Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/22/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Sammelübersicht 10 zu Petitionen - Drucksache 12/291 - erweitert werden. Darüber hinaus besteht Einvernehmen, den in der gestrigen Plenarsitzung bereits überwiesenen Achten Jugendbericht nachträglich auch dem Ausschuß für Familie und Senioren zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung - Drucksachen 12/104, 12/209, 12/218 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) - Drucksache 12/289 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungsexporten - Drucksache 12/120 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) - Drucksache 12/289 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung ({2}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Einschränkung von Rüstungsexporten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Lederer und der Abgeordneten der PDS/Linke Liste Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz - Stopp der Rüstungsproduktion - Drucksachen 12/119, 12/116, 12/289 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung Zu dem genannten Gesetzentwurf liegen zwei Entschließungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor. Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 90 Minuten vereinbart worden. - Ich sehe auch dazu keinen Wiederspruch. Dann ist das ebenfalls beschlossen. Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, Herr Kollege Dr. Rudolf Sprung, hat darum gebeten, daß einige Berichtigungen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses zu Protokoll genommen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rudolf Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute anstehende zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung steht im Blick einer besonders kritischen und sensiblen Öffentlichkeit, die zwischen zwei Erwartungshaltungen schwankt: Auf der einen Seite haben die illegalen Rüstungsexporte einiger weniger deutscher Unternehmen in den Irak im In- und Ausland für Aufregung, ja Entsetzen gesorgt. Mit Recht! Die Vorstellung, daß ausgerechnet Israel nach einem provozierten Hineinziehen in den Golfkrieg indirekt Opfer von kriminellen Deutschen und deren illegal exportierten Waffen werden könnte, erfüllte uns alle mit Sorge und Scham, die ausländischen Nachbarn und Verbündeten mit Argwohn. Daß hier - wie sich am Ende herausgestellt hat - auch Unaufrichtigkeit mit im Spiel war, um von einigen Verfehlungen im befreundeten Ausland abzulenken, soll hier nicht debattiert werden. Auf jeden Fall war zügiges Handeln gefordert. Das Hinwegsetzen über den Grundsatz der Nichtgenehmigung von Rüstungsexporten in Nicht-NATO-Länder dokumentierte diesen Zugzwang, dem sich alle politischen Kräfte ausgesetzt und verpflichtet fühlten. Zugleich wurde in den Wochen des Krieges überaus deutlich, daß das Außenwirtschaftsgesetz und die Strafprozeßordnung verschärft werden müssen, obgleich das im Juni 1990 verschärfte Außenwirtschafts und Kriegswaffenkontrollrecht im internationalen Vergleich schon auf einem extrem hohen Niveau stand. Tatsächlich waren sich alle in unserem Land einig, daß hier entschlossenenes Handeln politisch notwendig und moralisch erforderlich sei. Die Bundesregierung hat sich mit dem Entwurf und der ersten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung am 21. Februar dieses Jahres im Bundestag dieser Herausforderung gestellt und ist das Problem aktiv angegangen. Auf der anderen Seite beginnen sich nun jedoch in einer Reihe von Medien, aber auch im politischen Raum Widerstände gegen die vorgesehenen Kontrollverschärfungen zu formieren. Grund ist die geplante Einsetzung des Zollkriminalinstituts mit erweiterten Befugnissen zur Überwachung des Brief-, Post-und Fernmeldeverkehrs, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß Außenwirtschaftsstraftaten begangen werden sollen. De facto werden damit diejenigen, die besonders vehement und durchaus mit Recht ein restriktives Vorgehen gegen illegalen Waffenexport verlangten, nun zum Hemmschuh. Das Instrumentarium im präventiven Bereich muß ausgeschöpft werden. Ein Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis scheint darum von erheblicher Bedeutung zu sein, nicht zuletzt wegen seines Abschrekkungscharakters. Prävention ist nötig, um es gar nicht erst zu strafbaren Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht kommen zu lassen, zu Verstößen, die die Sicherheit der Bundesrepublik beeinträchtigen und das friedliche Zusammenleben der Völker und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich stören. Kriminelles Handeln im Außenwirtschaftsverkehr zu verhindern und nicht nur zu bestrafen muß ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik sein. Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - hier ist mit einer präzisen Formulierung Klarheit geschaffen worden - sind nur bei bestimmten Straftaten von erheblicher Bedeutung vorgesehen. ({0}) Das heißt, die Erheblichkeit der geplanten Straftaten ist Voraussetzung für die Beschränkung. Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir wissen, daß Eingriffe in Grundrechte nach allen Seiten hin gründlich überlegt und Folgewirkungen bedacht werden müssen. Im Rahmen des illegalen Waffenexports und der Schwere dieses Vergehens geht es aber nicht nur darum, vollzogene kriminelle Aktivitäten im Außenwirtschaftsverkehr zu bestrafen. Wir alle wissen: allein schon die Möglichkeit, das Delikt zu begehen, muß verhindert werden, um diesem furchtbaren Geschäft das Handwerk zu legen. Darum, meine Damen und Herren, scheint uns der Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nicht nur vertretbar, sondern auch unvermeidbar. Einem Mißbrauch durch das Zollkriminalinstitut wird durch die klare Formulierung des § 39 vorgebeugt. Doch, meine Damen und Herren, bei aller Entschlossenheit, dem kriminellen Export von Kriegswaffen und Rüstungstechnologie ein Ende zu bereiten, und bei allem Bemühen der Bundesregierung, hier besonders restriktiv vorzubeugen, bleibt eines unübersehbar: Wirklich erfolgreich werden diese Bemühungen nur dann sein, wenn zu den nationalen Bemühungen, Rüstungsexporte zu unterbinden, solche im größeren europäischen und internationalen Rahmen hinzutreten, wenn es zu einer internationalen Kooperation und Koordinierung bei Rüstungsexportbeschränkungen kommt. Die Wirtschaft ist, wie wir alle wissen, heute weltweit tätig und über alle Grenzen hinweg miteinander verflochten. Doch die Politik der Rüstungsexportbeschränkung macht bislang an den Grenzen noch halt. Solange dies so ist, werden unsere Bemühungen nicht die Erfolge haben, die wir uns wünschen. Das Problem wird dort noch verschärft, wo es sich um Kooperationsabkommen oder Dual-use-Produkte handelt. Wenn Ende 1992 der europäische Binnenmarkt Wirklichkeit wird, müssen Regelungen im EG-Rahmen vereinbart worden sein, die greifen und die auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten akzeptabel sind. Allein nationale Regelungen sind in diesem Bereich blanker Anachronismus. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich dazu auf, Herr Minister, in Brüssel entsprechend tätig zu werden. Dabei sollte sie alles daran setzen, daß die inzwischen sehr restriktiven, strikten und weitreichenden deutschen Exportkontrollen auch auf europäischer Ebene durchgesetzt werden. ({1}) Mit Genugtuung war in der letzten Woche zu lesen, daß der luxemburgische Ratspräsident für die EG umgehend eine gemeinsame Politik im Bereich des Exports von Rüstungsgütern forderte. Ähnliches war aus der EG-Kommission zu hören. Diesen Worten, meine Damen und Herren, müssen jetzt Taten folgen. Die deutschen Bemühungen sollten sich aber nicht nur auf die EG erstrecken; andere regional weitergreifende internationale Gremien wie die KSZE bis hin zur UNO sollten in die Bemühungen mit einbezogen werden. Für die Mitglieder des Weltwirtschaftsgipfels ergibt sich die Chance, das Thema „Rüstungsexportkontrolle" zu einem wichtigen Beratungspunkt auf der Tagung Mitte Juli in London zu machen. Was internationale Bemühungen betrifft, so gibt es ja bereits wirksame Aktionen, nämlich die COCOM-Liste. Was im Ost-West-Verhältnis möglich war, sollte auch in Nord-Süd-Richtung funktionieren können, um im Rahmen der UNO eine Ächtung aller biologischen, chemischen und atomaren Waffenexporte zu erreichen. ({2}) Wir hoffen darun, daß unsere Verschärfungen der Exportkontrollen initiativ wirken. Klare restrikte Richtlinien für den Export sensibler Technologien und von Rüstungsgütern bedürfen dringend einer internationalen Harmonisierung. Herr Präsident, meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der massiven und zeitweilig pauschalen Kritik an der deutschen Wirtschaft erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Die deutsche Wirtschaft ist nach den harten Attacken in den letzten Wochen sehr daran interessiert, ihren guten Ruf wiederzuerlangen. ({3}) Die globalen, oft nicht nachweisbaren Vorwürfe waren überzogen und sind daher scharf zu mißbilligen. Diese Vorwürfe kommen aus der gleichen Ecke, die jetzt sehr lautstark ihre Bedenken gegen die präventiven Maßnahmen äußert. Hier stimmen Anspruch und Wirklichkeit nicht überein. Meine Damen und Herren, weil einige wenige Unternehmen kriminelle Handlungen begingen, die ohne Wenn und Aber zu verurteilen sind, kann man die deutsche Wirtschaft insgesamt nicht an den Pranger stellen, eine Wirtschaft, die sich in ihrer überwältigenden Mehrheit streng an Recht und Gesetz hält. Die deutsche Wirtschaft begrüßt daher fast ausnahmslos die weiteren Verschärfungen im Außenwirtschaftsrecht und dokumentiert damit ihre Unterstützung der politischen Ziele der Rüstungsexportbeschränkung. Diese Haltung erlaubt es, auch auf die Selbstkontrolle der Wirtschaft zu bauen, die die deutsche Wirtschaft bereits seit Ende 1989 mit Erfolg praktiziert. Als beispielhaft muß hier die Selbstkontrolle der chemischen Industrie genannt werden. Wenn Unternehmen von vornherein keine Endverbleibserklärung erhalten, wird nicht geliefert. Durch die Selbstkontrolle werden auch rechtzeitig die Ermittlungsbehörden informiert. Auch nach der heutigen Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird es noch lange dauern, bis der außenpolitische Schaden behoben ist, den kriminelle Aktivitäten verursacht haben. ({4}) Begreifen wir unsere Bemühungen zur Rüstungskontrolle als entschlossenes und initiatives Engagement für eine Internationalisierung der Waffenexportkontrollen und als Dokumentation einer überzeugten Ächtung krimineller Verhaltensweisen. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Hermann Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jüngere Geschichte der bundesdeutschen Rüstungsexportkontrolle ist eine Geschichte des Versagens der politisch verantwortlichen Bundesregierung. Schon lange wissen wir, daß nicht nur einige wenige schwarze Schafe, wie man uns immer wieder weismachen will, zu Exporteuren des Todes geworden sind, sondern daß sich eine immer länger werdende Reihe von Unternehmen an diesen Geschäften eine goldene Nase verdient hat und wohl noch immer verdient. Dies gilt für die sogenannten legalen Exporte, die mit dem Wohlwollen der Bundesregierung durchgeführt werden und wurden ebenso wie für die unter den Augen der Behörden getätigten illegalen Exporte. Die beiden von der SPD initiierten Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, die sich in der vergangenen Legislaturperiode mit den legalen und illegalen Waffen- und Rüstungsexporten befaßt haben, haben schon längst das erschreckende Ausmaß der tiefen Verstrickung deutscher Unternehmen und deutscher Politik in die immer umfangreicher werdenden Waffen- und Rüstungsexporte zutage gefördert. ({0}) Aber noch nicht einmal die Tatsache, daß ein deutscher Unternehmer eine vollständige Giftgasfabrik nach Libyen liefern konnte, führte zum Aufbau eines wirksamen und weitgehend lückenlosen Kontrollsystems. Auch die Lieferungen von Rüstungsgütern und Massenvernichtungstechnologien in den Irak standen in den vergangenen Jahren immer wieder im Mittelpunkt gut recherchierter Presseberichte, ohne daß die Regierung daraus die dringend notwendigen Konsequenzen gezogen hätte. Seit es - um nur ein Beispiel zu nennen - Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre einem Freiburger Unternehmen gelang, einen wichtigen Baustein zum pakistanischen Atombombenprogramm, eine komplette Uranhexafluorid-Anlage, im Wert von 15 Millionen DM in 62 Teillieferungen an bundesdeutschen Behörden und Grenzkontrollen vorbei illegal nach Pakistan zu exportieren, war vor allem auch den damit befaßten Politikern und Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesamtes für Wirtschaft klar, daß unsere Grenzen für illegale Rüstungsexporte weit geöffnet sind und skrupellose Geschäftemacher leichtes Spiel haben. Dem Rüstungsexporteur im übrigen wurde damals kaum ein Haar gekrümmt. Er erhielt Mitte der 80er Jahre für dieses verbrecherische Geschäft lediglich acht Monate Freiheitsstrafe, selbstverständlich zur Bewährung ausgesetzt, und hatte eine Bewährungsauflage von lediglich 30 000 DM zu zahlen. ({1}) - Mitte der 80er Jahre fiel das Urteil. Warten Sie ab, das kommt ja noch. Dies ist ein Betrag, der in Anbetracht der Gewinne, die bei diesen Geschäften gemacht werden, buchstäblich aus der Portokasse bezahlt wird. Das Urteil des Freiburger Schöffengerichts ({2}) ließ im übrigen keinen Zweifel daran, wieso es sich gezwungen sah, den Rüstungsexporteur - hören Sie doch einmal genau hin; ich versuche nicht, hier schwarz-weiß zu malen, wie Sie schnell merken werden ({3}) strafrechtlich auch noch so komfortabel zu behandeln. Zugunsten des Angeklagten, hieß es da, sei zu berücksichtigen, daß ihm die staatlichen Stellen die Tat leicht gemacht haben. Zur Durchführung der Exporte habe es keiner Nacht-und-Nebel-Aktion bedurft. ({4}) Der Exporteur habe, so wörtlich, keinesfalls besonders raffiniert vorgehen müssen, um sein Ziel zu erreichen. ({5}) Jetzt kommt es: Obwohl dem Wirtschaftsministerium und auch dem damaligen Wirtschaftsminister ({6}) dieses Urteil zur Kenntnis gebracht wurde und im Wirtschaftsministerium sogar noch Verbesserungsvorschläge erarbeitet wurden, geschah gar nichts. Erst nach dem Rabta-Skandal fing man unter dem öffentlichen Druck so ganz langsam an, die einschlägigen Strafvorschriften zu verschärfen. ({7}) Kein Wunder also - jetzt kommt die bittere Konsequenz -, daß der Giftgasexporteur aus Lahr noch im vergangenen Jahr so behandelt wurde, als hätte er lediglich ein verzeihliches Kavaliersdelikt begangen. Vieles konnte unter den Augen der Behörden ganz legal exportiert werden, ({8}) weil die Maschen des Außenwirtschaftsrechtes nach wie vor zu weit geknüpft sind und weil die Ideologie der Exportförderung immer den Vorrang vor wirksamen Kontrollen hatte. ({9}) Da sprachen leitende Beamte im Atomskandal-Untersuchungsausschuß davon, daß es nicht die Aufgabe der Exportkontrolleure sei, so wörtlich, der deutschen Industrie Knüppel in den Weg zu legen. Da war davon die Rede, daß im Zweifel für den Exporteur entschieden worden sei, weil nach der Rechtslage die Exportfreiheit Vorrang habe. Wen wundert es da noch, daß Geheimdiensthinweise auf illegale Exporte als lästige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abgelehnt wurden und daß ein früherer Kontrollbeamter aus dem Bundesamt für Wirtschaft gar meinte, anonyme Papiere, also Geheimdiensthinweise, dieser Art landen bei mir normalerweise im Papierkorb. Die Zitate ließen sich beliebig fortsetzen. Wer seine Aufgabe vorwiegend darin sah, für die Wirtschaft dazusein, Exporte grundsätzlich zu fördern und nicht gleichrangig zu kontrollieren, der ist schon aus seinem Selbstverständnis heraus nicht in der Lage, skrupellosen Rüstungsexporteuren auf die Finger zu schauen und ihnen schon im Vorfeld das Handwerk zu legen. Meine Damen und Herren, diese Zitate belegen mit aller Deutlichkeit aber auch, daß eine dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnete Exportkontrollinstitution schon strukturell nicht in der Lage sein kann, wirksame Kontrolle auszuüben. Unter der erdrückenden Fülle immer neuer Berichte über die tiefe Verstrickung deutscher Unternehmen in die Aufrüstung des Irak bis hin zur Lieferung von Massenvernichtungstechnologien war die Bundesregierung genötigt, Initiativen gegen den Rüstungsexport zu ergreifen. Wer allerdings geglaubt hatte, daß die Regierung nach diesen schlimmen Erfahrungen ihre bisherige expansive und extensive Rüstungsexportpolitik einschränken und einen Prozeß des Umdenkens einleiten würde, wurde enttäuscht. Mit dem Segen der Bundesregierung sollen Tornados und U-Boote nach Südkorea ebenso exportiert werden wie Panzerabwehrraketen nach Indien und U-Boote nach Israel. Nachdem die sogenannten legalen Rüstungsexporte in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen sind, soll offensichtlich auch in Zukunft kräftig genehmigt und exportiert werden. Von Lehren aus den bitteren Erfahrungen des Golfkrieges kann bislang keine Rede sein. Während die Bundesregierung nicht im Traum daran denkt, ihre Genehmigungspraxis einzuschränken, verlangen wir heute eine verbindliche gesetzliche Festlegung darauf, daß im Vorgriff auf eine spätere Verfassungsnorm bereits jetzt Waffenexporte in Staaten außerhalb der NATO gesetzlich untersagt werden. Dem können Sie heute zustimmen; das wäre doch ein deutliches Zeichen. ({10}) Mit einer rechtsstaatlich äußerst gefährlichen Minimallösung versucht die Bundesregierung, von ihrer, wie gesagt, extensiven Genehmigungspraxis abzulenken und den Eindruck zu erwecken, sie würde nunmehr unnachsichtig Rüstungsexporteure verfolgen und dingfest machen. Einem jahrelangen grenzenlosen Schlendrian, Herr Marschewski, bei der Konotrolle illegaler Rüstungsexporte soll nunmehr durch hektisch zusammengezimmerte Strafrechtsnormen und darauf aufbauende Telefonabhörermächtigungen zu Leibe gerückt werden, die in bedenklicher Weise in das verfassungsrechtlich geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis auch einer Vielzahl Unbeteiligter eingreifen. ({11}) Andere wirksame Instrumente zur Aufdeckung und Verhinderung illegaler Rüstungsexporte werden nicht einmal in Betracht gezogen. Wie Sie wissen, haben wir die uns bekannten Rüstungsexportverstöße in den Untersuchungsausschüssen gründlich unter die Lupe genommen. Deshalb wissen wir, daß verfassungsrechtlich einwandfreie Methoden, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf und Entschließungsantrag vorschlagen, dann, wenn sie kompetent durchgeführt werden, nicht nur geeignet, sondern auch ausreichend sind, illegale Rüstungsexporteure nicht nur nach der Tat zu fassen, sondern auch die geplanten Rüstungsexporte zu verhindern. ({12}) Dies gilt für rechtzeitig, und, wie gesagt, kompetent durchgeführte Außenwirtschaftsprüfungen ebenso wie für strafbewehrte Anzeigen und Anzeigepflichten sowie für eine strafprozessual geregelte legale Abhörberechtigung dann, wenn ein konkreter Verdacht besteht. ({13}) - Hören Sie nur zu! Sie hätten bei dem bleiben können, was wir vorgeschlagen haben. Wir fordern deshalb eine verbindliche gesetzliche Regelung, daß gründliche Außenwirtschaftsprüfungen in allen Fällen bereits dann durchgeführt werden müssen - nicht nur durchgeführt werden können -, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auftauchen, daß ein illegaler Rüstungsexport bevorsteht. Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie es in Fällen, in denen Sie jetzt abhören wollen, sogar noch abgelehnt, Außenwirtschaftsprüfungen durchzuführen. ({14}) Wer sich so verhalten hat, ist meines Erachtens nicht legitimiert, sich über Instrumente, die rechtsstaatlich einwandfrei sind, so gelassen hinwegzusetzen, wie das hier der Fall ist. ({15}) Neben den mit der Außenwirtschaftskontrolle befaßten Beamten soll nach unseren Vorschlägen jede Person verpflichtet werden, drohende Rüstungsexporte unverzüglich zur Anzeige zu bringen, wenn sie davon Kenntnis erlangt. Durch die Aufnahme der Rüstungsexportverstöße in die anzeigepflichtigen Delikte nach § 138 des Strafgesetzbuches riskieren diejenigen, die dieser Anzeigepflicht nicht nachkommen, selber eine empfindliche Strafe. Wir wollen auch, daß Arbeitnehmer, die von solchen Verstößen in ihren Betrieben erfahren und diese Informationen weitergeben, arbeitsrechtlich in vollem Umfange geschützt werden. ({16}) Wir halten es auch für richtig, daß eine Telefonüberwachung von Verdächtigen nach den Regeln der StPO dann durchgeführt wird, wenn, wie gesagt, ein konkreter Verdacht besteht. Eine Telefonüberwachung, die durchgeführt werden kann, ohne daß konkrete Umstände den Verdacht auf einen schweren Rüstungsexportverstoß rechtfertigen, lehnen wir aus rechtsstaatlichen Gründen ab. Uns ist völlig unverständlich, daß die Regierung nun mit Brachialgewalt diese unnötigen neuen und in dieser Weise bisher nirgendwo bestehenden Telefonabhörbefugnisse schaffen will, durch die eine unabsehbare Vielzahl von Menschen in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Bewahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses in Mitleidenschaft gezogen werden können und wohl auch werden. Wir brauchen keinen grenzenlosen Überwachungsstaat, um den illegalen Rüstungsexporteuren das Handwerk zu legen. ({17}) Der Rechtsstaat ist stark genug, um diese Aufgabe mit rechtsstaatlich einwandfreien Mitteln zu lösen. ({18}) Daß Sie ganz genau wissen, welch gefährliche Operation Sie an unserer verfassungsrechtlichen Grundordnung vornehmen wollen, das zeigt auch die Tatsache, daß Sie immer wieder neue Formulierungen vorgenommen und Ergänzungen hinzugefügt haben und nunmehr diese unerträglich extensive Abhörermächtigung lediglich bis zum 31. Dezember 1994 befristen wollen. Was soll das eigentlich? Was soll denn danach kommen, wenn Sie uns bisher andere Instrumente weder zur Entscheidung noch zur Beratung vorgelegt haben? Meine Damen und Herren, wenn außerdem ein Rüstungsexporteur befürchten muß, daß er im Falle einer Entdeckung nicht nur mit hohen Freiheitsstrafen zu rechnen hat, sondern auch seine berufliche Existenz auf dem Spiel steht und ihm durch Gesetz zwingend sein gesamter Bruttoerlös abgenommen wird, dann wird er sich sehr wohl überlegen, ob er sich auf derartige Risiken einläßt. Völlig unzureichend geregelt ist bis heute auch der gesamte Bereich der Ausfuhr der sogenannten Dualuse-Produkte und -Technologien, also die Ausfuhr von Gegenständen und Techniken, die sowohl friedlichen Zwecken dienen als auch sehr schnell einer gefährlichen kriegerischen Verwendung zugeführt werden können. Wirksame Rüstungsexportkontrolle kann letztlich nur dann funktionieren, wenn die noch immer zersplitterten Zuständigkeiten für Exportgenehmigung und -kontrolle endlich zusammengefaßt werden und bei einem dafür zuständigen Exportkontrollamt hinreichender Sachverstand für die Kontrolle besteht. Auch von derartigen, zwingend notwendigen administrativen Maßnahmen haben wir bislang kaum etwas gesehen. Wir haben allenfalls einige unverbindliche Andeutungen vernommen, daß die Exportgenehmigungszuständigkeit irgendwann aus dem Eschborner Bundesamt für Wirtschaft ausgegliedert werden soll. Geschehen ist in dieser Richtung nach meiner Kenntnis bis heute allerdings noch nichts. Auch muß seitens der Bundesregierung endlich mit der unerträglichen Geheimniskrämerei bei Rüstungsexporten Schluß gemacht werden. ({19}) Das Parlament und die Öffentlichkeit müssen unaufgefordert, umfassend und lückenlos ({20}) - und wahrheitsgemäß - über Rüstungsexporte und die der Regierung bekannten Rüstungsexportverstöße unterrichtet werden - nicht nur über die illegalen Rüstungsexporte, sondern über alle. Im Gegensatz zu unserem Gesetzentwurf und unserem Entschließungsantrag, dem Sie heute zustimmen können, wenn Sie es mit der Rüstungsexportkontrolle, auch für legale Exporte, ernst meinen, wird sich durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung an den Rüstungsexporten, wie gesagt, wenig bis gar nichts ändern. Es bleibt bei der extensiven Praxis immer weiterer legaler Exporte in Staaten außerhalb des NATO-Bereiches und einer immer tieferen Verstrikkung in gegenwärtige und zukünftige Konflikte auf dieser Erde. Auch bei der Bekämpfung der illegalen Rüstungsexporte wird der Regierungsentwurf wenig ändern. Im legalen Bereich ändert sich bekanntlich gar nichts. Davon soll dieser Entwurf entscheidend ablenken. Das ist die Strategie, die hier angewendet wird. ({21}) Wer eine so großzügige Rüstungsexportgenehmigungspraxis betreibt, meine Damen und Herren, wie dies bei der Bundesregierung der Fall ist - jetzt hören Sie einmal genau zu - , braucht sich nicht zu wundern, wenn gewissenlose Krämerseelen skrupellose Geschäfte mit dem Tod betreiben. Das hat Ausstrahlungswirkung, meine Damen und Herren. Auch der illegale Rüstungsexport wird am wirksamsten dadurch bekämpft, daß wir den sogenannten legalen Export endlich einschränken, um in einer hoffentlich nicht zu allzu fernen Zukunft, ebenso wie Japan, das wir uns sonst immer zum Vorbild nehmen sollen, ganz auf die Ausfuhr von Rüstungsgütern zu verzichten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Abgeordneten Heinrich Kolb das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Stuttgarter Nachrichten" hatten die erste Lesung des heute zur Beratung anstehenden Gesetzes mit der Schlagzeile kommentiert: „Der Empörung folgt ein verwässerter Gesetzentwurf". Schon das war falsch. Ich stelle heute fest: Mit dem hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf, der eben kein verwässerter Entwurf ist, sollte diese Kritik endgültig verstummen. ({0}) Mehr noch, der Kollege Bachmaier fühlte sich damals bemüßigt, zu kritisieren - ich zitiere jetzt: Dieses Verfahren hat bei der Koalition schon Methode. Dem Ausdruck großen Entsetzens folgen vollmundige Ankündigungen, hinter denen die dann vorgelegten Gesetzentwürfe weit zurückbleiben, und im Gesetzgebungsverfahren gegen die Aufweichungen und Verwässerungen weiter. Herr Kollege Bachmaier, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen von dieser Stelle aus sage: Sie haben sich geirrt! Der jetzt in der zweiten Lesung vorliegende Entwurf bleibt in keinem Falle hinter dem ursprünglichen Entwurf und hinter unseren Ankündigungen zurück. Gestatten Sir mir auch noch die folgende Anmerkung. Mir scheint doch ein bißchen das von Ihnen damals Gesagte aus heutiger Sicht auf die SPD zuzutreffen: Erst große Ankündigungen, jetzt aber wirklich dafür sorgen zu wollen, daß illegale Waffenexporte aufhören; dann bekommen Sie kalte Füße und machen einen Rückzieher. ({1}) Herr Kollege Schily, ({2}) im Wirtschaftsausschuß konnte man den Eindruck gewinnen, daß die SPD gar nicht so schnell an einer wirksamen Regelung dieser Frage interessiert ist. ({3}) Ich räume allerdings ein: Es ist für Sie angenehmer, die Regierung wegen angeblicher Untätigkeit regelmäßig zu kritisieren, als heute zuzugeben, daß mit einem wirksamen Gesetzentwurf Abhilfe geschaffen wird. ({4}) Zurück zur Sache: Der heute vorliegende Entwurf ist in der Tat von dem Bemühen getragen, das Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen. Dabei steht die Möglichkeit des Abhörens im Vorfeld nach den §§ 39, 40 des Außenwirtschaftsgesetzes, das beschlossen werden soll, zwar im Mittelpunkt der Diskussion. Wir dürfen aber dennoch nicht übersehen, daß wir es mit einem ganzen Bündel von Vorschriften zu tun haben, die neu oder in dieser Ausgestaltung erst seit kurzem in unsere Rechtssystematik eingeführt sind. Ich nenne die wichtigsten Stichworte: der besondere Straftatbestand für Embargoverstöße, die erhebliche Verschärfung der Strafbestimmungen, die dazu führt, daß bei Mindeststrafen von zwei Jahren eine Bewährung in aller Regel ausscheidet, die Bestrafung von Technologiesöldnern, die Ermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft im Einzelfall bei bestehender Gefahr, die Änderung des Gesetzes zu Art. 10 des Grundgesetzes, wonach jetzt auch Erkenntnisse aus der Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes in Fällen illegaler Exporte verwendet werden können, und schließlich - ganz wichtig - die Strafgesetzänderung, wonach eine Abschöpfung der Erlöse nach dem Bruttoprinzip erfolgen kann, d. h. es werden sämtliche Erlöse ohne Schmälerung durch irgendwelche Aufwendungen eingezogen. Der Gesetzentwurf entspricht dem Bekenntnis zu einer neuen Qualität der Verantwortung, die mit dem gestiegenen außenpolitischen Gewicht der Bundesrepublik Deutschland korrespondiert. ({5}) - So ist es. Mit dem Ende des Golfkrieges ist unsere Empörung eben nicht zu Ende. Wir nehmen das Ende des Krieges nicht zum Anlaß, zur Tagesordnung überzugehen, sondern wir bekennen uns auch jetzt noch zu unserer Verantwortung, die zwingend zum liberalen Rechtsstaat und damit auch zu einer freiheitlichen Verfassung unseres Außenhandels gehört. