Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/4/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf folgende erfreuliche Mitteilung machen: Der Kollege Becker ({0}) feierte am 3. September 1989 seinen 60. Geburtstag. ({1}) Die Glückwünsche werden ihm von allen hier im Hause ausgesprochen. Frau Kollegin Pack legt ihr Amt als Schriftführerin nieder. Ich danke ihr für die Unterstützung und die gute Zusammenarbeit. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Schriftführerin nunmehr Frau Abgeordnete Schätzle vor. Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden? - Das ist der Fall. Somit ist Frau Kollegin Schätzle als Schriftführerin gewählt. Frau Kollegin Pack scheidet auch als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolgerin Frau Abgeordnete Hoffmann ({2}) vor. Gibt es auch hierzu das Einverständnis des Hauses? - Das ist der Fall. Dann ist Frau Kollegin Hoffmann ({3}) als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 ({4}) - Drucksache 11/5000 -Überweisung: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 - Drucksache 11/5001 Überweisung: Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Beratungen heute um 13.30 Uhr beendet werden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen. Herr Bundesminister Waigel, Sie haben das Wort.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Finanzpolitische Solidität und politisches Gestaltungsvermögen sind das Markenzeichen der Bundesregierung seit 1982. ({0}) - Von der Zeit, in der Sie regierten und in der Sie den Finanzminister stellten, kann man das weiß Gott nicht behaupten. ({1}) Wenn die SPD die Erfolge vorweisen könnte, die wir seit sieben Jahren erreicht haben, dann würde sie heute zur Eröffnung der Haushaltsdebatte in Jubelgesänge ausbrechen. ({2}) Die Opposition beherrscht unbestreitbar die Kunst eindrucksvoller Fehlprognosen - das ist aber das einzige, was Sie finanzpolitisch beherrschen -, während diese Regierung der Garant für wirtschafts- und finanzpolitische Erfolge ist. ({3}) Die SPD kann diesem Erfolg nur Schwarzmalerei und eine Verunsicherung der Bürger entgegensetzen, wie sie sich z. B. aus dem Krisenszenario des SPD-Vorsitzenden Vogel vom 7. April 1988 in der Esslinger Zeitung ergibt. ({4}) - Es ist doch mein gutes Recht, das, was Ihr Vorsitzender gesagt hat, hier noch einmal zu diskutieren. ({5}) 11656 Deutscher Bundestag - 11 .Wahlperiode, Bundesminister Dr. Waigel Herr Conradi, jetzt bin ich nur noch darauf gespannt, ob Sie nach dem Zitat dem, was Ihr Vorsitzender gesagt hat, noch zustimmen. Er hat damals gesagt: Selbst wenn die Koalition die Verbrauchsteuern wie angekündigt kräftig erhöht, wird die Neuverschuldung des Bundes 1989 eher über als unter 40 Milliarden DM betragen. - Jetzt habe ich von Conradi überhaupt nichts mehr gehört! ({6}) Im Jahr 1990 wird selbst bei 1989 kräftig erhöhten Verbrauchsteuern das Defizit im Bundeshaushalt bei mindestens 50 Milliarden DM liegen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, überwiegend hat jetzt der Herr Bundesminister das Wort zur Einbringung. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich bedanke mich sehr, Frau Präsidentin. Nur: Je länger die Rede dauern wird, desto stiller wird die Opposition werden. Da bin ich ziemlich sicher. Tatsache ist: In diesem Jahr wird die Nettokreditaufnahme eher unter als über 25 Milliarden DM liegen, und 1990 sind es nach derzeitiger Einschätzung ca. 33 Milliarden DM; es könnten auch weniger sein. Ich will Ihnen noch ein Zitat nicht vorenthalten: Die mehr als 2 % Wachstum in diesem Jahr, von denen er in letzter Zeit redet - mit „er" war mein Vorgänger, Bundesverteidigungsminister Dr. Gerhard Stoltenberg, gemeint -haben erneut mit der Realität nichts zu tun. ({0}) So