Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/14/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem offenkundig auf Wunsch der FDP zu diesem Punkt diskutiert werden soll, will ich auf das Vermittlungsergebnis kurz eingehen. Das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz ist Bestandteil eines großen Paketes von sieben Gesetzen, das dem Vermittlungsausschuss vorlag. Dieses Gesetz war politisch sicherlich das wichtigste. Das Vermittlungsergebnis zeichnet sich meines Erachtens durch drei Punkte aus: Erstens. Die bereits vorhandenen guten steuerlichen Rahmenbedingungen für den Mittelstand werden weiter verbessert. ({0}) Zweitens. Die steuerliche Einnahmebasis der Kommunen wird stabilisiert. Drittens. Der Gefahr missbräuchlicher Steuergestaltung wird entgegengewirkt. ({1}) Mit der nun vorgesehenen Reinvestitionsrücklage und einer Verzehnfachung des Betrages von 50 000 Euro auf 500 000 Euro wird ein ganz deutlicher Akzent zugunsten mittelständischer Unternehmen gesetzt. Die Wiederanlagefrist für Übertragungen auf Gebäude wird auf vier Jahre verlängert; ansonsten verbleibt es bei dem Zeitraum von zwei Jahren. Bei dieser Maßnahme handelt es sich mangels Vergleichbarkeit nicht um die Gleichbehandlung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften, sondern durch diese Aufstockung und die Fristverlängerung werden nun größere Teile des Mittelstandes, insbesondere größere Mittelständler, begünstigt. Neben den bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regelungen zur Verbesserung der Einnahmebasis der Kommunen hat der Vermittlungsausschuss den Städten und Gemeinden eine Einnahmequelle erhalten, indem er sich auf eine Gewerbesteuerpflicht auf Dividendeneinnahmen aus Streubesitz verständigt hat. Diese Maßnahme dient allein zur Sicherung der kommunalen Einnahmebasis und sollte im Rahmen der in der nächsten Legislaturperiode beabsichtigten kommunalen Präsident Wolfgang Thierse Finanzreform auf den Prüfstand gestellt werden. Insgesamt können die Kommunen durch den Bundestagsbeschluss und das Vermittlungsergebnis mit Mehreinnahmen von über 750 Millionen Euro rechnen. In der Frage der so genannten Behaltefristen bei der Umstrukturierung von Personenunternehmen ist der gefundene Kompromiss insgesamt vertretbar, auch aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion, weil die Gefahr missbräuchlicher Steuergestaltung vermindert wird. Wirtschaftlich vernünftige Umstrukturierungen bei Personenunternehmen finden auf längere Sicht eben nur statt, wenn der Betrieb fortgeführt werden soll. Insgesamt also, meine Damen und Herren, war dieser Tag, an dem dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses erzielt wurde, ein guter Tag für den sich wirtschaftlich betätigenden Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt kommt eine Runde mit Erklärungen der Fraktionen. Für die Fraktion der PDS Kollege Peter Rauen. ({0}) - Die Kälte, die Kälte! Ich bitte um Entschuldigung. Für die Fraktion der CDU/CSU Herr Kollege Peter Rauen. ({1})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst dankbar für die Klarstellung, für wen ich die Erklärung abgeben darf. Ich darf erklären, dass die CDU/CSU dem Vermittlungsergebnis zustimmt. Es müssen aber einige Dinge klargestellt werden. Wir haben über ein Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz diskutiert. Davon kann eigentlich nicht die Rede sein; denn es handelt sich vielmehr um ein Reparaturgesetz. Das erleben wir ja jetzt schon zum wiederholten Male. Wir begrüßen aber, dass Personengesellschaften beim Umstrukturieren jetzt weitestgehend wieder so behandelt werden wie vor dem verunglückten Gesetz von 1999. So wird wieder eine Reinvestitionsrücklage bei der Veräußerung von Kapitalerlösen in Höhe von 500 000 Euro anerkannt, die innerhalb von vier Jahren in Gebäude und innerhalb von zwei Jahren in bewegliches Anlagevermögen steuerfrei angelegt werden kann. Es wurde der alte Zustand der Realteilung und des Mitunternehmererlasses mit dem Schönheitsfehler wieder hergestellt, dass jetzt im Gegensatz zu früher eine dreijährige Behaltefrist vorgesehen wird. In Zukunft wird es auch möglich sein, dass bei Betriebsübergängen an einen Nachfolger das Sondervermögen vom Betriebsinhaber sowohl gehalten als auch steuerfrei reinvestiert werden kann. Von einem Fortentwicklungsgesetz kann deshalb nicht die Rede sein, weil die A-Seite die Möglichkeit, Betriebsausgaben abzuziehen, wieder eingesammelt hat. Es war der Wirtschaft versprochen worden, Betriebsausgaben bei der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen wieder geltend machen zu können. Auch die Freistellung der Betriebe von der Grunderwerbsteuer bei konzerninternen Umstrukturierungen wurde wieder eingesammelt. Man hat auch eine Rolle rückwärts getan, indem man steuerfreie Dividenden wieder besteuert, indem sie der Gewerbeertragsteuer unterliegen sollen. Vor dem Hintergrund wegbrechender Einnahmen bei den Gemeinden begrüßen wir dieses. Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass es sich hier um ein Reparaturgesetz für verunglückte Gesetzgebung aus der Vergangenheit handelt. Man hat auch bei der Verhandlung gesehen, dass die Regierung bei ihrer Steuergesetzgebung vorne bei und hinten wider ist. Wir stimmen zu, weil eine von uns seit langem erhobene Forderung wahrgemacht wurde, nämlich einige unmögliche Bedingungen bei der Umstrukturierung von Personengesellschaften zurückzunehmen. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es waren ja ausführliche Verhandlungen über etliche Stunden im Vermittlungsausschuss. Ich bin froh, dass wir einen Kompromiss gefunden haben, der von einer breiten Mehrheit hier im Hause getragen wird. So kann der Notwendigkeit entsprochen werden, dass das veränderte Unternehmensteuerrecht zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft treten kann. Damit schaffen wir in einer konjunkturell schwierigen Lage deutlich bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand. Die Union hat im Vermittlungsausschuss den Weg für die notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen freigemacht. Leider konnte die FDP sich nicht dazu durchringen. ({0}) Deswegen haben wir ja heute hier auch noch dieses kleine Nachspiel. Der Vorwurf von Steuererhöhungen, der vonseiten der FDP erhoben wird, hat mit der Realität dieses Gesetzes wirklich nichts zu tun. ({1}) Er dient allein zur Profilierung dieser kleinen Partei. So platt würde ihn sonst niemand erheben. ({2}) Einen solchen Vorwurf kann auch nur jemand erheben, der auf Landes- und Kommunalebene kaum bis gar nicht Regierungsverantwortung übernimmt. ({3}) Natürlich mussten wir bei dem Ergebnis gegeneinander abwägen, was der Mittelstand braucht und was unsere Kommunen und Länder brauchen. Lieber Kollege Rauen, mit Blick auf den Mittelstand sprechen Sie davon, dass es sich um ein Reparaturgesetz handle, mit dem wieder gutgemacht werden solle, was in anderen Gesetzen zuvor in Ihren Augen schlecht geregelt worden sei. Lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich sagen: Von einer Benachteiligung des Mittelstands gegenüber Kapitalgesellschaften kann nicht die Rede sein. ({4}) In einem Personenunternehmen zahlt der Unternehmer schon im Jahr 2001 bei einem Gewinn von 100 000 DM über 18 000 DM weniger Steuern als eine Kapitalgesellschaft. Bis 2005 wird der Abstand zugunsten der kleinen und mittleren Personenunternehmen noch Schritt für Schritt weiter verkleinert. Im Jahr 2005 wird die einer Körperschaft entsprechende durchschnittliche Gesamtbelastung von 38,5 Prozent von einem ledigen Personenunternehmer erst bei einem Einkommen von 250 000 DM und von einem verheirateten Unternehmer erst bei einem Einkommen von 480 000 DM erreicht. Ein solches Einkommen erlangen nur etwa 5 Prozent der mittelständischen Unternehmen. Beachten Sie doch, wie die Realität bei den Mittelständlern aussieht. Das ist schon jetzt deutlich besser, als es zu Ihren Zeiten war. ({5}) Mit dem vorliegenden, im Vermittlungsausschuss erarbeiteten Steuerkompromiss werden lediglich die Großunternehmen ein bisschen weniger stark entlastet, als ursprünglich vorgesehen war. ({6}) Wenn das der Maßstab der FDP ist, dann wird klar, wer hier für Mittelstandspolitik steht. Das tut die FDP schon lange nicht mehr. ({7}) - Wollen wir doch einmal sehen, was gleich von Ihnen kommt. Ich möchte noch auf einige Punkte dieses Steuerkompromisses hinweisen, um deutlich zu machen, dass es hier um den Mittelstand geht. Sehr wichtig ist den Grünen die jetzt eingeführte Reinvestitionsrücklage - sie gab es bisher auch nicht -, um auch bei der Veräußerung von Beteiligungen zu einer Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen zu kommen. Ich bin natürlich sehr froh darüber, dass es gelungen ist, diese Rücklage deutlich auf 500 000 Euro anzuheben, sodass es hier praktisch keine Begrenzung mehr gibt. Auch wurde der Zeitraum bis zur Reinvestition bei Gebäuden in angemessener Weise auf vier Jahre verlängert. Dass man einen solchen Zeitraum vorschreiben muss, hat niemand bestritten; anderenfalls eröffnete man eine neue Steuerlücke. Das wollen wir nicht. Die Kommunen können durch den Kompromiss im nächsten Jahr 260 Millionen Euro zusätzlich erlösen. Insgesamt erzielen sie aufgrund dieses Gesetzes 700 Millionen Euro. Es ist uns sehr wichtig gewesen, die Balance zu den Kommunen aufrechtzuerhalten. Weitere Vergünstigungen müssen wir bei der geplanten Gemeindefinanzreform schaffen. Bund und Länder haben gemeinsam ihre Verantwortung für die Kommunen dadurch wahrgenommen, dass Dividenden im Streubesitz jetzt auch unter 10 Prozent gewerbesteuerpflichtig sind. Die Veräußerungsgewinne - das ist ein Kernstück unserer Unternehmensteuerreform bleiben vollständig steuerfrei. Meine Damen und Herren, wir werden weiterhin eine konsequente Mittelstandsförderung betreiben und diese solide gegenfinanzieren; denn mittelstandsfreundliche Politik ist auch an eine solide Haushaltspolitik gebunden. Gerade der Mittelstand braucht die kommunale Infrastruktur. Darauf werden wir weiterhin achten. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Steuerund Abgabenerhöhung in Höhe von netto 26 Milliarden DM im nächsten Jahr kommt durch dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses eine steuerliche Mehrbelastung der Arbeitsplätze und der Wirtschaft von knapp 1 Milliarde DM hinzu. Dies hält die FDP für falsch; deshalb lehnt die FDP dieses Gesetz ab. ({0}) Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes werden im Finanztableau mit einer Mehrbelastung von 140 Millionen Euro dargestellt. Hinzu kommen aber die Verschlechterungen bei der Neuregelung des Mitunternehmererlasses und der Realteilung, die - das war zuvor zwischen Bund und Ländern einvernehmlich abgestimmt - zu einer Mehrbelastung von 300 Millionen Euro führen. Mir ist unverständlich, warum zwar die Verschlechterungen in das Finanztableau aufgenommen worden sind, nun aber nicht mehr beziffert sind; denn mit den ausgewiesenen und fälschlicherweise nicht bezifferten Verschlechterungen in Höhe von weiteren 300 Millionen Euro kommen wir durch dieses Gesetz auf eine Verschlechterung in Höhe von insgesamt 440 Millionen Euro. Das sind rund 900 Millionen DM. Diese Zusatzbelastung von knapp 1 Milliarde DM können wir angesichts der derzeitigen konjunkturellen Lage, in der wir uns befinden, überhaupt nicht gebrauchen. ({1}) Bei diesem Gesetz ging es ursprünglich um das bescheidende Ziel, der seit Anfang 2001 geltenden Unternehmensteuerreform an ein paar Stellen einen Feinschliff zu verpassen. Davon ist aber nichts übrig geblieben. Wir erleben nur noch Steuererhöhungen, Nachbesserungen und Chaos. Das Prunkstück dieses Gesetzentwurfs, die Reinvestitionsrücklage zugunsten von Personenunternehmen für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wird dem normalen Handwerksbetrieb und dem Mittelständler wenig helfen, weil er eben keine Finanzanlagen in seinem Betriebsvermögen hält. Ich möchte bemerken, Herr Präsident, dass es im Saal sehr kalt ist. Im Gesetzentwurf war die Wiederherstellung des Mitunternehmererlasses mit einer Sperrfrist von sieben Jahren vorgesehen. Der Bundestag hat dieses ohne jede Frist beschlossen. Die SPD-Länder haben eine Frist von fünf Jahren gefordert. Herausgekommen ist eine Frist von drei Jahren ab Abgabe der Steuererklärung. Das ist ein ganz neuer Tatbestand, den wir bislang im Steuerrecht überhaupt noch nicht hatten. Die Frist beträgt faktisch vier bis fünf Jahre. Dieses Beispiel zeigt: Dieser Gesetzgebung liegt überhaupt keine Konzeption zugrunde. Sie ist pures Chaos. ({2}) Dieses ist keine Politik der ruhigen Hand, sondern der zitternden Hand von Rot-Grün und Ausdruck einer deutlich erkennbar verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik. Wer soll diese chaotische Steuergesetzgebung noch verstehen und nachvollziehen können? Heute, am 14. Dezember, beschließt der Bundestag. In der nächsten Woche, am 20. Dezember, beschließt der Bundesrat. Dieses Gesetz soll aber in Teilen schon rückwirkend ab dem 1. Januar 2001, also rückwirkend für dieses Jahr, gelten. Wie soll sich jemand auf die Steuergesetzgebung verlassen können, wenn man hinsichtlich der Fristen überhaupt keine Rücksichten nimmt und teilweise unechte Rückwirkungen vorsieht? Das kann nicht richtig sein. Auch aus diesem Grunde lehnen wir das ab. ({3}) Für Rot-Grün, Finanzminister Eichel und auch für Sie, Frau Heyne, gilt: Die Bürger nehmen die Ergebnisse aller so genannten Steuerreformen in ihrem Geldbeutel nicht als Entlastung, sondern ausschließlich als Belastung wahr. Wir brauchen aber im nächsten Jahr keine NettoSteuer- und Abgabenerhöhung in Höhe von 26 Milliarden DM plus 1 Milliarde DM aus diesem Gesetz. Wir brauchen in Deutschland vielmehr eine Steuerentlastung. ({4}) Das Flickwerk von Nachbesserungen von Rot-Grün muss endlich ein Ende haben. Die FDP fordert daher eine klare Steuerentlastungspolitik für Bürger und Wirtschaft, weil nur so Wachstum und Arbeitsplätze entstehen können. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Es darf an diesen Stellen keine untauglichen Nachbesserungsversuche geben. Der Beifall in der Öffentlichkeit ist gering. Auch die FDP stimmt in diesen Beifall nicht ein und lehnt das Vermittlungsergebnis ab. Wer eine andere Steuerpolitik fordert, der muss auch zu einer anderen Steuerpolitik stehen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die PDS-Fraktion erteile ich der Kollegin Barbara Höll das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine etwas abstruse Situation: Wir diskutieren ein Vermittlungsergebnis, also das, was im Gesetz von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nachgebessert werden musste. Sie selber aber feiern dieses Ergebnis als großen Erfolg. Entweder waren Sie vorher nicht so klug und konnten daher diese Punkte nicht von vornherein ins Gesetz hineinschreiben oder es ist nicht ganz allein Ihr Anliegen. ({0}) - Das Finanzministerium ist nicht da. ({1}) - Guten Morgen, Frau Hendricks. Es wäre vielleicht besser, wenn es nicht vertreten wäre, weil dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses in großer Deutlichkeit zeigt, dass die Steuerpolitik der rot-grünen Regierung tatsächlich systemlos, sozial ungerecht und chaotisch ist. Der zentrale Punkt der Unternehmensteuerreform wurde leider beibehalten und konnte nicht mehr korrigiert werden: die Steuerfreiheit der Gewinne aus Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Hier hat Rot-Grün auf Einnahmen in Milliardenhöhe verzichtet, ohne auf irgendeine Art und Weise sicherzustellen, dass die Kapitalgesellschaften mit den eingesparten Steuern - Sie erlassen sie ihnen ja - wirtschaftlich tätig werden. Das ist wirklich ein riesiger Skandal. Sie verzichten auf Steuereinnahmen und zwingen die Unternehmen nicht, dieses Geld zielgerichtet für Investitionen einzusetzen. ({2}) Bei Ihrer versuchten Nachbesserung für Personenunternehmen haben Sie darauf nicht verzichtet. Auch das ist eine Ungleichbehandlung zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Die Reinvestitionsrücklage für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Personengesellschaften wurde dahin gehend neu definiert, dass die Bedingungen bezüglich des Verkaufs und Kaufs von beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern etwas anders gefasst wurden. Gleichzeitig haben Sie vereinbart, dass die Grenze der steuerfreien Gewinne dann von 150 000 Euro auf 500 000 Euro erhöht werden soll. 500 000 Euro Gewinn! Ist das noch eine Förderung von Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen? Davon können, zumindest in den neuen Bundesländern, nur noch Großbetriebe in der Hand eines Unternehmers profitieren. Das hat nichts mit Mittelstandsförderung zu tun. Das muss ganz klar gesagt werden. ({3}) Diese Regelung kostet Sie natürlich Geld. Es war notwendig, den Kommunen hier zumindest ein Stück weit entgegenzukommen. Sie haben es in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft, die grundlegende Finanzmisere der Kommunen, ob in Ost oder in West, überhaupt anzugehen. Es gingen ganz viele gesetzliche Regelungen auf Kosten der Kommunen. Hier versuchen Sie, zumindest eine geringe Gegenfinanzierung zu vereinbaren. Dem können wir zustimmen. Aber die grundlegende Regelung im Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz, dass die Gewerbesteuerumlage, also der Anteil der Steuereinnahmen der Kommunen, die an die Länder und an den Bund abzuführen sind, von 20 Prozent auf 28 Prozent erhöht wird, ist beibehalten worden, und das, obwohl die Gewerbesteuereinnahmen in den Kommunen in Ost und West in diesem Jahr massiv nach unten gehen, in den alten Bundesländern um 11,7 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar um 13,5 Prozent. - Aus diesen Gründen können wir dem Vermittlungsergebnis nicht zustimmen. Lassen Sie mich Folgendes zum Thema Behaltefristen sagen. Herr Thiele hat zu Recht darauf hingewiesen: Das ist ein neues Thema, das hier völlig überraschend geändert wurde. Finanzielle Auswirkungen sind im Finanztableau nicht ausgewiesen. Aber zumindest die Finanzpolitiker wissen schon heute - sie gehen sehenden Auges dort hinein -, dass die Steuerberater sehr wohl unter großem Beratungsdruck stehen, weil genau diese Regelung, die Herabsetzung der Behaltefristen, ungeheure Möglichkeiten eröffnen wird, um Steuersparmodelle auszuweiten. Wir können erwarten, dass es aus diesem Grunde in den nächsten Jahren wieder zu Steuerausfällen kommen wird. Rot-Grün wird dann wieder sagen, dass das überhaupt nicht zu verstehen ist, dass das völlig unerwartet kommt und dass es ihnen herzlich Leid tut. Das ist eine unsolide Finanzpolitik, die wir als PDS so nicht mittragen können. ({4}) Wir stehen für eine solide Politik mit gegenfinanzierten und zielgerichteten Maßnahmen auch für kleine und mittelständische Unternehmen und wollen nicht immer nur Steuerentlastungen für die Großkonzerne. In diese Richtung setzen Sie nämlich die unsoziale Verteilungspolitik fort. Danke. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Ab- stimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemein- sam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussemp- fehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/7780? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- men von FDP und PDS angenommen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 d - Beratung mehrerer Vorlagen zur Kernenergiepoli- tik - auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität - Drucksache 14/6890 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität - Drucksache 14/7261 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) - Drucksache 14/7825 - Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Michaele Hustedt Dr. Winfried Wolf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt- Dieter Grill, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energie- politik und Entsorgung - Drucksachen 14/6886, 14/7825 - Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Michaele Hustedt Dr. Winfried Wolf c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus W. Lippold ({5}), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Deutschland muss weiterhin in der Reaktor- sicherheitsentwicklung eine führende Rolle ein- nehmen - Zusagen an Frankreich müssen ein- gehalten werden - Drucksachen 14/1212, 14/3327 - Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Michaele Hustedt Eva Bulling-Schröter d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Zukunft der nuklearen Entsorgung Entsorgungskonzept jetzt vorlegen - Drucksachen 14/4644, 14/6030 Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Michaele Hustedt Eva Bulling-Schröter Zum Gesetzentwurf zur Beendigung der Kernenergienutzung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, der Fraktion der FDP und der Fraktion der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Horst Kubatschka, SPD-Fraktion.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal eine kurze Bemerkung zur aktuellen Situation im Bundestag: ({0}) Die Technik spielt verrückt und die Abgeordneten frieren. ({1}) Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es nicht vorgesehen, dass bei kaltem Wetter die Fenster die Nacht über geöffnet werden. Das sollte den Technikgläubigen eine Warnung sein und zum Nachdenken anregen. ({2}) Meine Damen und Herren, heute wird ein Schlussstein zu einem wichtigen Reformwerk der rot-grünen Koalition gesetzt. Nach 42 Jahren der Förderung der Kernenergie beginnen wir mit dem mittelfristigen Ausstieg aus dieser Energieart. Die Nutzung der Kernenergie hat die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten gespalten. Die Terroranschläge des 11. September dieses Jahres haben belegt, wie hochempfindlich Industriegesellschaften sind. Es gibt ein ganzes Bündel von Gründen dafür, den Ausstieg aus der Kernenergie durchzuführen. Ich möchte einige noch einmal in Erinnerung bringen. Ein Restrisiko wird immer bestehen. Dieses Restrisiko ist zwar minimal, aber ein etwaiger Unfall hat eine maximale Auswirkung. Es gibt weltweit kein Endlager. Bei der Nutzung der Kernenergie entsteht waffenfähiges Material. Atombomben sind seit 56 Jahren der Inbegriff menschlicher Albträume. Nach dem Ende des Kalten Krieges waren solche Albträume mehr und mehr aus unserem Bewusstsein verschwunden. Nach dem 11. September hat Präsident Bush mehr Anstrengungen gegen die weltweite Proliferation gefordert. Die benötigten Rohstoffe sind endlich; die Reichweite, auch bei Uran, ist absehbar. Wir haben es mit einer Technik zu tun, bei der Fehler unermessliche Folgen haben. Aus diesen Gründen ist die große Hoffnung auf technische Entwicklungen, auf Fortschritte in der Technik, eine Hoffnung, die uns nicht weiterführt. Der absolut sichere oder inhärente Reaktor ist nach wie vor ein Traum der Techniker, der sich nicht erfüllen wird. Die Transmutation besteht auf dem Papier. Es ist fraglich, ob sie ein erfolgreicher Weg ist. Frankreich räumt ihr keine Chance ein. Die zehnte Novelle zum Atomgesetz bringt folgende Änderungen: Der Förderungszweck, der seit 1959, also seit 42 Jahren, bestanden hat, wird aufgehoben. Stattdessen setzen wir auf eine sichere Beendigung der Nutzung der Kernenergie. Die Berechtigung des Leistungsbetriebs bei Kernkraftwerken erlischt, wenn eine festgesetzte Elektrizitätsmenge produziert wurde. Diese produzierte Elektrizitätsmenge entspricht einer durchschnittlichen Laufzeit der Kernkraftwerke von 32 Jahren. Der Bundestag geht davon aus, dass die Kernkraftwerke diese Strommenge zügig produzieren und die Strommenge abarbeiten. Eine Kaltreserve AKW wird es laut Betreiber nicht geben. Wir werden keine weiteren Neubauten von Kernkraftwerken zulassen, ({3}) auch keine Neubauten für Prozesswärme und Wärme, wie sie plötzlich auftauchen. Sie liegen jenseits jeder wirtschaftlichen Vernunft. Präsident Wolfgang Thierse Ab dem 1. Juli 2005 werden wir außerdem die Abgabe von abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufbereitung beenden. Auch dies ist ein wichtiger Schritt. ({4}) Statt aufzuarbeiten und damit große Mengen von waffenfähigem Material zu erzeugen, werden wir die direkte Endlagerung durchführen. Die direkte Endlagerung ist auch preiswerter als die Wiederaufbereitung. Um unnötige Transporte, die bekanntlich gesellschaftlich sehr umstritten sind, zu minimieren, werden wir an den Standorten Zwischenlager schaffen. Diese Zwischenlager sind vor Ort heiß umstritten. Es gibt manche Sankt-Florians-Jünger, die zwar den Betrieb der Kernkraftwerke gutheißen, aber gegen die Zwischenlager sind. Dazu kommt, dass von unseriösen Politikern - auch und vor allem aus Bayern ({5}) und Verbandsvertretern die Angst geschürt wird, es entstünden quasi Endlager. Dies ist nicht der Fall. Die Zwischenlager sind von den Betreibern nur für einen Zeitraum von 40 Jahren beantragt. ({6}) Das Bundesamt für Strahlenschutz wird die Zwischenlager auch nur für 40 Jahre genehmigen. ({7}) Aus diesem Grund mussten wir keine Regelung über die Zwischenlagerdauer ins Gesetz schreiben. Die Genehmigungsbehörde muss gegebenenfalls in die Lage versetzt werden, die Zwischenlagergröße an der produzierten Strommenge zu orientieren. Des Weiteren ist in der zehnten Novelle vorgesehen, dass periodische Sicherheitsüberprüfungen stattfinden. Damit wird der Sicherheitsstand der Anlagen erhöht. Es ist schon erstaunlich, dass der Gesetzgeber damals in seiner Euphorie für die Kernkraft diese periodischen Sicherheitsüberprüfungen nicht vorgesehen hat. Wir werden außerdem die Deckungsreserve erhöhen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dieser hochriskanten Technik darf es keinerlei Abstriche an der Sicherheit geben. ({8}) Die Sicherheit der Bevölkerung muss das oberste Gebot beim Betrieb der Anlagen sein. Der Kollege Ruck hat bei der letzten Diskussion über die Kernkraft in diesem Hohen Haus den Atomausstieg als Torpedo gegen die Sicherheit der Kernkraftwerke bezeichnet. Wer so spricht, hat kein Vertrauen in die Atomaufsicht der Länder und des Bundes und müsste eigentlich für das sofortige Abschalten der Kernkraftwerke eintreten. Für die Sicherheit bis zum Abschalten der letzten Atomkraftwerke sind zuerst die Betreiber und dann die Aufsicht verantwortlich. Das aufsichtsrechtliche Instrumentarium reicht so wie bisher aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kritiker des Kernkraftausstieges monieren auch die in ihren Augen lange Laufzeit von 32 Jahren. Wer so argumentiert, hat nicht zur Kenntnis genommen, dass bei uns die Atomkraftwerke eine unbefristete Betriebsgenehmigung haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kubatschka, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kubatschka, Sie haben eben darauf verwiesen, dass verschiedene Verbände, aber auch andere Mitbürger Angst wegen der Zwischenlagerung schürten. Erinnere ich mich richtig, dass Sie vor einigen Jahren der Hauptschürer waren, ({0}) dass Sie entschieden dagegen gekämpft und die entsprechende Politik immer angeprangert haben? Was hat Ihren plötzlichen Sinneswandel herbeigeführt, sodass Sie sich nun anders äußern als damals? ({1})

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie erinnern sich an Äußerungen, die ich vor Jahren gemacht habe. ({0}) Ich habe mich in Landshut, zehn Kilometer von zwei Kernkraftwerken entfernt - ich kann aus meinem Haus, aus meinem Zimmer die Kühlfahne sehen -, ({1}) natürlich dafür ausgesprochen, dass wir keine dezentralen Zwischenlager errichten. Ich habe aber gleichzeitig gesagt: Ich bin in diesem Fall ein Sankt-Florians-Politiker. Dazu habe ich mich bekannt. Ich habe gesagt: Ich vertrete die Interessen dieses Raumes; deswegen wäre es mir lieber, wenn es woanders gebaut würde. ({2}) Es gibt aber auch andere Argumente, Herr Kollege. Wir wollen die Transporte minimieren. Sie sind gesellschaftlich umstritten. Mit der dezentralen Zwischenlagerung können wir die Transporte minimieren. Das ist ein guter Weg. ({3}) Denn es wäre sinnlos, zum Beispiel nach Gorleben zu transportieren, wenn das Zwischenlager Gorleben gar nicht in Betrieb kommt, ({4}) weil es die Standzeit von 1 Million Jahren nicht bietet. Dann müsste der Atommüll von dort wieder abtransportiert werden. Mit den dezentralen Zwischenlagern können wir Transporte minimieren. Bei der ganzen Sache wird auch vergessen, dass die Bundesregierung - damals noch unter gelb-roter Verantwortung - und ein Ministerpräsident Franz Josef Strauß bereits 1980 gesagt haben, dass weitere Zwischenlager notwendig sind, weil die jetzigen nicht ausreichen. Zwischenlager mussten also gebaut werden. ({5}) - Nur nicht bei mir, natürlich. ({6}) Das ist doch, Herr Kollege Schauerte, das Problem: dass wir vor Ort eine Ablehnung haben. Die Leute, die von vornherein gegen die Kernenergie sind, sagen: Wir sind für die Abschaltung der Anlagen, wir sind gegen die Zwischenlager. Das ist für mich logisch. Aber die CSU-Politik, sich gegen Zwischenlager zu wenden und gleichzeitig unbegrenzt Kernkraftwerke betreiben zu wollen, ist nach meiner Meinung der Skandal. ({7}) Ich bin immer für ein möglichst schnelles Ende der Kernkraft gewesen. Bei einer solchen Lösung - das gebe ich zu, und das vertrete ich draußen - muss ich teilweise gegen die Interessen meines Raumes handeln. ({8}) Ich stehe das auch durch und halte es letzten Endes in der Gesamtsicht für richtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der geplante unbefristete Betrieb von Kernkraftwerken war damals nur in einer Zeit der Kernenergie-Euphorie möglich. Deutschland wird wahrscheinlich das Land sein, das sich als erstes komplett aus der Kernenergie verabschiedet und damit ein Beispiel setzt. Aber wir sind ja nicht allein in Europa. Die Mehrheit der EU-Länder ist auch bereits ausgestiegen oder wird aussteigen. Es wird auch immer wieder argumentiert, dass Deutschland eine zukunftsträchtige Technik verbieten wolle. Die Kernenergie ist aber nicht zukunftsfähig. Das habe ich eingangs ausgeführt. Die Industrie selbst hat sich aus der Kernenergie verabschiedet. ({9}) - Nein, das ist kein Schmarren! Sie kennen die Zahlen nicht, Herr Ruck. Seit 1980, also seit 21 Jahren, ist in Deutschland kein Kernkraftwerk mehr bestellt worden. ({10}) Keine Firma stellt mehr Kernkraftwerke in Deutschland her. Dafür sind in Deutschland die Windenergie und die Photovoltaik eine Hoffnung geworden - dank der Politik der Bundesregierung -, ({11}) und es wurden zahllose Arbeitsplätze geschaffen. Das Auslaufen der Kernenergie in einer mittelfristigen Zeitspanne bietet aber auch gleichzeitig die Möglichkeit und die große Chance, die Energiewende bei uns zu vollziehen. Mit dem Dreiklang „Energiesparen, rationeller Energieeinsatz und erneuerbare Energien“ müssen wir die Energieversorgung bei uns auf neue Füße stellen und neue Strukturen schaffen. Wir haben die drei rot-grünen Regierungsjahre bereits genutzt, um vor dem Ausstieg aus der Kernenergie den Einstieg in die Energiewende auf den Weg zu bringen. Dieser Weg wird politisch nicht einfach sein. Querschüsse werden erfolgen. Wir werden damit aber Arbeitsplätze schaffen und unsere Energieversorgung nachhaltig machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der zehnten Novelle des Atomgesetzes legen wir auch einen Entschließungsantrag der Regierungskoalition vor. Aus diesem Entschließungsantrag möchte ich nur einen Punkt herausgreifen: Wir fordern den Bundesminister auf, in der nächsten Legislaturperiode einen nationalen Entsorgungsplan vorzulegen. Dieser Entsorgungsplan muss fortgeschrieben werden. Alle vier Jahre muss die Regierung vor dem Parlament Rechenschaft ablegen, wie weit wir in der Frage eines nationalen Endlagers gekommen sind. Wir brauchen ein dauerhaft sicheres Endlager in tiefen geologischen Schichten in Deutschland. Diesen nach Jahrzehnten der Kernenergienutzung immer noch fehlenden Schlussstein müssen alle Beteiligten mit Nachdruck und in gemeinsamer Verantwortung so bald wie möglich setzen. Mit diesem Gesetz haben wir den Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet. Es ist absehbar, wann in Deutschland das erste Kernkraftwerk seinen Leistungsbetrieb einstellen wird. Voraussichtlich wird das im Jahre 2003 das Kernkraftwerk in Stade sein. Es ist aber auch vorhersehbar, wann in Deutschland das letzte Kernkraftwerk seinen Betrieb einstellt. ({12}) Ein großes Reformwerk von Rot-Grün ist eingeleitet. ({13}) Die SPD-Fraktion wird den Ausstieg aus der Kernenergie weiterhin kritisch begleiten und unterstützen. Ich danke für das Interesse. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entscheidung über den Atomausstieg stellt ein wesentliches Stück Energiepolitik dar und ist von großer Bedeutung. Das macht deutlich, dass wir uns mit der Energiepolitik dieser Regierung generell auseinander setzen müssen, insbesondere vor dem Hintergrund, was sie für die derzeitige wirtschaftliche Situation und für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland bedeutet. Man muss ganz nüchtern sehen, dass es im Moment die Tendenz zur Rezession gibt und dass die Arbeitslosigkeit steigt; in absehbarer Zeit wird es 4,5 Millionen Arbeitslose geben. Das steht im Widerspruch zum Kanzlerwort. ({0}) Wie wirkt nun - vor dem Hintergrund dieses Kanzlerwortes - die Energiepolitik dieser Koalition auf die wirtschaftliche Entwicklung? Ich will ganz deutlich sagen: Das, was Sie eingeleitet haben, führt zu einer ganzen Reihe von zusätzlichen Belastungen, die ich nur ganz kurz ansprechen möchte: Im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung wird es zusätzliche Belastungen für die Verbraucher und die Wirtschaft von 8 Milliarden DM geben und im Bereich der Solarenergie steigen die Belastungen für die Verbraucher und die Wirtschaft um 9 Milliarden DM. ({1}) - Entschuldigung, dann müssen Sie den Energiebericht Ihres Wirtschaftsministers lesen; denn er hat zusätzlich hineingeschrieben, dass es in diesem Bereich, wenn die Entwicklung so weitergeht und die Belastungen im internationalen Vergleich zusätzlich darauf gesattelt werden, zu einem Um- bzw. Abkippen kommen kann. Das muss man sehen; denn das ist die Tendenz. - Die Belastungen hören nicht auf, die nächste Stufe der Ökosteuer zeichnet sich ab. Dadurch ergeben sich Belastungen von weiteren 5 Milliarden DM. Rechnet man das hinzu, was Sie uns bisher schon zugemutet haben, kommen auf die deutsche Wirtschaft Belastungen von insgesamt 35 Milliarden DM zu. ({2}) Ich gehe jetzt auf das ein, was im Energiebericht Ihres Wirtschaftsministers, den das Kanzleramt aus Gründen, denen nachzugehen wäre, erst einmal für Monate storniert hat, nachzulesen ist: Er warnt davor, dass das von Ihnen verfolgte Energieszenario in den nächsten 20 Jahren eine zusätzliche Belastung von 500 Milliarden DM für die deutsche Wirtschaft mit sich bringen wird. Das steht im Energiebericht des Bundeswirtschaftsministers Müller! Sie haben sich damit kritisch auseinander gesetzt, es aber nicht widerlegt. Müller hat gesagt, dass man sehr wohl sehen müsse, was das für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bedeute. Dies sei in der Koalition so weder diskutiert, analysiert noch abschließend beraten worden. Das heißt, Sie machen Schnellschüsse, ohne sich genau zu überlegen, welche Konsequenzen daraus resultieren. ({3}) Da sich der Wirtschaftsminister nur mit den Konsequenzen für die Wirtschaft und nicht mit denen für die Verbraucher auseinander gesetzt hat, sage ich Ihnen: Diese 500 Milliarden DM werden sich in zusätzlichen Belastungen für den Verbraucher in Höhe von jährlich 3 000 DM niederschlagen. Sie muten dem Verbraucher zu, dass er zwar gelegentlich kleinste Entlastungen erhält, aber durch die Ökosteuer und in allen anderen Bereichen belastet wird. Sie gefährden Arbeitsplätze und unterstützen die Tendenz im Arbeitsmarktbereich, die weiterhin auf eine wachsende Arbeitslosigkeit hindeutet. Das heißt, die Fehlentwicklungen, die wir beobachten, werden verschärft. Was bedeutet das - neben der wirtschaftlichen Entwicklung - für den Klimaschutz? Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie müssen Sie eine CO2-Reduktion in Höhe von rund 100 Millionen Tonnen ersetzen. Sie glauben, Sie könnten das allein durch eine Energiewende und eine Effizienzrevolution. Auch hier setzt der Wirtschaftsminister in seinem Bericht ein Fragezeichen. ({4}) Er zweifelt an, dass - erstens vor dem Hintergrund Ihrer Politik im Steinkohlen- und Braunkohlenbereich und zweitens vor dem Hintergrund Ihrer Politik im Kernenergiebereich - die von Ihnen vorgesehenen Ziele überhaupt zu halten sind. Das heißt, nicht ich, sondern der Wirtschaftsminister zweifelt an. Das Klimaschutzziel wird durch Ihre Politik infrage gestellt; es ist so nicht haltbar. Was bedeutet unser Ausstieg aus der Kernenergie generell für die Sicherheit von Kernenergie? Auch wenn wir aussteigen, wird es die Kernenergie um uns herum weiterhin geben. Das bedeutet: Die Kraftwerke mit der höchsten Sicherheit werden nach Ihren Vorstellungen abgeschaltet, während die Kraftwerke um uns herum - sie weisen eine wesentlich geringere Sicherheit auf - am Netz bleiben. Was für ein Beitrag zur internationalen Sicherheitsphilosophie ist das? Die Kernkraftwerke, die schlechter sind als unsere, bleiben, die sicheren werden abgeschaltet. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte ist, dass Sie darüber hinaus auch noch den Export von Kernenergieanlagen in Dritte-Welt-Länder gestatten, damit dort Kernkraftwerke weiterhin gebaut werden können. Was soll das? In Deutschland sagen Sie Nein, in den Dritte-Welt-Ländern Ja. Das ist keine Philosophie, die trägt, und keine Grundlage für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung. ({5}) Wir müssen sehen, dass das Ziel der Versorgungssicherheit dadurch ebenso beeinträchtigt wird. Wir gehen davon aus, dass wir mit der Kernenergie Möglichkeiten haben, Energierohstoffe gut, preiswert und relativ einfach zu lagern. Wenn wir darauf verzichten, ist ein weiterer Teil des Energiemixes gefährdet. Die Versorgungssicherheit ist gefährdet; die Importabhängigkeit nimmt zu. Was sagt Ihr Wirtschaftsminister zu dem Gesamtbereich in seinem Energiebericht? ({6}) Das ist immer so. ({7}) Er verlautbart nach draußen wunderschöne Dinge. Wirtschaftler glauben ihm, dass er etwas umsetzen wird. Wenn es darum geht, durchzukämpfen, was er umsetzen wollte, fällt er um oder ist nicht da. Ich will aber in diesem Zusammenhang ganz deutlich sagen: Der Wirtschaftsminister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir den Stromerzeugungsstandort Bundesrepublik Deutschland durch Ihre Vorgehensweise tendenziell gefährden. Das bedeutet, dass wir nicht nur höhere Energiepreise haben und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen werden, sondern wir gefährden nach Aussage Ihres, nicht unseres Wirtschaftsministers den Produktionsstandort für Strom in der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt: Gefährdung und Wegfall weiterer Arbeitsplätze. Das lassen wir in dieser Form so nicht durchgehen. ({8}) Ich sage ganz klar und eindeutig: Herr Trittin, Sie freuen sich zu früh. Wir werden das, was Sie als dauerhaften Kernenergieausstieg bezeichnen, wieder rückgängig machen. ({9}) Wir werden dadurch einen Beitrag leisten, zu einer wesentlich besseren Situation zu kommen. ({10}) Es ist deutlich zu sehen: Die Effizienzrevolution, die Sie angesprochen haben, ist als Alternative so nicht realisierbar. Das, was in den vergangenen Jahren an Effizienzsteigerung geleistet wurde - so der Energiebericht des Bundeswirtschaftsministers -, ist unter der CDU/ CSU-Regierung geleistet worden. Unter der CDU/CSURegierung gab es die höchste Energieeffizienzrate in Europa und der OECD. Dem haben Sie bislang noch nichts hinzufügen können. Sie halten an bestimmten Positionen fest, die wir aufgebaut haben. Früher haben Sie gesagt, unsere Klimaschutzziele seien zu gering. Heute übernehmen Sie sie und vertreten dies in Verbindung mit dem Kernenergieausstieg als fortschrittliche Politik. So lässt sich dies nicht machen und darstellen. Lassen Sie mich noch eines zu der Frage sagen: Wie sieht die Wirtschaft die Position, die Sie vertreten? Da wird ganz eindeutig argumentiert: Es ist die Auffassung führender Wirtschaftskreise, dass der Ausstieg aus der Kernenergie und die im Reduktionsszenario angenommene Verdrängung heimischer Steinkohle und Braunkohle die Versorgungsrisiken erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit belasten und gleichzeitig Arbeitsplätze gefährdet. Deshalb wird von der Wirtschaft eine Wende Ihrer Energiepolitik eingefordert, die für falsch gehalten wird. Ich meine, Sie sollten auf diesen neutralen Sachverstand hören und überdenken, was Sie jetzt vorhaben. ({11}) Der vorgesehene Ausstieg ist energiepolitisch und sicherheitspolitisch verfehlt und umweltpolitisch kontraproduktiv. Das heißt, von dem magischen Dreieck, das der Wirtschaftsminister in seinem Energiebericht angesprochen und als strategisches Zieldreieck benannt hat, sind alle drei Positionen stark verletzt oder gefährdet. Lassen Sie diese Vorgehensweise sein! Da Sie davon in Ihrer störrischen Art aber nicht abzubringen sind, bleiben wir dabei: Wir werden das rückgängig machen, was Sie versuchen, in Szene zu setzen. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Grünen war der Ausstieg aus der Atomkraft ein Gründungsthema. Wir sind unter anderem aus der Anti-AKWBewegung entstanden. Viele von uns waren in Brokdorf, in Grohnde, in Wackersdorf, in Wyhl oder im Wendland und haben dort demonstriert. ({0}) - Auch einige von der SPD waren dabei. Später waren es dann ein paar mehr. ({1}) Aber für die Grünen ist es ein besonderes Thema. Die PDS geht mit dem Atomausstieg taktisch um. Die SPD hat später gelernt. Für uns war das ein Gründungsthema. Deswegen ist das ein ganz großer Tag für uns. ({2}) Dr. Klaus W. Lippold ({3}) Wir haben ein großes Reformprojekt auf den Weg gebracht. Wir fangen an, den großen Fehler der Vergangenheit, in die Atomkraft überhaupt eingestiegen zu sein, zu korrigieren. Da Herr Solms den Unterschied zwischen Restlaufzeiten und Gesamtlaufzeiten noch nicht verstanden hat, sage ich deutlich: In der nächsten Legislaturperiode werden die ersten Atomkraftwerke aufgrund des Konsensbeschlusses und aufgrund dieses Gesetzes vom Netz gehen. Nach circa 12 Jahren wird ungefähr die Hälfte aller heute betriebenen Atomkraftwerke nicht mehr am Netz sein und nach circa 20 Jahren wird in Deutschland kein Atomkraftwerk mehr betrieben werden. Damit ist Deutschland das Land, das im weltweiten Vergleich am schnellsten aus der Atomkraft aussteigt. Ich finde, das ist ein Grund, stolz zu sein. ({4}) Herr Lippold, Sie haben angekündigt, den Atomausstieg rückgängig machen zu wollen. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen sagen: Die Totenglöckchen für die Atomenergie haben schon lange vorher geläutet. 1982 - also vor 20 Jahren - hat man das letzte AKW gebaut. Seitdem gibt es keinen Antrag mehr zum Bau eines neuen AKWs; auch in der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP wurde kein Antrag gestellt. ({5}) - Herr Hirche, das gilt ja nicht nur für Deutschland. Das gilt für ganz Europa. Wir haben damit schon lange einen Fadenriss, und zwar aufgrund der Überlegung der Industrie, dass sich die Atomtechnologie wirtschaftlich nicht rechnet und in Deutschland nicht akzeptiert wird. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippold?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hustedt, ist es richtig, das der Bundeswirtschaftsminister in verschiedenen Diskussionsrunden und in verschiedenen Verlautbarungen deutlich gemacht hat, dass die Option Kernenergie auch in Zukunft gewährleistet sein muss, und dass das im Grunde genommen nichts anderes bedeutet, als dass auch er sagt, in Zukunft könne Kernenergie in unterschiedlicher Form vermutlich wieder ausgesprochen sinnvoll eingesetzt werden? Kritisieren Sie also Ihren Bundeswirtschaftsminister, dem Sie bei der Vorlage seines Energieberichts vorgeworfen haben, er würde sich nur für eine Vorstandsposition bei Eon interessieren?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, es besteht ein Unterschied. Wir verbieten nicht die Forschung; die Industrie kann weiter forschen. ({0}) Selbstverständlich kann die Entscheidung bei anderen Mehrheitsverhältnissen auch rückgängig gemacht werden. Herr Müller - das ist der Unterschied zu Ihnen - will die Entscheidung aber nicht rückgängig machen. Sie haben angekündigt, Sie wollten den Beschluss rückgängig machen. Sie stehen aber völlig allein da. Auch die Industrie möchte die Entscheidung nicht rückgängig machen. ({1}) Wir haben seit über 20 Jahren kein AKW mehr gebaut. Es war zu Zeiten einer schwarz-gelben Koalition, als Herr Pilz von Veba zu Herrn Kohl gegangen ist und mit der Begründung, es gebe für die Kernenergie in Deutschland anscheinend keine Akzeptanz, um Energiekonsensgespräche gebeten hat und dargelegt hat, die Industrie sei für ein geordnetes Auslaufen der Nutzung von Kernenergie. Daraus schließe ich, dass die Industrie die von dieser Regierung getroffene Entscheidung nicht rückgängig machen will und dass nur Sie ideologisch an der Atomkraft festhalten wollen. Alle anderen in dieser Republik haben eingesehen, dass die Nutzung der Atomkraft ein Irrtum war, der nun geordnet behoben werden soll. ({2}) Sie führen als weiteres Argument jetzt immer an, bei den Restlaufzeiten sei die Sicherheit nicht mehr gewährleistet. Ich wäre mit einem solchen Argument sehr vorsichtig. Von den Betreibern höre ich solche Argumente nicht. Verantwortlich für die Sicherheit von Atomkraftwerken ist nicht die Bundesregierung, sondern der jeweilige Betreiber. Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, darf der jeweilige Betreiber die gefährliche Technologie nicht mehr nutzen. Deswegen wäre ich mit einem solchen Argument sehr vorsichtig. Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Gesetz einen dynamischen Sicherheitsstandard haben, der sich nach dem Stand der Technik entwickeln wird. Wenn ein solcher Standard nicht gewährleistet werden könnte, wäre es unverantwortlich - das sehen die Betreiber genauso wie ich -, diese Anlagen weiter zu betreiben. Es wird natürlich auch eine Diskussion über die Frage geben müssen: Welche Konsequenzen ziehen wir aus dem 11. September? Ich finde es sehr gut, dass das Umweltministerium sehr schnell reagiert hat und entsprechende Überprüfungen in Auftrag gegeben hat, die wir Anfang nächsten Jahres auswerten werden. Aber schon jetzt ist klar: Einen absoluten Schutz vor solchen Terroranschlägen wie dem vom 11. September kann und wird es nicht geben. Solche Anschläge können leider nicht ausgeschlossen werden. Wer bereit ist, Flugzeuge zu entführen und 5 000 Menschen zu töten, der kann durchaus auch bereit sein, ein AKW von innen oder von außen anzugreifen. Das muss einem große Sorgen machen. Das hat nichts mit Panikmache zu tun. Absolute Sicherheit lässt sich zwar nicht garantieren. Aber angesichts der Tatsache, dass es auch in anderen Bereichen keine absolute Sicherheit gibt - zum Beispiel gibt es auch keine gegen Flugzeugentführungen -, können wir über relative Sicherheit nachdenken. Es deutet sich schon jetzt an, dass es Unterschiede zwischen den AKWs im Hinblick auf die Lage und vor allem auf die Sicherheitsstandards gibt. Manche Anlagen sind überhaupt nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert. Andere Anlagen sind dagegen schon besser gesichert. Ich glaube, hier müssen wir ansetzen: Die älteren Anlagen müssen genauer untersucht werden. Es ist zu überlegen, ob wir nicht durch ein flexibles Vorgehen - denkbar wären je nach Anlagentyp kürzere oder längere Laufzeiten - die älteren Atomkraftwerke schon früher vom Netz bekommen, um die relative Sicherheit zu erhöhen. ({3}) Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zum Zusammenhang zwischen Atomausstieg und Klimaschutz sagen. Man darf sich nichts vormachen: Eine Reduktion des Umfangs der CO2-Emissionen um 25 Prozent ist doch nicht das Ende. Bedenken Sie: Klimaschutzziele sind doch keine grüne Marotte, sondern eine naturwissenschaftlich begründete Notwendigkeit, wenn wir unseren blauen Planeten bewahren wollen. ({4}) Wenn wir darüber hinausgehende ambitionierte Ziele verwirklichen wollen - die UN fordert, dass die Industrienationen bis 2050 den Umfang ihrer CO2-Emissionen um 80 Prozent reduzieren -, dann ist klar, dass man das nicht auf ausgelatschten Pfaden, mit alten Technologien, erreichen kann. Wir brauchen vielmehr eine völlig neue Struktur, eine völlig neue Herangehensweise und völlig neue Technologien für unsere Energiewirtschaft. Das bedeutet, dass wir eine dezentrale Energiewirtschaft brauchen, deren erstes Ziel es sein muss, vor Ort so viel Energie wie möglich einzusparen. Ich nenne nur die Stichwörter „Nullenergiehaus“ und „Nullemissionenfabrik“. Des Weiteren muss vor Ort möglichst viel Energie durch Nutzung regenerativer Energieträger wie Biomasse, Wind und durch Geothermie produziert werden. ({5}) - Auch der Industrie kann das selbstverständlich helfen, weil durch dezentrale Einheiten, die mit Brennstoffzellen und Mikroturbinen arbeiten und die in virtuellen Kraftwerken zusammengeschaltet werden, auch der Grundund Spitzenlastbereich abgedeckt werden kann. ({6}) RWE zum Beispiel ist mit ersten großen Pilotprojekten in diese neuen Technologien eingestiegen. Nur Sie, die Sie auf alte Kohle- und Atomtechnologien fixiert sind, wollen die innovativen Technologien nicht zur Kenntnis nehmen. ({7}) Die Struktur der Zukunft besteht darin, vor Ort Energie einzusparen - ein Einsparpotenzial von 30 bis 40 Prozent ist möglich - und in dezentralen Einheiten umweltfreundlich zu produzieren. Diese Struktur ist wirtschaftlich innovativ, modern und umweltfreundlich. ({8}) - Das sagen Sie der Richtigen! In diesem Haus würde außer Ihnen niemand meine Kompetenz in der Energiepolitik bezweifeln. Ich sage Ihnen Folgendes: Wer auf altbekannte Pfade setzt, wer zum Beispiel sagt, dass wir auf die Kohle setzen müssten, der wird einen wesentlich teureren Weg einschlagen. Noch immer werden im Bund und in den Ländern zusammen 8 Milliarden DM pro Jahr für Steinkohlesubventionen ausgegeben. So teuer ist keine Klimaschutzstrategie. Laut VIK, dem Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, verursachen das EEG und die Förderung der KWK zusammen lediglich Mehrkosten in Höhe von 0,2 Pfennig pro Kilowattstunde. Damit haben wir im Bereich der erneuerbaren Energien schon 120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen, also in einer Zukunftsbranche, die große Exportchancen hat. Durch unsere Politik beweisen wir, dass Klimaschutz durchaus eine Strategie für wirtschaftlichen Erfolg sein kann. Damit regen wir Innovationen an, schaffen Arbeitsplätze und schützen gleichzeitig unsere Umwelt. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hustedt, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill zu?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, legen Sie los, Herr Grill.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Grill, bitte.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hustedt, richtet sich die Kritik, die Sie zur Kohlepolitik und zum Bau von Großkraftwerken geäußert haben, auch an den Bundeskanzler, der sich für den Bau von Großkraftwerken auf Steinkohle- und Braunkohlebasis erst kürzlich wieder ausgesprochen hat?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Fakt ist, dass die SPD zur Kohlepolitik ein Stück weit eine andere Position als wir Grüne vertritt. Das ist doch keine Neuigkeit. ({0}) Jeder - auch wir - weiß, dass das so ist. Betrachten Sie die Politik der rot-grünen Bundesregierung! Was haben wir gemacht? Wir haben ein Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht, das weltweit die beste Förderung erneuerbarer Energien darstellt und eine ungeheure Dynamik hervorgerufen hat. ({1}) Wir haben eine Energieeinsparverordnung auf den Weg gebracht, die vorschreibt, dass bei Neubauten ein Drittel weniger Energie eingesetzt werden soll. Wir haben - trotz der engen Haushaltslage - ein Altbausanierungsprogramm, mit dem wir 300 000 Altbauten sanieren werden, auf den Weg gebracht. ({2}) Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung auf den Weg gebracht, um effiziente Technologien im Bereich der fossilen Energien, inklusive der Brennstoffzelle, zu fördern. ({3}) Das ist die gemeinsame rot-grüne Energiepolitik. Ich finde, damit kann man sich sehen lassen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung diskutieren wir heute den so genannten Atomausstieg und schließen diese Debatte damit vorläufig ab. Trotzdem bleiben viele Fragen offen, die die Bundesregierung nach wie vor nicht beantwortet hat. Im Zentrum steht die Frage, wie die rot-grüne Bundesregierung die Energieversorgung eines Industrielandes wie der Bundesrepublik Deutschland bei gleichzeitiger Erreichung des Klimaschutzziels sicherstellen will. ({0}) Das ist nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Frage, weil die Bundesrepublik Deutschland internationale Verpflichtungen beim Klimaschutz übernommen hat. Deshalb haben wir vonseiten der FDP mehrfach darauf hingewiesen, dass man, wenn man den Ausstoß an Treibhausgasen wirklich verringern will, ein schlüssiges Energiekonzept braucht. Genau daran fehlt es. An kaum einer Stelle zeigen sich die Kurzsichtigkeit und die Konzeptionslosigkeit rot-grüner Politik so deutlich wie bei der Energieversorgung und beim Klimaschutz. ({1}) Das wurde bestätigt, als der Wirtschaftsminister - es ist bemerkenswert, dass das Wirtschaftsministerium es nicht für nötig erachtet, einen Vertreter zu schicken; ({2}) das zeigt, welche Bedeutung man dem beimisst - vor wenigen Tagen den Energiebericht vorgestellt hat. Dieser Bericht hat erneut bestätigt, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie auf Kosten des Klimaschutzes gehen wird. ({3}) - Natürlich, Herr Kollege Kelber. Der Bericht zeigt zwei Szenarien auf: Das eine Szenario geht davon aus, dass man auf Gas und Kohle ausweicht; das andere Szenario geht davon aus, dass man auf Gas und erneuerbare Energien ausweicht. Beide Szenarien gehen also davon aus, dass Gas als fossiler Energieträger massiv genutzt wird. Daher muss die Nutzung dieser Energieträger ausgeweitet werden, wenn Sie die Kernenergie ersetzen wollen. Das geht voll zulasten des Klimaschutzziels. ({4}) - Ich habe den Bericht sogar am Platz liegen. ({5}) - Ich kann ihn Ihnen vorlesen, wenn Ihnen das hilft. Frau Kollegin Hustedt, es ist bemerkenswert, wenn Sie mit Blick auf den Zwischenruf des Kollegen Hirche feststellen, dass wir auf Kohle setzen. Wenn sich jemand für den Abbau von Subventionen bei der Kohle eingesetzt hat, dann ist es die FDP. ({6}) Es ist aber nicht nur der Bärendienst am Klimaschutz, den wir bei diesem Gesetzentwurf kritisieren. Was heißt denn eigentlich Atomausstieg?, müssen Sie sich fragen lassen. Ihre Wähler haben doch längst gemerkt - das wissen Sie ganz genau -, dass das, was Sie als Atomausstieg verkaufen wollen, in Wahrheit der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über Jahrzehnte ist. Der so genannte Atomausstieg - das müssen Sie sich sagen lassen, Herr Trittin - ist eine Fata Morgana für die grüne Klientel und Sie betätigen sich als Illusionskünstler. ({7}) Wenn die Kernenergie nach Ihrer Meinung so unverantwortbar riskant ist, Herr Kubatschka, und wenn es, wie das in Ihrem Entschließungsantrag behauptet wird, um den Schutz des Lebens und der Umwelt geht, dann kann ich Ihnen nur raten: Stimmen Sie dem Entschließungsantrag der PDS zu und machen Sie den Atomausstieg sofort! Das wäre eine konsequente Haltung. ({8}) Das tun Sie aber natürlich nicht, und zwar deswegen nicht, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie auf die Nutzung der Kernenergie angewiesen sind; sonst würden Sie eine konsequentere Haltung an den Tag legen. Sie wissen ganz genau, was es bedeutet, wenn Sie das täten. Dann würde Strom aus anderen Ländern importiert, ({9}) und zwar aus Kernkraftwerken, oder Sie müssten massiv auf fossile Energieträger zurückgreifen und das Klimaschutzziel gänzlich aufgeben. Solange Kernenergie wirtschaftlich produziert werden kann, ({10}) wird sie produziert werden und wird auch nach Deutschland kommen. Das Problem besteht dann nur darin, dass sie nicht mehr aus sicheren deutschen Kernkraftwerken kommt, sondern aus Kernkraftwerken in angrenzenden Ländern, auf die Sie keinen Einfluss mehr haben. ({11}) Wir haben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ungefähr 100 kerntechnische Anlagen. Sie ignorieren das. Sie versuchen im Übrigen, Ihre Wählerinnen und Wähler für dumm zu verkaufen. Die Folgen Ihrer Politik sind deswegen auch verheerend. Die anderen Länder - das müssten Sie sich schon einmal angucken - beschreiten einen völlig anderen Weg. ({12}) Sie treiben die technologische Entwicklung voran. An der Verbesserung der Sicherheit moderner Reaktoren wird laufend wissenschaftlich gearbeitet. Ich nenne nur Stichworte: Transmutationsverfahren oder Entwicklung von Verfahren mit geringerem radioaktiven Abfall. Das beschäftigt die internationale Forschung und Entwicklung. ({13}) Deswegen unterstützt die FDP mit allem Nachdruck die Forderung, dass es keine Abstriche bei der Sicherheit kerntechnischer Anlagen geben darf. ({14}) Frau Kollegin Hustedt, Sie weisen darauf hin, dass ein Kernkraftwerk, das nicht sicher ist, nicht betrieben werden darf. Ich sage dazu: Das ist heute schon Fakt. Wenn nämlich ein Kernkraftwerk den Bestimmungen nicht entspricht und die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden, dann wird diesem Kernkraftwerk die Betriebsgenehmigung entzogen. Das ist heute geltendes Recht. ({15}) Deswegen ist die Tatsache, dass eine Betriebsgenehmigung bisher nicht entzogen worden ist, der Beweis dafür, dass auch die rot-grüne Bundesregierung diese Technologie für sicher hält. ({16}) Dann will ich noch einer Legendenbildung vorbeugen, Herr Kollege Kubatschka. Sie haben vorhin so davon geschwärmt, dass Sie die periodische Sicherheitsüberprüfung per Gesetz einführen. In der Tat wird das jetzt gesetzlich geregelt und festgeschrieben. An dieser Stelle finden Sie uns auch an Ihrer Seite. ({17}) Ich weise aber einfach darauf hin, dass es die Sicherheitsüberprüfungen auch bisher schon gab. ({18}) Sie schreiben lediglich den bisherigen Zustand fest. ({19}) Deswegen ist es für uns wichtig, noch einmal festzuhalten, dass es mit dem, was Sie machen, nicht ein Mehr an Sicherheit gibt. Im Übrigen schreiben Sie im Vorspann Ihres Gesetzentwurfs selber, dass Sie für den verbleibenden Zeitraum des Betriebs der Kernkraftwerke das hohe Sicherheitsniveau erhalten wollen. Jetzt frage ich Herrn Minister Trittin einmal, was er eigentlich dafür tut. ({20}) Was ist denn jetzt eigentlich der Zustand? Sie haben keine klare energiepolitische Alternative. Trotzdem verbieten Sie mit diesem Gesetzentwurf eine Technologie und hängen Deutschland von der internationalen Entwicklung ab. ({21}) Damit erreichen Sie einen dramatischen Kompetenzverlust und einen schweren Schaden für die internationale Kooperation zwischen Deutschland und den Partnerländern. Der deutsche Einfluss in internationalen Gremien wird schwinden. In den Fragen, wie man Kernkraftwerke sicherer machen und die Menge radioaktiven Abfalls reduzieren kann, wird Deutschland künftig schlichtweg nichts mehr zu melden haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Wir haben in der Anhörung gehört, ({22}) dass es in Deutschland zwischenzeitlich für diesen Bereich ein Viertel weniger Lehrstühle gibt, dass die Zahl der Ausbildungsreaktoren innerhalb von zehn Jahren von 14 auf vier zurückgeschraubt worden ist. Das ist die Wirkung, die Sie erzielen. Sie werden mit dieser Politik an deutschen Hochschulen eine Wüstenlandschaft hinterlassen. ({23}) Dabei brauchen wir nichts mehr als kerntechnische Kompetenz: bei den Kraftwerksbetreibern, bei den Aufsichtsbehörden der Länder, beim Bundesamt für Strahlenschutz und auch beim Umweltministerium. In all diesen Bereichen brauchen Sie Personal. ({24}) Es wird geschätzt, dass wir bis zum Jahre 2010 ungefähr 1 000 solcher Fachkräfte brauchen. 1999 gab es in diesem Bereich insgesamt 65 Hochschulabsolventen. Die Zahl für 2000 wird noch geringer sein. Herr Minister Trittin, das ist Ihr trauriger Beitrag zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen und zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Standort für Wissenschaft und Forschung. ({25}) Auch wenn die Frage des Baus weiterer Kernkraftwerke in Deutschland derzeit nicht aktuell ist, muss die Option zur künftigen Nutzung der Kernenergie offen gehalten werden. Forschung und Entwicklung in diesem Bereich müssen weitergeführt werden, weil nur so ein sicherer Weiterbetrieb der Anlagen gewährleistet werden kann. Im Übrigen war Deutschland immer das Land, das auch international dafür gesorgt hat, dass die Sicherheitsstandards steigen. Auch diese Aufgabe können wir künftig nicht mehr wahrnehmen. ({26}) Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich aber nicht mehr im Detail ausführen kann, ({27}) nämlich die Entsorgung. Sie haben kein Entsorgungskonzept. Das haben wir mehrfach diskutiert. Auch hier versuchen Sie, den Leuten etwas vorzugaukeln. Aus all diesen Gründen sieht die FDP zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Alternative dazu, die Kernenergie in Deutschland als Übergangsenergie weiterhin zu nutzen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab und fordern Sie auf, dem Deutschen Bundestag ein Konzept vorzulegen, das die Energieversorgung sicherstellt und gleichzeitig dazu beiträgt, das Klimaschutzziel zu erreichen, und das der Verantwortung Deutschlands gerecht wird. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Winfried Wolf, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP die Debatte sehr kurzatmig führen. Ich glaube vor allem, dass die Vertreterin der Grünen und der SPD-Vertreter die Debatte taktisch führen. Ich möchte noch einmal nüchtern, ernst und verantwortungsbewusst feststellen: „Energiewirtschaft auf Basis von Atomkraft hat keine Zukunft. Sie ist riskant und voller Zynismus gegenüber unseren Kindern und Kindeskindern. Die Stromversorgung in Deutschland wäre auch sichergestellt, wenn alle Reaktoren mit Atomkraft sofort abgestellt würden.“ - Das ist ein Zitat aus dem Programm der Grünen für die Bundestagswahl 1998 und nicht aus früheren Zeiten. Diese Einsichten, die hier im Programm der Grünen 1998 festgehalten wurden, sind in den Auseinandersetzungen gewonnen worden, die die Kollegin Hustedt genannt hat: in den Kämpfen von Brokdorf, Grohnde, Wackersdorf, Kalkar bis hin zu Gorleben und dem Wendland. Das heißt, dass die Grünen sicherlich ein Produkt dieser Bewegung sind. Das heißt aber auch, dass die anderen Parteien sich dem nie entziehen konnten. So musste zum Beispiel die CDU-Regierung in Niedersachsen unter Albrecht sagen: Ein Endlager ist in Niedersachsen nicht durchsetzbar. Die Bayerische Staatsregierung musste sagen: Wackersdorf ist nicht durchsetzbar. Die NRW-Regierung musste sagen: Kalkar ist nicht durchsetzbar. Das oberste Gericht in unserem Land, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, hat dem im Jahre 1978 mit dem Kalkar-Urteil Rechnung getragen. Die Essenz in drei Punkten: Erstens wurde gesagt: Wenn es zu einer Katastrophe kommt, ist das Ausmaß von Schäden bei Atomkraftwerken so groß, dass anders als bei sonstigen risikoträchtigen Industrieanlagen zu verfahren ist. Hier geht der Schutz des Lebens vor dem Schutz des Eigentums. Zweitens wurde festgestellt: Unfälle in Atomreaktoren mit Kernschmelze müssen technisch ausgeschlossen werden. Geht das nicht, müssen Atomanlagen abgeschaltet werden und dürfen keine neuen Betriebsgenehmigungen erteilt werden. Drittens wurde festgestellt: Das Restrisiko kann definiert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gesagt, dass nur Szenarien „jenseits der Schwelle praktischer Vernunft“, also hypothetische Ereignisse, akzeptabel sind und dass alles andere technisch ausgeBirgit Homburger schlossen werden muss oder entsprechende Anlagen nicht akzeptierbar sind. Spätestens seit der Risikostudie wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Reaktorunfall bei 2 Prozent in 30 Jahren bei 19 Atomkraftwerken liegt. Das ist eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Dieses Risiko wurde spätestens mit dem Fast-GAU in Harrisburg im Jahr 1979 und mit der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986 ganz deutlich unterstrichen. Das heißt, Kollege Kubatschka, dass Sankt Florian überall und nicht nur irgendwo in Landshut ist. Es stimmt also, was die Mehrheit der Bevölkerung meint, dass Atomkraftwerke generell abgeschaltet werden müssen. ({0}) Diese Ausgangslage hatten wir bereits im Jahr 1998, als Rot-Grün gewählt wurde. Die Frage ist natürlich: Was ist die Bilanz dreieinhalb Jahre später? Wir stellen fest, Herr Minister Trittin, dass wir dreieinhalb Jahre ein „Weiter so!“ erlebt haben, zum Teil mit massivem Polizeieinsatz im Wendland. Wir stellen fest, dass das Ausstiegsgesetz genau so ist, wie die Kollegin Homburger gesagt hat. Es regelt im Grunde für 20 und mehr Jahre ein „Weiter so!“. Drei, vier oder fünf Legislaturperioden kann „weiter so“ gemacht oder das Rad wieder zurückgedreht werden. Für die Konzerne gibt es durch übertragbare Produktionsrechte und eine extreme Unterversicherung der Atomkraftwerke sogar noch ein Zuckerl oben drauf, womit Atomstrom noch einmal billiger gemacht wird. Das ist auch der Hintergrund dafür, dass die Kraft-WärmeKopplung gegenüber der Atomkraft nicht konkurrenzfähig ist. In meinem Wahlkreis in Mannheim zum Beispiel ist Kraft-Wärme-Kopplung konkret gefährdet, weil Electricité de France und Energieversorgung BadenWürttemberg Atomstrom aus Frankreich nach Mannheim leiten werden. Wenn man sich die Praxis in Atomkraftwerken ansieht, die eine systematische Verletzung elementarer Sicherheitsregeln dokumentiert, wenn man bedenkt, dass der damalige Staatsminister Fischer im Jahr 1994 im Bundestag dargelegt hat, was alles im Block A in Biblis passiert ist, wenn man sich überlegt, was von Ihnen, Herr Trittin, im Oktober dieses Jahres in Bezug auf Philippsburg festgestellt wurde, wo nach zwei Wochen Betrieb in drei von vier Notkühlbecken das Bor, ein wichtiger Zusatzstoff, wenn es um die Sicherheit geht, gefehlt hat und wo eine Überprüfung durch Ihr Ministerium ergab, dass dort 17 Jahre lang mit voller Absicht gegen Vorschriften im Betriebshandbuch verstoßen wurde, wird klar, dass diese Missachtung von elementaren Sicherheitsvorschriften in den vorhandenen Atomkraftwerken gang und gäbe ist. Herr Trittin, vor einigen Wochen konnten Sie noch das Management von Philippsburg nach Berlin zitieren. Damit wird eine Entwicklung hin zu mehr Unsicherheit dokumentiert, weil demnächst Philippsburg zur Electricité de France gehören wird und es nicht mehr so einfach sein wird, den Manager aus Paris nach Berlin zu zitieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung ihre eigenen Zielsetzungen nicht realisiert, und ich frage, ob das Folgende zutreffen könnte, dass nämlich „diese Bundesregierung sich einer Energielobby unterworfen hat, die auf der Basis einer zentralistischen Großkraftwerkstruktur ihre Macht abgesichert hat“. Das Zitat habe ich wiederum dem Programm der Grünen aus dem Jahr 1998 entnommen. ({1}) Ich glaube, dass man nach den September-Terrorakten sicherlich neu diskutieren muss, möchte aber auch betonen, dass es das, was im September in New York und Washington passiert ist, zum Teil auch vorher schon gab. Es gab Bombenanschläge auf französische AKWs in den Jahren 1975 und 1976. Am 11. November 1972 wurde in den USA eine Verkehrsmaschine entführt, die auf ein Atomkraftwerk abstürzen sollte, und die USA haben das durch die Zahlung von 10 Millionen Dollar Lösegeld verhindert. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen ehrlichen Satz, der lautet: Diese Regelungen dienen der „Befriedung eines tief greifenden gesellschaftlichen Konflikts“. Ich sagte schon: Die Regelungen heißen im Grunde „Weiter so!“, der Konflikt in der gesamten Gesellschaft ist real. Aber im Grunde ist es so, dass Ihr „Weiter so!“ nicht den gesellschaftlichen Konflikt regelt, sondern konkret nur individuelle Karriereposten realisiert. Wir fordern deswegen, dass eine wirkliche Befriedung in der Gesellschaft stattfindet. Wir fordern deshalb die Vorlage eines Gesetzes für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft. Wir stimmen darin mit den Umwelt- und Naturschutzverbänden wie IPPNW, Greenpeace, BUND, DNR und Robin Wood überein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wolf, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident. - Das heißt auch, dass man damit den Mehrheitsverhältnissen in der deutschen Bevölkerung Rechnung trägt, die davon ausgeht, dass dieses Restrisiko unerträglich und nicht akzeptabel und zynisch ist. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. Oktober 1998 hat die rot-grüne Regierung vereinbart, zu einem geordneten Ausstieg zu kommen und diesen umfassend und unumkehrbar zu regeln. ({0}) Im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Lippold - ich kann auch Herrn Hirche ergänzend nennen -, ist festzustellen, dass die reale Auseinandersetzung in der Bundesrepublik darum geht: Gibt es ein Auslaufen der Atomenergie oder einen geordneten Ausstieg? Dazu sagen wir: Der geordnete Ausstieg ist auf jeden Fall nicht nur notwendig, sondern auch politisch und wirtschaftlich sinnvoller. ({1}) Sie glauben doch nicht im Ernst, in Deutschland könnte noch einmal ein neues Atomkraftwerk gebaut werden; erst recht nicht vor dem Hintergrund der von Ihnen mit Ihrer damaligen Mehrheit beschlossenen Atomgesetznovelle von 1993/94, in der Sicherheitskriterien festgelegt werden, die technisch nicht erfüllt werden können. Von was reden Sie eigentlich? Meine Damen und Herren, wir sind am Ende eines teuren und riskanten Irrtums angekommen, eines Irrtums, der die Bevölkerung gespalten hat und leider auch die Zukunft noch dauerhaft belasten wird. Wir sind am Ende eines Weges, an dessen Anfang die Bombe stand. Am 3. Dezember 1942 begann er mit dem Reaktor von Fermi in Chicago, in kürzester Zeit folgten die Atombombe und die Katastrophen von Hiroschima und Nagasaki. Hier wurden die Grundlagen für das Atomprogramm gelegt, aus dem dann 1953 durch Eisenhower das Programm „Atom für den Frieden“ hervorging. 1961 begann dann in der Bundesrepublik die Atomenergienutzung mit der Netzsynchronisation des Versuchsreaktors in Kahl. Dieser eingeschlagene Weg geht jetzt glücklicherweise zu Ende. In Wahrheit gibt es für ihn in der Bevölkerung schon lange keine Mehrheit mehr. Endlich sind wir in der Lage, auch den Mehrheiten, die in der Bevölkerung schon lange vorherrschen, politisch Ausdruck zu verleihen. Das ist ein Fortschritt. ({2}) Es ist bedauerlich, dass auf diesem Weg Harrisburg und Tschernobyl stehen mussten. Man darf den Blick sogar nicht auf diese beiden Unfälle reduzieren. Alleine zwischen 1992 und 1995 gab es in der ehemaligen Sowjetunion 380 schwere Zwischenfälle in Atomkraftwerken. Der Aussage, das liege an der maroden Technik des Ostens, ist der Hinweis entgegenzusetzen, dass in den 90er-Jahren auch mindestens zehn schwere Unfälle in den Atomkraftwerken Japans zu verzeichnen waren. Dieses Land ist nun wirklich nicht rückständig. Die Wahrheit ist: Diese Technologie kann aus Sicherheitsgründen auf Dauer nicht verantwortet werden; denn die Schäden eines möglichen Unfalls sind unvertretbar, weil sie in der zeitlichen und räumlichen Dimension quasi unbegrenzt bleiben. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben um den Fahrplan für den Ausstieg hart gerungen. Es gibt keinen Zweifel, dass die Koalitionsfraktionen es sehr viel lieber sehr viel schneller gehabt hätten. Im Kern handelt es sich bei vielen AKWs auch nur um ein Auslaufen; auch das muss man sehen. ({4}) Trotzdem handelt es sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit einer Branche, die wie keine andere in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten gesetzlich und ökonomisch privilegiert wurde, um einen großen Kraftakt. Auf den Erfolg im Kraftakt können wir somit stolz sein. ({5}) Wie kein anderer Bereich stand die Atomwirtschaft schon immer etwas außerhalb der normalen marktwirtschaftlichen Ordnung. Sie ist immer in besonderer Weise abgesichert worden. Deshalb war es umso schwerer, hier Veränderungen einzuleiten. Wir bedauern das, aber wir haben trotzdem einen Weg gefunden, der dadurch schlüssig wird, dass Ausstieg und Einstieg in einem engen Zusammenhang stehen. Meine Damen und Herren, der Ausstieg aus derAtomenergie ist keine Willkür und auch keine neue Belastung. Er ist eine ökonomische, ökologische und politische Notwendigkeit, zu der wir stehen. Im Übrigen ist die Bundesrepublik auf diesem Gebiet kein Exotenland. Viele Länder steigen aus der Atomenergie aus. Denken Sie nur an die USA: Von den großen Plänen, die Herr Cheney noch vor kurzer Zeit verkündet hat, ist nichts übrig geblieben. Im Gegenteil, jeder, der über den Tag hinausschaut, weiß, dass wir in Zukunft ein Energiesystem brauchen, das vor allem mit der heutigen verschwenderischen Energieversorgung bricht und auf Dauer risikoarm ist. Das hat nicht zuletzt der 11. September gezeigt. ({6}) Nirgendwo auf der Welt ist die Entsorgung geregelt, nirgendwo auf der Welt kann man sich vor militärischem Missbrauch der Atomtechnologie schützen und nirgendwo auf der Welt gibt es eine Logik, die zum Klimaschutz kommt, wenn sie an verschwenderischen Strukturen festhält. Es war doch eine der wesentlichen Erkenntnisse der Klimaberichte, dass es nicht um einen Austausch von Energieträgern geht, sondern dass ein verschwenderisches System nicht durch ein anderes verschwenderisches System ersetzt werden darf. Es geht um einen völligen Bruch der Energielogik, die ins Zentrum stellt, mit möglichst wenig Energie auszukommen. Dies ist ein ganz anderer Gedankenansatz, den aber viele anscheinend bis heute noch nicht begriffen haben. Das ist moderne Energiepolitik; diesen Weg wollen wir gehen. ({7}) Frau Homburger, auf diesem Weg war Ihre Partei auch schon einmal wesentlich weiter. Ich erinnere nur an Ihre Beschlüsse zum Ausstieg. Aber das ist wohl - wie soll ich es sagen? - bei einer so flexiblen Partei ein Teil ihrer Flexibilität. ({8}) Meine Damen und Herren, die schwierige Aufgabe, vor der wir heute stehen, muss natürlich auch vor dem Hintergrund der gewaltigen Überkapazitäten gesehen werden. In dieser Auseinandersetzung geht es nicht allein um unterMichael Müller ({9}) schiedliche Energiepolitiken, sondern auch um erhebliche Machtinteressen. Abgeschriebene Atomkraftwerke sind für viele ein Goldesel, den man erhalten will. Darin liegt ein großes Problem, nicht in der Technikgläubigkeit. Genau dadurch ist die Politik gefordert. Dem kommen wir nach, indem wir eine neue Energiestruktur aufbauen. ({10}) Die Atomwirtschaft ist im Kern ein Teil des Energiesystems des letzten Jahrhunderts, das auf großen Kraftwerken mit umfangreichen Netzstrukturen und Lastzentren zur Verteilung der Energie aufbaut. Wofür haben wir denn den technischen Fortschritt bei den Informationstechnologien, wenn nicht dazu, dezentrale, kleine, sehr viel umweltverträglichere und effizientere Strukturen miteinander zu vernetzen und zu koppeln? Das ist die eigentliche Chance unserer Zeit: mit der gewaltigen Energie- und Ressourcenabhängigkeit brechen, die auf Dauer weder ökonomisch noch beschäftigungspolitisch oder ökologisch sinnvoll ist. Wir haben heute die Chance dazu. Wäre die Atomenergie alternativlos, wäre die Situation anders, aber sie ist nicht alternativlos. Im Gegenteil: Wir haben die Chance, ein modernes Energiesystem auf der Basis von Solarwirtschaft und Effizienzstrategien aufzubauen. Wir können es aber nur aufbauen, wenn wir mit der heutigen Struktur brechen. ({11}) Meine Damen und Herren, hier wurde mehrfach der Energiebericht angesprochen. In der Tat kommt die Energiestudie, die für das Bundeswirtschaftsministerium gemacht wurde, bis zum Jahre 2030 zu einer Kostenbelastung von 500 Milliarden DM, wobei man hinzufügen muss, dass zwei Drittel dieser Kosten auf den Verkehrssektor entfallen. Ich hätte erwartet, dass das vorhin offen gelegt worden wäre. Interessant ist aber, dass dasselbe Ministerium vor einem Jahr eine Klimaschutzstudie auch unter der Annahme des Ausstiegs aus der Atomenergie gemacht hat, die nicht nur zu einer CO2-Reduktion um 45 Prozent kommt, sondern wirtschaftlich in der Gesamtrechnung sogar ein Plus errechnet. ({12}) - Nein, das Entscheidende ist, wie man solche Szenarien anlegt. Das eine Szenario beruht auf der Hochrechnung der gegenwärtigen Situation in die Zukunft und dem bloßen Zusammenrechnen der mit dem Ausstieg verbundenen Kosten. Das ökologische Szenario basiert auf der Frage, wie aktive Energiepolitik betrieben werden kann. Wir wollen eine aktive Energiepolitik betreiben. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. ({13}) Sie müssen deshalb auf die Wenn-dann-Beziehungen achten. Bei diesen Wenn-dann-Beziehungen kommt es darauf an, was die Politik leisten kann. Alle weltweiten Untersuchungen von Szenarien kommen zu dem Ergebnis, dass erst der Ausstieg aus der Atomenergie - man ist sich dabei im Klaren darüber, dass bei einem Ausstieg die CO2-Belastungen kurzfristig ansteigen können - die Dynamik für Einsparungen, Effizienz und Solartechnik in Gang setzen kann. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir wollen diese neue Dynamik und diese neue Logik in Gang setzen. Dies tun wir mit unserer Energiepolitik. Das zeigt sich nicht nur am Atomausstieg, sondern auch an unseren anderen Programmen. ({14}) Dies ist ein Konzept für einen neuen Fortschritt, den wir für richtig halten. Mit diesem Fortschritt soll versucht werden, die Risiken in einer verwundbaren Welt zu minimieren. Deswegen danken wir allen, die sich an dieser Arbeit beteiligt haben. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch die Anti-Atomkraft-Bewegung erwähnen, der wir ebenfalls zu danken haben. In einem Punkt können Sie sicher sein: Gemeinsam werden wir stark genug sein, um einen idiotischen Wiedereinstieg zu verhindern. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hirche das Wort. ({0})

