Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/3/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, meine Damen und Herren! ({0}) Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich dem Kollegen Hans Georg Wagner, der am 26. November seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich sehr herzlich im Namen des Hauses. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Bildungsausschuß künftig Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung heißen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen energischen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Des weiteren ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen in einer Zusatzpunktliste vorliegenden Punkte zu erweitern: ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung der Bundesregierung zu der mit der beabsichtigten Veräußerung von Metro-AG-Sparten verbundenen Gefährdung von über 34 000 Arbeitsplätzen sowie zu den Auswirkungen auf Mietverträge und Einnahmen der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben ({2}) ZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. September 1998 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Europäischen Zen- tralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank - Drucksache 14/70 - b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartmut Büttner ({4}), Günter Nooke und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes ({5}) - Drucksache 14/91 - c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des StasiUnterlagen-Gesetzes ({6}) - Drucksache 14/92 - d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Lengsfeld, Norbert Otto ({7}), Hartmut Büttner ({8}) und der Fraktion der CDU/CSU: Überlassung der Akten der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR durch die Regie- rung der Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksa- che 14/89 - ZP3 Wahlen zu Gremien a) Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksachen 14/96, 14/97, 14/98, 14/99, 14/100 - b) Gemeinsamer Ausschuß gemäß Artikel 53a des Grund- gesetzes - Drucksachen 14/106, 14/107, 14/108, 14/109, 14/110 - c) Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({9}) - Drucksache 14/117 - d) Wahlprüfungsausschuß gemäß § 3 Abs. 2 des Wahl- prüfungsgesetzes - Drucksachen 14/101, 14/102, 14/103, 14/104, 14/105 - e) Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung gemäß § 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Errich- tung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirt- schaftsgebietes und § 2 der Verordnung über die Bun- desschuldenverwaltung - Drucksache 14/114 - f) Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt gemäß § 313 Abs. 1 und 2 des Lastenausgleichsgesetzes - Drucksache 14/118 - g) Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommuni- kation und Post gemäß § 67 Abs. 1 des Telekommuni- kationsgesetzes - Drucksache 14/111 - h) Programmbeirat beim Bundesministerium der Finan- zen - Drucksache 14/115 - i) Kunstbeirat beim Bundesministerium der Finanzen - Drucksache 14/112 - j) Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ - Drucksache 14/113 - k) Kuratorium der Stiftung „Stiftung Archiv und der Parteien und Massenorganisationen in der DDR“ - Drucksache 14/116 ZP4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zu den angekündigten Erhöhungen von Energiesteuern, insbesondere der Mineralölsteuer, sowie der Mehrwertsteuer ZP5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Die Zukunft der Bundeswehr vor dem Hintergrund von Äußerungen des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, zur Entbehrlichkeit eines stehenden Heeres Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf geänderte bzw. nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Interfraktionell ist vereinbart worden, die Mitberatung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beim nachfolgenden Gesetzentwurf zu streichen. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur Änderung des Parteiengesetzes - Drucksache 14/41 überwiesen: Innenausschuß ({10}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Die in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen nachträglich dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Einstieg in die ökologische Steuerreform - Drucksache 14/40 überwiesen: Finanzausschuß ({11}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Tourismus Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entlastung durch Einführung einer ökologischen und sozialen Steuerreform - Drucksache 14/66 ({12}) überwiesen: Finanzausschuß ({13}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß Der in der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich dem Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Abschaffung des Flughafenverfahrens ({14}) - Drucksache 14/26 überwiesen: Innenausschuß ({15}) Rechtsausschuß Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Die Fraktion der PDS hat fristgemäß beantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses zu erweitern. Dieser Antrag wird heute mittag unmittelbar vor der Wahl der Mitglieder des Vermittlungsausschusses aufgerufen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Hildebrecht Braun ({16}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes ({17}) - Drucksache 14/48 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({18}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der F.D.P. zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Sachverhalt auf der Tagesordnung, der dieses Haus seit vielen Jahren beschäftigt. Ich selbst gehöre dem Deutschen Bundestag seit knapp drei Jahren an. Allein in dieser Zeit hat es regelmäßig Debatten dazu gegeben. Ich möchte mit dem, was ich hierzu zu sagen habe, vor allem dazu beitragen, daß wir die Diskussion über Migrationspolitik, Zuwanderungspolitik, über Integrationspolitik, Ausländerpolitik in Deutschland insgesamt versachlichen. ({0}) Wir erleben mittlerweile eine Diskussion, die niemandem in diesem Hohen Hause gefallen kann. Wenn es eine spektakuläre Abschiebung eines ausländischen jungen Straftäters gibt, dann erleben wir in der Öffentlichkeit eine Diskussion, die rational kaum noch nachvollziehbar ist. Ich meine, wir alle sollten daran arbeiten, daß die vielen hunderttausend Ausländer, die in Deutschland leben und sich integrieren, durch eine solche Debatte nicht kriminalisiert werden. Die jungen Ausländer in Deutschland sind nicht lauter Mehmets. Es ist wichtig, daß wir immer wieder darauf hinweisen. ({1}) Aus Sicht der Freien Demokraten sollte die Zuwanderungspolitik vor allem versachlicht werden. Das ist der Sinn des von uns vorgelegten Gesetzentwurfs. Es geht darum, daß die Migrationspolitik in Deutschland zwei Ziele berücksichtigen muß: erstens die kontrollierte und gesteuerte Zuwanderung und zweitens die vernünftige Integration vor allem der hier geborenen Kinder. ({2}) Beides gehört zusammen. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Deswegen ist es ein Fehler, das eine Vorhaben gegen das andere auszuspielen. Wir brauchen einerseits eine Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts, um die Kinder, die hier Präsident Wolfgang Thierse geboren werden, besser zu integrieren. Wir brauchen andererseits eine Begrenzung, Steuerung und Kontrolle der doch faktisch vorhandenen Zuwanderung nach Deutschland, worüber wir in den letzten Debatten immer wieder gesprochen haben. ({3}) Ich möchte an die Parteien SPD und Grüne appellieren. Nach dem Regierungswechsel haben Angehörige Ihrer Parteien auf der Regierungsbank dieses Hauses Platz genommen. Damit hat sich sozusagen Ihre Blickrichtung in diesem Hause verändert. Die gesellschaftliche Realität hat sich aber nicht verändert. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Halten Sie an dem fest, was Sie selbst in der letzten Legislaturperiode immer wieder vertreten haben! Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben einen Gesetzentwurf zur Zuwanderung eingebracht. Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben einen Antrag zur Zuwanderung eingebracht. Diese beiden Vorlagen stammen aus der letzten Legislaturperiode. Darin fordern Sie ein Zuwanderungsbegrenzungs- und Zuwanderungskontrollgesetz. Die Realitäten haben sich aber nicht dadurch verändert, nur weil Sie jetzt auf den Sesseln der Regierungsbank sitzen. ({4}) Die heutige Diskussion ist bemerkenswert. Wir erleben, daß die Grünen in öffentlichen Diskussionen den Bundesinnenminister als - wörtlich - Kronzeugen ausländerfeindlicher Ressentiments und Aggressionen bezichtigen. Man sollte sich an das erinnern, was hier im letzten Jahr diskutiert wurde. Ich zitiere aus dem Stenographischen Bericht der Parlamentssitzung vom 5. Juni 1997. Dort heißt es: Seit Jahrzehnten gibt es eine Zuwanderung nach Deutschland. Der Bundesinnenminister aber argumentiert nach der Devise, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich muß schon sagen: Es zeugt von Realitätsverlust und ideologisch geprägtem Starrsinn, wenn man vor diesen Tatsachen die Augen verschließt. ({5}) Das hat nicht ein Abgeordneter der heutigen Opposition gesagt, sondern Sie, Frau Kollegin SonntagWolgast. Wenn man nicht wüßte, daß Ihre Partei heute den Innenminister stellt, dann könnte man meinen, daß sich nichts verändert hat. Nach der oben zitierten Aussage schloß sich der Zuruf des heutigen Bundesinnenministers Schily an: „Der Staatssekretär macht das auch!“ Sie wollen von Ihrer damaligen Position nichts mehr wissen. Wir bedauern das sehr. Die Union hat in der letzten Koalition immer eine andere Meinung vertreten. Deswegen kann ich ihr nicht vorwerfen, daß sie sich unserem Vorhaben nicht anschließt. Sie aber haben uns in der letzten Legislaturperiode immer wieder aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, was wir aus Koalitionsgründen nicht getan haben. Deswegen müssen Sie heute, wo Sie die Regierung stellen, den Mut zur eigenen Courage haben. ({6}) Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vor allem eine Begrenzung der Zuwanderung beabsichtigt. Frau Kollegin Beck, ich habe sehr genau nachgelesen, was Sie zu unserem Gesetzentwurf erklärt haben. Sie haben keinen leichten Stand. Ich hoffe und wünsche Ihnen, daß für Sie der heutige Tag kein schlechter Start als neue Ausländerbeauftragte wird. ({7}) Ich möchte Ihnen folgendes anbieten. Sie haben sich im Detail in mehreren Interviews mit unserem Gesetzentwurf auseinandergesetzt, was ich sehr begrüße. Sie haben da und dort sehr konkret andere Vorstellungen. Wir sind heute in der ersten parlamentarischen Beratung. Wir sagen Ihnen: Auch wenn Sie an Details dieses oder jenes ändern wollen, lassen Sie uns darüber sprechen, was der vernünftigere Weg ist! Lassen Sie uns aber nicht aus politischen Opportunitätsgründen darauf verzichten, eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Maßnahmen schon in dieser Legislaturperiode anzugehen und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag. ({8}) Wir sind als Freie Demokraten der Auffassung, daß Deutschland mehr Kontrolle über die Zuwanderung braucht und nicht mehr Zuwanderung. ({9}) Aber in Deutschland findet eine Zuwanderung faktisch statt. Ob wir es wollen oder nicht: Es wird auch künftig eine Zuwanderung nach Deutschland geben. Wir müssen dafür sorgen - das liegt in unserem nationalen Interesse -, daß diese Zuwanderung kontrolliert, gesteuert stattfindet und sich auch nach eigenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen ausrichtet. ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht darum, die Tür zu öffnen oder andererseits eine Diskussion unter der Überschrift „Das Boot ist voll“ zu führen. Es geht darum, daß Politik mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit beginnt. Wir wollen einerseits die Zuwanderung steuern; andererseits sieht unser Gesetzentwurf auch eine bessere Integration, eine bessere Eingliederung vor. Deswegen schreiben wir obligatorische Sprach- und Eingliederungskurse für Zuwanderung vor, die übrigens auch zur Voraussetzung für Einbürgerungsansprüche gemacht werden sollen. Was unsere humanitären Verpflichtungen angeht, die ja schon in den Art. 16 und 6 unseres Grundgesetzes besonders hervorgehoben und geschützt sind, ändert dieses Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. überDr. Guido Westerwelle haupt nichts; denn natürlich müssen zuvor die grundgesetzlichen Ansprüche erfüllt werden, muß zuvor der Verfassung entsprochen werden. Wenn also durch Asyl, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Familiennachzug die jährlich festzusetzende Zuwanderungsquote bereits erfüllt oder übererfüllt ist, gibt es keine Zuwanderung. Andererseits hat aber ein solches Zuwanderungsbegrenzungsgesetz tatsächlich schon jetzt eine steuernde Wirkung; denn unser Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, daß derjenige, der einen Asylantrag stellt, gleichzeitig keinen Zuwanderungsantrag stellen kann. Asyl und Zuwanderung schließen sich nach unserer Vorstellung aus. Deswegen kann dies auch für viele, die bisher vielleicht unberechtigterweise den Weg des Asylrechts gehen wollen, Anlaß und Motivation sein, darauf zu verzichten, damit sie sich die Tür für eine materiell berechtigte Zuwanderung nicht verschließen. ({11}) Das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz hat allein durch seine Verabschiedung schon eine kontrollierende und begrenzende Wirkung, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es gibt jährliche Quoten, die von einer entsprechenden Kommission festgesetzt werden müssen. Die Teilquoten müssen angerechnet werden. Es kann sehr wohl auch in kurzer Zeit passieren, daß uns Mangelberufe oder beispielsweise die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft an einigen Stellen dazu zwingen, bei Zuwanderungen nachzusteuern. Das alles sind keine neuen Argumente, sondern solche, die Sie uns in der letzten Legislaturperiode als Oppositionsparteien immer wieder vorgehalten haben. Sie haben damals der F.D.P. gesagt, obwohl wir in einer Koalition waren, in der unser Koalitionspartner dies nicht akzeptieren konnte: Habt Mut, geht voran, legt den Entwurf vor. Sie haben damals Frau Kollegin SchmalzJacobsen, die diesen Gesetzentwurf aus Gründen der Koalitionsraison nicht einbringen konnte, immer wieder heftig dafür kritisiert. Wir haben uns damals nicht einigen können, und Sie wissen, daß der Koalitionsvertrag wie bei Ihnen heute auch - vorsah, daß man einen Gesetzentwurf dann nicht einbringen kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist bereits deutlich überschritten.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. Darf ich bitte noch einen letzten Satz sagen? Wir waren uns damals nicht einig; deswegen kam es nicht zur Einbringung. Sie sind sich doch angeblich einig, jedenfalls nach Ihren Anträgen aus dem letzten Jahr. Dann müßten Sie sich auch an unserer Initiative beteiligen. Dazu fordern wir Sie auf, und darum bitten wir Sie im Interesse einer rationalen Migrationspolitik in Deutschland. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch, SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf der F.D.P., der die Regierungsfraktionen zwingen soll, Farbe zu bekennen, wie es Herr Westerwelle kürzlich formuliert hat. Das wollen wir heute auch gerne tun. Für die CDU und vor allen Dingen die CSU läßt sich das Problem der Zuwanderung offensichtlich auf einen einfachen Nenner bringen: Deutschland ist kein Einwanderungsland, und deswegen brauchen wir auch kein Einwanderungsgesetz, punktum. Wenn das alles so einfach wäre, Herr Marschewski! Eines steht fest: Das Problem einer gezielten Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung eignet sich bei genauer Betrachtung nicht zum populistischen Polarisieren. Es gibt auch kein Patentrezept zu dessen Lösung, wie manche in den letzten Wochen gemachte Äußerung vermuten läßt. Was wir beim Thema Zuwanderung brauchen, ist eine vorurteilsfreie Diskussion über unser nationales Selbstverständnis, über unsere Zielsetzungen bei der Integration von Ausländern und über die Ängste, die mit dem Thema Integration und Zuwanderung noch immer verbunden sind. Auch Bundespräsident Herzog hat vor kurzem zu Recht eine sachliche öffentliche Diskussion über den Zuzug von Ausländern gefordert. Woran mir deshalb ebenso wie Herrn Westerwelle liegt, ist ein Beitrag zur Versachlichung. Ich möchte daher auf drei Fragen eingehen. Erstens. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Zuwanderung sprechen? Zweitens. Brauchen wir ein Gesetz, das die Zuwanderung regelt? Drittens. Wenn ja, welche Bedingungen sollten dafür gelten, und wann sollten wir ein solches Gesetz verabschieden? Zur ersten Frage: Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Zuwanderung sprechen? Im Bereich der Zuwanderungsdiskussion herrscht, wie es der verehrte Kollege Özdemir treffend genannt hat, eine „babylonische Sprachverwirrung: jeder, der über das Thema diskutiert, meint etwas anderes“. Deshalb scheint es mir zunächst wichtig, uns klarzumachen, was mit einem Zuwanderungsgesetz eigentlich gesteuert, begrenzt oder ermöglicht werden kann. Zur Zeit - das ist die Datenlage - kommen zwischen 300 000 und 400 000 Menschen aus anderen Ländern zu uns mit dem Ziel eines längeren oder dauernden Aufenthaltes. Die größte Gruppe stellten bislang die Spätaussiedler. Bei ihnen ist jedoch die Zuzugssteuerung schon seit 1993 Realität. 1998 werden es voraussichtlich noch 90 000 Spätaussiedler sein. Durch das Zuwanderungsgesetz würde sich ihr Status nicht grundlegend ändern. Hinzu kommen jährlich noch zirka 100 000 Asylsuchende. Auch auf ihre Zahl kann und sollte ein Zuwanderungsgesetz keinen unmittelbaren Einfluß ausüben. Ausgelöst durch den Kosovo-Konflikt kommen dieses Jahr darüber hinaus als dritte Gruppe voraussichtlich rund 50 000 Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns und - als vierte Gruppe - schätzungsweise 40 000 bis 50 000 Menschen im Wege des Familiennachzugs. Hier setzen humanitäre, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen den Rahmen, den wir politisch nicht grundlegend verändern wollen. Übrig bleibt dann vor allem die Gruppe der Arbeitszuwanderer. Deren dauerhafter Zuzug macht indessen derzeit nur einen relativ geringen Anteil an der Gesamtzuwanderung aus. Diese Differenzierung ist, so meine ich, notwendig, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Denn falsch ist vor allem die Erwartung, ein Zuwanderungsgesetz könnte die verschiedenen bestehenden Zuzugsmöglichkeiten ersetzen und auf diese Weise die Zuwanderung drastisch reduzieren. Selbstverständlich gibt es Grenzen der Integrationsbereitschaft, und selbstverständlich müssen wir diese Grenzen beachten. Aber Integrationsbereitschaft ist keine feste Größe. Wir müssen für Integration werben. Wir müssen sie aktiv fördern, und wir müssen soziale Rahmenbedingungen schaffen, in denen ein verständnisbereites Zusammenleben verschiedener Menschen aus verschiedensten Kulturen möglich ist. ({0}) Denn Integration ist kein einmaliger Vorgang. Integration ist ein dauernder Prozeß mit täglichen Bewährungsproben. Eine unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg dieser Bemühungen ist auch der sensible Umgang mit Sprache und ihren Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung. Noch wichtiger allerdings scheint mir für den Erfolg von Integrationspolitik die solide Kenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Auch da stimme ich mit Herrn Westerwelle überein. In vielen Bereichen aber operieren wir zur Zeit noch auf sehr unsicherer Datenbasis. Wichtige Zahlen - etwa der Umfang des Familiennachzugs oder die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden De-facto-Flüchtlinge können bislang nur grob geschätzt werden. Gleiches gilt für die Zahl illegaler Zu- und Abwanderung. Auch die Folgen der demographischen Entwicklung sind noch nicht zur Genüge ausgelotet. Ob und in welcher Größenordnung wir zum Beispiel zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme oder zur Stärkung des Wirtschaftsbereiches in den nächsten Jahrzehnten womöglich auf Zuwanderung angewiesen sind, bedarf einer sehr sorgfältigen Analyse. Der Deutsche Bundestag hat sich dieser Herausforderung gestellt und zu diesem Zweck unter anderem die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ eingerichtet. Der Schlußbericht steht noch aus. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollten wir abwarten und dann darüber in Ruhe diskutieren. Was die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland angeht, lohnt sich im übrigen ein genauerer Blick in die amtlichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Seit einigen Jahren verringert sich erkennbar die Zahl der Menschen, die nach Deutschland zuwandern, während gleichzeitig die Zahl derjenigen wächst, die unser Land verlassen. 1997 haben schon 21 000 mehr Ausländer Deutschland verlassen, als zu uns gekommen sind; im ersten Halbjahr 1998 hat sich dieser Trend verstetigt. Die Zahl der Asylbewerber ist seit 1992 drastisch gefallen. Das 1993 festgelegte Kontingent von 225 000 Aussiedlern, denen der Zuzug gestattet sein soll, wird dieses Jahr voraussichtlich nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Auch künftig wird es Menschen geben, die nach Deutschland kommen, um hier, jedenfalls zeitweilig, zu bleiben: Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge, Aussiedler, nachziehende Familienangehörige und Arbeitsmigranten. Ich meine, es sollte möglich sein, fraktionsübergreifend Einigkeit darüber zu erzielen, daß wir solche Zuwanderung grundsätzlich zulassen. Zur zweiten Frage: Brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz? In unserem Wahlprogramm bekennen wir Sozialdemokraten uns sowohl zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als auch zu einer besseren gesetzlichen Steuerung der Zuwanderung. An diesen Zielsetzungen halten wir fest. ({1}) - Dies ist das Wort zum Donnerstag. ({2}) Was kann mit einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung erreicht werden? Ich sehe in einem Zuwanderungsgesetz vor allem eine vertrauensbildende Maßnahme. ({3}) Ein Gesetz kann für die Bevölkerung hier wie auch für die Zuzugswilligen Transparenz und Verläßlichkeit schaffen. Mittelfristig allerdings müssen wir ein klares Gesamtkonzept entwickeln, das geltende Ausländerrecht straffen und vereinfachen und uns auch auf europäischer Ebene darüber klarwerden, wie wir zukünftig mit Zuwanderung umgehen wollen. Alle der bislang vorgelegten Gesetzentwürfe für ein Einwanderungsgesetz, einschließlich des Gesetzentwurfes der F.D.P., konzentrieren sich auf das Steuerungsinstrument der Quotierung. Dies darf den Blick nicht darauf verstellen, daß sich die meisten der Zuwanderungsmöglichkeiten, wie eingangs geschildert, der Quotierung entziehen. ({4}) Die Freizügigkeit der EU-Bürger, der verfassungsrechtlich garantierte Familiennachzug sowie Asyl- und Flüchtlingsschutz auf der Basis völkerrechtlicher und humanitärer Verpflichtungen haben hier Vorrang, will man nicht die Grundrechte aus Art. 6 und Art. 16a GG weiter zugunsten eines quotierten Einwanderungsgesetzes aushöhlen. Und mit der fortschreitenden europäischen Integration rückt auch die europäische Einwanderungspolitik immer mehr in den Vordergrund. ({5}) Der Abbau der Binnengrenzen innerhalb Europas führt dazu, daß sich die Folgen der Zuwanderung nicht mehr auf einzelne Mitgliedsstaaten beschränken lassen. Eine reine Abschottungspolitik ist angesichts zunehmender Flüchtlings- und Wanderbewegungen in und nach Europa zum Scheitern verurteilt. Bei der europäischen Integrationspolitik soll Deutschland nach dem Willen der Sozialdemokraten in Zukunft Motor und nicht wie bislang Bremser der Entwicklung sein. ({6}) Zur dritten Frage: Welche Bedingungen sollen für ein Zuwanderungsgesetz gelten, und wann sollen wir ein solches Gesetz verabschieden? Herr Westerwelle, in der nächsten Zeit wird in Deutschland die Jahrhundertreform des Staatsangehörigkeitsrechts im Mittelpunkt der Ausländerpolitik dieser Regierung stehen. Die Grundlinien der Reform sind abgesteckt. Für die Umsetzung im Detail ist viel Geduld, ist viel Sensibilität vonnöten. Da kommt auch viel Überzeugungsarbeit auf uns Politiker zu. Mit dieser gesetzten Priorität ist auch die richtige Reihenfolge der Gesetzgebungsarbeit vorgezeichnet: Zunächst werden wir uns mit der gebotenen Gründlichkeit mit den Fragen der Staatsangehörigkeit beschäftigen und uns danach der Materie „Zuwanderung“ widmen. ({7}) Nicht nur in Norddeutschland gilt der Grundsatz „Gut Ding will Weile haben“. Für die gesetzliche Regelung von Zuwanderung und Zuzug von Ausländern lassen sich schon jetzt ein paar Grundsätze formulieren. Vor allem herrscht in dieser Gesetzesmaterie zur Zeit ein enormes Normenwirrwarr, bestehend aus Ausländergesetz, Arbeitsaufenthalteverordnung, Anwerbestoppausnahme-Verordnung, Kontingentsflüchtlingsgesetz, Kriegsfolgenbereinigungsgesetz und Bundesvertriebenengesetz, um nur einige wenige zu nennen. Dieses bestehende Normengestrüpp zu entwirren, Transparenz zu schaffen und ein praktikables, einem Gesamtkonzept folgendes Einwanderungsgesetz zu schaffen braucht neben dem vorhandenen politischen Willen auch und vor allem Zeit für sachliche Diskussion, nicht hingegen ein hektisches Recyceln von Gesetzentwürfen. ({8}) - Es ist ja verständlich, daß die F.D.P., da sie nun so wenige Mitarbeiter hat, ihre Konzepte der vergangenen Legislaturperiode herausholen muß. Allerdings wird sich der Vorrat zunehmend verkleinern, und dann können wir vielleicht doch noch etwas Neues von der F.D.P. erwarten. ({9}) In Zukunft müssen Zuwanderung und Integration noch besser miteinander in Einklang gebracht werden. Sowohl die gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationsmöglichkeiten als auch die Akzeptanz in der Bevölkerung dürfen dabei nicht aus dem Blick geraten. Verbesserte Integrationshilfen zur Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben müssen so ausgerichtet werden, daß zuzugsbedingte Nachteile ausgeglichen werden können. Besonderer Förderung bedürfen junge Menschen, die nach Deutschland kommen. Die Mittel für berufliche Qualifizierung und Sprachkurse sollten deshalb nicht gekürzt, sondern sie sollten erhöht werden. ({10}) Denn im Erwerb von beruflichen Fähigkeiten und von Sprachkompetenz liegt der beste Beitrag zur Integration von Ausländern in Deutschland. Meine Damen und Herren, die neue rotgrüne Bundesregierung hat ihre Arbeit außerordentlich dynamisch begonnen. ({11}) - Wegen des besonderen Erfolges wiederhole ich den Satz gerne. ({12}) Die neue rotgrüne Bundesregierung hat ihre Arbeit überaus dynamisch begonnen. ({13}) Aber nach den ersten 30 Tagen hat sie, um mit dem berühmten deutschen Autor Sten Nadolny zu sprechen, jetzt doch den „Reiz der Langsamkeit“ und damit auch den Reiz der Gründlichkeit entdeckt. ({14}) Ich bin überzeugt: Mit Gelassenheit, mit Gründlichkeit und mit Augenmaß wird es uns gelingen, die Integration in Deutschland in den nächsten Jahren voranzubringen und die Zuwanderung sozialverträglich zu regeln. Danke schön. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Kollege, Ihre „dynamische Rede“ läßt nur einen Schluß zu: Schon im Anfang ist bei Ihnen nichts als Durcheinander - dynamisches Durcheinander. Dies gilt für viele Bereiche der Politik: für die Steuerpolitik, für die Haushaltspolitik und jetzt auch für die Ausländerpolitik. Die Kennzeichen sind: Lösungsuntauglichkeit, Abkehr von Wahlaussagen und Widersprüche. Wie oft, meine Damen und Herren der SPD und der Grünen, haben Sie bis zum heutigen Tag eigentlich ein Zuwanderungsgesetz gefordert? Wie oft haben Sie eigentlich gesagt, das Asylrecht sei verfassungswidrig? Wie oft wollten Sie eigentlich die Öffnung des Ausländerrechtes für mehr Zuwanderung? Wie oft haben Sie eigentlich gesagt, Deutschland sei ein Einwanderungsland? Zehnmal, zwanzigmal oder noch öfter? Als die SPD die Eckpunkte für ein Zuwanderungsgesetz vorstellte, haben Sie, so erinnere ich mich, ausgeführt, wir als Union begingen einen schweren Fehler, wenn wir unsere Blockadehaltung gegen mehr Zuwanderung weiter fortsetzten. Sie haben uns ein Verkennen der Realität vorgeworfen, bis hin zu dem absurden Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit. Jetzt sagt Herr Schily genau das Gegenteil: ({0}) „Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten.“ Sicherlich, Herr Bundesinnenminister, diese Aussage ist richtig. Die Union ist im Gegensatz zur SPD seit langem dieser Meinung. Was wäre eigentlich gewesen, meine Damen und Herren der SPD, wenn wir die Theorie „Das Boot ist übervoll“ so ausgesprochen hätten? Wie hätten Sie geschrien! ({1}) Das Problem ist: Die Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen, Herr Bundesinnenminister - er ist nicht anwesend; vielleicht ist er begründet verhindert, ich weiß es nicht -, sind falsch, genauso wie die Aussagen der Grünen, die immer noch behaupten, wir könnten auf ein Einwanderungsgesetz nicht verzichten. Dies ist zwar, was die Grünen anbetrifft, in sich konsequent - im Gegensatz zur SPD -, aber auch falsch, gewissermaßen konsequent falsch. Ich bin gespannt, Herr Kollege, wer sich in diesem Widerstreit der Koalition zwischen falsch und konsequent falsch wird durchsetzen können. Herr Bundesinnenminister, nicht populistische Wendemanöver in diesem sehr ernsten Gebiet, sondern eine klare Haltung in der Ausländerpolitik, eine klare Haltung in der Zuwanderungspolitik sind geboten, keine populistischen Äußerungen. ({2}) Unsere Position ist so klar wie eindeutig. Sie ist von zwei Grundpositionen geprägt. Erstens. Wir wollen die Integration der rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer. Integration bedeutet, daß beide Seiten aufeinander zugehen, bedeutet Toleranz für andere Lebensarten einerseits und das Bemühen, sich einzufügen, andererseits. Es bedeutet, im Kindergarten damit anzufangen und es in der Schule, im Sportverein und bei der Berufsförderung fortzusetzen, es bedeutet Sprachhilfe, das Nahebringen unserer Werte und unserer Kultur. Zweitens gilt: Wir müssen den Zuzug aus Staaten außerhalb der Europäischen Union begrenzen, nicht weil wir Ausländer nicht wollten, sondern weil unseren Integrationsmöglichkeiten bei mehr als 1 Million ausländischer Sozialhilfeempfänger Grenzen gesetzt sind. Das ist das Problem. ({3}) Es ist richtig: Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht. Wir haben dies seit langem gesagt - im Gegensatz zur SPD und auch im Gegensatz zur F.D.P., Herr Kollege Westerwelle, von den Grünen ganz zu schweigen. Aber, Herr Bundesinnenminister, nicht an Ihren Worten, sondern an Ihren Taten werden Sie gemessen. Da bezweifle ich, daß eine rotgrüne Regierung bereit und in der Lage ist, eine realistische Ausländerpolitik zu betreiben. Sie wollen - das haben Sie in Ihren Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben - eine Altfallregelung. Das bedeutet doch, daß Zigtausende von Ausländern hierbleiben dürfen, obwohl sie das Asylrecht mißbraucht haben, obwohl sie abgelehnt worden sind, obwohl sie illegal eingewandert sind. Wir sind - das wissen Sie - im Einzelfall selbstverständlich für Generosität; das ist keine Frage. Aber generelle Altfallregelungen fördern den Mißbrauch. Sie begünstigen den, dem eine Rückkehr in die Heimat möglich und zumutbar ist. Deswegen ist eine solche Lösung falsch. ({4}) Zu einem erheblichen Mehr an Zuwanderungen führt auch die Einführung der generellen doppelten Staatsbürgerschaft. Dieser Doppelpaß für Millionen bedeutet eben keinen Anreiz für Integration, sondern bedeutet vor allem Familiennachzug in sehr großem Stil. Wie verträgt sich das, Herr Bundesinnenminister, mit der Aussage ich wiederhole sie - „Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten“, wenn Sie diese Regelungen einführen? ({5}) Zur F.D.P., Herr Kollege Westerwelle, auch Ihr Gesetzentwurf ist nicht geeignet, die aktuelle Zuwanderung zu begrenzen. Deswegen sagen wir dazu nein. Ob Sie das Einwanderungsgesetz oder Zuwanderungsbegrenzungsgesetz nennen, spielt keine Rolle. Ihr integrationspolitischer Ansatz, Sprach- und Eingliederungskurse vorzunehmen, ist sicherlich zu begrüßen. Aber ich meine, Ihr Gesetz ist undurchführbar, erfolglos und deswegen überflüssig. ({6}) Das Gesetz ist überflüssig, weil es nicht möglich ist, eine Höchstzahl von Zuwanderern festzulegen, ohne nationales und internationales Recht zu ändern. Das wissen Sie doch, Herr Kollege Westerwelle. Denn nach dem derzeitigen Asylgrundrecht nach Art. 16a kann doch niemand die Zahl derer wissen und beschränken, die zu uns kommen. Das ist doch die erste Unsicherheit. Die zweite Unsicherheit: Auch Artikel 116 des Grundgesetzes erlaubt keine beliebige Begrenzung des Ausländerzuzugs, Herr Kollege Westerwelle. Wenn Sie diese Zahlen der Ausländer beliebig herabsetzen wollen - das wollen ja manche -, so halte ich dies nicht für gerechtfertigt. Ich will daran erinnern, daß gerade die Aussiedler wegen der Verbrechen in der Nazizeit, wegen der Verbrechen dieses Regimes ein furchtbares Schicksal haben erleiden müssen. Sie hatten am längsten unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden, nur weil sie Deutsche waren. Wer sich zur aktiven Menschenrechtspolitik bekennt, der muß hier eine besondere Verantwortung tragen. Wir stehen zu den Aussiedlern, meine Damen und Herren. ({7}) Und weiter, Herr Kollege Westerwelle: Ihr Gesetz ist erfolglos, weil Sie den Familiennachzug nicht begrenzen können, Ihr Gesetz ist erfolglos, weil Sie EG-Recht nicht verändern können. Hier herrscht Freizügigkeit. Niemand kann auch wissen, wie viele Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen. Wir haben 300 000 aufgenommen. Das ist eine großartige menschliche Leistung; das soll auch in Zukunft geschehen. Wäre der Bundesinnenminister hier gewesen, hätte ich ihm gesagt: Herr Bundesinnenminister, ich hätte in meiner ersten Rede dem Kollegen Dietmar Schlee für seine Leistung, eine humane Rückführung durchzuführen, gedankt. Ich danke dem Kollegen Schlee für seine hervorragende Leistung an dieser Stelle ausdrücklich. ({8}) Noch etwas, Herr Kollege Westerwelle: Sie lassen die Zahl der nicht abgeschobenen Asylbewerber völlig unberücksichtigt. Sie geht in die 100 000. Die rotgrünen Regierungen schieben die abgelehnten Asylbewerber nicht ab. Die Leute bleiben hier, und das bedeutet erneut mehr Zuwanderung. So bleiben mehrere 100 000 Menschen in Deutschland. ({9}) Wenn Sie, Herr Kollege Westerwelle, eine Zuwanderungsquote festlegten, wäre diese Zuwanderungsquote stets Null: Jetzt Null und auf Jahre Null. Deswegen ist Ihr Gesetz unbrauchbar. Es ist reine Makulatur. Wer den Willen hat, Zuwanderung zu beschränken, nicht populistisch, sondern ernsthaft, nicht mit untauglichen Mitteln, nicht zaghaft, sondern wirkungsvoll, der öffnet sich unseren Alternativen. Dies heißt erstens eine konsequente Anwendung und keine Erweiterung des Ausländergesetzes, keine neuen Altfallregelungen, keine generelle doppelte Staatsbürgerschaft. ({10}) Dies heißt zweitens Aufnahme der Diskussion zur Änderung von Artikel 6 und 16a sowie anderer Bestimmungen des Grundgesetzes. An dieser Stelle müssen Sie ansetzen, sonst hat es, meine ich, keine Wirkung. Dies heißt drittens auch Burden-sharing in Europa. Das ist wahr. Das haben die Innenminister, die im Amt waren, wirklich versucht, aber dies wird, Herr Bundesinnenminister, schwierig genug sein. Warum ist das schwierig? Es ist schwierig, weil die Europäer sagen: Ihr Deutsche müßt euer Recht ändern. Ihr Deutsche müßt eure Leistungen zum Beispiel an Asylbewerber zurückschrauben. Solange wir das nicht tun, wird eine Einigung nicht möglich sein. ({11}) Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt: Deutschland soll auch in Zukunft eine nach innen und außen offene, tolerante und zugleich stabile Gesellschaft bleiben. Das geht nur mit einer realistischen Ausländerpolitik und nicht mit unbrauchbaren Gesetzen - ich sage es noch einmal, Herr Westerwelle - auf diesem sehr sensiblen Gebiet. Das geht schon gar nicht mit widersprüchlichen Aussagen und populistischen Äußerungen, wie sie der Bundesinnenminister gemacht hat. Zum Schluß meine Empfehlung, meine Damen und Herren von der SPD: Schlag nach bei der Union! Oder besser noch: Schlag nach bei Manfred Kanther. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die F.D.P. hat heute einen Entwurf für ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorgelegt. Herr Westerwelle, ich hätte mir gewünscht, daß Sie schon bei dem Titel noch einmal innegehalten hätten. ({0}) Denn allein schon der Begriff der Begrenzung ist eine Botschaft, die mehr nach Abschottung als nach Integration riecht. ({1}) Das ist deswegen ausgesprochen schwierig. Wir können in einer modernen und offenen Gesellschaft, für die Sie eben selbst plädiert haben, Herr Marschewski - ich bin froh, wenn Sie das so sagen -, nicht die Begrenzungsidee in den Vordergrund stellen. ({2}) Die alte Bundesregierung hat sich zeitlebens geweigert, mit der Tatsache umzugehen, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Es war immer Ihr erklärtes Ziel, die Grenzen möglichst dichtzumachen. Sie haben dies auch getan: durch Zuzugsbeschränkungen im Ausländerrecht, durch entsprechende Regelungen in der Visumspolitik, im Asyl- und Asylverfahrensrecht, bei der Arbeitsaufenthalte- und der Anwerbestoppausnahme-Verordnung und auch - sehr entscheidend - im Arbeits- und Sozialrecht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die F.D.P., die Teil dieser Regierung gewesen ist, heute hierhin und sagt, daß der Zuzug aus dem Ausland zur Zeit weitgehend ungesteuert stattfindet. Man fragt sich wirklich, wie das zusammenpaßt, da Sie diese Gesetze jahrelang mitgestaltet haben. Das Gespenst des ungesteuerten Zuzugs ist eine Schimäre. Richtig ist, daß noch immer ein großer, wenn auch stark abnehmender Teil der Asylbewerber in Europa Zuflucht in Deutschland sucht. Aber richtig ist auch, daß unsere Anerkennungsquote inzwischen so niedrig ist wie kaum irgendwo sonst. Es stimmt auch, daß die Bundesrepublik Deutschland eine der höchsten Zuwanderungsquoten hat. Aber wir haben auch die höchste Abwanderungsquote - in diesem Jahr so hoch, daß wir im Minussaldo sind, da mehr Menschen Deutschland verlassen als zuwandern. ({3}) Dies sind die wichtigen Zahlen, die hier endlich einmal genannt werden müssen, wenn Sie alle die Sachlichkeit der Debatte beschwören. Die Regelung, die die F.D.P. nun vorgelegt hat, will die wirtschaftlichen Eigeninteressen der Bundesrepublik mit den humanitären Verpflichtungen und den Verpflichtungen zum Schutz der Familie verrechnen. Meine Damen und Herren, Humanität läßt sich nicht verrechnen. Wenn wir uns in dem Grundsatz einig sind, daß es nach wie vor Familiennachzug geben muß - wegen der grundgesetzlichen Regelung -, daß wir den Menschen, die hier aus guten Gründen um Zuflucht nachsuchen, Schutz bieten wollen, dann können wir kein Gesetz akzeptieren, wie die F.D.P. es gemacht hat, die aus wirtschaftlichen Gründen die Zuwandernden gegen die Schutzsuchenden aufrechnet. Das verträgt sich nicht mit den Gesetzen der Humanität. Wollen Sie Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge, Kontingentflüchtlinge und selbst Juden aus Osteuropa - wir wissen, wie sich die Situation dort zuspitzt - mit anderen Menschen verrechnen, die Sie aus ökonomischen, aus Arbeitsplatzgründen hierherholen wollen? Das geht nicht. In diesem Punkt, Herr Westerwelle, ist Ihr Gesetz vom Ansatz her nicht richtig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie haben als grüne Bundestagsfraktion am 15. April 1997 den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechte von Einwanderinnen und Einwanderern eingebracht, in dem Sie ausdrücklich darauf hinweisen, daß es auf der einen Seite die humanitären Verpflichtungen gibt und daß es auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes gibt. Ich frage Sie: Bringen Sie dieses Gesetz ein, oder bringen Sie es nicht ein? Wenn Sie es jetzt nicht einbringen: Warum nicht? Wo liegt Ihre höhere Erkenntnis? Wo liegt Ihr Wissenszuwachs in diesem einen Jahr?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wissenszuwachs, Herr Kollege Westerwelle, entsteht im Laufe des Regierungshandelns, in der Auseinandersetzung. ({0}) - Jawohl, in der Auseinandersetzung. Bei Ihnen hat das stetig abgenommen; das hat man gemerkt. Deswegen sind Sie von den Wählerinnen und Wählern ja auch auf die Oppositionsbank gesetzt worden. ({1}) Für uns steht eine sachliche gesellschaftliche Auseinandersetzung um Zuwanderung im Zentrum, die nicht die Idee vermittelt: Wir müssen uns möglichst abschotten. Wir wissen, daß es ein schwieriges Gebiet ist, daß wir um die Mehrheiten in der Gesellschaft ringen müssen, weil es in diesem Bereich wirklich darum gehen muß, möglichst viele Menschen offen zu machen, damit sie Zuwanderung nicht als Gefahr, sondern als Gewinn erkennen. Das werden wir zusammen mit dem Koalitionspartner machen. Das werden wir in der Auseinandersetzung in der Gesellschaft machen. In diesem Sinne wird sich die Debatte um Zuwanderung und ihre Notwendigkeit gestalten, Herr Westerwelle. ({2}) Marieluise Beck ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, teilen Sie die Auffassung des Bundesinnenministers, daß die Grenze der Belastbarkeit überschritten sei, und wie könnte man überhaupt eine solche Grenze definieren und berechnen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Grenzen sind nichts Statisches, Frau Kollegin, gerade nicht in einer Gesellschaft. Es gibt hier eine Differenz; ich habe sie auch in der Öffentlichkeit klar gemacht. Das ist kein Geheimnis. Insofern habe ich in dieser Weise die Frage zu beantworten. ({0}) - Wir sind keine Einheitsregierung, Herr Schäuble. Es gibt durchaus noch Menschen mit eigenen Köpfen in dieser Regierung, und ich glaube, das ist gut so. ({1}) Meine Damen und Herren, wir werden mit diesem Gesetz in die Ausschüsse gehen. Vor allen Dingen werden wir uns aber dem zuwenden, was eigentlich auf der Tagesordnung steht, nämlich das große Reformvorhaben, das diese neue Regierung sich vorgenommen hat: die erleichterte Einbürgerung. Den Menschen, die hier geboren sind, die schon Inländer ohne Paß sind, geben wir auch den Paß. Das ist die gesellschaftliche Aufgabe, bei der ich Sie nach wie vor einlade mitzumachen. Denn sie ist der große Integrationsschritt hin zu einer offenen Gesellschaft, die wir jetzt brauchen und die jetzt auf der Tagesordnung steht. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, der Kollege Braun möchte noch eine Frage stellen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, wie beurteilen Sie das Wort der Münchener Lachund Schießgesellschaft über die Grünen? Sie sagt: Früher haben die Grünen die Kröten über die Straße getragen; jetzt schlucken sie die Kröten. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege, da ich keine Komödiantin bin, überlasse ich diese Kommentierung denen, die dazu ausgebildet worden sind. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Ulla Jelpke, PDS.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde die Vorführstunde, die die F.D.P. sich eben geleistet hat, angesichts des ernsten Themas ziemlich peinlich. ({0}) Denn in einem Punkt kann ich Frau Beck nur recht geben: Wir führen hier heute keine Einwanderungsdebatte. Das besagt schon das Gesetz der F.D.P.; es heißt Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Schon auf der ersten Seite dürfen wir lesen, daß es der F.D.P. auch gar nicht um Einwanderung geht. Vielmehr will sie kein „zusätzliches Einwanderungsangebot“ machen. Wer dieses Gesetz gelesen hat, wird sehr schnell feststellen, daß es tatsächlich inhaltlich darum geht. Seit vielen Jahren diskutieren wir in diesem Haus über die Frage von Zuwanderung und Einwanderung. Nun gibt es endlich eine Mehrheit in diesem Haus, und die erste Initiative ist peinlicherweise eine Debatte über ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz - meiner Meinung nach eine bedrohende Bezeichnung, eine regressive Bezeichnung. Das paßt nicht zu den Umständen. Wir von der PDS dagegen wollen, daß Zu- und Einwanderung kulturell, sozial und wirtschaftlich endlich als gesellschaftliche Bereicherung angesehen werden. ({1}) Die F.D.P. hat in ihrem Gesetzentwurf ein Sammelsurium von Paragraphen zusammengestellt und Zu- und Einwanderung mit teuren bürokratischen Quotensystemen zu steuern versucht. Alles und jede Gruppe wird in Quoten sortiert. Wir haben es heute schon gehört: Viele Gruppen kann man überhaupt nicht in Quoten einsortieren. Es gibt nur eine Gruppe, die hier bevorzugt wird. Das ist die Gruppe der Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten. Hier heißt es ganz deutlich: wenn es „im wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ ist. Dagegen sind beispielsweise diejenigen Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie um Leib und Leben fürchten müssen, aber trotzdem nicht unter das geltende Asylrecht fallen - also beispielsweise nicht unter staatlicher Verfolgung leiden -, schwer benachteiligt. Ich denke hier zum Beispiel an Frauen, die geschlechtsspezifische Verfolgung erlitten haben. Leitsätze der Humanität und Menschenrechte sind jedenfalls in diesem F.D.P.-Gesetzentwurf nicht vorzufinden. Das gilt ebenso für die Asylberechtigten oder für die Asylsuchenden. Sie wissen genausogut wie ich, daß Asylsuchende in diesem Land ein Grundrecht haben. Genau das, was Herr Marschewski heute hier vorgeführt hat, habe ich befürchtet, nämlich: daß er diese Debatte erneut anzettelt. Auch die F.D.P. ist mit ihrem Gesetzentwurf daran nicht ganz unschuldig. Menschen, die Asyl beantragen oder das Asylrecht in Anspruch nehmen, kann man nicht quotieren. ({2}) Der Gesetzentwurf der F.D.P. besagt, daß dann, wenn die Quote für eine bestimmte Gruppe von Zuwanderern höher ausfällt, als man sie sich vorgestellt hat, die Quote für die anderen Zuwanderer verringert wird. - Sehr einfach, meine Damen und Herren. Damit sind wir bei einem ganz wichtigen Punkt angelangt, in dem ich mit Herrn Marschewski - das ist selten der Fall - übereinstimme: Familiennachzug darf nicht quotiert werden. Familiennachzug ist ein Menschenrecht und ein Grundrecht. Dagegen darf nicht verstoßen werden. ({3}) Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, Herr Westerwelle, dann meine ich, daß er keinen großen Beitrag dazu leistet, eine Versachlichung in die Debatte, wie Sie sie sich wünschen, hineinzubringen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Herr Westerwelle möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, gerne, Herr Kollege Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich möchte die Frage an Sie stellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich im Rahmen meiner Begründung des Gesetzentwurfes - übrigens enthält der Gesetzentwurf nichts anderes - ausdrücklich erklärt habe, daß die humanitären Verpflichtungen, die zum Beispiel in Art. 16a und Art. 6 des Grundgesetzes - das ist der Schutz der Ehe und Familie - festgelegt sind, selbstverständlich nicht berührt werden und daß sich selbstverständlich an dem Schutz nach Art. 6 und Art. 16a des Grundgesetzes durch unseren Gesetzentwurf überhaupt nichts ändert?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Westerwelle, ich habe Ihren Entwurf sehr genau gelesen. Ich weiß, daß Sie eine Quotenberechnung wollen. Ich weiß, daß Sie die davon betroffenen Leute berücksichtigen wollen. Aber ich finde es grundlegend falsch, Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Menschen, die hier Asyl haben, nach Quoten zu sortieren. Sie müssen, wenn Sie über Zuwanderung reden, wirklich über diejenigen reden, die zuwandern wollen. Es gibt viele Menschen, die in diesem Land Asyl haben und die dieses Land - wenn es die Lage erlaubt - auch wieder verlassen und nicht unbedingt in dem Sinne zuwandern wollen, wie wir es verstehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage des Kollegen Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, kann es möglicherweise sein, daß wir hier ein Mißverständnis haben? Wir treten nicht für die Quotierung von Asyl und Familiennachzug ein; vielmehr wird in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß von der jährlich festzusetzenden Gesamtquote für Zuwanderung - selbstverständlich vorab - die Zahl der berechtigten Asylbewerber und der Menschen, die sich auf Familiennachzug berufen, abgezogen werden muß. Das heißt, daß das Wort „Quote“ möglicherweise bei Ihnen zu dem Mißverständnis geführt hat, als wollten wir Art. 16a und Art. 6 des Grundgesetzes quotieren. Das ist ausdrücklich nicht der Fall.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das weiß ich. Dennoch sage ich Ihnen, Herr Westerwelle: Die Gefahr besteht - wir haben es vorhin von Herrn Marschewski gehört -, daß Sie eine solche Debatte, wie wir sie jetzt haben, mit Ihrem Gesetzentwurf auslösen. Trotzdem möchte ich noch einmal sagen: Wenn beispielsweise die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber höher ist, als Sie sie angenommen haben bzw. als die Kommission, die nach Ihren Absichten die Quoten regelmäßig festlegen soll, dann wird es dazu kommen, daß beispielsweise die Quote für eine bestimmte Gruppe von Zuwanderern um die Quote für andere Zuwanderer zusammengestrichen wird. Das heißt, Ihre geplante Gesamtquote muß immer erfüllt werden. Das birgt die Gefahr in sich, daß Sie die tatsächliche Zuwanderung letztendlich gar nicht berücksichtigen bzw. in bezug auf die Familienzusammenführung sogar sagen: Dann müssen die Leute eben ein Jahr länger warten. Das ist meiner Meinung nach unzumutbar und inhuman. ({0}) Ebenso fällt es mir schwer, zu glauben, daß Sie allen Ernstes Menschen, die per Verfassung in diesem Land einen deutschen Paß haben dürfen, ebenfalls in eine Quote packen wollen, nämlich die Spätaussiedler. Das ist mir, ehrlich gesagt, unbegreiflich. Alles in allem bin ich der Meinung, daß wir besser daran täten, über wirkliche Integrationsmaßnahmen zu sprechen - dieses Stichwort ist heute schon einmal gefallen -, ob das die Frage der Sprachförderung, der Ausbildung für ausländische Jugendliche, der Jugendsozialarbeit oder andere Fragen sind. ({1}) All dies sind sicherlich sinnvollere Schritte zur wirklichen Integration. Die Zuwanderung ist wirklich eine problematische Frage; ich gebe es gern zu. Auch wir haben hier kein perfektes Konzept, aber wir werden es im Ausschuß diskutieren und mit Sicherheit auch unsere Vorschläge dort einbringen. Danke. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Frau Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast. ({0})