Dr. Hans Apel in der Bundestagsdebatte zur ersten Lesung der Steuerreform 1990 am 21. April 1988. Tatsache ist: Das reale Bruttosozialprodukt ist im letzten Jahr mit 3,7 % stärker gestiegen als in allen Jahren seit 1979. ({1}) Dieser Bundeshaushalt 1990 ist ein Ausdruck finanzpolitischer Kontinuität und ist eine Antwort auf neue Herausforderungen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf und der mittelfristige Finanzplan bis 1993 sind Ausdruck finanzpolitischer Kontinuität ({2}) und zugleich eine Antwort auf das, was uns erwartet. Er entspricht in seinen Eckdaten unseren langfristigen finanz- und wirtschaftspolitischen Zielen. Wir haben den Ausgabenzuwachs mit 3,4 % 1990 und durchschnittlich 3 % 1991 bis 1993 erneut deutlich unter den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung gedrückt. So tragen wir zur weiteren Verringerung des Staatsanteils zum Bruttosozialprodukt bei. Zugleich schaffen wir die Grundlagen für wachstums- und beschäftigungswirksame Steuerentlastung. Durch grundlegende finanz- und steuerpolitische Reformen konnte die Wachstumsdynamik unserer Volkswirtschaft in den letzten Jahren zunehmend gestärkt werden. So können heute wichtige zusätzliche Schwerpunktaufgaben auch bei sinkender Steuer- und Abgabenlast finanziert werden. ({3}) Das gilt für die Bereiche Familie und Bildung, für die wichtige Aufnahme der Übersiedler und Aussiedler, für den Wohnungsbau und für wichtige Infrastrukturinvestitionen, für die die Bundesregierung erhebliche Mittel bereitstellt. Mein Vorgänger im Amt des Bundesministers der Finanzen, Gerhard Stoltenberg, hat am Anfang unserer Regierungszeit den Zeitbedarf für wirksame Reformen unmißverständlich klargestellt: Der Wendekreis einer neuen Finanzpolitik ist unter der aktuellen Last der Wirtschaftskrise, die wir damals hatten, sicher nicht in Monaten, sondern in Jahren zu bemessen. Aber heute, nach sieben Jahren hervorragender Arbeit - vor allem von Gerhard Stoltenberg - , können die deutlich sichtbar gewordenen Erfolge unserer finanz- und wirtschaftspolitischen Richtungsentscheidungen von keinem Kritiker mehr geleugnet werden. ({4}) Die Rückbesinnung auf die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft und der beharrliche Einsatz für gesunde öffentliche Finanzen haben unserem Land zum zweitenmal nach dem letzten Weltkrieg eine von vielen nicht für möglich gehaltene wirtschaftliche Blüte gebracht. Das und der Blick über unsere östlichen Grenzen, aber auch in viele Entwicklungsländer zeigen überdeutlich: Der Fürther Ludwig Erhard hat endgültig über den Trierer Karl Marx gesiegt, ({5}) womit ich allerdings nichts über das schöne alte Trier und schon gar nichts über das Quellensteueramt dort gesagt haben möchte. ({6}) Man kann auf Dauer Freiheit, Selbstentfaltung, Privatinitiative und Demokratie nicht unterdrücken. Bevormundung und Gängelung im wirtschaftlichen wie im gesellschaftlichen Bereich widersprechen der menschlichen Natur. Die einfache Wahrheit ist: In unserem Land lohnt es sich wieder, zu arbeiten, Risiken einzugehen und zu investieren. Die damit einhergehende wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung könnte geradezu einem Lehrbuch für Nationalökonomie entnommen sein: ({7}) 1988 konnten wir ein Wachstum von 3,7 % verzeichnen, 1989 von 3,5 bis 4 %. Auch 1990 dürfte eine Drei vor dem Komma stehen. Zwischen 1969 und 1982 wurden im Saldo rund 600 000 Arbeitsplätze vernichtet. Die Bilanz seit 1983: 1,25 Millionen zusätzliche BeschäftigungsmöglichBundesminister Dr. Waigel keiten für Arbeitslose, für Berufsanfänger, für Aussiedler und Übersiedler. ({8}) Jetzt ist die Arbeitslosenzahl zum erstenmal wieder unter die 2-Millionen-Grenze gedrückt. In vielen Arbeitsmarktbezirken ist inzwischen