Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/11/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich eröffne die Aussprache und gebe für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Austermann das Wort.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das letzte Zitat zeigt, welch ein zeitloser Geist Goethe gewesen ist: Er hat offensichtlich die schwankende Position des Bundesfinanzministers zum Stabilitätspakt beschrieben: ein schwankender Geist in schwankender Zeit. - Deutlicher kann man das nicht umschreiben. ({0}) Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Ich kann mir vorstellen, dass ein großer Teil der Bevölkerung davon ausgeht, heute zu hören, was diese Bundesregierung in dem letzten Jahr ihrer Regierungszeit vorhat, was die Bundesregierung geplant hat und wo Schritte unternommen werden, um das, was heute beklagt wird - schlechtes Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit -, möglichst in den Griff zu bekommen. Was tut der Bundesfinanzminister? Ich habe mir die Rede angehört. Er hat eine Dreiviertelstunde lang versucht, Versatzstücke - die hätte man beim Unterparteitag des Bezirkes Hessen-Süd vortragen können, wenn es für ihn darum geht, eine Direktkandidatur zu ergattern, was er in Kassel nicht geschafft hat -, die sich auf die Zeit um 1998/1999 beziehen, vorzutragen. Nichts davon war zutreffend. ({1}) Es tut mir Leid, dass ich zu Beginn darauf noch einmal eingehen muss. Ich hatte meine Rede anders aufgebaut. Herr Eichel, zum Jahr 1998: von 1993 bis 1998 haben wir beim Bund konstante Ausgaben gehabt, das heißt, fünf Jahre lang Ausgaben in der gleichen Größenordnung. Sie werden die Ausgaben nach vier Jahren insgesamt um 30 Milliarden DM gesteigert haben. ({2}) Verschuldung: Sie halten sich zugute, mit dem Schuldenabbau Ernst zu machen, aber in den vier Jahren, in denen Sie nun Finanzminister sind, haben Sie trotz des UMTS-Geschenks 180 Milliarden DM neue Schulden gemacht. ({3}) - Nach der Haushaltsplanung dieser Regierung für ihr letztes Regierungsjahr könnten es vielleicht noch mehr werden. Sie halten uns vor, wir hätten in der Vergangenheit zu viele Schulden gemacht. ({4}) Diese Berechnung kommt auch immer wieder. Ich will das erläutern: Gehen wir einmal von 1,3 Billionen DM per 31. Dezember 1998 aus, also der Zahl, die selbst von Ihrem Haus in offiziellen Papieren veröffentlicht wird. Dazu rechnen wir noch die Kassen, Fonds „Deutsche Einheit“ usw. Wenn ich die Zahl analysiere, komme ich zu dem Ergebnis, dass 350 Milliarden DM Schulden sind, die wir von Helmut Schmidt im Jahre 1982 übernommen haben, 600 Milliarden DM Altschulden der DDR sind und weitere 600 Milliarden DM netto aus dem Bundeshaushalt aufgewendet worden sind, um den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern zu leisten. Sie können diese Beträge einmal addieren. Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass Sie sich mit diesem Betrag kritisch auseinander setzen. Wir hatten das Thema hier schon einmal: Weil Sie mit der deutschen Einheit im Jahre 1989 und auch mit den Schulden, die sich daraus ergeben, nichts am Hut hatten ({5}) können Sie diese Schulden auch nicht als gesamtstaatliche Verpflichtung akzeptieren. Das ist der ganz wesentliche Punkt. Ich will einen weiteren Punkt nennen, den Sie angesprochen haben, und zwar die Familienpolitik. Diese ist wichtig. Zunächst einmal stellen wir fest, dass Sie das Kindergeld zum 1. Januar 2002 erhöhen wollen. Dies sind Kosten in einer Größenordnung von 4,5 Milliarden DM. Sie feilschen mit den Ländern noch darum, wer welchen Anteil übernimmt. Gleichzeitig erhöhen Sie zum 1. Januar 2002 die Ökosteuer: Das sind 5,7 Milliarden DM. Dies rechne ich gegen, denn auch die Mütter, die die Kinder betreuen, sind mit dem Auto unterwegs. Auch Bundesminister Hans Eichel Familien zahlen Ökosteuer. Ich berücksichtige ferner die hohe Inflationsrate - seit Sie an der Regierung sind, kennen wir das Stichwort Inflationsrate wieder - und ziehe den entsprechenden Betrag auch noch ab. Ergebnis ist: Den Leuten bleibt netto nichts übrig. ({6}) Ich vergleiche das mit der Situation während unserer Regierungszeit und will Ihnen nur zwei Zahlen nennen: Wir haben das Kindergeld für das erste Kind von 50 DM auf 220 DM erhöht ({7}) und wir haben Steuerfreibeträge, die Sie damals abgeschafft haben, wieder eingeführt. In den sechzehn Jahren haben wir insgesamt etwa 50 Milliarden DM zusätzlich für den Familienleistungsausgleich bewilligt. ({8}) In dieser Situation ist Ihr Beitrag völlig aberwitzig. Alle wesentlichen Gesetze der letzten Jahre, die etwas mit der Familie zu tun haben - die Regelungen zum Erziehungsgeld sowie andere -, tragen die Handschrift der CDU/CSU und der FDP. ({9}) Herr Eichel, Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie den Vorwurf des Schuldenmachens hier aussprechen. Wer die Bilanz von Hessen nach Ihren acht Jahren Regierungsverantwortung kennt, weiß, dass zu dieser Zeit - Sie waren ein gelernter Schuldenmacher - die Verschuldung um 69 Prozent angestiegen ist. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass die Bürger Sie abgewählt haben. ({10}) Mit großem Respekt bewundere ich, was die Regierung Koch mit Finanzminister Weimar in Hessen inzwischen auf dem Gebiet der Stabilisierung der Landesfinanzen bewegt hat. ({11}) Ich könnte einen weiteren Aspekt ansprechen, nämlich das Thema Rentenfinanzen. Man kann sich natürlich selbst loben, indem man sagt, dass der Bund im nächsten Jahr wahrscheinlich 141 Milliarden DM in die Rentenkasse zahlt. Dass dies 41 Milliarden mehr sind als im Jahre 1998, scheint bei Ihnen völlig untergegangen zu sein. Dass es sich hierbei um einen Erfolg handelt, so meine ich, kann man auch nicht unbedingt sagen. Es bedeutet nämlich, dass ein Drittel der Ausgaben des Bundes in die Rentenkasse geht. Wenn gleichzeitig Investitionen zurückgefahren werden, ist der Haushalt doch schief. ({12}) Lassen Sie mich etwas zu den anstehenden Haushaltsberatungen, zu unseren Vorschlägen und zur tatsächlichen Situation, die nicht so ist, wie Sie sie schönreden, sagen. Es sind noch 111 Tage bis zum Euro. Im nächsten Jahr wird der Euro die DM als Bargeldwährung ablösen. Dies sind also die letzten Haushaltsberatungen, die vor dem Hintergrund einer erfolgreichen Währung - die D-Mark ist die erfolgreichste Währung, die es jemals auf deutschem Boden gab - stattfinden. Beides gibt Anlass, Bilanz zu ziehen. Wir haben die soziale Markwirtschaft durchgesetzt und im vergangenen Jahrzehnt zu einem weltweit anerkannten Erfolgsmodell gemacht. Die Deutsche Mark war das allseits begehrte und anerkannte Symbol des Aufstiegs der Bundesrepublik zu einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt. Die Deutsche Mark war ein Inbegriff sowohl der wirtschaftlichen Kraft als auch des sozialen Ausgleichs. Jetzt, nach drei Jahren Rot-Grün, ist die soziale Marktwirtschaft von Verkrustungen zu befreien. Das Stichwort „neue soziale Markwirtschaft“ verstehe ich so: Die Verkrustungen, die sich in drei Jahren in vielen Bereichen der Wirtschaft gebildet haben, müssen weg. ({13}) Die Politik der Bundesregierung hat den Euro aus Dummheit und Überheblichkeit als taumelndes währungspolitisches Weichei starten lassen. Sie, Herr Eichel, haben sich mit Ihrem Vorstoß zu den Stabilitätskriterien, mit dem Infragestellen des Stabilitätspaktes, kaum dass ein wenig Sturm aufkommt, als Stabilitätsrisiko erwiesen. Das muss sofort aufhören. Wir werden das ab Oktober 2002 ändern und dem Euro beibringen, in die richtige Richtung zu laufen. ({14}) Nicht nur beim Euro, der immer noch etwa um ein Viertel unter seinem anfänglichen Dollarkurs dahindümpelt, hat die rot-grüne Bundesregierung versagt. Fast alle gesamtwirtschaftlichen Daten und alle haushaltspolitischen Kennzahlen weisen in die falsche Richtung. Am 27. November des letzten Jahres habe ich bei der zweiten Lesung des Haushaltes für dieses Jahr darauf hingewiesen, dass sich dunkle Wolken am Konjunkturhimmel zeigen. ({15}) - Das ist deshalb wichtig, Herr Kollege, weil viele das damals belächelt haben. - Viele glaubten, man könnte sich über diese Warnzeichen hinwegsetzen. Sie verweisen jetzt darauf, Sachverständige hätten dies gesagt. Ich habe vier Mitarbeiter in meinem Büro. Sie haben 2 100 Mitarbeiter und etwa 90 mehr als Ihr Amtsvorgänger. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie nicht in der Lage sind, festzustellen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in die falsche Richtung läuft. Jetzt wollen Sie uns vertrösten und sagen, wir müssten die Haushaltsberatungen eigentlich aussetzen, wir müssten abwarten, bis die neue Steuerschätzung da ist, wir müssten das Buch zumachen. So kann man das Finanzgeschäft des Staates nicht betreiben. ({16}) Diese Bundesregierung verantwortet Mickerwachstum. Im Haushalt für dieses Jahr stehen 2,75 Prozent Wachstum, es werden 0 Prozent sein. Die Wirtschaft befindet sich in einer rezessiven Phase, die Arbeitslosigkeit steigt. Sie haben die Konjunktur in den Sand gesetzt. Die Investitionen schrumpfen trotz der UMTS-Milliarden, die Energiekosten, die Abgabenquote und die Inflationsrate steigen, die Kassenbeiträge gehen hoch und die Steuerquote klettert. Was bleibt von der groß angekündigten Steuerreform? Vergleichen wir wieder einmal die Jahre 1998 und 2002. Sie werden im nächsten Jahr 58 Milliarden DM mehr Steuern einnehmen als 1998. Das ist die größte „Entlastung“ in der Geschichte der Nachkriegszeit. Der Bund nimmt durch Steuern 58 Milliarden DM mehr ein und spricht von einem Impuls für den Arbeitsmarkt und einer gewaltigen Entlastung für die Wirtschaft! Das kann doch wohl nicht stimmen. Deswegen sagen wir, Herr Eichel: Sie schwimmen im Geld. Sie teilen es bloß falsch ein. ({17}) Angesichts dieser Bilanz und der Daten habe ich von Ihnen etwas Inhaltliches zum Haushalt erwartet. Zu Ihrer Rede müsste man sagen: Zurück an die Arbeit, einen neuen Haushalt vorlegen! Dieser taugt nichts. Fünf, setzen! ({18}) Schon der laufende Haushalt ist aus den Fugen. Nichts stimmt mehr. Der neue Haushalt ist in seinen Grundannahmen überholt. Die Arbeitslosigkeit steigt seit vielen Monaten. Dem Steigflug der Arbeitslosenzahlen entspricht der Sinkflug des Wirtschaftswachstums. Die importierte Inflation trabt und die Bundesregierung gibt ihr mit der Ökosteuer noch die Sporen. Die nächste Stufe soll am 1. Januar 2002 folgen. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was im Monatsbericht 8/2001 des Bundesfinanzministeriums, der gestern erschienen ist, steht. Es heißt dort: Im Gefolge des Kaufkraftentzuges im Inland durch Preisanstieg bei Energie und Nahrungsmitteln ist die deutsche Wirtschaft vorübergehend in eine Wachstumspause geraten. Mit anderen Worten: Das, was Sie gemacht haben, die Energiepreise hochgetrieben und damit die Bürger mit 65 Milliarden DM belastet, hat das Wachstum negativ beeinflusst. Das sagt Ihr Haus. Pfeifen Sie den Mann, der das Papier geschrieben und gedruckt hat, zurück. ({19}) In dieser Broschüre vom gestrigen Tage sagen Sie an anderer Stelle: Die konjunkturelle Flaute - bestätigt der BMF-Mitarbeiter belastet zusätzlich den Arbeitsmarkt. Das heißt also, die von Ihnen verursachten hohen Energiepreise belasten den Arbeitsmarkt. Das ist ein ganz einfacher Dreisatz. Vereinfacht kann dies nur heißen: Die Regierung macht die falsche Politik. Sie ist für dieses Land schädlich. ({20}) Jetzt möchte ich noch etwas zu den Beschäftigtenzahlen sagen. Sie sind wirklich hochinteressant. Die Steuerreform von Gerhard Stoltenberg in den Jahren 1986, 1988 und 1990 hat für die Beschäftigung einen Schub in der Größenordnung von zusätzlich etwa zwei Millionen gebracht. Den Beschäftigungsschub, den Sie erzielt haben, haben Sie durch buchhalterische Tricks in der Statistik, durch Einbeziehung der Minijobs erreicht, aber nicht durch einen einzigen wirtschaftspolitischen Impuls. ({21}) Herr Finanzminister, Sie sagen, es gebe keine Alternative zu Ihrem Weg aus der Staatsverschuldung. Diese Aussage ist richtig, aber Ihr Weg ist falsch. Ich kann doch nicht die Staatsverschuldung senken wollen, aber gleichzeitig 180 Milliarden DM neue Schulden machen. Trotz des Geschenks der UMTS-Milliarden - Sie haben es aus meiner Sicht zu einem Flop verkommen lassen; das wollten Sie ursprünglich nicht; Sie waren gegen die Privatisierung von Post und Telekom - haben Sie gleichzeitig 180 Milliarden DM Schulden gemacht. Man sagt immer: Hans Eichel spart. Sie lassen sich in dem Lied, wofür Sie wohl selber Geld ausgegeben haben - ich nehme an, die jungen Leute wollten Sie mit dem, was sie gesungen haben, veräppeln -, als Sparmeister bezeichnen. Nun wollen wir uns einmal die Zahlen genau anschauen. Der Etat steigt im nächsten Jahr um 8 Milliarden DM. Auch ohne Schattenhaushalte liegt er ganz wesentlich über dem von 1998. Bauausgaben werden gestreckt, wodurch sie teurer werden. Einzelne Bauausgaben werden aufgebläht. Gutachteritis greift um sich. Aber wenn Genossen zu bedienen sind, dann spielt Geld überhaupt keine Rolle. Ich nenne hier einmal die GEBB, die GTZ und Schuldenmanagement. Selbst pensionierte Beamte müssen sich ein bescheidenes Zubrot von 600 000 DM erdienen. All das spielt keine Rolle. Auch gilt es, alte Freunde zu bedienen. Herr SchmidtDeguelle sorgt dafür, dass Sie regelmäßig zu „Sabine Christiansen“ eingeladen werden. Das kann man sich ein paar Mark wert sein lassen. Das ist in Ordnung. Aber muss das der Steuerzahler bezahlen? Daran haben wir erhebliche Zweifel. ({22}) Wir schauen uns die anderen Spezis an. 70 Spitzenbeamte mussten weichen, und zwar nicht, weil sie schlecht waren, sondern weil sie das falsche oder gar kein Parteibuch hatten. Die Verfügungsfonds aller Minister, einschließlich der des Verteidigungsministers, steigen in diesem Jahr um 43 Prozent. Wird hier gespart? Ich sage Ihnen: Die Gruppe, die Ihnen das Lied gesungen hat, wollte Sie wohl ein bisschen auf den Arm nehmen. Was sagt die EU - Sie haben sich mehrfach auf Urteile Außenstehender bezogen - dazu? Die EU sagt in einem langen, umfangreichen Bericht, der in Göteborg vorgelegt wurde: Deutschland ist beim qualitativen Wachstum wie beim Wachstum überhaupt Schlusslicht in Europa. Die OECD sagt: Deutschland ist beim Sparen Schlusslicht in Europa. ({23}) Die EU wird morgen ein Konzept vorstellen, indem sie die Regierung dazu auffordert, die Steuern zu senken. Hört, hört! Wir von der Union sind, zusammen mit der FDP, auf der Linie der EU, die sagt: Deutschland als wichtigste Wirtschaftsmacht muss seine Schularbeiten machen, indem es die Steuern senkt. Das, was wir fordern, ist genau richtig. ({24}) Sie wollen beim öffentlichen Defizit im Jahre 2004 bei Null landen. Zunächst einmal mussten Sie zugeben, dass Sie die vorgesehenen 1,5 Prozent nicht erreichen, sondern wahrscheinlich bei 2 Prozent landen werden. Im Jahre 2006 wollen Sie dann auch im Bereich des Bundes bei Null sein. Um das zu erreichen, müssten Sie jedes Jahr 10 Milliarden DM Schulden abbauen. Wir haben Ihnen das vorgemacht. Wir haben in den Jahren 1997 und 1998 die Neuverschuldung um 21 Milliarden DM verringert, Sie dagegen werden im nächsten Jahr vielleicht 1,5 Milliarden Mark schaffen. Es ist deutlich geworden, dass das Sparen als echtes Einschränken offensichtlich nicht funktioniert. Ihr für das Jahr 2006 angestrebtes Ziel erreichen Sie natürlich nicht, und zwar erstens nicht, weil Sie ab 2002 nicht mehr im Amt sind, und zweitens nicht, weil Sie dafür die falsche Politik machen. ({25}) Die Ausgaben klettern fröhlich weiter. Es werden neue Gesetze gemacht, die zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Ich erinnere an LKW-Maut und Bundeswehrprivatisierung; Schatten- und Nebenhaushalte feiern fröhliche Urständ. Die Steuerquote geht nach oben. Ich sage: Es muss umgesteuert werden, und zwar auch bei der Privatisierung. Hier gehen Sie mit der Brechstange vor. Kein Finanzminister hat aus der Privatisierung mehr Geld eingenommen als Sie. Die Zahlen, die Sie für 1998 genannt haben, stimmen nicht; schauen Sie sich die Statistik an. Wenn wir die Erlöse aus den UMTS-Lizenzen von 100 Milliarden DM - Sie haben sie über zwei Jahre verteilt - weglassen, so sind für dieses Jahr immer noch mehr als 21 Milliarden DM vorgesehen. Das ist ein Privatisierungsrekord. Eine andere Sache ist, dass Sie eventuell mit der Politik, die Sie betreiben, Schwierigkeiten bekommen, diese Summe zu erlösen; eingerechnet haben Sie sie jedenfalls und ohne Privatisierung werden Sie Ihre Probleme auch nicht lösen können. Die Privatisierung mit der Brechstange spüren inzwischen auch die Banken des Bundes, die KfW und die DtA. Ich würde an Ihrer Stelle mit diesen beiden Instituten vorsichtig umgehen, da die Wirtschaft von diesen Instituten ganz wesentlich lebt. Wenn man sie auf schwankenden Grund stellt, gibt das nicht nur für den Bund, sondern für weite Bereiche Probleme. Wir haben vor dieser falschen Entwicklung gewarnt. Wir sagen: Deutschlands Wachstumsdefizite ergeben sich zu einem großen Teil aus Reformdefiziten dieser Regierung, deren Kanzler auf zunehmende Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme sinngemäß erklärt, Nichtstun - also eine Politik der ruhigen Hand - sei ein politischer Wert an sich. Wir sagen: Nichtstun hilft nichts. ({26}) Möglicherweise hat der Kanzler aber Recht und es ist besser, dass das, was Sie in den letzten drei Jahren gemacht haben, nicht weitergemacht wird. Wir müssen uns bei dieser Bilanz nicht darüber wundern, dass diese Regierung einen Minushaushalt - außer beim Mogeln gibt es keine Kreativität - vorgelegt hat. Sie sind nicht der Herr der Haushaltslöcher, sondern der Haushaltsschluchten. Wir wollen einen ganz anderen Akzent setzen, nachdem wir festgestellt haben, dass Sie im Verkehrs- und Bauhaushalt die Investitionen gegenüber früheren Haushalten herunterfahren und die Bundeswehr unterfinanziert ist. Man kann uns doch nicht vorwerfen, die Bundeswehr sei in einem schlimmen Zustand, wenn man gleichzeitig Jahr für Jahr der Bundeswehr 2,5 Milliarden Mittel wegnimmt. ({27}) - Ich denke, dass der Verteidigungsminister Aufgaben der Selbstverteidigung zu erledigen hat. Wenn man heute feststellt, dass im Verteidigungsetat dieses Jahres 2 Milliarden DM fehlen, kann man doch nicht im nächsten Jahr die Mittel im Verteidigungshaushalt noch einmal um 660 Millionen herunterfahren. Die Unterfinanzierung wird gnadenlos fortgesetzt. Der Mittelstand, der schon bei der Steuerreform unter die Räder gekommen ist, wird im Bundeshaushalt noch einmal geknebelt. ({28}) - Ja, Sachkunde würde nicht schaden. Statt 1,34 Milliarden DM, die noch 1998 für Mittelstandsförderung zur Verfügung standen, werden es im kommenden Jahr nur noch 480 Millionen DM sein, also ein Drittel von dem, was wir im Jahre 1998 für Mittelstandsförderung ausgegeben haben. Gleiches gilt für die neuen Länder und Berlin: Tränenreich erzählen Sie von der Unterstützung für Berlin, während Sie auf der anderen Seite sagen, diese Stadt muss selber mit ihren Problemen zurechtkommen. Das passt zu Ihnen: Sie haben eben kein gesamtdeutsches Herz. Diese Stadt hat bis 1990 zu 50 Prozent vom Bund gelebt. Trotzdem erwarten Sie, dass Berlin von einem Tag zum anderen einen Sprung machte. ({29}) Berlin behält die Mittel aus dem Finanzausgleich; aber Sie nehmen Berlin im nächsten Jahr durch den Hauptstadtvertrag zusätzlich 500 Millionen bis 600 Millionen DM weg. Das ist angesichts der momentanen Entwicklung unfair gegenüber der Hauptstadt. ({30}) Sie wollten die Mittel für Forschung und Technologie verdoppeln. Tatsächlich kürzen Sie die Ausgaben für die erneuerbaren Energien um 100 Millionen DM. Sie haben zwar öfter gesagt, dass wir vom Erdöl loskommen müssten. Aber macht es dann einen Sinn, die Kernkraft zu stoppen? - Diese Frage muss man zumindest stellen dürfen. Das alles passt nicht zusammen. Lassen Sie mich darlegen, wie wir umsteuern wollen, wie unsere Alternative aussieht. ({31}) Die Steuern müssen stärker und schneller gesenkt und die nächsten Stufen der Steuerreform vorgezogen werden. ({32}) Wenn man eine Steuerreform beschließt, die für 2003 und 2005 die nächsten Steuersenkungsschritte vorsieht, dann kann man heute doch nicht so tun, als wenn das Vorziehen dieser Schritte Teufelswerk wäre. Auch das passt nicht zusammen. ({33}) Von Ihrer Salamireform merkt doch im Jahre 2005 kein Mensch mehr etwas. ({34}) Wir wollen den Umsatzsteuerbetrug tatsächlich beenden. Wir wollen mehr in die Zukunft investieren. Wir fordern 3 Milliarden DM mehr für den Straßenbau und den Ausbau der Stadtkerne. Wir wollen die Infrastrukturlücke in den neuen Ländern schließen, um eine Basis für einen selbsttragenden Aufschwung zu schaffen. ({35}) Wir wollen mehr private Vorfinanzierungen von Infrastrukturprojekten über Konzessionsmodelle. Des Weiteren muss der Arbeitsmarkt von seinen bürokratischen Fesseln befreit und müssen Mittel vom ersten Arbeitsmarkt in Investitionen umgelenkt werden. Heute ist berichtet worden, dass Mittel, die eigentlich für die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern bereitgestellt wurden, zum Teil in die alten Bundesländer transferiert werden. Wie passt das mit Ihrer Aussage zusammen, dass Sie den neuen Ländern helfen wollen? Hier scheint es offensichtlich Luft für Investitionen zu geben. Wir wollen die neuen Länder und Berlin mit 0,5 Milliarden DM zusätzlich stärken. Wir fordern, dass die nächste Stufe der Ökosteuerreform ausgesetzt wird. Das gesamte Sozialsystem muss gründlich reformiert werden. Es kann nicht angehen, dass die Bauern in Zukunft immer weniger Geld haben, während die Verbraucher immer mehr zahlen müssen. Das werden wir beenden. Außerdem werden wir die Staatsfinanzen neu ordnen. Wir werden Einnahmeverbesserungen erzielen und bei Privatisierungen die Schattenhaushalte auflösen. Deshalb gibt es mit uns keine höhere Neuverschuldung. ({36}) Herr Eichel, Ihr Haushalt eignet sich kaum als Arbeitsgrundlage. Dennoch werden wir uns in den Haushaltsberatungen der nächsten Monate wie schon beim letzten Haushalt dieser rot-grünen Bundesregierung darum bemühen, von Beginn an die Weichen grundsätzlich anders zu stellen, und zwar für mehr Wachstum, für eine Belebung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie für besser geordnete Staatsfinanzen. Herzlichen Dank. ({37})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Joachim Poß das Wort für die SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Finanzpolitik ist Vertrauenssache, Herr Austermann. Mit einem Sammelsurium von Halb- und Unwahrheiten sowie schiefen Vergleichen schafft man kein Vertrauen. Sie als Person stehen für eine halbseidene Finanz- und Haushaltspolitik. Sie sind einfach nicht seriös. Deshalb schaffen Sie, Herr Austermann, auch kein Vertrauen. ({0}) Das genaue Gegenteil verkörpert der Bundesfinanzminister Hans Eichel. Ihm vertrauen die Menschen, weil er vertrauenswürdig ist. So ist es nun einmal. Das macht Ihnen zu schaffen. ({1}) Deswegen halten wir an unserem Markenzeichen, der soliden Finanzpolitik, fest. Ich möchte mich mit der Rede von Herrn Austermann eigentlich nicht näher beschäftigen. Ich möchte nur auf ein Beispiel eingehen: Herr Austermann, Sie haben mit Blick auf den Wahlkampf in Berlin tränenreich dargelegt, wie diese Regierung die Bundeshauptstadt im Stich ließe. Ich frage Sie: Wer hat denn die Verantwortung dafür, dass die Subventionen von 1990 bis 1998 abgebaut worden sind? Herr Austermann, im Übrigen war es doch klar, dass diese zurückgeführt werden mussten. Soweit ich mich erinnere, hatte sich die SPD-Fraktion bei den Haushaltsberatungen immerhin noch für einen Gleitflug eingesetzt, damit es nicht zu abrupt wird. Verzerren Sie doch nicht so die Wahrheit! ({2}) Ich könnte die Liste der Beispiele fortführen. Aber ich belasse es bei dem einen; denn sicherlich werden noch andere Kolleginnen und Kollegen Beispiele auflisten. Es sollte nur ein Beleg für Ihre Art von Argumentation sein. Meine Damen und Herren, wir halten mit dem Entwurf des Bundeshaushaltsplans 2002 und mit dem Finanzplan bis 2005 Kurs; denn eines haben die Menschen gespürt: Bei allem, was uns bei der konjunkturellen Entwicklung und bei der Entwicklung am Arbeitsmarkt jetzt objektiv bedrängt - das ist ja nicht zu leugnen -, spüren sie, dass wir ein neues Denken in die Finanzpolitik eingeführt haben, dass wir nicht nur darüber reden, sondern es auch praktizieren. Wir stehen für Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit. Diese Koalition steht für ein neues Denken in der Finanzpolitik. ({3}) Das ist eine Qualität an sich. Jetzt gilt es - das ist schwierig genug; der Bundesfinanzminister hat davon gesprochen -, Jahr für Jahr den Beweis dafür anzutreten und das praktisch einzulösen. ({4}) Es ist schon richtig: Das war im letzten Jahr einfacher, als es in diesem Jahr ist und voraussichtlich auch im nächsten Jahr sein wird. Aber es gibt keine Alternative dazu. Wir müssen dieses neue Denken durchsetzen. Deshalb wird - trotz manchen Spekulationen und trotz wenig gelungener Panikmache von Herrn Austermann - die Konsolidierung des Bundeshaushalts planmäßig fortgesetzt. Aber wir konsolidieren nicht nur, sondern wir schaffen auch die finanzielle Grundlage hin zu mehr sozialem Ausgleich und zu nachhaltiger Zukunftsgestaltung. Natürlich müssen wir dabei die ökonomischen Grunddaten der Bundesrepublik Deutschland und der internationalen Wirtschaftsentwicklung beachten. Wenn Sie die Arie von Deutschland als dem Schlusslicht in Europa singen, wissen Sie doch ganz genau, warum das so ist. Sie kennen den wesentlichen Grund: Das Ganze liegt nun einmal im Einigungsprozess mit den Sonderfaktoren Bauindustrie und anderen mehr begründet. ({5}) Es gibt einschlägige Untersuchungen, die Sie sorgfältig durchlesen sollten. ({6}) Ein Zweites: Sie haben die Weichen für den Neuaufbau in Ostdeutschland falsch gestellt. ({7}) Darunter leiden wir noch heute. Sie haben die Wachstumsverlangsamung von durchschnittlich 1,4 Prozent in den 90er-Jahren nun wirklich zu verantworten. Sie haben uns damit zum lahmen Gaul in Europa gemacht und sollten jetzt nicht die Backen aufblasen, wenn das nicht von heute auf morgen zu verändern ist. ({8}) - Gerade Sie, Herr Rexrodt, sind nun wirklich die Personifizierung der „lame duck“ in der Wirtschaftspolitik und sollten sich hier dementsprechend benehmen. Die Haushaltspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrer gemeinsamen Klausurtagung die wirtschaftliche Situation und die konjunkturellen Risiken genau bewertet. Wir müssen und werden davon ausgehen, dass es gegenüber dem vorgelegten Entwurf in Haushaltsbereichen, die von der Konjunkturentwicklung abhängig sind, zu gewissen Mehrbelastungen kommen wird. Die Haushaltspolitiker der Koalition sind einvernehmlich zu der Auffassung gelangt, dass die von der Bundesregierung in ihrem Budgetentwurf für 2002 vorgesehene Nettokreditaufnahme von 21,1 Milliarden Euro oder 42,1 Milliarden DM im Rahmen der jetzt anstehenden parlamentarischen Beratungen im Ergebnis gehalten werden kann. Das ist ein wichtiges Signal für die künftige finanzielle Entwicklung, auch im Blick auf die Europäische Zentralbank. ({9}) Mehrbelastungen bei den Arbeitsmarktausgaben und Steuermindereinnahmen können nach unserer Einschätzung an anderer Stelle des Etats aufgefangen werden - das gilt im Übrigen auch für das laufende Haushaltsjahr -, sodass die für 2001 geplante Nettokreditaufnahme von 43,7 Milliarden DM nach heutiger Einschätzung nicht überschritten werden wird. Was Herr Austermann dazu gesagt hat, war nichts anderes als das übliche oppositionelle Rollenspiel, das wir bis 1998 auch betrieben haben, das wir allerdings etwas besser beherrscht haben als Sie, Herr Austermann. ({10}) Wie in jedem Jahr wird die Regierung zeitnah zur Abschlussberatung des Etatentwurfs 2002 im November dem Haushaltsausschuss ihre dann aktuelle Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Steuereinnahmen vorlegen. Auf dieser Grundlage wird die Koalition sicherstellen, dass der Etat 2002 bei seiner Verabschiedung Ende November so aktuell und realistisch wie nur möglich ist, wenn man Aussagen über das kommende Haushaltsjahr macht. Der Vorwurf, wir würden schönfärben oder die Risiken bagatellisieren, entbehrt deshalb jeder Grundlage. Im Unterschied zum Haushaltsgebaren in der Regierungszeit Kohl/Waigel sind Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit für uns wesentliche Bestandteile der Haushaltspolitik. ({11}) - Das ist neu in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine neue Qualität. Das sage ich, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, so etwas hier hören zu müssen. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, das heißt, die Rückführung der Neuverschuldung, und danach erst der Abbau des gigantischen Schuldenberges sind nach wie vor unabdingbar notwendig, um die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Gebietskörperschaften auf allen Ebenen auch für die Zukunft zu erhalten. Das kann nur gelingen, wenn wir unseren langfristigen Pfad überzeugend verfolgen. Also: Jährliche Absenkung der Nettokreditaufnahme als stetige Politikaufgabe, und zwar, wie gesagt, nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch dann, wenn es einmal regnet, wie das in diesem Jahr der Fall ist. Das Herauskommen aus der Schuldenfalle, aus der Verfassungswidrigkeit der Haushalte wird uns in den nächsten Jahren noch gemeinsam beschäftigen. Ohne unser Konsolidierungspaket hätten wir nach 1998 aus der Ära Kohl/Waigel ein Neuverschuldungsniveau von jährlich 60 Milliarden DM bis 70 Milliarden DM fortschreiben müssen. Daran ist nichts zu ändern. ({12}) Auch wenn viele von uns und viele Bürgerinnen und Bürger ein kurzes Gedächtnis haben: Diesen Marsch in die Schuldenfalle haben wir gestoppt. Das können Sie uns nicht ausreden. Der Öffentlichkeit können Sie auch nichts anderes weismachen. ({13}) Dabei vergessen wir Gestaltungselemente und durchaus auch konjunkturfördernde Impulse nicht. Ich stimme zwar mit dem Bundesfinanzminister überein, ({14}) dass unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sehr beschränkt sind, aber sie sind nicht gänzlich ausgeschlossen. Natürlich hat auch der Bundeshaushalt Auswirkungen auf das konjunkturelle Geschehen. Was mit dem Konsolidierungspfad vereinbar gemacht werden konnte, wird realisiert. Unser Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir in diesem Jahre begonnen haben und das wir im nächsten Jahr fortsetzen, ist ein Beispiel. Das sind solche Elemente, die in den nächsten Monaten noch stärker zum Tragen kommen, als das bisher der Fall war. Das gilt ebenfalls für die Steuerentlastungen dieses Jahres, die auch im nächsten Jahr wirken werden und die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Infolge der geringer werdenden Inflation wird der Spielraum größer. Schon die September-Daten werden da interessant werden. Die August-Zahl - das wissen wir ja - ist noch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Hier wurde vom Mittelstand gesprochen. Dazu hat Herr Eichel, überzeugend Stellung genommen. Die Propaganda von manchen mittelständischen Verbänden, die einer Partei oder auch zwei Parteien der ehemaligen Regierung besonders eng verbunden sind, ({15}) lesen wir wohl, aber diese Propaganda ({16}) wird im nächsten Jahr an der Realität zu messen sein, Herr Repnik. Uns freut es nicht, wenn wir lesen, was der Verband der Volksbanken und Raiffeisenbanken so alles erklärt. Dann forschen wir nach: Wie kommen solche Stellungnahmen denn zustande? Wir hören: Der Herr Kiefer, der ehemalige CDU-Sprecher, hat da eine Außenstelle errichtet. ({17}) In solchen Fragen werden wir Transparenz schaffen. Es kann nämlich nicht angehen, dass diese Verbände sozusagen jenseits der Faktenlage ständig Propaganda im Interesse der CDU/CSU oder partiell auch der FDP machen, meine Damen und Herren. ({18}) Das werden wir auch im Bundestag zum Thema machen. Das kann man so nicht hinnehmen. ({19}) Zur Familienpolitik. An Ihrer Stelle würde ich mich hier überhaupt nicht auf die Familienpolitik berufen. Wir kennen doch die Entwicklungsgeschichte. Als wir beim Kindergeld die Erhöhung von 70 DM auf 200 DM durchgesetzt haben - das war der Druck einer relativen Mehrheit der SPD im Bundesrat und der SPD-Bundestagsfraktion -, wollte Herr Waigel das Kindergeld für das zweite Kind nur um 20 DM erhöhen. Lesen Sie doch einmal die einschlägigen Reden von Herrn Merz oder von Herrn Schäuble nach! ({20}) Als wir nach dem Regierungswechsel 1998 als eine der ersten Maßnahmen die Erhöhung des Kindergeldes vorgeschlagen haben, waren Sie dagegen, weil es angeblich keine Arbeitsplätze schafft. ({21}) Haben Sie so ein kurzes Gedächtnis? Ich hoffe nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger ein solch kurzes Gedächtnis haben. Durch das, was wir in verschiedenen Schritten beschlossen haben, zuletzt im zweiten Familienförderungsgesetz, wird die private Nachfrage ebenfalls im nächsten Jahr um 5 Milliarden DM gestärkt. Wir tragen auch durch die öffentlichen Investitionen von über 50 Milliarden DM, die im Entwurf des Bundeshaushalts 2002 vorgesehen sind, zu einer Stärkung der konjunkturellen Entwicklung bei. Wir wissen andererseits - das ist nicht zu leugnen; das sagen auch alle Ökonomen -: Es gibt keine Instrumente und Maßnahmen, die uns aus der derzeitigen konjunkturellen Abschwächung mit Sicherheit und umgehend herausbringen können. Die konjunkturelle Entwicklung ist trotzdem nach wie vor chancenreich. Konjunkturpolitischer Aktionismus ist überhaupt nicht angebracht. Auch das sagen alle Sachverständigen. Was von Ihnen vorgeschlagen wurde - Herr Austermann hat es zuletzt zusammengefasst - und was von einigen Verbandsfunktionären über zusätzliche umfangreiche Steuersenkungen und Mehrausgaben in den verschiedenen Haushaltsbereichen zu hören ist, das alles ist für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden nicht verkraftbar. Sie können nicht auf der einen Seite, wie es in einigen strukturschwachen Städten in Nordrhein-Westfalen geschieht, die Haushaltslage beklagen - man kommt überhaupt nicht mehr klar und fordert eine Gemeindefinanzreform - und auf der anderen Seite das Vorziehen der Steuerreform - es geht um Einnahmeausfälle von über 40 Milliarden DM; die Gemeinden wären mit 6 Milliarden DM dabei - fordern oder einen Tarif vorschlagen, der einen Ausfall von 175 Milliarden DM bedeuten würde, woran die Kommunen wiederum mit 15 Prozent beteiligt wären. Wir lassen Ihnen eine Politik, die mit gespaltener Zunge arbeitet - Kommunen auf der einen Seite, Bundespolitik auf der anderen Seite -, nicht durchgehen. ({22}) Im Übrigen wäre das, was Sie fordern, nicht realisierbar. Der Bundeshaushalt und eine Reihe von Landeshaushalten würden verfassungswidrig werden. Allen einigermaßen Sachkundigen müsste klar sein, was das für das deutsche Standing auf den internationalen Finanzmärkten, für die Politik der Europäischen Zentralbank und für den Euro bedeuten würde. Von daher passen die Forderungen, die die Haushaltspolitiker der CDU/CSU-Fraktion anlässlich ihrer Klausurtagung letzte Woche aufgestellt haben, ins Bild. Es handelt sich um ein Füllhorn von Wohltaten für fast alle gesellschaftlichen Gruppen ohne einen einzigen ernst zu nehmenden Finanzierungsvorschlag. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nicht mehr anzubieten, als die vorgesehene Neuverschuldung im Bundeshaushalt im Ergebnis nahezu zu verdoppeln. Das ist Ihr Beitrag zur deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. - Jämmerlich, kann ich da nur sagen. ({23}) Oder haben Sie andere Finanzierungsvorschläge? Bei Ihnen war eigentlich auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer immer sehr beliebt. Es sticht ins Auge, dass es bei Ihnen wirklich ein Chaos in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, ein Chaos von Konzepten und ein Schaulaufen von Personen, gibt. Seit dem Sommer haben sich maßgebliche Politiker der Union mit neuen Vorschlägen zur Finanz- und Wirtschaftspolitik geradezu überschlagen. Manchmal war auf dem Papier die Tinte noch nicht trocken, da kam schon eine neue Variante. Das war ein Theaterstück mit fünf Akten und anschließend mit Zugabe. Erster Akt. Ende Juni legt die Parteivorsitzende der CDU, Frau Merkel, ein 10-Punkte-Konjunktur-Sofortprogramm vor. Zweiter Akt. Einen Tag später kontern der Fraktionsvorsitzende der Union, Herr Merz, und der Landesgruppenchef der CSU, Herr Glos, mit einem - allerdings anders gestrickten - Zehnpunkteprogramm. Dritter Akt. Mitte August bekräftigt der bayerische Ministerpräsident, Herr Stoiber, seine Ambitionen als Kanzlerkandidat der gesamten Union mit einem eigenen Konzept. Zur Erinnerung: Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer auf 40 Prozent - das ist eine reine Umverteilung von unten nach oben ohne erkennbare positive ökonomische Effekte -, Absenkung der Abgabenbelastung auf 40 Prozent - wie ist das eigentlich mit der Forderung nach Aussetzung der Ökosteuer, deren Aufkommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet wird, vereinbar? -, Absenkung der Staatsquote ebenfalls auf unter 40 Prozent. Das alles, ohne zu sagen, welche staatlichen Leistungen zur Erreichung dieses Ziels gestrichen werden müssten. Vierter Akt. Ein paar Tage später melden sich daraufhin die CDU-Wirtschaftspolitiker Wissmann und Uldall zu Wort und holen ihr altes Einkommensteuerstufenmodell aus der Ablage, das wiederum von der CSU, besonders von Herrn Faltlhauser, kräftig gewürdigt wurde. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Frau Hasselfeldt, ob Sie die Meinung von Herrn Faltlhauser dazu teilen können. Fünfter Akt. Ende August bemüht sich die CDU-Parteivorsitzende, Frau Merkel, die Regie zurückzugewinnen. Sie erfindet den Slogan der „neuen sozialen Marktwirtschaft“ und fordert in diesem Zusammenhang ein weiteres Steuerstufenmodell. In den beiden Zehnpunkteprogrammen von Merkel bzw. Merz und Glos von Ende Juni war noch die Forderung nach Vorziehen der bereits beschlossenen Einkommensteuer-Entlastungsstufen 2003 und 2005 auf 2002 aufgeführt, was zu Steuerausfällen von mehr als 40 Milliarden DM für die öffentlichen Haushalte allein im Jahre 2002 geführt hätte. In der „neuen sozialen Marktwirtschaft“ - das wäre auch ein toller Name für eine Kneipe oder so etwas - der CDUVorsitzenden taucht diese Forderung nicht mehr auf. Jetzt die Zugabe. Das wiederum konnte Ministerpräsident Stoiber nicht so im Raum stehen lassen und hat an diesem Wochenende dagegengehalten. In deutlicher Konfrontation zur CDU-Parteivorsitzenden hat er erklärt, eine Einkommensbesteuerung nach dem Stufenmodell der CDU sei weniger leistungsfördernd und sei ungerechter als der geltende lineare Tarif. Dieser Ablauf, meine Damen und Herren, macht deutlich, wie zerstritten die Unionsparteien in einer zentralen Frage der deutschen Politik sind. ({24}) Deswegen stellen die Unionsparteien im politischen Wettbewerb keine ernst zu nehmende Alternative dar. Konzepte müssen auch realisierbar sein, wenn man denn eines hat. Soweit sind Sie aber noch nicht; Sie haben noch kein einheitliches Konzept. ({25}) Wenn diese Konzepte nicht realisierbar sind, taugen sie nicht für den politischen Ideenwettbewerb. Sie können sozusagen als Schaumschlägerei hier im Bundestag oder bei Talkshows eingesetzt werden. Für den politischen Ideenwettbewerb sind Sie konzeptionell nicht gerüstet. Auch das ist in den letzten Tagen deutlich geworden. ({26}) Eigentlich sollte die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu wichtig sein, als dass sie zum Spielball im Kampf um die Kanzlerkandidatur in CDU und CSU missbraucht wird. Nur eines haben die verwirrenden steuerpolitischen Vorschläge aus den Reihen der Opposition gemeinsam: Mit der Vorlage von jedem dieser Vorschläge verabschiedet sich die Opposition aus der Haushaltspolitik und damit von dem finanzpolitischen Ziel, das eigentlich für alle gelten sollte, nämlich in gemeinsamer Anstrengung die öffentlichen Finanzen auf allen Staatsebenen zu sanieren, um so sicherzustellen, dass der Staat auch in Zukunft seine Aufgaben erfüllen kann. ({27}) Der Bundesfinanzminister hat hier die Maßnahmen erwähnt, die dem sozialen Ausgleich dienen: BAföG, Wohngeld, Erziehungsgeld, Einkommensteuerreform. Ja, wir haben eine Trendwende geschafft, die Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Familien zugute kommt. Das haben Sie, meine Damen und Herren, nie hinbekommen. ({28}) Wir können nachweisen, dass unsere Steuerpolitik dem Mittelstand dient und nicht der Großindustrie. Wir werden darüber noch öfter diskutieren. Auch, dass wir für mehr Steuergerechtigkeit stehen, haben wir auf vielen Feldern bewiesen. ({29}) Mit unserem Gesetz zur Bekämpfung der Umsatzsteuerkriminalität fügen wir diesen Schritten einen weiteren hinzu: Wir brauchen in diesem Lande mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuerlegalität. ({30}) Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, liegen Sie falsch, wenn Sie Ihr Heil in maßlosem und hektischem wirtschafts- und finanzpolitischen Aktionismus suchen. Sie machen sich etwas vor, wenn Sie glauben, die Bürgerinnen und Bürger würden auf unfinanzierte Wohltaten und Steuersenkungen auf Pump hereinfallen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wissen ganz genau, dass so die Zukunft nicht zu gewinnen ist. Sie wissen auch ganz genau, weshalb sie Hans Eichel, dieser Bundesregierung und dieser Koalition die Verantwortung für die Finanzpolitik im nächsten Jahr wieder überantworten werden. ({31})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Eichel, auch ich muss zunächst einmal meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, wie Sie Ihre Haushaltsrede angelegt haben. Sie haben mehr als die Hälfte Ihrer Redezeit darauf verwandt, über angebliche Versäumnisse in den 90er-Jahren zu sprechen. ({0}) Sie haben in diesem Zusammenhang nicht ein einziges Mal das Ereignis erwähnt, das in den 90er-Jahren die Finanzpolitik und die Politik in Deutschland überhaupt überlagert hat. ({1}) Wären Sie, Herr Eichel, ehrlich gewesen, hätten Sie auch ein paar Worte zum Haushalt des Landes Hessen sagen müssen, den Sie zu verantworten hatten. Ein Ruhmesblatt stellte er bestimmt nicht dar. ({2}) Ich möchte über den Haushalt 2002 sowie über das sprechen, was uns in Zukunft bevorsteht, wenn wir bestimmte Strukturprobleme nicht lösen. ({3}) Es gibt in diesem Haushalt zwei große Fallen; die erste ist eine aktuelle und die zweite eine strukturelle. Zu dem ersten Dilemma kommen wir ganz schnell über die wachsenden Arbeitslosenzahlen; in der Vergangenheit war es von der Tatsache verdeckt, dass wir eine günstige Konjunktur mit um insgesamt 14 Prozent steigenden Steuereinnahmen hatten und dass dem Bundeshaushalt dreistellige Milliardensummen durch die Privatisierung zugeflossen waren, eine Privatisierung, die Sie vorher bis aufs Messer bekämpft hatten. ({4}) Ich gebe zu, Sie haben einen Gutteil der Privatisierungserlöse in die Rückführung der Verschuldung eingeführt. Mit dem Anerkenntnis, dass die Struktur der Schuldenpolitik richtig ist, haben wir Liberale nie ein Problem gehabt. Aber von diesem Segen auf der Einnahmeseite lässt sich im Jahre 2001 nichts mehr feststellen: Die Steuerschätzungen müssen nach unten revidiert werden und die Einmaleinnahmen verblassen, während Zusatzausgaben in Milliardenhöhe, für deren Gegenfinanzierung noch keine Vorsorge getroffen worden ist, erforderlich sind. Ich denke hier beispielsweise an die Familienförderung, an die Entwicklungshilfe oder an die Rücklage für Reinvestitionen. All dies ist in Ihrem Haushalt überhaupt nicht berücksichtigt. Deshalb ist Ihr Haushaltsentwurf für 2002 schon am heutigen Tage Makulatur, Herr Eichel. ({5}) Auf der Ausgabenseite hat der Bundesfinanzminister ohnehin nie seine Schularbeiten gemacht; das haben wir immer gebrandmarkt. So sind die Investitionsausgaben - ich werde darauf noch zurückkommen - auf eine historisch niedrige Quote zurückgeführt worden. Auch wurde der Bundeswehr vorenthalten, was sie für ihre Umstrukturierung und zur Erfüllung ihrer Aufgaben braucht. Da hat sich der Sparkurs niedergeschlagen. Meine Damen und Herren, diese unzulängliche Politik holt uns heute ein. Wir stehen aktuell vor dem Dilemma einer schlechten Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit und zumindest relativ fallenden Steuereinnahmen. Ferner stehen wir vor dem strukturellen Dilemma einer alternden Bevölkerung auf der einen Seite und einem enormen Anstieg der Ausgaben aufgrund von Leistungsgesetzen auf der anderen Seite. ({6}) Bevor ich aber darauf eingehe, möchte ich etwas zur Arbeitslosigkeit und zur Arbeitsmarktpolitik sagen. Als Wahlkämpfer hat diese Koalition 1998 großartig verkündet, sie verfüge über Rezepte zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme. Heute flüchtet man sich in die „Politik der ruhigen Hand“. Diese Politik wird überall im Lande als eine Politik der ruhigen Kugel erkannt und als Hilflosigkeit und Unfähigkeit, diese Probleme anzupacken, entlarvt. ({7}) Das Missverhältnis zwischen ansteigenden Sozialausgaben und sinkenden investiven Ausgaben - ich nehme hier keine Bewertung der Einzelausgaben vor - erstickt im Haushalt jede Kreativität. Es wird ein Desaster geben. Jeder, der von diesem Haushalt etwas versteht, weiß, wohin es führen wird, wenn wir das Ruder nicht herumreißen. ({8}) Im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit wird von Ihnen, Herr Eichel, und von anderen gesagt, hier handele es sich um eine Schwächephase auf Zeit. Solche Beschwichtigungsversuche hat es bei schlechter Konjunkturlage immer gegeben, auch bei uns; das sei Ihnen geschenkt. Völlig neben der Sache liegt die Koalition aber mit der Behauptung, dass diese Schwäche ihre Ursache überwiegend in weltwirtschaftlichen Entwicklungen habe, dass die USA daran schuld seien. Das Gegenteil ist der Fall, und zwar aus folgendem Grund: Das strategische Highlight Ihrer bisherigen Politik, die so genannte Steuerreform, hat in Teilen der deutschen Wirtschaft und namentlich im Mittelstand zu einer ungeheuren Verärgerung und zu Verdruss geführt. ({9}) Sie wird als viel zu spät eingeleitet wahrgenommen. Sie wirkt sich in den Jahren 2004 und 2005 aus; das ist viel zu spät. ({10}) Sie hat zu einer Verärgerung geführt, weil die Großunternehmen 25 Prozent Körperschaftsteuer plus 13 Prozent Gewerbesteuer zahlen, also in der Summe 38 Prozent, während der Mittelstand - zumindest der Teil des Mittelstandes, der das Rad dreht und den Höchstsatz der Einkommensteuer zahlt - 4 Prozentpunkte mehr zahlt. Das hat im Mittelstand zu einem Riesenärger über diese Steuerreform und zu Investitionsattentismus geführt, das hat zu Arbeitslosigkeit geführt. ({11}) Hinzu kommt das unselige Thema Ökosteuer, über das wir hier immer wieder gesprochen haben. Diese Steuer ist in der Wahrnehmung der mittelständischen Wirtschaft deshalb so verheerend, weil sie die Großverursacher von Umweltverschmutzung außen vor lässt, während sie beim Mittelstand, bei den Arbeitnehmern, den Selbstständigen und Handwerkern richtig zuschlägt. ({12}) Das ist der zweite Punkt, der zu Verärgerung und Zurückhaltung im Mittelstand geführt hat und der für die konjunkturelle Schwäche verantwortlich ist, Herr Eichel, nicht die USA oder die Weltwirtschaft. Das muss gesagt werden. ({13}) Sie haben im Hinblick auf die Veräußerungsgewinne bei mittelständischen Unternehmen ein bisschen korrigiert. Wir fordern Sie auf: Machen Sie die Steuerreformschritte schnell, ziehen Sie sie auf das nächste Jahr vor. Lassen Sie jede weitere Erhöhung der unseligen Ökosteuer. ({14}) Entschließen Sie sich, Steuervereinfachung durchzuführen, drei Stufen von Steuersätzen einzuführen, 15 Prozent, 25 Prozent und 35 Prozent, wie die FDP das seit langem vorschlägt. ({15}) Wir können über die eine oder andere Ziffer reden; das können auch einige Prozentpunkte mehr oder weniger sein. Darauf kommt es nicht an. Ich verspreche Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, ({16}) wenn Sie dies machten, hätten wir von Stund an in Deutschland ein anderes Investitionsklima und würden auch wieder Leute eingestellt. Die Konjunkturkrise ist zu großen Teilen hausgemacht. Das muss hier gesagt werden. ({17}) Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind gravierend. Die prognostizierten Arbeitslosenzahlen werden nicht zu halten sein, weder die 3,7 Millionen im Jahresdurchschnitt und noch weniger die 3,5 Millionen im nächsten Jahr. Ich weiß sehr wohl, dass es einen Königsweg zur Lösung der Probleme nicht gibt. Aber es waren doch die rot-grünen Wahlkämpfer von 1998, die sagten, sie wüssten, wo es lang gehe und was man machen müsse. Es gibt da Stellschrauben; an ihnen haben Sie auch gedreht, aber Sie haben in die falsche Richtung gedreht. Die rot-grüne Koalition hat alle Ansätze aus der 13. Legislaturperiode - sie waren vorsichtig und, wenn ich ehrlich bin, unzulänglich genug - in Sachen Tarifund Arbeitsrecht in ihr Gegenteil verkehrt. Das Scheinselbstständigengesetz, die Regelung der 630Dr. Günter Rexrodt Mark-Jobs, die Korrektur des Kündigungsschutzes, die Rücknahme der Karenzzeit bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, später dann das Recht auf Teilzeitarbeit und jetzt vor kurzem unter der Überschrift „Mehr Mitbestimmung“ eine zusätzliche Investitionsbremse für den Mittelstand - meine Damen und Herren, das ist eine falsche Politik; sie führt in dieses Haushaltsdilemma für 2002. ({18}) Wenn wir vorankommen wollen, muss es darum gehen, das verkrustete Arbeits- und Tarifrecht aufzubrechen. Daran wird sich entscheiden, ob unser Land wieder Zuversicht schöpft oder ob wir hinterherhinken, ob wir im Geleitzug der europäischen Länder, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, wieder vorn oder mittendrin oder hinten sind. Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind neben den Zuschüssen zur Rentenversicherung das Ausgabenproblem Nummer eins in unserem Haushalt. Ganz aktuell sind sie ein Risiko für den Haushalt 2002, weil die Ansätze für die Bundesanstalt für Arbeit und die Ansätze für die Arbeitslosenhilfe von der Annahme ausgehen, dass es im Jahresdurchschnitt 3,48 Millionen Arbeitslose gibt. Das wird aber nicht der Fall sein. Diese Annahme hat Sie dazu gebracht, Herr Eichel, eine Zeit lang von einem Ausgabenkorridor zu sprechen, wie das Herr Fabius schon lange tut. Sie haben sich dann Gott sei Dank korrigiert. Ich hoffe, es bleibt dabei und die Nettokreditaufnahme wird um 10 Milliarden DM pro Jahr zurückgeführt. Eine Politik, die darauf hinausläuft, hier ein bisschen zu sparen, dort ein bisschen zeitlich zu strecken, und Glück bei den Einnahmen zu haben, lässt sich nicht fortsetzen, wenn wir mit dem wichtigsten Problem des Haushalts, dem Ungleichgewicht zwischen investiven Ausgaben und Sozialausgaben, fertig werden wollen. Die Bundesrepublik Deutschland - das sage ich ohne jede Polemik - bewegt sich kontinuierlich auf einen Punkt zu, ab dem sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Infrastruktur einschließlich ihrer Sicherheitsstruktur zu finanzieren. ({19}) Diese Entwicklung findet im Übrigen schon seit längerem statt. Dass ich diese Tatsache erwähne, ist Ausdruck dessen, dass es mir an dieser Stelle nicht um einen tagespolitischen Schlagabtausch geht. Es geht um sehr viel mehr. Ich möchte dazu einige wenige Zahlen in den Raum stellen. Erstens. Die investiven Ausgaben des Bundes sind seit 1975 - mit einer kurzen Unterbrechung unmittelbar nach der Wiedervereinigung - kontinuierlich von 16,3 Prozent des Gesamthaushaltes auf 11,4 Prozent im Jahre 2002 gesunken. Im Jahr 2005 sollen sie bei 10,3 Prozent liegen. Zweitens. Die Ausgaben für die Bundeswehr wurden seit 1985 von 49 Milliarden DM oder 19 Prozent des Bundeshaushaltes auf 46 Milliarden DM oder 9,5 Prozent des Haushaltes zurückgeführt. Dabei wurden insbesondere die investiven Ausgaben gesenkt, also diejenigen Ausgaben, die nicht in den laufenden Betrieb, sondern in die Anschaffung gehen. Die Bundeswehr ist also unterfinanziert. ({20}) Drittens. Die Ausgaben des Bundes für den Bereich soziale Sicherung - also Leistungen an die Rentenversicherung, landwirtschaftliche Sozialpolitik und Mittel für die Arbeitsmarktpolitik - sind in der gleichen Zeit kontinuierlich gestiegen. Sie belaufen sich heute auf 41,4 Prozent des Gesamthaushaltes. Augenfällig ist dabei die Entwicklung der Zuschüsse zur Rentenversicherung. Sie lagen 1982 bei 12,6 Prozent. Jetzt sind es 29,1 Prozent und im Jahr 2005 werden es 31 Prozent sein. Mit dieser Gegenüberstellung geht es mir nicht darum, eine Bewertung in dem Sinne „Was ist wichtiger, die Finanzierung von Fernstraßen, sichere Fahrzeuge für die Bundeswehr oder Ausgaben für die soziale Sicherung?