Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/11/2000

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Bundesminister. Wir kommen zu den Fragen. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem angesprochenen Themenbereich zu stellen. Als Erster hat sich Kollege Michelbach gemeldet. Bitte schön, Herr Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister! Sie haben die Aktualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms in Verbindung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 angesprochen. Sie haben erklärt, dass die Verantwortung für die Währung natürlich insbesondere bei der gemeinsamen Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik liegt; natürlich gehört zur Finanzpolitik auch die Steuerpolitik. Wie wir wissen, Herr Bundesfinanzminister, haben wir einen sehr starken Verfall des Euro-Außenwertes von über 25 Prozent. Dies wird natürlich auf teilweise fehlende Harmonisierung zurückgeführt. Haben Sie, was die Harmonisierung der Steuerpolitik betrifft, nicht erhebliche Defizite durch einseitige Erhöhungen der Steuern insbesondere bei den Verbrauchsteuern durch die Ökosteuer in Deutschland und zusätzliche Kaufkraftbelastungen des deutschen Verbrauchers? Haben Sie nicht gleichzeitig bei wichtigen Entscheidungen - zum Beispiel bei der einheitlichen Zinsbesteuerung und bei anderen Harmonisierungsaufgaben - keine weiteren Fortschritte erzielt? Ist das nicht auch ein Grund, warum die Märkte die Wirtschafts- und Währungsunion in Verbindung mit unserer Währung, dem Euro, letzten Endes negativ beurteilen?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Kollege Michelbach, dies war jetzt nicht Gegenstand des Stabilitätsprogramms; darauf weise ich zunächst hin. Des Weiteren befinden wir uns in einem vertragsgemäßen Stadium, das heißt, die Verträge von Maastricht und Amsterdam geben zurzeit keine Handhabe für weiter gehende Harmonisierung - obwohl ich Ihnen zustimme: Ich wünsche sie mir ganz ausdrücklich. Das Ganze geht übrigens in verschiedene Richtungen. Sie haben gesagt, bei uns seien bestimmte Verbrauchsteuern höher. Das ist nur zum Teil richtig. Einige Steuern sind auch wesentlich niedriger; die Mehrwertsteuer bei uns ist mit am niedrigsten in ganz Europa. Was die Besteuerung des Benzins betrifft, gibt es eine Reihe von Ländern, die eine höhere Belastung haben, als Deutschland sie hat, wie Sie wissen. Das ist übrigens auch Ausdruck von Wettbewerb, und zwar im Rahmen der geltenden Verträge in Europa. Man muss sich auch einmal entscheiden, Herr Kollege Michelbach: Will man in Europa jetzt alles angleichen oder will man Wettbewerb? Ich habe gerade Ihre Fraktion so verstanden, als ob sie europäischen Wettbewerb wolle. Wenn man europäischen Wettbewerb will, muss man auch akzeptieren, dass es unterschiedliche Steuersätze gibt; man muss dann nur dafür sorgen, dass es keinen unfairen Steuerwettbewerb gibt. An dieser Stelle sage ich: Wir haben in den Verträgen noch keine hinreichende Handhabe. Es gibt einen unfairen Steuerwettbewerb. Wir sind in diesem Detail auch schon vorangekommen. Der Code of Conduct ist inzwischen beschlossen und es geht jetzt sozusagen um das Rückabwickeln von unfairen Steuerpraktiken bei den indirekten Steuern. Bei den direkten Steuern - auch dort wüsste ich eine Reihe von unfairen Praktiken - sind wir dagegen noch nicht weit genug, da wir dort keine ausreichende Rechtsgrundlage haben. Wir müssen sehen, dass wir erst eine Rechtshandhabe bekommen, um uns auch bei den direkten Steuern mit dieser Frage beschäftigen zu können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, Herr Kollege Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Finanzminister, Sie haben bei Ihrer Aktualisierung des Stabilitätsprogramms die Frage des Staatsdefizits und der Schuldenstandsquote angesprochen. Meine Frage hierzu ist: Wie schätzen Sie denn die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein, die letztendlich wesentlich auf die Konjunkturentwicklung, die Steuereinnahmen und damit auch auf die Erfüllung des vorgegebenen Stabilitätszieles Einfluss haben werden? Wir haben aktuell die Aussage eines führenden Wirtschaftsinstitutes vorliegen, wonach wir durch die jetzigen politischen Rahmenbedingungen eine Konjunkturbremse erwarten müssten. Demnach hätten wir in diesem Jahr ein Wachstum von 3,0 Prozent zu erwarten, für das nächste Jahr wird ein Wachstum von weniger als 3,0 Prozent prognostiziert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Würde eine solche Entwicklung nicht nur die Konjunktur beeinträchtigen, sondern darüber hinaus auch die Erreichung des Stabilitätszieles erschweren?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Die Erreichung des Stabilitätszieles ist natürlich umso leichter, je größer das Wachstum ist, wenn man gleichzeitig - das ist zwingende Voraussetzung - Ausgabendisziplin übt. Wie Sie wissen, haben wir diesen Konsolidierungsprozess im vergangenen Jahr mit dem Haushalt 2000 eingeleitet und damit von dieser Seite ausdrücklich die Voraussetzungen geschaffen. Wir werden dieses Bemühen mit dem Haushalt 2001 als dem zweiten in Folge fortsetzen und es wird spannend sein zu sehen, wie sich alle zu diesem Haushalt verhalten werden. Was die Rahmenbedingungen betrifft, so möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Ölpreisentwicklung, wenn sie lange Zeit auf so hohem Niveau, wie wir es kurzfristig hatten, verharren würde - was im Moment aber nicht der Fall ist -, gegebenenfalls auch einen bremsenden Effekt auf die konjunkturelle Entwicklung haben könnte. Die Prognosen fast aller Institute sowie des Internationalen Währungsfonds liegen hinsichtlich der Wachstumsentwicklung höher als die Annahme der Bundesregierung. Wir haben im Stabilitätsprogramm für dieses Jahr einen erhöhten Wert von 2,75 Prozent zugrunde gelegt - es kann möglicherweise noch etwas mehr werden, und zwar bis zu 3 Prozent - und sind auch für das nächste Jahr von 2,75 Prozent sowie für die Folgejahre von 2,5 Prozent ausgegangen. Darin steckt auch die Annahme, dass durch die Steuerreform ein halbes Prozent an zusätzlichem Wachstum erzeugt wird. Das sehen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute, soweit sie sich zu diesem Thema geäußert haben, als eine realistische Projektion an. Im Übrigen, Herr Kollege Michelbach, liegt die Wachstumsrate dann, wenn das so kommt - ich bin dabei immer etwas vorsichtig -, weit über dem, was der Durchschnitt der 90er-Jahre gewesen ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, Herr Kollege Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Finanzminister, die Aktualisierung des Stabilitätsprogramms ist sehr eng mit der grundsätzlichen Festlegung der Stabilitätskriterien im Maastricht-Vertrag und dem damit verbundenen Stabilitäts- und Wachstumspakt verbunden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie unsere Währung, die dann im Euro-Land eine gemeinsame ist, von den Bürgern akzeptiert wird. Wie verhält es sich dann, dass gewissermaßen das notwendige Vertrauenssignal für die Erhöhung der Akzeptanz des Euro in der Bevölkerung nicht gegeben wird, wenn jetzt zum Beispiel das Steuer-Euroglättungsgesetz leider nicht der Tatsache Rechnung trägt, dass die Umstellung bei der Euro-Einführung keine reine Währungsumstellung ist, sondern sich die Zahlen teilweise erheblich ändern? Die Zahlen ändern sich und der Wert verändert sich auch. Normalerweise müsste der Wert bei der Umrechnung gleich bleiben. Zum Beispiel haben Sie den Sonderausgabenpauschbetrag, der bisher 108 DM beträgt, in diesem Gesetz, das heute im Finanzausschuss beraten worden ist, auf 36 Euro reduziert. Das entspricht nur 70,41 DM; Sie kürzen also den Betrag für die Bürger, die den Sonderausgabenpauschbetrag bisher erhalten haben, um über 30 Prozent. Glauben Sie nicht, dass dies - bei aller Wachstums- und Stabilitätsbemühung - dann kontraproduktiv für eine positive Einschätzung der gemeinsamen Währung ist?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, bitte schön.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich will dazu zwei Dinge sagen. Erstens. Was das Steuer-Euroglättungsgesetz betrifft: Weil es keine 1:1-Relation zwischen D-Mark und Euro gibt, sondern das eine leicht krumme Zahl ist, muss man nach oben oder unten runden. Das Ergebnis dieser Rundungen ist übrigens, dass der Staat bei der Umstellung auf insgesamt rund 350 Millionen DM an Einnahmen verzichtet. Man kann aber natürlich nicht jedes Mal nach unten abrunden; denn dann entstehen Einnahmeausfälle, die nach der Steuerreform niemand mehr verkraftet. Sie kennen die Erklärung der Bundesländer zu diesem Fall. Ich bitte jedenfalls festzuhalten: Bei der Umstellung gewinnt der Staat nichts, sondern gibt rund 350 Millionen DM ab. Zweiter Punkt. Was das Vertrauen zur Währung betrifft, weise ich nur darauf hin, dass alle Daten in der EuroZone, seit wir den Euro haben, besser sind als in der D-Mark-Zeit in den 90er-Jahren. Auch dies muss sich einmal öffentlich herumsprechen. Unter dieser Voraussetzung, Herr Kollege Michelbach, hätten wir alle - in Ihrer Regierungszeit ist der Euro eingeführt worden und wir haben dem auch zugestimmt - gemeinsam allen Grund, ein Stückchen mehr Vertrauensarbeit für die gemeinsame Währung zu betreiben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Michelbach, wir wollen hier natürlich nicht nur einen Dialog haben. Ihre letzte Frage also, bitte schön.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte diese letzte Frage dazu noch stellen. Sicherlich hat das SteuerEuroglättungsgesetz insgesamt 380 Millionen DM weniger Belastung für die gesamten Steuerzahler gebracht. Aber die Steuerzahler, die den Sonderausgabenpauschbetrag nutzen, trifft es insgesamt mit 115 Millionen DM mehr Belastung. Auch das, Herr Bundesfinanzminister, bitte ich zu sehen. Ist damit nicht verbunden, dass der Steuerzahler, der davon betroffen ist, unser Steuer-Euroglättungsgesetz und unseren Euro letzten Endes natürlich nicht positiv darstellen wird?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, bitte schön.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Also noch einmal: Es profitieren fast alle davon, weil rund 350 Millionen DM an Steuereinnahmen ausfallen. Alle profitieren - gerade auch der, der den Sonderausgabenpauschbetrag nutzt - in gewaltigem Maße von der Senkung der Einkommensteuer. Das alles tritt zum 1. Januar in Kraft, und zwar in ganz massiver Weise. Deswegen muss ich ausdrücklich sagen: Es macht wirklich keinen Sinn, ein einzelnes Element herauszupicken und gegen das Ganze zu wenden. Das Ganze - ich sage es noch einmal - führt zu einem Einnahmeverlust von rund 350 Millionen DM. Der Bundesrat muss das auch noch beschließen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Koppelin eine Frage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, da wir von einer gemeinsamen Währung sprechen: Darf ich Sie bei dieser Gelegenheit fragen, wie Sie den Volksentscheid in Dänemark beurteilen, den Euro abzulehnen? Sie hätten eigentlich Interesse daran haben müssen - wie alle Finanzminister -, dass sich Dänemark für den Euro entscheidet. Sehen Sie da nicht auch Diskrepanzen mit dem Außenminister? Unter anderem die Politik unseres Außenministers hat dazu geführt, dass es zu einem solchen Entscheid in Dänemark gekommen ist, nämlich durch seine starre Haltung gegenüber Österreich. Ein wichtiges Argument für dieses Nein zum Euro in Dänemark war die Haltung gegenüber Österreich. Das hat eine entscheidende Rolle gespielt; das hat der sozialdemokratische Ministerpräsident auch sehr deutlich gemacht. Meine Frage ist also: Wie beurteilen Sie diesen Volksentscheid? Müssten Sie nicht einmal mit dem Außenminister darüber reden, dass er sich gegenüber kleineren Ländern wie Österreich etwas mehr zurücknimmt, damit möglichst alle den Euro bekommen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, bitte.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Kollege Koppelin, das geht auch nach dem Motto: Der Elefant frisst wärmer - es gibt drei Arten von wärmer. Sie kommen immer auf dasselbe Thema zurück. Die Antwort ist relativ einfach und Sie kennen sie auch. Sie wissen, dass das eine gemeinsame Aktion von 14 Mitgliedern der Europäischen Union gegenüber dem 15. Mitglied gewesen ist und dass die Bundesregierung keineswegs an der Spitze der Bewegung gestanden hat, sondern sich in dem Rahmen solidarisch verhalten hat. Das mögen Sie zwar kritisieren. Aber das ist zigmal im Bundestag diskutiert worden. Dem habe ich auch vonseiten der Bundesregierung nichts Neues hinzuzufügen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Koppelin, eine weitere Frage, bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte Sie, Herr Bundesfinanzminister, trotz dieser Aussage noch einmal fragen, wie Sie den Volksentscheid in Dänemark bewerten.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Auch dazu haben wir, die Finanzminister, uns gemeinsam geäußert. Wir hätten natürlich ein anderes Votum begrüßt. Wir bedauern dieses Votum. Aber Sie wissen auch - ich möchte das ein Stück weiterführen; das gilt in sehr differenziertem Maße für die kleineren Mitglieder -, dass Dänemark besonders sensibel - das wird noch eine große Rolle spielen - auf Fragen des Souveränitätsverzichtes reagiert. Sie wissen, unsere Position - nicht nur, aber speziell die deutsche - ist sehr integrationsfreundlich. Die dänische war in diesem Punkt sehr zurückhaltend. Sie wissen, dass Dänemark ohnehin eine Sonderposition innerhalb der Europäischen Union einnimmt und wie Großbritannien eine Opting-out-Klausel hat. Ich sage es etwas salopp: Dänemark brauchte zwei Volksabstimmungen, um Mitglied in der Europäischen Union zu werden. Möglicherweise wird das bei der gemeinsamen europäischen Währung auch der Fall sein. Dänemarks Nein zum Euro hat im Übrigen - das haben Sie auch an den Reaktionen der Märkte gemerkt - für die Währung keine weitere Bedeutung gehabt, weil Dänemarks Volkswirtschaft für Euro-Land nur eine sehr geringe Bedeutung hat. Dänemarks Volkswirtschaft hat nur einen Anteil von 2,7 Prozent am Bruttoinlandsprodukt des Euro-Raums. Aber ich sage ausdrücklich: Ich als dezidierter Befürworter der europäischen Integration - das gilt für die gesamte Bundesregierung - hätte mir ein positives Votum Dänemarks gewünscht, keine Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine kurze Frage, Herr Bundesminister: Erstaunlich war, dass etwa 60 Prozent der dänischen Bevölkerung, als die ersten Umfragen durchgeführt wurden, für die Einführung des Euro waren. Wie erklären Sie sich, dass es zum Schluss ein ablehnendes Votum gegeben hat? Welche Kriterien mögen da eine Rolle gespielt haben?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich kann das schwer beurteilen, weil ich die innenpolitische Situation in Dänemark nicht genau kenne. Aber es gab auch in Deutschland eine ähnliche Entwicklung. Der Zustimmung zum Euro gingen auch in Deutschland sehr unterschiedliche Phasen voraus: Als der Euro eingeführt wurde, waren nicht nur die Märkte euphorisch, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung stimmte ihm zu. Nach jetzt durchgeführten Meinungsumfragen ist das nicht mehr so. Insofern gibt es parallele Entwicklungen. Herr Koppelin, wir sind sicherlich verpflichtet, das Thema der europäischen Integration im eigenen Land noch offensiver zu diskutieren. Jedes Mitgliedsland steht in dieser Verantwortung. ({0}) - Wenn Sie den Bericht der drei Weisen lesen, die sich mit der österreichischen Situation beschäftigt haben, dann werden Sie feststellen, dass dort eine Reihe von Sorgen zum Ausdruck gebracht wird. Es geht dort unter anderem - das ist einer der Vorbehalte - auch um die Frage der Integrationsfreundlichkeit der Regierungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Frage des Kollegen Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesfinanzminister, Sie sagten eben, die Abstimmung in Dänemark habe keine Auswirkungen auf den Euro gehabt. Sollten Sie das nicht überdenken? Denn man hatte erwartet, dass der Euro-Kurs wieder steigen würde, wenn Dänemark seiner Einführung zustimmt. Die jetzige Situation der Gemeinschaftswährung ist noch immer bedrückend. Das liegt nicht etwa daran, dass finstere Mächte des weltweiten Turbokapitalismus im Rahmen einer Verschwörung den Kurs des Euro nach unten drücken; das ist vielmehr Folge der freien Entscheidung der Unternehmen und der Wirtschaftsbürger der Welt, die Euro-Land - Deutschland ist das Kernstück - im Vergleich zum Dollarraum deutlich weniger zutrauen. Solange man davon ausgeht, dass man im Dollarraum bessere Renditen erzielen kann, so lange wird das Geld eher in die Vereinigten Staaten als in Euro-Land fließen. Deshalb ist mit dem Nein der Dänen zum Euro die Chance auf Besserung des Euro-Kurses vertan worden. Die fatale Folge könnte sein, dass jetzt die Schweden und die Briten - wenn sie die Abstimmung bald durchführen - ähnlich ablehnend reagieren werden. Es wäre schon eine schwierige psychologische Situation - die Entwicklung einer Währung hängt entscheidend von psychologischen Faktoren ab -, wenn die europäischen Völker die Einführung der neuen Währung in Volksabstimmungen ablehnten. Wir haben im Gegensatz zu den Dänen und den Franzosen nicht einmal den Mut gehabt, bei uns eine Volksabstimmung über Maastricht durchzuführen. Die Stimmungslage wird sich nicht ändern, wenn wir das Reformtempo nicht beschleunigen und wenn wir nicht wenigstens die europäischen Nachbarländer überzeugen können, dass der Euro eine gute Währung ist.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Kollege Brüderle, bei Ihren Ausführungen konnte ich nicht genau die Frage erkennen. Daher will ich einige wenige Bemerkungen zu Ihren Äußerungen machen. Erstens. Zur Volksabstimmung. Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass wir die Frage der europäischen Einigung mit unserer Bevölkerung ganz intensiv diskutieren. Das halte ich für dringend notwendig. Sie richten diese Frage aber an die falsche Adresse. Sie wissen, dass die Partei, der ich angehöre, Volksabstimmungen längst im Grundgesetz festgeschrieben haben wollte. Wenn ich mich recht erinnere, war es die damalige Bundestagsmehrheit, die das in den 90er-Jahren immer abgelehnt hat, als wir im Zusammenhang mit der deutschen Einigung den Versuch gemacht haben, plebiszitäre Elemente in das Grundgesetz hineinzubringen. Wenden Sie sich also nicht an meine Adresse. Zweitens. Ich weise darauf hin, dass die D-Mark im Verhältnis zum Dollar gerade auch zu Zeiten Ihrer Regierung teilweise weitaus schlechter stand als heute der Euro, ohne dass wir eine solch dramatische Debatte um unsere Währung, die D-Mark, geführt hätten. Dies hat auch damit zu tun, dass es eine neue, eine junge Währung ist, die erst unser Vertrauen benötigt. Dazu gehört, dass wir die Debatte sachlich führen. Dazu gehört auch der Sachverhalt, dass die D-Mark zum Dollar schon viel schlechter stand als heute der Euro zum Dollar. Das muss mit in die Betrachtung einbezogen werden, um auf diesen Sachverhalt einigermaßen rational zu reagieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Brüderle, eine weitere Frage, bitte.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesfinanzminister, werden Sie sich bei Ihrer Leidenschaft für Volksabstimmungen dafür einsetzen, dass die Anregung Ihres Parteifreundes Verheugen, eine Volksabstimmung über die Osterweiterung durchzuführen, bald die Umsetzung durch die Bundesregierung erfährt? Oder ist Ihre Leidenschaft für Volksabstimmungen themenabhängig?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Brüderle, zunächst einmal weise ich darauf hin, dass es in Ihrer Partei bisher überhaupt keine Bereitschaft gegeben hat, Volksabstimmungen ins Grundgesetz aufzunehmen. Diese Bereitschaft hat es nie gegeben, auch nicht als Sie an der Regierung waren. Insofern finde ich Ihre Frage merkwürdig. Wenn man diese Frage diskutiert, wird man sehr genau diskutieren müssen, was der Gegenstand von Volksabstimmungen sein kann und was nicht. Hierzu gehören zum Beispiel Fragen der inneren Gesetzgebung. Aber auch die weitestreichenden Vorschriften in Deutschland, die von Ihnen und Ihrer Partei nie mitgetragen worden sind, schließen zum Beispiel Haushaltsgesetze aus. Das gilt sowohl für die Kommunal- als auch für die Länderverfassungen, in denen es Volksabstimmungen gibt. Sie wissen, dass es Parteiengespräche gibt, ob wir plebiszitäre Elemente ins Grundgesetz einführen sollen. Dieser Frage werden Sie sich im Herbst stellen müssen. Bei Fragen, die nur uns betreffen, habe ich kein Problem damit, zum Beispiel, ob wir beitreten oder nicht. Wir müssen aber sehr darüber nachdenken, ob wir in Deutschland eine Debatte führen wollen, dass zum Beispiel Polen der Europäischen Union beitritt. Das ist nicht nur unsere Entscheidung. Herr Verheugen hat ausdrücklich betont, dass er eine solche Anregung nicht gegeben hat. Ich habe meine Bedenken, eine solche Frage überhaupt zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen. Wir müssen darüber intensiv nachdenken, ob das bei unserem Verhältnis zu Polen und Europa gut gehen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Noch eine Frage, Herr Kollege Brüderle?

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Würden Sie mir zustimmen, dass es keine Beantwortung meiner Frage ist, wenn ich Sie nach Ihrer Haltung frage und Sie darauf verweisen, dass wir eine andere Haltung haben? Ich persönlich bin überhaupt nicht für eine Volksabstimmung über die Osterweiterung und bin bei diesem Thema außerordentlich vorsichtig. Ich möchte von Ihnen keine Bewertung unserer Position haben, sondern möchte Ihre Position kennenlernen.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

So wie es mir nicht zusteht, Ihre Frage zu bewerten, Herr Abgeordneter, müssen Sie bitte akzeptieren, dass ich die Antwort so gebe, wie ich sie gebe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen zu dem angesprochenen Themenbereich? Herr Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, in der Wissenschaft wird zur Stabilisierung des Euro die Diskussion geführt, ob es nicht besser sei, zunächst einmal die Euro-Zone mit Großbritannien und den skandinavischen Ländern zu erweitern, bevor man die bisher nicht finanzierte Erweiterung in Angriff nimmt. Müsste diese Stabilisierung des Euro nicht absoluten Vorrang genießen? Welche Auffassung hat die Bundesregierung zu diesem Thema?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Abgeordneter, Sie haben eben zwei völlig verschiedene Sachverhalte miteinander verglichen. Eine solche Debatte gibt es in Europa überhaupt nicht. Die Frage, wie man die Euro-Zone erweitert, ist - übrigens mit unserer Zustimmung - zu einer Zeit vertraglich geregelt worden, als Sie die Regierung gestellt haben. Daraus ergibt sich alles Übrige. Deshalb gibt es die von Ihnen eben gestellte Frage in der politischen Wirklichkeit überhaupt nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Michelbach stellt jetzt die letzte Frage zum angesprochenen Themenbereich. Danach werden wir zu anderen Fragen kommen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, auch Sie sind doch mit Sicherheit der Auffassung, dass im Moment der Euro-Außenwert verfällt und es notwendig ist, ihn zu stabilisieren. Besteht daher nicht die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie man den Euro stabilisieren kann, und ist der von mir in meiner Frage angesprochene Weg der Stabilisierung des Euro durch Erweiterung des Euro-Landes um wesentliche Volkswirtschaften nicht einer der Wege, die hier zu beschreiten wären?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Bundesminister, bitte.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich wiederhole: Diese Debatte gibt es in Europa überhaupt nicht, weil die Frage der Erweiterung des Euro-Landes vertraglich geregelt ist. Eine Erweiterung hängt ausschließlich von Antragstellung und Erfüllung von Kriterien ab. Das ist bereits völkerrechtlich geregelt. Dabei lege ich darauf Wert, dass es bei der Erfüllung der Kriterien keinen Rabatt gibt. Offenbar verquicken Sie in Ihrer Fragestellung etwas, was nichts miteinander zu tun hat: Die Osterweiterung ist keine Osterweiterung von Euro-Land, sondern eine Erweiterung der Europäischen Union. Wer der Europäischen Union beitritt, ist also noch lange nicht im EuroLand. Vielmehr muss er eine Reihe zusätzlicher Kriterien erfüllen, um im Euro-Land aufgenommen werden zu können. Nehme ich aber das, was Sie angesprochen haben, als eine reale Fragestellung - es gibt, wie gesagt, diese Fragestellung in der europäischen Politik überhaupt nicht -, dann würde es bedeuten, dass die Osterweiterung der Europäischen Union erst kommen kann, wenn zum Beispiel die Briten Euro-Land beigetreten sind. Ein solches Junktim gibt es nicht. Führen Sie diese Debatte doch einmal in den eigenen Reihen - dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen -; ich bin ganz sicher, dass Sie mit dieser These allein stehen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich beende jetzt diesen Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung. Eine Frage zu einem anderen Thema stellt der Abgeordnete von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich frage Sie, ob sich das Kabinett mit dem Wunsch meiner Fraktion beschäftigt hat, die Bundesregierung möge wegen der Verletzung des Immunitätsrechts Verfassungsklage gegen das Land Nordrhein-Westfalen erheben. Unser Fraktionsvorsitzender hatte dazu gestern dem Bundeskanzler geschrieben. Allein antragsberechtigt ist die Bundesregierung. Deswegen meine Frage, ob Sie sich damit heute schon beschäftigt haben oder nicht.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Das war nicht Gegenstand der Kabinettssitzung.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke sehr.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen, die über den angesprochenen Themenbereich hinausgehen? - Das ist nicht der Fall. Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Vielen Dank, Herr Bundesminister. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 14/4206 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Erich Stather zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Weiß auf: Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Existenz eines eigenständigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch für die Zukunft notwendig oder wird seitens der Bundesregierung kurz-, mittel- oder langfristig eine Integration des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das Auswärtige Amt angestrebt? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte den ersten Teil der Frage mit Ja und den zweiten Teil der Frage mit Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weiß, eine Zusatzfrage? ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bevor ich die Zusatzfrage stelle, muss ich eine Anmerkung machen. Nachher wird noch das Auswärtige Amt eine Frage von mir zu diesem Thema beantworten; eben ist vom BMZ die zweite von mir eingereichte Frage beantwortet worden. Daher geht der Zusammenhang etwas verloren. ({0}) - Kompliziert ist die Methodik der Beantwortung durch die Bundesregierung und nicht die Frage eines Abgeordneten. Herr Staatssekretär, da aus Ihrem Hause immer wieder Klagen aufkommen, wie beschwerlich es ist, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seinen Sitz in Bonn hat, während die Kopfstelle in Berlin ist - gerade für kleinere Häuser wie das BMZ ist diese Situation besonders schwierig zu bewältigen -: Gibt es erste Überlegungen - vielleicht für die Phase nach der nächsten Bundestagswahl -, dass durch eine Eingliederung des BMZ in das AA das Berlin/Bonn-Gesetz in diesem Punkt unterlaufen werden könnte?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, auf diese Frage kann ich einfach mit Nein antworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dem Zeitungsartikel der „taz“, zu dem das Auswärtige Amt nachher Stellung nehmen wird, wird am Schluss ein Sprecher des BMZ, also Ihres Hauses, zitiert: „Es gibt bei uns im BMZ keine Überlegungen, das AA zu integrieren“. Kommt mit dieser Bemerkung nicht doch zum Ausdruck, dass in Ihrem Hause offensichtlich einiges an Verärgerung darüber besteht, dass seitens des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Pleuger eine Integration des BMZ in das AA zur Sprache gebracht worden ist?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, diese Äußerung ist so zu verstehen, dass eine vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit zwischen meinem Ministerium und dem Auswärtigen Amt besteht. Was Berichte in Zeitungen wie der „taz“ betrifft: Ich habe vor etwa drei Wochen einen längeren Artikel über Sie in der „Badischen Zeitung“, der Zeitung unserer gemeinsamen Heimat, gelesen. Ich hatte den Eindruck, dass auch Sie davon überzeugt sind, dass Journalisten nicht immer vollständig das berichten, was Staatssekretäre oder Abgeordnete sagen. Insofern müssen wir mit der Berichterstattung durch Zeitungen leben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben soeben behauptet, es gebe eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ. Daher darf ich Sie fragen, ob es ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit ist, wenn das Auswärtige Amt Botschaften in Afrika schließt, ohne Rücksprache mit dem BMZ zu nehmen.

Not found (Staatssekretär:in)

Wir haben auch in dieser Frage unsere Meinungen ausgetauscht. Es kann sein, dass wir nicht bei jeder Schließung einer Botschaft mit dem Auswärtigen Amt einer Meinung sind. Aber die Bundesregierung hat sich eine gemeinsame Meinung gebildet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 2 und 3 des Kollegen Koschyk werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Weiß ({0}) - der Zusammenhang mit Frage 1 wurde schon angesprochen - auf: Trifft es zu, dass der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Gunter Pleuger, zum Abschluss der ersten deutschen Botschafterkonferenz geäußert hat, dass durch eine Eingliederung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das Auswärtige Amt Synergieeffekte erzielt werden könnten und dass bei den Gesprächen zur Bildung der derzeitigen Bundesregierung eine solche Zusammenlegung der beiden Bundesministerien erörtert worden ist, wie dies die „taz“ am 7. September 2000 gemeldet hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Weiß, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Auf Frage eines Journalisten hat Staatssekretär Dr. Gunter Pleuger eine Äußerung des französischen Außenministers Védrine auf der Botschafterkonferenz bestätigt, wonach die französische Regierung durch die Zusammenlegung des Entwicklungshilferessorts mit dem französischen Außenministerium Synergieeffekte erzielt habe. Der Staatssekretär hat ferner auf die bekannte Tatsache verwiesen, dass wir in Deutschland weiterhin auch als Ergebnis der Koalitionsgespräche - ein eigenständiges Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister Volmer, in dem bereits zitierten Artikel der „taz“ wird aber auch ausgeführt, dass Herr Staatssekretär Pleuger in diesem Gespräch offensichtlich einen Einblick in die Koalitionsverhandlungen gewährt hat. Er habe dort geäußert, dass bei der Regierungsbildung im Gespräch war - es ist dann anders gekommen -, beide Ministerien, Auswärtiges Amt und BMZ, zusammenzulegen. Das bestätigt offensichtlich - auch wenn das Ergebnis war, dass es bei zwei Häusern bleibt -, dass in der Koalition solche Überlegungen angestellt worden sind. Trifft das zu? Wie war der Abwägungsprozess?