Vollbeschäftigung oder sogar Überschußnachfrage erreicht. Wir haben durch Konsolidierung der Staatshaushalte und in Kooperation mit der Bundesbank vor allem Preisstabilität gesichert. „Stabilität ist das Wachstum von morgen." In diesem Satz des früheren Bundesbankpräsidenten Emminger liegt ein weiterer Schlüssel zu den hervorragenden wirtschaftlichen Ergebnissen in der Bundesrepublik Deutschland. Unsere Stabilitätspolitik ist zu einem unserer wichtigsten Exportartikel geworden. Immer mehr Länder versuchen, sich an unsere Stabilitätspolitik anzukoppeln. Gefestigtes Vertrauen in die Verläßlichkeit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik zeigt sich vor allem in der erheblichen Ausweitung betrieblicher Investitionen. Allein 1988 und 1989 werden die Unternehmen ihre Investitionsausgaben um insgesamt real rund 16 % steigern. Wir sind dabei, die scheinbare Gesetzmäßigkeit ständig abnehmender wirtschaftlicher Dynamik zu durchbrechen. Aber um dies zu erreichen, muß unsere Politik marktwirtschaftlicher Reformen konsequent fortgesetzt werden. In den 70er Jahren sind die Sozialdemokraten mit großen Versprechungen angetreten. Aber sie haben ihre Ziele eklatant verfehlt. ({9}) Das Ergebnis sozialistischer Experimente eines ausufernden Staates - ({10}) - Ich finde das ganz seltsam. Einmal wollen Sie Sozialisten sein, einmal wollen Sie nicht Sozialisten sein. ({11}) - Aber in Ihrem Noch-Godesberger Programm heißt es doch: „Die Demokratie wird durch den Sozialismus erfüllt." ({12}) Das hat sich nun in der katastrophalen Finanzpolitik der Sozialdemokraten oder Sozialisten - wie Sie es haben wollen - der 70er Jahre wirklich gezeigt. ({13}) Denn das Ergebnis waren Rezession, Inflation, ein drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit, zerrüttete Staatsfinanzen, die weitgehende Unfinanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme und Handlungsdefizite in fast allen Bereichen staatlicher Politik. ({14}) Ihre eigenen Fehlleistungen konnten die Opposition aber nicht davon abhalten, die Konsolidierungspolitik der Bundesregierung seit Herbst 1982 als „deflatorisch" zu diffamieren, die unser Land in „tiefste Depression und Massenarbeitslosigkeit" führe. Die alte SPD-Formel vom „Totsparen" geisterte herum und sollte unsere Bürger verunsichern. Die dringend erforderlichen Steuersenkungen wurden als „Verschleuderung knapper Steuermittel" gebrandmarkt. Der sozialistische Irrglaube verleitete die SPD zu der Fehleinschätzung, unsere Steuererleichterungen würden die privaten Investitionen nicht fördern. All diese falschen Prognosen sind inzwischen durch die reale Entwicklung widerlegt. Die SPD muß wieder nach einem neuen Kurs ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik suchen. ({15}) Heute wollen Sozialdemokraten und GRÜNE das von uns neu geschaffene wirtschaftliche Fundament für noch umfassendere wirtschafts- und gesellschaftspolitische Experimente nutzen, wollen gigantische Umverteilungsmechanismen in Gang setzen ({16}) und ihre fehlgeschlagenen Konzepte unter neuen Überschriften wiederholen. ({17}) Da helfen wohl auch nicht die warnenden Stimmen des klüger gewordenen Hans Apel und des anerkannten Sozialdemokraten Karl Schiller. Da werden Versprechungen aufgetürmt, die nach den eigenen Berechnungen der SPD allein für den Bund zusätzliche Belastungen von 40 bis 70 Milliarden DM 1991 bedeuten würden. Finanziert werden soll das Ganze durch sogenannte Umweltabgaben, deren Ziel es doch wohl sein soll, den Energieverbrauch und damit das Steueraufkommen auf Dauer zu reduzieren. ({18}) - Reden Sie zu dem, wozu Sie anschließend gefragt sind. Ich rede zum Haushalt, und zwar so, wie ich das für richtig halte. ({19}) Wer so rechnet, hat die finanziellen Grundlagen unseres Staates