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es, wie der Kollege Bachmaier zu sagen pflegt, der Wahrheitsfindung dient, gerne.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht, Herr Kollege. Da Sie den Eindruck erwecken, daß Ihre Vorschläge das Problem gerade der Waffenlieferungen in den Irak lösen, möchte ich Sie fragen, wie Sie mit den jetzt vorgeschlagenen Mitteln verhindern wollen, daß sich wiederholt, was gerade geschehen ist, daß nämlich der Irak aus deutsch-französischer Gemeinschaftsproduktion mit mindestens 11 000 Raketen beliefert worden ist?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Damit ist das Problem der Rüstungskooperation angesprochen. Das können wir durch nationale Alleingänge sicher nicht lösen. Wir erledigen hier unsere Hausaufgaben und machen das, was getan werden muß. Daß dann auf europäischer Ebene gehandelt werden muß, ist selbstverständlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Geis [CDU/CSU]: Darum geht es! - Müller [Pleisweiler] [SPD]: Damit haben Sie zugegeben, daß es nicht gelöst ist! Ich fahre fort. Auch die starke Exportorientierung unseres Landes selbst ist ein Grund zu besonderer Verantwortung. Wir Liberalen halten das Argument für falsch, daß im Hinblick auf die Exporte nicht zu strenge Gesetze geschaffen werden dürften. Im Gegenteil: Gerade weil wir auch zukünftig hohe Exporte wollen, brauchen wir eine strenge Gesetzgebung, ein strenges Außenwirtschaftsgesetz, daß die Spreu vom Weizen trennt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Kolb, da meldet sich Herr Schily zu einer Zwischenfrage.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte jetzt gerne fortfahren und den Fluß der Rede nicht zu sehr unterbrechen. ({0}) Das Gesetzgebungsverfahren war in der Schlußphase stark von juristischen Grundsatz- und Einzelfragen, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung der Möglichkeiten zum Abhören von Telefongesprächen sowie der Überwachung des Postverkehrs, geprägt. In der Tat handelt es sich bei dem jetzt vorliegenden Entwurf um eine neue Variante der Beschränkung von Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Zukünftig kann eine Einschränkung unter Umständen schon dann angeordnet werden, wenn noch keine Straftat vorliegt; denn die reine Planung von Straftaten ist bekanntlich noch nicht strafbar; strafbar ist erst der Versuch. Ich darf Ihnen versichern: Gerade dieser Punkt ist es, der auch in unserer Fraktion zu erheblichen Bedenken und Diskussionen geführt hat. Gerade wir Liberalen tragen schwer an dieser Entscheidung, die Möglichkeiten der Post- und Fernmeldeüberwachung auszuweiten. ({1}) Kein Mitglied der FDP-Fraktion stimmt heute jubelnden Herzens dieser Vorschrift zu. Aber wir dürfen auch nicht die besondere Qualität der Gefahren übersehen, die wir mit diesem Gesetz bekämpfen wollen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, die Sie hier den Eindruck erwecken wollen, als ob Sie hier und heute die Aufgabe hätten, den Rechtsstaat zu verteidigen. ({2}) Den erfolgreichen Export etwa einer Chemiewaffenfabrik zu verhindern ist uns die ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema Abhören im Vorfeld von Straftaten wert. ({3}) Wir antworten mit einem außergewöhnlichen Gesetz auf eine außergewöhnliche Gefährdung. Dabei waren bei der Abwägung für uns unter anderem folgende Überlegungen von Bedeutung. Zwischen der Planung und der Ausführung eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz liegt häufig nur eine geringe zeitliche Spanne. Es kommt darauf an, bereits Vorbereitungshandlungen zu erkennen. Durch die strafbare Handlung wird das Tatobjekt in aller Regel dem Zugriff unserer Behörden entzogen. Wir sind zur Schadensverhütung und Schadensbegrenzung also darauf angewiesen, die Straftat möglichst noch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu stoppen. ({4}) Es muß eine möglichst starke Präventionswirkung erreicht werden. Wir haben es mit international und arbeitsteilig operierenden Tätern bzw. Tätergruppen zu tun. Dabei begegnet uns ein neues Phänomen von Kriminalität, gegen das nur extrem schwierig zu ermitteln ist. Ich denke, daß Telefongespräche und der Postverkehr der illegalen Exporteure im Vorfeld von Straftaten mit Partnern und Zulieferern eine gute Ansatzmöglichkeit bieten. Schließlich gibt es noch das Problem der Dual-useGüter. Es ist hier schon angesprochen worden. Hier kann dem konspirativen Täter, der Güter ordert, oft nur durch Post- und Fernmeldeüberwachung das Handwerk gelegt werden. Ganz zuletzt ist für uns auch die internationale Aufmerksamkeit und die internationale Beachtung von Bedeutung, die diese Frage findet. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch folgendes sagen. Die Ausweitung der Post- und Fernmeldekontrolle in diesem besonders sensiblen Bereich bedeutet für uns Freie Demokraten auf keinen Fall, daß nun auch in anderen Fällen - hier war schon das Stichwort Drogen/Rauschgift zu hören - das Tor geöffnet werden könnte. Die Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses ist und bleibt auch weiterhin ein zentrales Anliegen liberaler Politik. ({5}) Ein Weiteres dazu: Die Zustimmung wird für uns durch die Befristung der Maßnahmen etwas erleichtert. Sie wurde im Gesetzgebungsverfahren auf vier Jahre reduziert. Auch die Unterrichtung der Betroffenen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ist für uns in diesem besonderen Verfahren der Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit. Die Mitwirkung von Richtern an den Überwachungsverfahren, die zur Verbesserung der Erkenntnismöglichkeiten führen soll, ist für uns wesentlich. Ein Verfahren analog G 10 ohne Mitwirkung der Judikative hätte unsere Zustimmung nicht gefunden. Die Liberalen haben sich nachhaltig dafür eingesetzt, ein Richtergremium mit der Prüfung des Antrags zu befassen. Die Einschaltung einer Kammer des Landgerichts bietet hier die Möglichkeit präjudizieller Rechtsbildung, bietet die Garantie für einen einheitlichen Maßstab. Auch die Frage der klaren politischen Verantwortung, die durch die Beteiligung des Bundesministers der Finanzen aufkommt, möchte ich als einen für uns wesentlichen Aspekt herausstellen. Ein ernsthaftes Problem möchte ich nicht verschweigen. Es ist die Überwachung juristischer Personen, die aus fernmeldetechnischen Gründen nur schwer auf den Kreis der unmittelbar Agierenden zu begrenzen ist. Auch deshalb ist für unsere Fraktion die Zustimmung zu diesem Gesetz gleichzeitig die Aufforderung, die Erfahrungen mit dieser Vorschrift sehr aufmerksam zu beobachten. Herr Bachmaier, warum drängte das Verfahren? Ich gebe zu, das Gesetzgebungsverfahren stand unter einem zeitlichen Druck wie selten. Dabei hat insbesondere die SPD zuletzt den Eindruck erweckt, so dringend sei das Ganze doch nicht, als daß es nicht noch bis nach Ostern liegen bleiben könne. Ich sage Ihnen, Herr Bachmaier: Das Thema steht aus innen- und aus außenpolitischen Gründen hochaktuell auf der Tagesordnung. Um es am Beispiel des Irak, der hier zitiert wurde, in dem ein Diktator - das können Sie sich vorstellen - jetzt ganz aktuell um den Wiederaufbau seiner Macht kämpft, zu sagen: Wenn wir schon nicht verhindern konnten, daß deutsche Firmen illegal im Vorfeld des Golfkriegs tätig waren, so sollten wir doch jetzt verhindern, daß sie erneut auf dem Markt für Rüstungsgüter auftreten können. Hier, denke ich, ist durchaus Eile geboten. Wenn jemand glaubt, dies tun zu müssen, so soll er wissen, daß die politische Mehrheit dieses Landes dieses Tun mit wirksamen Mitteln und in aller Schärfe zu bekämpfen bereit ist. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir deutlich: Illegale Rüstungsexporte sind Verbrechen, sind keine Ordnungswidrigkeiten, sind Verbrechen. ({6}) Es gibt dafür keine Schonung. Der Gesetzentwurf signalisiert allen: Illegale Rüstungsexporte sind mit der Annahme dieses Gesetzes endgültig kein Kavaliersdelikt mehr. Danke schön. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Poppe.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, Reuter, beschwerte sich im Februar 1991 über die Bonner Rüstungsexportpolitik. Zitat: Nirgendwo in der Bundesrepublik gibt es ein wirtschaftliches Thema, das mit mehr Heuchelei, Feigheit und Opportunismus durchsetzt ist als das des Waffenexports. Die Politik ist massiv daran beteiligt. Herr Reuter hat recht. Bündnis 90/DIE GRÜNEN könnten dieser Bemerkung voll zustimmen, wenngleich Herr Reuter sie aus völlig anderen Gründen machte, als wir es täten, wenngleich er sicherlich auch andere Schlußfolgerungen aus dem beklagten Umstand zieht, als wir dies tun. Was war geschehen? Das Modell eines Tornado-Kampfbombers war auf Betreiben des Wirtschaftsministeriums aus der größten deutschen Technologieausstellung in Südkorea entfernt worden, obgleich hinter den Ausstellungskulissen die Verhandlungen des deutschen Unternehmers mit südkoreanischen Regierungsstellen über die Lieferung von 50 Tornados weitergingen, wofür die Bundesregierung schon vorsorglich die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung signalisiert hatte. Ein weiteres Zitat aus berufenem Munde. ({0}) Der Sprecher des Verbandes der chemischen Industrie stellte fest, wenn man tatsächlich verhindern wolle, daß Rüstungsgüter in die falschen Hände geraten, dann müsse man den Waffenhandel konsequent verbieten bzw. auf die Mitglieder der NATO beschränken. Der Sinn dieser und ähnlicher Äußerungen seitens der Industrie ist leicht zu verstehen. Sie will nicht als alleiniger Sündenbock für die Rüstungsexportskandale dastehen. Sie erwartet von den Politikern, daß sie sich zu ihrer Mitverantwortung bekennen, ihre Verwicklung in Waffengeschäfte bzw. deren Billigung eingestehen. Sie erwartet weiterhin, daß sich die Regierung nicht hinter Sprechblasen versteckt, sondern sich offensiv zur angeblichen Notwendigkeit weiterer Rüstungsexporte bekennt. Wir ziehen - ich sagte es schon - andere Schlüsse. Auch wir wollen, daß die Politiker Farbe bekennen. Wir wollen, daß sie nach der kriegsfördernden Rolle der deutschen Exporte in den Irak mit dieser Praxis brechen und das Geschäft mit dem Tod generell ächten. ({1}) Was aber geschieht tatsächlich? Da genehmigt die Bundesregierung den Export von 12 000 Panzerabwehrraketen nach Indien, als gäbe es die politischen Spannungen in dieser Region nicht, die sich schon zweimal in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan entluden. ({2}) Da sollen Tornados und U-Boote an Südkorea geliefert werden, obwohl jeder weiß, daß die koreanische Halbinsel zum Brennpunkt eines künftigen Krieges werden könnte, und obwohl jeder weiß, daß in Südkorea die Menschenrechte massiv verletzt werden. ({3}) Amnesty international hat vor wenigen Tagen eindringlich dazu aufgefordert, Rüstungsexporte in Länder zu unterlassen, in denen die Menschenrechte nicht garantiert sind. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat festgestellt, daß im Dezember 1990 1 300 politische Gefangene in südkoreanischen Gefängnissen saßen. Amnesty international rechnet vor, daß von 1988 bis 1990 unter dem angeblich liberalen Präsidenten 4 100 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert waren, fast genauso viele wie unter seinem Vorgänger in allerdings sieben Jahren. Wenn Sie heute einen Schritt in die richtige Richtung tun wollen, meine Damen und Herren, dann stimmen Sie dem Antrag von Bündnis 90/GRÜNE zu, die Herstellungs- und Exportgenehmigungen für die Südkorea-Tornados und U-Boote nicht zu erteilen bzw. unverzüglich zurückzuziehen. ({4}) Die erwähnten Beispiele zeigen das Hauptproblem mit dem Antrag der Koalition an. Ich wies bereits vor einer Woche auf die unglaubliche Steigerung des Exports von Waffen, Munition und Rüstungsgütern hin, 1989 genehmigte Exporte im Wert von 13 Milliarden DM gegenüber 7 Milliarden DM im Vorjahr. Das war eine Steigerung um 86 %. Zu den 13 Milliarden DM kommen dann noch 2 Milliarden DM nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigte Exporte. Die Bundesregierung behauptet gerne, das eigentliche Problem seien die illegalen Exporte; die Zahlen beweisen das Gegenteil. Der von der Regierungskoalition unterstützte Gesetzentwurf - das ist unser Hauptkritikpunkt - befaßt sich nur mit den illegalen Exporten. Überdies ist das selbst für diesen eingeschränkten Bereich unzureichend. Restriktive Ausfuhrgesetze und verschärfte Sanktionen sind die eine, sicher notwendige Sache, sie im erforderlichen Umfang durchzusetzen, eine andere. Es reicht nicht, die Strafen nur im Ausnahmefall, bei Embargoverstößen gegen UNO-Beschlüsse drastisch zu verschärfen, sie bei anderen Straftaten aber erheblich niedriger zu halten und nicht genehmigte Exporte im gesamten Bereich der Dual-use-Güter weiterhin als Ordnungswidrigkeit zu behandeln, es sei denn, sie wären geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erheblich zu stören, letzteres trotz der bekanntermaßen problematischen Beweisführung vor Gericht. Fragwürdig im rechtsstaatlichen Sinne ist auch die Erweiterung des Überwachungssystems auf den Brief- und Telefonverkehr. ({5}) Davon wurde ausgiebig gesprochen. Statt geheimdienstlicher Überwachung wäre die Veröffentlichungs- und Rechenschaftspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag ein dem Rechtsstaat angemesseneres und zudem effektiveres Prinzip. Wir legen Ihnen heute auch hierzu einen Entschließungsantrag vor und bitten um Ihre Zustimmung. ({6}) Wären denn nun Antrag und Gesetzentwurf der SPD eine befriedigende Alternative zum Entwurf der Bundesregierung? Wir meinen nein, ({7}) denn die Annahme ist unrealistisch, es könne genügen, daß die Bundesregierung „darauf hinwirkt", daß Kooperationsverträge revidiert werden. Die Vertragspartner werden auf solch subtile Weise schwerlich so zu beeindrucken sein, daß sie mit der gebotenen Geschwindigkeit ihre nationalen Gesetze ändern. Auch werden auf diese Weise die Zweifel am Endverbleib in anderen NATO-Staaten nicht ausräumbar sein. Mit solchen Formulierungen hätten wir nichts anderes als eine permanente Absichtserklärung der Bundesregierung ohne Folgen. Der einzig sichere Weg wäre - da bin ich wieder bei jenem zutreffenden wenn auch anders gemeinten Unternehmerzitat - das vollständige Verbot von Rüstungsexporten. Übrigens, werte Kollegen von der PDS, Sie hätten uns diese unsere ureigene Forderung nach all den Geschäften Ihrer Vorgängerin mit Dritte Welt-Diktaturen getrost weiter überlassen sollen. Das vollständige Verbot von Rüstungsexporten - ein1212 schließlich seiner Festschreibung im Grundgesetz sowie der regelmäßigen Offenlegung aller relevanten Exportdaten - wäre der Weg. Mit zwei abschließenden Fragen möchte ich zum wiederholten Male die Bundesregierung an ein abgegebenes Versprechen erinnern: Erstens. Wo bleibt der bereits für den 10. März 1991 angekündigte Bericht über Rüstungsexporte in den Irak? Zweitens. Wird hier Verzögerungstaktik betrieben, oder dauert es so lange, weil dieser Bericht so umfangreich und vollständig wird, wie wir das erwartet haben. Vielen Dank. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Otto Schily. ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kolb, ich empfand es als nicht fair, daß Sie hier versucht haben, den Eindruck zu erwecken, als hätten wir das Gesetzgebungsverfahren verzögern wollen. Sie werden sich erinnern, Herr Kollege Wissmann hat sich in der Ausschußsitzung ganz anders verhalten. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß er bestätigt hat, daß wir hier ungeachtet vieler Schwierigkeiten - ich will mich mal vorsichtig ausdrücken - und einem ziemlich chaotischen Verfahren äußerste Geduld bewiesen und uns auch in der letzten Sitzung bereitgefunden haben, das Abstimmungsverfahren durchzuführen. Sie sollten das, was Sie gesagt haben, hier vielleicht korrigieren. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD kann es als einen nicht unbedeutenden Erfolg verbuchen, wenn es heute zu einem Gesetz zur Verschärfung der Vorschriften im Bereich illegaler Rüstungsexporte kommt. Denn es ist dem beharrlichen Drängen der SPD-Bundestagsfraktion, allen voran Norbert Gansel, Hermann Bachmaier und Albrecht Müller - um nur einige Namen zu nennen - , zu verdanken, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sich überhaupt bewegt haben. ({0}) Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen können, dem besseren Gesetzesvorschlag der SPD und den in dem Antrag der SPD enthaltenen Maßnahmen zuzustimmen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab, zumal dieser eine rechtsstaatlich äußerst bedenkliche Abhörregelung enthält. Die von Ihnen vorgesehenen Abhörbefugnisse stellen praktisch die gesamte deutsche Industrie unter einen Generalverdacht. Das halten wir nicht für angemessen. ({1}) Verschärfungen des Strafrechts zur Bekämpfung illegaler Rüstungsexporte sind zu begrüßen. Aber sie nutzen nicht allzuviel, wenn das Rüstungsexportgeschäft blüht, weil die Regierung dem legalen Rüstungsexport alle Türen und Tore öffnet. ({2}) Sie nützen vor allen Dingen dann kaum etwas, wenn in der Rüstungsindustrie der Eindruck vorherrscht, der Bundesregierung sei an der Eindämmung von Rüstungsexporten nichts gelegen und es fehle ihr an der Entschlossenheit, die entsprechenden Vorschriften zur Beschränkung von Rüstungsexporten strikt anzuwenden und durchzusetzen. Das weitgehende Wohlwollen, das die Bundesregierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten hat walten lassen, das augenzwinkernde Einverständnis bei der Umgehung von Rüstungsexportgeschäften oder das schiere Wegsehen ({3}) haben in hohem Maß dazu beigetragen, die Bundesrepublik in Verruf zu bringen und den Schluß zu rechtfertigen, daß die Exporteure des Todes bei uns sich nahezu alles leisten können. ({4}) Die Tatsache, daß im Jahr 1989, wie schon erwähnt wurde, Rüstungsexporte im Wert von ca. 13 Milliarden DM genehmigt wurden und daß sich die Rüstungsexporte in der Regierungszeit Kohl fast verdoppelt haben, beweist, daß die Bundesregierung Rüstungsexporte nicht zurückführen will, sondern sie eher fördert. ({5}) Dazu gehört auch, daß die Bundesregierung bisher alles darangesetzt hat, die öffentliche Kontrolle und Aufklärung von Rüstungsexporten zu unterlaufen und zu erschweren. „Betrug im Bundestag" ({6}) überschrieb die „Zeit" einen Bericht am 15. März 1991, in dem minuziös dargestellt wird, ({7}) daß die Auskünfte und Stellungnahmen der Bonner Regierung zum Rüstungsexport in den Irak nichts anderes waren als eine Chronik der Unwahrheiten. ({8}) Ausweichende, irreführende und falsche Antworten, ({9}) Ausflüchte, Verrenkungen und Mogeleien, das ist es, was Sie auf zahllose Fragen und Anfragen des Parlaments in den zurückliegenden Jahren geboten haben. ({10}) Sie haben sich gewunden, Sie haben geschummelt und geschwindelt, ({11}) und Sie haben sich nicht eines Besseren besonnen, obwohl Sie häufig beim Schwindeln ertappt wurden. ({12}) Wenn Lügen eine olympische Sportart wäre, hätte die Bundesregierung Goldmedaillen im Abonnement gewonnen. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schily, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. ({0}) - Darf ich einen Moment um Ruhe bitten. Herr Kollege Schily, Sie sind natürlich des Wortes mächtig, ({1}) und Sie wissen auch, daß man bis ganz in die Nähe des Ordnungsrufs formulieren kann. Gleichwohl finde ich, daß es dem Haus und dem Verlauf der Debatte über dieses Thema guttäte, wenn diese Aneinanderreihung von Verbalinjurien unterlassen würde. ({2})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Wir sind hier eine Volksvertretung. Ich spreche die Sprache des Volkes. ({0}) Die ist am besten verständlich. ({1}) Das Benehmen der Bundesregierung ist ohnehin demokratieunverträglich und demokratieschädlich. ({2}) Aber schlimmer ist: Dieses Verhalten animiert und begünstigt den Rüstungsexport auch in den Grauzonen. So wird denn bis in die jüngste Zeit so manches gefingert und gedeichselt. Der Eindruck verstärkt sich, daß die Bundesregierung ungeachtet aller schönen Beteuerungen nichts unternimmt, um Rüstungsexporte zu stoppen oder wenigstens einzuschränken. ({3}) Nach einem Bericht der „Allgemeinen Zeitung" - auch das wurde hier bereits erwähnt - von Anfang März dieses Jahres werden U-Boote mit deutscher Hilfe in Südkorea gebaut. Einen entsprechenden Hinweis von Norbert Gansel dementierte die Bundesregierung. Wenig später kommt heraus, daß der Bund eine Bürgschaft über 405 Millionen DM für Lieferungen nach Südkorea bewilligt hat, und zwar für ein „Materialpaket für den Umbau von drei U-Booten des Typs HDW 209/1200 einschließlich Dokumentation und Training". Der Regierungssprecher Dieter Vogel, ein ehrenwerter Mann, steht belämmert da. ({4}) Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist wiederum geschädigt - eine schier unendliche Geschichte. Tornado-Kampfflugzeuge sollen ebenfalls nach Südkorea geliefert werden, ein hübsches Geschäft mit einem Volumen von 5 Milliarden DM, das den Appetit anregt. Rüstungslieferungen nach Indien in allerjüngster Zeit und wer weiß wohin - die nächste Nachricht kommt bestimmt. Die Bundesregierung ist immer dabei. Der neue Entwicklungshilfeminister Spranger hatte eine löbliche Idee. Er wollte Entwicklungshilfe nur an die Länder leisten, die ihre knappen Finanzmittel nicht in Rüstung investieren.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Penner?