Not found (Gast)

Ich selber habe den zitierten Artikel in der „taz“ nicht gelesen. Insoweit dort behauptet wird, ein Gesprächsgegenstand der Koalitionsverhandlungen sei gewesen, die beiden Häuser zusammenzulegen, kann ich Ihnen sagen, dass wir darüber definitiv nicht geredet haben. Die Koalitionsverhandlungen zur Außenpolitik wurden von dem Kollegen Verheugen und mir geführt. Dieses war absolut kein Thema.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben bei der Beantwortung der ersten Frage bereits darauf hingewiesen, dass die Äußerung von Herrn Staatssekretär Pleuger offensichtlich auf Äußerungen von Herrn Védrine zurückgeht, in denen er Frankreich als Vorbild dargestellt hat. Nun erleben wir ja derzeit innerhalb der Europäischen Kommission eine Neuorganisation, die, insbesondere durch die Gründung des neuen Amtes Europaid, tendenziell dazu führt, dass die Entwicklungszusammenarbeit quasi in den Bereich Auslandsbeziehungen der Europäischen Union integriert wird. Es findet also genau der Prozess statt, dass die Entwicklungshilfe Bestandteil der Außenpolitik wird bzw. unter das Primat der Außenpolitik gerät. Sind denn diese Tendenzen in der Europäischen Union, die von der Bundesregierung in gewisser Weise mitzuverantworten sind, und die in anderen europäischen Ländern für die Bundesregierung ein Anlass, dass auch in Deutschland diese Frage erörtert und diskutiert wird?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Es kann wohl nicht bestritten werden, dass es einen Zusammenhang und Schnittstellen zwischen Entwicklungs- und Außenpolitik gibt und dass man sich immer wieder Gedanken machen muss, wie man diese Schnittstellen organisiert, also auf der einen Seite darüber, wie man die Arbeit aufteilt, und auf der anderen Seite darüber, wie man dann wieder kooperiert. Solche Überlegungen zur Gestaltung der gemeinsamen Arbeit werden täglich angestellt. Das führte aber nicht dazu, dass wir uns Gedanken über den Neuzuschnitt des gesamten Ressortsystems gemacht haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, ist Ihnen auch das Gerücht zur Kenntnis gekommen, dass bei den Koalitionsverhandlungen nur deswegen nicht beschlossen wurde, BMZ und Auswärtiges Amt zusammenzulegen, weil man ein Ministerium für Frau WieczorekZeul suchen musste? Das Ministerium selber hat ja kaum Einfluss und auch keine freien finanziellen Möglichkeiten.

Not found (Gast)

Das war, Herr Koppelin, nicht nur, kein Gegenstand von Gesprächen, sondern auch kein Gegenstand von Fantasien. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Punkt. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 5 des Abgeordneten Austermann soll schriftlich beantwortet werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir kommen damit gleich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Staatssekretär Peter Haupt zur Verfügung. Ich rufe die Fragen 6 und 7 der Kollegin Ina Lenke auf: Wann wird die Bundesregierung die durch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, bereits im Januar in der Zeitschrift „Focus“ angekündigte Verbesserung der Sozialversicherungssituation für Tagesmütter herbeiführen und ihnen einen Zugang zur gesetzlichen Rentenversicherung verschaffen? Wo sieht die Bundesregierung weiteren Handlungsbedarf, um die Situation der Tagesmütter generell zu verbessern?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete Lenke, ich möchte Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworten. In dem von Ihnen zitierten „Focus“-Artikel hat Frau Bundesministerin Dr. Bergmann keine Verbesserung der Sozialversicherungssituation von Tagesmüttern angekündigt, sondern sie hat die Länder und Gemeinden gebeten, diese Art der Kinderbetreuung finanziell stärker zu unterstützen und auf sichere landesrechtliche Grundlagen zu stellen. Für die Kinderbetreuung sind bekanntlich die Bundesländer und die Kommunen verantwortlich. Die soziale Absicherung von Tagesmüttern hat nicht nur für die Bundesregierung einen hohen Stellenwert. Auch die Jugendministerinnen- und Jugendministerkonferenz hat dieses bereits vor zwei Jahren bekräftigt, sich jedoch angesichts der angespannten Finanzlage der öffentlichen Haushalte nicht in der Lage gesehen, gesetzliche Regelungen zu treffen. Wir werden weiterhin mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden im Gespräch bleiben, um insgesamt Verbesserungen im Bereich der Kinderbetreuung und damit auch für die Tagespflege zu erreichen. Der Zugang zur Rentenversicherung ist Tagesmüttern, wie Sie wissen, nicht grundsätzlich verschlossen. Sie haben zum Beispiel die Möglichkeit, durch eine freiwillige Versicherung in die Rentenversicherung zu kommen. Das wird aber bedauerlicherweise nicht hinreichend genug in Anspruch genommen, weil es den Tagesmüttern wegen der geringen Vergütung häufig nicht möglich ist, die Mittel für die Rentenversicherung aufzubringen. In der Sache geht es uns also gemeinsam um eine Verbesserung der finanziellen und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Tagesmütter. Dies können wir aber nur gemeinsam mit den Ländern und Kommunen erreichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich muss mich schon fragen, Herr Staatssekretär, warum die Frauenministerin dann eine solche Pressemitteilung herausgibt, mit der sie ja auch die Botschaft geben wollte, dass sie sich darum kümmert. Meine erste Frage lautet: Was hat die Bundesregierung in den letzten neun Monaten seit Erscheinen dieser Pressemitteilung konkret getan, um das Versprechen von Frau Bergmann zu erfüllen bzw. die Erwartungen, die sie bei den Tagesmüttern, als sie diese Pressemitteilung lasen, geweckt hat, auch zu erfüllen? Was ist im Ministerium ganz konkret geschehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich sagte bereits, dass wir die Länder und die Kommunen lediglich auffordern können. Das tun wir regelmäßig in den Sitzungen der Jugendministerinnen- und Jugendministerkonferenz. Aber wir haben auch Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt. Es gibt im Bereich der Kinderbetreuung inzwischen sehr viele neue Elemente, die die einzelnen Länder auch erproben wollen. In diesem Zusammenhang beziehen wir uns zusätzlich immer wieder auf die Tagespflege. Das ist ein ständiger Prozess, ein ständiges Arbeiten mit den Ländern und Kommunen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Frau Lenke?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht hier um die gesetzliche Rentenversicherung. Sie haben selber gesagt, dass die Tagesmütter angesichts der niedrigen Stundenlöhne, die sie bekommen, kaum noch die Möglichkeit haben, die hohen Beiträge, die höher als bei einer Arbeitnehmerin sind, in die Rentenversicherung einzuzahlen. Deshalb meine Frage, in welche Richtung Ihre Überlegungen gehen: hin zur individuellen Absicherung, also einer privaten Rentenversicherung, oder sehr stringent hin zur gesetzlichen Rentenversicherung? Wie hätten Sie es gern?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete Lenke, sehr viele Tagesmütter unterliegen bereits der gesetzlichen Rentenversicherung. Das betrifft zum Beispiel diejenigen, die mehrere Kinder betreuen. In einzelnen Bereichen, wie zum Beispiel in Baden-Württemberg, ist es so, dass die Verbände Tagesmütter anstellen und auch entsprechend die Rentenversicherungsbeiträge übernehmen. ({0}) - Ähnliche Regelungen gibt es auch in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern. Verschiedene Länder und ebenso verschiedene Kommunen haben derartige Regelungen. Aber uns geht es nicht darum, dass die gesetzliche Rentenversicherung in diesem Bereich sofort zum Zuge kommt, sondern wir müssen erst einmal das Gesamtsystem der Betreuung durch Tagesmütter in Gang setzen. Dazu gehören die Weiterbildung sowie die Renten- und die Sozialversicherung. Natürlich müssen die Länder und Kommunen diesen Bereich der Kinderbetreuung auch hinreichend bezahlen. Wenn das der Fall ist, hat eine Tagesmutter die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Möglicherweise hat sie auch andere Arbeitsbedingungen, die zur gesetzlichen Rentenversicherung führen. Jedenfalls sehen wir zurzeit nicht die Notwendigkeit, hier gesetzliche Veränderungen vorzunehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Kollegin Lenke?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Länder und Kommunen auch heute wieder indirekt aufgefordert, die finanzielle Situation der Tagesmütter zu verbessern. Welche Vorstellungen haben Sie denn den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden in dieser Hinsicht vorgetragen?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir arbeiten mit den Ländern und Gemeinden an der Verbesserung der Kinderbetreuung insgesamt. Sie wissen, dass die Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren und für Kinder über sechs Jahren noch sehr verbessert werden muss. Deshalb muss immer wieder das gesamte System angesprochen werden. Zweitens kommt es darauf an, dass wir einzelnen Kommunen verdeutlichen, dass die Tagesmütter eine ganz wichtige Betreuungsaufgabe wahrnehmen und dass man diese Aufgabe unterstützen sollte. Wir haben uns zum Beispiel angeboten, gute Beispiele einzelner Kommunen zu veröffentlichen, um deutlich zu machen, was es in diesem Bereich in der Republik bereits gibt. Die Kommunen haben allerdings erhebliche Bedenken; denn die einzelnen Aktivitäten sind von der jeweiligen finanziellen Situation abhängig und es gibt unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeit der Tagesmütter und der Gestaltung der Kinderbetreuung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Lenke, weitere Zusatzfrage?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe jetzt drei Fragen an die Bundesregierung gestellt und Sie, Herr Haupt, haben mir als Staatssekretär geantwortet. Können Sie mir zumindest eine ganz konkrete Überlegung Ihres Hauses hinsichtlich der Sozialversicherung für Tagesmütter, eine ganz konkrete Idee, die Sie gegenüber den Ländern und Gemeinden geäußert haben, vortragen? Bisher haben Sie nichts Konkretes gesagt, nur, dass Sie in Gesprächen sind. Ich würde gerne heute eine konkrete Idee von Ihnen aus diesem Hause mitnehmen.

Not found (Staatssekretär:in)

Wir haben beispielsweise den Kommunen gesagt, dass die Modelle zur Vermittlung der Tagesmütter über die entsprechenden Tagesmütterverbände und die entsprechende Unterstützung dieser Verbände ein gutes Beispiel für die Gestaltung der Kinderbetreuung sind. Es gibt verschiedene Kommunen, die sich diese Beispiele anschauen und dann entscheiden, ob sie diesem Weg folgen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Fragen zu diesem Punkt? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs auf: In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung zur Vermeidung von Betriebsbeeinträchtigungen deutscher Kernkraftwerke Transporte abgebrannter Brennelemente?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Herr Dr. Laufs, Sie fragen, in welchem Umfang die Bundesregierung Transporte abgebrannter Brennelemente erwartet. Dazu antworte ich Ihnen wie folgt: Den Kraftwerken Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg sind im Januar und Juli dieses Jahres Genehmigungen für Transporte bestrahlter Brennelemente in das Zwischenlager Ahaus erteilt worden. Die erteilten Genehmigungen umfassen die Beförderung von 16 Behältern. Am 22. September dieses Jahres hat das Bundesamt für Strahlenschutz Transporte abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung genehmigt. Es handelt sich um Transporte aus den Atomkraftwerken Biblis, Philippsburg und Stade zur Wiederaufarbeitungsanlage der Cogema in La Hague. Die Zahl der zukünftigen erforderlichen Transporte hängt ganz wesentlich davon ab, wie schnell es den Betreibern gelingt, die beantragten standortnahen Zwischenlager in Betrieb zu nehmen. Nach der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 dürfen die Betreiber bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zur Inbetriebnahme der jeweiligen standortnahen Zwischenlager in die regionalen Zwischenlager sowie bis zur Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland transportieren. Die Wiederaufarbeitung setzt allerdings den Nachweis der schadlosen Verwertung voraus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wird die Bundesregierung in Abstimmung mit den betroffenen Landesregierungen darauf hinwirken, dass die Aufnahme von Atomtransporten möglichst unspektakulär erfolgen kann?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Sicherlich. ({0})

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In welchem Zeitrahmen können die Atomtransporte nach Ihrer Meinung tatsächlich stattfinden?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Das hängt davon ab, zu welchem Ergebnis die noch ausstehenden Prüfungen kommen. Die Empfehlungen aus den Gutachten sind abgearbeitet. Es gab aber noch Prüfungen nach § 4 des Atomgesetzes durch das BfS. Die Prüfungen betrafen zum Beispiel die Zuverlässigkeit des Beförderers, die Sicherungsmaßnahmen bezüglich Freisetzung und Diebstahl. Es ging auch um die Qualifizierung des Personals und um die atomrechtliche Deckungsvorsorge. Des Weiteren wird noch die verkehrsrechtliche Zulassung geprüft, um Kontaminationen zu vermeiden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe nun die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs auf: Was unternimmt die Bundesregierung, um die baldige Aufnahme von Transporten zu ermöglichen?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Sie fragen, was die Bundesregierung unternimmt, um die baldige Aufnahme von Transporten zu ermöglichen. Ich antworte Ihnen darauf - ergänzend zu dem, was ich Ihnen eben mitgeteilt habe - wie folgt: Die Schaffung der Voraussetzungen für Transporte ist grundsätzlich Sache der Betreiber. Die Behörden des Bundes und der Länder prüfen lediglich, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Die Voraussetzungen habe ich Ihnen gerade genannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben gerade eine beachtliche Liste von offenen Fragen vorgetragen. Wann wird das BfS diese Überprüfung abgeschlossen haben?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Herr Kollege Laufs, wir haben diese Diskussion schon öfter geführt. Ich kann nur wiederholen: Die Überprüfungen erfolgen nach Recht und Gesetz und nicht nach politischen Erwägungen. Insofern liegt es im Ermessen der Behörden, zu entscheiden, wann die Prüfungen abgeschlossen sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Herr Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verstehen Sie angesichts der Tatsache, dass Atomtransporte die einzig verbliebene Möglichkeit sind, um den Betrieb bestimmter Kernkraftwerke aufrechtzuerhalten, den Unmut und das Unbehagen der Betroffenen darüber, dass nun seit vielen Jahren von den Ihnen unterstellten Behörden Fragen geprüft werden, ohne dass sich abzeichnet, wann solche Prüfungen abgeschlossen sind?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Ich kann den Unmut, den Sie gerade beschrieben haben, nicht nachvollziehen, weil wir im Juni dieses Jahres die in diesem Zusammenhang stattgefundenen Konsensgespräche erfolgreich abgeschlossen haben. Darüber hinaus gibt es die ständig bestehende Koordinierungsgruppe „Transporte“, die die Fragen, die Sie gerade angesprochen haben, regelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Laufs darauf hingewiesen, dass allein nach Recht und Gesetz entschieden werde und politische Erwägungen dabei keine Rolle spielten, und in diesem Zusammenhang auf das Ermessen der Behörde hingewiesen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass politische Erwägungen bei der Ermessensausübung keine Rolle spielen?

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Es geht hier darum, nach fachlichen Erwägungen zu urteilen. Aufgrund der Vorkommnisse, die in der Vergangenheit zum Stopp von Atomtransporten geführt haben, ist dies das Mindeste, was wir tun können und was wir zu tun haben. Aufgabe der Politik ist es letztlich, hier Überzeugungsarbeit zu leisten. Wie gesagt, die Abwägung bezieht sich auf rein fachliche, rechtliche und gesetzliche Gesichtspunkte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Koppelin sollen schriftlich beantwortet werden. Deswegen rufe ich nun die Frage 12 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf: Welche Beweggründe hatte die Bundesregierung, Österreich zu den Feierlichkeiten am 3. Oktober 2000 in Dresden nicht einzuladen, obwohl sich die österreichische Regierung mit der Grenzöffnung zu Ungarn für die ausreisewilligen deutschen Bürger aus der ehemaligen DDR historische Verdienste erworben hat? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Rose, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Zu den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 2000 in Dresden hat die Bundesregierung - übrigens auch im Namen des Bundespräsidenten und des Bundesratspräsidenten - Vertreter der ausländischen Staaten, die den Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet haben, die so genannte Troika und die Višegrad-Staaten auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs eingeladen. Die EU-Mitgliedstaaten - einschließlich Österreichs; darauf zielt ja Ihre Frage - sind durch die EU-Troika vertreten gewesen. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass darüber hinaus auf Vorschlag der Bundesregierung der österreichische Botschafter - wie alle anderen in Deutschland akkreditierten Botschafter auch - eingeladen worden ist und an den Feierlichkeiten teilgenommen hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Zusatzfrage, Herr Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewusst, dass es eine etwas schofelige Angelegenheit war, die Österreicher mit diesem sehr allgemein gehaltenen Argument auszugrenzen, nachdem es ohne die Österreicher gar nicht zur Beteiligung der Višegrad-Staaten und anderer gekommen wäre?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Dr. Rose, diese Meinung teile ich nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich dann fragen, ob sich die Bundesregierung bewusst ist, dass die deutschen Mitbürger verärgert sind und sich für diese Haltung der Berliner Regierung sogar schämen, und dies nicht nur an der Grenze zu Österreich und in konservativen Kreisen, sondern auch - öffentlich geäußert - in sozialdemokratischen Kreisen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Dr. Rose, ich glaube, dass es keinen Anlass gibt, sich in irgendeiner Form zu schämen. Das Protokoll hat klare Kriterien dahin gehend vorgesehen, wer eingeladen wird und wer nicht eingeladen wird. Ich habe Ihnen erläutert, dass Österreich aufgrund bestimmter Kriterien eingeladen worden war. Diese Einladung ist ja im Übrigen auch angenommen worden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kollege Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Begründung, die österreichische Bundesregierung nicht zusätzlich einzuladen, obwohl die Višegrad-Staaten eingeladen worden sind, mit der Tatsache, dass die finnische Staatspräsidentin teilgenommen hat, deren Einladung meines Erachtens durch Ihre Argumentation nicht abgedeckt ist?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege, Sie wissen, dass Frau Halonen aus Finnland kommt und als Vertreterin ihres Landes Mitglied der Troika ist. Sie wissen vielleicht auch, dass der eigentliche Vertreter, der Vertreter Portugals, aus gewissen - aus seiner Sicht verständlichen Gründen absagen musste. So ist die Einladung von Frau Halonen zu verstehen: in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Troika. Ich denke, protokollarisch ist das in keinster Weise zu beanstanden. Es ist korrekt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen Klaus Rose: Wird sich die Bundesregierung für die Nichteinladung Österreichs zu den Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2000 bei der österreichischen Bundesregierung entschuldigen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Rose, es tut mir Leid, diese Frage in aller Kürze mit einem klaren und einfachen Nein beantworten zu müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage von Herrn Rose, bitte.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihr Nein bezieht sich also - dies nur zu meinem Verständnis - auf meine Frage, ob sich die Bundesregierung bei der österreichischen Bundesregierung entschuldigen will. Wenn Sie dies mit Nein beantworten, dann muss ich Sie fragen, ob die Bundesregierung andere Schritte überlegt, die - vielleicht wird das diplomatisch anders ausgedrückt, aber es hat doch das gleiche Ziel - einer Entschuldigung nahe kommen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Das protokollarische Verfahren, das vorgab, wer in welcher Form eingeladen worden ist, gibt keinen Anlass, sich in irgendeiner Form zu entschuldigen. Das war korrekt und ist korrekt und bleibt korrekt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, praktiziert die Bundesregierung diesbezüglich schon eine Art Reisediplomatie? Falls Sie als Vertreter des Innenministeriums das nicht wissen sollten, frage ich, ob Sie bereit sind, dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt nahe zu legen, möglichst bald engere Kontakte mit dem inzwischen ja nicht mehr mit Sanktionen belegten Österreich anzustreben und zu einer besseren Nachbarschaft beizutragen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Was diese Verhaltensweise anbelangt, braucht die Bundesregierung, glaube ich, Herr Kollege Dr. Rose, keine guten Ratschläge. Wir werden das Verhältnis zu Österreich auch in Zukunft auf der Grundlage der EU-Beschlüsse pflegen. Ich denke, das werden auch Sie noch sehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Straubinger, bitte schön.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bedauert die Bundesregierung wenigstens das Versehen, Österreich nicht zu den Feierlichkeiten am 3. Oktober eingeladen zu haben, angesichts der Tatsache, dass sich Österreich im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands historische Verdienste erworben hat? Denn Österreich und Ungarn waren ja die ersten Staaten, die den Eisernen Vorhang an ihrer Grenze geöffnet haben. Die damaligen Außenminister von Österreich und Ungarn haben diesen symbolträchtigen Schritt vollzogen und damit vielen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR schnellstmöglich zur Freiheit verholfen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, ich muss Sie insofern korrigieren, als es sich hierbei nicht um ein Versehen handelt, sondern man nach klaren protokollarischen Kriterien vorgegangen ist. Österreich war eingeladen in der Person des Botschafters, der diese Einladung angenommen hat, und war auf EU-Ebene vertreten durch die Anwesenheit der so genannten Troika. Wenn Sie sich ein bisschen in protokollarischen Dingen auskennen, werden Sie meine Aussage verstehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 14 des Kollegen Straubinger, die ja den gleichen Inhalt hat wie die eben gestellte Frage: Wird die Bundesregierung weiterhin, trotz der historischen Verdienste, Österreich bei Feierlichkeiten zur deutschen Einheit nicht einladen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, die in der Frage enthaltene Feststellung, dass Österreich zu den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2000 nicht eingeladen wurde, trifft nicht zu. Der österreichische Botschafter in Deutschland, Herr Dr. Lutterotti, ist auf Vorschlag der Bundesregierung zusammen mit allen anderen in Deutschland akkreditierten Botschaftern eingeladen worden und hat, wie ich das vorhin schon ausgeführt habe, an den Feierlichkeiten in Dresden teilgenommen. Darüber hinaus war Österreich - ich wiederhole mich leider noch einmal - wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten durch die Anwesenheit der so genannten Troika auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs repräsentiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, einem Zeitungsbericht der „Passauer Neuen Presse“ entnehme ich, dass die Regierungen Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns aufgrund ihrer besonderen Unterstützung der dortigen Gruppen, die seinerzeit für Freiheit und damit für die Überwindung des Eisernen Vorhangs eingetreten sind, besonders eingeladen worden sind. Hätte man nicht trotzdem zwangsläufig an Österreich denken müssen, weil es den Eisernen Vorhang mit geöffnet hat?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, ich habe Ihnen die Kriterien des Protokolls dargelegt und erklärt, wer aufgrund welcher Tatsache eingeladen worden ist. Sie haben die so genannten Višegrad-Staaten genannt. Was Sie sagen, war in der Tat so. Ich habe das bereits bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Dr. Rose mitgeteilt. Im Übrigen waren die Zwei-plus-Vier-Vertragstaaten ebenso wie die EU eingeladen und vertreten. Ich sage noch einmal deutlich - das ist ein kleiner Unterschied, den Sie bitte verinnerlichen sollten -: Österreich war in einer bestimmten Form eingeladen und diese Einladung wurde auch angenommen. Das habe ich bereits deutlich gemacht und daran gibt es nichts herumzureden. Das Protokoll war ebenso wie die Handhabung korrekt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie verweisen immer auf das Protokoll und haben in der Beantwortung der ersten Frage des Kollegen Rose darauf hingewiesen, dass der Bundeskanzler diese Einladungen auch im Namen des Bundestagspräsidenten und des Bundesratspräsidenten ausgesprochen hat. Wurde die Problematik, Österreich nicht einzuladen, auch in enger Abstimmung mit dem Bundestags- und dem Bundesratspräsidenten erörtert?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, ich beantworte als Vertreter des Bundesinnenministeriums diese Fragen, weil das Bundesinnenministerium für das so genannte Inlandsprotokoll zuständig ist. Darüber hinaus darf ich auf Ihre Frage bemerken, dass es keinerlei Diskussionen und Streitereien über die Art der verschiedenen Einladungen gegeben hat. Es gab auch keine Auseinandersetzung darüber, wer welche Einladung an welcher Stelle unterschrieben hat. Auch das ist im Einklang mit der Sächsischen Staatsregierung erfolgt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass Österreich einen besonderen Beitrag zur Öffnung des Eisernen Vorhangs, der mit dem Beitrag der Višegrad-Staaten vergleichbar ist, geleistet hat?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Dass Österreich einen besonderen Beitrag im Zuge der deutsch-deutschen Einigung geleistet hat, ist keine Frage. Deshalb ist auch eine Einladung Österreichs in der Form, die ich bereits mehrere Male dargestellt habe, erfolgt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Frage des Kollegen Straubinger war darauf gerichtet, ob die Bundesregierung auch in Zukunft Österreich nicht einladen wird. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in Zukunft bei der gleichen protokollarischen Auffassung bleiben, dass Sie nämlich unter Österreich immer den österreichischen Botschafter verstehen. Oder laden Sie doch einmal die österreichische Regierung ein?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Sie wissen, Herr Kollege Dr. Rose, dass es verschiedene Veranstaltungen gibt, über die protokollarisch zu entscheiden ist. Wir werden von Fall zu Fall entscheiden, wie das Protokoll gestaltet werden soll. Ich merke an Ihren Fragen, dass Sie lieber eine offene Flanke der Bundesregierung gesehen und in den Wunden herumgegraben hätten. Das gelingt Ihnen nicht, weil das Protokoll korrekt war. Es wird auch zukünftig korrekt sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Deß. ({0})

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es wurde heute immer wieder auf das Protokoll hingewiesen. Es hat Äußerungen gegeben, dass man aus Platzgründen nicht Vertreter von mehr Staaten eingeladen hat. Was hätte man getan, um das Protokoll korrekt einzuhalten, wenn sich alle CSU-Abgeordneten angemeldet hätten? Wären sie aus Platzgründen wieder ausgeladen worden? ({0})

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wer etwas zu dem Thema Platzgründe geäußert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich sage aber ganz offen: Protokollfragen sind häufig ganz praktische Fragen, bei denen manchmal auch die Anzahl der Sitzplätze eine Rolle spielt. Dafür müssen Sie Verständnis haben. Im Übrigen denke ich, dass das in Bezug auf die erwähnten Feierlichkeiten am 3. Oktober korrekt gehandhabt wurde. Hier gibt es nichts zu beanstanden und ist kein Platz für Kritik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 15 des Abgeordneten Straubinger: Möchte die Bundesregierung mit der Nichteinladung Österreichs zu den Einheitsfeierlichkeiten die Sanktionspolitik der EULänder gegen Österreich fortsetzen, obwohl diese offiziell für beendet erklärt wurde? ({0})