in wenigen Jahren wieder ruiniert. Da helfen auch die derzeitigen Beteuerungen von Frau Matthäus-Maier nichts, die Neuverschuldung werde nicht erhöht. Ist dieses Versprechen eigentlich mit ihrem Kollegen Rudolf Dreßler abgestimmt? ({20}) Ich bin sicher, auch hier handelt es sich wieder um eine der vielen Fehlprognosen der SPD. Es ist, Frau Kollegin Matthäus-Maier, einfach nicht seriös, wenn Sie heute Krokodilstränen über die Staatsverschuldung vergießen. Sie waren eine erklärte Gegnerin des Regierungswechsels 1982. ({21}) Für Sie war die CDU/CSU in der Wirtschafts- und Finanzpolitik 1982 keine Alternative. ({22}) Wenn Sie, Frau Matthäus-Maier, heute unsere Grundsätze aufgreifen, ({23}) dann beweisen Sie damit zwar Flexibilität in Ihrer Einstellung, Sie gewinnen aber nicht an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Die Wandlung vom Saulus zum Paulus oder von der Saula zur Paula nimmt Ihnen niemand ab. ({24}) Für uns war die Konsolidierung der Staatsfinanzen von Anfang an eine umfassende Aufgabe. Es geht nicht nur um den Abbau von öffentlichen Finanzierungsdefiziten. ({25}) - Guten Morgen, Frau Unruh! Zu Ihnen komme ich noch. Es geht um eine neue Grenzziehung zwischen Staat und privater Wirtschaft. Wir wollen mündige Bürger von staatlicher Reglementierung befreien, Freiräume für Ideen und Wettbewerb öffnen und die Selbstverantwortung jedes einzelnen stärken. Seit 1985 nehmen die öffentlichen Haushalte nur noch 2 bis 2,5 % des Bruttosozialprodukts für neue Kredite in Anspruch. 1981/82 war es mit 4,5 % noch doppelt so viel. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt durch dauerhafte Ausgabenbegrenzung ({26}) auf rund 45 % zurückgehen. 1982 waren es noch fast 50 %. ({27}) Auf der Grundlage dauerhafter Ausgabenbegrenzung wurde die umfassendste Steuerreform und Steuerentlastung der letzten 40 Jahre verwirklicht. Durch die Verringerung der direkten Steuern auf Arbeitseinkommen und betriebliche Erträge um fast 53 Milliarden DM zwischen 1986 und 1990 werden wir die gesamtwirtschaftliche Steuerquote bis 1990 voraussichtlich auf 22,5 % zurückführen. ({28}) Das ist das niedrigste Niveau seit 1959. ({29}) Wir haben zahlreiche Industrieunternehmen aus dem Bundesbesitz privatisiert. ({30}) Die großen Konzerne VEBA, VW und VIAG behaupten sich hervorragend im Wettbewerb. Wir sind dabei, weitere Privatisierungsmaßnahmen im Bereich der öffentlichen Banken zu verwirklichen. Die verbliebenen Bundesunternehmen haben ihre Situation im Wettbewerb entscheidend verbessert. Wir handeln nicht nur in der Verantwortung für den Bund, sondern für die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte. Das müssen vor allem diejenigen anerkennen, die unsere steuerpolitischen Entscheidungen über viele Monate hinweg heftig angegriffen haben. ({31}) - Ich komme gleich darauf. Denen geht es heute besser als je zuvor. Das wüßten Sie, wenn Sie je in einem kommunalen Parlament gewesen wären. Es würde Ihnen nichts schaden, wenn Sie auch einmal dafür kandidierten. ({32}) Immer wieder wurde im Zusammenhang mit der Steuerreform 1986/90 die angeblich unvermeidbare Finanzkrise von Ländern und Gemeinden vorhergesagt. Das Gegenteil ist eingetreten. Während die Defizite der Gemeinden bei deutlich höherer Steuerbelastung 1981 noch rund 10 Milliarden DM und 1982 '7 Milliarden DM betrugen, können 1988 und 1989 beträchtliche Überschüsse erzielt werden. Auf der Grundlage der wesentlich verbesserten Einnahmesituation wurden die Sachinvestitionen der Gemeinden in den letzten fünf Jahren um 23 % ausgeweitet. Wichtige Investitionsvorhaben, die als Folge fehlerhafter finanzpolitischer Richtungsentscheidungen lange Zeit nicht finanzierbar waren, können jetzt nachgeholt werden. Die Bundesregierung unterstützt