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, lieber Kollege Penner. ({0})

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Schily, Sie haben eben gesagt, daß die Bundesregierung bei Waffenexporten immer dabeigewesen sei. Fällt Ihnen bei der heutigen Debatte auf, daß von den Mitgliedern des Bundessicherheitsrats des Bundeskabinetts nur recht wenige vertreten sind? ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine nicht so gute Beobachtungsgabe wie der Kollege Penner. ({0}) Aber ich danke ihm trotzdem für diesen Hinweis. Es scheint in der Tat so zu sein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schily, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Hitschler?

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schily, sprechen Sie mit Ihren Einlassungen eigentlich nur die jetzt amtierende Bundesregierung an oder auch die Bundesregierung, die dieses Geschäft unter so1214 zialdemokratischer Führung betrieben hat, und zwar in einem höheren Umfang betrieben hat? ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Sie dürften aus meinen Ausführungen entnommen haben, daß ich Mitglied einer Oppositionsfraktion bin ({0}) und die amtierende Bundesregierung meine. Ich muß es wiederholen: Der neue Entwicklungshilfeminister Spranger hatte eine löbliche Idee: ({1}) - Lieber Kollege Müller, ich möchte im Moment zumindest diesen Passus gerne einmal zu Ende bringen. - Er wollte Entwicklungshilfe nur an die Länder leisten, die ihre knappen Finanzmittel nicht in Rüstung investieren. Die Tinte im Poesiealbum von Herrn Spranger war noch nicht trocken, da schrieb die Bundesregierung einen Scheck über 100 Millionen DM aus und übergab ihn dem syrischen Diktator Assad, einem bekannten Pazifisten der Nahostregion. ({2}) Ich bin sicher, die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, die jetzt an dem vorliegenden Gesetzentwurf mitgearbeitet haben, meinen es ernst mit der Verschärfung der Rüstungsexportkontrolle. Wir werden aber - jedenfalls was den strafrechtlichen Bereich angeht - gemeinsam nur Erfolg haben, wenn wir die Politik nicht auf den strafrechtlichen Bereich verengen. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate sollten uns mahnen, uns auf ein Gesamtkonzept zu verständigen, ({3}) das erstens Rüstungsexporte drastisch beschränkt - wir schlagen vor, in einem ersten Schritt Rüstungsexporte nur noch in NATO-Länder zuzulassen -, zweitens durch eine Berichtspflicht der Bundesregierung eine wirksame öffentliche Kontrolle der Rüstungsexporte zu ermöglichen. Wir müssen drittens die Rüstungsexportpolitik mit einem Abrüstungskonzept verbinden, ({4}) weil Rüstungsexporte häufig die üble Nebenwirkung einer Hochrüstungspolitik sind. Das heißt zugleich, daß viertens ein Konzept zu Konversionsmaßnahmen im Bereich der Rüstungsindustrie entwickelt werden muß. ({5}) Die SPD-Fraktion hat ihre Vorstellungen dazu bereits im vergangenen Jahr präzisiert und bekanntgegeben. Es ist sehr zu begrüßen, daß die Deutsche Bank und das RWI in einer Publikation, die vor wenigen Tagen herausgekommen ist, die Behauptung widerlegt haben, Abrüstung und Rüstungskonversion seien der Wirtschaft abträglich. Aus den Veröffentlichungen der Deutschen Bank und des RWI geht hervor, daß Abrüstung und Rüstungskonversion im Gegenteil große Chancen für die Wirtschaft eröffnen. ({6}) Schließlich müssen wir - fünftens - Rüstungskontrolle internationalisieren - da stimme ich Herrn Kollegen Sprung ausdrücklich zu -, ({7}) vor allen Dingen im europäischen Rahmen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich Herr Poos um eine solche gemeinsame europäische Kontrolle bemüht. In diesem Zusammenhang wäre es schon ein Fortschritt, wenn die Bundesregierung die Forderung des Internationalen Währungsfonds, Exportkredite für Waffenverkäufe in den Nahen Osten zu verbieten, akzeptiert und dahin gehend ausweitet, daß Kredite und Bürgschaften für Rüstungsgeschäfte von der öffentlichen Hand generell - weder unmittelbar noch mittelbar - nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. ({8}) Es ist zu beklagen, daß die Vereinigten Staaten, unsere Verbündeten, jetzt leider darangehen, eine sehr massive Exportförderung von Rüstungsverkäufen in den Nahen Osten aufzulegen. Das steht im Gegensatz zu all dem, was wir uns hier gemeinsam erarbeiten wollen, nämlich Rüstungsexporte, gerade solche in Krisen- und Spannungsgebiete, zurückzuführen. Vielleicht kann die Bundesregierung, sofern der Einfluß vorhanden ist, in Washington darauf hinwirken, ({9}) daß eine solche Förderung wieder zurückgeführt wird. Falls es nur die pure Hilflosigkeit ist, die die Bundesregierung daran hindert, Rüstungsexporte restriktiv zu handhaben, Rüstungsexportkontrolle durchzusetzen, habe ich abschließend noch einen zusätzlichen Vorschlag: Wählen wir gemeinsam Norbert Gansel zum Beauftragten des Bundestages für die Rüstungsexportkontrolle, und statten wir ihn mit ordentlichen Befugnissen aus. Vielleicht wird sich dann in Zukunft etwas bessern. Ich bedanke mich. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und KolleBundesminister Jürgen W. Möllemann gen! Lassen Sie mich im Namen der Bundesregierung zunächst allen danken, die es ermöglicht haben, daß wir das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung heute verabschieden können. Ich bin mir bewußt, daß die Beratung des Gesetzentwurfs mit erheblicher Beschleunigung durchgeführt worden ist, daß manches im Verfahren - ausgehend von einem normalen Parlamentsverständnis - ein bißchen eine Zumutung war. ({0}) Ich will Ihnen gerne zusagen, daß wir in künftigen Fällen versuchen wollen, alles zu tun, damit nicht unter einem solchen Zeitdruck gearbeitet werden muß. ({1}) Die zusätzliche Arbeitsbelastung, vor allem des Rechts-, Innen- und Wirtschaftsausschusses dieses Hauses, war erheblich. Mein ganz besonderer Dank deswegen an die Mitglieder dieser Ausschüsse. Ich möchte auch all denen danken, die durch konstruktive Mitarbeit und Änderungsvorschläge dazu beigetragen haben, daß der Entwurf gegenüber der ersten Fassung, die die Bundesregierung vorgelegt hat, noch erheblich verbessert worden ist. Für mich ist ganz wesentlich, daß der Deutsche Bundestag mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes innen- und außenpolitisch demonstriert, daß die Bundesrepublik Deutschland in dieser sensiblen Frage zu einem raschen und entschlossenen Handeln in der Lage ist. ({2}) Das ist auch ganz besonders notwendig, weil unser Land durch die Ihnen allen bekannten Vorgänge außenpolitisch in erhebliche Bedrängnis geraten ist und weil wir mit weiteren illegalen Beschaffungsversuchen rechnen müssen. Der Gesetzentwurf bringt eine weitere erhebliche Verbesserung der Vorschriften zur Exportkontrolle. Damit verfügt die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich über außerordentlich strenge Vorschriften, die mit denen der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar sind, ja in einigen Punkten noch über die amerikanischen Vorschriften hinausgehen. ({3}) Ich möchte dazu ein paar Bemerkungen machen. Die Strafvorschriften im Außenwirtschaftsrecht sind jetzt drastisch verschärft worden. Illegale Ausfuhren von Rüstungsgütern, Nuklearwaren sowie Chemie- und Biologieanlagen, die zur Herstellung chemischer und biologischer Kampfstoffe verwendet werden können, werden jetzt mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen bis zu 15 Jahren bestraft. Es wird ein besonderer Straftatbestand für Embargoverstöße eingeführt. Die Höchststrafe beträgt hier ebenfalls 15 Jahre. Die Mindeststrafe von zwei Jahren schließt in den schweren Fällen Bewährungsstrafen aus. Bis zur Sommerpause wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Strafbestimmungen in das allgemeine Strafrecht überführt werden. Wichtig in der Novellierung ist auch die Befugnis des Wirtschaftsministers zur Anordnung von Außenwirtschaftsbeschränkungen im Einzelfall, um bei drohenden Ausfuhren, auch ohne daß eine Rechtsverordnung vorliegt, rasch handeln zu können. Damit schließen wir eine Lücke bei der effektiven Durchsetzung des Außenwirtschaftsrechts. Wesentlich ist in der Neuregelung auch die Vorschrift, nach der alle Einnahmen aus illegalen Exporten abgeschöpft werden können, ohne daß der Exporteur seine Kosten abziehen kann. Damit wird das sogenannte Bruttoprinzip eingeführt. Illegale Exporteure müssen jetzt auch mit der Vernichtung ihres Unternehmens, ihrer wirtschaftlichen Existenz rechnen. Als vierten wesentlichen Punkt der Novellierung möchte ich auf die Vorschriften hinweisen, die dem Zollkriminalinstitut die Möglichkeit geben, Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis schon bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht der Planung einer Straftat vorzunehmen, also bereits im Vorfeld von Außenwirtschaftsverstößen. Diese Regelung war umstritten. Ich bin mir als liberaler Wirtschaftsminister selbstverständlich der Sensitivität dieses Themas bewußt. Ich habe diese Regelung aber gleichwohl vorgeschlagen. Zum Schutz höchster Verfassungsgüter wie des Friedens und des menschlichen Lebens sind aus meiner Sicht die vorgeschlagenen Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis notwendig. Ohne deutliche Effektivitätssteigerung der Kontrollen im Bereich des Außenwirtschaftsrechts nehmen sowohl der internationale Friede wie die Außenhandelsfreiheit irreparablen Schaden. Oder anders gesagt: Würden wir uns diese Bestimmung nicht geben, befürchte ich, daß wir weiterhin in solchen Fällen, wie es sie in der Vergangenheit gab, nachkarten würden, immer erst reagieren könnten, wenn wir feststellten, daß die entsprechenden Güter bereits an ihrem Bestimmungsort angekommen sind. So war es in der Vergangenheit sehr häufig. ({4}) Die nicht nachlassenden Bemühungen einiger fremder Staaten, sich Rüstungsgüter oder Komponenten dazu aus dem Bundesgebiet illegal zu beschaffen, erfordern eine Verbesserung der Vorfeldaufklärung. Die Erfahrungen mit raffinierten illegalen Beschaffungsbemühungen des Irak selbst während des Embargos - z. B. auch unter Verwendung von Umwegadressen - zeigen klar die Notwendigkeit einer solchen Vorschrift. Schon der Abschreckungscharakter dieser Möglichkeit auf potentielle Straftäter sollte nicht gering veranschlagt werden. Den verschiedenen Bedenken, die im parlamentarischen Raum geäußert worden waren, hat die Bundes1216 regierung Rechnung getragen und dabei auch im vollen Einvernehmen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz gehandelt. Der Schutz der Privatsphäre des Bürgers bleibt weiterhin Verfassungsgebot. Es gilt, die Barrieren im Bereiche dieses Schutzes zu respektieren. Keinesfalls dürfen die vorgeschlagenen Eingriffe zum Schutz des Friedens und des menschlichen Lebens zum Anlaß genommen werden, den bisher bestehenden Katalog für Telefonkontrollen ins uferlose auszuweiten. Um Erfahrungen mit der neuen Regelung zu gewinnen, ist ihre Geltungsdauer zunächst auf vier Jahre begrenzt. Bereits nach zwei Jahren werden wir dem Wirtschaftsausschuß und den übrigen Ausschüssen einen Erfahrungsbericht vorlegen. Meine Damen und Herren, diese Novellierung bringt uns ein wesentliches Stück bei der effektiven Verfolgung von illegalen Exporteuren voran. Wie ich schon am 21. Februar 1991 an dieser Stelle ausgeführt haben, müssen diese Vorschriften noch durch administrative Maßnahmen ergänzt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium bereitet im Augenblick die Ausgliederung der Ausfuhrkontrollabteilung aus dem Bundesamt für Wirtschaft vor. Diese Kontrollabteilung wird zu einem selbständigen Ausfuhramt ausgebaut. Sobald die technischen Fragen geklärt sind, werde ich dem Parlament noch einen Gesetzentwurf zur Neuorganisation des Bundesamtes vorlegen. Es kommt jetzt darauf an, die neuen Vorschrifen energisch in der Praxis umzusetzen. Wir werden alles daransetzen, den relativ wenigen, dafür aber gefährlichen illegalen Lieferanten, die die Möglichkeiten des freien Außenwirtschaftsverkehrs in verbrecherischer Weise mißbraucht haben, ihr Handwerk zu legen. Wir werden uns gleichzeitig jetzt um so mehr darum bemühen, eine bessere internationale Harmonisierung und Kooperation zu erreichen. Ich habe dieses Thema, meine Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wochen mit mehreren Außenministern und Wirtschaftsministern aus EG-Staaten - die Zuständigkeiten sind an unterschiedlicher Stelle angesiedelt - angesprochen. Ich habe es auf die Tagesordnung der EG gesetzt, aber die Begeisterung hält sich in überschaubaren Grenzen. Dies gilt übrigens auch bei solchen Staaten, deren Regierungen nicht konservativ oder liberal - um es einmal so auszudrücken - sind. Ich sehe dort einen großen Handlungsspielraum für Überzeugung im Rahmen der internationalen Parteiorganisationen. Sie werden erlauben, daß wir gelegentlich darauf zurückkommen, nachzufragen, in welcher internationalen Parteiorganisation sich die größten Probleme stellen. ({5}) - Der hier apostrophierte Kollege Gansel hätte da auch ein interessantes Betätigungsfeld, wobei ich Herrn Kollegen Penner - - Wo ist er? ({6}) - Das darf doch jetzt nicht wahr sein. Es kann doch nicht wahr sein, daß der Kollege Penner anmahnt, daß mehr Mitglieder der Bundesregierung zur Erörterung dieses Themas kommen mögen, und er selbst nicht mehr da ist. ({7}) Genausowenig finde ich es überzeugend, daß Sie, Herr Kollege Schily, für die Wahrnehmung dieser wichtigen Aufgabe jemanden vorschlagen, der bei der Beratung des Themas nicht da ist. Das halte ich für nicht ganz überzeugend. Ich wollte zum Schluß zwei Bemerkungen machen. ({8}) - Ich habe doch bereits erklärt, daß ich dies als einen Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Ministerberatung der EG gesetzt habe und daß ich dieses Thema mit einigen Kollegen bei den deutsch-französischen und den deutsch-britischen Konsultationen bereits angesprochen habe. Wir behandeln das so, wie dies von Ihnen angeregt wurde.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Roth?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ja, bitte!

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Sinne einer Debatte, bei der Argumente ausgetauscht werden, wäre es mir sehr recht, wenn Sie doch zu dem Punkt Stellung nähmen, den Herr Schily und auch Herr Poppe angesprochen haben, nämlich zu den erneuten großen Ausweitungen von Waffenlieferungen, die legalisiert sind, z. B. in das Spannungsgebiet Indien/Pakistan und in das Spannungsgebiet Südkorea. In diesem Zusammenhang habe ich die Frage: Teilen Sie die Auffassung der Bundesregierung, die sich darin ausdrückt, daß derartige Waffenexporte jetzt ausgeweitet werden sollten?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Roth, daß Sie das angesprochen haben, weil Sie damit auf den Punkt überführen, den ich ohnehin jetzt ansprechen wollte. Man kann in der Tat Zweifel haben, ob die 1981 von der Regierung Schmidt erteilte Genehmigung der Ausfuhren nach Indien, von denen Sie ja reden, damals zu Recht erteilt worden ist. ({0}) - Aber es handelt sich um eine Genehmigung, die im Jahre 1981 von der damaligen Regierung erteilt worden ist. ({1}) - Herr Präsident, ich nehme an, daß diese Phase der Lebhaftigkeit, deren Grund ja offenkundig ist, mir zeitlich nicht angerechnet wird. Deswegen will ich noch einmal sagen: Diese kleine Passage in dieser Debatte zeigt, daß es sinnvoll ist, nun wirklich bestimmte - vorhin schon jemand anderem in den Mund geschobene, weil von dort zitierte - Heucheleien bleibenzulassen. ({2}) Gelegentlich gibt man ja Fehler zu. Das ist ja auch mir schon möglich gewesen. Sie können ja sagen: Diese Entscheidung der Regierung Schmidt war falsch. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen: Die Regierung liefert sogar an Indien. - Dabei ist die Entscheidung von der SPD und der FDP in einer Koalition getroffen worden. ({3}) Deswegen ist es nicht fair, die Debatte so zu führen. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, es liegen zwei weitere Begehren nach Zwischenfragen vor.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich möchte erst die Frage beantworten; sonst wäre das nicht in Ordnung. Es ist angeregt worden, man möge dem Vorschlag der Sozialdemokraten folgen und künftig nur noch Rüstungsexporte in NATO-Mitgliedstaaten genehmigen, um so die Menge zu begrenzen. Ich habe bei der ersten Lesung gefragt, wie Sie mir denn erklären, daß Sie in ein und derselben Woche auf der einen Seite vorgeschlagen haben, dies so zu machen, und auf der anderen Seite dem Export von Rüstungsgütern nach Israel zugestimmt haben. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Es wäre gut, meine Damen und Herren, wenn Sie dem Redner Gelegenheit gäben, die Frage zu beantworten. Er kommt ja gar nicht dazu.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Dann werde ich es präzisieren, Herr Kollege Vogel. Ich sprach davon, daß Ihre Fraktion den Antrag gestellt hat, die Genehmigung von Waffenexporten künftig auf NATO-Mitgliedstaaten zu begrenzen. ({0}) Ich sprach davon, daß Ihre Fraktion in derselben Woche zugestimmt hat, daß eine spezifische Waffenart - ({1}) - Patriot-Raketen sind doch auch Waffen oder nicht? ({2}) - Es ist klar: auf allen Wegen immer nur „wegen". ({3}) Ich habe mir die Mühe gemacht, die Protokolle des Bundessicherheitsrates nachzulesen, und zwar von solchen Sitzungen des Bundessicherheitsrates, an denen der Justizminister Vogel teilgenommen hat und auf denen Begründungen für die Genehmigung von Exporten in Gebiete außerhalb von NATO-Staaten gegeben wurden. Dort stand auch immer: wegen, wegen, wegen. Es wurde immer mit „wegen" begründet. Nein, Herr Kollege Vogel, so geht das nicht. Es ist nicht seriös, wie Sie die Debatte führen. ({4}) Ich habe auf die Frage hin klarstellen wollen: Wir werden die Grundsatzdebatte führen müssen. Wenn wir die Rüstungsexporte begrenzen wollen, wogegen ich nichts einzuwenden habe, dann müssen wir uns auf Kriterien verständigen, die wir dann aber auch gemeinsam einzuhalten bereit sind. Ich habe vor zwei Tagen von amnesty international eine große Sammlung von Unterschriftenlisten überreicht bekommen. Amnesty international hat angeregt, künftig bei Exportgenehmigungen die Menschenrechtssituation in den exportbegehrenden Ländern mit zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Das war ja auch Gegenstand des Beitrags eines Vorredners. Ich finde das nicht unvernünftig; ich habe Sympathie für diesen Vorschlag. Ich will aber darauf hinweisen, daß dieser Vorschlag von amnesty international offenbar nicht im Einklang steht mit dem Hinweis, diese Exporte nur auf NATO-Staaten zu begrenzen, es sei denn, man wollte behaupten, die Menschenrechte würden nur in den NATO-Staaten eingehalten. Das wird man aber wohl nicht allen Ernstes meinen. Die Sache ist, wenn sie seriös behandelt wird, komplizierter, als sie hier in einigen Schwarzweißmalereien dargestellt worden ist. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sind Sie, Herr Bundesminister, zur Beantwortung weiterer Zwischenfragen bereit?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ja, bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich will meine Frage wiederholen. Ich möchte keine historischen Erläuterungen hören, sondern meine Frage beantwortet haben. ({0}) Meine Frage lautet schlicht und einfach: Haben Sie seit 1981 nicht dazugelernt? Können Sie hier nicht klipp und klar sagen: Ich bin gegen die Lieferung nach Indien, und ich bin gegen die Lieferung nach Südkorea, weil das Spannungsgebiete sind?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich habe Ihnen gerade gesagt, Herr Kollege Roth, wie - ich glaube, dieser 1981 genehmigte Lieferanteil war zu 95 % abgewickelt - der Hintergrund war. Man kann darüber streiten, ob man die Zusage einer Regierung aufkündigt. ({0}) - Ich sprach jetzt von Indien. Sie haben mich soeben nach Indien und Südkorea gefragt. Ich versuche gerade, die Frage zu beantworten, und nun sagen Sie, weil Ihnen die Antwort nicht gefällt, Sie hätten mich danach nicht gefragt. ({1}) Ich kann das nicht ändern; das ist eben so. Ich rege an, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß wir Ihren Antrag zum Gegenstand einer wirklich intensiven Diskussion machen. Denn auch ich habe das Bedürfnis, die Praxis des Rüstungsexports und die ihm zugrunde liegenden Grundsätze und Richtlinien kritisch zu überprüfen und zu modifizieren. Aber ich möchte es nicht in einer solch polemischen Auseinandersetzung mit vordergründigen Argumenten tun, weil es dazu zu kompliziert ist. ({2}) Ich möchte zwei abschließende Bemerkungen machen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ja, bitte.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen entfallen, daß dieses Parlament am 25. Januar 1989 anläßlich einer Debatte wegen der Lieferung von Tornado-Kampfflugzeugen an Jordanien am Ende der Debatte hier einvernehmlich beschlossen hat, daß es eine interfraktionelle Arbeitsgruppe geben soll, die sich diesem zugegebenermaßen schwierigen Problem der Kooperation bei Rüstungsexporten widmen soll, daß diese Arbeitsgruppe in der Tat zwei- oder dreimal zusammengetreten ist und daß dann die Koalitionsseite die Tätigkeit in dieser Arbeitsgruppe nicht mehr fortsetzen wollte, weil, Herr Kollege Bohl und der Vertreter der FDP, eine Antwort auf konkrete Vorschläge von meinem Kollegen Gansel und von mir innerhalb der Koalition eben nicht zu erreichen war? Wir hatten in jener ernsten Debatte ganz einvernehmlich die Absicht, dieses schwierige Problem anzugehen, und sind heute weit hinter das zurückgefallen, was damals besprochen worden ist. ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Das ist mir nicht entfallen; der Prozeß, den Sie beschrieben haben, war mir schlicht nicht geläufig. Aber das Parlament ist völlig frei, Arbeitsgruppen einzusetzen. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, dem Parlament da Vorschriften zu machen. Machen Sie es bitte so, wie Sie es für richtig halten. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Minister, jetzt möchte der Kollege Poppe noch eine Zwischenfrage stellen, und hier steht auch noch Herr Kollege Mosdorf zu einer Zwischenfrage bereit. ({0})

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ist Ihnen der Unterschied zwischen der Aussage von amnesty international, man dürfe unter keinen Umständen Waffen in Länder liefern, die die Menschenrechte verletzten, und Ihrer Verdrehung dieser Aussage, man könne in alle Länder, die die Menschenrechte nicht verletzten, Waffen liefern, klar? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich habe die Aussage von amnesty international nicht verdrehen wollen, sondern ich habe sie hier korrekt zitiert. Da ich mich mit dem Generalsekretär und seinen Leuten, die bei mir waren, unterhalten habe, habe ich, glaube ich, das Anliegen schon verstanden. Ich finde, es ist auch nicht Ihre Aufgabe, die Aussagen dieser Organisation zu interpretieren. Vertreter von amnesty international waren ja bei mir, um mit mir zu reden. Wenn auch Sie mit mir reden wollen, kommen Sie doch bitte vorbei. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wollen Sie jetzt auch noch die Frage des Kollegen Mosdorf beantworten?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Nein, ich möchte jetzt gerne zum Schluß kommen, weil sich die Debattenzeit allmählich dem Ende nähert. Ich möchte gerne zu zwei Petita, die hier vorhin angemeldet wurden, eine Klarstellung geben und eine weitere Bemerkung machen. Es wurde der von mir zugesagte Bericht in Sachen Exporte in den Irak angemahnt. Er ist versandt; er müßte entweder heute auf Ihren Tischen liegen oder kommt heute dort an. Es gibt also keinen Zeitverzug. Ferner gibt es, ebenfalls von amnesty international, aber auch von Kolleginnen und Kollegen hier angeregt, das Petitum, die Bundesregierung möge die Informationen über genehmigte Exporte ganz generell verstärken. Ich finde, auch darüber kann man vernünftig reden. ({0}) - Ja, man muß nur einen vernünftigen Mechanismus finden. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt, als ich noch ziemlich neu hier im Parlament war und schon einmal auf eine Initiative des Kollegen Hirsch eine Debatte zu diesem Thema in Gang kam, mit eindrucksvollen Worten erklärt hat, warum das nicht so ganz einfach sei und warum man dem auf Grund internationaler Rücksicht und ähnlichem nicht so weit entgegenkommen könne. Ich biete also ausdrücklich an, bei den jetzt ohnehin fälligen Beratungen über dieses Thema darüber zu sprechen, wie man einen Mechanismus finden kann, nach dem die Regierung das Parlament noch mehr, noch präziser und noch schneller - wie immer man das definieren will - informiert, als es bisher geschehen ist. Vielen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Frau Abgeordente Andrea Lederer.

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen zu der vorhergehenden Debatte. Erste Vorbemerkung. Ich denke, die Debatte hat gezeigt: Wer immer wieder Gründe für Rüstungsexporte in einzelnen Fällen zu finden versucht, den holt auch immer wieder die Realität ein, wie sie in den letzten Wochen diskutiert wurde. Zweite Vorbemerkung. Herr Minister Möllemann, Sie haben die 100 000 Unterschriften erwähnt, die Ihnen gestern vom Generalsekretär von amnesty international übergeben wurden. Tatsache ist aber, daß eine Regelung - die ich übrigens nicht nur nicht für unvernünftig, sondern für absolut erforderlich halte -, wonach Rüstungsexporte dann unzulässig sind, wenn die Gefahr droht, daß mit diesen Waffen Menschenrechtsverletzungen begangen werden, in dem vorgelegten Gesetzentwurf fehlt. Ich frage mich, woran es liegt, wenn auch Sie mit einer solchen Forderung sympathisieren. Meiner Auffassung nach hat das folgende Gründe: Unter dem Druck der internationalen öffentlichen Kritik an der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes mit heißer Nadel gestrickt. ({0}) Die heute beabsichtigte hastige Verabschiedung dieses Gesetzes soll nun offensichtlich international Ruhe schaffen, was aber nicht zugelassen werden darf. Nachdem der Krieg am Golf vorbei ist, geht es um Schadensbegrenzung. Nicht im Ansatz ist eine Kehrtwende im Bereich der Rüstungsexporte erkennbar. In den Medien wird seit Tagen nur noch über BRD-Rüstungsexporte berichtet, wenn es das Flaggschiff der deutschen Industrie trifft, den Daimler-Benz-Konzern. Ansonsten ist viel von US-Rüstungsexporten zu lesen und zu hören. Der Versuch, die eigene Praxis hinter einer anderen - nicht besseren - zu verstekken, ist augenfällig. Die Diskussionen in den Ausschüssen haben gezeigt: Die Änderungsvorschläge des Wirtschaftsministers Möllemann gehen am Kern des Problems vorbei und sind daher ein untaugliches Mittel, um das Geschäft mit dem Tod auch nur einzudämmen, geschweige denn abzuschaffen, was hier schon mehrfach als Ziel formuliert wurde, dem wir uns auch anschließen. Uns liegt ein Entwurf vor, der den deutschen Todeskrämern keineswegs das Handwerk legt, sondern im Rahmen des Nebenstrafrechts etwas Kosmetik betreibt. Ich finde, die Tatsache, daß diese Regelungen im Bereich des Nebenstrafrechts getroffen werden, besagt schon einiges. Die Erhöhung des Strafrahmens soll eine so abschreckende Wirkung haben, daß jedenfalls illegal nichts mehr über die Grenzen geht. Sie wissen genauso wie wir: Diejenigen, die schon immer den Weg gefunden haben, um Milliardengeschäfte mit Waffen und Waffenanlagen zu betreiben, wird auch die Erhöhung des Strafrahmens nicht abhalten, die entsprechenden Lücken weiterhin zu nutzen. Das Strafrecht kann nur ein unzulängliches Instrument sein, um ein offenkundig politisches und ökonomisches Problem zu lösen. Ganz entschieden wenden wir uns gegen den Ausbau des Zollkriminalamts zu einem vierten Geheimdienst. Diese Regelung wird nach allen bisherigen Erfahrungen nur Einfallstor für eine weitere Ausuferung von Überwachungspraktiken sein, bei denen elementare demokratische Kontrollmöglichkeiten nicht gegeben sind. Da wird wohl eher der Deckmantel der Geheimhaltung die Rüstungsgeschäfte begleiten, nicht aber parlamentarisch und öffentlich kontrollierbare Ermittlungen gegen Kriegswaffenexporteure. Wir behaupten: Wenn das bestehende Instrumentarium genutzt worden wäre, hätte bereits viel geschehen können. Das ist eine Frage des politischen Willens. Das Hauptproblem - es wurde auch schon mehrfach angesprochen - des Regierungsentwurfs und - so muß ich sagen - leider auch der Initiative der SPD ist jedoch folgendes: Lediglich 3 bis 5 % der Rüstungsexporte, nämlich die illegalen Rüstungsexporte, werden überhaupt erfaßt. Die restlichen 95 bis 97 %, die genehmigten Rüstungsexporte, bleiben unangetastet. Schon dieses Verhältnis ist deutlicher Ausdruck des Willens der Bundesregierung, diesen profitträchtigen Wirtschaftszweig künftig weiter florieren zu lassen. An diesen Punkt knüpft auch der Antrag der PDS/ Linke Liste an. Er geht an die Wurzel des Übels, an die Rüstungsproduktion und den damit folgerichtig zusammenhängenden legalen Rüstungsexport. ({1}) Wir fordern keine bessere Regelung von Rüstungsexporten, sondern wir fordern deren Abschaffung. Das muß im Grundgesetz durch eine Änderung des Art. 26 des Grundgesetzes verankert werden. ({2}) In diesem Kontext noch eine Anmerkung zum Entwurf der SPD-Fraktion. Wir wundern uns, wie schnell die SPD ihren ursprünglichen, von Norbert Gansel in diesem Haus vorgetragenen Vorschlag, ein Verbot von Rüstungsexporten außerhalb der NATO-Länder im Grundgesetz zu verankern, fallengelassen hat. ({3}) Jetzt soll es zwar nach dem SPD-Entwurf im Kriegswaffenkontrollgesetz diese Regelung geben, aber die Möglichkeit einer Verankerung im Grundgesetz soll der innerhalb der nächsten zwei Jahre zu führenden Verfassungsdebatte vorbehalten bleiben. Wenn die SPD auf der anderen Seite offensichtlich darauf hinarbeitet, einer vorgezogenen Grundgesetzänderung zuzustimmen, die Blauhelm-Missionen der Bundeswehr zuläßt, stellen wir fest: Das Engagement der SPD für eine Erweiterung des militärischen Handlungsspielraums im Grundgesetz ist offensichtlich größer als das Engagement, eine drastische Beschränkung des Rüstungsexports im Grundgesetz festzuschreiben. Hierbei möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Antrag der PDS/Linke Liste auch den Rüstungsexport in NATO-Staaten ausschließen will. Angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen der Konzerne und Handelsstrukturen dürfte eine Absicherung des Endverbleibs nicht möglich sein. Im übrigen sind wir der Meinung, daß Rüstungsexporte an NATO-Staaten, die ohnehin bis zu den Zähnen mit High-Tech-Waffen hochgerüstet sind, uns dem Frieden auf der Welt keinen Schritt näherbringen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gerne.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, in Anbetracht Ihrer Ausführungen interessiert mich, inwieweit Sie darauf Einfluß genommen haben, daß der Ihrer Partei nahestehende Herr Schalck-Golodkowski, der an Rüstungsgeschäften illegaler und legaler Art in gigantischem Ausmaße beteiligt gewesen ist, dazu beiträgt, diese aufzuklären, und sich endlich den deutschen Behörden stellt, um die Wahrheit über das, was an Rüstungsexporten von Ihrer Partei oder Ihrer Vorläuferpartei verantwortet war, ans Tageslicht zu bringen. ({0})

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Weiß, erstens, denke ich, ist Ihnen bekannt, wo sich Herr Schalck-Golodkowski zur Zeit aufhält. ({0}) - Mir ist das natürlich bekannt. ({1}) Im übrigen will ich Ihnen mitteilen - ich habe gestern beispielsweise die Rede des SPD-Kollegen Duve gehört - : Ich teile natürlich die Kritik an dem, was an Rüstungsexporten und Rüstungsgeschäften aus der ehemaligen DDR gelaufen ist, auf das entschiedenste. ({2}) Das ist überhaupt keine Frage. Wer sich mit diesem Thema prinzipiell auseinandersetzt, kann hier natürlich nicht mit zweierlei Ellen messen. ({3}) - Wissen Sie: Es ist immer relativ. ({4}) Ich stelle fest: Vier Jahre lang werden wir uns hier wohl mit relativ stereotypen Zwischenrufen und ähnlichem zu beschäftigen haben. Ich wünsche mir, Ihnen fällt bald irgend etwas anderes ein. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, eine gewisse Lebendigkeit mit Zwischenfragen und Zurufen ehrt den Redner, weil seine Ausführungen zur Kenntnis genommen werden. ({0}) Aber er muß immer noch in der Lage sein zu reden. ({1}) Frau Kollegin, es gibt zwei weitere Begehren nach einer Zwischenfrage des Kollegen Singer und des Kollegen Roth. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident, ich bin jetzt nicht bereit, sie zu beantworten. Ich komme zum Schluß meiner Rede. ({0}) - Darüber können wir uns gerne einmal unterhalten, Herr Bohl. Unsere Forderung kann daher nur lauten: vollständiger Stopp des Rüstungsexports, verankert im Grundgesetz, Konversion der Rüstungsproduktion, Streichung sämtlicher Titel im Haushalt zur weiteren Rüstungsbeschaffung. Zur Aufarbeitung - hören Sie zur Abwechslung einmal zu - der Geschichte bundesdeutschen Rüstungsexports muß eine komplette, detaillierte Veröffentlichung sämtlicher erteilter Ausfuhrgenehmigungen und der eingeleiteten Ermittlungen wegen illegaler Exporte auf den Tisch dieses Hauses. Ich danke. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horst Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Heftigkeit, mit der im In- und Ausland deutsche Waffenexporte, leHorst Eylmann gale wie illegale, diskutiert werden, hat ihre Ursache nicht in dem Umfang dieser Exporte. Der Umfang der genehmigten Ausfuhr von Rüstungsgütern ist, gemessen am Gesamtexport, geringfügig. Für den Umfang illegaler Ausfuhren gilt dank unseres schon bisher sehr ausgefeilten Außenhandelsrechts das gleiche. Es ist bedauerlich, daß dies immer wieder geleugnet, ja, das Gegenteil behauptet wird. Die Emotionen, die deutsche Waffenexporte drinnen wie draußen wecken, haben ihren wahren Grund in der jüngeren deutschen Geschichte. Der Golfkrieg hat das jedermann vor Augen geführt. Angesichts der Lautstärke der Anklagen mußte ein unbefangener Beobachter den Eindruck gewinnen, die Bundesrepublik wäre der wichtigste Waffenlieferant Saddam Husseins gewesen. ({0}) Wie die Verhältnisse wirklich waren, ist inzwischen bekannt; Sie konnten das vorgestern, z. B. im „Handelsblatt", nachlesen. Ich erwähne das, meine Damen und Herren - das möchte ich betonen - , nicht, um das Problem zu bagatellisieren. Unsere Geschichte legt uns in der Tat besondere Verpflichtungen auf. Wer nach Auschwitz von Deutschland aus mit Giftgas handelt, beweist eine erschreckende Skrupellosigkeit. ({1}) Selbst für denjenigen, der meint, darum bitten zu dürfen, uns auf Dauer nicht mit anderen Maßstäben als andere Staaten und Völker zu messen, sollte es ein Gebot der politischen Klugheit sein, die psychologischen Mechanismen ernst zu nehmen, die sich z. B. bei der Kombination „Deutschland - Giftgas" einstellen. Aus all diesen Gründen - ich glaube, daß wir uns darüber einig sind - wollen wir ein Gesetz verabschieden, das dem Bundesminister für Wirtschaft die Befugnis gibt, im Einzelfall Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs im Verwaltungswege anzuordnen, das die Strafbestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes drastisch verschärft, das die Abschöpfung des Gewinns aus illegalen Waffenexportgeschäften erleichtert und die gesetzliche Möglichkeit schafft, sowohl bei der Strafverfolgung als auch im Vorfeld, im präventiven Bereich, das Post- und Fernmeldegeheimnis einzuschränken. Für die Strafverschärfung will ich ein Beispiel nennen: Wir haben noch im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens die in § 34 Abs. 4 des Außenwirtschaftsgesetzes vorgesehene Freiheitsstrafe erhöht. Nunmehr beträgt die Mindeststrafe zwei Jahre, so daß eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich ist. Eine so hohe Mindeststrafe ist auf der anderen Seite nur vertretbar, weil das Gesetz die Möglichkeit vorsieht, in minder schweren Fällen eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu verhängen. - Berücksichtigen Sie bitte, daß Sanktionsmaßnahmen - um die geht es in diesem Zusammenhang - natürlich auch das Verbot von Lebensmittellieferungen beinhalten können. - Die Strafandrohung liegt insgesamt in ihrer Höhe an der Grenze des rechtsstaatlich Vertretbaren. Ich habe schon früher mehrfach darauf hingewiesen, daß mit einer Strafverschärfung allein wenig erreicht wird. Die generalpräventive Wirkung ist begrenzt. Die Nürnberger hängen bekanntlich keinen, es sei denn, sie hätten ihn. Man muß den illegal handelnden Waffenexporteur erst einmal aufspüren und ihm die Tat beweisen können, um ihn bestrafen zu können. Das Gesetz will die Aufklärungsquote sowohl im repressiven als auch im präventiven Bereich durch die Schaffung erweiterter gesetzlicher Möglichkeiten zur Post- und Fernmeldekontrolle erhöhen. Die Opposition lehnt dies ab, was verwundert, da sie doch sonst in der Öffentlichkeit fortlaufend mit der Forderung hervortritt, unser Waffenexportrecht müsse wasserdicht, also lückenlos, gemacht werden. ({2}) Sie treiben ein Doppelspiel. ({3}) Auf der einen Seite werfen Sie der Bundesregierung und den Strafverfolgungsbehörden eine zu geringe Erfolgsquote vor, auf der anderen Seite verweigern Sie denselben Behörden das notwendige Instrumentarium für eine erfolgreiche Aufklärungs- und Ermittlungstätigkeit. ({4}) Herr Kollege Schily, ich will mich jetzt nicht auf das Niveau, auf das Sie heute hinabgestiegen sind, begeben. ({5}) Sonst würde ich sagen, Sie könnten froh sein, daß es keine Goldmedaillen für Heuchelei gibt. ({6}) Wenn Sie auf § 100a der Strafprozeßordnung verweisen, so berücksichtigen Sie bitte, daß diese Vorschrift nur dann eingreift, wenn jemand in Verdacht gerät, eine Straftat begangen zu haben. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie? Horst Eylmann ({0}): Ja, natürlich.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eylmann, da Sie doch meinen, die Vorfeldbeobachtung sei besonders wichtig, frage ich Sie, ob Sie auch der Ansicht sind, daß der U-Boot-Skandal im Zusammenhang mit Südafrika besser aufgeklärt worden wäre, wenn das ZKI die Überwachung des Telefonverkehrs des Bundeskanzleramts und der Bayerischen Staatskanzlei angeordnet hätte. ({0})