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, Nein ist meine Antwort. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Kollege Straubinger?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie werden mir wohl Recht geben, dass es für internationale Verhandlungen und Vereinbarungen immer gut ist, eine besondere Atmosphäre zu schaffen. Auch der Bundeskanzler handelt mittlerweile entsprechend. Er bemüht sich zum Beispiel um eine besondere Atmosphäre in der deutschen Parteienlandschaft. Wäre es nicht im Interesse einer besonderen und besseren Atmosphäre innerhalb der EU und im Interesse der engeren Verbindung der Länder gewesen, nach den unglücklichen Sanktionen gegen Österreich, an denen sich die Bundesregierung maßgeblich beteiligt hat, die Regierung Österreichs einzuladen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Straubinger, Sie machen einen Fehler. Sie bringen nämlich das Protokoll in Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Österreich, die in der Tat offiziell als beendet betrachtet werden. Die Form unserer Einladung und unsere Einladungsliste beruhen auf bestimmten Protokollfragen. Diese habe ich Ihnen erklärt. Ich denke, daran gibt es nichts zu beanstanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsekretär, wird bei zukünftigen EU-Verhandlungen das Protokoll eine größere Rolle spielen als etwa atmosphärische Fragen, um innerhalb der Europäische Union zu besseren Entscheidungen zu kommen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Sie dürfen bestimmte Dinge wie zum Beispiel das Protokoll auf nationaler Ebene und das auf EU-Ebene nicht verwechseln. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel nennen: Es gab eine Bodenseekonferenz, an der ganz normal die Innenminister aller Alpenregion-Länder beteiligt waren. Ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie diese Verhaltensweise der Bundesregierung, wie sie sich in der Vergangenheit zeigte, für richtig halten. Das kann ich nur bestätigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie das Ende der Sanktionen klar befürwortet haben, möchte ich Sie fragen: Kann ich davon ausgehen und darf ich dies auch der Bevölkerung bei uns sagen, dass Mitglieder der Bundesregierung demnächst, wenn sie wieder in die Toskana oder sonst wohin fahren, eine Zwischenstation in Österreich machen und alles wieder gut wird?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Dr. Rose, wo er Urlaub macht, kann jeder selbst entscheiden. Im Übrigen war die Entscheidung über die Sanktionen nicht Sache der Bundesregierung, sondern dies war eine Entscheidung der EU. Sie ist so getroffen worden, wie sie Ihnen bekannt ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Sanktionen gegen den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Struck, eingeleitet, nachdem dieser sich während der Sanktionszeit an der Bundestags-Motorradfahrt von Berlin nach Wien beteiligt hat?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Deß, ich will Ihnen als Antwort etwas sehr Persönliches sagen: Ausgerechnet in der Woche um den 3. Oktober weilte ich privat in Österreich. Mir ist nicht bekannt, dass daran etwas zu beanstanden war und dies Folgen nach sich zieht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich darf Sie vielleicht darüber aufklären, dass der Kollege Struck an dieser Reise nicht teilgenommen hat. ({0}) - Ich habe selbst mitgemacht, deswegen weiß ich das.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Vizepräsident, herzlichen Dank. Ich war nicht so genau über das Reiseprogramm meines Fraktionsvorsitzenden und darüber informiert, wo er zu- und wo er abgesagt hat. Aber ich denke, dass Motorradfahren ein schönes Hobby ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das kann ich bestätigen. ({0}) Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Hofbauer: Wird die Bundesregierung im Zuge der Herstellung einer durchgehenden Autobahnverbindung auf der europäischen Magistrale zwischen Paris und Prag für den Weiterbau der Autobahn A 6 zwischen Amberg und Waidhaus das Angebot der Europäischen Investitionsbank annehmen, 50 Prozent der Finanzierung des 600-Millionen-DM-Projektes als zinsloses Darlehen zu gewähren?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hofbauer, ein konkreter Finanzierungsvorschlag seitens der Europäischen Investitionsbank ist der Bundesregierung bisher nicht unterbreitet worden. Die Autobahn A 6 ist nach Auffassung der Bundesregierung ein wichtiger Baustein sowohl im nationalen wie im europäischen Autobahnnetz. 10 Kilometer der 54 Kilometer langen Strecke zwischen Amberg und der Bundesgrenze sind - wie Ihnen selbst bestens bekannt bereits für den Verkehr freigegeben. Weitere 8 Kilometer sind im Bau. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die A 6 zunächst zwischen Pfreimd und der Bundesgrenze kontinuierlich weiterzubauen. Sie beabsichtigt jedoch nicht, Vorfinanzierungsangebote anzunehmen, die die bestehenden Vorbelastungen des Straßenbauhaushaltes von mehr als 8 000 Millionen DM noch weiter erhöhen. Vorfinanzierungsmodelle schränken nämlich für den Haushaltsgesetzgeber künftiger Jahre die disponiblen Mittel ein. So erreichen die Vorbelastungen aus den bislang vorfinanzierten 27 Straßenbauprojekten etwa ab dem Jahr 2004 rund 600 Millionen DM jährlich und werden erst ab dem Jahre 2015 spürbar zurückgehen. Vor dem Hintergrund unseres konsequenten Konsolidierungskurses beabsichtigen wir also, dieses Instrument nicht mehr einzusetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Hofbauer.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zunächst ist es bemerkenswert, dass meine Frage, die die Finanzierung einer ganz konkreten Straße betrifft, vom Finanzministerium beantwortet wird. Aber kann ich Ihrer Antwort entnehmen: Wenn Sie das Angebot bekämen, würden Sie es nicht annehmen und für den restlichen Teil müsste eine neue Finanzierung gesucht werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hofbauer, ich habe mich bei dem Büro von Herrn Wolfgang Roth in Luxemburg kundig gemacht und dankenswerterweise seinen Redetext für diese Veranstaltung - ich glaube, sie war in Nürnberg - erhalten. Ich habe mir seine Ausführungen, angeschaut und mir bei einer ersten Prüfung eine ganze Reihe von dicken Fragezeichen machen müssen. Das „shadow-toll“-Finanzierungsinstrument ist bisher in Großbritannien und Portugal angewandt worden. Die Europäische Investitionsbank weist darauf hin, dass sie beispielsweise den Vorzug hat, „triple A“ eingestuft zu sein. Das heißt, sie kann Kredite zu günstigsten Konditionen aufnehmen. Das ist für andere Staaten durchaus interessant, für die Bundesregierung nicht, weil die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls „triple A“ bewertet ist. Das heißt, niemand kann günstiger Kredite als der Bund selbst aufnehmen. Im Übrigen hat Herr Roth selbst darauf hingewiesen, dass Dreh- und Angelpunkt eines „shadow-toll“-Konzeptes ist, dass die Konzessionäre, also die privaten Baugesellschaften, schon den ersten Planungsschritt selber machen können. Bis zur Planfeststellung müssen also nicht mehr die Staatsbauämter oder die Straßenbauprojektämter des Staates alles betreiben, sondern die Konzessionäre sind von Anfang an eingeschaltet, um mit ihrem technischen Know-how vielleicht zu einer Linienführung zu gelangen, die kostengünstiger ist, oder um andere technische Konzeptionen für die Verwirklichung einer Strecke anzubieten, was sich dann im Preis niederschlägt. Darüber hinaus macht Herr Roth in seinen Ausführungen auf Folgendes aufmerksam - ich zitiere ihn -: Der Fremdmittelanteil ist bei „shadow-toll“-Projekten normalerweise hoch, da die erforderlichen Autobahngebühren so berechnet sind, dass sie den Schuldendienst mit einer Sicherheitsmarge decken. Das würde bedeuten: Wir hätten nicht nur die Zinsbelastung, dies sich aufgrund von „triple A“ ergibt, sondern auch noch eine Sicherheitsmarge zu tragen, die wir in unserer bisherigen Finanzierung gar nicht haben. Deswegen denke ich, dass man, wenn man sich das einmal intensiver anschaut, viele Haken bis hin zu Folgendem findet: Herr Roth sagte selbst, dass die Betreiber dann für die gesamte „shadow-toll“-Strecke geradestehen müssen. Das sind dann 30 Jahre. Das lassen sie sich auch bezahlen, weswegen sich das Ganze noch einmal verteuert. Es ist die Frage zu stellen - das müsste meines Erachtens auch Sie politisch interessieren -: Wird eine „shadow-toll“-Lösung nicht dazu führen, dass wir in diesem Bereich nicht nur Generalunternehmer, sondern auch Generalübernehmer haben und dass der normale Handwerksbetrieb, der sich vielleicht noch beim Bau einer einzigen Brücke engagieren könnte, völlig außen vor ist? Ich denke, man sollte sich das Ganze noch einmal genau anschauen. Ein Angebot liegt nicht vor. Aber im Prinzip schätzen wir das „shadow-toll“-Modell so ein, dass es nichts anderes als eine private Vorfinanzierung ist. Was ich zur privaten Vorfinanzierung gesagt habe, gilt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Hofbauer, bitte schön.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es ist zunächst bemerkenswert, dass Sie diese Frage schon sehr intensiv geprüft und gewürdigt haben. Kann ich annehmen, dass ein solches Finanzierungsmodell ausfällt?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Wenn es sich bei den Prüfungen tatsächlich herausstellt, dass es sich um ein privates Vorfinanzierungsmodell handelt, dann fällt es aus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Kollegin Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass ich bei der damaligen Veranstaltung mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank anwesend war und dass der Vizepräsident ausführte, es sei eine Schande, dass dieses Projekt der A 6 noch nicht weiter vorangetrieben wurde und dass die derzeitige rotgrüne Bundesregierung dringend handeln sollte?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Verehrte Kollegin, mir persönlich ist Ihre Anwesenheit nicht bekannt gewesen. Ich nehme das zur Kenntnis. Im Übrigen kann Herr Roth mit seiner Kritik nur die frühere Bundesregierung gemeint haben; denn dieses Problem existiert ja seit 1989 und was bisher bereitgestellt worden ist, sieht man ja. Sie - so könnte man unterstellen - entdecken dieses Thema erst, nachdem Sie nicht mehr in der Verantwortung sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Strobl.

Reinhold Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003431, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, dass die Europäische Investitionsbank zur Finanzierung eine so genannte Schattenmaut verlangen würde? Wer müsste diese Mehrkosten tragen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, verzeihen Sie, ich habe den englischen Ausdruck gebraucht. „Shadow-toll“ heißt auf Deutsch: Schattenmaut. Schattenmaut wird sie genannt, weil nicht der Benutzer wie üblich die Gebühren zahlt. Wenn Sie zum Beispiel durch Frankreich fahren, müssen Sie an einem Häuschen Ihren Obolus entrichten, um weiterfahren zu können; das gäbe es an einer solchen Strecke nicht. „Shadow-toll“ bedeutet: Statt des PKW- oder LKW-Fahrers wirft - im übertragenen Sinne - der Staat die Münze ein; der Staat hätte also diese Mautgebühren zu zahlen. Wie hoch die Mautgebühren sein sollen, müsste man natürlich erst einmal schätzen. Das heißt, es müssten Verkehrsprognosen zugrunde gelegt werden: Fahren dort 10 000, 20 000, 50 000 oder 80 000 PKW, wie viele tausend LKW passieren die Strecke in 24 Stunden? Daraus würde sich dann eine Gebühr errechnen. Dann ist die spannende Frage: Wie schließt man solche Verträge - mit einer Revisionsklausel? Wenn sich die Prognosen nicht bewahrheiten: Wer trägt dann die Ausfallkosten? - Wenn die Prognosen übertroffen werden: Wer kriegt dann den Profit? Wie wird das Ganze dann wieder korrigiert? Es gibt einen Rattenschwanz von zusätzlichen Problemen, deswegen muss man das Ganze sehr sorgfältig prüfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Girisch.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, lehnen Sie diese Art der Finanzierung auch dann ab, wenn im Zuge der EU-Osterweiterung ein Vorschlag von der EU kommt? Lehnen Sie diesen Vorschlag auch ab, wenn er wegen der EU-Osterweiterung sehr von der Bayerischen Staatsregierung befürwortet wird? Sie wissen ja, dass dieses im Zuge der EU-Osterweiterung besonders dringlich ist.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Wissen Sie, ich bin kein Bayer wie Sie, sondern ich bin Rheinland-Pfälzer. ({0}) Hier sitzt der frühere rheinland-pfälzische Verkehrsminister Rainer Brüderle. Er hatte zusammen mit der damals verantwortlichen Bundesregierung ein ähnliches Problem hinsichtlich einer europäisch wichtigen Straße, die vom Verkehrsaufkommen so ähnlich wie auch Ihre A 6 einzuschätzen ist: Sie ist bei bei der letzten Prüfung noch relativ schwach, weil das Nutzen-Kosten-Verhältnis bei 1,7 Prozent lag, glaube ich - dafür ist eigentlich ein anderes Ressort zuständig - und nicht bei 3 Prozent, wie es Bedingung ist, wenn eine Maßnahme als vordringlicher Bedarf anerkannt werden soll. Aber die rheinland-pfälzische Landesregierung ist damals an die Bundesregierung herangetreten und hat gesagt: Die A 60 zwischen Bitburg und der belgischen Staatsgrenze ist uns so wichtig, dass wir uns mit Landesmitteln an der Finanzierung beteiligen. Vielleicht machen Sie einmal diesen Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung und dann kann das Fachressort zusammen mit der Bayerischen Staatsregierung darüber nachdenken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Straubinger. - Herr Girisch, Sie haben nur das Recht auf eine Frage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben das Stichwort gegeben und sich vorhin bei Ihren Antworten vehement gegen Vorfinanzierungen auch von privater Seite ausgesprochen. Wie muss ich es verstehen, dass die Bundesregierung zum Beispiel bei einem Teilstück der A 31 in Niedersachsen bereit ist, eine private Vorfinanzierung durch Unternehmer, Landkreise und das Land Niedersachsen zu gestatten?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich bitte die Frage an das zuständige Ressort zu richten, weil ich im Moment nicht rekapitulieren kann, wie die genauen Finanzierungskonditionen für die von Ihnen genannte Strecke waren. Das Finanzministerium ist nicht für den Bau der einzelnen Strecken zuständig, sondern höchstens für die generelle Frage der Finanzierung. Ich persönlich darf dazu bemerken: Als es darum ging, die Zahl der privat vorfinanzierten Strecken zu erhöhen, war ich als Mitglied des Haushaltsausschusses einer der Befürworter eines Versuches. Aber die Befürworter waren sich über alle Parteigrenzen hinweg einig: Wenn die erste auf diese Weise vorfinanzierte Strecke nach einem tilgungsfreien Jahr dem Bund zur Tilgung übereignet wird, brauchen wir zusätzliches Geld und dieses zusätzliche Geld hat Ihre Regierung nicht vorgesehen, im Gegenteil: Sie hat uns im Verkehrshaushalt viele Finanzierungsprobleme hinterlassen, weil viele Projekte angefangen worden sind, ohne dass deren Finanzierung in der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Ende gesichert war. Das ist eines unserer großen Probleme. Hätten Sie damals sorgfältiger gehandelt, wäre es heute um vieles leichter.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielleicht wäre Herr Staatssekretär Scheffler bereit, Ihre Antwort zu ergänzen? - Bitte schön, Herr Scheffler.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Vielen Dank, Herr Präsident. Lieber Kollege, Sie kennen an sich die Antwort. Die so genannte Emsland-Autobahn wird völlig anders als der hier besprochene Vorschlag zur A 6 finanziert. In dem Fall der A 31 hat die Wirtschaft den Vorschlag gemacht, Geld zur Verfügung zu stellen - es waren anfangs 200 Unternehmen und mittlerweile sind es 600 Unternehmen - dann kamen Kommunen und andere Gebietskörperschaften dazu. Was ganz wichtig ist: Das Land Niedersachsen finanziert 285 Millionen DM. Der Bund wird diese Aufwendungen später refinanzieren, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem diese Straße bzw. Autobahn zum Bau vorgesehen ist. Das Entscheidende ist: Die Refinanzierung erfolgt ohne Zinsbelastung und ohne Tilgung. Diese zusätzlichen Belastungen werden also vom Land Niedersachsen bzw. von den Kommunen und anderen Gebietskörperschaften übernommen. Insofern kann man diese - ich nenne sie einmal - Mischfinanzierung nicht mit dem bayerischen Vorschlag vergleichen, da die Bayerische Staatsregierung ausdrücklich erklärt hat, sie wolle nicht die Zinslasten übernehmen. Sie will zwar die Maßnahme vorgezogen haben, wie es Herr Kollege Diller hier richtig vorgetragen hat, aber die Zinsbelastung und die Belastung aus der Tilgung sollen vom Bund getragen werden. Deshalb wollen wir dieses so genannte Betreibermodell nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Es bleibt noch die Zusatzfrage des Kollegen Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Diller, da Sie der alten Bundesregierung an dieser Stelle Versäumnisse anlasten, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass SPD-Politiker vor Ort diese Autobahn bis Anfang der 90er-Jahre für überflüssig gehalten haben und dass ein SPD-Landtagskollege dem damaligen Wirtschafts- und Verkehrsminister Gustl Lang sogar vorgehalten hat - ich zitiere sinngemäß -, dass er eine Autobahn plant, die ins Niemandsland führt?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, Sie werden verstehen, dass ich weder die Diskussion vor Ort kenne noch sie von hier aus in toto kommentieren will. Jedenfalls bestätigt das, was ich eben vom Kollegen Scheffler gehört habe, eigentlich das, was ich am Beispiel von Rheinland-Pfalz gesagt habe. Wenn die Bayerische Staatsregierung hochgradig daran interessiert ist, dass diese Autobahn frühzeitiger gebaut wird, als wir es aufgrund unserer finanziellen Möglichkeiten machen können, bliebe ihr die Überlegung unbenommen, sich - wie Rheinland-Pfalz und, wie ich höre, andere Bundesländer auch - mit Eigenmitteln zu beteiligen. Da der bayerische Staatshaushalt in einer völlig anderen Situation ist als der Bundeshaushalt, müsste das für die Staatsregierung besonders leicht sein. Ich darf noch einmal auf Folgendes hinweisen: Als wir von Herrn Dr. Theodor Waigel das Finanzministerium und damit auch die Schulden des Bundes und die Zinslasten übernommen haben, mussten wir jede vierte Mark, die wir an Steuern von den Bürgerinnen und Bürgern einnehmen durften, nur für das Zahlen von Zinsen ausgeben. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal im Falle von Saarland und Bremen geurteilt: Wer jede vierte Mark seiner Steuereinnahmen nur für das Zahlen von Zinsen ausgeben muss, befindet sich - so wörtlich - in einer extremen Haushaltsnotlage. - Das ist das Erbe, das wir jetzt schultern müssen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 17 des Abgeordneten Hofbauer: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die dann verbleibende Restfinanzierung sicherzustellen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Hofbauer, Finanzierungsmodelle, die eine Vorbelastung künftiger Haushalte nach sich ziehen, kommen für uns nicht in Betracht. Die Bundesregierung strebt an, die Fertigstellung der A 6 zwischen Pfreimd und der Bundesgrenze bis zum Jahre 2010 sicherzustellen. Positiv wirkt sich hierbei aus, dass für die Restlaufzeit des Investitionsprogrammes, also in den Jahren 2001 und 2002, insgesamt rund 1 100 Millionen DM mehr für Straßenbauprojekte des Bundes zur Verfügung stehen, als zum Zeitpunkt der Aufstellung des Programmes abzusehen war. Mit der Bayerischen Staatsregierung wird der Betrag festzulegen sein, der für die A 6 aus dem auf Bayern entfallenden Anteil zur Verfügung gestellt werden kann. Für die Zeit nach 2002 obliegt es Ihnen, dem Deutschen Bundestag, im Rahmen der Novellierung des Fernstraßenausbaugesetzes über die Beibehaltung oder die Änderung von Prioritäten im Bundesfernstraßenbau zu entscheiden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Hofbauer? - Das ist nicht der Fall. Es liegt eine Reihe von weiteren Wortmeldungen vor. Ladies first - Frau Blank, bitte schön.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie führen aus, dass Sie keine Projekte im Konzessionsmodell mehr vorantreiben oder genehmigen wollen. Ist Ihnen bekannt, dass die Haushälter der SPD in der Zeit, in der sie in der Opposition waren, die von uns vorgeschlagenen Projekte noch einmal um 13 oder 14 Projekte ergänzt haben, um ihre eigenen Straßen vor Ort zu haben? Wie beurteilen Sie, nachdem Sie vorher sehr kritisch mit diesem Finanzierungsmodell umgegangen sind, aus heutiger Sicht Ihre damalige Zustimmung zu diesem Modell?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Verehrte Frau Blank, ich habe mich schon vorhin als einer derjenigen geoutet, der - vor sechs Jahren war es wohl - im Haushaltsausschuss mit dafür gesorgt hat, dass es einen breiten Konsens zur Ausweitung der Modelle gegeben hat. ({0}) Ich möchte auch nicht verschweigen, dass ich einmal die Hoffnung hatte, eine andere bundesdeutsche Autobahn fertig stellen zu lassen, nämlich die A 1, die von Kiel nach Saarbrücken führt und über 700 Kilometer lang ist. Die gesamte Strecke ist fast fertig gestellt. Es fehlen nur noch 35 Kilometer in der Eifel. Seit 1987, als ich Mitglied des Deutschen Bundestages wurde, habe ich mich darum bemüht, dort Bewegung hineinzubekommen. Während Ihrer Regierungszeit konnten gerade einmal 4 Kilometer der A 48 zwischen der Anschlussstelle Mehren und der Anschlussstelle Daun fertig gestellt werden. Ich habe gehofft, die restlichen Kilometer könnten im Rahmen eines Modells der privaten Vorfinanzierung fertig gestellt werden. Ich habe vorhin auch gesagt - darüber waren wir uns damals alle bewusst -: Wir brauchen zusätzliches Geld, wenn die Tilgung beginnt. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel aus Rheinland-Pfalz deutlich machen: Der Bau der A 60 von Bitburg bis nach Wittlich wird privat vorfinanziert. Der letzte Bauabschnitt - den ersten habe ich kürzlich übergeben dürfen - wird ab 2002 dem Verkehr übergeben werden. Dann beginnt die Tilgung. Nach der alten Konzeption, die während Ihrer Regierungszeit entstanden ist, bedeutet dies, dass die Hälfte der Tilgungssumme von den Neubaumitteln, die dem Bundesland Rheinland-Pfalz nach dem berühmten Schlüssel eigentlich zustehen, über 15 Jahre hinweg abgezogen wird. Der Autobahnbau in Rheinland-Pfalz würde ab dem Jahr 2002 zum Stillstand kommen, wenn nicht zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die spannende Frage ist, ob das gelingen wird. Wir sind der Meinung: Den Weg der privaten Vorfinanzierung zu gehen, um dadurch Zeit zu gewinnen, hilft nur kurzfristig. Mittelfristig holt uns das wieder ein und fällt uns doppelt und dreifach auf die Füße, weil ein Stillstand im Autobahnbau eintritt. Deshalb ist die private Vorfinanzierung, so wie Sie sie während Ihrer Regierungszeit vorgesehen hatten und wie ich sie zunächst unterstützt hatte, kein Weg für die Zukunft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben sich zur Frage der privaten Vorfinanzierung kritisch geäußert. Sie haben aus einem Redetext des Präsidenten Roth zitiert. Meine Frage ist: Könnten Sie uns diesen Redetext und die Bewertung aus Ihrem Hause zuleiten? Nach meinen Informationen hat sich Herr Roth in diesem Text auch über die derzeitige Bundesregierung kritisch geäußert, weil die Finanzierung der A 6 zögerlich behandelt wird.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich stelle Ihnen gerne - ich habe überhaupt keine Bedenken - den Redetext des Herrn Roth zur Verfügung. Die Anmerkungen, die ich vorgetragen habe, stammen nicht aus meinem Hause; sie spiegeln vielmehr meine kritischen Gedanken wider, die mir heute Morgen, nachdem ich den Redetext auf meinen Schreibtisch bekommen habe, spontan eingefallen sind. Insofern ist dem im Augenblick nichts hinzuzufügen. Herr Roth muss zur Kenntnis nehmen, dass es einen Prioritätenkatalog gibt, der uns verpflichtet, zunächst alle Straßenbauprojekte abzuarbeiten, die in Ihrer Regierungszeit zwar begonnen worden sind, für die aber keine dauerhafte und saubere Finanzierung vorliegt. Das ist unser Problem. Hätten Sie uns dieses Problem nicht hinterlassen, dann wären wir in vielen Bereichen schon weiter.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Äußerung, dass in den einzelnen Bundesländern letztendlich überhaupt keine Autobahnen mehr gebaut werden könnten, wenn man sie vorfinanzierte, möchte ich Sie fragen: Gilt das nicht im selben Maße für die A 31, da auch dieses Projekt, wie Herr Staatssekretär Scheffler vorhin ausgeführt hat, vorfinanziert ist und die Tilgungssumme von den Neubaumitteln, die dem Land Niedersachsen zustehen, später abgezogen wird, und zwar nach meinen Informationen ab dem Jahr 2010? Wir können beide nicht wissen, wie der Verkehrshaushalt im Jahr 2010 aussehen wird und welche finanzielle Unterstützung wir haben werden. Darum haben wir das entsprechende Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages in Auftrag gegeben, nach dem die Vorfinanzierung der A 31 finanzverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht stand hält.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich bitte, die Frage über die A 31 mit dem Fachressort zu diskutieren. Bezüglich des schnelleren Verwirklichens möchte ich zunächst einmal festhalten, was durch die Kenntnis der Drucksache 14/4090 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - über die A 6 bekannt geworden ist. Hier sind offenbar noch nicht in allen Bereichen die entsprechenden Voraussetzungen nach dem Baurecht erfüllt. Dies muss erst noch geschehen. Man sollte sich erst darum kümmern, dass die Voraussetzungen nach dem Baurecht gegeben sind. Ich rate jedem dringend: Reden Sie einmal mit der Bayerischen Staatsregierung, ob sie sich nicht das Land Rheinland-Pfalz zum Vorbild nimmt und mit eigenem Geld ohne Anspruch auf Rückzahlung durch den Bund dazu beiträgt, ein bestimmtes Straßenbauprojekt voranzutreiben, weil es ihr regional bzw. überregional besonders wichtig ist. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Diller, vielen Dank. Herr Staatssekretär Scheffler ist bereit, die Frage ergänzend zu beantworten.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Ergänzend möchte ich anmerken - ich habe angenommen, dass das vorhin Ausgeführte deutlich genug war -, dass dies keine zusätzliche Belastung des Bundeshaushaltes erfordert. Sie haben die Jahreszahl 2010 genannt. Natürlich haben wir die klassischen Finanzierungsinstrumente, die für ein Fernstraßenausbaugesetz und für Maßnahmen nach dem Bundesverkehrswegeplan ab einem Zeitraum X - nehmen wir einmal das Jahr 2010 oder das Jahr 2015 erforderlich sind. Ab dem Jahr 2010 oder 2015 werden die Maßnahmen, vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bundestages - man unterliegt der Jährlichkeit der Haushalte -, durchgeführt. Das geschieht aber ohne zusätzliche Tilgungsquote und ohne zusätzliche Zinsquote zu der entsprechenden Länderquote. Insofern ist dies ein erheblicher Unterschied, denn die Handlungsspielräume werden entsprechend der gemeinsamen Vereinbarung nur eingeschränkt. Als Berliner salopp gesagt: Sie wollen doch als Land diese Maßnahme nicht geschenkt bekommen. Die Haushaltsfinanzierung muss natürlich gesichert werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Straubinger, Ihr Fragerecht ist erschöpft. Wir kommen zur Frage 18 der Kollegin Blank: Ist die Bundesregierung bereit, dem vom Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank, EIB, Wolfgang Roth, vorgeschlagenen Finanzierungsmodell, bei dem die EIB bis zu 50 Prozent der noch notwendigen Investitionskosten von circa 600 Millionen DM durch ein zinsgünstiges langfristiges Darlehen mit bis zu 18 zins- und tilgungsfreien Jahren vorfinanziert, beizutreten und die dazu notwendigen 300 Millionen DM im Konzessionsmodell zur Verfügung zu stellen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident, ich bin in einer schwierigen Situation. Die Kollegin hat die gleiche Frage gestellt wie der Kollege Straubinger. Sie ist im Prinzip schon beantwortet worden. Ich kann nichts Neues hinzufügen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielleicht möchte die Kollegin Blank noch eine Zusatzfrage stellen.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist richtig, dass ich zwei Zusatzfragen stellen möchte. Herr Staatssekretär Diller, ist Ihnen bekannt, dass die neue Bundesregierung alles besser machen wollte und dass sie sich nach der Bemerkung des Kollegen Scheffler der Infrastrukturverantwortung entzieht, wenn Sie zum Beispiel einen Landesanteil aus Bayern, Rheinland-Pfalz oder anderen Ländern wollen? Ist dies ein Rückzug aus Ihrer Infrastrukturverantwortung? Sie haben zu der Arbeit der vorherigen Bundesregierung gesagt, dass sie die A 6 hätte fertig stellen sollen. Ist Ihnen bekannt, dass von der alten Bundesregierung die Baureife im Zusammenhang mit der A6 immer schnell realisiert wurde, sodass für die restlichen 54 Kilometer die Voraussetzungen nach dem Baurecht erfüllt sind?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Verehrte Frau Kollegin, ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass sich die Bundesregierung angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Möglichkeiten bemüht, das alles bis zum Jahre 2010 sicherzustellen. Wer also einen früheren Zeitpunkt will, der möge einmal darüber nachdenken, ob nicht der Weg gangbar wäre, den beispielsweise Rheinland-Pfalz seinerzeit beschritten hat, um zu einem früheren Abschluss des Baus der A 60 zu kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär Scheffler, bitte schön.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Blank, ich werde nachher noch die von Ihnen eingereichte Frage beantworten; aber vielleicht betrachten Sie dies als einen fließenden Übergang. Ich stimme dem Kollegen Diller vollinhaltlich zu, dass die alte Bundesregierung Gelegenheit gehabt hätte, die genannten Maßnahmen im Rahmen der Finanzierung der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan bzw. aus dem Fünfjahresplan vorzuziehen. Sie wissen, dass die Voraussetzungen aber erst seit Juli mit dem Baurecht für die Strecke Amberg-Ost-Pfreimd vorliegen, und zwar mit der Möglichkeit des sofortigen Vollzugs. Aber auch der sofortige Vollzug unterliegt der Jährlichkeit der Haushalte. Es gilt hier also wieder, wie der Berliner sagt: Ohne Moos nichts los. Insoweit geht es der neuen Bundesregierung wie der alten: Wenn die entsprechenden Mittel nicht im Haushalt ausgewiesen sind, kann nicht gebaut werden. Die Mittel für die von mir genannte Strecke konnten aber, wie gesagt, nicht in den Haushalt eingestellt werden, weil kein Planungsrecht bestand. Im Übrigen erinnere ich daran, Kollegin Blank, dass für den Abschnitt Woppenhof-Kaltenbaum noch ein Planfeststellungsverfahren bis voraussichtlich Mitte 2001 läuft. Neben Baurecht brauchen wir das Kriterium der sicheren Durchfinanzierung einer Strecke im Investitionsplan 1999 bis 2002. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass uns die alte Bundesregierung eine Bugwelle oder Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplans in Höhe von 80 bis 100 Milliarden DM hinterlassen hat. Demgegenüber hat jetzt der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Abstimmung mit dem Finanzminister - ich bin meinem Kollegen Karl Diller außerordentlich dankbar, dass er dem zugestimmt hat, obwohl er, wie wir gehört haben, weniger ein Lobbyist für Bayern als vielmehr für Rheinland-Pfalz ist - in das IPMittel für entsprechende Streckenabschnitte eingestellt und darüber hinaus aus der Reduzierung der globalen Minderausgabe, die immerhin 1,1 Milliarden DM ausmacht, für Bayern noch einmal circa 140 Millionen DM lockergemacht. Ihnen ist sicherlich der Brief des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen an den zuständigen bayerischen Staatsminister Beckstein bekannt, in dem es heißt, dass sowohl zur Verstärkung des in Bau befindlichen Abschnittes der A 6 als auch für einen Neubauabschnitt der A 6 der vom Kollegen Diller genannte Zehnjahreszeitraum von der Bundesregierung gesichert ist. Es entspricht übrigens auch der mündlichen Vereinbarung unserer Vorgängerregierung, dass die Strecke bis zur tschechischen Grenze in den nächsten zehn Jahren realisiert werden soll. Wir suchen hier natürlich gemeinsam, verehrte Kollegin Blank, nach neuen Möglichkeiten. Ohne dass bereits danach gefragt worden wäre - vielleicht wird diese Frage nachher noch gestellt -, sage ich, dass es dem Bundeskanzler, dem Finanzminister und dem zuständigen Fachminister mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland - Sie haben ihn vorhin angesprochen - ernst ist. Die Tatsache, dass sie gewillt sind, eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen, zeigt dies ganz deutlich, woParl. Staatssekretär Siegfried Scheffler hingegen Ihre frühere Regierung die Bereiche Forschung und Bildung ebenso wie den Infrastrukturbereich vernachlässigt hat. Sie haben zwar von Nord nach Süd sehr viele kleine Spatenstiche gemacht; aber die Finanzierung war nicht gesichert. Umso wichtiger ist unser Weg, durch die Zinseinsparungen aufgrund des Schuldenabbaus durch die Mittel aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen entsprechende Gelder zur Verfügung zu stellen. Die notwendigen Abstimmungen sind natürlich noch nicht abgeschlossen. Es ist aber klar, dass sich für den Zehnjahreszeitraum weitere Möglichkeiten ergeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Diller, wie stehen Sie heute zu den Anträgen der damaligen SPD-Opposition, dass die Tilgungsleistungen für Konzessionsmodelle nicht aus dem Haushaltsplan 12, sondern aus dem Haushaltsplan 32 erfolgen sollten? Oder sind Ihnen diese Anträge nicht bekannt?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Diesen Antrag möchte ich gerne erst einmal sehen.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einverstanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Girisch.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Herren Staatssekretäre, Sie merken, dass wir Sie zu diesem Thema sehr intensiv befragen. Wir tun dies deshalb, weil wir erstens davon überzeugt sind, dass eine besondere Dringlichkeit besteht, und weil wir zweitens der Meinung sind, Sie müssten wissen, dass wir täglich oder mindestens einmal in der Woche über unsere SPD-Kollegen in der Zeitung lesen, dass sie sich in Berlin massiv für zusätzliches Geld einsetzen. Jetzt höre ich von Ihnen beiden immer wieder: Vor 2010 wird die A 6 zwischen Amberg-Ost und Waidhaus nicht fertig. Glauben Sie, dass man aufgrund der Dringlichkeit - auch wegen eines Besuchs des Herrn Bundeskanzlers - eine Finanzierung zustande bringt, die eine schnellere Fertigstellung als bis zum Jahr 2010 ermöglicht?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Auch ich führe gelegentlich mit Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis Diskussionen darüber, welche Bedeutung der vordringliche Bedarf in der Realität hat. Einer der den Bürgerinnen und Bürgern schwer vermittelbaren Gesichtspunkte ist - ich hoffe, die Vermittlung gelingt wenigstens bei Ihnen -: Um sich überhaupt um die Finanzierung zu kümmern, ist nicht ein Planfeststellungsbeschluss Voraussetzung, sondern ein nicht mehr beklagbares Baurecht. Wenn ich Sie jetzt frage: „Haben wir schon für sämtliche 54 Kilometer nicht mehr beklagbares Baurecht?“, dann werden auch Sie mir antworten: Nein. Deswegen wäre es absolut unverantwortlich, Ihnen heute ein festes Datum für die Übergabe der gesamten Strecke zu nennen. Wir wissen überhaupt nicht, wann wir für die noch beklagbaren Entscheidungen im Planfeststellungsverfahren tatsächliches Baurecht bekommen. Wenn sich abzeichnet, dass die Voraussetzungen nach dem Baurecht vorliegen, dann wird es in der Tat Zeit, sich um die Finanzierung zu kümmern. Das wollen wir dann gerne tun. Der Zeithorizont ist Ihnen genannt worden. Ich habe für die Bundesregierung erklärt, dass sie Ihre Auffassung der nationalen und internationalen Bedeutung der A 6 teilt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung - die Fragen 19, 20, 21 und 22 sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, bei dem wir uns schon eben teilweise aufgehalten haben. Herr Staatssekretär Scheffler steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 23 der Kollegin Blank ist eigentlich schon mehrfach beantwortet worden. Ich weiß nicht, ob Sie Wert darauf legen, dass wir die Antwort noch einmal hören. ({0}) - Sie wollen sie noch einmal hören. Dann rufe ich die Frage 23 der Kollegin Blank auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur zeitnahen Fertigstellung des fehlenden 54 Kilometer langen Teilstücks beim wichtigen Infrastrukturprojekt Autobahn A 6 in Richtung Tschechische Republik? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Sehr geehrte Frau Kollegin Blank, diese Frage ist in der Vergangenheit schon mehrfach behandelt worden. Wir können daraus auch eine zweistündige Debatte machen. Herr Präsident, gestatten Sie eine Vorbemerkung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, da wir dieses Thema schon mehrfach behandelt haben, bitte ich Sie, sich bei der Beantwortung kurz zu fassen.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Werte Kollegin Blank, Sie wissen, dass ich von Freitag bis Sonntag voriger Woche in Lindau am Bodensee, Ingolstadt, Donauwörth und in anderen Städten, Kommunen und Gemeinden, die auch hoch belastet sind und in denen fehlende Ortsumgehungen und fehlende Lückenschlüsse bei den Bundesfernstraßen zu beklagen sind, parteiübergreifend Gespräche geführt habe. Dort sagte man: Es gibt abseits der A 6 auch noch Kommunen und Gemeinden, und es kann nicht sein, liebe Bundesregierung, dass euer ganzes Geld in die A 6 fließt. - Ich möchte daran erinnern, dass für den Abschnitt der A 6 in Baden-Württemberg rund 50 Millionen DM im Investitionsprogramm vorgesehen sind. Nun zur Beantwortung Ihrer Frage, die sowohl vom Kollegen Diller als auch von mir an sich schon beantwortet wurde: Entsprechend der Bedeutung, die die Bundesregierung dem Teilstück Amberg-Ost-Waidhaus der A 6 - das ist die Bundesgrenze - sowohl im nationalen als auch im europäischen Autobahnnetz beimisst, verfolgt sie wie ihre Vorgängerin konsequent deren kontinuierlichen Ausbau. Priorität hat dabei der Abschnitt von Pfreimd im Bereich der A 93 zur Bundesgrenze nach Waidhaus aufgrund der Vereinbarung mit der tschechischen Regierung, die D 5 von Prag über Pilsen nach Waidhaus baldmöglichst an das deutsche Autobahnnetz anzubinden. Hierfür wird die durchgehende Fertigstellung innerhalb der nächsten zehn Jahre angestrebt. Erleichternd wirkt sich hier die Entscheidung des Bundeskabinetts zum Bundeshaushalt 2001 und zur Finanzplanung bis 2004 vom 21. Juni dieses Jahres aus, die Mittel für den Bundesfernstraßenbau in den kommenden Jahren gegenüber der bisherigen, dem Investitionsprogramm 1999 bis 2002 zugrunde liegenden Finanzplanung zu erhöhen. Ob eine Finanzierung für das Schlussstück, den Abschnitt zwischen Amberg-Ost und Pfreimd im Bereich der A 93, nach einer Bestätigung des vordringlichen Bedarfs im Rahmen der Novellierung des Fernstraßenausbaugesetzes innerhalb dieses Zeitraums möglich ist, kann gegenwärtig nicht gesagt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Frau Blank, jetzt bitte ich darum, die Geduld der Kolleginnen und Kollegen nicht zu missbrauchen. Das Thema ist eigentlich abgehandelt. Bitte schön.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, erlauben Sie mir bitte als Parlamentarierin die Anmerkung, dass es nicht kritikwürdig ist, ob, wie oft, wie lange Parlamentarier eine Frage stellen und ob sie dieses Thema jede Woche aufgreifen. Herr Staatssekretär, ich verbitte mir das. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass wir hier Fragen, die die Bevölkerung vor Ort interessieren, jederzeit stellen können. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Blank, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage lautet: Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, dass für die Fertigstellung dieses wichtigen Stücks der A 6, die Verbindung von Nürnberg nach Prag, eventuell durch den Bundeskanzler, wenn er in die Oberpfalz kommt, eine Zusage erteilt wird?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Ich beteilige mich hier nicht an Spekulationen. Ich weiß nicht, was der Bundeskanzler vor Ort zusagt. Ich weiß aber, dass in Abstimmung zwischen Bundeskanzler, Finanzminister und auch Minister Klimmt - ich sagte das bereits - aus den Zinseinsparungen aufgrund des Schuldenabbaus durch die Mittel aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen zusätzliche Gelder gerade für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Form einer Verstärkung der Bahnstrecken - das in erheblichem Maße -, der Straßen und sicher auch der Wasserstraßen bereitgestellt werden. Dann gilt es, in Abstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung zur A 6 Stellung zu nehmen. Im Übrigen, werte Kollegin Blank, darf ich wiederholen, dass im Schreiben des Bundesverkehrsministers an Staatsminister Beckstein schon vorgeschlagen wurde, für die Verstärkung der im Bau befindlichen Abschnitte der A 6 bzw. für den Abschnitt der A 6, der noch nicht neu begonnen wurde, finanzielle Mittel aus der globalen Minderausgabe bereitzustellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 24 des Kollegen Helmut Heiderich: In welchem Jahr bzw. in welchem konkreten Zeitraum wird die Bundesregierung in der Lage sein, von den Ländern angemeldete Straßenbaumaßnahmen nach Dringlichkeit, Kostenvolumen und, ausreichende Landesplanung vorausgesetzt, Verwirklichungsjahr auszuweisen, vor dem Hintergrund ihrer Erklärung, sie wolle den Bundesverkehrswegeplan nach von ihr noch festzulegenden Gesichtspunkten neu erstellen?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Heiderich, die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Bundesverkehrswegeplan 1992 zügig zu überarbeiten. Viele der einzelnen Arbeitsschritte bauen aufeinander auf. Der Zeitbedarf für eine langfristige Netzkonzeption der DB AG lässt eine abschließende Festlegung bezüglich der Fertigstellung des Bundesverkehrswegeplans noch nicht zu. Es kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass es im Ergebnis zu Verzögerungen gegenüber dem ursprünglich geplanten Zeitbedarf kommt. Aufgrund des vorgelegten Investitionsprogramms 1999 bis 2002 hat dies keine Auswirkung auf die notwendige Kontinuität der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Der überarbeitete Bundesverkehrswegeplan soll nach Maßgabe des voraussichtlich verfügbaren Finanzrahmens alle Maßnahmen enthalten, die innerhalb des Geltungszeitraums des neuen Bundesverkehrswegeplans verwirklicht werden sollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Heiderich.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich darf fragen, ob Sie schon Kenntnis haben, wann die grundsätzlichen Kriterien verfügbar sein werden, nach denen Sie die angemeldeten Maßnahmen beurteilen und einstufen wollen.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Wir hatten zum Beispiel heute im Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen eine Anhörung dazu, wie es mit der Bahnreform bzw. dem Schienenverkehr insgesamt weitergehen soll. Die DB AG hat ihre strategischen Überlegungen, ob im Personenfernverkehr, im Regionalverkehr oder auch im Güterverkehr, noch nicht abgeschlossen. Insofern kann ich Ihnen heute nicht sagen, wann die entsprechenden Ergebnisse an die Bundesregierung weitergegeben werden. Aber Sie werden mir sicher zustimmen, dass ein überarbeiteter Bundesverkehrswegeplan ohne die neuen Planungen hinsichtlich der Schiene völlig unrealistisch wäre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Herr Heiderich?