Investitionsvorhaben bei Ländern und Gemeinden zusätzlich durch die im letzten Jahr vereinbarte Strukturhilfe von 2,45 Milliarden DM jährlich. Die Strukturhilfe führt zu wesentlichen Verbesserungen im Bereich von Umweltschutz, Verkehrsinfrastruktur, Städtebau und Gewerbeansiedlung. Ich würde mir wünschen, daß alle Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte und Kämmerer, die vor Monaten und Jahren über die drohende Finanzkrise berichtet haben, jetzt mindestens in der gleichen Stärke und Länge über ihre glänzende Finanzsituation berichten würden. ({33}) Durch die in wenigen Monaten in Kraft tretende Steuerreform 1990 werden die arbeitenden Bürger, Familien und Betriebe noch einmal netto um fast 25 Milliarden DM entlastet. Ich bin sicher, die Vorteile der Steuerreform werden im nächsten Jahr für alle deutlich sichtbar. Fast eine halbe Million Haushalte wird vom nächsten Jahr an ganz aus der Steuerpflicht entlassen. Für eine Familie mit zwei Kindern beginnt die Lohn- und Einkommensteuerpflicht künftig erst bei 24 000 DM. Bei durchschnittlichem Familieneinkommen stehen Monat für Monat 100 DM zusätzlich für private Ausgaben zur Verfügung. Das ist unser Kontrastprogramm zu den zahlreichen Vorschlägen der Opposition, die Steuer- und Abgabenlast für die Bürger wieder zu erhöhen. ({34}) Meine Damen und Herrn, die Quellensteuer hat zeitweise den positiven Blick auf die Steuerreform 1990 verstellt. Es war notwendig und richtig, diese Regelung abzuschaffen. Die positiven Wirkungen unserer Entscheidung zeigen sich jetzt. Die Behauptung der Deutschen Steuergewerkschaft, die Abschaffung der Quellensteuer sei eine Aufforderung zur Steuerhinterziehung, ({35}) ist abwegig. Selbstverständlich - das haben wir immer wieder erklärt - sind Zinsen weiterhin steuerpflichtig. Dies ist auch verstärkt in das Bewußtsein der Steuerzahler eingedrungen. ({36}) Ich will hier nochmals bekräftigen: Die vorhandenen Regelungen zur steuerlichen Erfassung von Kapitaleinkünften reichen aus; ({37}) die Einführung von Kontrollmitteilungen kommt für uns nicht in Frage. ({38}) Ich bin der SPD allerdings dankbar dafür, daß sie klipp und klar ankündigt, daß sie diese einführen möchte, ({39}) weil wir dann im Jahre 1990 den Bürgern ganz klar sagen werden, was auf sie zukommt, ({40}) wenn die SPD an das Ruder kommt. ({41}) Die Steuerpolitik, meine Damen und Herren, bleibt für uns eine Herausforderung und wichtige Aufgabe in den 90er Jahren. Sie wird auch in der nächsten Legislaturperiode im Mittelpunkt stehen, wenn es darum geht, die Zukunft der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Markt und in der Weltwirtschaft zu sichern. Wer glaubt, in einem gemeinsamen Europa nationale Sonderwege in der Steuerpolitik gehen zu können, unterliegt einer gefährlichen Illusion. Mit dem Wegfall der Binnengrenzen werden Standortentscheidungen kühl kalkulierender Investoren noch stärker als bisher nach den ertragsbestimmenden Rahmenbedingungen getroffen. ({42}) Wenn wir die Wachstumsdynamik durch eine Stärkung der Investitions- und der Innovationskraft der Unternehmen erhalten wollen, müssen wir die Anreizwirkungen des Steuersystems verbessern und investitionshemmende Faktoren beseitigen. Ansatzpunkte hierfür bieten die Grenzbelastung der Erträge und die ertragsunabhängigen Steuern. Bei einer weiterhin engen Haushaltsbegrenzung haben wir vor, beides zurückzuführen und damit Anschluß an unsere wichtigsten Handelspartner zu halten. Eine weitere wichtige steuerpolitische Aufgabe wird es sein, den Grundfreibetrag und den Kinderfreibetrag weiter anzuheben. ({43}) Dadurch erreichen wir die notwendige Entlastung der Familien mit Kindern und der Haushalte mit geringerem Einkommen. In den nächsten Wochen werde ich eine Kommission