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, Sie üben sich im vorliegenden Fall in einer Polemik, die diesem ernsten Thema nicht angemessen ist. ({0}) Ich will nicht ausschließen, daß bei früheren illegalen Rüstungsexporten, die stattgefunden haben - ich nehme einmal die Fälle, wo bloß Verdächtigungen bestehen, heraus - , bessere Erfolge in der Aufklärung erzielt worden wären, wenn wir das Instrumentarium, das wir heute schaffen, schon zur Verfügung gehabt hätten. Denn, meine Damen und Herren, es ist uns schon mehrfach passiert, daß das beanstandete Exportgut bereits im Ausland gelandet war und sich erst dann der Tatverdacht verdichtete und die Strafverfolgung begann. Hinweise auf straflose Vorbereitungshandlungen können noch nicht zur Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens führen. Gerade im Zusammenhang mit der wahrscheinlichen Hilfe einiger deutscher Unternehmen bei der Giftgasproduktion des Irak ist immer wieder verlangt worden, daß die Planung und die Anbahnung illegaler Exportgeschäfte bereits im Vorfeld beobachtet, entdeckt und unterbunden werden müssen. Sie kennen die Forderung, in diesem Bereich weitergehende Zuständigkeiten des Bundesnachrichtendiestes und des Verfassungsschutzes zu schaffen. Wir wollen mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz einen Weg gehen, der es uns ermöglicht, weiter in das Vorfeld dieser kriminellen Exportgeschäfte zurückzugreifen. In das Post- und Fernmeldegeheimnis soll nicht nur zu repressiven, sondern auch zu präventiven Zwecken eingegriffen werden können, und zwar dann, wenn sich Straftaten von erheblicher Bedeutung aus dem Bereich des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes noch im Stadium der straflosen Vorbereitung und Planung befinden. Meine Damen und Herren, natürlich ist uns klar, daß wir uns hier auf juristisches Neuland vorwagen. Die richterliche Zuständigkeit, die unverzichtbar ist, wird sich bewähren müssen. Wir haben deshalb die Geltung dieser Vorschriften auf vier Jahre beschränkt und werden ihre Praktizierung sorgfältig beobachten. Im Zuge der Beratungen im Rechtsausschuß haben wir es für sinnvoll angesehen, die Zuständigkeit nicht beim Amtsgericht, sondern bei einer Kammer des Landgerichts anzusiedeln. Um den Richtern die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen zu sammeln und eine einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln, haben wir ein bestimmtes Landgericht, nämlich das Landgericht in Köln, für zuständig erklärt. ({1}) Besonders hervorheben möchte ich, daß wir uns nicht nur auf den unabhängigen Richter verlassen wollen. Weil es sich bei der Brief- und Telefonkontrolle um ein besonders einschneidendes Instrument handelt, trifft die beantragende Behörde eine besondere Verantwortung. Wir haben vorgesehen, daß nur der Leiter der Behörde oder der Vertreter des ZKI den Antrag stellen darf und daß er dazu der vorherigen Zustimmung des Bundersministers der Finanzen bedarf. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist dies noch nicht so angepaßt; das läßt sich aber leicht berichtigen. Schließlich hat der Bundesminister der Finanzen in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, über die Durchführung der gesetzlichen Regelungen zur Brief- und Telefonkontrolle zu berichten. Es erscheint zweckmäßig, dem ohnehin bestehenden G-10- Gremium diese Aufgabe zu übertragen. Es läßt sich also, meine Damen und Herren, feststellen, daß in den Entscheidungsprozeß, der zu einer Einschränkung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses führen soll, die Regierung, das Parlament und die Justiz verantwortlich eingebunden sind. Nirgendwo im Bereich staatlicher Eingriffstätigkeit haben wir ein so umfassendes System rechtsstaatlicher Sicherungsmechanismen. Ich betone dies insbesondere gegenüber unserer exportierenden Wirtschaft. Wir schaffen mit diesem Gesetz ein sehr scharfes Instrument zur Verhinderung illegaler Waffenexporte, mit dessen Hilfe sich in besonderen Fällen sogar der Sammelanschluß eines ganzen Unternehmens überwachen läßt. Gleichzeitig aber sichern wir durch ein ausgefeiltes System rechtsstaatlicher Kontrolle, daß von diesem scharfen Instrument nur in verantwortungsbewußter und der Verfassung entsprechender Weise Gebrauch gemacht wird. Obwohl wir mit diesem Gesetz sowohl bei der notwendigen Bestimmtheit der Straftatbestände und bei der Höhe der Strafandrohung als auch bei der Einschränkung des Art. 10 an die Grenze dessen gegangen sind, was rechtsstaatlich vertretbar und verfassungsrechtlich zulässig ist, ({2}) warne ich vor der Annahme, damit sei unsere Außenwirtschaftskontrolle wasserdicht in dem Sinne, daß keine zur Waffenproduktion verwendete Ware oder Unterlage illegal unsere Grenze überschreiten wird. Ein solches wasserdichtes System ließe sich, wenn überhaupt, nur um den Preis polizeistaatlicher Methoden, riesiger Kontrollbürokratien und einer unsere Exportwirtschaft strangulierenden Reglementierung des Außenhandelsverkehrs durchsetzen. Das wollen wir nicht. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Eylmann, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen. Meine Damen und Herren, auf den Redner zu reagieren - dabei kann es auch einmal laut werden -, ist eine Sache, auf eine Abstimmung zu warten ist eine zweite. Aber - ich muß dies leider sagen; dies gilt für die rechte Seite - regelrechte Diskussionsgruppen während des Wartens auf die Abstimmung zu bilden, Vizepräsident Hans Klein ist unfair gegenüber dem Redner und widerspricht den Regeln. ({0}) Ich bitte also, in den wenigen Minuten, in denen hier jetzt noch geredet wird, Aufmerksamkeit dem Redner zu widmen. - Herr Kollege dahinten, ({1}) - ich will niemanden vorführen -, es ist nicht fair, wenn wir nicht ein Minimum an Respekt gegenüber dem Redner aufbringen. Etwas ganz anderes ist es, auf den Redner und seine Aussagen zu reagieren. ({2}) Bitte, Herr Kollege Eylmann fahren Sie fort.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, hinzu kommt, daß wir uns im Bereich der Dual-use-Waren einer Entwicklung gegenübersehen - das läßt sich auch nicht leugnen - , die sich mit auch noch so umfangreichen und ausgefeilten Listen genehmigungspflichtiger Güter nicht mehr steuern läßt. Der Umfang derjenigen Güter, die sowohl zu friedlichen Zwecken als auch zur Waffenproduktion verwendet werden können, steigt ständig. Die Patriot-Rakete besteht z. B. zum allergrößten Teil aus nicht speziell konstruierten Dual-use-Teilen. Die zivile Zugmaschine zieht ebenso schwere Baugeräte wie Panzertransporter. Mit einer Fließdruckmaschine können Sie ebenso Kochtöpfe wie Raketenteile produzieren. Wir müssen uns deshalb in zunehmendem Maße darauf konzentrieren, diejenigen Exporte zu kontrollieren, bei denen der Exporteur positive Kenntnis von der Verwendung seiner Ware in der Rüstungsproduktion oder als Teil einer Waffe hat. So wird mit § 5 c der am 14. März dieses Jahres in Kraft getretenen Änderung der Außenwirtschaftsverordnung die Kenntnis von der Verwendung in Rüstungsprojekten Auslösekriterium für die Genehmigungspflicht, auch wenn es sich um völlig harmlose Waren handelt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Verzeihung, Herr Kollege Eylmann, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber das nur deshalb, weil ich längere Zeit unterbrochen worden bin.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Zwischenfragen wurden Ihnen alle angerechnet.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gestatten Sie mir noch drei Sätze: Mit unserer Zurückhaltung allein werden wir den Krieg auf der Welt nicht zurückdrängen. Wir müssen international ein größeres Maß an Kontrolle erreichen. Aber wir sollten uns - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - auch dort keinen Illusionen hingeben: Ein Diktator, der sein Land aufrüsten will, wird sich noch auf Jahre hinaus die notwendigen Rüstungsgüter verschaffen können, notfalls aus der Dritten Welt und den Schwellenländern, wo es schon eine entsprechende Industrie gibt. Jede Nachfrage zieht ein Angebot mit sich. Wir sollten uns darauf konzentrieren, mit politischen Mitteln auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern auf der Welt zu verringern. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, jetzt sind noch zwei Kurzinterventionen angemeldet. Dazu muß ich etwas sagen: Die eine Kurzintervention, die von seiten der PDS kommt, gilt einer Äußerung des Kollegen Weiß, ist eine Reaktion auf eine Äußerung. Die andere Kurzintervention wurde vor fast einer halben Stunde als Reaktion auf das angemeldet, was der Kollege Eylmann sagen würde, ohne daß der Kollege wissen konnte, was dieser sagen würde. ({0}) Ich werde beide Kurzinterventionen zulassen. Aber ich möchte im Interesse des Hauses und des Instruments der Kurzinterventionen noch einmal erklären: Diese Intervention soll eine Reaktion auf bestimmte Aussagen sein, nicht eine geplante Redezeitverlängerung für eine bestimmte Fraktion. ({1}) Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Dr. Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Herr Weiß, Sie haben die Frage nach Herrn Schalck-Golodkowski mit dem Blick auf die Gruppe der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag gestellt und haben bezeichnenderweise Beifall der Parteien der Regierungskoalition bekommen. ({0}) Deshalb möchte ich hier noch einmal betonen: Die Partei des Demokratischen Sozialismus und die Gruppe, die in diesem Parlament arbeitet, sind für alle richterlichen Maßnahmen, die dazu beitragen, die verbrecherischen Machenschaften von Herrn Schalck-Golodkowski, des Ministeriums für Staatssicherheit und des Bereichs Kommerzielle Koordinierung aufzudecken. ({1}) Zweitens. Als ehemaliges Mitglied der Volkskammer darf ich Sie daran erinnern, daß während der Zeit der Regierung von Hans Modrow durch die Generalstaatsanwaltschaft ein Auslieferungsantrag gestellt wurde, der nicht bearbeitet wurde, und daß auf Antrag der PDS in der Volkskammer die Volkskammer geschlossen dafür gestimmt hat, daß Herr Schalck-Golodkowski auszuliefern ist. Drittens. Die PDS ist am 18. März 1990 zu Recht in die Opposition gegangen. ({2}) - Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, wir haben noch die Fähigkeit zur Selbstkritik. ({3}) Wenn also heute die Frage nach Herrn Schalck-Golodkowski gestellt wird, dann ist sie an den Freistaat Bayern und an die gegenwärtige Regierungskoalition zu stellen. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Professor Jürgen Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den mehrfachen Hinweisen nicht nur des Kollegen Eylmann auf den Zeitdruck der Gesetzesberatungen und auf die vielfachen Nachbesserungen seitens der Regierung möchte ich erstens festhalten: Das Endprodukt ist eine juristisch konfuse Mischung aus Strafrecht und Polizeirecht, aus Strafprozeßordnung, G-10-Gesetz und freiwilliger Gerichtsbarkeit, eine Mischung, die hohe verfassungsrechtliche Risiken beinhaltet. ({0}) Ich gönne den Waffenhändlern derartige Chancen nicht und werbe deshalb für die Annahme des in sich geschlossenen SPD-Entwurfs. Zweitens. Das gilt auch für die große Ankündigung der Einführung der Vermögensstrafe durch die Bundesregierung, ({1}) eine Ankündigung, die später zurückgezogen wurde. Sie wurde durch eine Maßnahme ersetzt, die in der Strafrechtswissenschaft als verfassungsrechtlich bedenklich, weil unverhältnismäßig gilt. Auch dieses Risiko könnte man vermeiden, wenn man die von uns vorgeschlagene Nebenstrafe der Erlösabschöpfung vorsieht. ({2}) Drittens und letztens. Es ist bisher nicht behandelt worden, ({3}) daß durch die von Ihnen vorgeschlagenen Vorfeldermittlungen in das Gebiet des Polizeirechts fallen, also dem Opportunitätsprinzip unterliegen. Das Opportunitätsermessen bei Abhörmaßnahmen soll vom Bundesminister der Finanzen ausgeübt werden. Wir meinen, daß nach den schlechten Erfahrungen mit dem Eifer des Bundesministers der Finanzen gegenüber den illegalen Waffenexporten nach Südafrika ({4}) hier der Bock zum Gärtner gemacht werden soll. Danke schön. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schily, wenn es wirklich nur ein Satz ist.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eylmann, damit bei Ihnen keine Mißverständnisse entstehen: Unser Beifall galt nur Ihrem letzten Satz, nicht dem gesamten Beitrag. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, Sie haben uns allen gerade den Sinn und Zweck einer Kurzintervention erklärt. Ich stelle fest, daß das, was der Kollege Meyer abgeliefert hat, ein Redebeitrag war. Wenn er den hätte abliefern wollen, dann hätte er für die SPD reden sollen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, bevor Sie weiterreden: Nach dem Regelwerk kann man nicht mit einer Kurzintervention auf eine andere antworten. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich möchte Sie lediglich bitten, festzustellen, daß es keine Kurzintervention war, ({0}) und nach diesen Regeln zu verfahren. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, zu einer ergänzenden Textkorrektur hat das Wort der Abgeordnete Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Als Berichterstatter möchte ich darum bitten, daß im Bericht eine weitere Berichtigung vorgenommen wird. *) In der Begründung zu § 40 Abs. 1 ist der zweite Satz zu streichen. Begründung: Der Bundesminister der Finanzen ist nicht mehr der Antragsteller.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, der Kollege Dietmar Kansy hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben. **) Der Kollege Burkhard Hirsch hat um das Wort zu einer Erklärung nach § 31 gebeten. Sie haben das Wort. *) Redaktionelle Berichtigungen, Anlage 2 **) Anlage 3

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichzeitig im Namen der Kollegen Baum und Lüder möchte ich folgende persönliche Erklärung zur Abstimmung abgeben. Wir unterstützen das Ziel des Gesetzentwurfs, illegale Waffenexporte hoch zu bestrafen und zu verhindern, und die wichtigen Bemühungen des Wirtschaftsministers, das auch zu erreichen. Wir würdigen auch die Bemühungen derjenigen Kollegen, die an dem Gesetzentwurf mit diesem Ziel gearbeitet haben. Trotzdem können wir dem Gesetzentwurf aus folgenden Gründen nicht zustimmen: Erstens. Die Tatbestände, deren Verwirklichung ein Verbrechen darstellen werden, sind so umfassend formuliert, daß der einzelne nicht mehr eindeutig erkennen kann, wann er sich strafbar macht. Es sind Blankettnormen. Zweitens. Der Entwurf ermöglicht das Abhören von Telefongesprächen einzelner Personen und ganzer Unternehmen zu einem Zeitpunkt, in dem nicht einmal der mindeste Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt, also einem Zeitpunkt, zu dem diese Personen sich völlig rechtmäßig verhalten haben. Diese Regelung ist im deutschen Recht einzigartig. Drittens. Der Entwurf läßt offen, ob und wann das überwachende Zollkriminalinstitut seine Erkenntisse wenigstens an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines normalen Strafverfahrens weitergeben muß. ({0}) Viertens. Das gesetzgeberische Verfahren, daß wir hier gewählt haben, hat es dem Parlament völlig unmöglich gemacht, selbst zu prüfen, ob die bisherigen Erfahrungen mit dem geltenden Recht so weitgehende Eingriffe in unser Rechtssystem und in Grundrechte begründen können und ob die neu eingeführten Regelungen überhaupt praktikabel sind. Wir haben nicht den mindesten Versuch unternehmen können, festzustellen, ob das bisherige Recht lückenhaft war oder ob es nicht sachgerecht angewendet worden ist. ({1}) Auf dieser Grundlage ist die weitere Einschränkung eines Grundrechts nicht vertretbar. Wir können daher dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung - Drucksachen 12/104 und 12/289. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 8 in der Ausschußfassung mit dem vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichtigungen auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen von FDP und PDS/Linke Liste sowie Enthaltungen der FDP, des Bündnisses 90/GRÜNE sind die Vorschriften so angenommen. Ich rufe Art. I Nr. 9 in der Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichtigungen auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? ({0}) Enthaltungen? - Die Vorschrift ist bei Gegenstimmen von der FDP, SPD, PDS/Linke Liste, Bündnis 90/ GRÜNE und einer Enthaltung von der FDP angenommen. Ich rufe Art. 1 Nr. 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichtigung auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({1}) Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der PDS und einigen Enthaltungen bei der FDP und bei der SPD angenommen. ({2}) Damit ist Art. 1 - Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - in der Ausschußfassung mit den entsprechenden Berichtigungen angenommen. Ich rufe Art. 2 - Änderung des Gesetzes zu Art. 10 des Grundgesetzes - in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einigen FDP-Enthaltungen, wenigen SPD-Enthaltungen, Enthaltungen beim Bündnis 90/GRÜNE und einer Gegenstimme von der PDS ist die Vorschrift angenommen. Ich rufe Art. 3 - Änderung des Strafgesetzbuches - in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für Art. 3? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 3 ist bei Enthaltungen in der FDP-Fraktion und in der PDS/Linke Liste ({3}) bei Gegenstimmen aus der PDS-Gruppe angenommen. Ich rufe Art. 4 - Änderung der Strafprozeßordnung - in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von Bündnis 90/GRÜNE und einigen Gegenstimmen der PDS ist diese Vorschrift ebenfalls angenommen. Vizepräsident Hans Klein Ich rufe Art. 5 - Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von PDS und Bündnis 90/GRÜNE ist die Vorschrift angenommen. Ich rufe Art. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für Art. 6? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltungen von SPD und Bündnis 90/GRÜNE und Gegenstimmen der PDS ist Art. 6 angenommen. Ich rufe Art. 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichtigungen auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von SPD und Bündnis 90/GRÜNE und Gegenstimmen der PDS sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({4}) Der Gesetzentwurf ist angenommen. Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt unter II seiner Beschlußempfehlung, den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/209 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungsexporten, Drucksachen 12/120 und 12/289. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({5}) Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltungen von PDS/Linke Liste und Bündnis 90/ GRÜNE ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Der Ausschuß empfiehlt unter IV, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/119 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? ({6}) Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE ist die Beschlußempfehlung angenommen. Der Ausschuß empfiehlt weiter unter V, den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/116 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Ablehnung durch PDS/Linke Liste und Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt noch über die Entschließungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/280? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von SPD, PDS/Linke Liste und Bündnis 90/ GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/281? - Wer stimmt dagegen? ({7}) Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von SPD, PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe Punkt 11 sowie die Zusatzpunkte 4 bis 6 der Tagesordnung auf: 11. Beratung ohne Aussprache Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1989 -- Drucksachen 11/7759, 12/210 Nr. 90, 12/245 Berichterstatter: Abgeordnete Kurt Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({1}) Dr. Bertram Wieczorek ({2}) ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 8 zu Petitionen - Drucksache 12/260 ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 9 zu Petitionen - Drucksache 12/261 ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 10 zu Petitionen - Drucksache 12/291 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer der Beschlußempfehlung unter Tagesordnungspunkt 11 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth schlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen. Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten und stimmen über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/260, 12/261 und 12/291 ab. Das sind die Sammelübersichten 8 bis 10. Wer für diese Beschlußempfehlungen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei zwei Enthaltungen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1991 - Drucksache 12/197 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({6}) - Drucksache 12/286 - Berichterstatter: Abgeordnete Barbara Weiler b) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/287 Berichterstatter: Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube Ina Albowitz ({8}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes ({10}) Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung - Drucksachen 11/8504, 12/286 Berichterstatter: Abgeordnete Barbara Weiler Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat der Bundesminister Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist das letzte Mal, daß wir uns hier mit einem Rentenanpassungsgesetz beschäftigen; denn Rentenanpassungen werden in Zukunft - so war es der Wille des Gesetzgebers im Rentenreformgesetz - auf dem Verordnungswege erfolgen. Das zeigt die ganze Normalität der Rentenanpassung. Sie folgt mit Automatik der Lohnentwicklung und ist deshalb be-rechen- und kalkulierbar. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Rentensystem, das in der ehemaligen DDR galt. Dort war die Rentenanhebung von politischer Opportunität und von der Kassenlage bestimmt. Renten in allen Teilen Deutschlands folgen nun den Löhnen. Das beweist den Zusammenhang zwischen jung und alt. Die Renten steigen so wie die Löhne. Das ist auch der wichtigste Fortschritt für die Rentner in den neuen Bundesländern. Heute haben wir die Rentenanpassung-West zu beschließen. Zum 1. Juli 1991 sollen die Renten nach dem Gesetzentwurf um 4,8 % angehoben werden. Diese Zahl ist nach neueren Berechnungen des Statistischen Bundesamtes auf 4,7 % zu korrigieren. Um diesen Prozentsatz sind die Bruttolöhne und -gehälter je abhängig Beschäftigten im Jahre 1990 gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Das ist der Maßstab für die gesetzliche Rentenanpassung. Doch ist, meine Damen und Herren, die Höhe der Rentenanpassung nicht nur vom Lohn abhängig, sondern auch von den Abgaben, von den Beiträgen, die auch Rentner zahlen müssen, also auch vom Beitrag zur Krankenversicherung. Da die Beiträge in der Krankenversicherung dank des Gesundheits-Reformgesetzes sinken, ({0}) ist die Rentenanpassung höher. Wir wollen einmal festhalten, daß die Rentner mit dem heutigen Beschluß an der Entwicklung sinkender Beiträge der Krankenversicherung partizipieren. ({1}) Entgegen allen Voraussagen haben sie es heute schwarz auf weiß. Und Sie von der Opposition beschließen das mit. Die positiven Folgen der Gesundheitsreform beschließen Sie heute - hoffentlich - mit. ({2}) An den Früchten partizipieren die Rentner. Diese Früchte werden auch von der Opposition - da bin ich sicher; sie kann gar nicht so hartherzig sein, daß sie dem nicht zustimmt - heute bestätigt. Sie werden heute bestätigen, daß die Gesundheitsreform ein Erfolg war. ({3}) - Sie werden den Rentnern diese Anhebung doch nicht vorenthalten wollen! ({4}) - Die Wahrheit muß man manchmal laut sagen - gegen das ganze Geräusch der Widersprüche. ({5}) Wenn wir uns darauf verständigen können, daß Sie mir andächtig zuhören, dann werde ich hier einen leisen Ton bevorzugen. ({6}) Die Rentenanpassung wird also auf Grund des sinkenden Krankenversicherungsbeitrags höher ausfallen und 5,03 % betragen. Die Rentenanpassung führt zu einer spürbaren - über der Preisentwicklung liegenden - Anhebung für rund 15 Millionen Rentner aus der Rentenversicherung, 900 000 aus der gesetzlichen Unfallversicherung und 600 000 Bezieher von Altersgeldern und Landabgaberenten aus der Altershilfe für Landwirte. Es ist ganz wichtig - auch das ist anders als vor mehr als zehn Jahren - , daß die Rente höher steigt, als die Preise gestiegen sind. Das war 1982 anders: Da war die Inflation höher als die Rentenanhebung. Also hatten die Rentner weniger. Denn bekanntlich kommt es nicht allein darauf an, wieviel Geld du im Geldbeutel hast, sondern darauf, was du damit kaufen kannst. Die Rentner können sich dank dieser Rentenanhebung wieder mehr kaufen als in früheren Zeiten. ({7}) Ich will auch erwähnen, daß die Rücklagen in der Rentenversicherung dank der gemeinsamen, vernünftigen Rentenpolitik steigen. Ende des vergangenen Jahres hatten wir 34,8 Milliarden DM; das entspricht 2,6 Monatsausgaben. Dieses Ergebnis liegt um 9 Milliarden DM über dem Vorjahresstand. Wir hatten in unserem Anpassungsbericht des vergangenen Jahres noch mit einer Steigerung von lediglich 7,5 Milliarden DM gerechnet. Sie sehen, die Wirklichkeit überholt uns immer positiv. ({8}) Das war früher auch anders; da waren die Prognosen besser als die Realität. Nun, ich will hinzufügen, daß die gestiegene Rücklage in der Rentenkasse auch ein Ergebnis der deutschen Einheit ist. Denn daß die westdeutsche Rentenkasse so gefüllt ist, verdanken wir auch der Tatsache, daß viele Übersiedler zu uns gekommen sind und Beiträge gezahlt haben. Der Finanzverbund, den wir Ende des Jahres herstellen, wird deutlich machen, daß wir solidarisch das zurückgewähren, was uns durch die deutsche Einheit im Westen zugute gekommen ist. ({9}) Es wird erkennbar werden, daß das allen zugute kommt. ({10}) Im übrigen wird die Rentenanpassung in den neuen Ländern wesentlich höher sein. Niemand sollte sich darüber beschweren; denn unsere Mitbürger in den neuen Bundesländern müssen aufholen, sie liegen weit zurück. Sie beziehen immer noch nur die Hälfte der vergleichbaren Rente im Westen. So kann es nicht bleiben. Schritt für Schritt muß Rentengleichheit hergestellt werden. Deshalb bin ich für eine kraftvolle Erhöhung der Renten in den neuen Ländern. Ich schlage da 15 % vor; das ist ganz handfest. ({11}) - Wer das bezahlt? Eine Rentenpolitik, wie wir sie machen, ist nicht an der Kassenlage ausgerichtet, sondern unsere Rentenpolitik orientiert sich verläßlich an der Lohnpolitik. ({12}) Das ist auch wieder ein Unterschied zu Ihnen. Sie bringen mich heute morgen - ich war so friedlich gestimmt - immer auf Unterschiede. Sie haben einmal Rentenanhebungen nach Kassenlage gemacht; wir machen sie nach der Lohnentwicklung. Die Rentner können sich darauf verlassen. Trotz sinkender Beiträge zur Rentenversicherung sinken die Renten nicht. Die Renten bleiben verläßlich! Das ist die gute Nachricht dieser Rentenanpassung. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Barbara Weiler das Wort.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf, wie schon angekündigt, zustimmen. Die Erhöhung um 4,7 % entspricht der bislang geltenden Rentenanpassungsformel und orientiert sich an der Steigerung der Bruttolöhne im Jahr 1990. Es handelt sich also nicht um eine Wohltat der Bundesregierung, sondern nur um ihre gesetzlich vorgeschriebene Pflicht. ({1}) Sicher ist, daß wir hier im Bundestag eine solche Rentenanpassung zum letzten Mal vornehmen, weil sie in Zukunft - entsprechend dem Reformgesetz vom März 1989 - durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen wird. Lassen Sie mich vorweg noch einige Zahlen nennen: Nachdem nun die endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes vorliegen, wonach die Bruttolöhne und -gehälter 1990 gegenüber dem Vorjahr um 4,7 % gestiegen sind, gilt es, auch die Renten mit diesem Prozentsatz anzupassen. Das ist akzeptabel. Daher werden wir dem Entwurf selbstverständlich zustimmen. Aber, Herr Minister Blüm, diese Zustimmung zur heutigen Rentenanpassung beinhaltet selbstverständlich keine Zustimmung zu der Begründung, die Sie gegeben haben und die auch im Gesetzentwurf zu lesen ist. Wir sind es ja gewöhnt, daß sich die Bundesregierung an allen Stellen selbst mit Lob überschüttet, auch dort, wo die öffentliche Meinung, wo die Medien das ganz anders sehen. ({2}) Wir werden - ich komme jetzt zur Gesundheitsreform, die Herr Blüm als sogenannte positive Errungenschaft angeführt hat - dieser Legendenbildung vorbeugen. Wir stehen da auf seiten der Bürgerinnen und Bürger, die im letzten Jahr erkannt haben, daß diese Gesundheitsreform für sie persönlich eben nicht positiv war. ({3}) - Dazu komme ich noch. Die Bürger kennen die negativen Effekte und wissen auch, wer für die wenigen positiven Effekte zu zahlen hat. Die im letzten Jahr in der Tat leicht rückläufigen Beitragssätze der Krankenkassen ({4}) ergeben sich nämlich zum einen als Folge der konjunkturbedingten Einkommenssteigerungen. Zum anderen, Herr Scharrenbroich, sind sie eine Folge der massiven Leistungskürzungen. ({5}) Im Klartext bedeutet das, daß die Rentner und Rentnerinnen die Senkung ihres Krankenversicherungsbeitrages durch die höhere Selbstbeteiligung an Arzneimitteln, Zahnersatz, medizinischen Hilfsmitteln, durch die Streichung von Fahrtkosten usw. im Grunde vorfinanziert haben. ({6}) Zurück zur Rente: Der Rentenanpassungsbericht 1990 hat wieder einmal gezeigt, daß Frauen auch in der Rente noch weiter benachteiligt sind. Während 30 und mehr Versicherungsjahre für Männer in der gesetzlichen Rentenversicherung durchaus typisch sind - das gilt nämlich für 77,20/0 der versicherten Männer - , erreichen Frauen derartige Versicherungsbiographien eben viel seltener. Lediglich ein Drittel - genau 33,1 To - der weiblichen versicherten Rentner fallen in die Gruppe mit 30 und mehr Versicherungsjahren. Aber auch die Höhe der durchschnittlichen Versicherungsrenten liegt bei Frauen beträchtlich unter der von männlichen Rentnern. ({7}) Dieses Ergebnis liegt sogar dann vor, wenn die gleichen Versicherungsjahre anzurechnen sind. Das erklärt sich daraus, daß Frauen auch heute noch vielfach geringer entlohnt werden als ihre männlichen Arbeitskollegen. ({8}) Frauen haben angesichts der Doppelbelastung durch Familie und Beruf oft eben keine andere Wahl, als eine Teilzeitarbeit anzunehmen und auf die Ausübung gut bezahlter Berufe und damit auch auf eine Karriere zu verzichten. Hier muß noch eine Menge getan werden. Die Kindererziehungszeiten sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben die Anerkennung unterstützt; wir haben sie immer gefordert. ({9}) Aber sie reichen nicht aus. Ich möchte darüber hinaus noch einmal an die Forderung der Sozialdemokraten erinnern, daß alle Mütter Kindererziehungszeiten in der Rente angerechnet bekommen sollten, alle, d. h. durchgängig Erwerbstätige, Deutsche im Ausland und auch die anderen, die von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten noch ausgesperrt sind. ({10}) Noch einige kritische Anmerkungen zu den jüngsten Entscheidungen der Regierung: Sie wissen, wir haben dem Rentenreformgesetz trotz vieler Bauchschmerzen zugestimmt, d. h. auch dem damit verbundenen automatischen Regelmechanismus. Wir haben auch deshalb zugestimmt, damit endlich wieder Verläßlichkeit in die Rentenpolitik kommt. ({11}) Darum bedauern wir, daß die Bundesregierung dabei ist, gerade dieses Vertrauen wieder zu verspielen. ({12}) Ich werde Ihnen einige Beispiele nennen. Das erste - ganz aktuell - ist die Manipulation des Beitragssatzes, die Verschiebung - ({13}) - Bitte, Herr Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, können Sie bestätigen, daß die Senkung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung im vergangenen Jahr von Ihrer eigenen Fraktion vorgeschlagen wurde? ({0})