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Kollege Müller, der Vorwurf, der sich in dieser Auseinandersetzung nach dem Energiebericht der Bundesregierung - ich betone: Energiebericht der Bundesregierung - an Sie richtet, ist, dass Sie Ihre Politik ohne Rücksicht auf die volkswirtschaftlichen Kosten betreiben. Ich habe immer gesagt - dazu stehen wir auch -: In einem Marktprozess müssen sich Energieträger an ihren Kosten beweisen. Wenn eine Energieform dem Vergleich nicht standhält - durchaus nach Internalisierung externer Kosten; auch darüber müssen wir reden -, dann wird sie sich auf dem Markt nicht behaupten können. Die Tatsache, dass Sie ein Gesetz verabschieden, ist Beweis genug dafür, dass Sie wissen, dass die Kernenergie ohne dieses Gesetz eine echte Wettbewerbschance auch in der Zukunft hätte. Sonst würden nicht die Diskussionen in Schweden, in Finnland und in einem aufstrebenden Land wie Südafrika anders sein. Dort sind derzeit 20 Reaktoren zu 110 Megawatt ausgeschrieben. An der Ausschreibung beteiligen sich leider keine deutschen Unternehmen; es bieten nur amerikanische Unternehmen aus dem Kernenergiebereich mit. Wie auch immer die Situation ist: Sie versuchen - das haben Sie zum Schluss deutlich gemacht -, die Bedingungen erst politisch zu verschlechtern und einen Energieträger ins Gerede zu bringen, um dann anschließend zu sagen, er sei nicht wirtschaftlich. ({0}) Gleichzeitig mobilisieren Sie Milliardenbeträge an Subventionen, die die deutsche Volkswirtschaft für Michael Müller ({1}) wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und nicht für subventionierte Arbeitsplätze bräuchte. ({2}) Sie mobilisieren dieses Geld zulasten der Arbeitsplätze und damit zulasten der Industrie und der Konsumenten. Das sind Milliardenbeträge, die der deutschen Volkswirtschaft verloren gehen. Stellen Sie sich doch dem Prozess, mit dem Deutschland bisher seine Wettbewerbsfähigkeit in der Welt behaupten konnte, nämlich der sozialen Marktwirtschaft mit ihren offenen Entscheidungsprozessen! Sie versuchen aber mit eigenen Ideen und Staatsdirigismus, die Entwicklung in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken. ({3}) Ich will abschließend sagen: Ich bin nur froh, dass es nichts gibt, was unumkehrbar ist. Die künftige Generation wird über die Entwicklung neu entscheiden können. Das ist das Hauptergebnis heute. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Müller, Sie haben Gelegenheit zu einer Erwiderung.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hirche, angesichts Ihrer Rede weiß ich, warum sich Ludwig Erhard von den Freien Marktwirtschaftlern durch die soziale Marktwirtschaft abgegrenzt hat. Es ist heute wichtig, eine soziale und ökologische Marktwirtschaft zu betreiben. ({0}) Ich finde es schon erstaunlich, wenn man die Konzentrationsprozesse in diesem sehr mächtigen Industriekomplex schlichtweg als Wettbewerb bezeichnet. Dazu gehört wirklich viel Mut. Ich bleibe dabei, dass vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen der Zukunft, die vor allen Dingen darin liegen, Vermeidungskosten zu mobilisieren, dezentrale moderne Technologien zu entwickeln, die Natur und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie sinnvolle Formen von Innovationen zu ermöglichen, unser Weg der Modernisierung besser ist als der des bloßen Festschreibens. Mit Ihrem Weg werden Sie scheitern. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Dies ist eine weitere beklemmende Stunde des parlamentarischen Niedergangs. ({0}) Es wird ein Gesetz verabschiedet, das zwischen Kanzleramt und Stromkonzernen auf Punkt und Komma ausgehandelt wurde und Bestandteil eines Vertrages ist. ({1}) Das höchste Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland wird auf eine belanglose Notarsfunktion herabgewürdigt. Das Gesetzgebungsverfahren war eine Farce. ({2}) Im federführenden Umweltausschuss sind die einzelnen Vorschriften schon gar nicht zur Beratung aufgerufen worden. ({3}) Wir sehen deshalb keinen Sinn darin, einzelne Bestimmungen kritisch zu würdigen, so widersprüchlich, unlogisch und verfehlt sie auch immer sind. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt diese Atomgesetznovelle vom Grundsatz her entschieden ab. ({4}) Es ist Aufgabe des Staates, den Ordnungsrahmen mit Anforderungen des Umweltschutzes und der Anlagensicherheit vorzugeben und nicht, wie es hier geschieht, ganze Technologien ohne jede Differenzierung zu verbieten. ({5}) Ob und wann eine Energietechnik genutzt wird, soll allein denen überlassen bleiben, die in diesem Ordnungsrahmen im Wettbewerb am Markt tätig sind. Mit dem Gesetz zur Beendigung der Kernenergienutzung soll die Anti-AKW-Bewegung ihr Ziel in Deutschland erreichen. Diese Bewegung hat ihren Ursprung im Welt- und Lebensgefühl der revoltierenden Studenten der 60er- und 70er-Jahre. ({6}) - Lieber Herr Müller, ich erinnere mich genau, was damals auf den Straßen los war. Ich gehörte nicht zu denjenigen, die Steine geworfen haben. ({7}) Dieses Lebensgefühl war von der durchgängigen Verurteilung der bundesrepublikanischen Wirklichkeit geprägt und insbesondere getragen von einer radikalen Absage an die hoch technisierte Industriegesellschaft. In der AntiAKW-Bewegung fand diese emotionale Befindlichkeit ihren symbolträchtigen Ausdruck. Sie wurde in dem Maße auch zum Medienphänomen, wie Aktions- und Demonstrationsformen entwickelt wurden, auf die Bildmedien begierig ansprechen. Wie die Kollegin Hustedt gerade ausgeführt hat, wurde im Gründungsprozess der grünen Partei der Antiatomprotest zu einer Grundsäule. Man konnte und kann nicht für Atomkraft und zugleich Mitglied der grünen Partei sein. ({8}) Alle Abwägungen und Differenzierungen sind zugunsten einer kompromisslosen Eindeutigkeit aufgegeben. Gut und Böse sind klar geschieden. Und so schürt RotGrün bei jedem auch noch so kleinen Anlass mit Fleiß und Hingabe die Furcht vor dem Atom. Jede Aufnahme von Daten und Ereignissen erfolgt nach Maßgabe der schon getroffenen Vorentscheidung. Ihre unglaubliche Polemik, Herr Kollege Müller, die friedliche Nutzung der Kernenergie in einen direkten Zusammenhang mit der Atombombe zu setzen, zeigt, wie schwach und ideologiegebunden Ihre Argumente heute sind. ({9}) Im Herbst 1999 haben viele Hundert Wissenschaftler und Hochschullehrer der Bundesregierung vergeblich ein Dialogangebot unterbreitet, um auf der politischen Ebene die gewaltigen Fortschritte bei der Reaktorsicherheit und der Neuentwicklung von Reaktortypen, bei denen gravierende radioaktive Freisetzungen naturgesetzlich unmöglich sind, sowie wissenschaftliche Fortschritte bei alternativen Entsorgungstechniken darzustellen. Die Bundesregierung antwortete auf meine parlamentarische Anfrage kurz und knapp, die Ausstiegsentscheidung stehe nicht mehr zur Disposition. Das ist wahr. Die Wirklichkeit ist der eigentliche Feind der Ideologie. Durch selektive Wahrnehmung wird einfach ausgeblendet, was das Vorurteil stören könnte. Demut vor der Sache, die Sachlichkeit erst ermöglicht, ist Ideologen wesensfremd. ({10}) Ein zentrales Problem in unserem Land besteht darin, dass wesentliche naturwissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Grundtatbestände nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. ({11}) So ist es unausweichlich, dass in der Begründung zum Gesetzentwurf Behauptungen aufgestellt werden, die nicht erläutert werden und rational nicht nachvollziehbar sind. Besonders ärgerlich ist angesichts einer engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Kernenergie nutzenden Staaten wie Frankreich, USA, Japan und anderen, dass die Bundesregierung trotz des von ihr ausdrücklich bestätigten hohen deutschen Sicherheitsstandards erklärt, eine Neubewertung der Risiken lasse die Kernenergienutzung auf Dauer nicht zu, und diese Neubewertung den deutschen und ausländischen Wissenschaftlern überhaupt nicht verdeutlicht und begründet. Im Übrigen passen die Vorschriften des Gesetzentwurfs mit der Unterstellung eines intolerabel hohen Risikos nicht zusammen. Wie könnten sonst noch Laufzeiten bis 2020 zugelassen werden? ({12}) Wie könnten sonst die vereinbarten Reststrommengen, die noch erzeugt werden dürfen, ziemlich genau der gesamten Stromproduktion bis heute in allen deutschen Kernkraftwerken zusammen entsprechen? Wenn die ganze Angelegenheit nicht so kläglich wäre, könnte man ausgesprochen begrüßen, dass die rot-grüne Bundesregierung den von staatlichen Interventionen ungestörten Betrieb vieler Kernkraftwerke sowie die erforderlichen Atomtransporte noch über Jahrzehnte hinaus garantiert. Genau hier ist das Junktim, das die Wirtschaft, die dem Atomausstieg genau wie wir widerspricht ({13}) - sie ist dazu gepresst worden, schlicht und einfach -, ({14}) veranlasst hat, diesen Vertrag mit der Bundesregierung zu schließen. Wir stellen fest: Es gibt weder neue Erkenntnisse über Risiken noch Tatsachen noch neue Bewertungsmaßstäbe, die eine Beendigung der Kernenergienutzung mit den hohen deutschen Sicherheitsstandards nahe legen könnten. In jüngster Vergangenheit ist vielmehr durch aufwendige sicherheitstechnische Nachrüstung der deutschen Kernkraftwerke sichergestellt worden, dass auch bei schweren Störfällen und zusätzlich unterstelltem Ausfall der Sicherheitseinrichtungen keine großen Freisetzungen ionisierender Strahlen, also keine Unfälle mit unabsehbaren Folgen, auftreten können. Hinweise auf Tschernobyl, Herr Wolf, sind schon deshalb falsch, weil dort eine völlig andere Reaktorphysik, eine gänzlich andersartige Betriebsweise und so gut wie keine Sicherheitstechnik eingesetzt waren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Laufs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Laufs, können Sie mir bestätigen, dass noch vier Wochen vor dem GAU in Tschernobyl in den Fachmagazinen in Deutschland die Einführung der dortigen Technologie auch für Deutschland gefordert wurde?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich nicht bestätigen. ({0}) Ich kann nur sagen, dass in solchen Magazinen berichtet worden ist, was Kernphysiker aus Russland gesagt haben. Es ist von deutscher Seite nicht geprüft worden, ob diese Behauptungen der Wirklichkeit entsprachen. Was die Entsorgung radioaktiver Abfälle betrifft, so spricht nichts in der Sache dagegen, dass das frühere deutsche Entsorgungskonzept technisch und sicherheitstechnisch realisierbar und bereits weit fortgeschritten ist. Seit drei Jahren warten wir darauf, dass die Bundesregierung ihre Zweifel an der Eignung Gorlebens konkretisiert. Es kommt aber nichts; es werden nur Zweifel zum Ausdruck gebracht, die nicht begründet werden. ({1}) Es ist zutiefst unverantwortlich und moralisch verwerflich, dass die rot-grüne Bundesregierung ohne wirkliche sachliche Begründung die Arbeiten in Gorleben gestoppt und die Genehmigung des Endlagers Konrad auf die lange Bank geschoben hat. Sie belastet damit kommende Generationen. ({2}) Zum Klimaschutz, einem wesentlichen Aspekt einer nachhaltigen Entwicklung, ist anzumerken, dass die Kernkraft ein sehr großes technisch und wirtschaftlich nutzbares Potenzial CO2-freier Stromerzeugung hat. Dass der Atomausstieg, wie von der Bundesregierung behauptet, Anreize zur Umstrukturierung der Energieversorgung, auch zur Erreichung der Klimaschutzziele, schaffen werde, wird nicht verdeutlicht und bleibt gänzlich schleierhaft. Auf meine parlamentarische Anfrage antwortete die Bundesregierung vor wenigen Tagen, dass je nach unterstellter Substitution der Kernenergie in den Jahren bis 2020 durch Einsatz vorhandener oder neu zu errichtender GuD-Anlagen auf Erdgasbasis sowie durch den Einsatz von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke CO2-Zusatzemissionen von jährlich bis zu 74 Millionen Tonnen - mit rasch steigender Tendenz - entstehen werden. Dies gilt nur für höchste Wirkungsgrade und enorme Effizienzsteigerungen bei der Energienutzung, die hier unterstellt werden. Wenn dagegen statt neuer Erdgas- und Kohlekraftwerke mit massiven staatlichen Eingriffen gleichzeitig regenerative Energien und das ehrgeizige Klimaschutzziel durchgesetzt werden sollen - das hat Kollege Lippold schon gesagt -, dann muss die deutsche Volkswirtschaft, wie im Energiebericht der Bundesregierung dargelegt wird, zusätzliche Kosten von 500 Milliarden DM aufbringen. Das würde die Energiekostenrechnung des durchschnittlichen privaten Haushalts um zwei Drittel oder real um 3 000 DM jährlich erhöhen. Das ist die Wahrheit. ({3}) Dies sollten Sie der Bevölkerung in Ihren bunten Werbebroschüren und in Ihren Inseraten sagen. ({4}) Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Das vorliegende Ausstiegsgesetz ist ohne rational vernünftige und nachvollziehbare Begründung. Es gehört zur ideologischen Restmasse der kulturpessimistischen 68er- bis 78er-Bewegung. ({5}) Neue Mehrheiten können diesen Unsinn rückgängig machen. Ich sage Ihnen: Der politische Wechsel in Deutschland wird stattfinden, ({6}) lange bevor Rot-Grün das destruktive Werk des Ausstiegs verwirklichen kann. ({7}) Darauf freuen wir uns. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich den anregenden Gedanken widme, ({0}) wie es uns als Restgrößen einer kulturpessimistischen Bewegung gelingen konnte, die deutsche Energiewirtschaft dazu zu erpressen, dass sie den Atomausstieg akzeptiert - wenn ich Herrn Laufs richtig verstanden habe -, möchte ich eine Bemerkung zu dem machen, was mir aufgefallen ist: Herr Laufs verwendet genau die gleichen Argumente wie Herr Wolf. Das gibt mir zu denken. ({1}) Denn an der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland, obwohl wir in der Grundversorgung einen beachtlichen Anteil an Atomstrom haben, so schnell wie kein anderes europäisches Land aussteigt, führen diese Argumente nicht vorbei. ({2}) Wir sind dabei nicht allein. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist auf dem Weg, aus der Atomenergie auszusteigen. ({3}) Sie kündigen an, dass Sie den Atomausstieg rückgängig machen wollen, nachdem Sie die nächste Bundestagswahl gewonnen haben. ({4}) Lassen Sie uns doch einmal, bevor wir über Rücknahmen und Ähnliches sprechen, fragen: Ist denn die Kanzlerkandidatin oder der Kanzlerkandidat, mit dem Sie das durchsetzen möchten, schon geboren? ({5}) Lieber Herr Laufs, bleiben wir bei den Tatsachen. Wir beenden die Nutzung der Atomenergie. Wir verbieten den Bau neuer Atomkraftwerke. Wir sehen eine durchschnittliche Restlaufzeit von heute elf Jahren vor. Wir beenden die Müllvermehrung durch Wiederaufarbeitung und den Unsinn, tonnenweise Atommüll dreimal quer durch Europa zu transportieren, obwohl ein Transport doch ausreichen würde. ({6}) Das geht natürlich nicht ohne Zielkonflikte. Ich habe gerade ein Bürgerbegehren von Niederaichbach zur Kenntnis genommen, in dem vorgeschlagen wird, zur Verhinderung eines Zwischenlagers das Kraftwerksgelände zu einem Zentrum für erneuerbare Energien umzugestalten. Dummerweise hat dieses Bürgerbegehren eines vergessen: vorher die Stilllegung der Anlage, die dort läuft, zu fordern. ({7}) - Das wollen sie nicht. Dazu sage ich Ihnen: Auch hier bedeutet der Atomkonsens einen großen Schritt nach vorn. Wir machen nämlich Schluss damit, dass mit der Produktion von Strom durch Atomenergie im Süden Geld verdient wird und Steuern einkassiert werden, anschließend der Müll nach Nordrhein-Westfalen und nach Niedersachsen verbracht wird, die sich dann um die Abfälle zu kümmern haben. Wir sorgen damit für ein Stück Lastenverteilung zwischen Nord und Süd. ({8}) Auch dies geht nicht ohne Konflikte ab. Aber unser Eindruck ist: Wir sind dabei, ein gewaltiges Konfliktpotenzial abzubauen und einen Konflikt, der über Jahre hinweg mit Polizei, mit Wasserwerfern und Ähnlichem ausgetragen wurde, auf das zurückzuführen, was getan werden sollte, ({9}) nämlich die Abarbeitung eines politischen Konfliktes in politischer Form vorzunehmen und damit ein Stück Konsens in dieser Gesellschaft zu schaffen. ({10}) - Herr Hirche, Sie sollten sich eine andere Brille aufsetzen. Mein Anzug heute verfügt über keinen einzigen Streifen, auch keinen Nadelstreifen. Aber es freut mich, dass er Ihnen gefällt. ({11}) Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass Atomkraftwerke die offene Gesellschaft sehr verwundbar machen, verwundbarer, als wir alle es uns wünschen. Übrigens halte ich es auch unter diesem Aspekt für richtig, dass wir eine Energiewende eingeleitet haben, die gerade auf erneuerbare Energien und auf mehr Energieeffizienz setzt. In keinem Windfeld kann es durch Fahrlässigkeit zu einer Kernschmelze kommen. Wenn wir über Sicherheit von Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland, über Versorgungssicherheit, über Verminderung von Importabhängigkeit, reden, dann können wir nicht Importprodukte wie Kohle, Gas, Öl und Uran gegeneinander ausspielen, sondern dann gibt es eine ganz einfache Grundweisheit: Das, was uns am zuverlässigsten von Energieimporten unabhängig macht, ist die Nutzung erneuerbarer Energien; denn sie sind hier verfügbar. ({12}) Meine Damen und Herren, wir müssen dies tun, wenn wir dem Klimawandel begegnen wollen. Das ist der Grund, warum wir gegen Ihren wütenden Widerstand beim Erneuerbare-Energien-Gesetz - und wir werden es auch bei den Regelungen zur Kraft-Wärme-Koppelung erleben - sagen: Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2010 verdoppeln. Wir wollen mehr Energieeffizienz. Wo waren Sie denn, als wir die hoch effizienten Gas-und-Dampf-Kraftwerke von ihrer steuerlichen Benachteiligung gegenüber Atomkraftwerken und gegenüber Kohlekraftwerken befreit haben? ({13}) Da haben Sie dagegen gestimmt. ({14}) Und was ist heute der Fall? Was glauben Sie denn, woher die Gasturbinen kommen, mit denen in Kalifornien die Energiekrise bekämpft wird? Sie wird nicht mit Atomkraftwerken bekämpft. Sie wird mit Gasturbinen beseitigt, die in Deutschland entwickelt und konstruiert worden sind, weil wir hier die Bedingungen dafür geschaffen haben. ({15}) Herr Lippold, Sie haben völlig Recht: Wenn wir über Energiepolitik reden, dann reden wir über Wirtschaftspolitik und über Arbeitsmarktzahlen. Aber dann erlauben Sie mir doch den Hinweis darauf - er ist nicht hier, aber ich sah ihn heute Morgen -: Wie war es denn, als Herr Rexrodt die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik hatte? Damals verließ der letzte Photovoltaikhersteller Deutschland, weil es hier keinen Markt mehr dafür gab. ({16}) Wir werden demnächst die vierte neue Solarfabrik in Hameln eröffnen. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Ja, gern. ({0})

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich bin nicht scharf darauf. - Herr Trittin, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass unter Minister Jürgen Rüttgers die Grundsteinlegung für zwei Solarzellenfabriken, eine in Bayern und eine in Nordrhein-Westfalen, stattgefunden hat? ({0})

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Selbstverständlich nehme ich das zur Kenntnis. Ich habe Ihnen den Fall der Unternehmen geschildert, die hier waren. In Antwort auf Ihre Frage sage ich Ihnen, lieber Herr Grill, noch: Als wir diesen Laden übernommen haben, ({0}) als wir diese Regierung übernommen haben, ({1}) haben wir einen Laden vorgefunden, ({2}) bei dem die Förderung erneuerbarer Energien im Bundeshaushalt gerade einmal 18 Millionen DM betragen hat. Wenn Sie sich den neuen Haushalt anschauen, dann werden Sie feststellen, dass dieser Betrag heute bei 500 Millionen liegt. Das haben wir aus Ihrem Laden gemacht: Wir haben die Energiewende eingeleitet. ({3}) Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Klimaschutz wird nicht möglich sein, wenn nicht dezentrale, hoch effiziente Techniken gefördert werden. Die Ausphasung von Großkraftwerken niedriger Effizienz ist die Voraussetzung für eine jede Energiepolitik der Zukunft. ({4}) Wenn Sie das übersetzen in die Frage, was das für die Arbeitsplätze bedeutet, dann stelle ich, gerade vor dem Hintergrund der Äußerung von Herr Lippold, fest: Im Bereich der erneuerbaren Energien arbeiten heute zwischen 70 000 und 80 000 Menschen. Dies hat damit zu tun, dass diese Regierung dafür Sorge getragen hat, dass bei den erneuerbaren Energien ein beispielloser Boom stattgefunden hat, gegen Ihre Blockadeversuche. ({5}) Das sind mehr Arbeitsplätze, als Ihre kulturpessimistischen Ausführungen, sehr geehrter Herr Laufs, in dem Bereich der Atomenergie je erlaubt haben. ({6}) Deswegen, meine Damen und Herren, ist heute ein erfreulicher Tag. Wir machen deutlich: Die Atomenergie ist ein Konzept der Vergangenheit. Wir sollten uns nicht mehr mit Fragen der Vergangenheit auseinander setzen, wir sollten uns der Zukunft zuwenden. Die Zukunft ist erneuerbar, sie ist effizient, sie ist dezentral. Deswegen ist die Energiewende das Modell der Zukunft. Damit sind wir heute einen ganzen Schritt weitergekommen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Trittin, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Sie hier und heute nicht zum ersten Mal davon gesprochen haben, dass Sie als rot-grüne Bundesregierung einen „Laden“ übernommen hätten. ({0}) Ich finde das eine Art und Weise des Umgangs mit Verantwortung - es handelt sich immerhin um die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland -, die dem Amt nicht angemessen ist. ({1}) Dieses flegelhafte und arrogante Verhalten, das Sie hier immer wieder an den Tag legen, werden sich die Menschen draußen merken. ({2})

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn mir jetzt aus der CDU/CSU-Fraktion „Bin Laden!“ zugerufen wird, dann haben wir ein Niveau der Debatte erreicht, das der Einwendung von Frau Homburger, mit Verlaub - ich wollte ihr ernst antworten -, nicht gerecht wird. Ich habe meine Wortwahl ausdrücklich bezogen auf den Zustand, in dem wir die Bundesregierung übernommen haben. ({0}) Dass dieser Zustand nicht Unterstützung, Applaus und Zustimmung erfahren hat, haben Sie am 23. September 1998 erlebt. ({1}) Sie sind nämlich seinerzeit für Ihre ungenügende Politik abgewählt worden. Dass Sie die zentralen Fragen der Energiepolitik in diesem Lande nicht gelöst haben, war einer der Gründe dafür, dass Sie abgewählt worden sind. Deswegen haben wir mit dem, was Sie hinterlassen haben, einen Laden vorgefunden, den wir erst einmal wieder zu einer ordentlichen Bundesregierung machen mussten. Das ist uns ganz gut gelungen. ({2}) - Sie können gerne weiter dazwischenrufen. Aber angesichts der Tatsache, dass Ihre Regierung so exzellent organisiert war, dass Sie, bevor wir an die Regierung gekommen sind, meterweise Akten und megabyteweise Festplatten beseitigen mussten, wäre ich an Ihrer Stelle sehr, sehr vorsichtig damit, andere Leute über politischen Stil zu belehren. Sie mit Ihren Aktionen haben es gerade nötig! ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in der Tat beschämend, Herr Trittin, wie Sie hier auftreten. ({0}) Es ist nicht nur Ihr Geschrei, sondern es ist zum wiederholten Male passiert, dass Sie sich hier aufführen, als hätten Sie vor diesem Bundestag überhaupt keinen Respekt. ({1}) Es ist auch nicht das erste Mal, dass Sie in einer Kette von Unwahrheiten unsere eigenen Leute beleidigen. Ich weise das mit aller Entschiedenheit zurück. ({2}) Das Thema selbst ist wirklich ein sehr ernstes Thema und hat einen anderen Diskussionsstil verdient. Die Kollegen von Rot-Grün werden heute gegen unsere Stimmen mit ihrer Mehrheit dieses Atomausstiegsgesetz beschließen und damit auch das Verfahren für diese Legislaturperiode beenden. Aber die Diskussion um die Kernenergie beenden Sie damit nicht; denn das „große Reformwerk“, wie Herr Kubatschka gesagt hat, löst keine Probleme, aber es schafft neue. Problem Nummer eins - es ist schon genannt worden sind die ökonomischen Folgen. Es kommen in der Tat gigantische Kosten auf Wirtschaft und Haushalte zu. Die oft zitierten 500 Milliarden DM Ausstiegskosten im Energiebericht von Wirtschaftsminister Müller sind erstens noch schöngerechnet und zweitens nur die Spitze des Eisbergs. Es sind nur die Zusatzkosten für zusätzlichen Klimaschutz. ({3}) Wenn Sie diese Kosten letztendlich auf die Haushalte in Deutschland konkret herunterbrechen, dann wird sich auch das als Fata Morgana erweisen, was Sie immer behaupten, dass nämlich die Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Ausstieg steht. Auch ist wenig glaubwürdig, wenn Sie bei der Entwicklung der Arbeitsplätze gerade im regenerativen Bereich immer wieder mit Zahlenspielereien beginnen. Hier überschlagen sich wirklich die Prognosen: Die einen sind bei 200 000, die anderen sind schon bei 500 000 Arbeitsplätzen. Aber dafür gibt es keine seriösen Berechnungen. ({4}) Herr Kelber, viele dieser Arbeitsplätze entstehen nicht im freien Wettbewerb. Wenn ich eine Kilowattstunde aus Photovoltaik mit 1,48 DM subventionieren muss, dann stehen diese Arbeitsplätze auf tönernen Füßen. Aber ganz real und konkret ist der Verlust der Arbeitsplätze in der Kernenergie. Das hat die zuständige Gewerkschaft bei unserer Anhörung genauso gesehen. Sie fand das überhaupt nicht lustig. Noch eines ist ganz konkret und real: Der Ausstieg gerade aus der Energieproduktion mit den niedrigsten Gestehungskosten wird natürlich hierzulande die Energiepreise in die Höhe treiben. ({5}) Auch das, Herr Kubatschka, wird Arbeitsplätze kosten, und zwar in allen Wirtschaftsbereichen. ({6}) Im Ergebnis machen Sie eines: Sie machen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze kaputt und ersetzen sie durch subventionierte. Das ist wirklich eine Wirtschaftspolitik von gestern. Das ist ein ökonomischer Schildbürgerstreich. ({7}) Problem Nummer zwei Herr Kelber, ist der Klimaschutz. Es ist natürlich richtig, dass die Kernkraftwerke nicht für den Klimaschutz erfunden wurden. Aber es ist trotzdem C02-freie Energie. ({8}) Wenn ich mir dieses Gewürge in Bonn und Marrakesch mit den wirklich minimalen Ergebnissen vor Augen halte, wenn ich die Forderung der Klimaforscher ernst nehme, dass unsere Reduktionsziele bis 2005 oder 2012 erst der Anfang sein können, wenn ich mir anschaue, wie die Weltbevölkerung rapide steigt und der Energiebedarf in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zunimmt, dann sehe ich wirklich keine Chance, dass wir diese gewaltige Herausforderung national und international mit einem Ausstieg aus der Kernenergie bewältigen können. Auch Sie von Rot-Grün sehen diese Chance nicht. Das gibt Wirtschaftsminister Müller unumwunden zu. Er ist immerhin Mitglied dieser Bundesregierung. Für den Kanzler Schröder ist das ganz einfach: Er hat die Kernkraftwerke geistig schon durch Kohle ersetzt. Frau Hustedt, ich kann mich sehr gut erinnern, wer an der Spitze der Steinkohlekumpels in Bonn damals marschiert ist. Wissen Sie, wer das war? - Das war Joschka. ({9}) Auch wir wollen - ich sage das ganz klar und deutlich - eine Verdoppelung des Anteils der regenerativen Energien. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, es ist aber kein Ersatz für die Kernkraft. ({10}) - Herr Kubatschka, wir brauchen beides, nämlich die Kernkraft und die regenerativen Energien. ({11}) Da der Trittin völlig daneben gequasselt hat, möchte ich daran erinnern: Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir zusammen gemacht. Das war noch unter unserer Regierung. Sie können doch nicht von uns verlangen, dass wir beim EEG zu jedem Unsinn Ja und Amen sagen, auch wenn richtigerweise etwas geregelt werden muss. Dann könnten Sie ja die Opposition abschaffen. ({12}) So etwas lassen wir mit uns natürlich nicht machen. Das Problem Nummer drei ist die nukleare Sicherheit. ({13}) Sie wollen mit dem Ausstiegsgesetz Deutschland und die Welt sicherer machen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die überflüssigen Zwischenlager sind ein weiterer Unsicherheitsfaktor, Stichwort: Proliferation. ({14}) Auch die so wichtige Klärung der Frage der Endlagerung haben Sie auf unbestimmte Zeit verschoben. ({15}) Das größte Sicherheitsrisiko - ich möchte das ganz deutlich sagen - ist natürlich das Neubauverbot. Es gibt überhaupt keine Zweifel: Das ist ein technologischer Fadenriss. Deutschland klinkt sich damit aus der Weiterentwicklung von Kernreaktoren mit einem höheren Sicherheitsstandard - zum Beispiel dem EPR - aus. Sie provozieren damit den Untergang der höchsten Sicherheitskompetenz in der Welt, und zwar zu einem Zeitpunkt, da weltweit 90 Reaktoren im Bau oder in Betrieb sind. Wenn Trittin gesagt hat, Europa sei auf dem Marsch in den Ausstieg, so ist das ein Unsinn. Das ist überhaupt nicht wahr. Selbst Italien, das immer so groß tönt, bezieht Atomstrom aus Frankreich. ({16}) Frau Hustedt, Ihr Argument, es dürfe weiter geforscht werden, ist reine Heuchelei. In Wirklichkeit versuchen Sie in der deutschen Wissenschaft ein Denkverbot durchzusetzen. Das sieht man an dem Briefwechsel des BMU mit dem Wirtschaftsministerium, das verpflichtet werden soll, aus internationalen Kooperationen auszusteigen. Eines ist doch klar: Wer an nichts Neues denken darf, kann auch das Alte nicht verbessern. Besonders pervers wird das am Beispiel des Hochtemperaturreaktors. Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert. ({17}) - Ja, das gebe ich zu; übrigens nicht nur wir, das waren alle. Herr Kubatschka, ich habe da keine Probleme, ich kann Ihnen vorbeten, wie das gelaufen ist. Aber das wissen Sie vielleicht auch. Der HTR ist vor jeder Kernschmelze sicher, ({18}) er ist auf hohem Niveau, idiotensicher in der Bedienung und erleichtert das Problem der Endlagerung. ({19}) Eine Studie des MIT in Boston aus jüngster Zeit hat nachgewiesen, dass eine solche Anlage, mit Gasturbinen kombiniert, die beste Perspektive einer nuklearen Option ist, und zwar in allen Bereichen: Sicherheit, Wirkungsgrad und Betriebskosten. Man kann ihn auch unter der Erde bauen. Das hat auch Professor Seiler vom Öko-Institut im Darmstadt bei unserer Anhörung im Ergebnis bestätigt. Darüber reden Sie aber nicht, weil es Ihnen nicht ins Konzept passt. ({20}) - Das stimmt nicht, Herr Kubatschka. ({21}) Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass die deutschen Kernkraftwerke erst einmal ungeniert weiterlaufen und das Sicherheitsniveau in Deutschland und weltweit sinkt. ({22}) Sie haben vor einigen Tagen im Ausschuss beschworen - ich glaube sogar, das waren Sie, Herr Kubatschka -, man dürfe das Thema nicht ideologisch befrachten. Das ist ein guter Vorschlag, der sich aber vor allem gegen Sie richtet. Natürlich kann jeder sagen: Ich wäge die Risiken ab und bin deswegen gegen Kernkraft. Sie aber haben es zu weit getrieben. Sie sind nämlich bereit, für ein politisches Markenzeichen jeden ökonomischen und ökologischen Preis zu zahlen und nehmen dabei ungeniert Abstriche an der Sicherheit in Kauf. Eine wirkliche Diskussion um Strahlengefahren findet bei Ihnen längst nicht mehr statt. Solche Probleme kümmern Sie nämlich nicht mehr. Ich nehme als Beispiel den BMU-Bericht über die Gefahren des Radon aus der Erde. An dieser Strahlung sterben jedes Jahr in der Bundesrepublik 2 000 Menschen. Sie spielen bei jedem Castortransport verrückt, während Sie die wirklichen Probleme nicht angehen. ({23}) Das ist Ideologie. Das ist der eigentliche Skandal Ihrer Atom- und Energiepolitik.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. Sie haben sie schon weit überschritten.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Sie sind gegenüber Fachargumenten taub geworden und betreiben die Durchsetzung Ihrer Ideologie mit der Brechstange. ({0}) Damit haben Sie das Ansehen unserer Wirtschaft, unserer Wissenschaft und auch unserer Demokratie beschädigt. Deswegen bleibt dieser Punkt auch auf der Tagesordnung, und zwar so lange, bis wir die Probleme wirklich lösen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph Matschie.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach den sehr stark emotional und vielleicht auch etwas kulturpessimistisch geprägten Reden der Opposition möchte ich gern zu ein paar Sachargumenten zurückkommen. Ich glaube, dass wir über die Sicherheitsfrage schon auf einem viel höheren Niveau diskutiert haben, als Sie das vorhin getan haben. Dass Ihr Antrag in den zur Diskussion stehenden Fragen sehr oberflächlich und ideologisch geprägt ist, zeigt zum Beispiel, dass Sie in Ihrem Antrag rundweg behaupten, der Ausstieg aus der Atomenergie sei sicherheitstechnisch nicht begründet und der Betrieb der Atomkraftwerke sei auch nach Meinung international renommierter Experten in vollem Umfang verantwortbar. Lassen Sie mich kurz das zitieren, was der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der noch unter der Regierung Kohl berufen wurde, dazu in seinem „Umweltgutachten 2000“ ausführt - ich hoffe, dass Sie wenigstens den Argumenten der Sachverständigen, die Sie selber berufen haben, folgen können -: Der Umweltrat hält aufgrund der Charakteristiken bestrahlter Brennelemente und der darin begründeten, in weiten Teilen ungelösten Entsorgungsprobleme eine weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar. Ich stelle fest: Die Sachverständigen, die Sie berufen haben, halten eine weitere Nutzung der Kernenergie für nicht verantwortbar. Dann sollte man sich zumindest einmal die Mühe machen, sich mit solchen Argumenten auseinander zu setzen, und nicht einfach ein gegebenes Sicherheitsniveau unterstellen. ({0}) - Auf Sie, Herr Laufs, gehe ich gleich noch ein. - Das geht so weit, dass Frau Homburger hier behauptet, die Tatsache, dass Atomkraftwerke betrieben und nicht abgeschaltet werden, beweise ihre Sicherheit. Das ist doch absurd, Frau Homburger. ({1}) Das Einzige, was das beweist, ist, dass die Atomkraftwerke nach den von uns vorgegebenen Sicherheitsstandards betrieben werden, dass diese Standards also eingehalten werden. Das beweist aber nicht, dass absolute Sicherheit besteht. Eine solche Sicherheit ist bei dieser Technologie doch überhaupt nicht zu gewährleisten, Frau Homburger. ({2}) - Nein, sie müsste nicht die Schließung veranlassen. ({3}) - Nein. Wir haben versucht, durch Verschärfung der Sicherheitsvorschriften die Restrisiken zu minimieren. Aber das heißt doch nicht, dass es keine Restrisiken gibt, über die wir diskutieren müssen. ({4}) Bei keinem Atomkraftwerk, so heißt es in dem Gutachten des Sachverständigenrates, sei die Möglichkeit einer Kernschmelze ausgeschlossen. Das ist das Restrisiko, mit dem wir umzugehen haben und das wir nicht einfach negieren können, wenn wir über die Nutzung der Atomenergie diskutieren. ({5}) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen empfiehlt nach seiner Analyse - weil er die weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar hält; das sage ich vor allen Dingen an Ihre Adresse, Herr Wolf -, „Möglichkeiten einer entschädigungsfreien Beendigung der Nutzung der Atomenergie im Wege einer konsensualen Lösung mit den Betreibern zu suchen“. Genau dies haben wir getan. Auch der Sachverständigenrat sagt nicht: Weil das so ist, müsst ihr die Atomkraftwerke sofort abschalten. Er sagt vielmehr: Hier geht es im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses der Abwägung zwischen Sicherheitsfragen, ökonomischen Fragen und gesellschaftlicher Akzeptanz darum, einen ökonomisch machbaren und finanziell verantwortbaren Weg zu finden. Genau das haben wir getan, Herr Kollege Wolf. ({6}) Dabei darf man nicht vergessen, dass die Nutzung der Atomenergie nie nur eine Frage der marktwirtschaftlichen Durchsetzbarkeit - es geht um die Preise, die auf dem Markt erzielt werden können - gewesen ist. Die Nutzung der Atomenergie ist immer auch eine Frage der politischen Akzeptanz gewesen. Sie wissen so gut wie ich, dass seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine stabile Mehrheit gegen die dauerhafte Nutzung der Atomenergie in Deutschland ist. ({7}) In den letzten Jahren war das Verhältnis so, dass etwa 70 Prozent gegen und 30 Prozent für die Nutzung der Atomenergie waren. ({8}) - Herr Laufs, jetzt komme ich zu Ihnen: Das hat schon zu Beginn der 90er-Jahre dazu geführt, dass die Industrie auf die Politik zugegangen ist und vorgeschlagen hat, miteinander zu reden, um zu versuchen, einen partei- und fraktionsübergreifenden Konsens mit der Politik über Energiefragen zustande zu bringen. Wissen Sie, was das Ergebnis war? ({9}) Das Ergebnis war, dass man mit der Industrie vereinbart hat, Restlaufzeiten der bestehenden Kraftwerke vorzusehen und den Neubau von Kraftwerken nur noch zu genehmigen, wenn dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag vorliegt. Das war das damalige Gesprächsergebnis. ({10}) Sie machen sich völlig unglaubwürdig, wenn Sie heute behaupten, wir wollten eine bestimmte Technologie verbieten; denn auch Sie haben damals versucht, mit der Industrie eine solche Verständigung zu erzielen. Dass wir, die SPD, uns an diesem Handel damals nicht beteiligt haben, ist ein ganz anderes Thema, über das wir an dieser Stelle gar nicht diskutieren müssen. ({11}) - Herr Laufs, da Sie sich so erregen, ({12}) möchte ich Sie im Hinblick auf den politischen Hintergrund und die Akzeptanz in der Bevölkerung darauf hinweisen, dass beispielsweise „Forsa“ in einer entsprechenden Auswertung schreibt: Vor allem jüngere Personen ({13}) mit formal höherer Bildung sprechen sich für einen Atomausstieg aus. Vielleicht sollte Ihnen auch das ein bisschen zu denken geben, Herr Laufs. ({14}) Wenn man die Nutzung der Atomenergie beenden will, dann muss man sich natürlich den Fragen stellen: Tun wir das isoliert? Was machen die anderen? Ich wiederhole: Von den 16 EU-Staaten nutzen gegenwärtig noch acht die Atomenergie. ({15}) Von diesen acht haben fünf den Ausstieg beschlossen oder angekündigt. Das heißt, es gibt nur noch drei EU-Staaten, die an der unbegrenzten Nutzung der Atomenergie festhalten. ({16}) Es geht hierbei also überhaupt nicht um einen isolierten Weg, sondern um ein in der Europäischen Union weit verbreitetes Vorgehen, mit dem wir uns in Einklang befinden. ({17}) Natürlich muss man auch darüber diskutieren, ob sich daraus Nachteile für den Klimaschutz ergeben. Das ist eine sehr ernste Frage. Selbstverständlich ist es nicht ohne weiteres möglich, diesen Energieträger zu ersetzen; vielmehr muss man eine politische Anstrengung unternehmen, damit die Beendigung der Nutzung der Atomenergie klimapolitisch verträglich geschehen kann. Auch an diesem Punkt möchte ich Ihnen die Empfehlung des von Ihnen selbst berufenen Sachverständigenrates ins Gedächtnis rufen. ({18}) Im Umweltgutachten 2000 des Sachverständigenrats - es hat übrigens den Titel „Schritte ins nächste Jahrtausend“ heißt es: Klimapolitischer Handlungsbedarf kann kein Argument gegen eine Beendigung der Nutzung der Atomenergie sein. Das ist die Empfehlung der Sachverständigen, die Sie berufen haben. Wir müssen Klimapolitik auch mit dem Atomausstieg durchsetzen, und zwar mit einer höheren Energieeffizienz und mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Wir haben uns auf genau diesen Weg begeben - gegen Ihre Widerstände, Herr Kollege Laufs. ({19}) Ich erinnere an Folgendes: Als wir hier über das Erneuerbare-Energien-Gesetz abgestimmt haben, haben Sie dagegengestimmt, Kollege Laufs. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Matschie, ist Ihnen - vielleicht nach Lektüre des Energieberichts des Bundeswirtschaftsministers - bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland selbst bei einer Senkung ihrer Treibhausgasemissionen um 40 Prozent, pro Kopf gesehen, immer noch so viel Emissionen wie Frankreich heute hat, das auf die Kernenergie setzt? Wie wollen Sie den von Ihnen eingeschlagenen Weg bewerkstelligen?