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte auf Ihre eben gemachte Anmerkung zurückkommen. Sehen auch Sie es so, dass die verfügbaren Finanzmittel, die Sie für die Finanzierung des Programms 1999 bis 2002 brauchen, noch bis etwa in das Jahr 2007 hinein so weit gebunden sein werden, dass in dieser Zeit keine neuen Straßenbaumaßnahmen, jedenfalls nicht in größerem Umfang, vollzogen werden können? ({0})

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Dem stimme ich nicht zu. Ich stimme jedoch zu, dass die neue Bundesregierung durch die Unterfinanzierung des alten Bundesverkehrswegeplanes in Höhe von 80 bis 100 Milliarden DM gezwungen war, hier ein Investitionsprogramm 1999 bis 2002 aufzulegen, und dass sie sich natürlich Gedanken gemacht hat, wie der Infrastrukturnachholebedarf künftig zu finanzieren ist. Deshalb setzen wir zur Finanzierung des Engpassbeseitigungsprogramms, des Anti-Stau-Programms, ab dem Jahre 2003 mit einer Laufzeit bis zum Jahre 2007 die streckenbezogene LKW-Gebühr neben der klassischen Haushaltsfinanzierung an die erste Stelle. Ferner setzen wir zusätzlich 1,1 Milliarden DM im Zeitraum des Investitionsprogramms ein, die durch die Reduzierung der globalen Minderausgabe frei werden. Daran erkennen Sie das Bemühen der Bundesregierung - nicht nur unseres Hauses -, hier mehr als die Vorgängerregierung für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu tun.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Helmut Heiderich auf: Werden die im Rahmen der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes 1992 erarbeiteten Unterlagen - zum Beispiel Umweltverträglichkeitsprüfungen - für die Einstufung von Maßnahmen im neuen Bundesverkehrswegeplan als „vordringlich“ und „Neubau“ in Hessen wie zum Beispiel auch bei der Umgehungsstraße Rotenburg/Lispenhausen an der B 83 neu erarbeitet werden müssen und wird die Bundesregierung gegebenenfalls die hessische Landesregierung zur Vorlage dieser Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Heiderich, es ist vorgesehen, dass die Dringlichkeit für alle noch nicht realisierten und noch nicht im Bau befindlichen Projekte neu festgestellt wird. Dabei wird in der Regel eine erneute gesamtwirtschaftliche Bewertung mit einer neuen Nutzen-Kosten-Betrachtung durchgeführt. Hierbei werden aktualisierte Kostenangaben, Verkehrsdaten und Prognosen zugrunde gelegt werden. Die für die gemeldeten Maßnahmen benötigten Daten zur Aktualisierung der Kosten- und Planungsdaten wurden dem BMVBW inzwischen von der hessischen Landesregierung zur Verfügung gestellt. Die Ortsumgehung B 83 Rotenburg/Lispenhausen ist im aktuellen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen im „weiteren Bedarf“ enthalten. Die B 83 Rotenburg/Lispenhausen gehört zu den vom Land gemeldeten Maßnahmen für die anstehende Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes und Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen und wird erneut bewertet. Die 1995 abgeschlossene Umweltverträglichkeitsstudie wird, soweit erforderlich, zur ökologischen Beurteilung der Maßnahmen im Rahmen der Arbeiten zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes herangezogen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage?

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass die Kostenschätzungen nicht einfach nur um einen Faktor fortgeschrieben werden, der sich aus der zeitlichen Verzögerung ergibt, sondern dass die entsprechenden Zahlen auf Basis heutiger Technik und der heutigen Wettbewerbssituation völlig neu ermittelt werden?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Sie haben Recht. Ich will das an einem aktuellen Beispiel erläutern. Im Falle der von Ihnen angeführten Bundesstraße besteht die Chance, dass diese Maßnahme gegebenenfalls auf der Grundlage aktueller Verkehrs- und Kostendaten und eines dadurch bedingten besseren Nutzen-KostenVerhältnisses - ich will hier nicht spekulieren - vom weiteren Bedarf in den vordringlichen Bedarf eingestuft wird, sofern die hessische Landesregierung bzw. der Deutsche Bundestag, der über den Bedarfsplan entscheidet, zustimmen. Vorher hätte es keine Chance gegeben - die Realisierung dieser Maßnahme wäre aufgrund der unter der Vorgängerregierung vorgenommenen Einstufung in den weiteren Bedarf nach hinten gerutscht -, dass diese Straße in absehbarer Zeit gebaut worden wäre.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine zweite Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben die Einstufung angesprochen. Das Land Hessen hat meines Wissens die Einstufung in den vordringlichen Bedarf beantragt. Ich darf fragen, wie sich diese zukünftige Einstufung von der bisherigen Einstufung des alten Bundesverkehrswegeplanes unterscheiden wird? Oder wird es bei der alten Einstufung bleiben?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Die hessische Landesregierung hat die Einstufung dieser Maßnahme in den vordringlichen Bedarf beantragt, wozu zunächst im Rahmen der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes eine neue Bewertung und damit die Überprüfung der Möglichkeit einer eventuellen Einstufung in den vordringlichen Bedarf erforderlich sind. Das ist ein Unterschied. Ich könnte Ihnen mit Blick auf die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes die neuen Daten nennen, die sich von den Daten der alten Bundesregierung unterscheiden. Der Umweltgesichtspunkt, also der ökologische und der raumordnerische Gedanke, aber auch der städtebauliche Effekt spielen bei der Neubewertung eine stärkere Rolle als bisher. Die Bewertung erfolgt nämlich nach den neuesten Kriterien.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen Dr. Gerd Müller auf: Wie stellt der Bund sicher, dass die Deutsche Bahn AG ({0}) auch in Zukunft dem grundgesetzlichen Auftrag gerecht wird, auch ländliche Regionen an das Fernverkehrsnetz der DB AG anzubinden?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Herr Kollege Müller, nach Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes gilt: Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Für den Infrastrukturbereich ist die Konkretisierung durch das Schienenwegeausbaugesetz erfolgt. Danach finanziert der Bund im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes. Die Investitionen umfassen Bau, Ausbau sowie Ersatzinvestitionen. Die Gestaltung der Schienenfernverkehrsangebote der DB AG gehört seit der Bahnreform zum ausschließlich eigenverantwortlichen unternehmerischen Bereich der nach dem Aktiengesetz arbeitenden Gesellschaft. Es ist Aufgabe des Unternehmens selbst, das Angebot daraufhin zu beobachten, wie es vom Markt angenommen wird, und entsprechende Anpassungen an die Nachfrage vorzunehmen. Hierzu gehört auch die Einführung von neuen Fernverkehrsangeboten auf bestimmten Strecken und die Aufgabe von Leistung bei ungenügender Nachfrage. Der Bund kommt dem grundgesetzlichen Auftrag durch die Bereitstellung von Investitionshilfen für das Netz nach, die gleichzeitig die DB AG in die Lage versetzen, auf dieser Basis das nach dem Grundgesetz erforderliche Angebot zu realisieren. Er wird sein finanzielles Engagement für den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes künftig noch weiter verstärken.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Müller.

Dr. Gerd Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, darf ich vielleicht eine Vorbemerkung machen und mich dann auf eine Zusatzfrage beschränken? Es macht den Kolleginnen und Kollegen zunehmend Probleme, Fragen zu stellen - die Bundestagsverwaltung lehnt diese ab -, die im Zusammenhang mit der Politik der Bahn stehen. Die Bahn ist eine hundertprozentige Tochter des Bundes. Sie ist aber selber nicht imstande, wichtige Anfragen bezüglich der inneren Organisation und der dortigen Zustände zu beantworten. Es gibt also keine Kontroll- und Nachfragemöglichkeiten mehr. Man sollte dieses Thema einmal fraktionsübergreifend im Ältestenrat behandeln. Konkrete Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, HofOberstdorf und Ulm-Lindau sind nur zwei Beispiele für die Streichorgie der Bahn im Fernverkehr. Die Bahn zieht sich über das ganze Land hinweg aus dem Fernverkehr zurück - ich nenne die Streichung von Interregios - und übereignet die Bedienung an die Länder, ohne dass dafür vom Bund entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt werden. Dies widerspricht dem grundgesetzlichen Auftrag, nicht nur die Ballungszentren, sondern auch die ländlichen Regionen zu bedienen. Was unternimmt der Bund im Aufsichtsrat der Bahn AG, um dieser Politik, die gegen die Fläche, gegen die ländlichen Regionen gerichtet ist, entgegenzuwirken? ({0})

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Zunächst ist festzustellen: Für den Infrastrukturbereich ist ja durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz eine Konkretisierung erfolgt. Danach finanziert der Bund im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes. Diese umfassen, wie ich bereits ausgeführt habe, Bau, Ausbau und Ersatzinvestitionen. Damit keine Ausdünnung erfolgt, ist durch die Bundesregierung das so genannte investive Zukunftspaket Schiene auf den Weg gebracht worden, mit dem wir dem Schienenverkehr insgesamt, aber insbesondere auch dem Schienenfernverkehr eine Zukunftsperspektive eröffnen wollen, damit trotz begrenzter Finanzmittel - ich möchte jetzt nicht wieder auf den Zeitraum von vor 1998 zurückkommen - mehr als bisher investiert werden kann und die DB AG ihr Netz beibehalten kann. Dabei sind nicht die gefahrenen Zugkilometer entscheidend. Vielmehr ist von Bedeutung, wie wir mehr Kunden, also mehr Personen bzw. mehr Güter, auf die Schiene bekommen. Deshalb hat die Bundesregierung das Zukunftspaket Schiene, das in den nächsten zehn bis 15 Jahren umgesetzt werden soll, auf den Weg gebracht, durch das der DB AG voraussichtlich 2 bis 2,5 Milliarden DM jährlich zur Verfügung gestellt werden können.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Wiese.

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die Steigerung der Attraktivität der Bahn im ländlichen Raum auch dadurch erfolgen kann, dass das Netz leistungsfähig ausgebaut wird? Ich möchte genau die Strecke ansprechen, die mein Kollege Müller gerade erwähnt hat, die Strecke von Ulm nach Lindau, die so genannte Südbahn. Das Land Baden-Württemberg bemüht sich seit Jahren darum, die Südbahn zu elektrifizieren. Bei der Südbahn handelt es sich um die letzte Strecke zwischen Hamburg und Rom, die mit Dieselloks betrieben wird; man muss sich das einmal vorstellen. Wir wollen diese Strecke im Hinblick auf die internationale Anbindung leistungsfähiger machen. Das Land Baden-Württemberg hat 40 Millionen DM zur Mitfinanzierung angeboten. Die Steigerung der Attraktivität in diesem Bereich könnte dazu führen, dass eine Ausdünnung des Netzes im ländlichen Raum nicht erfolgt und dass die Nutzung von Interregiozügen wieder attraktiv sein könnte.

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Bei der Beantwortung der ersten Frage in diesem Zusammenhang sagte ich, dass die DB AG ihr künftiges Konzept noch nicht abschließend erarbeitet hat. Sie heben vielleicht auf das neue Konzept MORA ab, über das in den nächsten Monaten eine Entscheidung getroffen wird. Für den Bund besteht gemäß EWG-Verordnung 1191/69 die Verpflichtung der Sicherstellung eines dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Verkehrsangebotes. Aber das Ziel des Gewährleistungsauftrages, der vorhin angesprochen worden ist, nämlich das Wohl der Allgemeinheit, orientiert sich an den tatsächlichen Verkehrsbedürfnissen. Insofern kann ich von hier aus nicht konkret beantworten, ob die Strecke Lindau-Ulm letztendlich dem jetzigen Verkehrsbedürfnis entspricht. Ich möchte noch einmal kurz auf die Vorbemerkung des Kollegen Dr. Müller eingehen: Wenn schriftliche Fragen an die Bundesregierung gestellt werden, die die DB AG betreffen, dann werden wir - ich denke, das ist parteiübergreifend so - die Stellungnahme der DB AG einholen und Ihnen nicht nur die Positionen der Bundesregierung, sondern auch die Stellungnahme der DB AG - auch die zu bestimmten Strecken - darlegen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich lasse jetzt noch eine Zusatzfrage des Kollegen Schauerte zu.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihr wiederholter Verweis darauf, dass Sie noch nichts sagen können, weil die Bahn ihr Konzept noch nicht vorgelegt habe, veranlasst mich zu einer Bemerkung und einer daran anschließenden Frage. Es ist ja erstaunlich, dass wir nach Überschreiten der Halbzeit dieser Legislaturperiode erkennen müssen, dass Sie im Umgang mit der Bahn und ihren Konzepten noch nichts vorweisen können. Um dazu beizutragen, dass diese Zeit des Abwartens, die ja schädlich ist für Deutschland, verkürzt wird, frage ich: Wann rechnen Sie denn damit, dass die Deutsche Bahn Ihnen ein Konzept vorlegt, bzw. was können Sie tun, damit die Bahn das möglichst bald tut?

Siegfried Scheffler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001952

Hier geht es nicht nur um Konzepte, sondern um mit Bund und Ländern abgestimmte Strecken, die in einem zukünftigen Bundesverkehrswegeplan der verkehrlichen Entwicklung - man denke nur an die Öffnung in Richtung Osteuropa bis zum Jahre 2015 Rechnung tragen müssen. Insofern sind wir auch abhängig von der DB AG. Sie haben das Stichwort Halbzeit genannt. Ich könnte Ihnen natürlich aufzählen, was alles schon erreicht wurde. So ist die Abstimmung mit den Ländern bei den Straßen und bei den Wasserstrassen erfolgt und ein Konzept für die Luftfahrt vorgelegt worden. Die Koalitionspartner sind in der Tat angetreten, um in enger Abstimmung mit der DB AG ein entsprechendes Konzept für die Schiene zu realisieren. Aber ich muss schon darauf verweisen, dass dies anfangs auch wegen des Vorgängers, den Sie eingesetzt haben, problematisch war. Erst heute wieder haben wir im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eine Anhörung mit dem Thema „Wo geht die Bahn hin? - Bilanz der Bahnreform“ durchgeführt. Wir gehen davon aus, dass uns die DB AG noch in diesem Jahr ein Konzept vorlegt. ({0}) Die einjährige Verzögerung hat aber natürlich Konsequenzen auf die Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wir sind am Ende der Fragestunde. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Sitzung des Bundestages nicht zu unterbrechen, sondern sogleich in die Aktuelle Stunde überzuleiten. Ich rufe also den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Unterschiedliche Vorschläge aus der Koalition, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung kurzfristig abzusenken Ich gebe zunächst für die antragstellende Fraktion dem Kollegen Hans-Joachim Fuchtel das Wort.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat schon bei der Haushaltsdebatte die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen und gefordert. In der Zwischenzeit stoßen auch Kollegen der Grünen in dieses Horn. Selbst die Gewerkschaften haben sich entsprechend geäußert. Frau Engelen-Kefer ist, was das politische Spektrum angeht, ja wirklich nicht unsere Freundin. Wenn aber selbst diese Dame, deren Äußerungen wir ansonsten wirklich kritisch betrachten, davon spricht, die Regierung solle ihre Verschiebebahnhöfe aufgeben, ({0}) dann zeigt dies, wie weit es gekommen ist. So etwas haben wir bisher noch nicht erleben dürfen. ({1}) Es gibt etliche sachliche Gründe, warum eine solche Absenkung zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist: Erstens. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. ({2}) Zweitens. Die Bundesregierung hält mit ihren Haushaltsansätzen für das nächste Jahr die Ausgaben künstlich hoch, indem sie Verlagerungen aus dem Bundeshaushalt hin zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vornimmt. Drittens. Die Bundesanstalt für Arbeit hat mit nunmehr 12,5 Milliarden DM Außenstände in Rekordhöhe. ({3}) Viertens. Wenn die Zahl der Arbeitslosen sinkt, kann man mit Fug und Recht verlangen, dass auch die Bundesanstalt schlanker wird und Einsparungen bei ihr vorgenommen werden. Meine Damen und Herren, daraus ergibt sich bei solider Berechnung ein Spielraum von 16,5 Milliarden DM. Zieht man die Gewerkschaftsunterlagen heran, so wächst der Spielraum auf 20 Milliarden DM. Deswegen ist es angezeigt, die Absenkung jetzt vorzunehmen. Ich sage hier ganz deutlich, dass das überhaupt nichts mit Leistungseinschränkungen zu tun hat. ({4}) Der Herr Staatssekretär wird sicher gleich hier das Gegenteil behaupten; deswegen muss ich ihm noch etwas vorrechnen. Erstens. Wir schlagen vor, die Absenkung im Jahre 2001 von 6,5 auf 6 Beitragspunkte vorzunehmen. Das macht 7 Milliarden DM aus. Zweitens. Wenn die Entwicklung es zulässt, sollte im Jahre 2002 eine weitere Absenkung um 0,5 Beitragspunkte vorgenommen werden. Das würde weitere 7 Milliarden DM ausmachen, die wir an die Beitragszahler zurückgeben könnten. Das ist auch gerechtfertigt. ({5}) Wenn wir ein Polster in Höhe von 16,5 Milliarden DM haben und 7 Milliarden DM an die Beitragszahler zurückgeben, befinden wir uns immer noch in der Situation, dass wir allen Risiken begegnen können. ({6}) So pfleglich ist die frühere Opposition mit uns in der Regierungszeit von Helmut Kohl nicht umgegangen. Deswegen ist es ganz eindeutig: Wir müssen die Sache jetzt in Angriff nehmen, und Sie als Gewerkschaftler sollten vielleicht einmal Frau Engelen-Kefer Gehör schenken; denn diese Dame denkt in diesem Punkt offensichtlich weiter als Sie. Wenn wir pro 100 000 Arbeitslose weniger 3 Milliarden DM veranschlagen, dann ergibt das bei prognostizierten 320 000 Arbeitslosen weniger nach Adam Riese eine Bruttoentlastung in Höhe von 9,6 Milliarden DM. ({7}) Im Jahre 2000 wird der Arbeitsminister 3 Milliarden DM als Zuschuss brauchen. Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, hat man im nächsten Jahr 6,6 Milliarden DM zur Verfügung. Wenn Sie sich jetzt vergegenwärtigen, dass 0,5 Beitragspunkte 7 Milliarden DM ausmachen, ist schon allein aus diesem Grunde eine Beitragssenkung möglich. ({8}) Hinzu kommen noch die Punkte, die ich gerade schon genannt habe. ({9}) Diese Zahlen sind realistisch und wir sollten den gezeichneten Weg gehen. Wir sollten ihn auch deshalb gehen, weil wir den Beitragszahlern weiterhin ins Auge schauen wollen. Die Beitragszahler wurden seit der deutschen Einheit ganz schön belastet. Jetzt haben wir die Möglichkeit, sie zu entlasten, und wir sollten die Chance nutzen und die Entscheidung nicht auf das Wahljahr verschieben. Deswegen kommt unser Vorschlag heute. ({10}) - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So schnell wie möglich!) Wir hoffen, dass wir uns im Interesse der Menschen auf ein gutes Ergebnis einigen können. ({11}) Vizepräsident Rudolf Seiters