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum einen ist das in einem anderen Zusammenhang geschehen. Zum anderen haben Sie diese Beitragssenkung ja vorgenommen, um eine Finanzierung zu erreichen, die ganz einseitig ist. Alle Fachleute in der Anhörung haben gesagt: Wir müssen und wir wollen die Situation in den neuen Bundesländern verbessern, aber nicht durch die einseitige Belastung der Beitragszahler. ({0}) - Nein, Sie wissen das ganz genau, es war eine Verschiebung durch die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Sie haben sich eben hier hingestellt und Kritik an der ehemaligen DDR geübt. Ich denke, bei Betrachtung der Gesetze der ehemaligen DDR zur Rente ist diese Kritik nicht ganz unberechtigt. Aber, Herr Blüm, das, was Sie jetzt mit Ihrem neuen sogenannten Überleitungsgesetz vorhaben, wird ganz sicher für die Menschen, für die Frauen und Männer in den fünf neuen Bundesländern, ({1}) die Situation eben nicht verbessern. ({2}) - Lassen Sie mich einmal einige Punkte nennen. Die Kosten der Rentenangleichung zwischen den neuen und den alten Bundesländern, Herr Blüm, sollen zum größten Teil von den Beitragszahlen statt aus Steuermitteln getragen werden. So sieht es jedenfalls der uns jetzt bekannte Entwurf vor. Konsequenz wird sein, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung wahrscheinlich 1993 wieder steigen wird. ({3}) Ein weiterer Punkt ist, daß auch die Entwicklung bei der Knappschaftsversicherung noch nicht so sicher ist. Sie haben sich zwar hingestellt und dies behauptet, aber Sie wissen, daß in diesen Fragen noch einiges gefordert wird. Wir haben den Eindruck, daß in diesem Fall, beim Rentenüberleitungsgesetz, wieder die Frauen die Leidtragenden sein werden; denn ihre Rentenanwartschaften werden gekürzt, die der Männer voraussichtlich erhöht. ({4}) Der letzte Punkt: Mit Rücksicht auf die ewiggestrigen Vertriebenenverbände werden im Verhältnis zwischen Deutschen aus den neuen Bundesländern und Aussiedlern grobe soziale Ungerechtigkeiten geschaffen. Soweit uns bekannt ist - ich will Ihnen ein Beispiel nennen - , ist vorgesehen: Wer von Cottbus nach Köln übersiedelt, der bekommt eine Rente auf ostdeutschem Niveau. Wer aber von Kasachstan nach Köln kommt, soll dagegen eine Fremdrente auf westdeutschem Niveau erhalten. Die Liste der geplanten Ungerechtigkeiten ließe sich beliebig fortsetzen. Wir fordern die Regierung auf, bereits jetzt das vorgesehene Überleitungsgesetz angesichts der angeführten Mängel noch einmal zu überarbeiten und auch unsere Vorschläge offen aufzunehmen, damit dieses neue Gesetz den Belangen der Rentnerinnen und Rentner gerecht wird. ({5}) Wie schon erwähnt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen. Aber ich habe den Eindruck: Angesichts Ihrer völlig absurden und unsozialen Lösungsmodelle für die ehemalige DDR wird diese Einstimmigkeit nächste Woche ein Ende haben. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Petra Bläss das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf, dem die PDS/Linke Liste zustimmen wird, betrifft nur die Rentenanpassung in den westlichen Bundesländern an das Lohnniveau um 4,8 % zum 1. Juli 1991. Wie es nach der Ankündigung der Rentenerhöhung um 15 % in den östlichen Bundesländern mit der nächsten Rentenanpassung konkret weitergeht, bleibt also noch offen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, seitens der PDS/Linke Liste zum wiederholten Male eine generelle Kritik am bundesdeutschen Rentenrecht anzubringen. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR übt dieses Rentenrecht zunächst eine gewisse Faszination aus, die ich durchaus verstehe, weil sie meist aus der Kenntnis der Standardrenten herrührt. Doch interessant ist nicht der relative Anstieg der Renten, sondern interessant sind die absoluten Zahlen. Interessant ist nicht die durchschnittliche Rente, sondern die Streubreite. Die Schwachstellen des hiesigen Rentenrechts werden vielen Bürgerinnen und Bürgern erst tröpfchenweise bewußt. Erste Stellungnahmen zur anstehenden Rentenüberführung lassen auch nichts Gutes ahnen. Es wird wieder die Frauen, die Rentnerinnen, treffen. Das ist übliche Praxis in der Bundesrepublik, denn zwei Drittel der Frauen, die Renten aus der Arbeiterrentenversicherung erhalten, bekommen eine Rente, die unter 500 DM liegt, und über die Hälfte derer, die Renten aus der Angestelltenversicherung erhalten, bekommen eine Rente, die unter 800 DM liegt. An diesem Grundübel ändert auch die heute zu diskutierende 4,8 %-Erhöhung nichts; denn sie vergrößert nur die Schere. Die Rentnerin mit 500 DM erhält 24 DM mehr, während der Rentner mit einer Rente in Höhe von 2 100 DM über 100 DM mehr bekommt. Während die einen im Alter also über kein eigenes existenzsicherndes Einkommen verfügen und auf die entwürdigenden Prozeduren der Sozialhilfeantragstellung angewiesen sind, ({0}) können andere einen gediegenen Lebensstandard halten. ({1}) Solche Unterschiede werden von dem Gerede über durchschnittliche Rentenerhöhungen und prozentuale Erhöhungen vertuscht. Das Fehlen einer Mindestrentenregelung - die es in der DDR übrigens auch für Menschen mit Behinderungen gab - , die Berechnungsweise der Renten für Frauen - das sind alles Ursachen dafür, daß viele Rentnerinnen in die Sozialhilfe getrieben werden und unter Altersarmut leiden. ({2}) Auch und besonders im Alter gilt: Armut ist weiblich. In Kenntnis und im Vergleich beider Rentensysteme fordern wir erneut die Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes, das ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben für alle Rentnerinnen und Rentner gewährleistet. Das bisherige System geht an der ursprünglichen Idee einer Existenzsicherung im Alter für alle vorbei und bedarf einer grundsätzlichen Reform. Kurzfristig erwarten wir, daß die konkreten Festlegungen zu der am 1. Juli 1991 notwendigen höheren Anpassung für Renten in den neuen Bundesländern rasch vorgelegt werden. Diese Regelung darf nicht mehr lange auf sich warten lassen, nicht zuletzt deshalb, damit der verwaltungstechnische Wirrwarr nicht noch verstärkt wird. Ich danke Ihnen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Eva Pohl.

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute hier aus drei Gründen reden zu können: zum ersten, weil es meine erste Rede in diesem Hohen Hause ist; ({0}) zum zweiten betrachte ich es als ein kleines Zeichen der Normalität, des Zusammenwachsens, daß ich als Abgeordnete aus dem neuen Bundesland Thüringen zu der letzten Rentenerhöhung per Gesetz im bisherigen Bundesgebiet sprechen kann. Zum dritten: Zum 1. Juli dieses Jahres werden die Renten im bisherigen Bundesgebiet exakt um 5,04 % erhöht. Damit profitieren die Rentner hier von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung und der deutschen Einheit, für die die Koalition die entscheidenden Weichen gestellt hat. ({1}) Positiv zugunsten der Rentner schlägt sich auch der Rückgang der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung nieder. Diese Anpassung zum 1. Juli 1991 kostet Mehraufwendungen von über 9 Milliarden DM - ein erheblicher Betrag, was niemand vergessen sollte. ({2}) Die Anpassung der Renten an die Steigerung der Entgelte der Aktiven macht deutlich, daß ältere Mitbürger nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden, sondern - anders als in der früheren DDR - daran teilhaben; ({3}) denn ein tragendes Prinzip des gesamtdeutschen Rentenrechts ist die Dynamisierung der Renten. Vor dem Hintergrund des rasanten und notwendigen Anpassungsprozesses der Löhne und Gehälter halte ich es auch für richtig, in den neuen Bundesländern die Renten nicht nur einmal im Jahr, sondern mehrfach anzupassen. ({4}) Ich bin zuversichtlich, daß die Rentenanpassung in den neuen Bundesländern zum 1. Juli 1991 mit 10 oder 15 % wieder kräftig ausfallen wird. ({5}) Denn nur so können wir die vorgegebene Zielgröße - ein vergleichbares Nettorentenniveau im gesamten Bundesgebiet - erreichen. Ich halte es auch für richtig, daß wir möglichst rasch zu einer einheitlichen Rentenversicherung für Gesamtdeutschland sowohl in finanzieller als auch in rechtlicher Hinsicht kommen. Dabei sollte man, dabei muß man, so meine ich, die im Einigungsvertrag getroffenen Regelungen weitgehend berücksichtigen, denn dies entspricht den Erwartungen der Menschen in den neuen Bundesländern. Bedenken sollte man auch die Mahnung des Sozialbeirats, dem „Sozialzuschlag" keinen Dauercharakter zu gewähren und sich bewußt zu sein, daß nicht alle sozialpolitischen Problemlagen - auch solche, die für Altersrentner auftreten - durch Maßnahmen der oder in der Rentenversicherung bewältigt werden können. Bei dem nach dem Einigungsvertrag bald zu beratenden Rentenüberleitungsgesetz wird es darauf ankommen, die im Rahmen der Rentenreform getroffenen Entscheidungen möglichst rasch auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen. Dies wird von der Bevölkerung auch erwartet. Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen verdeutlichen. Es ist meines Erachtens sicherlich sinnvoll und notwendig, daß die im bisherigen Bundesgebiet bestehenden vorgezogenen Altersgrenzen rasch auch für die Bürger in den neuen Bundesländern gelten. ({6}) Gleiches gilt, meine ich, für die Hinterbliebenenrenten, ({7}) von denen auf Grund der scharfen Kumulationsregelung in der früheren DDR nur sehr wenig übrig blieb. Eine solche Änderung wird über 1 Million Frauen in den neuen Bundesländern zugute kommen. Darüber hinaus gibt es sicherlich eine Vielzahl von Punkten, die der Diskussion bedürfen. ({8}) Bei der erforderlichen Anpassung, den notwendigen Übergangsregelungen müssen wir jedoch auch darauf achten, daß das gemeinsame Rentensystem, dessen Ausgaben sich 1991 voraussichtlich auf 260 Milliarden DM belaufen werden, auch auf Dauer finanzierbar bleibt. Bei der vor uns liegenden großen Aufgabe der Angleichung und Integration gilt es - so der Sozialbeirat - , ein Alterssicherungssystem zu bewahren, das auf klaren konzeptionellen Grundlagen basiert und außerdem den Versicherten und Rentnern deutliche Perspektiven und ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Die Alterssicherungspolitik in der gegebenen Situation muß darauf abzielen, Regelungen zu finden, die von der Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet akzeptiert werden und bei denen nicht das Gefühl aufkommen darf, die einen seien privilegiert oder die anderen seien zu kurz gekommen. So wie die Wirtschaftspolitik mit den Schwierigkeiten des Übergangs von der Kommando- zur Marktwirtschaft ringt, so haben wir eine schwierige Phase der Systemtransformation ohne Vorbild vor uns und setzen darauf, daß eine solche Umstellungsphase sozial verträglich bewältigt werden kann. Daran gemeinsam mitzuwirken, lade ich alle ein. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Auch meinen Glückwunsch zur Jungfernrede. Als nächste hat die Abgeordnete Frau Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Debatte steht heute die Rentenanpassung. In Westdeutschland ist die Ankopplung der materiellen Lebensverhältnisse im Alter an die Entwicklung der Einkommenssituation der Erwerbstätigengeneration zwar durchaus nicht immer unstrittig und problemlos verlaufen; dennoch handelt es sich im Grunde genommen um eine Routineangelegenheit. Ich meine aber, in diesem Jahr erhält die Anpassungsdebatte eine neue Dimension, und zwar angesichts des Auseinanderklaffens der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die Herausforderungen bestehen zum einen darin, die Höhe der Renten in der ehemaligen DDR an die rapide und in enormem Ausmaß gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen, und sie bestehen zum anderen darin, daß die Berechnungsgrundlage einen Bezug zur DDR-Normalbiographie haben muß. In diesem Punkt ist für Frauen Schlimmes zu erwarten. Zunächst zur Frage der Höhe der Renten. Die geplante Höhe des Rentenzuwachses im westlichen Teil der BRD ist dem vorliegenden Gesetzentwurf zu entnehmen. Bezüglich der zu erwartenden Anpassung der Renten in der ehemaligen DDR hingegen sind wir zur Zeit noch auf Presseverlautbarungen angewiesen. Da scheint die entscheidende Frage noch offen zu sein: Werden auch die niedrigeren Renten von der in Aussicht gestellten und von Herrn Blüm hier noch einmal betonten 15%igen Anhebung profitieren, oder geht es diesmal an die Substanz? Wird also der in der ehemaligen DDR gewährte Sozialzuschlag, der derzeit eine Mindestrente von ca. 544 DM gewährleistet, in voller Höhe beibehalten oder nicht? Sollte dies nicht der Fall sein, so würde auch in diesem Bereich die von der Bundesregierung schon so oft praktizierte Umverteilung von unten nach oben, statt umgekehrt, wirksam werden. Es wird dann ein Geheimnis dieser Bundesregierung bleiben, wie das mit sozialstaatlichen Grundprinzipien in Einklang zu bringen ist. Nun zur Frage der Berechnungsgrundlagen für Renten. Die heutige Anpassungsdebatte kann nicht losgelöst von dem noch in diesem Jahr zu beschließenden Rentenüberleitungsgesetz gesehen werden, daß die Geltung des westdeutschen Rentenrechts im Gebiet der ehemaligen DDR ab 1. Januar 1992 in Form von Übergangsregelungen festschreiben wird. Damit steht für die Rentnerinnen und Rentner in der ehemaligen DDR eine Neubewertung von Leben und Arbeit an. Rückblickend werden Lebensverläufe neu bewertet und gelebte Leitbilder in Frage gestellt werden. Mit dieser im Grunde genommen einmaligen Situation sind gravierende Unsicherheiten verbunden, deren Auswirkungen im einzelnen überhaupt noch nicht überschaubar sind. Mit absoluter Sicherheit ist allerdings schon absehbar, daß Frauen - wen wundert es inzwischen eigentlich noch? - dabei die Verliererinnen sein werden. Das Rentenrecht der DDR basierte auf dem Normalfall der durchgängig ökonomisch eigenständigen Existenz von Frauen auf der Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit, honorierte aber auch die Kinderbetreuung. Die negativen Folgen der Überstülpung des westdeutschen Rentenrechts für Frauen sind kurzgefaßt folgende: Zukünftig werden die Kindererziehungszeiten nach westdeutschem Muster berücksichtigt. Das bedeutet, daß Frauen, die in dieser Zeit berufstätig bleiben, weitgehend leer ausgehen. Im DDR-Rentenrecht hingegen wurde Kinderbetreuung über die volle Rentenwirksamkeit des Babyjahres hinaus durch eine Verkürzung der Anwartschaftszeiten um ein Jahr pro Kind anerkannt. Wenigstens wurde ein Mindestrentenbezug garantiert, der im übrigen existenzsichernd war, auch wenn das hier zum Teil bestritten wird. Frauen in der DDR konnten bereits mit 60 Jahren in Rente gehen. Nach westdeutschem Rentenrecht ist das nur möglich, wenn Rentenabschläge in Kauf genommen werden. In der DDR erhielten Frauen bei langjähriger Berufstätigkeit Zurechnungszeiten bis zu fünf Jahren angerechnet. Im westdeutschen Rentenrecht entfallen diese Zurechnungszeiten. Ich komme zum Schluß. Besonders schmerzlich wird Frauen das Wegbröckeln der Mindestrente treffen. Insgesamt ein Drittel der Rentnerinnen und Rentner in der ehemaligen DDR bezieht derzeit eine Mindestrente, die zu einem guten Teil aus einem Sozialzuschlag besteht. 95 % dieser Menschen sind Frauen. Anstatt weiter Gedanken daran zu verschwenden, wie die Unterhaltsverpflichtung des Ehemanns noch weiter ausgestaltet werden sollte, z. B. in Gestalt der Witwen- und Witwerrenten, sollte darüber nachgedacht werden, wie mit einem Rechtsanspruch auf exiChristina Schenk stenzsichernde Mindestrente die Altersarmut beseitigt und ein Leben in Würde auch im Alter garantiert werden kann. Das vorgesehene Überleitungsgesetz, meine ich, sollte die DDR-Realität berücksichtigen und sie nicht, wie leider zu erwarten ist, ignorieren. Danke. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter Redner in dieser Runde hat der Abgeordnete Alfons Müller das Wort.

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kernstück christlich-sozialer und christdemokratischer Sozialpolitik ist von jeher die Rentenpolitik. Auf der Grundlage lohnbezogener Beitragsleistungen und - zusätzlich seit 1986 - durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten soll den Menschen nach einem arbeitsreichen Leben auch eine ausreichende Rente gewährleistet werden, eine Rente, die im Alter ein Leben in Würde ermöglicht. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf kommen wir dieser Zielsetzung ein gutes Stück näher. ({0}) Mit dem 1. Juli 1991 werden fast 15 Millionen Renten aus der Rentenversicherung, 900 000 Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung und 600 000 Altersgelder für Landwirte um 4,7 % erhöht. Verehrte Frau Weiler - wenn ich Sie einmal stören darf -, wenn Sie soeben sagten, dies sei ja Pflicht der Bundesregierung, dann muß ich fragen: Wie war das denn in den 70er Jahren? Da haben Sie diese Pflicht aber ein paarmal auf Kosten der Rentner sehr sträflich vernachlässigt, denn Sie haben einige Male die Renten ja überhaupt nicht erhöht. ({1}) Ich möchte sagen: Dank der Erfolge des Gesundheits-Reformgesetzes sinkt der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung der Rentner ab 1. Juli 1991 von 12,8 % auf 12,2 %. Der Beitragsanteil der Rentner beträgt dann 6,1 %, so daß der effektive Anstieg des Rentenzahlbetrages 5,04 % beträgt. Auch hierzu, Frau Weiler, möchte ich folgendes sagen: Sie scheinen die Philosophie des Gesundheits-Reformgesetzes überhaupt nicht verstanden zu haben, denn das ist doch die entscheidende Frage: Sollen alle immer mehr bezahlen, sollen alle immer höhere Beiträge zahlen, oder sollten wir das nicht reduzieren mit der Folge, daß der einzelne dann, wenn es darauf ankommt, eine zumutbare Eigenleistung erbringt? Das ist doch so geregelt worden. ({2}) - Nein, nein, Kollege Reimann. Sie übersehen die Härteklausel, Sie übersehen viele andere Dinge. Sie übersehen, daß eine Überforderung überhaupt nicht möglich ist. Ich meine, das sollte man berücksichtigen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Müller, stimmen Sie mir zu, daß die Feststellung der Sachverständigen, die sagen, daß ältere Menschen, Rentner, mehr Gesundheitsleistungen und häufiger in Anspruch nehmen müssen als die übrigen Beitragszahler, zutrifft? (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Dazu brauche ich keine Sachverständigen!

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da stimme ich Ihnen zu. Das hat allerdings mit meiner Feststellung überhaupt nichts zu tun.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie dem zustimmen, würden Sie dann auch konzedieren, daß diejenigen, die mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen müssen, mehr Selbstbeteiligung leisten müssen und daß das auch unter den Rentnern ein erheblicher Teil ist?

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, dem stimme ich nicht zu; denn die Erfahrungen sind sehr differenziert. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. Das Nettorentenniveau steigt 1991 gegenüber 1990 um 1 % und liegt, wenn ein Rentner 45 Versicherungsjahre erreicht hat, jetzt bei 70 %. Die Steigerung von 5,04 % bedeutet für die Rentner eine echte Erhöhung der Kaufkraft, da sie über dem prognostizierten Preisanstieg von 3,5 % liegt. Auch da unterscheiden wir uns von der SPD. Zu Ihrer Zeit waren die Rentenerhöhungen noch nicht einmal so bemessen, daß sie die Inflation ausgleichen konnten. ({1}) Bei uns gibt es eine echte Kaufkraftsteigerung. Meine Damen und Herren, diese Tatsachen machen deutlich, daß die Renten bei uns in guten Händen sind. ({2}) Ich danke dem Bundesarbeitsminister für seine umfassende Konsolidierungspolitik, die unsere Renten1234 Alfons Müller ({3}) versicherung wieder auf eine solide Basis gestellt hat. ({4}) Dank der guten und anhaltenden Konjunktur mit einer hervorragend guten Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung ist die Rücklage auf fast 35 Milliarden DM angestiegen. ({5}) Diese hohen Reserven lassen es zu, den Beitragssatz ab 1. April 1991 um einen Prozentpunkt zu senken. Diese 33. Rentenanpassung per Gesetz geschieht heute zum letzten Mal. Auf Grund des Rentenreformgesetzes wird die jährlich vorzunehmende Anpassung an die Einkommensentwicklung ab 1992 durch Verordnung des zuständigen Ministers bei Zustimmung durch den Bundesrat erfolgen. Dieses Verfahren gilt bereits jetzt für die Renten in den neuen Bundesländern. Auch dort folgen die Renten den Lohnsteigerungen. Zum 1. Januar 1991 ist bereits eine Erhöhung um 15 % erfolgt. Da die Löhne in den neuen Ländern seither weiter gestiegen sind - ich füge hinzu: Gott sei Dank -, ist eine weitere Erhöhung zum 1. Juli 1991 notwendig. Ich denke, das sollten wiederum 15 % sein. Meine Damen und Herren, durch das Rentenangleichungsgesetz sollen die Renten im beigetretenen Teil Deutschlands für den Durchschnittsverdiener unter Einbeziehung der Renten der freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei 45 Arbeitsjahren ebenfalls 70 des dortigen Nettoeinkommens betragen. Derzeit liegen die Renten bei 46% des westlichen Rentenniveaus. Ich freue mich, feststellen zu können, daß es gelungen ist, in kurzer Zeit 2,8 Millionen Renten in den neuen Ländern umzustellen. Das war ein gewaltiger Kraftakt, der Lob und Anerkennung verdient. ({6}) Ich sage das an die Adresse des Bundesarbeitsministeriums ebenso wie an die Adresse der BfA und der übrigen Rentenversicherungsträger. Eine gewaltige und schwierige Aufgabe steht uns jedoch noch bevor; denn es gilt, die geplante Überführung von Rentenansprüchen und Anwartschaften aus den 63 Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR in die bundesdeutsche Rentenversicherung vorzunehmen. Dabei kann und darf es nicht sein, daß die vom sozialistischen Unrechtssystem für besonders privilegierte Personen der wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Intelligenz sowie für hauptamtliche Mitarbeiter des untergegangenen SED-Staates, der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen gewährten Sonderrenten alle ungekürzt von uns weitergezahlt werden. ({7}) Das verbietet doch die Gleichbehandlung der Menschen dort, die viele Jahre hart gearbeitet haben und unter dem untergegangenen SED-System erheblich haben leiden müssen. ({8}) Ich darf sagen, daß meine Fraktion dazu in Kürze entsprechende Vorschläge unterbreiten wird, die ein solches Unrecht dann, so hoffe ich, aus der Welt schaffen. ({9}) Ich denke, wir haben die Pflicht und die Schuldigkeit, gerade den Menschen in besonderer Weise zu helfen - sie sind eben vom Minister genannt worden: besonders die Kleinrentner, die Hinterbliebenen, die Witwen- , die aus dem Erwerbsleben bereits ausgeschieden sind. Gerade ihnen, meine ich, müssen wir eine Perspektive im wiedervereinten Deutschland bieten. ({10}) Wir werden alles tun, damit wir im vereinten Deutschland die Rentenpolitik weiter zum Kernstück der Sozialpolitik machen. Sie können sich da auf uns verlassen. Vielen Dank, daß wir alle zustimmen. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, Drucksachen 12/197 und 12/286. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt nach Kenntnisnahme des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei zwei Enthaltungen beim Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die in den Jahren 1986 bis 1988 gemachten Erfahrungen mit dem Gesetz über Präsidentin Dr. Rita Süssmuth die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub - Drucksache 11/8517 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie und Senioren ({1}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Als erste hat die Frau Bundesministerin Rönsch das Wort.