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirche, Ihre Überlegung setzt voraus, dass wir mit der Kernenergie die Energiefragen der Zukunft lösen könnten. Das Klimaproblem besteht nicht für die nächsten 15 oder 20 Jahre, sondern viel länger. Wir müssen die Frage beantworten: Kann die Kernenergie das Klimaproblem lösen? Gegenwärtig gibt es weltweit 440 Kernkraftwerke, die einen Beitrag zum Primärenergieverbrauch von etwa 7 Prozent leisten. Wie stellen Sie sich angesichts dieser Tatsache die Welt vor, die versucht, ihr Energieproblem über die Kernkraft zu lösen, Herr Hirche? ({0}) Ich bin davon überzeugt, dass wir andere Wege finden müssen. Die Kernkraft ist keine nachhaltige Energie. Die Zukunft liegt in Effizienztechnologien. Die Zukunft liegt bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Wir machen uns frühzeitig auf den Weg. Das bedeutet einen technologischen Fortschritt für die Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das Motto des Sachverständigenrats aufgreifen, Herr Kollege Laufs: Mit dieser Entscheidung heute machen wir einen Schritt ins 21. Jahrhunderts, einen Schritt ins neue Jahrtausend. Sie dagegen halten an der Ideologie des 20. Jahrhunderts und den Träumen von technischer Machbarkeit fest. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, Drucksachen 14/6890 und 14/7261. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7825, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Wir kommen zur Dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. ({0}) Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 14/7840? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko- alitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Op- position angenommen worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7841? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7842? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kernenergieaus- stieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussem- pfehlung, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diesen Teil der Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Deutschland muss weiterhin in der Reaktorsicherheitsentwicklung eine führende Rolle einnehmen - Zusagen an Frankreich müssen eingehalten werden“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Zukunft der nuklearen Entsorgung - Entsorgungskonzept jetzt vorlegen“: Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4644 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Damit sind wir am Ende dieser Abstim- mung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser ({1}) - Drucksache 14/6893 ({2}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser ({3}) - Drucksachen 14/7421, 14/7461 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({5}) - Drucksachen 14/7824, 14/7862 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ({6}) - Drucksache 14/7144 ({7}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({8}) - Drucksache 14/7827 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolf Bauer bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/7855 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Dr. Uwe-Jens Rössel Walter Schöler Franziska Eichstädt-Bohlig Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Fallpauschalensystems liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute zu verabschiedenden Gesetzentwürfe sind ein weiterer Schritt auf dem Weg hin ({0}) zu unserem Ziel „Qualität sichern - Wirtschaftlichkeit stärken“. Mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz und dem Budgetablösegesetz reagieren wir auf die Ausgabensteigerung im Arzneimittelbereich. Das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz hat drei strukturelle Veränderungskomponenten. Das sind erstens die verstärkte Anwendung der Aut-idem-Regelung, zweitens die Veränderung der Krankenhausentlassberichte und drittens die Bewertung des therapeutischen Nutzens eines Medikamentes im Verhältnis zu seinem Preis. Bei der Aut-idem-Regelung gehen wir davon aus, dass ein Arzt oder eine Ärztin lediglich dann einen Wirkstoff verschreibt, wenn sie selber verantworten, dass das entsprechende Medikament mit diesem Wirkstoff nach dem günstigsten Preis ausgesucht werden kann, ({1}) dass der Arzt selbst ein preisgünstiges Arzneimittel verordnet oder dass der Arzt durch Ankreuzen deutlich macht, dass er auf der Abgabe eines bestimmten Medikamentes besteht. Mit dieser Regelung wollen wir im kommenden Jahr 400 bis 500 Millionen DM einsparen. Dies wird dazu beitragen, dass auf Dauer auch innovative Arzneimittel bezahlt werden können und diese auch den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung stehen. ({2}) Wenn die Versicherten wollen, dass sie im Krankheitsfall neue Medikamente erhalten, selbst wenn sie sehr teuer sind - was viele der Innovationen sind -, müssen alle akzeptieren, dass in all den Fällen, in denen es ein wirkungsgleiches, aber preiswerteres Medikament gibt, die Solidargemeinschaft immer nur die kostengünstigere Alternative ersetzen kann. Diese muss dann auch gewählt werden, wie dies jeder in seinem privaten Bereich auch tun würde. ({3}) Zweitens. Wir wollen Innovationen, wir wollen, dass geforscht wird. Das heißt aber nicht, dass auf Dauer alles, was patentgeschützt ist, frei von jeder Preisgestaltung ist. Deshalb werden wir den Bundesausschuss mit diesem Gesetz beauftragen, neue Medikamente und patentgeschützte Medikamente daraufhin zu überprüfen, ob sie tatsächlich einen erhöhten therapeutischen Nutzen gegenüber schon im Verkehr befindlichen Generika aufweisen oder wie hoch der therapeutische Nutzen ist. ({4}) Ich sage ganz klar: Ein Medikament, das nur einen um 10 Prozent höheren Nutzen gegenüber anderen kostengünstigeren Medikamenten hat, darf auch im Preis nur 10 Prozent höher liegen. Es gibt keine Berechtigung der Industrie, einen um 300 Prozent höheren Preis zu verlangen. ({5}) Drittens. Ich halte es für notwendig, dass die Krankenhäuser, die während der stationären Behandlung auch Arzneimittel verordnen, die Patienten und Patientinnen in den Krankenhausentlassberichten auf wirkstoff- und wirkungsgleiche kostengünstigere Alternativen hinweisen, damit hier schon die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Patienten und Patientinnen mitmachen und bereit sind, diesen Weg zu gehen. Nur so werden wir auf Dauer die Arzneimittel noch bezahlen können. ({6}) Die zweite Komponente des Gesetzes betrifft die Einsparmöglichkeiten, die direkte finanzielle Entlastung der Krankenkassen. Da haben wir ({7}) zum einen die freiwillige Vereinbarung, dass die forschenden Arzneimittelhersteller eine Geldleistung von 400 Millionen DM an die Krankenkassen zahlen. ({8}) - Es ist kein Bakschisch, Kollege Merz. Ich habe das gestern schon gehört und ich meine, ({9}) dass Sie Äußerungen wie Bakschisch von Ihrer Seite aus zurückziehen sollten. Ich will hier nicht auf andere Dinge eingehen, ({10}) weil das nicht meine Art ist. ({11}) Worum geht es bei den 400 Millionen DM? ({12}) Ich war von Anfang an der Auffassung, dass die forschende Pharmaindustrie einen Beitrag leisten müsste. ({13}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Da sie das nicht freiwillig tun wollte, haben wir gesagt: Dann werden wir sie gesetzlich dazu verpflichten. ({14}) Aber die forschende Pharmaindustrie und ihre Unternehmen - immerhin 38 Unternehmen mit rund 80 000 Beschäftigten - haben mir versichern können, dass ein Preisabschlag nachweislich nicht nur Auswirkungen auf das Inland, sondern dass er auch Auswirkungen auf ihre Referenzpreise im Ausland hätte. ({15}) Wir haben deshalb gemeinsam mit den Beschäftigten nach einem Weg gesucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die forschenden Pharmaunternehmen eine Geldleistung zahlen und damit dazu beitragen, den Kostenanstieg in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verringern, ({16}) dass das aber nicht Ursache für den Abbau von Arbeitsplätzen sein darf. Bei dieser Frage, Herr Kollege Merz, geht es auch um die 80 000 Beschäftigten in den pharmazeutischen Unternehmen. ({17}) - Das ist keine Steuer, das ist auch keine Zusatzsteuer, ({18}) sondern das ist eine Geldleistung, die die forschende Pharmaindustrie an die Krankenkassen zahlt, ({19}) damit dort der Ausgabenanstieg begrenzt werden kann. ({20}) Eine weitere Geldleistung ist der Apothekenrabatt. ({21}) Die Erhöhung des Apothekenrabatts um 1 Prozent soll dazu beitragen, im kommenden Jahr 400 bis 500 Millionen DM einzusparen. Wir halten es für erforderlich, dass diese Regelung wirksam wird, sobald die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Obwohl der Bundesrat der Fristverkürzung nicht zugestimmt hat, ({22}) sondern das Gesetz erst in der Sitzung am 1. Februar beraten wird, ({23}) gehen wir davon aus, dass die Apotheken nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzes in zweiter und dritter Lesung sehr genau wissen, dass sie diesen neuen Rabatt ab Februar zahlen müssen. Sie können jetzt mit den Vorbereitungen beginnen, sodass wir nach dem 1. Februar keine Zeitverzögerung mehr in Kauf nehmen müssen. ({24}) - Das ist eine technische Frage, Herr Kollege Merz. ({25}) In der Frage stehe ich in engem Kontakt mit den Gesundheitsministern. Deshalb weiß ich das. Wir werden darüber am 1. Februar beraten und wir werden zusammen mit den bereits verabschiedeten 750 Millionen DM im Bereich der Festbeträge ein Einsparvolumen zwischen 2,5 und 3 Milliarden DM auf den Weg bringen. ({26}) Das ist genau der Betrag, um den die Arzneimittelausgaben in diesem Jahr gestiegen sind und am Gesamtdefizit teilhaben. Wir werden sehen, wie das umgesetzt wird. Eines ist klar: Wir setzen darauf, dass dies funktioniert, dass die Organe der Selbstverwaltung ihre Arbeit zügig beginnen und auch die Ärzte und Ärztinnen diese Regelung akzeptieren und selber überlegen, was denn wirtschaftlicher und kostengünstiger angeboten werden kann, damit ihre Patientinnen und Patienten dann, wenn sie wirklich krank sind, an einer guten, qualitativ hoch stehenden Arzneimittelversorgung teilhaben. ({27}) Da ja alle immer im Interesse der Patientinnen und Patienten handeln und deren Wohl im Auge haben, ({28}) sind jetzt alle aufgefordert, daran mitzuwirken, dass auch in Zukunft jeder das Medikament bekommt, das er braucht, um gesund zu werden oder seine Schmerzen zu lindern. ({29}) Das zweite Gesetz, über das wir heute reden, nämlich die Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern, folgt auch dem Grundsatz: Qualität sichern und Wirtschaftlichkeit stärken. ({30}) Sie wissen, dass sich die Krankenhauslandschaft verändern wird, weil in Zukunft keine Gelder mehr für das Vorhalten von Bettgestellen bezahlt werden, sondern medizinische Leistungen verglichen und dementsprechend bezahlt werden. Auf Ihre Vorhaltung, dass die Zeitspanne bis zum Jahre 2007 für diese Umstellung viel zu kurz bemessen ist, halte ich Ihnen entgegen: Wir werden nie eine Reform auf den Weg bringen, wenn man in dem Schneckentempo vorangeht, wie es auch heute Ihre Fraktion wieder vorschlägt. ({31}) Bei unserem Vorgehen haben die Krankenhäuser bis 2007 die Möglichkeit, sich umzustellen und interdisziplinäre Diagnose- und Behandlungsverfahren auf den Weg zu bringen. Dafür müssen sie neben der medizinischen Leistung, die sie erbringen, auch ein vernünftiges Personal- und Zeitmanagement einführen. ({32}) Beides muss zusammengehen: die optimale Behandlung der Kranken und eine optimale Organisation des Krankenhausbetriebes. Ich bin froh, dass wir mit diesem Fallpauschalengesetz ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Krankenhäusern Anreize dafür gibt, das geltende Arbeitszeitgesetz umzusetzen. ({33}) Für die Krankenhäuser, die diesen Weg gehen und deshalb mehr Personal einsetzen müssen, stehen 200 Millionen DM zur Verfügung. ({34}) Das, was wir heute auf den Weg bringen, wird die Krankenhauslandschaft wirklich sehr verändern. ({35})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Georg Faust.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben eben gesagt, Sie wollten mit 200 Millionen DM dafür sorgen, dass das Arbeitszeitgesetz in den bundesdeutschen Krankenhäusern eingehalten werden kann. Denken Sie bitte auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofes und daran, dass mit diesen 200 Millionen DM natürlich nicht die Konsequenzen beseitigt werden können, die durch die Überlastung der Ärzte im Nachtdienst entstehen und zum Teil in Gefährdungen der Patienten münden. ({0}) Meine Damen und Herren, in den 2 242 Krankenhäusern in Deutschland behandeln, pflegen und betreuen 1,1 Millionen Mitarbeiter jährlich 16,5 Millionen Patienten. Dies geschieht mit hervorragenden Ärzten, Forschern und Wissenschaftlern in gewachsenen Strukturen, in einer Krankenhauslandschaft, die sich aus den besten Traditionen deutscher Medizingeschichte entwickelt hat. An deren Erfolge wollen wir zugunsten und zum Wohle unserer Patienten auch in der Zukunft anknüpfen können. ({1}) Zur elementaren Daseinsvorsorge gehört im Bewusstsein der Bevölkerung die wohnortnahe stationäre Versorgung, aber auch zunehmend die moderne, ressourcenintensive Spezialleistung und im Extremfall die aufwendige, viele medizinische Disziplinen umfassende innovative Behandlung. Dafür geben die Krankenkassen in der Tat erhebliche Summen aus: 87 Milliarden DM. In dieser Situation startet die Bundesregierung - allen voran Sie, Frau Ministerin Schmidt - einen flächendeckenden Großversuch, der in wenigen Jahren - das haben Sie korrekt ausgedrückt, aber vielleicht nicht so gemeint - die deutsche Krankenhauslandschaft dramatisch verändern wird. Sie wollen in fünf Jahren und 16 Tagen - ab heute gerechnet - ein umfassendes leistungsorientiertes Entgeltsystem für die Leistungen der Krankenhäuser einführen. Kein Land der Welt hat den Mut zu einem solchen Großversuch aufgebracht, ein umfassendes, scharfes Preissystem einzuführen. ({2}) Vor allen Dingen hat kein Land der Welt derart kurze Zeiträume für Einführung und Anpassung vorgesehen. Denken Sie einmal daran, wie lange in den Vereinigten Staaten die Entwicklung des Fallpauschalensystems gedauert hat. ({3}) Es ist unbestritten, dass auch der Krankenhausbereich eine Steigerung der Effizienz braucht. Es ist auch sicher richtig, dass sauber kalkulierte Preise ein Weg sind, den notwendigen Wettbewerb im Krankenhausbereich zu fördern. ({4}) In dieser Erkenntnis wäre mit uns eine umfassende Regelung zu machen - dazu haben wir ja einen Entschließungsantrag vorgelegt -, das bisherige, von Horst Seehofer eingeführte Fallpauschalensystem für 25 Prozent der Leistungen deutlich nach oben zu erweitern, ({5}) in vertretbaren Zeiträumen evolutionär fortzuentwickeln und dann zu schauen, wie weit das System trägt. ({6}) Die Experten haben es Ihnen in der Anhörung doch schon gesagt: 20 bis 40 Prozent lassen sich nicht abbilden. ({7}) - Die Experten in der Anhörung. Meine Damen und Herren, ich zitiere einmal aus der Begründung Ihres Gesetzentwurfs: Das neue Entgeltsystem soll das Leistungsgeschehen im Krankenhausbereich transparenter machen, die Wirtschaftlichkeit fördern und ... Fehlanreize insbesondere zur Verlängerung der Verweildauer beseitigen. Die direkte Verknüpfung der erbrachten Leistungen mit der Vergütung soll dazu beitragen, dass die Ressourcen krankenhausintern wie auch krankenhausübergreifend - ich betone: krankenhausübergreifend bedarfsgerechter und effizienter eingesetzt werden. Würden Sie bei der Aufzählung dessen, was Sie anstreben, nicht auch die Verweildauerverkürzung verschämt eingestehen, wäre das alles wunderbar: Der richtige Patient erhielte zur richtigen Zeit die richtige Behandlung in der richtigen Einrichtung. Doch weil Sie, Frau Ministerin Schmidt, mit dem Fallpauschalengesetz nur den Krankenhaussektor angehen, da die sektorenübergreifenden Ansätze - ich erinnere nur an die §§ 140 a bis h, 115 b SGB V usw. - alle nicht funktionieren, sieht die tatsächliche Entwicklung anders aus: Mehr Patienten, ältere und vielfach kranke, müssen schneller in weniger Krankenhäusern von noch mehr unter der Leistungsverdichtung leidenden Schwestern, Pflegern und Ärzten behandelt werden. ({8}) Den Verantwortlichen war dies im Gesetzgebungsverfahren auch klar; dies zeigt die Passage über die flexible Anpassung der Leistungsstrukturen. Was heißt denn in der Begründung des Gesetzentwurfs, die Spezialisierung werde voranschreiten? Das bedeutet, dass das kleine, kommunale Krankenhaus mit seiner wohnortnahen Breitenversorgung chancenlos wird und sich entweder in eine Spezialklinik umwandelt oder dem Wettbewerb zum Opfer fällt. Sie umschreiben das vornehm so: ({9}) Auch die Zunahme frei werdender Bettenkapazitäten infolge der Verweildauerverkürzung wird Gegenstand von Anpassungsreaktionen sein. Anpassungsreaktion bedeutet: Krankenhaus geschlossen, Betten nicht mehr da. ({10}) Nach der viel beachteten Andersen-Studie wird in den nächsten 14 Jahren jedes vierte Krankenhaus zu schließen sein. Die Ablehnung unserer Fraktion gründet sich - neben den allgemeinen Bedenken - auf drei Problemkreise. Erstens. Der Zeitplan zur Einführung der DRGs ist schon jetzt über den Haufen geworfen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass Sie dem Vorschlag der Deutschen Krankenhausgesellschaft gefolgt sind, die Optionsmöglichkeit einzuführen. Im Übrigen befindet sich die Krankenhausgesellschaft schon deutlich auf dem Rückzug, weil Sie, Frau Ministerin, für die Tatsache, dass bis Mitte 2002 in vielen Bereichen keine deutschen Relativgewichte vorliegen, australische Relativgewichte einführen wollen. Mit den Ersatzteilen eines Landrovers können Sie aber keinen VW zum Laufen bringen, auch wenn Sie die Teile nach und nach austauschen wollen. ({11}) Für eine Verlängerung des Zeitplans plädiert natürlich auch der Marburger Bund, der in seiner Stellungnahme auch auf die Probleme hinweist, die wir mit der Arbeitszeitregelung haben. Das letzte Arbeitsgerichtsurteil in Herne vom 11. Dezember besagt, Bereitschaftsdienst sei Arbeitszeit. Es nützt nichts: Sie werden viel mehr als die 100 Millionen Euro in das Krankenhaus stecken müssen. Zweitens. Die Verankerung der Fallpauschalen im Gesamtsystem ist nicht gegeben. Wir bekommen Leistungsverschiebungen infolge von Verweildauerverkürzungen. Das ist natürlich auch gewollt. Medizinisch spricht in der Tat nichts dagegen, dass das Krankenhaus einen Patienten für eine Gelenkoperation am Bein am Operationstag stationär aufnimmt, sofern er nüchtern kommt, und ihn nach ein bis zwei Tagen, wenn auch mit der Verpflichtung zur Bettruhe, nach Hause entlässt. Aber belastet wird der ambulante Bereich mit Voruntersuchungen, Labor, EKG und Röntgenaufnahmen und der nachgeordnete Bereich. Das ist der Fall, wenn der niedergelassene Arzt zulasten seines Budgets oder - in Zukunft - seiner Richtgrößen die teuren Heparinspritzen zur Verhinderung einer Thrombose geben muss. Genau das sind die Effekte, deren Auswirkungen berücksichtigt werden müssen. Drittens. Die Letztverantwortung der Länder und der Kommunen für die Sicherstellung der Krankenhausversorgung wird weiter ausgehöhlt. Da reicht es nicht aus, Frau Ministerin, über ein erweitertes Lockangebot den Ländern weitere individuelle Gestaltungsrechte beim Sicherungszuschlag zu gewähren, wenn nach wie vor über die Tatsache, ob und in welcher Höhe ein Zuschlag erteilt wird, von den Vertragsparteien vor Ort verhandelt werden muss. Wenn dann die Zuschläge noch über den Weg eines kollektiven Ausgleichs von den Krankenhäusern, die gar keine Zuschläge erhalten haben, mitbezahlt werden müssen, dann gerät dieses System vollends in eine Schieflage. ({12}) An dieser Stelle ein Wort zum Entschließungsantrag der FDP, mit dessen Zielsetzung und Feststellungen wir in wichtigen Teilen übereinstimmen, besonders da, wo massive Kritik an einem DRG-System im Budgetkorsett geäußert wird. Wir teilen aber nicht die Auffassung zur Krankenhausplanung als skizzenhafte Rahmenplanung auf der einen Seite, auch nicht die zu Zuschüssen der Kommunen an die Krankenhäuser auf der anderen Seite, die sich auf einen dann kaum begründbaren Sicherstellungsauftrag gründen sollen und die mit einer monistischen Krankenhausfinanzierung verbunden sind, bei der ebenfalls nicht klar ist, wer letztlich für die materielle Ausgestaltung des Investitionsanteils der DRGs verantwortlich ist. Diesem unzureichenden Gesetzentwurf der Regierungskoalitionen mit vielen Änderungsanträgen die Gehstützen zu geben, dass er laufen kann, hätte einen mit Blick auf die Einführung eines sich selbst steuernden leistungsorientierten Fallpauschalensystems unter Berücksichtigung des Versorgungsbedarfs gereizt. Das gebe ich zu. Aber das war aus einem ganz einfachen Grund nicht möglich: Der Fehlansatz war aus dem Gesetzentwurf nicht herauszubekommen. Dieser Fehlansatz ist die DRG-Einführung, die Einführung des Fallpauschalensystems unter Budgetbedingungen. Daraus ergeben sich die eigentlichen unheilvollen Konsequenzen wie die Absenkung der Relativgewichte bei Fallzahlsteigerungen, die Absenkung des Basisfallwertes, wenn die Ausgabenentwicklung über der Veränderungsrate liegt, und Mengenvereinbarungen bei Festpreisen. ({13}) Preisverfall oder die Unterversorgung von Patienten, ({14}) floatende Krankenhausfallwerte oder Rationierung durch Mengenbegrenzung und dann am Ende auch noch die Gefahr der Selektion von Patienten unter eiskalten KostenNutzen-Gesichtspunkten in deutschen Krankenhäusern ({15}) das ist mit der CDU/CSU-Fraktion trotz des Versprechens, dass es sich um ein lernendes System handelt, nicht zu machen. Das lernende System, Frau Ministerin, wird die Prüfungen in der Krankenhauswirklichkeit nicht bestehen. ({16}) Wir lehnen den Gesetzentwurf wegen der Risiken und Nebenwirkungen ab. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun fällt der Opposition in diesem Bereich keine bessere Kritik ein, als Hypothesen aufzustellen, zu spekulieren, mit WennDann-Sätzen zu argumentieren, zu sagen, was kommen könnte, und Behauptungen aufzustellen, die sie nicht belegen kann. ({0}) Sicher ist nur eines - darüber kann ich mich auch informieren, ohne im Ausschuss zu sein -, ({1}) dass in den Jahren 1985 bis 1995 die Beitragssätze in der Sozialversicherung um 17 Prozent, nämlich von 35,1 auf 42 Prozent, gestiegen sind. Nachdem Sie so lange in diesem Bereich untätig waren, wundert es mich, dass Sie sich wegen der Beitragssätze so besorgt zeigen; denn Sie haben Reformvorhaben in diesem Bereich bisher immer konsequent abgelehnt. Wir haben uns seit dem Regierungsantritt bemüht, steigende Beiträge in der Renten- und Krankenversicherung erst zu verhindern ({2}) und dann die Beiträge zu reduzieren, um damit zur Senkung der Lohnnebenkosten beizutragen. Das war die Aufgabe dieser Regierung. ({3}) Der stationäre Sektor verschlingt 92 Milliarden DM und damit ein Drittel der gesamten GKV-Ausgaben. Hier brauchen wir vor allem mehr Effizienz, mehr Wirtschaft- lichkeit und größeres Kostenbewusstsein. Deshalb ordnen wir mit diesem Gesetz die Krankenhausfinanzierung langfristig neu, und zwar durch ein System, das sich schon in anderen Ländern bewährt hat. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es gibt kein Land, in dem es hundertprozentig umgesetzt worden ist! Das stimmt eben nicht!) Das bedeutet aber nicht, dass wir ein anderes System eins zu eins übernehmen. Die DRGs, wie sie in Australien bei Krokodilbissen angewendet werden, werden wir zum Beispiel nicht übernehmen. ({4}) Der Blick auf andere Länder, die schon sehr lange mit Fallpauschalen arbeiten, zeigt uns, dass die hier vorgebrachte Kritik nicht berechtigt ist. So wird zum Beispiel behauptet, die Einführung der DRGs zwinge vor allem kleinere Krankenhäuser zur Schließung. Eine Studie des amerikanischen Gesundheitsministeriums von 1991 dagegen besagt, die DRG-Vergütung sei kein Grund zur Schließung von Krankenhäusern gewesen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zöller?

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, Sie können hinterher eine Kurzintervention machen. Dann antworte ich darauf. Auch die Behauptung, die DRGs würden über kurz oder lang zu einer Mengenausweitung führen, lässt sich durch die Erfahrungen in den USA nicht bestätigen. Das gilt ebenso für den Vorwurf, durch die Einführung eines Fallpauschalensystems werde es zu einer abnehmenden Qualität kommen. ({0}) Eines aber hat die Studie in den USA mit Sicherheit gezeigt: Die Kostensteigerung in der stationären Behandlung konnte ohne Qualitätseinschränkung abgebremst werden. Das seit 1996 praktizierte Mischsystem von Fallpauschalen und Sonderentgelten auf der einen Seite und tagesgleichen Pflegesätzen auf der anderen Seite für den Krankenhausbesuch hat sich nicht als sinnvoll erwiesen. Wir haben uns mit diesem Gesetz zum Ziel gesetzt, vom Selbstkostendeckungsprinzip und von kostenorientierten Budgets hin zu einem leistungsorientierten Finanzierungssystem zu kommen. ({1}) Das neue System wird die Leistungsabgabe im Krankenhaus transparenter und effizienter machen. Darüber hinaus werden die Fallpauschalen Fehlanreize beseitigen, weil dieses System an der Bedarfsgerechtigkeit ansetzt. Das Fallpauschalensystem hat vor allen Dingen den Vorteil, dass wir zu einer regional gleichen Vergütung kommen. Aber auch die Verweildauer in den Krankenhäusern wird sich verkürzen. Jeder von uns kennt das: Bis zur ersten Behandlung verbringt der eine oder andere Patient zunächst einmal das Wochenende im Krankenhaus. ({2}) In diesem Gesetz hat auch die Qualitätssicherung einen hohen Stellenwert. Wir haben ein lernendes System eingebaut, ({3}) in dem systematische Beobachtungen und Überprüfungen durchgeführt und die notwendigen Schlussfolgerungen für weitere Anpassungen und Entwicklungen des Fallpauschalensystems gezogen werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faust? Oder gestatten Sie gar keine Zwischenfragen?

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gestatte keine Zwischenfragen. Wir sehen deshalb eine Übergangsphase bis zum Jahr 2006 vor. Die zweijährige so genannte budgetneutrale Einführungsphase in den Jahren 2003 und 2004 in Höhe der Krankenhausbudgets ermöglicht es den einzelnen Krankenhäusern, sich auf die Veränderungen der Einnahmen einzustellen. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems betreten wir kein Neuland. Wir haben bereits mit der Gesundheitsreform den Weg in diesem Bereich geebnet. Das jetzt zu beschließende Gesetz ist nur eine logische Konsequenz aus § 17 der Gesundheitsreform 2000. Andrea Fischer als Ministerin hat diese mutige und tief greifende Veränderung in der Krankenhausfinanzierung begonnen, die wir heute hier verabschieden werden. ({0}) Auch der Sachverständigenrat sieht in der Einführung des Fallpauschalensystems die Chance zur Steigerung der Effizienz, der Wirtschaftlichkeit und vor allem der Qualitätssicherung. ({1}) Wir zeigen mit dieser Reform: Wir meinen es ernst mit der Reform des Gesundheitswesens, die noch viel stärker und konsequenter als bisher angegangen werden muss. ({2}) Wenn wir das Fallpauschalensystem beschließen, dann ist klar, dass wir damit auch die Spezialisierung der Krankenhäuser stärken. Hier müssen wir uns auch entscheiden: Wollen wir eine Vielzahl von Krankenhäusern, die alles machen, oder wollen wir den Ausbau von Kompetenzzentren, die sich in Zukunft auf die Behandlung von bestimmten Krankheiten konzentrieren werden? Diese werden allein durch die Erfahrung, die sie sammeln können, besser sein, als es jedes Kreiskrankenhaus zwangsläufig sein kann. ({3}) Auch in Zukunft wird dennoch eine flächendeckende medizinische Versorgung gewährleistet sein; ({4}) denn der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Vereinbarung von Zuschlägen zur Sicherung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung vor. Die Möglichkeiten zur integrierten Versorgung durch die vor- und die nachgelagerte Versorgung werden demnächst intensiver genutzt werden. Auch das ist eine Folge der Einführung der DRGs. Dies ist eine richtige Weichenstellung; denn wir brauchen - das sollte uns allen klar sein - im Gesundheitssystem eine intensivere und verbesserte Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungsträger. Dazu gehört die Stärkung der Rolle des Hausarztes, aber vor allem mehr Transparenz. Transparenz bedeutet nicht in erster Linie Transparenz für die Versicherungen und Verbände, sondern vor allem für die Patienten und die Versicherten. ({5}) Noch ein Wort zum Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz. Um die GKV zukunftsfähig zu machen, bedarf es der Zusammenarbeit aller Beteiligten. So sorgen im Bereich der stationären Versorgung die zuständigen Spitzenverbände durch die Entwicklung des heute diskutierten Fallpauschalensystems für mehr Transparenz in den Ausgabenströmen der GKV. Auf der Grundlage des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes beteiligt sich nach vorheriger Absprache nun auch der pharmazeutische Bereich an der Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber das ist noch nicht alles. Auch die Ärzte und die Apotheker werden sich in Zukunft an der Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven beteiligen, und das in einer Form, die weder die Therapiefreiheit noch die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet. Wir geben damit den Apothekern und den Ärzten ein Instrument an die Hand, mit dem sie zuverlässig wirtschaftlich Medikamente verordnen können. ({6}) Die entstehende Markttransparenz, die es in Deutschland noch nie gab, ist eine grundlegende Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb. Diesen wollen hoffentlich nicht nur wir, sondern auch Sie. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter Thomae. ({0})

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von den Rednern der Regierungsfraktionen habe ich überhaupt nichts zu der gegenwärtigen Situation im Gesundheitssystem gehört. Die gegenwärtige Situation ist Chaos. ({0}) Wir haben steigende Beitragssätze, wir haben jede Woche ein neues Gutachten, hinter das sich die Ministerin jeweils hängt und von dem sie meint, es sei gut und irgendwann müsse man es verwirklichen. Wir vergessen, dass die Versicherten immer höhere Beitragssätze zahlen. ({1}) Ich sage Ihnen auch: Mit Ihren beiden Gesetzen werden Sie keinen Erfolg haben. Das ArzneimittelausgabenBegrenzungsgesetz muss man parlamentarisch sehr stark kritisieren. Ich bin überrascht, dass Sie bei einem solchen Gesetz noch nicht einmal die Zustimmungspflichtigkeit seitens der Länder überprüft haben. Ich kann nur hoffen, dass hier verfassungsrechtliche Fehler gemacht worden sind; denn das, was Sie hier gemacht haben, ist erstaunlich: Sie haben Basarmentalität in die Politik eingeführt. ({2}) Ich finde es erstaunlich, dass der Umweltminister hier solche Worte gebrauchen kann und Sie so etwas in Gesetzesform gießen. ({3}) Ich sage Ihnen voraus, Frau Ministerin: Mit diesen Beträgen werden Sie nicht den gewünschten Erfolg haben. Sie sind ja sogar zu feige, den Betrag ins Gesetz zu schreiben. ({4}) Wenn Sie Mut hätten, hätten Sie das getan. ({5}) Aber Sie wissen, dass Sie schon jetzt verloren haben. Dann glauben Sie, dass Sie mit der Aut-idem-Regelung und dem Bundesausschuss erfolgreich sein werden. Überlegen Sie doch einmal: Wir haben jetzt das Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Produkte und deren Zulassung überprüft, eine wichtige, entscheidende Hürde. Dann träumen Sie - wir natürlich nicht, weil wir das für schwachsinnig halten ({6}) davon, mit dem Institut eine Positivliste zu erstellen. Außerdem soll der Bundesausschuss in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung steht, über die Wirksamkeit entscheiden. Ich kann nur fragen: In welcher Welt leben wir eigentlich, dass Sie solche Entscheidungen treffen? ({7}) Damit schränken Sie die Therapiefreiheit der Ärzte zum Nachteil der Patienten weiter ein. Das ist der entscheidende Punkt. ({8}) Sie versprechen den Patienten permanent mehr und deren Versorgung wird während Ihrer Regierungszeit ständig schlechter. ({9}) Die Qualität sinkt. Das ist Ihre Politik. Ähnlich ist es bei Ihrem Gesetz zur Einführung von Fallpauschalen. Der Idee können wir zustimmen. Aber es gibt einige entscheidende Fragen, die Sie nicht beantworten, weil Sie dazu keinen Mut haben. Ein echtes Preissystem liegt nicht vor. ({10}) Ich muss in aller Bescheidenheit fragen: Wie kommen Sie auf die Idee, australische Fallpauschalen zur Grundlage Ihrer Diskussion zu machen? ({11}) - Moment. Sie haben das massiv unterstützt. ({12}) Warum orientieren Sie sich nicht an Fallpauschalen, die in Europa bzw. Amerika bereits eingeführt wurden und sich dort bewährt haben? Darauf könnten wir ein europäisches System aufbauen. Das ist Ihr großer Fehler. ({13}) Sie alle wissen, dass es in Australien überhaupt kein Preissystem gibt. ({14}) - Nein, es gibt kein Preissystem. Dies ist in den einzelnen Staaten von Australien überhaupt nicht realisiert. Dort gibt es vielmehr überall Budgetierung.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte sehr.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Thomae, da Sie ja lange genug Politiker sind, dürfte auch Ihnen bekannt sein, dass nicht der Gesetzgeber festgelegt hat, welches Fallpauschalensystem bzw. DRG-System gewählt wird, sondern dass letzten Endes die Selbstverwaltung entschieden hat, ob ein australisches oder welches System auch immer herangezogen wird.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kirschner, Sie haben völlig Recht. Das ist Sache der Selbstverwaltung. Aber auch Sie wissen, dass die Bundesregierung bei der Beantwortung der Frage mitreden kann, welches System eingeführt wird. So abseits steht die Bundesregierung nicht. ({0}) Sie glauben, Sie etablieren ein echtes Preissystem. Das ist nicht der Fall. Denn all diese Fallpauschalen werden unter dem Dach der Budgetierung formuliert. Die Krankenhäuser, die sehr positive Leistungen erbringen, werden gedeckelt und mit degressiven Entlohnungen beglückt. Die Krankenhäuser, die die erwartete Leistung nicht erbringen, bekommen Ausgleichszahlungen. Hinzu kommt ein entscheidender Punkt, Frau Ministerin: Alles hängt von der Grundlohnsumme ab. Das heißt, bestimmte medizinische Notwendigkeiten werden bei den Leistungen im Krankenhaus nicht berücksichtigt. Das ist der Fehler. In diesem Bereich wird Minderqualität geliefert werden. Denn Sie schreiben die Orientierung an der Grundlohnsumme und die Budgetierung weiter fest. ({1}) Außerdem werden im Krankenhausbereich floatende Punktwerte eingeführt. Damit werden Sie die Katastrophe, die wir heute bereits im niedergelassenen Bereich haben, auf den stationären Bereich übertragen. Das ist Mutlosigkeit. Schlagworte haben Sie; aber die Ausformulierung ist miserabel! ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Thomae, können Sie mir bitte die entsprechende Seite oder den Abschnitt im Gesetzentwurf nennen, mit dem Sie Ihre floatenden Punktwerte begründen?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das liegt einfach an der Formulierung in Ihrem Gesetzentwurf. Sie sagen, die Grundlohnsumme sei die Rahmenbedingung. Sie sprechen von Degression und von Ausgleichszahlungen. Daraus bildet sich dieses Ergebnis. ({0}) - Lesen Sie es einmal gründlich! Es fehlen flankierende Qualitätssicherungen. Dieses System wird uns außerdem dazu zwingen, neue Einrichtungen von Betreuung zu formulieren; denn infolge Ihres Gesetzes werden die Patienten immer schneller entlassen. Wir müssen also neue Einrichtungen schaffen, um Übergänge zu ermöglichen. Was mir große Sorge macht, ist Ihre Philosophie: Sie wollen im Krankenhaus einen Kontrollapparat aufbauen. Die Funktion des Medizinischen Dienstes geht mir viel zu weit. Wir können es uns nicht leisten, immer mehr Kontrollen und Überwachung zu etablieren. Sprechen Sie einmal im Krankenhaus mit Ärzten darüber, was dort heute an Verwaltungsaufgaben anstatt medizinischer Leistungen wahrgenommen wird! Das nimmt fast die Hälfte der Arbeitszeit in Anspruch. ({1}) Das wird nach Ihrem Gesetzeswerk noch zunehmen. Ich komme zu einem weiteren ganz schwierigen Bereich: Der medizinische Fortschritt wird von Ihnen - ich will nicht sagen: blockiert - aber massiv erschwert; ({2}) denn Sie haben in diesem Gesetz festgelegt: Für Behandlungsmethoden und Untersuchungsmethoden, die mit Fallpauschalen und Sonderentgelten noch nicht zeitgerecht vergütet werden können und die nicht nach dem Urteil des Ausschusses von der Finanzierung ausgeschlossen werden, können erst ab 2005 Entgelte vereinbart werden. In der Zwischenzeit, meine Damen und Herren, werden moderne Methoden im Krankenhaus einfach negiert. Das ist hochinteressant! ({3}) Dies sind ganz wichtige Punkte. Ich könnte noch einen Punkt hinzufügen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, das geht wohl nicht mehr.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben die modernen Methoden nicht schiedsstellenfähig formuliert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Thomae, ein kurzer Schluss bitte.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte noch festhalten: Die Innovationen im Krankenhaus werden blockiert; denn Sie haben sie nicht schiedsstellenfähig gemacht. Sie machen sie von den Entscheidungen der Krankenkassen abhängig und dieser Entscheidungsweg ist viel zu wenig. ({0}) Meine Damen und Herren, unser Entschließungsantrag geht in die richtige Richtung. ({1}) Sie werden mit diesen Gesetzen keinen Erfolg haben. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs, der wir zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren wollen. ({0})

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke sehr, Frau Präsidentin. Ich danke auch Ihnen, dass Sie mir dafür Beifall spenden, aber Geburtstage sind kein eigenes Verdienst. Kommen wir jetzt zu weniger erfreulichen Dingen, also erst einmal zu dem einen Gesetz, über das wir sprechen wollen. Für die Arbeit in den Krankenhäusern bedeutet der Übergang zur Vergütung mittels diagnosebezogener Fallpauschalen einen tiefen Einschnitt. Der wirtschaftliche Erfolg eines Hauses hängt dann vorrangig davon ab, inwieweit es gelingt, Kosten und Leistungen zu minimieren. Das bedeutet: Die Patienten werden, ob man es nun wahrhaben will oder nicht, tendenziell einem Unterversorgungsrisiko ausgesetzt. Angesichts dieses Risikos war das mangelnde Problembewusstsein für mich schon erschreckend, mit dem das Ministerium und auch die Koalition an den ursprünglichen Gesetzentwurf herangegangen sind. Aus dem Stand heraus wurde der Übergang zu einer praktisch flächendeckenden Krankenhausvergütung nach Fallpauschalen beschlossen - und das im Wissen darum, dass diese Vorgehensweise international ein völliges Novum darstellt. ({0}) Für die Einführung der neuen Vergütungen sah man von vornherein eine zu knappe Zeitspanne vor. Nun übersehen wir nicht, dass im parlamentarischen Verfahren Korrekturen erfolgten. So sind die Positionen der Krankenhäuser und vor allem die Möglichkeiten der Länder, den Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen, erkennbar gestärkt worden. Zu begrüßen ist auch, dass eine gesetzliche Verpflichtung zu mehr Qualitätssicherung und entsprechender Begleitforschung aufgenommen wurde. Unserer Auffassung nach ändert dies jedoch nichts an der Tatsache, dass das Vorhaben ein beispielloses Feldexperiment bleibt. ({1}) Liebe Kollegin Ekin Deligöz, es ist tapfer von Ihnen, dass Sie hier geredet haben. Aber die Rahmenbedingungen sind eben nicht mit denen in den USA und nicht mit denen in Australien vergleichbar. ({2}) In den USA geht man in einigen Bereichen des Health Care schon wieder ab von diesem Instrument und zurück zu vergleichbaren Pflegesätzen. - Trotzdem: Meine Achtung, dass Sie zu diesem Thema gesprochen haben! So bleibt der Zeitplan unserer Meinung nach immer noch unrealistisch. Auch die angestrebte Transparenz der Qualität wird auf sich warten lassen. Die Versorgungsrisiken für die Patienten aber bestehen vom ersten Tag an. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die Patienten, aber auch die behandelnden Ärzte benötigen mehr Rechte, damit sie sich gegen den radikalen wirtschaftlichen Druck auf das medizinische Leistungsgeschehen wehren können. Die zusätzlichen Mittel zur Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen, die jetzt bereitgestellt werden, sind angesichts der ungünstigen Ausgangslage und weiterer Arbeitsintensivierung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Mit diesem Gesetz wird es zu einer Ökonomisierung des medizinischen Handelns kommen. Das, meine Damen und Herren, ist kein Ziel der PDS-Politik. ({3}) Mit diesem Gesetz werden sich die Voraussetzungen für eine humane, an den Interessen der Patienten orientierte und effektive Arbeit in den Krankenhäusern verschlechtern. Wir lehnen dieses Gesetz deshalb ab. ({4}) Das 4-Milliarden-Defizit der GKVen ist bekannt. Bekannt ist auch, dass die überproportionale Erhöhung der Arzneimittelausgaben daran einen großen Anteil hat. Zu den Ursachen zählt ganz sicher nicht nur die vorzeitige Ankündigung der Budgetaufhebung durch die Ministerin. Aus unserer Sicht haben darüber hinaus Pharmahersteller in jüngster Zeit eine neue Welle hochpreisiger Innovationen auf den Markt gedrückt. Ich benutze das Wort „gedrückt“ deshalb, weil die geltende Definition innovativer Arzneimittel leider zulässt, dass ein großer Teil dieser teuren Produkte eben keinen therapeutischen Zusatznutzen besitzt, also keine echten Innovationen darstellt. Der von der Ministerin geplante Preisabschlag auf patentgeschützte Mittel war deshalb aus unserer Sicht ein begründeter und auch berechtigter Schritt. ({5}) Er hätte die Kassen in den nächsten zwei Jahren um knapp 1 Milliarde DM entlastet. Für uns ist und bleibt es aber ein unglaublicher Vorgang, ({6}) dass sich die Regierung diesen substanziellen Teil des Gesetzes für eine Einmalzahlung von 400 Millionen DM abkaufen ließ. Das beeinträchtigt nicht nur seine Wirkung, sondern besitzt auch moralische und rechtliche Dimensionen, die in ihrem Umfang noch gar nicht abzusehen sind. Was das für Folgen haben wird, werden wir an der Politik der kommenden Zeit sehen - ich glaube, keine guten. ({7}) Meine Damen und Herren, gegen eine Aut-idem-Lösung, die vom guten Willen aller Beteiligten getragen wäre und im Einzelfall genügend Spielraum böte, ließe sich kaum etwas einwenden. Aber wir wissen doch alle: Die reale Arzneimittelwelt mit ihren massiven finanziellen Interessen ist nicht so. Die vielen Unsicherheiten, die die Aut-idem-Regel in das komplizierte Beziehungsgefüge von Ärzten und Patienten, Herstellern und Apothekern bringt, stehen in keinem Verhältnis zu einer möglichen, aber keineswegs gesicherten Kosteneinsparung. ({8}) Alles in allem: Wir unterstützen und begrüßen Maßnahmen zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben. Wir halten sie auch für notwendig, aber wir sind der Überzeugung, dass dieses heute vorgelegte Gesetz die Probleme nicht lösen wird, auch wenn es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Frau Ministerin, wir werden uns im nächsten Jahr wieder sprechen und dann erneut über dieses Thema reden müssen. ({9}) Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung zu diesem Gesetz der Stimme enthalten. Noch einmal zu den DRGs zurück; ich habe noch ein bisschen Zeit.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, ich bin heute mit der Redezeit bei Ihnen nur besonders großzügig, weil Sie Geburtstag haben.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Zum Entschließungsantrag der FDP: Lieber Herr Thomae, wir beide wissen, was wir voneinander zu halten haben und wie wir unsere jeweilige Gesundheitspolitik beurteilen. Ihrem Antrag können wir nicht zustimmen. ({0}) Nun getraue ich mich noch zu sagen - ich hoffe, ich schade Ihnen damit nicht -: Der Antrag der CDU/CSU ist fachlich gut. Offenbar kommt Ihre Handschrift, lieber Kollege Faust, schon sehr deutlich zum Vorschein. Aber da sich der Grundansatz unserer Gesundheitspolitik sonst unterscheidet und wir oftmals einen anderen Weg vorsehen, enthalten wir uns an der Stelle. ({1}) - Auf diesem Feld könnten wir in der Tat einmal Ja sagen. Aber es könnte ja auch sein, dass Ihnen das zum Schaden gereicht. Mit unserer Enthaltung bewahren wir Sie vor einem solchen Schaden. ({2}) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Schmidbauer.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat: Ich rufe den Krankenhäusern und auch den Beschäftigten in den Krankenhäusern zu: Wenn wir diese hohe Qualität in den Krankenhäusern dauerhaft erhalten wollen, wenn wir den sozialen Schutz der Menschen in den Krankenhäusern erhalten wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Krankenhausausgaben in einer Balance mit den Zuwachsraten der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bleiben. Wenn uns dies nicht gelingen würde, würden wir die Axt an die Wurzeln unseres Sozialsystems und an die Funktionsfähigkeit eines qualitativ hochwertigen Gesundheitssystems legen. Jetzt kommt der entscheidende Satz: Deshalb ist nicht das Handeln die Gefahr für die Krankenhäuser, sondern das Nichthandeln. Ich halte dies für ein sehr gutes Zitat. ({0}) Es stammt von Ihnen, Herr Seehofer. ({1}) Die Frage ist nur, wie Sie von Ihrer eigenen Mahnerposition zu einer Bremserfunktion und von einer Handlungsempfehlung zu einer Nichthandlungsempfehlung gekommen sind. Ich denke, die eigentliche Gefahr für die Krankenhäuser geht von Ihrem Nichthandeln aus. Wir sagen den Patienten: Qualität wird groß geschrieben. ({2}) Dafür aber müssen wir die Qualität sichern. Deswegen wollen wir mit dem neuen Gesetz eine Qualitätssicherung mit Biss machen. Die Krankenhäuser, die in Zukunft die Qualität nicht einhalten, müssen mit entsprechenden Sanktionen rechnen. Dabei gehen wir neue Wege. Wir sagen nämlich: Wir müssen dafür sorgen, dass Transparenz und Qualität in gleichem Maße zunehmen. Deswegen wollen wir einen Katalog für planbare Behandlungen und Operationen schaffen, der auf eine Mindestmengenerfahrung im Handeln aufbaut. Wir sind dies den Menschen schuldig. Wir dürfen die Menschen nicht weiterhin im Dunkeln lassen. Wir müssen ihnen vielmehr ermöglichen, zu erfahren, welches Krankenhaus in ihrer Region die höchsten Erfahrungswerte für einen bestimmten Operationsbereich hat. Sie sollten die Chance haben, diese Informationen nicht hinter vorgehaltener Hand zu erhalten, sondern über die Handlungsmöglichkeiten und das Leistungsvermögen eines Krankenhauses offiziell Bescheid zu wissen. ({3}) Wir müssen auch dafür sorgen, dass Transparenz groß geschrieben wird. ({4}) Wir werden das machen. Im Gesetz ist klar geregelt, dass wir von den Krankenhäusern einen Qualitätsbericht fordern. Dieser wird auf Wunsch des Bundesrates in das Internet gestellt. Damit haben die Menschen die Chance, sich zu informieren, sich ein eigenes Bild zu machen und sich beraten zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt, auf den wir hinauswollen. In Zukunft werden die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen; denn nur das Krankenhaus, das eine andere Betriebsablaufplanung macht und ein anderes Management an den Tag legt, wird ein solches Leistungsvermögen aufweisen können, wie es das Gesetz fordert. Davon wird der Patient profitieren. ({5}) Wir sagen den Versicherten, dass ihre Beitragsgelder in Zukunft effizienter eingesetzt werden. ({6}) Wir werden die falschen Anreize beseitigen. Das Krankenhaus wird nicht mehr nach den belegten Betten bezahlt, sondern nach Leistung. Wir werden dafür sorgen, dass in den Krankenhäusern die Rosinenpickerei mit den antiquierten amerikanischen Fallpauschalen aufhört, die Sie immer noch hofieren. Wir wissen doch, dass dies nicht zu einer gerechten Bewertung dessen führt, was Menschen in Krankenhäusern an Leistung erbringen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faust?

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Man darf auch dann Zwischenfragen stellen, wenn man schon geredet hat. - Bitte.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schmidbauer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass bei einem festen Preissystem der Anreiz der Kostenvermeidung natürlich systemimmanent ist und dass Verweildauerverkürzungen und die Vermeidung von kostenintensiven Leistungen ein Problem darstellen, das letztendlich nur mit einem massiven Kontrollmechanismus bei der Qualität zu kompensieren sein wird?