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Bundesregierung spricht der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Gerd Andres. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst festhalten: Diese Aktuelle Stunde ist das Eingeständnis von CDU und CSU, dass sie die Erfolge der Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik wahrnehmen und anerkennen. Darüber freuen wir uns. Vielen Dank dafür. ({0}) Ich bezweifle aber, dass die Union in der Frage der Beitragssenkung und des Schuldenabbaus ein guter Ratgeber ist. ({1}) Wenn ich auf die Entwicklung der Beitragssätze und des Bundeszuschusses zu Zeiten der Regierung Kohl schaue, muss ich feststellen, dass weder die Interessen der Beitragszahler noch die der Arbeitsämter bei Ihnen in guten Händen waren. Die Entwicklung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung war zu Ihrer Zeit ein fröhliches Rauf und Runter. Meistens ging es rauf und nur selten runter. ({2}) So haben Sie 1991 den Beitragssatz um satte 2,5 Prozent auf 6,8 Prozent erhöht. 1993 wollten Sie trotz saftiger Beitragserhöhungen den Haushalt der Arbeitsämter ohne Bundeszuschuss ausgleichen. Der Bundeszuschuss belief sich zum Jahresende 1993 auf über 24 Milliarden DM. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in Ihrer Regierungszeit den Defizit-, Beitrags- und Arbeitslosenrekord aufgestellt. ({3}) Damit sind Sie dreifacher Rekordhalter. Das muss hier festgehalten werden. ({4}) Die Union sollte auch ihre Strategie in der Arbeitsmarktdebatte überdenken. ({5}) Letztes Jahr hat die CDU/CSU-Fraktion - hören Sie gut zu, Herr Laumann, zu Ihnen komme ich auch noch ({6}) beantragt, den Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu senken. Ein Jahr später kommt der Kollege Andreas Storm - nach Presseberichten - zu der Erkenntnis, dass es nicht sinnvoll zu begründen sei, warum der Zuschuss gegen Null laufen solle. - Sie reden nachher noch und können etwas dazu sagen. Im Übrigen finde ich, dass auch die Fraktion der F.D.P. keinen Anlass zur Schadenfreude hat. Sie hat im letzten Jahr den gleichen Antrag gestellt. ({7}) Meine Damen und Herren, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, hat letzte Woche die niedrigste Arbeitslosenquote in einem September seit 1993 verkündet. Eine Arbeitslosenquote von 9 Prozent ist sicher noch viel zu hoch. Vor allem im Osten sind wir noch lange nicht am Ziel. ({8}) Aber die Zahlen beweisen, dass unsere Reformpolitik angeschlagen hat. Dies ermutigt uns, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen. ({9}) Nur so kommen wir endlich von den Rekordständen bei den Arbeitslosenzahlen herunter, die uns die Kohl-Regierung hinterlassen hat. ({10}) Natürlich freuen wir uns, dass die gute Wirtschaftsund Arbeitsmarktentwicklung Anlass gibt, über eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu diskutieren. All diejenigen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, sollen von den Erfolgen der Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik nicht nur monatlich in den Medien hören oder lesen; sie sollen sie auch im Portemonnaie spüren können. ({11}) Deshalb ist die Bundesregierung dafür, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung so schnell wie möglich zu senken. ({12}) Aber wir dürfen die richtigen Debatten nicht zum falschen Zeitpunkt führen. Eine Beitragssatzsenkung im nächsten Jahr können wir uns einfach noch nicht leisten. ({13}) Herr Fuchtel, Sie sind ja Haushälter und bilden sich ein, rechnen zu können. ({14}) Ihnen sage ich ganz offen: Bei einem Gesamtetat der Bundesanstalt für Arbeit von rund 100 Milliarden DM über Polster in Höhe von 16,5 Milliarden DM bis gar 20 Milliarden DM zu philosophieren - das wären 20 Prozent der Gesamtausgaben - ist völlig absurd; lassen Sie sich das einmal sagen. ({15}) Wenn wir jetzt vorschnell handeln, gefährden wir nur unsere erfolgreiche Reformpolitik, die letztlich auch für den Arbeitsmarkt ganz wichtig ist. Wir können die Beiträge auch schon deshalb nicht schnell senken, weil die Regierung Kohl unbezahlte Rechnungen hinterlassen hat. Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres entschieden, dass Einmalzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld in die Bemessungsgrundlage von Arbeitslosengeld einzubeziehen sind. Die alte Bundesregierung hatte sich in der Vergangenheit stets geweigert, Beiträge aus Einmalzahlungen auch auf der Leistungsseite zu berücksichtigen. Das ist ein Kapitel, das ich mit Ihnen, Herr Laumann, und ein paar anderen Kollegen zu besprechen habe. Wir haben Ihnen in Hearings und Debatten vorhergesagt, was kommt. Sie aber haben die Ohren auf Durchzug gestellt und eine gesetzliche Regelung geschaffen, deren Folgen wir jetzt leider ausbaden müssen. ({16}) - Weil wir auf das Urteil gewartet haben. ({17}) - Langsam. Wir haben das Urteil begrüßt und setzen es zügig um - im Gegensatz zu Ihnen. Sie haben doch nur weiße Salbe darauf geschmiert. Auch Sie hatten ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. ({18}) Es stellt ein Stück sozialer Gerechtigkeit wieder her. Allerdings sind die finanziellen Konsequenzen aus dem Einmalzahlungs-Urteil gravierend und belasten den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr mit etwa 2,4 Milliarden DM und im kommenden Jahr mit rund 3,7 Milliarden DM. Diese Entscheidung ist ein Beispiel dafür, wie die Regierung Kohl durch eine unverantwortliche Sozial- und Finanzpolitik den Arbeitsämtern erhebliche Hypotheken aufgeladen hat. Sie trägt damit ein gerüttelt Maß Mitverantwortung daran, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach noch nicht möglich ist, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. ({19}) Die Entscheidung zu den Einmalzahlungen war im Übrigen nicht die erste Entscheidung aus Karlsruhe, aufgrund derer diese Bundesregierung für verfassungswidriges Handeln der früheren Bundesregierung geradestehen muss. Die gute wirtschaftliche Entwicklung und der Rückgang der Arbeitslosigkeit machen es möglich, dass die Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr voraussichtlich ohne Bundeszuschuss auskommt. ({20}) Das ist ein Erfolg, auf den wir stolz sind, den wir aber auch nicht gefährden dürfen. Der Vorwurf, wir würden den Zuschuss zusammenstreichen, ist völliger Unsinn. Der Bund muss nur dann einen Zuschuss leisten - das wissen Herr Fuchtel, die Union und auch die F.D.P. nur zu genau -, wenn bei den Arbeitsämtern ein Defizit anfällt. Wegen der sinkenden Arbeitslosenzahlen werden nach den jetzigen Schätzungen beim Arbeitslosengeld deutlich geringere Ausgaben anfallen. ({21}) Ein Bundeszuschuss wird nicht nötig sein. Damit hat die Selbstverwaltung der Bundesanstalt seit langer Zeit wieder die Möglichkeit, aus eigener Kraft einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Herr Fuchtel, damit Sie sich auch dies merken: Das ist seit 1987 das erste Mal wieder der Fall. Von 1987 bis 1998 hatten Sie die Verantwortung, auch für die Bundesanstalt für Arbeit. Sie waren die ganze Zeit nicht in der Lage, für diese Bundesanstalt einen ausgeglichenen Haushalt auf die Beine zu stellen. Auch das, finde ich, ist ein wichtiger Tatbestand. Auch ohne Bundeszuschuss werden die Mittel der Arbeitsämter ausreichen, um die Arbeitsmarktpolitik weiterhin auf hohem Niveau zu verstetigen. Die Regierung Kohl hat bei jedem noch so leichten Rückgang der Arbeitsmarktzahlen die Arbeitsmarktpolitik zusammengehauen. ({22}) Diesen Fehler werden wir nicht machen. Wir werden Ihre Politik nicht wiederholen. Diese Bundesregierung setzt unverändert deutlich andere Akzente in der Arbeitsmarktpolitik. Ich will nur einige Beispiele nennen. Wir schichten von den passiven zu den aktiven Leistungen um. ({23}) Es ist besser, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Mit unserem Jugendsofortprogramm haben wir ein deutParl. Staatssekretär Gerd Andres liches Signal gegen den Skandal gesetzt, dass vielen jungen Menschen schon der Start in das Berufsleben kaputtgemacht wird. ({24}) Mit der Neuregelung des Schlechtwettergeldes haben wir die witterungsbedingte Arbeitslosigkeit am Bau reduziert. ({25}) Die Fortentwicklung der Altersteilzeit trägt dazu bei, weitere Arbeitsplätze auch mit jüngeren Menschen besetzen zu können. Unser Gesetz zum Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter wird eine besonders benachteiligte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt stärken. ({26}) Ich könnte das noch entsprechend fortsetzen. Allen hier im Hause unterstelle ich einfach, dass sie bei etwas gutem Willen erkennen können, dass wir mit einer Senkung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung unsere erfolgreiche Politik gefährden würden. ({27}) Das wollen wir nicht. Die Bürgerinnen und Bürger bitte ich noch um etwas Geduld, wenn es mit der Senkung der Beitragssätze noch nicht so schnell geht, wie wir uns dies alle sicherlich wünschen. Das ist wie bei der Rentenversicherung. ({28}) An die Adresse der Union sage ich: Ein Polster von 20 Milliarden DM, ein Fünftel der Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit, zu konstatieren halte ich für unverantwortlich. Sie werden uns nicht dazu bringen, Herr Fuchtel, Ihnen auf den Leim zu gehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({29})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem Kollegen Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns über jeden einzelnen Menschen, den wir weniger in der Arbeitslosenstatistik haben. Das ist völlig klar. Aber tun Sie doch bitte nicht so, Herr Staatssekretär, als wenn dies das Ergebnis glorreicher Regierungspolitik wäre. ({0}) Wir haben allein aufgrund der demographischen Entwicklung jedes Jahr 200 000 Arbeitslose weniger. Sie hätten unter Ihrem Stein sitzen bleiben können und sich gar nicht zu bewegen brauchen, diesen Rückgang hätten wir genauso gehabt. ({1}) Darüber hinaus haben wir in einem exportorientierten Land aufgrund des schwachen Euros und seiner Außenwirkung im Moment glücklicherweise auch mehr Arbeitsplätze. Das ist selbstverständlich. Die positiven Effekte spüren wir jetzt. Aber nichtsdestoweniger verwechseln Sie immer noch das Geld der Bundesregierung mit dem Geld der Beitragszahler. ({2}) Sie sind zögerlich und zaghaft. Sie haben jetzt genügend Spielräume, um die Beiträge zu senken. ({3}) - Ich habe selbstverständlich schon Beiträge gezahlt, Kollege Gilges. ({4}) Sie haben jetzt die Möglichkeiten, die Beiträge um 0,5 Prozentpunkte zu senken, und zwar sofort und nicht erst im kommenden Jahr. Anfang des kommenden Jahres können Sie den Satz um weitere 0,5 Prozentpunkte senken. Ich werde Ihnen vorrechnen, wie das möglich ist. Sie haben das Sofortprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt, das sich mit Menschen beschäftigt, die noch niemals Beiträge eingezahlt haben, und es aus der Finanzierung durch den Gesetzgeber in die Finanzierung durch die Bundesanstalt mit 2 Milliarden DM überführt. Das heißt, es wird durch die Beitragszahler finanziert. ({5}) Darüber hinaus haben Sie die Kosten für die Strukturanpassungsmaßnahmen und weitere arbeitsmarktpolitische Leistungen in Höhe von 2,35 Milliarden DM aus dem Haushalt von Herrn Riester herausgelöst und in den Haushalt der Bundesanstalt überführt. Das nennt Herr Riester - mit Verlaub gesagt - im Rahmen der Haushaltskonsolidierung auch noch „sparen“. Ich verstehe unter Sparen etwas anderes. ({6}) Allein die nicht realisierten Forderungen der Bundesanstalt für Arbeit in der Größenordnung von 4 Milliarden DM würden einen großen Spielraum schaffen. Wenn Sie noch dazu berücksichtigen, dass die Arbeitslosenzahlen in diesem Jahr um 250 000 gesunken sind und wenn ich auch nur 1 Milliarde DM an Einsparungen für jeweils 100 000 weniger Arbeitslose ansetzen würde, dann kommen wir hier noch mal auf 2,5 Milliarden DM. Zusammen mit dem, was ich gerade genannt habe, macht das mehr als 14 Milliarden DM für die Bundesanstalt. Das ist mehr als ein Beitragspunkt. Noch nicht erwähnt habe ich hierbei, dass Frau Engelen-Kefer im Namen des DGB oder der Bundesanstalt - ich weiß nicht, für wen sie in dem Interview gesprochen hat - am 9. Oktober im „Handelsblatt“ festgestellt hat, dass sich weitere 6 Milliarden DM versicherungsfremde Leistungen für Jugendliche, die noch nie eingezahlt haben, im Haushalt der Bundesanstalt finden. Die überdimensionierte Arbeitsmarktpolitik mit 23 Milliarden DM habe ich nicht angesprochen. Ich habe nicht angesprochen, dass auf der einen Seite durch sinkende Beitragszahlungen, auf der anderen Seite durch die Kaufkraft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Investitionsbereitschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen natürlich erhöht werden. Dadurch zahlen wieder mehr Beitragszahler ein, sodass noch mehr Spielräume für Entlastungen geschaffen werden. ({7}) Ich habe nicht angesprochen, dass sich das Arbeitslosengeld von der Versicherungsleistung mehr und mehr zu einer Daueralimentierung entwickelt hat und man selbstverständlich auch Spielräume schaffen kann, indem man hier den Leistungsbezug durch Begrenzung auf 12 bis 18 Monate neu regelt. Ich habe nicht angesprochen, dass Herr Jagoda im nächsten Jahr mit mindestens 300 000 Arbeitslosen weniger rechnet. Und ich habe nicht die Leistungsausweitung bei den Sonderzahlungen, wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, angesprochen. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass Sie Leistungen ausweiten, anstatt die Sonderzahlungen von den Beiträgen freizustellen; ({8}) kein einziger Leistungsempfänger hätte auch nur einen einzigen Pfennig weniger bekommen, als das heute der Fall ist. Vielmehr hätten Sie Spielräume geschaffen und den Menschen das Geld zurückgegeben. Das wäre sinnvoll gewesen. Ich habe auch noch nicht angesprochen, dass Sie bei der Bundesanstalt für Arbeit neue Wege beschreiten müssen. Sie müssen zumindest in Modellprojekten versuchen, den Arbeitsämtern vor Ort Globalhaushalte zuzuweisen, mit denen sie inklusive des Personalhaushaltes den Arbeitsmarktausgleich vor Ort regeln können, weil die Allokation tatsächlich nur regional richtig funktionieren wird. Liebe Kollegin Dückert, wenn ich mir die Diskussion bei den Grünen anschaue, kann ich feststellen, dass Sie vielleicht im Jahre 2002 die Beiträge um eventuell 0,8 Prozentpunkte senken wollen. Aber es ist offenkundig, was Sie damit vorhaben: 2002 sind Bundestagswahlen; die Grünen wollen Geschenke verteilen, anstatt jetzt die Menschen in diesem Land, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zu entlasten und Spielräume für neue Beschäftigung zu schaffen. Akzeptieren Sie endlich, Kollege Andres, dass die Menschen in diesem Land besser mit ihrem eigenen Geld umgehen können, als es der Staat kann. ({9}) Das schafft den Menschen Luft und den Investoren die Möglichkeit, Arbeit zu schaffen. Es sichert zukünftige Beitragszahler in den sozialen Sicherungssystemen ({10}) und es schafft neue Arbeitsplätze. Das ist die Politik, die Sie in der Zukunft beschreiten müssen. Dann können Sie den Arbeitsmarktausgleich vielleicht schaffen. Wir sind dann gerne bereit, Sie an Ihrer Leistung zu messen und nicht an dem Umstand, dass die Menschen in diesem Land früher aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und etwas älter geworden sind. Tun Sie was! Machen Sie Arbeitsmarktpolitik! Ruhen Sie sich nicht auf demographischen Zahlen aus! Vielen Dank. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kollegin Dr. Thea Dückert spricht nunmehr für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich ist es so, dass die Senkung der Lohnnebenkosten ein ganz wesentlicher Faktor für die Entspannung der Beschäftigungssituation ist. ({0}) Dass wir die Sache ernst nehmen und dass wir etwas machen, will ich Ihnen vorführen. Schauen Sie sich die Zahlen noch einmal an - Herr Niebel, sie sind gerade für Sie, aber auch für die CDU/CSU, besonders peinlich -: Vom Jahre 1990 bis zum Jahre 1998, also innerhalb von acht Jahren, sind die Lohnnebenkosten von 35,5 Prozent auf 42,1 Prozent um 6,6 Prozent gestiegen. ({1}) Im Jahre 1991 stiegen allein die Beiträge der Arbeitslosenversicherung um 2,5 Prozent. Wir haben die Lohnnebenkosten in unserer Regierungszeit bereits um 1 Prozent gesenkt. Ich finde, da gibt es für Sie keinen Grund, hier den Mund zu spitzen und zu versuchen, zu pfeifen. ({2}) Sie haben die Entwicklung zu verantworten. Herr Fuchtel, bei uns ist es nicht so, dass wir nur in ein Horn blasen, wie Sie meinen. Wir haben schon längst gehandelt. Das ist die Wahrheit. ({3}) Natürlich geht es darum, der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt, die durch das Gesamtkonzept der Politik der Bundesregierung in Gang gesetzt worden ist, eine weitere Senkung der Steuern und Abgaben folgen zu lassen. Dass wir diese positive Beschäftigungsentwicklung haben - Herr Niebel, Sie kennen die Zahlen sehr wohl -, ({4}) hat nicht einfach nur mit der demographischen Entwicklung zu tun. Dass wir diese positive Beschäftigungsentwicklung haben, ist eindeutig die Frucht einer Politik, die auf beides gesetzt hat, auf Abgabensenkung und auf Steuersenkung, einer Politik, die versucht, aus Haushalts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik ein Gesamtkonzept zu entwickeln. ({5}) Die vorsichtigsten Prognosen zeigen uns, dass wir in den nächsten Jahren mit einer weiteren Entspannung am Arbeitsmarkt rechnen dürfen. Aber, Herr Fuchtel, es ist doch so, dass Sie uns zum Beispiel bei den Einmalzahlungen eine Last hinterlassen haben, mit der Folge, dass wir in diesem und im nächsten Jahr Beiträge an die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zurückgeben müssen. Das werden wir tun, indem wir die Einmalzahlungen ausgleichen. Wir zahlen also Gelder zurück, die Sie - das ist durch das Bundesverfassungsgericht verbrieft - diesen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern in verfassungswidriger Weise weggenommen haben. ({6}) Ich sage Ihnen noch eines: Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass es bei einer positiven Arbeitsmarktentwicklung, wie wir sie jetzt haben, möglich ist, gleichzeitig die aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik zu reduzieren. Wenn wir uns die strukturellen Probleme beispielsweise im Ost-West-Gefälle und bei der Jugendarbeitslosigkeit ansehen, müssen wir erkennen, dass wir Maßnahmen wie das JUMP-Programm, das wir sofort aufgelegt haben, weiterführen müssen. Wenn wir das nicht täten, säßen wir nämlich dem Irrglauben auf, den Sie hier verbreiten: dass die positive Entwicklung schon Anlass bieten würde, sich aus der Arbeitsmarktpolitik zurückzuziehen. Aber das ist nicht richtig. Wir müssen beides tun, wir müssen eine Doppelstrategie fahren, ({7}) wir müssen die positive Beschäftigungsentwicklung einerseits zur Beitragsentlastung und andererseits für Maßnahmen nutzen, die insbesondere Langzeitarbeitslosen und jugendlichen Arbeitslosen helfen. ({8}) Es ist und bleibt das richtige Ziel, mit der Senkung der Lohnnebenkosten weiterhin eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen. ({9}) Das ist der Beitrag, den die Arbeitsmarktpolitik leisten kann. Das ist insbesondere für die Ausdehnung der Nachfrage im Bereich der gering Qualifizierten, die ein niedriges Einkommen haben, sowie im Bereich der Teilzeitarbeit notwendig. ({10}) Deswegen - das sage ich ganz deutlich - stehen wir weiterhin zu dem Ziel, ({11}) die Lohnnebenkosten in dieser Legislaturperiode, bis zum Jahre 2002, auf unter 40 Prozent zu senken. Der Spielraum hierzu liegt in der Arbeitslosenversicherung. Ich bin auch weiterhin davon überzeugt, dass die Arbeitsmarktentwicklung im Jahre 2002 eine Beitragssenkung von ungefähr 0,8 Prozent zulassen wird. Um welche Prozentzahl sich der Beitrag dann letztendlich senken lässt, wird sich zeigen, wenn sich die Entwicklung so stabilisiert, wie wir das hoffen. Aber das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, nämlich die Beiträge unter 40 Prozent zu senken, verfolgen wir weiterhin. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sowohl meine feste Überzeugung als auch die meiner Fraktion, dass sich dieses Thema nicht für politische Grabenkämpfe eignet. ({0}) Herr Kollege Fuchtel, Sie haben pathetisch festgestellt, man müsse den Arbeitnehmern in die Augen schauen. Schauen Sie den Arbeitslosen in die Augen und reden Sie dann aus deren Sichtweise! Herr Kollege Niebel, wenn Sie von einer überdimensionierten Arbeitsmarktpolitik sprechen, sollten Sie das aus Ihrer Erfahrung als Arbeitsmarktvermittler den Arbeitslosen sagen, deren einzige Hoffnung und Chance oftmals der Arbeitsplatz auf dem zweiten Arbeitsmarkt ist. ({1}) Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt, das heißt des Umfangs der offenen und der verdeckten Arbeitslosigkeit sowie der Teilzeitarbeitslosigkeit - Sie tun ja so, als ob auf dem Arbeitsmarkt der Wohlstand ausgebrochen wäre -, und angesichts der seit Jahren abgeschmolzenen Absicherung der Betroffenen gibt es keinen Anlass, über die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu diskutieren. Soweit es - aus unterschiedlichen Gründen - die erfreuliche Senkung der Arbeitslosenquote gibt - Kollege Fuchtel und Kollege Niebel, Sie haben sich dazu geäußert -, gilt immer noch: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Die saisonale Belebung der Arbeitslosigkeit - sprich: der Anstieg der Arbeitslosigkeit - steht vor der Tür. Ich erinnere mich sehr genau an die Einschätzung des ehemaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Franke, der davon sprach, dass der Winter den Arbeitsmarkt im eisigen Griff hat. Der nächste Winter kommt bestimmt. ({2}) Hinzu kommt, dass im Osten die Signale am Arbeitsmarkt auf Rot stehen. Bisher ist der Osten an der Senkung der Arbeitslosigkeit kaum beteiligt gewesen. Stattdessen vernehmen wir Ankündigungen von weiteren Entlassungen. Wir wissen, dass es einen sich selbst tragenden Aufschwung nicht gibt. Die Einnahmen aus der Arbeitslosenversicherung werden angesichts dieser Entwicklung dringend gebraucht, um die Lohnersatzleistungen und die dringend erforderlichen Maßnahmen der Arbeitsförderung zu finanzieren. Wir sehen eher ein Loch in der Finanzierung durch die Bundesanstalt für Arbeit, und zwar auch wegen der Streichung der Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt. Für den Fall, dass die von uns erwünschte, aber nicht absehbare Sensation der nachhaltigen Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt eintreten sollte, sehen wir dringenden Handlungsbedarf bei der Rücknahme der sozialen Grausamkeiten - das ist ein Terminus, der von beiden Seiten des Hauses verwendet worden ist ({3}) der vergangenen und gegenwärtigen Regierungskoalition. Die Liste ist lang, sehr lang. Sie reicht von der Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe über die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die jährliche Kürzung der Arbeitslosenhilfe, Senkungen der Leistungen für Teilnehmer an Maßnahmen der Arbeitsförderung bis zur Beendigung der Zahlung von Sachkostenzuschüssen. ({4}) Jedes Nachdenken über Veränderungen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, gleich welcher Art, muss von dem Ausmaß der Betroffenheit und der realen Situation dieser Menschen ausgehen. Das ist erfolgversprechender und - das ist unsere Überzeugung - auf Dauer auch finanziell einträglicher, als die Achterbahn, das Auf und Ab der Beitragssätze zu besteigen. Sie wissen so gut wie ich - die deutsche Einheit hat es bewiesen -: Es ist relativ einfach, Beiträge zu senken. Das ist den Leuten leicht plausibel zu machen. Aber es ist schwer, die Beitragssätze erneut anzuheben. Machen Sie nichts vorzeitig. ({5}) - Das ist kein Abkassieren. Bisher hat jeder Arbeitnehmer das noch zahlen können. Aber ich verstehe schon Ihre Auffassung als Mitglied der Partei der Besserverdienenden, Herr Kollege Niebel. ({6}) - Sie betreiben jetzt eine bessere Wirtschaft; das sehe ich. ({7}) Wenn Sie dem Gedankengang folgen können, dass man einen anderen Denkansatz verfolgen sollte, dann werden Sie noch lange Zeit nicht über eine Absenkung der Beiträge nachdenken können. Nicht bekannt sind auch die unterschiedlichen Wirkungen von Entlastung und Belastung. Sollten die Vorschlagenden der Auffassung anhängen, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten Arbeitsplätze schafft, so kann ich nur auf das Leben verweisen: 20 Jahre lang haben Sie es versucht. 20 Jahre lang haben Sie die Unternehmen subventioniert, ({8}) haben Lohnkostenzuschüsse gezahlt mit dem Ergebnis, dass die Arbeitslosigkeit kontinuierlich gestiegen ist. Ich verstehe sehr gut, dass die gegenwärtige Regierungskoalition diesen Weg nicht beschreiten will. ({9}) - Eine sehr sachliche Bemerkung. Ich bedanke mich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nun der Kollegin Renate Jäger für die SPD-Fraktion das Wort.

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Fast alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode massivst die Senkung der Lohnnebenkosten angemahnt und eingefordert. ({0}) Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände haben diese Forderung gleichermaßen erhoben, und zwar in der Erwartung und in der Hoffnung, dass dadurch mehr Beschäftigung angeregt wird. ({1}) Die CDU/CSU und die F.D.P., die 16 Jahre lang die Möglichkeit hatten, die Lohnnebenkosten zu senken, redeten zwar davon, aber handelten nicht. ({2}) Wir, die SPD, waren damals in der Minderheit und konnten nicht handeln. ({3}) - Ja, nun haben wir die Mehrheit. - Wir haben in den letzten zwei Jahren bereits vielfältige Maßnahmen ergriffen, die wesentlich zur Senkung bzw. zur Stabilisierung der Lohnnebenkosten beigetragen haben. Selbst Letzteres haben Sie nicht geschafft. ({4}) Die neue Mehrheit hat also nicht nur geredet, sondern auch gehandelt. Sie hat ihre Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten gegen die Stimmen derer durchgesetzt, die noch vor drei Jahren hätten handeln können. Ausgerechnet die gleiche Seite des Hauses erhebt heute wieder die Forderung, die Lohnnebenkosten über die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Natürlich verfolgen auch wir langfristig dieses Ziel. Aber man kann dies nicht tun, ohne die reale Situation auf dem Arbeitsmarkt außer Acht zu lassen. ({5}) Wir haben real einiges vorzuweisen. Die Situation hat sich auch real verbessert. Meine Kollegen wiesen bereits darauf hin, dass der Bundesanstalt für Arbeit erstmals seit 1987 kein Bundeszuschuss, der aus Steuergeldern finanziert wird, gewährt werden muss. Das ist ein Ergebnis und ein Erfolg der positiven Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Bedenken wir aber auch: Die Arbeitsmärkte in Ost und West sind noch gespalten. Sie entwickeln sich zum Teil auseinander - so bedauerlich das auch ist; Sie kennen das -: Während die Zahl der Arbeitslosen im Westen sinkt, stagniert bzw. steigt die Zahl der Arbeitslosen, insbesondere die der jungen Leute, im Osten. Dies ist eine Folge des Umstrukturierungsprozesses, der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Während sich die Beschäftigungslage im Osten im gewerblichen Bereich - darauf habe ich kürzlich in meiner Rede zum Haushalt 2001 hingewiesen deutlich verbessert hat, müssen im Bau- und Verwaltungsbereich erhebliche Überkapazitäten abgebaut werden. In den letzten acht Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie den Umstrukturierungsprozess nicht zum Erfolg führen können. Deswegen kann nach zwei Jahren auch den Nachfolgern diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden. Natürlich ist es bitter, dass viele junge Leute im Baubereich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Bitter ist es auch, dass junge Leute aufgrund des Abbaus von Überkapazitäten im Verwaltungsbereich auch dort keine Beschäftigung finden. Aber genau deshalb darf die aktive Arbeitsmarktpolitik nicht zurückgefahren werden. Mir ist schon bewusst, dass es das erklärte Ziel einiger Unionspolitiker ist, dies doch zu tun; zum einen deshalb, weil sie generell gegen eine aktive Arbeitsmarktpolitik sind und den zweiten Arbeitsmarkt nicht fördern wollen - sie sagen das mitunter nicht laut -, ({6}) und zum anderen deshalb, weil sie die Effektivität einzelner Maßnahmen infrage stellen. Es ist natürlich in Ordnung, wenn man den Sinn der einen oder anderen Maßnahme hinterfragt: Ist sie günstiger oder ungünstiger hinsichtlich der Chancen auf Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt? Effektivität und Zielgenauigkeit sind zwar ohnehin ständig zu überprüfen, gegebenenfalls zu verändern oder auch anzupassen. Aber wenn nun einmal der erste Arbeitsmarkt insbesondere im Osten zu wenige Beschäftigungsmöglichkeiten bietet und wenn wettbewerbsfähige Arbeitsplätze nicht vorhanden sind, dann ist eine Maßnahme noch immer mehr wert als Vandalismus auf der Straße oder Resignation mit einem Ende in Alkohol und Drogen. ({7}) Die Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau und der Beitrag des BMA-Haushalts zur Haushaltskonsolidierung lassen eine Beitragssenkung für 2001 nicht sinnvoll erscheinen. Eine Beitragssenkung zum jetzigen Zeitpunkt könnte sich sogar kontraproduktiv auf die weitere Arbeitsmarktentwicklung auswirken. Sie als Opposition sollten sich freuen, dass die Verbindung von guter, qualitätsvoller Arbeitsmarktpolitik mit Haushaltskonsolidierung so erfolgreich gelungen ist. Danke. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Kollege Heinz Schemken spricht für die CDU/CSU-Fraktion.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsmarkt lebt in den letzten Monaten von Sondermeldungen. Das nehmen wir zur Kenntnis. Diese Sondermeldungen müssen wir aber gründlichst hinterfragen. Das ist wichtig, denn es wurde deutlich, dass der Herr Staatssekretär auf eine Palette von Angeboten zurückgriff, die noch nicht wirksam sind. Vorab, damit ich nicht missverstanden werde: Wir waren uns immer darüber einig, dass jeder einzelne Arbeitslose ein Schicksal ist. Es kommt darauf an, jeden einzelnen Arbeitslosen in Arbeit zu bringen. Aber der Arbeitsmarkt ist nicht nur die statistische Größe der Arbeitslosen, sondern der Arbeitsmarkt ist entscheidend danach zu bewerten, wo neue Arbeitsplätze entstehen. Die entstehen durch die Wirtschaft, durch den Handel, durch das Handwerk und durch die Dienstleistungsangebote. Hier sieht es eben nicht so rosig aus. Das müssen wir, wenn wir ehrlich sind, zugeben. Wenn die letzten drei Jahre seit 1998 bewertet werden, so stellen wir fest, dass im Jahr 1998 ein positiver Ansatz vorhanden war. Es gab nämlich einen Zuwachs an Arbeitsplätzen von 350 000. Wenn man im Vergleich dazu den Zuwachs an Arbeitsplätzen des letzten Jahres von 120 000 nimmt und das unselige 630-Mark-Gesetz einbezieht, ist festzustellen: Das war eine Nullrunde. ({0}) Das ist lediglich eine statistische Größe. ({1}) Die sinkenden Arbeitslosenzahlen werden von der Regierung als Verdienst ihrer Politik reklamiert. Das ist falsch. ({2}) - Ich weiß, dass das nicht passt. ({3}) Der Rückgang der Arbeitslosenquote beträgt bei uns 1 Prozent. Vergleichen Sie das einmal mit anderen Ländern in Europa - ob Sie es hören wollen oder nicht -: Frankreich 2 Prozent, Spanien 4 Prozent, Finnland 2 Prozent. In einer Darstellung der Beschäftigungspolitik durch die Bertelsmannstiftung - die nicht in dem Verdacht steht, für die CDU/CSU als Hauspostille zu schreiben heißt es, dass die Bundesrepublik Deutschland im Wettbewerb mit vergleichbaren Ländern - die Bewertung geht von 0 bis 10 - an 15. Stelle mit 5,8 liegt. Das ist eine Tatsache. Das ist ein Bericht der Bertelsmannstiftung aus dem Jahr 2000. Hätten wir nicht die demographische Entwicklung, hätten wir gar keine Entlastung. Denn es gibt keinen Millimeter Bewegung bei der Beschäftigung - das ist das Entscheidende ({4}) und auch nicht in der Arbeitslosenzahl. Da der Generationenvertrag aber letztlich von der Beschäftigungslage bzw. der Zahl der Arbeitslosen abhängig ist, gilt das Versicherungsprinzip in jeder Hinsicht: bei der Gesundheit, bei der Rente, bei der Arbeitslosenversicherung und auch bei der Pflege. Hinzu kommt, Herr Staatssekretär - hier beißt keine Maus den Faden ab -, dass Sie bei dieser Lage, die sich im finanziellen Bereich bei der Bundesanstalt für Arbeit durchaus positiv darstellt, hergehen und verlagern: Langzeitarbeitslosenprogramm mit 750 Millionen DM, Strukturanpassungsprogramm Ost mit 1,7 Milliarden DM. Sogar die 2 Milliarden DM für das JUMP-Programm verlagern Sie aus dem Bundeshaushalt, der durch alle Steuerzahler finanziert wird, in den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, der durch die Beitragszahler finanziert wird. Ich stelle mir vor, dass hier die Redner Andres, Dreßler und Schreiner stehen und so argumentieren, wie sie es seinerzeit taten, als es darum ging, die versicherungsfremden Leistungen aus den Versicherungssystemen herauszuhalten. ({5}) - Ja, das haben wir gemacht. ({6}) - Sie wissen genau, dass Sie jetzt wieder mit 4,4 Milliarden DM die Arbeitslosenversicherung belasten. Sie gehen sogar mit der aktiven Arbeitsmarktspolitik in den Haushalt der Bundesanstalt, wodurch Sie die Beitragszahler mit weiteren 5 Milliarden DM belasten. Die alte Regierung hatte diese Maßnahmen zu Recht in den allgemeinen Haushalt eingestellt. Noch einmal zur Vergangenheit: Es gab in den 16 Jahren unserer Regierung wirklich einen beträchtlichen Anstieg der Beschäftigtenzahl. Als wir die wirksame Steuerreform 1986/90 durchführten, ist die Zahl der Beschäftigten in der alten Bundesrepublik von 26 Millionen auf 29 Millionen erhöht worden. ({7}) Jeder weiß, dass dann die Wiedervereinigung kam; wir sollten uns hier nichts vormachen. Wer wollte sich zu jener Zeit den Problemen verschließen? Wir haben diese Probleme gemeinsam gelöst; Sie, Frau Jäger, haben es gerade noch einmal zum Ausdruck gebracht. Es ist im Grunde genommen schon ein Trick, jene Probleme der alten Bundesregierung anzulasten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schemken, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden das nicht mitmachen und deshalb darauf bestehen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden, damit die Lohnnebenkosten sinken. Nur so entstehen neue Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Schönen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Andrea Nahles.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Haben wir wirklich gemeinsam das Ziel, die Arbeitslosigkeit auf Dauer zu senken? Wenn ich mir diese Debatte anhöre, bekomme ich Zweifel. Was betreiben Sie denn mit dieser Debatte? Zum einen erzeugen Sie bewusst falsche Hoffnungen bei den Beitragszahlern, ({0}) zum anderen verunsichern Sie die Leistungsempfänger der aktiven Arbeitsmarktpolitik. ({1}) - Ja, natürlich. Zum Dritten entziehen Sie den Arbeitsämtern das, was sie am dringendsten brauchen, nämlich eine langfristige Perspektive für ihre Planungen. ({2}) Das alles machen Sie im alten Stil: rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Sie haben in der Vergangenheit die Arbeitsmarktspolitik immer dann vernachlässigt, wenn keine Wahlen vor der Tür standen, und sie kurzfristig verstärkt, wenn Wahlkampf war. Dieser Politik haben wir ein Ende gesetzt. ({3}) Wir haben zwei Ziele. Wir werden einerseits die allgemeine Arbeitslosigkeit weiter absenken; ich bin da sehr optimistisch. Andererseits werden wir jene Kontinuität und klare Linie beibehalten, die wir mit der Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik in den letzten zwei Jahren schon bewiesen haben. ({4}) Ich will Ihnen Folgendes ganz klar sagen: Sie reden die Erfolge herunter. Aber allein im letzten Monat sind 96 000 Menschen weniger arbeitslos gewesen. ({5}) Wir haben uns ganz konkret um benachteiligte Gruppen gekümmert. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen - ein Sorgenkind von uns allen - ist, wie Walter Riester heute im Ausschuss berichtet hat, durch unsere zielgruppenorientierte Schwerpunktsetzung im letzten halben Jahr um 180 000 zurückgegangen. ({6}) Dann haben wir das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Im Westen haben wir es geschafft, die Jugendarbeitslosigkeit um 17 Prozent abzubauen. Besonders viel Freude macht mir, dass wir das einzige Land in Europa sind, in dem junge Frauen in geringerem Maße, nämlich um 1 Prozent weniger, als junge Männer arbeitslos sind. In allen anderen europäischen Ländern sind junge Frauen mehr, zum Teil um 10 Prozent mehr, von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Das ist gezielte Arbeitsmarktpolitik, die wir fortführen werden. Aber - jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt -: Leider können wir keine Entwarnung geben. Ich habe von den Erfolgen gesprochen. Doch trotz unserer Bemühungen ist die Jugendarbeitslosigkeit im Osten bedauerlicherweise um 9 Prozent gestiegen. In der mittleren Altersgruppe besteht die Tendenz zur Verfestigung der Arbeitslosigkeit. Wer jetzt im Rahmen unserer Arbeitsmarktpolitik auf die Bremse tritt und nicht durchstartet, der nimmt die Verfestigung von Arbeitslosigkeit bewusst in Kauf. ({7}) Das ist die Quintessenz Ihrer Forderungen. Ich muss sagen: Mein Verständnis für die Opposition hält sich wirklich in Grenzen. ({8}) Wir setzen unsere klare Linie fort. Wir werden die Beitragssätze erst dann senken, wenn wir es verantworten können. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lohnnebenkosten müssen jetzt gesenkt werden, nicht irgendwann einmal. ({0}) Bei der Arbeitslosenversicherung besteht ein Spielraum in Höhe von einem halben Prozent. ({1}) Nehmen Sie nicht immer wieder einen langen Anlauf - in Ihren Wahlprogrammen kündigt der Bundeskanzler die Senkung der Lohnnebenkosten an -, sondern springen Sie endlich! Herr Staatssekretär Andres, ich erkläre Ihnen, warum Sie es gefahrlos tun können. Lehnen Sie sich einmal entspannt zurück ({2}) und stellen Sie sich Folgendes vor: Am 12. Oktober des Jahres 2000 starten Sie, Ihr Arbeitsminister Riester und der Bundeskanzler in die Toskana. Sie bleiben dort ein Jahr, bis zum 12. Oktober des Jahres 2001. ({3}) Sie verbringen dort den Herbst und das Frühjahr; Sie genießen den Sommer, trinken Wein, rauchen eine Zigarre, lehnen sich zurück und erfreuen sich Ihres Lebens - eine schöne Vorstellung. Dann kommen Sie am 12. Oktober des Jahres 2001 zurück. Ich garantiere Ihnen Folgendes: Die Zahl derjenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ist um mindestens 230 000 geringer geworden. ({4}) Warum ist das so? Das liegt daran, dass immer mehr Menschen in Deutschland beschlossen haben, keinen Nachwuchs zu bekommen. Es werden immer weniger Kinder geboren, ({5}) und die nachfolgende Generation wird - das steht schon jetzt fest - um ein Drittel kleiner als die jetzige Generation sein. Aus diesem Grund wird sich der Arbeitsmarkt weiter entspannen. Das geschieht völlig unabhängig von Ihrer Arbeitsmarktpolitik. ({6}) Weil die Zahl der Arbeitslosen ohne Ihr Zutun geringer wird, Herr Kollege Dreßen, werden natürlich auch weniger Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung notwendig. Es ist klar: Weniger Arbeitslose bedeuten weniger Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit. ({7}) Der Spielraum, der sich damit eröffnet, ist beträchtlich. Die Kollegen haben hier schon eine Reihe von Gründen benannt. Die wichtigsten möchte ich wiederholen, um Ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten Sie haben: 100 000 Arbeitslose bedeuten, gesamtvolkswirtschaftlich betrachtet, 3 Milliarden DM weniger. Schon im laufenden Jahr hätte die Bundesanstalt für Arbeit, wenn sie genau rechnete, den Zuschuss von 7 Milliarden DM gar nicht nötig; vielmehr benötigte sie nur einen Zuschuss von 3 Milliarden DM. ({8}) Gleichzeitig werden die Einnahmen auch in diesem und im nächsten Jahr um 2,5 bis 4 Milliarden DM steigen. Was macht die Bundesregierung nun mit diesem Geldsegen? Das Geld wird nicht denjenigen zurückgegeben, die einen Anspruch darauf haben, nämlich den in der Arbeitslosenversicherung Versicherten; stattdessen werden die eingezahlten Beiträge zur Ausgabenersparnis des Herrn Eichel verwandt. Die Versicherten sind die Dukatenesel des Herrn Eichel. ({9}) Da sind die 2 Milliarden DM aus dem Programm JUMP. Da sind die 750 Millionen DM aus dem Langzeitarbeitslosenprogramm, und ab dem kommenden Jahr kommen Gelder aus dem Strukturanpassungsprogramm Ost dazu. Der Kumpel, der sich jetzt krumm legt und in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, zahlt letztendlich eine Art Zusatzsteuer an Herrn Eichel, weil dieser die eigentlich notwendigen Zahlungen aus dem Steuersäckel nicht herausrückt. Das ist es! ({10}) Deshalb sage ich Ihnen, Herr Andres: Geben Sie den 27,7 Millionen Versicherten die Beiträge zurück, die ihnen gehören. Sie gehören nicht Ihnen, sondern den Versicherten. ({11}) Ich garantiere Ihnen eines: Sie werden die Ökosteuer nicht durchhalten. ({12}) Der Fraktionsvorsitzende Merz hat Ihnen eine entsprechende Wette angeboten. Ich könnte Ihnen bezüglich der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung genauso eine Wette anbieten. Sie werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken, aber Sie wollen es erst im Jahre 2002 als Wahlgeschenk tun. Machen Sie es jetzt! Setzen Sie es schon im kommenden Jahr um! Das ist sauber und gerecht. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Walter Hoffmann.

