nachbarschaftspolitik gemäß der Interpretation, die Angela Merkel hier vorgetragen hat, wollen wir niemanden bedrohen. Wir wollen wirklich Partnerschaft, Frieden, Freiheit und Demokratie. Das ist die Prioritätenfolge in unserer politischen Agenda. ({7}) Ich will gar nicht bestreiten - das gilt auch bezogen auf die Diskussionen in anderen Bereichen -, dass nicht zuletzt ökonomisch gute Beziehungen eine Voraussetzung dafür sind, dass das andere klappt. Ich denke, wir müssen in der Auseinandersetzung um die Frage der vier Räume und um die EU-Russland-Partnerschaft schlicht und einfach sehen, dass wir nicht nur auf den Wirtschaftsraum schauen und Freiheit sowie Demokratie sozusagen rechts liegen lassen können. Von daher sind die Kriterien für die Nachbarschaftspolitik mit der Ukraine die Kriterien für die Nachbarschaftspolitik mit Russland. Ich glaube, es gibt hier schon eine hohe Identität. Wie schwierig das auch vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung um die Entwicklung in der Ukraine ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass der EURussland-Gipfel nicht zu einem Abschluss gekommen, sondern auf Mai vertagt worden ist. Wir bedauern das außerordentlich, weil es außer den politischen Umständen und der Interpretation der Nachbarschaftspolitik, weil es jenseits von Freiheit, Recht und Demokratie keine Veranlassung gibt, diese Partnerschaftsabkommen, die strategische EU-Russland-Partnerschaft, zum Abschluss zu bringen. Ich habe bereits am Anfang gesagt: Wenn wir hinter die Kulissen schauen, wird offensichtlich - das hat hier auch der Bundeskanzler mehr als deutlich durchscheinen lassen -, dass die Diskussion nicht zuletzt vor dem Hintergrund strategischer Fragen der Rohstoff- und Energiepolitik geführt wird. Niemand stellt infrage - ich sage dies, weil oftmals Zweifel aufkommen, wenn man Probleme diskutiert -, dass Russland auch in Zeiten des Kalten Krieges ein zuverlässiger Gas- und Öllieferant gewesen ist. ({8}) Aber das kann nicht dazu führen, dass wir die Frage ausblenden, wie Gas und Öl aus Russland und anderen Regionen zu uns nach Europa kommen. In diesem Zusammenhang müssen wir sehen, dass der Ukraine auf dem Weg von Zentralasien und Russland zu uns mit ihrer strategischen Lage eine zentrale Funktion zukommt. Das erklärt manches, was nicht auf dem Marktplatz ausgetragen wird, sondern was man in den Hintergrundberichten lesen muss, um vielleicht den einen oder anderen Versuch der Einflussnahme besser beurteilen zu können. Wenn aber Öl und Gas - darin sind wir uns hoffentlich einig - nicht die höchsten Werte des Westens sind, dann muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass Freiheit und Demokratie, unabhängig davon, ob dies in allen wirtschaftlichen Beziehungen immer erfolgreich ist, eingefordert werden müssen. ({9}) Schweigen für Öl und Gas bedeutet, die Menschen in Kiew im Stich zu lassen. ({10}) Auch vor dem Hintergrund eines Gespräches gestern Abend mit dem russischen Botschafter will ich deutlich sagen: Der Ukraine eine freiheitlich-demokratische Perspektive zu eröffnen, die die Grundlage für eine ökonomische und soziale Perspektive ist, bedeutet nicht einen Angriff auf Russland, sondern ist der Versuch, mit diesen Grundwerten die Stabilität des Friedens in Europa, so wie wir das für uns 1990 erreicht haben, auch den Menschen in Mittel- und Osteuropa dauerhaft zugänglich zu machen. Das muss das Ziel unserer Politik und das Ziel der EU-Nachbarschaftspolitik sein. Es geht nämlich nicht um Einmischung, sondern darum, ob wir uns als Vermittler in der Balance zwischen Werten und Prinzipien einerseits und den strategischen Fragen andererseits einschalten können. Niemand will zur alten Situation zurückkehren. Ich will am Schluss mit Nachdruck sagen: Wir wollen Frieden und Freiheit für unsere Demokratie und die Demokratie unserer Nachbarn. Wenn wir das erreicht haben, dann werden wir alles in Gang setzen, um ökonomische und soziale Stabilität zu erreichen, sowohl für jene, die - wie das hier beschrieben worden ist - im Donezkbecken arbeiten, als auch für die, die im Westen der Ukraine leben. Nach einem Besuch in einem ukrainischen Kraftwerk - ich will hier keine Reizworte streuen -, der leider einmalig geblieben ist, kann ich nur unterstreichen: Wer das sieht, weiß, dass wir uns alle Mühe geben müssen, eine ökonomische Entwicklung in Gang zu setzen, die die Voraussetzung für eine sichere Demokratie und Freiheit ist. In diesem Sinne sollten wir in der Frage, wie es mit der Ukraine weitergeht, nicht nur die strategischen Interessen der Europäischen Union sehen, sondern gewiss sein, dass eine freiheitliche und ökonomische Entwicklung in der Ukraine auch uns Frieden und Stabilität sichert. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Dezember 2004, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.