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Dr. Faust, Sie waren doch eine Woche lang in Krankenhäusern und Instituten der USA mit mir unterwegs. Das kann doch nicht einfach spurlos an Ihnen vorbeigegangen sein. ({0}) Wir haben immer wieder festgestellt, dass dort, wo an den Behandlungsaufwand für die Patientinnen und Patienten hohe Anforderungen gestellt werden, keinerlei Selektionsmechanismen in den USA greifen. Je komplizierter und schwieriger der Fall war, umso interessanter war er von der ökonomischen Seite. Von daher müssen wir davon ausgehen, dass nach den Erfahrungen in den USA, in Australien oder Skandinavien in der Bundesrepublik die gleichen Erfolge erzielbar sind. Ich glaube, die Menschen in Deutschland sind nicht dümmer als die in Skandinavien. ({1}) Horst Schmidbauer ({2}) Wir sagen aber auch den Ärztinnen und Ärzten sowie den Pflegern: Ihre Leistung wird in Zukunft gerecht bewertet. Es ist entscheidend, dass wir zu einer gerechten Bewertung der Leistung kommen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die damit einhergehende Gerechtigkeit in den Krankenhäusern umgesetzt wird. Wenn wir in Kliniken schauen, die bereits mit DRGs arbeiten, sehen wir, dass es bei der Zuordnung der Finanzen und bei der Zuordnung von Personal mehr Gerechtigkeit gibt. Wir werden durch Zuschläge die Versorgung im ländlichen Bereich sicherstellen. Ich glaube, das Gesetz sieht eine intelligente Lösung vor, die die Erreichung dieses Ziels gewährleistet. Es sollen keine falschen Anreize geschaffen, sondern es soll Sicherheit für Versorgungsaufträge erreicht werden. Wir werden auch Lösungen finden, damit nicht Krankenhäuser, die ausbilden, bestraft werden, indem sie 80 000 bis 100 000 DM für die Ausbildung zuschießen müssen. Wir werden einen Fonds schaffen und damit die Krankenhäuser, die ausbilden, belohnen, während die Krankenhäuser, die nicht ausbilden, bezahlen müssen. Genau darauf werden wir setzen. ({3}) Wir machen den Krankenhäusern deutlich: Nun folgt endlich das Geld der Leistung. Viele andere im Gesundheitsbereich Tätige wie Ärzte wären froh, wenn sie so weit wären wie die Krankenhäuser und auch in ihrem Bereich das Geld der Leistung folgen würde. Wir schaffen mit Festbeträgen Vertrauen bei den Krankenhäusern. Der zentrale Punkt, um die Zustimmung der Krankenhäuser zu erreichen, ist, dass wir mit einem Festbetragssystem anfangen. Alle anderen Gesundheitsanbieter in Deutschland wären froh, wenn sie mit Festpreisen arbeiten könnten. ({4}) Mit den Krankenhäusern gehen wir einen neuen Weg. Das ist ein großer Vorteil, der Vertrauen schafft. Wir werden für die gleiche Leistung den gleichen Preis einführen. Auch solche Elemente zu schaffen gehört zu unserem Programm. Damit stülpen wir den Krankenhäusern nichts über. Wir gehen ganz sanft voran, indem wir zunächst mit dem Schutzzaun eines Budgetanspruches für die Jahre 2003 und 2004 beginnen. ({5}) Die nächste Übergangsstufe wollen wir bis zum Jahre 2007 verwirklichen. Man kann es den Menschen kaum erklären, dass wir von 2001 bis 2007 brauchen, um ein neues Vergütungssystem vollständig einzuführen. Ich denke, das ist wirklich ein sanfter Übergang. ({6}) Wir haben weiterhin versprochen: Wir sehen ein lernendes System vor, weil wir wollen, dass die Krankenhäuser an die neue Aufgabe herangeführt werden. Wir werden auch in der Politik lernen, die Erkenntnisse, die wir aus der Umsetzung gewinnen, bei den Nachfolgegesetzen zu berücksichtigen. Ich denke, hiermit sind wir auf dem richtigen Weg. Wir werden im internationalen Konzert mitspielen können. Im Hinblick auf die Krankenhäuser stehen wir zurzeit nicht gut da. ({7}) Ich bin der Auffassung, wir werden im internationalen Vergleich wieder einen guten Mittelplatz haben, wenn wir zu ökonomischen Erfolgen hinsichtlich der Verweildauer und der Anzahl der Betten in Deutschland kommen. Ich denke, wir haben eine gute Chance, wenn wir Qualität und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner bringen, der uns Erfolg für die Zukunft verspricht. Wir können damit das dickste Brett, das sich zurzeit in der Gesundheitspolitik stellt, bohren. ({8}) Wir müssen die Probleme anpacken und lösen. In diesem Sinne sehe ich eine gute Chance für unsere Zukunft. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolf Bauer.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst auf das eingehen, was Herr Kollege Thomae angesprochen hat, nämlich auf die Entwicklung des Defizits in der GKV. Ich werde immer wieder an das Jahr 1996 erinnern, als in der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP ein Defizit von 6 Milliarden DM abgebaut wurde. - Das ist doch nicht wahr, Herr Kirschner. ({0}) Vergessen wir das. Voraussichtlich wird 2001 und 2002 jeweils ein Defizit von 4 Milliarden DM entstehen. Das betrifft also die Zeit nach dem Regierungswechsel. Deshalb haben Sie das zu verantworten. ({1}) Sie haben die Zuzahlungsregelung angesprochen. Ich möchte Ihnen sagen: Unsere Sozial- und Überforderungsklausel war sozialer als alles, was Sie versprochen und nach der Wahl umgesetzt haben. ({2}) Ich möchte auch noch etwas zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf der Beitragssatzsteigerungen sagen. Wenn man als Fixpunkt das Jahr 1982 nimmt, dann stellt man fest, dass in den zwölf Jahren, in denen die SPD die Regierung geführt hat, der Beitragssatz um 3,8 Prozentpunkte angehoben wurde, dass aber der Beitragssatz in den 17 Jahren, in denen die CDU/CSU die Regierung geführt hat, nur um 1,62 Prozentpunkte gestiegen ist. Wenn Horst Schmidbauer ({3}) man dann noch die deutsche Einheit berücksichtigt, stellt man sogar fest, dass unter der CDU/CSU-geführten Regierung fast Beitragssatzstabilität geherrscht hat. Das und nicht das, was hier immer behauptet wird, ist wahr. ({4}) Meine Damen und Herren von der linken Seite, Sie müssen endlich einsichtig werden und von Ihrer ideologischen Sturheit ablassen. Versuchen Sie doch einmal, neue Instrumente einzuführen. Die Gesundheitsministerin sagte noch vor wenigen Wochen, dass die Steigerung der Ausgaben für Arzneimittel mit dem Stau zusammenhänge, der durch die Budgetierung entstanden sei. ({5}) Auch sind die Arzneimittelpreise in Deutschland laut Statistik nicht überproportional gestiegen. Sie liegen im europäischen Vergleich sogar im unteren Drittel. Trotz all dieser Fakten fällt Rot-Grün nichts Besseres ein, als sich wieder einmal die Arzneimittelausgaben vorzuknöpfen. So entstand das jüngste Kind einer verkorksten Gesundheitspolitik, das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz. ({6}) Um eine Reform handelt es sich dabei nicht. Es ist ein reines Kostendämpfungsgesetz, wie folgende Maßnahmen zeigen: Erhöhung des Apothekenrabatts von 5 auf 6 Prozent, Senkung der Herstellerabgabenpreise der Pharmaindustrie um 4 Prozent bzw. Sonderzahlung des VFA in Höhe von 400 Millionen DM. Diese äußerst merkwürdige Vorgehensweise der Regierungskoalition wirft eine ganze Reihe von interessanten Fragen auf. Die Fragen allgemeiner Art lauten: Soll das Freikaufen durch pauschale Zahlungen jetzt zum Markenzeichen dieser Bundesregierung werden? ({7}) Will Rot-Grün demnächst mit weiteren derartigen Sondersteuern den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Bürger belasten? ({8}) Es gibt aber auch Fragen spezieller Art: Warum wird der Betrag von 400 Millionen DM nicht im Gesetzentwurf genannt? Als Antwort haben wir gehört: nicht erforderlich! ({9}) Wer steht in Zahlungsausfällen dafür gerade? Als Antwort haben wir gehört: ({10}) Wird sich finden! ({11}) Warum werden solche Vereinbarungen nicht schriftlich fixiert? Als Antwort haben wir gehört: nicht notwendig! ({12}) Warum gibt es kein Votum des BMJ? Als Antwort haben wir gehört: Das können wir alleine. ({13}) Gernot Kiefer von der IKK hat mit Recht festgestellt: Es muss geklärt sein, wer was aus welchem Rechtsgrund zu tun hat. Damit hat er doch Recht. ({14}) Bleiben wir beim AABG. Laut Gesundheitsministerin soll das Einsparvolumen bis zu 3 Milliarden DM betragen. Diese Größenordnung dürfte allerdings nur ihrem Wunschdenken entsprechen. Experten rechnen nur mit gut 1 Milliarde DM. Die Parlamentarische Staatssekretärin Schaich-Walch hat noch am 14. November dieses Jahres im Gesundheitsausschuss verkündet: Unabhängig vom Angebot der Pharmaindustrie „werden wir bei autidem bleiben, da es sich um eine Strukturkomponente handelt“. Was ist aus dieser Strukturkomponente, sozusagen dem Herzstück des AABG, geworden? Im Gesundheitsausschuss haben wir eine Anhörung zu diesem Gesetz durchgeführt. Sie war für die Koalitionsfraktionen niederschmetternd. ({15}) - Gut, sogar vernichtend. - Daraufhin wurden schleunigst einige Änderungsanträge zusammengeschustert, wie immer hektisch und ohne Sorgfalt. Das kann man daran erkennen, dass sofort wieder Änderungsanträge zu den Änderungsanträgen eingebracht wurden. Die letzten Änderungen wurden noch in der Ausschusssitzung handschriftlich vorgenommen. Was dabei im Vergleich zu den Vorstellungen des Bundesrats herausgekommen ist, haben wir eben gehört. Der Bundesrat hat einer Fristverkürzung nicht zugestimmt. Insofern ist die ganze Vorgehensweise sehr eigenartig. Dabei wollten es die Koalitionsfraktionen mit ihren Änderungsanträgen doch allen recht machen, frei nach dem Motto: allen wohl und keinem wehe! Was kam bei diesen Bemühungen heraus? Es gab eine Beruhigungspille für die Ärzte: Zwar müssen sie eine Aut-idem-Regelung hinnehmen; allerdings tangiert sie diese nicht sonderlich, da sie sie bequem umgehen können; denn ihre Verordnungen brauchen nur im unteren Drittel der Preisskala zu bleiben. Eine Beruhigungspille gab es daneben auch für die Apotheker: Sie bekommen endlich ihre gewünschte Autidem-Regelung. Allerdings können sie damit nichts mehr anfangen; denn sie wurde durch die Änderungsanträge der Regierungskoalition ad absurdum geführt. Sie kann auf keinen Fall mehr als Ausgleich für die Erhöhung des Krankenkassenrabatts von 5 auf 6 Prozent dienen. Eine Beruhigungspille gab es auch für die Arzneimittelhersteller: Sie müssen ihre mühsam und kostenintensiv aufgebauten Marketingsysteme nicht umstellen. Dafür müssen sie aber eine für viele von ihnen tödliche Preisspirale nach unten hinnehmen. Vor allem kleinere und mittelständische Betriebe werden dabei auf der Strecke bleiben. ({16}) Aber - das gilt nicht nur in diesem Fall - die Bundesregierung interessiert die Großindustrie eh stärker als die kleinen mittelständischen Betriebe. So geht es weiter auf dem Weg in die Zweiklassenmedizin. Die Gesundheitsministerin hat es so formuliert: Ich kann nicht die einen zum Aldi schicken und die anderen in die sechste Etage des KaDeWe. ({17}) Kompliment für diese Einsicht! Aber offensichtlich sehen die Sozialdemokraten die Lösung dieses Problems darin, dass sie davon ausgehen, dass alle zu Aldi gehen müssen. ({18}) So einfach kann man es sich natürlich auch machen. Wie erreicht man das? Ich will einige Beispiele nennen. Erstens: mit einem AABG - das heute in zweiter und dritter Lesung beraten wird - und einer Aut-idem-Regelung à la SPD. Das heißt - das ist das Wichtigste -: Für den Versicherten nur das Billigste. Zweitens: mit einer Positivliste. Das heißt: Dem Versicherten wird vorgeschrieben, welches Medikament für ihn das richtige ist. Also: Therapiefreiheit ade! Innovationen später! Aber: mehr Bürokratismus! Drittens: mit einer Anhebung der Versicherungspflichtgrenze. Es wäre natürlich reizvoll, jetzt darauf einzugehen, in welchen Schritten Sie sie einführen wollen. Mit Sicherheit ist es wichtig, den Versicherten eines zu sagen: Durch diese Manipulation müssen sie damit rechnen, dass ein freiwillig Versicherter 3 700 DM pro Jahr zusätzlich zu seinen Versicherungsbeiträgen abführen muss. Ich frage mich, wo das eine sozial gute Politik ist. Viertens: Pflichtmitgliedschaft der Beamten in der GKV. Auch das ist eines der Instrumente, die Sie anzuwenden versuchen. ({19}) Fünftens - diesen Punkt muss ich wirklich noch nennen, auch wenn damit einst ein amüsanter Lapsus Linguae in der Haushaltsdebatte verbunden war -: Man wünscht sich den „zugelassenen Patienten“; das wäre nach Ihrer Auffassung der Idealzustand. ({20}) Wir hingegen bleiben bei unserer Forderung, den Versicherten mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten zu geben und ihre Eigenverantwortung zu stärken. Interessant ist, dass selbst der Wirtschaftsminister dieser Regierung diese Steuerungselemente mittlerweile als richtig anerkannt hat: ({21}) Selbstbehalte, Kostenerstattung, Beitragsrückgewähr usw. Wir fordern auch heute wieder die Gesundheitsministerin auf, nicht erst 2003 ihre Vorstellung von einer Reform der GKV auf den Tisch zu legen. Aber machen Sie bitte kein Stückwerk, sondern eine echte Reform, die einer solchen Forderung gerecht wird. ({22}) Das muss vor den Bundestagswahlen geschehen. Politik kann doch nicht so gemacht werden, dass man an die bekannte Geschichte vom Rumpelstilzchen erinnert wird: Eure Stimmen brauchen wir 2002; euer Geld holen wir 2003; ach wie gut, dass niemand weiß - - Welchen Namen Sie hier einsetzen, überlasse ich Ihnen. Aber bevor Sie an diese interessante Aufgabe herangehen, wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr. Vielen Dank. ({23})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dafür bedanken sich alle. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung und eine wirtschaftliche Therapie sind eine wichtige Säule unseres Gesundheitswesens. ({0}) Es ist schon gesagt worden, dass Anstiege bei den Arzneimittelausgaben zu verzeichnen sind; im ersten Halbjahr war es ein Anstieg um 11 Prozent. Dass wir einen solchen Anstieg nicht länger hinnehmen können, ist klar. Deswegen ist das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz ein ganz wesentlicher Beitrag zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung. ({1}) Zentrales Element der Regelung ist die so genannte Aut-idem-Lösung. „Aut idem“ ist Lateinisch und heißt „oder dasselbe“. Das bedeutet, dass in Zukunft nicht mehr der Präparatname, sondern der Wirkstoff rezeptiert wird, so dass der Apotheker die Möglichkeit erhält, ein preisDr. Wolf Bauer günstiges, wirkstoffgleiches Medikament abzugeben, das er in der Apotheke vorrätig hat. Als Ausnahmeregelung haben wir das schon lange, nämlich für den Fall, dass an Feiertagen und an Sonntagen der Apothekennotdienst in Anspruch genommen wird und das verschriebene Medikament in der Apotheke nicht vorrätig ist. „Aut idem“ hat sich in der Vergangenheit als praktikabel und als sicher erwiesen. ({2}) Niemand hat beklagt, der Apotheker habe mangelnde Kompetenz, wie man das heute hört. ({3}) „Aut idem“ erschließt Wirtschaftlichkeitsreserven, die wir nicht ungenutzt lassen wollen. ({4}) Deshalb wollen wir das, was in Notdiensten jahrelang sicher praktiziert wurde, jetzt zum Regelfall machen. Dass das geht, haben im Übrigen auch alle begriffen. Das haben die Ärzte begriffen; das haben die Apotheker begriffen. ({5}) Nur Sie von der lieben Opposition haben das noch nicht begriffen. Sie ziehen es vor, Märchen und Mythen in die Welt zu setzen. ({6}) - Genau, Rumpelstilzchen hatten wir schon. - Da ist zum Beispiel das Märchen von der Therapiefreiheit. Meine Damen und Herren von der Opposition, entgegen Ihren Aussagen bleibt die Therapiefreiheit in vollem Umfang erhalten. ({7}) Wir wollen die therapeutische Freiheit des Mediziners mit dieser Regelung überhaupt nicht begrenzen. Wenn es ein Arzt für medizinisch notwendig hält, dann kann er „aut idem“ nach wie vor ausschließen. Wenn der Arzt selbst das preisgünstigere Medikament verschreibt, dann - das wurde ja sogar schon kritisiert - entfällt die Substitution durch den Apotheker. Schließlich ist es aber immer noch der Arzt, der bestimmt, welcher Wirkstoff für welche Therapie eingesetzt wird. Dem Arzt wird da also gar nichts weggenommen. ({8}) Unbestritten ist, dass der Apotheker in allen Fragen der Pharmakologie, Toxikologie und Formulierung von Arzneimitteln der Experte unter allen Akteuren im Gesundheitswesen ist. Diese Kompetenz wollen wir in Zukunft in vollem Umfang nutzen. ({9}) - Statt immer neue Märchen zu ersinnen, sollten Sie einmal in eine Apotheke gehen und sich anschauen, wie die Realität da aussieht. Oft gibt es für einen Wirkstoff mit der gleichen Darreichungsform und der gleichen Wirkstärke mehrere - das ist noch nett gesagt - Produkte, und zwar zu ganz unterschiedlichen Preisen. Ich will Ihnen einmal zwei Beispiele nennen. Ich habe hier eine Liste, die auch einige von Ihnen kennen. Diclofenac ist ein Antirheumatikum. Wenn Sie 20 Tabletten mit 50 Milligramm brauchen, kommen allein 37 Produktnamen zu 18 ganz unterschiedlichen Preisen in Frage. Die Preise liegen zwischen 3,96 DM und 14,28 DM für das Originalpräparat Voltaren. Das ist kein Einzelfall. Ich habe hier noch ein Beispiel: Metoprolol ist ein typisches Präparat zur Bluthochdruckbehandlung. Wenn man 100 Tabletten zu 100 Milligramm will, so gibt es 51 Produkte zu 36 sehr unterschiedlichen Preisen. Das beginnt bei 21,91 DM und geht bis zu 96,69 DM. Der Festbetrag liegt bei ungefähr 80 DM. Da kann mir doch niemand erzählen, dass teuer immer auch besser ist. Sie dürfen den Patienten nicht länger für dumm verkaufen. „Teuer gleich besser“ ist an dieser Stelle doch ein Mythos. ({10}) Wenn man dann noch bedenkt, dass doch der Wirkstoff und nicht der Produktname für den Behandlungserfolg verantwortlich ist, kann ich überhaupt nicht verstehen, warum wir an alten Regelungen festhalten sollten. ({11}) Dazu kommt Folgendes: Es gibt 51 gleichwertige Produkte und der Apotheker hat zehn bis 15 davon in der Schublade liegen. Nun kommt der Patient mit einem Rezept, auf dem nicht eines dieser zehn bis 15 Produkte, sondern eines der anderen rezeptiert ist. Daraufhin wird die gesamte Pharmalogistik angeschoben: Der Apotheker ordert das Produkt beim Großhändler. Der Großhändler fährt das Medikament zur Apotheke. ({12}) - Trotzdem muss es gefahren werden, Herr Kollege. - Der Patient fährt ein weiteres Mal zur Apotheke oder der Apotheker fährt in Ausnahmefällen beim Patienten vorbei und gibt es ab. Dabei liegen 15 wirkstoffidentische Präparate in der Schublade des Apothekers. Dies ist doch kein effizienter Einsatz von Ressourcen. ({13}) Dann wird immer die Mär vom ruinösen Wettbewerb erzählt. Die neue Aut-idem-Lösung soll den Wettbewerb auf dem Generikamarkt intensivieren. Eine existenzgefährdende Preisschlacht wollen wir aber auch nicht. Dass wir es damit ernst meinen, haben wir in den Regelungen bewiesen. Es gibt zum Beispiel drei Möglichkeiten, das untere Preisdrittel zu bestimmen. Das untere Preisdrittel wird - anders, als es technisch möglich wäre; man kann die Preise alle 14 Tage angleichen - jeweils nur für drei Monate festgesetzt. Drei Monate bedeuten Planbarkeit und nicht - wie Sie gesagt haben - eine Abwärtsspirale. ({14}) Außerdem werden die Grenzen des Preisdrittels nicht durch ein Medikament, sondern durch drei Medikamente festgelegt, sodass manipulative Strategien einzelner Hersteller, die auf eine solche Preisschlacht hinauswollen, vermieden werden. Abschließend noch ein Wort zu dem Solidarbeitrag, der 2002 von den forschenden Arzneimittelherstellern in Höhe von 400 Millionen DM geleistet wird. Die Fragen in der vergangenen Ausschusssitzung - zum Teil sind sie von Ihnen, Herr Kollege Wolf, noch einmal wiederholt worden - haben schon den Eindruck erweckt, dass es sich nicht um eine Vereinbarung mit den umsatzstärksten, seriösen Unternehmen der Branche, sondern um Absprachen mit windigen Hinterhofklitschen handelt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin WidmannMauz?

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, angesichts der Zeit und der vielen Tagesordnungspunkte, die wir noch zu behandeln haben, lasse ich die nicht zu. Wenn Sie diesen Unternehmen so wenig über den Weg trauen, warum übernehmen Sie dann fortwährend deren Argumente? Das halte ich nicht für glaubwürdig. Das ist nicht nur für mich nicht glaubwürdig, sondern auch für die Unternehmen nicht und schon gar nicht für die Patienten. ({0}) Ich bin sicher, dass wir mit dem vorliegenden Maßnahmenpaket, das neben dem Solidarbeitrag und der Autidem-Regelung auch noch die Anhebung des GKV-Rabatts der Apotheken beinhaltet, die bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten und dabei Wirtschaftlichkeitsreserven in der Arzneimitteltherapie mobilisieren, um die notwendige Entlastung der Krankenkassen herbeizuführen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es folgt eine Kurzintervention der Kollegin Widmann-Mauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Reimann, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, halte ich es für notwendig, darauf einzugehen, dass Sie wieder erwähnt haben, welch großes Einsparvolumen durch den Solidarbeitrag erbracht werden soll. Es wäre schön gewesen, wenn Sie Aussagen dazu gemacht hätten, wie sich das Preismoratorium, das bei der Kanzlerrunde fest vereinbart wurde, auswirkt. Wir wissen mittlerweile, dass es bereits Pharmahersteller gibt, die sich nicht an dieses Preismoratorium halten. Es scheint sie überhaupt nicht zu berühren. Sie haben in dem Entwurf des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes für die nicht festbetragsgebundenen Arzneimittel keine entsprechende Regelung vorgesehen. Es ist schön, zu wissen, dass selbst Ihr Fraktionskollege Klaus Kirschner - wie wir der „Frankfurter Rundschau“ entnehmen können - der Meinung ist, dass dieses gesamte Paket noch nicht rechtssicher sei. Er sagt dazu - ich zitiere -: „Ich sehe da noch Probleme.“ Dass Sie hier so ruhig sitzen und versuchen, die Öffentlichkeit über diese Probleme hinwegzutäuschen, ist schon sehr beachtlich. Es wäre auch schön gewesen, wenn wir heute von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen etwas dazu gehört hätten, warum sie weder eine Summe für diesen Pharmasolidaritätsbeitrag noch den Zeitpunkt der Zahlung in ihrem Gesetzentwurf festgelegt haben, noch eine Verfügung oder eine gesetzliche Regelung zu dem Inkassovorfall oder eine Regelung zur Sicherheit des Preismoratoriums getroffen haben. Wie können Sie eigentlich hier vor das deutsche Volk treten und von einem ganz großen Einsparvolumen sprechen, wenn Sie noch nicht einmal eine Gewähr dafür haben, geschweige denn der Durchgriff auf die einzelnen Pharmaunternehmen gesichert ist? ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, alle Fragen sprechen eigentlich Misstrauen aus. ({0}) Das kann ich angesichts der Unternehmen, die diese Vereinbarung getroffen haben, nicht verstehen. Was das Preismoratorium und die einzelnen Unternehmen angeht, würde ich Ihnen einfach raten, einmal mit Frau Yzer zu reden. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiDr. Carola Reimann ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7824, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7843? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7844? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der FDP abgelehnt worden, während die CDU/CSU sich enthalten hat. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser, Drucksache 14/7824. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf, also die Drucksachen 14/7421 und 14/7461, für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Die PDS hat sich enthalten. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Über den Entschließungsantrag, von dem ich vorhin gesagt habe, er hätte sich erledigt, müssen wir doch abstimmen. Darauf bin ich vom Geschäftsführer hingewiesen worden. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7858. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Bevor ich die nächsten Tagesordnungspunkte aufrufe, habe ich noch etwas aus der Debatte über den Ausstieg aus der Kernenergie nachzuholen. Während einer Antwort von Minister Trittin hat der Abgeordnete Hildebrecht Braun „Bin Laden“ gerufen. Kurze Zeit später gab es mehrere Zurufe von der CDU/CSU, und zwar ebenfalls „Bin Laden“. Diese konnte ich nicht einzeln zuordnen. ({0}) - Nein, ich selber habe es gehört, hatte aber das Problem, diese nicht genau zuordnen zu können. - Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die Persönlichkeitsrechte verletzt werden, wenn man mit gesuchten Verbrechern verglichen wird. Das muss ich rügen. ({1}) Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b sowie Zusatzpunkt 24 auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ({2}) - Drucksache 14/7386 ({3}) ({4}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ({5}) - Drucksachen 14/7727, 14/7754 ({6}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7}) - Drucksache 14/7830 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Günter Graf ({8}) Erwin Marschewski ({9}) Cem Özdemir Ulla Jelpke Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/7856 - Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Gunter Weißgerber Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Oswald Metzger Dr. Christa Luft b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Volker Rühe, Eckart von Klaeden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist - Drucksachen 14/7065 ({12}), 14/7830 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Günter Graf ({13}) Erwin Marschewski ({14}) Cem Özdemir Ulla Jelpke ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Bürgerrechte schützen - öffentliche Sicherheit verbessern - Drucksache 14/7792 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({15}) Rechtsausschuss Zum Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dieter Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verantwortliche Politik beginnt damit, dass man Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt, ({0}) und zwar auch dann, wenn sie tragisch ist, weil es, wie am 11. September, um Mord und Totschlag geht. Der Bundesregierung und insbesondere dem Bundesinnenminister Otto Schily ist dafür zu danken, dass unverzüglich nach dem 11. September das umfassendste Sicherheitsgesetz angestoßen wurde, das es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben hat. ({1}) Dies ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Politik. Gleich zu Anfang will ich sagen: Dies ist ein Gesetz, das in jedem Detail uneingeschränkt rechtsstaatlich ist und die Sicherheit in Deutschland in zentralen Bereichen fördert. Deswegen ist es ein Gesetz, das von Kompetenz, Gestaltungskraft und Verantwortung zeugt. ({2}) Der Bundesinnenminister hat dieses Gesetz angestoßen und die Verhandlungen von den ersten Entwürfen an geführt und begleitet. Wir haben einen außerordentlich intensiven Beratungsprozess hinter uns gebracht, der viele von uns sehr stark belastet hat. Ich will dem Bundesinnenminister, aber auch seinen Mitarbeitern und den Koalitionsabgeordneten von Rot-Grün für diesen intensiven Einsatz danken. Dieses Gesetz kann sich nicht nur sehen lassen, sondern es ist Ausdruck einer außerordentlich beachtlichen Leistung. Selbstverständlich hat es öffentliche Diskussionen gegeben; das kann auch gar nicht anders sein. Wir haben Wert darauf gelegt, eine große Anhörung durchzuführen; diese war außerordentlich aufschlussreich. Es gab unterschiedliche öffentliche Kritik. Allerdings möchte ich bemerken: Ich würde mir schon wünschen, dass sich manche Kritiker entscheiden. Die einen sagen, dass das alles nichts bringe, und für die anderen geht es um den Ausverkauf von Rechtsstaatlichkeit. Man sollte sich in der Argumentation entscheiden, was wirklich Sache ist. Herr Kollege Stadler, wer wie die FDP das Verfahren kritisiert, der sollte die Änderungsanträge kennen. Ihr Entschließungsantrag ist - wenn man so will - eigentlich überholt. ({3}) - Dann haben Sie möglicherweise einen Schnellschuss abgegeben. - Es wird darauf zu achten sein, wie bestimmte Teile der Landesregierungen, in denen auch die FDP vertreten ist, reagieren werden. Ich rechne mit einer breiten Zustimmung für dieses Gesetz im Bundesrat, weil die Bundesländer bereit sind, sich an der Herstellung von Sicherheit zu beteiligen. Es ist nicht allein eine Angelegenheit des Bundes, sondern des Bundes und der Länder gemeinsam. Es ist auch eine besondere Leistung dieser Bundesregierung, dass in der Innenministerkonferenz eine Art der Zusammenarbeit gefunden wurde, die sicherstellt, dass Bund und Länder gemeinsam in die Lage versetzt werden, Sicherheit zu produzieren. Deswegen haben wir auch die Vorschläge, Hinweise und Forderungen der Länder nicht nur gewürdigt und geprüft, sondern sie in den Fällen, in denen sie berechtigt waren, selbstverständlich auch aufgegriffen. Wenn beispielsweise - das ist nach dem 11. September notwendig - den Nachrichtendiensten, insbesondere dem Bundesamt für Verfassungsschutz, zusätzliche Befugnisse eingeräumt werden, dann ist es legitim, diese Befugnisse auch den Landesämtern für Verfassungsschutz einzuräumen; denn sonst würde die Zusammenarbeit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet nicht funktionieren. Deswegen haben wir diese wichtige Forderung gern aufgegriffen; die Länder hatten mit diesem Petitum Recht. Dies verschärft allerdings nichts, sondern ist ein Vorgang, der die Länder in die Lage versetzt, im selben Maße Sicherheit zu produzieren, wie es auch der Bund in Anspruch nimmt. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich räume ein, dass man die Schnelligkeit, mit der wir auf Ereignisse reagieren, auch kritisieren kann. Den einen geht manches zu langsam, den anderen manches zu schnell. Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir ein wenig mehr Zeit gehabt hätten, damit auch andere Kollegen, die an dem Beratungsprozess nicht so intensiv beteiligt gewesen sind, genauer hätten begreifen können, Herr Marschewski und Herr Stadler, wie gut dieses Gesetz ist, wie gut es auch durch viele zusätzliche Gespräche geworden ist. Natürlich ist ein Referentenentwurf nicht das letzte Wort. Die Anhörung hat viele zusätzliche Anregungen gegeben. Gerade nach den Debatten im Innenausschuss ist für mich völlig evident, dass es im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit nicht den geringsten durchgreifenden Kritikpunkt gibt. Herr Stadler, alle Argumente, die Sie vorgetragen haben - Sie haben allerdings auch zugehört und sich auf Argumentationen eingelassen -, sind nach meiner festen Überzeugung widerlegt. ({5}) Es gibt nie zu viel Rechtsstaatlichkeit. Aber ich bin schon der Auffassung, dass wir da und dort doppelte und dreifache Sicherungen eingebaut haben, wo eine einfache Sicherung vielleicht ausgereicht hätte. Gleichwohl räume ich ein, dass es gar nicht genug Rechtsstaatlichkeit geben kann, weshalb eine Doppel- und Dreifachsicherung auch gar nicht schlecht ist. Rechtsstaatlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. ({6}) Verbrechensbekämpfung kann es nur im und mit dem Rechtsstaat geben. Deswegen war es wichtig, dass wir intensiv darum gerungen haben und aus guten Gesetzen im Laufe der Diskussion noch bessere gemacht haben. Dafür ist ein intensiver Beratungsprozess erforderlich. Wie wichtig dieser Koalition und dieser Bundesregierung innere Sicherheit ist, meine Damen und Herren, merken Sie an der Entscheidung des Bundesinnenministers in Sachen Kaplan-Verein. Für die SPD-Bundestagsfraktion erkläre ich: Das Verbot war ein notwendiger Schritt, der deutlich macht, dass wir hier nicht nur Gesetze verabschieden, sondern den Gesetzen dann auch Taten folgen lassen. ({7}) Dazu war es eben notwendig, das Vereinsgesetz zu ändern, wenngleich der Anstoß dazu schon weit vor dem 11. September vom Bundesinnenminister gegeben worden ist. Dies trägt jetzt Früchte. Wir alle wissen, dass Repression kein Allheilmittel ist. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen darauf achten, dass die Regeln, die wir alle uns in diesem Land geben, eingehalten werden. ({8}) Wir müssen sie selbst ernst nehmen und müssen auch von anderen einfordern, Herr Zeitlmann, dass die Gesetze eingehalten werden. Gerichte bestraften Herrn Kaplan rechtskräftig, sein Verein aber war weiterhin legal. Das hat jetzt ein Ende. Dies war dringend an der Zeit und ist ein Ausweis von Handlungsstärke dieser Regierung. Ich habe betont, dass es in Sachen Rechtsstaatlichkeit gegen dieses Gesetz nicht die geringsten Einwände geben kann. Was die Effektivität angeht, will ich sagen, dass dies ein Gesetz ist, das die Sicherheit in unserem Land befördern wird. Ich habe gerade davon gesprochen, dass Sicherheitspolitik damit beginnt, dass man die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt und dann verantwortlich und mit Augenmaß handelt. Ich erlaube mir an dieser Stelle einen kleinen Hinweis, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir alle mit dieser Materie sehr vertraut sind. Es macht gelegentlich durchaus Sinn, einmal zu schauen, was im Ausland unternommen wird, und zu fragen, welche Diskussionen es gegenwärtig in Großbritannien oder in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt. ({9}) Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Rot-Grün und der Bundesinnenminister Otto Schily sind ein Garant für Rechtsstaatlichkeit und für eine effektive Verbrechensbekämpfung mit Augenmaß. ({10}) Ich denke, dass Sie alle wissen, was ich damit mit Blick auf die - das sage ich ohne jegliche Ironie - geschätzten Bündnispartner Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika meine. Ich wiederhole es: Eine offene Gesellschaft ist keine schwache Gesellschaft. Rechtsstaatlichkeit ist nicht Schwäche, sondern Stärke. Wenn wir Verbrechensbekämpfung mit Augenmaß durchführen, wenn wir uns dabei unserer eigenen Werte bewusst sind und sie nicht infrage stellen - auch dann, wenn es gegen brutale Verbrecher geht -, dann sind wir stark und nicht schwach. Ich denke, dieses Gesetz verdient Zustimmung. Ich erkenne an, dass sich die Union trotz aller Probleme mit dem Verfahren und mit der Eile, mit der wir reagiert haben, zum Schluss doch noch dazu durchgerungen hat, diesem Gesetz zuzustimmen. Die FDP wird dies in den Ländern tun, Herr Stadler, hier vielleicht nicht. Dieses Gesetz hat eine breite Zustimmung verdient. Selbst wenn man sorgfältig und gewissenhaft arbeitet, gibt es allerdings die eine oder andere redaktionelle Verbesserung. Frau Präsidentin, ich will zum Ende meiner Rede kurz zu Protokoll geben, dass Art. 1 Nr. 3 Buchstabe c ganz korrekt heißen muss: „Nach Absatz 3 wird folgender Absatz 4 angefügt.“ Das ist aber nur eine redaktionelle Sache, die ich hier erwähnen wollte. Ich bedanke mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Bereitschaft zuzuhören. Dieses Gesetz ist ein wichtiger Beitrag für mehr Sicherheit in Deutschland unter Beachtung der Rechtsstaatlichkeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski. ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mehr als selbstverständlich und auch verpflichtend für uns, dass die Union im Kampf gegen die terroristische Bedrohung der freien Welt und unseres Landes Gemeinsamkeit will. Der fundamentalistische, jedes religiöse Bekenntnis missbrauchende Terrorismus erfordert gemeinsames Handeln aller Demokraten in diesem Hause. Gestern konnten wir die Bilder von Bin Laden sehen, von den selbstzufriedenen und selbstgerechten Massenmördern, die sich im Mord sonnten, die lachten und die sich bewundern ließen. Dies ist erschütternd. Deswegen müssen wir handeln. Herr Bundesinnenminister, wir unterstützen Ihre Vorschläge; denn sie stärken die Dienste und die Polizei, sie sichern die Freiheit und sie helfen, die Terroristen zu erkennen und ihrer habhaft zu werden. Ihre Vorschläge, Herr Bundesinnenminister, geben mehr Einsatzmöglichkeiten gegen den Terror und sind im Großen und Ganzen akzeptabel. Sie werden trotz oft anders lautender Presseäußerungen den Rechtsstaat nicht beeinträchtigen. Dieses Gesetz verrät nicht, wie Irregeleitete schreiben, totalitären Geist. Ich möchte, dass sich diese Leute einmal das Video von gestern ansehen. Dann würden sie zum gleichen Ergebnis kommen. ({0}) Hier will niemand Bürgerrechte einschränken. Unser Staat muss nur das sein, was die Union stets gefordert hat: wehrhaft, ein wehrhafter Staat, der eines weiß: Wer Freiheit gegen Sicherheit ausspielt, wird beides verlieren. Deswegen, Herr Bundesinnenminister, haben wir schon vor ein paar Monaten gefordert, die Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen einzuführen, weil wir in Bayern gesehen haben, dass viele Leute wegen sicherheitsrelevanter Bedenken die deutsche Staatsbürgerschaft nicht bekommen konnten. Deswegen haben wir als Union den Fingerabdruck in Ausweispapieren zur Identitätsermittlung gefordert. Deswegen wollten wir eine Verschärfung der Vorschriften bei der Geldwäsche und ein Ausländerzentralregistergesetz, das insbesondere hilft, das Schlepperunwesen zu bekämpfen. Ich will nicht nachkarten, aber Sie haben dies vor ein paar Wochen nicht akzeptiert und haben Nein gesagt. Deswegen fordere ich erneut, Herr Bundesinnenminister: Wir müssen vor allen Dingen die Dienste stärken. Das ist ganz wichtig. Wir brauchen - das sage ich zum wiederholten Male - eine funktionsfähige strategische Fernmeldekontrolle und endlich - Frau Kollegin Bonitz setzt sich besonders dafür ein - ein funktionierendes System Inpolneu. Nur so werden wir in Deutschland mehr Sicherheit gewährleisten. ({1}) Es nützen mehr Gesetze nichts, sagt mein Kollege Max Stadtler immer, und da hat er völlig Recht, wenn Menschen und Mittel fehlen, Herr Bundesinnenminister. Das weiß niemand besser als ein Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. ({2}) - Ich würde mich freuen, Herr Kollege Ströbele, wenn Sie diese Lehre annehmen würden. Sie müssten das eigentlich wissen. Aber Sie sind auf dem besten Wege, wenn Sie meine Rede in Ruhe anhören. Die Lage der Dienste ist nicht gut. ({3}) Im Gegenteil: Sie ist miserabel, und das, obwohl im Verfassungsschutzbericht steht, es gebe in Deutschland 85 000 Links- und Rechtsextremisten, 60 000 Mitglieder in extremistischen ausländischen Organisationen und 31 000 Mitglieder in islamistischen Gruppen. Deswegen war der Personalabbau bei den Diensten ein schwerer politischer Fehler. Wer den Verfassungsschutz schwächt, der verzichtet auf wirksame Mittel im Kampf gegen Terroristen und Extremisten. Deswegen halte ich es für gut, dass die Verbotsgründe im Vereinsgesetz erweitert werden. Extremistische Organisationen, die Spenden für terroristische Aktivitäten sammeln, die Kämpfer rekrutieren, die Anschläge androhen oder befürworten, müssen verboten werden, wie im Fall des Kalifatsstaats völlig zu Recht, Herr Bundesinnenminister. Ich begrüße diese Beschlussfassung in Ihrem Hause und Ihren Einsatz gegen diese terroristische Gruppe ausdrücklich. ({4}) Denn das Handeln dieser Gruppen steht in unauflöslichem Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität, zum Gleichheitsgrundsatz, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung schlechthin. Es darf für Terroristen keinen Platz in Deutschland geben. Wer sich extremistisch betätigt, muss ausgewiesen werden. Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland darstellt, wer schwere Straftaten begeht, darf durch das deutsche Asylrecht nicht geschützt sein. Dies sage ich in vollem Einklang mit der UN-Resolution 1373 - ich zitiere -: Demjenigen, der terroristische Handlungen plant, begeht oder unterstützt, muss sicherer Zufluchtsort verweigert werden. Dies gilt es umzusetzen, meine Damen und Herren, Herr Bundesinnenminister, weil wir die freiheitlichste Gesellschaftsordnung, die wir in Deutschland je hatten, erhalten und stärken wollen. In diesem Punkt stimme ich interessanterweise mit dem Herrn Bundesaußenminister völlig überein, zumindest, was seine Worte anbelangt. Ich zitiere die „Rheinische Post“ vom 26. November, die die Worte von Herrn Joseph Fischer aufgreift: Die Forderungen des Bundesinnenministers - so sagt er seien maßvoll und zurückhaltend - gegenüber den UN-Formulierungen. Und doch sei ein beträchtlicher Teil der Koalition dagegen. Fischer wird weiter zitiert: Ich hätte größte Lust, die Resolution 1373 hier zur Abstimmung zu stellen. Ferner heißt es, eines dürfe es nicht mehr geben: Man dürfe sich nicht mehr hindurchwurschteln bis zur nächsten gequälten Ausnahmeentscheidung - wie bei Ihren Koalitionsverhandlungen, so füge ich hinzu. Meine Damen und Herren, tun Sie doch das, was der Bundesaußenminister hier von Ihnen verlangt! Verhindern Sie insbesondere zunächst einmal die Einreise von Terroristen! Was das angeht, bin ich ein bisschen traurig, Herr Bundesinnenminister. Sie haben ursprünglich den Vorschlag gemacht, die Einreise zu verweigern, wenn Terrorismusverdacht besteht. Damit hatten Sie völlig Recht; denn die jetzige Regelung ist zu eng, um uns wirksam gegen die Einreise von Terroristen mittels Visum zu schützen. Ich frage weiter: Was wird aus der zugesagten Kronzeugenregelung? Was wird daraus, Europol - denn wir müssen ja gemeinsam handeln - zu einer bundeskriminalamtsähnlichen Einrichtung zu machen? ({5}) Was die Abschiebung anbelangt: Kein Terrorist wird nach Ihrem Gesetz leichter als bisher abgeschoben werden können, weil unser Ausländerrecht, weil die Europäische Menschenrechtskonvention die Abschiebung auch von Terroristen verhindert, wenn ihnen im Ausland möglicherweise erniedrigende Behandlung droht. So werden die Terroristen nach Verbüßung der Freiheitsstrafe entweder rund um die Uhr von 25 Polizeibeamten bewacht werden oder in der Freiheit ihr schändliches Tun fortsetzen können. Dies wird kein Bürger verstehen. Die Bürger werden sich anderen zuwenden, die einfachere Lösungen anzubieten haben. Deswegen meine dringende Empfehlung, Herr Bundesinnenminister - auch der Kollege Wiefelspütz hat das angedeutet -: Führen Sie bitte Verhandlungen mit den Innenministern anderer Länder, etwa mit dem Labour-Innenminister von Großbritannien, Mr. Blunkett, mit dem Ziel, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs zu verhindern, dass diese Menschen weiter Verbrechen begehen. Was in Großbritannien rechtswidrig ist, kann in Deutschland nicht legal sein. Wir müssen dieses Problem international angehen. ({6}) Denn - da sind wir sicherlich einer Meinung - wir müssen uns vor Terroristen schützen können, wenn sie unser Leben, unsere Freiheit bedrohen. Dem Terroristen - so steht es in der UNO-Resolution - muss jeglicher Zufluchtsort verweigert werden. Mehr habe ich nicht gefordert. ({7}) Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf am 11. Oktober eingebracht. Am 15. November haben wir im Innenausschuss die Anhörung beschlossen, am 30. November haben wir sie durchgeführt. Am 12. Dezember haben wir diesen Gesetzentwurf im Innenausschuss abschließend in nur einer Sitzung - wenn auch stundenlang beraten, mit über 20 Änderungsanträgen der Koalition, die uns unmittelbar vor Beginn der Beratung zugegangen waren. Dieses Verfahren ist bei aller Eile - man mag manches verstehen - nicht seriös. Die Beratungszeit für ein Gesetz mit circa 100 Gesetzesänderungen war zu kurz und die Behandlung von Parlamentariern unzumutbar. Ich habe mir gestern in Vorbereitung dieser Rede aufgeschrieben, das dürfe sich nicht mehr wiederholen. Aber heute im Innenausschuss war es das Gleiche: wieder diese Hektik, wieder diese Eile. Wir haben deshalb den Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit gestellt. Sie waren nicht beschlussfähig. Wir haben diesen Antrag vor zwei Tagen nicht gestellt, obwohl Sie auch am Mittwochabend nicht beschlussfähig gewesen wären. ({8}) Wir haben das deswegen nicht getan und die Beratungen deswegen ernsthaft mit viel Einsatzbereitschaft, Anstrengung, Disziplin und auch Verantwortungsbereitschaft zu Ende geführt, weil wir wie der Bundesinnenminister meinen, dass die jetzige Auseinandersetzung nicht auf Tage oder Wochen angelegt ist; sie wird vielmehr über eine sehr lange Zeit gehen. Für die Union als Partei der Freiheit, als Partei der Sicherheit und, Herr Bundesinnenminister, als Partei von „law and order“ ist Verantwortungsbereitschaft selbstverständlich. ({9}) - Frau Präsidentin, können Sie diesen Schreihals nicht abstellen? Ansonsten ist er ein liebenswerter Kollege; aber es ist hier doch ein bisschen laut. Erwin Marschewski ({10}) Ich hätte mir gewünscht, die SPD hätte alle Anträge der Union akzeptiert. Aber wir wissen aus der Erfahrung mit der Ablehnung von Anträgen: Sie werden unsere Anträge ohnehin ein paar Monate später beschließen. Das haben wir heute mitgemacht. Das kennen wir. Gerade deswegen sagen wir Ja zu Ihrem Antiterrorgesetzentwurf. ({11}) Denn wir müssen der Bedrohung unseres Landes und der der freien Welt gemeinsam widerstehen. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wann wir den Kollegen Tauss abstellen, bestimme immer noch ich. Ich habe ihn schon kräftiger gehört. Dies sollte Sie, Herr Tauss, jedoch nicht zu weiteren Zwischenrufen ermuntern. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir heute über das Sicherheitspaket II beraten, zeigt das Sicherheitspaket I bereits erste Wirkungen. Diese Woche hat der Bundesinnenminister die Organisation „Kalifatsstaat“ völlig zu Recht verbieten lassen. ({0}) Diese Möglichkeit haben wir als Koalition überhaupt erst geschaffen. Es ist dringend notwendig, eine Organisation, aus der heraus zu Mord aufgerufen wird und die Morde verübt, zu verbieten. An der Beseitigung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz gab es sehr fundamentale Kritik. Die PDS hat sich massiv dagegen ausgesprochen. Ich habe diese Woche erstaunlich wenig Kritik an dieser vernünftigen Maßnahme gehört. Ich hoffe, dass das vielleicht zu einem Überdenken der vergangenen Redebeiträge zu diesem Thema führt. ({1}) Die Religionsfreiheit schützt vieles. Sie ist auch so etwas wie eine Narrenfreiheit in religiösen Dingen. Aber da, wo Menschen unter dem Mantel der Religionsfreiheit Verbrechen planen und die Freiheitlichkeit unserer Gesellschaft bedrohen, ist eine Grenze überschritten. Dies ist auch keine Frage von Gesinnungsschnüffelei oder Toleranz. Diese Form der Auseinandersetzung dürfen wir nicht tolerieren. Mit dem Sicherheitspakt II, mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz, ist der Koalition ein enormer Kraftakt gelungen. Wir garantieren den Bürgerinnen und Bürgern ein Maximum an Sicherheit. Zugleich wahren wir Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Bürgerrechte. Das Terrorbekämpfungsgesetz ist ein austariertes, verhältnismäßiges Bündel von Maßnahmen, mit denen wir die erforderliche Balance wahren. Drei Fragen haben die Anschläge von New York und Washington für die Sicherheitspolitik aufgeworfen: Welche Maßnahmen hätten die Anschläge am 11. September 2001 verhindern können? Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um eine Wiederholung unwahrscheinlich zu machen? Welche Maßnahmen brauchen wir, um die von den Terroristen angekündigten weiteren Anschläge und Sabotageaktionen unwirksam oder unmöglich zu machen? Dieses Gesetz findet auf all diese Frage angemessene Antworten, ohne dass jemand garantieren kann, dass mit diesem Gesetz die Gefahren völlig ausgeräumt seien. Aber das kann ein Rechtsstaat nie versprechen. Auch wenn uns der 11. September eine neue Form der Bedrohung vor Augen geführt hat, die besondere Maßnahmen erfordert, schlagen wir mit diesem Gesetz nicht über die Stränge. Wir bewahren unsere rechtsstaatlichen Grundsätze und werfen sie nicht leichtfertig über Bord. Das ist eine wohltuende, klare rechtsstaatliche Linie in dieser Gesetzgebung. Da unterscheiden wir uns - Kollege Wiefelspütz hat es angesprochen - vom Kurs mancher Sicherheitsgesetze in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien, wo man Sondergerichte schafft oder die Europäische Menschenrechtskonvention, wie dies auch Herr Marschewski will, kündigen möchte, um auch ohne Gerichtsurteil Personen festnehmen und gefangen halten zu können. Ich meine, wir sollten die gemeinsame Grundlage von Rechtsstaatlichkeit hier in Europa auch angesichts des Terrors nicht verlassen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass aufgrund der Terroranschläge wir selbst zum Instrument der Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in unseren Gesellschaften werden. ({2}) Der 11. September hat eine Dimension des internationalen Terrorismus offenbart, die besondere Maßnahmen notwendig macht, Maßnahmen, zu denen man unter normalen Umständen nicht die Hand reichen würde. Das bedeutet aber noch lange nicht Zustimmung zu jedweder Kompetenzerweiterung für Polizei und Geheimdienste. Das bedeutet auch nicht ein Ja zu ausufernden Ausweisungsmöglichkeiten für „irgendwie“ des Terrorismus „möglicherweise“ verdächtige Ausländer. In einem Rechtsstaat gilt: Der Verdacht ist Anlass für weitere Ermittlungen. Nur wenn man Belege hat, die die Aussage rechtfertigen „Das ist ein Terrorist“, können die entsprechenden Sanktionen strafrechtlich wie ausländerrechtlich folgen - und nicht aufgrund einer womöglich falschen Verdächtigung. ({3}) Meine Damen und Herren, hätten wir hier manche Anträge der Unionsfraktion oder des Bundesrates uneingeschränkt übernommen, wie Sie sich das gewünscht haben, Herr Kollege Marschewski, dann hätten wir in diesem Erwin Marschewski ({4}) Land tatsächlich ohne Not eine Einschränkung von Freiheitsrechten in Kauf nehmen müssen. Dass auch die vier von der FDP mitregierten Länder im Bundesrat eine Verdachtsausweisung von Ausländern, ({5}) eine Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste ohne jede parlamentarische Kontrolle, ohne entsprechende Rechte für Betroffene wollen, das halte ich für einen sehr bedauerlichen Vorgang. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihre Landesminister sägen im Bundesrat gemeinsam mit dem Kollegen Beckstein an den Fundamenten des Rechtsstaates, während Sie hier zusammen mit dem Kollegen Möllemann „einen auf Bürgerrechte machen“. Glaubwürdig ist diese Veranstaltung nicht. Ich glaube, Sie haben innenpolitisch den Kompass verloren. ({6}) Ich will gar keinen Hehl daraus machen: Wir haben selbstverständlich nicht nur die Bedenken und Anregungen der Sachverständigen und Bürgerrechtler aus der Anhörung im Innenausschuss beherzigt, sondern sind auch vernünftigen Länderwünschen nachgekommen. Aber wenn wir einen Strich unter das ziehen, was wir vorgelegt haben, kann ich sagen: Der Gesetzentwurf - das ist auch die Meinung der SPD-Fraktion - ist nach der Anhörung noch um ein entscheidendes Stück besser geworden. ({7}) Beispiel: Landesämter für Verfassungsschutz. Hier haben wir den Länderwünschen entsprochen und die Aufgabenerweiterung vorgenommen, aber nur unter den gleichen Kontrollmechanismen, die wir dem Bundesamt zumuten, und nur mit den entsprechenden Rechten der Betroffenen. Ich finde, das ist auch legitim so. Das Bundesamt und die Landesämter können auf gleicher Augenhöhe verhandeln und tätig werden. Das ist angemessen. Jede Sicherheitsmaßnahme muss auch rechtsstaatlich austariert werden. Rechtsänderungen, die ein Horrorszenario für jeden Bürgerrechtler bedeutet hätten, sind in diesem Gesetz nicht Wahrheit geworden. Zum Beispiel gibt es die Vorermittlungskompetenz des BKA, die in der Diskussion war, nicht. Wir haben nur einige bürokratische Hürden abgebaut. Diese neuen Regelungen haben wir auch noch befristet, um sie nach fünf Jahren vernünftigerweise zu evaluieren. Die Verdachtsausweisung von Ausländern ist nicht gekommen, sondern wir stellen darauf ab, dass Tatsachen belegen müssen, dass ein Ausländer einer Vereinigung angehört, die den Terrorismus unterstützt. Es gibt keinen großen Lausch- und Spähangriff für den Verfassungsschutz; aber wir haben unabweisbaren Eigenschutz für die Beauftragten und Mitarbeiter der Ämter vorgesehen, damit, wenn ihnen in der Aufgabenerfüllung ihres Dienstes Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen, der entsprechende Schutz gewährt werden kann. Wir haben keine uferlose Datenweitergabe durch den Verfassungsschutz vorgenommen; aber wir haben bei den sicherheits- und verteidigungspolitisch wichtigen Einrichtungen entsprechend dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz eine Übermittlung von und eine Warnung vor Sicherheitsrisiken auch an private Stellen ermöglicht. Wir haben keine unkontrollierbaren Befugnisse für die Geheimdienste. Wir haben den Katalog von Auskunftsrechten des Verfassungsschutzes und der anderen Dienste erweitert. Gleichzeitig haben wir jedoch hinreichende parlamentarische Kontrollen und Mitteilungspflichten an die Betroffenen vorgesehen und deutliche rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Wir haben im Passgesetz und im Gesetz über Personalausweise kein zusätzliches biometrisches Merkmal verankert, sondern uns für ein späteres Gesetzgebungsverfahren vorbehalten, darüber ausführlich und besonnen zu beraten. Aber schon heute haben wir vereinbart: Eine bundesweite Referenzdatei für diese biometrischen Merkmale - eine der größten Sorgen der Datenschützer bei diesem Thema ({8}) wird es nicht geben. Wir haben im Gesetzentwurf explizit vorgesehen, dass dies verboten ist. Ich sage, durchaus stolz auf die rot-grüne Koalition und auf die Arbeit meiner Fraktion bei diesen Verhandlungen und den Beratungen im Ausschuss: Wir haben eine Reihe von problematischen Verschärfungen, die aus Ihrer Ecke kamen, verhindert. Bei der Herstellung von Sicherheit haben wir als Koalition einen klaren rechtsstaatlichen Kurs gewahrt. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie haben im Innenausschuss ja einen ausführlichen, vierseitigen Antrag vorgelegt. ({10}) - Ja, er enthielt viele richtige und vernünftige Punkte. Ihr Antrag, den Sie heute vorlegen, ist auf eine halbe Seite zusammengeschrumpft. All Ihre Wünsche wurden von der Koalition erledigt, ohne dass wir Ihren Antrag überhaupt kannten. Bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten machen Sie uns nichts vor. Da kann man sagen: Rot-Grün weiß, was Liberale wünschen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Bonitz? - Das ist der Fall. Bitte.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie als Mitglied der Koalition beteiligen sich daran, dass dieses Gesetzespaket jetzt im Eiltempo durch den Bundestag gejagt wird. Warum sperren Sie sich eigentlich dagegen, dass der Volker Beck ({0}) Fingerabdruck in den Pass aufgenommen und dies in das Paket mit eingeführt wird? ({1})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine gute Frage - auch deshalb, weil ich dadurch die Chance bekomme, ausführlich auf dieses Thema einzugehen. Ich bin durchaus offen, was die Frage der Speicherung eines biometrischen Merkmals in Pass- und Personalausweispapieren zur Verbesserung der Identitätssicherung zwischen Passinhaber und Pass angeht. Bislang aber bestehen eigentlich keine großen Sorgen bei den Polizeibehörden - das haben Sie bei der Anhörung vom Chef des Bayerischen Landeskriminalamtes gehört -, dass es zu umfänglichen Fälschungen bei Pass- und Personalausweisdokumenten kommt. Hier müssen wir noch einmal genau nachschauen und das Gespräch mit den Sicherheitsfachleuten suchen. Sollten wir aber ein zusätzliches biometrisches Merkmal einführen, dann bin ich dafür, dass wir dasjenige Merkmal nehmen, das zum einen die höchstmögliche Sicherheit bei der Identitätsfeststellung gewährleistet und zum anderen den geringstmöglichen Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bedeutet. ({0}) In keinem Fall aber will ich, dass diese Daten über eine Referenzdatei zu anderen Zwecken als zur Identitätssicherung von Passinhaber und Pass verwendet werden. ({1}) Zu einem weiteren Punkt, den man bei einem solchen Verfahren bedenken muss - denn schließlich geht es auch darum, dass wir als Politiker nicht leichtfertig Steuergelder, die uns anvertraut sind, ausgeben -: Eine solche Maßnahme der biometrischen Merkmalsspeicherung macht meines Erachtens als Investition nur dann Sinn, wenn wir sie im gesamten Schengen-Raum einheitlich tätigen. Denn stellen wir uns vor: Die Franzosen entscheiden sich für die Handbiometrie, die Belgier entscheiden sich für die Gesichtsbiometrie und wir nehmen nach Ihrem Vorschlag den Fingerabdruck. Dann können die Pässe vom jeweils anderen nicht gelesen werden, weil unterschiedliche Lesegeräte benötigt werden. Das wäre eine totale Fehlinvestition. In solchen Fragen sollten wir die europaweite Abstimmung suchen. Sie wissen auch: Allein die Einführung der Passdokumente dauert nicht nur zehn Jahre, sondern kostet auch 5 Milliarden DM. Bis dahin haben Sie noch kein einziges Gerät zum Lesen der Pässe und zum Vergleichen des Passes mit dem Passinhaber angeschafft. Das kostet dann noch einmal 5 Milliarden DM, will man eine hinreichende Kontrolldichte organisieren. Insofern hat das Parlament, so meine ich, die Verantwortung, dass eine solche Investition in Ruhe und Besonnenheit erwogen und über diese Frage erst dann entschieden wird, wenn man sich schlau gemacht hat über die technischen und datenschutzrechtlichen Implikationen. ({2}) Welchen Weg wir gehen werden, das werden wir in der Koalition, mit Ihnen und, wie ich hoffe, den europäischen Partnern diskutieren. Eine solche Diskussion, will man sie vernünftig führen, hätten wir bis heute nicht abschließen können. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Antwort war äußerst ausführlich. Frau Kollegin Bonitz, ich würde Sie bitten - auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit -, auf Ihre zweite Frage zu verzichten. ({0}) - Ich denke, die Antwort war ausführlich genug.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist die Präsidentin, die das Wort erteilt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich glaube, die Stimmung im Haus ist eindeutig.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich danke für Ihre Rücksichtnahme. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum Schluss: Die einzige Kritik, die von der Opposition geblieben ist, war: Es geht ein bisschen zu schnell. In der Tat: Wir haben ein zügiges Beratungsverfahren wählen müssen, weil die Bundesländer, von denen heute leider kein Vertreter da ist, gewünscht haben, dass der Entwurf am 20. Dezember in den Bundesrat kommt. Das heißt, dass wir diese Woche fertig werden müssen. Vergnügen macht dies für uns als Parlamentarier nicht. Wir alle wollen sorgfältig beraten. Ich verstehe jeden, der dabei ein bisschen grummelt. Das hätten wir in der Opposition auch getan. Hätten wir jetzt aber lange gewartet, dann hätten Sie einfach eine andere Karte mit Kritik aus Ihrer Schachtel gezaubert. Dann hätten Sie gesagt: Diese Koalition lässt sich angesichts der terroristischen Bedrohung endlos Zeit, hat interne Schwierigkeiten und ist sicherheitspolitisch nicht handlungsfähig, um die Sicherheit unseres Landes ist es schlecht bestellt. Die Tatsache, dass wir ein bisschen schneller lesen und arbeiten müssen, als es Parlamentarier normalerweise tun, ist das geringere Problem. Ich finde es gut, dass wir dieses Gesetz über die Bühne gebracht haben. Die Tatsache, dass Sie Ihren Antrag in der Sache zurückgezogen haben, hat gezeigt, dass wir die notwendige Balance zwischen Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit geschafft haben. Wir haben unsere Handlungsfähigkeit bewiesen. Es ist ein gutes Gesetz. Rutschen Sie alle zusammen sicher ins Jahr 2002. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel haben die Ereignisse vom 11. September uns allen die besondere Verantwortung auferlegt, geeignete und rechtsstaatliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. Die FDP hat sich an dieser Aufgabe von Anfang an konstruktiv beteiligt. Wir wissen uns mit vielen Praktikern einig, dass der wirkungsvollste Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit die bessere finanzielle, personelle und technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden ist. ({0}) Die gesetzlichen Grundlagen für eine effektive Arbeit von Polizei, Geheimdiensten und Justiz sind allerdings längst gelegt worden, insbesondere durch eine ausgiebige Gesetzgebungstätigkeit der Koalition von FDP und CDU/ CSU in den 90er-Jahren. ({1}) Gleichwohl hat die FDP notwendige gesetzgeberische Neuerungen wie etwa das so genannte Sicherheitspaket Schily I ebenfalls unterstützt. Ich sage ausdrücklich: Wir respektieren, dass der Bundesinnenminister und die Innenpolitiker von SPD und Grünen heute einen Versuch vorlegen, in rechtsstaatlicher Weise weitere Verbesserungen zur inneren Sicherheit zu beschließen. ({2}) Es bleibt dabei, dass der erste Entwurf, der von den Fraktionen von SPD und Grünen eingebracht worden ist und der sehr wohl auch die Unterschrift von Rezzo Schlauch und Kerstin Müller trägt, viel zu weit in Richtung „Big Brother“ geht. ({3}) Die Fachabteilungen des Bundesinnenministeriums haben die Zettelkisten aus den Schubladen geholt und geleert. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, der wie keiner zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Es ist, wie Herr Wiefelspütz zu Recht sagte, ein epochales, ein einmaliges Gesetzeswerk. Gerade deswegen wäre eine besonders sorgfältige parlamentarische Beratung notwendig gewesen. ({4}) Das Gegenteil haben Sie gemacht. Sie reden an der Sache vorbei, wenn Sie meinen, wir würden die Intensität und das Tempo Ihrer Beratungen in der Koalition kritisieren. Das ist nicht der Punkt. Wir kritisieren, dass Sie mit dem von Ihnen gewählten Verfahren die Mitwirkungsmöglichkeiten der Opposition praktisch übergangen haben. Das ist zu kritisieren. ({5}) Ich erinnere Sie an das Hauptwerk des Rechtsphilosophen Niklas Luhmann. Es heißt „Legitimation durch Verfahren“. Die These von Niklas Luhmann ist wie folgt zu beschreiben: Der Inhalt einer Entscheidung ist für die Akzeptanz einer Entscheidung nicht alleine maßgeblich, ({6}) sondern es kommt auch darauf an, wie eine Entscheidung zustande kommt. Ich sage für die FDP-Fraktion: So wie Sie die Mitwirkungsrechte der Opposition übergangen haben, verliert das Gesetzeswerk durch das von Ihnen gewählte Verfahren in Umkehrung des Satzes von Luhmann seine Legitimation. ({7}) Wenn Sie am Dienstagabend Änderungsanträge im Umfang von 30 Seiten vorlegen, machen Sie es der Opposition unmöglich, sich bis zur Beratung am Mittwoch Vormittag um 9.15 Uhr mit externen und internen Experten über das zu beraten, was Sie in letzter Sekunde vorlegen. Für dieses unangemessene Tempo gibt es nur eine einzige Erklärung: Sie wollten die innerhalb der Koalition mühsam erzielte Einigung nicht durch eine gehaltvolle Kritik der Opposition, auf die Minister Schily mit seinem Entwurf Anspruch gehabt hätte, gefährden. ({8}) Die rot-grüne Koalition möchte mit der raschen Verabschiedung dieses Gesetzes Handlungsfähigkeit und Stärke demonstrieren. Betrachtet man das Verfahren, hat man den Eindruck: Es gibt in Wahrheit einen Beweis der inneren Schwäche und Zerrissenheit der Koalition. ({9}) Zu Recht hat Herr Beck erwähnt, dass ein Teil der Kritikpunkte, die wir von der FDP formuliert hatten, in die Volker Beck ({10}) Beratungen der Koalition eingeflossen ist. Ich möchte jetzt nicht mit kleiner Münze heimzahlen, wenn Herr Beck sagt, die Kritikpunkte der FDP seien ihm unbekannt gewesen. Ich war bei Ihren Verhandlungen nicht dabei, habe allerdings gehört, unsere Kritikpunkte hätten sehr wohl eine Rolle gespielt. ({11}) Entscheidend ist aber, was Sie jetzt vorlegen. Für uns bleiben inhaltliche Punkte zu kritisieren, die ich wegen der Kürze der Zeit nur stichwortartig nennen kann: Erstens. Die Geheimdienste erhalten Zugriff auf Kundendaten von Banken, Telekommunikationsunternehmen, Post- und Luftfahrtunternehmen, und zwar ohne dass dieser Zugriff auf Verdächtige begrenzt wäre. Das ist ein wichtiger Kritikpunkt. Zweitens. Wir hätten uns bei diesen Eingriffen eine vorrangige richterliche Kontrolle gewünscht. ({12}) Drittens. Bei der Benachrichtigung Betroffener stellt sich dasselbe Problem wie beim G-10-Gesetz. In manchen Fällen - ich gebe zu, es handelt sich um Ausnahmen - wird ein von einer geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahme Betroffener überhaupt nicht informiert. Damit entfällt natürlich auch die Möglichkeit, nachträglich Rechtsschutz durch ein unabhängiges Gericht zu erlangen. Diese Tatsache kritisieren wir ausdrücklich. ({13}) Viertens. Die für die Polizei im Zusammenhang mit der Informationsgewinnung geltenden Vorschriften der StPO können nunmehr umgangen werden. Fünftens. Der Bundesnachrichtendienst erhält immer mehr Befugnisse im Inland, obwohl seine Aufgabe die Auslandsaufklärung ist. Sechstens. Dass Personen, die Ausländer nach Deutschland einladen, in bestimmten Fällen selber von den Geheimdiensten überprüft werden, hätten wir uns in der alten Koalition wirklich nicht vorstellen können. ({14}) Letzter Punkt: Sie legen so großen Wert darauf, durchgesetzt zu haben, dass bei der Aufnahme von Fingerabdrücken in Ausweispapiere keine Vergleichsdatei errichtet wird. Ihre Formulierung lautet: Es wird keine bundesweite Datei eingerichtet. - Wenn Sie aber 15 Länderdateien zulassen und diese vernetzt werden, haben Sie die Referenzdatei, die wir aus Datenschutzgründen ablehnen. ({15}) Ich komme zum Schluss: Es bleiben - trotz vieler Verbesserungen - inhaltliche Kritikpunkte. Das Verfahren war unzumutbar. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht zustimmen können. ({16}) Herr Beck, Sie haben mich insoweit gereizt, dass ich angesichts dessen, was die Grünen früher vertreten haben, das berühmte Bonmot von Honoré de Balzac zitiere: Erinnerung macht das Leben schön, aber nur das Vergessen macht es erträglich. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Terroranschlägen vom 11. September sind drei Monate vergangen, eine Zeit, die neues Nachdenken über die öffentliche Sicherheit hierzulande und auch in unserer Fraktion auslöste. Wir haben dies sehr intensiv getan. Wir kennen die Sorgen, die Ängste und die Verunsicherung, die es in der Bevölkerung gibt. Wir teilen sie im Wortsinne. Unstrittig ist auch: Es gibt bei der Gefahrenvorbeugung, bei der Gefahrenabwehr und im Katastrophenschutz - um nur drei Felder zu nennen - viel zu tun. So weit, glaube ich, herrscht in diesem Hause über alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens. Nun reden wir aber heute abschließend über ein ganzes Maßnahmenpaket, das häufig als Otto-Katalog II bezeichnet wird. Das schmeichelt sicherlich dem Herrn Innenminister und es klingt, als wäre es ein bestelltes vorweihnachtliches Geschenk. In Wahrheit aber geht es bei diesem Gesetzeswerk um den größten Eingriff in die Verfasstheit der Bundesrepublik, den es im Namen der inneren Sicherheit jemals gegeben hat. Daran gemessen ist das parlamentarische Schnellschussverfahren schlicht unangemessen - um nicht zu sagen: verantwortungslos -, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün. ({0}) Nun argumentierte der Innenminister vorgestern, es gebe UNO-Beschlüsse und die UNO dränge, sehr schnell etwas Vernünftiges auf den Tisch zu legen. Das stimmt. Nur liegt heute leider nichts Vernünftiges zur Beratung und Abstimmung auf dem Tisch. Die Fachleute warnen nicht erst seit gestern. Ich möchte an Folgendes erinnern: Vor 14 Tagen gab es eine Anhörung zum so genannten Antiterrorpaket. Der Innenausschuss hatte Fachleute geladen. Der Innenminister war leider nicht anwesend. Das ist heute allerdings nebensächlich. Hauptsächlich war, dass in der Anhörung eine klare Mehrheit der Sachverständigen das vorliegende Gesetzespaket skeptisch bis ablehnend beurteilte, vor allem weil es rechtsstaatlich bedenklich ist und mit der Terrorismusbekämpfung nur ganz wenig zu tun hat. ({1}) Daran ändern die von Ihnen vorgenommenen Änderungen fast nichts. Deshalb wird die PDS heute das sagen, was nach meinem Kenntnisstand auch mancher Grüner und manches Mitglied der SPD-Fraktion gern sagen würde, nämlich Nein zu diesem Gesetzespaket. ({2}) Der große Schwindel ist doch: Sie gaukeln den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass Sie ihnen etwas geben würden. Tatsächlich nehmen Sie ihnen aber das, was Sie gegen den Terrorismus verteidigen wollen. Ein Kommentator der „Berliner Zeitung“ schrieb: Dies ist eine „große Grundgesetzreform“. Sein Fazit lautete: Man kann es als Abschied von der liberalen Verfassungsidee bezeichnen. ({3}) Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Sicherheit vor dem Staat - also Freiheit - bezahlt. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnisgrünen, sagen: Es geht auch anders. Ich empfehle Ihnen, das nachzulesen, was in Berlin zwischen SPD und PDS zum Thema innere Sicherheit vereinbart wurde. Man könnte es überschreiben mit: Mehr Sicherheit, aber nicht auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten. ({4}) Ich würde Ihnen heute gerne en détail begründen, warum wir Nein sagen, und zwar auch unter Verwendung der intelligenzarmen Widersprüche, die Sie selbst produzieren. Aber fünf Minuten Redezeit reichen dafür nicht. Das ist unser Oppositionslos auf der linken Seite. Wir arbeiten daran, dass es besser wird. Ich möchte deshalb nur noch ein Beispiel nennen, das zeigt, dass der Teufel im Detail steckt. Das Gesetzespaket sieht Sicherheitsüberprüfungen für Beschäftigte in „lebenswichtigen und verteidigungswichtigen Einrichtungen“ vor. Das kann sinnvoll sein. Es kann aber auch für Millionen Beschäftigte gefährlich werden, wenn letztendlich Geheimdienste darüber entscheiden, wer beschäftigt wird. Nun haben die Sachverständigen schon gemahnt, möglichst genau einzuschränken, welche Bereiche und Berufsgruppen gemeint sind, weil andernfalls Konflikte mit dem EU-Recht, dem Arbeitsrecht und anderen Alltäglichkeiten drohten. Sie, Herr Minister, meinten am vergangenen Mittwoch, das würden Sie nicht tun, weil Sie potenziellen Terroristen nicht noch Hinweise geben wollten, wo die Bundesrepublik verletzbar sei. Sie haben auch gesagt, dass dies im Einzelnen durch die Exekutive, also durch Sie, festgelegt werde. Alle Achtung! Ihr Vorgehen soll Rechtssicherheit schaffen und ist offensichtlich „Demokratie in Ottos Vollendung“. ({5}) Anders gefragt: Glauben Sie wirklich, dass mögliche Terroristen auf eine Liste warten, aus der hervorgeht, wo die Zivilisation verletzbar ist? Nachvollziehen können die Beschäftigten schon gar nicht, dass sie von vornherein wie potenzielle Terroristen behandelt werden. Ein letztes Wort. Sie haben gestern hier ein Einwanderungsgesetz eingebracht. Heute stellt sich die Sinnfrage, weil Sie sich mit diesem Gesetzesvorhaben ein Instrumentarium schaffen, das die Einreise und die Ausweisung von Ausländern strenger als je zuvor reglementiert. Sie stellen mit diesem Gesetzespaket die Fremden, um die Sie gestern hier geworben haben, unter Generalverdacht. ({6}) Am Mittwoch mahnten Sie, möglichst keine Maßnahmen, die nichts mit der Terrorismusbekämpfung zu tun haben, vorzuschlagen. Wenn Sie konsequent gewesen wären, dann hätten Sie Ihr Paket heute zurückgezogen und ein neues vorgelegt. Danke schön. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Bundesminister des Innern, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pau, an Ihren Ausführungen kann man sehr gut erkennen, was für Sie die eigentliche Gefahr ist: Für Sie sind offenbar die Sicherheitsinstitutionen des Staates und nicht der Terrorismus die Gefahr. ({0}) Sie haben hier erklärt, es gehe um die Gefahr durch den Staat. Ich möchte wissen, in welcher Welt Sie leben. Wahrscheinlich haben Sie noch ein bisschen Erinnerung an die DDR. Da war es nämlich so, dass man Sorge vor den Gefahren durch den Staat haben musste. ({1}) Was Ihre Koalitionsvereinbarung angeht, wünsche ich Ihnen viel Glück. Immerhin wollen Sie selbst zugestehen - das ist bemerkenswert -, dass bestimmte Gruppierungen Ihrer Partei weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Dazu beglückwünsche ich Sie! ({2}) Ich bedanke mich bei allen Koalitionsfraktionen, die unser wichtiges Vorhaben unterstützen. Ich bedanke mich auch bei der CDU/CSU-Fraktion dafür, dass sie ihrer Verantwortung in dieser Frage gerecht wird. Ich kann verstehen, dass die FDP-Fraktion mit Blick auf die Kürze des Verfahrens einige Bauchschmerzen hat. Herr Kollege Stadler - ich kenne den sachlichen Ton, den Sie normalerweise an den Tag legen -, ({3}) heute sind Sie zum Teil wie der Bauchredner von Herrn Möllemann aufgetreten. Das tut Ihnen nicht gut, Herr Stadler. ({4}) - Herr Stadler, Herr Möllemann möchte eine Art Basarhandel veranstalten, indem ein Junktim zwischen diesem Gesetz und dem Zuwanderungsgesetz hergestellt wird. Das ist nicht die richtige Herangehensweise. ({5}) Wir haben es mit einem Gesetz zu tun, durch das die Konsequenzen aus einem ganz schlimmen Ereignis und aus einer Bedrohung, die uns wahrlich das Fürchten lehrt, gezogen werden. ({6}) Ich meine die Bedrohung durch den weltweiten islamistischen Terror, die in ihrer Tiefendimension am 11. September erkennbar geworden ist. Wir brauchen so etwas wie ein Langzeitgedächtnis. Wir dürfen nicht wieder in den alten Trott zurückfallen, sondern wir müssen unsere Wachsamkeit aufrechterhalten. Der Kollege Marschewski hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Gefahr nicht etwa verschwunden ist, sondern fortbesteht. Wir haben sie übrigens schon vorher kennen gelernt. Wir haben - jedenfalls was die politische Diskussion angeht - weder nach den Ereignissen von Daressalam noch nach der Festnahme von Personen, die im Dezember kurz davor standen, im benachbarten Frankreich einen Terroranschlag zu begehen, die nötige Aufmerksamkeit an den Tag gelegt. Man muss aber auch feststellen - das ist der entscheidende Gesichtspunkt -: Wir hatten keine Kenntnis über die in verschiedenen Ländern getroffenen Vorbereitungen dieser schrecklichen Terroranschläge in New York und in Washington. Wir müssen uns bewusst sein, was da angegriffen worden ist: New York ist die internationalste Stadt der Welt. Dort ist der Sitz der Vereinten Nationen. Unter den Opfern waren Menschen aus mehr als 80 Nationen dieser Welt. New York, ein Symbol für den Freiheitswillen dieser Welt, für die Demokratie in dieser Welt, war der Zielpunkt. Viele Menschen, die unter der Terrorherrschaft der Nazis oder unter der Terrorherrschaft anderer totalitärer Systeme verfolgt waren, haben in New York Zuflucht gesucht. Das ist in das Geschichtsbewusstsein der Menschheit tief eingegraben. Deshalb hat das auch diese große Bedeutung. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Sicherheitsinstitutionen zur Früherkennung solcher Aktivitäten in der Lage sind. Dazu brauchen sie die Möglichkeit, in Finanztransaktionen hineinzuschauen, Reisebewegungen und Auffälligkeiten im Verhalten von bestimmten Personen festzustellen. Wir müssen besser in der Lage sein, Personen zu identifizieren, damit es nicht gelingen kann, sich mit unterschiedlichen Identitäten zu tarnen. Jemandem, dem der Aufenthalt in Deutschland untersagt wird, darf es nicht möglich sein, unter einer anderen Identität wieder in unser Land zurückzukehren. Ich halte das für eine pure Selbstverständlichkeit. Frau Pau, Sie haben gemeint, das stehe im Widerspruch zum Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Das Zuwanderungsgesetz soll Terroristen nicht ermöglichen, in unser Land zu kommen. Es soll nicht dafür sorgen, dass Terroristen, soweit sie sich schon in unserem Land befinden, in unserem Land bleiben können. ({7}) Das sollte unter allen, die sich mit dem Thema beschäftigen, doch eigentlich Konsens sein. Nun hat es einen Streit über die Frage gegeben, mit welchem Vokabular wir in dem Gesetzestext arbeiten. Ich rege an, doch die Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen, die es zwischen der Terminologie im Polizeirecht und derjenigen im Strafverfahren gibt. Im Strafverfahren kennen wir den Begriff des Verdachts, der eine Abgrenzung etwa in folgenden Fragen ermöglicht: Unter welchen Voraussetzungen können Ermittlungen eingeleitet werden? Unter welchen Voraussetzungen kann eine Anklage erhoben werden? Unter welchen Voraussetzungen kann jemand in Haft genommen werden? Im Polizeirecht geht es nicht um diesen Begriff. Im Polizeirecht geht es um eine Gefahrenbeurteilung. Deshalb ist die Wortwahl, die wir jetzt getroffen haben, dem Polizeirecht entnommen. Es geht um die Beschreibung einer Gefahr. Das steht auch in Übereinstimmung mit anderen Bestimmungen, übrigens - das sage ich, damit alle das begreifen - schon im geltenden Recht. Da steht nämlich etwas von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit geschrieben. Das ist der Kern dieser Bestimmung. ({8}) Im Zusammenwirken aller, die daran beteiligt waren - insbesondere bedanke ich mich beim Bundesjustizministerium - haben wir, wie ich finde, eine gute Formel gefunden. Ich möchte noch etwas zur Frage der Zuständigkeiten des Bundeskriminalamts sagen, weil auch das heute von Ferne her kritisiert worden ist. Herr Kollege Marschewski, Sie haben behauptet, ich hätte mich in wichtigen Punkten nicht durchgesetzt, das Bundeskriminalamt bleibe wegen der Grünen „ein zahnloser Tiger“. Ich werde in Wiesbaden ausrichten, was Sie gesagt haben. Wenn das zutrifft, dann müsste das Bundeskriminalamt bisher ein zahnloser Tiger gewesen sein. Diese Einschätzung kann ich mir nach der erfolgreichen Arbeit des Bundeskriminalamts in den zurückliegenden Jahren, gerade auch in jüngster Zeit, nun wahrlich nicht zu Eigen machen. ({9}) Nun zu der Frage: Wie beurteilen wir diese Befugnisse? Wir haben nichts anderes gemacht, als die Befugnisse, die das Bundeskriminalamt nach seinem Zuständigkeitskatalog in § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes bereits hat, ({10}) so zu gestalten, dass es die Möglichkeit hat, Daten unmittelbar zu erheben, und nicht den Umweg über die Länder gehen muss. Insofern kann ich auch überhaupt nicht verstehen, was der Richterbund - da muss ich einmal auf die Anhörung zurückkommen - an der Stelle auszusetzen hat. ({11}) Der Richterbund fragt, wieso das BKA sozusagen unkontrolliert auf Länderdaten zugreifen dürfe. Das darf es heute schon; es geht nur darum, dass es im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion unmittelbar Daten erheben kann. Nun muss ich Ihnen noch etwas sagen, weil einige das Wort „Initiativermittlungen“ als Schreckensbild vor sich hergetragen haben. Es scheint mir so zu sein, dass einige die geltende Rechtslage nicht kennen. Vielleicht wird nicht so oft in den Richtlinien für das Strafverfahren gelesen. Tun Sie das einmal. Nehmen Sie sich einen Kommentar zur Hand. Darin finden Sie die gemeinsamen Richtlinien der Justizminister und -senatoren sowie der Innenminister und -senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität. Dies sind allerdings Richtlinien, die für den Terrorismus nicht gelten, die aber auf der Basis des geltenden materiellen Strafrechts und Strafverfahrensrechts erarbeitet worden sind. Unter Ziffer 6 unter der Überschrift „Initiativermittlungen“ finden Sie folgende Definition: Die Aufklärung und wirksame Verfolgung der organisierten Kriminalität setzt daher voraus, dass Staatsanwaltschaft und Polizei von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Informationen gewinnen oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten: Initiativermittlungen. Liegt ein Sachverhalt vor, bei dem nach kriminalistischer Erfahrung die - wenn auch geringe - Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist, besteht ein Anfangsverdacht. Dieser löst die Strafverfolgungspflicht aus. Es ist nicht notwendig, dass sich der Verdacht gegen eine bestimmte Person richtet. Weiter heißt es: Bleibt nach Prüfung der vorliegenden Anhaltspunkte unklar, ob ein Anfangsverdacht besteht, und sind Ansätze für weitere Nachforschungen vorhanden, so können die Strafverfolgungsbehörden diesen nachgehen. In solchen Fällen besteht allerdings keine gesetzliche Verfolgungspflicht. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt steht unter Ziffer 6.4: Bei Initiativermittlungen - ein Wort also, das völlig gängig ist, hier aber in der öffentlichen Diskussion zu einem großen Tohuwabohu geführt hat liegen häufig die Elemente der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr in Gemengelage vor und gehen im Verlauf eines Verdichtungs- und Erkenntnisprozesses ineinander über. Wie wahr! Ich will Sie nur darauf hinweisen, damit Sie bemerken, dass manche Vorbehalte, die selbst in richterlichen Kreisen geäußert werden, ohne Grundlage sind. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, den auch der Kollege Beck, für dessen sachliche Rede ich ihm meine ausdrückliche Anerkennung aussprechen möchte, erwähnt hat. ({12}) - Das sage ich doch ganz offen. Dass wir mitunter eine Kontroverse haben, ist doch in Ordnung oder was haben Sie daran auszusetzen? ({13}) Warum soll denn nicht auch einmal in einer Koalition über eine Sachfrage geredet werden? Dazu möchte ich einmal den Streit zwischen Ihnen und der FDP in Erinnerung rufen. Darüber gibt es viel zu berichten. ({14}) Jetzt loben Sie Ihre Gesetzgebungsarbeit aus vergangenen Jahren, die Sie ohne die SPD-Fraktion gar nicht zustande gebracht hätten. Also seien Sie in diesen Fragen einmal ganz ruhig. ({15}) Ich möchte etwas zu den biometrischen Merkmalen sagen. Ich glaube, wir waren gut beraten, dies erst einmal nur in dem Bereich einzuführen, in dem es wirklich dringlich ist, nämlich bei der Visaerteilung, vor allem im Zusammenhang mit Problemstaaten, damit wir hier bessere Möglichkeiten haben, und uns in anderen Fragen ein bisschen mehr Zeit zu gönnen. ({16}) Dies passt ja eigentlich zu dem, was auch Sie immer sagen: Sie wollen mehr Zeit. Selbst die CDU/CSU hat heftig geklatscht, als Herr Stadler vorgetragen hat, es habe zeitliche Probleme gegeben. Ich möchte Sie nur auf Folgendes hinweisen, damit Sie den Erkenntnisprozess mit uns zusammen weiter nachvollziehen können: Heute werden schon in vielen Ländern biometrische Merkmale angewendet. In Frankreich - ich habe das auch erst neulich erfahren, vielleicht haben das andere schon früher gewusst; Herr Marschewski hat das selbstverständlich alles schon gewusst; ({17}) - aber fast alles - werden bei der Beantragung eines Personalausweises Fingerabdrücke genommen. Niemand hat gehört, dass dort die Menschenrechtsvereine und ähnliche aufgetreten sind und dies als Verletzung der Menschenwürde angesehen haben. In den USA - das habe ich Ihnen schon bei früherer Gelegenheit mitgeteilt - gibt es Fingerabdrücke auf der „resident alien card“. In Spanien werden diese bei den Antragstellungen für längerfristige Aufenthalte genommen. ({18}) - In Spanien. In den USA gibt es die „resident alien card“. Das ist ein Ausweis für diejenigen, die in den USA eine Arbeit aufnehmen wollen, lieber Herr Marschewski. Aber wir werden uns mit diesen Fragen umfassend zu beschäftigen haben, auch mit dem Hinweis, dass isolierte Regelungen relativ wenig bringen. Da hat Herr Beck vollkommen Recht. Deshalb bemühen wir uns ja, auch auf der europäischen und internationalen Ebene diese Dinge so zu gestalten, dass ein vernünftiges Konzept daraus wird. Wir werden uns damit beschäftigen müssen - und das werden wir tun -, wie die modernen Techniken aussehen, die ja nicht mehr mit Tusche arbeiten. Heute geht es um Scannen oder Digitalisieren. Die Kosten sind übrigens gar nicht so hoch, Herr Beck. Sie sollten mit den übertriebenen Volumina, die Sie hier vorgetragen haben, vorsichtig sein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt Sonderangebote in petto? - Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das musste einmal kritisiert werden! Das ist äußerst unseriös! Seien Sie mal ganz zurückhaltend bei diesen Fragen. Man muss Fragen nach der technischen Gewinnung, der Übermittlung und der Speicherung der Fingerabdrücke stellen. Alles das macht natürlich nur Sinn, wenn Sie auch einen Abgleichungsmodus finden, der die optimale Nutzung solcher Techniken ermöglicht. Jedenfalls müssen wir nicht nur erreichen, dass Fälschungen erkennbar sind, sondern wir müssen auch verhindern, dass echte Dokumente zur Tarnung benutzt werden, um mit ihnen schlimmen Dingen nachzugehen. ({19}) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir auch im internationalen Rahmen mit unseren Maßnahmen sehr gut aufgestellt sind. Heute war der Attorney General John Ashcroft bei mir zu Gast. Ich glaube, dass wir gerade im Blick auf die UNO-Sicherheitsresolution damit zufrieden sein können, wie weit wir bei unseren Maßnahmen gekommen sind, übrigens nicht nur bei gesetzlichen Maßnahmen, sondern auch bei der Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden mit Personal- und Sachmitteln. Herr Marschewski, Sie haben gesagt, wir hätten Personal zurückgeführt. Das ist falsch. Wir haben, obwohl wir von Ihnen eine gewaltige Schuldenlast geerbt haben, die Ausgaben im Sicherheitsbereich kontinuierlich erhöht und sie jetzt noch einmal mit 500 Millionen besonders aufgestockt. ({20}) Das haben Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit nicht geschafft. ({21}) Wir werden der Überprüfung, die der Ausschuss der UNO vornehmen wird, also in Ruhe entgegensehen können. Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen: Wir sollten bei Gegensatzbildungen mit befreundeten Staaten vorsichtig sein. Mein Freund, der britische Innenminister David Blankett, ist ein Mann des Rechtsstaates ({22}) und niemand sollte auf den Gedanken kommen, ihn in irgendeinen Verdacht zu bringen, das sei anders. ({23}) Ich glaube, die Frage, die Herr Marschewski aufgeworfen hat, ist der Prüfung wert. ({24}) - Wenn Sie das wollen, müssen Sie einen Antrag vorlegen, dass Sie sich von der Menschenrechtskonvention verabschieden und sie in den Papierkorb werfen wollen. ({25}) Ich bin gespannt, welche Anträge Sie vorlegen werden. ({26}) Ich stehe zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ({27}) aber wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen, was mit Personen geschieht, die unter Terrorismusverdacht stehen, die bei uns leben, nicht der hiesigen Gerichtsbarkeit unterliegen und international zur Fahndung ausgeschrieben sind. Wie ist es in solchen Fällen mit den entsprechenden Auslieferungsbestimmungen? Wo können diese Personen vor Gericht gestellt werden? Die beste Lösung in solchen Fällen ist in der Tat ein internationaler Strafgerichtshof. ({28}) Aber auch dann werden wir der Frage nicht ausweichen können: Wo werden sie vorläufig untergebracht und wo werden sie nach einer Verurteilung endgültig untergebracht? ({29}) Der Frage können wir gerechterweise und ehrlicherweise nicht ausweichen. Ich denke, darüber werden wir noch zu diskutieren haben. Ich möchte meinen Dank wiederholen. Der Dank gilt auch denen, die heute nicht zustimmen, weil ich weiß - ich bin ja selber ein engagierter Parlamentarier -, wie schwer es ist, innerhalb kurzer Fristen solche Gesetzestexte angemessen zu prüfen. Ich bedanke mich bei allen, die das auf sich genommen haben. Ich hoffe, dass wir auch in der kommenden Woche mit einem epochalen Gesetzeswerk - wie Sie es gesagt haben - zu einem guten Ende kommen. Vielen Dank. ({30})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Jürgen Koppelin das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesinnenminister, Sie haben in Ihrer Rede Äußerungen zu meinem Kollegen Max Stadler getan, die ich so nicht stehen lassen möchte. Ich denke, Sie sollten sie zurücknehmen. Sie haben den Kollegen Max Stadler als Bauchredner - ich wiederhole das, was Sie gesagt haben - des stellvertretenden FDPBundesvorsitzenden Jürgen Möllemann bezeichnet. Herr Bundesinnenminister, nehmen Sie einfach zur Kenntnis: Die FDP-Bundestagsfraktion hat bei ihrer Sitzung am Dienstag auch diese Sitzung heute vorbereitet. Wir haben eine intensive Diskussion geführt, allerdings nicht im Beisein von Herrn Möllemann, wenn Ihnen das etwas hilft. Der Kollege Stadler hat sich an unserer Diskussion federführend beteiligt. Auch Sie kennen sicherlich die sehr sachbezogene Art des Kollegen Stadler. Sie haben es ja auch angedeutet. Ich denke, Sie sollten solche Herabsetzungen nicht vornehmen. Wenn es Sie stört, dass der Kollege Möllemann, der Kollege Stadler und die FDP-Bundestagsfraktion in dieser Sache einer Meinung sind - das mag Sie ja stören -, dann tut es uns Leid. Wir sind aber in diesem Punkt nun einmal einer Meinung. Der Kollege Stadler - ich will das noch einmal ausführlich sagen - hat das vorgetragen, was wir in der FDP-Bundestagsfraktion beraten und entschieden haben. Sie sollten diese Herabsetzung lassen. Ich vermute, dass Sie es nicht so gemeint haben. So kennen wir Sie ja auch. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Bundesminister Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Lieber Kollege Koppelin, ich kenne Herrn Stadler als einen wirklich vorzüglichen und sachlichen Kollegen. ({0}) Es war nun wirklich nicht als Herabsetzung gemeint, es war der Versuch eines Scherzes. Er scheint bei Ihnen nicht als Scherz angekommen zu sein. Belassen wir es also bei dem Scherz. Wenn Sie es als Herabsetzung empfunden haben, nehme ich das gerne zurück. Sie wissen, dass ich Herrn Stadler besonders schätze; das gilt auch über alle politischen Gegensätze hinweg. Der Scherz wird also zurückgenommen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in unserer Debatte ist der Kollege Wolfgang Zeitlmann für die CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schily, Sie dürfen mich in Zukunft jederzeit Bauchredner irgendeines CSU-Innenpolitikers nennen. ({0}) Ich habe damit kein Problem. Das Problem liegt wohl mehr in der Person begründet, von der er, wie Sie sagten, der Bauchredner sein sollte. Zur Terrorismusbekämpfung sage ich vorab: Wir hatten seit dem 11. September drei Monate Zeit gehabt, aber erst am 15. November war die erste Lesung dieses Gesetzes. Das heißt auf gut Deutsch: Zwei Monate hat die Regierung gebrütet, dann hat sie es hier eingebracht, den verbliebenen Monat hat die Koalition über den Vorschlag der Exekutive gebrütet und dann sollte der Innenausschuss das im Grunde innerhalb eines Tages abnicken. Da hatte Heribert Prantl, wohl das erste Mal, Recht, als er sagte: Der Gesetzgeber verkommt zum Paketträger. Dieses Vorgehen ist nicht nur zutiefst unparlamentarisch, sondern ich halte es auch für eine Unverschämtheit und für eine Missachtung der Parlamentarier, dass man ihnen zumutet, ein wichtiges Gesetz innerhalb nur einer Sitzung eines Fachausschusses durchzupauken. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will einmal mit dem anfangen, was jeder von Ihnen heute früh oder heute Nacht wahrscheinlich schon mitbekommen hat, nämlich diesen schrecklichen Videofilm, in dem sich der Verbrecher Bin Laden damit brüstet, dass er mit einem solchen „Erfolg“ nicht gerechnet hat. Im Zusammenhang mit diesem Video wird berichtet, dass es Anhaltspunkte gebe, dass wohl mit weiteren Aggressionen gerechnet werden muss. Man kann eigentlich nur beten, dass uns, der freien und zivilisierten Welt, ein weiterer Schlag erspart bleibt. Aber ich fürchte, dass die Brutalität dieser Truppe uns hier noch des Öfteren zusammenführen wird. In diesem Lichte ist zu besorgen, dass manche der Bedenken, die heute hier anklangen und besagten, dass unser Staat in eine Schieflage gerate, dass die Organe der Sicherheit zu viele Kompetenzen bekämen und dass die Freiheit in Gefahr sei, ganz schnell verflogen sein werden. Ich habe manchmal das Gefühl, dass einige Mitglieder dieses Hauses weit in der Vergangenheit leben. Im Hinblick auf diejenigen, die noch bis vor zwölf Jahren in einer Diktatur lebten, habe ich Verständnis. Aber für uns im westlichen Teil unseres Landes ist es kaum vorstellbar, dass nach 50 Jahren die Bürgerrechte und Freiheitsrechte tangiert sein könnten. Die Dimension dessen, worum es geht, ist noch nicht von allen verstanden worden. Es geht um Terrorismusbekämpfung. Herr Minister Schily, Sie haben sich eben in Ihren Äußerungen selbst einen Bärendienst erwiesen, als Sie vorgelesen haben, dass die Regeln der Innenminister- und Justizministerkonferenz zur organisierten Kriminalität beim Terrorismus keine Anwendung fänden. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es wird eine Unterscheidung zwischen dem, was wir gegen organisierte Kriminalität einsetzen - ({2}) - Ich kritisiere das ja nicht; ich gebe nur Denkanstöße. Man darf in der praktischen Konsequenz nicht zwischen beiden Gefahren unterscheiden. Meine Damen und Herren, wir müssen einmal mit einer Sprachverwirrung aufräumen, der wir vielleicht alle ein bisschen unterliegen, der Vorstellung nämlich, Terrorismus sei eine abgeschwächte Form der Kriminalität. Zu dieser Vorstellung trägt sicherlich bei, dass weltweit immer wieder zu beobachten ist, dass Terroristen von gestern Staatspräsidenten von heute werden, und dass es auch schon Terroristen gegeben hat, die den Friedensnobelpreis bekommen haben; ich deute das nur an, ohne Namen zu nennen. Sie merken, worauf ich hinaus will: Was ist ein Terrorist? Nach meiner Definition ist ein Terrorist ein politisch motivierter Verbrecher, ({3}) ein Gewalttäter und Krimineller, sonst gar nichts. ({4}) Dies bedeutet, dass ich unsere Sicherheitsorgane mit allen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln ausstatten muss, ob das nun das Instrument des Generalverdachtes oder die Aufnahme des Fingerabdrucks in den Pass ist. Ich kann nicht verstehen, dass sich manche von solchen Lappalien beschwert fühlen. Sie werden Otto Normalverbraucher nicht erklären können, dass diese Republik in Gefahr sei, man aber mit solchen Instrumenten vorsichtig sein müsse. Dem kleinen Mann auf der Straße ist es völlig wurscht, ob in seinem Pass, in dem ohnehin ein Foto von ihm ist, auch die Abdrücke von zehn Fingern enthalten sind. Vom elften Finger will ich gar nicht reden. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Zeitlmann, bevor Sie zum zwölften Finger kommen, frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto Schily zulassen.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. - Herr Minister Schily, ich sage Ihnen auch, warum ich die Zwischenfrage nicht zulasse: Wer mir als Oppositionspolitiker in der Ausschussberatung kaum Raum gibt, kann nicht die Plenardebatte zum Dialog mit mir nutzen wollen. Machen Sie beim nächsten Mal eine gescheite Innenausschusssitzung, kommen Sie frühzeitig und kommen Sie auch zur Anhörung, dann können wir intensiv darüber sprechen. ({0}) Meine Damen und Herren, Terrorismusbekämpfung darf nicht anders als Kriminalitätsbekämpfung gesehen werden. Wir müssen unseren Sicherheitsorganen deutlich machen, dass wir voll hinter ihnen stehen. Es gibt keinen Grund zu Misstrauen, es besteht nicht die Gefahr, dass unsere Dienste uns in eine undemokratische Ecke manövrierten. Einen Punkt halte ich für sehr bedenklich: In Ihrem Gesetz können Sie sehr wohl die biometrischen Merkmale vorschreiben. Nach jetziger Rechtslage planen Sie aber eine Änderung des Passgesetzes, nach der in die Pässe von Deutschen - das halte ich für richtig - weitere Merkmale aufgenommen werden sollen, haben aber nichts vorgesehen, um die 7 Millionen Ausländer passrechtlich gleich zu behandeln. Ich warne davor. Sie haben nur eine Regelung im Ausländerrecht, dass für zukünftige Fälle der Neuerteilung einer Aufenthaltsgenehmigung solche biometrischen Merkmale erfasst werden können. Meine Damen und Herren, es fällt mir noch eine Besonderheit auf - damit komme ich zum Ende -, nämlich die, dass Sie bei der Einreise den kleinen Visa-Beamten in Kiew, im Jemen oder wo auch immer auf der Welt mit unserer Rechtsproblematik belasten. Sie sagen nicht einfach, dass die Einreise nach Deutschland bei dem geringsten Anfangsverdacht verweigert wird. Bei der Dimension der Gefahr wäre es doch normal, zu sagen, dass uns der kleinste Anfangsverdacht daran hindert, jemanden, der möglicherweise ein Terrorist ist, ins Land zu lassen. ({1}) - Ich sage ganz deutlich, dass ich die Grenze zu einem Anfangsverdacht verschieben will. Sie können dem kleinen Beamten nicht zumuten, die feine Unterscheidung zwischen dem Belegen von Tatsachen und dem Beweisen von Tatsachen zu treffen. Diese saubere Grenzziehung schafft er nicht. Er muss außerdem mit einem anschließenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht rechnen. Es ist übrigens eine deutsche Besonderheit, dass man sich ein Visum erstreiten kann. Ich höre, dass es das in anderen freiheitlichen Ländern kaum gibt. Angesichts Ihrer Vorstellung, dass es dem kleiWolfgang Zeitlmann nen Beamten möglich sein soll, zu sagen: „Ich sehe zwar den Anfangsverdacht, aber der reicht nicht für das Belegen von Tatsachen aus und deswegen darf die Person einreisen“, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Es wäre auch noch einiges dazu zu sagen, dass Sie, Herr Beck, den Ländern Auflagen machen wollen, wie sie zu kontrollieren haben. Das ist ein eigenartiges Demokratieverständnis. Ich möchte Sie einmal hören, wenn uns Europa mit einem Gesetz vorschreiben würde, wie die Kontrollen zu regeln sind und wer was anordnen darf. Sie werden doch zu den eigenen Genossen so viel Vertrauen haben, dass sie es vor Ort regeln können. Ich möchte den Ländern keine Vorschriften machen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Es handelt sich um die Drucksachen 14/7386 ({0}), 14/7727 und 14/7830. Ich verweise darauf, dass es nach § 31 der Ge- schäftsordnung zwei schriftliche Erklärungen zur Abstim- mung gibt, nämlich von der Kollegin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger1) und von dem Kollegen Dr. Norbert Lammert.2) Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7861 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSUFraktion abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der vorhin von dem Berichterstatter vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der PDS-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von FDP-Fraktion und PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/7860. Wer stimmt für den Antrag der FDP? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt. Ich rufe jetzt die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Sicherheit 21 - Was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist“, Drucksache 14/7830 auf. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/7065 ({1}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7792 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund, Norbert Hauser ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes - Drucksache 14/7441 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für. Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes - Drucksache 14/7778 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Wilhelm Schmidt. - Herr Kollege, bitte warten Sie, bis diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die uns unbedingt verlassen wollen, gegangen sind.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und 1) Anlage 2 2) Anlage 3 Kollegen! Ich hoffe natürlich nicht, dass der Saal trotz der späten Zeit, zu der wir uns am Freitag Nachmittag mit diesem Thema beschäftigen, gleich leer ist; denn es geht um die Finanzierung der Parteien in Deutschland, ein Thema, das uns alle angeht. Dies ist die Basis dafür, dass wir in der Demokratie, in diesem System weiterhin stabile Grundlagen haben, die wir brauchen, um unsere demokratische Arbeit, die verfassungsmäßig abgesichert ist, wahrzunehmen. Die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“ lautete vor wenigen Tagen, nachdem meine Fraktion ihren Gesetzentwurf vorgestellt hatte: „Bei falscher Partei-Bilanz droht Haft“. Genau das will ich hier als einen Eckwert bekräftigen, den wir in der Debatte durchzusetzen versuchen. Unser Gesetzentwurf ist, neben all den Dingen, die ohnehin zu regeln sind und die von allen ins Auge gefasst sind, darüber hinaus durch zwei besonderen Punkte gekennzeichnet, nämlich dass wir die Konsequenzen aus dem Parteispendenskandal der CDU zu ziehen versuchen und dass der Bundestagspräsident eine unabhängige Kommission eingesetzt hat, die uns für die Beratung dieses neuen Parteiengesetzes eine ganze Menge an Materialien zur Verfügung gestellt hat. Ich danke dieser Kommission an dieser Stelle ausdrücklich dafür, dass sie sich dieser umfangreichen Arbeit unterzogen hat. Dadurch, dass wir uns mit unserem Gesetzentwurf weitestgehend an den Vorlagen und Vorschlägen der Kommission orientieren, wird die Wertschätzung für das Ergebnis der Arbeit dieser Kommission zum Ausdruck gebracht. Herzlichen Dank dafür! Dass wir in dieser Zeit auch darum ringen, die Konsequenzen aus dem Parteispendenskandal zu ziehen, den die CDU in dieser Zeit nicht bereit ist aufzudecken, kennzeichnet, so glaube ich, das Bemühen darum, die Belastungen für das Parteiensystem und damit auch die Belastungen für die Demokratie in diesem Lande möglichst abzubauen, und zwar möglichst einvernehmlich. Ich komme auf einige wenige Eckwerte zu sprechen, die wir im Gesetz durchzusetzen versuchen und dann auf den anschließend vorzustellenden Gesetzentwurf der CDU/CSU hier im Hause. Es gibt zwischen diesen beiden Entwürfen nämlich gravierende Unterschiede. Zu den Eckwerten. Wir, die Koalition, führen in unserem Gesetzentwurf einen neuen Straftatbestand für vorsätzlich falsche Rechnungslegung ein. ({0}) Das halte ich für besonders gravierend. Wenn dieser zu den Zeiten, als die CDU und die CSU, die CDU insbesondere, durch Herrn Kohl, Herrn Kanther, Herrn Koch und viele andere ihre Umwegfinanzierung und ihre Verschleierung von Parteifinanzierung vorgenommen haben, gegolten hätte, dann würden sich diese Herren wahrscheinlich nicht erfolgreich um die Erkenntnisfindung und die Aufklärung ihrer Machenschaften drücken können. Sie wären dann nach dem Strafgesetzbuch und nach diesem Gesetz strafbar. ({1}) Wir lassen es nicht zu, dass das so weiter läuft, wie man es auch gestern wieder im Untersuchungsausschuss sehen konnte, wo sich gerade diese Leute, Kohl und Co., erneut gedrückt haben, zur Aufklärung dieses Parteispendenskandals beizutragen. Wir missbilligen dies ausdrücklich. ({2}) Ich sage es von dieser Stelle: Kohl hat in diesem Parlament nichts mehr zu suchen. ({3}) - Sie werden mich nicht davon abbringen, dass ich das was ich von der Sache politisch halte, hier deutlich sage. Die Entscheidung, ob es mich einen Dreck angeht, müssen Sie mir schon selbst überlassen. Ihre Reaktion kennzeichnet aber wieder Ihre persönliche Einstellung zu diesem Skandal, den Sie an dieser Stelle nach wie vor, übrigens auch durch Ihren Entwurf, zu vertuschen und zu verschleiern versuchen. Die Form, wie Sie das vorbringen, ist auch wieder typisch für Sie. Das lassen wir nicht durchgehen. ({4}) Wir werden mit der Offenlegung mehr Transparenz in die Parteienfinanzierung hineinbringen. Das war immer unser erklärter Wille. Als die Mehrheit von CDU/CSU das Gesetz 1994 zum letzten Mal geändert hat, ist das nicht in dem Maße, wie es heute notwendig ist, geschehen. Darum werden wir dies zugunsten von mehr Transparenz ändern. Wir werden auch die Anforderungen an die Wirtschaftsprüfer erhöhen, im Andenken an das, was Herr Weyrauch Ihnen angetan hat, vielleicht auch mit Ihrem Wissen; aber das will ich hier nicht behaupten. Von daher glaube ich schon, dass das, was wir vorlegen, eine wichtige Grundlage für mehr Transparenz sein wird. Sie hingegen werden mit Ihrem Gesetzentwurf den Ansprüchen, die die unabhängige Kommission an uns alle gerichtet hat, nicht gerecht. Sie wollen den Unwertgehalt Ihrer Arbeit und Ihrer Vorgehensweise wieder verniedlichen und vertuschen. Sie wollen den Bundestagspräsidenten als Mittel verwaltende und beaufsichtigende Behörde diskriminieren und diffamieren. ({5}) Auch dies lassen wir nicht zu. ({6}) Ich sage für die Koalition und die SPD in diesem Hause sehr nachdrücklich, dass es an Enteignung grenzt, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf zum Beispiel hinsichtlich der Bewertung und Behandlung von parteieigenem Vermögen vorhaben. Sie werden, weil Sie nicht mit Geld umgehen können, übrigens auch nicht in der Lage sein, uns aufzuWilhelm Schmidt ({7}) zeigen, dass wir in irgendeiner Form staatlich unrechtlich gehandelt haben. Im Gegenteil, wir haben unser Parteivermögen, unsere Beteiligungen immer offen gelegt, im Rahmen der Gesetze allemal, ({8}) und wir werden das in Zukunft noch transparenter machen als bisher. Dieser Wert wird ein ganz besonders wichtiger sein. Sie werden nicht in der Lage sein, davon abzulenken, was Sie mit Ihrem Parteispendenskandal am Hacken haben. Die SPD wird das, was sie, auch durch die Bemühungen und die aktive Arbeit in der Arbeiterbewegung zwischen den beiden Weltkriegen, zusammengebracht hat, nicht noch einmal weggeben. Wir werden darauf achten, dass dieses Vermögen, diese Beteiligungen in unserer Hand bleiben. Alle sollen wissen, was wir von dem Ganzen halten. Wir sind selbstbewusst genug, wir können damit umgehen und die Öffentlichkeit soll das auch so werten. Vielen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Norbert Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in diesem Hause, wenn in unserem Land über die Parteienfinanzierung gesprochen wird, erwarten die Bürger nur eines, nämlich Konsequenzen. ({0}) Sie erwarten, dass etwas geschieht. ({1}) Sie erwarten Konsequenzen aus den Verstößen, die vorgekommen sind, auch bei der CDU. ({2}) - Auch Sie haben gegen das Parteiengesetz verstoßen. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Bürger sind nicht damit zufrieden, dass es zu der parteipolitischen Instrumentalisierung dieser Verstöße durch die SPD, durch den politischen Gegner, kommt. ({3}) Ihr Interesse ist doch, politisches Kapital aus dieser Geschichte zu schlagen, nicht, die Situation zu verbessern. ({4}) - Ich schlage vor, dass wir uns darüber unterhalten, dass wir uns austauschen, dass wir miteinander argumentieren. Schreien können Sie vielleicht auf Ihren eigenen Versammlungen. ({5}) Hier ist der Ort der Diskussion. Sie sollten sie pflegen, auch wenn Sie sich bei diesem Thema scheuen. ({6}) Es gilt auch, Konsequenzen aus einem schlechten Parteiengesetz zu ziehen, das wir haben. Das geltende Parteiengesetz hat sich nicht bewährt. Es ist widersprüchlich, unklar, ungenau, lückenhaft; ({7}) es setzt das Transparenzgebot des Grundgesetzes nicht um. Das ist das einhellige Urteil aller Experten. Es ist im Wesentlichen, bis auf die Korrekturen, die das Bundesverfassungsgericht immer wieder vorgenommen hat, ein Recht der Parteischatzmeister. Sie wollen weitgehend, dass das so bleibt. Wir sagen: Damit muss Schluss sein. ({8}) Das einhellige Urteil aller Experten ist also, dass es ein schlechtes Gesetz ist, ein Gesetz, das dem Grundgesetz nicht gerecht wird. Aber was verkünden Sie in Ihrem Eckpunktepapier? - Sie sagen, dieses Gesetz habe sich bewährt. Sie können gar nicht so blind sein, dass Sie die Widersprüchlichkeiten, die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes nicht wahrnehmen. ({9}) Sie behaupten dennoch, dass sich dieses Gesetz bewährt habe. Dies ist eine politische Erklärung der SPD und leider auch - der Grünen. Sie sind von einer symbolischen Ausnahme abgesehen und im Unterschied zu dem, was alle anderen fordern, nicht bereit, ernsthafte strukturelle Konsequenzen zu ziehen. Der Unterschied zwischen der CDU/CSU auf der einen und der SPD und den Grünen auf der anderen Seite ist: Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der umfassende Konsequenzen zieht. Sie tun das nicht. ({10}) Ich will Ihnen zusammenfassend sagen, was hinsichtlich einer Reform des Parteiengesetzes geschehen muss: erstens, eine umfassende Rechnungslegung nach einem definierten handelsrechtlichen Standard; zweitens, ein lückenloses Sanktionensystem; ({11}) Wilhelm Schmidt ({12}) drittens, eine Begrenzung der Parteien auf ihre eigentliche Aufgabe, die Mitwirkung an der politischen Willensbildung. ({13}) Das ist nach dem Grundgesetz Auftrag und Aufgabe der Parteien. Ihre Aufgabe ist es nicht, sich als Unternehmer zu betätigen. Sie sollten keine Pressekonzerne unterhalten bzw. Unternehmensbeteiligungen besitzen. ({14}) - Seien Sie ganz ruhig. Ich will Ihnen nun nachweisen, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf keine einzige dieser gebotenen elementaren Konsequenzen ziehen. ({15}) Wir ziehen diese Konsequenzen. Sie ziehen sie nicht. Sie täuschen die Öffentlichkeit in dieser Hinsicht. ({16}) Die Rechnungslegung ist das wichtigste Instrument der Transparenz. ({17}) Alle Sanktionen wirken nicht, wenn Sie im Gesetz keine Offenlegungspflichten formulieren. ({18}) Das geltende Recht hat, für Laien nicht erkennbar, durch seine Widersprüchlichkeiten und seine Ungenauigkeiten wie ein Transparenzpanzer gewirkt. ({19}) Genau an dieser Panzerwirkung der Rechnungslegungsvorschriften, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie nach Meinung der Bürger bewirken sollten, würde sich nach dem Koalitionsentwurf nichts ändern. Das ist auch das Urteil der Experten. ({20}) Die Begriffe, die Sie nebeneinander verwenden, nämlich Einnahmen- und Ausgabenrechnung, Vermögensbilanz, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung sowie der Generalverweis auf das HGB - nichts wird spezifiziert -, widersprechen sich elementar. ({21}) Das ist kein handhabbares Recht. Wir werden im Innenausschuss - ich kündige das schon einmal an - eine Sachverständigenanhörung zu diesem Thema beantragen. Erfreulicherweise hat sich die Wirtschaftsprüferkammer dieses Themas angenommen. Sie werden an dieser Stelle enttarnt und entlarvt werden. ({22}) Denn es ist die alte Methode: ein Mischmasch an Rechnungslegungsvorschriften, der nicht praktikabel, nicht kontrollierbar und auch nicht sanktionierbar ist. ({23}) Weiterhin müssen keine Zeitwerte angegeben werden. Das Vermögen muss nicht offen gelegt werden. Im Wesentlichen sollen Nominalwerte angegeben werden. Die Buchwerte betragen allein bei ihrer Presseholding mitsamt ihren Töchtern rund 120 Millionen DM. ({24}) Frau Wettig-Danielmeier, Ihre Schatzmeisterin, die sich sehr aktiv um dieses Gesetzgebungsvorhaben bemüht, hat im Untersuchungsausschuss angeben müssen, ({25}) dass die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse bei rund 0,75 Milliarden DM liegen. Das ist ein Vielfaches von dem, was Sie gegenüber den Bürgern in Bezug auf Ihr wahres wirtschaftliches Vermögen angeben wollen. Sie sind nicht bereit, den Bürgern mit offenem Visier entgegenzutreten. ({26}) Ich muss es leider hier so deutlich sagen: Ihrem Gesetzentwurf liegt ein ganz bestimmtes Strickmuster zugrunde. Unter dem Deckmantel der Diffamierung des politischen Gegners verfolgen Sie Ihre wirtschaftlichen Interessen schamlos weiter. ({27}) Sie wollen weiterhin Ihre Schäfchen ins Trockene bringen. ({28}) Auch in Ihrem Gesetzentwurf besteht ein Sanktionendefizit. Auffälligerweise besteht für Falschangaben in der Vermögensbilanz und dem Erläuterungsteil - das betrifft Ihre Unternehmensbeteiligungen - keine Sanktionspflicht. An dieser Stelle hat Ihr Sanktionensystem auffälDr. Norbert Röttgen ligerweise eine Lücke. Wir haben ein lückenloses Sanktionensystem vorgeschlagen. ({29}) - Ich kann die Tatsache, dass Sie überrascht darüber sind, dass wir Ihren Gesetzentwurf genau studiert haben, nur so interpretieren, dass Sie Ihren Gesetzentwurf nicht kennen. ({30}) Sie schlagen vor - abstrus -: Der Bundespräsident soll in Zukunft nicht mehr jährlich über die Vermögenslage der Parteien berichten, sondern umfassend nur noch alle zwei Jahre. ({31}) Ist Ihr Eindruck, dass die Bürger beklagen, sie hätten zu viel Informationen über Parteifinanzen? Wir bestehen auf dem jährlichen Bericht. Sie wollen weniger Informationen schaffen. ({32}) Ein weiterer abstruser Vorschlag der SPD - das hat die Öffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis genommen - ist die Neuregelung, dass in Zukunft auch ausländische Unternehmen in Deutschland spenden dürfen ({33}) - dass Unternehmen des europäischen Auslandes auch in Deutschland an Parteien spenden dürfen. Ich frage dieses Haus in allem Ernst: Wollen wir wirklich, dass Unternehmen des europäischen Auslandes sich in Deutschland Parteien halten, unterhalten, finanzieren können? Wollen wir das im Ernst? ({34}) Wir sind mit dem Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass Spenden etwas mit staatsbürgerlichem Engagement zu tun hat. ({35}) Das werden wir an dieser Stelle nicht mitmachen. Ich warne Sie vor diesem Weg! Das hat etwas mit dem staatsbürgerlichen Engagement eines Bürgers, eines deutschen Unternehmens zu tun. Aber dass nun ausländische Unternehmen - auch wenn es solche des europäischen Auslands sind - hier durch unbegrenzte finanzielle Spenden Einfluss auf die innenpolitische Auseinandersetzung nehmen dürfen, das darf doch nicht wahr sein! ({36}) Das Thema bringt mich zu einem weiteren wichtigen Thema ({37}) und zu einer Problematik: die wirtschaftliche Beteiligung der Parteien an Unternehmen und insbesondere an Presseunternehmen. Meine Damen und Herren, ich muss zunächst den Versuch der SPD zurückweisen, dieses Thema zu tabuisieren. Darüber wollen Sie ja nicht reden. ({38}) Nur weil die SPD eine milliardenschwere Unternehmerpartei ist, besteht kein Grund für alle anderen, darüber nicht zu reden. Das müssen Sie sich leider schon gefallen lassen. ({39}) Bei der wirtschaftlichen Betätigung von Parteien ist eine Grundsatzfrage unserer Parteiendemokratie aufgeworfen. ({40}) Es geht um die Fragen von Macht, der Grenzen von Macht der Parteien, um Gewaltenteilung, Chancengleichheit ({41}) und Kontrollierbarkeit von Parteien durch die Presse. ({42}) Was bedeutet es eigentlich, wenn die zurzeit größte Regierungspartei des Landes gleichzeitig eine milliardenschwere Unternehmerpartei ist, gleichzeitig einen der größten Pressekonzerne des Landes darstellt? ({43}) - Ja, so ist es! Was heißt es eigentlich, wenn, wie im Fall der SPD, ({44}) staatliche Macht, politische Macht, wirtschaftliche Macht und publizistische Macht in einer Hand vereinigt sind? ({45}) Wollen die Bürger das? Wollen die Bürger Parteien, ({46}) die überall in der Gesellschaft krakenartig in Staat und Gesellschaft ihre Macht ausbreiten? Ich glaube, dass wir das nicht wollen können. Und wenn Sie es schon machen, meine Damen und Herren, dann fordern wir von Ihnen: Kämpfen Sie wenigstens mit offenem Visier! ({47}) Sagen Sie den Lesern Ihrer Tageszeitungen, woran Sie beteiligt sind. Sagen Sie es den Lesern des „Nordbayerischen Kuriers“, der „Neuen Presse Coburg“, der „Frankenpost“, der „Lausitzer Rundschau“, ({48}) des „Göttinger Tageblatts“, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, der „Neuen Presse“, der „Neuen Westfälischen“, der „Westfälischen Rundschau“, der „NRZ“, des „Trierischen Volksfreundes“, des „Pfälzischen Merkur“, ({49}) der „Saarbrücker Zeitung“, der „Sächsischen Zeitung“, der „Dresdener Morgenpost“, der „Morgenpost am Sonntag“, der „Leipziger Volkszeitung“, der „Südthüringer Zeitung“, des „Freien Wortes Suhl“. Meine Damen und Herren, das waren die Beteiligungen der SPD an Medien-, an Presseunternehmen. ({50}) - Das ist die Information der „Welt“ vom 9. März 2000. Das gebe ich zu. ({51}) Korrigieren Sie es: Es ist eine Tagesauflage von 2,5 Millionen Exemplaren. Es kann sein, dass sich die eine oder andere Zeitung ausgetauscht hat. ({52}) Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, dass Sie einer der größten Pressekonzerne des Landes sind, und das kann so nicht akzeptiert werden. ({53}) Es ist doch auch kein Zufall, dass Sie diese Aktivitäten durch ein fein gesponnenes System von Treuhandgesellschaften gegenüber der Öffentlichkeit abschotten. ({54}) Sie unterhalten ein System organisierter Tarnung und Abschottung gegenüber den Bürgern und Sie wollen dieses System fortsetzen. ({55}) Das ist die Wahrheit der Interessen, die Sie mit diesem Gesetz verfolgen. ({56})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Röttgen, die Wahrheit ist, dass Ihre Redezeit jetzt abgelaufen ist.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. - Einer der Fortschritte ist allerdings - dies ist ein Novum in der Geschichte der Parteiengesetzgebung -, dass nicht der Konsens am Anfang stand. ({0}) - Ich begrüße, dass wir nicht von Anfang an im Konsens sind. Das ist nämlich auch sonst bei der Gesetzgebung nicht der Fall. Wir wollen Wettbewerb. ({1}) Parteiengesetzgebung ist Gesetzgebung in eigener Sache. Darum fängt die Transparenz beim Verfahren an: Die Beratung darf nicht in den Hinterzimmern der Parteischatzmeister erfolgen. Wir stehen alle in der Verantwortung, Vertrauen zurückzugewinnen - Sie genauso wie wir. ({2}) Wir haben dazu einen glaubwürdigen, umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt. ({3}) Dass wir darüber streiten, ist gut, ist ein Fortschritt. ({4}) Sie aber werden die Täuschung und die Tarnung, die Sie mit Ihrem Entwurf betreiben, nicht durchhalten können. Wir werden Sie entlarven; darauf können Sie Gift nehmen. Danke sehr. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Röttgen, Sie machen Ihr Gesetz, das unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl erlassen worden ist, schlecht. ({0}) Schlecht aber ist nicht dieses Gesetz, sondern schlecht sind die, die sich nicht daran halten, die das Gesetz vorsätzlich brechen. ({1}) Weil in der Öffentlichkeit nun klar ist, dass es in der CDU einige gibt, die sich an geltende Gesetze bis heute nicht halten, und weil Konsequenzen aus dem Parteispendenskandal der CDU zu ziehen sind, müssen wir ganz schnell unseren ersten Entwurf zur Änderung des Parteiengesetzes vorlegen. ({2}) Wir wollen nicht länger hinnehmen, Herr Kollege Röttgen, dass der Altbundeskanzler durch die Lande zieht, vor Untersuchungsausschüsse tritt und das Gesetz in fortgesetzter Handlung immer weiter bricht. ({3}) Das wollen wir der Bevölkerung nicht zumuten. ({4}) Deshalb wollen wir in diesem neuen Gesetz die Bestimmung aufnehmen, dass sich jemand, der das Gesetz vorsätzlich bricht und dies auch zugesteht, in Zukunft nicht mehr mit Millionenbeträgen, die er möglicherweise wieder von anonymen Spendern eintreiben könnte, freikaufen kann, sondern dann vor dem Strafrichter verantworten muss. ({5}) Denn niemand in diesem Lande versteht, dass jemand, der eine falsche Steuererklärung abgibt, sich strafbar machen kann, während jemand, der das Parteiengesetz, welches er im Deutschen Bundestag selber mit durchgesetzt hat, vorsätzlich bricht, so davonkommen kann, wie das bei Herrn Dr. Kohl der Fall ist. ({6}) Im Übrigen wollen Sie ja bis heute keine Strafbestimmung. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit eröffnen, sich bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Parteiengesetz freizukaufen, nämlich indem die Gelder dann an den Bundestagspräsidenten abgeführt werden. Diese Philosophie, die Sie beibehalten wollen, haben wir nicht. Wir wollen etwas Neues, etwas Besseres. ({7}) Nun zu einem Punkt, von dem wir überhaupt nicht betroffen sind: Es ist richtig, dass das Grundgesetz vorschreibt - dieses Parteiengesetz bisher leider nicht -, dass Rechenschaft auch über Vermögen und über Einkommen aus Vermögen abgelegt werden muss. Die Bürgerin, der Bürger muss wissen können: Welche Partei hat welche Beteiligung, verfügt über welches Vermögen, erzielt welches Einkommen aus welchem Vermögen? Damit die Bürgerinnen und Bürger das in Zukunft wissen können, deshalb schreiben wir das jetzt so in das Gesetz hinein: ({8}) Jedes Jahr muss Rechenschaft darüber abgelegt werden und alle fünf Jahre muss offenbart werden - und zwar testiert -, was die Vermögensbeteiligung in Heller und Pfennig bzw. in Euro und Cent wert ist. ({9}) - Doch, das schreiben wir in das Gesetz hinein. ({10}) Herr Kollege Röttgen, es stimmt auch nicht, dass jemand, der falsche Angaben macht, dann so davonkommt. ({11}) Nein, schauen Sie einmal in den Gesetzentwurf hinein, was wir unter § 31 d einfügen wollen: Jede vorsätzlich falsche Rechnungslegung soll unter Strafe gestellt werden und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt werden können. Das heißt, wir können sicher sein, dass die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft wissen, wie hoch das Vermögen ist und welche Einkommen aus welchen Vermögen erzielt werden. Herr Kollege Röttgen, geben Sie an Ihre Freunde bei der CDU in Hessen weiter: In Zukunft müssen auch Vermächtnisse und Erbschaften genau benannt werden. Es genügt nicht, dies einfach zu schreiben, sondern wir und die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, wer der Erblasser war und wo er gewohnt hat, damit sich alle ein Bild machen können, ob das überhaupt stimmt oder ob nicht wieder solche Machenschaften dahinter stecken, wie das die CDU in Hessen praktiziert hat. ({12}) Wir wollen, dass in Zukunft diese Koffer mit gebündeltem Barem nicht mehr im Land herumgereicht werden, jedenfalls nicht mehr mit Parteispenden. ({13}) Deshalb wollen wir Barspenden auf 1 000 Euro beschränken. Daher wollen wir auch, dass Spenden in Höhe von 50 000 Euro oder höher zeitnah veröffentlicht werden müssen. Es darf nicht sein, dass man Jahre später, so wie Sie das bei der Ehlerding-Spende gemacht haben, irgendwo eine Spende aus dem Schreibtisch herausholen und sagen: Da war doch noch etwas. In Zukunft müssen Sie, wenn dieses Gesetz in Kraft ist, zeitnah sagen: Wir haben 50 000 Euro von dem oder dem bekommen. Die Bürgerinnen und Bürger können dann ihr Wahlverhalten danach ausrichten, wenn sie wissen, dass Herr und Frau Ehlerding wenige Tage vor einer Bundestagswahl 5,9 Millionen DM an die CDU gespendet haben. ({14}) Sie wissen dann, in welcher Weise Regierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland unter der Regierung Kohl käuflich gewesen sein könnte. ({15}) Darüber sollen sie sich ein Bild machen können, um ihr Wahlverhalten entsprechend ausrichten zu können. ({16}) Deshalb ist dieses Gesetz, so wie wir es vorgelegt haben, richtig und wichtig. Aber ich sage Ihnen: Das ist der erste Schritt. Der Untersuchungsausschuss ist mit seiner Arbeit noch nicht am Ende. ({17}) Im nächsten Sommer werden wir nachlegen. Da können Sie sicher sein. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Herr Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat sogar der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses konzediert, dass zum Beispiel der Vorwurf, Panzerlieferungen nach SaudiArabien seien gekauft worden, in dem Untersuchungsausschuss nicht bewiesen sei. ({0}) Das gilt insgesamt für den Vorwurf der Korruption gegen die Regierung, die von CDU/CSU und FDP gebildet worden ist. ({1}) Ich möchte Sie daher bitten, in die Diskussion um das Parteiengesetz nicht diesen Zungenschlag hineinzubringen. ({2}) Mein eigener Bedarf und mein eigenes Potenzial an Polemik ist heute schon durch die Diskussion um Schily II erschöpft. Ich habe übrigens aus den Erfahrungen des Untersuchungsausschusses den Eindruck: Auch die Bevölkerung will nicht, dass wir uns mit dem Thema Parteiengesetz polemisch befassen. ({3}) Vielmehr lautet die häufigste Frage, die man gestellt bekommt: Seid ihr im Bundestag in der Lage, die Folgerungen aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses zu ziehen und ein neues Parteiengesetz gemeinsam zu beschließen? Das ist das, was von uns verlangt wird. ({4}) - Wilhelm Schmidt [Salz- gitter] [SPD]: Das wäre schön!) Die FDP hat daher eigene Vorschläge dazu vorgelegt, die übrigens in vielen Teilen eher mit dem Entwurf der SPD ({5}) als mit dem der Union übereinstimmen. Allerdings müssen wir in einem entscheidenden Punkt bei der SPD noch dafür werben, dass die eigenen Interessen gegenüber dem übergeordneten Prinzip hintangestellt werden. ({6}) Unternehmensbeteiligungen von Parteien sind und bleiben problematisch, besonders wenn sie den Medienbereich betreffen. ({7}) Das ist ein gewaltenteilerisches Problem; ({8}) denn die vierte Gewalt, wie sie immer genannt wird, kann doch die Politik nicht wirksam kontrollieren, wenn sie selber im Eigentum einer politischen Partei steht. Das passt nicht zusammen und muss geändert werden. ({9}) Bei der Frage der Saldierung und der Gesamttransparenz der Vermögensbeteiligungen werden wir uns sowieso einigen können. Das wird nicht das Thema sein. Wir, die FDP, sprechen uns dafür aus, dass es künftig klare strafbewehrte Sanktionen im Parteiengesetz gibt. Es muss ein wirksames Instrumentarium geschaffen werden. Ich bin der Auffassung - um noch einmal auf die Rolle der Medien zu kommen -: Jedes Gesetz, das noch so gut von uns gemeint ist, kann bei bösem Willen umgangen werden. Der Wächterrolle der vierten Gewalt kommt daher in diesem Zusammenhang eine so große Bedeutung zu, dass wir sie dem Einfluss der Politik entziehen wollen. ({10}) Ich gebe ganz offen zu: Die FDP will am System der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien grundsätzlich nicht rütteln. Wir brauchen neben der staatlichen Finanzierung, die auch dem Chancenausgleich dient, und den Mitgliedsbeiträgen, die von vielen Tausenden Mitgliedern in allen Parteien in selbstloser Weise geleistet werden, eine teilweise Finanzierung durch Spenden. Die steuerlichen Regelungen zur Absetzbarkeit von Spenden sind unserer Meinung nach alles in allem in der Vergangenheit in Ordnung gewesen. Sie sollten aber vielleicht doch an die neuen Regelungen des Stiftungssteuerrechts angeglichen werden. Mit dieser Idee könnten wir bei diesem Thema vielleicht zu einem Konsens kommen. Im Übrigen ist es notwendig, die vielen bürokratischen und unübersichtlichen Vorschriften des bestehenden Parteiengesetzes zu vereinfachen, denn es ist bei dem, was wir unseren Mitgliedern zumuten, schwierig, in einem Ortsverband oder Kreisverband Schatzmeister zu sein. ({11}) Transparenz ist das oberste Gebot. Das ist ein Stichwort für die weiteren Beratungen. Ich führe als letzten Punkt - meine Redezeit ist schon fast abgelaufen - an: Wir müssen die Frage angehen, wie es mit Spenden zu halten ist, die nicht in Erwartung eines Vorteils geleistet werden - solche sind ohnehin verboten -, sondern die offenkundig nach Eintritt eines Vorteils oder in engem Zusammenhang damit geleistet werden. ({12}) Es kann doch nicht richtig sein, dass diese erlaubt bleiben. Allerletzter Punkt: Es bedarf insgesamt einer geeigneten Kontrolle. Wir meinen, diese sollte nicht durch den Bundestagspräsidenten ausgeübt werden - er gerät sonst in die Gefahr, Partei zu sein -; die übergeordnete, neutrale Institution des Bundespräsidenten erscheint uns hierfür besser geeignet. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht für die PDS-Fraktion die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute darangehen, das Parteiengesetz zu ändern, wissen wir, dass wir in eigener Sache verhandeln. Wir sind deshalb gefordert, uns selbst den Spiegel vorzuhalten. Bei der Änderung des Parteiengesetzes muss ein deutlicher Schritt zu mehr Selbstkontrolle und Selbstbeschränkung gemacht werden. Das ist angesichts des Glaubwürdigkeitstiefs der Politik mehr als notwendig. Im Kern geht es um mehr Ehrlichkeit und mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Dass Rechtsverletzungen, Selbstbedienungsmentalität oder der Eindruck unlauteren Verhaltens das Image aller Parteien nachhaltig beschädigen, hat fast schon jede Partei schmerzhaft spüren müssen. Die Parteispendenaffäre der CDU stellt dabei einen vorläufigen traurigen Höhepunkt dar. Es ist deshalb für alle Parteien von immenser Bedeutung, dass wir noch in dieser Wahlperiode nicht nur kosmetische, sondern grundlegende Änderungen des Parteiengesetzes verabschieden werden. Das heißt, es müssen die notwendigen Konsequenzen aus der Parteispendenaffäre gezogen werden, es dürfen aber auch Fragen der Bilanzierung und Rechnungslegung nicht ausgespart werden, um insgesamt ein höheres Maß an Offenheit, Transparenz und Kontrolle zu erreichen. Man könnte natürlich wieder eine große parteipolitische Welle in der Hoffnung schlagen, im bereits begonnenen Vorwahlkampf zu punkten und sich gegenseitig vorzuführen. Damit wurde bereits im Verlauf der heutigen ersten Lesung munter begonnen. Man kann sich andererseits interfraktionell auf einen faulen Kompromiss nach dem Motto einigen: Lässt du mir meine Unternehmensspenden in Millionenhöhe, drücke ich ein Auge bei deiner wirtschaftlichen Bilanzierung zu. Beides wird am Ende keiner Partei nutzen. Dem Ansehen aller wird jedoch weiterer Schaden zugefügt. Dem Gesetzentwurf der Regierungsparteien, der viele Punkte aus dem Bericht der Parteienfinanzierungskommission aufgegriffen hat, ist das Bemühen um eine vernünftige Lösung anzumerken. Das betrifft zum Beispiel die Aufnahme eines neuen Straftatbestandes für vorsätzlich falsche Rechnungslegung, die Präzisierung finanzieller Sanktionen für fehlerhafte Rechenschaftsberichte oder auch das Verbot von Spenden öffentlicher Unternehmen. Allerdings geht uns der Entwurf noch nicht weit genug. Meine Fraktion hatte bereits im Frühjahr letzten Jahres weiter gehende Gesetzesvorschläge zum Verbot von Spenden durch juristische Personen oder auch zur Begrenzung der Höhe der Spenden sowie zu weiter gehenden strafrechtlichen Sanktionen gemacht. Wir werden diese Vorschläge in die parlamentarische Diskussion wieder einbringen. ({0}) Ich habe mir auch mit Interesse den Gesetzentwurf der CDU/CSU und die Vorschläge der FDP angesehen und halte einiges davon für durchaus überlegens- und aufnehmenswert. ({1}) Allerdings ist es schon verwunderlich, dass gerade die CDU/CSU, die sonst bei fast jedem gesellschaftlichen Problem nach schwereren Strafen ruft, beim Parteiengesetz eine auffallende Zurückhaltung an den Tag legt. ({2}) Ich halte es vor dem Hintergrund der besonderen Situation, in der wir uns befinden, für notwendig, ohne parteipolitische Scheuklappen die sachgerechten Vorschläge aller Parteien zusammenzutragen. Das wäre der Versuch, gemeinsam ein Stück verloren gegangener politischer Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Allerdings ist meine Hoffnung nach der jetzigen Lesung nicht allzu groß. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat das Wort die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier von der SPD-Fraktion.