einsetzen, die wichtige Vorarbeiten für die Steuerreform in der nächsten Legislaturperiode leisten soll. ({44}) Mit dem Bundeshaushalt 1990 und der Finanzplanung bis 1993 ({45}) wollen wir die in den letzten sieben Jahren erfolgreiche Finanzpolitik konsequent fortführen. Ausgaben- und Defizitbegrenzung bleiben Eckpunkte unserer Entscheidungen. Im laufenden Haushaltsjahr werden wir bei günstiger Ausgaben- und Einnahmeentwicklung voraussichtlich deutlich unter der im Haushaltsplan vorgesehenen Nettokreditaufnahme von 27,6 Milliarden DM bleiben. Auf Grund der Steuerreform 1990, von deren Gesamtvolumen von rund 25 Milliarden DM allein rund 11 Milliarden DM auf den Bund entfallen, wird die Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr voraussichtlich wieder auf 33 Milliarden DM ansteigen. Bei verbesserten Wachstumsperspektiven liegt die Neuverschuldung in allen Jahren des Finanzplanungszeitraumes jedoch um 2 bis 2,5 Milliarden DM unter den ursprünglich angenommenen Beträgen. ({46}) - Ich komme gleich zu Ihnen, Frau Matthäus-Maier! ({47}) - Jetzt bitte ich um Entschuldigung. ({48}) - Herr Vogel, ich hatte eine ähnlich sympathische Stimme gehört, und da dachte ich mir, ich müsse mich ihr zuwenden. ({49}) - Sie brauchen ja nicht zuzuhören! ({50}) - Ist gut. Ganz so, wie Sie es immer sind. Ja, ganz so, wie es Ihnen gefällt. Die durch die Höhe der investiven Ausgaben gezogene verfassungsmäßige Obergrenze der Kreditfinanzierung wird 1990 um fast 4 Milliarden DM unterschritten. Bis 1993 wird sich dieser Abstand auf 11,5 Milliarden DM vergrößern. Der Entwurf des Bundeshaushalts 1990 entspricht voll unserer Verfassung. Wenn die Opposition gegenteiliger Meinung ist, for11660 Deutscher Bundestag 11 .Wahlperiode Bundesminister Dr. Waigel dere ich sie auf, Klage beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. ({51}) Man kann doch nicht permanent durchs Land laufen und behaupten, dieser Bundeshaushalt sei verfassungswidrig, ohne zu klagen. ({52}) Sie sollten hier nicht nur die Lippen spitzen, Frau Matthäus-Maier, Sie sollten pfeifen! Warum tun Sie es denn nicht? ({53}) Weil Sie genau wissen: Das, was Sie hier über die angebliche Verfassungswidrigkeit behaupten, ist so nicht richtig. Sie sollten von dieser Falschbehauptung endlich Abstand nehmen! ({54}) Und Sie sollten besser darauf achten, in welchem verfassungsrechtlichen Zustand sich ein Teil der SPD-Länderhaushalte befindet. Darum sollten Sie sich kümmern! ({55}) Haushaltspolitische Solidität zeigt sich auch im vorsichtigen Ansatz des Bundesbankgewinns mit 7 Milliarden DM jährlich. Darüber hinausgehende Einnahmen sollen wie in diesem Jahr zur Schuldentilgung verwandt werden. ({56}) Die von der SPD neuerdings immer wieder vorgetragene Forderung, den Bundesbankgewinn vollständig zur Schuldentilgung einzusetzen, ist völlig unglaubwürdig. Die SPD hat den Bundesbankgewinn in ihrer Regierungszeit stets in vollem Umfang zur Haushaltsfinanzierung eingesetzt. ({57}) Nur so wurden damals die schlimmsten Auswirkungen ihrer unverantwortlichen Finanzpolitik verschleiert. Ohne die Gewinnablieferung von 10,5 Milliarden DM im Jahre 1982 ({58}) wäre die Nettokreditaufnahme des Bundes damals nicht nur auf die Rekordmarke von 37,2, sondern auf fast 50 Milliarden DM gestiegen. ({59}) Nur, damals war zu dieser Verwendung und zur Schuldenhöhe von Ihnen, Frau Kollegin MatthäusMaier, nichts zu hören. ({60}) Es wundert mich, welche unglaubwürdige Nostalgie gegenüber der damaligen Finanzpolitik Sie heute noch an den Tag legen. ({61}) Gestaltende und verantwortliche Finanzpolitik zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunftsaufgaben wirksam zu bewältigen. Unverzügliches Handeln war vor allem bei der Wohnungsversorgung notwendig. ({62}) Im