Hannelore Rönsch (Minister:in)

Politiker ID: 11001870

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe und Familie sind heute so populär wie seit dem Beginn der 70er Jahre nicht mehr. Nach fast 20 Jahren hat 1990 in der alten Bundesrepublik die Zahl der Geburten eine Rekordzahl erreicht. Am vergangenen Dienstag meldete das Statistische Bundesamt, daß die Zahl der geborenen Kinder gegenüber dem Vorjahr um 6,8 % auf jetzt 724 000 Kinder gestiegen ist. Ich meine, das ist ein entscheidender Hinweis; denn seit 1986 haben wir Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Jungen Menschen wird jetzt die Chance geboten, das zu sein, was sie sein wollen, nämlich Eltern, Familien mit Kindern. Das Erziehungsgeld hilft, die wirtschaftliche Lage zu sichern und den Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie wahrzunehmen. Das verschafft einen zeitlichen Spielraum, um den Kindern in den ersten Jahren die notwendige Nestwärme zu geben. Die Zahlen des Bundesamtes und auch der jetzige Bericht der Bundesregierung belegen: Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind gemeinsam mit der Anerkennung der Kindererziehungszeiten im Rentenrecht familienpolitische Meilensteine, mit denen wir den Wandel in der Familienpolitik herbeiführen konnten. Es galt, aus der Talsohle der minderen Beachtung der Familie durch die Politik während der 70er Jahren herauszukommen und hinzukommen zu der Anerkennung der Leistungen, die die Familien für die Gesellschaft erbringen. ({0}) - Frau Kollegin Götte, die 70er Jahre wurden nicht von unserer Bundesregierung geführt, sondern von einer sozial-liberalen Koalition. Sie hätten seinerzeit die Chance gehabt, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub einzuführen. ({1}) An dieser Stelle will ich sagen, wer der Mentor dieses Bundeserziehungsgeldes gewesen ist: Ich sehe hier Heiner Geißler sitzen, bei dem ich mich auf das herzlichste dafür bedanken darf, daß er umgehend das wahrgemacht hat, was die Sozialdemokraten zwar immer versprochen haben; sie konnten sich aber finanztechnisch nicht durchsetzen. Es mag sein, daß die Familienpolitiker diesen großen Wunsch hatten. Ich hätte mir gewünscht, die Familienpolitiker hätten schon damals, vor 1983, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub eingeführt. Heiner Geißler war der Vorgänger in meinem Amt als Familienminister, der es umgehend durchgesetzt hat. Dafür, Heiner Geißler, herzlichen Dank. ({2}) Ich meine, daß die Ergebnisse aus dem Familienbericht für sich sprechen. 95 bis 97 % aller Eltern haben in den ersten Jahren Erziehungsgeld in Anspruch genommen. Bis heute sind es rund 3 Millionen Eltern. Diese kaum zu steigernde Akzeptanz hat sich seitdem weiter verbessert. Eines Besseren mußten wir auch Sie, Frau Dr. Götte von der Opposition, belehren; denn 1985 haben Sie nicht einmal diesem Gesetz zugestimmt. ({3}) Wir hätten uns gewünscht, daß die Sozialdemokraten seinerzeit mit zugestimmt hätten. Die damals von ihrer Seite aus geäußerten Befürchtungen, nicht alle Eltern könnten das Erziehungsgeld bekommen, die Alleinerziehenden würden benachteiligt und viele müßten auf den Erziehungsurlaub verzichten, haben wir Ihnen eindeutig widerlegen können. Der Bericht weist es aus. Wir hatten frühzeitig Vorkehrungen getroffen, damit alleinerziehende Elternteile die gleiche Chance haben wie Verheiratete. Nachher stellte sich sogar heraus, daß die Alleinerziehenden das Angebot noch wesentlich stärker wahrgenommen haben als verheiratete Paare. Wir wissen zudem: Das Erziehungsgeld greift über die volle Dauer, inzwischen über 18 Monate; denn über 80 % der Berechtigten erhalten das volle Erziehungsgeld im gesamten Bezugszeitraum; lediglich 11 % beziehen später ein gemindertes Erziehungsgeld. Auch beim Kündigungsschutz haben sich die Befürchtungen, die von den Sozialdemokraten seinerzeit geäußert wurden, an keiner Stelle bewahrheitet. Nur 0,1 % der Eltern waren 1988 im Erziehungsurlaub von einer Kündigung bedroht. Zumeist handelte es sich dann dabei nicht um echte Kündigungen, sondern um Betriebsstillegungen. Ich ziehe daraus den Schluß, daß kein Anlaß zur Sorge besteht und daß der Kündigungsschutz gerade für die Paare, die den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, absolut wirksam ist. ({4}) Seit 1986 haben wir das Erziehungsgeld kontinuierlich verbessert. Ich will noch einmal an die wichtigsten Punkte erinnern, weil offensichtlich doch sehr viel sehr schnell in Vergessenheit gerät. Die Bezugsdauer des Erziehungsgeldes konnten wir in drei Stufen von zunächst 10 auf dann 18 Monate verlängern. Ab 1993 werden dann 24 Monate aus der Bundeskasse gezahlt. Auch da muß ich mich wieder an die Opposition wenden: Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn die sozialdemokratischen Länder den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Rheinland1236 Pfalz nachzögen und ein Landeserziehungsgeld zahlten. ({5}) Auch da ist die Opposition wieder gefragt. ({6}) Kommen Sie doch Ihrer Familienpolitik nach! Machen Sie dies in Landesstiftungen! Die Opposition hat an dieser Stelle die Gelegenheit, ihrer Aufgabe nachzukommen. Anfangs gab es auch bei mehreren Kindern höchstens 600 DM. Das war ein Umstand, der uns betrübt hat; wir haben es aber inzwischen bereinigt. Jetzt hat jedes Kind einen eigenen Anspruch. Auch bei Mehrlingsgeburten oder der Geburt eines weiteren Kindes während des Erziehungsurlaubs wird das Erziehungsgeld gezahlt. Ich halte diese Korrektur für richtig und notwendig. Wir haben dies, unmittelbar nachdem es möglich war, durchgeführt. Gleiches gilt für Adoptivkinder. Mit der Rahmenfrist bis zum Ende des dritten Lebensjahres ist gewährleistet, daß Eltern auch dann Erziehungsgeld in Anspruch nehmen können, wenn sie das Kind nicht unmittelbar nach der Geburt adoptieren konnten. Für Auszubildende besteht heute nicht mehr das Dilemma, das am Anfang bestand, daß sie sich zwischen der Weiterführung der Ausbildung und dem Bezug von Erziehungsgeld entscheiden mußten. Heute können sie das Erziehungsgeld auch dann in Anspruch nehmen, wenn sie die Ausbildung fortsetzen. Damit besteht dann auch die Gewähr, daß die berufliche Qualifikation der meist jungen Frauen nicht hinter dem Wunsch nach einem Kind zurücksteht. Die Einführung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub setzte ein Signal auch für andere Bereiche. Ich nannte bereits die vorbildlich mit eigenen Leistungsgesetzen vorgehenden Länder und kann an der Stelle noch einmal sagen: Sagen Sie Ihren sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, daß sie den CDU-geführten Ländern nachfolgen sollen. Man kann ja mit dem halben Jahr anfangen; das wäre doch immerhin schon etwas. ({7}) Mehrere Tarifverträge, aber auch viele große Unternehmen gestatten heute die Freistellung von Eltern über die Zeit des Erziehungsurlaubs hinaus. Ich meine, daß dies eindeutig Anerkennung verdient. Es unterstreicht auch die gewachsene Sensibilität, mit der die Tarifpartner der Familienleistung jetzt gegenüberstehen. Bereits im Berichtszeitraum bis 1988 nutzten die Unternehmen zudem die Zeit des Erziehungsurlaubs ihrer Mitarbeiter zu 49 % , um die Stelle befristet neu zu vergeben. Dadurch hatten natürlich viele jüngere Leute die Gelegenheit, die Chance zum Berufseinstieg. Die Bereitschaft, zukünftig auch bis zu drei Jahren befristete Zeitverträge abzuschließen, könnte, wie ich mir vorstelle, den Effekt auf den Arbeitsmarkt noch weiter verstärken. Das Bundeserziehungsgeldgesetz bildet heute neben dem Kindergeld das Rückgrat im Familienlastenausgleich. Das ist eine Leistung, auf die wir ausgesprochen stolz sind und die noch ergänzt werden kann; aber dafür haben wir auch noch in den kommenden Jahren Zeit. Weniger zufrieden bin ich allerdings mit der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch die Väter. Denn eines der Ziele war ja, daß sich die Väter mehr als früher an der Erziehung der Kinder beteiligen. Deshalb erhielten sie auch einen Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Doch der Anteil der Männer, die diese Leistung in Anspruch nehmen, ist nach wie vor ausgesprochen gering: Er liegt leider nur bei 1,5 %. Ich hoffe aber sehr, daß sich dies in der Zukunft ändert; denn ich meine, daß es auch einem Vater sehr gut bekommt, wenn er sich zumindest für ein paar Monate der Erziehung seines Kindes oder seiner Kinder widmet und wenn er sich in der Familienphase um Haushalt und Familie kümmert. Ganz sicher fördert es auch die Lebensbeziehung zu dem Kind und läßt den Ehemann für die Leistungen, bei denen es sehr oft für selbstverständlich gehalten wird, daß sie die Frau im Haushalt und in der Familie erbringt, in der Zukunft aufgeschlossener sein, wenn er selber die Familienphase einmal erlebt hat. ({8}) Von besonderer Bedeutung ist das Erziehungsgeld in den neuen Bundesländern. Bekanntlich haben wir es dort in voller Höhe eingeführt. Es scheint mir aber der Hinweis richtig, daß fast alle Eltern die volle Leistung auch in ihrer einkommensabhängigen Phase erhalten werden. Dies verbessert die wirtschaftliche Situation der Familien mit kleinen Kindern wesentlich, die in diesen Wochen und Monaten in den neuen Bundesländern mit Sicherheit vor großen Schwierigkeiten stehen. Ich weiß aber auch, daß die Auszahlung des Erziehungsgeldes in den neuen Bundesländern noch nicht so richtig funktioniert. Das Ministerium für Familie und Senioren unternimmt in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Kommunen alles - wir werden in den nächsten Wochen noch einmal eine gesonderte Werbekampagne starten - , damit dieser Mißstand so schnell wie möglich beseitigt wird, damit der Anspruch auf Erziehungsgeld den Familien bewußt wird. ({9}) Die bevorstehende Verbesserung der Erziehungsgeldleistungen auf zwei Jahre ab 1993 und die Ausdehnung des Erziehungsurlaubs mit Beschäftigungsgarantie auf drei Jahre schon ab 1992 sind gewaltige Anstrengungen. Sie setzen natürlich auch neue Maßstäbe. Je länger wir diese Leistungen anbieten, desto näher kommen wir aber dem Ziel der kinder- und familienfreundlichen Lebenswelt. Eltern, die um das Erziehungsgeld wissen, können viel überzeugter ja zum Leben sagen. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind zusammen mit dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen, mit dem Wohngeld oder den Mitteln aus der Bundesstiftung „Mutter und Kind" Bundesminister Hannelore Rönsch auch da, Heiner Geißler, herzlichen Dank - wichtige Hilfen zum Schutze des ungeborenen Lebens. Wenn wir die Tötung des ungeborenen Lebens nicht hinnehmen wollen, müssen wir konsequent die Lebenshilfe für Mütter und Väter, für die Familien, die mit Kindern leben wollen, ausbauen. Für dieses Ziel werde ich mich auch in der Zukunft einsetzen. ({10}) Allerdings appelliere ich an Ihrer Stelle erneut an die Länder; denn ein Hilfspaket an junge Familien ist dann unzureichend geschnürt, wenn nach Ablauf der dreijährigen Erziehungsphase und des Erziehungsurlaubs kein Kindergartenplatz bereitsteht. Auch da muß man an die sozialdemokratisch geführten Länder appellieren. Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen. Die Presseerklärungen, Pressemeldungen und Verlautbarungen aus den letzten Tagen waren ausgesprochen erschreckend. ({11}) - Die SPD ist noch mit drei Kolleginnen und Kollegen vertreten. ({12}) - Mit Sicherheit. - Ich hoffe, daß die Präsenz nicht Ihr Interesse an der Familienpolitik widerspiegelt. Ich erwarte mir offenere Ohren für Familienpolitik und nehme an, daß die anderen Kollegen vielleicht an ihrem Schreibtisch darüber nachdenken, wie man familienpolitische Leistungen noch verbessern kann. ({13}) Der Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz nach dem dritten Lebensjahr müßte auch - - Vielleicht könnten die Kolleginnen, die jetzt da sind, zuhören; es ist ein bißchen schwierig, Frau Dr. Götte. - Frau Dr. Götte, ich habe Sie gerade direkt angesprochen und wäre ganz dankbar gewesen - weil die Sozialdemokraten nur noch mit drei Personen hier vertreten sind - , wenn Sie vielleicht zuhören könnten, weil es um Familienpolitik geht und wir deshalb in der Auseinandersetzung sind. Ich möchte am Schluß zusammenfassen und möchte die familienpolitischen Leistungen und die Ergebnisse aus dem Familienbericht noch einmal darstellen, damit das diesmal vielleicht etwas länger im Gedächtnis bleibt. Die Ergebnisse des Berichts über die Erziehungsgeldleistungen und den Erziehungsurlaub aus den Jahren 1986 bis 1988 sind für uns und auch für die anderen - wenn sie ihn richtig lesen - absolut überzeugend. Unsere damaligen Kritiker, die momentan wieder reden, sind allesamt widerlegt. Die Leistung wird von fast allen Familien akzeptiert und in Anspruch genommen. Für die Familien in den fünf neuen Bundesländern bedeutet das Erziehungsgeld einen wesentlichen Teil des Familieneinkommens. Das alles bestärkt uns in der Überzeugung, daß wir seinerzeit den richtigen Weg beschritten haben. Es motiviert uns natürlich, diese Leistungen in den nächsten Jahren auszubauen. Wir rechnen bei dem Ausbau der familienpolitischen Leistungen dann auch mit den Stimmen der Opposition. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Ulrich Böhme.

Dr. Ulrich Böhme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000222, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ehe und Familie, Frau Ministerin, werden nicht erst heute besonders akzeptiert. Das war auch schon früher so. Ich erinnere mich noch sehr gut: Vor 25 Jahren kam unser erstes Kind, unsere Tochter, auf die Welt. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich heute über Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sprechen würde. Ich war zu dieser Zeit noch Student. Meine Frau war schon berufstätig und ernährte unsere Familie. Nachdem für meine Ehefrau der gesetzliche Mutterschutz verstrichen war - das waren damals sechs Wochen nach der Geburt -, standen wir vor der Alternative: Entweder gibt meine Frau ihre Arbeit auf, was wir uns finanziell kaum leisten konnten, oder sie arbeitet weiter, während ich mich um die gerade geborene Tochter kümmere. Genau das haben wir gemacht. Wir wählten also diesen Weg. Damit hatte ich das unvergeßliche Erlebnis, tagtäglich das Heranwachsen meines Kindes mitzuerleben und auch mitzugestalten. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß dieser enge Kontakt mit meinem Kind in den ersten Lebensjahren unsere auch heute noch großartige Beziehung nachhaltig geprägt hat. Ich möchte mit diesem Beispiel die Väter in unserem Land ermutigen, das Angebot des Erziehungsurlaubs wahrzunehmen. ({0}) Aus dem heute vorliegenden Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Gesetz zur Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in den Jahren 1986 bis 1988 geht hervor, daß nur ganz wenige Väter den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Das liegt natürlich vor allem an der wirtschaftlichen Situation unserer Familien, vor allem der jungen Familien. Die Einkommenssituation erlaubt es zumeist einfach nicht, daß die Väter die Betreuung der Neugeborenen übernehmen. Um Vätern einen Anreiz zu geben, den Erziehungsurlaub zu nutzen, haben wir Sozialdemokraten - ein bißchen haben Sie versucht, uns schlecht zu machen, obwohl das Freitagmittag so eine Sache ist ({1}) bereits 1985 in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß bei einer Aufteilung des Erziehungsurlaubs zwischen den Ehepartnern ein erhöhtes Erziehungsgeld bei einer längeren Bezugsdauer gezahlt werden sollte. Das ist nach wie vor richtig und notwendiger denn je. Dr. Ulrich Böhme ({2}) Die Mittel, die zur Zeit für die Familienpolitik aufgewendet werden, reichen also bei weitem noch nicht aus. Wir wollen bitte nicht aufrechnen, was auf die Familien zukommt. Sie haben über die Länder gesprochen. Ich könnte vom Schüler-BAföG sprechen. Führen Sie das doch wieder ein. ({3}) Aber diese Dinge bringen uns nicht weiter. Lassen Sie uns die Sache gemeinsam voranbringen. Hinzu kommen die finanziellen Belastungen - auch das muß ich hier sagen, wenn Sie schon so ein klein bißchen aggressiv waren - , die sich durch die unsozialen Steuererhöhungen der Bundesregierung direkt auf das Familieneinkommen auswirken. Das trifft junge Familien natürlich ganz besonders hart. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kritik aus Ihren eigenen Reihen ist doch fast so groß wie unsere Kritik. Es ist schon seit langem unser Bestreben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen und zu fördern. Wie wichtig das ist, zeigt ja gerade die hohe Akzeptanz der Institution Erziehungsurlaub. Laut dem heute vorliegenden Bericht haben über 90 % der jungen Eltern Erziehungsurlaub genommen. Die hohe Akzeptanz also beweist, wie wichtig es ist, diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Vom Wort her heißt Urlaub jedoch, daß man ihn nach einer gewissen Zeit auch wieder beenden will, daß man also wieder arbeiten will. ({5}) Die zentrale Frage ist deshalb: Warum kehrt nur etwa die Hälfte der Frauen wieder in das Berufsleben zurück - nur die Hälfte? Der Bericht der Bundesregierung gibt darauf sogar eine Antwort. Es heißt auf Seite 2 wörtlich - Sie können das nachschlagen; ich zitiere -: Als Gründe für die Nichtwiederaufnahme der Erwerbstätigkeit werden die ausschließliche Betreuung des Kindes in den ersten Lebensjahren und unzureichende Rahmenbedingungen wie fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind oder ein mangelndes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen aufgeführt. Es fehlen also eindeutig Betreuungsmöglichkeiten wie Kinderkrippen, zumal der Erziehungsurlaub nicht bis zum Eintritt in den Kindergarten gewährt wird. Sie haben dazu vorhin etwas gesagt. Das haben wir mit spitzen Ohren gehört. Wir werden Ihre Taten an Ihren Worten messen. Wir fordern dies schon seit langem. ({6}) Die Verlängerung auf drei Jahre hat der damals zuständige Staatssekretär Pfeifer am 24. Oktober 1990 angekündigt. Wir werden sehen, was daraus wird. Obwohl den Frauen rechtlich die Möglichkeit zur Rückkehr in den Beruf eingeräumt ist, können viele dies doch nicht tun, weil sie für ihr Kind keinen Kindergartenplatz bekommen können. Noch schwieriger gestaltet sich die Suche nach einem Platz in einem Kinderhort für Kinder in der Grundschule. Oder sollte hier etwa - und das ist, wie gesagt, nur eine Frage, keine Unterstellung - doch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß der Arbeitsmarkt durch die Frauen, die dann zu Hause bleiben, entlastet wird? Das wäre schädlich und schändlich. Ein weiteres Hindernis, weshalb viele Frauen nicht mehr in das Arbeitsleben zurückkehren können, ist der Mangel an sozialrechtlich abgesicherten und arbeitsrechtlich geschützten Teilzeitarbeitsplätzen, wie es auch in diesem Bericht nachzulesen ist. Verschärft wird die Problematik durch das nicht ausreichende Weiterbildungsangebot. So heißt es im vorliegenden Bericht auf Seite 17 - ich zitiere: Weiterbildungsangeboten und Wiedereinarbeitungshilfen für die Rückkehrerinnen aus dem Erziehungsurlaub maßen die Betriebe keine allzu große Bedeutung bei. Das heißt doch, daß hier eklatante strukturelle Defizite bestehen und so die Rückkehrchancen der Frauen zu einer gleichwertigen Arbeit stark gemindert werden. Für die mit Recht geforderten Verbesserungsmaßnahmen müssen daher größere Anreize geschaffen werden, nämlich - ich zitiere wieder aus dem heute vorliegenden Bericht -: Erstens. „Besondere Schulung oder Wiedereinarbeitungshilfen", zweitens „Gelegenheit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen während des Erziehungsurlaubs" , drittens für „Einführungsschulung bei Wiederaufnahme der Tätigkeit" . Das ist auch aus dem Bericht auf Drucksache 11/8517. Wir Sozialdemokraten haben auf unserem Berliner Parteitag im Dezember 1989 den Rechtsanspruch auf weitere Qualifikation und Förderung nach Eignung und Neigung in unserem Programm festgeschrieben; dafür werden wir uns einsetzen, und dafür werden wir kämpfen. Der Bericht geht überwiegend von der herkömmlichen Familie aus, und das ist auch in Ordnung so, aber er hinkt gewaltig unserer gesellschaftlichen Entwicklung hinterher. Dies zeigt sich daran, daß er auf Konstellationen, die inzwischen gar keine Sonderfälle mehr sind, nicht eingeht. Ich meine die nichtehelichen Lebensgemeinschaften und die vielen Alleinerziehenden. Ich verstehe nicht, weshalb noch immer nichteheliche Väter von dem Recht auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ausgenommen sind. ({7}) Frau Ministerin, das müßte geändert werden, denke ich. Alleinerziehende sind nicht nur mehr belastet, bei Ihnen wirkt sich auch der Mangel an geeigneten Teilzeitarbeitsplätzen und an Kinderbetreuungsmöglichkeiten besonders schlimm aus. Ich halte auch deshalb eine Erhöhung des Erziehungsgeldes auf mindestens 1 000 DM für notwendig. Vor allem vor dem Hintergrund, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Diskussion um den Dr. Ulrich Böhme ({8}) § 218 ist eine Erhöhung der monatlichen Zuwendung notwendig, um die soziale Indikation als Ursache für Abtreibungen möglichst zu verhindern. Auch eine bessere Unterstützung von Adoptiveltern ist dringend notwendig. Sie sind darauf eingegangen; die bisherige Förderung reicht nicht aus, da die Adoptivkinder meist später in die Familien kommen und auch die Situation des Zusammenlebens eine andere ist als in den normalen Familien. Wir sollten also nicht zu selbstzufrieden und zu selbstgerecht darüber sein, daß die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in den Jahren 1986 bis 1988 erfreulich hoch war, denn die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kindererziehung ist noch längst nicht zufriedenstellend geregelt. Dies wird auch immer stärker den Frauen aus den neuen Bundesländern bewußt, soweit sie nicht schlimmerweise sowieso schon arbeitslos geworden sind. Damit die zahlreichen Kindertageseinrichtungen in den neuen Bundesländern nicht verlorengehen, haben wir Sozialdemokraten 3 Milliarden DM zu deren Erhaltung zusätzlich gefordert; im Ausschuß für Frauen und Jugend haben Sie diesen Antrag abgelehnt. Überlegen Sie sich das bitte noch einmal. Der jetzt bekannt gewordene aktuelle Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern ist auch ein Anzeichen dafür, daß dort die Situation der jungen Eltern alles andere als von Zuversicht geprägt ist. Sie haben mit dieser Ablehnung der Erhaltung dieser Kindertageseinrichtungen den jungen Menschen, den jungen Familien dort nicht viel Mut gemacht. Denken Sie an den Grundgesetzauftrag, vergleichbare Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu schaffen. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den alten wie in den neuen Bundesländern, also in unserer gemeinsamen Republik, ist nötig: Erstens die Ausweitung des Elternurlaubs und eine deutliche Erhöhung des Erziehungsgeldes. Zweitens ist nötig der Ausbau von Kindertagesstätten für die bis zu Dreijährigen, vor allem für diejenigen, die den Elternurlaub und das Erziehungsgeld nicht in Anspruch nehmen wollen. Drittens ist der Ausbau der Kindergartenplätze für Kinder vom dritten Lebensjahr an nötig sowie die Einführung des Rechtsanspruchs für Kinder auf einen Kindergartenplatz. Viertens ist der Ausbau von Kinderhorten für Kinder im schulpflichtigen Alter bis zu zwölf Jahren nötig. Fünftens ist ein verstärkter Ausbau von Ganztagsschulen nötig. Und es sind - sechstens - Veränderungen im Arbeitsleben von Eltern, die den Ablauf des Familienalltags für ihre Kinder und sich humaner und partnerschaftlicher gestalten wollen, sowie grundsätzlich die Verbesserung der Bedingungen des Aufwachsens für Kinder einschließlich einer positiven, umweltfreundlichen, lebens- und liebenswerten Gestaltung des Wohnumfeldes und ihres unmittelbaren Lebensbereichs. Es gibt also noch viel zu tun. Wir nehmen diesen Bericht heute zur Kenntnis. Das Gute loben wir, und das Viele, das noch zu tun sein wird, werden wir in unserer parlamentarischen Arbeit einfordern. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Berufsehre bringt mich dazu, mit einer grundsätzlichen Bemerkung zu beginnen. Frau Rönsch, Sie haben hier versucht, eine monokausale Erklärung für den derzeit in Westdeutschland erfolgenden Geburtenanstieg zu geben. In Ostdeutschland findet etwas ganz anderes statt, nämlich ein drastischer Geburtenrückgang; von mehr als einem Drittel ist die Rede. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß Korrelationen grundsätzlich nicht geeignet sind, Kausalitäten zu beweisen. Die Gesetze der Statistik geben das leider nicht her. Man mag das bedauern. Aber es ist so. Ich beginne mit meinen geplanten Ausführungen. Die Leistungen für Frauen nach der Geburt eines Kindes waren in der ehemaligen DDR wesentlich besser als hier. Das heißt, sie waren wesentlich besser als das, was Frauen in der ehemaligen DDR heute geboten wird. DDR-Frauen bekamen nach der Geburt eines Kindes einen Schwangerschaftsurlaub von fünf Monaten bei voller Lohnfortzahlung. Ab 1. Januar 1991 müssen sie sich mit zwei Monaten begnügen. Das heißt: Drei Monate bezahlte Zeit fürs Kind werden den Frauen in der DDR durch die Vereinigung schlicht und ergreifend weggenommen. ({0}) Auch die Leistungen nach dem Schwangerschaftsurlaub waren in der ehemaligen DDR besser geregelt als hier: Es gab eine bezahlte Freistellung bis zum Ende des 12. Lebensmonats des Kindes bei einer Fortzahlung des Lohnes in Höhe des Krankengeldes. Das ist mit dem Erziehungsgeld von 600 DM ganz grundsätzlich überhaupt nicht vergleichbar. ({1}) - Wir können uns gern darüber unterhalten. ({2}) - In den ersten sechs Wochen 90 %, danach 70 %. Die Frauen in der DDR haben ihre ökonomische Unabhängigkeit während der Freistellung behalten, und nach der Freistellung konnten sie ganz selbstverständlich an ihren Erwerbsarbeitsplatz zurückkehren, weil es genügend Tagesstätten für Kinder gab. Sogenannte Wiedereingliederungsprogramme bzw. ent1240 sprechende Modellversuche brauchte es da also nicht zu geben; das hatten die DDR-Frauen nicht nötig. ({3}) Das ist ein gravierender Unterschied zur Situation hier, ein gravierender Unterschied zum sogenannten „Erziehungsgeld", das mit der Bezeichnung „ Gebährprämie " wohl besser zu beschreiben wäre. Anläßlich des heutigen Berichts der Bundesregierung erheben wir folgende Kritik: Der Erziehungsurlaub ist mit 600 DM im Monat auch nicht annähernd finanziell ausreichend abgesichert. Kein Mensch kann von diesen 600 DM leben, und kaum ein Mann, der einen auch nur einigermaßen gut bezahlten Erwerbsarbeitsplatz hat, wird diesen zugunsten eines mit 600 DM dotierten Erziehungsurlaubs von 18 oder 24 Monaten freiwillig aufgeben. Das können Sie schon daran sehen, daß von den 1,4 % Männern, die den Erziehungsurlaub 1988 in Anspruch genommen haben, drei Viertel sowieso schon erwerbslos waren. Im Westen gilt es als normal, daß Familien im wesentlichen vom Gehalt des Mannes leben. Bei uns war das anders. Aber eine Familie im Westen - und in Zukunft wird es im Osten nicht anders sein - kann es sich gar nicht leisten, das Gehalt des Mannes 18 bzw. 24 Monate lang gegen das 600 DM hohe Erziehungsgeld einzutauschen, weswegen natürlich die Frau auf ihre ohnehin schlechter bezahlte Erwerbstätigkeit verzichten muß. Das Erziehungsgeld ist nichts anderes als ein Köder, mit dessen Hilfe die Geburtenrate erhöht und Frauen der Schritt in die Hausfrauenfalle, der in dieser Gesellschaft für Frauen mit Kindern ohnehin fast unvermeidbar ist, kurzfristig versüßt werden soll. Nach 18 bzw. 24 Monaten ist der Köder weg bzw. erhält er keinen Nachschub mehr; die Falle allerdings bleibt noch lange Zeit zu. Denn es gibt in der Bundesrepublik kaum Tagesstätten für zweijährige Kinder. In den Kindergarten kommen sie frühestens mit drei Jahren, falls überhaupt. Die Öffnungszeiten der meisten Kindergärten in der BRD sind - und zwar, wie ich meine, absichtlich - so gestaltet, daß Frauen ihre Erwerbstätigkeit nicht wieder aufnehmen können. Das geht ja auch aus dem Bericht hervor: 53 % aller zuvor erwerbstätigen Frauen können ihre Erwerbstätigkeit nach Ablauf des Erziehungsurlaubs nicht wieder aufnehmen, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder haben bzw. bekommen. Von denen, die wieder erwerbstätig werden, gehen die meisten in nichtexistenzsichernde, ungeschützte Teilzeitarbeitsverhältnisse. Wenn die Regierung in ihrem Bericht nun stolz behauptet, der Erziehungsurlaub habe positive Beschäftigungseffekte, dann ist das Ausdruck für ein ganz bestimmtes Frauenbild. Offensichtlich gefallen der Regierung Frauen als auswechselbare, nur vorübergehend Erwerbstätige. Nur 47 % der Frauen gelingt die Berufsrückkehr. Das Auffüllen der so entstehenden Lücke wird dann als arbeitsmarktpolitischer Erfolg verkauft. ({4}) Wer jetzt hier die Meinung vertritt, die Betreuung in Tagesstätten sei gar nicht gut für Kinder, sie würden viel besser von ihren Müttern zu Hause betreut - eine Position die hier erst kürzlich von Frau Nolte vertreten worden ist - , der oder die muß uns heute erklären, warum dieser Gesellschaft, warum diesem Staat die hockqualifizierte, angeblich allseits geschätzte private Betreuungsarbeit von Frauen nicht mehr wert ist als 600 DM im Monat. ({5}) Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der die Wertschätzung, die eine Arbeit genießt, durch finanzielle Leistungen ausgedrückt wird. Der Hochschulprofessor verdient mehr als die Lehrerin; die Lehrerin verdient mehr als die Putzfrau. Das, was die Bundesregierung „Erziehungsgeld" nennt, ist weit unterhalb des Lohnes einer Putzfrau. Durch die geringe Höhe des Erziehungsgeldes kommt die Geringschätzung der Arbeit von Frauen an Kindern anschaulich zum Ausdruck. Diese Arbeit ist dem Staat nicht mehr wert als 600 DM im Monat. Schöne Sonntagsreden und die Blumen zum Muttertag korrigieren diesen Eindruck nicht. Im Gegenteil: Sie bestätigen nur das schlechte Gewissen, das die Herren dieses Landes Frauen mit Kindern gegenüber - wie ich meine: zu Recht - haben. Aber es ist für den Staat schließlich billiger, mit diesem schlechten Gewissen zu leben, als die Arbeit von Frauen anständig zu bezahlen oder Tagesstätten für Kinder aufzubauen oder auch nur zu erhalten. Meine Damen und Herren, wir brauchen beides. Wir brauchen ein Erziehungsgeld, von dem Menschen, die Kinder betreuen, in ökonomischer Unabhängigkeit und in Würde leben können. Und wir brauchen Kinderbetreuungseinrichtungen, in die die Kinder gerne gehen. Ein Abrutschen in die ökonomische Abhängikeit vom Ehegatten oder vom Sozialamt haben mit einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung gar nichts zu tun. Vätern wird so ein Leben fast nie zugemutet; Frauen wollen es sich nicht länger zumuten lassen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der hierzulande gerne verschwiegen wird, kommt hinzu, auch bei ausreichender Bezahlung. Eine jahrelange ausschließliche Beschäftigung mit Kind und Haushalt gefällt nur sehr wenigen Frauen. Die Beschränkung auf Teilzeitarbeit verhindert jegliches Fortkommen im Beruf. Das ist trivial. Wenn das Hausfrauendasein so vergnüglich und chancenreich wäre, dann würden sich dafür schließlich auch mehr Männer bewerben. Den allermeisten Männern ist das allerdings viel zu trist. Ganz grundsätzlich gilt: Was für die Bezugsperson schlecht ist, ist auch schlecht für das Kind. Damit schließt sich dann der Kreis. Kinder brauchen Tagesstätten, wo sie anderen Kindern begegnen und wo sie sich von der ausschließlichen emotionalen Abhängigkeit von ihren Eltern emanzipieren können. ({6}) Kindertagesstätten sind unabdingbar für die Sozialisation von Kindern.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Dr. Hitschler?