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002191

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zur Klarstellung möchte ich sagen, daß sich der Bundesinnenminister heute beim informellen Rat für Inneres und Justiz in Brüssel aufhält, unter anderem in Vorbereitung der EU-Präsidentschaft. Ich glaube, das ist ein triftiger Grund, um heute der parlamentarischen Debatte nicht folgen zu können. ({0}) - Darf ich mit meinen Ausführungen beginnen, liebe Kollegen und Kolleginnen? Der bisherige Verlauf der Debatte hat mir noch einmal sehr deutlich gemacht, wie sehr wir uns alle vor doppelzüngigen Argumentationen hüten müssen. ({1}) Deshalb will ich noch einmal sagen, worum es geht: Da schlägt die Aufregung über einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz des Bundesinnenministers hohe Wellen, auch bei der F.D.P., die gleichwohl, Herr Gerhardt, in ihrem Gesetz postwendend rigide Zuwanderungsbegrenzungen verlangt. ({2}) Da wird ein angestaubter Gesetzentwurf aus der Schublade geholt, dem Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, während Ihrer Koalitionszeit nie die Weihe parlamentarischer Behandlung haben zuteil werden lassen. ({3}) Jetzt, frei von den Fesseln des Regierungsbündnisses, wagen Sie sich aus der Deckung - nicht, weil die Sache drängte, sondern weil das Thema gerade im Gespräch ist. Man merkt die Absicht und ist erstaunt. ({4}) Zugleich hören wir aus Ihrem Munde, Herr Gerhardt, daß sich im Moment eine Einwanderungsquote auf Null belaufen müßte. ({5}) Ich finde, das ist kein seriöser Beitrag zum Umgang mit diesem so sensiblen Thema, liebe Kollegen und Kolleginnen. ({6}) Über Zuwanderungsregelungen und -gesetze wird viel geredet und nachgedacht. Das ist auch gut so. Es geschieht innerhalb und außerhalb von Regierung und Parlament, und manche Ihrer Vorschläge sind uns aus eigenen Überlegungen wohlvertraut. Herr Westerwelle, Sie müssen sich gar nicht mit jeweils einem Papier in der linken und in der rechten Hand hinstellen. Wir wissen selber, was wir wollen und was wir ausgearbeitet haben. ({7}) Ich habe mit Interesse noch einmal unsere Debatte vom 5. Juni 1997, die Sie bereits zitiert haben, nachgelesen und fand es sehr erfrischend und überzeugend, wie wir in der damaligen Situation diskutiert haben. Ich habe überhaupt nichts von damals zurückzunehmen. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle, der heute besonders fleißig ist?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002191

Ja, bitte schön. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Für die F.D.P.Opposition gilt: klein, aber fleißig. - Frau Kollegin, Sie sagten gerade, Sie haben die Debatte selber nachgelesen. Deswegen habe ich eine Frage: Sie haben in der Debatte am 5. Juni 1997 wörtlich gesagt: Wir brauchen ein Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung und zur Förderung der Integration. Nötig ist ein Konzept, das fair, ehrlich und beständig die Belange der einheimischen Bevölkerung mit unserer Verpflichtung in Einklang bringt, die sozialen, ökonomischen und politischen Aufgaben angesichts der anhaltenden Migration zu bewältigen. ({0}) Diesen Satz unterstreiche ich doppelt und dreifach. Werden Sie als Bundesregierung nach diesem Satz handeln und in dieser Legislaturperiode einen solchen Gesetzentwurf einbringen?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002191

Ich wollte gerade zu den von mir gemachten und auch heute noch als genauso aktuell empfundenen Äußerungen sagen, daß wir dieses voll und ganz unterstützen und daß auch für die Bundesregierung - Sie sprachen ja von einem Seitenwechsel hier im Parlament - das Thema auf der Tagesordnung bleibt. ({0}) Aber, Herr Westerwelle, wir können und sollten uns dabei Zeit lassen. - Ich fahre jetzt fort. Ich glaube, damit ist Ihre Frage erst einmal beantwortet, so daß Sie Platz nehmen können. ({1}) - Doch. Ich führe das jetzt aus, aber Sie müssen nicht so lange stehenbleiben. ({2}) - Ja, weil ich es jetzt in Ruhe erklären möchte. ({3}) - Machen Sie es, wie Sie wollen, Herr Westerwelle. ({4}) - Wenn es für Ihr Stehvermögen nötig ist, machen Sie es. Ich möchte es Ihnen an Hand Ihres Gesetzentwurfes erklären. Herr Westerwelle, es ist nun einmal in der augenblicklichen Situation praktisch unmöglich - aber das wollen Sie -, Migration mit gesetzlichen Mitteln zu regeln und zu steuern, ohne dabei zusätzliche Zuwanderungswege zu öffnen. Dafür liefert nun Ihr Entwurf den in Paragraphen gegossenen Beweis. Sie präsentieren ein ungeheuer kompliziertes bürokratisches Gebilde mit Gesamthöchstzahlen, Teilquoten und einem zusätzlichen Verwaltungsapparat. Lassen Sie doch einmal selbstkritisch Revue passieren, was Sie dort an Umständlichkeiten niedergeschrieben haben. Ich zitiere aus § 5 Ihres Gesetzentwurfes. Hören Sie bitte zu: Eine nachträgliche Abänderung und ein gegenseitiger Ausgleich verschiedener Teilquoten innerhalb des Jahres, für das die Gesamthöchstzahl festgesetzt worden ist, sowie die Übertragung der Zahl der Zuwanderungsgenehmigungen auf die Teilquote des nachfolgenden Jahres ({5}) sind möglich. Klar ist nach der Lektüre solcher Sätze nur, warum Ihr Gesetz eine eigene Bundesbehörde erfordert. Unklar bleibt, worin die Transparenz der Regelung bestehen soll, die Sie gleich zu Beginn des Textes als politisches Ziel benennen. Aber viel bedenklicher erscheint mir der Geist, der das gesamte Gesetz durchzieht. Sie wollen die Zuwanderung nicht erhöhen; das ist verständlich und auch richtig. Weil es keine Erhöhung geben kann, schichten Sie um, und zwar mit dem Ziel, bestimmte Personengruppen in unser Land zu holen, andere aber eher zurückzuhalten bzw. ihr Herkommen zeitlich zu verzögern. Das heißt, Zuwanderung soll stärker an den Interessen der Bundesrepublik orientiert sein, etwa nach dem Motto: Wen können wir als leistungskräftige Steuerzahler und Zahler von Sozialabgaben brauchen? Ich meine - damit ich nicht mißverstanden werde -, selbst diese eigennützige Grundidee ist legitim. Sie liegt sogar in der Tradition klassischer Einwanderungsländer mit ihren Gesetzen. Nur: Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., macht diese Rechnung auf Kosten nachziehender Familienangehöriger - das kam hier schon zur Sprache -, möglicherweise schutzbedürftiger Menschen und der Spätaussiedler auf. Die Zahl der Spätaussiedler soll - so steht es im Gesetzentwurf kontinuierlich gesenkt werden. Der Familiennachzug wird ebenfalls in die Aufnahmequote integriert, also zeitlich gestreckt. Nichts anderes geht aus dem Text hervor. Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheiden sich nun wirklich die Geister. Für die Bundesregierung steht fest: Die Möglichkeiten des Zugangs nach Deutschland, für die uns das Grundgesetz und internationale Verpflichtungen zum Schutz der Flüchtlings- und Menschenrechte die Basis liefern, müssen voll gewährleistet bleiben. Asylsuchende, nachziehende Familienangehörige und Bürgerkriegsflüchtlinge entziehen sich deshalb jeder Aufnahmequote. Für Spätaussiedler gibt es schon eine jährliche Höchstgrenze. Sie wird seit geraumer Zeit deutlich unterschritten. Ob wir nun darüber hinaus ermöglichen sollen und können, daß Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in diesem Land eine Lebensperspektive finden, und das in Quoten nennen, ist eher eine Frage der Zukunft als der Gegenwart. Wir können und sollen uns mit der Lösung Zeit lassen, und wir sollten sie vordringlich im Konsens mit den Partnern in der Europäischen Union suchen. Fürs erste, meine Damen und Herren, setzt die Bundesregierung andere Prioritäten. Absoluten Vorrang hat ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Vorbereitungen für das neue Gesetz sind bereits geleistet. Dann haben wir endlich ein Angebot zur vollen politiDr. Guido Westerwelle schen und gesellschaftlichen Teilhabe an die lange bei uns lebenden Zuwanderer gerichtet, und dann sind die dringend notwendigen Weichen für eine neue Offensive der Integration gestellt. ({6}) Die Innenminister der Länder arbeiten - das wissen Sie - darüber hinaus an einer Altfallregelung für ehemalige Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt in Deutschland. Außerdem wollen wir ausländischen Ehegatten und Ehegattinnen nach zwei Jahren ehelicher Gemeinschaft das eigenständige Aufenthaltsrecht einräumen - auch dies ist eine lang erhobene Forderung -, und wir loten die Chancen zur humanitäreren Ausgestaltung des Flughafenverfahrens im Asylrecht aus. Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Ein reiches Betätigungsfeld breitet sich vor uns aus. Es wäre gut, wenn die parlamentarische Opposition dieses Hauses diese wirklich dringlichen Reformvorhaben konstruktiv begleitete und ihnen einen breiten Konsens ermöglichte. ({7}) Zumindest bei der F.D.P., die unsere Ansichten ja weitestgehend teilt, habe ich durchaus Hoffnung, daß das geschieht. Denn diesen Konsens in der Migrationspolitik haben wir dringend nötig. Deswegen appelliere ich zum Schluß an Sie, meine Damen und Herren, und an uns alle: Hören wir endlich damit auf, die Debatte um Zuwanderung, um Asyl, um Flüchtlingspolitik und um Integration zu polemisieren und zu polarisieren! ({8}) Es nützt weder den Menschen nichtdeutscher Herkunft, die bei uns zeitweilig Schutz suchen oder dauerhaft bleiben wollen, noch nützt es den Deutschen, von denen sich mancher mit der Thematik durchaus schwertut und auch mit den Schwierigkeiten vor Ort zu kämpfen hat. Dies ist völlig unbestritten. Deswegen helfen uns Beschönigung und auch Dämonisierung nicht weiter, wohl aber umfassende Aufklärung sowohl über Vorteile als auch über die Probleme mit der Migration. Ich kann uns alle nur dringend ermahnen, so zu verfahren und die Sachlichkeit, die heute morgen so oft beschworen worden ist, dann auch zu praktizieren. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine kleine Irritation entstanden, für wen Frau Kollegin Sonntag-Wolgast spricht. Da sie von der Regierungsbank gekommen ist, müßte das eigentlich eindeutig sein. Aber mir war nur „SPD“ gemeldet worden. Ich trage nach: Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Cornelie Sonntag-Wolgast hat gesprochen. Nun spricht der Kollege Jürgen Rüttgers, CDU/CSUFraktion.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Parlamentarische Staatssekretärin hat uns gerade mitgeteilt, daß der Herr Bundesinnenminister zur Zeit in Brüssel ist. Das mag wichtig sein. Ich will das nicht beurteilen. Eines weiß ich allerdings auch, Frau Kollegin: Es kann nicht sein - darüber gibt es Verabredungen -, daß wir hier eine Debatte in der Kernzeit führen und der zuständige Minister nicht da ist. ({0}) Falls es solche Verpflichtungen im Ausland gibt, müssen Sie für eine bessere Koordination zwischen Ihrer Regierung und Ihrer Fraktion und dafür sorgen, daß die Debatte zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet. ({1}) Meine Damen und Herren, das hat etwas mit dem Stil und, wenn man so will, mit der Kultur zu tun, die wir hier haben. Es fällt schon auf, wenn bei dieser wichtigen Kerndebatte um 9.20 Uhr der erste Minister auftaucht. Auch das geht nicht, und das kann so nicht bleiben. ({2}) Ich füge noch ein Drittes hinzu, damit dieses Thema dann abgeschlossen ist. Hierbei geht es nicht nur um den Stil, sondern es geht wirklich ums Eingemachte. In der vorigen Woche, am 26. November um 19.15 Uhr, hat der Kanzleramtsminister in einem wesentlichen Fall, im Fall Öcalan, die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. darüber informiert, daß die Bundesregierung daran festhalte, daß das Auslieferungsersuchen nur zurückgestellt werde. Im Laufe des Vormittags des 27. November hat der Bundeskanzler dann bekanntgegeben, man habe darauf verzichtet, ein Auslieferungsersuchen zu stellen. ({3}) Die zuständige Justizministerin mußte dann gestern mitteilen, daß die Lösung der Verfolgung eines Terroristen jetzt darin liege, daß die Bundesrepublik Deutschland Italien auffordert, auf Grund des deutschen Haftbefehls ein Strafverfahren durchzuführen. Damit sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es wirklich nicht mehr akzeptabel ist, meine Damen und Herren. ({4}) Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Kanzleramtsminister: Die CDU/CSU-Fraktion wird für solche Veranstaltungen angeblich vertraulicher Unterrichtungen in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie werden sich schon etwas anderes überlegen müssen oder die Sache bereinigen müssen. ({5}) Meine Damen und Herren, der Kollege Westerwelle hat bei seinem Bemühen, jedem und allem immer einen Schritt voraus zu sein, eben einen klugen Satz gesagt. ({6}) Er hat nämlich in Richtung Regierung gesagt: Die Realitäten haben sich nicht verändert, seitdem Sie auf der Regierungsbank sitzen. - Das ist wohl wahr, Herr Kollege Westerwelle, aber das Bewußtsein hat sich anscheinend verändert, wie wir gerade gemerkt haben. Die spannende Frage ist nur, um welches Bewußtsein es geht. Die Konkretisierung dieser Aussage ist gerade bei der Frage der Zuwanderung ein ungeheuer wichtiger Vorgang. Wo hat man schon jemals eine solche Konfusion gesehen, daß auf der einen Seite der Bundesinnenminister gemäß dem Motto „Das Boot ist voll“ redet ({7}) und auf der anderen Seite die Ausländerbeauftragte derselben Bundesregierung das Ganze als politisch gefährlich bezeichnet! Der Bundeskanzler wird einmal klären müssen, wer eigentlich in diesen Fragen für seine Regierung spricht, Schily oder Beck. ({8}) Wahrscheinlich weiß der Herr Bundeskanzler selber nicht, was er dazu sagen soll, denn er hat ja nun klar und deutlich erklärt - das nennt man jetzt anscheinend neue Führung -, es werde kein Einwanderungsgesetz geben. Der Bundesinnenminister hat demgegenüber sofort geantwortet, es werde vielleicht doch ein Zuwanderungsgesetz, aber ohne eine richtige Zuwanderungsquote geben, denn diese müsse ja bei null liegen. „Konfusion“ dein Name ist Regierung: So stellt sich die Lage in der Bundesrepublik Deutschland dar. ({9}) Auch der Kollege Bürsch hat eben einen interessanten Sachverhalt dargestellt. Er hat uns nämlich mitgeteilt, daß das, was die Bundesregierung in Sachen Staatsangehörigkeit beabsichtige, eine vertrauensbildende Maßnahme sei. ({10}) Er hat dann weiterhin mitgeteilt, daß man wie folgt zu verfahren beabsichtige: Zuerst werde man sich dem Thema doppelte Staatsangehörigkeit widmen und im Anschluß daran der Zuwanderung. Das finde ich hochinteressant, nicht nur vom Verfahren, sondern auch von der Denke her. Zuerst macht man das Tor auf - ich nenne die Stichwörter Altfallregelung, doppelte Staatsangehörigkeit und Ehenachzug -, und im Anschluß daran erklärt man, man versuche, das Ganze wieder einzufangen. Mit diesen Erklärungen wird versucht, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland schlicht zu täuschen. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des angesprochenen Kollegen Bürsch?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage bezieht sich noch auf das, was Sie über Herrn Schily gesagt haben. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Rüttgers, daß das, was Sie und andere aus Ihrer Fraktion über Herrn Schily wiederholt gesagt haben, der Wahrheit nicht entspricht? Herr Schily hat weder wortwörtlich noch sinngemäß gesagt: „Das Boot ist voll.“ In dem Interview, auf das Sie immer Bezug nehmen, findet sich auf die Frage: Was spricht gegen ein Zuwanderungsgesetz, mit Hilfe dessen Zuwanderung gesteuert werden könnte? folgende Antwort des Innenministers Schily: Es spricht überhaupt nichts dagegen. Im weiteren Verlauf dieses Interviews hat er gesagt: Gleichwohl wird das Thema einer Zuwanderungssteuerung irgendwann wieder aufzunehmen sein. Wir müssen diese Fragen im europäischen Verbund lösen. Ist es möglich, daß wir uns auf den Inhalt dieses Interviews verständigen und nicht immer wieder etwas zitieren, was der Öffentlichkeit weismachen soll, er hätte davon gesprochen, daß das Boot voll sei? Für eine positive Antwort hierauf wäre ich dankbar. ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie können, Herr Kollege Bürsch, gleich gerne im Protokoll nachlesen, was ich gesagt habe. Ich bleibe dabei: Die Erklärung von Herrn Schily liegt auf einer Linie mit der Aussage, daß das Boot voll ist. So haben das die Leute verstanden, und sie sollten es gerade auch so verstehen, weil sie getäuscht werden sollten; in Wirklichkeit wird nämlich etwas völlig anderes gemacht. ({0}) - Entschuldigen Sie, jetzt bin ich gerade dran. - Daß Ihnen das weh tut, ist mir völlig klar. Genau das zerreißt Sie ja im Moment. Es handelt sich eben um keine konsistente Politik, wenn etwa der SPD-Ministerpräsident Höppner sagt, Deutschland könne noch eine Menge Zuzug verkraften, und gleichzeitig Frau Röstel von Ihrer Koalitionspartei sagt, das seien Stammtischparolen. Genau dadurch wird die Sache zerrissen, aber damit müssen Sie selber fertig werden. Unsere Politik in dieser Frage ist klar: Eine vernünftige Ausländerpolitik kann nur in der Balance zwischen Integration und Zuzugsbegrenzung gelingen. Das war und ist unsere Position. Wir wollen alles Mögliche tun, um die in Deutschland rechtmäßig lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das heißt aber, man muß für eine enge Zuzugsbegrenzung sein, damit unsere Gesellschaft bereit ist, diese Menschen zu integrieren, und diese Menschen auch eine Chance haben, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. ({1}) Wir brauchen deshalb keine Erweiterung des Zuzugs. Angesichts von 7,4 Millionen Ausländern und 4 Millionen Arbeitslosen gibt es keinen Grund dafür, jetzt darüber zu debattieren, irgendeine Form von neuen Zuzugsmöglichkeiten zu schaffen. Es gibt keinen Zuwanderungsbedarf. Deshalb brauchen wir auch kein Einwanderungsgesetz, zumindest solange nicht, solange sich weite Bereiche der faktischen Regelung entziehen. Nehmen Sie zum Beispiel das Asylrecht. Solange nicht klar ist, daß diejenigen, die hier herkommen und nicht rechtmäßig hierbleiben können, das Land wieder verlassen müssen, lieber Herr Westerwelle, ist die gesamte Quotenregelung letztlich unsinnig. Sie führt nicht zu einer konsistenten Regelung. ({2}) Deshalb lehnen wir das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz ab. Herr Westerwelle, nicht die Semantik macht es, sondern wichtig ist, was da drinsteht. Ich hätte noch eine Bitte. Tun Sie uns doch den Gefallen - wenn man sich schon auf den Gedanken einläßt -, uns zu sagen, wie diese Quote aussehen soll. Sagen Sie doch einmal eine Zahl, damit die Leute wissen, was sich hinter Ihrem Gesetz verbirgt! Wieviel sollen denn hereinkommen? Oder wollen Sie ein Gesetz machen und im Anschluß daran sagen: In den nächsten zehn Jahren lautet die Quote Null? - Ein solches Gesetz kann man nun wirklich nicht machen; denn man kann kein Gesetz machen, das an dem Tag, an dem es beschlossen wird, schon das Verfallsdatum trägt. Das macht keinen Sinn und ist in der Sache nicht richtig. ({3}) Was wir in Wirklichkeit brauchen, ist eine konsequente Integrationspolitik, ({4}) eine Integrationspolitik, die sich mit den Menschen beschäftigt. Dazu, meine Damen und Herren, steht in Ihrer Regierungserklärung kein einziges Wort. ({5}) Darin steht kein Wort zu der Frage: Wie machen wir das in den Schulklassen, in denen wir mehr als 50 Prozent Ausländer haben? Was tun wir dagegen, daß 17 Prozent der jungen Leute, die hier leben, keine Lehrstelle haben, bloß weil sie aus ausländischen Familien kommen? ({6}) Was tun wir zur Verhinderung von Ghettos in unseren Großstädten? Sie verlieren kein Wort zu diesen Fragen. Das zeigt, daß es Ihnen letztlich nicht um Integration, sondern um Ideologie geht. Das macht die Debatte hier so schwierig. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rüttgers, wenn Sie sich hier schon so vehement der Öffentlichkeit darstellen und ein Horrorszenario entfalten, frage ich Sie: Warum haben Sie in den vergangenen Jahren - Sie haben 16 Jahre Regierungsverantwortung getragen - in Fragen der Integration all das, was von der damaligen Opposition kam, angesichts der Probleme, die wir haben, mit denen wir fertig werden müssen und fertig werden wollen, Jahr für Jahr ohne Begründung abgelehnt? Warum haben Sie das alles in Bausch und Bogen abgelehnt? Das erklären Sie uns bitte einmal. ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ganz einfach: Weil es falsch war. - So einfach ist das. ({0}) Wir haben keinen Unsinn gemacht, und wir werden auch weiterhin keinen Unsinn machen. Wir haben den Versuch gemacht, den Zuzug zu begrenzen. Das ist auch gelungen. Im letzten Jahr hatten wir das erste Mal mehr Abwanderer als Zuwanderer. Wenn das kein Erfolg ist! Führen Sie das bitte fort. Wer für Integration ist, muß auch - ich sage es noch einmal - für eine strikte Zugangsbegrenzung sein. Eine stärkere Zuwanderung würde die Integrationswilligkeit vieler Menschen in Deutschland überfordern. Das Entscheidende ist - dies sage ich gerade deshalb, weil ich will, daß Deutschland ein ausländerfreundliches Land bleibt, wie es dies immer war -: Sie würde nicht zu mehr Toleranz und mehr Ausländerfreundlichkeit, sondern zum Gegenteil dessen führen. Letztlich - darüber sollten Sie wirklich genau nachdenken ({1}) setzen Sie den inneren Frieden in unserem Land aufs Spiel, wenn Sie die Grundlagen des Konsenses in dieser Frage so verlassen, wie Sie es vom Stil und vom Inhalt her getan haben. ({2}) Deshalb fordere ich Sie auf: Denken Sie noch einmal darüber nach. Es ist fünf Minuten vor zwölf; es geht noch. Das ist eine Entscheidung, die nicht reversibel ist. Was Sie da machen, ist hochgefährlich. Wir warnen Sie in dieser Frage nachdrücklich. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Bundesminister Bodo Hombach.

Bodo Hombach (Minister:in)

Politiker ID: 11005306

Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle hat eben den schönen und treffenden Zuruf gemacht - ich weiß nicht, ob er ins Protokoll aufgenommen wurde -: Opposition macht frei. - Ich glaube, das stimmt. Das Wohlbehagen und die Genüßlichkeit, mit der Sie sich in die neue Rolle finden, sind spürbar. Ich gönne sie Ihnen. ({0}) Aber das entschuldigt nicht alles. ({1}) - Ich habe mich gemeldet, um zur Sache zu reden. Die Tatsache, daß Innenminister Schily heute nicht anwesend ist sein würde, ist dem Parlamentssekretariat zeitig und fristgerecht mitgeteilt worden. Für Übermittlungsfehler und Koordinationsprobleme in Ihrer Fraktion bin ich nicht verantwortlich, Herr Fraktionsvorsitzender. ({2}) Sie haben eine Unterrichtung angemahnt, worauf ich sagen muß: Man lernt nicht aus. Ich habe die Opposition in Begleitung des Staatssekretärs im Justizministerium, Dr. Geiger, des neuen Chefs des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, Herrn Hanning, und in Begleitung des neuen Leiters der Abteilung 6 des Kanzleramtes, Herrn Uhrlau, über die tatsächlichen Zusammenhänge der Einreise Herrn Öcalans nach Italien unterrichtet. Weiterhin haben wir Sie sehr ausführlich über unsere Sicht der Sicherheitslage informiert. Wir haben Ihnen die Optionen für unser Handeln dargestellt. Die eine Option war, daß wir einen dritten Ort suchen, um einen Prozeß durchzuführen, möglicherweise unter internationaler Kontrolle. Wir haben Ihnen gesagt, daß wir wünschen, daß Herr Öcalan einen irdischen Richter findet. Wir haben Ihnen aber auch gesagt, warum wir nicht der Auffassung sind, daß Deutschland der geeignetste Ort für einen solchen Prozeß ist. Wir haben aber in keiner Weise versucht, Ihr politisches Urteil über diesen Vorgang zu beeinflussen, denn es ist klar, daß Sie in Ihren Beurteilungen und Entscheidungen frei sind. ({3}) Wir haben das getan, was wir für unsere Pflicht hielten. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Daß Sie diesen Vorgang für parteitaktische Polemik mißbrauchen und daß für Sie nicht das nationale Interesse im Vordergrund steht, ist ein ungeheuerlicher Vorgang. ({4}) Dazu kann ich nur sagen: Was Sie machen, ist Fundamentalopposition. Fundamentalopposition gehört zwar zur Rollenfindung, aber die kann lange dauern. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Zwischenintervention hat der Kollege Schäuble, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Hombach, wir wollen die Dinge nicht komplizierter machen, als sie sind. Aber so wie Sie handeln, geht es nicht. Sie haben mich Anfang vergangener Woche angerufen und mich gefragt, wie die Haltung der Opposition in dieser - zugegeben: schwierigen - Frage sei. Ich habe Ihnen gesagt: Bevor ich Ihnen eine Antwort darauf geben kann, hätte ich gerne, daß uns die Regierung in irgendeiner Form unterrichtet. Daraufhin haben Sie angeboten, daß Sie uns vertraulich unterrichten. Diese Unterrichtung fand am Donnerstag statt. Daß wir in unserer Entscheidung frei sind, wie Sie eingeräumt haben, ist nicht der entscheidende Punkt. Das Ergebnis der vertraulichen Unterrichtung war eindeutig; dessen habe mich bei den damals anwesenden Kollegen Glos, Rüttgers und Kinkel - in Vertretung von Herrn Dr. Gerhardt - versichert. Das Gespräch in meinem Büro war am Donnerstag um 19.20 Uhr zu Ende. Unser Informationsstand war, daß uns die Bundesregierung, vertreten durch den Herrn Bundesminister Hombach, Chef des Kanzleramtes, den Staatssekretär im Bundesjustizministerium und andere, gesagt hat, man wolle die Entscheidung über das Auslieferungsersuchen vorläufig offenlassen. Man wolle keine Entscheidung in der einen oder in der anderen Richtung treffen, um die Gespräche nicht zu erschweren, Herrn Öcalan vor einen Gerichtshof zu bringen. Es wurde argumentiert: Wenn wir jetzt die Auslieferung nicht beantragen, handelt es sich um ein Fait accompli. Aber wenn wir die Auslieferung beantragen, dann wird sich niemand bewegen - so war Ihr Argument -, daß der Prozeß irgendwo anders stattfinden kann. Das war der Stand der Unterrichtung. Wir haben Ihre Position zur Kenntnis genommen und keine Einwände dagegen erhoben. Wir haben nur gesagt, die Bundesregierung möge darauf achten, daß niemand den Eindruck gewinne, daß die Bundesrepublik Deutschland durch Androhung gewalttätiger Demonstrationen erpreßbar sei. Sie haben diesen Punkt positiv aufgenommen und gesagt, er werde beachtet. Am Freitag sind wir dann davon überrascht worden, daß entgegen dem, was Sie uns als Haltung der Bundesregierung dargestellt hatten, der Bundeskanzler nach dem Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten erklärt hat - ({0}) - Oder vorher; jedenfalls war es am Freitag vormittag. Wir werden das noch ganz genau klären; denn es knüpfen sich daran Fragen, die Sie beantworten müssen. Am Freitag vormittag hat der Bundeskanzler erklärt, die Bundesrepublik Deutschland werde kein Auslieferungsersuchen stellen, das sei definitiv entschieden. Dies steht im Gegensatz zu dem, was Sie uns etwa zwölf Stunden vorher gesagt hatten. ({1}) Daran knüpft sich erstens die Frage, was vertrauliche Unterrichtungen dieser Art wert sind. Die zweite Frage, die sich daran knüpft, lautet: Welche rechtlichen Erwägungen hat die Bundesregierung, vertreten durch wen und mit welcher Mitwirkung vom Bundesjustizministerium als dem zuständigen Ressort oder von anderen Stellen, in der Zeit zwischen Donnerstag abend und Freitag früh angestellt? Sie werden uns ja am Donnerstag abend nicht die Unwahrheit gesagt haben; das unterstelle ich Ihnen nicht. Also muß sich zwischen Donnerstag abend und Freitag vormittag etwas verändert haben. Wir hätten gerne gewußt, was sich verändert hat und welche rechtlichen Erwägungen zu der Aussage des Bundeskanzlers geführt haben. Es darf nämlich nicht der Eindruck entstehen, daß in einer so delikaten Frage der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach Gutsherrenart entscheidet und einfach sagt, ein Auslieferungsantrag werde nicht gestellt. - So etwas geht nicht. Das ist der Vorgang. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Reaktion hat Bundesminister Hombach.

Bodo Hombach (Minister:in)