“ vorzunehmen. Es geht mir darum, den Blick darauf zu richten, dass in absehbarer Zeit kaum noch Mittel für Investitionen bereitstehen, wenn der dramatische Anstieg der Sozialausgaben im Haushalt nicht begrenzt werden kann. ({21}) Um diesem Dilemma entgegenzuwirken, gibt es im Wesentlichen drei Handlungsbereiche. Im ersten hat die rot-grüne Koalition die richtigen Weichen gestellt, im zweiten die falschen und im dritten hat sie gar nichts getan. Das ist eine magere Bilanz. Richtige Weichen wurden beim Aufbau einer zusätzlichen, kapitalgedeckten Altersvorsorge auf privater Basis gestellt. Die umfassende staatliche Förderung in einem übrigens viel zu komplizierten System wird dabei zunächst zu erheblichen Einnahmeausfällen führen. Das will ich aber gar nicht kritisieren; das ist unumgänglich. Im Übrigen werden zu Recht Zweifel an dem Rechenwerk geäußert; ich komme darauf noch zu sprechen. Eine zweite Rentenreform, Herr Eichel und Herr Riester, ist unvermeidbar. ({22}) Im zweiten Handlungsbereich haben Sie zwecks Finanzierung der Rentenversicherung schlicht die Steuern angehoben, nämlich die Mineralölsteuer erhöht und die Gas- und Stromsteuer eingeführt. Das wird kaschiert durch den Begriff Ökosteuer. Wir wissen jedoch, dass es zweckgebundene Steuern gar nicht gibt; Steuern fließen alle in einen Topf. Wenn schon eine Bezeichnung für die Begründung der Steuererhöhungen gesucht wird, dann müsste diese Steuer nicht Ökosteuer, sondern Rentenfinanzierungsteuer heißen. ({23}) Unser Land braucht aber niedrigere Steuersätze und nicht eine ideologische Überhöhung einer Rentenfinanzierungsteuer durch den Begriff Ökosteuer. Das dritte Handlungsfeld, in dem es um die Rückführung der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik gehen muss, habe ich bereits angesprochen. Um wenigstens einen Teil der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wieder in den Arbeitsprozess eingliedern zu können, müssen Tabus gebrochen werden. Andere Länder sind dort weiter; sie haben mehr Fantasie. Im Übrigen waren es wir, die Liberalen, die sich immer für die Abschaffung des Flächentarifs ({24}) und ein System von Anreiz und Sanktionen ausgesprochen haben. ({25}) Dafür bedurfte es nicht - wie bei Herrn Koch - einer Reise nach Wisconsin. Herr Scharping, der ebenfalls solche Gedankensplitter äußerte, wurde ganz schnell wieder zurückgepfiffen. Zu einem weiteren Aspekt, der, wie ich meine, in diesem Zusammenhang sogar der wichtigste ist, weil er die Ursache beschreibt: Der wesentliche Grund für dieses Dilemma - Rückgang der Investitionen und Anwachsen der Ausgaben für Leistungsgesetze - ist, dass die Wohnbevölkerung in Deutschland eine dramatische Veränderung der Altersstruktur durchmacht. Von den 82 Millionen Einwohnern in Deutschland gehören heute noch 47 Millionen Menschen der Altersgruppe der 20- bis 60-Jährigen an; im Jahre 2030 werden es nur noch 36 Millionen sein. Gleichzeitig wird die Zahl der über 60-Jährigen von heute 18 Millionen auf 30 Millionen ansteigen. Dabei ist schon die günstige Prognose zugrunde gelegt, dass jährlich 250 000 Leute zuwandern und die Geburtenziffer von heute 1,25 auf 1,50 je Frau steigt. Diese Zahlen, die die Altersstruktur unserer Wohnbevölkerung beschreiben, bergen eine Dramatik. Das wird das Thema der nächsten 30 Jahre aller Politikbereiche sein. Hier muss umgesteuert werden. ({26}) Wir können das Problem nicht dadurch lösen, dass wir die Schulden erhöhen. Wir müssen vielmehr eine zweite Rentenreform ins Auge fassen - daran führt kein Weg vorbei und schnell und durchgreifend eine Gesundheitsreform verabschieden, um die man sich bislang aus tagespolitischen Erwägungen heraus drückt. ({27}) Darüber hinaus brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz. Dieses Vorhaben kommt nicht voran. Die Grünen machen scharf. Im Übrigen - wenn ich das sagen darf - bekleckert sich in Sachen Zuwanderungsgesetz auch die Union nicht gerade mit Ruhm. ({28}) Auch wenn dies in Deutschland immer ein bisschen Hautgout hat, möchte ich es doch auf den Punkt bringen: Wir brauchen in diesem Land mehr junge Bürger. Wir brauchen mehr Kinder. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Rahmenbedingungen, eine Frage von Kindergärten und eine Frage dessen, ob die gesellschaftliche Rolle der erziehenden Frau oder des erziehenden Mannes richtig gewürdigt wird. ({29}) Darüber hinaus brauchen wir in diesem Land Zuwanderung. Mit jedem Jahr, das wir verstreichen lassen, ohne dass das entsprechende Gesetz verabschiedet wird, verschenken wir wesentliche Ressourcen, die dringend gebraucht werden. Daher muss ein solches Gesetz verabschiedet werden. ({30}) Ich komme zum Schluss. - Die Bundesregierung hat aus tagespolitischer Opportunität beschlossen, sich nach Steuer- und Rentenreform auf medienorientierte Auftritte und Veranstaltungen zurückzuziehen. ({31}) Das werden Sie das Jahr über nicht durchhalten und das dürfen Sie angesichts des aktuellen Dilemmas auf dem Arbeitsmarkt und des strukturellen Dilemmas aufgrund der Bevölkerungsentwicklung auch nicht durchhalten. Herr Eichel und insbesondere, in nachahmenswerter Weise, Herr Poß haben hier große Worte über Strukturen gefunden. ({32}) Aber die Strukturprobleme haben Sie überhaupt nicht angepackt. Sie machen Tagespolitik, nicht mehr und nicht weniger. ({33}) Das ist Ausdruck Ihrer Hilflosigkeit und Ihres mangelnden Mutes bei der Bewältigung der anstehenden Probleme. Wir brauchen mehr als Tagespolitik, aber das spiegelt dieser Haushalt nicht wider. Deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen. ({34})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüße ich auf der Tribüne den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes, Herrn Dr. Engels, sehr herzlich. Ich freue mich, dass Sie an unseren Beratungen teilnehmen. ({0}) Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer nüchternen Zahl beginnen und damit der derzeitigen Stimmung in unserer Gesellschaft, in der Kassandra Konjunktur hat, einige Fakten entgegenhalten. Ich kann Ihnen verkünden, dass die Steuereinnahmen des Bundes zum Stand Ende August dieses Jahres um 400 Millionen DM höher lagen als zum vergleichbaren Zeitpunkt des Vorjahres und damit aus heutiger Perspektive eine gute Chance besteht, dass der Bundeshaushalt dieses Jahr nicht unter starken Steuerausfällen leidet, wie es in Horrorszenarien dargestellt wird. ({0}) In diesem Jahr sind keine konjunkturbedingten Steuerausfälle zu konstatieren, sondern nur solche aufgrund unserer Steuerreform, die den Bürgern und der Wirtschaft zugute kommt. Das ist für mich als Haushälter ein gutes Zeichen. ({1}) Je länger ich dem Parlament angehöre, umso mehr denke ich, dass ich in der Vorbereitung auf eine solche Rede nur zu lesen brauche, was die Kollegen Austermann und Rexrodt im vorangegangenen Jahr gesagt haben, denn die Argumente wiederholen sich. ({2}) Da das Gedächtnis der Menschen kurz ist, eine kurze Replik in Zahlen, um zu zeigen, dass man Äpfel mit Äpfeln vergleichen muss und nicht Äpfel mit Birnen. Wenn ich mir - das ist vor allem an Ihre Adresse gerichtet, Kollege Austermann - unsere Legislaturperiode anschaue, stelle ich fest: Wir haben die Bundesschulden in unserer Regierungszeit bis 2002 unter Einrechnung der UMTS-Erlöse um 38,6 Milliarden Euro erhöht; das sind 5,2 Prozent mehr Schulden in den vier Jahren unserer Regierungszeit als in den vier Jahren davor. ({3}) Ihre Regierung hat die Verschuldung des Bundes zwischen 1995 und 1998 um 141 Milliarden Euro oder 23 Prozent erhöht. Da war die Wiedervereinigung kassenmäßig sozusagen längst bewältigt. Das zeigt die tatsächliche Konsolidierungsleistung dieser Regierung. Diese Konsolidierung hat mit Sicherheit einen Namen; er lautet Hans Eichel. ({4}) Auch eine andere Aussage, Kollege Austermann, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. In den vier Jahren unserer Regierungszeit - den Ist-Ergebnissen der letzten zwei Jahre, dem Soll-Ansatz dieses Jahres und dem Regierungsentwurf - haben wir insgesamt 8 Milliarden Euro Privatisierungseinnahmen. Sie hatten in den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit 14 Milliarden Euro Privatisierungseinnahmen für den Bundeshaushalt. Das ist ein Unterschied. Deshalb ist Ihre Behauptung, wir hätten angesichts der Privatisierungseinnahmen unsere Verschuldung künstlich heruntergerechnet, falsch. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Sie waren doch diejenigen, die allein im Wahljahr 1998, 10 Milliarden Euro Privatisierungserlöse einstellen mussten, um den Haushalt verfassungsgemäß zu halten. Das ist die Wahrheit; da beißt die Maus keinen Faden ab. ({5}) Drittes Argument: 1998 mussten Sie die Ausgaben des Bundes mit einer Kreditaufnahme in Höhe von 12 Prozent der Gesamtausgaben finanzieren. Wenn Sie die Nettokreditaufnahme des kommenden Jahres in Höhe von 21,1 Milliarden Euro in Relation zu den Ausgaben des Bundes setzen, dann stellen Sie fest, dass wir nächstes Jahr nur noch eine Kreditaufnahme von 8,5 Prozent in Bezug auf die Gesamtausgaben brauchen. Das zeigt, dass wir in den letzten Jahren auf dem Pfad der finanzpolitischen Tugend in der Tat ein ganz erhebliches Stück vorangekommen sind und dass die Behauptung: „Rote und Grüne können mit Geld umgehen“ ({6}) inzwischen in entsprechenden Veranstaltungen einen positiven Klang hat, selbst bei Wirtschaftskreisen, Herr Rexrodt. Wenn ich mit Unternehmern gesprochen habe - Unternehmer wählen sicher eher die FDP als die Grünen oder die SPD -, dann habe ich sie gefragt, wobei ich von ihnen eine ehrliche Reaktion verlangt habe: Hättet ihr erwartet, dass es die Koalition, die nach der politischen Farbenlehre Mitte/links angesiedelt ist, in ihrer Regierungszeit schafft, mit den Finanzen so umzugehen, dass wir von der Verschuldung herunterkommen? ({7}) Die meisten sagen: „Nein, das haben wir nicht erwartet“ und sind positiv überrascht. Wenn man dann gleichzeitig zur zweiten Leitplanke, zur Steuersenkung - die erste Leitplanke ist die Konsolidierung - fragt: „Hättet ihr als Unternehmer oder ihr als Bürgerinnen und Bürger - also, wohlgemerkt, Herr Rexrodt, in Ihren Wahlmilieus, bei Gutsituierten und nicht in der Unterschicht - erwartet, dass die rot-grüne Koalition im Rahmen ihrer Steuerpolitik den Grundfreibetrag erhöht?“, dann wird geantwortet, das habe man natürlich erwartet. ({8}) Das haben wir getan. Wenn man fragt: „Hättet ihr es erwartet, dass, wie es jetzt im Gesetzblatt steht, die Steuersätze von 53 auf 42 Prozent im oberen Bereich und von fast 26 auf 15 Prozent im unteren Bereich gesenkt werden?“, dann antworten sie: Nein, das hätten wir nicht erwartet. - Beides erreichen wir mit weniger Schulden und sinkender Steuerlast für die Bürgerinnen und Bürger. Das muss klar sein. ({9}) Kollege Rexrodt, ein weiterer Punkt - dabei will ich ehrlich sein; denn Sie haben es positiv formuliert -: Die jetzige Regierung, die eine große Volkspartei im Boot hat - Volksparteien fällt die Entscheidung zu einer solchen Konzeption immer schwerer als kleinen Parteien; denn sie haben eine viel breitere Schicht von Wählern zu vertreten -, hat es geschafft ({10}) - das weiß ich, Kollege Poß -, die Rentenreform mit dem Einstieg in die Kapitaldeckung durchzuführen. Irgendwann in den nächsten Jahrzehnten wird man in den Annalen den Tag im Januar 2001, an dem dieses Parlament den Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung beschlossen hat, als einen ganz besonderen Tag vermerken. ({11}) Dies war eine Strukturreform, die möglicherweise beispielgebend für andere Strukturreformen in dieser Gesellschaft ist, zum Beispiel für die anstehende im Gesundheitsbereich. Denn ohne diese Strukturreform, Kollege Rexrodt, können wir die demographischen Probleme unserer alternden Gesellschaft, aber auch die aller anderen Industriestaaten in der Tat nicht schultern. ({12}) Das ist eine ganz einfache Botschaft. Sie sollten sich diese Reformagenda einmal vor Augen führen. Diesen Problemdruck haben Sie uns hinterlassen; das habe ich schon vor einem Jahr gesagt. Ich finde es immer langweilig, die gleichen Reden zu halten. Schon damals habe ich Ihnen gesagt: Sie haben 30 Jahre lang regiert; die Schwarzen neben Ihnen haben 16 Jahre regiert. Sie waren bei jeder Verschuldung dabei. ({13}) Von unter 100 Milliarden DM hinauf auf rund 1,5 Billionen DM war die FDP 30 Jahre lang dabei. Sie waren die ganze Zeit über dabei, als die Lohnnebenkosten um rund 16 Prozentpunkte gestiegen sind. ({14}) Ich kann es nicht mehr hören, dass die Liberalen sozusagen der Hort einer angebotsorientierten und vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik sind. Sie waren immer diejenigen, die die Backen aufgeblasen haben. ({15}) - Herr Rexrodt, um es einmal deutlich zu sagen: Zwischen 1994 und 1998, damals in der Opposition, haben wir - ich war schon damals Sprecher unserer Fraktion - bei der Rente Reformen angemahnt. Die Kollegin Fischer in unserer Fraktion hat den demographischen Faktor mehrheitsfähig gemacht. ({16}) Das war eine Leistung. Unsere Partei hat ihr Konzept übernommen. Es war wichtig, dass wir uns in der Oppositionszeit die Mühe gemacht haben, den Menschen nicht wohlfeil nach dem Mund zu reden, sondern Konzepte anzubieten. ({17}) Die Politik, an Konzepten orientiert Finanzpolitik zu machen, zahlt sich aus - auch jetzt. Aus der ruhigen Hand machen Karikaturisten eine zitternde Hand; das ist absurd. Die langen Linien im Bereich der Finanzpolitik aufgezeigt, heißen: Staatsverschuldung heruntersetzen und die Steuer- und Abgabenlast durch Strukturreformen, aber teilweise auch durch eine Umfinanzierung reduzieren. Es ist ein von der gesamten Wirtschaftwissenschaft anerkanntes Prinzip, dass man in der Sozialversicherung aufgrund der demographischen Probleme nicht alles über den Faktor Arbeit, also über Beiträge, machen kann, sondern man auch dort über Steuern gehen muss. Der Finanzminister hat Ihnen von der Unionsfraktion zu Recht vorgehalten, dass Sie damals mithilfe der Sozialdemokraten über die Mehrwertsteuer gemacht haben, was wir jetzt mit einer Verbrauchsteuer auf Energie machen. Ich sage Ihnen eines: Dem Konsumenten ist es lieber, die Chance zu haben, einer steuerlichen Belastung durch sein Verhalten auszuweichen, als wenn die Mehrwertsteuer erhöht wird. Was macht der Durchschnittsbürger bei einer Mehrwertsteuererhöhung? Er muss sie schlucken oder schwarz einkaufen. ({18}) Das ist die einzige Antwort auf die Umfinanzierung. Deshalb gilt: Bleiben Sie auf dem Teppich und denken Sie daran, dass die finanz- und wirtschaftspolitischen Grundausrichtung dieser Regierung bisher deutlich besser ist, als viele in unserer Gesellschaft erwartet haben, was angesichts der aktuellen weltwirtschaftlichen und speziell der deutschen - ich will nicht darum herumreden - Situation nötig ist. Wir hatten keine Rezession im Sinne der Definition der Volkswirtschaft, aber wir hatten im zweiten Quartal dieses Jahres ein bescheidendes Wachstum über der Nulllinie. Der private Verbrauch hat dieses Wachstum in Deutschland getragen. Das wissen Sie. Auch uns hat es überrascht - auch darauf hat der Finanzminister hingewiesen -, dass der private Konsum die Konjunktur in diesem Jahr trotz einer Inflation, die ihren Buckel im Mai bei 3,6 Prozent hatte, trotz dieses Kaufkraftentzugs, stabilisiert hat. Wir wären unter Null, wenn die Steuerreform nicht gegriffen hätte. Dies können Sie in allen „outlooks“ der letzten Tage zum Beispiel von Ifo, vom HWWA in Hamburg gestern nachlesen. Das ist keine grüne Exegese der Situation, sondern tatsächliche Zustandsbeschreibung. Insofern ist logisch, dass wir von der Regierungsseite und auch viele Konjunkturforscher sagen: Wenn die Binnennachfrage bereits im ersten Quartal stabilisierend gewirkt hat, um wie viel stärker kann sie dann stabilisierend wirken, wenn sich die Inflationsrate zurückbildet? Seit dem Buckel im Mai ist sie bereits um 1 Prozentpunkt gesunken. Die EZB bewertet das Ganze genauso. Die Zinssenkung in der vorletzten Woche wäre ohne den Wegfall des Inflationsdrucks nicht möglich gewesen. Die Importpreise sinken auf Raten wie seit drei oder vier Jahren nicht mehr, natürlich auch, weil im September des letzten Jahres die Energiepreise an den Weltmärkten nach oben geschossen sind und nicht, weil wir letztes Jahr am 1. September irgendeine Stufe der Ökosteuer beschlossen oder gar in Kraft gesetzt hätten. So einfach sind die Zusammenhänge. Das hört man nicht gern, aber es ist wichtig, darauf hinzuweisen. Oder wenn Sie, Kollege Rauen, als Mittelständler zurzeit investieren wollen, bekommen Sie Ihre Investitionen mittel- und langfristig zu Bedingungen wie selten in dieser Republik refinanziert. Das Zinsniveau ist niedrig. Auch dies ist Ausdruck dessen, dass die Inflationserwartungen an den Märkten nicht steigen, sondern abnehmen und insofern die Situation in Deutschland von den realwirtschaftlichen Daten her so schlecht nicht ist. Wenn wir uns in dieser Situation jetzt hinstellen und sagen würden, wir machen nichts mehr, alle anderen Probleme, ob im Bereich Gesundheit oder beim Arbeitsmarkt, interessieren uns nicht, wäre es anders. Aber es ist nicht so. Die Benchmarkgruppe im Bündnis für Arbeit hat beispielsweise zum Thema Arbeitsmarkt sehr wohl Richtiges aufgeschrieben. Die Tatsache, dass wir mit unserem Koalitionspartner im Job-Aqtiv-Programm in diesen Tagen eine Regelung innovativer Maßnahmen im Bereich der Arbeitsverwaltung hinbekommen wollen, ist wichtig. Wir glauben, dass die Effizienz der Maßnahmen und die Zielgenauigkeit vergrößert werden müssen. Wir können nicht so tun, als ob wir in Deutschland mit realwirtschaftlichen Wachstumsraten wie in anderen Volkswirtschaften unterdurchschnittliches Beschäftigungswachstum bekämen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das weiß jeder, der ehrlich ist und nicht nur die Brille der jeweiligen Regierung oder der jeweiligen Opposition aufsetzt. Keine Frage: Das ist ein Problem und das werden wir lösen müssen. Dies wird auch nicht nur durch das Job-Aqtiv-Programm gelöst werden, sondern dieses Thema wird aus meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen eines großen Reformprozesses auf der Agenda stehen, mit dem Arbeitslosen- und Sozialhilfe integriert werden, diese beiden Sicherungssysteme in einem aufgehen werden. Dabei spielen die Gemeindefinanzen eine Rolle. Die Gemeinden dürfen nicht das Gefühl haben, dass sich hier der Bund, der die Arbeitslosenhilfe bezahlt, zulasten der Kommunen entlastet. In diesem Zusammenhang müssen wir über andere Steuereinnahmen der Gemeinden als Kompensation reden. Wichtig ist auf jeden Fall, dass diese Gesellschaft alles tun muss, damit bei wirtschaftlichem Wachstum auch tatsächlich mehr Beschäftigung entsteht. ({19}) Es ist richtig - ich nenne jetzt ein Gebiet, das zurzeit natürlich mehr aufgrund der Person des Ministers wahrgenommen wird -, dass die Bundeswehr und ihre Finanzierung die Haushalte des Bundes berührt. Als Haushaltspolitiker und zuständiger Berichterstatter unserer Fraktion im Verteidigungsressort bin ich überzeugt, dass uns das Thema der Finanzierung der Bundeswehr dann wieder einholt, wenn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe infrage stellt, dass in Deutschland noch Wehrgerechtigkeit besteht. So, wie es im Moment aussieht, wird im Oktober dieses Jahres eine mündliche Verhandlung in Karlsruhe stattfinden. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir hinter der Wehrpflicht - was ich persönlich glaube - zumindest ein kleines, wenn nicht sogar ein großes Fragezeichen machen müssen, wird sich die Frage nach dem Personalkörper der Bundeswehr anders als bei der jetzigen Strukturreform stellen. Es gab Kommissionen, die eine Freiwilligenarmee mit einem kleinen Anteil an Wehrpflichtigen vorschlugen. Diese hätte sich an die Finanzplanung des Bundesfinanzministers gehalten. Insofern ist, wenn man ehrlich ist, klar zu sagen: Die Probleme im Bereich der Bundeswehr werden auf der Agenda bleiben. Auch das will ich nicht verschweigen. Alles andere wäre unredlich. ({20}) - Herr Kollege Kalb, Sie wissen genau, dass Ihre Fraktion bei diesem Thema die Backen nicht aufblasen darf, denn Sie sind bezüglich der Wehrpflicht gegen eine Grundgesetzänderung. Somit kommt das Parlament in diesem Punkt nicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Der Finger, der von der CDU/CSU-Opposition auf die Regierung zeigt, zeigt auf sie zurück; denn wenn Sie zustimmen würden, wäre die Empfehlung der FDP-Opposition, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht, sofort umsetzbar. Die Union blockiert im Prinzip einen Strukturprozess, den selbst viele Militärs inzwischen für geboten halten. Ich möchte diesen Themenbereich nur ansprechen, da es sich um ein gesellschaftspolitisches Gebiet handelt, wie auch die Arbeits- und Gesundheitspolitik, die noch anstehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen es schaffen, klarzumachen, dass wir bei bestimmten Grundlinien zwar einen Reformbedarf sehen, aber trotz der Wahlen nicht alles auf einmal machen können, weil in einer Industriegesellschaft - zumal in einer sozial abgesicherten Gesellschaft wie der deutschen - auch auf die Veränderungsängste der Bevölkerung reagiert werden muss. Sie glauben doch nicht, dass wir in einem Wahljahr den Reformmotor plötzlich auf 180 Touren bringen und Sie als Passagiere am Wegrand stehen und darauf hinweisen können, dass diese Regierung diese und jene Reform durchführt, mit denen wir Ihnen wohlfeile Argumente liefern würden. Bei Gott, so blöd kann keine Regierung dieser Welt sein, vor allem dann nicht, wenn sie in den letzten drei Jahren die Hausaufgaben, die auf der Reformagenda standen, abgearbeitet hat. Viele haben dies von uns erwartet, und viele von denen, die uns damals nicht geglaubt haben, geben uns jetzt eine positive Rückmeldung. ({21}) Ich sage noch ein Wort zu den Risiken, die für den Haushalt bestehen. Sie haben eingangs meine Bemerkung richtig verstanden: Es ist zwar gewagt, in der ersten Lesung am 11. September eine Prognose abzugeben, wenn erst am 15. November die Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss stattfindet - das weiß ich wohl -, ({22}) aber in der Vergangenheit habe ich mit meinen Prognosen zwischen der ersten sowie zweiten und dritten Lesung - Sie können es nachlesen - nie falsch gelegen. Ich habe auch im letzten Jahr gesagt, dass wir die Investitionen erhöhen und die Nettokreditaufnahme aufgrund der günstigen Bedingungen gegenüber dem Regierungsentwurf reduzieren werden. Das haben wir damals erreicht. ({23}) Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit glaube ich heute sagen zu können, dass wir bei den Einnahmen in diesem Jahr eine Punktlandung machen werden. Die Steuerschätzung im November wird für das laufende Jahr keine signifikante Verschlechterung bringen, weshalb auch alle, die von der Wirkung der automatischen Stabilisatoren reden, höllisch aufpassen müssen. Es gibt keine konjunkturbedingten Steuerausfälle, denn für die Steuereinnahmen des Staates ist das nominale und nicht das reale Wachstum verantwortlich; das weiß auch jeder. Herr Kollege Austermann, vor diesem Hintergrund glaube ich, dass der negative Basiseffekt, den Sie für das nächste Jahr hochrechnen, aus heutiger Sicht nicht zum Tragen kommen wird. ({24}) Insofern sind die Hiobsbotschaften, die Zahlen, die die Opposition in den Raum stellt, Kassandrarufe und nichts anderes. Vor allem Sie als Vertreter der Partei, die sich immer auf Ludwig Erhard als Vater der Marktwirtschaft beruft, sollten sich über eines im Klaren sein: Ludwig Erhard hat immer gesagt - dieses Wort wird oft zitiert -: Wirtschaftspolitik und Wirtschaft sind zu mindestens 50 Prozent Psychologie. Erstaunlich finde ich es schon, wenn in Deutschland eine deutliche Mehrheit der Menschen bei Umfragen - sogar mit steigender Tendenz - von sich sagt: Mir persönlich geht es besser. Gleichzeitig wird die allgemeine Lage aber immer schlechter eingeschätzt. ({25}) Diese Differenz zwischen der persönlichen Wahrnehmung und der Wahrnehmung des Ganzen hat etwas mit Schwarzmalen und einer Mentalität zu tun, die Sie uns, als Sie noch regierten, immer vorgeworfen haben, während gleichzeitig der schwarze Finanzminister Waigel gesundbeterisch Wachstumsprognosen für seine Haushalte unterstellte, die ihn regelmäßig zwischen Soll und Ist mit verfassungswidrigen Haushalten und allem Drum und Dran in den Abgrund gestürzt haben. ({26}) - Schwarz und Schwarzmalen - danke, Kollegin - passen offensichtlich zusammen. Wir als Grüne halten es eher mit der Hoffnung; denn grün ist die Hoffnung. Wir haben begründeten Anlass zu Optimismus, auch wenn nächstes Jahr ein Wahljahr ist. Ich liefere dafür auch eine mathematische Erklärung. Allein die Tatsache, dass dieses Jahr die wirtschaftliche Dynamik schwächer ist, wird dazu führen, dass der Basiseffekt für das wirtschaftliche Wachstum im nächsten Jahr positiv überzeichnet wird. Das hatten wir schon einmal, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nämlich vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000. 