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, sind Sie innerlich wirklich davon überzeugt, daß die Kindererziehung eine triste Angelegenheit ist?

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe gesagt, die ausschließliche Beschränkung darauf sei trist. Und ich habe auch nicht gesagt, das gelte generell. ({0}) - Ich bin nicht bereit, Ihnen in dieser Globalität und Pauschalität zu folgen. Ich habe nur gesagt: Es gibt sehr wenige Frauen, die die ausschließliche Beschäftigung damit als Erfüllung ihres Lebens ansehen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Das heutige Thema - wir haben es schon gehört - ist wieder sehr gut für schöne Worte und andachtsvolle Reden von der Liebe zum Ungeborenen geeignet. Wer allerdings nicht einmal dazu bereit ist, die Kindertagesstätten in der ehemaligen DDR zu erhalten - und dazu ist die Regierung nicht bereit, das ist offenkundig - , dem ist auch in dieser Hinsicht kein Wort zu glauben. Frauen haben in dieser Regierung und bei den etablierten Parteien bisher keine Lobby, weder im Westen noch im Osten. Ich denke, es wird sinnvoll und notwendig sein, am Aufbau so einer Lobby zu arbeiten. Danke. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Zwischenintervention hat der Abgeordnete Herr Dr. Heiner Geißler.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Schenk, ich will etwas zu der Putzfrau sagen, die Sie hier eingeführt haben. Ferner will ich Sie auf den Sinn des Erziehungsgeldes aufmerksam machen. Für den Fall, daß es sich um eine verheiratete Frau oder einen verheirateten Vater handelt, kommen für sie - gleich, ob Frau oder Mann - zu dem Familieneinkommen, das der Ehepartner erzielt, die 600 DM dazu. Handelt es sich um eine alleinstehende Frau, dann bekommt diese Mutter 600 DM Erziehungsgeld und hat einen Anspruch auf Sozialrente in Höhe von 420 DM für sich und in Höhe von 200 DM für ihr Kind. Hinzu kommt ein Mehrbedarfszuschlag von 20 %, den die Christlich Demokratische Union in das BSHG eingeführt hat. Das sind zusammen rund 1320/ 1 340 DM. Weiter kommt die volle Erstattung der Mietkosten hinzu. Das heißt: Eine alleinstehende Mutter hat nach unserem geltenden Recht einen Rechtsanspruch auf ein Einkommen in Höhe von 1 700/1 800 DM. Das ist eine Summe, von der sich die Frauen in der alten DDR, damals von der SED betreut, nur im Traum haben etwas vorstellen können. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Möchten Sie unmittelbar antworten, Frau Schenk?

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Geißler, ich habe das, was Sie hier soeben ausgeführt haben, nicht in Abrede gestellt. ({0}) Ich meine nur, daß das vor dem Hintergrund der in der DDR vorhanden gewesenen Realität praktisch kein Ausgleich ist. Frauen in der DDR hatten ein Durchschnittseinkommen von ca. 1 200 DM. ({1}) - Dann gucken Sie doch einmal nach. Das ist die Zahl von 1988. ({2}) - Haben Sie dort gelebt oder ich? ({3}) So gesehen ist das, was Sie hier gesagt haben, praktisch keine Antwort bzw. keine Gegendarstellung zu dem, was ich in bezug auf die Frauen in der DDR gesagt habe. ({4}) - Ich habe Schwierigkeiten, mich hier verständlich zu machen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Also, es dauert nur länger, sage ich allen Beteiligten, wenn wir uns nicht verständigen können. ({0})

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Für die Frauen in Westdeutschland bleibt nach wie vor das festgeschriebene Abhängigkeitsverhältnis vom Mann. Das ist eine Sache, die mit dem Emanzipationsverständnis von Frauen, von feministischen Frauen nicht in Einklang zu bringen ist. Ich meine, daß auch ein Leben mit Kindern ökonomisch eigenständig, selbständig möglich sein sollte. Doch das ist bei den Preisen hier auch mit 1 200 oder 1 300 DM schwer möglich. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Heinz Hübner das Wort.

Heinz Werner Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000972, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, hier auf bestimmte Aussagen meiner Vorredner nicht einzugehen. ({0}) Ich sollte es lassen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Geißler, daß Sie vieles von dem, was ich eigentlich sagen wollte, schon vorweggenommen haben. Was die soeben von Ihnen gemachte Feststellung, Frau Schenk, betrifft, Kindererziehung sei eine triste Angelegenheit, so kann ich Ihnen nun wahrlich nicht zustimmen. ({1}) - Ja. ({2}) Ich möchte nun, Herr Dr. Böhme, auf Sie eingehen und sagen: Ich gebe Ihnen recht, es sollten viel mehr Väter versuchen, an der Erziehung ihrer Kinder unmittelbar teilzuhaben; ich habe es praktiziert. ({3}) Ich weiß, wie das ist. Im Zusammenhang mit der vorhergehenden Beratung betreffend die Rentner möchte ich folgendes betonen: Gerade Rentner und Kinder bedürfen in einer demokratischen Gesellschaft unserer besonderen Aufmerksamkeit. Denn sie können ihre Befindlichkeiten und Rechte mit Transparenten auf der Straße am wenigsten einklagen. Und was insbesondere Kinder betrifft, bin ich persönlich Anwalt in eigener Sache. Ich habe selbst vier - nicht Anwälte, sondern Kinder. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, wenn ein neuer Abgeordneter über etwas berichtet, was sich in der Vergangenheit seiner Mitwirkung aus objektiven Gründen entzogen hat. Trotzdem - oder gerade deshalb - sind wir der Meinung, daß Positives, wie es aus der Unterrichtung über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub hervorgeht, durchaus auch von einem Kollegen verdeutlicht werden kann, der sich in der Vergangenheit mit sozialen Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland nicht maßgeblich beschäftigen konnte. Zur vorliegenden Unterrichtung durch die Bundesregierung möchte ich folgendes ausführen: Der Bericht bezieht sich auf die - wie eingangs erwähnt - drei Jahre zwischen 1986 und 1988. Ihm liegen Statistiken zur Gewährung von Erziehungsgeld, zu Kündigungen während des Erziehungsurlaubs sowie Untersuchungen des Instituts für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover und Berichte der Bundesländer, die ein Landeserziehungsgeld oder Familiengeld eingeführt haben, zugrunde. Ich habe hier einen negativen, einen durchaus zu kritisierenden Punkt aufgeführt, um damit auch zu zeigen, daß wir uns in den Fraktionen ernsthafte Gedanken darüber machen - das zeigt ja auch die Unterrichtung, die auch auf Mängel hinweist - , wie wir Mängel verhindern und in welcher Form wir Lösungen anbieten können. Da gebe ich Ihnen durchaus allen recht. Mit dem Inkrafttreten des Bundeserziehungsgeldgesetzes am 1. Januar 1986 sind für von diesem Zeitpunkt an geborene Kinder Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub eingeführt worden. Seitdem erhalten Mütter oder Väter von der Geburt ihres Kindes an ein Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM. Der Anspruch auf Erziehungsgeld ist, wie Sie wissen, nicht von einer Erwerbstätigkeit abhängig, in seiner Höhe jedoch vom Einkommen der Eltern. Des weiteren gibt das vorliegende Papier Auskunft über die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld; ebenso über die Auswirkung der Einkommensgrenzen, über Erwerbstätigkeit vor der Geburt und während des Erziehungsgeldbezuges. Auskunft wird erteilt über die Beschaffung von Ersatzkräften für Erziehungsurlauberinnen, die nicht nur über Neueinstellungen, sondern vielfach auch mit Hilfe betriebsinterner Maßnahmen erfolgen. Wir müssen aber dennoch davon ausgehen, daß der Ausfall von Arbeitskräften bei der Gewährung von Erziehungsurlaub den Betrieben, besonders den kleinen und mittelständischen, durchaus Probleme bereitet. Was die Rückkehr in den Betrieb im Anschluß an den Erziehungsurlaub betrifft, können wir sagen, daß die Arbeitnehmerin nach dem Urlaub in der Regel auf ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Ob das der Fall ist oder ob eine Umsetzung zulässig ist, hängt von dem Inhalt des vorher abgeschlossenen Arbeitsvertrags ab. Das heißt auch, daß eine Umsetzung ohne besondere arbeitsvertragliche Regelung nur auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz erfolgen kann. Die Rückkehrquote in die berufliche Tätigkeit betrug in den Jahren 1986 und 1987 46,9 %. Das bedeutet, daß der überwiegende Teil der Arbeitnehmerinnen auf die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit nach dem Erziehungsurlaub verzichtet hat. Hier weist die Unterrichtung wiederum auch auf Mängel hin - ich betone das noch einmal - , die abzustellen sind. In diesem Fall lagen im wesentlichen zwei Gründe vor: einmal der Wunsch nach intensiver Betreuung des Kindes in den ersten Lebensjahren - das kommt auch vor; nicht jede Frau oder jeder Mann sieht darin eine triste Angelegenheit -, ({5}) also über den Erziehungsurlaub hinaus, und zum anderen die unzureichenden Rahmenbedingungen wie fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind sowie mangelndes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen. So leHeinz Hübner I sen wir es ja in der Unterrichtung durch die Bundesregierung nach. Hier berühren wir einen Punkt - was die fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind betrifft -, der durchaus kritisch anzumerken ist. Ich spreche hier auch in eigener Sache; ich sagte es schon. Der Koaltion ist dieser Umstand wichtig. Hier besteht Handlungsbedarf. Das dürfen wir bitte schön auch auf der linken Seite des Hauses nicht vergessen. Gemeinsam mit den Ländern soll ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz geschaffen werden. Auch für die Kinder, die das dritte Lebensjahr noch nicht erreicht haben, müssen geeignete Einrichtungen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. ({6}) - Warten Sie doch bitte ab. Daß die Bestreuungsmöglichkeiten erweitert werden müssen, ist auch im Hinblick auf die Wiedereinarbeitung der Erziehungsurlauberinnen notwendig. Auch hier sollten für die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen während des Erziehungsurlaubs oder auch für kurzfristige Tätigkeiten im Betrieb während des Erziehungsurlaubs Rahmenbedingungen weiter ausgebaut werden, die in den neuen Bundesländern als Voraussetzung - ich komme darauf noch zu sprechen - zum Teil schon vorhanden sind, wenn ich nur an das Angebot von Kinderkrippen und Kindergärten denke. Denn das kann man wohl als flankierende Maßnahme für die Entscheidung der Eltern, der Mütter und Väter, im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit betrachten, die sie mit der häuslichen Betreuung ihrer Kinder durchaus erfolgreich verbinden können. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Eine Reihe von Müttern, die nach dem Erziehungsurlaub eine volle Berufstätigkeit oder Teilzeitbeschäftigung aufnehmen könnten, ist das verwehrt, weil die Kindertagesstättenplätze zum Teil fehlen. In meiner Heimatstadt Sonneberg ist es z. B. so, daß Mütter aus dem Raum Coburg, also aus Oberfranken, ihre Kinder in Kinderkrippen der Stadt Sonneberg bringen, um einer Erwerbstätigkeit in Oberfranken nachgehen zu können. Das zeigt deutlich, daß der Ausbau dieser Maßnahmen im alten Bundesgebiet sehr notwendig ist und daß der notwendige Abbau von Kinderkrippen - ich betone dies - in den neuen Bundesländern sehr vorsichtig und gerichtet auf die Bedürfnisse der Mütter und Väter vorgenommen werden muß. ({7}) Ich kann auch nicht zustimmen, wenn von Ländern und Kommunen Versuche gestartet werden, die einen rigorosen Abbau dieser Kinderbetreuungsplätze zum Ziel haben. Das gibt es, und das sind Ex-DDR-Bürger, die das dort vollziehen wollen. Richtig ist, daß z. B. auf Grund der baulichen Substanz und anderer fehlender Voraussetzungen ein Teil der Kinderkrippenplätze, also der, wo Kinder bis zum dritten Lebensjahr betreut werden können, wohl verschwinden muß. Aber angesichts des objektiv vorhandenen Bedarfs darf dies nicht in jedem Fall so erfolgen, wie sich das manche Kommunen in den neuen Bundesländern vorstellen; denn hier wird künstlich eine Lücke geschaffen, die dazu führen könnte, daß Mütter, die zum geringen Familieneinkommen in den neuen Bundesländern durchaus noch beitragen müssen, damit keine Möglichkeit erhalten, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. ({8}) Hier gilt es also durchaus, positive Erfahrungen aus den neuen Bundesländern auf unser gesamtes Deutschland zu übertragen. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist deshalb notwendig, daß wir gemeinsam Überlegungen anstellen, wie der Bund z. B. Länder und Kommunen beim Erhalt, beim Ausbau und bei der Verbesserung der Bedingungen der Kindereinrichtungen vom Rhein bis an die Oder unterstützen könnte. Diese Forderungen unterlaufen nicht - ich betone dies ausdrücklich - die Ziele, die mit dem Erziehungsgeld und mit dem Erziehungsurlaub verbunden werden. Sie garantieren lediglich die freie Entscheidung der Eltern und ein gesundes Verhältnis von Individual- und Kollektiverziehung. Ich betone: gesundes Verhältnis; denn was Kollektiverziehung anrichten kann, weiß ich als geschlagener Lehrer aus der Ex-DDR besonders. Zum Abschluß noch eine Einschätzung zur Praxis in einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland: Länder wie Baden-Württemberg und Bayern, die ein Landeserziehungsgeld zur Verfügung stellen, oder Länder wie Berlin und Rheinland-Pfalz, die Familiengeld zahlen, erweitern natürlich den Spielraum für Mütter und Väter, was einmal die häusliche Betreuung und zum anderen auch die Möglichkeit einer beruflichen Betätigung und damit auch der notwendigen Betreuung der Kinder betrifft. Alles in allem kann man feststellen, daß diese zusätzlichen Maßnahmen zum Bundeserziehungsgeldgesetz in diesen Ländern erfolgreich praktiziert wurden. Diese positiven Erfahrungen wurden für die Koalitionsvereinbarung aufgegriffen. Hier werden alle Länder aufgefordert, Landeserziehungsgeld zu gewähren. Es sind natürlich Überlegungen notwendig, wie die ostdeutschen Bundesländer in die Lage versetzt werden, ähnliche, zusätzliche Unterstützungen leisten zu können; denn wir müssen ja davon ausgehen, daß das Staatssäckel dieser Länder nicht besonders prall gefüllt ist. Die vorliegende Unterrichtung der Bundesregierung zeigt, daß der Weg, der mit dem Erziehungsgeld und dem Erziehungsurlaub 1986 begonnen wurde, ein erfolgreicher ist, der es wert ist, fortgesetzt zu werden. ({9}) Eine entsprechende Erweiterung ist durch die Bundesregierung vorgesehen. Wir haben dem in der Koalitionsvereinbarung und in unserem Entwurf zu § 218 Rechnung getragen. ({10}) - Ich spreche für die Freien Demokraten Es ist unser Ziel - und ich möchte noch einmal in diesem Zusammenhang darauf verweisen - , auch ein verbessertes Angebot an Plätzen in Kindertagesstätten aufzubauen und zu garantieren, einschließlich der oft gescholtenen ostdeutschen Kinderkrippen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses um die Unterstützung bei dieser gemeinsamen Arbeit für den Auf- und Ausbau einer wirklich kinderfreundlichen Gesellschaft in Deutschland. Recht vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht verdeutlicht eine Reihe bislang ungelöster Probleme und zeigt, wo politischer Handlungsbedarf besteht. Allerdings ist es notwendig, ad hoc die hier analysierten Zusammenhänge und Positionen auch in den sechs ostdeutschen Ländern zu untersuchen. Deshalb hält es die PDS/Linke Liste für dringend notwendig, Problemlösungen zu suchen und diese der in der Regierungserklärung konzipierten Weiterführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes zugrunde zu legen. Erstens bestätigt der Bericht, daß die formale Anspruchsberechtigung für Mütter oder Väter auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub letztendlich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung festschreibt und in dieser Frage die reale Gleichstellung der Geschlechter nicht voranbringt. Das hat sich übrigens auch an den sozialpolitischen Maßnahmen der ehemaligen DDR-Regierung, der sogenannten Mutti-Politik, gezeigt. Wenn nur 1,4 % der Väter Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen - in der DDR war der Prozentsatz ähnlich niedrig - , so ist das kein Zufall und auch nicht durch moralische Appelle zu verändern, sondern heißt nichts anderes, als daß Frauen in patriarchalisch dominierten Gesellschaften immer wieder in das alte Rollenverständnis zurückverwiesen werden. In der ehemaligen BRD und heute in ganz Deutschland werden in dieser Weise die Möglichkeiten von Frauen zur eigenständigen ökonomischen Existenzsicherung gravierend beschnitten. Das in der Regel der Mutter gezahlte Erziehungsgeld von 600 DM liegt weit unter ihrem bisherigen monatlichen Durchschnittsnettoverdienst. Eben auch deshalb, weil Erziehungszeiten Karriereverläufe unterbrechen, werden gemäß dem über 2 000 Jahre alten patriarchalischen Funktionsmuster Männern in der öffentlichen Meinung Eignung und Fähigkeit für Erziehung und Betreuung abgesprochen, und Frauen werden dazu für prädestiniert erklärt. Auf dieser Grundlage werden junge Frauen in einer leistungsfähigen Lebensphase von der Berufstätigkeit, von Qualifizierung und Aufstiegschancen ausgeschlossen. Zweitens wird deutlich, daß die im Bundeserziehungsgeldgesetz eingeräumte Wahlfreiheit der Eltern, wer von ihnen die Leistungen in Anspruch nimmt, noch immer durch den ca. 30 % geringeren Verdienst von Frauen aus materiellen Erwägungen heraus in den Familien vorherbestimmt ist. Diese Ungleichheit der Geschlechter unterstreicht Emanzipationsdefizite, jedoch nicht nur für Frauen, sondern hinsichtlich ihrer Vaterpflichten auch für Männer. Verantwortung für ihre Kinder haben beide und auch den Anspruch darauf, diese Verantwortung wahrnehmen zu können. Hier ist Änderung geboten: Väter und Mütter müssen real die Chance erhalten, nach ihrem Entscheid auch wechselweise oder halbtags gesplittet die Betreuung ihrer Kinder während des Erziehungsurlaubs zu übernehmen. Ich möchte keiner Mutter und keinem Vater das Recht absprechen, ihr bzw. sein Kind über den gesetzlich garantierten Erziehungsurlaub hinaus selbst zu betreuen, aber ich will unseren Blick darauf lenken, daß zumeist nicht der eigene Wunsch, sondern hier im Westen der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen die Ursache für eine Nichtrückkehr in die Berufstätigkeit war und ist. Mütter und Väter haben hier ja kaum die Möglichkeit, eventuell auch die häusliche Betreuung ihrer Kinder durch eine qualifizierte Betreuung in Einrichtungen wie Kinderkrippen ergänzen zu können. Ganz offensichtlich wird hier die Notwendigkeit, in den Altbundesländern bedarfsdekkend Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen und in der ehemaligen DDR die bestehenden durch Bundesförderung zu erhalten. Die geplante Verlängerung des Erziehungsurlaubs auf zwei Jahre und mehr darf jedoch nicht zu einer ausschließlichen Option auf diese Form der Kleinkindbetreuung zu Hause mißbraucht werden. Es freut mich natürlich, wenn der Kollege von der FDP den Handlungsbedarf erkannt hat. ({0}) Ich würde mir wünschen, daß von der Regierungskoalition die Bundesförderung endlich festgeschrieben wird. Drittens erweisen sich die im Bericht vorgerechneten „positiven Beschäftigungseffekte" als politische Augenauswischerei, denn Ersatzkräfte für Erziehungsurlauberinnen sind befristet beschäftigt. Neubeschäftigte im Austausch für jene, die wegen Mangels an Kinderbetreuungsplätzen nicht zurückkehren können, als eine Entlastung des Arbeitsmarkts zu preisen, halte ich für eine politische Verhöhnung der Betroffenen, kurzweg für einen politischen Skandal. Notwendig wäre es, korrekt zu analysieren, wie viele Nichtrückkehrerinnen mit welchem Motiv zu Hause bleiben. Des weiteren sollten materielle Bedingungen für die Gleichstellung auch in dieser Frage geschaffen werden. Damit würde der Wiedereinstieg in den Beruf kein frauentypisches Problem bleiben, sondern mit männlicher und weiblicher Dimension einen höheren gesetzgeberischen Stellenwert erreichen. Viertens muß unbedingt gesehen werden, daß bei der jetzigen Regelung mit 600 DM Erziehungsgeld das Existenzminimum weder der Mutter noch des Kindes gesichert ist, geschweige denn das von Alleinerziehenden mit mehreren Kindern. ({1}) Um in unserem hochzivilisierten Land das Hineingeborenwerden in die Abhängigkeit von Sozialhilfe zu beenden - schon heute leben 8 % aller Kinder von der Sozialhilfe -, besteht auch hier politischer Handlungsbedarf. ({2}) Einen Ansatz zur Lösung sieht die PDS/Linke Liste in einer bundesweit wirksamen, in der Regel nettolohnorientierten Bemessung von Erziehungsgeld bei gleichzeitiger Sicherung eines bedarfsdeckenden Mindestsatzes von 1 200 DM für all jene Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger, die über kein oder ein sehr geringes Einkommen aus bisher eigener Erwerbstätigkeit verfügen. Das setzt jedoch als Bemessungsgrundlage angeglichene Einkommen entsprechend vergleichbarer Tätigkeiten in allen Bundesländern voraus. ({3}) Wir wenden uns dagegen, daß das derzeit im wiedervereinigten Deutschland politisch unhaltbare Zweiklassen-Entlohnungsprinzip auf diese Weise gegen die Interessen von Neugeborenen ausschlägt. Ich bin mir dessen bewußt, daß die Realisierung dieses Vorschlags Geld kostet. In Übereinstimmung mit unseren Wählerinnen und Wählern vertreten wir die Ansicht, daß eine Regierung, die Kostenanstieg und Steuererhöhungen zur Mitfinanzierung des Golfkrieges nicht scheut, vielmehr verpflichtet wäre, diese Mittel für die Zukunft unserer Kinder zu investieren. Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Eva-Maria Kors das Wort.