Politiker ID: 11005306

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Vorgang jetzt sogar etwas Gutes abgewinnen, weil dadurch das, was in den letzten Tagen an Polemik über diese Unterrichtung in Agenturmeldungen nachzulesen war, aufgeklärt wird. Tatsache ist, daß das Wesen dieser Unterrichtung dem haben wir auch entsprochen - darin bestand, daß Sie alle Fakten zur eigenen Urteilsbildung von den drei Beamten erfahren, die ganz gewiß nicht die Absicht hatten, Ihre Urteilsfindung in diese oder jene Richtung zu beeinflussen. Vielmehr stellten sie Ihnen das volle Wissen - das ist das Wesen der Unterrichtung - zur Verfügung, das nötig ist, um diesen komplizierten Vorgang beurteilen zu können. Tatsächlich habe ich in der Darstellung der Optionen - das ist völlig richtig - mehrere Varianten entwickelt, die im wesentlichen darauf hinausliefen, daß wir einen Gerichtsstandort suchen, damit Öcalan nach Möglichkeit nicht in Deutschland der Prozeß gemacht wird. Ich glaube, daß die Zusammenhänge, die wir dazu dargelegt hatten, auch Sie überzeugt haben; aber es ist Ihre Aufgabe, dies zu beurteilen. Dazu gehörte, daß man sich bei dem Gespräch, das am nächsten Tag zu führen war, Gewißheit darüber verschaffen mußte, daß die Alternative nicht etwa „Auslieferung an Deutschland oder Freilassung“ lautet, was ja vorher auf Grund einiger Anmerkungen der italienischen Regierung im Raume stand. Als in diesem Zusammenhang deutlich wurde, daß die Alternative in der Tat nicht „Auslieferung an Deutschland oder Freilassung“ ist, und als klar wurde, daß man Wege im internationalen Rahmen oder einen dritten Gerichtsstandort sucht oder gar, wie es das italienische Justizministerium gerade prüft, die Möglichkeit in Erwägung zieht, einen Prozeß nach italienischem Recht vor einem italienischen Gericht in Rom durchzuführen, da war die Frage wieder offen. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Es wäre absurd gewesen, wenn ich versucht hätte oder Sie von mir erwartet hätten, daß ich die Gesprächsführung des Kanzlers für den nächsten Tag vorwegnehme. Das ist erstens nicht möglich, und zweitens hätte es auch gar keinen Sinn gehabt. Von daher war das, was am Donnerstag abend abgelaufen war, in keiner Weise eine Fehlunterrichtung, sondern Sie kannten die Faktenlage und die Optionen, die dem Kanzler zur Verfügung standen. Ich finde, daß er den denkbar besten Weg gefunden hat, im nationalen Interesse mit dem Thema umzugehen. ({0}) Ich habe Ihnen auch gesagt - das gehört ebenfalls zur Wahrheit -: Wenn Deutschland in dieser komplizierten Verhandlungssituation den Verhandlungspartnern deutlich macht, daß wir hier den Prozeß durchführen, wenn alle Stricke reißen, hätten wir keine Verhandlungen gebraucht, weil man sich sicher sein kann, daß dann alle Stricke gerissen wären. Von daher ist der von Ihnen konstruierte Gegensatz zwischen dem Hinweis, daß wir ein Interesse daran hätten, daß Öcalan auf jeden Fall seinen irdischen Richter findet, und der Aussage, ein Prozeß in Deutschland stelle nur die letzte Möglichkeit dar, denklogisch falsch. ({1}) Ich glaube, Sie wissen es. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Cem Özdemir, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) - Entschuldigung. Zu einer nochmaligen Reaktion hat das Wort der Kollege Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Nachsicht; aber es ist ein Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie, daß, wenn die Regierung im Parlament das Wort gehabt hat, die Vertreter des Parlamentes, insbesondere die der Opposition, darauf antworten können. Herr Bundesminister Hombach, ich will nicht, daß in eine Situation, die nicht einfach ist, etwas hineininterpretiert wird, was so nicht richtig ist. Wir sollten bei der Wahrheit bleiben. ({0}) Sie haben diesen Begriff ja eingeführt, und deswegen muß ich darauf eingehen. ({1}) - Es waren viele Leute dabei. Die Aussage der Bundesregierung am Ende der Unterrichtung am letzten Donnerstag war - Sie haben uns über die Fakten informiert, Sie haben uns sogar die diesbezügliche Rede des italienischen Ministerpräsidenten im italienischen Parlament übergeben; wir haben sie fotokopieren lassen; das war alles in Ordnung, darüber brauchen wir nicht im einzelnen zu sprechen -, daß sie eine Entscheidung über das Verfolgen des Auslieferungsersuchens zu diesem Zeitpunkt weder positiv noch negativ treffen will. Das habe ich vorhin hier festgestellt. Sie sollten nicht in Frage stellen, daß dies Ihre Aussage gewesen ist. Andernfalls würden wir über die Wahrheit streiten. Für diesen Fall würden wir die Teilnehmer dieses Gespräches einzeln befragen. Sie würden feststellen: Es war so und nicht anders. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Özdemir, jetzt haben Sie das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die aktuelle Diskussion eingehen, bevor ich zum eigentlichen Anlaß unseres heutigen Zusammenseins spreche. Ich glaube, daß wir uns alle im Hohen Hause weitgehend darin einig sind, daß Herr Öcalan für die Taten, die ihm vorgeworfen werden, zur Rechenschaft gezogen werden muß. Auf die eine oder andere Weise muß sich Herr Öcalan dafür rechtfertigen. Denn eines ist klar: Man kann nicht die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen. Es wurden hier zu Recht Menschen eingesperrt, die Abweichler umgebracht, Schutzgelder erpreßt und Anschläge auf türkische Einrichtungen ausgeübt haben. ({0}) Wir haben diese Taten gemeinsam hier im Hause verurteilt. Darum ist es klar, daß der Verantwortliche der PKK-Organisation dadurch, daß es durch seine Einreise nach Italien dafür eine Chance gibt, auf die eine oder andere Weise zur Rechenschaft gezogen werden muß. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Punkt feststellen. Die Diskussion wäre dann unvollständig, wenn wir parallel dazu nicht auch sagen würden, daß die Türkei jetzt die Chance hat, ihren Teil der Aufgaben zu erfüllen und ihren Teil zur Lösung des Problemes beizutragen. Damit kein neuer Abdullah Öcalan und keine neue PKK entsteht, muß die Türkei innerhalb ihrer Grenzen das Kurdenproblem mit demokratischen Mitteln lösen. Wir wollen der Türkei gerne dabei helfen. In diesem Punkt besteht Diskontinuität zur vorherigen Regierung. Wir sagen prinzipiell ja zur Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Aber wir wollen eine Türkei, die die Menschenrechte einhält. Das ist der Teil, den die Türkei zur Lösung des Problemes beitragen kann. ({1}) Jetzt komme ich zur Überleitung zu meinem eigentlichen Thema. Wir würden über das Thema PKK und Öcalan ganz anders diskutieren, wenn wir früher gehandelt und dazu beigetragen hätten, die Nichtdeutschen in diese Gesellschaft zu integretieren, einzubinden und einzubeziehen. Wenn wir ihnen früher das Gefühl gegeben hätten, daß das ihre Gesellschaft ist, hätten wir das verhindern oder reduzieren können, was wir alle miteinander in dieser Gesellschaft bedauern, nämlich daß sich ein Teil der Menschen nichtdeutscher Herkunft von der Gesellschaft abgewendet hat in Richtung Nationalismus und religiösen Fundamentalismus. Das ist eine Minderheit; aber es gibt sie. Deshalb bin ich froh, daß diese neue Regierung handeln und das Staatsangehörigkeitsrecht reformieren wird. Es wird dazu beitragen, daß Kinder, die in dieser Gesellschaft aufwachsen, zukünftig mit einem inländischen Bewußtsein groß werden. Auch das ist ein Teil Prävention, damit eine Überidentifikation mit Konflikten aus dem Herkunftsland reduziert wird. Ich glaube, das ist eine Sache, in der Sie uns unterstützen sollten. ({2}) Ich möchte etwas zum erfreulichen Teil sagen. Ich begrüße es, daß sich die F.D.P. in den Chor derer ein622 reiht, die sagen, daß die Zuwanderung geregelt werden muß, daß wir sie steuern und kontrollieren müssen. Wir sind uns darüber im Prinzip über die Parteigrenzen hinweg einig. Ich muß allerdings dazu sagen: Sie machen es uns als Regierungsabgeordnete leicht, Ihren Antrag abzulehnen. Sie hätten es uns schwerer machen können, Herr Kollege Westerwelle, ({3}) indem Sie ihn etwas anders formuliert hätten. Sie haben im Grunde Ihren alten Antrag wieder neu aufgelegt. Dazu ist schon genug gesagt worden; die Kollegen haben darauf hingewiesen. Die Verknüpfung mit der Familienzusammenführung, aber auch die Art, wie Sie die Wiederkehroption aufgenommen haben - über die Gesamtquote -, tragen wir als Regierung und natürlich auch als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht mit. Von daher werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Trotzdem hoffe ich, daß wir in der weiteren Debatte, spätestens dann, wenn wir unsere Hauptaufgabe in dieser Legislaturperiode im Bereich der Integrationspolitik, nämlich ein neues Staatsangehörigkeitsrecht zu verabschieden, hinter uns gebracht haben, auf der Grundlage der Zahlen, die uns dann vorliegen, überlegen: Wie sieht der weitere Bedarf aus? Wie kann Zuwanderung geregelt werden? Welche gesetzlichen Instrumente brauchen wir für die Zuwanderung? Haben wir alle Integrationsaufgaben gelöst? - Lassen Sie uns dann den Versuch starten, diese Fragen über die Parteigrenzen hinweg zu regeln! Wir sind dazu bereit; das ist ein ernstgemeintes Angebot. Aber natürlich brauchen wir dafür eine Opposition, die dieses Angebot annimmt. Lassen Sie mich zum Schluß, weil meine Redezeit fast abgelaufen ist, noch ein bißchen in unsere Vergangenheit zurückblicken. Ich glaube, daß wir auf dem Gebiet, auf dem wir uns gegenwärtig bewegen, schon einmal weiter waren. Ich darf auf unverdächtige Zeugen verweisen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben vorhin den Fall Öcalan angesprochen und gesagt, daß die Bundesregierung aus Angst vor Leuten, die bei uns im Land leben, auf ein Auslieferungsersuchen verzichtet hat. Glauben Sie wirklich, daß Sie das Problem lösen, indem Sie den Menschen, vor denen die Bundesregierung im eigenen Land Angst hat, die deutsche Staatsbürgerschaft geben? ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege. Ich kann sie Ihnen ganz klar beantworten. Erstens. Wenn die Bundesregierung vor diesem Fall Angst hätte, dann hätte die Bundesanwaltschaft den Haftbefehl nicht noch um wichtige Tatbestände, die im ersten Haftbefehl nicht enthalten waren, beispielsweise Morde, erweitert. Zweitens. Das Staatsangehörigkeitsrecht richtet sich natürlich nicht an Menschen, die zu schwerer Gewalt aufgerufen oder diese begangen haben. Das Staatsangehörigkeitsrecht richtet sich an Leute, die so bislang nicht in Erscheinung getreten sind; das ist logisch und sagt auch das bisherige Recht aus. Die anderen werden sich ohne Frage vor Gerichten zu verantworten haben. Zum Fall Öcalan. Ich glaube, Sie sollten einmal die Äußerungen Ihrer Fraktionskollegen zu Rate ziehen. Die meisten in Ihrer Fraktion haben sich nicht sehr viel anders geäußert als die Bundesregierung und die Abgeordneten, die den Regierungsfraktionen angehören, weil wir alle die Probleme sehen. Ich glaube nicht, daß sich dieses Thema zum Populismus eignet. ({0}) Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir das Problem lösen können, wie wir die Ursachen beseitigen können! Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, daß Öcalan zur Rechenschaft gezogen wird. Lassen Sie uns da dranbleiben! Lassen Sie uns überlegen, wie wir es schaffen, daß wir weder in der Bundesrepublik Deutschland ein Problem erzeugen noch andere Länder alleine lassen! Ich glaube, daß wir eine gute Lösung finden können. Aber jetzt endgültig zum Schluß. Die Preußen, sicherlich unverdächtig und über jeden grünen Verdacht erhaben - damals gab es noch nicht so viele Grüne -, waren in dieser Frage schon weiter. Der Rat der Stadt Frankfurt an der Oder fragte 1740 bei König Friedrich in Potsdam an, ob es einem katholischen Kaufmann erlaubt sei, sich in der evangelischen Stadt niederzulassen. Friedrich der Große antwortete damals - ich zitiere -: Alle religionen seindt gleich und guth, wan nur die leute, so sie profesiren, ehrliche leute seindt - und wenn Türken und Heiden kähmen und wollten das landt populiren, so wollen wir sie Mosquen und kirchen bauen. Genauso hält es diese Regierung. Wir wollen die Integration in dieser Gesellschaft gestalten. Wenn uns die Preußen dabei helfen, soll es uns recht sein. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich habe mich für zwei kurze Bemerkungen gemeldet. Die erste Bemerkung betrifft den Fall Öcalan. Hier muß eine ausgesprochen schwierige Abwägungsentscheidung getroffen werden. Für jede Regierung wäre die Schwierigkeit dieselbe. Dies sollten Sie aber auch kenntlich machen. Eine Scheinlösung vorzutragen, die Strafverfolgung zu vertagen, bis ein internationaler Gerichtshof, von dem wir wissen, daß er in absehbarer Zeit nicht mit der Arbeit beginnt, die Verantwortung für diesen Fall übernimmt, ist in der Tat eine Irreführung der Öffentlichkeit. Wenn Sie sagen, es sei eine Abwägungsentscheidung, dann begründen Sie es auch so vor der deutschen Öffentlichkeit! Es ist eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Strafverfolgungsanspruch des Staates auf der einen Seite und der Opportunität und der Berücksichtigung der inneren Sicherheit auf der anderen Seite. Ein Zweites. Als ich das Thema heute morgen eingebracht habe, habe ich am Anfang meiner Rede gesagt: Mich ärgert, daß in der öffentlichen Debatte so getan wird, als seien alle jungen Ausländer „Mehmets“. Daß über dieser Debatte jetzt der Schatten des Falles Öcalan schwebt, finde ich ausgesprochen bedauerlich. Das ist nicht vernünftig. Denn in der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck: Staatsangehörigkeit, Einwanderung, Zuwanderungsbegrenzung, all das habe nur etwas mit Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Es geht nicht an, daß wir die große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft, die in Deutschland leben, kriminalisieren, indem wir sie bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes oder bei der Zuwanderungsbegrenzung in Haftung für die „Mehmets“ und Öcalans nehmen. Das ist nicht fair und dient auch nicht dem, was wir politisch beabsichtigen. ({0}) Deswegen finde ich es sehr bedauerlich, daß die Debatte am Schluß diese Wendung genommen hat. ({1}) Der Fall Öcalan und der Fall „Mehmet“ haben mit der Debatte um ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland nichts zu tun. Es gibt den Fall Öcalan und den Fall „Mehmet“, aber das hat nichts damit zu tun, daß wir nicht trotzdem eine Modernisierung unseres Staatsangehörigkeitsrechts - zugunsten der Kinder, die hier geboren werden - dringend brauchen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat Frau Kollegin LippmannKasten, PDS-Fraktion.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich interveniere zu dem, was Herr Kollege Özdemir gesagt hat. Herr Kollege, Sie haben hier zum Fall Öcalan sehr einseitige Ausführungen gemacht. Sie haben zu Recht gefordert, daß sich Herr Öcalan vor einem Gericht rechtfertigen müsse. An die Türkei haben Sie lediglich appelliert, sie solle die Chance nutzen, rechtsstaatliche Verhältnisse einzuführen. Ich finde, dies ist absolut zu kurz gegriffen. Die bisherige deutsche Bundesregierung hat in den vergangenen 16 Jahren den Krieg - und das ist es -, der in Kurdistan geführt wurde, durch massive Rüstungslieferungen, durch massive Wirtschaftshilfe unterstützt und vorangetrieben. Heute zu fordern, daß lediglich Herr Öcalan als Führer der PKK auf die Anklagebank gehört, nicht aber der zweite Kriegsaggressor, die Türkei, ist zu kurz gegriffen, Herr Özdemir. Das bitte ich Sie zu bedenken. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Antwort hat Kollege Özdemir. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wurde gerade zu Recht darauf hingewiesen, daß das Thema Öcalan nicht von uns eingeführt wurde. Aber bevor ich auf die Ausführungen des Kollegen Westerwelle eingehe, möchte ich auf die PDS-Kollegin antworten. Ich bin jemand, der von den türkischen Nationalisten via türkische Presse sehr heftig attackiert wird, weil ich angeblich kurdennah sei. Wenn mich die PDS angreift, daß ich auf der anderen Seite stehe, dann ist das, was ich mache, glaube ich, so falsch nicht. Ich denke, wir haben allen Grund dazu, beide Seiten gleichermaßen zu kritisieren. Ich habe das bei jeder Gelegenheit gemacht. Das wissen Sie, wenn Sie die Presse verfolgt haben. Als ich damals beispielsweise die Einrichtung dieses Strafgerichtshofes vorgeschlagen habe, übrigens bereits sehr frühzeitig - ich glaube, Herr van Essen hat diese Äußerung in einer Erklärung begrüßt -, habe ich ausdrücklich gesagt, daß Herr Öcalan zur Rechenschaft gezogen werden muß. Aber ich habe beispielsweise auch Herrn Necdet Menzir genannt, den ehemaligen Polizeichef von Istanbul. Ich habe Mehmet Agar genannt, den ehemaligen Innenminister der Republik Türkei, der, wie Sie wissen, in Mafiaverbindungen und sonstige Machenschaften verwickelt ist, die im türkischen Parlament aufgedeckt worden sind. Ich habe den General der Putschisten des Jahres 1980 in der Türkei genannt, Herrn Evren. Sie alle müßten im Grunde für ihre schrecklichen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Gerade im Fall Necdet Menzir ist erwiesen, daß er selber aktiv an Folterungen teilgenommen hat. Eines seiner Folteropfer ist in diesem Land gestorben. Deshalb hoffe ich, daß eine demokratische Türkei eines Tages ihre Verfassung ändern wird und die Möglichkeit schafft, daß die Menschen, die diese Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, zur Rechenschaft gezogen werden können. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber ich glaube nicht, daß die Sache besser wird, wenn man - das machen leider manche von Ihnen in der PDS - die eine Seite der Menschenrechtsverletzungen kritisiert und bei der anderen Seite wegschaut. ({0}) Aber jetzt zu den Äußerungen von Herrn Westerwelle. Sie haben recht mit dem, was Sie gesagt haben. Es ist tatsächlich auch eine Abwägungsentscheidung. Die Regierung hat eben auch eine innenpolitische Aufgabe. Wir haben eine Verantwortung für diese Gesellschaft, für alle Menschen, die in dieser Gesellschaft leben. Ich glaube nicht, daß die Bundesregierung es sich hier sehr einfach gemacht hat. Sie merken an unseren Äußerungen, daß uns diese Sache sehr nahegeht. Wir werden schauen müssen, daß wir beide Interessen unter einen Hut bringen: auf der einen Seite das Interesse, daß der Frieden in dieser Gesellschaft nicht bedroht wird, und auf der anderen Seite das Interesse, daß wir die Chance ergreifen, die darin liegt, daß Öcalan in Rom ist und damit zur Rechenschaft gezogen werden kann, wodurch gleichzeitig - das müssen wir im gleichen Atemzug sagen - jetzt das politische Problem in der Türkei gelöst werden kann, das nicht gelöst werden konnte, solange Herr Öcalan dort war. Diese Chance muß jetzt ergriffen werden. Darum ist der Vorschlag bezüglich des Strafgerichtshofes, Herr Kollege Westerwelle, keine Ausflucht, sondern das ist ein wichtiger Vorschlag, eine gute Idee, weil es das ist, was wir zukünftig brauchen werden. Wir werden solche Fälle noch öfter haben. Je früher wir anfangen, weltweit die Instrumente zu schaffen, damit Menschenrechtsverletzer, welcher Couleur, von welcher Richtung und in welchem Land auch immer, zur Rechenschaft gezogen werden können, um so besser ist das für die Zukunft der Menschen, die bei uns leben. Letzter Punkt zu dem, was Sie bezüglich „Mehmet“ oder Muhlis bzw. Öcalan gesagt haben. Ich kann mich dem, was Sie gesagt haben, völlig anschließen. Ich habe das Problem, daß wir die Diskussion über dieses Thema oft mit der Brille der 60er Jahre führen. Wir betrachten die Zuwanderung nach wie vor als vorübergehende Erscheinung. Wir sehen nur die Probleme. Wir sehen nur die Kriminellen, das heißt, wir sehen nur die Fälle, die gescheitert sind. Was wir nicht sehen, sind die 90 Prozent, bei denen es klappt. Was wir nicht sehen, ist der große Teil derer, bei denen das Zusammenleben erfolgreich funktioniert. Wir sehen nicht die Studenten und die Studentinnen, rund 10 000 allein unter den Menschen türkischer Herkunft.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin am Schluß. Wir sehen nicht die Arbeitgeber, die zum Bruttosozialprodukt beitragen und Arbeitsplätze schaffen. Vielleicht sollten wir uns einmal darüber unterhalten, was die Zuwanderung zu dieser Gesellschaft beigetragen hat. Die Erfolgsgeschichte der Zuwanderung nach Deutschland, das sollte einmal ein Debattenthema im Bundestag sein. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/48 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, Rolf Kutzmutz und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung ({0}) - Drucksache 14/14 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung und Forschung ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft und Technologie Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Sofortprogramm, mit dem 100 000 Jugendliche in Arbeit und Ausbildung gebracht werden sollen, nimmt konkrete Gestalt an - so weit, so gut. Kritisiert wird es vor allem von jenen, die die Hauptverantwortung für die verfahrene Situation tragen und in der Vergangenheit auch nichts anderes als Notprogramme zu bieten hatten, allerdings mit wesentlich geringeren Ausmaßen. Das neue Sofortprogramm hat tatsächlich andere Dimensionen, wird aber, so glaube ich, ebensowenig ausreichen. Die Zahlen der zum Stichtag 30. September nicht vermittelten Bewerberinnen und Bewerber sprechen eine deutliche Sprache. 1995 waren es 25 000, 1996 38 500, 1997 47 500 und 1998 36 000, wobei - das will ich hier gleich sagen - das kein echter Rückgang zum Vorjahr ist, sondern die Differenz nur dadurch entstanden ist, daß 42 000 Jugendliche in Maßnahmen geschickt wurden, wodurch sie aus der Statistik fielen. Das heißt, der rechnerische Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist seit 1996 nicht mehr gegeben. An den Kapazitätsproblemen auf dem Lehrstellenmarkt wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist die Ausbildungsquote der Betriebe von 1990 bis 1996 von 7 auf 5,5 Prozent zurückgegangen. Bei gleicher Ausbildungskraft der Betriebe wie vor acht Jahren könnten heute 150 000 Jugendliche mehr eine Chance bekommen. Besonders deutlich wird das Problem im Osten. Selbst in sogenannten Leuchttürmen wie dem VW-Werk in Mosel stehen 6 000 Beschäftigten lediglich 200 Auszubildende gegenüber. Das ist eine Quote von 3,3 Prozent. In strukturarmen Gebieten wie dem Dreieck zwischen Oschatz, Torgau und Döbeln, in dem 28 000 Menschen arbeitslos sind, gibt es kaum noch Betriebe, die ausbilden können. Den 4 618 Bewerbern standen in diesem Jahr lediglich 1 359 betriebliche Stellen gegenüber. Das ist ein Rückgang von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch wenn die Zahl der staatlich geförderten Stellen zunimmt, werden in dieser Region etwa 2 000 Jugendliche ohne Ausbildung bleiben. Aus dem Kinder- und Jugendbericht des Kultusministeriums von Mecklenburg-Vorpommern geht hervor, daß sich 20 Prozent der Jugendlichen bei der Lehrstellensuche für chancenlos halten. Die Jugendlichen haben ein Recht darauf, daß ihre existentiellen Probleme ernst genommen werden, daß dauerhafte Lösungen gefunden werden, die das Übel endlich an der Wurzel packen. Auch das neue Sofortprogramm kann hier höchstens Übergänge schaffen. Zu welchen Ergebnissen hat beispielsweise der Ausbildungskonsens in Nordrhein-Westfalen geführt? Zum 30. September 1997, also im zweiten Jahr des Ausbildungskonsenses, gab es dort nur noch rund 78 Prozent des Ausbildungsplatzangebots von 1990, dafür aber 105 Prozent Nachfrage. Die Zahl derer, die in Berufsvorbereitungsmaßnahmen gingen, waren in den letzten beiden Jahren um das Zweieinhalbfache höher als 1990. In berufsbildende Schulen gingen im letzten Jahr 43 Prozent mehr und in allgemeinbildenden Schulen verblieben 74 Prozent mehr als 1990. Und fast 20 Prozent mehr gingen ohne Ausbildung in Arbeit. Wenn man diese Fakten schlicht und einfach zur Kenntnis nimmt, muß festgestellt werden, daß seit der Vereinbarung des Ausbildungskonsenses keine Entschärfung, sondern eine Verschärfung des Problems eingetreten ist. ({0}) Zu keiner Zeit in den letzten 10 Jahren war das Land Nordrhein-Westfalen weiter davon entfernt, alle Jugendlichen, die ausgebildet werden wollen, mit Ausbildungsplätzen zu versorgen. Die entscheidende Ursache der Ausbildungskrise ist also weder vorrangig in der demographischen Entwicklung noch in den angeblich immer bildungsunfähigeren Jugendlichen zu suchen. Der entscheidende Punkt ist der Rückzug der Unternehmen aus der Berufsausbildung. ({1}) Gründe dafür kann man dem IAB-Betriebspanel des Landes Brandenburg entnehmen. Ein Mangel an geeigneten Bewerbern wird dort - entgegen landläufigen Behauptungen - nur von 5 Prozent der ausbildungsberechtigten Betriebe als Ausbildungshemmnis genannt. Und eben auf dieses Problem reagiert der Vorschlag einer Umlagefinanzierung. Das heißt schlicht und einfach: Alle Betriebe, die ihrer verfassungsmäßigen Pflicht nicht nachkommen, müssen in Zukunft diese Verpflichtung erfüllen. ({2}) Wir wollen mit diesem Gesetz eine solidarische Gesellschaft schaffen. Wir wollen, daß die Betriebe, die ihren Ausbildungsverpflichtungen nicht nachkommen, in einen Fonds einzahlen und daß die, die ihre Ausbildungspflicht übererfüllen, daraus Geld bekommen. ({3}) Die Opposition war sich in der letzten Wahlperiode hinsichtlich dieses Themas mit vielen anderen Partnerinnen und Partnern schon einmal einig. Wir halten es für notwendig, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen, um dem jährlichen Krisenmanagement endlich ein Ende zu machen. ({4}) Sollte das Bündnis für Arbeit tatsächlich schnell zu verbindlichen und nachhaltigen Problemlösungen kommen, um so besser. Einen Gesetzentwurf kann man ja auch, wenn er erledigt ist, zurückziehen. Anderenfalls könnte eine Expertenkommission die bereits vorliegenden Vorschläge, also auch die von Bündnis 90/Die Grünen und SPD der vergangenen Wahlperiode und unseren, nämlich die Vorschläge zur Umlagefinanzierung so weit aufbereiten, daß dann wenigstens im nächsten Jahr Nägel mit Köpfen gemacht werden können. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist unsere verfassungsmäßige Pflicht. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Plenum des Deutschen Bundestages hat es schon immer - und seit der deutschen Einheit zunehmend - heftige Debatten über die Lehrstellensituation gegeben: zuerst besonders über die ostdeutschen Probleme und seit drei Jahren vermehrt über die gesamtdeutschen Probleme auf diesem Sektor. Dabei haben wir uns insbesondere des Schicksals der betroffenen Jugendlichen angenommen. Wer sich wie wir Bildung für alle und Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben hat, der kann gar nicht anders, als sich für jeden einzelnen zu engagieren. Der mag Lehrstellendefizite bei Ausländern, bei Mädchen oder in Ostdeutschland auch nicht als gegeben hinnehmen, sondern überlegt permanent, wie man das Lehrstellenproblem als Gesamtproblem beheben kann. Deshalb haben wir - ich sage das bewußt; wir bekennen uns auch dazu - das Problem der Lehrstellen zu einem Wahlkampfthema gemacht. Heute können wir uns nicht nur darüber freuen, daß die Bürger uns dieses Engagement abgenommen haben, sondern auch darüber, daß wir tatsächlich etwas zur Behebung und zur Linderung des Lehrstellenproblems tun können. Erst in der letzten Woche hat die Bundesbildungsministerin gemeinsam mit ihrem Kollegen aus dem Bundesarbeitsministerium öffentlich das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aus der Taufe gehoben. ({0}) - Das Ministerium ist vertreten, Herr Kollege van Essen. - 2 Milliarden DM werden damit bewegt. Das ist ein Betrag, der bei diesem Thema bisher noch nie zur Debatte gestanden hat. Daß das Thema Lehrstellen und dieser hohe Betrag heute zur Debatte stehen, zeigt, für wie wichtig wir es halten. ({1}) Das ist ein Betrag, von dem der Vorgänger der Frau Ministerin Bulmahn, Herr Rüttgers, nur träumen konnte. Für 10 000 Jugendliche wird ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz geschaffen. 20 000 werden in ABMaßnahmen zusätzlich qualifiziert. Weitere 25 000 erhalten eine Nach- und eine Zusatzqualifikation. Über diese Maßnahmen würden wir mit Ihnen hier gerne diskutieren, auch über die Notwendigkeit und Konkretisierung von Modernisierungsmaßnahmen beispielsweise in der beruflichen Bildung und über die Schaffung von Basisqualifikationen, um den Betrieben in ihrer Ausbildungsneigung entgegenkommen zu können. Aber das scheint ein Punkt zu sein, meine Damen und Herren von der PDS, der Sie gar nicht interessiert. ({2}) Für uns steht der ausbildungsplatzsuchende Jugendliche im Mittelpunkt unserer Sorgen. Sie aber, meine Damen und Herren von der PDS, kümmern sich um abstrakte Gesetzentwürfe, ({3}) offenbar - ich kann das gar nicht anders interpretieren einzig mit dem Ziel, in der öffentlichen Diskussion von den tatsächlich zu treffenden Maßnahmen in diesem Sektor abzulenken. ({4}) - Ich möchte Sie wirklich davor warnen, die Gefühle der betroffenen Jugendlichen zu instrumentalisieren. ({5}) Denn wir wissen um das schreckliche Gefühl von Jugendlichen, nicht gebraucht zu werden. Da kann uns niemand von Ihnen etwas vormachen. Ich kenne diese Thematik. Wir können das auch entsprechenden Briefen entnehmen. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man 50 Bewerbungen schreibt und eintütet und 50mal als Antwort bekommt, daß man leider nicht gebraucht wird. Das kann so nicht weitergehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Böttcher?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Hilsberg, ich möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen. Sie waren gestern im Ausschuß dabei, als die Bildungsministerin uns ihre Vorstellungen unterbreitet hat, wie sie - natürlich mit den dazugehörigen Fraktionen - das Problem lösen will. Unter anderem hat sie sehr leidenschaftlich - wie ich Edelgard Bulmahn kenne, wofür ich mich auch heute noch einmal bei ihr bedanken möchte; es waren eine ganze Menge gute Ideen - und lange über das duale System gesprochen. Auf das duale System in der Berufsausbildung wollen und können wir in Deutschland sehr stolz sein; da gab es auch von niemandem Widerspruch. ({0}) Nun frage ich Sie: Wieso sagen Sie jetzt „Das einzig Richtige ist die außerbetriebliche Ausbildung“? Sie sagen: Wir stellen Mittel für die außer- oder überbetriebliche Ausbildung ein. Sie widersprechen sich selbst. Ich frage Sie: Meinen Sie nicht, daß unser Gesetzentwurf genau dem Inhalt Ihres Gesetzentwurfes entspricht, den Sie hier in der letzten Wahlperiode eingebracht haben?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ad eins. Sie haben mich offenbar gar nicht richtig verstanden. Ich habe von notwendigen Modernisierungsmaßnahmen, Flexibilisierungsmaßnahmen, Basisqualifikation etc. gesprochen und nie davon, daß außerbetriebliche Maßnahmen die einzige Lösung seien. Ad zwei. Zu Ihrem Gesetzentwurf komme ich gleich. Gestatten Sie mir bitte, daß ich meine Ausführungen fortsetze. ({0}) Ich denke auch - und das ist wichtig -, daß eine ganz wesentliche Rolle das „Bündnis für Arbeit und Ausbildung“ spielen muß. Diesen Titel hat das Bündnis zu Recht; denn es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Verringerung von Arbeitslosigkeit einerseits und dem Schaffen neuer Ausbildungsplätze andererseits. Betriebe, die mehr Mitarbeiter brauchen, benötigen schlicht auch mehr Nachwuchs. Also schaffen die Betriebe, wenn sie sich von ihrem ökonomischen Interesse leiten lassen, auch mehr Lehrstellen. Über diesen ZuStephan Hilsberg sammenhang, meine Damen und Herren von der PDS, würde ich mit Ihnen hier gerne einmal diskutieren. Aber ich glaube, dazu sind Sie weder bereit noch in der Lage. ({1}) Die Tatsache - das kann man erfreulicherweise anmerken -, daß Sie sich mit Ihrem Gesetzentwurf auf unseren zubewegt haben, mag uns zwar ehren; ich weiß aber auch, wie Sie das mit solchen Sachen machen. Dies ist nicht der einzige Fall, daß Sie bei anderen Parteien abschreiben. Die Grünen beispielsweise können ein Lied davon singen. Passagenweise haben Sie aus dem Programm der Grünen zitiert und das in Ihre eigenen Programme hineingeschrieben, ({2}) ohne es allerdings, wie man das redlicherweise hätte tun müssen, in Anführungszeichen zu setzen und ohne den Urheber dahinterzuschreiben, damit man wirklich sehen kann, wie die Partei heißt, die man an Ihrer Stelle eigentlich hätte wählen sollen. Die Sache ist doch offenbar: Sie wollen sich mit einem ökologischen, modernen, linkssozialistischen Etikett versehen, um das eigentlich postkommunistische Wesen dieser Partei zu verbergen. ({3}) Dafür muß ich doch nicht in das Rostocker Manifest blicken. Das alte kommunistische Denken schaut doch überall immer wieder durch. ({4}) Es wird Sie überraschen: Wir verleugnen unseren ehemaligen Gesetzentwurf überhaupt nicht. ({5}) - Genau das ist der Punkt: Wenn man mit Ihnen über diese Themen diskutiert, kommt man immerfort auf Grundsatzprobleme zu sprechen. Sie glauben doch in Wirklichkeit überhaupt nicht, daß man im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft Existenzprobleme wirklich beheben kann, daß man zur Chancengleichheit beitragen kann. Sie denken doch in Systemkategorien. Es ist doch der Herr Holter, der gesagt hat, man müsse das System grundsätzlich ändern. Der Herr Gysi erklärt auf Parteitagen, wieso man Systemopposition weitermachen kann, wenn man gleichzeitig in der Regierung ist. Das ist doch Ihre Argumentation, und das ist alte kommunistische Ideologie. Das kann ich nicht anders sehen. Ich sage sehr deutlich: Wir verleugnen unseren ehemaligen Gesetzentwurf nicht. Wir haben ihn auch nicht ins Archiv versenkt; denn wir wissen um die Probleme des dualen Systems. Wir wissen, daß eines der Probleme die Diskrepanz zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben ist. Das nenne ich die Gerechtigkeitslücke. Diese Diskrepanz ist übrigens in Ostdeutschland viel stärker zu beobachten als in Westdeutschland. Sie spielen sich ja immer so gerne als die Experten für ostdeutsche Probleme auf. Dann versuchen Sie doch einmal zu erklären, warum die Diskrepanz gerade in Ostdeutschland so groß ist. Kommen Sie mir nicht mit dem scheinbar solidarischen Denken in Ostdeutschland, wie das Herr Reißig oder André Brie immerfort so gerne diskutieren! Sie meinen, daß die ostdeutsche Stimmungslage eigentlich die modernere ist. Für meine Begriffe steckt dahinter häufig nur eine einzige Haltung. Viele Unternehmer sagen: Mir schenkt der Staat nichts, also schenke auch ich dem Staat nichts. - Mit dieser Haltung werden Sie in der Tat nicht weiterkommen. Die Unternehmen, die so denken, werden sich in ihr eigenes Fleisch schneiden. ({6}) Ich betone noch einmal: Mit ideologischen Debatten und parteipolitischen Instrumentalisierungen kommen wir nicht weiter. ({7}) Als wir unseren Gesetzentwurf geschrieben haben, hatten wir die Gerechtigkeitslücke des dualen Systems im Blick. Dies kann sich in der Tat immer noch zu einen Krebsgeschwür auswachsen. Die alte Bundesregierung hat das nicht begriffen, und sie hat das auch nicht behandelt. Im Gegenteil, Herr Rüttgers hat sich immer hier hingestellt und davon gesprochen, das Problem sei gelöst - als ob es völlig normal ist, daß 15 Prozent der Jugendlichen in diesem Land überhaupt keine Chance auf eine Lehrstelle haben. Dazu gehören Mädchen, Ausländer und Benachteiligte. An dieses Problem müssen wir in der Tat herangehen. Sie von der Opposition haben sich dabei in der Vergangenheit in die Tasche gelogen. Die Gerechtigkeitslücke besteht weiter. Sie ist aber nicht das einzige Problem.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit!