Walter Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es gibt für uns alle heute Anlass zur Freude. Wir haben in der Tat eine neue Qualität der Diskussion. Jahrelang diskutierten wir über eine Erhöhung der Beiträge zur Sozialversicherung. Jahrelang diskutierten wir über eine Kürzung von Leistungen bzw. eine Einschränkung von Leistungen. Heute sind wir aufgrund der günstigen Situation am Arbeitsmarkt in der Lage, endlich über eine Senkung von Beiträgen zu diskutieren. Das hat doch für uns alle eine neue Qualität, und das ist auch gut so. ({0}) Sie wissen, dass sich seit unserem Regierungsantritt in der Tat einiges positiv verändert hat. Die Arbeitslosenzahl im September 1998 betrug 3,9 Millionen, heute sind es 3,684 Millionen. Die Quote sank von 10,3 Prozent auf 9 Prozent - ein Minus von 1,3 Prozent. Auch das ist unterm Strich eine erfreuliche Entwicklung. Ihnen, Herr Schemken, möchte ich eines noch einmal sagen, weil ich schon sehr genau darauf achte, ob in den Zahlen der Erwerbstätigen bzw. der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch die geringfügig Beschäftigten mit enthalten sind. Fakt ist: Bei den Erwerbstätigen haben wir 0,5 Millionen mehr als vor einem halben Jahr; es sind nun 38,55 Millionen Erwerbstätige. ({1}) Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben wir eine Steigerung auf 27,9 Millionen - ohne die 630Mark-Versicherungsverhältnisse - zu verzeichnen. Auch das sind 0,5 Millionen mehr. ({2}) Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Wir sind hier wirklich auf einem guten Weg. Sie haben es nicht geschafft - das muss man einfach objektiv festhalten; ich bewerte das zunächst gar nicht -, während Ihrer Regierungszeit den Arbeitslosenbeitrag zu senken. Von daher habe ich volles Verständnis dafür, dass es für Sie reizvoll ist, endlich in eine Diskussion über Beitragssenkungen einzutreten, nachdem Sie allein den Arbeitslosenbeitrag seit 1982 insgesamt viermal erhöht haben. Zu Beginn im Jahre 1982 - auch da müssen wir einfach noch einmal die Fakten benennen - betrug er 4 Prozent; heute sind es 6,5 Prozent. ({3}) - Darauf komme ich jetzt zu sprechen, Frau Schwaetzer. Entscheidend ist: Auch vor der Wiedervereinigung haben Sie es nicht geschafft, den Beitragssatz unter den zu Beginn Ihrer Regierungszeit gültigen Wert zu senken. ({4}) - Schauen Sie es doch einmal genau nach. ({5}) Ich erinnere noch einmal an die fatale Entwicklung der Lohnnebenkosten: 1982 lagen sie bei 34 Prozent, 1998 bei 43 Prozent. Ich bin sicher, dass es uns gemeinsam gelingen wird, auch in der Arbeitslosenversicherung eine Senkung des Beitragssatzes unter den zu Beginn unserer Regierungszeit gültigen Wert zu bewerkstelligen. ({6}) Der entscheidende Unterschied zwischen uns und Ihnen besteht darin, dass wir diese Änderungen erst dann vornehmen, wenn sie solide und seriös finanzierbar sind. ({7}) Es wird nichts weiter auf Pump finanziert. ({8}) Diese Grundsätze durchziehen unsere gesamte Finanzpolitik. Auch das hat sich in diesen zwei Jahren positiv verändert. ({9}) Es gibt einen weiteren Unterschied. Wir haben die Lohnnebenkosten bereits in zwei Schritten gesenkt. Ich erinnere an die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge von 20,3 Prozent auf 19,3 Prozent. Für das Jahr 2001 ist ein kleinerer Schritt der Senkung vorgesehen, aller Voraussicht nach auf 19,1 Prozent. Sie führen eine Kampagne gegen die Ökosteuer. ({10}) Wir senken mithilfe der Ökosteuer die Lohnnebenkosten, um Arbeit zu verbilligen. ({11}) Sie wissen: Eine Rücknahme der Ökosteuer bedeutet eine höhere Beitragsbelastung, höhere Rentenversicherungsbeiträge und höhere Lohnnebenkosten. ({12}) Sie führen also eine Kampagne für höhere Lohnnebenkosten, stellen sich aber hier hin und diskutieren die Notwendigkeit von Beitragssenkungen. ({13}) Die Argumentation der Arbeitgeber in diesem Zusammenhang ist vielleicht ehrlicher. Sie fordern, genau wie Sie, eine Senkung des Beitrags. ({14}) Aber sie sagen im gleichen Atemzug, dass dies nur bei einer Einschränkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik möglich ist. ({15}) Genau das wollen wir nicht. ({16}) Wir haben ein klares Konzept: Wir wollen die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau, bei 44 Milliarden DM, verstetigen, ({17}) wir werden die Lohnnebenkosten zum richtigen Zeitpunkt senken, wir betreiben forciert einen Rückgang der Staatsverschuldung und wir werden alle vorhandenen Ausgaben und Beitragssenkungen seriös finanzieren. Ich bin überzeugt, dass die Menschen, die Wählerinnen und Wähler in diesem Land die Ehrlichkeit dieser Politik dauerhaft honorieren werden. ({18}) Ich bin auch überzeugt, dass es uns mit diesen Instrumenten gelingen wird, die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Dies liegt letztlich in unser aller Interesse. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Andreas Storm.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hoffmann hat eben die Senkung der Lohnnebenkosten noch einmal als Ziel der Koalition ausgegeben. ({0}) Frau Dr. Dückert hat angekündigt, man wolle in dieser Wahlperiode unter die 40-Prozent-Marke kommen. An Walter Hoffmann ({1}) Adam Riese führt kein Weg vorbei: Ohne eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung werden Sie das nicht schaffen. Nach den eigenen Zahlen des Bundesarbeitsministers in seinem Rentenkonzept liegt der Rentenbeitrag im Jahr 2002 nach der Reform bei 19 Prozent. Dass der Beitrag zur Krankenversicherung unter die13,6 Prozent fällt, die wir im Moment haben, glaubt die Gesundheitsministerin selber nicht mehr. Wir haben Defizite in der Pflegeversicherung. Der Beitrag wird bei mindestens 1,7 Prozent bleiben. Das bedeutet, eine Absenkung des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes unter die 40-ProzentMarke ist ohne eine gravierende Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung nicht machbar. ({2}) Nun ist die spannende Frage: Warum wollen Sie dies allenfalls, wenn überhaupt, im Wahljahr machen? Warum nicht gleich? ({3}) Die Kollegen haben Ihnen geschildert, dass der notwendige Spielraum vorhanden ist. Es ist die Politik des Arbeitsministers, den Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit wider jede sozial- und ordnungspolitische Vernunft ersatzlos zu streichen. Der Kollege Staatssekretär Andres war auch noch stolz darauf. ({4}) Es war ein anerkannter Grundsatz über die Fraktionsgrenzen hinweg, dass Maßnahmen der Arbeitsförderung im Bereich von Fortbildung und Umschulung sowie Maßnahmen etwa im Bereich der Arbeitsbeschaffung zumindest in Teilen gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind und deshalb teilweise aus Steuermitteln zu finanzieren sind. ({5}) Ich darf in Erinnerung rufen, was der heutige sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der Kollege Adolf Ostertag, in der Arbeitsmarktdebatte am 7. November 1996 formuliert hat: Wir brauchen eine Reform der Arbeitsförderung, die diesen Namen wirklich verdient. ({6}) Fortschrittlich wäre gewesen, die Arbeitsmarktpolitik auf eine solide Finanzbasis zu stellen. Hierzu gehört ein stabiler, regelgebundener Bundeszuschuss, ({7}) um die aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu verstetigen ({8}) und um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu finanzieren. Die SPD hat noch im Juni 1997 einen Antrag zur Senkung der Lohnzusatzkosten eingebracht, in dem sie eine Entlastung der Sozialversicherung von der Finanzierung allgemein gesellschaftlicher Aufgaben ({9}) durch die Senkung des Beitrages an die Bundesanstalt für Arbeit um 1 Prozentpunkt vorgeschlagen hat. Frau Kollegin Dückert, die Grünen haben im April 1997 im Rahmen eines Gesetzentwurfs gefordert - das ist auch in ihr Wahlprogramm eingegangen -: „Die Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist auf eine weitgehende Finanzierung aus Steuermitteln umzustellen.“ ({10}) Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Wie tief sind Sie eigentlich gesunken, es als eine sozialpolitische Errungenschaft hinzustellen, dass sich der Steuerzahler mit keiner einzigen Mark an der Finanzierung des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit beteiligen soll? ({11}) In Bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat die Koalition in der Tat kein Ruhmesblatt vorzuweisen. Der erste Akt begann im vergangenen Jahr, als Walter Riester die Zahlung an die gesetzliche Rentenversicherung für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe um mehr als die Hälfte reduziert hat. Entgegen Ihren Lippenbekenntnissen bedeutet dies: ({12}) Anstatt die Altersarmut zu bekämpfen, schaffen Sie zum ersten Mal für diejenigen, die längere Zeit arbeitslos sind, ein gravierendes Problem hinsichtlich der sozialen Sicherheit im Alter. ({13}) Das ist ein sozialpolitischer Kahlschlag, wie ihn die deutsche Sozialpolitik in Jahrzehnten nicht gekannt hat. ({14}) Es wird deutlich, dass dem Arbeitsminister jeglicher sozialpolitischer Kompass fehlt. Sparen ist kein Selbstzweck. ({15}) Wer im Bundeshaushalt spart und damit Löcher in die Sozialkassen reißt, wer Beitragszahlern das Geld aus der Tasche zieht - es ist ja nicht das Geld des Finanzministers oder des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Jagoda, sondern es sind die schwerverdienten Groschen der Männer und Frauen, die die Beiträge entrichten, und der Unternehmen, die die Arbeitgeberanteile zahlen -, der schadet unserem Land und er schadet damit langfristig dem Arbeitsmarkt und seiner Entwicklung. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Renate Rennebach.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einige Kollegen aus der Opposition zitieren: Herr Fuchtel hat so etwas noch nie erlebt. Herr Schemken wundert sich, wenn die Arbeitslosenzahlen sinken, und redet von Tricks. Herr Schauerte sagt, an allem sei die Einheit Schuld. ({0}) Herr Niebel will gar keine Arbeitsmarktpolitik mehr. ({1}) Herr Singhammer klärt uns auf. ({2}) Wir hatten schon immer das Gefühl, Sie haben 16 Jahre lang nicht in dieser Republik gelebt. Jetzt weiß ich genau - Sie haben uns aufgeklärt -, wo Sie gelebt haben: Sie lebten in der Toskana, und zwar allesamt. Die heutige Opposition hat 16 Jahre in der Toskana gelebt und tut heute so, als hätte sie mit allem nichts mehr zu tun. ({3}) Wenn Sie nicht mehr weiterwissen, dann sagen Sie, dass die Einheit Schuld sei. Ich finde, dies ist ein unmögliches Verhalten. Ich weiß noch genau, wie ich im Mai 1991 hier im Reichstag meine erste Rede im Deutschen Bundestag hielt. Dreimal dürfen Sie raten, worum es ging. Es ging darum, dass der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, die Notbremse gezogen hat, weil die Bundesanstalt es sich aufgrund der deutschen Einheit nicht mehr leisten konnte, die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern über die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler finanzieren zu lassen. Dreimal dürfen Sie raten, was die damalige Bundesregierung gemacht hat. Sie hat die Beiträge um 2 Prozentpunkte angehoben. ({4}) Damit es nicht so auffällt, haben Sie noch den Griff in die Rentenkasse gemacht: 1 Prozentpunkt weniger Rentenversicherungsbeiträge. Sie haben also ab April 1991 den Beitrag von 4,3 Prozent auf 6,8 Prozent angehoben, weil wir eine sehr hohe Arbeitslosigkeit hatten, die es zu bewältigen galt - selbstverständlich. ({5}) Diese Arbeitslosigkeit betrug in Gesamtdeutschland 7,3 Prozent, 6,3 Prozent im Westen und 10,3 Prozent im Osten. Sie haben damals einen Haushalt von knapp 72 Milliarden DM gehabt. Heute beträgt er 100 Milliarden DM. Noch heute beträgt dank Ihrer freundlichen Senkung der Sozialleistungen, die Sie uns in den letzten Jahren Ihrer Regierung, in der Zeit, in der sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt hat, beschert haben, ({6}) die Arbeitslosenrate in Westdeutschland 7,2 Prozent und in Ostdeutschland 16,6 Prozent. Das gilt es zu ändern. Wir wollen stabile Arbeitsmarktzahlen in West- und Ostdeutschland. ({7}) Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik, die ihren Namen auch verdient, die Arbeit schafft. Wir wollen die Arbeitslosigkeit verringern. Sie verunsichern die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler lediglich mit Ihrem Gedöns über Prozentherauf- und -herabsetzungen. Wir arbeiten aktiv und werden es weiter tun. ({8}) Wenn Sie, Herr Singhammer, in den nächsten Jahren in die Toskana führen, dann würde mich das sehr freuen. Denn dann müssten wir uns nicht mehr anhören, was Adam Riese und Eva Zwerg bei Ihnen alles falsch gemacht haben. Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Bernd Protzner. ({0})