Eva Maria Kors (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung. Frau Kollegin Dr. Höll, Herr Dr. Geißler hat doch die Zahlen, die Sie wiederholt haben, eindeutig klargestellt. Durch eine nochmalige Wiederholung Ihrerseits werden sie nicht wahrer. Meine Damen und Herren, ein Kernstück der Familienpolitik der Bundesregierung sind das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub. Sie nehmen unter den vielfältigen Familienförderungsmaßnahmen, die diese Bundesregierung eingeführt hat, einen herausragenden Platz ein. Junge Frauen haben, wie wir alle wissen, heute den berechtigten Wunsch, nach einer qualifizierten Ausbildung dann auch ihre dort erworbenen Fähigkeiten in eine berufliche Tätigkeit einbringen zu können. Gleichzeitig zeigen Umfragen und Untersuchungen, daß die Gründung einer Familile bei jungen Frauen und Männern nach wie vor einen hohen Stellenwert einnimmt. Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns eigentlich alle freuen. Dieser Lebensplanung, also einer praktikablen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kommen Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub entgegen. ({0}) So haben seit Einführung im Jahre 1986 bis Mitte 1990 über 2,7 Millionen Mütter und Väter Erziehungsgeld erhalten und 1,2 Millionen Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Der Erziehungsurlaub ist familienfördernd gestaltet. Er kann aufgeteilt werden. Ehepartner können sich beim Erziehungsurlaub einmal abwechseln. ({1}) Während des Erziehungsurlaubs gilt der gleiche Kündigungsschutz wie für Mütter während der Schwangerschaft und der Mutterschutzfrist. Im übrigen kann während des Erziehungsurlaubs, wenn es die persönliche Situation erlaubt, eine berufliche Tätigkeit bis zu 19 Wochenstunden ausgeübt werden. ({2}) Das erleichtert einerseits Müttern und Vätern den späteren vollen beruflichen Wiedereinstieg, der uns im Augenblick noch etwas Schwierigkeiten macht, und bringt andererseits natürlich auch den Arbeitgebern - das kann nicht nur negativ sein - den Vorteil, daß sie nicht völlig auf eine qualifizierte Arbeitskraft verzichten müssen. Die Rahmenbedingungen für das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub sind in anderen Rechtsgebieten abgesichert. Wer Erziehungsgeld erhält, ist beitragsfrei weiterversichert, wenn er vorher in der gesetzlichen Krankenversicherung war. Das Erziehungsgeld wird zusätzlich zu anderen Sozialleistungen wie Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder Wohngeld gewährt. Herr Dr. Geißler hat soeben noch nähere Ausführungen dazu gemacht. Für Mütter und Väter wird ein Erziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, das sich bei der späteren Rente rentenbegründend und rentensteigernd auswirkt. ({3}) Meine Damen und Herren, der Anspruch auf Erziehungsgeld ist außerdem von einer Erwerbstätigkeit unabhängig, so daß eben auch gerade jene Frauen und Männer Erziehungsgeld erhalten, die sich ausschließlich für die Erziehung der Kinder entschieden haben. Eine solche Entscheidung ist für uns genauso wichtig und genauso positiv zu bewerten wie die Entscheidung für Familie und Beruf. ({4}) Die hohe Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs zeigt eindrucksvoll, daß es Wunsch und Wille vieler Mütter und einzelner Väter - es ist zuzugeben, daß die Väter hier noch einen enormen Aufholbedarf haben - ist, in der entscheidenden Entwicklungs- und Erziehungsphase im Leben eines Kindes dieses Kind selbst betreuen zu können. Bei der Entscheidung, ob nach dem Erziehungsurlaub wieder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wird oder nicht, ist dieser Wunsch bei den Betroffenen ebenso ausschlaggebend und gewichtig, wie sich natürlich die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten und der Mangel vor allen Dingen an qualifizierten Teilzeitarbeitsplätzen absolut negativ auf die Entscheidung auswirken. Hier besteht in der Tat - ich denke, darüber sind wir uns alle einig - Handlungsbedarf. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes um weitere 6 auf 24 Monate zum 1. Januar 1993, verbunden mit Erziehungsurlaub und Beschäftigungsgarantie, ist deshalb ebenso nachdrücklich zu begrüßen wie die Ausweitung des Erziehungsurlaubs mit Beschäftigungsgarantie auf 3 Jahre zum 1. Januar 1992. ({5}) Neben Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ist es aber auch dringend erforderlich, einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz gesetzlich zu verankern und ein plurales bedarfsorientiertes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen - dann auch für Kinder unter 3 Jahren - zu schaffen. Sowohl bei der Ausweitung des Erziehungsurlaubs als auch beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist vor allen Dingen die Mitwirkung der Länder gefordert. Ich richte deshalb - genau wie Sie, verehrte Frau Ministerin - von dieser Stelle aus einen besonders eindringlichen Appell an die SPD-geführten Bundesländer, endlich ihren Beitrag zu leisten und die Blockade gegen ein Landeserziehungsgeld zu beenden, damit auch in diesen Ländern jungen Familien die Entscheidung für die Erziehung und die Betreuung ihrer Kinder in den ersten 3 Jahren erleichtert wird. ({6}) Lieber Herr Kollege Dr. Böhme, vielleicht können Sie ja Ihrem Ministerpräsidenten Ihre Rede zuschikken; das wäre sehr schön. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld machen es möglich, daß sich entweder die Mutter oder der Vater in der ersten Zeit vordringlich um das Kind kümmern, es betreuen und erziehen. Das Erziehungsgeld ist deshalb auch eine Anerkennung der Erziehungsarbeit der Mütter und Väter, obwohl natürlich jedem von uns klar sein muß, daß diese Erziehungsleistung der Eltern letztlich - ich betone ausdrücklich: letztlich - nicht mit Geld aufgewogen werden kann. Beide Maßnahmen - Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub - helfen gezielt unseren Familien, behandeln Mütter und Väter als gleichberechtigt und sind von daher auch ein Meilenstein in der weiteren Verwirklichung von mehr Partnerschaft in der Familie. Die Ausgaben des Bundes für diese Leistungen von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1986 bis über 5 Milliarden DM des laufenden Jahres stellen somit eine Investition in unser aller Zukunft dar, und, meine Damen und Herren, sie sollten von daher von uns allen getragen werden. Sie, sehr verehrte Frau Ministerin, dürfen sicher sein, daß wir - hier meine ich insbesondere die Frauen in der CDU/CSU-Fraktion - Sie nachdrücklich unterstützen werden, wenn es darum geht, familienstärkende und familienfördernde Maßnahmen durchzusetzen. Wir sagen ja zum Kind, ja zur Familie, aber auch ja zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich bedanke mich. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Dr. Rose Götte das Wort.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir von der Opposition leugnen doch überhaupt nicht, daß es mit dem Erziehungsgeld eine feine Sache ist. ({0}) Ich weiß, wie viele bei Ihnen nach der Wende dafür gekämpft haben und wie lange es gedauert hat, bis Sie 1986 dieses Erziehungsgeld durchgesetzt haben. Ich habe großes Verständnis dafür, daß die, die es durchgesetzt haben, stolz darauf sind. Darauf können sie ja auch stolz sein. ({1}) Nur, wenn Sie die Sache so hinstellen, als hätte es Familienpolitik vorher nicht gegeben, dann ist das an der Wahrheit natürlich haarscharf vorbeigedacht; denn es gab vorher immerhin ein Mutterschaftsurlaubsgeld. ({2}) - Nur für Arbeitende, ja. Das ist der Unterschied gewesen. ({3}) Aber es gab dieses Mutterschaftsurlaubsgeld, das 1981 immerhin eine Milliarde DM betragen hat. Dieses Mutterschaftsurlaubsgeld, das heute übrigens, Herr Romer, nicht weiter fortbesteht, wie Sie vorhin gemeint haben, ist ersatzlos gestrichen worden. ({4}) - Zunächst haben Sie dieses Mutterschaftsurlaubsgeld von 1 Milliarde DM bis auf 0,3 Milliarden DM gekürzt. Die Frauen, die das Pech hatten, ihr Baby 1984 oder 1985 zu bekommen, standen dann im Regen; denn sie haben gar nichts bekommen. Das Erziehungsgeld gab es noch nicht. Das Mutterschaftsurlaubsgeld haben Sie zusammengestrichen, und die Mütter standen im Regen. Das war der Grund, warum es Klagen beim Bundesverfassungsgericht gab, weil die Menschen nicht damit einverstanden waren, daß die Familien plötzlich so in den Regen gestellt wurden. Denn es war nicht nur die Tatsache, daß das Mutterschaftsurlaubsgeld wegfiel. Es fiel ja auch das Schüler-BAföG weg, was den größten Batzen ausgemacht hat. Das waren mehr als 3 Milliarden DM. Damit wir mit der Legendenbildung aufhören und anfangen, uns auf Grund der Zahlen, die das Ministerium nie bestritten hat, wirklich einmal sachlich auseinanderzusetzen, möchte ich daran erinnern, daß zum Zeitpunkt der Wende 1981 ({5}) die Ausgaben für die Familie insgesamt - also die Steuerfreibeträge, das Kindergeld, der Kinderfreibetrag, das Mutterschaftsurlaubsgeld, Stiftung „Mutter und Kind" und alles, was an familienpolitischen Ausgaben überhaupt denkbar ist - 29,11 Milliarden DM betragen haben. Nach der Wende gab es zunächst ein tiefes Loch in den Ausgaben für die Familie. ({6}) Erst im Jahre 1987 war die alte Ausgabenhöhe wieder erreicht. Was man da als Grund angeben kann, darüber können wir uns ja streiten. Nur sollten Sie mit der Legende aufhören, daß die Familienpolitik erst mit der CDU angefangen hat. ({7}) Das war ein sehr, sehr schwerer Anlauf. Alle die, die bei der CDU/CSU damals familienpolitisch tätig waren, wissen davon ein Lied zu singen, wie schwer es sie getroffen hat, daß bei der Familie so rigoros gespart wurde. Um so mehr freuen wir uns, daß es dieses Erziehungsgeld jetzt gibt. Auch die Tatsache, daß Sie bereit sind, den Kündigungsschutz hinsichtlich des Erziehungsurlaubs auszudehnen, freut mich natürlich. Denn es ist erst wenige Monate her, daß wir von der SPD und auch ich hier gestanden und für eine Ausdehnung des Erziehungsurlaubs heftig gekämpft haben, weil wir meinten, der Kündigungsschutz muß drei Jahre umfassen. ({8}) Damals waren Sie noch nicht soweit und haben das abgelehnt. Heute wollen Sie das machen, und darüber freuen wir uns. Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, der in der Debatte bisher nur am Rande eine Rolle gespielt hat, und zwar auf die Frage der Beteiligung von Vätern an diesem Erziehungsurlaub. Uns alle, die wir so gern vom Wandel der Familie, von der partnerschaftlichen Ehe und vom neuen Mann reden, muß es wie einen Schlag ins Gesicht treffen, wenn wir in diesem Bericht lesen: 1,4 % der Väter nehmen den Erziehungsurlaub in Anspruch, und auch das nur teilweise. ({9}) - Aber Herr Hitschler hat doch gerade erst betont, das wäre eine Freude. Dann verstehe ich nicht, warum nur 1,4 % der Männer an dieser Freude teilhaben wollen. Wie viele Kongresse zum Thema der partnerschaftlichen Ehe, wie viele Foren und Tagungen zum Thema Väter und Kinder und wie viele Selbsterfahrungstreffen von Männern haben inzwischen stattgefunden, wie viele Bücher über die Emanzipation von Mann und Frau sind dazu geschrieben worden! Und das Ergebnis: 98,6 % der Väter halten am alten Rollenverständnis fest. Ich nehme an, alle Väter - mit der einen Ausnahme - , die hier sitzen, gehören zu diesen 98,6 %. ({10}) Klar, die 600-DM-Grenze spielt sicher eine wesentliche Rolle dabei. Nur eine Minderheit der Mütter verfügt über ein existenzsicherndes Einkommen. Würde aber der Erziehungsurlaub mit 90 % des Einkommens von Mutter oder Vater fianziert - wie in Schweden, was natürlich wünschenswert wäre -, würde die Beteiligung der Väter zwar steigen - so zeigt das Beispiel Schweden - , aber von der 50-%-Marke blieben die Väter auch dann noch himmelweit entfernt. Es muß also noch andere Gründe geben, und denen sollten wir nachgehen. Ein Grund ist sicher, daß die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs nicht nur die Versorgung des Kindes, sondern in der Regel auch die Übernahme des Haushalts einschließt. Herr Hitschler, nach einer Umfrage der Zeitschrift „Brigitte" sind nur 18 % der Männer überhaupt bereit, die Arbeiten im Haushalt mit zu übernehmen. ({11}) - 18%! ({12}) Die anderen sträuben sich zwar nicht, einmal einkaufen zu gehen oder den Staubsauger zu benutzen, aber den Umgang mit nassen Lappen - das ist interessant - und die Hauptverantwortung in der Haus- und Familienarbeit überlassen sie dann doch lieber ihrer Frau. ({13}) - Doch, offensichtlich; so besagt es die „Brigitte"-Umfrage. Wann haben Sie zuletzt naß geputzt, Herr Kollege? ({14}) Angenommen, ein Mann würde die Familienarbeit der Erwerbstätigkeit vorziehen - solche Männer gibt es ja - , so bleibt immer noch das Problem, daß seine Karriere unter der Unterbrechung leiden könnte, daß seine angebliche Unentbehrlichkeit im Betrieb hinterfragt werden könnte und daß die Kollegen über den Hausmann die Nase rümpfen könnten. Sicher, es gibt ein paar Künstler, Schriftsteller oder Alleinerziehende, die - so sagt Mann - von einer verantwortungslosen Ehefrau sitzengelassen wurden und nun eine gewisse wohlwollende Betrachtung und Beachtung als mutiger Vorkämpfer für neue Väterrollen finden. Der Arbeiter bei Opel aber, der Bankbeamte, ja sogar der Lehrer, der seinen Erziehungsurlaub nimmt, ist immer noch Gegenstand verächtlicher Witze im Kollegium und im Betrieb. Das wollen die Frauen nun auch nicht: einen Mann, über den andere lachen. Also nehmen sie selber den Erziehungsurlaub, wie es zum traditionellen Rollenverhalten der Frau paßt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Götte, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler?

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich gestatte es.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Götte, denken Sie etwa auch daran, in diesem Zusammenhang eine Quote einzuführen?

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein; aber so etwas wird öfter gefordert. Zum Beispiel wurde das in Schweden ernsthaft diskutiert - ich komme darauf gleich noch zu sprechen -; ich glaube aber nicht, daß das der richtige Weg wäre. ({0}) Kann Politik, können wir etwas daran ändern? Daß wir etwas ändern wollen - Herr Kollege, Sie haben vorhin gefragt, ob das denn so schlimm sei - , darüber besteht doch wohl Einigkeit. Mindestens alle Frauen aller Fraktionen sind sich darüber einig, daß in diesem Bereich etwas geändert werden muß. - Oder? - Sie könnten jetzt einmal klatschen, auch wenn Sie von der CDU sind. ({1}) Welche Möglichkeiten in der Politik gibt es also, hier etwas zu ändern? Wir könnten die partnerschaftliche Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit steuerlich fördern, wie es die Schweden tun. Dort werden die Familien steuerlich dann am meisten begünstigt, wenn Mann und Frau je teilzeitbeschäftigt sind. Es lohnt sich also, wenn Vater und Mutter eine Teilzeitarbeit annehmen. Bei uns ist es genau umgekehrt: Es wird derjenige steuerlich am meisten entlastet, der einen Beruf voll ausübt, während der Partner - in der Regel eben die Frau - nicht erwerbstätig ist. Die jetzige Bundesregierung will aber an diesem Steuersystem nichts ändern. Sie will noch nicht einmal den übertrieben hohen Ehegattensplittingvorteil zugunsten eines höheren Kindergeldes beschneiden. Wir von der SPD haben dies oft genug kritisiert. Eine zweite Möglichkeit wäre - das hat Herr Hitschler vorhin angesprochen - : Man könnte den Erziehungsurlaub so regeln, daß die eine Hälfte nur von der Frau, die andere Hälfte nur vom Mann in Anspruch genommen werden kann. Auch das wird ernsthaft diskutiert. Ich lehne dies allerdings ab, weil die freie Entscheidung der Eltern dabei zu sehr eingeschränkt würde. ({2}) Besser wäre es, zu versuchen, ob wir nicht eine Art Belohnungssystem einführen könnten: Ein geteilter Erziehungsurlaub würde gleichzeitig einen längeren Erziehungsurlaub bedeuten. Man hätte also einen besonderen Vorteil, wenn man sich den Erziehungsurlaub aufteilt. Warum halte ich dies für so wichtig? Ich meine, daß den Vätern unheimlich viel entgeht, wenn sie gerade in den ersten Lebensjahren ihres Kindes nicht vollverantwortlich für das Baby da sind. Ich behaupte - es gibt genügend Untersuchungen auch in der Wissenschaft, die es zu bestätigen scheinen - , daß sich eine andere Grundeinstellung zwischen Vater und Kind ergibt, wenn er mit ihm schon als Baby Umgang hatte und nicht nur eine Onkelrolle spielte, wie es in vielen Familien der Fall ist. Was bleibt uns also? Nur Ratlosigkeit und Resignation, nachdem ich erklärt habe, weshalb die staatlichen Regelungen wohl nicht der richtige Weg sind? Ich meine, nicht. Was bleibt, ist geduldig zähes Werben um ein verändertes weil partnerschaftliches Miteinander. Die Frauen haben durch ihre Teilnahme an Bildung und Ausbildung ihren Platz im Erwerbsleben erobert, ohne dabei ihre Rolle als Hausfrau und Mutter aufzugeben. Jetzt wäre es an den Männern, ihren Lebensraum als Väter und Hausmänner zu erobern, ohne das Erwerbsleben aufzugeben. Wir sollten im Ausschuß überlegen, ob die Politik nicht auch dazu einen Beitrag leisten kann - sei es durch neue Forschungsaufträge, die die Hindernisse, die Männer von der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubes abhalten, beleuchten, sei es durch die Verbreitung von Positivbeispielen, die eine öffentliche Diskussion in Gang setzen könnten. Ich kündige jedenfalls für die SPD-Fraktion an, daß wir die Rolle der Väter in der Familie zu einem besonderen Thema im familienpolitischen Ausschuß machen werden. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzte hat die Abgeordnete Frau Dr. Maria Böhmer das Wort.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, daß Frau Dr. Götte gesagt hat, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub seien eine feine Sache; denn da zeigt sich, daß das, was CDU und CSU eingeleitet haben und was in der Tat eine Idee war, die aus Rheinland-Pfalz stammt - Frau Dr. Götte, Sie wissen das -, über weite Kreise hinaus Achtung erfährt. Wir können sagen: Dies findet mehr als Resonanz; der Bericht hat das in eindrucksvoller Weise belegt. ({0}) Ich nehme an, daß Heiner Geißler diesen Bericht mit besonderer Freude gelesen hat; denn die Idee von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub hat im wesentlichen er vorangetrieben. Wir haben sie als KernDr. Maria Böhmer element auf dem Essener Parteitag der CDU, dem Frauenparteitag, verankert. Wir haben sie dann 1986 in Gesetzesform gegossen. Das sind die zentralen Schritte, in denen sich die CDU von der SPD unterscheidet. ({1}) - Frau Götte, ich setze das Gespräch über die Legendenbildung, die Sie eingebracht haben, an einer anderen Stelle fort. Mir kommt es sehr wohl auf einen Unterschied an: Sie sagten, Familienpolitik hätte es auch schon vor der CDU gegeben. Natürlich haben Sie in der Familienpolitik Ansätze. Aber 2 Millionen Mütter, 2 Millionen Frauen, die in der Familie tätig sind, hätten keine Leistungen bekommen, wenn wir nicht Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld eingeführt hätten. ({2}) Denn mit dem, was Sie an Mutterschaftsgeld gezahlt haben, haben Sie sich an die Frauen gewandt, die in der Fabrik waren, an die Frauen, die im Büro tätig waren. Sie haben die selbständigen Frauen und die Winzerinnen vergessen, und Sie haben die Familienfrauen schlichtweg unter den Tisch fallenlassen. ({3}) Wir haben einen anderen Punkt, wo dieses Gesetz in einem unserer ganz zentralen Anliegen rechtliche Grundlagen geschaffen hat, nämlich in der Frage der Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Ich gebe zu: Da ist die gesetzliche Regelung weiter als die gesellschaftliche Realität. Wir haben hier noch einen deutlichen Nachholbedarf. Sie haben Gründe genannt, denen ich zum Teil zustimmen kann. Ich kann Ihnen aber nicht in der Hoffnung beipflichten, allein über materielle Anreize - siehe Beispiel Schweden - , die wir geben könnten, zu einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung zu kommen. Ich sehe nur die Möglichkeit, daß wir hier zu einem strikten Umdenken in vielen Bereichen kommen müssen. Dabei spielen auch die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen eine Rolle. 30 % - das stimmt in der Tat - beträgt der Einkommensunterschied auch bei gleicher Qualifikation von Männern und Frauen. Ich habe sehr bedauert, daß typische klassische Frauenberufe - die Erzieherin, die Krankenschwestern - in der Vergangenheit so sträflich von den Tarifpartnern vernachlässigt wurden und daß sich die Gewerkschaften dieser Bereiche so wenig angenommen haben. ({4}) Da sind zum Glück Verbesserungen eingetreten. Diese Verbesserungen müssen sich fortsetzen; denn dann haben wir in der Tat Grundlagen für partnerschaftliches Handeln. Den gesetzlichen Rahmen haben wir bereits in dem Maße. Aber hier müssen wir darauf dringen, daß sich vieles noch ändert. Ein dritter Punkt, der mir, und zwar gerade aus frauenpolitischer Sicht, wesentlich ist: Wir haben bei dieser gesetzlichen Regelung die Beschäftigungsgarantie durchgesetzt. Sie war damals hart umkämpft. Ich erinnere mich noch sehr gut an so manches, was an Argumenten dagegen über den Tisch gegangen ist. Ich weiß, wir haben gemeinsam dafür gekämpft. Das war ein Punkt, von dem wir heute sagen können: Er ist in der Tat eingelöst worden; die Beschäftigungsgarantie greift. Wir brauchen aber nicht mehr zu fürchten, und zwar auch für die Zukunft nicht, daß die Frauen vor der Alternative: Kind oder Arbeitsplatz stehen. Denn die meisten Frauen können auf den angestammten Arbeitsplatz zurückkehren. Das ist mehr als Beschäftigungsgarantie. Das ist im Grunde genommen Arbeitsplatzgarantie. ({5}) Das ist in 80 % der Fälle gegeben. Weitere 14 %, so kann man sagen, bekommen einen gleichwertigen Arbeitsplatz angeboten. Ich muß sagen, für diese gezeigte Bereitschaft bin ich den Unternehmen zu herzlichem Dank verpflichtet. Ich will einen weiteren Punkt in den Blick rücken, bei dem wir Unterschiede zwischen SPD und CDU haben, und zwar - Frau Kors hat es schon angesprochen - auf der Länderebene. Die CDU-regierten Länder sorgen dafür, daß wir durch ein Landeserziehungsgeld - etwa in Baden-Württemberg oder in Berlin - die Fortsetzung haben und daß wir in Rheinland-Pfalz und in Bayern Familiengeld haben. Ich will in Mark und Pfennig nennen, was das für das Beispiel Rheinland-Pfalz bedeutet: Wir haben zwischen 1986 und 1991 einen Mittelbedarf von 10 Millionen DM gehabt, der auf 19,8 Millionen DM gestiegen ist. Wir werden in den kommenden Jahren in Rheinland-Pfalz bei 27 Millionen DM für die Leistungen des Familiengeldes liegen. Das ist eine beachtliche Sache. ({6}) Aber ich kann nur in die Frage einstimmen: Wo bleiben entsprechende Regelungen in den SPD-regierten Ländern? Denn das ist doch keine Sache der Finanzen des Bundes, wie Sie, Herr Dr. Böhme, vorhin eingeworfen haben. Das ist offensichtlich eine Frage der Regelung der Finanzen der Länder. Ich bin sehr erstaunt, daß bisher kein SPD-regiertes Land in dieser Sache gehandelt hat. ({7}) - Liebe Frau Götte, wenn Sie eben zugehört hätten, hätten Sie die Angaben bekommen. Sie können das aber sicherlich nachlesen. Wir setzen den begonnenen Weg fort. Das tun wir zu Recht. Wir gehen auf einen Erziehungsurlaub im Umfang von drei Jahren zu. Wir werden dazu das Erziehungsgeld auf zwei Jahre verlängern. Damit haben wir das getan, was dem Wunsch der meisten Frauen entspricht - leider nicht dem Wunsch der meisten Väter -, nämlich die Voraussetzung dafür geschaffen, daß man sich innerhalb der ersten Jahre mehr der Familie und mehr der Kindererziehung widmen kann. Dafür ist eines typisch: Bei uns geistert immer die Vorstellung des Dreiphasenmodells durch die Welt. Das Dreiphasenmodell in der althergebrachten Form ist nicht mehr gültig. Frühere lange Unterbrechungszeiten bis zu 15 Jahre praktizieren junge Frauen heute nicht mehr. Die Verkürzung liegt bei etwa drei bis fünf Jahren. Somit liegen wir mit unserem Ansatz, Erziehungsurlaub für drei Jahre zu ermöglichen, genau richtig. ({8}) Ich möchte gern noch einen anderen Punkt ansprechen, nämlich die Sache nicht allein aus der Sicht der Familie zu betrachten, sondern auch die Reaktionen von Unternehmern auf unsere Initiative hineinbringen. Hier gab es eine deutliche Bestätigung. Bei der Einführung und der Diskussion über Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld gab es so manchen Unkenruf von betrieblicher Seite, daß die Arbeitsmarktchancen der Frauen sinken und daß die Wirtschaft diese Regelung nicht verkraften würde. Der Bericht widerlegt das deutlich. Frauen haben sehr wohl Arbeitsmarktchancen, und die Wirtschaft hat es verkraftet. Es geht noch einen Schritt weiter. Unternehmen folgen diesem Beispiel. Sie setzen sogar noch einen Baustein darauf. Ich darf an das Modell „Eltern und Kind" der BASF erinnern, wo es die Möglichkeit der Beurlaubung bis zu sechs Jahren gibt, mit Rückkehrmöglichkeit, mit Qualifizierungsmöglichkeit, und zwar für Mütter und Väter. Viele andere Unternehmen sind diesem Beispiel gefolgt. Hier liegen wir also richtig. Es kommt noch ein Weiteres hinzu. Die Wirtschaft hat inzwischen klar erkannt, daß man heute nicht allein durch entsprechende gehaltsmäßige Anreize qualifizierte Arbeitskräfte gewinnt. Darüber hinaus muß es zu Regelungen kommen, die es gerade qualifizierten Frauen ermöglichen, Kontakt zum Beruf zu halten, ihren Arbeitsplatz zu sichern und nachher wieder einzusteigen. Der Bericht hat allerdings einen wunden Punkt gezeigt: Was einem Großunternehmen möglich ist, ist für Klein- und Mittelbetriebe durchaus noch mit Schwierigkeiten behaftet. Hier sehe ich erhöhten Handlungsbedarf. Von unserer Seite her müssen wir das Augenmerk darauf richten, wie wir die Situation mittlerer und kleiner Betriebe verbessern können, mit Blick darauf, maßgeschneiderte Frauenförderkonzepte zu unterstützen. Sie, Frau Präsidentin, haben in Ihrer Eigenschaft als Frauenministerin Anregungen für betriebliche Frauenförderungsmaßnahmen gegeben. Ich denke, daß etliche Unternehmen das auch aufgegriffen haben. Diesen Weg sollten wir fortsetzen und ganz klar sagen: Gemeinsam mit den Betrieben müssen solche Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden. Dann, schätze ich, werden wir in der Tat eine bessere Ausgangsposition für Männer und Frauen hahen. ({9}) Ich möchte noch ein Wort zu der anderen Frage sagen, die in dem Bericht als kritisch herausgestellt worden ist: Wie regelt sich die Kinderbetreuungsmöglichkeit ab dem dritten Lebensjahr des Kindes? Wir alle sind der Meinung, wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. ({10}) So ist es in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben. - In Rheinland-Pfalz haben wir das gerade getan. Aber in Nordrhein-Westfalen ist der Sozialminister Hermann Heinemann an die Öffentlichkeit getreten und hat ganz klar erklärt, daß es in Nordrhein-Westfalen einen solchen Rechtsanspruch nicht geben wird. Das nenne ich Doppelzüngigkeit. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Götte?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Böhmer, Sie kennen die Problematik, die mit diesem Rechtsanspruch verbunden ist, ganz genau. Natürlich wäre nichts einfacher für Nordrhein-Westfalen, als es so zu machen wie Rheinland-Pfalz: einen Rechtsanspruch ins Gesetz zu schreiben und sich dann nicht um die Finanzierung zu kümmern. ({0}) Können Sie uns vielleicht mal berichten, wie der Protest der Kommunen aussieht, die sich gegen einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der ohne finanzielle Hilfe diktiert wird, zur Wehr setzen? ({1})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Götte, die Frage ist ja nicht das erste mal gestellt worden. Damit zieht die SPD ja derzeit durch den Wahlkampf in Rheinland-Pfalz. Aber Sie verschweigen stets, daß wir im Landeshaushalt 40 Millionen DM für den Kindergartenbereich haben ({0}) und daß wir uns in einem hohen Maße, mit 30 %, an den Personalkosten beteiligen. Sie übersehen auch geflissentlich, daß es einen Investitionsstock von 110 Millionen DM gibt, durch den auch Kosten für den Bau zusätzlicher Räume in Kindergärten gedeckt werden können. Wenn das nicht Finanzierung von seiten des Landes ist, dann weiß ich nicht, was Sie meinen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Dr. Böhme, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schwarz?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Stefan Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dr. Böhmer, sind Ihnen wie mir Beispiele gerade in dem Bundesland, aus dem wir kommen, RheinlandPfalz, bekannt, daß eine Reihe von Initiativen der Landesregierung zum Ausbau der familienbegleitenden Maßnahmen gerade für Kinder, Haus des Kindes, betreuende Grundschule, auch Kindergarteneinrichtungen und -erweiterungen, gerade lokal von sozialdemokratischen Ratsfraktionen und -mehrheiten blokkiert werden? ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was mir aufällt, ist, daß wir gerade die finanzstärkeren Kommunen, die SPD-regiert sind, in diesem Bereich finden. Sie sträuben sich vehement - da kann ich Ihnen nur zustimmen - , beispielsweise der „Initiative betreuende Grundschule" entsprechende Unterstützung zu geben. Wir haben immer wieder gehört, wie wichtig die Fortsetzung über den Kindergartenbereich hinaus ist, wie wichtig es ist, Unterstützung im Grundschulalter zu geben. Ich habe mehrfach erlebt, daß im kommunalen Bereich derartige Anträge, die von CDU-Fraktionen gestellt wurden, durch SPD-Mehrheiten abgelehnt wurden. Da kann ich nur sagen: Bei dem, der es ernst meint mit der Familie, dürfen solche Entscheidungen nicht vorkommen. ({0}) Wir haben die rechtlichen Grundlagen. Wir wollen sie weiter ausbauen. Wir wollen vor allen Dingen, daß dieses Gesetz noch weitere Resonanz findet. Ich schließe mich auch all denjenigen an, die gesagt haben, wir müssen mehr die Väter in diesem Bereich gewinnen. Dazu ist es wichtig, daß wir allgemein zu einem Umdenken kommen. Ich möchte mir zum Abschluß noch eine Bemerkung gestatten, was die Verankerung der heutigen Debatte über den Bericht in der Tagesordnung anbetrifft. Ich kann nicht umhin, zu sagen: Es ist schade, daß wir gerade einen Bericht von dieser Bedeutung am Schluß des Plenums diskutieren. Ich hätte mir gewünscht, daß viele Kollegen und Kolleginnen daran teilnehmen ({1}) - vielleicht können wir mal gemeinsam zu Änderungen kommen, wie wäre es damit? ({2}) und daß wir Familienpolitik und Frauenpolitik auch hier mit einem Stellenwert behandeln, der ihnen gemäß ist. Ich danke Ihnen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Noch ein Glückwunsch! Wir hatten ja zwei Jungfernreden, von Frau Kors und Frau Böhmer. Frau Dr. Götte hat ihre Redezeit vorhin nicht ausgeschöpft. Sie hat noch fünf Minuten und bittet, diese jetzt wahrnehmen zu können. ({0})

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Manchmal ist es eben nötig, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, noch einmal auf das einzugehen, was gerade gesagt wurde. Da wir im Landtagswahlkampf sind, ist die Legendenbildung um das sagenhafte Land Rheinland-Pfalz eben besonders wild ausgebrochen. Wir haben eine Menge von Dingen, mit denen sich ganz gut Reklame machen läßt, hinter denen aber, wenn man näher hinguckt, eben nichts steckt; ({0}) denn diese Art von Kindergartenplatzgarantie, die wir haben, könnte man natürlich mit einem Federstrich überall einführen, denn eine Garantie, die nicht mit entsprechenden finanziellen Maßnahmen begleitet ist, ist nichts wert. ({1}) Denn die Mittel, die Frau Dr. Böhmer vorhin genannt hat, werden schon für die laufenden Ausgaben dringend gebraucht. Da ist also kein Pfennig übrig, um damit noch zusätzliche Ausgaben zu bestreiten. Das werden wir dann auch erleben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Dr. Götte, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. Auch was die betreuende Grundschule betrifft, mit der im Moment soviel Reklame gemacht wird, ist einige Aufklärung nötig. Das Land hat richtig erkannt, daß es nötig wäre, daß die Kinder den ganzen Vormittag über in der Grundschule betreut werden können. Insoweit stimmen wir überein. Aber die Lösung, die nun angeboten wurde, ist der Versuch, einen Handlungsbedarf anzuerkennen, ohne handeln zu müssen. Es sieht nämlich so aus, daß der Grundschulunterricht nach wie vor eben nur einige Stunden am Vormittag dauert und daß Mütter aufgefordert werden, davor und danach für 10 DM in der Stunde bis zu 20 Kinder in der Schule zu betreuen. Das ist das Modell „betreuende Grundschule". Daß wir von den Sozialdemokraten das nicht gut finden, sondern ein anderes und besseres Modell fordern, bei dem die Kinder den ganzen Vormittag über von Fachpädagogen betreut werden, versteht sich von selber. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 11/8517 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich wünsche den hier noch anwesenden Kolleginnen und Kollegen eine gute Osterpause. ({0}) - Danke. - Gleichzeitig gebe ich bekannt: Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird auf Mittwoch, den 17. April 1991, 13 Uhr einberufen. Die Sitzung ist geschlossen.