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Gedanken noch. Sollte das wieder zu einem Kardinalproblem werden, dann werden wir unseren Gesetzentwurf aus der Schublade holen. So wie wir jetzt das Bündnis für Arbeit angehen und für die Jugendlichen neue Chancen suchen und vermitteln, genauso würden wir diesen Gesetzentwurf im Bedarfsfall so durchziehen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Herr Hilsberg, nur eine Vorbemerkung: Bei Ihren Abgrenzungsbemühungen gegenüber der PDS war ich ganz auf Ihrer Seite. Aber ich verstehe nicht, wie Sie vor diesem Hintergrund und bei dieser Überzeugung in Mecklenburg-Vorpommern bereit sind, mit der PDS eine Koalition zu bilden. ({0}) Bevor ich jetzt zum Inhalt und zur Bewertung des von der PDS eingebrachten Gesetzentwurfes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung komme, gestatten Sie mir vor dem Hintergrund der langen Diskussionen auch während der 13. Legislaturperiode folgende Vorbemerkungen grundsätzlicher Art zum besseren Verständnis: These eins. In der nunmehr über 20jährigen, immer wieder auflebenden Diskussion um eine Reform der Berufsausbildungsfinanzierung sind zahlreiche Modelle auf ihr Für und Wider abgeklopft worden, mit der Folge, daß bis heute nichts Probates an möglichen Veränderungen benannt werden konnte, weil die jetzige Praxis - bei allen Mängeln - nachweislich noch immer die beste ist. These zwei. In der von der PDS erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1980 zum Finanzierungsrahmen der Regierung Schmidt wird davon ausgegangen, daß es sich hierbei um ein Verfassungsgebot handelt. Tatsächlich sagt das Bundesinstitut für Berufsbildung, daß das Bundesverfassungsgerichtsurteil festlegt, daß de facto und auf Dauer keine Finanzierung dieser Art vorgenommen werden kann. Es ist auch richtig, wenn ich alle Zahlen betrachte, daß in Deutschland etwa zwei Drittel aller ausbildungsberechtigten Betriebe der Pflicht zur Ausbildung nachkommen. Vor dem Hintergrund dieser zwei Thesen und einer bald 20jährigen Erfahrung kommen nur zwei Kriterien in Betracht, mit denen eine qualifizierte Lehrlingsausbildung gefördert werden kann. Das sind zum einen das Prinzip der Freiwilligkeit und zum anderen die aus eigenem Antrieb und aus eigener Einsicht erwachsene Bereitschaft zur Kooperation. ({1}) Doch die PDS, nach wie vor an einer planwirtschaftlich gesteuerten und überbordenden Staatsapparatspolitik orientiert, ({2}) greift heute auf ihren verstaubten, aus der alten Legislaturperiode stammenden Antrag zurück. ({3}) Weil die SPD gemeinsam mit dem DGB und anderen interessengleichen Verbänden mit ihren Horrorprognosen zur Lehrstellensituation noch nie recht hatte, mahnt sie auch jetzt wieder einen völlig falschen Handlungsbedarf an. So werden doch in ihrem Altentwurf und in ihrer Altbegründung alle aktuellen Fakten geleugnet, die sich mühelos wie folgt auflisten lassen: Erstens. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge steigt seit 1994 deutlich an. ({4}) Zweitens. Seit gut zwei Jahren hat sich auch das Angebot an Ausbildungsplätzen stetig vergrößert. Drittens. Die Zahl der unvermittelten Bewerber am Stichtag 1. Oktober 1998 ist binnen Monatsfrist um 115 000 auf 35 900 zusammengeschmolzen, und dies auf einem Niveau, das im Vergleich zum dem des Vorjahres um 25 Prozent niedriger ausfällt und das heute, am 3. Dezember, noch deutlicher darunter liegen wird. Die endgültigen Zahlen werden wir in der nächsten Woche als Bestätigung meiner Aussage erfahren. ({5}) Viertens. Gleichzeitig waren am 1. Oktober 1998 mehr als 23 300 bei den Arbeitsämtern gemeldete Lehrstellen offen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nahles?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wie erklären Sie es sich - wenn Sie hier die ganzen Zahlenkolonnen vorlesen -, daß die Ausbildungsquote, also die Anzahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze der Unternehmen, in den 80er Jahren bei 8,6 Prozent lag und mittlerweile bei 5,3 Prozent liegt? Es ist ganz klar, daß die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze massiv reduziert worden ist. Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund die Tatenlosigkeit auf seiten der CDU/CSU im Hinblick auf die Ausbildungsfrage in den letzten Jahren?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die letzte Bemerkung, Frau Kollegin, ist völlig wahrheitswidrig. Deshalb dürfen Sie sie hier so auch nicht bringen. ({0}) Der Wahrheit eine Gasse, meine Damen und Herren!. Des weiteren muß man zur Kenntnis nehmen, daß das eine andere Frage ist als die nach der Ausbildungsfinanzierung. In Deutschland sind insgesamt - ich muß wohl besser sagen: lediglich - 54 Prozent aller Betriebe ausbildungsberechtigt. Diese Zahl hat sich reduziert. Aber wir haben auch eine neue Situation - wenn Sie die Gesamtzahlen betrachten und sie mit denen der 80er Jahren vergleichen -, nämlich die des zusammengewachsenen Deutschlands. Dazu kommt die Situation - gerade was die ehemalige DDR angeht -, daß dort unter der unglückseligen Regierung der SED der gesamte Mittelstand ruiniert worden ist, ({1}) so daß es jetzt die allergrößte Mühe kostet, das nachwachsende Handwerk überhaupt dazu zu gewinnen auch was die finanziellen Voraussetzungen angeht -, Ausbildungsplätze anzubieten. ({2}) Ich freue mich, daß ich, wie ich Ihrem Gesicht ansehe, zu Ihrer Zufriedenheit habe antworten können. Die nächste These, meine Damen und Herren: Das Handwerk baut - gerade vor dem Hintergrund dessen, was gefragt wurde, möchte ich es noch einmal deutlich sagen - ein beachtliches Plus von 1,5 Prozent an Lehrstellen aus. Ich will allerdings nicht die Nöte in den neuen Bundesländern verschweigen; darüber habe ich gerade gesprochen. Nächste These: Der DIHT ermittelte im Jahr 1998 bundesweit bei den Ausbildungsplätzen sogar einen bemerkenswerten und höchst anerkennenswerten Zuwachs von 8,4 Prozent. Die deutsche Wirtschaft - das muß man hier auch sagen dürfen - erreicht damit punktgenau ihre eigenen freiwilligen Vorgaben von 25 000 zusätzlichen Ausbildungsverträgen. ({3}) Vor diesem Hintergrund - das müßten eigentlich auch die eifrigsten Umlagebefürworter einsehen - ist eine Bestrafung der deutschen Wirtschaft durch die Einführung einer Zwangsumlage ein außerordentliches falsches, weil in höchstem Maße kontraproduktives Signal. ({4}) Jetzt, meine Damen und Herren, kommt aus meiner Sicht das Spannendste: Mir scheint, die von mir belegte Faktenlage hat inzwischen erfreulicherweise selbst die neue Bundesregierung realisiert, ({5}) fällt doch bei der Lektüre der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf, daß im Vergleich zu den seitenlangen Erörterungen zur Drogen- und Suchtbekämpfung sowie zur Frauen- und Umweltpolitik das Thema „Berufsausbildung“ ausgesprochen sparsam behandelt wird. Dabei findet die Ausbildungsplatzabgabe, die doch in der vorigen Legislaturperiode so sehr gefordert wurde, kaum noch Berücksichtigung. Herr Hilsberg hat dies gerade mit seinen Aussagen belegt. Ich denke, das liegt daran, daß auch SPD und Grüne eingesehen haben, daß man aus den entsprechenden Voten in den öffentlichen Anhörungen, aus der eindeutigen Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft, aus der unzweifelhaften Ablehnung aller Wirtschaftsminister aller Länder und aus der ebenso deutlichen Ablehnung des neuen Kanzlers, des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vieler Wissenschaftler und sogar einiger Gewerkschaften lernen kann. Gleichwohl - ich sage es ausdrücklich - ist die Zurückhaltung der neuen Bundesregierung bei der ehemals so heißgeliebten umlagefinanzierten Berufsausbildung lobenswert und hoffentlich zum Wohle unserer Jugendlichen von Dauer. ({6}) Die Umlagefinanzierung à la PDS hilft uns hingegen in keiner Weise weiter. Vielmehr würde sie die angespannte Situation in den neuen Bundesländern noch in unverantwortlicher Weise verschärfen und folgende Probleme vorprogrammieren: einen Rückzug der Betriebe aus der Ausbildung, eine Reduzierung des Lehrstellenangebots auf den jeweiligen betrieblichen Eigenbedarf und zudem eine - das macht mir besonders Sorge schleichende Verlagerung der Berufsausbildung weg von der echten, weil betrieblichen Ausbildung hin zur fondsfinanzierten Ausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen. ({7}) Ich könnte mich mit dem PDS-Antrag noch weiter auseinandersetzen, wenn dieser Antrag nach all den unendlichen Diskussionen in der vergangenen Legislaturperiode heute einige Fragen beantwortet hätte, die beispielhaft lauten: Nach welchen Kriterien will man eine eindeutige Bemessungsgrundlage oder eine gerechte Höhe des Abgabensatzes finden? Wer soll die erforderlichen komplexen Angaben der Betriebe erstellen? Wer kann sie überhaupt kontrollieren? Durch welche Maßnahmen will man die berufsstrukturelle Fehlsteuerung abwenden? Wie will man die in solchen Berufen fehlausgebildeten Jugendlichen am Arbeitsmarkt unterbringen? Vor allen Dingen, meine Damen und Herren: Wie will man über eine Ausbildungsfinanzierung das problematische Wahlverhalten der Jugendlichen nachträglich verändern? ({8}) Deswegen komme ich zu dem Schluß: Eine von oben verordnete Umlage führt zu einer Bestrafung einer Vielzahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ohnehin schon in finanziellen Schwierigkeiten stekken. ({9}) Eines möchte ich noch sagen dürfen, meine Damen und Herren: Ich bin sehr der Auffassung, daß jedes Plädoyer, endlich der ausufernden Bürokratie zum Wohle des Wirtschaftsstandorts Deutschland Einhalt zu gebieten, durch den vorliegenden Gesetzentwurf der PDS zur Farce gerät. Auch der Sachverständigenrat hat sich sehr eindeutig dagegen ausgesprochen. Was mir aber auch besonders am Herzen liegt, ist folgendes. Wir alle wissen, daß die Wirtschaft immer von dem Klima abhängig ist, in dem sie sich zu entwikkeln hat. Zu den Signalen, die die neue Bundesregierung jetzt auf weiter Flur setzt, kann ich in der Tat nur sagen, daß das momentane rotgrüne Chaos in der Steuerpolitik, das jegliches Fassungsvermögen der Bürgerinnen und Bürger deutlich übersteigt, in keiner Weise ein Klima schaffen wird, in dem man bereit ist, zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das ist das eigentliche Problem. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, ich freue mich immer über entsprechende Fragen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Lensing, Sie haben unseren Gesetzentwurf sicher in einigen Teilen mißverstanden. Dies entnehme ich Ihren letzten Worten dazu. Ich habe eine Frage: Sie haben gesagt, unser Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung wäre ein Ausdruck der Planwirtschaft. War die Umlagefinanzierung, die die CDU-Regierung 1950 eingeführt hat, auch ein Ausdruck der Planwirtschaft?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle erstens fest, daß Sie sich offensichtlich auf dem zeitlichen Niveau von 1950, das heißt, von vor 48 Jahren, bewegen. ({0}) Zweitens. Wenn Sie diese Vorlagen von 1950 wirklich studiert haben, werden Sie festgestellt haben, daß man sie nach sieben Monaten wieder zurückgenommen hat, weil es sich als nicht systemgerecht und als nicht verantwortungsvoll herausgestellt hat, so etwas von oben zu verordnen. Den gleichen Fehler wiederholen Sie nach 48 Jahren. Und wie ich die PDS kenne, werden Sie sich in abermals 50 Jahren auch nicht anders verhalten. ({1}) Ich möchte meinen Beitrag mit folgenden zwei Feststellungen zusammenfassen: Allein die einzelbetriebliche und die eigenverantwortliche Finanzierung der Berufsausbildung steht mit unserem marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Harmonie und Einklang. Eine gesetzlich erzwungene Änderung dieses Grundprinzips würde hingegen zu erheblichen Störungen führen und den Bestand unseres dualen Systems insgesamt in Frage stellen. Insofern sagen wir nicht nur aus irgendwelchen Erwägungen der Opposition, sondern aus tiefster Überzeugung, daß die von der PDS wiederum verfolgte Zwangsumlage genau das falsche Signal zu einem Zeitpunkt ist, in dem Rotgrün dem deutschen Mittelstand ohnehin die größten Probleme bereiten wird. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lensing, Sie kuscheln sich richtig in Ihrer alten Vergangenheit ein: Es sind die alten Kampfbegriffe, es sind die alten Gräben, es sind die alten Gewohnheiten. ({0}) Ich habe in dieser Debatte nicht einmal argumentativ etwas zu befürchten, weil Sie die alten Argumente, die Sie als solche angeführt haben, die aber keine sind, wieder aufgebrüht haben. ({1}) Sie sprechen von Freiwilligkeit und Kooperation, die man bei der Wirtschaft bräuchte, um sich der Lehrlingsausbildung anzunehmen. Das setzt meines Wissens aber Erkenntnis voraus. Wenn man sich dieser verweigert, ist man zu Freiwilligkeit und Kooperation nicht fähig. Wir werden sehen, was die Gespräche zum Bündnis für Arbeit erbringen. Damit komme ich auf den Weg, den wir beschreiten wollen, und darauf, warum wir ihn beschreiten wollen und warum Ihr Antrag von der PDS ein oppositioneller Schnellschuß ist und überhaupt nicht zur Problemlösung beiträgt. Der Zeitplan muß es natürlich erst einmal ermöglichen, des ganzen Wirrwarrs, der in den letzten zehn Jahren von der alten Regierung im Bereich der Berufsausbildung angerichtet worden ist, Herr zu werden. Deswegen werden einige Sonderprogramme zunächst einmal unberührt bleiben müssen. Man wird aber zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um in den nächsten Monaten Fortschritte zu erzielen. ({2}) Hierbei kommen wir auf das Klima. Es gibt nämlich auch ein Bedürfnis nach einem guten Klima, in dem sich eine junge Generation entwickeln kann. Es kann nicht immer nur um das gute Klima für die Wirtschaft gehen. ({3}) Es muß auch um das gute Klima für die Menschen, die in diesem Lande leben, gehen können. Das ist eine der Kernfragen. Ich erinnere mich sehr genau: Auch Sie haben zu den Kritikern gehört und gesagt, man müsse dieses Gesetz sofort beschließen. Ich habe damals vorgeschlagen: Lassen Sie uns noch ein letztes Mal reden, und zwar, sagen wir, mit einem gewissen Druck zu Erkenntnisbereitschaft auch seitens der Wirtschaft. ({4}) So haben wir damals argumentiert. Diese Argumentation halten wir jetzt durch, indem wir mit dem Sofortprogramm erste Schritte unternehmen, um die wirklich schwierige Situation abzupolstern. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber, je nachdem, welche Ergebnisse das Bündnis für Arbeit in dieser Frage erbringt, im Laufe dieser Legislaturperiode weitere Schritte natürlich vorbehalten. Das wissen Sie ganz genau. ({5}) Insofern finde ich es schade, wenn hier weiter nur alte Argumente angeführt werden. Herr Lensing stellt sich hierher wie der Hohepriester einer veralteten Religion. ({6}) Er spricht davon, daß die absolute Anzahl der Ausbildungsverträge angestiegen sei. Das ist richtig. Aber die absolute Zahl derer, die eine Ausbildung brauchen, hat sich in derselben Zeit verdreifacht. ({7}) Wenn der Aufwuchs beim Angebot von Ausbildungsplätzen so gering, aber bei den jungen Leuten, die Ausbildungsplätze brauchen, so stark ist, dann können Sie mir nicht erzählen, daß sich die Lage erholt hat. Das trifft überhaupt nicht zu. ({8}) Ich komme noch einmal auf ein paar Vorschläge zurück, die wir in unserem Sofortprogramm unterbreiten. Es wurde kritisiert, man hebe auf außerbetriebliche Ausbildung ab, die in der Tat keine gute, sondern eine schlechte Lösung ist, weil sie dazu führt, daß diejenigen, die außerbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen durchlaufen, im allgemeinen schlechtere Arbeitsmarktchancen haben als diejenigen, die eine ordentliche Ausbildung durchlaufen können. Dies wird in unserem Sofortprogramm deutlich herausgehoben. Keiner strebt die Verstärkung oder Stabilisierung außerbetrieblicher Maßnahmen an. Keiner spricht davon, aber Sie unterstellen das. Frau Kollegin von der PDS, es wäre übrigens nützlich, Sie würden unterscheiden lernen, was überbetriebliche und was außerbetriebliche Ausbildung ist. Die überbetriebliche Ausbildung ist notwendig, in einigen Berufszweigen unumgänglich und eine ganz normale Ausbildungsform des dualen Ausbildungssystems. ({9}) Die Verstetigung der außerbetrieblichen Ausbildung hingegen wurde von der alten Regierung in den letzten zehn Jahren als Notlösung angeboten. Das machen wir nicht. Aber natürlich müssen wir einen Übergangszeitraum haben, um das in geordneter Art und Weise zu ändern. Ich sage Ihnen eines, Kollegen von der PDS: Ich hätte gedacht, bis zur Weihnachtspause wäre es das Vorrecht der Koalition, eine gewisse hektische Betriebsamkeit zu entfalten. Aber Sie haben das heute getoppt. Danke schön. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion und ich finden, daß sich das Thema der Schaffung von Ausbildungsplätzen für junge Menschen nicht dazu eignet, sich über Ideologien zu streiten und zu versuchen, politische Kontroversen an Hand von Ideologien auszutragen. ({0}) Ich finde, die Zukunftschancen junger Menschen sollten uns allen am Herzen liegen. Wir werden unsere Konzepte für die Schaffung von Ausbildungsplätzen weiterhin verfolgen. ({1}) Frau Hermenau, die alte Koalition - das wissen Sie genau - hat die außerbetriebliche Ausbildung nicht als einzige Lösung angesehen, um Ausbildungsplätze zu schaffen. Im Gegenteil, wir haben jungen Menschen durch die Sonderprogramme die Chance geboten, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ansonsten hätten sie nämlich keinen Ausbildungsplatz gehabt. ({2}) Darüber hinaus will ich konkret auf den Gesetzentwurf der PDS eingehen. Das ist in der Debatte bislang vernachlässigt worden. Was wollen nun die Kollegen von der PDS? Meine Damen und Herren, sie wollen, daß Unternehmen, Betriebe und Praxen durch Gesetz verpflichtet werden, eine Berufsausbildungsumlage in Höhe eines an den tatsächlichen betrieblichen Nettoausbildungskosten eines Jahres orientierten Hebesatzes zu zahlen. Das bedeutet eine Ausbildungsumlage entsprechend der Bruttowertschöpfung eines Betriebes. Dies erinnert mich sehr stark an die Diskussion über eine Wertschöpfungsabgabe für leistungsstarke Betriebe im Rahmen der Steuerreformdebatte. Meine Damen und Herren von der PDS, ich sage Ihnen: Sie haben ein gestörtes Verhältnis zu leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Betrieben in diesem Land. ({3}) Ich frage mich, warum gerade Sie immer wieder diese Betriebe in Frage stellen, die doch die meisten Arbeitsund Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. Ich frage mich, ob Sie überhaupt wissen, wie ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz entsteht. ({4}) Dazu gehören nämlich unternehmerischer Mut und Risiko. Mir fällt dabei ein, daß über eine halbe Million mittelständischer Unternehmer mit geringer Eigenkapitaldecke in den neuen Bundesländern seit der Wende ein großes Risiko eingegangen sind und in sozialer Verantwortung Ausbildungsplätze geschaffen haben. Ich denke, das sollte man gerade von Ihrer Seite aus nicht ignorieren. ({5}) Ihr Gesetzentwurf unterstellt Firmen, Freiberuflern und dem Handwerk, daß sie grundsätzlich nicht ausbilden wollen. Aber es gibt viele Gründe, warum diese nicht ausbilden können beziehungsweise nicht dürfen. Das wissen auch Sie. In der Tat ist es so, wie der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion gesagt hat: Die Anzahl neuer Ausbildungsverträge ist immerhin um 8,3 Prozent gestiegen; auch in den neuen Bundesländern liegt die Quote höher als früher. Das heißt nicht - da gebe ich Ihnen recht -, daß wir das Problem fehlender Ausbildungsplätze gelöst haben. Ich plädiere aber dafür, gemeinsam daran zu arbeiten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Antje Hermenau?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich noch auf einen wesentlichen Punkt meiner Ausführungen zu sprechen kommen möchte. Meine Damen und Herren, wir schaffen nicht mehr Ausbildungsplätze, indem wir einem Gesetz zustimmen, das letztendlich dem Motto folgt: Wer ausbildet, muß zahlen. Das bringt keine Ausbildungsplätze, sondern vernichtet Ausbildungsplätze. ({0}) Noch viel schlimmer ist, daß Sie die Unternehmen mit mehr Bürokratie belasten. Kammern und Wirtschaftsverbände haben ausgerechnet, daß für dieses gesetzliche Monstrum Bürokratiekosten in Höhe von 3 bis 6 Milliarden DM entstehen. Das können wir doch nicht wollen. Der Gesetzentwurf der PDS ist ein ungeschickter populistischer Versuch, noch vor dem Treffen des Bündnisses für Arbeit und Ausbildung die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. ({1}) Davon halten wir von der F.D.P. nichts. Wir finden, ein Ausbildungsplatz ist die beste Sozialpolitik für einen jungen Menschen. Hier sind wir alle und insbesondere auch die Bildungspolitiker gefordert. Wir müssen die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung schon in der Schule verbessern. ({2}) Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze für eher praktisch begabte junge Menschen und einfache zweijährige Ausbildungsberufe; für dreijährige Ausbildungsberufe muß verstärkt eine Stufenausbildung angeboten werden, die bereits nach zwei Jahren die Möglichkeit zu einem berufsbefähigenden Abschluß eröffnet. ({3}) Es bedarf also modularer Ausbildungskonzepte, betriebsnaher und flexibler Ausbildungszeiten, moderner Ausbildungsverordnungen und Berufsbilder. Darin liegt letztendlich die Lösung des Problems. Meine Damen und Herren von der PDS, liebe Kollegen, in Frankreich gibt es seit 25 Jahren eine Ausbildungsplatzabgabe. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dort bei 25 Prozent. Das zeigt, wie sehr Ihr Konzept auch bei uns fehlschlagen würde. ({4}) Ich sage Ihnen: Die beste Ausbildungsplatzpolitik ist eine ordentliche Mittelstandspolitik und eine Politik, die zur Senkung von Steuern und Abgaben führt. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, ich möchte Ihnen - auch im Namen des ganzen Hauses - zu Ihrer ersten Rede gratulieren. Ihre Fraktion hat Ihnen ja schon Blumen geschenkt. ({0}) Zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Kollegin Antje Hermenau das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da die Frau Kollegin Pieper erst seit kurzem an den Debatten über die Ausbildungsplätze im Deutschen Bundestag teilnimmt, erlaube ich mir, noch einmal auf einen Sachverhalt, den sie dargestellt hat, einzugehen. Frau Pieper, Sie haben behauptet, daß es gerade den mittelständischen Unternehmen im Osten Deutschlands große Schwierigkeiten bereiten würde - ich will nicht mißverstanden werden, ich verteidige nicht diesen Gesetzentwurf, aber es geht um das Prinzip der Umlage -, wenn eine solche Umlage erhoben würde. Unsere Recherchen und vor allen Dingen auch Gespräche - ich bin selbst Mitglied einer sächsischen Mittelstandsvereinigung - haben zutage gebracht, daß es nach der Einführung einer Umlagefinanzierung zwei große Finanzströme geben wird. Der eine Finanzstrom fließt von Großunternehmen zu mittelständischen Unternehmen, die also finanziell davon profitieren. ({0}) Der zweite Finanzstrom fließt innerhalb der Branchen aus dem Westen in den Osten. Deswegen, Frau Pieper, empfehle ich Ihnen, daß Sie sich auch dieser Gesprächsebene einmal zuwenden, damit wir uns darüber unterhalten können und in dieser Debatte weiter vorankommen können. Ich halte es für wichtig, hier in bezug auf den Mittelstand keine Nebelkerzen zu werfen, so wie Sie es gerade getan haben. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie haben das Recht, zu antworten. Auch Ihnen stehen drei Minuten zur Verfügung. Sie haben also Zeit.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Hermenau, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie in einer Regierungskoalition sind. In der Koalitionsvereinbarung, die Sie selbst unterzeichnet haben, steht nichts von einer Ausbildungsplatzabgabe oder -umlage. Das ist die Auffassung des Bundeskanzlers Ihrer Regierung; das will ich hier noch einmal so deutlich sagen. Sie können mit uns über jede gute Maßnahme, die dazu beiträgt, einen Ausbildungsplatz zu schaffen, diskutieren. ({0}) Die F.D.P.-Fraktion ist vehement der Auffassung - da folgen wir dem Vorbild anderer europäischer Länder -, daß die radikale Senkung von Steuern und Abgaben letztlich mehr Investitionen und mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für dieses Land schaffen wird. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß uns allen damit geholfen ist, daß man leistungsstarke Betriebe durch Mehrabgaben belastet und dadurch letztendlich zusätzliche Lohnkosten und zusätzliche Bürokratiekosten verursacht. Ich habe das bereits ausgeführt. Dazu gibt es von den Wirtschaftsverbänden und den Kammern einschlägige, überzeugende Berechnungen. Damit ist jungen Menschen nicht geholfen. Wir wollen Ausbildungsplätze schaffen und sie nicht durch eine Umlage bzw. Abgabe vernichten. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Willi Brase.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1991 ist in den alten Ländern jeder vierte Ausbildungsplatz gestrichen worden, und zwar nicht nur in industriellen Großbetrieben, sondern auch im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich. Im Handwerk, das traditionell über Bedarf ausbildet, ist die Ausbildungsneigung zurückgegangen. Heute bilden viel zu wenige Betriebe aus. Die Schere zwischen Ausbildungsplatznachfrage und -angebot öffnet sich weiter. Die neue Bundesregierung hat die Bekämpfung dieser Ausbildungskatastrophe zur Chefsache erklärt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sie dabei nach allen Kräften unterstützen. ({0}) Dabei werden wir nicht aus dem Auge verlieren, daß nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem existiert; ich nenne die Krise des dualen Systems als Stichwort. Meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, das qualitative Problem ist mitnichten allein durch eine Ausbildungsplatzumlage zu lösen. Die Bundesregierung setzt völlig zu Recht auf ein differenziertes Maßnahmenbündel. An erster Stelle steht dabei die Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen für Wachstum und Strukturwandel und damit für Beschäftigung. Zum zweiten geht es um die Reform der Ausbildungsordnungen. Ich bin Ministerin Bulmahn dankbar für das große Gewicht, das sie gestern im Ausschuß auf die Stichworte „neue Lernkultur“ und „Schlüsselqualifikationen“ gelegt hat. ({1}) Die lernende Gesellschaft, das lernende Unternehmen, die lernende Verwaltung, lebenslanges Lernen - all das sind Schicksalsfragen der Zukunft unseres Landes. Dabei ist auch die Reform der Ausbildungsordnungen angesprochen. Ich halte die qualitative Frage für mindestens ebenso wichtig wie die quantitative.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lensing?

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brase, wenn es so ist, wie Sie das alles darstellen, ({0}) und wenn die an sich nicht maßgebliche Meinung des Kollegen Tauss Sie darin noch bestätigt, daß alles so katastrophal ist, dann ist mir noch nicht klar - das wurde es im übrigen auch nicht durch Ihren Beitrag, Frau Hermenau; aber das hatte ich erst gar nicht erwartet -, warum Sie die Ausbildungsplatzabgabe, ({1}) die Ihre Fraktion das letzte Mal hier so vehement gefordert hat, zunächst auf Eis gelegt haben; denn wenn das alles stimmt, was Sie sagen und was Sie in der vorherigen Legislaturperiode vorgetragen haben, dann müßten Sie jetzt mit unglaublicher Begeisterung gerade diese Ausbildungsplatzabgabe fordern. Jetzt haben Sie die Mehrheit - verstärkt noch durch die PDS - , um sie durchzusetzen.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Lensing, ich danke Ihnen für Ihre Frage. Ich möchte darauf verweisen, daß ich im Zuge meiner weiteren Darstellungen auf Ihre Frage eingehen werde, indem ich verdeutliche, warum wir bestimmte Fakten und veränderte Situationen zur Kenntnis nehmen und uns entsprechend anders verhalten werden. ({0}) Die alte Bundesregierung hat sehr viel von Eliten gesprochen. So wichtig diese auch sind, behaupte ich: Die Frage, ob wir die lernende Gesellschaft schaffen können, hängt ganz entscheidend davon ab, ob dieser qualitative Sprung auch im Bereich der beruflichen Bildung erreicht werden kann. ({1}) Nicht minder entscheidend ist das Sofortprogramm für 100 000 Jugendliche. An diesem Programm wird es keine Abstriche und Veränderungen geben. Dafür steht die neue Regierung im Wort. ({2}) So wichtig dabei Selbstverpflichtungen der Betriebe und der Verwaltungen auch sind, ein von der Politik angebotener erster Schritt ist unverzichtbar. Ohne staatliche Maßnahmen und Aktivitäten kann das Steuer nicht herumgeworfen werden. Dieses sind wir aber mit unserer Politik den jungen Menschen schuldig. ({3}) Wir sind aber dagegen, alles auf den Staat abzuschieben. Wir setzen ganz entscheidend auf Lösungen, die im Konsens mit den Partnern des dualen Systems der beruflichen Bildung erreicht werden. ({4}) Hier besteht eine grundsätzliche Differenz zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der PDS. Ich widerspreche der PDS ganz nachdrücklich, daß solche konsensualen Strategien - ich zitiere aus dem Gesetzentwurf -, „sich als völlig ungenügend erwiesen“ haben. In meiner Region Siegen-Wittgenstein-Olpe bin ich seit Jahren an dem Zustandebringen solcher Lösungen aktiv beteiligt. Ich kann - ebenfalls seit Jahren - positiven Vollzug melden. - Dies ist nicht zuletzt durch die tatkräftige Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen möglich gewesen. Das Stichwort „Ausbildungskonsens“ sei in diesem Zusammenhang angemerkt.({5}) So konnte im Arbeitsamtsbezirk meines Wahlkreises jetzt beantworte ich Ihre Frage, verehrter Herr Kollege Lensing - von den Akteuren des dualen Systems die Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverhältnisse im verarbeitenden Gewerbe, ohne das Handwerk, um über 15,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr durch Differenzierung, durch Gemeinsamkeit und durch Konsens erhöht werden. Genau das ist der richtige Weg. ({6}) Es wäre eben verfehlt, den Lösungen im Konsens mit der Wirtschaft staatliche Zwangsmaßnahmen vorauszusetzen. Insbesondere ist es politisch geradezu kontraproduktiv - um nicht zu sagen: unpolitisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS -, das Bündnis für Arbeit und Ausbildung, dem sich die neue Regierung verpflichtet fühlt, mit solchen Vorgaben zu belasten. Allerdings muß dieses Bündnis auch zum erklärten Ziel haben, gemeinsam mit Wirtschaft, öffentlicher Hand und Gewerkschaften zu präzisen Vereinbarungen über Wege und Mittel zur dauerhaften Schließung der Ausbildungsplatzlücke zu kommen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Möchten Sie sie beantworten?

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege, Sie wie auch Ihre Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen haben wiederholt auf das Bündnis für Arbeit verwiesen. Dieses Thema ist ja nicht neu auf der Tagesordnung. Meine Frage lautet: Worin sehen Sie den qualitativen Unterschied des Bündnisses für Arbeit? Warum verweigern Sie den Betroffenenorganisationen, etwa den Jugendbündnissen oder den Arbeitslosenorganisationen, die Teilnahme an diesem Bündnis?

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich sehe den qualitativen Unterschied darin, daß in einem Bündnis für Arbeit entsprechende Maßnahmen und Aktivitäten auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens zwischen den beteiligten Partnern beschlossen werden können. Dieses können wir aus den Beispielen in den Niederlanden und auch in Dänemark lernen und mit auf den Weg nehmen. ({0}) Ich glaube, daß die Jugendlichen, vor allen Dingen durch die Arbeit und Tätigkeit der Gewerkschaften, aber sicherlich auch durch die Arbeit der Unternehmensverbände, entsprechend in diesem Bündnis vertreten sind. Eines muß aber klar sein: Gesetzgeberische Maßnahmen wie die Ausbildungsplatzumlage sind in letzter Instanz dann unverzichtbar, wenn Lösungen im Konsens nicht zustande kommen bzw. wenn sie nicht greifen. ({1}) Entscheidend ist also, daß wir im Bündnis für Arbeit den richtigen Weg vorbereiten. Gelingt dies nicht, sind andere Maßnahmen zu ergreifen. ({2}) Mein Fazit: Ich bin davon überzeugt, daß uns erstens dieses Bündel von Maßnahmen im Bündnis für Arbeit und zweitens in dieser Stufenfolge zum Erfolg verhelfen kann. Es wäre verfehlt, sich bei einer Konzentration auf einen einzelnen Punkt zu verkämpfen. Dies ist der Grund, warum wir den Entwurf der PDS ablehnen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich möchte auch Ihnen, Herr Kollege Brase, im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede sowie dazu gratulieren, daß Sie gleich zwei Zwischenfragen zugelassen haben. Das war doch immerhin mutig. ({0}) Zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege Gregor Gysi das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst noch etwas zum Redebeitrag der Kollegin Pieper sagen. Sie haben erklärt, daß unser Gesetzentwurf letztlich die Wirtschaft bestrafe und die Unternehmen zusätzlich belaste und daß die Unternehmen dies nicht vertrügen. Ich weise darauf hin, daß unser Anliegen ein genau umgekehrtes ist: Wir haben nämlich 400 000 ausbildende Betriebe, die ständig benachteiligt werden. ({0}) Andere hingegen, die nicht ausbilden, stellen dann die ausgebildeten Kräfte ein. Wie erklären Sie eigentlich einem Bäckermeister, der die Kosten und die Mühe aufwendet, fünf Lehrlinge auszubilden - die sind in den alten wie in den neuen Bundesländern sehr aktiv -, daß nachher die Großbäckereien die ausgebildeten Leute einstellen, ohne sich je an den Ausbildungskosten beteiligt zu haben? Das ist das eigentliche Problem. Deshalb ist unser Gesetzentwurf - entgegen Ihren Darstellungen - für die Betriebe gedacht, die ausbilden. Und diejenigen Betriebe, die nicht ausbilden, aber die ausgebildeten Leute in Anspruch nehmen, sollen sich dann wenigstens an den Kosten beteiligen, damit die Betriebe, die zur Ausbildung bereit sind, noch mehr als heute ausbilden können. ({1}) Das entspricht der Idee der Solidarität, und deshalb ist das eine Maßnahme für die Wirtschaft. Lassen Sie mich nun noch eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Brase und auch Frau Hermenau gesagt haben. Sie haben hier von „Schnellschuß“ gesprochen. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie zu einem viel früheren Zeitpunkt, also noch viel schneller, als es heute bei uns der Fall ist - damals allerdings mit SPD und PDS zusammen -, schon solche Gesetzentwürfe im Bundestag eingebracht haben? Sie wissen doch, daß auch beim Bündnis für Arbeit juristisch Verbindliches letztlich nicht herauskommen kann. Ein solches Gesetz aber würde sogar ein Bündnis für Arbeit beschleunigen. Sie weichen nur dem Druck des Kanzlers, der das nicht wollte, und sind nicht bereit, das zuzugeben. Das ist das ganze Problem. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich gebe der Kollegin Pieper die Möglichkeit zu antworten, aber nicht allen drei angesprochenen Kollegen, weil dies zu lange dauern würde.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin; ich mache es ganz kurz. Herr Gysi, ich erinnere Sie daran, daß ich hier von Fakten und Zahlen gesprochen habe, die letztlich eine Berechnungsgrundlage auch für die Umlage sind, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen. Ich bleibe also dabei: Die Betriebe - Unternehmen, Handwerker, Freiberufler, Praxen - werden bei einer Umlage durch zusätzliche Lohnnebenkosten und höhere Bürokratieaufwendungen belastet. Ich erinnere Sie ferner daran, daß die PDS, die auch in Sachsen-Anhalt der SPD eine komfortable Mehrheit verschafft, gerade dabei ist, die Zuschüsse zur beruflichen Bildung, die für die kleinen und mittelständischen Firmen sowie für die Handwerksbetriebe wichtig sind, damit Ausbildungsplätze geschaffen werden können, zu kürzen und zu streichen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, es ist keine Debatte nach der Debatte zugelassen. Deswegen schließe ich jetzt die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- fes auf Drucksache 14/14 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander- weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ({0}) - Drucksache 14/65 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Änderung der Nutzungsentgeltverordnung NutzEV - Drucksache 14/63 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Evelyn Kenzler.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hunderttausende, ja Millionen ostdeutscher Grundstücksnutzer und EigenVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer tümer von Baulichkeiten warten seit der Bundestagswahl vergeblich auf ein Zeichen der neuen Bundesregierung in Richtung Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung und zumindest auf ein Einfrieren der unverhältnismäßig gestiegenen Nutzungsentgelte. Weder Koalitionsvereinbarung noch Regierungserklärung enthielten jedoch hierzu Aussagen. Warum besteht aus Sicht der Betroffenen unverzüglicher gesetzlicher Handlungsbedarf? Die Überführung ostdeutscher Grundstücksverhältnisse in die bundesdeutsche Rechtsordnung hat zu einem komplizierten und schier unüberschaubaren Gesetzeswerk im Umfang des BGB geführt. Ungeachtet dieser Quantität ist es jedoch bisher nicht gelungen, einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Grundstücksnutzern und -eigentümern herbeizuführen. Bei der Anpassung ostdeutscher Eigentumsverhältnisse wurde das Eigentum des Nutzers an Baulichkeiten, Einrichtungen und Anpflanzungen schlechter gestellt als das des Grundstückseigentümers. Diese offensichtlich gesetzgeberisch gewollte Benachteiligung zur Erreichung einheitlicher Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden sowie Aufbauten zeigt sich erstens an einer faktisch fehlenden Entschädigung des Nutzers für Aufbauten bei Kündigung aus finanziellen Gründen, Gesundheits- oder Altersgründen, zweitens an der hälftigen Beteiligung an Abrißkosten bei Kündigung, drittens an einem doppelt so hohen Pachtzins für baulich genutzte Grundstücke, obwohl die Eigentümer in aller Regel an der Wertschöpfung des Grundstücks nicht beteiligt waren, und viertens an den seit 1993 stark gestiegenen Pachtzinsen, die oft höher als bei vergleichbaren Grundstücken in den westlichen Bundesländern liegen. Hunderttausende von Nutzern mußten deshalb bereits trotz großer finanzieller Einbußen ihre Verträge kündigen. Weitere Zehntausende - wenn nicht Hunderttausende - stehen unmittelbar vor der Aufgabe. Sie befinden sich einerseits in der prekären Situation, die hohen Entgelte auf Grund ihrer bescheidenen Einkommensverhältnisse nicht mehr aufbringen zu können. Andererseits würde eine Kündigung keinen Entschädigungsanspruch, statt dessen jedoch drohende Abrißkosten mit sich bringen. Um dieser massenhaften Vertreibung ostdeutscher Grundstücksnutzer zumindest Einhalt zu gebieten, besteht unverzüglicher Regelungsbedarf. ({0}) Der von der PDS vorgelegte Entwurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Antrag auf Änderung der Nutzungsentgeltverordnung greifen die wichtigsten Forderungen der ostdeutschen Nutzerverbände auf diesem Gebiet auf und bewegen sich in die gleiche Richtung wie der SPD-Antrag zu mehr Nutzerschutz vom März 1997. Um eine wirkliche Entlastung zu erreichen, schlagen wir deshalb vor, die Erhöhung der Entgelte auf 1 Prozent der jährlichen Verzinsung des Bodenwertes, jedoch auf maximal 1,60 DM pro Quadratmeter zu begrenzen. ({1}) Anderen Vorschlägen, die auf eine sozialverträgliche Begrenzung der Entgelte gerichtet sind, stehen wir allerdings offen gegenüber. Diese Maßnahmen können nur dann wirksam greifen, wenn sie zugleich von Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes flankiert sind, die darauf abzielen, die vorhandene Eigentumsbenachteiligung des Grundstücksnutzers aufzuheben. Dazu gehört vorrangig eine Gleichstellung hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Kündigung der Nutzer, indem diese für ihr Eigentum entschädigt und zugleich von den hälftigen Abrißkosten befreit werden. Hinzu kommt - vor dem Hintergrund der erhöhten Entgelte - die Möglichkeit der Kündigung einer Teilfläche ab einer bestimmten Größe, soweit diese abtrennbar und selbständig nutzbar ist, sowie die Befreiung vom Pachtzins für nicht nutzbare Flächen ab einer Grundstücksgröße von 500 Quadratmetern. Mit diesen Vorschlägen sind zugleich auch die berechtigten Interessen der Grundstückseigentümer an der Verwertung ihrer Grundstücke angemessen berücksichtigt, ohne die ostdeutschen Nutzer jedoch weiterhin hoffnungslos zu überfordern. Der zugegebenermaßen schwierige Prozeß der Rechtsanpassung in diesem Bereich darf nicht weiter in der Weise gestaltet werden, daß das Auseinanderfallen des Eigentums an Boden und Baulichkeiten einseitig zu Lasten der Nutzer gelöst wird und damit eine ostdeutsche Entpachtung der betroffenen Grundstücke bis zum Auslaufen des Kündigungsschutzes vorprogrammiert ist. ({2}) Wir stimmen mit der Einschätzung des VDGN überein, daß die langfristige Nutzung von Pachtland durch die Eigentümer der Baulichkeiten aus sozialen, kommunikativen und ökologischen Gründen kein Auslauf-, sondern ein gesamtdeutsches Zukunftsmodell ist, und hoffen im Interesse der Beteiligten auf kurzfristige, nicht von parteipolitischen Interessen diktierte Lösungen. Danke schön. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Hacker.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im neunten Jahr der deutschen Einheit ist die Diskussion um die Eigentums- und Vermögensfragen in den neuen Ländern nicht abgeschlossen. Die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen sowie die übergeordneten Landesämter sitzen weiterhin auf einem Berg unerledigter Vorgänge. Zunehmend werden auch die Gerichte mit entsprechenden Vorgängen befaßt. Die vorliegenden parlamentarischen Initiativen der PDS-Fraktion befassen sich mit Problemen des Nutzerschutzes, bei dem auch die SPD-Bundestagsfraktion Regelungsbedarf sieht. Wir verlieren die Sache nicht aus dem Blick. Wir sehen hier allerdings keinen typischen Konflikt zwischen West und Ost, Frau Kenzler, wie es von Ihnen gerne dargestellt wird. Das ist auch ein Konflikt zwischen Ost und Ost. ({0}) Entscheidend sind für uns auch nicht allein Parteitagsbeschlüsse. Uns geht es vielmehr auch in dieser Legislaturperiode darum, hier im Deutschen Bundestag Gesetze zu schaffen, die endgültig zu einer befriedigenden Lösung führen. ({1}) Frau Kenzler, dies ist aber nur eine kleine Spitze. Sie kritisieren die Situation, die wir vorfinden; dem schließe ich mich an. Sie sollten aber die Ursachenforschung nicht vergessen, die Frage, warum es in der Zeit der deutschen Teilung zu diesen schweren Eigentumsverwerfungen gekommen ist. ({2}) Eine befriedigende Lösung der Nutzerschutzproblematik, die die gewachsenen und von den Nutzern nicht beeinflußbaren Lebensrealitäten während der DDR-Zeit berücksichtigt hätte, hat die alte Bundesregierung leider nicht zu Wege gebracht. Vielmehr hat sich im Zuge der Anwendung der Bestimmungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes gezeigt, daß wegen gesetzlicher Defizite und praktischer Fragen der Gesetzesanwendung dringender Novellierungsbedarf besteht. Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode parlamentarische Initiativen und Bundesratsvorlagen beraten, ohne daß es zu einer abschließenden Entscheidung gekommen ist. Dies lag im wesentlichen darin begründet, daß es der damaligen Bundesregierung nicht gelungen war, rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode mit den Ländern eine abschließende Klärung bezüglich der Immobilienrechtsfragen herbeizuführen. Das gehört zu dem Gesamtpaket, das der Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode schnüren muß. Wir müssen uns dem Thema „Nutzerschutz in den neuen Ländern“ zu Beginn dieser Legislaturperiode stellen. Dabei muß uns allen klar sein: Es ist voraussichtlich die letzte Novellierung. Daher muß die Gesetzgebung mit Sorgfalt betrieben werden; es darf keine weitere Reparaturgesetzgebung geben. Es geht jetzt also darum, einen Ausgleich zwischen den offensichtlich unterschiedlichen Interessen von Grundstückseigentümern und -nutzern zu erreichen. Wir wollen im weitesten Sinne Gerechtigkeit für beide Seiten schaffen. ({3}) Dabei sind für uns zwei Kriterien ganz entscheidend: erstens die Anerkennung von Verfügungs- und Nutzungsrealitäten auf redlicher Grundlage, wie sie sich in den Jahren der Teilung herausgebildet haben und mit denen eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern Lebensleistungen verbindet, und zweitens der Schutz von Eigentumsrechten, den auch und gerade der Deutsche Bundestag gewährleisten muß. Wir dürfen Eigentümer nicht auf das Bundesverfassungsgericht verweisen, wenn sie zu ihrem Recht kommen wollen. ({4}) Wir würden allen Beteiligten Steine statt Brot geben, wenn wir in diesem Hause Regelungen erlassen würden, die nicht verfassungskonform sind. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dies ist das Spannungsfeld, in dem sich der Gesetzentwurf und der Antrag der PDS bewegen. An dieser Stelle kann ich nur auf einige Aspekte eingehen, die sich aus den vorliegenden Entwürfen ergeben. Erstens. Auch die SPD-Bundestagsfraktion sieht Handlungsbedarf für eine Entschädigungsregelung, wenn der Nutzer wegen der vorgenommenen Nutzungsentgelterhöhungen das Vertragsverhältnis aufgeben muß. Zweitens. Ebenso ist eine Regelung zur Entlastung des Nutzers von den hälftigen Abbruchkosten bei Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen Nutzungsentgelterhöhung zu prüfen. Drittens. Es muß auch eine Regelung erfolgen, daß Grundstückswertverbesserungen, die der Nutzer vorgenommen hat, bei der Nutzungsentgeltermittlung nicht gegen ihn geltend gemacht werden können. ({6}) Viertens. Den Vorschlag der PDS-Fraktion - das gehört zu dem Gesamtbild -, den Kündigungsschutz für Garagengrundstücke der Fristenregelung für Erholungsgrundstücke anzupassen, halte ich nicht für sachgerecht. Denn hier bestehen erhebliche Unterschiede in der Wertung des Rechtsschutzbedürfnisses. Das müssen wir - darum bitte ich auch Sie - in der Gesetzgebung beachten. Wir haben diese Problematik in der Vergangenheit diskutiert und immer die Auffassung vertreten: Die Wohnung hat einen höheren Stellenwert als ein Erholungsgrundstück, und das Garagengrundstück hat einen geringeren Stellenwert als ein Erholungsgrundstück. Ich bitte Sie alle, in dieser Frage offen zu sein. Ansonsten geben wir den Leuten wieder Steine statt Brot. ({7}) Die Nutzungsentgeltverordnung hat in den zurückliegenden Jahren teilweise zu erheblichem Streit geführt. Auffällig ist, daß sich die Streitfälle nicht über das gesamte Gebiet der neuen Länder verteilen, sondern insbesondere im Bereich mit hohen Grundstücksverkehrswerten auftreten. Nach meiner Einschätzung werden die geltenden Regelungen, die eine Beschränkung der Erhöhung der Nutzungsentgelte auf das ortsübliche Maß vorsehen, von den Kommunalverwaltungen nicht immer ausreichend berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Anwendung der Nutzungsentgeltverordnung sowie unter Beachtung der Prämisse, daß die Nutzungsentgeltverordnung nicht als finanzieller Hebel zur Beendigung der Nutzungsverhältnisse erlassen wurde, ist die Bundesregierung aufgerufen, die Wirkungen der bislang geltenden Regelung einer Prüfung zu unterziehen. Die Richtung dieser Überprüfung ist durch unseren Antrag vom 1. April 1998 - Bundestagsdrucksache 13/10329 - vorgegeben. Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Nach der heutigen Verweisung der vorliegenden Unterlagen in die Ausschüsse besteht für das Parlament die Möglichkeit und die Pflicht, eine abschließende Regelung des Nutzerschutzes zu treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich dieser Diskussion stellen. Wir bitten die Bundesregierung, mit dem ihr zur Verfügung stehenden Potential Hilfe für eine befriedigende Lösung dieses Problems zu geben, damit wir am Beginn dieser Legislaturperiode den betroffenen Grundstücksnutzern und -eigentümern eine Perspektive, die Rechtsbestand hat, geben können. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Andrea Voßhoff.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit den vorliegenden Anträgen zeigt die PDS einmal mehr, daß sie immer wieder versucht, die im Spannungsfeld der Schuldrechtsanpassung bestehende Interessenlage zwischen Nutzern und Eigentümern einseitig und unausgewogen zu gestalten. ({0}) Bevor ich auf die Einzelheiten der beiden Vorlagen eingehe, möchte ich nochmals auf die geltende Rechtslage hinweisen: Sie ist bereits in hohem Maße geprägt vom Ausgleich zwischen den Interessen des Eigentümers auf der einen Seite und dem Vertrauen des Nutzers auf der anderen Seite. ({1}) Gerade die Nutzer hatten zu DDR-Zeiten unter schwierigsten Materialbeschaffungsverhältnissen oftmals erhebliche Investitionen in ihre Eigenbauten auf den Erholungsgrundstücken getätigt. Solche arbeits- und kostenintensiven Investitionen hätten die Nutzer erst gar nicht in Angriff genommen, wenn sie davon ausgegangen wären, daß sie ihre Grundstücke wieder aufgeben müssen. Aus diesem Grunde haben wir in der Zeit unserer Regierungsverantwortung im Schuldrechtsanpassungsgesetz ausdrücklich umfangreiche Schutzmechanismen zugunsten der Nutzer, und zwar nicht nur in der Frage der Entschädigung bei einer Kündigung durch den Grundstückseigentümer, sondern auch im Kündigungsrecht, festgelegt - ich betone: zu Recht! ({2}) So ist gegenüber den Nutzern, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 60 Jahre alt waren, eine Kündigung zu Lebzeiten - Sie wissen das - überhaupt nicht möglich. Auch eine Kündigung vor der Jahrtausendwende ist generell nicht möglich. Vor dem 1. Januar 2000 kann der Eigentümer ausnahmsweise in vorgegebenen Härtefällen kündigen. Vom 1. Januar 2005 an gelten die Eigenbedarfsgründe, wie sie im Mietrecht zu finden sind. Erst vom 4. Oktober 2015 an, also 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, gelten die allgemeinen Bestimmungen für die Kündigung. Allein diese Punkte belegen, wie sehr bereits die bestehende Regelung von dem Gedanken des Nutzerschutzes bei entsprechender Einschränkung der Eigentumsrechte getragen ist. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, heute noch nicht, beim nächsten Mal. Ich will damit nicht sagen, daß es nicht noch viele streitbefangene Einzelfälle gäbe; das ist gar keine Frage. Wir alle wissen, daß bereits in der vergangenen Legislaturperiode einige Problemfälle im Zusammenhang mit dem Immobilienrechtsbereinigungsgesetz diskutiert wurden, jedoch noch nicht abschließend geklärt werden konnten. Wir wissen aber auch, daß die Diskussion zu diesem Thema nur dann politisch vernünftig geführt werden kann, wenn wir dem Grundsatz der Ausgewogenheit der bestehenden Interessen folgen und nicht, wie es die PDS als Nachfolgerin der SED immer gerne hätte, das Eigentum zum Spielball sozialistischen Gedankenguts machen. Davon sind diese Anträge inhaltlich teilweise geprägt. Die PDS will die Entschädigungsregelung des § 12 dahin gehend verändern, daß der Eigentümer auch dann eine Zeitwertentschädigung für das auf seinem Grundstück belassene Bauwerk zahlen muß, wenn er selbst oder der Nutzer vorzeitig kündigt. Natürlich kann man in Einzelfällen hinterfragen, ob es der Gesetzeslage entsprechend ist, wenn ein Nutzer aus Alters- oder sozialen Gründen die Nutzung vorzeitig aufgeben muß und er in diesen Fällen nicht eine gleich hohe Entschädigung erhält, wie er sie im Fall der Kündigung durch den Grundstückseigentümer erhalten würde, besonders wenn der Eigentümer vielleicht eine Kommune ist. Was ist aber in diesen Fällen mit dem privaten Grundstückseigentümer? Ist es ausgewogen, ihm das erhöhte Entschädigungsrisiko auch in den Fällen aufzubürden, in denen die Ursache für die vorzeitige Kündigung allein im Risikobereich des Nutzers liegt, auch dann, wenn der Eigentümer auf Grund anderer Planungen mit der Baulichkeit überhaupt nichts anfangen kann oder die dann zu zahlende Zeitwertentschädigung nicht aufbringen kann? Weiter soll nach Ansicht der PDS der Nutzer bei Vertragsbeendigung nicht zur Beseitigung seines rechtHans-Joachim Hacker mäßig errichteten Bauwerks verpflichtet sein. Dies bedeutet nichts anderes, als daß der Eigentümer die gesamten Abrißkosten alleine tragen muß, da nach Ansicht der PDS die Beteiligung des Nutzers an den Abbruchkosten aus sozialen Kosten nicht angemessen ist. Dies soll zudem unabhängig davon sein, aus welchen Gründen das Vertragsverhältnis endet. Hierzu sieht die geltende Gesetzeslage im Interesse der Ausgewogenheit unter bestimmten Voraussetzungen - Sie wissen es - für beide Vertragsparteien eine hälftige Beteiligung an den Abbruchkosten vor. Ich halte dies für ausgewogen und sachgerecht. Ferner schlägt die PDS zur Reduzierung des Nutzungsentgelts vor, daß der Nutzer berechtigt sein soll, eine Kündigung des Vertrages für eine 500 Quadratmeter übersteigende Teilfläche des Grundstücks auszusprechen, sofern diese Teilfläche für den Eigentümer durch Verkauf, Verpachtung etc. verwertbar ist. Ist dies nicht so, so soll für eine 500 Quadratmeter übersteigende Teilfläche kein Nutzungsentgelt erhoben werden dürfen. ({0}) Die hier geforderte Möglichkeit der Teilkündigung ist nicht uninteressant; darüber kann man mit Fug und Recht diskutieren. Wer aber hätte dann zum Beispiel die Vermessungskosten zu tragen? Darüber schweigt sich die PDS aus. Die Forderung, daß für Moorland, wie Sie es beispielhaft nennen, kein Nutzungsentgelt verlangt werden kann, höhlt die Rechte des Eigentümers jedoch in unangemessener Art und Weise aus. Auch der Wohnungsmieter kann ja nicht die Miete mindern, weil er Räume faktisch nicht nutzt. Weiterhin möchte die PDS beim Kündigungsschutz die Garagengrundstücke den Erholungsgrundstücken gleichgesetzt wissen. Die Begründung dafür mutet schon etwas befremdlich an. Es schießt wohl über das Ziel hinaus, wenn das Auto zum schützenswerten dritten Lebensmittelpunkt erklärt werden soll. Wenn ich einmal polemisch werden darf: Solche Vorstöße hätte ich eigentlich höchstens von der Autofahrerpartei Deutschlands erwartet. ({1}) Bei ihrem zweiten Änderungsantrag zur Nutzungsentgeltverordnung geht es der PDS um die weitere Deckelung der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke. Der Versuch, völlig unsachgemäße Vorschläge zur Begrenzung der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke zu machen, ist nicht der erste. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die PDS gefordert, die Erhöhung der Nutzungsentgelte ab dem 1. Januar 1997 nur noch in dem Maße zuzulassen, in dem die Ostrenten angepaßt werden. Die Vorschläge der PDS sind auch in diesem Punkte immer sehr griffig und haben den Charme der sicheren Akzeptanz bei allen Nutzern. Aber ich frage Sie auch hier: Ist dies ausgewogen und interessengerecht im Spannungsfeld zwischen Eigentümer und Nutzer? Sie wissen auch, daß es bereits im vergangenen Jahr eine Änderung der Entgeltverordnung gegeben hat, die mittlerweile auch im positiven Sinne gegriffen hat, und daß - zumindest nach meiner Information - darüber hinaus der 13. Deutsche Bundestag die Entschließung verabschiedet hat, bis zum 3. Juni 1999 einen Bericht über die Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung sowie zu den notwendigen Änderungen vorzulegen. Dieser Bericht, der auf die Problemfälle, die heute angesprochen wurden, hinweisen bzw. die Thematik aufzeigen wird, sollte abgewartet werden, auch im Interesse der Nutzer, um die Wirkungen der bisherigen Verordnung genauer einschätzen zu können. Nur eine solche Vorgehensweise ist - ich betone es noch einmal - auch im Interesse der Nutzer vernünftig und sachgerecht. Abschließend kann ich nur das Resümee ziehen, daß diese Anträge erneut ein Beleg dafür sind, daß die PDS Schein- und Schaufensteranträge einer ausgewogenen Lösung der Probleme im Interesse von Nutzern und Eigentümern vorzieht. Anträge wie diese helfen deshalb weder den Betroffenen, noch bringen sie die Diskussion weiter. - Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Voßhoff, ich möchte Ihnen zu Ihrer ersten Rede gratulieren und auch dazu, daß Sie sich so bemerkenswert kurz gefaßt und Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft haben. ({0}) Als nächstes hat der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren dort oben! Wir haben uns mit zwei Anträgen der PDS zu befassen, die so charmante Bezeichnungen wie „Nutzungsentgeltverordnung“ und „Schuldrechtsanpassungsgesetz“ haben. ({0}) - Nein, das werfe ich Ihnen auch gar nicht vor. - Diese regen zugegebenermaßen die Phantasie nicht an. Man fragt sich: Warum befaßt sich der Deutsche Bundestag mit solchen Themen? Wer wie ich als Rechtsanwalt erlebt hat, wie eine Familie von ihrem Pachtgrundstück mit ihrem Ferienhaus, in dem sie Jahrzehnte gelebt und viel erlebt hat, heraus muß und dann auch noch die Hälfte der Abrißkosten zahlen muß, der sieht das anders. Und wer weiß, daß das kein Einzelschicksal war, wie es immer mal wieder vorkommt, sondern daß es Hunderttausende in den neuen Bundesländern betroffen hat und in Zukunft weiter betreffen wird, der versteht ein bißchen, warum diese Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern der Auffassung sind, daß sie in dieser Republik nicht angekommen sind und daß es nicht ihre Rechtsordnung ist, die sie veranlaßt, vom Grundstück herunterzugehen. Frau Kollegin, es ist ja richtig, daß es Kündigungsschutzvorschriften gibt. Nur gelten die Kündigungsschutzvorschriften dann nicht, wenn der Pachtzins nicht mehr bezahlt werden kann. Sie nützen dann überhaupt nichts, wenn der Pachtzins so erhöht werden kann, daß die einzelne Bürgerin oder der einzelne Bürger, die Familie ihn nicht mehr aufbringen kann. Deshalb haben sich die Bündnisgrünen immer bemüht, in diesem Bereich Schutzregelungen einzubauen. Wir sind der Auffassung, daß sich das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“, das im Einigungsvertrag eine erhebliche Rolle gespielt hat, auch in diesem Bereich sehr negativ ausgewirkt hat. ({1}) Wir wollen deshalb auch in dieser Legislaturperiode reparieren und korrigieren, soweit es irgend geht und rechtlich möglich ist. In unser Wahlprogramm für diesen Bundestag hatten wir hineingeschrieben: Der Pachtzins für Erholungsgrundstücke muß für die Bevölkerung bezahlbar bleiben. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Zu diesem Versprechen stehen wir. Deshalb nehmen wir die beiden Initiativen der PDS auch ernst. Wir werden sie ernsthaft diskutieren, und wir werden sicherlich zu Regelungen kommen können und kommen müssen, und zwar recht bald. ({2}) Aber es ist nicht ganz so einfach, wie die PDS es vorschlägt. Auch andere - das ist nicht Ihre Schuld - haben in der Zwischenzeit Rechtspositionen gefunden und erworben. Über diese kann man schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht einfach hinweggehen. So ist es richtig, daß, wenn zu DDR-Zeiten der Grundstückseigentümer ein solches Grundstück wegen Eigenbedarfs gekündigt hat, er auf Verlangen des Nutzers verpflichtet war, dessen Baulichkeiten abzukaufen. Im Vertrauen auf diese Entschädigungsregelung haben die Nutzer zum Teil erhebliche bauliche Investitionen getätigt. Aber ist es immer gerecht und billig, den Eigentümer auch heute entschädigungspflichtig zu machen, auch dann, wenn der Nutzer bzw. der Pächter von sich aus kündigt, und auch dann, wenn der Nutzer kündigt, obwohl er die Pacht bezahlen kann? Wir wissen, es gibt ja auch in den neuen Bundesländern Leute, die Geld verdienen, und zwar so viel, daß sie vernünftige Pachtraten bezahlen können. Ist es auch dann vernünftig, zu sagen: der Nutzer muß kündigen können, und der Nutzer darf auch dadurch Geld verdienen, daß er hohe Entschädigungen bekommt? Es gibt heute Nutzer in den neuen Bundesländern, die ohne weiteres einen hohen Pachtzins bezahlen können, und es gibt Neueigentümer, die Probleme haben, Entschädigungszahlungen von 10 000 DM oder 20 000 DM zu leisten. All das ist zu berücksichtigen. Wir wollen einen gerechten Interessenausgleich, der heute sicher schwieriger ist als vor fünf oder acht Jahren. Das Kriterium, das wir einführen wollen, umfaßt sowohl die Zumutbarkeit der Pachterhöhung als auch die Zumutbarkeit der Entschädigung für den, der sie zahlen muß. Es darf nicht bei der generellen Regelung bleiben, daß der Nutzer die Hälfte der Abbruchkosten zahlen muß, wenn er selbst kündigt. Das sind zum Teil Beträge von über 10 000 DM. Es darf nicht sein, daß der Schutz der Nutzer ins Leere läuft, daß sie finanzielle Schwierigkeiten bekommen und dann auch noch die Abbruchkosten zahlen müssen, jedenfalls zur Hälfte. Die Kosten für das Ferienhaus müssen bezahlbar bleiben. Der Vorschlag zur Einführung einer Teilkündigung für Grundstücke zur Senkung der Pacht ist im Grundsatz vernünftig. Aber ist er immer richtig? Ist es verfassungsrechtlich haltbar, daß der Nutzer den Teilungsanspruch, den er dann geltend macht, durchsetzen kann und für das Restgrundstück überhaupt keine Nutzungsentschädigung zahlen soll, auch wenn er sie zahlen kann, auch wenn er gut verdient? Herr Kollege Gysi, Sie haben darauf hingewiesen. Solche Fragen müssen noch geklärt werden; sonst wird es ungerecht, und die Nutzer, die wir schützen wollen, erhalten nur neue, unsichere Rechtslagen. ({3}) Wir wollen unser Wahlversprechen einlösen. Für viele Menschen in der DDR war die Datscha ein ganz wesentlicher Teil der eigenen, freien Lebensgestaltung. Das soll in der Bundesrepublik auch so bleiben. Eine Regelung ist dem Gebot der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Wir wollen, daß auch die Bürgerinnen und Bürger in den Ostbundesländern in dieser Republik ankommen können, daß sie sich hier akzeptiert fühlen und daß ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Deshalb wollen wir die Beratungen zügig gestalten und möglichst bald eine gerechte Lösung - übrigens nicht nur in diesem Bereich finden und hier im Bundestag verabschieden. Danke. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf und der Antrag der PDS-Fraktion gehen in dieselbe Richtung: Bei Nutzungsverträgen zwischen Eigentümern und Nutzungsberechtigten sind ausschließlich die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen. Diese einseitige Betrachtungsweise ist der Rechtsordnung der Bundesrepublik völlig fremd. ({0}) Wir haben bisher stets versucht, einen vernünftigen wirtschaftlichen und rechtlichen Interessenausgleich zwischen Eigentümern und Nutzungsberechtigten vorzunehmen. ({1}) Dies ist mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz und der Nutzungsentgeltverordnung geschehen. Sicherlich sind damit nicht alle zufrieden, aber es sind auch schwierige Verhältnisse. Trotzdem haben wir damals, glaube ich, vernünftige Regelungen gefunden. Ich will dabei nicht verschweigen, daß man mit der langjährigen Bindung der Alteigentümer an die Nutzungsverträge schon an die äußerste Grenze des für die Eigentümer Zumutbaren gegangen ist. Die Nutzungsentgeltverordnung sieht, wie ich meine, eine moderate Erhöhung vor. Betrachtet man die inzwischen auch in den neuen Bundesländern gestiegenen Einkommen, kann man sagen, daß die vorgesehene Nutzungsentgeltanpassung durchaus angemessen ist. Ich muß dem Kollegen Ströbele allerdings zugestehen, daß es in Einzelfällen sicherlich zu Härten kommen kann. Die Erschwernisse bei der Kündigung solcher Nutzungsverhältnisse führen oftmals sogar dazu, daß Eigentümer, die häufig selber dringend auf die Nutzung ihres eigenen Grundstücks angewiesen sind, zum Beispiel im hohen Alter, praktisch enteignet werden bzw. bleiben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Funke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß man, wenn es nicht zehn, hundert oder tausend, sondern Hunderttausende von Fällen sind, in denen Menschen, die auf den Grundstücken leben, die Pacht nicht mehr bezahlen können, nicht mehr von Einzelfällen reden kann, sondern daß dann eine gesetzliche Regelung zwingend notwendig ist?