Dr. Bernd Protzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001756, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Rennebach, Sie müssen sich entscheiden, was Sie tun. Die SPD hat - ungeachtet der Wirklichkeit - ihre Arbeitsmarktpolitik der letzten Monate so sehr gelobt, dass die Arbeitnehmer bei uns im Land jetzt sagen: Jetzt muss die Konsequenz kommen; jetzt müssen die Beiträge gesenkt werden. - Sie werden von Ihrem Selbstlob eingeholt; das ist Ihr Problem. ({0}) In der Tat ist es so, dass Sie sich entscheiden müssen: Betreiben Sie eine Versicherungskasse oder betreiben Sie eine Sparkasse? - Herr Staatssekretär Andres, ich verstehe, dass Sie Reserven haben wollen, auf die man bei Gelegenheit zurückgreifen kann. - Oder betreiben Sie gar eine andere Form von Kasse, eine Verschiebekasse zugunsten Herrn Eichels und seines Bundeshaushaltes? Ich kann mich an die jahrelangen Diskussionen über versicherungsfremde Leistungen in der Rentenversicherung hier im Hause erinnern. Die haben wir abfinanziert; die haben wir über die Steuerkasse übernommen. ({1}) Ständig werden nun aber den Beitragszahlern in der Arbeitslosenversicherung neue versicherungsfremde Leistungen aufgebürdet. Das muss ein Ende haben. ({2}) Die Beitragszahler empfinden die heutigen Beiträge aufgrund der zu hohen Punkte als Strafzahlung, als Strafkasse. Das muss ein Ende haben. Übrigens hat das Ihr Bundeskanzler angekündigt. Er hat gesagt, er wolle die Arbeitskosten, die Lohnnebenkosten senken. Ich bin sicher, dass er Sie dazu bringen wird. Spätestens dann, wenn die nächsten Wahlen näher rücken, wird eine Senkung erfolgen. Sie muss auch erfolgen. Mittlerweile geben wir in diesem Bereich pro Jahr 100 Milliarden DM aus. Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Staatswirtschaft wollen, in der Bürokraten bzw. Verwaltungen entscheiden, ob Arbeitsplätze entstehen, oder ob wir eine soziale Marktwirtschaft haben wollen, in der die Marktkräfte gestärkt werden und Arbeitnehmer und Personalleiter entscheiden, wo sie arbeiten und wo Arbeitsplätze entstehen. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. ({3}) - Frau Rennebach, erzählen Sie doch einmal den Arbeitnehmern, warum sie 130 DM oder bis zu 250 DM mehr, als es erforderlich ist, in die Arbeitslosenversicherung zahlen müssen. ({4}) Wenn wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent absenken würden, ergäbe sich im Durchschnitt ein Betrag von 130 DM, den ein Arbeitnehmer weniger zu zahlen hätte. ({5}) Wenn man konsequent vorgehen würde und das ZweiStufen-Modell des Kollegen Fuchtel umsetzen würde, dann ergäbe sich ein Betrag von 260 bis 400 DM, den ein Arbeitnehmer mehr zur Verfügung hätte. Umgekehrt wäre auch bei den Unternehmen mehr Geld für neue Investitionen und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze vorhanden. ({6}) Ich kann Ihnen nur sagen: Der Druck wird steigen. Sie selber werden angesichts der anstehenden Wahlen unter Druck geraten. Ich kann Sie nur auffordern: Entscheiden Sie sich jetzt für eine Beitragssenkung! Zögern Sie die Sache nicht hinaus! Die Bürger brauchen dieses Geld dringend. Sie werden ja von Ihnen in anderen Bereichen, zum Beispiel im Rahmen der Ökosteuer, sehr stark belastet. Geben Sie den Arbeitnehmern das zurück, was ihnen gehört, und lassen Sie es nicht beim Staat und bei der Bundesanstalt für Arbeit. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 2 auf: Vereinbarte Debatte zur Situation in Jugoslawien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Ereignissen vom vergangenen Donnerstag und dem Sturz von Milosevic, mit der friedlichen, demokratischen und freiheitlichen Revolution in Belgrad ist, so können wir feststellen, der letzte Teil einer kommunistischen Diktatur mit zehnjähriger Verspätung gefallen, sind die Ereignisse von 1989/90 auch dort nachgeholt worden. Allerdings: Es handelt sich hier um einen tragischen, einen blutigen Umweg, den Serbien unter der Diktatur Milosevics genommen hat. Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens kam es zu vier Kriegen, für die Milosevic die Verantwortung zu tragen hat: in Slowenien, in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina und schließlich im Kosovo. Solange nicht eingegriffen wurde, solange man Milosevic nicht in den Arm gefallen ist, hat er weitergemacht, sodass wir als Ergebnis dieser Kriege heute feststellen müssen: Es gab mehr als 300 000 Tote, Millionen von Flüchtlingen haben ihre Heimat verloren, es ist unsägliches Leid über die Menschen gebracht worden. Das Eingreifen war richtig und es war notwendig. Wenn man etwas kritisieren kann, dann nicht, dass es stattgefunden hat, sondern eher, dass es zu spät gekommen ist. So sehr ich die Argumente dagegen verstehe, möchte ich doch einen Augenblick zurückblicken und fragen, wo wir heute stünden, wenn wir ihnen gefolgt wären. Es hätte garantiert nicht einen Sieg der Demokratie in Belgrad gegeben und damit die große Chance, die Kriege auf dem Balkan dauerhaft zu beenden und eine nachhaltige Friedensordnung zu schaffen, die es ermöglicht, diesen Teil Europas an das Europa der Integration aufschließen zu lassen, ihn heran- und eines fernen Tages auch hineinzuführen, sondern wir stünden vor einer weiteren Eskalation von Gewalt, von Terror, von Krieg. Deswegen, meine Damen und Herren: So schwer uns diese Entscheidung auch gefallen ist, sie war richtig. Es war hohe Notwendigkeit, der großserbischen Politik Milosevics, die auf Krieg, auf Vertreibung, auf Terror, auf Massenvergewaltigungen setzte, im Kosovo Einhalt zu gebieten. ({0}) Ich möchte bei diesem kurzen Rückblick aber auch nochmals betonen, dass die deutsche Politik im KosovoKrieg - ich möchte mich bei allen hier im Haus bedanken, die diese Politik unterstützt haben - von Anfang an darauf gesetzt hat, dass wir zu einem nachhaltigen, zu einem dauerhaften Frieden kommen. Unter der deutschen Präsidentschaft haben wir den Fünf-Punkte-Plan entwickelt, der dann in der Petersberger Vereinbarung umgesetzt wurde. Auf dem Kölner Gipfel wurden alle wesentlichen Elemente der Resolution 1244, die heute die Grundlage der Politik gegenüber dem Kosovo darstellt und insofern auch Grundlage für die Beendigung des Krieges im Kosovo war, entwickelt. Dass Russland wieder ins Boot geholt wurde, war eine Initiative von Bundeskanzler Schröder im Rahmen der deutschen Präsidentschaft. Wir haben eine Politik entwickelt, die präventiv tätig werden will, das heißt, die vermeiden will, dass solche Konfliktpotenziale überhaupt noch zur Explosion kommen können respektive dass solche verbrecherischen Ideologien Unterstützung finden. Diese Politik hat uns dazu gebracht, die Idee des Stabilitätspaktes zu entwickeln und den Stabilitätspakt dann mit der Unterstützung unserer Partner tatsächlich als zentrales Element präventiver Politik und einer nachhaltigen Friedensordnung auf dem Balkan ins Leben zu rufen und umzusetzen. ({1}) Genau dort müssen wir jetzt ansetzen. Wir haben uns in all den Monaten seit dem Ende des Kosovo-Krieges engagiert: in der Stärkung der demokratischen Opposition, in der Stärkung der zivilgesellschaftlichen Selbstheilungskräfte. Ich möchte allen politischen Stiftungen, die sich daran beteiligt haben, und all denen, die sich bei der Städtepartnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland und bei den kritischen Medien engagiert haben, herzlich danken; denn über Monate hinweg waren dies entscheidende Beiträge für den Sieg der Demokratie. ({2}) Daran ist nichts geheim gewesen. Jetzt kann man lesen, das wäre geheim gewesen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Viele hat das nicht interessiert, ({3}) aber es ist alles auf dem offenen Markt geschehen. An dieser ganzen Sache gab es nichts Geheimes. ({4}) - Den Zwischenruf „Das macht es nicht besser“ muss ich doch zu Protokoll geben. Sie finden es falsch, dass wir uns aufseiten der demokratischen Opposition engagiert haben? ({5}) - Gut, dann legen wir es ad acta. Das hätte mich sonst auch erstaunt, Herr Gehrcke. Es war von entscheidender Bedeutung - ich möchte Sie daran erinnern, wie wichtig das im Übergangsprozess von der Franco-Diktatur oder der Salazar-Diktatur zur Demokratie war -, dass sich die Demokraten engagiert haben. Ich sehe darin keine Einmischung von außen. ({6}) Wir haben es getan, um die Demokratie zum Sieg zu führen; umso mehr müssen wir es jetzt tun, um diesen Prozess, der mitnichten gefestigt ist, erfolgreich zur Konsolidierung bringen zu können, damit sich die Demokratie in Serbien dauerhaft durchsetzen kann. Die Europäische Union hat dazu erste Schritte mit der Aufhebung des Öl- und Flugembargos und den ersten Ansätzen zur Herstellung normaler Wirtschaftsbeziehungen getan. Ich denke, das ist entscheidend, auch wenn die Frage der Kontrolle und des Einfrierens der Konten von Milosevic und seiner engeren Gefolgschaft noch nicht geklärt ist. Auch der Visabann sollte noch nicht aufgehoben werden. Aber wir müssen zügig vorankommen. Wir müssen den Stabilitätspakt dafür einsetzen. Die Europäische Union muss ihre Entscheidungen treffen. National haben wir unsere Entscheidungen getroffen und sind bereit, uns etwa bei der Räumung der Donau wie auch bei anderen Infrastrukturprojekten, bei humanitären Projekten, bei der Stärkung demokratischer Institutionen und beim Aufbau einer demokratischen Struktur zu engagieren. Wir wollen uns wie früher einbringen, um die Beziehungen zwischen unserem Land und Serbien wieder positiv zu gestalten. Wir sind auch bereit, Serbien mit offenen Armen wieder in die Völkergemeinschaft aufzunehmen und auf dem Weg nach Europa positiv zu begleiten. Allerdings hat die Konsolidierung der Demokratie jetzt Vorrang. Die Gerechtigkeitsfrage und der Aspekt derjenigen, die schwerste Schuld auf sich geladen haben - 300 000 Tote wiegen schwer -, werden auf Dauer nicht ausgeblendet werden können. Auch das ist eine Frage der Selbstreinigung. Gerade wir wissen, wovon die Rede ist. Das ist eine Frage der inneren Stabilität der Demokratie. Auch wenn sie jetzt nicht vorrangig ist - die Konsolidierung der demokratischen friedlichen Veränderungen muss Vorrang haben -, wird diese Frage auf der Tagesordnung bleiben; denn Gerechtigkeit muss sich durchsetzen. ({7}) Meine Damen und Herren, Europa und im Rahmen des Stabilitätspaktes auch unser Partner Russland sowie die USA, Japan und andere, aber auch die Bundesrepublik Deutschland sind bereit, das Ihrige dazu beizutragen. Wir müssen uns allerdings davor hüten, dass jetzt ein Serbienzuerst-Eindruck entsteht. Wir brauchen einen regionalen Ansatz, der allen am Stabilitätspakt Beteiligten hilft. Dass sich die Demokratie in Belgrad durchsetzt, ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir dauerhaften Frieden auf dem Balkan schaffen können. Der westliche Balkan ist eine Region Europas. Wenn wir hier über den Sieg der serbischen Revolution und seine Konsequenzen diskutieren, müssen wir wissen, dass der westliche Balkan Teil einer europäischen Gesamtverantwortung ist. Es handelt sich nicht de jure um einen Erweiterungsprozess der Europäischen Union, aber de facto ist es ein Bestandteil dieses Prozesses. Diese Region muss an das Europa der Integration herangeführt und aus dem Zeitalter der Kriege und der nationalistischen Verblendung und des nationalistischen Hasses herausgeführt werden. Sie wird Bestandteil dieser Anstrengung hinsichtlich des gesamteuropäischen Vereinigungsprozesses in einem Europa, das über fünf Jahrzehnte hinweg geteilt war. Gerade das wiedervereinigte Deutschland trägt hier eine besondere Verantwortung. Mit dem Sieg der Demokratie in Belgrad haben wir jetzt die große Chance, dazu beizutragen, dass sich diese wirklich unumkehrbar konsolidiert, dass sich die Demokratie durchsetzt. Es besteht die große Chance, dafür zu sorgen, dass auch die letzte kommunistische Diktatur der Vergangenheit angehört. Wir haben die große Chance, dazu beizutragen, dass es mit den blutigen Morden auf dem Balkan, mit den Balkankriegen, ein Ende hat. Wir haben die große Chance, Demokratie in einem sich vereinigenden Europa zu schaffen, wenn wir uns der Herausforderung, die die Erweiterung dieses Europas an uns stellt, gerecht erweisen. Deswegen wird es notwendig sein, dass wir uns nicht nur materiell engagieren, sondern dass wir zusammen mit unseren Partnern dauerhaft mit der Bundeswehr, aber auch mit zivilen Kräften in der Region präsent sind, solange dies notwendig ist. Frieden setzt voraus, dass Vertrauen geschaffen wird. Vertrauen wird nur wachsen, wenn Sicherheit gewährleistet ist und gleichzeitig die Wahrheit ausgesprochen wird. Sie ist die Grundlage der Versöhnung und Versöhnung ist die Grundlage, auf der der Frieden steht. Dies werden noch sehr schmerzhafte Prozesse. Dies setzt voraus, dass wir uns dauerhaft und langfristig engagieren. Aber die Chance, die wir jetzt haben, nämlich in diesem Europa dauerhaft Frieden zu schaffen, ist diesen Einsatz wert. Ich bedanke mich. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Bürgerkrieg löst heute keine einzige Frage. Es käme nur zu Massakern, wie während des Zweiten Weltkrieges zwischen serbischen Tschetniks und kroatischen Ustaschen. Da könnte Europa nicht ruhig zusehen. - Der wohl bekannteste jugoslawische Dissident, Milovan Djilas, hat diese Sätze in seinen späten Jahren nach dem Zusammenbruch des Tito-Jugoslawiens gesagt. Wie Recht er doch hat und wie gut es doch ist, dass es bei dieser - lassen Sie mich es so sagen - Halbrevolution in den letzten Tagen in Serbien keinen Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Lagern gegeben hat, so wie wir ihn viermal in der letzten Dekade erleben mussten. Dies muss zuallererst gesagt werden. Der Dank geht an alle besonnenen Kräfte, auch an die, die dem System Milosevic gedient haben und erkannt haben, dass das letzte Aufbäumen, die letzte Agonie einer Diktatur, einer Autokratie, nicht auch noch zu einem Blutvergießen im eigenen Volk führen darf. Auch denen will ich für diese eine Einsicht danken. Europa kann hierüber zwar erfreut sein, aber nicht ruhig zusehen. Unser Handeln und Abwägen ist gefordert. Deswegen ist es auch gut, dass wir über die Situation in Jugoslawien so kurz nach den dramatischen Ereignissen dort diskutieren, in einer Zeit, in der wir - hier stimme ich Ihnen zu - natürlich noch nicht von einer Konsolidierung des Prozesses ausgehen können. Die Nachrichten des gestrigen und heutigen Tages über das Verhalten der noch immer Milosevic-orientierten Mehrheit im serbischen Parlament sprechen Bände hinsichtlich der Schwierigkeit, eine Regierung zustande zu bringen. Ich hoffe, dass uns in den nächsten Tagen und Wochen nicht noch mehr Schwierigkeiten in dieser Richtung ins Haus stehen. In Wahrheit erleben wir die Agonie der letzten stalinistischen Bastion Europas. Spät, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer in Berlin, fällt auch dieses System in sich zusammen. In Wahrheit sind mit dem Zusammenbruch des Reiches von Milosevic auch ideologische Fantasien endgültig beerdigt worden, die in früheren Jahren, was Jugoslawien betrifft, bei uns sehr viel Sympathie gefunden hatten. Ich will an diesem Tag schon noch einmal erwähnen, was alles Rühmendes über das Modell der jugoslawischen Gesellschaft, der Arbeiterselbstverwaltung, der Blockfreiheit, in linken Studierstuben geschrieben und geäußert worden ist. Wie kläglich hat dieses Modell jetzt - wenn man ein Bild nehmen möchte - geendet: mit der Flucht des letzten Hauptschmarotzers, des Sohnes von Milosevic, nachdem er das Günstlingssystem in diesem Wirtschaftsmodell nicht mehr fortsetzen konnte. Milosevic konnte sich so lange über die Zeit retten, weil er den kommunistischen Anstrich, den Tito seiner Diktatur gegeben hatte, durch einen nationalistischen ersetzt hat. Ich erinnere an die Rede von Milosevic auf dem Amselfeld im Jahre 1989 vor 1 Million Menschen. Sie fand an dem Denkmal zur Schlacht auf dem Amselfeld statt, das heute von norwegischen KFOR-Soldaten bewacht wird. Es war bemerkenswert, wie sehr er auf dem Klavier des Chauvinismus gespielt hat. Beide Diktaturformen waren der Ausgangspunkt für die Missachtung und Verletzung der Menschenrechte von einzelnen Bürgern und ethnischen Minderheiten. Nun hat das Volk in Serbien gesprochen. Es hat sich klar gegen Milosevic ausgesprochen. Das ist eine Niederlage von Milosevic. Damit es ein Sieg der Demokratie wird, bedarf es noch vieler Arbeit. Es wird sehr viel an der Person von Präsident Kostunica hängen. Ich glaube aber, dass wir gut beraten sind, nicht allein einzelnen Personen anzuhängen, denn Demokratie hat in ihrem Wesensgehalt nicht die Orientierung auf eine Person, sondern die Orientierung auf eine bürgerliche Gesellschaft. ({0}) Es geht um den friedlichen Ausgleich mit den Nachbarn, das Land muss weg vom Chauvinismus und der Planbzw. Chaoswirtschaft hin zu einem offenen, europaorientierten Land geführt werden. Hier sehe ich die Schwierigkeiten, ohne Wasser in den Wein gießen zu wollen, und auch in der Frage, aus welcher Motivation nun der Umschwung stattgefunden hat, nicht bei denen von Otpor, nicht bei denen, die seit Jahren in der Opposition sind und die wir alle nach Kräften unterstützt haben. Dies war manchmal nicht ganz einfach; denn man musste manchmal abwägen: Schade ich ihm mehr, als dass ich ihm nutze, wenn ich ihm helfe? Bringe ich ihn in Gefahr? Ich darf bei dieser Gelegenheit den Dank an die politischen Stiftungen noch einmal aufgreifen. Herr Minister, wir haben heute früh im Ausschuss darüber diskutiert. Es war wieder einmal - in diesem Fall bin ich so vermessen - von der deutschen politischen Bildung der Stiftungen und auch aus einer konkreten Nachkriegssituation ein Export von Demokratiebestrebungen und von Zusammenarbeit im besten Sinne. So wie er auch in Spanien funktioniert hat, so können wir einen kleinen Teil - sicherlich nicht den großen Anteil; ihn hat das serbische Volk und die Opposition für sich in Anspruch zu nehmen - am Erodieren des Systems Milosevic von dieser Seite den Stiftungen zuzuschreiben. ({1}) Das mache ich gerne bei dieser Gelegenheit und auch weil ich mit Freude den Beifall fast des ganzen Hauses zur Kenntnis nehme. Dabei möchte ich darauf hinweisen - der Finanzminister ist nicht da, also richte ich den Appell direkt an den Bundeskanzler -: ({2}) Der Herr Außenminister bekommt für seinen Etat für die politischen Stiftungen 5 Millionen DM weniger. Wir halten das nicht für gut. ({3}) Das ist in den nächsten Jahren wichtig. Es geht nicht darum, den Kollegen Scharping, der sowieso zu wenig Geld für seine Bundeswehrreform hat, die er nicht finanzieren kann, anzugreifen, ({4}) - dann diskutieren wir morgen weiter -, aber im Sinne der Prävention ist es besser, 5 Millionen DM für die politischen Stiftungen zu belassen, weil sie bei der Konsolidierungsarbeit der nächsten Jahre Erhebliches werden leisten können und müssen. ({5}) Dass wir allerdings ein Schwergewicht der Arbeit beim Stabilitätspakt sehen, den wir unterstützen, ist selbstverständlich. Nun muss ich allerdings auch hier sagen: Der Kollege Weiß, der sich sehr intensiv um die Mittel in den neuen Haushalten für Osteuropa bemüht hat, sagte mir nicht nur zu meinem Erschrecken, dass die Mittel für den Stabilitätspakt von 541 Millionen DM in diesem Haushalt im nächsten um 151 Millionen DM, also um 28 Prozent, gekürzt werden. Dort ist eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nun machen Sie einmal in der Regierung Ihre Arbeit, meine Damen und meine Herren! Ich will zu einem weiteren Punkt unserer Politik Stellung nehmen. Die Frage der notwendigen militärischen Intervention, die Frage der Präsenz der NATO ist - ich sage das hier - im Wesentlichen unstreitig. Über die Mittel der Behandlung eines diktatorischen, aggressiven Regimes müssen wir allerdings in einem Punkt noch einmal reden. Möglicherweise sehr viele in diesem Haus und in der Regierung spüren Unbehagen gegenüber der Sanktionspolitik in der Form, wie sie bisher gelaufen ist. Wenn wir die Erfolge und Konsequenzen der Sanktionspolitik nüchtern und vorurteilsfrei diskutieren - ich empfehle uns, das in einigen Wochen einmal zu tun -, dann werden wir nach meiner Überzeugung feststellen, dass beispielsweise das Ölembargo längst nicht den Effekt gehabt hat, den es hätte haben sollen. Demnach hätte die Revolution im Winter stattfinden müssen; denn da war es kalt. Nein, sie hat jetzt aufgrund anderer Umstände stattgefunden. ({6}) - Völlig richtig, es waren die Wahlen. Das Problem war, dass man die Zivilbevölkerung trifft. - Die Kamarilla, die die Macht hatte, hat sich in den warmen Stuben gewärmt und das Geld auf die Seite geschafft. Das ist kein überzeugender Ansatz, Menschen für die Demokratie zu gewinnen. Deswegen will ich diese Sache hier ansprechen. Ich weiß, das die Adressaten dieser Diskussion nicht nur hier im Deutschen Bundestag und in der Bundesregierung, sondern im transatlantischen Dialog zu finden und zu suchen sind. Ich finde, wir als Parlamentarier, die wir mit Leuten aus anderen Parlamenten reden, wie zum Beispiel aus dem amerikanischen Kongress, sollten uns das Ganze noch einmal genauer anschauen. Christian Schmidt ({7}) Es ist richtig, dass die Quick-Start-Projekte, die angekündigt worden sind, kommen. Ich glaube, es ist nun notwendig, das wir Herrn Kostunica unterstützen, indem die Infrastruktur verbessert wird und Straßen gebaut werden. Aber wichtiger als Straßen ist in der nächsten Zeit vor allem die Etablierung der Demokratie. Es muss der Rahmen für eine Demokratie geschaffen werden, nämlich eine Verfassung. Es ist die Frage, welche Pfeiler der Rechtsordnung in den nächsten Monaten mit unserer Unterstützung und mit der des Südosteuropapaktes, soweit das gewollt ist, eingerammt werden können. Das wird über die Zukunft der Regierung Kostunica, über Otpor und alles, was dazu gehört, entscheiden. Ein Punkt macht mir allerdings noch Sorge: Wir haben alle genügend Erfahrung, wie in den Reformstaaten in einer Anfangseuphorie die Erwartungen von der Bevölkerung verständlicherweise unwahrscheinlich hochgepuscht werden und dann festzustellen ist, dass in einem desolaten, zugrunde gerichteten Wirtschaftssystem die Gesundung der Wirtschaft und der damit zusammenhängende Wohlstandszuwachs nicht automatisch kommen. Die Not der Regierungen, zu begründen, dass sie das Ganze in den ersten Jahren nicht bewältigen können, wird groß werden. Es muss verhindert werden, dass es so weit kommt und verzweifelte Regierungen dorthin flüchten, wo Milosevic angefangen hat: in den Nationalismus. Diese Frage ist noch nicht entschieden. Bei allem guten Willen, den ich unterstelle, hören wir natürlich schon noch kritische Äußerungen über die Zukunft des Kosovo, über die Frage des Verhältnisses Montenegro/Serbien, über das Verhalten der nach der Resolution 1244 installierten Behörde unter Verwaltung von Herrn Kouchner und über andere Dinge, so über den „Aggressor NATO“. Darüber müssen wir reden - zwar nicht heute oder morgen, aber auch nicht zu spät. Die Euphorie darf nicht dazu verführen, so zu tun, als wären die Dinge alle in Butter. Sie sind es in Serbien nicht. Es ist der Anfang gemacht worden, dass wir sie gemeinsam ins Reine bringen können. Es ist viel Diplomatie gefragt. Wenn ich die Besuchsdiplomatie verfolge und mir überlege, wer alles in nächster Zeit in Belgrad erscheint oder Kontakte dorthin hat, bitte ich darum, dass bei diesen Gelegenheiten Herrn Kostunica auch deutlich gemacht wird, dass es unverrückbare Positionen gibt, die er auch nicht durch sein Verhalten in den nächsten Monaten in eine solche Schieflage bringen kann, dass später keine vernüftige, friedliche Regelung des Friedens und der Zukunft beispielsweise des Kosovo möglich ist. Das ist eine Besorgnis, über die wir in diesem Hause immer wieder reden müssen, um klar zu machen, dass Milosevic ebenso ausgeliefert werden muss wie Karadzic und Mladic, die ebenso noch frei herumlaufen, obwohl sie Kriegsverbrecher sind. Es muss, Herr Außenminister, auch eine Regelung unter Einbeziehung der Kosovo-Albaner geschaffen werden, die verhindert, dass die Bundeswehr auf Dauer dort bleiben muss. Wir wollen, dass die KFOR zum gegebenen Zeitpunkt aus dem Kosovo heraus kann, und wir wollen, dass sich diese Region selbst befriedet, damit die Menschen friedlich miteinander leben können. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Gernot Erler für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 5. Oktober dieses Jahres wird als ein Tag des sensationellen Szenenwechsels in Belgrad mit weit reichenden Folgen in ganz Südosteuropa in die Zeitgeschichte eingehen. ({0}) Es geht ein hörbares Aufatmen durch ganz Europa. Wir gedenken in dieser Stunde aber auch der Hunderttausende von Opfern des 13-jährigen Regimes des Slobodan Milosevic. Es ist gut, dass einige dieser Opfer im Inneren von Serbien nicht umsonst gewesen sind. Es ist ein politischer Wechsel eingeleitet, aber noch nicht vollendet. Das hängt mit der nach der Konstitution relativ schwachen Position des jugoslawischen Präsidenten zusammen, mit der Machtposition, die in der serbischen Regierung und dem serbischen Präsidenten konzentriert ist, aber auch damit, dass die bisherige Nomenklatura von Milosevic noch nicht abgedankt hat. Sie testet vielmehr jeden Tag - auch heute - ihren politischen Spielraum. Deswegen sollte hier ein Konsens darüber bestehen, dass für uns und für alle in Europa die höchste Priorität heute heißen muss: Stabilisierung des politischen Wechsels in Jugoslawien. ({1}) Man nimmt jetzt von allen Seiten Fragezeichen und Einwände wahr. Auch Sie, Herr Kollege Schmidt, haben eben sehr vorsichtig darauf hingewiesen, dass Kostunica, der neue Präsident, ein Nationalist sei. Er bestreitet das im Übrigen selbst nicht. Man muss aber eine Rückfrage dabei stellen: Ohne eine nachdrückliche und demonstrative Vertretung der serbischen Interessen, ohne eine praktizierte Distanz zum Westen, auch eine kritische Distanz zu all dem, was der Westen auch während des Krieges in dieser Region gemacht hat, hätte Kostunica - davon bin ich überzeugt - diese Mehrheit nicht gewonnen und wir sind doch froh, dass er sie gewonnen hat. ({2}) Kostunica hat auch für die Zukunft eine feste Position hinsichtlich der serbischen bzw. jugoslawischen Integrität. Das bezieht sich sowohl auf Montenegro als auch auf den Kosovo. Der entscheidende Unterschied ist: Er ist bereit, darüber einen Dialog zu führen. Ich frage: Wäre es nicht katastrophal, wenn die Auflösung der Bundesrepublik Jugoslawien, die weder der Westen noch die internationale Gemeinschaft Milosevic abgetrotzt hat, jetzt als eine Forderung an den neuen, demokratisch gewählten Präsidenten Kostunica herangetragen würde? Das wäre falsch. Insofern kann ich von hier aus Herrn Djukanovic nicht nur wünschen, dass er sich schnell von seinem Autounfall erholt, sondern ihn auch auffordern: Nehmen Sie die ausgestreckte Hand zum Dialog an und unterstützen Christian Schmidt ({3}) Sie den neu gewählten Präsidenten! Das ist das, was wir von Ihnen erwarten. ({4}) Andernfalls glaube ich, dass der große politische Erfolg ganz schnell gefährdet sein und sich in eine Niederlage verwandeln könnte. Wenn die Hauptaufgabe also in der Stabilisierung des politischen Wechsels besteht, war es richtig, sofort politische Unterstützung zu organisieren. Ich glaube, wir können hier der Bundesregierung und den anderen europäischen Regierungen dafür dankbar sein, dass sie das schnell und überzeugend getan haben. Die Aufnahme persönlicher Kontakte ist auch psychologisch sehr wichtig. Es ist daher gut, dass jetzt viele Leute nach Belgrad fahren. Ich freue mich, dass auch der Bundestag dabei vertreten ist. Heute Morgen sind zwei unserer Kollegen, die seit langem Kontakte zur serbischen Opposition haben, Gert Weisskirchen und Christoph Moosbauer, dorthin aufgebrochen. Aber es ist klar: Die größten Erwartungen richten sich jetzt auf den ökonomischen und finanziellen Bereich. Dazu möchte ich gleich sagen: Ich begrüße es sehr - ich hoffe, wir alle tun das -, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung heute im Rahmen einer Soforthilfe 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt und gesagt hat, dass in diesem Jahr weitere 20 Millionen DM für den Aufschub von Projekten zur Verfügung stehen. Das genau ist es, was gebraucht wird: schnelle Soforthilfe. ({5}) Wir finden es auch richtig, dass die Außenminister der Europäischen Union am Montag einen Teil der Sanktionen, nämlich die, von denen die Bevölkerung am meisten betroffen ist, aufgehoben haben. Wir sagen aber genauso: Es hat keine Eile, zum Beispiel das Waffenembargo aufzuheben. Ich finde es nicht überzeugend, dass unsere russischen Freunde jetzt diesbezüglich einen Vorstoß machen. Es hat auch keine Eile, dass die Visabeschränkungen für die noch bestehende Nomenklatur aufgehoben werden, und schon gar nicht, dass die Konten, die diese Nomenklatur im Ausland angelegt hat und die noch eingefroren sind, geöffnet werden. Nein, man muss es einmal deutlich beim Namen nennen: Milosevic und seine Familie sind nicht nur ein Hort von Kriegsverbrechern. Milosevic ist auch ein raffgieriger Feigling, der in einer Zeit, in der sein Volk die größten Entbehrungen ertragen musste, Millionen DM beiseite geschafft hat, um notfalls ein sorgenfreies Leben im Ausland führen zu können. ({6}) Die soziale Lage der Bevölkerung in Jugoslawien ist in der Tat katastrophal: Der Durchschnittslohn beträgt 100 DM pro Monat, die Arbeitslosigkeit 40 Prozent. Die Inflationsrate kann in diesem Jahr noch 100 Prozent erreichen. In Jugoslawien, in Serbien gibt es - das ist eine Tatsache, die man manchmal vergisst - immer noch 600 000 Kriegsflüchtlinge aus Kroatien, aus BosnienHerzegowina, aus dem Kosovo. Jetzt ist die Glaubwürdigkeit Europas bzw. des Westens gefordert. Wir haben immer gesagt: Wenn das Problem Milosevic weg ist, wird es großzügige Zusagen geben. An die EU richten wir jetzt vor allem die Erwartung, dass nicht nur Zusagen erfolgen, sondern dass auch ohne große bürokratische Hemmnisse schnell gehandelt wird. Es gibt einen Fonds, der für die Einbeziehung von Jugoslawien in die europäischen Programme zur Verfügung steht. Natürlich ist es auch notwendig, Jugoslawien so schnell wie möglich in den Stabilitätspakt einzubeziehen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben eben etwas Kritisches über die Ausstattung gesagt. Ich hoffe, wir sind uns hier einig und in gleicher Weise informiert. Es gibt zwei Ebenen. Nach wie vor gibt es kein europäisches Land, das wie die Bundesrepublik zusätzlich zu den europäischen Beiträgen zum Stabilitätspakt ein bilaterales Programm von 1,2 Milliarden DM aufgelegt hat. Es würde mich freuen, wenn die anderen europäischen Länder das genauso machten. Auch das gehört zu einem korrekten Bild dazu; das muss hier einmal gesagt werden. Eines aber darf jetzt auf keinen Fall passieren: Die Einbeziehung Jugoslawiens in den Stabilitätspakt darf nicht zu einem Verdrängungswettbewerb führen. Ich stehe noch unter dem Eindruck einer Reise, die ich letzte Woche, also während dieser Ereignisse, durch Bulgarien, Mazedonien und Albanien gemacht habe. Dort wurde überall besorgt gefragt, was dies an Verdrängung auslösen könnte. Wir müssen im finanziellen und im politischen Bereich auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Nachbarn Jugoslawiens jetzt auf keinen Fall politische Opfer des von uns so begrüßten Wechsels in Belgrad werden. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Erler, nach diesen Ausführungen möchte ich Sie fragen: Wie will die Koalition gewährleisten, dass das, was Sie vorgetragen haben, tatsächlich stattfindet, nämlich dass es Unterstützung für die Bundesrepublik Jugoslawien, insbesondere für die Teilrepublik Serbien, im Rahmen unserer bilateralen Hilfen gibt, ohne dass es zu einer Schmälerung der Hilfen und der Zusammenarbeit mit den anderen Ländern Südosteuropas und Osteuropas kommt? Wie soll also die zusätzliche Hilfe für Serbien bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Hilfe für die anderen Länder gewährleistet werden - das haben Sie eben vorgetragen -, wenn nach den uns jetzt vorliegenden Haushaltsentwürfen der Bundesregierung die gesamten Mittel für Mittel- und Osteuropa sowie für Südosteuropa von jetzt 541 Millionen DM - ich habe die Mittel der Titel für Südosteuropa, MOE und für die Transformationsprogramme zusammengerechnet - im Jahr 2001 um 151 Millionen DM, also um 28 Prozent, gekürzt werden?