1999 war ein Jahr mit einer schwachen Wachstumsrate: 1,4 Prozent. Das letzte Jahr war auch aufgrund dieses Basiseffekts mit 3 Prozent realem Wachstum sehr gut. Ich wünsche uns als Koalition, dass ein solcher Effekt, passend im Wahljahr kommt. Er sollte aber nicht nur ein statistischer Basiseffekt sein, sondern ein Faktor der Hoffnung dafür sein, dass wir die Arbeitslosigkeit trotz der derzeit retardierenden Momente senken können. Gleichzeitig sollte die Finanz- und Steuerpolitik auf dem soliden und berechenbaren Pfad bleiben. Unsere Politik ist jedenfalls viel solider, Kollege Austermann, als all das, was Sie mit der Haushaltsgruppe Ihrer Unionsfraktion am 7. September dieses Jahres als Pressemitteilung hinausposaunt haben. ({27}) Ich war fassungslos, dass eine Oppositionspartei ein solches Papier in die Öffentlichkeit bringt. Ich als grüner Politiker hätte mich in unserer Oppositionszeit geschämt, ein Haushaltspapier in dieser oberflächlichen und beschönigenden Art und Weise vorzulegen. ({28}) Kollege Austermann, das Vorziehen der Steuerreform 2005 und 2003 auf das nächste Jahr würde 45,3 Milliarden DM Einnahmeausfälle für das nächste Jahr bringen. ({29}) Das Aussetzen der Ökosteuer würde den Bundeshaushalt bei der Zuzahlung an die Rente automatisch um zusätzlich 6 Milliarden DM belasten. Die Investitionen, die Sie bei der Bundeswehr, dem Verkehrsetat und anderswo ohne Gegenfinanzierung erhöhen wollen, reißen zusätzliche Löcher in den Haushalt. ({30}) Mit Ihren Vorschlägen würden Sie im nächsten Jahr einen verfassungswidrigen Haushalt riskieren. ({31}) Vor allem würden Sie jeden Anspruch an eine seriöse Finanzpolitik mit Füßen treten. ({32}) Kollege Austermann, mein Problem mit Ihnen ist immer, dass Sie von Ihrem Verstand her genau wissen, wie die Zusammenhänge sind. Sie versuchen aber aus vordergründigen, parteipolitischen Motiven, mit den Zahlen - ich möchte es einmal so sagen - zu lügen. Sie haben hier am Rednerpult - das erkläre ich ganz deutlich - wider besseres Wissen die Unwahrheit gesagt. ({33}) Kollege Austermann, ich versuche in dieser parlamentarischen Auseinandersetzung mit der gebotenen Schärfe klarzumachen, dass mir das an Ihnen missfällt. Wenn Sie es nicht wüssten, wäre ich nicht so verärgert. Aber Sie machen es wider besseres Wissen. Wider besseres Wissen die Unwahrheit sagen heißt nach der grammatikalischen und tatsächlichen Definition lügen. Dies ist kein parlamentarischer Ausdruck, aber ich verwende ihn bewusst als jemand, der normalerweise gute Argumente hat ({34}) und Ihnen Recht gibt, wenn Sie den Finger auf die Wunde legen. ({35}) Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass es für mich hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik, der Gesundheitspolitik und der Bundeswehr durchaus Positionen gibt, die man kritisieren kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann? - Bitte.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Metzger, ich stelle nur fest, dass Sie den Beweis dafür, dass auch nur eine einzige der von mir vorgetragenen Zahlen nicht stimmt, schuldig geblieben sind. Ich stelle auch fest, dass Sie ständig Postulate erheben, am Freitag fordern, die Koalition müsse dieses oder jenes machen, und am Montag einknicken. Ich nenne das: als Kondor gestartet und als Spatz gelandet. Wie wollen Sie bei dieser Position - ständig etwas anderes fordern, als Sie nachher tatsächlich tun - in einer parlamentarischen Debatte ernst genommen werden? Ich sage Ihnen: Ihr Vorwurf, der üblicherweise mit einem Ordnungsruf geahndet wird, kann mich überhaupt nicht treffen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Austermann, es bedurfte nicht Ihres Hinweises. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, zunächst das Wort zu ergreifen, weil Sie direkt angegriffen worden sind. Herr Kollege Metzger, es ist in diesem Hause nicht üblich, einen Kollegen der Lüge zu zeihen. ({0}) Deswegen erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich will jetzt sozusagen staatstragend darauf reagieren. Ich nehme den Ordnungsruf an, weil eine solche Bezeichnung unüblich ist; ich ärgere mich auch darüber, wenn so etwas von diesem Pult aus gesagt wird. Ich kann aber belegen, dass die Zahlen, die der Kollege Austermann seit Jahren bringt, nicht den Fakten entsprechen. ({0}) Herr Kollege Austermann, in einem Punkt muss ich auch sagen, was bereits der Finanzminister korrigiert und viele Redner aus den Regierungsfraktionen in den letzten zwei Jahren gesagt haben: Sie vergleichen grundsätzlich Äpfel mit Birnen. Das gilt zum Beispiel für das Ausgabevolumen von 1994 bis 1998. Es ist schon ein starkes Stück, wenn sich der Haushaltssprecher der größten Oppositionsfraktion hinstellt und das Ausgabevolumen eines Zeitraums, in dem das Kindergeld noch eine Ausgabe im Bundeshaushalt war, mit dem Ausgabevolumen eines Zeitraums - nach dem 1. Januar 1996 - vergleicht, als das Kindergeld zu einer Einnahmeverkürzung - die Ausgaben für Kindergeld entfielen auf der Leistungsseite und führten zu einer Einnahmenverschlechterung - wurde. Wenn der Haushaltssprecher der Opposition dies zum wiederholten Male im deutschen Parlament sagt, ist dies unerhört. Zum Zweiten: Sie unterschlagen, dass die Kindererziehungszeiten, die in der Rentenversicherung mit Ihrer Zustimmung zu Recht beschlossen worden sind, pro Jahr allein mit über 23 Milliarden DM ausgabensteigernd gewirkt haben. Wer solche Informationen unterschlägt, Herr Kollege Austermann, ist zumindest unredlich. Diesen Begriff halte ich aufrecht. Die Lüge nehme ich zurück. ({1}) Zum Schluß: Die Tatsache, dass wir als Koalition im Bereich der Finanzpolitik in einem Wahljahr Kurs halten, ist ein gutes Zeichen, weil das die Erwartungshaltung der Märkte und der Wirtschaft vergrößert. Wir haben damit die Chance, weiterhin auf dem Pfad, die Zinsausgabeersparnisse für höhere Investitionen, für Zukunftsinvestitionen einzusetzen - das ist nicht nur eine „gebaute“ Zukunft, sondern betrifft auch Bildung, Forschung und Technologie -, fortzufahren. ({2}) Wenn wir diesen Kurs halten, wird es vielleicht ähnlich sein wie im letzten Jahr, Herr Kollege Kalb, als die Opposition in der ersten Lesung im September von einer positiven Konjunktur redete und uns Miesmacherei vorwarf, weil wir in den Haushaltseckdaten für 2001 zu geringe Wachstumsraten angesetzt hätten. ({3}) Vielleicht wird es dieses Mal umgekehrt laufen: Sie werden im November im Lichte der neuen Steuerschätzung und veränderten Wahrnehmungen an den Finanzmärkten feststellen, dass die Sache anders aussieht. Sie sollten Ihre Politik auf Grundlinien orientieren und nicht auf Stimmungen. Das rate ich auch unserer Koalition. Mit diesem Kurs sind wir 1999 in schwierigem Fahrwasser hinsichtlich der Konsolidierungslinie gut gefahren und wir werden auch jetzt wieder gut damit fahren. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In einem möchte ich namens meiner Fraktion dem Bundesfinanzminister, der im Moment nicht da ist, ausdrücklich zustimmen: Es kann beim Bundeshaushalt 2002 nicht um das Verteilen von Wahlgeschenken gehen; denn das wäre ein Missbrauch öffentlicher Gelder zugunsten der regierenden Parteien. Das darf natürlich nicht sein. ({0}) Es muss aber um die Frage gehen, ob mit diesem Bundeshaushalt 2002 das eingelöst wird, was 1998 an Wahlversprechen gemacht worden ist. ({1}) In diesem Punkt, so finde ich, sieht es schon sehr mau aus. Das primäre und kühnste Versprechen des Bundeskanzlers, auf das nebenbei bemerkt weder der Bundesfinanzminister noch der Kollege Poß noch der Kollege Metzger angemessen eingegangen ist, ({2}) war, die Zahl der Arbeitslosen bis 2002, also bis zur nächsten Bundestagswahl, auf 3,5 Millionen zu reduzieren. Fehlanzeige, wie wir jetzt sehen können! Der Trend geht eher in Richtung 4 Millionen. Aber die dramatische Arbeitsmarktlage nun auf die schlechte Weltkonjunktur und auf saisonale Einflüsse zu schieben ist viel zu billig. Sie ist zu einem Gutteil selbst verursacht. Da ist zunächst die von Rot-Grün gefeierte so genannte große Steuerreform, die nicht für die erwarteten beschäftigungsstimulierenden Wirkungen gesorgt, dafür aber große Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen hat. Ins Fäustchen lachen können sich besonders die deutschen Kapitalgesellschaften; denn sie zahlen nur noch 14,9 Milliarden DM an Körperschaftsteuer. Das sind nur noch knapp 1,7 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Man kann eigentlich auf den Tag warten, an dem der Anteil der Kapitalgesellschaften bei 0 Prozent liegt. Das könnte geschehen, wenn das umgesetzt wird, worüber hier manche diskutieren. Rechnet man die vielfältigen Subventionen gegen das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer auf, dann stellt man fest, dass die Kapitalgesellschaften überhaupt nichts mehr zu den öffentlichen Einnahmen und obendrein auch nichts zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Ich finde, dass man angesichts dieses Missstandes nicht mehr länger nur still zuschauen kann. ({3}) Es war ohnehin ein Irrglaube, anzunehmen, dass massive Steuersenkungen automatisch die Bereitschaft der Unternehmen erhöhen würden, Arbeitsplätze zu schaffen. Das hat schon unter der Kohl-Regierung bis 1998 nicht funktioniert. Das wird auch unter Rot-Grün nicht anders sein. Herr Bundesfinanzminister, wer wie - auch die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen tun dies - zu Recht den Schuldenberg und die daraus resultierende Zinslast beklagt, kann doch nicht diejenigen, die über Fördergelder und Steuersparmodelle vom Schuldenmachen in den 90er-Jahren am meisten profitiert haben, nämlich Konzerne, Handelsketten, Banken und Gutbetuchte, nun durch drastische Steuersenkungen auch noch vom Abbau der Zinslast ausnehmen. ({4}) Die Haushaltskonsolidierung - das spricht Bände -, die auf der Liste der Wahlversprechen von 1998 gar nicht zu den Prioritäten gehörte, ist klammheimlich zum Haupterfolgskriterium der Regierung avanciert, unbeschadet negativer gesamtwirtschaftlicher Folgen. Daher hat der Minister - wenn man es zusammenrechnet - etwa 90 Prozent seiner Redezeit auf das Erreichen dieses Ziels verwendet. Das Einzige, was für ihn feststeht, ist, dass die Neuverschuldung bis zum Jahr 2006 auf null reduziert werden kann. Eigentlich unterstützen wir dieses Ziel. Aber vorher müssen auf anderen Gebieten - angefangen beim Abbau der Arbeitslosigkeit bis hin zu Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen - auch hohe Ziele gesetzt und erreicht werden. ({5}) Nichts gegen vernünftiges Sparen - wer könnte schon dagegen sein? -, aber bitte an den richtigen Stellen! Was hat es eigentlich mit einem Sparkurs zu tun, wenn die Koalition jede weit nach oben von der Planung abweichende Rechnung - sei es für die EXPO, sei es für die Asbestsanierung des Palastes der Republik, sei es für die Bundesbauten - manchmal zähneknirschend, letztlich aber dann doch bezahlt, ohne den Ursachen für die Kostenexplosion nachhaltig auf den Grund zu gehen und ohne das mit Konsequenzen für diejenigen, die sie ausgelöst haben, zu verbinden. ({6}) Kein kleines Unternehmen, das den Kostenvoranschlag überschreitet - und sei es auch nur um ein paar Mark -, kann auf automatische Begleichung der Rechnung zählen. Aber hier, im großen Stil, funktioniert das. Da sagen wir: Bevor man die Sense wieder an wichtige Positionen der öffentlichen Daseinsvorsorge ansetzt, erwarten wir, dass erst einmal auf den genannten Gebieten richtig zugefasst wird und jene, die hier etwas verschulden, auch zur Kasse gebeten werden. ({7}) Heraus aus der Schuldenfalle ja, aber nicht, indem man sich schuldig macht an Teilen der jungen Generation. Die junge Generation kann man nicht nur dadurch entlasten, dass man Kurs auf weniger Zinszahlungen nimmt, was grundsätzlich vernünftig ist. Bei offiziell 4 Millionen Arbeitslosen sind sehr viele Kinder und Enkelkinder betroffen. Die sind mit einem schweren Schicksal belastet, solange ihre Eltern oder ihre Großeltern arbeitslos sind. Auch die Millionen prekär Beschäftigter gehören dazu. Die haben auch Kinder, um deren Zukunft sie sich sorgen und deren Eintritt in eine sichere Zukunft durch Arbeitslosigkeit ihrer Eltern zu einem guten Stück verbaut ist. In Ostdeutschland kommen zur Stunde auf eine offene Lehrstelle fünf Lehrstellensuchende. Nur mit Mobilitätsprämien von 10 000 bis 15 000 DM, auch noch aus den Geldern von Beitragszahlenden finanziert, kann man das Problem der Jugendarbeitslosigkeit im Osten doch wohl nicht lösen. ({8}) Ich finde, das ist auch ein Stück Zweckentfremdung von Geldern der Bundesanstalt. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht nur den Beitragszahlenden aufbürden; das ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft und deshalb müssen hier Steuergelder eingesetzt werden. ({9}) Allein in Berlin sind 14 Prozent aller Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger Menschen mit Hochschulreife. Was für eine Vergeudung geistigen Potenzials! Welch eine Hürde für diese jungen Menschen, in eine sichere Zukunft zu schreiten! Fatal ist, dass von den geplanten Ausgaben im Bundeshalt 2002 wegen des Sparkurses keinerlei Impulse für die Beschäftigungsankurbelung ausgehen werden. Ganz im Gegenteil: Die investiven Ausgaben sinken gegenüber dem Vorjahr um 1,4 Milliarden DM. Damit wird ein weiterer Beschäftigungsabsturz in der ohnehin Not leidenden Bauwirtschaft und in anderen Branchen in Kauf genommen. Das ist die traurige Wahrheit, der wir hier ins Auge blicken müssen, wenn der Haushalt unverändert bleibt. Der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit ist komplett gestrichen worden. Damit wird nicht nur der Rahmen für aktive Arbeitsmarktpolitik noch enger, sondern es kommt zu einem Paradigmenwechsel. Steuermittel stehen für aktive Arbeitsmarktpolitik nicht mehr zur Verfügung. Die Beitragszahlenden allein werden in die Pflicht genommen, das Hauptübel Massenarbeitslosigkeit zu mildern, das sie selbst ja nicht verursacht haben. Ich finde, das ist eine ziemlich zynische Innovation. ({10}) Insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik steht die Bundesregierung - man muss es schon so sagen - vor einem Scherbenhaufen, jedenfalls wenn man Soll und Ist vergleicht. Auf eine ruhige Hand sollten Uhrmacher und Chirurgen schwören, nicht aber ein Bundeskanzler. ({11}) Ein Bundeskanzler braucht ein kräftige, eine richtungsweisende, eine zupackende Hand. ({12}) Das ist das, was wir vermissen. Der Bundesfinanzminister hat hier zu Vorschlägen der Opposition, wie er es nannte, Stellung genommen. Wir gehören auch zur Opposition und haben auch Vorschläge gemacht. Da er dazu nichts gesagt hat, will ich hier einige vortragen. Wir fordern ein Ende der beschäftigungspolitisch kontraproduktiven Finanzpolitik. Die öffentlichen Investitionen, die sich einem historischen Tief nähern, gehören aufgestockt. Eine kommunale Investitionspauschale wäre ein Weg in diese Richtung. ({13}) Nun werden Sie fragen: Woher wollt ihr das Geld nehmen? Ich nenne nur Stichworte; wir werden in den nächsten Wochen und Monaten genügend Zeit haben darüber zu diskutieren. Die Zinsersparnisse aus den für Kredittilgung eingesetzten UMTS-Lizenzerlösen sind höher, als uns bisher gesagt wurde. Es gibt Einsparungen bei den Zinsausgaben durch das neue Kreditmanagement des Bundes. Eine energischere als bislang vorgesehene Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges gehört ebenfalls auf die Tagesordnung und natürlich ein Stopp der Verschwendung von Steuergeldern. Ich habe vorhin schon Bespiele genannt. Notfalls - ich will das hier durchaus sagen - darf auch das Anrühren der Nettoneuverschuldung nicht untersagt sein. Es darf kein Tabu sein, die Nettoneuverschuldung in der Höhe festzuschreiben, wie das bisher der Fall ist, ({14}) wenngleich ich sage: Einem vernünftigen Sparkurs wird sich die PDS nicht verschließen. Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, JUMP, muss aus Steuer- und darf nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. ({15}) Die damit bei der Bundesanstalt für Arbeit frei werdenden Gelder sind für Maßnahmen der Qualifizierung, der Ausbildung sowie auch für eine Sinn stiftende, vernünftige Arbeitsförderung bereitzustellen. Wir fordern abermals, mit Modellprojekten zuhauf vorhandene Tätigkeiten im Bereich humaner Dienstleistungen und sozialer Betreuung als Erwerbsarbeit dauerhaft finanzierbar zu machen. Unterstützen möchten wir Sie, Herr Bundesfinanzminister, in der Ablehnung der Forderung, die nächsten Stufen der Steuerreform vorzuziehen, wie es Union und FDP wollen. Es wäre ein Hasardspiel, Haushaltslöcher in zweistelliger Milliardenhöhe zusätzlich zu produzieren und gleichzeitig allein für die Bundeswehr 2 Milliarden DM zusätzlich zu fordern. Da geht doch irgendetwas nicht zusammen. Dieses Konzept von Union und FDP würde am Ende auf eine Mehrwertsteuererhöhung hinauslaufen und davon hätten wiederum die Bezieher und Bezieherinnen kleiner Einkommen die Hauptlast zu tragen. Wir fordern das sofortige Schließen von Schlupflöchern, die die Bundesregierung mit ihrer großen Steuerreform besonders für global tätige Konzerne geschaffen hat. Statt den Spitzensteuersatz für alle Einkommensgruppen - vom gut bezahlten Ingenieur über den nach BAT I im öffentlichen Dienst Besoldeten bis hin zum DaimlerChrysler-Chef, um nur ein Beispiel zu sagen - einheitlich auf 42,5 Prozent zu senken, fordern wir einen differenzierten Spitzensteuersatz, zumindest so lange, wie eine Vermögensteuer nicht erhoben wird. ({16}) Ich komme zu einem letzten Gedanken - es ist schade, dass der Bundeskanzler nicht da ist -: Ich finde es enttäuschend, dass eine „Bündnis für Aufträge“ genannte Idee von Fachleuten verschiedener Parteien aus Wirtschaft, Bankenwesen und Politik, untersetzt durch konkrete Projekte, bislang keinerlei Resonanz bei der Regierung gefunden hat. Auf die Vorschläge, die unterbreitet worden sind, haben wir nicht einmal eine Eingangsbestätigung aus dem Kanzleramt erhalten. Das ist, finde ich, kein guter Stil; denn man kann der Opposition nicht absprechen, Konstruktives beisteuern zu wollen und zu können. Im Übrigen - daran darf ich hier erinnern -: Die Idee eines Stadtumbauprogramms Ost ist zuallererst aus den Reihen der PDS gekommen. ({17}) Sie ist inzwischen glücklicherweise aufgegriffen worden, wenn auch zu nicht akzeptablen Konditionen. Ich hoffe im Zuge der Etatberatungen immer noch auf eine konstruktive Antwort auf Vorschläge, die aus dem Leben gegriffen sind und die nicht am Schreibtisch geboren sind. Danke schön. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich den Ablauf der Debatte bisher angehört hat, kann nur sagen: Im Westen oder im Osten oder hier in der Mitte nichts Neues. Was die Opposition vorgetragen hat, kann man im Protokoll der Beratung des vergangenen Jahres genau nachlesen. Herr Austermann hat nur eines nicht wiederholt. Er hat nicht gleich heute die Vorlage eines Nachtrages zum Haushalt 2002 gefordert. ({0}) - Das kommt wahrscheinlich noch im Laufe der Debatte. Spätestens im Januar nächsten Jahres wird es dann so weit sein. Herr Austermann, einen Punkt möchte ich ansprechen. Sie haben die Familienpolitik der früheren Regierung gelobt. Ich würde den Mund nicht so voll nehmen; denn es gab ein vernichtendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Ihre Familienpolitik. ({1}) Mit den Schulden, die Sie aufgebaut haben, mit den Zinsverpflichtungen, die Sie aufgebaut haben - das ist eine Größenordnung von 80 Milliarden DM pro Jahr -, haben Sie, CDU/CSU und FDP, um die Zukunft unserer Kinder eine Mauer gebaut. Diese Mauer bauen wir jetzt langsam ab; denn wir wollen den Kindern wirklich wieder die Chance geben, ihre Lebensumwelt selbst zu gestalten. Wir wollen nicht heute Schulden machen, damit es uns gut geht, und den Kindern nachher die Schulden und deren Abzahlung überlassen. ({2}) Das ist eine Umkehrung der Politik, die wir betreiben. Als Sie, Herr Kollege Austermann, gesprochen haben, ist mir übrigens unwillkürlich ein alter Spruch eingefallen. Er lautet: Wenn morgens früh die Sonne lacht, dann hat’s die CDU gemacht; gibt’s aber morgens Eis und Schnee, dann war’s bestimmt die SPD. ({3}) Das war so die Überschrift über die Rede, die Sie gehalten haben. Es war nichts Neues. Es kommt immer wieder dasselbe. ({4}) - Herr von Larcher, ich habe gesehen, dass „Mister Wirtschaft“ eben geklatscht hat. Mir ist die „Misswirtschaft“ - ich habe das auf dem Plakat gesehen - oftmals lieber als „Mister Wirtschaft“. ({5}) Wenn einer der erfolglosesten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland sagt: „Ich bin Mister Wirtschaft“, dann ist das schon ein starkes Stück. ({6}) Herr Rexrodt, Sie haben damals den prägenden Satz gesagt - das ist mir in Erinnerung geblieben -: „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht.“ ({7}) Eine ganz tolle Erkenntnis! Deshalb haben Sie immer einen Bogen um den Subventionsabbau gemacht und die Auffassung vertreten, Wirtschaft werde in der Wirtschaft gemacht und die Subventionen würden vom Staat gezahlt. ({8}) Frau Kollegin Luft - sie ist im Moment abgelenkt -, was die Entwicklung der Kosten für den Bau von öffentlichen Gebäuden angeht: Für uns ist das genauso wie für Sie ein Ärgernis. Es ist wirklich nicht mehr nachzuvollziehen, wie sich - ich denke nicht nur an die Bundesbauten - die Baukosten entwickeln. Für die Bauten des Deutschen Bundestages ist auch die Baukommission verantwortlich, die man inklusive der Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft verhaften müsste. ({9}) - Ilse Janz ist dagegen; sie ist Mitglied dieser Kommission. - Wenn man diese Verhaftung vornehmen würde, dann müsste man wahrscheinlich halb Berlin einsperren. Die Entwicklung ist wirklich fatal. Auch ich habe mich gestern geärgert, als ich in der Vorlage gelesen habe, dass die Asbestbeseitigung im Palast der Republik 47 Millionen DM mehr kosten wird, weil man zufälligerweise irgendwo noch Asbest gefunden hat. Sorgsam vorbereitet, hätte man das vorher merken müssen. Dasselbe gilt für die Bauten des Bundestags. Es ist ja schön, dass wir in eine halbe Baustelle eingezogen sind. Von meinem Zimmer aus habe ich einen klaren, unverbauten Blick auf die Kindertagesstätte. Von Berlin ist da überhaupt nichts mehr zu sehen. Das ist eben der Nachteil, wenn man in der zweiten Etage sitzt. Der Vorteil ist, dass man da keine Klimaanlage braucht, weil die Sonne nie dorthin kommt. Irgendwie ist alles schon bestens organisiert. ({10}) Die ganze Geschichte ist schlimm. Frau Kollegin Luft, Sie haben gesagt, dass die Investitionen wieder ansteigen müssten. Ich frage Sie ganz einfach: Woher soll das Geld kommen? Die alte Regierung aus CDU/CSU und FDP hat die Gewährleistungen erhöht - wie Herr Eichel dargestellt hat, handelt es sich bei deren Inanspruchnahme auch um Investitionen - und dadurch war die Quote von Investitionen und Nettoneuverschuldung eingehalten. Allerdings - das muss man so darstellen - handelte es sich nicht um Investitionen, die wirklich etwas gebracht haben. Stichwort Jugendarbeitslosigkeit: Hätten wir einfach nur zuschauen sollen, wie die Entwicklung verläuft? Es gibt in der Tat - das muss man sagen; das ist einfach so ein Problem mit den Ausbildungsplätzen im Osten. Ich plädiere für mehr Zielgenauigkeit des Programms der Bundesanstalt für Arbeit. Man sollte kein Geld an Regionen im Westen geben, wo überhaupt keine Jugendarbeitslosigkeit mehr herrscht; vielmehr sollte man versuchen, Geld in diejenigen Gebiete fließen zu lassen, wo es wirklich brenzlig ist. Um dieses Problem zu lösen, braucht es - ich wiederhole es - mehr Zielgenauigkeit. Im Übrigen werden Sie es nie schaffen - ich erinnere daran, dass ich aus dem Saarland komme -, dafür zu sorgen, dass alle jungen Menschen dorthin gehen, wo sie einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz finden. Wir haben es im Saarland jahrzehntelang erlebt: Menschen, die ihre Stelle durch den Abbau von Arbeitsplätzen in der Kohleund Stahlindustrie verloren haben, haben das Bundesland verlassen und sind teilweise am Wochenende - zum Beispiel aus dem Ruhrgebiet oder aus dem Mannheimer Raum - ins Saarland zurückgekehrt. Man kann dieses Problem also nicht nur auf die östlichen Länder kaprizieren, sondern es trifft auch auf bestimmte Regionen im Westen der Bundesrepublik Deutschland zu. Der Haushaltsentwurf des Jahres 2002 ist eine solide Grundlage für die weitere Arbeit im nächsten Jahr. Er ist solide finanziert. ({11}) - Wenn Sie das nicht gerne hören, dann muss ich Ihnen sagen: Solides Finanzieren ist Ihnen in Ihrer Regierungszeit sowieso abhanden gekommen. Sie haben nur unsolide finanziert. - Wir müssen mit der Erblast allerdings fertig werden. Die Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM und die damit verbundenen 80 Milliarden DM Zinsen, die gezahlt werden müssen, sind nun einmal da. ({12}) Wir müssen - wir sind auf dem Weg, das zu tun - die Zinsen möglichst schnell reduzieren; denn die Zinsen sind - das ist doch eine makabere Situation - der zweitgrößte Ausgabenposten im Bundeshaushalt. Die Nettokreditaufnahme im Jahre 2006 auf null zu senken ist ein Ziel, dem eigentlich auch Sie sich verpflichtet fühlen müssten. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, müssen Sie mithelfen, dieses Ziel zu erreichen. Erst dann beginnen wir mit dem vollständigen Abbau der Schulden, die die Zukunft unserer Kinder zugemauert haben. Bei der Lösung dieses Problems müssten Sie eigentlich auf unserer Seite sein. ({13}) Wenn ich es richtig gesehen habe, dann machen Sie in Ihren Anträgen überhaupt keine Vorschläge für die Finanzierung von Mehrkosten in Höhe von 36,5 Milliarden DM. Was da steht, ist lächerlich. Für bestimmte Bereiche fordern Sie zusätzliches Geld. Sie sprechen zum Beispiel davon, dass die Steuerreform vorgezogen werden soll. Zu kleineren Gebieten, die Sie auch noch ansprechen, will ich gleich etwas sagen. Stichwort Bundeswehr: Der ganze Dampf der letzten Tage, der um Scharping gemacht wurde, diente nur dazu, von dem Finanzdesaster abzulenken, das Sie bei der Bundeswehr angerichtet und hinterlassen haben. ({14}) Das war der Grund für Ihr Theater der letzten Tage, meine Damen und Herren. Schauen Sie sich einmal an, was für Bestellungen getätigt wurden. Jetzt ist der Oberexperte Breuer nicht da. Ich stelle da nämlich fest, dass Sie den Eurofighter als Rohling bestellt haben, der gerade einmal fliegen konnte, aber keine Bewaffnung - die musste für 7 Milliarden DM nachbestellt werden - und keine Einrichtungen zum Unterfliegen von Radar hatte; die musste für 4 oder 5 Milliarden DM nachbestellt werden. Sie haben uns Vorbelastungen übertragen, die ins Grenzenlose gingen. ({15}) Sie sollten auch Weiteres wissen, was die Bundeswehr angeht. Ich frage Sie noch einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Warum haben Sie die Erhöhung des Wehrsoldes für die Soldaten abgelehnt? Die Koalition hat den Wehrsold, der über Jahre nicht erhöht worden war, erhöht. Warum wollten Sie den Soldaten die Erhöhung des Wehrsoldes verweigern? Auf diese Frage müssen Sie mir eine Antwort geben, wenn Sie mit einem scheinheiligen Lächeln behaupten, Sie sorgten sich wirklich um die Bundeswehr. Der nächste Punkt, hierzu hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt: Als ich in den Haushaltsausschuss kam, habe ich eine Erfahrung gemacht, die Sie, Herr Kollege Koppelin, wahrscheinlich auch gemacht haben. Sie sind ja für den Haushalt des Verteidigungsministeriums vonseiten der FDP zuständig. Auch Sie haben bestimmt gemerkt, dass im Bereich der Beamten Hunderte bzw. Tausende nach A 1 oder A 2 bezahlt wurden. Das gibt es in keiner Gemeinde in Deutschland mehr, dass irgendein Beamter nach A 1 oder A 2 bezahlt wird. Das gibt es nur bei der Bundeswehr. Das haben wir geändert. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass im Rahmen des Personalplafonds hier jetzt endlich Verbesserungen für diese Leute vorgenommen werden. Diese Leute sind zum Teil für 200 andere verantwortlich. Sie werden jetzt noch in einer Art und Weise bezahlt - ich will das nicht näher benennen, um niemanden zu beleidigen -, die jedenfalls unmöglich ist. Sie haben die Soldaten über Jahrzehnte hängen lassen, was ihre Bezahlung anging. Sie haben sich dadurch keinen guten Dienst erwiesen. ({16}) Sie haben die Motivation der Soldaten gedrückt. ({17}) - Jetzt bitte keine Fragen. Schauen wir uns andere Zustände an. Ich habe eben als Beispiel den Eurofighter genannt. Sie wissen genau, wie es mit der Beschaffung des Transporters aussieht, der vor der Bundestagswahl nur bestellt worden ist, damit die Betriebe schnell noch sichere Aufträge bekommen und keine reelle Ausschreibung stattfinden musste. Schauen wir uns einmal an, wie es um die Einsatzfähigkeit von Material im Kosovo oder jetzt in Mazedonien bestellt ist. Ich nehme an, dass Sie schon einmal dort waren. Die Einrichtungen dort sind nicht einsetzbar. Ich denke an den Leo 2; 3 000 wurden dorthin transportiert, damit 1 500 einsatzfähig gemacht werden konnten. Das geht doch auf Ihre Bundeswehrpolitik zurück. Damit haben wir doch nichts zu tun. Wir haben weder ihn noch den Marder bestellt. Das sind alles Unzulänglichkeiten, die uns von Ihnen hinterlassen wurden. Das wird sich jetzt ändern. So, wie wir den Soldaten ganz konkret geholfen haben, werden wir jetzt auch für diese Einsätze die modernste Ausrüstung beschaffen. ({18}) Der nächste Punkt, der auch in den Anträgen der CDU/CSU auftaucht, betrifft die Bahn. Ich halte es für fatal, dass die CDU/CSU beantragt, 500 Millionen DM mehr an die Bahn zu geben. Ist Ihnen nicht klar oder nicht bewusst geworden, dass Ihre Vorstandsvorsitzenden Dürr und Ludewig in den Jahren ihres Tuns bei der Deutschen Bahn die ganzen Planungsabteilungen liquidiert haben? Jetzt kommen wir und stellen fest, dass Bedarf besteht, das Netz zu erneuern. Hierzu kommen uns die Zinsersparnisse infolge der UMTS-Gelder zugute. Wir geben 2 Milliarden DM, damit das Netz besser und schneller gemacht werden kann, es stellt sich aber dann heraus, dass das gar nicht möglich ist, weil die planerischen Voraussetzungen dafür gar nicht vorhanden sind. Es war doch Ihr Fehler, dass Sie zugelassen haben, dass Personal im Bereich der Planungsabteilungen der Bahn abgebaut wurde. Diese sind heute ausgelaugt und nicht in der Lage, sehr schnell zu reagieren. Das Ergebnis wird sein, meine Damen und Herren, dass von den 2 Milliarden DM, die wir in diesem Jahr der Bahn zur Verfügung gestellt haben, drei Viertel übrig bleiben. Sie werden - das hoffe ich sehr - durch Aufträge festgelegt sein, aber nicht verausgabt worden sein. Ich finde es ganz gut, dass Verkehrsminister Bodewig mit der Bahn ein Abkommen geschlossen hat, dass stattdessen andere Großmaßnahmen finanziert werden können, damit das Geld dann, allerdings von der Bahn, im Jahre 2004 nachträglich bereitgestellt werden kann. Ich halte das für vernünftig. Sie müssen doch sehen, dass Sie das verursacht haben. Nach dem Verursacherprinzip sind Sie alleine an dieser Misere schuld, sonst niemand. Sie haben ja über lange Jahre den Verkehrsminister gestellt. ({19}) Es verhielt sich nun einmal bei diesen Geldern wie in der ganzen Bauwirtschaft so, dass es üblicherweise eine Planungs- und eine Ausschreibungs- bzw. Vergabephase gibt und erst dann ausgeführt und abgerechnet werden kann. Das ist in der Bauwirtschaft immer so gewesen. Man kann nicht Herrn Mehdorn am 1. Januar 2 Milliarden DM überweisen und ihm sagen, er solle das Geld schnell unter die Leute bringen. So etwas wäre in höchstem Maße unredlich. Wir müssen hier einen längeren Atem haben. Nun sind endlich erste Anzeichen dafür erkennbar, dass Aufträge vergeben werden. Das gilt übrigens nicht nur für die Bahn. Von den 125 im Programm der Bundesregierung zum Bau von Ortsumgehungen aufgeführten Maßnahmen sind bereits 66 vergeben und im Bau. Auch insoweit wird sich in der Bauwirtschaft etwas bewegen; Kollege Metzger hat bereits darauf hingewiesen, dass sich die Daten positiv verändern. Wir können also daran festhalten, dass es im zweiten Halbjahr oder spätestens im ersten Halbjahr des Jahres 2002 eine wirtschaftliche Belebung in Deutschland geben wird. Frau Kollegin Dr. Luft und andere haben erneut ein Programm gefordert, mit dem die Arbeitslosigkeit stärker bekämpft wird. Arbeitslosigkeit ist für jeden ein Ärgernis. Es gibt gar keinen Zweifel, dass jede Idee zur wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgenommen wird. Wir können allerdings die Unternehmen nicht dazu prügeln, Personal einzustellen statt zu entlassen, wie es leider massenhaft geschieht. ({20}) - Bei Ihnen war das Routine, bei uns ist es jedenfalls ein öffentliches Ärgernis wenn das immer so läuft. Ihnen war es letztlich wahrscheinlich egal. ({21}) Wir haben im vergangenen Jahr das Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt, das mit 15 Milliarden DM dotiert und aus den Zinsersparnissen solide finanziert ist, die von den UMTS-Erlösen herrühren. Dies ist etwas anderes als das, was in Japan geschieht; dort wurden kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufgelegt, was aber zu dem Ergebnis führte, dass dort die Arbeitslosigkeit noch nie so hoch war, wie sie heute ist, und der Staat pleite ist. Wir haben es auch anders als die Amerikaner gemacht, die alle Steuern und Ausgaben herunterfahren wollten. Herr Bush ist mit seinem Steuersenkungsprogramm bekanntlich nicht weit gekommen; es ist schon am ersten Tag schief gegangen. ({22}) Wenn jetzt leichte Besserungstendenzen in den USA erkennbar sind, dann ist das ja gut. Dies wird sich auch bei uns auswirken, da der Export die tragenden, Säule unseres Arbeitsmarktes ist und bleibt. Wenn die Amerikaner weniger konsumieren, können wir nicht so viel exportieren; das ist eine ganz einfache Rechnung. Wenn sich das Konsumverhalten in Amerika bessert, wird das zu positiven Folgen bei uns führen, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern der Europäischen Union und auch in anderen Ländern. Ich war neulich in Brasilien. ({23}) - Reisen bildet, Herr Kollege Repnik; Sie sollten vielleicht auch einmal verreisen. - Dort ist mir gesagt worden, dass man ebenfalls auf eine Erholung des amerikanischen Marktes warte. ({24}) - Ich habe gesagt, dass Reisen bildet. Sie sollten auch einmal nach Brasilien fahren. Dort können Sie etwas lernen, Herr Repnik, ({25}) und dann können Sie vielleicht auch intelligentere Zwischenrufe machen. Es hängen also auch andere Länder von der amerikanischen Konjunktur ab. Wenn der IWF Argentinien neue Kredite gibt, bedeutet das für uns ebenfalls zusätzliche Exportchancen, weil dort dann die Wirtschaft wieder zu funktionieren beginnt. Bei der FDP fällt das Stichwort Subventionsabbau immer zuerst; ({26}) sie ist nur nicht dabei, wenn es konkret wird. Ich schlage vor, Herr Kollege Koppelin, dass wir uns darauf verständigen. ({27}) - Ich polemisiere hier nicht, gegen Sie sowieso nicht; das wissen Sie doch. Subventionsabbau hört sich immer gut an. Bis jetzt wird nur eine einzige Subvention vertraglich abgebaut, nämlich die der deutschen Steinkohle. Das lässt sich aber auch bei anderen Subventionen machen, Herr Kollege Rexrodt. Sie waren ja damals als Wirtschaftsminister maßgeblich an dem Vertrag beteiligt, der die Einschränkung der Steinkohlesubventionen bis zum Jahre 2005 vorsieht. Das ist mit Ihr Werk, gegen das zunächst einmal nichts zu sagen ist. Aber warum sind Sie nicht bereit, auch bei der Landwirtschaft Subventionsabbau zu betreiben? ({28}) Das gilt übrigens auch für die europäische Ebene; Herr Minister Eichel hat es gesagt. ({29}) - Für die Steinkohle werden 5 Prozent aller Subventionen gezahlt. Dann seien Sie doch bereit, Herr Kollege Gerhardt, mir zuzugestehen, dass ich Sie dazu einlade, beim Subventionsabbau in anderen Bereichen mitzumachen. Hier denke ich etwa auch an den großen Bereich des Wohnungsbaus, wo eine Anpassung an den tatsächlichen Bedarf stattfinden muss. Es gibt gar keinen Zweifel, dass Herr Eichel hinsichtlich dieses Punktes Recht hat. In diesem Zusammenhang halte ich es nicht gerade für fair, Frau Kollegin Luft, dass Sie es gering achten, wenn wir in den nächsten drei Jahren für den Stadtumbau Ost 1,2 Milliarden DM aufwenden. Würden Sie den Städten und Gemeinden im Westen, denen es überhaupt nicht gut geht, sagen, dass 1,2 Milliarden DM nichts seien, erhielten Sie sicherlich eine ganz andere Antwort. ({30}) Die Union hat bereits jetzt Anträge auf Mehrausgaben gestellt, die sich nicht nur auf die 36,5 Milliarden DM beziehen; denn man muss alles zusammenfassen. Herr Kollege Rauen, Sie werden nach mir sprechen; vielleicht beantworten Sie die Frage, wie Sie die 400 Milliarden DM, die sich als Summe Ihrer Anträge ergeben, in unserem Haushalt finanzieren wollen. Sie können natürlich sagen, wir sollen die Mehrwertsteuer um 20 Prozentpunkte erhöhen. Damit wäre das alles abgedeckt. ({31}) Aber das wollen Sie ja auch nicht. Sie wollen die Steuerreform vorziehen und Entlastungen vornehmen. Man muss mir einmal erklären, wie das zusammenpasst. Irgendeiner muss doch etwas zur Finanzierung sagen, wenn Anträge auf 400 Milliarden DM Mehrausgaben gestellt werden und gleichzeitig die Steuern gesenkt werden sollen, denn Sie wollen doch wohl seriös sein. ({32}) Wenn ich Herrn Austermann richtig verstanden habe, lebt er in dem Irrglauben, Sie kämen im nächsten Jahr wieder an die Regierung. Solche Hoffnungsschimmer hat er manchmal. Solche Vorhaben müssen dann aber auch seriös finanziert werden. Wir haben die Absicht erklärt, die Möglichkeiten zur Belebung am Arbeitsmarkt auszubauen. Die Beratung über das Job-Aqtiv-Gesetz wird in der nächsten Sitzungswoche beginnen. Darin werden wir auch Verfeinerungen und Verbesserungen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vornehmen. Jetzt möchte ich etwas zum Ablauf der letzten Jahre sagen. Ich frage Sie, warum die Union die Kindergelderhöhungen abgelehnt hat. Vor Weihnachten 1999 haben Sie die erste Kindergelderhöhung abgelehnt, dann haben Sie die zweite Kindergelderhöhung abgelehnt und jetzt lehnen Sie die dritte Kindergelderhöhung auch noch ab. ({33}) Sie haben die Neufestlegung des Existenzminimums abgelehnt. Sie haben alle von uns erreichten sozialen Errungenschaften abgelehnt. Sie müssen mir erklären, wie Sie das mit Ihrer Politik in Übereinstimmung bringen wollen. ({34}) Ich denke an das Kündigungsschutzgesetz, das wir zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder verändert haben. ({35}) - Das hat überhaupt keine Arbeitsplätze vernichtet, Herr Kollege Gerhardt. Das ist nicht wahr. Wir haben in anderen Bereichen einige Maßnahmen ergriffen, die Sie einfach abgelehnt haben. Sie müssen gegenüber der Bevölkerung bitte auch begründen, warum Sie das tun, statt immer neue Anträge zu stellen und darüber hinausgehende Forderungen zu erheben. Sie sollten ganz konkret sagen: Wir haben die Kindergelderhöhung abgelehnt, weil wir es den Leuten nicht gönnen. Sagen Sie das; das ist ja in Ordnung. Dann weiß jeder, woran er bei Ihnen ist. ({36}) Wir werden den Haushalt selbstverständlich intensiv beraten. Wir werden auch den Umsatzsteuerbetrug, den Sie, Herr Rexrodt, beklagten, bekämpfen. ({37}) - Dann war es eben Herr Austermann. Er hätte in 16 Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, diesen Betrug bekämpfen können. Herr Repnik, warum waren Sie denn nicht bereit, dies zu bekämpfen? Warum müssen wir das machen? Das ist wieder eine Erblast. Sie laden Schutt bei uns ab, den wir dann beseitigen müssen. Die Betrüger sind aber nicht nur in diesem Jahr gefunden worden; es gibt sie schon wesentlich länger, man hätte sie früher bekämpfen können. Frau Merkel hat in der vorigen Woche einen bemerkenswerten wahren Satz gesprochen. ({38}) - Ja. Sie hat nämlich gesagt, die chronische Unterfinanzierung der Bundeswehr begann 1989. Damit hat sie vollkommen Recht gehabt. Insofern ist es zu begrüßen, wenn hier der Wahrheit entsprechende Sätze geäußert werden. ({39}) Ansonsten waren sich die Redner aller Fraktionen einig, dass man etwas zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität wie Drogenhandel und Menschenhandel tun muss. ({40}) Die Koalition wird sich bemühen, im Zuge der Beratungen die eine oder andere zusätzliche Verbesserung auf diesem Gebiet zu erreichen, ebenso bei den Hilfsorganisationen wie dem THW, die wir ins Ausland schicken. Wir werden die Ausstattung der Programme für den Städtebau und für die soziale Stadt an die des Jahres 2001 anpassen, weil diese Maßnahmen in den westlichen Städten begründet sind. Für die Städte in den östlichen Bundesländern bleibt die Höhe der Förderung ohnehin in gleichem Umfang erhalten. Ich halte das für eine gute Ausgangsposition. Zu diesen Punkten werden wir im Rahmen der Beratung des Haushaltes entsprechende Anträge formulieren. Sie entsinnen sich an die Berlin-Debatte, die wir in diesem Hohen Haus geführt haben. Ich glaube, die FDP hatte beantragt, man solle über die Situation Berlins reden. Damals sagten wir, im Unterschied zum Saarland und zu Bremen, wo die Haushaltsnotlage unverschuldet entstanden ist, ist sie hier in Berlin durch eigenes Verschulden entstanden. ({41}) Das muss man abrechnen. Dabei muss man beachten, welche konkreten Maßnahmen wir finanzieren. Sie bekommen das vielleicht gar nicht mit. Sehen Sie sich einmal im Bundeshaushalt an, wie viele Millionen wir an Berlin geben. Die Museumsinsel und das Jüdische Museum sind genannt worden; das ist ja alles in Ordnung. Darüber sind wir uns völlig einig. ({42}) - Es gab bisher keinen Streit. Sie haben nicht besonders dafür gekämpft oder kämpfen müssen. ({43}) - Sie haben nichts dafür getan; da haben Sie auch wieder Recht. Wir tun also einiges für Berlin. Wir sind aber an Entscheidungen der Stadt Berlin gebunden. Sie wissen, dass wir die Finanzierung der Sanierung des Olympiastadions übernommen haben. ({44}) Der alte Berliner Senat - das gilt bis jetzt auch für den neuen - konnte sich aber noch nicht entscheiden, was mit der U 5 passiert, die ebenfalls vom Bund finanziert wird. ({45}) - Das ist richtig. Zumindest der größere Koalitionspartner war absolut schlecht. Das gebe ich gerne zu. ({46}) Der andere Koalitionspartner konnte nicht so regieren, wie er wollte. Er war aber auf jeden Fall besser. - Wir helfen also Berlin da, wo es möglich ist. Wir werden auch die Sportförderung in den neuen Ländern - Stichwort: Goldener Plan - im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutieren. Es wird dann deutlich werden, wo die einzelnen Fraktionen ihre Schwerpunkte setzen. Ich lade alle drei Oppositionsfraktionen herzlich ein, sinnvolle Anträge einzubringen, um sie mit uns gemeinsam zu beraten. Wir werden sicherlich dem einen oder anderen Vorschlag entgegenkommen - warum denn nicht? -, wenn er vernünftig ist. Bis jetzt kam aber meines Wissens noch bei keiner Haushaltsberatung etwas Vernünftiges vonseiten der CDU/CSU auf den Tisch. ({47}) - Natürlich, mit einigen sogar sehr. ({48}) - Herr Kollege Repnik, die Fraktionen können doch noch eigene Vorschläge machen. ({49}) Sie waren anscheinend so abhängig von der Regierung, dass Sie gar nichts mehr gemacht haben. ({50}) Die Koalitionsfraktionen sind doch selbstbewusst genug, unserer Regierung zu sagen, an dem und dem Punkt könnte man es besser machen. ({51}) Das ist doch normal. Ich weiß, dass Sie über 16 Jahre blinden Gehorsam gezeigt haben: abnicken und fertig. Diese Zeiten sind vorbei. Wir werden den Konsolidierungskurs weiter mittragen und werden dem Ziel von Hans Eichel folgen, im Jahr 2006 eine Nettokreditaufnahme von Null zu erreichen. Wir werden dem Haushalt nach einer gründlichen Beratung, zu der ich Sie herzlich einlade, zustimmen. Vielen Dank. ({52})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat der Kollege Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von Ihnen wissen, dass ich Unternehmer in der Baubranche bin, in einer Branche, der zurzeit bundesweit das Wasser bis zum Halse steht. Ich habe in den letzten sechs Wochen versucht, Aufträge zu bekommen, um meine Mitarbeiter nicht entlassen zu müssen. Daher bin ich von dem, was ich von der Bundesregierung und von den Koalitionsrednern zum Haushalt, zum Schicksalsbuch der Nation, heute gehört habe, sehr enttäuscht. ({0}) Herr Eichel, Sie haben zugegebenermaßen eine gute Parteitagsrede gehalten, die Ihre eigenen Reihen erfreut hat. ({1}) Aber ich habe relativ wenig zum Haushalt gehört. ({2}) - Herr Poß, weil Sie dazwischenrufen, muss ich Ihnen sagen, dass Sie sich in einem Drittel Ihrer Rede zum Haushalt mit Meinungsbildungsprozessen in der Union beschäftigt haben. ({3}) Sie haben diese Prozesse dann auch noch falsch wiedergegeben. ({4}) Um es sehr klar zu sagen: Das Zehnpunkteprogramm ist das Ergebnis der Diskussion in der gesamten Fraktion und in der gesamten Partei. ({5}) Herr Kollege Metzger, Sie haben das Argument von den 50 Prozent Psychologie bemüht und darüber hinaus den Kollegen Austermann in einer Art und Weise angegriffen, die zu Ihnen eigentlich überhaupt nicht passt. Herr Wagner, das Beispiel von der Sonne an dem einen Morgen und dem Regen an dem anderen Morgen habe ich schon mehrmals hier gehört. Sie sollten sich einmal ein neues Beispiel ausdenken. ({6}) Zu dem Argument von der Erblast: Mein Gott, ihr regiert schon drei Jahre. Dieses Argument läuft sich allmählich tot. Was in den Reden dargestellt wurde, hat mit der Realität in der Wirtschaft nichts zu tun. Dieser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Hilflosigkeit dieser Bundesregierung, ({7}) ein Beweis der Hilflosigkeit dieser Regierung gegenüber sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftsdaten, gegenüber zunehmender Arbeitslosigkeit und abnehmender Beschäftigung sowie gegenüber einer Inflationsrate in einer Höhe, die man sich vor anderthalb Jahren noch nicht vorstellen konnte. Es ist in der Tat bitter, dass die größte Wirtschaftsnation in Europa, die Bundesrepublik Deutschland, die für fast ein Drittel des Bruttoinlandproduktes im Euroraum Verantwortung trägt, bei allen wichtigen wirtschaftlichen Grunddaten am Schluss der Entwicklung in Europa steht. Sie ist sozusagen zum Fußkranken in Europa geworden. ({8}) Herr Poß, Sie haben das ja eben zugegeben. ({9}) - Ich finde es schon unverschämt, dass Sie diese Tatsache der deutschen Wiedervereinigung in die Schuhe schieben wollen. Das ist ökonomisch so unsinnig, dass man gar nicht darüber nachdenken darf. ({10}) Das alles, was wir jetzt erleben, ist Ergebnis Ihrer verfehlten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Das Spiegelbild ist der Arbeitsmarkt: Ende August dieses Jahres waren 5,6 Millionen Menschen in Deutschland verdeckt oder offen arbeitslos. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosenzahl seit Januar um 85 000 gestiegen. Wir hatten im August dieses Jahres zum ersten Mal auch absolut mehr Arbeitslose als im Jahr vorher. Hinzu kommt: Die Zahl der in Deutschland geleisteten Überstunden geht zurück und die Kurzarbeit steigt - ein Alarmsignal ersten Ranges! Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hat diese Regierung zu keinem Zeitpunkt gehabt. Die statistischen und demographischen Effekte, von denen Sie in den ersten drei Jahren Ihrer Amtszeit gezehrt haben, sind vollständig aufgebraucht. Obwohl in den Jahren 1999 bis 2001 645 000 mehr alte Menschen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, als junge ins Erwerbsleben eingetreten sind, ({11}) ist die Zahl der Arbeitslosen seit Ihrer Regierungsübernahme im Oktober 1999 bis zum August 2001 um lediglich 103 000 gefallen. ({12}) - Hören Sie zu, Herr Eichel, dann werden Sie das Wort „Märchen“ nicht mehr in den Mund nehmen. In Deutschland wird nicht mehr, sondern weniger gearbeitet. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Haushalt und die sozialen Sicherungssysteme. Während Sie sich noch in den scheinbaren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt gesonnt haben, haben Sie, Herr Eichel, auch die Hinweise des Sachverständigenrates in 1999 und 2000 nicht ernst genommen. Der Sachverständigenrat hat Ihnen glasklar mitgeteilt, dass, in Erwerbstätigenstunden gerechnet, der Beschäftigungsaufwuchs in 1997 und 1998, der zu verzeichnen war und vom Statistischen Bundesamt auch festgestellt wurde, in 1999 und 2000 zum Erliegen gekommen ist. In diesem Jahr geht die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden zurück. Nur von den geleisteten Arbeitsstunden jedoch werden Sozialversicherungsbeiträge und Steuern gezahlt. ({13}) Die Beitragszahlungen brechen weg. Genau an dieser Stelle liegen die Gründe dafür, dass die Krankenkassen flächendeckend die Beiträge erhöhen müssen, dass die Beitragssätze zur Rentenversicherung trotz der Erhöhung der Ökosteuer nicht um 0,3 Prozentpunkte, ja sogar überhaupt nicht gesenkt werden, die Arbeitsverwaltung neuen Finanzbedarf anmeldet und die Steuerschätzungen, die diesem Haushalt zugrunde liegen, bereits heute Makulatur sind. ({14}) Ihr angesichts der demographischen Entwicklung ohnehin bescheidenes Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu drücken, haben Sie längst aufgegeben. ({15}) 100 000 Arbeitslose mehr bzw. Beschäftigte weniger kosten die Sozialkassen circa 5 Milliarden jährlich und haben Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden DM zur Folge - wenn es 200 000 Arbeitslose mehr gibt, ist das also schon eine Differenz von 13 Milliarden DM - und jedes Prozent Wachstum, das fehlt, führt dazu, dass 17 Milliarden DM weniger Steuern und Sozialabgaben in die staatlichen Kassen fließen. Ihr zweites Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge unter die 40-Prozent-Marke zu senken, haben Sie ebenfalls längst aufgegeben. Am Ende haben Sie die Menschen mit 37 Milliarden DM Ökosteuer abgezockt, ohne die versprochenen Entlastungen einzuhalten. ({16}) Sie sind schon jetzt mit beiden Zielen gescheitert. ({17}) Dieser Haushalt beweist, dass die ruhige Hand Schröders in Wahrheit Hilflosigkeit ist. Auch das Bild vom eisernen Sparer, das Sie, Herr Finanzminister, so gerne benutzen, wird, wie ich finde, immer unschärfer. Das Bild mag zwar auf die Privatperson Eichel zutreffen. Ich habe gelesen, Sie putzen Ihre Wohnung selbst. Vielleicht liegt das auch daran, dass Sie wegen der Kompliziertheit der Regelungen zu den 630-MarkJobs keine Putzfrau mehr finden. ({18}) Aber das gilt nicht für den Finanzminister. Ich komme wieder zur Ernsthaftigkeit zurück, Herr Eichel. Dem Ist-Ergebnis Ihres Haushalts 2002 entnehme ich, dass Sie gegenüber dem Bundeshaushalt 1998 58 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen haben werden. Gleichzeitig sinkt die Nettokreditaufnahme im Vergleich zu 1998 lediglich um bescheidene 15 Milliarden DM. Was das noch mit Konsolidierung der Staatsfinanzen zu tun hat, ist mir persönlich schleierhaft. ({19}) Gegen jede volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Vernunft erhöhen Sie die konsumtiven Ausgaben und senken die Investitionen. Trotz der Zinsersparnis aufgrund des Verkaufs der UMTS-Lizenzen sinkt die Investitionsquote 2002 mit 11,4 Prozent auf den niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Selbst 1998 hatten wir noch 12,5 Prozent. Das waren über 4 Milliarden DM mehr für Investitionen. Herr Eichel, Sie wissen ganz genau: Obwohl es in den Jahren 1995, 1996 und 1997 keine Erhöhung der Steuereinnahmen gab, die Steuern im Gegenteil nominal sogar zurückgegangen sind, lag die Investitionsquote damals höher als bei den üppigen Einnahmen, die Sie heute haben. ({20}) - Diese alte Schimäre wird immer wieder erzählt. ({21}) Aber, Herr Eichel, Sie sind jetzt an der Regierung und Ihrem Finanzplan entnehme ich, dass Sie dieses volkswirtschaftliche Risiko bis 2005 fortsetzen wollen. Danach soll die Investitionsquote auf 10,3 Prozent zurückgehen. Sie konsolidieren den Haushalt zulasten der Investitionen. Bis 2005 wollen Sie die konsumtiven Ausgaben gegenüber 1998 um 47 Milliarden DM erhöhen und gleichzeitig die Investitionen um 6 Milliarden DM kürzen. Ich bin sicher, dass es dazu nicht mehr kommen wird, weil die Wähler dies im nächsten Jahr nicht zulassen werden. ({22}) Der Rückgang der Investitionsausgaben ist ein volkswirtschaftliches Risiko ersten Ranges. Davon betroffen ist nicht nur die Bauindustrie, die nicht zuletzt wegen fehlender öffentlicher Aufträge in einer existenziellen Krise steckt. Nehmen Sie bitte ernst, was Ihnen Ihre Landräte und Oberbürgermeister zurzeit angesichts des Wegbrechens der Einnahmen aus der Gewerbeertragsteuer sagen. Die Gewerbeertragsteuer ist immer die erste Steuer, die angepasst wird, wenn sich die Gewinne von Firmen reduzieren. Auch das hat natürlich verheerende Konsequenzen für den größten Auftraggeber - gerade der Bauwirtschaft -, nämlich die Kommunen. Es hat besondere Konsequenzen für die neuen Bundesländer; das sage ich klipp und klar. Wir haben in den neuen Bundesländern festzustellen, dass die Lohnproduktivitätslücke in den letzten Jahren unverändert bei minus 26 Prozent liegt. Wir wissen auch, dass 15 Prozent dieser Lohnproduktivitätslücke aufgrund fehlender Infrastruktur bestehen. Damit es zu einem selbsttragenden Aufschwung kommt, müssen die Investitionslücken bei den Infrastrukturmaßnahmen verstärkt und unter großen Anstrengungen so schnell wie möglich geschlossen werden. Dem wird Ihr Haushalt in keinster Weise gerecht. ({23}) Von Regierungsseite höre ich manchmal die These, dass an dem Dilemma die außenwirtschaftlichen Gegebenheiten schuld seien. Das ist blanker Unfug. Die Exportquote ist im ersten Halbjahr dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr massiv gestiegen. Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass der Außenwert aufgrund dieser Entwicklung, aber auch aufgrund der verminderten Importe allein 1 Prozent des Wachstums im zweiten Quartal ausgemacht hat. Wenn das stimmt, was die Institute jetzt sagen, nämlich dass wir nur noch bei 0,9 Prozent landen werden, Herr Eichel, und ich dieses 1 Prozent vom Wachstum abziehe, dann haben wir das, was in der Binnenkonjunktur bereits auszumachen ist, nämlich eine Rezession. Das sollten Sie sehr ernst nehmen. Denn als jemand, der einen ganz persönlichen Einblick in die Wirtschaft hat, neige ich dazu, zu sagen, dass wir in Deutschland sehr nahe vor einer rezessiven Phase stehen. Es macht mir überhaupt keinen Spaß, dass es so ist. Mir wäre es aufgrund meiner Tätigkeit als Unternehmer und im Interesse meiner Mitarbeiter viel lieber, wenn es anders wäre. Aber es ist festzustellen: Wir geraten in eine solche Situation, ohne dass Entscheidendes dagegen getan wird. Meine Damen und Herren, bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr habe ich sinngemäß gesagt: Wer zum einen den Arbeitsmarkt re-reguliert - Sie haben Maßnahmen, die wir getroffen haben, zurückgenommen - und zum anderen neu reguliert und wer eine Politik gegen den Mittelstand und die Arbeitnehmer in Deutschland macht, der wird auf dem Arbeitsmarkt brutal scheitern. Das können Sie nachlesen. Herr Eichel, Sie bringen so gerne das Beispiel, wie viel eine Kauffrau im Rahmen der Steuerreform mehr verdient: 60 DM. Ich bleibe einmal bei diesem Beispiel. Ich verstehe davon eine ganze Menge, weil ich weiß, wie eine Lohnabrechnung aussieht. Ich spreche einmal von meinen Maurern, Herr Eichel. Ein Maurer hat aufgrund Ihrer Steuerreform im Monat 80 DM mehr. Aufgrund der Lohnerhöhung um bescheidene 1,75 Prozent in diesem Frühjahr hat er rund 32 DM mehr. Das heißt, nach Steuerreform und Lohnerhöhung hat er netto, also als Kaufkraft, 112 DM im Monat mehr. Das sind pro Jahr 1 344 DM. Wenn dieser Mitarbeiter im Oktober letzten Jahres den Heizöltank seines Eigenheimes gefüllt hat und wenn in diesen 3 000 Liter hineinpassen, dann hat er das aus dieser Nettoentlastung gewonnene Geld bereits voll für die daraus entstandenen Mehrkosten ausgeben müssen. ({24}) - Gerade die Gewerkschafter hier sollten nicht so laut schreien. Ich komme gleich noch darauf, was die Verteuerung der Energie für Konsequenzen hat. ({25}) - Moment mal, ich spreche nur von der Kaufkraft dieses Mitarbeiters. Dabei sind die Mehrkosten für den Sprit - Kollege Diller weiß, woher ich komme; im ländlichen Raum haben die Menschen keine andere Möglichkeit als die, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren - und auch die höheren Stromkosten noch nicht abgedeckt. Das heißt, dieser Mitarbeiter hat trotz der Steuerreform und trotz der Lohnerhöhung einen realen Kaufkraftverlust erlitten. ({26}) Ich sage Ihnen voraus: Da kommt ein riesiges Problem auf uns zu. ({27}) - Ja, auch die Inflation ist zu berücksichtigen. Die Entlastungen bei der Steuer und die Lohnerhöhungen sind durch inflationsbedingte und energiegebundene Kosten längst aufgefressen worden. - Das wissen die Spitzen des DGB ganz genau. Im nächsten Frühjahr kommt Folgendes auf uns zu: Was machen die Tarifpartner? Ich sage immer: Die Menschen in Deutschland verdienen netto zu wenig und die Arbeit kostet brutto zu viel. ({28}) Wenn dann noch aufgrund von nicht erfolgten Reformen und einer nicht ausreichenden Steuerreform reale Einkommensverluste hinzukommen, dann bleibt den Tarifpartnern nur das Mittel einer erheblichen Lohnerhöhung. Das kann uns sehr schnell in eine Lohn-Preis-Spirale treiben, die im Interesse Deutschlands niemandem recht sein kann. Zum Abschluss will ich darauf hinweisen, wo unser Kernproblem liegt: Herr Eichel, wenn bei mir ein Mitarbeiter eine Lohnerhöhung von 1 DM erhält, dann gehen nach der Steuerreform - denn man erreicht ja den Spitzensteuersatz schon früh - 40 Pfennig für die Steuer und 20 Pfennig für den Arbeitnehmerbeitrag weg. Das heißt, von der Lohnerhöhung um 1 DM bleiben diesem Mann gerade noch 40 Pfennig - und noch weniger, wenn er Junggeselle ist. Ich als Unternehmer muss den Arbeitgeberanteil von 20 Prozent, den Beitrag zur Berufsgenossenschaft in Höhe von 6,5 Prozent und noch einmal 20 Prozent für den Beitrag zur ZVK - das ist die Tarifkasse, die wir haben drauflegen. Das sind 147 Prozent. Das heißt, mich kostet eine Lohnerhöhung um 1 DM 1,47 DM, damit der jeweilige Mitarbeiter lächerliche 40 Pfennig herausbekommt. ({29}) Das führt zu der Situation, dass Arbeit in Deutschland nicht mehr bezahlbar ist und dass ein Wirtschaftszweig boomt wie kein anderer, nämlich die Schattenwirtschaft, ({30}) die mittlerweile 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Herr Eichel, ich sage Ihnen eines: Halten Sie sich an das Zehnpunkteprogramm der Union! ({31}) - Lassen Sie doch diese dumme Frage. - Das, was da vorgelegt wurde, ist die Meinung der gesamten CDU/CSUFraktion und der gesamten Partei. Ziehen Sie die Steuerreform vor, damit die Tarifpartner Luft bekommen, also diese Lohn-Preis-Spirale nicht in Gang gesetzt wird! Denn alles, was danach käme, hätte verheerende Folgen für die Wirtschaft in Deutschland. ({32}) - Ziehen Sie das nicht ins Lächerliche! Frau Scheel, mit Ihnen zu diskutieren bringt nichts. ({33}) Sie werden nie kapieren, dass zwischen der fiskalischen und der volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Riesenunterschied besteht. Es macht keinen Sinn, zu sagen - was teilweise auch Finanzminister von uns tun -, man könne sich dies aus fiskalischen Gründen nicht leisten. ({34}) Denn mit der Konjunktur und dem Wachstum wird für das, was ihr aus fiskalischen Gründen geglaubt habt euch nicht leisten zu können, dreifach bezahlt werden müssen. ({35}) Diese volkswirtschaftliche Sicht und nicht nur die buchhalterische Sicht benötigt unser Finanzminister. Schönen Dank. ({36})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Antje Hermenau, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rauen, Sie haben völlig Recht: Im nächsten Jahr werden die Wähler entscheiden. Es kann schon sein, dass Ihnen dieser Haushalt ein bisschen zu unspektakulär ist, vielleicht zu wenig Überraschungsboxen enthält. Auch in der bisherigen Debatte hat man von der Oppositionsseite nur gehört, dass dieser Haushalt wenig Überraschungen entPeter Rauen hält. Ich sage dazu: Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was wir vorher hatten. ({0}) Wenn Sie von der CDU/CSU die Verfassungswidrigkeit Ihrer Haushalte in der Vergangenheit nicht weiter anficht, spricht das vielleicht dafür, dass Sie gegenüber solchen Sachverhalten die nötige politische Ignoranz haben. Ich aber finde, die Verfassungswidrigkeit der Haushalte zu bagatellisieren, wie Sie das gerade in Ihrer Rede getan haben, ist nicht in Ordnung. Wir haben immer gesagt, dass man dann, wenn man in Europa ein stabiles Währungssystem aufbauen will - der Euro wird in vier Monaten eingeführt und alle werden ihn in der Tasche haben -, auch eine Haushaltsdisziplin einhalten muss. Das ist wichtiger als das, was Sie hier aufgezeichnet haben. Herr Rauen, ich möchte Sie an etwas erinnern, was inzwischen schon über drei Jahre her ist, denn vielleicht haben Sie es vergessen: Zu Ihrer Regierungszeit war das Verhältnis zwischen Arbeitergeberanteil und Nettolohn des Arbeitnehmers noch schlechter als jetzt. Inzwischen sind die Lohnnebenkosten geringer geworden und der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken. ({1}) Jetzt kommen wir zu den Fragen, die ein Haushalt neben den kurzfristigen Dingen auch beantworten muss. Reden wir einmal über nachhaltige Finanzpolitik, eine Sache, der Sie sich kulturell nur sehr langsam annähern. Das merken wir seit drei Jahren. Es ist sogar zum Teil so, dass Sie Ihre Haushaltsreden vom letzten Jahr recyceln. Kollege Austermann hat hier Passagen seiner Rede des letzten Jahres wieder vorgetragen. Es gab vor einiger Zeit eine sehr interessante Initiative der Bundesbank. Sie bezog sich auf „generational accounting“. Es ging - für diejenigen, die es auf Deutsch hören wollen - darum, Generationenkonten einzurichten und zu überprüfen, was die jetzige Politik für nachfolgende Generationen bedeutet. Man kann sich hier nicht nur mit ein paar Sachen zur Familienpolitik herausreden. Wir können gerne über Familienpolitik reden; aber das allein ist es nicht. Wir reden darüber, wie wir den Acker bestellen, wie wir das Haus hinterlassen, wenn unsere Kinder die Früchte dessen ernten, was wir hier gemacht haben. Wir reden über sehr lange Zeiträume. Wenn man sich ansieht, wie die Debatte zur Rentenreform verlaufen ist, weiß man genau, über wie viele Jahre man reden muss. Wenn man - das ist jetzt Bundesbank-O-Ton - versuchen würde, den nachfolgenden Generationen nicht mehr Steuern und Abgaben als uns jetzt aufzubürden, müsste man die Steuern um 30 Prozent erhöhen und die Renten um 40 Prozent senken. Vor solchen Konsequenzen drücken Sie sich. Auch wir drücken uns natürlich davor - das gebe ich gerne zu -, denn das ist nicht zumutbar. Es ist nicht zumutbar, die Lebensbedingungen der jetzigen Generationen so drastisch zu verändern. Man muss also andere Stellschrauben bemühen. Das braucht Zeit. Das kostet Mühe. Das braucht langen Atem und es ist ein bisschen unspektakulär - das gebe ich gerne zu -, aber es führt hoffentlich zum Ziel, nämlich den nachfolgenden Generationen trotzdem noch Beweglichkeit in ihrem alltäglichen Leben und in der Finanzpolitik zu erhalten. Jede Verzögerung erhöht die zukünftig notwendigen Abgaben für die Bürger weiter. Deswegen muss man dies vermeiden. Ich erinnere mich, dass Herr Westerwelle noch im Februar 1998 in der „Wirtschaftswoche“ davon sprach, ihm sei es eine Herzensangelegenheit. Die Union mutmaßte damals, es gehe wahrscheinlich nur um den etwas offensichtlichen Versuch, das Umlageverfahren bei der Rente zu kippen. Man braucht aber keine kurzsichtige und kurzatmige FDP, wenn man Haushaltspolitik auch für nachfolgende Generationen machen möchte, sondern man braucht einen langen Atem. Wenn Sie von der FDP und der CDU/CSU ständig von Steuersenkungspaketen in Milliardenhöhe plappern - das ist ja nur Geplapper -, Volumina von bis zu 50 Milliarden Euro ins Spiel bringen und sich Herr Rexrodt als Berliner Kandidat der FDP hier hinstellt und Drei-StufenSteuermodelle verficht, dann stelle ich die Frage: Wie soll Berlin das verkraften? Herr Rexrodt, falls Sie ins Stadtparlament hineingewählt werden, können Sie sie ja beantworten. Sie sprechen hier von Steuerausfällen in Milliardenhöhe für Berlin. ({2}) Auf so etwas hat die FDP ihre gesamte Redezeit verschwendet. ({3}) Herr Austermann, was ist denn nun? Ist der Haushalt zu eng oder zu weit? Sie sind hin- und hergeeiert und haben überhaupt nicht klargestellt, worum es geht. Sie haben die Kritik angebracht, dass es mit der Rente nicht hinhaut, aber völlig vermieden zu sagen, wie die CDU/CSU das lösen würde. Sie hätten zugeben müssen, dass Ihre Planung darin besteht, die Renten massiv zu kürzen, so wie es im Prinzip auch die Bundesbank gefordert hat. ({4}) Dazu stehen Sie aber natürlich nicht. Wenn wir den Schuldenstand heute mit dem im vorigen Jahr vergleichen, stellen wir fest, dass er heute 12 Milliarden Euro niedriger ist als im letzten Jahr. Wir bauen die Schulden der Bundesrepublik Deutschland ab. Es ist schon einigermaßen keck, wie Sie hier aufgetreten und Gegenfinanzierungsvorschläge schuldig geblieben sind. In der „Bild“-Zeitung konnte man heute einen netten Kommentar lesen. Sie hat vorsichtig angefragt, ob denn die Union in der Lage ist, ihre Chancen in der traditionellen Stunde der Opposition in die Haushaltsschlacht zu nutzen. Davon war wenig zu sehen; ({5}) herumnörgeln alleine reicht nicht, heißt es in der „Bild“Zeitung; wir wollen vor allem hören, was Merkel und Co. anders und besser machen würden. - Das alles sind Sie schuldig geblieben; Sie haben es nicht gesagt. ({6}) Das heißt offensichtlich, dass sie keinen anderen Haushalt als wir vorlegen könnten. Selbst das Herumnörgeln kommt nicht mehr als sehr interessant herüber. Wir legen Punktlandungen hin. Es war mühevoll; aber wir haben es über drei Jahre hinweg geschafft. Wir erzielen eine Punktlandung beim Kindergeld: Es wird ab dem 1. Januar 2002 151 Euro für das erste und zweite Kind betragen. Wir ziehen die dritte Stufe der Einkommensteuerreform vor; diese läuft jetzt schon. Die unteren und mittleren Einkommen werden entlastet. Wir bringen, so mühevoll das ist und so langsam es geht, die Sachen voran. Nebenbei bringen wir jedes Jahr auch das Zukunftsinvestitionsprogramm weiter voran. Es geht dabei um die Hochschulen, um die berufliche Bildung, um die Innovation regionaler Wirtschaftskerne und besonders auch um Zukunftsinvestitionen für die Bahn. Man kann sich doch nicht hier hinstellen und sagen, der Haushalt sei verfehlt. Es ist ein angemessener Haushalt, der in Ruhe und sachgerecht mit den Problemen umgeht und trotzdem die lange Sicht nicht aus den Augen verliert. Darum geht es. ({7}) Reden wir über die Familienpolitik und darüber, wie das Leben den Menschen, die jetzt Kinder großziehen, ein wenig erleichtert werden kann. Auch das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Das Zweite Gesetz zur Familienförderung wurde im Juli 2001 beschlossen. Was bringt es? Das sächliche Existenzminimum wird angepasst, das Kindergeld - ich habe es schon erwähnt - wird erhöht. 1998, als Sie die Regierungsverantwortung übergeben haben, betrug es 220 DM. Ab dem 1. Januar 2002 beträgt es schon 300 DM. Das ist eine Steigerung von über 25 Prozent. Für das erste und zweite Kind wird ein Drittel mehr Kindergeld gezahlt. Wenn man sich überlegt, wie viele Kinder es in Deutschland gibt, kommt man zu dem Ergebnis, dass es eine enorme Summe ist. ({8}) Denken Sie einmal an den Kinderfreibetrag, der ebenfalls um ungefähr 30 Prozent erhöht wurde. ({9}) Auch der Ausbildungsfreibetrag und die Abzugsfähigkeit tatsächlich entstandener Kinderbetreuungskosten sind im Gesetz enthalten. Es ist ein handlungsfähiger Staat, der sich in diesem Politikfeld vor Ihnen manifestiert. Das hat etwas mit der Haushaltskonsolidierung zu tun. All das kostet aber Geld. Umgekehrt gesagt: Wir verzichten auf Steuereinnahmen. Durch das Familienleistungsgesetz entsteht ein Defizit. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir dieses im nächsten Jahr beseitigen können. Eines unserer Probleme ist, dass wir aufgrund dieser Familienleistungen, die wir durch Steuerentlastungen gewähren, natürlich weniger Steuereinnahmen haben werden. Das ist das wichtigste Problem, das die Unterfinanzierung in Höhe von 1,3 Milliarden Euro, die wir in diesem Herbst noch zu verbuchen haben, verursacht. Ich denke aber, dass es zu leisten ist. Wir haben es auch im letzten Jahr, als die Probleme in finanzieller Hinsicht noch viel größer waren, mit Bordmitteln geleistet. Man kann durch eine gezielte Politik, die auch gewollt ist, weniger Geld einnehmen. Wir haben gesagt, dass wir diese Erleichterungen für Familien erreichen wollen. Wir verzichten dafür auf Steuereinnahmen, die es uns leichter machen würden, den Haushalt aufzustellen. Wir gehen mit diesem Verzicht produktiv um, indem wir keine neuen Schulden aufnehmen, sondern versuchen, mit dem, was wir haben, auch das andere zu finanzieren. Das ist harte Arbeit. Wir werden in den nächsten zwei Monaten sehen, wie wir alle damit umgehen. Wir haben gesagt: All die Dinge, die sich aus diesen Politikzielen heraus ergeben, wollen wir finanzieren, ohne neue Schulden aufzunehmen. Wir fangen dies mit unseren Bordmitteln auf. Es wird vielleicht Minderausgaben bei der EU geben. Es gibt Möglichkeiten, bei den Gewährleistungen oder bei den Zinsausgaben zu sparen. Ich denke, wir reden hier über ein knappes halbes Prozent des gesamten Bundesetats. Dies werden wir durch Umschichtungen und solide Haushaltspolitik schaffen. Dafür muss man sich nicht verschulden. Das ist nicht nötig. Die bisherigen Erfolge, die wir über Jahre hinweg erreicht haben und die wir mit diesem Haushalt bestätigen und fortsetzen, bestehen darin, dass wir ungefähr 12 Milliarden Euro weniger Schulden haben. Das Entlastungsvolumen für die privaten Haushalte und für die Unternehmen wird bei etwa 23 Milliarden Euro liegen. 2001 werden wir sinkende Steuereinnahmen haben und trotzdem die Schulden reduzieren. Das Geld aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen hat dazu geführt, dass wir gemäß einer EU-Vorgabe unsere Schuldenstandsquote endlich wieder unter den Grenzwert von 60 Prozent des BIP gebracht haben. Ich weiß noch, wie sich Herr Waigel vor Jahren über die Italiener lustig gemacht hat. Diese haben den ganzen Sommer über gefeixt, weil es uns nur mit Mühe gelungen ist, unter diesen Schuldenstand zu kommen. ({10}) - Hör doch auf, Dietrich Austermann! ({11}) Wir reduzieren die Schulden. Daran kannst du nicht vorbei. Daran kann keiner vorbei. Alle können hier große Reden halten. Aber die Ersten, die die Schulden seit langer Zeit wirklich reduzieren, sind die rot-grünen Haushälter, ist die rot-grüne Regierung. ({12}) Wir können gerne über eine Reihe von mit Augenmaß zu liefernden Korrekturen sprechen: Entwicklungshilfe, erneuerbare Energien, Arbeitsmarkt. Hier wird es noch Justierungen geben. Das ist die Arbeit der nächsten zwei Monate. Dabei ist jeder konstruktive Beitrag gefragt. Ansonsten war die Debatte, zumindest vonseiten der Opposition, eher verhalten. Schönen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion, das Wort. Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den mir verbleibenden drei Minuten Redezeit kann ich natürlich nur zusammenfassende Bemerkungen machen. Eines vorab: Die laufenden Schuldzuweisungen an die frühere Regierung und die sie tragenden Parteien nach drei Jahren Regierungsverantwortung sind allmählich mehr als peinlich; es sei denn, es wäre ein Zeichen der Hilflosigkeit. ({0}) Es verwundert nicht, dass Sie wegen Ihrer Hilflosigkeit auf die alte Regierung verweisen, weil Sie mit Ihrer Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik, Herr Bundesminister Eichel, und mit der Sozialpolitik die gesamte Bundesregierung in ganzer Breite an die Wand fahren. ({1}) Sie können nicht einmal die von Ihnen selbst postulierten Ziele verwirklichen. Wenn alles so wäre, wie Sie es darstellen, Herr Eichel, dann wären Sie ein Zauberer. In Wirklichkeit sieht es anders aus. Ich will nur drei kleine Beispiele nennen. In der Haushaltspolitik, so sagen Sie großspurig, wollen Sie raus aus der Schuldenfalle und die Haushalte konsolidieren. Schaut man sich die Zahlen an, so stellt man fest, dass die Ausgaben des Bundes seit 1998 von 457 Milliarden DM auf 484 Milliarden DM gestiegen sind. Von Konsolidierung und Sparen kann hier keine Rede sein: alles heiße Luft. Sie haben gesagt, Sie müssten mit der Haushaltspolitik einen Beitrag zur Konjunkturankurbelung leisten. Schauen Sie sich einmal das Verhältnis von konsumtiven und investiven Ausgaben an: Die konsumtiven Ausgaben steigen von 359 Milliarden DM auf 430 Milliarden DM, die investiven Ausgaben sinken von 57 Milliarden DM auf 55 Milliarden DM. In Ihrer Planung sollen sie weiter sinken: in 2004 auf 51 Milliarden DM, wohingegen die konsumtiven Ausgaben auf 446 Milliarden DM weiter steigen sollen. Also stimmt auch in der langfristigen Perspektive das nicht, was Sie hier behaupten. Das Gegenteil ist richtig. ({2}) Zur Steuerpolitik: Sie sprechen von der größten Steuerreform aller Zeiten und reden von einer Entlastung für die Arbeitnehmer und die Steuerpflichtigen. Das Gegenteil ist richtig: Das Steueraufkommen steigt. Dies muss von irgendjemandem bezahlt werden. Dies bezahlen natürlich die Steuerpflichtigen. Nachdem Sie die Steuerentlastung auf die großen Kapitalgesellschaften konzentriert haben, bezahlen jetzt die kleinen Arbeitnehmer und der Mittelstand die Rechnung. Damit dämpfen Sie auch noch die konjunkturelle Entwicklung. ({3}) Sie haben vorhin gesagt, die Angaben zur Steuerquote stimmten nicht. Ich habe hier die Daten des Statistischen Bundesamtes. Seit 1950, seit Beginn der Bundesrepublik, haben wir im Jahre 2000 - das ist die letzte vorliegende Zahl -, gemessen am Bruttosozialprodukt, die höchste volkswirtschaftliche Steuerquote. ({4}) - Das Jahr 2001 ist in der Statistik noch nicht enthalten, weil dieses Jahr noch nicht abgeschlossen ist. Auch im Jahr 1977 war die Situation kurzfristig so, dass wir die höchste volkswirtschaftliche Steuerquote hatten. In diesem Punkt sind Ihre Aussagen einfach falsch, unrichtig. Dritte Bemerkung - Sozialabgaben -: Der Bundeskanzler ist mit der Aussage angetreten, er wolle die Sozialabgabenquote auf unter 40 Prozent senken. Trotz der Zuhilfenahme von rund 30 Milliarden DM aus der Ökosteuer zugunsten der Rentenkasse steigen die Sozialabgaben weiter. ({5}) Wir sind bei über 41 Prozent und es ist heute schon klar, dass Sie die geplante Senkung der Beiträge von 19,1 auf 19,0 Prozent nicht hinbekommen; das Gleiche gilt für die geplante Senkung auf 18,8 Prozent im nächsten Jahr. Das heißt, auch die Aussage, die Ökosteuer treffe die Arbeitnehmer nicht, weil sie bei den Beiträgen zur Rentenversicherung gleichzeitig entlastet würden, ist eine glatte Lüge; das stimmt einfach nicht. ({6}) Ergebnis dieser falschen Politik ist - Sie können das im „Spiegel“ dieser Woche nachlesen; das ist für Sie vielleicht glaubwürdiger, als wenn ich es sage -: Die Bundesrepublik Deutschland ist der Sitzenbleiber unter den Industrienationen; ({7}) sie ist beim Wirtschaftswachstum an drittletzter Stelle, bei der Erwerbsquote ebenfalls, aber bei der Steuer- und Abgabenquote - Ihre Verantwortung, Herr Bundesminister weltweit Spitzenreiter mit 60 Prozent. Auf dieser Basis wird sich die Wirtschaft in Deutschland nicht erholen und die Arbeitslosigkeit nicht abgebaut werden können. Vor diesem Hintergrund werden die Wähler im nächsten Jahr ihr Urteil zu sprechen haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat uns heute Vormittag eigentlich nur eine Botschaft herübergebracht: Spare mit jedem Pfennig, koste es, was es wolle, auch wenn es unsere Zukunft ist! Sie haben gesagt, Sie wollten die Bürger nicht um ihr eigenes Geld bringen und müssten deshalb die Schulden abbauen. Ihre Politik, nur zu sparen, ohne auf die Einnahmenseite zu schauen, führt aber natürlich zu dem Ergebnis, dass die Bürgerinnen und Bürger um ihr Geld gebracht werden. Sie haben die private Finanzierung der Rente beschlossen. Sie haben den Abbau der Massenarbeitslosigkeit nicht vorangebracht. Sie verlangen, dass Bürgerinnen und Bürger - die Diskussionen nehmen immer mehr zu - für die Schulbildung und das Studium ihrer Kinder stärker bezahlen müssen. Auch das sind private Investitionen, das heißt, Sie verlagern hier schlicht und einfach. Schaut man sich einmal die Steuerbelastungen genauer an, so muss man erschrocken feststellen: Die veranlagte Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, die von BMW, Siemens, Deutsche Bank usw., von den Millionären und Milliardären, die wir auch in der Bundesrepublik haben, erbracht werden, machen nur 3,1 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus, nicht mehr. Das ist doch ein Skandal ohnegleichen. ({0}) Natürlich haben Sie es relativ geschickt gemacht. Herr Waigel hätte sich nie getraut, den Spitzensteuersatz um 10 Prozent und den Körperschaftsteuersatz um 20 Prozent zu senken; Sie wären dagegen Sturm gelaufen. Ermöglicht wird diese Senkung durch eine Verlagerung von der direkten auf die indirekte Besteuerung - Stichwort Ökosteuer -, aber auch dadurch, dass, obwohl Sie eine gewisse Steuersenkung von immerhin 3 Prozent vorgenommen haben, diese Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Großteil des Steueraufkommens bei den direkten Steuern zahlt, nämlich 29 Prozent. Vergleichen Sie bitte die 3,1 Prozent, die ich eben genannt habe, mit diesen 29 Prozent. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanzieren also inzwischen das Gemeinwesen und nicht die großen Unternehmen. Sie haben zu Recht gesagt, diese bedanken sich für das rot-grüne Steuerparadies, das Deutschland inzwischen ist. Das gilt aber nur für diese Gruppe der Bevölkerung, die doch recht klein ist. ({1}) Ich komme aus Leipzig. Wir freuen uns sehr, dass wir die Ansiedlung von BMW bekommen, die uns 10 000 Arbeitsplätze bringen wird. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden ihre Lohnsteuer brav abführen, so wie sich das gehört. Ob aber BMW in Leipzig überhaupt eine Mark Steuern zahlen wird, wage ich sehr zu bezweifeln. ({2}) Im Gegenteil: BMW bekommt noch hohe Subventionen für die Ansiedlung eines Werkes in Leipzig. ({3}) Frau Hermenau, Sie haben vorhin hervorgehoben, dass die rot-grüne Regierung aufgrund der Anhebung des Kindergeldes auf Steuereinnahmen verzichte. Lassen Sie mich bitte klarstellen: Sie alle, die sich in den letzten Jahren die Regierungsverantwortung geteilt haben - das betrifft nicht meine Fraktion, weil wir auf Bundesebene noch nicht an der Regierung waren -, haben viel zu wenig für die Kinder getan. Alles, was zugunsten von Familien mit Kindern gemacht worden ist, ist auf Druck des Bundesverfassungsgerichts geschehen, das diesem Hohen Hause gar keine andere Wahl gelassen hat. ({4}) Dass Familien mit Kindern in den Genuss einer Kindergelderhöhung kommen, lässt sich darauf zurückführen, dass ein Großteil der Familien einen Rechtsanspruch auf steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder hat. Das heißt, die eigentliche Familienförderung kommt nur noch einer kleinen Gruppe zugute. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, lassen die durch die Kindergelderhöhung entstandenen Mehrausgaben zum großen Teil durch steuerliche Höherbelastung der Alleinerziehenden gegenfinanzieren. Das wissen Sie auch. Die Kindergelderhöhung ist insgesamt viel zu gering ausgefallen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der es Ihnen, wenn Sie ihn aufgegriffen hätten, ermöglicht hätte, das Kindergeld auf 400 DM für jedes Kind ab dem 1. Januar 2002 zu erhöhen. Sie müssten in Ihrer Steuerpolitik wirklich einmal mutig sein und zur Individualisierung der Einkommensteuer übergehen. Dann hätten Sie auch das notwendige Geld dafür. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Herr Eichel die Verantwortung für die Kinderbetreuung den Ländern und Kommunen überlässt. Uns allen ist klar: Auch ein Kindergeld von 400 DM würde die Probleme nicht lösen. Es ist daher notwendig, dass Deutschland endlich europäisches Normalmaß erreicht und für eine ausreichende Zahl von Einrichtungen für die ganztägige Kinderbetreuung sorgt. Hier können wir die Länder und Kommunen nicht alleine lassen. Wenn ich mir vor Augen führe, dass das Steueraufkommen der Kommunen in diesem Jahr um durchschnittlich 17 Prozent aufgrund der verabschiedeten Steuerreform eingebrochen ist, dann frage ich Sie, mit welcher Berechtigung Sie von den Kommunen und Ländern verlangen, die Kinderbetreuung alleine zu finanzieren. Die Kommunen haben nicht einmal wie die Länder die Möglichkeit gehabt, über das Steuergesetz zu verhandeln. Das, was Sie fordern, ist nicht in Ordnung. So kann man die Politik nicht vorantreiben. Wir haben Ihnen unsere Vorschläge vorgelegt. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, auch die Unternehmen wieder nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit zu besteuern. Das wäre eine richtige Mittelstandsförderung. Wir haben Ihnen die Einführung eines progressiven Körperschaftsteuersatzes vorgeschlagen. Sie sollten auch unseren Vorschlag einer Mindestbesteuerung ernst nehmen. Wenn Sie schon nicht die Steuerschlupflöcher schließen, dann sollten Sie doch wenigstens sicherstellen - das wäre ein erster Schritt, um wenigstens ein kleines bisschen Mut zu zeigen -, dass jeder in diesem Land einen Mindeststeuerbetrag abführt und damit wenigstens etwas zur Finanzierung des Gemeinwesens beiträgt. Ich bin ein bisschen optimistisch, wenn ich die Diskussion über die Tobin-Steuer verfolge und mir die Liste der Namen der Unterstützerinnen und Unterstützer aus diesem Hause anschaue, die sich nicht auf die PDS beschränkt. Wir haben bereits in der 13. und auch in der jetzigen Legislaturperiode einen Antrag dazu eingebracht. Ich freue mich schon darauf, wenn zum Beispiel die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul gemeinsam mit anderen Abgeordneten in der Regierungskoalition dafür kämpfen wird, dass endlich auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland etwas gegen Devisenspekulationen tut, damit in ausreichendem Maße Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht, so wie wir es in unseren Anträgen bereits gefordert haben. Ich bedanke mich. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es einigermaßen merkwürdig, wenn Sie, Herr Rauen und einige aus Ihren Reihen, fast drei Jahre, nachdem wir die schwarz-gelbe Koalition abgelöst haben, so tun, als wären Sie dem Jungbrunnen entsprungen und würden jetzt alles voller Elan anpacken. Wenn man genauer hinhört, dann stellt man fest, dass Sie sich selber treu bleiben. Es ist Ihnen in den 16 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit mit zunehmendem Tempo gelungen, eigentlich die gesamte Ordnung der öffentlichen Finanzsysteme und der Sozialsysteme zu chaotisieren. ({0}) Sie haben den öffentlichen Haushalt zugrunde gerichtet und sind bis an die Grenze des verfassungsmäßig Zulässigen in Schattenhaushalte ausgewichen. Sie haben die Altersvorsorge vor die Wand fahren lassen und zur Unsicherheit bei alten wie bei jungen Menschen beigetragen. ({1}) Sie haben mit Ihrer steuerlichen Familienförderung gegen die Verfassung verstoßen, wie Ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigt hat. ({2}) Sie haben in vielen anderen Bereichen eigentlich nur Chaos hinterlassen. ({3}) Wer 16 Jahre Zeit hatte, eine Welt einzureißen, und dies auch getan hat, der muss uns ein wenig Zeit geben, sie wieder aufzubauen. ({4}) Mit der Ankündigung, Herr Rauen und andere, Sie würden an unserer Stelle die nächsten Stufen der Steuerreform mit 45 Milliarden DM vorziehen, fallen Sie in Ihre alten Gepflogenheiten zurück, was öffentliche Haushalte, insbesondere den Bundeshaushalt, angeht: alles nur auf Pump! ({5}) Ihre Ankündigung, Sie wollten uns in der Familienförderung noch toppen, finde ich geradezu albern, nachdem Sie sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte geweigert haben, überhaupt etwas zu machen. Liebe Kollegin Höll, Sie haben hier gesagt, die Koalition habe im Bereich der Familienförderung lediglich das getan, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben habe und was dem Rechtsanspruch der Familien entspricht. Das ist doch völlig falsch. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich gesagt, dass bestimmte Aufwendungen für Kinder im Bereich der Einkommensteuer freigestellt werden müssen. ({7}) Es war ausschließlich von Freibeträgen die Rede. Über Kindergeld für diejenigen, die geringe Einkommen oder gar kein Einkommen haben, hat das Bundesverfassungsgericht nichts gesagt. Das macht die Sache teuer, aber das haben wir gemacht, und zwar gerne. ({8}) Das Bundesverfassungsgericht hat auch überhaupt nichts darüber gesagt, dass berufstätige Eltern die tatsächlichen Betreuungskosten für Kinder zusätzlich von der Steuer absetzen können. Wir haben es gemacht, und zwar gerne. Das Bundesverfassungsgericht hat auch gar nichts darüber gesagt, dass wir bei der Problematik der Alleinerziehenden, die ja Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts war, einen gleitenden Übergang organisieren, der auch ins Geld geht. Wir tun es, weil wir die sowieso schon schwierige Gruppe allein erziehender Mütter nicht noch zusätzlich schädigen wollen als Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Wir nehmen eine zusätzliche Belastung in Kauf, bis sich Kindergeld und Steuerfreibeträge mit den bisherigen Rechtsansprüchen von Alleinerziehenden getroffen haben. Das haben wir gerne gemacht, aber dazu hat uns niemand gezwungen. Das muss hier klar gesagt werden. ({9}) Wir sind weit über das hinausgegangen, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Wir sind natürlich erst recht über das hinausgegangen, was die Opposition jemals angedacht hat. An das, was wir hier jetzt gemacht haben, haben Sie ja nicht einmal zu denken gewagt. ({10}) Ich glaube, auch hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation machen Sie es sich etwas einfach. In den letzten Jahren Ihrer Regierungstätigkeit wurde sehr oft Aufbau Ost mit Bereicherung West verwechselt. ({11}) Es wurden keine tragfähigen Strukturen aufgebaut. Das zeigt sich jetzt und rächt sich bitter, da in einigen Bereichen ein Zusammenbruch droht, gegen den wir mit großem öffentlichen Aufwand ankämpfen müssen. Sie haben Wirtschaftspolitik gemacht mit einem Wirtschaftsminister Rexrodt, der grundsätzlich zum Programm erklärt hat: Wir machen nichts. Heute stellt er sich hier hin und beginnt an Stellschrauben zu drehen, von denen er in seiner Amtszeit überhaupt nicht wusste, dass es sie gibt, weil er sich geweigert hat, sie zur Kenntnis zu nehmen. ({12}) Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass das deutsche Volk glaubt, drei Jahre nach Ihrer berechtigten Niederlage, nach 16 Jahren, in denen Sie Chancen hatten, etwas Bleibendes zu errichten, seien diese Bäckerburschen im Trainingslager so erfolgreich gewesen, dass man ihnen das Schicksal des Volkes im nächsten Jahr wieder anvertrauen kann! Das glauben Sie wohl selbst nicht. Das ist Pfeifen im dunklen Keller. ({13}) - Meine Stimme ist so laut; das ist in den weiten westfälischen Landen so. Da muss man manchmal auch größere Distanzen überwinden. Ich gebe mir aber Mühe, etwas leiser zu reden. Ich bin heute im Wesentlichen hier angetreten, um einiges zur Steuerpolitik zu sagen. Für die Schlussrunde am kommenden Freitag liegt ein Entschließungsantrag der CDU/CSU vor, in dem so getan wird, als gäbe es weder Steuergerechtigkeit noch hätten wir etwas Vernünftiges für die Unternehmen, geschweige denn für den Mittelstand, unternommen. Wir haben eine Entlastung organisiert, und zwar wahlperiodenübergreifend, die im Jahre 2005 - Hans Eichel hat darauf hingewiesen - in eine Entlastung von circa 100 Milliarden DM pro Jahr mündet. Das hat es in Deutschland noch niemals gegeben. Dies wird auch Früchte tragen. Es wird nicht nur Geld in die Taschen der privaten Leute oder der Unternehmen, die investieren sollen, bringen, sondern wird sich auch in der Nachfrage widerspiegeln, wie das jetzt schon zunehmend der Fall ist. Es gab einige Monate, in denen aufgrund explodierender Rohölpreise - nicht aufgrund der Ökosteuer - eine sehr hohe Preissteigerungsrate zu verzeichnen war. Das ist gar keine Frage; das hat auch uns in hohem Maße geärgert. Richtig ist, dass durch diese Ölpreiserhöhung ein Teil der Entlastungseffekte aufgefressen wurde. Aber stellen Sie sich doch einmal vor, welches gesamtwirtschaftliches Szenario eingetreten wäre, wenn wir diese Entlastung nicht vorgenommen hätten und es zu einer solchen Preissteigerungsrate gekommen wäre! ({14}) Das hätte zur Rezession geführt. Wir hätten es lieber anders gehabt - das ist gar keine Frage -, aber wir haben die Preissteigerungsrate gerade bei Rohöl nicht zu verantworten. ({15}) Wir haben entlastet und damit dazu beigetragen, dass die Nachfrageseite noch einigermaßen elastisch reagieren konnte und wir nicht einen realen Rückgang im konsumtiven Bereich, der sonst garantiert eingetreten wäre, zu verzeichnen hatten. Wir haben jetzt Gott sei Dank wieder eine Normalisierung. Die Inflationsrate bewegt sich auf einem normal niedrigen Maß. ({16}) Damit werden natürlich auch die Erträge von Steuer- und Beitragsentlastungen für Private und Unternehmen wieder voll spürbar. Die nächsten Stufen der Steuerreform werden - da sind wir außerordentlich zuversichtlich - voll nachfragewirksam werden. ({17}) - Normalerweise sind die Kollegen aus den süddeutschen Ländern für die Festzelte zuständig. ({18}) - Nein? - Na gut, dann nehme ich das zurück. ({19}) - Aber dann muss man auch darauf aufmerksam gemacht werden; sonst fällt es einem nicht auf.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Überwiegend hat der Kollege Schultz das Wort.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben dazu beigetragen, dass niedrige Einkommen im Grunde genommen überhaupt nicht besteuert werden. Es gibt sehr hohe Grundfreibeträge. Familien mit zwei Kindern werden ab dem Jahr 2005 überhaupt erst bei einem Einkommen von mehr als 56 000 DM die erste Mark Steuern bezahlen. Das hat es noch nie gegeben. Das ist eine wahnsinnige Förderung gerade von Familien mit kleinen Einkommen, die da wirksam werden wird. Zur Entlastung der Unternehmen. Das glaubt Ihnen kein Mensch, aber es ist so: Die rechtsformgebundenen Unternehmen und ihre Verbände sind mit der Steuerreform in hohem Maße zufrieden. Die Definitivbesteuerung von 25 Prozent hat schon dazu geführt, dass Erträge der Unternehmen in den Unternehmen bleiben und in Investitionen umgemünzt werden. Diese Unternehmensteuerreform hat dazu geführt, dass ausländische Unternehmen, die Deutschland den Rücken gekehrt Reinhard Schultz ({0}) hatten, wieder zurückkommen, weil sie hier die bessere steuerpolitische Kulisse für ihre Aktivitäten vorfinden. Auch für die nicht rechtsformgebundenen Gesellschaften, für die Personengesellschaften, für die Einzelkaufleute, haben wir durch die Kombination des niedrigen Einkommensteuertarifs und der Möglichkeit, die Gewerbesteuerbelastung fast vollständig von der Steuerschuld abzuziehen, eine erhebliche Entlastung geschaffen. ({1}) Ein Unternehmen muss schon einen Reinerlös von mehr als 480 000 DM im Jahr haben - wir haben das hier bereits mehrfach diskutiert -, wenn es ihm schlechter gehen soll als einer rechtsformgebundenen Gesellschaft. Da aber die meisten Personengesellschaften, nämlich 95 Prozent, einen Ertrag von weniger als 250 000 DM haben, ist alles das, was Sie hier erzählen, ein reines Märchen. ({2}) Aber wir legen noch einen drauf. Bei der Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts, das am Freitag in erster Lesung behandelt werden wird, wird deutlich werden, dass wir auch andere Vorteile der Unternehmensteuerreform, nämlich die steuerfreie Veräußerung von Unternehmensteilen, soweit das Geld in der unternehmerischen Sphäre bleibt, für Personengesellschaften nutzbar machen wollen. ({3}) Die Koalition - da darf ich auf den Kollegen verweisen denkt konstruktiv mit. Sowohl die SPD und ich selbst als auch die Grünen haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass wir auch auf diesem Gebiet die Gleichstellung von Personengesellschaften auf der einen Seite und GmbHs und Aktiengesellschaften auf der anderen Seite wollen. Die steuerfreie Reinvestitionsrücklage wird dazu beitragen, dass auch in Personengesellschaften die Durchführung von Umstrukturierungsprozessen deutlich leichter wird. Damit ist die Waffengleichheit hergestellt. Das wird sich auf das wirtschaftspolitische Klima in Deutschland natürlich außerordentlich positiv auswirken. ({4}) - Sie tun in Ihrer Vorlage so, als wäre das alles mit wahnsinnigen Hürden befrachtet, ({5}) als ob man für Erschwerungen sorgen würde und als ob Ausschreibungen gar nicht möglich wären. Wir werden in den Ausschusssitzungen natürlich sehr aufmerksam verfolgen, was Sie dort vortragen. Wir sehen nur, dass wir eine fast vollständige Waffengleichheit, was die Entlastungen und was die Beweglichkeit von Unternehmensvermögen angeht, sowohl für rechtsformgebundene als auch für Personengesellschaften herstellen. Auch das hat es bislang noch nicht gegeben. Unsere einladende Geste sieht so aus: Wer investiert, der wird von Steuern verschont; wer privat entnimmt, der muss allerdings, seiner Situation entsprechend, den normalen Steuersatz entrichten. Ich möchte noch ein Wort auf die Situation in Bund, Ländern und Gemeinden verwenden. Die Opposition erklärt, es gebe überhaupt keine Probleme, zusätzlich 45 Milliarden DM bereitzustellen usw. Das alles aber ginge zulasten der Länder. Wenn wir auf die Idee gekommen wären, zusätzlich 45 Milliarden DM aus dem Verkehr zu ziehen, dann würde, glaube ich, selbst Ministerpräsident Stoiber in München vor Wut an die Decke springen, weil dann sogar der Landeshaushalt in Bayern nicht mehr ohne Weiteres finanzierbar wäre. Es ist so ähnlich wie bei Waigel: Als er noch Minister war, hat er immer auf der Abgeordnetentoilette gebetet, dass sich die Mehrheit der SPD-geführten Länder im Bundesrat durchsetzt; denn ansonsten wären - das wissen Sie ganz genauso gut wie wir - weder der Bundeshaushalt noch der bayerische Staatshaushalt - ich erinnere an Ihre Petersberger Beschlüsse - zu finanzieren gewesen. ({6}) Wir halten es vor diesem Hintergrund nicht für besonders hilfreich und nicht für besonders ehrlich, dass Sie erzählen, dass es den Gemeinden besonders schlecht geht, und gleichzeitig ankündigen, man wolle sie weiter belasten, indem man ihnen Einnahmen nimmt. Wir sehen, dass in der Debatte über die Fortschreibung des Unternehmensteuerrechts Fragen wie die Verlagerung von Gewerbesteueraufkommen im Zusammenhang mit Organschaftsproblemen behandelt werden müssen. Wir werden auch über den eigenartigen Effekt reden - intern haben wir es schon getan -, der daraus resultiert, dass ertragreiche Versicherungsformen gegen riskante Versicherungsformen verrechnet werden, dass also, um ein Beispiel zu nennen, Elementarversicherungen mit Verlusten gegen ertragreiche Lebensversicherungen verrechnet werden. Dies führt dazu, dass eine Stadt mit einer bestimmten Versicherung plötzlich einen wahnsinnigen Gewerbesteuerausfall hat, während bei einer anderen Stadt kaum noch etwas ankommt. Das alles werden wir gemeinsam besprechen. Wir sehen Handlungsbedarf. Wir werden handeln; darauf können Sie sich verlassen. ({7}) - Das hat mit Reparatur überhaupt nichts zu tun. Man muss genau beobachten, welche Verlagerungseffekte es dadurch gibt, dass Konzerne ihre Beteiligungsgesellschaften untereinander verrechnen. Darin besteht das Organschaftsproblem. Es besteht verschärft bei den Versicherungen. Dort dürfte es eigentlich nicht existieren, weil sich jede Versicherung selber tragen müsste. Wir sind auch gewählt worden, um aufmerksam zu beobachten, was im Lande vor sich geht, beherzt zu handeln und die bestehenden Fehler zu korrigieren. Um das zu tun, brauReinhard Schultz ({8}) chen wir Sie, Herr Rauen, und Ihre Freunde nicht zwingend. Die Situation, die wir bis zur physischen Einführung des Euro vor uns haben, ist schwierig. Wir haben den Euro bereits eingeführt. Es wird zwar immer wieder gesagt, er werde zum 1. Januar 2002 kommen; aber er ist bereits Realität. ({9}) - Wir haben ihn nur noch nicht als Bargeld in der Tasche. ({10}) Ich finde, die Vorbereitungen, die die Bundesregierung und andere Akteure auf diesem Gebiet leisten, gut. Wir werden noch eine Menge an Vertrauensarbeit leisten müssen, damit nicht der Verdacht entsteht, dass einige der Akteure, ob Banken, ob Einzelhandel oder sonst wer, versuchen, die Umrechnung in den Euro für versteckte Preissteigerungen zu nutzen. Wir werden in dieser Hinsicht sehr aufmerksam sein; ({11}) denn wir wollen, dass der Euro das Vertrauen bekommt, das er verdient. Dies würde gefährdet, wenn man sozusagen durch die Hintertür Preistreiberei betreibt. Das gilt auch für das Kreditgewerbe, wo man vor dem Hintergrund des großen europäischen Währungsraums jetzt plötzlich auf die Idee kommt, die Gebühren für den Auslandszahlungsverkehr zu erhöhen. Wir unterstützen die EU ausdrücklich bei dem Bestreben, die Gebühren für den Auslandszahlungsverkehr jeweils an die bisherigen Gebühren für den Inlandszahlungsverkehr zu knüpfen, damit auch an dieser Stelle kein neues Einfallstor für Kostensteigerungen im Bankensektor entsteht. ({12}) Wir gehen auch davon aus, dass die Zusage des Kreditgewerbes steht, die berühmten haushaltsüblichen Mengen an D-Mark kostenlos umzutauschen, damit auch in dieser Hinsicht keine Verluste entstehen. Alles das machen wir. Deshalb verzeichnen wir auch mit Genugtuung, dass mit steigender Tendenz das Vertrauen nicht nur in den Euro wächst, sondern auch das Vertrauen in die Koalition, mit den damit zusammenhängenden Problemen fertig zu werden. Das hätte ich nie geglaubt. Am Anfang dieser Wahlperiode habe ich immer gedacht, das sei psychologisch eher ein schwieriges Feld. Durch ordentliche Arbeit kann man aber dafür sorgen, dass nicht nur das Vertrauen in die Währung, sondern insbesondere auch in die handelnde Regierung wächst, die ja dieses Vertrauen durch Verabredungen mit der Wirtschaft und dem Bankensektor sowie durch eine vernünftige Öffentlichkeitsarbeit herstellen muss. Dafür möchte ich auch dem Finanzminister danken. Ich glaube, diese Riesenoperation, die sehr schwierig ist, wird sehr gut ausgehen. Vielen Dank. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Regierung ist einmal mit hehren politischen Zielen angetreten. Auch heute war mehrfach die Rede von der so genannten neuen Finanzpolitik. Dabei wurde eine blühende wirtschaftliche Entwicklung, die Senkung der Arbeitslosenzahlen und immer wieder Haushaltskonsolidierung, Konsolidierung und noch einmal Konsolidierung versprochen. ({0}) Von all diesen Zielen ist heute nichts mehr übrig geblieben. Es ist alles Schein, aber nichts Sein. ({1}) Wie sieht die Bilanz tatsächlich aus? Statt blühender wirtschaftlicher Entwicklung stellen wir fest, dass wir heute bezüglich des Wirtschaftswachstums das Schlusslicht in Europa sind. Statt weniger Arbeitslosen haben wir heute mehr Arbeitslose. Mit dem Sparen und Konsolidieren ist es auch nicht weit her. ({2}) Obwohl 60 Milliarden DM mehr an Steuern im Jahr 2001 im Vergleich zum Jahr 1998 eingenommen werden, ist es in diesem Jahr nicht möglich, die Defizitquote von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen. Wo bleibt da die Konsolidierung? Von Konsolidierung kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie werden Ihren eigenen Zielen nicht gerecht. ({3}) Nun will ich Ihnen einmal chronologisch anhand einiger Stichworte aufführen, welche Aussagen es in diesem Jahr zum Wirtschaftswachstum gegeben hat: Anfang des Jahres bzw. im Frühjahr prognostizierte der Jahreswirtschaftsbericht 2,75 Prozent. Wenig später sagten die Wirtschaftsforschungsinstitute, das sei nicht haltbar, und korrigierten den Wert auf 2 Prozent. Es hat lange Zeit gebraucht, bis sich auch die Bundesregierung dieser Meinung angeschlossen hat. Ich kann mich noch gut an eine Diskussion hier in diesem Saal erinnern, wo der Finanzminister auf die Forschungsinstitute geschimpft hat, dass sie immer wieder neue Prognosen stellten. Jetzt sind wir so weit, dass auch die 2 Prozent nicht zu halten sind; es ist vielmehr fast amtlich, dass es unter 1 Prozent liegt. Wir liegen damit unter der Hälfte des EUDurchschnitts. Wir stellen das Schlusslicht in Europa dar, obwohl wir einmal Spitzenreiter des Wachstums in Europa waren. Das ist die Konsequenz Ihrer Wirtschaftspolitik. ({4}) Deshalb ist nicht nur eine Korrektur des Haushaltsansatzes, sondern auch ein aktives politisches Gegensteuern notwendig. Das Wirtschaftswachstum ist ja nicht etwas Abstraktes, das uns nicht betrifft, sondern es betrifft uns Reinhard Schultz ({5}) alle: die Gewinne der Unternehmer, die Einkommen der Arbeitnehmer und nicht zuletzt die Arbeitslosen und diejenigen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, weil die negativen Wirkungen schon auf den Arbeitsmarkt herüberschwappen. Ich hätte es schon ganz gerne, dass der Bundeskanzler es jetzt nicht bei seinen knackigen Aussprüchen, die er am Anfang der Legislaturperiode und vor der Wahl in Bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemacht hat, belässt, sondern auch tatsächlich Taten folgen lässt. ({6}) Dann war heute viel die Rede von Haushaltskonsolidierung. Es ist überhaupt keine Frage, dass dies ein ganz wichtiges Ziel ist. Der Finanzminister kämpft ja fast verbissen um sein Image als eiserner Sparminister. Er lässt sogar Hans-Eichel-Songs und Ähnliches darüber komponieren. ({7}) Ausschlaggebend aber, meine Damen und Herren, ist nicht das Image, ausschlaggebend sind die Fakten. ({8}) - Genau. - Die Fakten lauten wie folgt: Die Ausgaben des Bundes sinken nicht, sondern sie steigen, ({9}) und nicht nur im letzten Jahr, sondern schon seit Jahren. Seit Sie an der Regierung sind, steigen die Ausgaben des Bundes. Es steigen in erster Linie die Konsumausgaben, nicht die Investitionsausgaben. ({10}) Für mehr Wachstum wäre ein Ansteigen der Investitionsausgaben notwendig. Sie aber machen das Gegenteil. ({11}) Die Bürger werden abgezockt. 1998 wurden im Vergleich zu heute 60 Milliarden DM weniger Steuern eingenommen, im Jahr 2001 allein 15 Milliarden DM mehr als im vergangenen Jahr, davon allein 5,7 Milliarden DM durch die Ökosteuer. Trotz dieser zusätzlichen Steuereinnahmen in enormer Höhe - da kein Wirtschaftswachstum vorhanden ist, steigt die individuelle Steuerbelastung der Bürger - erreicht diese Regierung nicht die Defizitquote von 1,5 Prozent. Wo bleibt denn da Konsolidierung, meine Damen und Herren? Für dieses Jahr prognostiziert das DIW die Defizitquote mit 2,1 Prozent. Genau diese Quote hatten wir bereits im Jahre 1998. Angesichts dessen, Herr Finanzminister, können Sie noch so viel an Ihrem Image als eiserner Sparer arbeiten, die Fakten sprechen eine andere Sprache: Sie haben nicht konsolidiert, Sie sind keinen einzigen Schritt weitergekommen. ({12}) Sie machen es sich ein wenig leicht, wenn Sie laut darüber nachdenken, ob das Defizitziel die richtige Orientierung sei oder ob man sich nicht mehr an den Ausgaben orientieren solle. Sie haben sich vor einigen Tagen in Riga so geäußert - heute haben Sie diese Aussage wieder ein bisschen relativiert -; diese Äußerung war unverantwortlich und unbedacht. Nachdem Ihr Vorgänger Lafontaine schon den Euro kaputt geredet hat, müsste ein deutscher Finanzminister eigentlich wissen, dass man hier etwas vorsichtiger sein soll. Deutschland war bei der Europäischen Währungsunion der Vorreiter in Sachen Stabilität und Wachstum und der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel war Vorreiter bei den Stabilitätskriterien. Daher darf heute ein deutscher Finanzminister weder an eine Aufweichung der Kriterien denken noch über sie spekulieren. Im Gegenteil, er hat ein überzeugendes Bekenntnis zu Geist und Buchstaben des Stabilitätspaktes abzugeben. ({13}) Heute wurde mehrfach davon gesprochen, dass die Situation in Amerika und die Weltwirtschaft am konjunkturellen Abschwung schuld seien. ({14}) Das ist ein billiges und durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Auch hier sprechen die Daten eine andere Sprache. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind die deutschen Exporte um 14,2 Prozent gestiegen. Das Finanzministerium selbst schreibt in seinem August-Bericht: Auch unter den Bedingungen einer deutlichen Abkühlung der Weltkonjunktur zeigten die deutschen Exporte im ersten Halbjahr 2001 eine bemerkenswert robuste Verfassung. Dies bedeutet, dass die Ursachen nicht in der Weltwirtschaft, sondern im eigenen Lande zu suchen sind. Der Abschwung ist hausgemacht. ({15}) Herr Schultz, Sie können die Steuerreform noch so sehr preisen. Die Menschen merken von ihr nichts. Die Personenunternehmen spüren keine Entlastung, die Arbeitnehmer spüren ebenfalls keine Entlastung. ({16}) Das Ifo-Institut hat erst vor wenigen Tagen veröffentlicht, dass sich durch die Steuerreform keine Verbesserung beim Konsum ergeben habe, weil die Menschen durch die Inflation sowie durch die Ökosteuer und zusätzliche Belastungen von dieser marginalen Entlastung überhaupt nichts mehr spüren. ({17}) Sie haben es also amtlich. Sie sind an diesen wirtschaftlichen Problemen selbst schuld. Ursächlich sind eine Reihe von Gesetzen im Bereich der Arbeitsmarktund Sozialpolitik, Defizite im sozialpolitischen Bereich, insbesondere bei den Sozialversicherungen, und zusätzliGerda Hasselfeldt che Regulierungen des Arbeitsmarktes. Sie sind aber auch schuld, weil Sie eine falsche Steuerpolitik betrieben haben. Die besonderen Kennzeichen Ihrer Steuerpolitik: Sie ist einseitig zugunsten der Kapitalgesellschaften und zulasten der Personenunternehmen und der Arbeitnehmer. ({18}) Sie entlastet zu spät und zu wenig. Sie ist nach wie vor viel zu kompliziert. Wenn wir das komplizierte Steuersystem in unserem Lande beklagen, dann haben Sie es noch komplizierter gemacht, als es ohnehin schon war. ({19}) Das macht auch das ständige Reparieren notwendig. Herr Schultz hat vorhin einiges angesprochen, was nun wieder repariert wird, beispielsweise in der so genannten Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform. Das hätten Sie alles schon eher haben können. Wenn Sie auf unsere Forderungen beispielsweise beim Mitunternehmererlass oder bei der Reinvestitionsrücklage bereits damals gehört hätten, müssten Sie nicht heute diese Aufstände machen. Sie hätten diese Maßnahmen dann auch nicht nur halbherzig, sondern nachdrücklich ergriffen. Mit dem, was Sie jetzt vorhaben, sind zusätzliche Restriktionen, Einschränkungen und Schwierigkeiten verbunden, zum Beispiel mit der siebenjährigen Behaltefrist, die Sie einführen wollen. Sie können sicher sein, dass wir in den Ausschussberatungen, nachdem die erste Lesung am Freitag beendet sein wird, auf eine vollständige Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen drängen werden, dass wir es Ihnen nicht durchgehen lassen werden, dass nur die Überschriften, aber nicht die Inhalte stimmen. ({20}) Es war einige Male die Rede davon, dass die Steuerreform nach unserer Meinung vorgezogen werden soll. Sie sagen immer, das ist nicht finanzierbar. Erstens. Das Ganze ist ja bereits beschlossen; das steht in der mittelfristigen Finanzplanung. Die Horrorzahlen, die Sie immer in den Raum stellen, stimmen überhaupt nicht. Es geht nur um einen Vorzieheffekt. Zweitens. Wenn es notwendig war, die Personenunternehmen und die Arbeitnehmer früher und gleichzeitig mit den Kapitalgesellschaften zu entlasten, dann ist es angesichts der konjunkturellen Situation jetzt erst recht notwendig. ({21}) Da hilft keine buchhalterische Betrachtungsweise. Ich empfehle Ihnen vielmehr, auch einmal darauf zu achten, was beispielsweise die Kommission der Europäischen Union dazu sagt. Sie erklärt, Deutschland muss die direkten Steuern deutlicher und schneller senken, als das bisher der Fall war. ({22}) Im Übrigen weise ich auch darauf hin, dass mit der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges durchaus Einnahmen erzielt werden, wenn sie denn richtig gemacht wird. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist eine zusätzliche Schikane, sind zusätzliche Verschärfungen für die Steuerehrlichen. ({23}) Es müssen aber die Betrüger zur Kasse gebeten werden. ({24}) Die Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode war und ist letztlich von einem heillosen Durcheinander gekennzeichnet, von ständigen Reparaturen, ständigen Korrekturen, von dem Verlust von Planungssicherheit für Unternehmen und Arbeitnehmer. Es sind halbherzige Lösungen, die immer wieder durch kleine Nachbesserungen und Korrekturen noch komplizierter werden. Notwendig wären klare Botschaften. Sie müssten unter anderem Folgendes beinhalten: erstens die Abschaffung der Ökosteuer, wenigstens die Aussetzung der Erhebung der weiteren Stufen; zweitens die zeitgleiche Entlastung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen; ({25}) drittens die volle Gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen; viertens eine sachgerechte Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs; fünftens eine wirkliche Vereinfachung des Steuerrechts, nicht aber das, was Sie bisher gemacht haben. Dazu brauchen wir eine Politik der ruhigen Hand, aber nicht die einer solchen ruhigen Hand, die bei anstehenden Notwendigkeiten untätig bleibt, andere walten lässt und darauf vertraut, dass es sich irgendwie allein richten wird, also keine Politik, die nicht besteht, beide Hände auf dem Rücken zu verschränken, sondern eine Politik zweier zupackender Hände, die die Probleme der Menschen in diesem Land aufgreifen, die eine Politik, die sich nichts vormacht, wie Sie das tun. ({26})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie über Folgendes informieren: In New York hat es eine schreckliche Katastrophe gegeben. Zwei Flugzeuge sind in das World Trade Center in New York gestürzt. Beide Türme stehen in Flammen. Mehr wissen wir noch nicht; ich kann auch keinerlei Würdigung oder Wertung dieses Vorgangs vornehmen, aber ich meine, wir sollten wissen, was dort passiert ist, wenn wir jetzt unsere Debatte fortsetzen. Ich danke Ihnen. Ich erteile nun dem Kollegen Hans Urbaniak, SPDFraktion, das Wort.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich gern mit der Einnahmeseite des Bundeshaushaltes beschäftigen und mich dabei besonders auf die Vorfälle hinsichtlich des Umsatzsteuerbetruges konzentrieren. Seit dem 1. Januar 1993 gibt es den EU-Binnenmarkt. Die Grenzkontrollen und Grenzüberwachungen sind weggefallen. Der Bundesrechnungshof hat bereits 1996 auf die Konsequenzen aufmerksam gemacht und die Regierung ermahnt, Maßnahmen gegen den Umsatzsteuerbetrug einzuleiten. Ich kann aufgrund der Unterlagen nur sagen: ({0}) Die damalige Bundesregierung hat nicht gehandelt. Jetzt wird aber gehandelt und entsprechende Entwürfe werden vorgelegt. ({1}) In der 13. Legislaturperiode hat der Bundestag den Bericht des Bundesrechnungshofes positiv zur Kenntnis genommen. Aber die schwarz-gelbe Koalition hat nicht gehandelt. Durch die daher mögliche Steuerverkürzung sind dem Staat Haushaltsmittel in erheblicher Höhe verloren gegangen. Das muss aufhören. Allein durch den letzten großen Fall - er wurde von der Presse besonders herausgestellt - gingen über 500 Millionen DM Steuereinnahmen verloren. Es ist schon sehr erstaunlich, wie viele Menschen im staatlichen Auftrag unterwegs waren, um diesen kriminellen Machenschaften Einhalt zu gebieten: 1 188 Polizeibeamte, 542 Steuerfahnder und 45 Gerichtsvollzieher. Es wurden über 400 Objekte in Leipzig, Wiesbaden und Karlsruhe durchsucht. Es wurden in verschiedenen Ländern - insbesondere in den Niederlanden, in Belgien, in Luxemburg, in der Schweiz und in Frankreich - Durchsuchungen von Wohnungen und Banken vorgenommen. Es kam auch zu Verhaftungen. Der Gesamtverlust der Gebietskörperschaften beziffert sich auf 500 Millionen DM. Das ist eine ganz erhebliche Summe. Am 15. August hat das Bundeskabinett den Entwurf des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes verabschiedet. Es wird hier beraten werden. Wenn man näher untersucht, wie viele Einnahmen dem Staat durch solche Betrugsfälle verloren gehen, dann kann man feststellen, dass der Verlust bei circa 22 Milliarden bis 25 Milliarden DM liegt. Das ist eine gewaltige Summe, die Hälfte des Verteidigungshaushaltes. Man könnte diese Summe zur Haushaltskonsolidierung einsetzen und damit die Schulden abbauen, die uns die alte Koalition hinterlassen hat. Der entscheidende Punkt bei dieser Haushaltsberatung ist, dass der Konsolidierungskurs fortgesetzt werden muss und dass die Betrugsfälle, die zu Einnahmeverlusten führen, verstärkt bekämpft werden müssen. Deswegen gibt es die entsprechenden Gesetzesinitiativen, die hier eine entscheidende Rolle spielen. Die Bundesregierung wird dafür sorgen, dass die entsprechenden Institutionen von Bund, Ländern und der Europäischen Gemeinschaft effektiv zusammenarbeiten. Dazu gehört auch der Zoll, dem hier eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Die moderne Zollverwaltung, wie sie gegenwärtig entwickelt und durch den Bundesfinanzminister gestützt wird, wird dafür sorgen, dass wir eine schlagkräftige Einheit bekommen. Das Zusammenwirken der Institutionen wird dazu beitragen, dass mit diesen Fällen von Steuerverkürzung endgültig Schluss ist. ({2}) Wenn man sich ansieht, welche Objekte beschlagnahmt worden sind, dann weiß man, dass das keine einfachen Arbeitnehmer waren, die sich an diesen schlimmen Abenteuern beteiligt haben. So sind beispielsweise Luxusautos und Luxusjachten sichergestellt worden. Das ist schon Bandenkriminalität. ({3}) Es ist also höchste Zeit, dass gehandelt wird. Das tut die Bundesregierung. Da Sie, Frau Hasselfeldt, gesagt haben, man müsse bei der Betrugsbekämpfung vorangehen, will ich Ihnen entgegenhalten: Seit 1993 bereits gibt es den EU-Binnenmarkt; 1996 sind Sie in dieser Richtung ermahnt worden. Warum haben Sie in Ihrer Regierungszeit eigentlich nichts dagegen getan? ({4}) Das ist ein schweres Versäumnis, das man Ihnen sachgerecht entgegenhalten muss. Ich gehe daher davon aus, dass wir auch von Ihnen Unterstützung für unser Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz - vier Wörter für eine Aktion! - erhalten. Was nun die Frage der Handwerker und der kleinen Betriebe angeht, so ist es völlig klar, dass diese - im Rahmen der Praktikabilität - weiter auf vernünftige Zusammenarbeit mit den Finanzämtern hoffen können. Denn das sind keine Kriminellen; diejenigen, die sich mit solch schlimmen Dingen beschäftigen, sind ganz andere Typen. Deshalb wird in den Beratungen des Finanzausschusses, aber auch des Haushaltsausschusses darauf geachtet werden, dass keine überzogene Bürokratie geschaffen wird, sondern dass funktionale, vernünftige Regelungen herauskommen, die das ehrliche Steuerverhalten in dem von mir genannten Bereich anerkennen. Vorsteuerabzüge werden selbstverständlich nach wie vor möglich sein, sodass die Betroffenen nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass ergänzend eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungen, des Zolls und der EU nötig ist. Denn hier geht es nicht nur darum, dass wir dem Bundeshaushalt zusätzliche, gerechtfertigte Einnahmen zuführen, sondern auch darum, dass die EU davon profitiert. Gerade die Initiative des Bundesfinanzministers auf diesem Gebiet zeigt, dass eine enge Bereitschaft der EU-Behörden besteht, mit uns zusammenzuarbeiten. Das Neapler Übereinkommen - wie ich meine, ebenfalls ganz wichtig: auch eine deutsche Initiative wird mit Leben erfüllt. Sie können daran erkennen, dass im Bundesfinanzministerium alle Möglichkeiten eröffnet werden, um Umsatzsteuerbetrug mit aller Intensität zu bekämpfen, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission. Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Bestreben Erfolg haben werden. Wir werden die Gesetzentwürfe zügig verabschieden. Im Haushaltsausschuss werden wir uns insbesondere damit beschäftigen, was das für die Realität der Einnahmeseite bedeutet. Schließlich - das ist ein ganz entscheidender Punkt muss Steuergerechtigkeit hergestellt werden. Die Arbeitnehmer, die Monat für Monat bei ihren Steuern ehrlich sind, sind nicht nur verärgert, sondern schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, dass es überhaupt möglich ist, dass in der Vergangenheit nicht gehandelt worden ist. Es ist selbstverständlich, dass Steuergerechtigkeit erreicht werden muss. ({5}) Wir werden damit auch die Illegalität ausmerzen können. Man muss dem Staat das geben, was dem Staat zusteht. Die Koalition wird die Bundesregierung dabei unterstützen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Es wird noch einiges übrig bleiben, um die riesige Verschuldung von 1,5 Billionen DM, die Sie uns hinterlassen haben, abzubauen. Das Finanzministerium wird intensiv daran arbeiten. Wir sind froh darüber. Die Bereitschaft der Koalition zur Mitarbeit ist sicher. Nun muss Schluss sein mit der Steuerverkürzung; die Kriminellen müssen gefasst werden ({6}) und das, was diese Leute angerichtet haben, muss ausgemerzt werden. Sie dürfen keine Perspektive haben. Machen wir das zu einer Gemeinschaftsaktion. Dann werden wir sagen können: Vom Parlament ist alles getan worden, um die Steuergerechtigkeit in diesem Lande herzustellen. Sie haben das versäumt; wir werden es machen. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Hans Jochen Henke für die CDU/CSU-Fraktion.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe mich gefragt, Herr Finanzminister, warum Sie so weite Strecken Ihrer Rede der Vergangenheit gewidmet haben. Zunächst hat sich bei mir der Eindruck festgesetzt, dass es vielleicht einfach eine Rückbesinnung und teilweise eine Flucht aus der Wirklichkeit sein sollte. ({0}) Im ersten Jahr nach der Regierungsübernahme hatte das noch Sinn und Nutzen, aber im vierten Jahr ist das nun wirklich nicht mehr nachvollziehbar. Mir ist aber, werter Herr Minister Eichel, der Zusammenhang bei dem ersten Stichwort Ihrer Ausführungen zur Sache klarer geworden; das waren nämlich die Wahlgeschenke. Ich frage mich, warum Sie nicht nur in der Presse, sondern auch hier in diesem Hause Wahlgeschenke an den Anfang Ihrer Rede gesetzt haben. Wir erwarten von Ihnen keine Wahlgeschenke, ganz im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, Ihre Rede war über weite Strecken eher an Ihre eigenen Koalitionäre, an Ihre eigenen Reihen gerichtet denn an die Öffentlichkeit und an die Opposition. ({1}) Ich sage für uns hier und heute, dass wir nicht nur keine Wahlgeschenke wollen, sondern eigentlich nur das, was ganz klar in Ihrer Verantwortung liegt: dass Sie sich an das halten, was Sie 1998 und 1999 versprochen haben. ({2}) Das wären keine Wahlgeschenke, sondern das wäre verantwortungsvolle Politik. Ich will ganz kurz einige Punkte aufgreifen. Sie sprachen von den Zukunftschancen, davon, dass der Staat mit dem Geld auskommen müsse, das er zur Verfügung habe. Das ist schon richtig. Nur, wenn eine Regierung so viel Geld zur Verfügung hat wie Sie, mehr als jede andere Regierung vor Ihnen, dann lässt sich dies leicht sagen. Sie sprachen von Steuersenkungen, die über zwei Perioden vorgesehen seien. Da oben sitzen Hunderte von Zuhörerinnen und Zuhörern, die in diesen Etatentwurf genauso hineinschauen können wie Sie und ich. In diesem Etatentwurf steht nichts davon, dass Steuereinnahmen abgesenkt werden. In Ihrem Entwurf 2002 sind sage und schreibe Steuermehreinnahmen gegenüber 1998 in einer Größenordnung von 60 Milliarden DM enthalten. 1998 waren es 340 Milliarden DM, 2002 werden es 400 Milliarden DM sein. Ich bleibe lieber bei der Mark, weil sie an dieser Stelle griffiger ist als der Euro. Sie sprechen von der Senkung der Beiträge für die Sozialversicherung. Ich schaue lieber auf die Gesamtbeitragssituation bei den Lohnnebenkosten. Da kann ich nur sagen: Prost Mahlzeit oder schöne Bescherung. Der Binnenmarkt sei ein einziges Wachstumsprogramm. - Richtig, da sind wir einer Meinung; das haben wir über Jahre und Jahrzehnte gefordert und betrieben. Nur, wenn Deutschland die rote Laterne trägt, dann ist es mit unserer Rolle nicht so arg weit her. ({3}) Lieber Kollege Wagner, ich möchte Sie bitten: Unterlassen Sie doch die Polemik gegen die Familienpolitik der vorausgegangenen Regierung! Das Urteil, das Sie angeführt haben, hat mit einem Sachverhalt aus dem Jahre 1982 zu tun. Sie wissen genauso gut wie wir, unter welch schwierigen Voraussetzungen wir nachhaltige Kindergelderhöhungen über mehrere Stufen erreicht und umgesetzt haben. Kollege Poß führte an, Finanzpolitik sei Vertrauenssache. Ich sage ihm und dem Kollegen Metzger: Auch der Umgang hier im Hause mit diesem Thema ist Vertrauenssache. Die Art und Weise, wie Sie hier auftreten, lässt bei mir den Eindruck aufkommen, als ob Sie sich Ihrer Sache längst nicht mehr sicher sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war sie also heute zwischen 11 und 12 Uhr - die Rede zum Etat 2002. Sie ist im vierten Jahr der Regierung Schröder/Eichel quasi der Höhepunkt, die Krönung der rot-grünen Wahlund Amtsperiode. Herr Finanzminister, es wäre in der Tat nicht fair und angemessen, wenn man behaupten würde, Sie hätten gar nichts erreicht. Ich unterstreiche durchaus: Ihre Konsolidierungsschritte gehen nach unserer Überzeugung in die richtige Richtung. Aber gemessen an den Spielräumen, Chancen und Erwartungen, die Sie 1998 geweckt haben, nimmt sich das Ergebnis, wie es sich in Ihrem Entwurf niederschlägt, außerordentlich bescheiden aus. ({4}) Sie sind vor drei Jahren mit dem starken Rückenwind einer angesprungenen Konjunktur angetreten. Wie schön und lobenswert könnte Ihr Entwurf selbst dann sein, wenn Ihre Ankündigungen von 1998 und die Ihres Vorgängers nur teilweise bzw. ansatzweise in Erfüllung gegangen wären. Da wurde die Steuerreform als das Jahrhundertereignis für Lohnempfänger und Mittelstand angekündigt. Der Neue Markt mit der Informations- und Telekommunikationsindustrie war der von Ihnen reklamierte Wachstumsmotor für das 21. Jahrhundert. Vom Bündnis für Arbeit sollten für Wachstum und Beschäftigung wirksame Effekte ausgehen. Wenn, wie angekündigt und versprochen, Deutschland und Europa zu einer von den USA abgekoppelten Währungs- und Wirtschaftszone aufgestiegen wären, dann sähe die Situation anders aus, ebenso dann, wenn der Euro tatsächlich die harte Position im internationalen Währungsgeschäft einnehmen würde, wie Sie dies in Bezug auf das Flaggschiff Europa und Bundesrepublik Deutschland seinerzeit angekündigt haben. Von der Inflation will ich nicht eigens sprechen. Aber erwähnenswert ist, dass die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent und die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen gesenkt werden sollten. Ich sage das nicht deshalb, um mich in die Reihe der Vorredner einzureihen, sondern aus einem ganz anderen Grund: Diese Ziele, lieber Herr Minister Eichel, waren doch seinerzeit schon außerordentlich bescheiden. Diese 40 Prozent und diese 3,5 Millionen waren doch keine anspruchsvollen Ziele. Sie werden diese Ziele noch nicht einmal annähernd erreichen, Sie werden sie verfehlen. Mir fällt dazu nichts Besseres ein als der Reim: Das ist des Kanzlers ruhige Hand, Hans Eichel bleibt dafür Garant. ({5}) Die Wirklichkeit ist einfach viel zu nüchtern und viel zu ernst. Das Haushaltsvolumen bleibt auf dem von Oskar Lafontaine initiierten und ausgelösten historischen Hoch. Sie sprechen im Zusammenhang mit den Steuern von einer Entlastung in Höhe von 65 Milliarden DM. Wir kommen eigentlich nur auf Mehreinnahmen von 100 Prozent und damit auf eine Mehrbelastung von 100 Prozent. Irgendwie reden wir aneinander vorbei. Nur, unsere Zahl steht im Haushaltsplan, Ihre Zahl steht nirgendwo. Ich jedenfalls finde sie nicht. Statt der angesagten größten Steuerentlastung erreichen wir Höchststände bei den Rentenkassen, bei den Arbeitsmarktausgaben, bei den Lohnnebenkosten sowie bei den angesprochenen Arbeitslosenzahlen. Was sinkt - und dies kontinuierlich -, sind die Investitionen. Bei der Absenkung der Neuverschuldung steht die Nagelprobe erst noch bevor. Sie ist aber bereits jetzt - wie auch andere wichtige Reformprojekte - wohlweislich auf 2003, also auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl, verschoben worden. In diesem Jahr sollte eigentlich eine Absenkung um 4,5 Milliarden Euro bzw. 9 Milliarden DM anstehen. Sie haben die Spielräume, die sich Ihnen zwischen 1998 und 2000 in einer einmalig günstigen Form geboten haben, auch nicht annähernd entsprechend den Möglichkeiten ausgenutzt. Sie haben über die drei Jahre auf Schönwetter gesetzt, haben die Konjunktur für sich reklamiert. Dann ist Schlechtwetter aufgezogen und plötzlich sind für die veränderte Wettersituation nicht mehr der Bundeskanzler oder der Finanzminister verantwortlich, sondern es sind die Europäische Union, die Europäische Zentralbank, die Wirtschaft und die globalen Veränderungen schuld. Das kann und wird so nicht hingenommen werden. Sie haben einfach nicht breit und nachhaltig genug entlastet, sondern breit und nachhaltig umgeschichtet. Die Verschiebung der Einführung der neuen Abschreibungstabellen, die so genannte Unternehmensteuerreform und der wiederholt angesprochene Familienlastenausgleich räumen überwiegend nur von Ihnen neu geschaffene Ungereimtheiten aus. Diese Ungereimtheiten können in der Tat durch Einsparungen und Mehreinnahmen aufgefangen werden. Ich sage den Koalitionsparteien an dieser Stelle: Hinsichtlich der Deckungsvorschläge sind wir eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt. In dem Zusammenhang bleibt aber, Herr Finanzminister, eine frappierende Diskrepanz zwischen der Wachstums- bzw. Beschäftigungs- und der Einnahmeentwicklung nicht verborgen. Daran können Sie selbst am allerwenigsten glauben. Meines Wissens gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher keinen Finanzminister, der über einen so weit reichenden Einfluss wie Finanzminister Eichel verfügt hat. Er ist dabei, ihn noch weiter auszubauen. Kein Vorgänger hat zu den Prognosen über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einen so originären Zugang gehabt wie Sie durch die Verlagerung der Grundsatzabteilung vom Wirtschaftsministerium in Ihr Haus. Sie laden nicht nur zu Steuerschätzungen ein, sondern Ihr Haus liefert alle Daten und Fakten, Ihr Haus koordiniert, Ihr Haus bewertet und Ihr Haus hat bei der Haushaltsaufstellung auch schon das Ergebnis im Blick. Sie wissen also am besten, wie unrealistisch die jetzt zugrunde gelegten Annahmen sind und dass am Ende ein gewaltiges Defizit - möglicherweise in der Größenordnung eines zweistelligen Milliardenbetrages - übrig bleiben wird. Frau Kollegin Hasselfeldt hat es angesprochen: Es macht keinen Sinn, auf europäischer Ebene Defizitkriterien mit fiskalischen Ausgabezielen zu verknüpfen. Ob die EZB durch die angestrebte Reform hin zu einer stärker an die Bundesregierung angebundenen Bundesbank gestärkt wird, bezweifle ich ebenso wie die Behauptung, dass Haushalts- und Kreditpolitik nachhaltig stabilisiert werden, wenn der weltweit größte Kreditnehmer, nämlich die Bundesrepublik, durch seinen Finanzminister künftig mit einer ihm zugeordneten GmbH unter weitgehender Ausschaltung von Parlament, Rechnungshof und Bundesbank neue, marktnahe, aber zwangsläufig risikobehaftetere Anlagestrategien verfolgt. Milliardeneinsparungen sind nur zum Preis von höheren Risiken zu haben. ({6}) Niemand, Herr Minister, will und kann Sie für den Neuen Markt und die Entwicklung auf dem Kommunikationssektor verantwortlich machen. Aber der erkennbare Zusammenhang zwischen der vor einem Jahr gelaufenen UMTS-Lizenzversteigerung mit allen Investitionsfolgen für die ganze Technologiebranche und dem Wertverlust der Aktien von mehr als 75 Prozent kann ebenso wenig übersehen werden wie der Vertrauensschwund der Anleger. Ob die nunmehr anstehende vierte Novellierung des Finanzmarktförderungsgesetzes hilft, bleibt abzuwarten. Fazit aus alledem: In Ihrer Rede haben Sie sich überwiegend an der Vergangenheit orientiert. ({7}) Aber im vierten Jahr ist die Vergangenheit der alten Koalition endgültig abgeschlossen. Erwartet werden aktuelle belastbare Einschätzungen. So, wie hier vorgetragen und argumentiert wird, kommen wir nicht weiter. Wir stehen in der Europäischen Gemeinschaft leider da, wo wir gegenwärtig hingehören: auf dem letzten Platz. Das hat dieses Land nicht verdient. ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Die Lage in Amerika hat sich verschärft. Die Informationen gehen dahin, dass nun auch ein Flugzeug auf das Pentagon geflogen ist. Das Weiße Haus wird evakuiert. Ich denke, wir unterbrechen die Sitzung für eine halbe Stunde. Ich bitte den Herrn Staatssekretär des Verteidigungsministers, uns über die Sachlage zu informieren. Mit „uns“ meine ich die Parlamentarischen Geschäftsführer. Ich denke, eine halbe Stunde reicht aus, um uns Informationen geben zu lassen. Wir können nichts machen, sollten aber unsere Debatte nicht einfach so fortsetzen. Ich unterbreche die Sitzung für eine halbe Stunde. Um 16.30 Uhr treffen wir uns wieder. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich möchte Ihnen bekannt geben, dass wir die letzten Reden der ersten Runde von Frau Uta Titze-Stecher 1) und Frau Susanne Jaffke 2) zu Protokoll nehmen. Angesichts der Dramatik der Ereignisse schließe ich die Sitzung. Für den heutigen Tag beenden wir unsere Debatte. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen früh, 9.00 Uhr, ein. Damit ist der heutige Tag für uns parlamentarisch zu Ende. - Mehr sage ich nicht, weil mir die Worte fehlen.