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es 100 000 Fälle und mehr wären, dann würde das sicherlich nach einer gesetzlichen Regelung schreien. Aber auch dann muß natürlich ein Interessenausgleich vorgenommen werden. Ich habe Ihnen Beispiele dafür genannt, daß die Alteigentümer auf die Grundstücke angewiesen sind. Das ist im übrigen nicht nur ein Problem West-Ost - darauf hat Kollege Hacker zu Recht hingewiesen -, sondern das ist durchaus auch ein Problem von Eigentümern aus dem Osten gegenüber den Nutzungsberechtigten. Das sollte man nicht verkennen. Das zeigt, daß man zur Lösung der Probleme des Schuldrechtsanpassungsgesetzes nicht auf einem Auge blind sein darf und nicht einseitig die Interessen der Nutzer vertreten darf, wie das die PDS tut, aber wie auch Sie, Herr Ströbele, es im ersten Teil Ihrer Rede getan haben. Wir sollten uns also bemühen, einen echten und möglichst gerechten Interessenausgleich vorzunehmen. Hierzu sind wir als Liberale in der Beratung im Rechtsausschuß selbstverständlich gerne bereit. Der Rechtsfrieden in den neuen Bundesländern muß natürlich gewahrt werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Novellierung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Beschlußantrag zur Nutzungsentgeltverordnung betreffen, wie wir eben schon gehört haben, einen Regelungsbereich, der sich inzwischen zu einem Dauerbrenner der Gesetzgebung und auch der Judikative entwickelt hat und der dadurch wahrlich nicht an Übersichtlichkeit gewonnen hat. Es geht um die umfangreiche Materie des Rechts zur Überleitung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse in bezug auf Grundstücke und Gebäude in den neuen Bundesländern. Jede Änderung dieser schwierigen Materie des Überleitungsrechts muß sich mit einem Grundsatz auseinandersetzen: Überleitungsregelungen müssen Bestand haben, solange und soweit sie erforderlich sind. Das heißt aber auch, daß wir Änderungen und Ergänzungen dieses ohnehin äußerst komplizierten Normbestandes mit großer Sorgfalt auf ihr Erfordernis hin prüfen müssen. Herr Hacker hat mit Recht gesagt: Es ist unsere Aufgabe, eine befriedigende Regelung zu erreichen. Ich sage: Auch eine befriedende Regelung in diesem Bereich ist von großer Bedeutung. Wie Sie wissen, hat sich auch die SPD in der Vergangenheit für Teiländerungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes und der Nutzungsentgeltverordnung eingesetzt. Die Arbeiten an etwaigen gesetzgeberischen Korrekturen und Ergänzungen müssen vom Streben nach tragfähigen und abschließenden Regelungen geprägt sein. Ich bin deswegen der Auffassung, daß auch die heute hier vorliegenden Änderungsvorschläge zunächst noch gründlich auf ihre Wirkungen hin überprüft werden müssen. Gerade das Recht zur Überleitung der vertraglichen Nutzungsrechte an Grundstücken in das System des bürgerlichen Rechts birgt eine Menge Zündstoff, so daß wir es keinesfalls riskieren sollten, den ansatzweise gefundenen Interessenausgleich zwischen den Grundstückseigentümern und den Nutzern einseitig aufzuheben. Das wird eine sehr schwierige Abwägungsentscheidung sein; aber die Bundesregierung wird sich dieser Aufgabe stellen. Bei der Betrachtung dieses Gesetzentwurfs muß man allerdings eindeutig auf die Gefahr hinweisen, die eine einseitige Sicht bringen würde. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen, die schon von den Vorrednerinnen und Vorrednern genannt worden sind: Die PDS fordert, den bestehenden Kündigungsschutz für die Nutzung von Grundstücken als Garagenstandort zu erweitern. Damit erhielte die Garagennutzung - das ist schon gesagt worden - einen sozialen Stellenwert, der dieser Nutzungsart nicht angemessen ist. Schon heute ist es schwierig zu vermitteln, daß Garagen, zum Teil im Innenstadtbereich liegend, bis zum Jahr 2003 dringend erforderliche Investitionen in den neuen Ländern verhindern können. Wir müssen uns vor Augen halten, daß der Schutz der Garagennutzung in Teilbereichen gegenwärtig schon stärker ist als der Kündigungsschutz im Bereich des Wohnungsmietrechts. Auf diese Ungleichgewichtigkeit muß man hinweisen. Gefordert wird auch, etwaigen finanziellen Belastungen der Nutzer von Freizeitgrundstücken mit der Möglichkeit einer Teilflächenkündigung zu begegnen. Es ist problematisch, vom grünen Tisch aus das für das deutsche Recht völlig untypische einseitige Teilkündigungsrecht bei gleichzeitigem Fehlen eines Ausgleichs für den Eigentümer einzuführen. Deswegen lassen Sie uns bitte prüfen, ob der typische Zuschnitt der Grundstücke und die Eigenheiten der Bebauung möglicherweise eine vernünftige Teilung zulassen, ohne zwischen den Beteiligten zusätzlichen Konfliktstoff entstehen zu lassen. Was die Nutzungsentgeltverordnung betrifft, muß man wissen, daß die Forderung nach einer Deckelung der Höhe des Nutzungsentgelts für Erholungsgrundstükke nur mit einer besonderen Begründung durchsetzbar wäre. Grundsätzlich kann in unserem Wirtschaftssystem nur ausnahmsweise regulierend in die private Entgeltgestaltung eingegriffen werden. Allerdings sage ich hier für die Bundesregierung auch: Wir werden sorgfältig prüfen, ob es möglich ist, einen Interessenausgleich, der soziale, ökologische und auch andere Belange beinhaltet, einzuführen. Herr Hacker hat mit Recht auf die unterschiedliche Praxis in den neuen Ländern hingewiesen. Auch hier wird zu überlegen sein, wie man diese unterschiedliche Praxis einander annähert. Offensichtlich gibt es in einzelnen Bereichen durchaus eine gute Regelung und eine gute Lösung, in anderen Bereichen aber offensichtlich eine ausgesprochen problematische. Das Bundesministerium der Justiz - auch das ist, so glaube ich, von Frau Voßhoff genannt worden - hat noch einen Auftrag zu erfüllen, nämlich den Auftrag des letzten Bundestages, einen Bericht über die Wirkungen der Nutzungsentgeltverordnung vorzulegen. Wir werden diesen Bericht gründlich vorbereiten und die in diesem Zusammenhang festgestellten Erfahrungen auch für etwaige Reformen im Bereich des Schuldrechtsanpassungsgesetzes verwenden. In diesem Rahmen werden wir auch die heute in den PDS-Anträgen angesprochene Problematik einbeziehen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/65 und 14/63 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9b sowie die Zusatzpunkte 2a bis 2c auf: a) Überweisungen im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes ({0}) - Drucksache 14/18 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Zuständigkeiten nach dem Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz - Drucksache 14/33 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. September 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank - Drucksache 14/70 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartmut Büttner ({4}), Günter Nooke und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes ({5}) - Drucksache 14/91 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder c) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({7}) - Drucksache 14/92 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({8}) Rechtsausschuß Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie einverstanden? - Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2d auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Lengsfeld, Norbert Otto ({9}), Hartmut Büttner ({10}) und der Fraktion der CDU/CSU Überlassung der Akten der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR durch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika - Drucksache 14/89 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder Innenausschuß ({11}) Auswärtiger Ausschuß Interfraktionell wird die Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Fe- derführung beim Innenausschuß. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht die Federführung beim Ausschuß für Angelegenheiten der neuen Länder. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der CDU/CSU abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenprobe! - Ent- haltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden. Die PDS hat sich enthalten. Wer stimmt nun für den Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen, die Federführung solle beim In- nenausschuß liegen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden; die PDS hat sich enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 1 zu Petitionen - Drucksache 14/58 - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 2 zu Petitionen - Drucksache 14/59 - c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 3 zu Petitionen - Drucksache 14/60 - d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 4 zu Petitionen - Drucksache 14/61 - e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 5 zu Petitionen - Drucksache 14/62 - Zunächst Sammelübersicht 1 auf Drucksache 14/58: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Sammelübersicht 1 ist mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die sich enthalten hat, angenommen. Sammelübersicht 2 auf Drucksache 14/59: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 2 ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Sammelübersicht 3 auf Drucksache 14/60: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 3 ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Sammelübersicht 4 auf Drucksache 14/61: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 4 ist mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS, die dagegen gestimmt hat, an- genommen. Sammelübersicht 5 auf Drucksache 14/62: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltun- gen? - Sammelübersicht 5 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim- men von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 auf: Wahlen zu Gremien a) Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksachen 14/96, 14/97, 14/98, 14/99, 14/100 Kann ich davon ausgehen, daß wir über die fünf Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS auf den Drucksachen 14/96 bis 14/100 gemeinsam abstimmen können? - Bitte, Herr Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Ich möchte daran erinnern, daß der Präsident heute morgen bei der Eröffnung der Sitzung an dieser Stelle einen Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der PDS bereits angekündigt hatte. Den würde ich gerne namens unserer Fraktion jetzt begründen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich bin darauf hingewiesen worden, daß dieser Geschäftsordnungsantrag später kommt, direkt vor der Wahl der Mitglieder des Vermittlungsausschusses. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Damit können wir uns einverstanden erklären, Frau Präsidentin.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gut. Es gibt ja verschiedene Gremien und verschiedene Wahlvorgänge. Dann stimmen wir jetzt über die fünf Wahlvorschläge gemeinsam ab. ({0}) - Noch ein Einwand. Ja, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, kann ich davon ausgehen, daß wir über die Einzelvorschläge auch einzeln abstimmen? ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es geht jetzt um die Wahl der Schriftführer. Über die wollten wir gemeinsam abstimmen. Dann kommen die anderen Gremien. Darüber wird jeweils einzeln abgestimmt. ({0}) Wer stimmt den Vorschlägen für die Wahl der Schriftführerinnen und Schriftführer zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Ich gratuliere den gewählten Kolleginnen und Kollegen im Namen des ganzen Hauses und wünsche eine gute Zusammenarbeit. ({1}) Nun rufe ich den Zusatzpunkt 3b auf: Bestimmung der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes - Drucksachen 14/106, 14/107, 14/108, 14/109, 14/110 Zur Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes und deren Stellvertreter liegen getrennte Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS vor. Wir stimmen hierüber getrennt ab. Wir stimmen zunächst über den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD auf Drucksache 14/106 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/107 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/108. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/109. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/110. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und F.D.P. gegen etliche Stimmen aus der CDU/CSU sowie bei etlichen Enthaltungen von CDU/CSU angenommen worden. ({2}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abgeordneten können frei wählen. - Damit sind die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes bestimmt. Wir kommen zu Zusatzpunkt 3c: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({3}) - Drucksache 14/117 Die Fraktion der PDS hat gemäß § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung fristgemäß beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zur Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses - Drucksache 14/119 - zu erweitern. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Bitte schön.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich haben wir uns zunächst um eine interfraktionelle Übereinkunft zu diesem Geschäftsordnungsantrag bemüht, um ihn damit eigentlich überflüssig zu machen. Unser Begehren ist eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuß. Da - wie Sie inzwischen sehen - ein solches Einvernehmen nicht zustande kam, wollen wir Sie mit diesem Antrag vertraut machen. Worum geht es? Der Bundestag soll zulassen, daß über die Frage entschieden wird, ob alle Bundestagsfraktionen einen Sitz im Vermittlungsausschuß haben sollen, und zwar bevor dessen Mitglieder gewählt sind. Ich denke, das macht Sinn. Mein Antrag lautet also nicht: Die PDS muß in den Vermittlungsausschuß hinein, obwohl ich schon finde, daß dafür vieles spricht. Wir ersuchen Sie lediglich um Klarstellung. Daß wir eine ganze Reihe guter Gründe, die Beteiligung aller Fraktionen im Vermittlungsausschuß zu befürworten, haben, geht aus dem vorliegenden Antrag hervor. Auch in der Debatte, die in diesem Hause im Februar 1995 zu dem gleichen Problem, über zähe Verfahren und den Zuschnitt des Vermittlungsausschusses, geführt worden ist, haben sich beispielsweise die Kollegen Struck und Schulz sehr ausdrücklich für das Ansinnen ausgesprochen, das ich jetzt hier vertrete. Wir wollen es eben nur wissen. Wir finden, daß trotz bemerkenswerten Akzeptanzgewinns für unsere Fraktion in diesem Hause keine Pflicht besteht, PDS-Anträgen zuzustimmen. Ich gebe zu, daß ich selbst davor auch einige Furcht hätte. In der Sache können Sie immer noch ja oder nein sagen. Ein bißchen Oppositionsgemeinsinn - um uns in der Frage zu unterstützen - hätte ich von der CDU/CSU schon erwartet. Das ist auch ausgeblieben, obwohl Zweckallianzen auch dann denkbar sind, wenn man sich nicht so sehr mag. Nun sind mir auch Undankbarkeitsvorwürfe aus den Koalitionsfraktionen zu Ohren gekommen. Ich will schon sagen, daß die Akzeptanz, die wir erfahren, im Vergleich zur 13. Wahlperiode äußerst bemerkenswert ist und daß wir auch gewissermaßen dankbar sind. Aber nun stellen Sie sich einmal im Ernst vor, jede PDS-Rede würde damit beginnen, sich dreimal gegen Rotgrün zu verneigen, also: Lobet den Gerhard, lobet den Joseph, . . . ({0}) Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß Sie sich das von unserer Fraktion so dringend wünschen und daß Sie dies nun erwarten. Sollten Sie uns trotz all dieser Einwände mit Wohlwollensentzug drohen, hoffen wir, daß dieser nicht ewig bzw. allzulange andauert und auch nicht für weitere hier anstehende Wahlen vorgesehen ist. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Geschäftsordnungsantrag, also einem Tagesordnungspunkt zur Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Abgeordnete Wilhelm Schmidt spricht ebenfalls zur Geschäftsordnung. Ich habe gehört, er spricht auch für alle anderen Fraktionen. Ist das richtig? - Okay.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, daß der Kollege Claus von der PDS nicht von Liebesentzug, sondern nur vom Entzug des Wohlwollens gesprochen hat, den wir angedroht hätten. ({0}) Aber, Herr Claus, ich will vorweg den Ball aufnehmen, den Sie hier ins Spiel gebracht haben, indem ich sage: Wir haben auf allen Wegen, die wir bisher im Rahmen der Konstituierung des Hauses beschritten haben, den Status der PDS-Fraktion als solchen ganz bewußt respektiert. Aber es gibt eben auch Grenzen, und diese haben wir in den interfraktionellen Gesprächen aufgezeigt. Eine solche Grenze gibt es hinsichtlich des Vermittlungsausschusses. Ob wir im weiteren Verlauf der Debatten und Besprechungen, die wir haben werden, vielleicht noch Wege finden, diese an der einen oder anderen Stelle aufzulösen und Ihnen entgegenzukommen, kann ich nicht sagen und nicht entscheiden. Aber ich will andeuten, daß wir in dieser Hinsicht auf jeden Fall noch Gespräche führen werden. Zum anderen will ich ganz deutlich sagen: Der Vermittlungsausschuß, um den es hier geht, ist ein Gremium, das man nicht ständig der neuen Entwicklung einer Wahlperiode des Hauses preisgeben kann. Man muß vielmehr die Kontinuität wahren. Daher können eben nicht alle kleinen Fraktionen im Hause berücksichtigt werden. Dies ist also keine Ablehnung zu Lasten der PDS, zum erstenmal im Hause, sondern es ist immer so gewesen, daß kleine Fraktionen Sitze dieser Art nicht innegehabt haben. Dies ist - das will ich ausdrücklich vermerken - verfassungsgerecht und auch rechtens insgesamt. Von daher sind wir der Auffassung, daß der Vermittlungsausschuß in seiner Zusammensetzung nicht verändert werden sollte, daß wir das Gesetz und auch die Geschäftsordnung nicht ändern sollten, um Ihnen an dieser Stelle entgegenzukommen. Denn dies hätte eine ganz wichtige Implikation. Sie kennen sie auch, haben sie nur nicht ausreichend benannt. Die Folge wäre, daß die Koalitionsfraktionen ihre Mehrheit verlören. Dies können wir nicht zugestehen, und das wollen wir auch nicht. ({1}) Von daher ist Ihr Antrag aus unserer Sicht eindeutig abzulehnen. Das, was ich zuerst gesagt habe, gilt auch für die übrigen Fraktionen dieses Hauses. Deswegen bitte ich, diesen Antrag abzulehnen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es gibt also keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung, und wir können gleich zur Abstimmung kommen. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion der PDS? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses mit Ausnahme der PDS, die dafür gestimmt hat, abgelehnt worden. Zu Zusatzpunkt 3c liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. auf DruckRoland Claus sache 14/117 vor. Wer stimmt für diesen gemeinsamen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden, wobei sich die PDS enthalten hat. Damit sind die Mitglieder und deren Stellvertreter im Vermittlungsausschuß gewählt. Herzlichen Glückwunsch! Zusatzpunkt 3 d: Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes - Drucksachen 14/101, 14/102, 14/103, 14/104, 14/105 Hierzu liegen getrennte Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS vor. Wir stimmen zunächst über den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD auf Drucksache 14/101 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/102 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/103. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/104. Wer stimmt dafür? Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/105. Es geht dabei um die Wahl eines beratenden Mitglieds des Wahlprüfungsausschusses. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und F.D.P. bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen aus der Fraktion der CDU/CSU angenommen worden. Zusatztagesordnungspunkt 3 e: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung gemäß § 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und § 2 der Verordnung über die Bundesschuldenverwaltung - Drucksache 14/114 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/114 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 3 f: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gemäß § 313 Abs. 1 und 2 des Lastenausgleichsgesetzes - Drucksache 14/118 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU auf Drucksache 14/118 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 3 g: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Beirats bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gemäß § 67 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes - Drucksache 14/111 Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 14/111 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 3 h: Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats beim Bundesministerium der Finanzen - Drucksache 14/115 Es liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/115 vor. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der gemeinsame Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Zusatztagesordnungspunkt 3 i: Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats beim Bundesministerium der Finanzen - Drucksache 14/112 Wir stimmen über den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/112 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Zusatztagesordnungspunkt 3 j: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ - Drucksache 14/113 Es liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer F.D.P. auf Drucksache 14/113 vor. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Zusatztagesordnungspunkt 3 k: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR“ - Drucksache 14/116 Hierzu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und CDU/CSU auf Drucksache 14/116 vor. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen worden. Wir sind damit am Ende dieser Wahlen. Ich danke Ihnen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Haltung der Bundesregierung zu den angekündigten Erhöhungen von Energiesteuern, insbesondere der Mineralölsteuer, sowie der Mehrwertsteuer Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele. Ich glaube, jetzt können wir es einmal versuchen. Bitte, Sie haben das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die neue rotgrüne Bundesregierung ihre Koalitionsvereinbarung der Öffentlichkeit vorgestellt hat, nachdem erste Gesetze in den Deutschen Bundestag eingebracht wurden und noch in dieser Woche vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden sollen, könnte man eigentlich erwarten, daß diesen Gesetzen auch tatsächlich eine einheitliche Konzeption, die von beiden Koalitionsparteien getragen wird, zugrunde liegt. Dies ist aber leider nicht der Fall. Noch am letzten Wochenende hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Müller, erklärt, das Autofahren müsse in Deutschland teurer werden. Die Mineralölsteuer müsse weiter erhöht werden. Der grüne Umweltminister erklärt, das Fliegen solle teurer werden. Flugbenzin müsse zukünftig besteuert werden. Am Wochenende hat zunächst Ministerpräsident Clement erklärt, die allgemeinen Verbrauchsteuern seien zu niedrig. Der Verbraucher müsse in unserem Land stärker belastet werden. Die Mehrwertsteuer müsse erhöht werden. Da eine Mehrwertsteuererhöhung im Bundestagswahlkampf von Gerhard Schröder einhellig ausgeschlossen worden ist, hat er sich nun mit Ministerpräsident Clement beim Italiener zum Abendessen getroffen. Was passiert nun nach diesem Gespräch? Warum sagt der Bundeskanzler nichts? Warum schweigt Ministerpräsident Clement nach dem Gespräch, obwohl er selbst die Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung eröffnet hat? Es spricht nur der Regierungssprecher. Was ist es für eine Aussage, wenn der Regierungssprecher erklärt: „Die Meinungsverschiedenheiten über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sind ausgeräumt.“? Das klingt gut. Aber wie sind sie denn ausgeräumt? Da fährt der Regierungssprecher fort: Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit aus konjunkturellen Gründen kein Thema. Ich wiederhole: Diese Mehrwertsteuererhöhung ist zur Zeit . . . kein Thema. Hierzu schreibt die „FAZ“: Auf ihrer verzweifelten Suche nach Finanziers für die neuen rot-grünen Wohltaten bei Kindergeld und Rente sind die sozialdemokratischen Politiker originellerweise bei den Familien angekommen. Sie sollen für die Geschenke jetzt selber zahlen, zwar nicht gleich zu Weihnachten, aber schon bald danach - und natürlich nicht direkt, sondern auf dem Umweg über eine höhere Mehrwertsteuer. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie hier betreiben, ist die Vorbereitung eines gigantischen Steuererhöhungsprogramms in unserem Land. ({0}) Darauf lassen alle von Politikern aus Ihren Reihen zu verantwortenden Äußerungen schließen. Die neue rotgrüne Regierung betreibt fast eine Telefonhäuschenpolitik. Im Telefonhäuschen muß man erst zahlen und dann wählen. Diese Regierung mußte man zuerst wählen, und jetzt, nach dem Wahltag, darf gezahlt werden. ({1}) Die Bürger in unserem Lande erwarten, daß bei den Ausgaben des Staates gespart wird. Die Belastungsgrenze der Bürger, der Arbeitsplätze und der Wirtschaft ist nicht nur erreicht, sondern sie ist überschritten. Das Wort „sparen“ kommt Ihnen überhaupt nicht über die Lippen, das Wort „Steuererhöhungen“ sehr wohl und permanent. Wenn der Pressesprecher nach dem Gespräch des Bundeskanzlers mit Ministerpräsident Clement erklärt, daß auf eine allgemeine Absenkung der Steuersätze, wie es in dem Gesetz vorgesehen ist, verzichtet werden soll, dann müssen bei der Wirtschaft auf Grund dieser Erklärung des Regierungssprechers die Alarmglocken klingeln. Das einzige, was Sie versprochen haben, ist eine marginale Senkung der Steuersätze. Wenn die dann nicht einmal stattfinden soll, weil das als Gegenfinanzierungsmaßnahme für irgend etwas anderes benötigt wird, dann wird hier der nächste Betrug an der Wirtschaft und an den Wählern in unserem Lande vorbereitet. ({2}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Eine Bundesregierung muß Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen haben. ({3}) Das ist in den Augen der Bundesbürger das wichtigste Kapital einer Bundesregierung. Deshalb ist der Umgang mit dem Steuerzahler so wichtig: Gewinnt der Steuerzahler nämlich den Eindruck, daß ständig eine neue Abgabenlawine auf ihn zurollt, dann verspielen die politisch Verantwortlichen schnell jeglichen Kredit. SPD und Grüne sind auf dem besten Wege den Vertrauensvorschuß, den ihnen die Wähler gegeben haben, in Windeseile zu verspielen. Dies geschieht leichtfertig, weil kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue unausgereifte Idee die Runde macht. ({4}) Ob Steuer auf Flugbenzin, Ökosteuer, höhere Mineralölsteuer oder eine Anhebung der Mehrwertsteuer: Die rotgrüne Koalition läßt keine Gelegenheit aus, alle Bürger und die gesamte Wirtschaft in unserem Lande zu verunsichern. Rotgrünes Chaos herrscht in der Finanzpolitik. ({5}) Ich sage Ihnen: So wird in unserem Lande kein Vertrauen geschaffen; so wird Vertrauen verspielt. Wer aber das Vertrauen in die Zukunft unseres Landes verspielt, der verspielt die Chance auf Wachstum und auf Schaffung neuer Arbeitsplätze. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort für die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Thiele, ich glaube, ich kann fast wörtlich zitieren, was Sie eben gesagt haben: Gewinnt der Steuerzahler den Eindruck, daß ständig neue Steuererhöhungen auf ihn zurollen, dann verspielt die Politik schnell jeglichen Kredit. - Die Aussage ist richtig. Was ist Ihr Handeln, wodurch die Politik jeden Kredit verspielt? Sie verbreiten die Unwahrheit, damit Menschen einen falschen Eindruck gewinnen. ({0}) Ohne Ihre vorherigen Ausführungen würde keine weitere Verunsicherung um sich greifen. Sie sind für diese Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger verantwortlich, ({1}) wenn Sie hier wider besseres Wissen erklären, die Bundesregierung plane Steuererhöhungen. Dies ist nicht der Fall. ({2}) Mit dieser Debatte will die Opposition offenbar von ihren inhaltlichen Defiziten in der Steuerpolitik ablenken. ({3}) Für Aufregung in diesem Bereich fehlt es aber an jeder sachlichen Grundlage. In einer Zeit sich abschwächender Konjunktur wollen wir keinesfalls den gleichen Fehler wie Japan machen. Dieses Land ist über eine Mehrwertsteuererhöhung in eine Rezession gestolpert. Wir haben es in Deutschland vor allem mit einer nachlassenden Exportnachfrage infolge der Krisen in Asien, Lateinamerika und Rußland zu tun. Gleichzeitig hat die vorige Bundesregierung, für deren Maßnahmen Sie die Verantwortung weiterhin zu tragen haben, die Binnennachfrage sträflich vernachlässigt und verkümmern lassen. ({4}) Jetzt eine Mehrwertsteuererhöhung obendrauf zu setzen - so wie es die alte Vorgängerregierung wollte; sie hatte entsprechende Ankündigungen in diffusen Fußnoten ihres Steuerreformkonzeptes versteckt - wäre pures Gift für unsere Konjunktur. ({5}) Unsere Steuerreform, mit der wir Bürger und Unternehmen, besonders den Mittelstand, entlasten, braucht keine Mehrwertsteuererhöhung. Wir kommen ohne Mehrwertsteuererhöhung und ohne Erhöhungen aus, die in Fußnoten versteckt angekündigt werden. ({6}) - Ich bin jederzeit bereit, dies den Mitgliedern des nordrhein-westfälischen Landtages zu sagen. ({7}) Allerdings erlaubt mir meine Position nicht, dies im nordrhein-westfälischen Landtag selbst zu tun. Wir kommen ohne Mehrwertsteuererhöhung aus und verstecken sie auch nicht in Fußnoten. Wir haben eine ausreichende und solide Finanzierung durch die Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wir haben eine angemessene Nettoentlastung von rund 15 Milliarden DM, ({8}) die auch mit der schwierigen Haushaltslage von Bund, Ländern und Gemeinden im Einklang steht und die mit allen sozialdemokratischen Landesfinanzministern in der vergangenen Woche und wieder heute morgen verabredet worden ist. Im übrigen wird durch unsere anstehende dreistufige Steuerreform der unternehmerische Mittelstand bereits jetzt nachhaltig entlastet. ({9}) - Hören Sie bitte zu! Man kann natürlich immer leichter Unwahrheiten verbreiten, wenn man nicht klüger werden will. ({10}) Netto beträgt die Entlastung allein für den Mittelstand rund 3,5 Milliarden DM. Von der Entlastung durch die Tarifsenkung und die Erhöhung des Kindergeldes kommen allein 14,5 Milliarden DM beim Mittelstand an. Gleichzeitig wird der Mittelstand von mehr als zwei Dritteln des Volumens der Gegenfinanzierung durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage überhaupt nicht berührt. ({11}) Belastet wird nur dort, wo die vorherige Regierung die Steuervergünstigungen hat wuchern lassen. Dies trifft insbesondere die Großunternehmen, einzelne Branchen und Bezieher hoher Einkommen. Fazit ist: Der Mittelstand erhält bereits eine angemessene Entlastung durch unsere Steuerreform. Eine weitere Entlastung, finanziert über eine Umsatzsteuererhöhung, ist deshalb nicht notwendig. Im übrigen wäre angesichts der sich abschwächenden Konjunktur eine Überwälzungsmöglichkeit eventuell auch gar nicht gegeben. Dann wäre eine Belastung des Mittelstandes die Folge, und das wäre geradezu kontraproduktiv. ({12}) - Ja, darum tun wir es auch nicht; das ist ganz einfach. Sie behaupten zwar, daß wir es tun wollten, aber wir tun es nicht. Nehmen Sie das doch einfach zur Kenntnis. ({13}) Die Erhöhung der Energiesteuern, wie wir sie jetzt im Entwurf eines Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vorgesehen haben, ist Element eines viel weiter greifenden Konzeptes und darf nicht isoliert gesehen werden. Wir wollen nämlich den Faktor Arbeit verbilligen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Dabei ist eine Senkung der Sozialabgabenbelastung vordringlich. Mit der gleichzeitigen Erhöhung der Energiesteuern verteuern wir den Energieverbrauch und verfolgen damit zugleich umweltpolitische Ziele. ({14}) Unser Konzept ist sozialverträglich und ökonomisch vernünftig. Es schafft Arbeitsplätze, beschleunigt den Strukturwandel und fördert die Umwelt. ({15}) Darüber hinaus ist unser Konzept aufkommensneutral. Es stellt also keine Steuererhöhung dar, auch wenn Sie das immer wieder behaupten. ({16}) In der Tat: Es gibt eine gewollte Umschichtung der Abgabenbelastung: eine Entlastung bei den dringend benötigten Arbeitsplätzen ({17}) und eine Mehrbelastung beim Verbrauch von endlichen Energieressourcen. Dieses Ziel fand sich im übrigen auch in der Koalitionsvereinbarung der alten, abgewählten Bundesregierung. Es wurde aber nie eingelöst; denn die erdrückende Belastung des Faktors Arbeit wurde von der früheren Bundesregierung nicht ernst genommen. Die Folge ist heute eine hohe Arbeitslosigkeit, an der wir schwer zu tragen haben. ({18}) Wir dagegen werden jetzt zügig unser in den Koalitionsvereinbarungen dargelegtes Vorhaben konsequent und allen Widerständen zum Trotz durchsetzen und fangen gleich nächstes Jahr damit an: zum Wohle der Arbeitnehmer und der Unternehmen gleichermaßen. Wir werden auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des nächsten Jahres mit Nachdruck auf die weitere Harmonisierung der Energiebesteuerung in Europa hinwirken. ({19}) Die Zielsetzung dabei ist, europaweit gleiche Wettbewerbsverhältnisse bei der Energiebesteuerung zu erreichen und gleichzeitig die umweltpolitischen Ziele verwirklichen zu können. Dabei steht fest: Wir geben das zusätzliche Steueraufkommen aus der Energiesteuererhöhung wieder an die Bürger und Bürgerinnen und an die Unternehmen zurück. Das heißt - ich sage es noch einmal -, wir machen eine aufkommensneutrale Umschichtung, die sich für unsere Arbeitsplätze und für unsere Umwelt lohnen wird. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Seiffert.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin Hendricks, haben Sie Probleme mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit? Lesen Sie keine Zeitungen? ({0}) Haben Sie nicht davon Kenntnis erhalten, daß gestern abend beim Herrn Bundeskanzler eine Versammlung stattfand? Warum mußte sie sein, wenn bei Ihnen alles paletti ist und in geordneten Bahnen abläuft, wie Sie es hier darstellen wollen? ({1}) Sie geben mit Ihrer Steuerpolitik vor, daß Sie Wachstum und Beschäftigung fördern wollen, daß Sie die Investitionskraft der Unternehmen stärken wollen, daß Sie Arbeitnehmer und Familien spürbar entlasten wollen und daß es mehr Steuergerechtigkeit geben wird. ({2}) - Ja, klatschen Sie nur. Sie machen zur Zeit alles falsch. ({3}) Mit solch vollmundigen Versprechungen sind Sie in den Wahlkampf gezogen. Sie haben damit viele hinters Licht geführt, ({4}) und Sie haben viele aus der Neuen Mitte dazu bewogen, Sie zu wählen. Nun zeigen Sie, die Regierung und die Koalition, seit vier Wochen, wie Sie Ihre Versprechen wirklich gemeint haben. Sie legen den Entwurf eines sogenannten Steuerentlastungsgesetzes vor, mit dem Sie die Unternehmen und insbesondere den Mittelstand bis 2002 mit Steuern in Höhe von fast 35 Milliarden DM mehr belasten wollen. ({5}) Gerade bei denjenigen, die Sie auffordern zu investieren, kassieren Sie am schlimmsten ab. Den Familien mit Kindern versprechen Sie eine Erhöhung des Kindergeldes, ohne konkret darzulegen, wie Sie dies finanzieren wollen. ({6}) Aber genau diesen Familien sagen Sie bereits jetzt, daß sie damit zu rechnen haben, daß die Mineralölsteuer erhöht wird und daß sie Steuern auf Gas, Strom und Heizöl zahlen müssen. Das Ganze tarnen Sie dann als ökologische Steuerreform. Namhafte Genossen schlagen auch vor, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das verstehen Sie wohl unter Steuerharmonisierung in Europa. Sie meinen, da hätten wir im europäischen Vergleich noch ein bißchen Luft, und diese Luft müsse man natürlich nutzen. Anderen ist schon lange das steuerfreie Flugbenzin ein Dorn im Auge. ({7}) Also wird hierauf eine Steuer verlangt. Auch diese könnte man ja als ökologisch wertvoll verkaufen. Die Steuerfachleute der SPD im Sportausschuß planen offenbar eine Sondersteuer für Sportmillionäre und natürlich auch für ehemalige Spitzensportler, die ihr Einkommen ja ohnehin längst in Österreich, in der Schweiz oder in Monaco versteuern. Die werden zittern! Schaun mer mal. Meine Damen und Herren von der Regierung und der Koalition, jeden Tag treiben Sie buchstäblich eine neue Steuersau durch das Dorf. ({8}) Es gibt täglich neue Zahlen und Ideen. Keiner weiß noch, was gilt. Wie es beliebt und wie man es hören will, so stellen Sie Ihre Vorhaben dar. Dem Bauernverband kündigt Ihr Sprecher an, daß es ja wohl nie so schlimm kommt, wie es im Gesetzentwurf steht. Ich frage mich nur: Warum formuliert man das dann so? Hinsichtlich der von Ihnen gewollten Abschaffung der Teilwertabschreibungen scheinen Sie langsam zu erkennen, was Sie damit anrichten würden. Ihre ganzen Vorschläge sind nicht durchdacht. Wenn Sie so weitermachen, dann wird „nachbessern“ das Unwort des Jahres 1998. ({9}) Ich würde nicht so weit gehen und Sie, die ganze SPD-Fraktion, als Chaostruppe bezeichnen. Aber einen klaren nachvollziehbaren Kurs haben Sie in den letzten Wochen nun wahrhaftig nicht gefahren. ({10}) Sie haben mit dieser Chaospolitik die Menschen und die Wirtschaft verunsichert. Niemand glaubt mehr ernsthaft, durch Ihre Reform und die Kindergelderhöhung netto wirklich entlastet zu werden. Man tut gut daran. Jeder spürt doch, daß Sie umverteilen wollen, weil Sie zum Sparen nicht in der Lage sind. Was Sie mit der linken Hand geben, kassieren Sie mit der rechten wieder ab. ({11}) Das nennen Sie dann ökologische Steuerreform, Zwang zur Harmonisierung, Steuervereinfachung, und welche Schlagworte Sie auch immer vorbringen. Sie haben den Unternehmen, dem Handwerk und dem gesamten Mittelstand mit diesen Steuergesetzentwürfen eindeutige Signale gegeben: Sie wollen wieder die Belastbarkeit der Wirtschaft testen. Damit verhindern Sie die Fortsetzung unseres Aufschwungs. ({12}) Damit machen Sie Arbeitsplätze am Standort Deutschland kaputt. Sie haben vor der Wahl versprochen: „Wir sind bereit“. Wir merken jetzt, daß Sie bereit und zu allem fähig, aber nicht in der Lage sind, eine gescheite Politik zu machen. Sammeln Sie Ihre als Steuerreform getarnten Abkassiermodelle wieder ein! Gehen Sie in den nächsten vier Wochen in sich, und legen Sie dann ein vernünftiges Steuerkonzept etwa so, wie es Ihr Kollege Clement vorgeschlagen hat, vor. ({13}) Sie können auch die von uns beschlossene und von Ihnen blockierte Steuerreform wieder einbringen. ({14}) Wir verzichten auf das Urheberrecht. Jedenfalls wäre alles andere besser als der Kuddelmuddel, den Sie angerichtet haben. Kommen Sie über Weihnachten endlich zur Besinnung! ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Kristin Heyne vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß sich mit der Wahl doch einiges hier im Haus verändert hat. Zum Beispiel war es in der letzten Legislatur häufig ziemlich mühsam, eine Debatte über die Ökosteuer auf die Tagesordnung zu bekommen, und in der Regel fand sie dann zu später Stunde statt. Jetzt aber haben wir praktisch jede Sitzungswoche die Gelegenheit, über die Ökosteuer zu reden, und das zu prominenter Zeit. Herzlichen Dank also an die F.D.P.! ({0}) Aber, Herr Thiele, es hat sich heute wieder einmal gezeigt, daß für Sie Ökosteuer und Benzinsteuer eigentlich ein und dasselbe ist. ({1}) Das greift natürlich viel zu kurz; denn die Benzinsteuer ist nur ein kleiner Teil davon. ({2}) Wenn Sie sich den ersten Schritt unserer ökologischsozialen Steuerreform angucken, dann werden Sie die Erfahrung machen, daß man auch mit einer äußerst bescheidenen Anhebung des Benzinpreises eine sehr respektable Ökosteuer auf die Beine stellen kann. ({3}) Wir haben vor der Wahl angekündigt, daß wir in dieser Legislatur eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent anstreben; dies ist zu 100 Prozent in unserem Koalitionsvertrag umgesetzt worden. Ich bin sicher, daß wir dieses Ziel erreichen. ({4}) Für die Festlegung der Tarife in der zweiten Stufe der Ökosteuerreform haben wir sehr bewußt die Zeit nach unserer EU-Ratspräsidentschaft gewählt. Wir werden versuchen, in dieser Zeit gemeinsam einen wesentlichen Schritt bei der Energiesteuer zu tun. Danach werden wir sehen, wie der nächste Schritt, der Schritt auf nationaler Ebene, auszusehen hat. Natürlich werden wir dabei auch auf die Preisentwicklung achten; ({5}) denn zum Beispiel muß man davon ausgehen, daß die Preise beim Mineralöl noch weiter sinken, und sinkende Preise geben keinen Anreiz, das Dreiliterauto zu kaufen, welches doch gerade unser Exportschlager werden soll. Dafür aber muß es auch im Inland erfolgreich sein. ({6}) In der vergangenen Woche wurde wieder einmal die Begehrlichkeit nach höherer Mehrwertsteuer laut; das ist bekanntlich auch schon in der Zeit vor der Bundestagswahl geschehen. Ich glaube, ich muß heute nicht noch einmal darüber reden, was eine Mehrwertsteuererhöhung für den Handel und das Handwerk und damit für die Arbeitsplätze in diesem Bereich bedeuten würde. Die Kritik der Opposition gerade an diesem Punkt aber zeugt doch von einem ultrakurzen Gedächtnis; ({7}) denn hätten wir Ihre große Einkommensteuerreform so durchgeführt, wie sie auf dem Tisch gelegen hat - jeder kennt sie ganz genau -, hätten wir eine so riesige Finanzierungslücke, daß wir mit einer satten Mehrwertsteuererhöhung rechnen müßten. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. ({8}) Mit dieser Erhöhung hätten Sie dann Ihre sogenannte Nettoentlastung - die Absenkung der Steuerverpflichtung - für Besserverdienende und Gutverdienende bezahlt. Gezahlt aber hätten in besonderem Maße MenHeinz Seiffert schen mit niedrigem Einkommen und gerade Familien mit Kindern; denn bei Windeln, Kleidung und Spielzeug läßt sich nur schwer sparen. ({9}) Darum - das will ich hier ganz klar sagen - kommt eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für uns nicht in Frage, schon gar nicht als Gegenfinanzierung für eine Einkommensteuerreform. ({10}) Wir haben im europäischen und im internationalen Vergleich keinen ungewöhnlich hohen Anteil am Steueraufkommen aus direkten Steuern; da liegen wir im normalen Mittel. Wir nehmen aber inzwischen bei den Sozialversicherungsabgaben eine traurige Spitzenposition ein. Hier gilt es, endlich Entlastung zu schaffen. ({11}) Wir werden bei den Sozialversicherungsbeiträgen und damit bei den Kosten der Arbeit Entlastung schaffen. Zur Gegenfinanzierung wollen wir aber nicht allgemeine Verbrauchsteuern einsetzen, sondern den Verbrauch besteuern, der sich verringern muß. Und das ist der Umwelt-, das ist der Energieverbrauch. ({12}) Die Ökosteuer ist die Steuer, bei der das Ausweichen explizit erwünscht ist. Dies ist zum Beispiel möglich durch das Abschalten der Stand-by-Funktionen im Haushalt, beim Fernsehen und beim CD-Player, oder indem man das Auto mal stehen läßt oder es sich - das ist noch besser - mit ein paar Leuten teilt. Das geht ganz gut; ich praktiziere dies inzwischen seit vielen Jahren. Wer sich so verhält, kann nach der ökologisch-sozialen Steuerreform sogar als Gewinner herausgehen. Mit dem Einstieg in die ökologisch-soziale Steuerreform korrigieren wir eine gefährliche Fehlentwicklung im bundesdeutschen Steuersystem. Wir machen Arbeit billiger und Umweltverbrauch teurer. Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Anmerkung zu Ihrem Gedächtnis machen, Herr Thiele. Ich beziehe mich auf das Flugbenzin. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie völlig vergessen haben, daß es vor nicht einmal einem Jahr in diesem Hause einen fraktionsübergreifenden Antrag gab, der die Bundesregierung aufgefordert hat, in den internationalen Gremien dafür zu sorgen, daß die Steuer auf Flugbenzin endlich erhoben werden darf. ({13}) Heute zahlt der Pendler Steuer; sogar die Bahn zahlt für die Dieselloks Steuer. Nur der Flug wird nicht besteuert. Dies ist nicht sozial und nicht ökologisch, sondern einfach Unfug. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heidemarie Ehlert von der PDS-Fraktion das Wort.