Inge Wettig-Danielmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002491, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der Fraktion der CDU/CSU, ich möchte Ihnen ein Kompliment zu Ihrem dreisten und geschickten Gegenangriff auf die SPD machen. Obwohl Ihre Leute Koffergeschäfte gemacht, Schwarzkonten geführt und Rechenschaftsberichte gefälscht haben, konnten Sie in Teilen der Öffentlichkeit - glücklicherweise war es nur ein kleiner Teil den Eindruck erwecken, nicht die CDU, sondern die SPD verdunkle ihre Einnahmen. ({0}) Immer wieder wird behauptet - das war auch auf dem Dresdener Parteitag der CDU der Fall -, die SPD weigere sich, ihr Finanzsystem offen zu legen. ({1}) Einige Ihrer Vertreter sind sogar in Gerichtsurteilen darüber belehrt worden, dass ihren Behauptungen die Beweise fehlen, dass sie falsche Aussagen gemacht haben. Dennoch werden diese Behauptungen ständig wiederholt. Auch Herr Röttgen hat eine ganze Latte von Behauptungen aufgestellt, die sich bereits - so ist es gerichtlich festgestellt worden - als falsch erwiesen haben. ({2}) - Ich meine zum Beispiel die „Saarbrücker Zeitung“ und den „Trierischen Volksfreund“. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Zeitungen. Jedenfalls haben Sie ständig falsche Behauptungen aufgestellt. ({3}) - Mein verehrter Kollege, Sie können das alles in unseren Rechenschaftsberichten von 1999 und 2000 nachlesen. Dort steht alles drin. ({4}) Zur Offenlegung des Vermögens erkläre ich: Wir übererfüllen die Anforderungen des jetzigen Parteiengesetzes bei weitem. ({5}) Wir haben keine Probleme damit, noch höhere Verpflichtungen zu erfüllen. Aber wir sind gegen ein Sonderrecht für Parteien. ({6}) Wir haben nichts dagegen, wenn unsere Beteiligung zusätzlich im Impressum einer Zeitung ausgewiesen werden soll. Aber dann müssen auch Bindungen an die CDU/CSU deutlich werden, ({7}) zum Beispiel die Bindung an den Verein Unionspresse. Wie soll die Bindung der Leo Kirch Media an CDU und CSU in der Öffentlichkeit behandelt werden? ({8}) Gerade jetzt können wir beobachten, wie der bayerische Ministerpräsident um den wankenden Kirch-Konzern zittert. Dabei geht es doch nicht nur um Milliardenkredite, sondern auch um den drohenden Einflussverlust. In normalen Zeiten werden die Regeln der Demokratie und für den Umgang der politischen Parteien und Fraktionen miteinander im Konsens vereinbart. ({9}) - Hier sollten Sie ruhig sein; denn Ihre Partei hat mehrfach versucht, auf ihren ehemaligen Koalitionspartner Einfluss zu nehmen. Das ist wohl nicht gelungen. Das ist so bei den Wahlgesetzen, bei den Regeln für Abgeordnete und bei Fraktionsgesetzen. So sollte es auch beim Parteiengesetz sein. Wenn man sich nicht auf demokratische Grundregeln verständigt, steht es schlecht um die demokratische Kultur in einem Land. ({10}) Aber Ihre Regelverletzungen lassen Sie handeln wie trotzige Kinder, die sagen: Der da war es. Gesprächen - das gilt insbesondere für die CDU - verschließen Sie sich. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der ein Beweis dafür ist, dass Sie keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, und der noch nicht einmal Ihren eigenen Interessen dient. Das ist ganz besonders bemerkenswert. ({11}) Sie haben das Kunststück fertig gebracht, einen Entwurf vorzulegen, der CDU und CSU gravierend schlechter stellen würde, und das, obwohl CDU und CSU unterschiedliche Strukturen und damit unterschiedliche Interessen haben. Wir haben in Deutschland - so sehen es andere - ein vorbildliches Parteiengesetz. Parteien sind durch das deutsche Finanzierungssystem unabhängiger als in vielen anderen Ländern, weil sie weder vom Staat noch von der Wirtschaft einseitig abhängig sind, sondern weil die Beiträge ihrer Mitglieder einen großen Teil ihrer Einnahmen ausmachen. Offensichtlich brauchen wir aber noch klarere Regeln, noch mehr Offenheit, noch mehr Kontrolle und im Zweifel auch Strafen, ({12}) wenn vom Volk gewählte Mitglieder des Parlaments die von ihnen selbst verabschiedeten Gesetze verletzen. Wir brauchen Sanktionen. Genau das schlagen SPD und Grüne vor, nachdem wir mehrfach versucht haben, mit den anderen Fraktionen darüber ins Gespräch zu kommen. Dabei berücksichtigen wir, dass sich die FDP anders finanziert als die SPD und diese ihre Mittel wiederum anders als Grüne, CDU oder PDS erwirtschaftet. Wir schneiden CSU, FDP und CDU die Spenden nicht ab, die sie reichlicher als andere Parteien erhalten. ({13}) Wir verschließen also die Finanzquellen der anderen Parteien nicht. Sie haben von einem umfassenden, glaubwürdigen Gesetzentwurf der CDU/CSU gesprochen. ({14}) Ihre Schatzmeister werden sich freuen, wie viel Geld sie bei diesem Rechenspiel verlieren. Sie haben die wichtigsten Forderungen der Kommission aber nicht umgesetzt. Das gilt in erster Linie für die Voraussetzung, dass der Rechenschaftsbericht richtig sein muss, damit man staatliche Mittel erhalten kann. Da haben Sie sich eindeutig verweigert. ({15}) Außerdem haben Sie die Möglichkeit einer Ad-hocRechenschaftspflicht abgelehnt. Wir sagen: 50 000 Euro müssen sofort gemeldet werden. Sie haben das Verbot nachträglicher Einflussspenden nicht aufgenommen. Sie haben die Verpflichtung zur Weiterleitung von Spenden von Abgeordneten nicht aufgenommen. Sie haben die gesonderte Ausweisung der Mandatsträgerbeiträge nicht aufgenommen. ({16}) Das Spendenannahmeverbot wurde nicht auf die Fraktionen, die auf kommunaler Ebene tätig sind, erweitert. Die Fünfprozentgrenze für sonstige Einnahmen wurde nicht gesenkt. Eine Kodifizierung des Mehraugenprinzips bei der Rechenschaftslegung wurde nicht vorgesehen. Ihre Vorsitzenden und Vorstände bleiben bei der Rechenschaftslegung außen vor. Die Ausschlussgründe für Prüfer wurden nicht präzisiert. Ich könnte fortfahren. Sie haben mehr als 20 der wichtigsten Vorgaben des Kommissionsberichts - nicht erfüllt. Damit haben Sie die Rechenschaftspflicht im Grunde nicht wirklich erfüllt. ({17}) Sie werfen uns vor, dass der Generalverweis auf das Handelsrecht nicht ausgeführt worden sei. Schauen Sie sich doch einmal den § 24 des Parteiengesetzes an! Eine lückenlosere Auflistung dessen, was im Rechenschaftsbericht vorgelegt werden muss, hat es bisher nirgends gegeben und gibt es bei Ihnen sowieso nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Inge Wettig-Danielmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002491, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. - Ihr Gesetzentwurf verlangt die Aufgabe unserer unternehmerischen Tätigkeit. Diese Forderung wird uns in den Ausschussberatungen sicherlich beschäftigen. Sie wissen, dass wir seit vielen Jahren keinerlei Einfluss mehr auf die Redaktionsarbeit - außer beim „Vorwärts“; ({0}) dort ist die Konstellation anders - ausüben. Sie sollen schon heute im Hinblick auf die Ausschussarbeit wissen: Wir sind in unserer Parteigeschichte dreimal durch politische Aktionen enteignet worden: durch das Sozialistengesetz, durch die Nazis und durch die Zwangsvereinigung im Jahre 1946. Unser Vermögen ist ehrlich erworben. Wir werden von der Wirtschaft nicht in dem Maße wie Sie unterstützt. Wir vermehren es durch legale unternehmerische Tätigkeit. Glauben Sie nicht, dass wir diese über hundertjährige Geschichte durch einen kalten Gesetzesakt beseitigen lassen! ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7441 und 14/7778 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik ({0}) - Drucksache 14/7252 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({2}) - Drucksache 14/7812 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Bleser Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat für die Bundesregierung die Bundesministerin Künast das Wort.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag kann heute einen ganz entscheidenden Schritt in die Zukunft unserer Landwirtschaft und - darauf kommt es auch an - in die Zukunft unserer ländlichen Räume machen. 80 Prozent der bundesrepublikanischen Fläche sind ländliche Räume, also Gebiete, die land- oder forstwirtschaftlich bearbeitet werden. Schon seit Jahren wird in der Landwirtschaftspolitik davon geredet, dass wir von der klassischen Marktstützung grundsätzlich wegkommen und zu einer integrierten Politik für den ländlichen Raum kommen müssen. Das wurde sogar von Teilen der Opposition, nämlich den Liberalen, immer wieder gefordert. ({0}) Bislang ist allerdings wenig passiert. Nach wie vor wird viel Geld für die Marktpolitik ausgegeben. Mit dem Einstieg in die Modulation geben wir auch ein Signal nach Brüssel. Wir tun mehr für die zweite Säule der gemeinsamen Agrarpolitik. Wir nutzen die Möglichkeiten, die uns die Agenda 2000 bietet. Andere Mitgliedstaaten und die Kommission werden das genau registrieren. Es geht ja auch um gute Argumente für die obligatorische Einführung der Modulation bei der Halbzeitbilanz. ({1}) Es gibt noch einen weiteren Aspekt, nämlich den globalen. Mit der nächsten WTO-Runde - das wird vielen hier schon aufgefallen sein - stehen - da beißt die Maus keinen Faden ab - weitere Einschnitte bei den klassischen Agrarsubventionen ins Haus. Wenn wir bestimmte Finanzierungen für die Landwirtschaft erhalten wollen, müssen wir sie - um es einmal in der Sprache der WTO zu sagen green-box-fähig machen. Das bezeichnet zum Beispiel den Bereich der zweiten Säule der Agenda 2000: Agrarumweltmaßnahmen. Genau das wollen wir, um Finanzhilfen für die Landwirtschaft in Deutschland langfristig überhaupt noch zu erhalten. Deshalb steuern wir um. Wir haben in dem Entwurf ein Modulationsmodell vorgelegt, das wirklich keinen überfordert, das sozusagen zum Üben ist. ({2}) - Wenn Sie hier dazwischenrufen, dann sorgen Sie doch einmal dafür, dass da, wo die FDP in der Regierung ist, auch mit Ja gestimmt wird! Sie können gern versuchen, im Bundesrat die Prozentzahl noch zu erhöhen. Ich glaube nur nicht, dass die FDP andernorts der gleichen Meinung ist wie die FDP-Fraktion im Bundestag. ({3}) Wir haben einen Kürzungssatz von 2 Prozent vorgesehen. Wir haben ihn mit einem Freibetrag von 10 000 Euro kombiniert. Der ist hoch genug, damit er der bäuerlichen Landwirtschaft, kleineren Betrieben also, nicht zu wehtut und die Betriebe erhalten bleiben. Er ist niedrig genug, um Betrieben in anderen Regionen, zum Beispiel in den neuen Bundesländern, nicht zu viel an Belastung aufzuladen. Hier wird manchmal der Eindruck vermittelt, als ob damit die Finanzmittel für die Bauern verloren wären. Das ist falsch. ({4}) Tatsache ist nämlich, dass dieses Geld gezielt für Maßnahmen im ländlichen Raum eingesetzt wird. Von Bund und Ländern wird sogar noch etwas draufgelegt. Am Ende steht den Bauern mehr Einkommen zur Verfügung. Das Geld steht nur nicht mehr für die massenhafte Produktion von Rindfleisch zur Verfügung, das wir dann für teures Steuerzahlergeld aufkaufen und zum Teil nach Nordkorea transportieren oder, wie es in der Vergangenheit schon der Fall gewesen ist, schlicht und einfach verbrennen. ({5}) Das Geld steht dann für das Umfeld der Landwirtschaft, für Agrarumweltmaßnahmen zur Verfügung. Sie sind WTO-kompatibel. Sie sind von der WTO abgesichert. Wir verfahren nach einem neuen Prinzip: keine staatliche Leistung ohne messbare Gegenleistung. ({6}) Wir haben in Übereinstimmung mit den Ländern bereits erste Schritte gemacht. In der letzten Woche haben wir bei der PLANAK-Sitzung die Fördergrundsätze für die Agrarstrukturförderung 2002 und damit auch Eckpunkte für die Verwendung der Modulationsgelder beschlossen. Fördermittel soll es für umwelt- und tiergerechte Haltung sowie für extensive und umweltfreundliche Produktionsverfahren im Ackerbau und in der Grünlandbewirtschaftung geben. Wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht, welche Hilfe wir den Landwirten in Gegenden mit hoher Viehdichte anbieten können. Dafür gibt es nun den Fördertatbestand „Verminderung des Viehbesatzes in Gegenden mit hoher Viehdichte“. Diese Eckpunkte werden wir in den nächsten Monaten zu konkreten Maßnahmen für den Rahmenplan 2003 ausarbeiten, damit man früh genug Bescheid weiß, was passiert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir haben uns darauf verständigt, dass die Mittel jeweils vorrangig in dem Land wieder eingesetzt werden, in dem sie durch Kürzungen angefallen sind. Wir haben uns auch mit der Frage des Verwaltungsaufwandes auseinander gesetzt. Ich weiß, dass auf die Behörden zusätzliche Arbeit zukommen wird. Dies hängt vor allem mit dem Freibetrag zusammen, der aber Kernelement des gefundenen Kompromisses ist. In solchen wie in vielen anderen Dingen geht es am Ende nicht ohne Kompromiss, der beiden Seiten, der Agrarstruktur in Ost und West der Bundesrepublik, Rechnung trägt. Insofern kann man den Kompromiss, den wir gefunden haben, akzeptieren. Am Ende geht es um 12 Millionen Euro bei einer Bund-Länder-Finanzierung mit einer Aufteilung von 60:40. Es geht um nicht mehr. Ich hoffe, dass deshalb alle Bundesländer, die sich jetzt noch sperren - ({7}) - Es geht - wenn Sie noch einmal zuhören möchten, Herr Carstensen - um 12 Millionen Euro bei einer Bund-Länder-Finanzierung, die am Ende in einem Verhältnis von 60:40 aufgeteilt wird. ({8}) Es sind also 12 Millionen Euro, verteilt auf 16 Länder. Das ist unsere Rechnung. Sie können es gern anders vorrechnen, wenn Sie möchten. Wenn man sich all die Argumente ansieht - Verwaltungsaufwand, das Umsteuern, das am Ende praktiziert werden muss -, kann man eines sagen: Die Modulation ist auf einem guten Weg. Sie richtet sich nicht gegen die Landwirtschaft, sondern ist am Ende zukunftsfähige, praktische Politik für den ländlichen Raum. ({9}) Sie wird eines schaffen: Sie wird Natur, Umwelt und Tierschutz stärken. Sie fördert eine nachhaltige Landwirtschaft. Sie ist ausgewogen und gerecht und - weil wir uns alle mit der WTO auseinander setzen müssen - so geregelt, dass über diese Variante Gelder für die Landwirtschaft behalten werden und nicht irgendwann in der internationalen Debatte dem Streichungsstift anheim fallen. Deshalb kann ich nur sagen: Wer will, dass der ländliche Raum eine Zukunft hat, der muss sich mit genau diesen Dingen beschäftigen und an dieser Stelle eine Leistung vollbringen: dem Gesetz zustimmen! ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Woche haben wir sehr häufig über PISA gesprochen. Ich kann mir nicht helfen: Jedes Mal, wenn ich das Wort gehört habe, habe ich an Sie gedacht, liebe Frau Ministerin. ({0}) Sie haben gerade eine Zahl genannt, die nicht stimmt, nämlich die 12 Millionen Euro, die in einem Verhältnis von 60:40 finanziert werden. Lassen Sie sich das einmal richtig aufschreiben. Der Betrag von 12 Millionen Euro - man muss dem Ministerium vielleicht einmal einen Hinweis geben - ist der Länderanteil. Sie geben aus dem Ministerium zwar viel zu wenig, aber doch noch ein bisschen mehr. Es mag daran liegen, dass man in der Weihnachtszeit seinen Magen häufig ein wenig mit Gänsebraten und Knödeln oder anderen Dingen überlastet, was am Abend angenehm ist, aber in den Morgenstunden dazu führen kann, dass man träumt. Ich habe heute Nacht geträumt ({1}) - auch wieder von PISA -, dass man den Lehrern 2 Prozent ihres Gehalts nimmt, staatliche Mittel in gleicher Höhe dazugibt und dieses Geld zur Verbesserung der Schulsituation einsetzt. Was meinen Sie wohl, welch einen Sturm der Entrüstung es geben würde. Mit Lehrern könnte man das nicht machen, aber mit Bauern macht man es. Man zieht ihnen 2 Prozent ab und packt nicht einmal 2 Prozent dazu. ({2}) - Du bist doch jetzt im Bundestag. Bei dir zieht man doch gar nichts ab. Weshalb regst du dich denn jetzt auf? Lieber Matthias, es war die Politik der SPD, in den 80er-Jahren definiert und in den 90er-Jahren beschlossen, in der es hieß: Wir müssen herunter von der hohen Preisstützung und wir müssen zu Direktzahlungen an die Betriebe kommen. Diese Direktzahlungen sind inzwischen zu einkommensrelevanten Zahlungen geworden. ({3}) Von diesem Geld zieht ihr 2 Prozent ab. Da beißt ja wohl keine Maus den Faden ab. ({4}) Wenn wir so etwas bei den Lehrern machen würden, gäbe es einen Sturm der Entrüstung, aber bei den Bauern kann man das ja gerne machen. Man fragt sich natürlich: Wozu dient diese Modulation? Ich habe selten eine Anhörung erlebt wie die in der letzten Woche, in der ein Gesetzentwurf der Bundesregierung so wenig Unterstützung fand. Es gab unterschiedliche Meinungen, ob man für oder gegen Modulation ist, aber für den Gesetzentwurf haben sich nur zwei ausgesprochen, der NABU und das Land Nordrhein-Westfalen mit Herrn Griese, der ja wohl auch von den Grünen kommt. Bei NABU habe ich kein Verständnis dafür, dass man bei den Pipifaxmitteln, die zur Verfügung gestellt werden, plötzlich das große Juchhei anstimmt und sagt: Hosianna, hier wird endlich einmal etwas für den Umweltschutz in der Landwirtschaft getan! Zur Richtlinie 20/78 und zu anderen Maßnahmen der Länder hat man sich überhaupt nicht geäußert, sondern man hat bloß gemosert, es sei zu wenig. Das hat nichts mit parteiunabhängigen Verbänden zu tun. ({5}) Meine Damen und Herren, was ist eine Modulation? Eine Modulation ist in diesem Fall ein neues Kapitel im Buch von Gerhard Schröder, das ja wohl „Wie versprochen, so gebrochen“ heißen soll. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Karl-Heinz Funke ({6}) - auch Gerhard Schröder - hier gestanden und die Ergebnisse des Berliner Gipfels vorgetragen hat. Er hat gesagt: Wir sind stolz darauf, dass wir zwei Dinge durchgesetzt haben, dass es erstens kein „cross compliance“ und zweitens keine Modulation gibt. Nachdem er nicht mehr da ist, vergisst man das und beginnt mit Modulation. Modulation ist die Einführung einer Finanzierung staatlicher Aufgaben mit Mitteln des Bauern. Der Staatssekretär hat im Ausschuss gesagt - Sie haben es gerade auch erläutert -, die Modulation solle dazu dienen, Vorleistungen für die Reformen der WTO und die Osterweiterung zu erbringen. Das ist wirklich lächerlich, wenn man sich die Summen ansieht. Hören Sie gut zu, Frau Ministerin - vielleicht sollten Sie sich die Zahlen aufschreiben; das sind nämlich die richtigen -: 105 Millionen Abzüge wird es bei den Bauern geben, vom Bund werden 36,6 Millionen und von den Ländern 24,4 Millionen dazugezahlt. Das sind die 12 Millionen Euro. Das ist der Plan der Bundesregierung, wobei es ja noch eine Diskussion über die Finanzierung gibt. Darüber habe ich mit Interesse im letzten „Ernährungsdienst“ gelesen. Dieses ist ja keine gleichmäßig verteilte Finanzierung. Es steht Ihnen übrigens völlig frei, Ihre Mittel aufstocken, damit wir zu einer Finanzierung kommen, bei der 50 Prozent von den Bauern und 50 Prozent vom Staat geleistet werden. Für mich ist es unverständlich, wie Sie dieses Gesetz als eine Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik verstehen können. Auch die Länder wehren sich dagegen. In Rheinland-Pfalz werden nicht 2 Prozent, sondern aufgrund der Freibetragsregelung nur 0,5 Prozent moduliert, sodass das Land Rheinland-Pfalz für den Verwaltungsaufwand mehr ausgeben wird als für die Mittel, die es im Rahmen der Modulation zur Verfügung stellen wird. ({7}) Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es ist doch lächerlich, davon zu sprechen, diese Mittel seien vorbereitend für die WTO-Verhandlungen und für die Osterweiterung. Das ist auch deswegen lächerlich, weil Vorleistungen von der EU erwartet werden. Die EU kann keine Vorleistungen für die WTO-Verhandlungen geben; für die Osterweiterung gilt genau das Gleiche. Was sind denn die wahren Ziele? Mehr Umweltschutz? - Kein Stück. Das können die Länder viel besser allein und das haben sie bisher allein viel besser gemacht. ({8}) Sie sollten sich im Vergleich zu den Zahlen, die im Moment im Raum stehen, die Summen ansehen, die in den letzten Jahren für den Umweltschutz in der Landwirtschaft ausgegeben worden sind. Ich lese Ihnen einmal vor, was die Länder ausgegeben haben, als nicht moduliert wurde, als den Bauern nichts weggenommen wurde, sondern als sie „fresh money“ aus eigenen Mitteln und aus EU-Mitteln eingesetzt haben, weil sie geschickt verhandelt haben. Sie sollten denen dankbar sein, weil sie durch Zuteilung der Mittel dafür gesorgt haben, dass die Bundesrepublik Deutschland eine gute Ausgangsposition für die zweite Säule der Agrarpolitik innehat. ({9}) Das ist auch der Grund, warum Großbritannien die Modulation jetzt so schnell übernommen hat, weil man eben nicht die Mittel gemäß der 20/78er-Richtlinie herausgegeben hat. Wenn Sie es sich ansehen, dann erkennen Sie, dass Schleswig-Holstein zwischen 1993 und 1999 35 Millionen DM für Agrar- und Umweltmaßnahmen ausgegeben hat, ({10}) Nordrhein-Westfalen 68 Millionen DM - das ist wirklich „üppig“ ({11}) und Niedersachsen 93 Millionen DM. Das waren die Flächenländer mit den niedrigsten Ausgaben. Auf der anderen Seite finde ich Sachsen mit 524 Millionen DM, Baden-Württemberg mit 1 Milliarde DM und Bayern mit 2 Milliarden DM. ({12}) Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, die in diesem und im nächsten Jahr ausgegeben werden, dann stellen Sie fest, dass in Bayern 800 Millionen DM für Umweltmaßnahmen ausgegeben werden. Wissen Sie was? - Die pfeifen auf die 5 Millionen DM, die sie noch dazubekommen, weil sie mit denen so gut wie nichts machen können; sie wissen nämlich, dass sie dafür den Bauern vorher etwas wegnehmen müssen. Sie können das alleine viel besser. ({13}) Baden-Württemberg gibt im nächsten Jahr 250 DM je Hektar für Umweltmaßnahmen aus. Durch das heute zu beschließende Modulationsgesetz kämen in diesem Land Peter H. Carstensen ({14}) 2,50 DM hinzu. Es ist lächerlich, sich darüber in dieser Form zu unterhalten. ({15}) Geben Sie Vorleistungen für die Blue Box? - Nein. Ich stimme Ihnen zwar zu, wenn Sie sagen, dass es nach der Sitzung der WTO und nach der Osterweiterung weniger Direktzahlungen gibt. Gleichzeitig sagen Sie aber, dass wir dafür sorgen müssen, dass auf anderem Wege Geld in die Landwirtschaft kommt. Sie sollten erst einmal überlegen, ob Sie mehr Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft nicht dadurch erreichen können, dass Sie die Landwirte in Deutschland mit weniger Auflagen belasten und somit die Kosten für sie reduzieren. Überlegen Sie doch bitte einmal, was Sie zum Beispiel beim Agrardiesel und bei den Zuschüssen zur Altersversorgung machen könnten. Das alles sind Dinge, die keinen Menschen bei der WTO interessieren. Ob Sie 2 Pfennig Dieselsteuer erheben, 1 DM oder auch gar nichts, interessiert dort keinen Menschen. Änderungen hierbei führen aber zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe. Sich hier hinzustellen und zu sagen, hierzu wird es nicht kommen - das haben Sie in der Einbringungsrede zum Haushalt gemacht -, aber gleichzeitig zu sagen, dass in zehn bis 15 Jahren die Agrarsubventionen auf Null heruntergefahren werden, ist schon komisch. Sie haben auch davon gesprochen, dass man von den Beihilfen wegkommen müsse und Deutschland werde kein Bremser sein. Wenn Sie die Situation so sehen, dann sorgen Sie bitte auch dafür, dass die landwirtschaftlichen Betriebe wettbewerbsfähig wirtschaften können. Wenn die Beihilfen tatsächlich gesenkt werden, ({16}) dann nur Zug um Zug im Gleichklang mit der Abschaffung von Auflagen und Belastungen der Betriebe. Anders bekommen Sie das nicht hin. ({17}) Sie haben von mehr Geld für die Landwirtschaft gesprochen. Es war schon erstaunlich, wie Sie sich zwingen mussten, Erklärungen zu finden. Es ist schon erstaunlich und auch ehrlich, dass der Staatssekretär Griese in der Anhörung gesagt hat, dass kurzfristig nicht mehr Geld für die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt wird, sondern weniger. Vielleicht hat er den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn in der Landwirtschaft begriffen. ({18}) Die Landwirte leben nicht vom Umsatz, sondern von den Gewinnen. Ihre Methode, neue Auflagen zu machen, führt zu Mehrkosten, die Sie dann ein wenig ausgleichen wollen. Das kann nicht der Sinn sein. Vor allen Dingen ist dies nicht die richtige Methode, um für die Landwirtschaft etwas tun zu können. Mehr Umweltschutz? - Nein. Mehr Vorleistungen für die WTO? - Nein. Mehr Geld in der Landwirtschaft? Nein. Mehr Auflagen? - Ja. Mehr Bürokratie? - Ja. Ich frage Sie: Wie können Sie mit solchen Vorschlägen überhaupt kokettieren und dafür eintreten? Das liegt wohl erstens daran, dass Sie von Landwirtschaft und von den Abläufen in der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Das kann man Ihnen nicht vorwerfen, Frau Ministerin. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie inzwischen kein Gefühl und kein Herz für die Bauern mehr haben. Dasselbe gilt für die Fischer. Gestern habe ich erfahren, dass am Montag in Brüssel der Fischereirat über die Fangquoten verhandeln wird. Sie aber schicken Ihren besten Mann, den Experten für Quotenverhandlungen, mit Staatssekretär Berninger zu Gesprächen über den Walfang nach Japan statt nach Brüssel. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Carstensen, kommen Sie bitte zum Schluss.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Dies entspricht im Grunde genommen dem, was wahrscheinlich auch Sie in der Zeitschrift „top agrar“ gelesen haben: Schlechte Schulnoten für Künast Die Schülerin Renate Künast hat das Klassenziel nicht erreicht. Ihre Leistungen werden mit der Durchschnittsnote mangelhaft ({0}) benotet. Eine Versetzung ist undenkbar. ({1}) Im letzten Punkt stimme ich dem Artikelschreiber nicht zu. Ich würde mich freuen, wenn Sie, Frau Künast, versetzt würden, und zwar auf einen anderen Posten. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Peter Harry Carstensen, Sie waren sehr blumig und sehr bildhaft. So kennen wir unseren Ausschussvorsitzenden. ({0}) - Bis dahin ist das noch ein Kompliment von meiner Seite. Der PISA-Traum am Anfang Ihrer Rede war wahrlich nur ein Traum. In Anspielung auf Ihre Vorstellung, wir könnten den Lehrern einmal 2 Prozent ihres Gehaltes wegnehmen, sage ich Ihnen ganz deutlich: Wir nehmen den Bauern nicht 2 Prozent ihres Gehaltes weg. Sie sollten nicht vergessen, dass es sich um Prämien, um Peter H. Carstensen ({1}) Subventionen handelt, die aus Brüssel kommen. Es wird doch wohl niemand hier im Raum behaupten wollen, dass es ein verbrieftes Recht auf solche Zuschüsse gibt. ({2}) - Man hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Prämien oder Subventionen; deren Auszahlung kann sich von Jahr zu Jahr ändern. ({3}) Wir müssen europaweit denken. In Ihrer Rede zielten Sie aber nur auf Deutschland ab. Das zeigt ganz deutlich, dass die Maßstäbe, die Sie anlegen, falsch sind. Wenn wir für den Berufsstand - ich habe ein Herz für die Bauern ({4}) und möchte das auch meiner Ministerin nicht absprechen - zukunftsweisend arbeiten wollen, wozu auch das Modulationsgesetz gehört, dann können wir nicht nur in den Grenzen von Deutschland denken. Dann müssen wir an die Europäische Union, an die Osterweiterung und an die WTO denken. Nun möchte ich aber zu meiner Rede kommen, in der ich sicherlich auch manche Frage beantworten werde, die Sie aufgeworfen haben. Zu den Zahlen brauche ich jetzt nicht mehr viel zu sagen; dazu ist von beiden Vorrednern schon alles gesagt worden. Die Diskussionen, die wir in der letzten Zeit zum Thema Modulation geführt haben, zeigen mir ganz eindeutig, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({5}) Sie bestärken mich in der Auffassung, dass es richtig ist, Modulation auch in Deutschland einzuführen. Insgesamt steht ein Mittelvolumen von jährlich 85 Millionen Euro zur Verfügung, das für Agrarumweltmaßnahmen und für umwelt- und tiergerechte Haltungsverfahren genutzt werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Wolff, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, erst einmal nicht. Das können wir vielleicht nachher noch machen, Herr Heinrich. ({0}) Wir werden den Bauern nicht 2 Prozent für nichts streichen, sondern wollen zukunftsorientiert investieren. Die Bauern müssen die Zukunft bestehen, wobei wir Ihnen helfen wollen. Unser Gesetz wird 2003 in Kraft treten. Zur Vorbereitung ist also genügend Zeit vorhanden. Einige Kritiker sagen, für die betroffenen Landwirte seien die Kürzungen der Direktzahlungen zu hoch, andere meinen, Kürzungen seien überhaupt nicht angebracht. Außerdem habe die zweite Säule bereits einen beachtlichen Umfang. Herr Carstensen ist schon darauf eingegangen, dass sie in den südlichen Bundesländern schon so ausgeweitet ist, dass man dieses Geld dort gar nicht braucht. Einige Kritiker machten deutlich, dass aus ihrer Sicht eine Kürzung der Direktzahlungen um 2 Prozent eigentlich nur Peanuts sei, weshalb sich die Einführung der Modulation nicht lohne. Angesichts dessen frage ich mich, was das eigentlich soll. Will man die Modulation nicht, weil sie die Landwirtschaft überfordert, oder will man sie nicht, weil die Kürzungen als zu gering erscheinen? ({1}) Vertreter der süddeutschen Länder geben zu verstehen, dass sie die Modulation zwar nicht wollen, aber dass es ihnen keine Schwierigkeiten bereiten würde, die Mittel zu verwenden. Die Programme liegen quasi schon in der Schublade. Ich finde diese Diskussion destruktiv, absolut falsch und sehr plakativ. ({2}) Sie halten uns auch immer wieder vor, dass nach den Beschlüssen zur Agenda 2000 im Jahre 1999 in Deutschland mit Bedacht von der Modulation abgesehen wurde. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war zu diesem Zeitpunkt auch richtig. Heute sieht es aber anders aus. Wir haben vor einem Jahr gesehen, wie das Vertrauen in unsere Landwirtschaft erschüttert wurde. Genau aus diesem Grund setzen wir konsequent eine umwelt-, tierund verbraucherorientierte Politik um. Damit man einmal sieht, worum es hier eigentlich geht, ({3}) verweise ich an dieser Stelle zum Beispiel auf das Verfütterungsverbot von Tiermehl, auf die Ausrichtung der Investitionsförderung in der Landwirtschaft, auf tier- und umweltgerechte Haltungssysteme, auf das Bundesnaturschutzgesetz sowie auf die Einführung des neuen Biosiegels. Das sind nur einige Beispiele. ({4}) Ich könnte diese Reihe noch unendlich fortführen. Nun kommt ein Kernstück für die Zukunft: Das Gesetz zur Modulation ist ein wichtiger Bestandteil unserer Politik, weil es nämlich die Landwirtschaft nachhaltig fördert und auch die ländlichen Räume zum Inhalt hat. ({5}) Einigen Vertretern der Agrarbranche fällt es immer noch schwer, den neuen Kurs der Bundesregierung zu akzepWaltraud Wolff ({6}) tieren. Das ist logisch; denn an Gewohntem hält man gerne fest. Aber dies politisch zu unterstützen wäre verantwortungslos. Also bleibt es dabei: Für den Agrarbereich selber ist eine Umorientierung elementar. Das weiß auch die Opposition. Kommissar Fischler hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Halbzeitbewertung im Jahre 2003 EU-weit dazu genutzt werden soll, die Umschichtung der Mittel aus der ersten Säule - sprich: die Mittel für die Marktpolitik - in die zweite Säule zur Förderung des ländlichen Raumes zu nutzen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Einführung der Modulation in Höhe von 2 Prozent genau richtig. ({7}) Wir machen mit dem neuen System Erfahrungen und geben den Landwirten sowie den Bundesländern Zeit, sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Deutschland hat die Chance, eine EU-weite Modulation mitzugestalten. Es spricht vieles dafür, dass die EUweite Modulation zur Pflicht wird. Wir können und wir wollen auch nicht in Deutschland dieses Problem aussitzen und auf eine Lösung warten. So mancher CDU-Kollege sagt im direkten Gespräch: Modulation - ja. Aber doch nicht jetzt. - Was heißt das denn eigentlich? Wer mitgestalten will, der muss handeln und darf nicht abwarten. Wir wissen doch nur zu gut, dass die Höhe der Direktzahlungen an die Landwirtschaft kein verbrieftes Recht ist, Herr Carstensens. ({8}) Wir sollten deshalb sehr sorgsam damit umgehen. Der Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen. Ich bin in Sachsen-Anhalt zu Hause und weiß ganz genau, wie dort die Situation in den Betrieben ist. ({9}) Wir haben viele Diskussionen vor Ort und auch mit Fachleuten geführt und waren einhellig der Meinung, dass das Modulationsgesetz und die Regelungen zur Aufhebung der 90-Tier-Grenze in der Vierten Verordnung zur Änderung der Rinder- und Schafprämienverordnung nicht zusammengehören, aber im Zusammenhang zu sehen sind. ({10}) Übermäßige Härten dürfen nicht entstehen; das war unser Ziel. Aus diesem Grunde bin ich besonders froh, dass unsere intensiven Bemühungen Erfolg hatten. Im Einvernehmen mit Frau Bundesministerin Künast haben wir entscheidende Verbesserungen für die rinderhaltenden Betriebe erreicht. Vielen Dank, Frau Künast, an dieser Stelle. ({11}) Ein weiterer Punkt war der Freibetrag von 10 000 Euro, der in vielen alten Bundesländern ein wichtiger Faktor ist. Wir sind dem auch nachgekommen. Doch jetzt werden wir mit dem Argument erschlagen, dass der Verwaltungsaufwand zu hoch sei. ({12}) Lassen Sie es sich noch einmal gesagt sein: Entweder gibt es einen Freibetrag - dann haben wir einen höheren Verwaltungsaufwand - oder wir lassen es mit der Freibetragsgrenze. Was wollen Sie eigentlich? Ich habe als Kind den Spruch gehört: Wer das eine will, muss das andere mögen. Anders gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Vielleicht hätten Sie besser vorher überlegt, was Sie mit Ihren Forderungen anrichten, und wären an dieser Stelle ein bisschen kleinlauter. Wir werden die Modulation einführen; daran - das Sprichwort ist heute bereits gefallen, ich sage es dennoch noch einmal - beißt die Maus keinen Faden ab. Sie wissen genauso gut wie wir, dass dieses Gesetz von uns auch zustimmungsfrei gestaltet werden könnte. In dem Fall würde diese Freibetragsgrenze fallen. Ich bin, wie ich immer wieder deutlich mache, für Chancengleichheit in Ost und West. Von daher hätte ich keine großen Probleme damit, wenn wir das alleine beschließen und die Freibetragsgrenze fällt. Ich glaube aber, dass hier vielleicht ein Kompromiss zu schließen wäre. ({13}) Ich appelliere daher an die Vertreter des Bundesrates: Vergeuden Sie nicht die mit der Bundesregierung erzielten Verhandlungsergebnisse! Stimmen Sie in der nächsten Woche zu! Ich bin der Meinung, dass alle Beteiligten genügend Zeit haben, um sich auf die neuen Gegebenheiten vorzubereiten. Der PLANAK-Ausschuss hat die Eckpunkte der Maßnahmen festgelegt, die man mit den Modulationsmitteln durchführen kann. Das zeigt uns, dass Modulation nicht mehr abstrakt ist, sondern konkrete Formen annimmt. Meine Damen und Herren, ich fordere Sie heute von dieser Stelle aus eindringlich auf: Nutzen wir die Zeit, um gemeinsam, Bund und Länder, für mehr Umweltschutz, eine Stärkung der ländlichen Räume und die Interessen unserer Landwirtschaft zu sorgen! Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der FDP-Fraktion das Wort.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wolff, wenn man sich daran erinnert, wie Herr Funke damals, als er die Modulation abgelehnt hat, von Ihnen umjubelt wurde, kann man sich nur wundern, wie Sie sich heute wie ein Hahn im Waltraud Wolff ({0}) Winde drehen. Das ist schon ein besonderes Stück, das Sie sich hier leisten. ({1}) Wenn die Modulation die Agrarwende sein soll, von der Sie, Frau Wolff, gesprochen haben, dann ist die Agrarwende vor allem eines: eine Beschäftigungsmaßnahme für die Agrarbürokratie. ({2}) Von einem investierten Euro kommen in der Modulation - das hat uns der Landesvertreter aus Baden-Württemberg vor Augen geführt - beim Landwirt letztendlich 40 Cent an. Rheinland-Pfalz - Herr Carstensen hat das eben erläutert - legt sogar noch drauf. Das ist kein Glanzstück. Die Modulation ist der Tropf, der eine aufgeblähte Bürokratie am Leben hält. Die Steuergelder kommen nicht denen zugute, denen die Bürger helfen wollen, nämlich den Bauern. Das Geld unserer Bürger wird für die Alimentierung einer ausufernden Agrarbürokratie zweckentfremdet. Das ist nicht das, was die Bürger wollen, und schon gar nicht das, was den Bauern helfen wird, Frau Künast. Die Modulation fördert nicht nur Bürokratie, sondern ist obendrein ökologisch unsinnig. Mit der Vorschrift, dass Modulationsgelder nur für neue Programme verwendet werden dürfen, benachteiligt die Bundesregierung vor allem die Länder, die bereits umfangreiche Agrarumweltprogramme eingeführt haben. ({3}) So setzt Rheinland-Pfalz bereits seit 1993 jährlich etwa 50 Millionen DM ein, um auf 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche eine umweltschonende Form der Landbewirtschaftung zu fördern. Sie wollen wissen, wie Sie mit der umweltschonenden Landwirtschaft in zehn Jahren einen Anteil von 20 Prozent erreichen können, Frau Künast? RheinlandPfalz hat die Lösung, schon heute und ohne dieses ganze Agrarwendenbrimborium. Schauen Sie sich einmal unsere liberale Politik in Rheinland-Pfalz an! Dann stellen Sie fest: Es gibt eine Alternative zu dem Einstieg in die künastsche Agrarplanwirtschaft. Der Erfolg des Förderprogrammes „Umweltschonende Landwirtschaft“ hängt entscheidend von dem Zusammenspiel der mehr als 30 verschiedenen Unterprogramme ab. Das rheinland-pfälzische Förderprogramm ist sorgfältig aufeinander abgestimmt. Da können jetzt nicht einfach inflationär neue Programme aus dem Boden gestampft werden. Der grüne Elefant sollte sich aus diesem agrarpolitischen Porzellanladen fern halten; denn die Scherben, die dabei sonst anfallen, bringen niemandem Glück und Freude. Dass sich Länder wie Nordrhein-Westfalen mit der Einführung neuer Agrarumweltprogramme leichter tun, ist logisch. Schließlich ist dort die Förderung einer umweltschonenden Landbewirtschaftung etwas ganz Neues, wie wir am Montag gelernt haben. Die Grünen reden von der umweltschonenden Landwirtschaft, die FDP setzt sie um. Das ist die Realität. ({4}) - Ja, lieber Matthias Weisheit, das ist leider die Wahrheit; übrigens geschieht dies gemeinsam mit der SPD in Rheinland-Pfalz. An der Stelle wäre, glaube ich, auch einmal ein Applaus von der SPD angebracht. Während Frau Künast als agrarpolitischer Don Quichotte auf immer neue Feindbilder losstürmt - einmal ist es die Gentechnik, dann ist es die konventionelle Landwirtschaft, ein anderes Mal ist es die Europäische Union -, arbeiten wir Liberale ruhig, sachlich und zielorientiert daran, Ökologie und Ökonomie in der Landwirtschaft in Einklang zu bringen. ({5}) Aber dies geht natürlich nicht, wenn man nach grüner Manier versucht, Probleme von heute mit Methoden von gestern zu lösen. Die FDP steht für eine moderne Landwirtschaft und nicht für eine grüne Agrarromantik. Die Modulation erfolgt zum falschen Zeitpunkt; 2003 kommt die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union ohnehin auf den Prüfstand. ({6}) Sie ist ökonomischer Blödsinn, Frau Wolff, da mindestens 60 Prozent der Gelder in der Bürokratie verbleiben. Sie ist ökologisch verfehlt. Sie bevorzugt die ökologischen Spätzünder, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, gegenüber den Ländern, die schon frühzeitig in eine umweltschonende Landwirtschaft investiert haben. Kurz: Die Modulation ist schnell gemacht und schlecht durchdacht. 60 Prozent der Modulationsgelder für eine aufgeblähte Agrarbürokratie, fette Knete für einen fetten Staat - das ist die Politik von Rot-Grün. Das ist mit den Liberalen nicht zu machen. ({7}) Wir lehnen das Modulationsgesetz der Bundesregierung deshalb ab. Schönen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Kersten Naumann von der PDS-Fraktion das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Politiker und die Landwirte nicht gemeinsam die Umwandlung eines Teils der EU-Direktzahlungen zügig in Angriff nehmen, dann modulieren wir uns selbst ins Abseits. ({0}) Das kann doch nicht unser Ziel sein. Deshalb wird die PDS dem Gesetzentwurf zustimmen. ({1}) Einige glauben, dass die Neuausrichtung der Agrarpolitik eine alleinige Frage der deutschen Landwirtschaft ist. Sehen wir uns doch einfach in den anderen Ländern um, die bereits Modulationsmaßnahmen eingeleitet haben, und lernen wir aus deren Erfahrungen. Denn Fakt ist doch: Die Landwirtschaft muss sich zunehmend auf veränderte Bedingungen einstellen. Diese werden durch die Agenda 2000, durch die Globalisierung des Welthandels, durch die EU-Osterweiterung und nicht zuletzt durch die veränderten Verbraucheransprüche bestimmt. Die Chancen sind jetzt zu nutzen; die Erfahrungen mit der Modulation sind in Deutschland selbst zu machen. Eine Abwartehaltung bringt überhaupt keinen Erkenntnisgewinn. Es nützt nichts, wenn sich der Bauernverband dem Prozess entgegenstellt. Schließlich wurde die gesamte Agrarreform von ihm mit auf den Weg gebracht. Die Anhörung am Montag hat trotz aller unterschiedlichen Argumente bestätigt, dass sich die Bundesländer und die Betriebe der Herausforderung stellen. Sie wollen die Voraussetzung dafür schaffen, dass Direktzahlungen dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft in einer anderen Form auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Akzeptanz dafür wird jedoch nur erreicht, wenn ein Teil des Finanzflusses für gesellschaftlich notwendige Leistungen, die sich auf dem Markt nicht verwerten lassen, eingesetzt wird. Die Stärkung der zweiten Säule der Agrarpolitik reduziert die staatliche Marktregulierung und erhöht die Verantwortung der Gesellschaft für Natur und Umwelt. Wir müssen aber auch den Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen. Es stellt sich doch die Frage: Werden die Verbraucher künftig auch dann landwirtschaftliche Erzeugnisse und Leistungen honorieren, wenn sie nicht aus artgerechter Tierhaltung kommen oder nicht dem Nachhaltigkeitsprinzip entsprechen? Die Erwartungen an die Berücksichtigung der Umweltbelange, an eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktionsweise und an die Entwicklung des ländlichen Raums sollten nicht unterschätzt werden. Deshalb muss bei der Umsetzung der Modulation auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den ökonomischen, sozialen und ökologischen Prozessen geachtet werden. Denn die Umschichtung der Direktzahlungen muss dazu beitragen, dass Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in der Agrarwirtschaft langfristig gesichert werden und dass Einkommen und Vergütung der in der Landwirtschaft Tätigen mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten. Wir haben allerdings kein Verständnis dafür, dass die Vorruhestandsregelung in der alleinigen Entscheidungsbefugnis der Länder liegen soll; denn das würde zu unterschiedlichen sozialen Rahmenbedingungen führen. Nach wie vor ist die Kofinanzierung durch die Länder ein Unsicherheitsfaktor. Hierzu sind sichere Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern herbeizuführen. Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, alles zu tun, damit es nicht zu einer Ungleichbehandlung der Landwirtschaftsbetriebe in den verschiedenen Ländern kommt. Wie definiert sich Modulation in der Musik: „Übergang von einer Tonart in die andere“ und „Das Abstimmen von Tonstärke und Klangfarbe“. Ich wünsche den Landwirten und den Politikern, dass sie beim Übergang die richtige Tonstärke und Klangfarbe treffen, damit ein harmonisches Modulationskonzert entsteht. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der ge- meinsamen Agrarpolitik, Drucksachen 14/7252 und 14/7812. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion ge- gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit gleichem Mehrheitsverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sache 14/7847. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Es ist beantragt worden, die Reden zu allen folgenden Tagesordnungspunkten zu Protokoll zu geben1). Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. - Das ist der Fall. Ich rufe als Nächstes Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Detlef Parr, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik ({0}) - Drucksache 14/7415 - 1) Anlagen 4 bis 9 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7415 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage federführend im Rechtsausschuss beraten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten KarlJosef Laumann, Horst Seehofer, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Arbeit statt Sozialhilfe - Hin zu einer Kultur von Geben und Nehmen - Drucksache 14/7443 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/7443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 25 auf: 28. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Klaus Riegert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen - Drucksache 14/7285 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Carl-Ludwig Thiele, Hildebrecht Braun ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Umsatzbesteuerung von Sportanlagen wirtschaftlich gestalten - Drucksache 14/7813 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Innenausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7285 und 14/7813 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Wohnungsleerstand Ost“ sachgerecht modifizieren und umsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Wohnungen - Drucksachen 14/6055, 14/6848, 14/6849, 14/7449 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Danckert Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/7449. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/6055 mit dem Titel „Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6848 mit dem Titel: „Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe‚ Wohnungsleerstand Ost‘ sachgerecht modifizieren und umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6849 mit dem Titel: „Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende WohVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms nungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen - Drucksachen 14/7328, 14/7514 Nr. 2.2, 14/7828 Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann ({9}) Georg Girisch Birgit Homburger Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/7828 zu der Verordnung der Bundesregie- rung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsab- fällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesre- gierung auf Drucksache 14/7328 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen- stimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sache 14/7859. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Enthaltung der CDU/CSU-Frak- tion abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt ({10}) - Drucksache 14/6477 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12}) - Drucksache 14/7817 - Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Andrea Voßhoff Hans-Christian Ströbele Rainer Funke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern - Drucksachen 14/3485, 14/7817 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Andrea Voßhoff Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Zunächst zu Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetzes Berlin, Drucksache 14/6477. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7817, den Gesetzentwurf anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/7857? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/ CSU-Fraktion bei Zustimmung der FDP- und der PDSFraktion abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 31 b: Beschlussempfehlung des Rechtssausschusses auf Drucksache 14/7817 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/3485 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von FDP- und PDS-Fraktion. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 20. Dezember 2001, 9 Uhr, zur Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Beteiligung der Bundeswehr an einer UN-mandatierten internationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und Umgebung. Dies steht unter dem Vorbehalt, dass eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates sowie der darauf beruhende Kabinettsbeschluss rechtzeitig vorliegen. Die Sitzung ist geschlossen.