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weiß, ich habe eben schon gesagt - dafür gab es Beifall -, dass das BMZ heute extra 30 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat. Alle Projekte des Quick-Start-Programms sind im Rahmen des Stabilitätspaktes finanziell abgesichert. Ich gebe Ihnen in einem Punkt Recht: Ich persönlich bin der Meinung, dass es zu Beginn des nächsten Jahres eine weitere Geberkonferenz bzw. Finanzierungskonferenz über den Stabilitätspakt geben muss. Aber unterscheiden auch Sie bitte zwischen dem, was ohnehin im Rahmen der europäischen Programme gemacht wird, und dem, was auf bilateraler Ebene zusätzlich getan wird. ({0}) Wir sind weiterhin verpflichtet, das militärische Engagement der KFOR in Jugoslawien fortzusetzen. Ich glaube, darüber sind wir uns auch einig, weil die KFOR immer eine doppelte Aufgabe zu erfüllen hatte. Es ist zwar sicherlich richtig, dass die Aufgabe der KFOR, den Kosovo vor Übergriffen jugoslawischer Sondereinheiten und Militärs zu schützen, inzwischen weniger bedeutend geworden ist. Das begrüßen wir. Aber die KFOR hat auch noch die Aufgabe, den Bürgerfrieden im Kosovo zu erhalten und Minderheiten vor radikalisierten Albanern zu schützen. Allein aus diesem Grund wird es - das müssen wir bedenken - kein schnelles Ende dieser Mission geben können, zu der die Bundeswehr mit 8 000 Soldaten einen wesentlichen und wichtigen Beitrag leistet, den wir auch sehr anerkennen. Mein letzter Punkt betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Ich glaube, wir dürfen keinen Zentimeter von der Forderung abweichen, dass Milosevic und die anderen identifizierten Kriegsverbrecher vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt werden müssen. Allerdings muss die Frage, in welchem Zeitraum das passieren muss und kann, in Verbindung mit der Priorität der Stabilisierung des politischen Wechsels in Belgrad gesehen werden. In diesem Zusammenhang muss noch ein anderer vernünftiger Gedanke berücksichtigt werden. Das Sensationelle an der politischen Entwicklung in Jugoslawien ist doch die Selbstbefreiung. Das Ende des Regimes Milosevic ist von innen und nicht von außen eingeleitet worden. Aber Milosevic hat auch sehr viele Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung begangen. Die neue Gesellschaft in Jugoslawien hat die Chance und auch das Recht, dies von sich aus zu klären und das begangene Unrecht selber aufzuarbeiten. Dagegen könnten wir keinen Einwand erheben, selbst wenn wir die Forderung aufrechterhalten, dass die Verbrechen auch noch auf internationaler Ebene verfolgt werden müssen. Der 5. Oktober bietet uns eine riesige Chance und ist uns zugleich Verpflichtung. Wir haben immer gesagt: Nur dann, wenn Milosevic weg ist, kann es dauerhafte Stabilisierung in Südosteuropa geben. Ich finde, wir haben viele gute Gründe, jetzt zusammenzuarbeiten und die Stabilisierung gemeinsam zu unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glückwunsch an das serbische Volk, das nach langer Lethargie und Passivität das Joch des Diktators und Kriegsverbrechers Milosevic abgeschüttelt hat! Die Opposition konnte sich zu lange nicht einigen; wir haben es erlebt. Die ganze Hoffnung ruht jetzt auf dem neuen Präsidenten Kostunica. Er wird es nicht einfach haben. Ich füge hinzu: Wir werden es mit ihm auch nicht einfach haben. Aber er braucht dringend eine Chance. Er braucht Unterstützung, weil das serbische Volk seine ganze Hoffnung auf ihn setzt. Ich möchte gleich am Anfang sagen, dass alle Serben - auch die hier in der Bundesrepublik lebenden - wissen sollten, was wir immer wieder erklärt haben: Wir möchten, dass die Serben in die Völkergemeinschaft, nach Europa zurückkehren. Nichts richtet sich gegen das serbische Volk. ({0}) Die Serben gehören zu uns, wir wollen sie bei uns haben. Jetzt kommt auf die Bundesregierung, auf den Bundestag, auf uns alle einiges zu. Ich denke, wir sollten uns auf die Frage konzentrieren: Was kann man tun? Erstens. Ich schließe an das an, was Sie gesagt haben, Herr Erler: Der neuen Führung in Belgrad muss - ich sage das deutlicher als Sie - unmissverständlich klar gemacht werden, dass ein demokratischer Neuanfang mit Milosevic nicht möglich und nicht denkbar ist. ({1}) Da darf es kein Herumdeuteln und kein Zögern geben: Milosevic gehört nicht nach Belgrad, sondern nach Den Haag. Es darf ihm auch niemand Asyl geben. Frau Beer - gerade war sie noch anwesend - war zusammen mit mir und anderen Kollegen in der letzten Woche drei Tage im Kosovo. Ich war am 10. Jahrestag der Wiedervereinigung nicht nur in Pristina und Prizren bei der Bundeswehr, sondern auch in den Bergdörfern. Gemeinsam mit Rupert Neudeck von der Cap Anamur war ich in etwa sechs bis acht dieser Dörfer. Wenn Sie dabei gewesen wären, hätten Sie die Folgen dieser unseligen Zerstörungswut bis auf 1 000, 1100 bzw. 1 200 Meter hinauf sehen können: Kein einziges Haus ist dort intakt. Die Bergbauern, mit denen ich zusammengekommen bin, haben am 14. Mai letzten Jahres entweder durch Granaten oder durch brutale Ermordung elf Familienmitglieder verloren. Sie hausen heute im Schafstall. Ich war erschüttert. Bei diesem Besuch ist mir wieder klar geworden, was dieser Mann für eine Verantwortung auf sich geladen hat. Das, was ich heute sage, habe ich nicht erfunden. Ich habe es in den letzten Jahren immer wieder gesagt, auch als ich ihm als Außenminister die Hand geben musste, um ganz bestimmte Dinge durchzusetzen. Bei den Gesprächen habe ich immer das Gefühl gehabt, dass die Frage im Raum stand: War da etwas? Man musste ihm und Milutinovic, Herr Kollege Fischer, sagen: Ja, da war etwas. Da waren vier Aggressionskriege. Es gab schreckliches Morden und Verwüsten, nicht nur jetzt im Kosovo, sondern auch vorher in Bosnien, in Mostar. Dieser Mann gehört zur Verantwortung gezogen. Ich sage mit Klarheit: Jemand, der so viel Schlimmes verursacht hat und dafür die Hauptverantwortung trägt, darf nicht ruhig schlafen. Ich habe nichts gegen eine Vor-Gericht-Stellung in Jugoslawien, aber ich habe nicht den Eindruck, dass dies in absehbarer Zeit geschieht. Deshalb ist es ganz wichtig, dass sich die Stärke des Rechts durchsetzt. Zweitens. Wir müssen den Serben zeigen, dass sie zu Europa gehören. Deshalb war es richtig - das unterstützen wir -, die Sanktionen aufzuheben, im Augenblick ohne Bedingungen. Hilfsprogramme sind notwendig: Hilfe beim wirtschaftlichen und demokratischen Aufbau und eine schnelle, direkte Hilfe vor dem Winter für die betroffenen Menschen, vor allem im Kosovo, wo die Situation wirklich furchtbar ist. Drittens. Dazugehören in Europa heißt natürlich auch, Perspektiven in den europäischen und internationalen Organisationen zu haben. Deshalb glaube ich, dass man den Serben im Hinblick auf den Europarat Licht am Ende des Tunnels aufzeigen muss, ebenso im Hinblick auf die OSZE. Man muss auch Licht am Ende des Tunnels aufzeigen, was das Schild in der Vollversammlung der Vereinten Nationen anbetrifft - Herr Kollege Fischer, Sie werden es bei Ihrem diesjährigen Besuch wieder gesehen haben -, hinter dem derzeit niemand sitzt. Schließlich muss auch Licht am Ende des Tunnels aufgezeigt werden, was eine direkte Affinität zu Europa anbelangt. Ich wage in diesem Zusammenhang einen Gedanken zu äußern, von dem ich weiß, dass er nicht unumstritten sein wird: Wenn sich die demokratischen Strukturen durchsetzen, sollte man den Serben ein Assoziierungsverhältnis besonderer Art in Aussicht stellen. Ich spreche ausdrücklich von einem Verhältnis besonderer Art, einem, wenn man so will, „Vorzimmerstatus“ ohne konkrete Zusagen. Viertens. Hinsichtlich der Flüchtlingsfrage bitte ich gerade nach meinem Kosovo-Besuch in der letzten Woche herzlich darum, dass wir nichts übereilen. ({2}) Die Flüchtlinge müssen zurück und sie wollen alle zurück. Aber sie jetzt, vor einem harten Winter, und in einer Situation, in der in den Dörfern oben - bereits jetzt herrscht dort massive Kälte, bereits jetzt fällt dort Schnee - noch die Hälfte der Menschen in UNHCR-Zelten lebt, zurückzuschicken, das sollte man sich sehr genau überlegen. Wir haben lange genug Zeit gehabt und sollten auch jetzt noch ein bisschen Zeit haben. ({3}) Fünftens. Ich warne vor Euphorie - Herr Schmidt hat das auch getan - in Bezug auf den weiteren Fortgang der Dinge. Es wird nicht ganz einfach werden. Sechstens. Wir dürfen bitte nicht die Nachbarvölker der Serben vergessen. Ich weiß, dass jetzt die Statusfrage eine ganz große Rolle spielen wird. Was die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats für den Kosovo angeht, gibt es in absehbarer Zeit keine Chance auf Änderung. Das heißt, es kann um nicht mehr als um eine Zusage weitestgehender Autonomie gehen. Den Wunsch aller Kosovaren, um Gottes willen die Unabhängigkeit zu erreichen, weil es nie mehr möglich sein werde, mit den Serben zusammenzuleben, dürfen wir, darf die Völkergemeinschaft nach meiner Meinung letztlich nicht akzeptieren. Ein Groß-Albanien kommt übrigens für die Kosovaren nicht in Frage; mit Albanien wollen sie nicht zusammengehen. Auch findet man keinerlei Widerhall, wenn man mit ihnen über die Albaner in Griechenland und Mazedonien spricht. Eine Unabhängigkeit allein für den Kosovo wird es aber nicht geben können. Dasselbe gilt für Montenegro. Aber wir dürfen beide Regionen nicht vergessen und müssen mit den Menschen dort ehrlich diskutieren. Wir dürfen auch nicht so tun, als stehe unmittelbar etwas bevor - das hat die Bundesregierung nicht getan; das will ich ausdrücklich sagen -, was wir nicht zusagen können. Fazit: Die erfreuliche Entwicklung in Serbien stellt eine große Chance dar, jetzt die Balkanregion zu stabilisieren und an Europa heranzuführen. Gerade in diesen Tagen ist mir aufgefallen - man ist ja fast beschämt, wenn man durch den Kosovo reist; das wird Ihnen auch so gegangen sein -, wie wir Deutsche mit überschwänglichem Dank überschüttet werden. Dieser Dank gebührt jetzt in erster Linie der Bundeswehr, die dort eine tolle Arbeit leistet. ({4}) Dieser Dank gebührt aber auch allen Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise Help und Cap Anamur. Der hier manchmal so angegriffene Rupert Neudeck hat in der Zwischenzeit allein im Kosovo 3 400 Häuser gebaut. ({5}) Ich mag nicht die Hinterzimmervisionäre, sondern die Macher. ({6}) - Er hat sie quasi allein initiiert. - Diese Macher sollten wir unterstützen. Mein Dank gilt im Übrigen den Deutschen, die über lange Jahre hier viele Flüchtlinge aufgenommen haben und die auch privat Enormes gestiftet haben, damit Not und Elend in der Balkanregion einigermaßen gemildert werden können. Einen solchen Dank sollten wir gerade in einer solchen Situation nicht ganz hintanstellen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Bundestagsfraktion begrüßt mit aufrichtigem Herzen den demokratischen Wechsel in Jugoslawien. Wir wünschen dem neuen Präsidenten Kostunica Glück bei seiner schweren Aufgabe, zu Frieden, Demokratie und Aussöhnung beizutragen. Allein wird er es nicht leisten können, wenn es die Zivilgesellschaft nicht leistet. Ich wünsche vor allen Dingen, dass das Leben in Jugoslawien für die einzelnen Menschen und für das Volk insgesamt etwas leichter wird, weil sich die Situation verbessert. Darum muss es letztlich gehen. Die Menschen in Jugoslawien selbst haben die Ära Milosevic beendet. Die Politik von Milosevic war - ich sage das in bewusster Hinwendung zum Außenminister und zum Kollegen Schmidt - alles, nur nicht kommunistisch oder sozialistisch. Die Politik von Milosevic war despotisch und nationalistisch; er hat seinem Volk und der Balkanregion großen Schaden zugefügt. Gerade nach der Rede des Kollegen Schmidt füge ich hinzu: Ich glaube, dass man auch von diesem Pult aus die serbischen Sozialistinnen und Sozialisten, die serbischen Kommunistinnen und Kommunisten gegen Milosevic in Schutz nehmen muss. Ich verteidige die Würde der serbischen Sozialistinnen und Sozialisten, weil zu ihrer Geschichte der Widerstand gegen Hitler und Stalin gehört. Auch das sollten wir aus unseren Debatten nicht ausblenden. Wer das tut, der fälscht ebenfalls die Geschichte. ({0}) Politiker wie Milosevic und der verstorbene Tudjman - ich sage das voller Bitternis; ich glaube, man merkt sie einem an - waren durch die Politik der damaligen Bundesregierung möglich. Die vorschnelle Anerkennung der Loslösung einzelner Staaten und die Zerschlagung Jugoslawiens sind die Wurzel dieser entsetzlichen Entwicklung. ({1}) - Es sind Wurzeln in unterschiedlicher Art und Weise. Vor dieser geschichtlichen Verantwortung kann man sich nicht davonstehlen. In der Rückschau sollte man überlegen, was alles hätte entwickelt werden können und wie viel besser die Situation für die Menschen gewesen wäre, wenn man die Gelder nicht für den Krieg und für Kriegsfolgen, sondern für die Förderung sozialen Wohlstands eingesetzt hätte. ({2}) Ich widerspreche der hier vom Außenminister entwickelten Logik, dass der Krieg, die Sanktionen, der Druck den Wechsel in Belgrad möglich gemacht haben. ({3}) Herr Außenminister, wenn man Ihrer Logik folgt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es keine Entwicklung von innen war. Sie sagen: Letztendlich war es der äußere Druck; der Krieg selbst hat das bewirkt. Ich behaupte: Es war eine Entwicklung von innen; die Menschen selbst haben es bewirkt und die Menschen selbst haben sich entschieden. ({4}) - Natürlich hat Milosevic die Wahlen verloren. Es war richtig, dass sich die Menschen erhoben haben, keine Wahlfälschung zugelassen haben und Milosevic gehen musste. Das ist eindeutig und unstrittig. ({5}) Die Völker Jugoslawiens und nicht Bomben, Raketen und Sanktionen der NATO haben über die politischen Mehrheitsverhältnisse entschieden. ({6}) - Ich habe sie genauso wenig wie Sie ausgezählt. Das ist doch Unsinn. ({7}) Ich sage mit Bedacht und Überlegung: Der völkerrechtswidrige Krieg der NATO war auch eine Misstrauenserklärung gegen das Volk Jugoslawiens. Keiner, der den Krieg verantwortet bzw. unterstützt hat, kann sich deshalb aus meiner Sicht heute mit ruhigem Gewissen auf das Volk von Jugoslawien berufen, auf das er letztendlich Bomben hat werfen und Raketen hat schießen lassen. ({8}) Der Krieg hat die Veränderung in Jugoslawien nicht herbeigeführt, sondern nur hinausgezögert. Der Krieg hat letztendlich zu einer Verlängerung der Amtszeit von Milosevic beigetragen. ({9}) Herr Außenminister, ich will meinen Zwischenruf erklären, mit dem ich gesagt habe, das mache die Sache nicht besser. Sie haben nur einen Teil Ihrer politischen Vorgehensweise dargestellt. Ich halte die Unterstützung der demokratischen Opposition in der ganzen Welt für eine Selbstverständlichkeit. Da hätte man sehr viel mehr tun müssen. Ihre Politik hat eine Doppelstrategie verfolgt: Unterstützung der demokratischen Opposition und Sanktionen. Die Sanktionen haben nach meiner Überzeugung das einfache Volk getroffen; sie haben Nationalismus geschürt und ihn nicht abgebaut. Deswegen habe ich formuliert, das mache die Sache nicht besser. Man darf jetzt keine zusätzlichen Belastungen und Stabilitätsrisiken zulassen oder gar herbeiführen. Ich meine, das gilt besonders für den Status Montenegros und des Kosovos. Wer heute eine Statusdebatte beginnt - Kollege Kinkel hat hier damit bereits angefangen -, der zündelt an dem erreichten Zustand und gefährdet die Stabilität. Wir sollten alles tun, um die Stabilität nicht zu gefährden. Wir brauchen Wiederaufbau, Zuwendung, Auseinandersetzung, Debatte, Wahrheit und Aufklärung. Ohne das geht es nicht. Wir brauchen auch - das will ich von dieser Stelle aus deutlich sagen - eine Einbeziehung in den Stabilitätspakt. Nur direkte Hilfe, wie sie angesprochen wurde, reicht nicht aus. Ich bin für die Aufhebung vieler Sanktionen, aber nicht für die Aufhebung von Waffenembargos. Ich halte die russische Politik in diesem Bereich für völlig unakzeptabel. Vielmehr möchte ich, dass wir Waffenembargos auch gegen andere Länder aussprechen. Da hätten wir gemeinsam eine Menge zu tun. Einbeziehung ist nötig, aber auch Bereitschaft zum Wiederaufbau und zur Übernahme der Kriegsfolgen und -lasten in Serbien selbst. Wenn diese Zeichen nicht kommen, werden sich die Startbedingungen für Kostunica sehr schnell verschlechtern. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Kollege Dr. Helmut Lippelt spricht nunmehr für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir als jemandem, der seit 1991 jedes Jahr immer wieder nach Belgrad gefahren ist, weil er wusste, dass es dort nicht nur das Regime Milosevic gab, sondern auch Leute, die die europäischen Werte hochhielten und die Zivilgesellschaft im besten Sinne darstellten, hier einige Namen zu nennen und denen zu danken, denen wir neben dem Dank, den wir hier heute schon gehört haben, auch zu danken haben. ({0}) Ich möchte die Professoren der juristischen Fakultät in Belgrad nennen, die noch 1991, als die ethnischen Kriege längst begonnen hatten, in Belgrad ein Symposion zu Idee und Wirklichkeit des Rechtsstaates veranstalteten. Ich möchte die Frauen in Schwarz nennen, die mit ihren wöchentlichen Mahnwachen gegen Krieg und Rassismus antraten. Sie wurden viel beschimpft und waren noch vor einem halben Jahr schwersten Repressionen ausgesetzt - Hausdurchsuchungen usw. -, sodass einige fliehen mussten. Ich möchte Sonja Biserko und das gesamte HelsinkiKomitee für Menschenrechte in Serbien mit allen Mitarbeitern nennen, die jedes Jahr tapfer ihr Buch über die Menschenrechtssituation herausgebracht haben. Ich möchte Natasa Kandic nennen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Humanitarian Law Center, die viel dokumentiert haben von dem, was noch in Den Haag zur Sprache kommen wird. Ich möchte Borka Pavicevic nennen, die das Zentrum für Kulturelle Dekontamination gründete. Ich möchte Biljana Srbljanovic nennen, die in all den Jahren die „Belgrader Trilogie“ schrieb und die noch während des Kosovo-Krieges im Bombenhagel ihre Beiträge und ihr Tagebuch schrieb, das wir alle im „Spiegel“ nachlesen konnten. Wir haben der jungen Studentenbewegung Otpor zu danken. Hunderte von ihnen sind verprügelt, kurzfristig verhaftet und einige sogar schwer gefoltert worden. Ich möchte die vielen Deserteure nennen, die sich angesichts der Realität dieses ethnischen Krieges von Milosevic abgewandt haben. Viele von Ihnen haben in Europa vergeblich um Asyl nachgesucht. Unser Dank gilt auch den Professorinnen und Professoren, die entlassen wurden, weil sie vor drei Jahren keine Ergebenheitserklärung unterzeichnet haben, als das infame Universitätsgesetz als Teil der psychologischen Kriegsvorbereitung für den Kosovo-Krieg erlassen wurde. Nach ihrer Weigerung, die Erklärung zu unterzeichnen, haben sie in alternativen Seminaren weiter gelehrt. Wir danken auch den unabhängigen Journalisten und Journalistinnen, die trotz der Repression ihrer Medien, trotz Geldbußen und Haftstrafen ihre Arbeit der Aufklärung fortgesetzt haben. Vorgestern wurde von Kostunica der Journalist Filipovic begnadigt, der wegen Berichten über das serbische Militär und seine Verbrechen im Kosovo zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Wir hoffen sehr, dass auch Flora Brovina, die couragierte kosovo-albanische Ärztin, Dichterin und Menschenrechtlerin, die seit April 1999 im Gefängnis in Pozarevac festgehalten wird, in den nächsten Tagen freigesprochen wird. Wir hoffen, dass viele von den noch fast 1 000 aus dem Kosovo verschleppten kosovo-albanischen politischen Gefangenen ebenfalls freigelassen werden. Ich nenne auch zwei Politiker, die nie Chauvinisten geworden sind: Zarco Korac und Goran Svilanovic. Alle, die ich genannt habe, waren das Gewissen ihres Landes und werden, denke ich, die Garanten für eine demokratische und zivile Gesellschaft in Serbien sein. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Karl Lamers.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unter uns gibt es ein großes Maß an Übereinstimmung hinsichtlich der Beurteilung der Lage in Serbien. Wir sind alle glücklich und froh, dass in Serbien eine Revolution - ich zögere, es zu sagen stattgefunden hat. Jedenfalls hat sie begonnen. Wir sind froh, dass dieses Volk jetzt eine Chance hat, zu Demokratie, Wohlfahrt und zu Europa zu finden. Wir wissen, dass sich auch Chancen für ein neues Verhältnis zwischen diesem Land, Europa und dem Westen aufgetan haben. Aber Chancen sind keine Wirklichkeit. Wir alle wissen sehr gut, dass der Ausgang dieses Prozesses noch offen ist. Wir müssen das sehr nüchtern ins Kalkül ziehen. Wir wissen, dass der neue Präsident und die Kräfte, die ihn unterstützen, vor einer ungewöhnlich schwierigen Aufgabe stehen. Wir wissen, dass die ganze Politik und die Institutionen demokratisiert werden müssen. Wir wissen noch besser, dass es auch eine Revolution in den Köpfen geben muss; sie hat bestenfalls bei einigen wenigen begonnen. Ich bin nicht einmal sicher, inwieweit sie im Kopf des neuen Präsidenten schon stattgefunden hat. Auch Sie haben es gesagt, Herr Minister: Ohne der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, ohne sich einzugestehen, welche Verbrechen im Namen des serbischen Nationalismus begangen worden sind, und ohne sich einzugestehen, dass der zehnjährige, sich in vier Etappen abspielende Krieg von Serbien verloren worden ist, wird alles, was bislang stattgefunden hat, und alles, was wir tun können, tun wollen und auch wirklich tun werden, nicht dazu führen, dass der Prozess ein glückliches Ende findet. Deswegen finde ich es richtig, was der Kollege Kinkel gesagt hat: Wir müssen die hier lebenden Serben bitten, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um eine solche Revolution in den Köpfen in Serbien stattfinden zu lassen. Ich stelle mit großer Freude fest, dass jenes Element in der serbischen Gesellschaft, das - bei allen Einschränkungen, die ich mache - doch wohl der größte und relevanteste Teil der Zivilgesellschaft Serbiens ist, nämlich die serbisch-orthodoxe Kirche, seine Haltung in der letzten Zeit deutlich - und zwar zum Richtigen, zum Guten hin - verändert hat und dass die serbisch-orthodoxe Kirche hier sich sehr engagiert. Wir sollten das mit allem Nachdruck unterstützen. Wir wissen: Keines der Probleme ist gelöst. Das, was man im Falle Serbiens zu Recht - ohne jedwede, uns merkwürdig erscheinende Konnotation - als die nationale Frage bezeichnen kann, ist nicht gelöst. Besser müsste ich sagen: Sie ist in einem ganz anderen Sinne gelöst, als Milosevic sie lösen wollte. Milosevic wollte sie lösen, indem er alle Serben in einem Großserbien zusammenfasste. Jetzt leben fast alle Serben sozusagen in einem Kleinserbien. Das bedeutet, dass 750 000 Flüchtlinge in Serbien leben, und nicht etwa nur 600 000, wie Sie, Herr Erler, es gesagt haben. Es sind nicht alles Serben, aber doch gewiss der größte Teil. Ist das die endgültige Antwort der Geschichte? Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn Klaus Kinkel sagt: Sie müssen alle zurückkehren. - Es wäre die erste unter den zahllosen Vertreibungen, die wir im vergangenen Jahrhundert erlebt haben, die wieder rückgängig gemacht werden würde. Die bisherigen Ergebnisse sprechen nicht dafür, dass wir in diesem Fall etwas Neues erleben. ({0}) - Aber mit unserer militärischen Hilfe, Herr Kollege Erler. Außerdem sind, wie Sie wissen, die Serben zu einem großen Teil geflohen. ({1}) Sie werden nicht bestreiten können, dass sie im Augenblick nicht zurückkehren können. Es stellt sich in der Tat die Frage: Wie kann unsere Hilfe aussehen? Ich unterstreiche das, was alle Kollegen hier gesagt haben: Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um zu helfen, wobei die symbolische Bedeutung vielleicht noch größer ist. Wir müssen dem serbischen Volk klar machen: Wir, also der Westen, die Europäische Union, sind nicht sein Feind, sondern sein Partner. Wir wollen sein Freund sein. Wer schnell hilft, hilft doppelt. ({2}) Es ist richtig, wenn wir den Serben helfen wollen, nach Europa zurückzukehren. Wenn wir darunter die Mitgliedschaft in der Europäischen Union verstehen, dann muss man realistischerweise sagen, dass diese sehr ferne Perspektive den Serben heute nicht unmittelbar helfen kann. Wir sehen doch, wie schwierig es ist, unsere östlichen Nachbarn in der von uns erhofften und gewünschten Zeit in die Europäische Union einzugliedern. Die Frage stellt sich schon, ob uns nicht - ich sage es einmal bewusst salopp - etwas Neues einfallen muss. ({3}) - Wir haben noch nichts Neues, Herr Minister. - Ich fand sehr interessant, was Klaus Kinkel hier gesagt hat. Ich gehe weiter. Heute Morgen waren im Auswärtigen Ausschuss Kollegen aus Mazedonien zu Gast. Der mazedonische Kollege hat mehrmals betont - Sie waren ja dabei, Herr Kollege Erler -: Wir brauchen so etwas wie eine institutionalisierte Kooperation. - Das ist vollkommen richtig. Wieso institutionalisieren wir nicht den Stabilitätspakt? ({4}) - Nein, das verstehe ich nicht unter Institutionalisierung. Ich verstehe darunter, dass dieser Stabilitätspakt eine Institution wird wie die Europäische Union. Er soll gewissermaßen zu einer Euregio besonderer Art werden, an der alle - nicht nur die Staaten des früheren Jugoslawien, sondern auch die Nachbarn wie etwa die Ungarn und die Griechen - beteiligt sind, in der sie Kooperation üben, in der die Europäische Union sie dazu veranlassen, nötigenfalls auch zwingen kann, mitzuarbeiten. In dieser Institution sollte die Europäische Union nicht nur einen Sitz und eine Stimme haben, sondern - auch eine ausschlaggebende Rolle spielen. Ich glaube, dies ist eine sehr viel realistischere Vorstellung von der Heranführung dieses Teils unseres Kontinents an die Europäische Union als das Versprechen einer wirklich fern liegenden Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Es mag sein, dass der Gedanke zu kühn sein mag. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die bisherigen Wege mit Sicherheit nicht ausreichen. Unsere größte Anstrengung muss die in unseren eigenen Köpfen sein. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Eberhard Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Politiker sollten eigentlich nicht sentimental sein. Und trotzdem: Als die Bilder von den Hunderttausenden von Menschen, die durch die Straßen Belgrads marschierten und ihre Nomenklatura in die Pensionierung schickten, über den Äther gingen, da wurden meine Augen feucht. Ich glaube, das war bei manch anderem Kollegen ähnlich. In den Zeitungen liest man in diesem Zusammenhang Worte wie „schwärmen“ und „Euphorie“. Eine Zeitung schrieb, dass man angesichts der Entwicklungen nicht besoffen werden sollte. Das sollten wir in der Tat nicht - viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben das ja bereits festgestellt -, denn eine Konsolidierung ist noch nicht durchgesetzt. Die Revolution ist noch nicht endgültig gewonnen. In einem solchen Moment sollten wir einmal zurückschauen: Was haben wir denn noch vor wenigen Wochen der serbischen Opposition zugetraut? Da gab es die Eliten und da gab es das serbische Volk, dem wir nachsagten, dass es in seiner großen Mehrheit lethargisch und ergeben sei. Wir meinten, die Serben hätten sich bereits im Dezember 1996 bei den Demonstrationen, die überwiegend erfolglos waren, die Füße wund gelaufen. Wir meinten, die Serben hätten kein Vertrauen mehr zu der völlig zersplitterten Opposition. Wir meinten, das serbische Volk sei in seiner materiellen Not darauf fixiert, den täglichen Überlebenskampf zugunsten der Familien zu gewinnen. Dabei hätten wir uns an den Herbst 1989 erinnern können. Niemand von uns Ostdeutschen konnte damals das Ergebnis vorhersehen, das wir mit unseren kleinen Eingaben, unseren Protesten und den zarten Friedensgebeten mit am Anfang 20, 30 Menschen angeschoben haben. Schließlich fiel von uns im Laufe dieses Prozesses die Angst ab und wir bekamen von Tag zu Tag mehr Kraft zum Gestalten, sodass schließlich klar wurde, dass nicht ein Diktator, sondern nur das Volk mit seinen frei gewählten Vertretern der wahre Souverän sein kann. Das ist auch hier in Serbien passiert. Doch nicht nur den Menschen in Serbien ist an dieser Stelle zu danken. Ohne die präventive Politik der westlichen Regierungen, der Nichtregierungsorganisationen und Kommunen wäre das Wunder von Belgrad vermutlich so nicht möglich gewesen. Die Hilfen für die von der Opposition regierten Städte durch Energielieferungen, durch Straßenbau und Bildungsangebote waren ein Baustein dieser Politik. Ein anderer war die Unterstützung der Opposition und der freien Medien mit Telefonen, Computern und Büromaterial. Schließlich möchte ich an das beharrliche Bemühen unseres Außenministers und seiner engagierten Mitstreiter erinnern, durch sanften Druck von außen den Oppositionssolisten in Belgrad klarzumachen, dass sie nur Erfolg haben können, wenn sie in einem Orchester spielen. Wir hoffen nun darauf, dass dieses Orchester zusammenbleibt und nicht zerfällt und dass es dazu beiträgt, dass es zu weniger dissonanten Tönen auf dem Balkan kommt. Für diese ausgezeichnete Konfliktprävention sei der Bundesregierung von dieser Stelle aus herzlich gedankt. ({0}) Eine Äußerung des Abgeordneten Gehrcke veranlasst mich zu einer weiteren Bemerkung. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich im Originalton eine Presseerklärung von Herrn Gehrcke: Es bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn der Westen einen Erfolg der Opposition mit einer selten so massiv praktizierten Einmischung verbunden hat. ({1}) Dieser ungeheuerliche Satz müsste einmal interpretiert werden. ({2}) Denn diese Einmischung war ein Teil der Voraussetzung für die jetzigen Entwicklungen. Diesen bitteren Beigeschmack hatte Herr Gehrcke hoffentlich auch bei der von Milosevic angerichteten Apokalypse, als Hunderttausende von Menschen umgekommen sind, ({3}) als Hunderttausende von Menschen als Flüchtlinge durch den Balkan irrten, und angesichts der dortigen Zerstörungen und des Hasses, der zwischen den Generationen aufgebaut worden ist. Die Verwüstungen in den Köpfen werden wahrscheinlich den Neuanfang des neuen Jugoslawiens erheblich erschweren. Zunächst geht es nun um die innenpolitische Konsolidierung Jugoslawiens. Nach der weitgehenden Aufhebung der Sanktionen stehen jetzt für die Bundesrepublik und die EU eine humanitäre Soforthilfe und die Einbeziehung Jugoslawiens in den Stabilitätspakt auf dem Programm. Wir haben eben gerade gehört, was beschlossen worden ist. Es wäre fatal - darauf haben schon verschiedene Redner hingewiesen -, wenn die finanziellen Mittel innerhalb des Stabilitätspaktes nun zulasten der anderen Empfängerländer umgeschichtet werden. Deswegen muss der Stabilitätspakt in der Tat ergänzt und erweitert werden. Ich hoffe, dass die Haushälter noch bis zur Bereinigungssitzung zu einer Verständigung kommen und dies, wenn das möglich ist, auch seinen Niederschlag im Einzelplan 05 findet. Das serbische Volk hat in seiner großen Mehrheit am 5. Oktober die Revolution gewonnen. Das serbische Volk ist der Gewinner. Dass umgekehrt Milosevic und seine Nomenklatura die klaren Verlierer sind, liegt auf der Hand. Daneben gibt es die in der Region, die ich vielleicht einmal „sekundäre Verlierer“ nennen möchte: Da sind die nationalistischen Serben um Radovan Karadzic in der Republik Srpska, die nun ihren Übervater verloren haben. Es ist nur zu hoffen, dass die radikalen Kräfte schwächer werden. Diese Hoffnung ist begründet durch das ebenfalls nachlassende Störfeuer der kroatischen Nationalisten in der Föderation nach dem Tode von Franjo Tudjman. Auch die serbischen Hardliner im Kosovo haben mit Slobodan Milosevic ihren fanatischsten Mitstreiter für frühere Privilegien gegenüber den Albanern verloren. Dennoch ist es derzeit völlig offen, in welchem Ausmaß sich Präsident Kostunica in seiner Kosovo-Politik von seinem Amtsvorgänger unterscheiden wird. Auch diejenigen Montenegriner, die eine Sezession von Serbien, unabhängig von den politischen Verhältnissen in Belgrad, betreiben, werden kaum noch auf die - ohnehin verhaltene - Unterstützung des Westens für ihr Vorhaben rechnen können. Die ersten Reaktionen aus Podgorica auf die Revolution waren entsprechend verhalten. Milo Djukanovic und sein Kabinett sollten nicht an alten Unabhängigkeitsträumen für die winzige Teilrepublik festhalten, sondern auf dem Verhandlungswege eine akzeptable Neufassung der jugoslawischen Verfassung erstreiten. Zu diesem schweren, aber realistischen Weg sollten wir beide Seiten ermuntern, wenn nicht gar drängen. Schließlich befürchten nun die Kosovo-Albaner, dass die internationale Gemeinschaft ihren Anspruch auf eine unabhängige Republik Kosovo von der Agenda internationaler Gespräche streichen wird. Mit einem imperialen Diktator im Rücken als Feindbild war die Notwendigkeit einer albanischen Republik Kosovo leichter vermittelbar. Auch die Kosovo-Albaner werden sich den neuen Realitäten stellen müssen. Eine Regelung des Status der früher autonomen Provinz Kosovo scheint auf absehbare Zeit nicht erreichbar. Hier sollten keine falschen Hoffungen erweckt werden. Wichtiger ist es vielmehr, den gegenseitigen Hass aus der Ära Milosevic abzubauen. Mit kleinen Schritten der Vertrauensbildung könnte es möglich sein, langfristig den Boden für eine Statusregelung zu bestellen. Denn erst wenn die Menschen begreifen, dass ihr persönliches Glück, ihre Lebensqualität weniger von Grenzverläufen, Flaggen und Hymnen als vielmehr von der Einhaltung der Menschenrechte, von Demokratie, Prosperität und Bildung abhängen, wird für sie ein Leben in Frieden und Glück möglich sein. Die Geschichte der letzten zehn Jahre - die „Erbfolgekriege“ eines größenwahnsinnigen Diktators - macht das Verhältnis der Serben zu ihren Nachbarn nicht gerade einfach. Eine Ausgrenzung der Serben würde dem Geist des Stabilitätspaktes und auch unseren Interessen widersprechen. Mit der Revolution der letzten Woche wurde eine notwendige Bedingung für die Wiederherstellung von Vertrauen geschaffen. Hinreichend ist dies noch lange nicht. Wir sollten dem serbischen Volk und seinen Nachbarn dabei helfen, das Konfliktpotenzial abzubauen und Vertrauen aufzubauen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 12. Oktober 2000, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.