Heidemarie Ehlert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003112, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß man in den letzten Tagen mit ansehen konnte, wie einige SPD-Ministerpräsidenten der eigenen Bundesregierung in den Rücken fallen. Um aus dem langen Schatten des ehemaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau herauszutreten, muß sein Nachfolger, Herr Clement, plötzlich die beabsichtigte Kindergelderhöhung und die mangelnde Entlastung für die Wirtschaft im Steuerentlastungsgesetz der Regierung kritisieren. Es entbehrt aber vor allem deshalb nicht einer gewissen Komik, weil die innerparteilichen Rangeleien der führenden SPD-Gremien durchaus Tradition haben. Ich darf an die Diskussion zum Jahressteuergesetz 1996 erinnern: Die SPD-Bundestagsfraktion unter der Leitung des Kollegen Scharping forderte bereits damals die Erhöhung des Kindergeldes auf 250 DM für 1996. ({0}) Obwohl diese Forderung bereits 1994 Inhalt des Wahlprogramms war, meldeten sich auf einmal verschiedene SPD-Ministerpräsidenten und -präsidentinnen zu Wort und meinten, diese Forderung sei nicht finanzierbar. Insbesondere Frau Simonis aus Schleswig-Holstein und Herr Schröder aus Niedersachsen drohten deshalb, die Forderung der eigenen Bundestagsfraktion im Bundesrat nicht zu unterstützen. Meine Damen und Herren, Sie sehen: So schnell kann einen die Geschichte einholen. Jetzt, wo der Herr Bundeskanzler offensichtlich die Quellen zur Finanzierung der Kindergelderhöhung entdeckt hat, sieht ein neuer Ministerpräsident, diesmal aus Nordrhein-Westfalen, die Chance zur eigenen Profilierung. Dieses Spektakel würde wie eine Realsatire wirken, wenn sich dahinter nicht die Gefahr eines weiteren Sozialraubs verbergen würde. Denn im Kern zielt diese Debatte in den Reihen von SPD und Bündnisgrünen auf eine erneute Entlastung von ertragsstarken Unternehmen und hohen Einkommen ab. Die dadurch entstehenden Haushaltslöcher sollen durch eine weitere Anhebung der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer gestopft werden. Arbeitslose und Studierende, Sozialhilfeberechtigte, Rentnerinnen und Rentner sollen im Resultat steigende Unternehmensgewinne bezahlen, Beschäftigte ihre Entlastungen aus eigener Tasche finanzieren. Das geschieht - ganz nebenbei - vor dem Hintergrund, daß sich die rotgrüne Regierung mit dem Argument von Finanzierungsengpässen nicht einmal dazu durchringen konnte, zum 1. Januar 1999 den Grundfreibetrag und das Kindergeld auf eine verfassungskonforme Höhe anzupassen. Was dem Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern hier geboten wird, ist ein altes Spiel nicht ganz neuer Akteure. Bereits zum 1. April dieses Jahres wurde durch die alte Regierung, also von CDU/CSU und F.D.P., die Mehrwertsteuer erhöht, mit dem Argument, die Rentenbeiträge stabil zu halten. Dem stimmte die SPD-Fraktion geschlossen zu. Die PDS lehnte dies - wie bisher jede Mehrwertsteuererhöhung - ab. Nun sollen, um die Rentenbeiträge und Unternehmensteuern zu senken, eine Energiesteuer eingeführt und die Mineralöl- und Mehrwertsteuer erhöht werden. Bei der Erhöhung der Mineralölsteuer wird dabei nicht einmal mehr der Anschein einer ökologischen Reform gewahrt, weil sie am falschen Ende ansetzt, nämlich beim Verbraucher und nicht bei der Erzeugung. Einziges Resultat wird sein, daß man gerade den Beschäftigten, denen man bisher eine immer höhere Mobilität abverlangte und immer längere Arbeitswege zumutete, höhere Kosten auferlegt, ohne ihnen überhaupt die Chance zur verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu geben. Diese Erhöhung der Verbrauchsteuern ist aber nicht nur sozial ungerecht, meine Damen und Herren von der Koalition, sondern Sie begeben sich damit auch in eigene Widersprüche. Einerseits möchten Sie, nach Lesart des Finanzministers, die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger stärken, um die Wirtschaft anzukurbeln, andererseits produzieren Sie wie am Fließband neue Ideen zur Erhöhung von indirekten Steuern und belasten damit die Konsumenten, ({1}) somit gerade die Menschen, von denen Sie vorgeben, daß sie entlastet und steuerlich bessergestellt werden sollen. ({2}) Meine Damen und Herren von der Regierung und der Koalition, es ist langsam an der Zeit, daß Sie sich über die Zielrichtung Ihrer Steuerpolitik einig werden. Es reicht nicht, daß Frau Dr. Hendricks eine Steuererhöhung verneint, wenn es gleichzeitig im Nebensatz heißt, daß wir der Angleichung in Europa unterliegen. Was heißt denn das? Wir kommen nicht raus aus Europa. ({3}) In der Presse wird es schon angekündigt. Sie sagen laut: Wir wollen keine Steuererhöhung. Aber kommen wir raus aus Europa? Das ist die Frage. Danke. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die erste Rede der Kollegin Ehlert in diesem Hohen Hause. Ich beglückwünsche sie dazu. ({0}) Als nächste Rednerin hat Frau Professor Monika Ganseforth von der SPD-Fraktion das Wort.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vielleicht gleich einmal eines zur Richtigstellung: Was in der EU beschlossen wird, ist, jedenfalls in diesem Bereich, auf Einstimmigkeit angewiesen, das heißt, die Bundesrepublik hat natürlich ein Wörtchen mitzureden. Insofern haben wir da schon Einfluß. Einen zweiten Punkt möchte ich aufgreifen; Herr Thiele hat ihn hier angesprochen. Ich finde, er hatte recht, als er gesagt hat, die Belastungsgrenze, was Steuern anbelangt, sei in Deutschland erreicht oder sogar überschritten. Aber wem haben wir das zu verdanken? Was hat dazu geführt, daß die Belastungsgrenze erreicht ist? Sie können sich doch nicht hier hinstellen und so tun, als wären Sie für die heutigen Zustände nicht verantwortlich. ({0}) Weil wir diese Erblast vorfinden, bringen wir ein Steuerentlastungsgesetz ein, das diesem Mißstand entgegenwirken soll und das versucht, herbeizuführen, was dringend nötig ist, nämlich daß die unteren Einkommen und der Mittelstand entlastet werden. Ich möchte aber diese Aktuelle Stunde, mit der Sie mir dazu Gelegenheit geben, nutzen, über die ökologische Steuer- und Abgabenreform zu sprechen und Ihnen das Konzept, das Sie anscheinend nicht verstanden haben, noch einmal zu erklären. ({1}) Ich erinnere daran, daß wir vor etwa einem Jahr hier debattiert haben, als es darum ging, daß die Rentenversicherungsbeiträge und die Lohnnebenkosten durch Ihre Politik noch einmal erhöht werden sollten. Die Gefahr bestand, aber sie ist dann durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. April gebannt worden. Haben Sie denn das alles vergessen, was unter Ihrer Regierung passiert ist? ({2}) Wir sprechen heute darüber, wie wir die Lohnnebenkosten senken und daß die Rentenversicherungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte gesenkt werden sollen. Eine Absenkung in dieser Höhe hat es seit langer, langer Zeit nicht gegeben. ({3}) Sie wird nicht etwa durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer finanziert, sondern wir schaffen den Einstieg in die ökologische Steuer- und Abgabenreform. ({4}) Die ökologische Steuerreform wird seit sehr langer Zeit diskutiert. Es gibt Vorschläge und Modellrechnungen, zum Beispiel 1988 von dem Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg und 1990 durch den BUND. Die SPD ist mit dem Programm „Fortschritt 90“ in den Wahlkampf 1990 gezogen. ({5}) - Herr Schäuble, wenn Sie jetzt dazwischensprechen, muß ich Ihnen sagen: Auch Sie haben vor einem halben Jahr das Konzept entdeckt und hier propagiert. Aber es nützt nichts, nur darüber zu reden und es zu propagieren, sondern man muß es auch machen, und das tun wir jetzt. ({6}) Ich möchte gerade der F.D.P. sagen: Wir nutzen endlich marktwirtschaftliche Instrumente für den Umweltschutz. ({7}) Sie haben in Ihrer Regierungszeit Umweltschutz überwiegend durch das Ordnungsrecht, durch Grenzwerte, durch Verbote und Gebote, vorangetrieben und vergessen, daß es ein sehr wirksames Instrument gibt, nämlich die Marktwirtschaft. ({8}) Vielleicht ist Ihnen das entgangen, und vielleicht sind Sie deswegen so aggressiv: Wir werden in moderaten Schritten die Entwicklung anstoßen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch den Unternehmen Anreize gibt, sich freiwillig in die richtige Richtung zu bewegen, den Energieverbrauch zu senken und Energiespartechniken anzuwenden. ({9}) Es wird in den Köpfen und in der Realität zu einer Änderung kommen, indem man nicht nur mit Verboten und Geboten sowie Grenzwerten arbeitet, sondern dies auch über Preise und über marktwirtschaftliche Instrumente zu erreichen versucht. Über die Ausgestaltung kann man im einzelnen reden, und das sollen wir auch. Wir werden unsere Vorschläge zur ersten Stufe in einer Anhörung zur Diskussion stellen und dann umsetzen. Ich will, da Sie die Mineralölsteuererhöhung ansprechen, aber auch noch sagen: Sie haben in Ihrer Zeit das Instrument Mineralölsteuererhöhung extensiv genutzt. Vor zehn Jahren lag die Mineralölsteuer auf Benzin bei 48 Pfennig; sie ist in den letzten zehn Jahren um über 50 Prozent gestiegen. ({10}) Dies gilt für unverbleites Benzin, und beim verbleiten ist sie noch deutlicher gestiegen und auch beim Dieselkraftstoff. ({11}) Dies geschah aber ohne jede ökologische Komponente, sondern dies diente nur dem Stopfen von Haushaltslöchern zur Verbesserung der Einnahmesituation. (Beifall bei der SPD - Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Was machen Sie denn jetzt? Wir legen die ökologische Steuer- und Abgabenreform vor, ({12}) die einerseits mit der immer weiteren Belastung der Arbeits- und Lohnnebenkosten Schluß macht und auf der anderen Seite marktwirtschaftliche Anreizinstrumente zum Schutz der Umwelt beinhaltet. Wir sind mit diesem Konzept in den Wahlkampf gezogen, und wir haben dafür eine Mehrheit bekommen. Unsere Wählerinnen und Wähler - nicht Ihre, sondern unsere - erwarten, ({13}) daß wir das umsetzen. Und wir tun das. Schönen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Hansgeorg Hauser von der CDU/CSU-Fraktion.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unter den zahlreichen in- und ausländischen Kommentaren über den katastrophalen Fehlstart der rotgrünen Bundesregierung war auch die „Süddeutsche Zeitung“ vertreten. Sie meinte, die Regierung Schröder übe noch. ({0}) Sie empfahl der Regierung, möglichst nicht schon im Training die gesamte Bundesrepublik umkrempeln zu wollen. Eines dieser Trainingsfelder ist die Wirtschaft. Hier dürfen nun einige Ideologen - dazu haben wir gerade ein schönes Beispiel gehört - austesten, wie belastbar unsere Wirtschaft ist. Aber - das läßt sich an Hand der Reaktionen der Betroffenen und der eingegangenen Stellungnahmen bereits jetzt sagen - dieser vorgelegte Gesetzentwurf zum Einstieg in die ökologische Steuerreform erweist sich als grandioser Rohrkrepierer. ({1}) An dem Gesetzentwurf stimmt nur, daß er von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht worden ist und die Drucksache 14/40 hat. Ansonsten ist der Reformentwurf weder ökologisch sinnvoll noch sozial gerecht und schon überhaupt nicht beschäftigungsfördernd. Im Gegenteil. Diese angedachte Steuerreform ist systemwidersprüchlich, haushaltsschädlich und lädt gerade zur Umgehung ein. Durch die Verwendung von schwammigen Begriffen oder auch faktisch nicht abgrenzbaren Tatbeständen entsteht zudem noch eine ungeheure Verunsicherung insbesondere in der Wirtschaft. Die Unternehmen haben zur Zeit keine Kalkulationsgrundlage für künftige Preise, sofern sie Kostensteigerungen überhaupt weitergeben können. Dabei wird es nicht so sein wie beispielsweise bei der Bahn. Wenn diese 280 Millionen Mark mehr tragen muß, dann wird sich das halt auf die Preise niederschlagen. Das zahlen dann Ihre kleinen Leute, die Sie alle entlasten wollen. Diese breite Irritation der Öffentlichkeit hat natürlich auch gewaltige Spuren bei Ihren eigenen Leuten hinterlassen. Es kommt der Druck aus dem eigenen Klientel. Herr Schlauch verkündet etwa, daß mit den 6 Pfennig Mineralölsteuererhöhung das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Frau Müller sagt: Das nächste Mal muß das jeweils um 10 Pfennig erhöht werden. Dazu kann ich nur sagen: Warum gehen Sie nicht zu Ihrem ursprünglichen Beschluß zurück: 5 Mark? Sagen Sie doch, was Sie wollen! Das wäre wesentlich ehrlicher; die Wahlen sind doch vorbei. Insofern könnten Sie dies wieder aus den Schubladen hervorziehen. ({2}) Aber auch die anderen bekommen Druck beispielsweise aus der Wirtschaft. Einige Ihrer Vertreter rennen zu den Verbänden und erzählen: Wir machen doch überall Nachbesserungen, und wir werden das und das ändern. Herr Schwanhold zum Beispiel macht seinen eigenen Verbänden Versprechungen, die er nicht halten kann, weil Sie das Geld brauchen. Deswegen ist jetzt die Mehrwertsteuer ins Spiel gekommen. Ich sage Ihnen voraus, daß Sie beides machen werden: Sie erhöhen die Energiepreise, belasten die Verbraucher, und Sie erhöhen auch die Mehrwertsteuer. Das können wir alles abwarten. Lafontaine hat den Vorschlag von Clement hierzu zwar abgelehnt, hat aber auch gesagt: Es ist ein wertvoller Diskussionsbeitrag. - Wir werden sehen, wie sich das auswirkt. Daß es eine ganze Menge Umgehungsmöglichkeiten gibt, ist schon sehr deutlich dargestellt worden. Es wird zu Verlagerungen ins Ausland kommen. Man wird energieintensive Bereiche zusammenlegen usw. usf. Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft werden damit aber mit Sicherheit nicht besser. Das hat ein Wissenschaftler aus Regensburg, Markus Dendl, vor kurzem in einem sehr lesenswerten Aufsatz in der „FAZ“ vom 28. November 1998 dargestellt. Er schrieb, daß die Vermehrung von Arbeitsplätzen eine rotgrüne Mär bleiben wird. Ich kann Ihnen diesen Artikel gerne zur Verfügung stellen. Der nationale Alleingang wird für die Wirtschaft mit Sicherheit ein riesiges Problem werden. Wir werden nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze haben. Daß das alles natürlich auch auf den Haushalt durchschlägt, werden Sie sehr schnell erkennen. Denn eines ist sicher: Ab 1999 kostet Sie die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge 13,9 Milliarden DM. Woher Sie das Geld nehmen - bei der löchrigen Vorstellung von dem, was Sie machen wollen -, wird Ihre Sache sein. ({3}) Wir werden sehr schnell sehen, daß die notwendigen Nachbesserungen noch mehr Löcher reißen werden und Sie Probleme mit dem Haushalt bekommen. Den eingangs erwähnten Rat der „Süddeutschen Zeitung“, weiterzuüben, sollten Sie wirklich ernsthaft befolgen. Gehen Sie zurück in ein ordentliches Trainingslager, und arbeiten Sie etwas Vernünftiges aus! ({4}) Am besten aber werfen Sie Ihren Gesetzentwurf dorthin, wo er hingehört, nämlich in den Papierkorb. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vorgestern erfuhr, daß die F.D.P. eine Aktuelle Stunde zur ökologischen Steuerreform, zu Energiesteuern, zur Mineralölsteuer, beantragt hat, habe ich erwartet, daß jetzt endlich einmal konstruktive Vorschläge kommen. Ich habe mich nämlich an die Zwischenfrage von Herrn Thiele bei der Einbringung des Gesetzentwurfs erinnert. Er hat mich gefragt, warum wir seinerzeit nicht den Vorschlag der F.D.P. unterstützt hätten, einen dritten Mehrwertsteuersatz, und zwar auf Energie, also eine Energiemehrwertsteuer, einzuführen. ({0}) Das hatte ich als Gegenstand Ihrer Aktuellen Stunde erwartet. ({1}) Aber noch nicht einmal dazu hat es gereicht. Es ist reine Polemik geworden. ({2}) Was wir hier jetzt machen sollten, ist, unseren Vorschlag mit Ihrem Vorschlag zu vergleichen. Ihr alter Vorschlag war, einen dritten Mehrwertsteuersatz einHansgeorg Hauser ({3}) zuführen, und zwar auf Energie. Darauf würde ich gerne eingehen; darauf habe ich mich vorbereitet. ({4}) Punkt eins. Man muß sich schon wundern, daß ein so alter Hut immer wieder ausgepackt wird. Es ist auch im Grunde genommen von niemandem aufgegriffen worden, außer am Montag vom BDI-Chef Henkel, der natürlich gesagt hat, das sei ein guter Vorschlag. Aber die Realität ist doch eine ganz andere. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß der Zug in Europa in eine andere Richtung fährt; das ist wirklich sehr wichtig. Es gibt in Europa kein anderes Land, das den Weg eines dritten Mehrwertsteuersatzes, eines Steuersatzes auf Energie, geht. Der Zug fährt in eine andere Richtung - Stichwort Dänemark, Stichwort Holland, Stichwort Vereinigtes Königreich -: Die machen es so wie wir in Deutschland. Wir sind aber gegen einen deutschen Sonderweg bei der Steuer und für eine europäische Lösung. ({5}) Zweiter Punkt. Auch bei der Kommisison wird die Sache anders gesehen; Herr Thiele, das wissen Sie ganz genau. Niemand will dort etwas über einen solchen Mehrwertsteuersatz hören. Sie haben es auch Herrn Monti nur zwischen Tür und Angel angeboten. Der hat diesen Vorschlag im Prinzip abgelehnt. Das heißt also: Auch hier geht der Trend in eine andere Richtung. Der Unterschied zu früher ist: Während Sie damals in Brüssel mit drei Stimmen gesprochen haben - Frau Merkel dafür, Herr Rexrodt dagegen und Herr Waigel nach dem Motto: Leg dich quer, dann bist du wer -, reden wir dort nur mit einer Stimme. Wir hoffen, so ein bißchen weiterzukommen. ({6}) Dritter Punkt. Der Hauptunterschied zu Ihren alten Vorstellungen ist folgender: Wir wollen eine Dynamik; wir wollen einen schrittweisen Prozeß weg von der steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit hin zur steuerlichen Belastung des Faktors Ressourcen. Das, was Sie mit dem dritten Mehrwertsteuersatz auf Energie vorgeschlagen haben, wäre nichts anderes als ein Strohfeuer und hätte überhaupt keinen Effekt über die Zeitachse. Vierter und letzter Punkt. Ein solcher Vorschlag wäre auch sozial völlig unausgewogen. Die höheren Energiepreise würden ausschließlich von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gezahlt; denn die Wirtschaft - das wissen Sie genau - könnte das im Rahmen des Vorsteuerabzugs von der Umsatzsteuer wieder abziehen. Daß Sie von der F.D.P. keine Probleme damit haben, im wesentlichen die kleinen Leute über den Löffel zu balbieren, ist mir ebenfalls klar. ({7}) Wir wollen das nicht. ({8}) Diese vier Punkte haben vielleicht klargemacht, daß der dritte Mehrwertsteuersatz nicht die Alternative sein kann. Vielmehr geht es darum, eine Linie zu verfolgen, wie wir sie mit dem ersten Schritt vorzugeben versuchen. Sie haben eine Aktuelle Stunde zur ökologischen Steuerreform beantragt. ({9}) Aber Ihre Vorstellungen sind weder aktuell, noch sind sie es wert, daß man darüber eine ganze Stunde redet. Das ist doch das Problem. ({10}) Ich will die mir verbleibende Minute dazu nutzen, ein paar Zahlen zurechtzurücken. Es ist hier heute schon zweimal die geschätzte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zitiert worden; das ist auch ein gutes Blatt, keine Frage. Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Artikel mit der Überschrift: „Öl ist jetzt in Wirklichkeit zu billig“. Darin werden quasi die Fakten klargerückt. Heute kostet das Faß Öl nur noch 10 Dollar. Anfang der achtziger Jahre kostete es 36 Dollar, bei einem wesentlich höheren Dollarkurs. Das heißt, ein Liter Mineralöl kostet 13 Pfennig. Dabei haben wir eine ganz klare Tendenz nach unten; die Preise sind im freien Fall. Das führt natürlich im Ergebnis dazu, daß überhaupt keine Anreize zu Einsparungen gegeben werden. Wir haben im Strombereich eine ähnliche Tendenz das wollen wir auch -: Durch mehr Wettbewerb fallen die Preise. Das heißt aber, es entstehen keine Anreize. Wenn wir es durch eine ökologische Steuerreform nicht schaffen, diese Kosten wieder zu erhöhen, werden sich im Ergebnis Investitionen in Energiesparhäuser, in effiziente Maschinen, in Solartechnologie als Fehlinvestitionen erweisen. Das wollen wir nicht. ({11}) Meine Redezeit ist um, meine Damen und Herren. Ich glaube, es ist klargeworden, daß Ihnen auf der rechten Seite heute nicht an einer Debatte über die vernünftige Gestaltung der ökologischen Steuerreform gelegen ist. Vielmehr wollten Sie wieder einmal die Gelegenheit zu einem Rundumschlag nutzen. Der ist Ihnen mißlungen. Danke schön. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat Frau Professor Gisela Frick von der F.D.P.-Fraktion das Wort. ({0})

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, gerade an dieser Stelle ist es notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, was eigentlich heute auf der Tagesordnung des Plenums steht. ({0}) Wir haben eine Aktuelle Stunde beantragt, und der Anlaß für die Aktuelle Stunde - das hat der Kollege Thiele zur Begründung schon bei der Einleitung gesagt - waren die Äußerungen von Mitgliedern der Regierungskoalition insbesondere am Wochenende, wobei eine Erhöhung der Mineralölsteuer, eine Flugbenzinbesteuerung und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgeschlagen wurde. Das waren auch nicht irgendwelche Hinterbänkler der Koalitionsfraktionen, sondern es waren doch recht prominente Mitglieder. Insofern ist es, glaube ich, mehr als berechtigt, daß wir die Regierung nun fragen, wie sie eigentlich dazu steht. ({1}) Das ist das Thema dieser heutigen Stunde. ({2}) Und dazu hat die Staatssekretärin nicht abschließend und befriedigend Stellung genommen. ({3}) Im Wahlkampf ist insbesondere die SPD, sind aber auch die Grünen als Alternative angeboten worden, nach dem Motto: „Wir sind bereit.“ Der Kollege Seiffert hat das eben schon erwähnt. Interessanterweise wurde nicht gesagt, wozu Sie bereit sind. ({4}) Das war insofern ganz gut, als Sie dadurch keine falschen Versprechungen gemacht haben. Nach der Wahl müssen wir natürlich fragen: Wozu waren Sie denn bereit? Insbesondere war Herr Schröder bereit, Kanzler zu werden, und dann hörte seine Bereitschaft schon auf. ({5}) Dazu paßt natürlich auch die nette Anekdote: „Ich will da rein!“ Das war sein Ziel, und er ist auch hereingekommen. Nun ist er hochzufrieden. Aber man hört und sieht von ihm nichts mehr in der ganzen Diskussion. Das ist das Erstaunliche. Herr Schröder hat einmal gesagt: Wenn ich Kanzler bin, dann werde ich die Richtlinienkompetenz wahrnehmen, die mir nach der Verfassung zusteht. - In diesem Zusammenhang aber hören wir nichts von ihm. Er taucht ab. Er geht allenfalls mit Clement essen, wie wir gehört haben. Ich nenne das jetzt - ich möchte mich auf die jeweilige Küche nicht festlegen; ob es nun der Italiener war oder ein anderer - die neue Dinner-Connection, egal in welchem Restaurant sie sich trifft. ({6}) - Ich habe überhaupt nichts gegen gutes Essen. Aber ich habe sehr viel übrig für gute Politik. ({7}) Das sind zwei verschiedene Sachen. Deshalb sollte man die Politik nicht vor der Öffentlichkeit geheimhalten und nicht über sie bei solchen geheimen Treffs zum Essen mauscheln; vielmehr sollte man klare Stellung dazu beziehen, was Sache ist. ({8}) Zum Inhaltlichen braucht man gar nicht so viel zu sagen. Dazu ist von den Vorrednern schon sehr viel gesagt worden. Zum ersten Punkt. Die Erhöhung der Mineralölsteuer. - Frau Müller kommt passend „just in time“ herein. ({9}) Die Erhöhung ist ein Punkt, über den wir schon häufig gesprochen haben. Zunächst stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ökologisch ist, wenn es im nationalen Alleingang gemacht wird. - Es ist überhaupt nicht sinnvoll. Wie wirkt es ökonomisch? - Es wird Arbeitsplätze vernichten. Das ist die ganz überwiegende Meinung der Vertreter der betroffenen Wirtschaftszweige und auch der Sachverständigen. Wir haben gesagt: Wir wollen Steuern senken; wir wollen sie transparenter, einfacher und gerechter machen. Allen drei Zielen dient eine Mineralölsteuererhöhung gerade nicht. Steuern werden damit erhöht - möglichst noch höher, als es in der Koalitionsvereinbarung vereinbart wurde -; sie werden noch komplizierter und undurchsichtiger, und sie werden dadurch noch viel ungerechter - darauf haben wir schon öfter hingewiesen -, weil eine Erhöhung der Mineralölsteuer natürlich auch die Leute trifft, die von einer Senkung der Lohnnebenkosten überhaupt nichts haben, nämlich die Rentner, die Sozialhilfeempfänger, unter denen sich bekanntermaßen sehr viele Alleinerziehende und Frauen befinden, sowie Studenten und andere, die keine Sozialabgaben leisten. Sie sind von einer Senkung der Lohnnebenkosten überhaupt nicht betroffen. Das bedeutet, daß die Reform sozial ungerecht ist. Die Entscheidung, ob die von Ihnen geplante Energiesteuer überhaupt verfassungsgemäß ist, steht durch die Ausnahme der energieintensiven Betriebe zwischen denen die Grenze sehr willkürlich festgelegt wird, seit längerem in Frage. Verfassungsrechtlich sind wir mehr als skeptisch. Bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer gilt das gleiche. Hier verschanzt man sich hinter irgendwelchen Europaargumenten. Es ist doch allgemein bekannt, daß das nicht zieht: In Europa gibt es einen Korridor zwischen 15 und 25 Prozent. Es liegt in der Kompetenz jedes Nationalstaates, für sein Gebiet die Mehrwertsteuer im Rahmen dieses Korridors entsprechend festzusetzen. Das ist bei uns mit 16 Prozent geschehen. Natürlich befinden wir uns damit noch weit unter der höchstmög658 lichen Marke von 25 Prozent. Aber das ist letztendlich nicht das Europaargument. Ich muß zum Schluß kommen. Ich möchte Ihnen noch eines sagen ({10}) - ich finde es auch bedauerlich; ich hätte noch viel zu sagen -: Wir von der F.D.P. haben Ihr „Wir sind bereit“ etwas ironisch aufgenommen und zum Motto für unsere Oppositionsrolle gemacht. Wir sind für die Oppositionsrolle bereit. Wir bitten Sie an diesem Tag ganz herzlich: Lassen Sie uns bitte die Oppositionsrolle, und übernehmen Sie sie nicht selber; ({11}) denn wir möchten Opposition machen. Im Moment stellen wir fest, daß Sie sich offensichtlich von der Oppositionsrolle noch nicht so weit entfernt haben. Sie machen Opposition in den eigenen Reihen. Ich kann nicht sagen, daß Sie sie gut machen. Jedenfalls möchten wir sie alleine machen. Deshalb lassen Sie uns bitte auch unsere Rolle. Danke schön. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Lothar Binding von der SPD-Fraktion das Wort.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Sie werden verzeihen, daß ich mein Wirklichkeitsbild nicht an dem orientiere, was ich allmorgendlich in der Zeitung lese. ({0}) Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich das Thema der Aktuellen Stunde einmal etwas näher betrachte; denn hier geht es gar nicht um die seriöse Hinterfragung eines Steuerkonzeptes, vielmehr geht es um die Kombination bestimmter Begriffe wie „angekündigte Erhöhungen“, um so die Begriffe „Zukunft“ und „Unsicherheit“ mit dem Begriff der Erhöhung zu verknüpfen. Es geht dreimal um den Begriff der Steuern, herausgelöst natürlich um ein Gesamtkonzept, und es geht darum, den Begriff „angekündigte Erhöhung“ mit dem Begriff „Mehrwertsteuer“ zu verknüpfen. In der Mathematik ist dies ein beliebter Trick, denn man kann über die Elemente der leeren Menge beliebig lange nichts Falsches sagen. Insofern ist das ein sehr geschickt gewählter Tagesordnungspunkt. ({1}) Das Ziel dieses Tagesordnungspunktes ist offensichtlich, eine ganzheitliche Betrachtung unserer Politik zu verhindern und davon abzulenken, daß wir uns mit der Dualität von Angebots- und Nachfragepolitik und der Schaffung von Arbeitsplätzen auf innovativen Feldern für die zukünftige Steuerpolitik einen sehr seriösen politischen Hintergrund geschaffen haben, von den ökologischen Effekten ganz zu schweigen. ({2}) Ich denke, daß man zu dieser Erkenntnis schnell kommen kann, wenn man statt des allmorgendlichen Blicks in die Zeitungen auf die Zahlen und Fakten zurückgeht. ({3}) Es läßt sich sicher schnell zeigen, daß seit Ihrem Amtsantritt vor 16 Jahren die Steuer- und Abgabenpolitik für eine Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genutzt wurde. Das halte ich für ein absolutes Drama, denn obwohl die Steuereinnahmen in den letzten Jahren insgesamt sehr stark zurückgegangen sind und die Steuerquote mit 21,8 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht hat, stieg die Steuer- und Abgabenbelastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 39 Prozent im Jahre 1982 auf 45,5 Prozent heute. ({4}) Bekanntlich hat aber weder das eine noch das andere zu einer Entschuldung des Staates geführt. Ich hatte im Wahlkampf immer dramatische Probleme, den Menschen zu erklären, wieviel eigentlich 1,4 Billionen darstellen - eine Zahl, die wir uns kaum vorstellen können. Eine Zins-Steuer-Belastung von 25 Prozent war dann schon leichter zu erklären. Diese Entwicklung wurde aber durch Ihre unzähligen Steuererhöhungen nicht einmal gestoppt. Die Umsatzsteuersätze wurden 1983 erhöht, später die Kfz-Steuer, die Versicherungsteuer und die Mineralölsteuer um 50 Pfennig - dagegen nehmen sich unsere Überlegungen geradezu lächerlich aus -, ({5}) dann gab es die Einführung einer Zinsabschlagsteuer, eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer usw. ({6}) - In diesem Sinne ist der Zusammenhang leicht herzustellen. Ich war davon ausgegangen, daß Sie Ihre Steuerkonzeption in ein Gesamtkonzept eingebettet haben, aber das Ergebnis Ihrer Politik zeigt, daß das mißlungen ist. ({7}) Deshalb ist es besser, sich die Ergebnisse einer vergangenen Politik anzusehen, als über die Zukunft mit Ankündigungsfloskeln Befürchtungen zu verstreuen. Der Tagesordnungspunkt - das sage ich als Neuling leuchtet mir auch deshalb besonders leicht ein, weil ich beobachtet habe, wie im Finanzausschuß gearbeitet wird. Ich habe dort gesehen, daß man mit Geschäftsordnungsdebatten, mit Tricks, die jenseits jeglicher sachlichen Überlegungen liegen, den Versuch macht, am Wohl der Bürgerinnen und Bürger vorbeizuarbeiten, und noch nicht einmal den Versuch macht, selbst einen konstruktiven Vorschlag einzubringen. ({8}) Ich halte das für eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich als Neuling in einem Ausschuß machen mußte. Herr Thiele, ich kann es Ihnen nicht ersparen, zu sagen, daß Sie mir dort ein sehr, sehr bedenkliches Beispiel geliefert haben. ({9}) Ich möchte an Sie appellieren, zu einer zielführenden Arbeit zurückzufinden und im Wettstreit über verschiedene Ideen bezüglich unserer Gesellschaft zu arbeiten. Ich denke, daß Sie uns dabei als konstruktiven Bündnispartner finden werden. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war die erste Rede des Kollegen Lothar Binding in diesem Hause. Ich beglückwünsche Sie. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Peter Rauen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, sehr geehrte Frau Kollegin Hendricks, Sie haben sich heute hier hingestellt und behauptet, daß die kleinen und mittleren Unternehmen mit der Steuerreform entlastet würden. Dies ist in Wahrheit das Gegenteil dessen, was im Gesetzentwurf steht. ({0}) Wenn Sie mir das nicht glauben, lesen Sie zumindest nach, was Herr Clement in seinem Brief dazu geschrieben hat. Ich habe noch Kanzler Schröder im Ohr, der mit seiner Regierungserklärung erreichen wollte, daß die Menschen in Deutschland bei dem Wort „Reformen“ nicht mehr erschrecken und zusammenzucken. Er hat nach einem Monat sein Ziel erreicht: Die Notare in Deutschland müssen bis Sylvester Nachtschichten einlegen, und die Leute bekommen kaum mehr Termine, weil alle noch retten wollen, was zu retten ist. Die Banken in Luxemburg können in diesen Tagen den Ansturm deutscher Sparer, die ihnen ihr Geld in Milliardenhöhe anvertrauen, nur mit Mühe bewältigen. Die vorgelegten Entwürfe zu Steuer- und Sozialreformen sind ein einziges Verwirrspiel. Eine wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Linie ist nicht erkennbar. Die sogenannte ökologische Steuerreform erweist sich immer mehr als eine Lachnummer. ({1}) Alles zusammengenommen ist sie für die Leistungsträger in unserer Gesellschaft, für Facharbeiter, Angestellte und Unternehmer eine einzige Steuererhöhungsorgie. ({2}) Aus dem Regierungslager wird von einigen bei der Wirtschaft der Eindruck erweckt, als sei ein einheitlicher Steuersatz von höchstens 35 Prozent auf Unternehmenseinkünfte bereits Gegenstand des vorgelegten Gesetzentwurfes und der aktuellen Beratung. Dies ist aber überhaupt nicht der Fall. Da dies aber gemäß Ihrer Versprechungen noch aussteht und einige von Ihnen wissen, daß dies mit Ihrer Philosophie zu den Reformen nicht zu finanzieren ist, schlagen Sie konsequenterweise weitere Erhöhungen bei der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer vor. Eure Reformen haben im Denkansatz einen entscheidenden Fehler: ({3}) Ihr wollt nicht beim Staat sparen, ihr wollt nicht bei den sozialen Sicherungssystemen sparen, ihr wollt die Staatsquote nicht senken; im Gegenteil: Ihr werdet die Staatsquote erhöhen und damit Wachstum und Beschäftigung abwürgen. ({4}) Der von Herrn Clement geschriebene Brief - Herr Clement sieht dies ja offenbar ähnlich -, kann mich dabei überhaupt nicht beruhigen. Herr Clement wird sich mit seinen steuerpolitischen Vorschlägen genauso wenig durchsetzen, wie Stollmann Wirtschaftsminister geworden ist. Ihr werft der alten Regierung vor, Finanzlöcher hinterlassen zu haben, ohne es beweisen zu können. Ihr seid es doch, die ständig neue Finanzlöcher aufreißen, um Wahlversprechen einlösen zu können: ({5}) 4,2 Milliarden DM durch die Zurücknahme der Rentenreform, 14,2 Milliarden DM zur Übernahme der Beiträge von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, 4,5 Milliarden DM bei den 620-Mark-Jobs. Das Wort „Verschiebebahnhof“ ist für diese Operationen viel zu milde. Das sind teilweise Taschenspielertricks. Lothar Binding ({6}) Und hören Sie endlich auf, davon zu reden, daß Sie durch die ökologische Steuerreform die Lohnzusatzkosten senken wollen, wie das heute morgen durch die Kollegin Ganseforth und Herrn Loske geschehen ist. Wenn überhaupt, senken Sie damit die Sozialversicherungsbeiträge um 0,8 Prozent. Die dadurch mögliche Senkung der Lohnzusatzkosten verhindern Sie gleichzeitig, indem Sie das Lohnfortzahlungsgesetz zurücknehmen, wodurch wieder ein erhöhter Anspruch auf bezahlte Nicht-Arbeit entsteht. Damit wird die eine Wirkung sofort wieder konterkariert. Wer mit der Sprache und den Begriffen so fahrlässig umgeht wie Sie, will entweder die Leute täuschen, oder er weiß nicht, wie sich die Lohnzusatzkosten zusammensetzen. ({7}) - Herr Poß, Sie wissen es mit Sicherheit nicht. Das beweisen Ihre Zwischenrufe. ({8}) Ihre ökologische Steuerreform ist ein Geldbeschaffungsprogramm und sonst nichts. ({9}) Ich habe 32 Jahre meines Lebens für zirka 100 Mitarbeiter geradegestanden und versucht, für diese Arbeit zu finden. Ich hoffe, dies auch in Zukunft noch tun zu können. Wenn Sie aber mit Ihren Reformen nicht stramm umkehren, werden Sie eines mit Sicherheit nicht erreichen, nämlich mehr Beschäftigung für Deutsche in Deutschland. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von der SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anders als im Steuerreformgesetz der von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes abgewählten Regierung gibt es im rotgrünen Steuerentlastungsgesetz keine Fußnoten, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ankündigen. ({0}) Und anders als bei den unseriösen Steuerreformplänen der alten Regierung ({1}) - der zu Recht abgewählten Regierung ({2}) erwächst aus dem Steuerentlastungsgesetz der rotgrünen Koalition auch keinerlei Notwendigkeit zur Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Steuerreformpläne der alten Regierung waren eine Mogelpackung. 45 Milliarden DM Steuermindereinnahmen im Jahr waren da vorgesehen, und da gab es eine Fußnote, in der ganz verschämt mitgeteilt wurde, daß diese Lücke durch die Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern etwas vermindert werden solle. ({3}) Gemeint war die Mehrwertsteuer. Dann hat die gute Frau Nolte dieses in einem Anflug von Wahrhaftigkeit ausgesprochen, und da sind alle über sie hergefallen. Selbst der damalige Bundeskanzler, der sie sonst immer mit viel Sympathie begleitet hat, wollte diese Wahrhaftigkeit nicht mehr akzeptieren. Herr Rauen, Sie haben vorhin vom Sparen gesprochen. ({4}) Gestern haben Sie im Ausschuß einen bemerkenswerten Satz gesagt. Sie haben nämlich gesagt: Sparsamer Umgang mit der Wahrheit ist noch keine Lüge. - Das ist die Sparsamkeit, auf die Sie sich verstehen! ({5}) Ich nehme an, Herr Kollege Thiele, der Kollege Rauen hat auch an Sie gedacht, als er sagte, sparsamer Umgang mit der Wahrheit sei noch keine Lüge. ({6}) Denn das, was Sie uns heute erzählt haben, hat wenig mit dem tatsächlichen Verhalten der F.D.P. in den zurückliegenden 16 Jahren zu tun gehabt. ({7}) 16 Jahre lang ist die F.D.P. unter der Maske der Steuersenkungspartei durch das Land gegangen. ({8}) In dieser Zeit hat sie ein volles Dutzend Steuererhöhungen mitbeschlossen. Sie haben gesagt, Sie seien eine Steuersenkungspartei, aber in Wirklichkeit haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schamlos in die Tasche gegriffen. ({9}) Ich gebe allerdings zu, Herr Kollege Thiele: Sie hatten eine kleine Klientel. Für die haben Sie gesorgt. Da gab es auch schon einmal eine Entlastung. ({10}) Aber die Masse der Bürgerinnen und Bürger hat das nachher nicht mehr schön gefunden. Deswegen ist diese Koalition auch abgewählt worden. ({11}) Die Kluft zwischen Reden und Handeln war bei Ihnen einfach zu groß. Die SPD tut, was sie vor der Wahl gesagt hat. ({12}) Sie hält Wort. Wir haben vor der Bundestagswahl versprochen, daß die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung schon zu Beginn des Jahres 1999 den Einstieg in die Steuerreform vornehmen wird und daß sie insbesondere die Familien schon 1999 spürbar entlasten wird. ({13}) - Das ist kein Märchen! Rund 1 200 DM wird eine durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern im kommenden Jahr mehr in der Tasche haben, also 100 DM mehr im Monat. ({14}) - Sie können ja sagen, das sei nicht viel, weil Sie nicht mehr wissen, was es für eine durchschnittliche Familie bedeutet, 100 DM mehr oder 100 DM weniger im Monat zur Verfügung zu haben. ({15}) Wir werden in den folgenden Stufen auch nahezu alle anderen Bürger dieses Landes steuerlich entlasten. Allerdings sagen wir auch: Dabei konzentrieren wir uns auf die mittleren und unteren Einkommen, und es wird auch ein paar Leute in Deutschland geben, die künftig mehr Steuern zahlen müssen als bisher, nämlich diejenigen, die alle Schlupflöcher haben ausnutzen können, die Sie geschaffen haben. Zur Mehrwertsteuer sage ich nur ganz kurz: Eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, die tatsächlich kommt, auch wenn sie sich in einem bescheidenen oder überschaubaren Rahmen hält, ist mehr wert als noch so schöne Versprechungen von Ihrer Seite, die Sie nicht einhalten konnten. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Hansjürgen Doss von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erlauben Sie mir, meine lieben Kollegen von der rotgrünen Koalition, daß ich einmal Ihre Vorstellungskraft bemühe. Schauen wir einmal, inwieweit Sie in die realistische Welt der Mittelständler eintauchen können. Schauen wir einmal, ob Sie in der Lage sind, zu begreifen, was 3,4 Millionen Selbständige angesichts des Steuerwirrwarrs, das ihnen im Augenblick geboten wird, empfinden. Ihnen stellt sich die Frage, ob sie investieren sollen und wie sie ihre Zukunft gestalten sollen. ({0}) Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein mittelständischer Unternehmer, müßten investieren, Arbeitsplätze schaffen und Ihr Tun verantworten. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein Bäckermeister und wollten investieren. Sie werden feststellen, eine Ermäßigung auf die Energiesteuererhöhung gibt es erst ab einer willkürlich gezogenen Grenze von 50 000 Kilowattstunden pro Jahr. Der Bäckermeister liegt im Zweifel darunter, zahlt also die volle Steuererhöhung. Die Brotfabrik liegt im Zweifel über dieser Grenze. Sie zahlt nur den ermäßigten Satz der Steuererhöhungen. Was macht der Bäckermeister? - Er behält seinen alten Ofen und heizt seine Backstube zusätzlich, damit er über die 50 000 Kilowattstunden kommt. ({1}) Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären ein mittelständischer Spediteur. Der Fahrer bekommt 56 000 DM Bruttolohn; den Beitrag zur Rentenversicherung will Rotgrün um 0,8 Prozentpunkte senken, davon entfallen 0,4 Prozentpunkte Einsparungen auf den Arbeitgeber, also 224 DM im Jahr. Bei 100 000 Kilometern Fahrleistung des LKWs erhöht sich die Mineralölsteuerbelastung um 2 100 DM. Die Steuererhöhungen liegen also um den Wert zehn höher als die Einsparungen beim Rentenbeitrag. Ich frage Sie: Würden Sie unter diesen Umständen investieren und dafür haften, wie dies ein Bäckermeister oder Spediteur machen müßte? Die rotgrüne Steuerpolitik ist zweifelsfrei chaotisch. Das dürfte unstrittig sein. Klar ist, daß der Mittelstand höhere Steuern zahlen muß. ({2}) Dabei kennen wir nur die erste Stufe, meine Damen, meine Herren. Zwei weitere sollen folgen. Was die bringen, weiß kein Mensch. Zirka 30 Prozent der Unternehmer in Bayern haben laut IHK deswegen ihre Investitionen zurückgestellt. Es ist doch ganz klar, daß derjenige, der investiert und Verantwortung trägt, wissen muß, auf was er sich einläßt. Bei Ihnen weiß er das nicht. Stellen Sie sich vor, Sie wären im Gemeinderat. Städte, Gemeinden und Kreise betreiben Schulen, Schwimmbäder, Fuhrparks usw. Die Energiekosten werden dort durch die rotgrüne Ökosteuer um 10 Prozent steigen. Von den Entlastungen profitieren sie demgegenüber außer von einem geringfügigen Anstieg des Anteils der Länder an der Mehrwertsteuer nicht. Unterm Strich vermindert das die Investitionskraft der Kommunen. Das heißt: weniger Aufträge, weniger Arbeit, weniger Arbeitsplätze. Ihre Ökosteuerpläne führen in die Irre. Sie führen zu Inflation, weil die höheren Kosten, wo es geht, an die Verbraucher weitergegeben werden. Sie vermindern die Kaufkraft der privaten Haushalte, die heute schon mehr als 1 000 DM pro Kopf und Jahr für Energieabgaben zahlen. Sie verkomplizieren das Steuerrecht noch mehr; schon Helmut Schmidt konnte seine Stromrechnung nicht mehr lesen, wie Sie sich vielleicht erinnern. Dem nächst brauchen alle Handwerksmeister einen DiplomEnergiesteuervermeidungsingenieur oder zumindest einen Diplom-Energiesteuersonderberater, weil sie selbst gar nicht mehr durchschauen. ({3}) Das rotgrüne Energiesteuerprogramm - „Konzept“ wäre zuviel gesagt - ist schizophren, da es den hohen Verbrauch begünstigt. Ihre Pläne sind ungerecht: Sie schonen die Industrie und belasten den Mittelstand. Die Grenzwerte in Ihren Plänen - Steuerbefreiung ab 6,4 Prozent Energiekostenanteil - sind willkürlich gesetzt; sie laden zu Manipulationen und Umgehungsstrategien ein. Neben der Energiesteuer hat Bundeskanzler Schröder als Weihnachtsmann für den Mittelstand, seine Neue Mitte, einen ganzen Sack voller Präsente: neue Stromsteuern, höhere Steuern auf Benzin, höhere Steuern auf Heizöl, höhere Steuern auf Gas, höhere Mehrwertsteuer ja oder nein - wir befürchten ja -, Verlustrücktrag ab 2001 gestrichen, Ansparabschreibung gestrichen, Teilwertabschreibung gestrichen, Rentenreform zurückgenommen, Gesundheitsreform zurückgenommen, Arbeitsmarktreformen zurückgenommen. ({4}) Jeder Schritt für sich genommen ist schlimm. In der Summe ist es für den Mittelstand ruinös. Die Quintessenz, meine Damen, meine Herren: Sie sollten das, was Sie uns hier vorgelegt haben, zurückziehen. Es geht hier nicht allein um Parteipolitik, sondern es geht um die Existenz von 3,4 Millionen Selbständigen in Deutschland. Was Sie hier betreiben, ist unverantwortlich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat das Wort der Kollege Detlev von Larcher, SPD-Fraktion.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ehrlich gesagt, es hätte mich gewundert, wenn wir diese Aktuelle Stunde in dieser Woche nicht bekommen hätten. ({0}) Wahrscheinlich hätten wir das auch so gemacht. Dennoch ist das, was Sie hier vorführen, nur Theaterdonner. ({1}) Da empfiehlt uns Herr Hauser, wir sollten in ein Trainingslager gehen. Wissen Sie, Herr Hauser, die Wählerinnen und Wähler haben Sie gerade in ein Trainingslager geschickt, weil Sie die Regierungskunst, von der bei Ihnen ohnehin nur ein bißchen vorhanden war, total verloren haben. Seien Sie also vorsichtig mit Ihren Empfehlungen! ({2}) Frau Frick spricht uns auf unseren Wahlslogan „Wir sind bereit“ an. Der hat Ihnen doch so gut gefallen, daß er mich jetzt von F.D.P.-Plakaten anlacht. Ich bleibe also dabei: Das Ganze ist nur Theaterdonner. ({3}) Wir senken, wie im Wahlkampf versprochen, die Steuern vor allem für Normalverdiener und für die unteren Einkommensgruppen, ({4}) und zwar ohne Mehrwertsteuererhöhung; das werden Sie sehen. Wir senken, wie vorher im Wahlkampf versprochen, die Sozialversicherungsbeiträge. ({5}) Daß wir das tun, ärgert Sie. ({6}) Wir senken, wie versprochen, die Körperschaftsteuer. Darüber hinaus werden wir hier eine rechtsformunabhängige Unternehmensteuer von 35 Prozent beschließen. Das wird Sie genauso ärgern. ({7}) Ich höre von Ihnen immer das Wort Steuererhöhungen. Wissen Sie, wenn die Steuererhöher par excellence über Steuererhöhungen reden, dann kriegt das schon lächerliche Züge. Ich will jetzt einmal - meine Kollegen haben schon darauf verwiesen - auf die Zeit vor der deutschen Einheit zurückkommen, weil Sie immer darauf aufmerksam machen, daß wir die deutsche Einheit hatten. 1983 haben Sie die Umsatzsteuer von 13 auf 14 Prozent erhöht. Das hat der Staatskasse 8 Milliarden DM gebracht. Sie haben 1989 die Kraftfahrzeugsteuer für Diesel-PKW um 8,40 DM pro 100 Kubikzentimeter erhöht. Das hat den öffentlichen Kassen eine halbe Milliarde DM gebracht. Sie haben 1989 die Versicherungsteuer von 5 auf 7 Prozent erhöht. Das brachte 1,2 Milliarden DM mehr. Sie haben 1989 die Steuer für bleifreies Benzin um 9 Pfennig auf 57 Pfennig je Liter erhöht. Das hat eine Milliarde DM gebracht. Sie haben diese Steuer ab 1. Januar 1991 um weitere 3 Pfennig je Liter auf 60 Pfennig erhöht. Das waren 0,7 Milliarden DM. Die Steuererhöhung für verbleites Benzin im Jahre 1989 brachte 2,3 Milliarden DM und die im Jahre 1991 0,2 Milliarden DM. ({8}) Sie haben 1989 die Steuern für leichtes und schweres Heizöl erhöht. Das brachte 1,6 Milliarden DM. Die Steuererhöhung für Erdgas und Flüssiggas brachte ebenfalls Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Milliarden DM. Sie haben ab 1. Mai 1989 die Tabaksteuer um durchHansjürgen Doss schnittlich sechs vom Hundert erhöht. Dies brachte 0,5 Milliarden DM. Soll ich jetzt fortfahren und Ihnen die weiteren 14 Steuererhöhungen vorlesen, die Sie in Ihrer Regierungszeit nach 1990 vorgenommen haben? ({9}) Sie sollten sich wirklich schämen, uns Steuererhöhungen vorzuwerfen. ({10}) Sie haben die Steuern drastisch erhöht. ({11}) Es ist schon gesagt worden: Sie haben dafür gesorgt, daß der Durchschnittsverdiener und die Leistungsträger dieser Gesellschaft an der Obergrenze der Steuer- und Abgabenbelastung angekommen sind. Das ist Ihr Werk. Wir werden das ändern. ({12}) Darüber ärgern Sie sich, Herr Hauser und Herr Thiele. Im übrigen habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, ob man nicht einmal eine Aktuelle Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zur Wahrhaftigkeitsliebe des Herrn Thiele“ durchführen sollte. ({13}) Wenn man ihn im Radio und im Fernsehen reden hört, dann weiß man: Auch wenn er im persönlichen Umgang nett ist, so dienen seine Auslassungen im Rahmen öffentlicher Auftritte doch der Verbreitung von Unwahrhaftigkeiten und der Verwirrung. Das ist Ihre Strategie und Taktik auch im Finanzausschuß und im Parlament. Sie versuchen, mit formalen Tricks Sand ins Getriebe zu streuen; Sie betreiben eine Obstruktionspolitik, ({14}) weil Sie unser ehrgeiziges Ziel, schon zum 1. Januar den ersten Schritt der Steuerentlastung zu erreichen, nicht unterstützen, sondern zerstören wollen. ({15}) Wir werden die Steuerreform trotzdem durchführen, Herr Thiele, Herr Hauser und meine lieben Kollegen aus dem Finanzausschuß, auch wenn Sie sich auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes - Drucksache 14/41 ({0}) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 14/122 - Berichterstattung: Abgeordnete Peter Enders Cem Özdemir Dr. Max Stadler Petra Pau b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/123 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Werner Hoyer Gunter Weißgerber Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Oswald Metzger Dr. Christa Luft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Enders von der SPD-Fraktion.

Peter Enders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002647, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gegenstand der heutigen Erörterung ist eine Änderung des § 18 Abs. 2 des Parteiengesetzes, wodurch sich die Zuschüsse des Bundes von 230 auf 245 Millionen DM pro Jahr erhöhen sollen. Ausgangspunkt unserer Überlegung ist, daß unsere repräsentative Demokratie nicht ohne die Tätigkeit von Parteien funktionieren kann. Dies ist im Grundgesetz entsprechend verankert. In Art. 21 heißt es: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ich behaupte, daß zum Nachweis des Funktionierens einer Demokratie ein Regierungswechsel gehört, der auf das Votum der Wählerinnen und Wähler zurückzuführen ist. Insoweit haben wir im Jahre 1998 auf Bundesebene erlebt, daß die Demokratie bei uns in Deutschland hervorragend funktioniert. Dieser Wechsel wäre ohne die Mitwirkung von solide finanzierten Parteien undenkbar gewesen. Die eigenen Einnahmen der Parteien haben noch nie ausgereicht. Die Parteienfinanzierung hat also eine lange Geschichte, zu der eine Fülle von Urteilen und mehrfache Gesetzesänderungen gehören. Der vorliegende Gesetzentwurf wird gemeinsam von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. eingebracht. Dies zeigt, daß zwischen konkurrierenden demokratischen Parteien das derzeitige Finanzierungsprinzip unbestritten ist. Es geht also um Beträge, die von den Parteien selbst nicht vollständig aufgebracht werden können. Neben den eigentlichen Einnahmen in Form von Beiträgen und Spenden muß es die Teilfinanzierung durch den Staat geben. Die staatlichen Mittel werden in Abhängigkeit von eingenommenen Beiträgen, Spenden und erzielten Wählerstimmen gewährt. Dadurch ist sichergestellt, daß Parteien mit guten Wahlergebnissen - und damit mit einer guten Verwurzelung in der Bevölkerung - bessergestellt werden als diejenigen, die losgelöst von den Vorstellungen der Bevölkerung agieren. Aus dieser Forderung folgt selbstverständlich auch, daß es Untergrenzen gibt, damit nicht jeder Versuch einer Miniparteiengründung bezuschußt werden muß. Mit der jetzigen Regelung sind frühere Mängel in der Parteienfinanzierung einigermaßen beseitigt. Eine ausschließliche Finanzierung aus Spenden - ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen Beträge von über 100 000 DM im Rahmen von Sonderausgaben absetzbar waren - oder eine ausschließliche Wahlkampfkostenerstattung früherer Tage berücksichtigt nicht die Tatsache, daß Parteien auch in der Zeit zwischen den Wahlen wichtige Aufgaben zu erfüllen haben. Bei der heute anstehenden Erhöhung der staatlichen Unterstützung von Parteien entscheiden wir letztlich in eigener Sache. Da bei solchen Themen häufig das korrigierende Element gegenläufiger politischer Interessen fehlt, erwartet die Öffentlichkeit gerade hier mit Recht eine korrekte Begründung. Um nicht in den Ruch der Selbstbedienung zu kommen, ist es sinnvoll, sich objektiven Sachverstandes zu bedienen. Die bereits erwähnte unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten hat 1993 die absolute Obergrenze bei 230 Millionen DM gezogen, die dann auch mit der Möglichkeit der jährlichen preisbedingten Anpassung ins Parteiengesetz übernommen wurde. Damit ist eine Ausweitung ins Uferlose unterbunden. Das ist auch gut so; denn ein Verstoß dagegen führte zu einem schlimmen Prestigeverlust, der dem Auftrag des Grundgesetzes völlig zuwiderliefe. Die absolute Obergrenze bedeutet, daß die im Gesetz stehenden maximalen Bezuschussungsmöglichkeiten für Beiträge, Spenden und Wählerstimmen noch niemals voll ausgenutzt werden konnten. Dort ist bekanntlich ein Zuschuß von maximal 0,50 DM je 1 DM an Beiträgen und Spenden sowie von 1 DM pro Wählerstimme genannt, wobei die ersten 5 Millionen Wählerstimmen mit 1,30 DM bezuschußt werden können. Da die Addition der so ermittelten Beträge aller Parteien über die absolute Obergrenze hinausgeht, kürzt man mittels einer schlichten Dreisatzrechnung die Beträge so, daß man mit der absoluten Obergrenze auskommt. Entscheidend für diese Obergrenze war, daß die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Parteien gesichert ist. Wie sehr einem Auswuchern der Kosten Einhalt geboten worden ist, zeigt sich auch darin, daß das Bundesverfassungsgericht die Tätigkeitsfelder von Parteien analysiert hat und dabei besonders deren Kernaufgaben hervorhebt. Dazu gehören vor allen Dingen die Aufrechterhaltung der innerparteilichen Strukturen, die politische Zielformulierung und die entsprechende öffentliche Darstellung. Wie gesagt, Gegenstand der heutigen Aussprache ist die Erhöhung der Teilfinanzierung von 230 auf 245 Millionen DM. Dieser Betrag ist nicht aus der Luft gegriffen. Die bereits erwähnte Kommission hat vor vier Jahren den Betrag auf 230 Millionen DM festgelegt und dann entsprechend weitergerechnet. Hier muß ich der Kommission ein großes Kompliment machen: Um aus der unsäglichen Diskussion im Zusammenhang mit der Warenkorbmethode herauszukommen, hat sie einen parteienspezifischen Warenkorb ermittelt. Daraus folgt das steht auch in der Drucksache, die heute Beratungsgrundlage ist -, daß maximal sogar eine Erhöhung auf 285 Millionen DM möglich gewesen wäre. Die Öffentlichkeit erwartet mit Recht, daß nicht nur formal dem Grundsatz der Sparsamkeit gehuldigt wird und die von Wirtschaftsprüfern geprüften Rechenschaftsberichte veröffentlicht werden, sondern daß auch alle Möglichkeiten der Kostenbegrenzung ausgeschöpft werden. Die Beschränkung auf 245 Millionen DM statt der möglichen 285 Millionen DM hat damit zu tun, daß trotz der gestiegenen Kommunikationsanforderungen an die Parteigeschäftsstellen Kosteneinsparungen weitestgehend verwirklicht worden sind. Ich weiß, daß in vielen Parteien - auch bei uns - Geschäftsstellen zusammengelegt wurden. Man hat da also schon alles Menschenmögliche getan. Als Betriebswirt schiele ich selbstverständlich auf Kosteneinsparungsmethoden in der Wirtschaft. Nur muß ich sagen, daß im Bereich der Parteien zum Beispiel dem Outsourcing enge Grenzen gesetzt sind. Auch weiß ich, daß Methoden wie Budgetierungen, Ausschreibungen und vieles andere, was auch im öffentlichen Bereich gilt, in den Parteien praktiziert wird. Nur so ist es möglich gewesen, daß wir als Gesetzgeber seit 1994 darauf verzichtet haben, die absolute Obergrenze gemäß den Preissteigerungen anzuheben. Nun hört man in diesem Zusammenhang, daß vermehrt auf ehrenamtliche Mitstreiter zurückgegriffen werden sollte. Dem halte ich entgegen, daß ohne ehrenamtliche Mitarbeiter die Parteien schon heute ganz schlecht dastünden. An dieser Stelle sei es mir gestattet, ein großes Dankeschön an die ehrenamtlichen Mitarbeiter in allen Parteien zu richten. Ich weiß aus den Tagen des Wahlkampfes, daß ein gutes Miteinander von hauptamtlichen Mitarbeitern und Ehrenamtlern die absolute Voraussetzung für politischen Erfolg darstellt. Noch ein Satz zu den Entwicklungen der letzten Jahre: Wir wissen alle, daß die Bürger heute mehr denn je von den Parteibüros Dienstleistungen erwarten. So erwartet man zum Beispiel, daß E-Mail-Botschaften kurzfristig beantwortet werden. Dafür wie auch für das Einrichten von Internetseiten stehen nicht überall ehrenamtliche Mitarbeiter zur Verfügung. Wie ich vorhin ausführte, sind die Rationalisierungsreserven der Parteien weitestgehend ausgeschöpft. Damit wir uns nicht jedes Jahr von neuem über dieses Thema unterhalten müssen, regen wir, die SPD, an, in einer späteren Phase einmal darüber nachzudenken, ob wir möglicherweise eine Indexierung analog zu § 12 Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes vornehmen sollten. ({0}) Da ist dies ja bereits möglich. Im Vorfeld der heutigen Plenardebatte hörte ich, daß der Zeitpunkt der Beratung und Beschlußfassung des vorliegenden Gesetzentwurfes sehr kritisch gesehen wird. Zur Klarstellung sei gesagt, daß in § 19 Abs. 2 des Parteiengesetzes ausgesagt ist, daß der Präsident des Bundestages jährlich zum 1. Dezember die Höhe der staatlichen Mittel festsetzt, wobei die Bundestagswahlergebnisse bis zum 31. Oktober des laufenden Jahres zu berücksichtigen sind. Insoweit ist ein solcher Termin im November oder Dezember durchaus sinnvoll. Ich glaube, ich habe auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar dargelegt, daß die Erhöhung der staatlichen Teilfinanzierung von Parteien sowohl dem Grunde nach als auch in der Höhe und vom Zeitpunkt her gerechtfertigt ist. Schönen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Professor Dr. Rupert Scholz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, über das wir heute sprechen, ist nicht für Populismus und Unsachlichkeit geeignet. Dies ist ein Thema, das Verantwortlichkeit, Sachlichkeit und auch Rücksicht auf eine sensible Öffentlichkeit verlangt und das vor allem auf dem Boden unserer Verfassung zu diskutieren ist. Deshalb will ich mich vor allem mit den verfassungsrechtlichen Aspekten befassen. Wie jedermann weiß, kommt den politischen Parteien im System unserer parteienstaatlichen Demokratie nach Art. 21 des Grundgesetzes eine zentrale Rolle zu. Die moderne Demokratie der pluralistischen Gesellschaft ist ohne die politischen Parteien, deren Beteiligung und Engagement im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß nicht mehr denkbar. Auf ebendieser grundlegenden Verfassungsentscheidung, dieser grundlegenden Einsicht beruht unser System - ein System, das uns die erste stabile Demokratie unserer Geschichte beschert hat. Das heißt, über diesen Grundstatus der politischen Parteien, verfassungsrechtlich festgeschrieben, besteht kein Streit. Die demokratischen Parteien haben diesen Auftrag, dieses Mandat in den letzten Jahrzehnten angenommen und erfüllt. Dies ist der Grundbefund unserer Verfassung, von dem wir auszugehen haben und den das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung, die auch heute bei dem vorliegenden Thema maßgebend ist, immer wieder kritisch begleitet, aber in den konkreten Konturen gesichert und geschärft hat. All dies ist immer wieder in die Parteiengesetzgebung eingeflossen, ist von diesem Hohen Hause immer wieder verfassungspolitisch und damit auch verfassungsrechtlich relevant umgesetzt worden, selbst wenn - das darf man an dieser Stelle auch anmerken - jene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch manche Volte geschlagen hat, und zwar gerade in den Fragen der Parteienfinanzierung, die es dem Hohen Hause mitunter schwermachte, das in der gesetzgeberischen Umsetzung der Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn Änderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt die Öffentlichkeit nicht wahr; aber Änderungen der Gesetzgebung gerade bei einem Thema dieser Art werden kritisch und häufig auch unsachlich kommentiert. All dies ist ein entscheidender Aspekt auch im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung, mit der wir uns heute hier zu befassen haben. Hier ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder richtunggebend gewesen, obwohl sie jene von mir soeben etwas salopp als Volte bezeichneten Ausschläge immer wieder mit sich gebracht hat. Dennoch kann man heute davon ausgehen - ich glaube, mit Recht -: Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich inzwischen durch seine grundlegende Entscheidung vom 9. April 1992 auf eine feste und in sich stringente Linie eingependelt. Diese Entscheidung ist es, die uns heute hier den Weg weist. Die Grundprinzipien, die mit dieser Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben sind, sind: Erstens. Die politischen Parteien sind in der Tat keine Staats- oder Verfassungsorgane, die als solche etwa Anspruch auf komplette Staatsfinanzierung besäßen. Nein, die Parteien sind freie gesellschaftliche Vereinigungen, die sich grundsätzlich selbst zu finanzieren haben, die weder als Staatsorgan vom Staat vereinnahmt werden dürfen noch sich ihrerseits umgekehrt in gleichsam osmotischer Verflechtung mit dem Staat und seinen Finanzen komplett aus der Staatskasse finanzieren dürfen. Zweitens. Die Parteien nehmen als wesentliche Träger der politischen Meinungs- und Willensbildung an der Organisation und Kreation unseres demokratischen Gemeinwesens maßgebend teil. Sie übernehmen in diesem Zusammenhang in entscheidender Weise öffentliche Aufgaben und korrespondierend dazu öffentliche Verantwortung - Finanzierungsverantwortung eingeschlossen -, auch von seiten der öffentlichen Hand. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht bekanntlich zunächst für die Wahlkampfkostenerstattung bestätigt worden. In der Entscheidung vom April 1992 hat das Gericht dann in Weiterentwicklung dessen gesagt - ich zitiere dies -: Der Staat ist verfassungsrechtlich nicht gehindert, den Parteien Mittel für die Finanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeit zu gewähren. Der Grundsatz der Staatsfreiheit erlaubt jedoch nur eine Teilfinanzierung der allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien aus staatlichen Mitteln. Das ist die Ratio. Das ist die Grundlage, auf der wir hier zu entscheiden haben. Vorrangig also ist die Finanzierung der Parteien aus sich selbst heraus: durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Ich teile das, was Herr Enders eben angesprochen hat. Ich glaube, wir alle haben Grund, den vielen Parteimitgliedern, auch den vielen ehrenamtlich Tätigen und den vielen, die sich durch Spenden für ihre politische Partei oder die Partei engagieren, mit der sie sympathisieren, zu danken. Das ist ein unverzichtbares Stück einer funktionierenden Demokratie. Andererseits aber wissen wir, daß dies nicht reicht, und zwar nicht nur finanziell; denn das ist keine rein fiskalische Frage, sondern eine Frage, die mit den - ich zitiere wiederum das Bundesverfassungsgericht - öffentlichen Aufgaben, der öffentlichen Verantwortung zusammenhängt, die die Parteien für unser Gemeinwesen insgesamt wahrzunehmen haben. So gilt eindeutig der Satz: Die Selbstfinanzierung der Parteien hat Vorrang vor der Staatsfinanzierung. Das ist selbstverständlich, das ist natürlich. Einen Teil aber muß auch die öffentliche Hand tragen. Sie hat hier eine ergänzende - ich betone dieses Wort ausdrücklich Funktion. Über die konkrete Bemessung dieser staatlichen Ergänzungsförderung, der Teilfinanzierung, muß der Gesetzgeber entscheiden, und zwar politisch verantwortlich und - ich nehme dieses Wort ganz bewußt noch einmal in den Mund - sensibel. Das Bundesverfassungsgericht aber hat uns die Richtschnur gegeben. Und entlang dieser Richtschnur bewegen wir uns auf einem sicheren und, so denke ich, verantwortlichen Boden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung im Jahr 1992 die absolute Obergrenze der öffentlichen Mittel mit einem Gesamtbetrag von 230 Millionen DM beziffert. Auf der anderen Seite aber hat es gesagt, daß dieser Betrag nicht statisch ist, sondern indexiert werden muß, und dies nach Möglichkeit unter Einschaltung unabhängigen Sachverstands geschehen kann, ich sage: zu geschehen hat. Ebendies hat bekanntlich zur Einberufung der Sachverständigenkommission durch den Bundespräsidenten geführt. Diese hat uns inzwischen auf der Grundlage des entsprechenden Warenkorbs und der Preisentwicklung klare Vorgaben gemacht. So heißt es, daß die absolute Obergrenze, wie jene Sachverständigenkommission ausführt, „seit 1991 faktisch unverändert geblieben ist“, daß sie sich inzwischen aber auf einen Betrag von 285 Millionen DM zubewegen könnte. Dies wäre legal und auch legitim. Die Obergrenze bei einem Betrag von 245 Millionen DM festzulegen, wie es in der zu beratenden Gesetzesnovelle vorgesehen ist, ist angemessen, vernünftig und ich will es durchaus so formulieren - im Rahmen des Maßes an nötiger, korrekter politischer Bescheidenheit. Die Parteien haben Grund, bescheiden zu sein - gerade in schwierigen finanziellen Zeiten, die unser Land erlebt. Sie haben sich aber auch - da brauchen sie sich nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil - zu ihrer öffentlichen Verantwortung zu bekennen. Sie haben diese nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen. Und sie haben auf dieser Grundlage auch das Recht, jene Teilfinanzierung einzufordern, wie sie das Bundesverfassungsgericht vorgezeichnet hat, und dies gesetzgeberisch umzusetzen. In diesem Sinne ersuche auch ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Dieses Gesetz liegt im Rahmen dessen, was nicht nur verfassungsmäßig, sondern auch, wie ich meine, verfassungspolitisch geboten ist. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, Handys im Plenarsaal nicht zu nutzen bzw. vor Betreten abzuschalten. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da das Handy offensichtlich in unseren Reihen geklingelt hat, nehme ich diese Kritik gerne an. Ich muß allerdings dazusagen: Das Handy war nicht von uns. Das Problem, daß das Handy so lange geklingelt hat, war, daß zwei technisch unbegabte junge Männer in der ersten Reihe gesessen haben und nicht wußten, wie man das Handy ausschaltet. ({0}) Aber ich verspreche hiermit: Wir werden uns in dieses Thema einarbeiten und zukünftig dafür sorgen, daß das nicht wieder passiert. Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Eine grundsätzliche Bemerkung vorweg: Egal wann und egal unter welcher Regierungskonstellation wir das Thema Parteienfinanzierung diskutieren, dieses Thema wird in der öffentlichen Diskussion nicht gerade positiv besetzt sein. Im Gegenteil, der Vorwurf der Selbstbereicherung wird erhoben - manchmal vorschnell; in diesem Fall, so glaube ich, mit Sicherheit vorschnell. Allerdings war es in der Vergangenheit manchmal sicherlich auch so, daß wir Anlaß zu Mißtrauen gegenüber den Parteien geboten haben. Wir sind gut beraten, wenn wir mit dem Thema sensibel umgehen. Ich glaube, die Debatte heute zeigt, daß diese Diskussion sehr sensibel geführt wird, daß wir die Sorgen und Ängste, die in der Bevölkerung da sind und zum Teil auch geschürt werden -, ernst nehmen und versuchen wollen, die Bürger im Diskurs mit ihnen von der Notwendigkeit dieser Erhöhung zu überzeugen. Es gibt auch ein strukturelles Problem. Das strukturelle Problem liegt darin, daß wir quasi in eigener Sache entscheiden sollen. Das führt natürlich immer zu Mißtrauen in der Bevölkerung, weil man sich von einer gewissen Befangenheit nicht ganz freimachen kann, wenn wir in eigener Sache über die Finanzierung der Parteien entscheiden sollen. Man muß allerdings eines klarmachen: Irgendwelche informellen Zirkel sind mit Sicherheit nicht dazu geeignet, diese Entscheidung zu treffen. Von daher ist es richtig, daß wir als Parlament selber entscheiden. Wir sagen der Öffentlichkeit ganz klar: Unser Arbeitgeber ist der Steuerzahler, ist die Steuerzahlerin. Wir stehen zur Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Deshalb heute die öffentliche Debatte: Wir wollen Transparenz, wir wollen, daß das Für und Wider dieser Entscheidung debattiert wird. Hier ist der Ort, wo die Entscheidung getroffen werden muß. Meine Fraktion hat sich - das wissen Sie - in der Vergangenheit immer für mehr Transparenz in der Frage der Parteienfinanzierung eingesetzt. Manchmal mußten wir dazu bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen. So wurden auf Grund unserer Klage die steuerabzugsfähigen Spenden von Unternehmen drastisch zurückgefahren, die jahrelang für eine unseres Erachtens nicht gerade unproblematische Form der Parteienfinanzierung gesorgt haben. Ein Stück mehr Transparenz hat sicherlich auch das neue Parteiengesetz geschaffen, das seither vorsieht, daß sowohl die Bilanz als auch Einnahmen und Ausgaben sowie Spenden in Höhe von mehr als 20 000 DM veröffentlicht werden müssen und so für jeden zugänglich sind. Jeder Bürger kann also selber entscheiden, inwiefern die Parteien mit dem Geld sachverständig, sinnvoll umgehen oder nicht. Der Bürger selber kann sich davon ein Bild verschaffen, was sie mit dem Geld machen. Demokratie braucht allerdings funktionsfähige Parteien - darin sind wir uns, so glaube ich, im gesamten Haus einig -, die nicht abhängig sind von Zahlungen oder Spenden großer Unternehmen und Interessenverbände. Zur Funktionsfähigkeit gehört auch, daß die finanzielle Ausstattung mit der Preissteigerung Schritt hält. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung bedanken, die eine Vorlage gemacht hat, die von uns allen mitgetragen wird. Schon im letzten Jahr hat sie eine maßvolle Erhöhung der im Parteiengesetz verankerten absoluten Obergrenze vorgeschlagen, so daß wir diese jetzt von 230 auf 245 Millionen DM anheben können. Ich halte diese Anhebung sowohl für sinn- als auch für maßvoll, auch wenn ich weiß, daß dies in Kreisen der Öffentlichkeit als „anmaßend“ kritisiert wird, so die „Frankfurter Rundschau“ von heute. Ich weiß, daß auch das Kindergeld nur maßvoll erhöht wird und wir daran gemessen werden. Aber Demokratie kostet etwas, sie hat ihren Preis. Wir müssen die Funktionsfähigkeit der Parteien gewährleisten. Ob die Parteien sparsam gewirtschaftet haben - wie hier verschiedentlich anklang -, wird, wie gesagt, der Bürger entscheiden müssen. Ich freue mich darüber, daß wir diese Entscheidung hier im Einvernehmen treffen. Ich bedauere es, daß die PDS dem nicht zustimmt. Allerdings hat sich die PDS im Innenausschuß der Stimme enthalten. Auch dies ist ein wichtiges Signal, das man anerkennen sollte. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat als nächster Redner der Kollege Hans-Joachim Otto von der F.D.P.-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Wir sind uns dessen bewußt, daß uns für die heutige Debatte kein Bambi verliehen wird und daß keine Woge der Begeisterung aus der Bevölkerung über uns schwappt. Wir werden auch nicht alle zum Ehrenmitglied im Bund der Steuerzahler ernannt werden. Wir sind uns, wie die Vorredner sehr deutlich gemacht haben, bewußt, daß es in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Skepsis gegenüber dieser Änderung gibt, und zum Teil gibt es auch offene Ablehnung. Sicherlich wird uns nicht nur die „Frankfurter Rundschau“, sondern werden uns auch einige Boulevardzeitungen mit Kritik und Häme überschütten. Aber ich will nicht anstehen, für meine Fraktion die Notwendigkeit, die Verantwortbarkeit und das Maß dieser Änderung kurz zu begründen. Parteien sind - Herr Professor Scholz hat darauf hingewiesen - kein Selbstbedienungsladen von profilsüchtigen Egomanen, sondern ein unverzichtbares Element jeder demokratischen Willensbildung, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen Demokratien der Welt. Die Beschlußfassung heute geschieht strikt nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der Sachverständigenkommission. Über Unklarheiten, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschaffen hat, ist zu Lasten der Parteien entschieden worden. Meine Rede ist eine typische Fensterrede; sie wendet sich nicht an die Parlamentarier hier, sondern an die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande. ({0}) - Ach, das Fernsehen wird gerade darauf warten, diese Debatte auf allen Kanälen live zu übertragen. ({1}) Parteien sind Dienstleister für den Bürger. Tag für Tag werden in der ganzen Republik in Hunderten von Diskussions- und Informationsveranstaltungen Wünsche von Bürgern erfüllt. Tag für Tag werden Zigtausende Anfragen von Bürgern beantwortet. Allein bei der kleinen F.D.P. gibt es Woche für Woche über 300 000 Zugriffe auf den Internet-Server. ({2}) - Nein, mit steigender Tendenz, Herr Kollege. - Alle Parteien haben den Auftrag - und erfüllen ihn gelegentlich sogar ganz gut -, Schulung und Selektion von politischem Nachwuchs und von Mandatsträgern zu betreiben. Vergessen wir auch nicht: Die Parteien sind für Zigtausende Menschen Arbeitgeber. Ich möchte besonders darauf hinweisen - die Vorredner haben es schon angeschnitten -: Es handelt sich nicht um eine staatliche Vollfinanzierung, sondern nur um eine Teilfinanzierung. In der Praxis werden über 70 Prozent aller Mittel von den Mitgliedern der Parteien aufgebracht. Wir dürfen die Ehrenamtlichkeit nicht überfordern. Deswegen denke ich, daß diese Erhöhung geboten und maßvoll ist. Sie beinhaltet nur den Inflationsausgleich. Sie enthält keinen Zuschlag dafür, daß durch das geänderte Kommunikationsverhalten der Bürger wesentlich höhere Anforderungen an die Parteien gestellt werden, und sie enthält übrigens auch keinen Aufschlag für den Umzug nach Berlin. 245 Millionen DM, das klingt sehr viel. Es sind allerdings nur - darauf möchte ich Sie hinweisen - 3 DM pro Bürger pro Jahr, das heißt, es handelt sich um eine halbe Schachtel Zigaretten oder ein Glas Bier am Stammtisch. Ich frage Sie, ich frage die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes: Ist die Demokratie uns das nicht wert? Ich plädiere deshalb dafür, daß wir uns trotz der Schwierigkeiten bei diesem Thema nicht verstecken. Demokratie braucht Parteien. Die Parteien sind sich bewußt, daß sie mit dem Geld der Steuerzahler maßvoll und vernünftig umzugehen haben. Aber sie brauchen Unterstützung. Deswegen unterstützen wir diesen Änderungsantrag. Er ist maßvoll, er ist geboten, und er ist notwendig. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind der Meinung, daß die Änderung des Parteiengesetzes ein äußerst sensibles Thema ist und sich deshalb nicht zur parteipolitischen Profilierung, gleich welcher Partei, eignet. In der Öffentlichkeit kann sehr schnell - und dies ist zum Teil schon geschehen - der Eindruck entstehen, daß die Parteien den Bundestag als Selbstbedienungsladen betrachten und sich selbst nur ihre finanziellen Zuwendungen erhöhen. Ich denke, es ist ganz wichtig zu betonen, daß dem nicht so ist; vielmehr folgt der Gesetzentwurf dem Vorschlag der vom Bundespräsidenten einberufenen unabhängigen Kommission. Trotz allem ist es aber notwendig, über bestimmte Fragen nachzudenken und zu analysieren, warum dieser Eindruck entstehen kann, ob es nicht doch noch an der Transparenz auch der Parteienfinanzierung mangelt. Das fängt beim Datum der Behandlung des Themas an: Wir verabschieden das Gesetz erst jetzt - nach den Neuwahlen. Es wird der im Parteiengesetz vorgesehene Passus in § 19 Abs. 2 nicht eingehalten, wonach jeweils zum 1. Dezember eines Jahres eine Neuregelung erfolgt. Daraus ergibt sich, daß Geld nicht mehr dieses Jahr fließen wird, sondern erst im nächsten Jahr. Begründet wird die Notwendigkeit einer Anhebung der Obergrenze der finanziellen Zuwendungen mit der Funktionsfähigkeit der Parteien. Berechnet wird dies und das teilen wir - nach dem Preissteigerungsindex für den Warenkorb, der für die Arbeit der Parteien äußerst wichtig ist. Aber wir müssen uns natürlich alle fragen lassen, warum wir genau diesen Index bei der Bestimmung und jährlichen Anpassung von Sozialleistungen nicht auch anwenden. Wann gab es die letzte Wohngelderhöhung? Wann wurden die Sozialhilferegelsätze angepaßt? Auch hier stellt sich die Frage der Funktionsfähigkeit, und zwar in noch viel höherem Maße, denn es geht um die individuelle Lebensführung. Aus diesem Grunde ist diese Fragestellung erlaubt und notwendig. Ich möchte einen letzten Punkt hinzufügen: Wir werden uns in der heutigen Abstimmung enthalten, weil wir trotz allem der Meinung sind, daß es gut gewesen wäre, vielleicht noch ein Jahr mit der Erhöhung auszusetzen. Wir denken auch, daß man über bestimmte Strukturen weiter diskutieren müßte. Aber die Regelung, die getroffen wird, ist zumindest eine gesetzliche Regelung. Sie ist trotz allem relativ transparent, und bei den angesetzten Maßstäben sind alle Parteien gleichberechtigt. Eine solche Regelung und Transparenz wäre bei der Finanzierung der parteinahen Stiftungen allerdings auch angebracht. Sie ist längst überfällig. Hier haben alle Parteien, die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, über viele Jahre viel höhere Summen ihren Stiftungen zugeteilt. Die PDS und auch andere wurden von dieser Verteilung ohne gesetzliche Handhabe ausgeschlossen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höll, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Höll, Sie haben sich gerade auf die Sozialhilfe bezogen und beklagt, daß diese nicht an die Preissteigerungsrate angepaßt wird. Ist Ihnen bekannt, daß es sehr wohl große Anstrengungen im Bereich der Sozialhilfe zum Beispiel bei der Kleiderbeihilfe, bei den Heizungskosten, bei den Weihnachtsbeihilfen gibt, diese jährlich anzupassen und so auch auf Preissteigerungen zu reagieren? ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, daß die Anpassung insgesamt notwendig ist. Ich muß darauf verweisen, daß wir gerade bei der Anpassung des Preisindex bzw. bei der Bestimmung des Warenkorbes auch bei der Sozialhilfe in den letzten 15 Jahren, wenn ich es richtig sehe, doch grundlegende Änderungen in der Bundesrepublik hatten. Die Frage bezieht sich schon auf alles, so auch auf das Wohngeld. Wir haben eben in der Sozialhilfe bei der Berechnung bestimmter Dinge Pauschalsätze, und der von mir erwähnte Maßstab ist nicht gleichmäßig in allen Bundesländern - die Zuständigkeit ist ja auch zum Teil verschieden - angewandt worden. Ich habe hier gesagt, es geht darum, das durchgängig und stringent für uns zum Maßstab unseres politischen Wirkens zu machen Hans-Joachim Otto ({0}) und dies dann auch in allen Bereichen von sozialen Leistungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höll, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Herr Präsident, ich habe begründet, warum wir uns dem Gesetzentwurf der anderen Fraktionen nicht anschließen können. ({0}) Wir werden aber auch nicht dagegen stimmen, weil die Grundlage der Beschlußfassung, der Vorschlag der unabhängigen Kommission, die richtige Grundlage einer gesetzlichen Regelung ist. Deshalb enthalten wir uns. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien, Drucksachen 14/41 und 14/122. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung der PDSFraktion in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit Zustimmung der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze ({0}) - Drucksache 14/49 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/120 Berichterstattung: Abg. Alfred Hartenbach Abg. Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt, wie ich sehe, keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Eckhart Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt, um ein erfolgreiches Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 zu ermöglichen. Ich möchte an dieser Stelle dem Rechtsausschuß dafür danken, daß er bereit war, diese Beratungen in der Kürze der Zeit und unter erheblichem Druck durchzuführen. Ich weiß, daß das eine gewisse Zumutung war. Deswegen geht mein besonders herzlicher Dank an die Fraktionen und die Mitglieder des Rechtsausschusses. Damit wird endlich eine Reform wirksam, die nach jahrzehntelanger Vorbereitung bereits 1994 verabschiedet wurde. Diese außergewöhnlich lange Vorlaufzeit macht die Insolvenzordnung zu einem Unikat in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als Trost läßt sich nur sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Ich darf mir die Bemerkung erlauben: Selbst das Bürgerliche Gesetzbuch hatte nicht eine so lange Vorlaufzeit wie die Insolvenzordnung. Die Gründe dafür kennen Sie. Angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist es für diese Gesetzesänderung allerdings auch höchste Zeit. Ebenso wie die Vorjahre brachte auch das Jahr 1997 einen Höchststand an Insolvenzen. Bei insgesamt 33 398 Insolvenzen mußten 27 485 Unternehmen und Freiberufler insolvenzbedingt aus dem Markt ausscheiden. Bereits jetzt läßt sich absehen, daß die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1998 noch höher liegen dürften. Die Insolvenzen reißen tiefe Löcher in das Wirtschaftsgefüge und vernichten massiv Arbeitsplätze. Es ist in Fachkreisen unstreitig, daß die alte Konkursordnung und die Vergleichsordnung ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Um es ganz deutlich zu sagen: Das geltende Insolvenzrecht ist weitgehend funktionslos geworden. Dies können wir uns im Interesse der Sanierung notleidender Unternehmen und angesichts der erschrekkend hohen Zahl von Arbeitslosen nicht leisten. Das geltende Konkurs- und Vergleichsrecht ist im übrigen eher sanierungshemmend als sanierungsfördernd. ({0}) Die hohen Voraussetzungen für die Eröffnung des Konkursverfahrens und die Massearmut der Insolvenzen führen dazu, daß drei Viertel aller Konkursanträge seit Jahren mangels Masse abgewiesen werden. In den wenigen eröffneten Konkursverfahren gehen die ungesicherten und die nicht bevorrechtigten Gläubiger darüber hinaus häufig leer aus. Daß die gesicherten Gläubiger das Sicherungsgut jederzeit abziehen und damit das Betriebsvermögen auseinanderreißen können, führt überdies in sehr vielen Fällen zu einer Zerschlagung auch solcher Unternehmen, die noch sanierungsfähig wären. Dies alles machte eine umfassende Reform des Insolvenzrechts zwingend notwendig. Damit werden das Recht in den alten Bundesländern und das in den neuen Bundesländern, die bisher unterschiedlich sind, zusammengeführt. Ich möchte noch ganz besonders auf die zentrale sozialpolitische Errungenschaft der Insolvenzordnung hinweisen: die Restschuldbefreiung. Unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten ist es dringend geboten, daß unsere Rechtsordnung demjenigen, der wirtschaftlich gescheitert ist, Chancen für einen Neuanfang bietet. Das in der geltenden Konkursordnung niedergelegte unbegrenzte Nachforderungsrecht ist einerseits sozial unausgewogen, weil es ohnehin nur bei natürlichen Personen wirksam wird; es lähmt andererseits wirtschaftliche Aktivitäten, weil es den Betroffenen in einer quasi lebenslangen Schuldverstrickung gefangen hält. Der wirtschaftliche Neubeginn eines einmal gescheiterten Unternehmers oder Verbrauchers wird dadurch häufig unmöglich gemacht. Ich möchte im Hinblick darauf, daß sich nach unserer Beobachtung die Phalanx der Bedenkenträger gegen die neue Insolvenzordnung zu Worte gemeldet hat, ohne abzuwarten, wie das neue Gesetz funktioniert und praktikabel ist, noch einmal auf die überschuldeten Verbraucher und ihre Problematik hinweisen. Lassen Sie mich betonen, daß ihnen durch das Restschuldbefreiungsverfahren nun erstmals eine realistische Chance eröffnet wird, in einem überschaubaren Zeitraum wieder ein Leben frei von drückenden Schuldenlasten führen zu können. Das ist nicht nur sozialpolitisch dringend geboten, sondern auch wirtschaftspolitisch sinnvoll, da hierdurch potentiellen Existenzgründern Mut zum Aufbruch in die Selbständigkeit gemacht wird. Ich darf darauf hinweisen, daß bereits seit Juli dieses Jahres Verbraucher eine außergerichtliche Schuldenbereinigung in Gang setzen können. Schuldner, die bereits zum 1. Januar 1998 zahlungsunfähig waren, können in der Übergangszeit die nur fünfjährige Entschuldungsphase in Anspruch nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, auf den ich erkennbar nicht besonders eingegangen bin, weil er eher technische Regelungen enthält, werden auch die äußeren formellen Voraussetzungen für einen gelungenen Start der Insolvenzordnung geschaffen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze - wie es genau heißt - wird der Schlußstrich unter eine jahrelange Vorarbeit im Ministerium der Justiz, im Bundestag und seinen Ausschüssen, insbesondere dem Rechtsausschuß, gesetzt, nachdem wir die Insolvenzordnung einschließlich eines Einführungsgesetzes bereits im Herbst 1994 verabschiedet haben. Vier Jahre lang hatten die Länder und auch die Gerichte nun Zeit, sich auf diese neue Insolvenzordnung vorzubereiten, wenn sie am 1. Januar 1999 in Kraft tritt. In diesen vier Jahren hat es nicht an Versuchen gefehlt Herr Staatssekretär Pick hat darauf hingewiesen -, Sand und Salz ins Getriebe zu streuen, um das Inkrafttreten zu verschieben. Mal waren es finanzielle Gründe, mal personelle Gründe, mal die Länder, mal die Verbände oder interessierte Berufszweige, und alle hatten eine Reihe von Nachbesserungsvorschlägen und -wünschen - ohne zunächst einmal abzuwarten, wie das Gesetz funktioniert. Die Insolvenzordnung soll alte Zöpfe abschneiden und neue Möglichkeiten eröffnen, Betriebe weiterzuführen, statt sie zu zerschlagen, und dem privaten Schuldner ermöglichen, nach einer Wohlverhaltenszeit frei von aufgelaufenen Verbindlichkeiten neu zu beginnen, ohne die Umwege über Ehefrau, Kinder oder Scheinfirmen nehmen zu müssen. Eines haben wir bei den Beratungen der Insolvenzordnung vor vier Jahren nicht erreicht - erst recht jetzt nicht mehr bei den Ergänzungen, nachdem die Regierung gewechselt hat -, nämlich die Aufnahme einer Bestimmung, daß § 613 a Abs. 4 BGB bei der Fortführung einer Firma nach der Insolvenz nicht anzuwenden ist. Dieser Arbeitsplatzvernichtungsparagraph war in der Vergangenheit und wird auch in Zukunft für die Zerschlagung von Betrieben, um keine Arbeitnehmer übernehmen zu müssen, und damit für die Vernichtung von Arbeitsplätzen verantwortlich sein, anstatt daß man versucht, mindestens einen Teil der Arbeitsplätze durch Fortführung zu retten. Lieber Kollege Pick, von den 33 000 Konkursen hätte man wahrscheinlich 20 Prozent, um die 6 000, vermeiden können, wenn man diesen § 613 a Abs. 4 entschärft hätte. Ich hoffe, daß wir durch die Insolvenzordnung ein klein wenig an Entschärfung hineingebracht haben. Aber es gibt da keine Systematik. Ich glaube auch nicht an die Einsicht der jetzigen Mehrheit in die Notwendigkeit, diesen Paragraphen abzuschaffen. Nachdem Sie sogar die Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, die sehr sinnvoll waren, im Schweinsgalopp wieder aufheben, glaube ich nicht, daß Sie in diesem Bereich etwas Gutes tun. Wir werden der Änderung des Einführungsgesetzes zustimmen, das vernünftigerweise einige klarstellende Ergänzungen enthält, obwohl wir die gesetzliche Institutionalisierung von Laien im Gerichtssaal im Rahmen des Insolvenzrechts ablehnen. Wir hätten gerne gehabt, daß nur die früher im Rechtsberatungsgesetz vorgesehenen Vertreter vor Gericht hätten auftreten können, weil wir eine unübersehbare Flut von nicht unbedingt geeigneten Personen befürchten. Ich kann mich hier nur dem Urteil der Bundesrechtsanwaltskammer anschließen, die wörtlich zu dieser von SPD und Grünen durchgesetzten Änderung sagt: Sie ist unsystematisch, unprofessionell, kostenträchtig und überflüssig und widerspricht damit dem allgemein anerkannten Ziel eines „schlanken Staates“ und eines gerechten Staates, wie ich hinzufügen möchte. Wir haben deswegen im Rechtsausschuß diese Erweiterungen im Änderungsgesetz abgelehnt. Aber wir sind in den Abstimmungen unterlegen. Daran müssen wir uns jetzt leider ab und zu gewöhnen. Wir haben dennoch dem Gesetz im ganzen mehrheitlich zugestimmt. Dies haben wir auch deswegen getan, weil die Insolvenzordnung ein Regierungsentwurf der christlichdemokratisch-liberalen Koalition war, der in zähen Verhandlungen auch mit der damaligen Opposition als Gesetz zustande kam. Inzwischen sitzt zumindest einer der Väter der Insolvenzrechtsreform, Herr Staatssekretär a. D. Funke, auf den harten Oppositionsbänken und der Hauptberichterstatter der Sozialdemokraten, Herr Professor Pick, auf den weichen Regierungsbänken. ({0}) Man kann auch sagen: Wir hatten mit der früheren Koalition leichte Liquiditätsprobleme bei den Wählerstimmen. Aber, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wir haben uns bereits gefangen - Sie lachen ja mit Recht -, während Sie wie auf einem Hühnerhof arbeiten, auf dem alles durcheinandergackert und niemand weiß, welcher Hahn, Schröder oder Lafontaine, der Haushahn ist. Wir haben uns bereits in der Oppositionsrolle geübt, damit wir nicht, wie im Insolvenzrecht vorgesehen, fünf oder sieben Jahre Wohlverhalten zeigen müssen, sondern bereits nach vier Jahren den Betrieb hier im Hause wieder übernehmen können. ({1}) - Die „Liquidität“ macht Freude. - Wir werden nicht wegen einiger „Schönheitsfehler“, Herr Beck, das rechtzeitige Inkrafttreten des Gesetzes durch Geschäftsordnungstricks verhindern oder notwendige Änderungen verzögern, weil wir der Meinung sind, daß es ein gutes Gesetz ist. Die Anwender sollen das Gesetz so nutzen, daß die Verfahren zügiger als bisher durchgeführt werden, daß die Intention des Gesetzes beachtet wird, nämlich möglichst wenig Masse zu entwerten und zu zerschlagen, und daß der Schuldner möglichst so gestellt wird, daß er wirtschaftlich weiterarbeiten kann, und sei es unter Kontrolle. Wir wollen auch, daß die bisherige 30jährige Frist, die einen Schuldner - auch bei Unterbrechung der Zinszahlungen - lebenslang in die Knie zwingen konnte, bei ernsthaft Gutwilligen ein Ende hat. Wir warnen aber auch gleichzeitig die Schuldner, die glauben, sie könnten nun ohne jede Rücksicht auf Risiko wirtschaften, weil sie nach fünf bzw. sieben Jahren wieder frei seien, und die deshalb glauben, neue und unverantwortliche Risiken eingehen zu können. Mit den Ergänzungsänderungen haben wir einer Reihe von Vorschlägen Rechnung getragen, aber insbesondere auch - das hat der Herr Staatssekretär gesagt notwendige Gesetzeskongruenzen hergestellt. Ich sage in diesem Zusammenhang einen besonderen Dank an die Mitarbeiter des Ministeriums, die diese Marathonarbeit geleistet haben, insbesondere an Herrn Lanfermann, der von Anfang an dabei war. ({2}) Ein Schmunzeln konnte ich mir im Rechtsausschuß nicht verkneifen, als wir feststellten, daß das seinerzeit geänderte Kabelpfandgesetz - das ich bis dahin auch nicht kannte - 1994 aufgehoben wurde, wahrscheinlich weil man beim Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung erstmalig wieder auf es aufmerksam wurde und gesagt hat: Wir brauchen es gar nicht. Wir haben es gestern aus dem Gesetz herausgenommen. Zum Schluß möchte ich nochmals auf die wesentliche Neuerung hinweisen, daß die Restschuldbefreiung vielen Menschen, die sich mit Schuld oder auch ohne Schuld finanziell übernommen oder verspekuliert haben, die Möglichkeit gibt, in ein geordnetes Privat- oder Geschäftsleben zurückzukehren. Dies hängt beim Geschäftsmann naturgemäß nicht nur vom Wohlverhalten ab, sondern auch von dem Bemühen, den finanziellen Schaden wiedergutzumachen. Insoweit haben die Gläubiger zu Recht ein Wort mitzureden. Anders, und zwar deutlich vereinfacht, ist dies beim sogenannten privaten Schuldenbereinigungsverfahren, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine oder nur geringe selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Hier kann im wesentlichen mit einem Schuldenbereinigungsplan unter Zustimmung eines Teils der Gläubiger oder Ersetzung dieser Zustimmung eine Entschuldung vorgenommen werden. Ist eine gütliche Regelung mit dem Gläubiger nicht zu erzielen, sorgt ein vereinfachtes Insolvenzverfahren für eine gerichtliche Klärung. Hier ist der Schuldner also nicht auf Gedeih und Verderb den Gläubigern ausgeliefert. Ich hoffe, daß diese Restschuldbefreiungsmöglichkeit zu positiven Ergebnissen führt. Meine Damen und Herren, wenn Mißbrauch stattfindet, sind wir hier im Hause sicher wieder einig, daß wir Änderungen oder Ergänzungen anbringen müssen. Aber zunächst wünschen wir diesem Gesetz viel Erfolg ab 1. Januar 1999. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Alfred Hartenbach von der SPD-Fraktion das Wort.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine erste Vorbemerkung: Wenn ich mich so umschaue, hoffe ich nur, daß uns nicht irgend jemand der Geheimbündelei bezichtigt, wenn wir dieses Gesetz verabschieden. ({0}) Meine zweite Vorbemerkung: Lieber Freiherr von Stetten, ich denke, Sie werden die sieben Wohlverhaltensjahre und das achte Sabbatjahr auf jeden Fall mitmachen müssen. Das klappt auch nur, wenn Sie sich in dieser Zeit wirklich wohlverhalten. Ansonsten glaube ich nicht, daß die Wähler Ihnen die Restschuldbefreiung gewähren werden. Dies sei vorausgeschickt. ({1}) Meine Damen und Herren, dies ist ganz offensichtlich das letzte sogenannte Omnibusgesetz, das in diesem Jahr noch die Ziellinie überfährt und den Endbahnhof erreicht. Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Omnibusgesetz ist: Das ist ein Gesetzentwurf, auf den alle Ministerien möglichst noch etwas draufpacken möchten. So war es auch hier. Neben dem ursprünglich vorgesehenen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung und der Änderung der Insolvenzordnung mußten - teilweise auch, weil die alte Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte ({2}) das Zwangsvollstreckungsrecht, die Abgabenordnung und die Gewerbeordnung noch aufgenommen werden. Dann war der Bus zu und fuhr los. Dann kam die PDS und wollte auch noch etwas in diesen Omnibus hineinbringen. ({3}) Aber ich darf Ihnen sagen: Der Omnibus ist voll. Nichts geht mehr! ({4}) - Ich komme noch näher darauf zurück, Herr Kutzmutz. Es waren überwiegend redaktionelle Änderungen, die sich im Laufe der Zeit ergeben hatten. Aber es war auch einiges Wichtige dabei, was wir machen müssen und machen mußten. Ich möchte einmal etwas hervorheben, worüber nicht weiter geredet wurde: Im Insolvenzrecht kann eine Postsperre, eine Briefsperre angeordnet werden. Dies ist ein ziemlich heftiger Eingriff in die persönlichen Rechte der Schuldner. Da ist es gut, daß nun die Insolvenzordnung die Änderung vorsieht, daß dies nur von dem Insolvenzgericht angeordnet werden kann. Das Insolvenzgericht ist übrigens das Amtsgericht. Damit komme ich zum nächsten Punkt. ({5}) Wir hatten sinnvollerweise und richtigerweise im Gesetzentwurf der alten Regierung, der ja übernommen wurde, festgeschrieben, daß die von den Ländern benannten Stellen zumindest als rechtsberatende Stellen auftreten dürfen, ohne mit dem Rechtsberatungsgesetz in Konflikt zu kommen. Dies war gut und richtig. Aber wir sind der Meinung, daß diese Stellen dann durchaus auch im gerichtlichen Verfahren auftreten dürfen, weil zum einen in aller Regel der Schuldner und insbesondere der private Insolvenzschuldner zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat und andererseits ein Auftreten vor den Amtsgerichten heute auch ohne Anwalt möglich ist. ({6}) Ich glaube auch kaum, daß wir den Anwälten irgendwelche Pfründe wegnehmen. ({7}) - Ruhig Blut, ganz ruhig. Diese Stellen, lieber Herr Geis, werden so gut ausgebildet sein ({8}) und so kostengünstig arbeiten, daß es keiner weiteren Aufpfropfung bedarf. Ich bin einigermaßen überzeugt, daß sie mit Anwälten zusammenarbeiten werden. Das ist auch der Grund dafür, warum wir sagen, daß wir die beiden PDS-Änderungsanträge nicht brauchen. Der eine Antrag ist überflüssig. Hinsichtlich des anderen Antrages geht es, so glaube ich, nicht an, daß wir als Deutscher Bundestag die Gemeinden für Kosten geradestehen lassen, über die wir hier entscheiden, die wir aber nicht zahlen. Ich gehöre zu denen, die sagen: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen. Deswegen werden wir so etwas hier nicht machen. ({9}) Die Frage wird sich über die Prozeßkostenhilfe regeln, die auch hier Anwendung finden wird. Nun sehe ich, daß mir nur noch eine Minute verbleibt. All das, was ich eigentlich noch sagen wollte, kann ich nun nicht mehr sagen. Ich möchte nur noch eines feststellen: Mit dieser Reform und mit der notwendigen Überleitungsvorschrift für das Zwangsvollstrekkungsrecht - das waren die Hausaufgaben der Regierung - wird klargestellt, daß die Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, die bis zum 31. Dezember 1998 anlaufen, nach wie vor von den Rechtspflegern bearbeitet werden - es ist nicht so, daß der Rechtspfleger, wie ein solcher im Badischen meinte, das bis zum 1. Januar liegenlassen kann -, und die neuen Verfahren, die ab dem 1. Januar 1999, von den Gerichtsvollziehern durchgeführt werden. Dies ist eine gute Sache. Das neue Zwangsvollstreckungsrecht und die neue Insolvenzordnung stellen einen Einstieg in eine moderne, in eine bürgernahe und vor allem in eine bürokratieärmere Justiz dar. Ich darf an dieser Stelle - damit komme ich zum Ende, Herr Präsident; Sie brauchen mich also nicht auf meine Redezeit hinzuweisen - den Vätern des vorliegenden Entwurfs

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Präsident, der jetzt eine Frau geworden ist.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- denen, die auf der Regierungsbank sitzen, und denen, die auf der Oppositionsbank sitzen - sehr herzlich danken. Ich habe mich als Stiefvater etwas hineingedrängt und hoffe, daß wir dieses neue Kind Insolvenzordnung künftig mit viel Verstand und großer Kollegialität begleiten werden. Ich möchte mich bei den Ländern bedanken, die ihre Rolle angenommen und mit dazu beigetragen haben, daß wir hier jetzt die richtigen Vorschriften gefunden haben. Mein Dank gilt dem BMJ, mein Dank gilt Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und mein Dank gilt Ihnen, hohes Präsidium, daß Sie hinsichtlich der Überziehung meiner Redezeit so viel Geduld hatten. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Vielen Dank. So wird man selten gelobt. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Pick und Herr von Stetten haben schon zur Insolvenzordnung, die heute nicht zur Debatte steht, ausführlich gesprochen, so daß ich hierauf nicht eingehen möchte. Ich möchte auf das heute zur Debatte stehende Gesetz, nämlich auf das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung, eingehen. Dieses Gesetz ist noch von der alten Bundesregierung eingebracht worden, natürlich in Abstimmung mit der damaligen Opposition, weil wir verhindern wollten, daß die Länder, die uns bei der Insolvenzordnung immer nur Schwierigkeiten gemacht haben, ({0}) noch in letzter Minute das Inkrafttreten der Insolvenzordnung weiter hinausschieben. Das war der wahre Grund. Wir haben auf diese Weise die Länder in kollegialer Zusammenarbeit gut ausgebremst. Dafür bin ich Ihnen allen sehr dankbar. ({1}) Das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung, das so eingebracht worden ist, ist in letzter Minute von den Ländern über die Koalitionsfraktionen maßgeblich verändert worden. Man sollte das nicht kleinreden, denn hier werden den Schuldnerberatungsstellen forensische Rechte eingeräumt, die sie bislang nicht haben und nach unserem Rechtsberatungs- und Steuerberatungsgesetz auch nicht haben sollten. Das ist für mich eine zentrale Frage - nicht um den Anwälten oder den Steuerberatern höhere Verdienste zu ermöglichen. In der Tat, die Rechtsanwälte werden sicher von den Schuldnerberatungsstellen gefragt werden. Aber: Hier geht es um eine zentrale Frage, die auch die Bundesjustizministerin interessieren wird, denn sie möchte mit der Justizreform die Eingangsgerichte stärken. Das führt zu einem verstärkten Anwaltszwang. Hier wird nun das erste Mal, gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode, dieser notwendige Anwaltszwang konterkariert - im übrigen nicht zum Besseren für die Schuldnerberatungsstellen, denn das ist eine sehr teure Einrichtung. Dies führt natürlich dazu, daß die Verwaltung aufgebläht wird. Da kann man nur sagen: Der schlanke Staat läßt grüßen. Meine Damen und Herren, für uns ist das eine so zentrale Frage, daß wir diesem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung nicht zustimmen können. Denn das Rechtsberatungsgesetz, das Steuerberatungsgesetz dienen ja nicht dem Schutz der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und der Steuerberaterinnen und Steuerberater, damit sie möglichst viel verdienen, sondern dienen dem Schutz der Rechtsuchenden. Die Schuldnerberatungsstellen haben von forensischer Tätigkeit überhaupt keine Ahnung. Das sollte auch so bleiben. Deshalb sollten wir die Schuldnerberatungsstellen auch nicht dazu „verdonnern“, vor Gericht zu erscheinen. ({2}) Weil dies eine wichtige Frage für unsere Rechtsordnung und für unseren Rechtsstaat ist, werden wir dem Einführungsgesetz in dieser Form nicht zustimmen. Ich will auch ganz offen sagen: So wie in letzter Minute von den Koalitionsfraktionen am Gesetzentwurf noch zahlreiche Änderungen vorgenommen worden sind, ist das schon nicht mehr lege artis. ({3}) So sollten wir in Zukunft im Rechtsausschuß nicht mehr miteinander umgehen. Unsere Insolvenzordnung ist mir sehr wichtig. Mit ihr ist für unsere Wirtschaftsordnung, aber auch für unsere Gesellschaftsordnung ein wichtiges Regulativ geschaffen worden. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, wie schnell die Sensibilität für Tischvorlagen wächst, wenn man auf der Oppositionsbank sitzt. ({0}) Angesichts der Marginalien, um die es sich hierbei gehandelt hat, muß ich sagen: In meiner Oppositionszeit habe ich von Ihnen ganz anderes erlebt. ({1}) Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Sicherung des ordnungsgemäßen Inkrafttretens der neuen Insolvenzordnung. Im wesentlichen werden Rechtsangleichungen vorgenommen, die bei der Verabschiedung des Gesetzes noch nicht erkennbar waren. Die Vorarbeit hat bereits die alte Regierung geleistet. Dafür danken wir. Neu sind insbesondere einige Nachbesserungen, die die neue Regierungskoalition - auch auf Wunsch der Länder - vorgenommen hat. Hierzu zählt etwa die Einräumung der Befugnis von Schuldnerberatungsstellen, auch vor Gericht auftreten zu dürfen - hier wird niemand „verdonnert“, sondern die Beratungsstellen wollen es selbst so -, was von mir ausdrücklich begrüßt wird. Meine Damen und Herren, die neue Insolvenzordnung ermöglicht unter anderem das Privatinsolvenzverfahren. Überschuldete Privatpersonen können eine Befreiung von ihren Restschulden erlangen und so dem „lebenslangen Schuldenturm“ entfliehen. Als Gegenleistung hierfür muß der Schuldner während einer siebenjährigen „Wohlverhaltensperiode“ den pfändbaren Teil seines Vermögens an einen Treuhänder abtreten, der den Erlös an die Gläubiger verteilt. Eine derartige Chance für einen Neustart ist ein riesiger gesellschaftlicher und sozialer Gewinn. Überschuldung ist für Menschen nicht nur eine erhebliche psychische Belastung, sie verhindert auch die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben und zementiert den Bezug von Sozialleistungen. Denn wer keine Chance hat, jemals wieder mehr als das nach der ZPO unpfändbare Einkommen zu erwirtschaften, ist wenig motiviert, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Aber auch für erwerbsunfähige Sozialleistungsempfänger, die überhaupt nicht mehr arbeiten können, ist die Überschuldung eine unerträgliche Belastung. Auch sie sehen sich regelmäßigen Pfändungen, Mahnbriefen, Gerichtsvollzieherbesuchen und Hausbesuchen von Inkassobüros ausgesetzt. Die Perspektive, diesem Druck und dem wirtschaftlichen Existenzminimum zu entfliehen, fehlt bislang. Neben der materiellen Armut und den persönlichen Schicksalsschlägen sind sie dauerhaft den Folgen der Überschuldung ausgesetzt, die wegen der Scham gegenüber Nachbarn und Verwandten oder auch Kollegen am Arbeitsplatz oft auch in sozialer Isolation und gesellschaftlicher Ausgrenzung bestehen. In dieser Situation befinden sich die Betroffenen oft schon seit Jahren. Bisher war es Gläubigern möglich, ihre Forderungen 30 Jahre - unter Umständen sogar noch darüber hinaus geltend zu machen. Für die davon betroffenen Menschen wollen wir eine Verbesserung erreichen; darin sind wir uns einig. - Ob wir unter diese gesetzliche Regelung allerdings die Schuldverhältnisse der Oppositionsparteien fallen lassen oder bei diesen Rechtssubjekten nicht lieber an der alten Regelung festhalten sollten, darüber werden wir uns sicher noch öfters in diesem Hause unterhalten. - Angesichts zunehmender Verbraucherüberschuldung hat sich dieser Zustand aus sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen als nicht haltbar erwiesen. Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition tritt darüber hinaus für eine Änderung des Rechtsberatungsgesetzes ein, durch die es den Schuldnerberatungsstellen ermöglicht wird, auch vor Gericht aufzutreten. Hiermit verbinden wir die Hoffnung auf effizientere Verfahren. Die Schuldnerberatungsstellen sind auf Grund ihrer vorausgehenden außergerichtlichen Tätigkeit bereits umfassend über die Streitpunkte informiert. Anders als neu hinzugezogene Anwälte müssen sie sich anläßlich eines Gerichtsverfahrens nicht in eine komplett neue Materie einarbeiten. Dies führt nach unserer Auffassung auch zur Kostenersparnis. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie behaupten, nur Anwälte hätten die Kompetenz für die gerichtliche Vertretung. Sie unterstellen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schuldnerberatungsstellen seien dem nicht gewachsen. Sollte dies tatsächlich auf Grund einer außerordentlich schwierigen Rechtslage der Fall sein, bleibt den Parteien immer noch die Möglichkeit, einen Anwalt ihres Vertrauens einzuschalten. Das werden sie dann auch im eigenen Interesse tun. Es ist aber auch damit zu rechnen, daß die Schuldnerberatungsstellen schon von sich aus Juristinnen und Juristen einstellen oder mit Anwälten Generalverträge abschließen, um diesem Problem zu begegnen und in der Lage zu sein, auch komplexe Rechtsprobleme entsprechend zu würdigen. Meine Damen und Herren, die Änderungsanträge der PDS werden wir ablehnen. Die Kollegen der PDSFraktion hatten gestern im Ausschuß Gelegenheit, ihre Bedenken vorzutragen. Aber sie haben sich nicht an der Debatte beteiligt, sondern sich durchgehend der Stimme enthalten. Sie haben uns ihre Änderungsvorschläge nicht zur Kenntnis gebracht. Meines Erachtens sind sie unnötig, da sie in der Sache keine substantiellen Verbesserungen bringen. Wenn es Ihnen nicht um Show-Anträge, sondern um die Sache gegangen wäre, hätten Sie im Ausschuß mit uns darüber reden können. Sie wissen, wir sind eine konstruktiv und sachlich arbeitende Koalition und für Anregungen der Opposition immer offen. ({2}) Wir hätten, wenn Sie uns in der Sache überzeugt hätten, sicherlich einen Weg gefunden, um Ihr Anliegen aufzunehmen. ({3}) So agieren Sie rein populistisch. Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen. ({4}) Volker Beck ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform hat gestern vermeldet, daß bis zum Ende des Jahres 34 200 Schuldner den Gang zum Konkurs- bzw. Gesamtvollstreckungsrichter antreten werden. Es steht also wieder ein Pleitenrekord ins Haus. Um den Belehrungen derer vorzubeugen, die uns gestern einen kurzen Lehrgang in Marktwirtschaft erteilen wollten, will ich eindeutig sagen: Natürlich ist auch mir inzwischen klargeworden, daß es, wenn eine betriebswirtschaftliche Konzeption nicht aufgeht und das Produkt, das ich anbiete, nicht stimmt, auch zu Konkursen kommt. Ich gebe aber Herrn von Stetten recht: Natürlich hätte mancher dieser Konkurse - und die daraus entstehende Arbeitslosigkeit - vermieden werden können, wenn die nötige Klarstellung beim Insolvenzrecht schon vorher erfolgt wäre. Ein neues Insolvenzrecht bietet durchaus gewisse Chancen, daß diese Prozesse mit weniger Arbeitsplatzverlusten als bisher enden. Vor allem kann es den Mut zur Selbständigkeit, der allerorten gefordert wird, befördern helfen, weil im Falle des Scheiterns nicht länger die Existenz vernichtet wird. Wer - wie manche Medien - den neuen Verbraucherkurs feiert, der verdrängt oder übersieht, daß dieses neue Recht noch auf längere Zeit hinaus nicht funktionieren wird. Hier gehen unsere Meinungen auseinander. Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, feiern die Zeit seit 1994 bis heute sozusagen als einen grandiosen Entwicklungsweg. Ich sage: Hier ist ein Großteil der Zeit verschlafen worden. Wir befinden uns im Rückstand, weil diese Dinge natürlich erst in Gang gesetzt werden müssen. ({0}) Die jetzige Situation grenzt nach meiner Auffassung durchaus an Rechtsverkürzung für Betroffene. Schließlich setzt das Stellen eines Insolvenzantrags nach neuem Recht voraus, daß im vorhergehenden halben Jahr ein ergebnisloser Einigungsversuch mit den Gläubigern stattgefunden hat. Erst mit dem jetzt behandelten Entwurf erfolgte aber die letzte Klarstellung über die Stellen, die die dazu erforderliche Bescheinigung ausstellen dürfen. Diese Stellen müßten aber schon seit Anfang Juli 1998 genehmigt und arbeitsfähig sein, damit das neue Recht tatsächlich ab 1. Januar 1999 greifen kann. Die Verantwortung dafür - das habe ich gemerkt liegt auch bei der alten Regierung. Es ist klar: Da Sie 1994 im Amt waren, dürfen Sie das jetzt nicht allein der neuen Regierung vorwerfen. Aber es gibt auch schon Dinge, die die neue Regierung betreffen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich gestatte das gern. Ich habe nur ein Problem: Mir wurde vorhin signalisiert, daß meine Redezeit verlängert worden ist. Auf der Anzeige hier aber erscheint jetzt schon eine Null.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich gebe Ihnen zwei Minuten mehr, und die Zwischenfrage rechne ich Ihnen nicht an. Wir sind am Ende manchmal großzügig.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Bitte schön.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kutzmutz, ist Ihnen bekannt, daß wir die Insolvenzordnung 1994 in diesen Räumen beschlossen haben, daß aber die Länder, insbesondere im Vermittlungsausschuß, darauf gedrängt haben, daß diese Insolvenzordnung erst am 1. Januar 1999 in Kraft tritt, wir also, sowohl was den Bundestag als auch was die Bundesregierung angeht, insoweit gar nicht Herr des Verfahrens gewesen sind?

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das ist mir bekannt. ({0}) Ich möchte Ihre Frage gern beantworten. Es ist mir bekannt, daß das 1994 beschlossen worden ist. Ich sage ausdrücklich, daß es wegen der Kompliziertheit des Verfahrens sicherlich richtig gewesen ist, einen so langen Übergangszeitraum zu wählen. Mir ist aber auch bekannt, daß 1997 einige Bundesländer - darunter das Saarland, Bayern und einige andere - gefordert haben, das Inkrafttreten des Gesetzes um weitere drei Jahre zu verschieben. ({1}) - Ich beantworte jetzt die Frage des Kollegen. Sie können auch gerne fragen. ({2}) Also, das ist mir bekannt. Ich habe gesagt, daß mir das wegen der Kompliziertheit auch eingeleuchtet hat. Aber es ist in der Zwischenzeit wenig geschehen. Ich komme auf die Länder zurück, die hier angesprochen worden sind. Es ist nicht nur so, daß sie im Bundesrat versucht haben, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu verschieben, sondern sie haben auch sehr spät beschlossen. Brandenburg zum Beispiel hat erst am 12. November 1998 die Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz beschlossen. Wenn jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär kommt und sagt, daß schon ab Juli Anträge gestellt werden konnten, dann frage ich einmal: Wo denn? Wo hätten sie denn gestellt werden können? Erst jetzt ist geklärt, daß diese Stellen eingerichtet werden. Es ist also nicht so, daß sie schon eingerichtet sind. Daher greift das ab 1. Januar 1999 nicht. Mit diesem Problem muß man sich auseinandersetzen. Wegen der begrenzten Redezeit lasse ich jetzt einige Dinge weg. Ich will nur sagen: Wir haben zwei Änderungsanträge eingebracht. Herr Kollege Beck, ich gebe Ihnen recht, daß diese verspätet vorgelegt worden sind. Allerdings ist mir völlig gleichgültig, warum die Koalition sie ablehnen wird. Sie brauchen keine Pirouetten zu drehen. Sie hätten sie auch abgelehnt, wenn wir sie gestern diskutiert hätten. So ehrlich sollten wir miteinander umgehen. ({3}) - Nein, ich kenne das Verfahren. Die Reform ist eine Reform zugunsten der Gläubiger mit Chancen für Schuldner. Damit sie aber überhaupt funktionieren kann, müssen unseres Erachtens die beiden von uns vorgeschlagenen Veränderungen aufgenommen werden. Herr Hartenbach, Sie haben gesagt: Wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen. - Da stimme ich Ihnen zu. Das Problem ist nur: Bei der Lösung, die jetzt gefunden worden ist, kann es passieren, daß überhaupt keine Musik bestellt wird, daß also gar nicht bezahlt werden muß, weil es einfach nicht greift. Die Grundfinanzierung eines ausreichenden Netzes von Insolvenzberatung muß gesichert werden. Bestimmt haben Sie wie ich voller Freude die 16 Seiten Antragstext gelesen. Ich kann mir vorstellen, daß es ein reines Vergnügen sein wird, zu jemandem zu gehen und mit ihm zusammen den Antrag auszufüllen, damit er zu seinem Recht kommt. Ich glaube, das muß einfacher gemacht werden. Darüber hinaus muß klargestellt werden, daß für Insolvenzverfahren Prozeßkostenhilfe beantragt und gewährt werden kann. Selbst einfache Verfahren dürften nach ersten Schätzungen mindestens 3 000 DM kosten. In der „FAZ“ vom 19. November war zu lesen, daß Richter sich natürlich darauf einstellen. Sie können die Prozeßkostenhilfe gewähren, sie müssen es aber nicht. Ohne zumindest die Chance zur Ratenzahlung zu haben, dürften die wenigsten Betroffenen überhaupt darüber nachdenken, die neue Möglichkeit zu nutzen. Für mich wäre es absurd, wenn Zahlungsunfähige mangels Geldes ihre Zahlungsunfähigkeit erst gar nicht eingestehen dürfen. Ich sage einmal: Diese beiden Anträge sind keine Schikanen der linken Opposition, sondern allein Schritte zur Herstellung der tatsächlichen Funktionsfähigkeit des neuen Rechts. Ich sage Ihnen auch: Ich bin sicher, daß wir uns heute mit diesem Gesetz nicht zum letzten Mal beschäftigt haben. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze. Das sind die Drucksachen 14/49 und 14/120. Dazu liegen, wie eben diskutiert, zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/121 und 14/124 vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/121? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/124? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 1998, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.