Zusammenhang mit dem unerwartet hohen Zustrom von Aussiedlern und Übersiedlern und der gestiegenen Wohnraumnachfrage gerade jüngerer Familien ist ein Mangel, vor allem an preisgünstigen Wohnungen in Ballungszentren, unverkennbar. ({63}) Wir wollen das Gleichgewicht am Wohnungsmarkt wiederherstellen. ({64}) Der Bundeshaushalt 1990 sieht einen Verpflichtungsrahmen von insgesamt 1,6 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau vor. ({65}) Wir haben darüber hinaus das Wohngeld in Regionen mit besonders hohem Mietniveau noch einmal angehoben. Schließlich wird auch die bereits beschlossene Verkürzung der Abschreibungsdauer für den Mietwohnungsbau von 50 auf 40 Jahre die Rahmenbedingungen für den Mietwohnungsbau erheblich verbessern. Durch die Verstärkung des sozialen Wohnungsbaus und die Abschreibungserleichterungen wollen wir den Wohnungsneubau auf 300 000 Einheiten jährlich erhöhen und so zur raschen Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beitragen. ({66}) Ich glaube, man wird hier nicht leugnen können, daß die Kollegin Hasselfeldt diese Dinge mit Elan angepackt hat, unsere Unterstützung verdient und gegen jedwede Kritik - woher sie auch immer kommt - in Schutz genommen werden sollte. ({67}) - Im Augenblick habe ich mich besonders darüber gefreut, daß ich bei dieser Passage auch von FDP-Abgeordneten Beifall bekommen habe. ({68}) Die entscheidenden Investitionen in die Sicherung unserer Zukunft sind die Förderung des Zusammenlebens in der Familie und die Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. Seit 1983 wurden die familienpolitischen Leistungen um über 18 Milliarden DM aufgestockt. ({69}) Durch den Bundeshaushalt 1990 und die Finanzplanung bis 1993 haben wir die Finanzierung der familienpolitischen Koalitionsbeschlüsse vom März dieses Jahres sichergestellt. ({70}) Zum 1. Juli 1989 und zum 1. Juli 1990 wird die Gewährung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs um jeweils drei Monate verlängert. Die zusätzlichen Kosten hierfür belaufen sich mittelfristig auf 1,8 Milliarden DM pro Jahr. Ein Teil der Bundesländer hat die Dauer der Zahlung des Erziehungsgeldes um ein zusätzliches halbes Jahr verlängert. Vor allem in unionsregierten Ländern steht damit ab 1990 das Erziehungsgeld für volle zwei Jahre zur Verfügung. Das ist eine großartige familienpolitische Leistung dieser Koalition und dieser Regierung. ({71}) Das Kindergeld für das zweite Kind wird ab 1. Juli 1990 um 30 DM erhöht. Schließlich werden auch die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz spürbar verbessert. Solidarität und Freundschaft der Generationen ist unsere Aufgabe für die Zukunft. Ebenso wie die jungen Menschen und Familien haben unsere älteren Mitbürger Anspruch auf die Solidarität unserer Gesellschaft, auf unsere Unterstützung bei der Gestaltung eines lebenswerten Daseins. Zwei Millionen unserer Mitbürger sind auf ständige Pflege angewiesen. Etwa 630 000 von ihnen sind schwer- oder schwerstpflegebedürftig. Vielen von ihnen kann am besten im Kreise der Familie, im täglichen Zusammensein mit den Angehörigen geholfen werden. Während sich die SPD dieser Herausforderung auch in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung nie annahm, haben wir das Pflegefallrisiko im Rahmen der Kostenreform im Gesundheitswesen aufgegriffen und werden dieses Problem schrittweise lösen. ({72}) Das ist eine großartige neue Antwort auf eine neue Frage der Solidarität in unserer Gesellschaft. ({73}) Die Bundesregierung hat darüber hinaus die steuerlichen Bedingungen für die häusliche Pflege deutlich verbessert. Für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe bzw. für die Heimunterbringung können ab 1990 1 800 DM steuerlich berücksichtigt werden. Ebenfalls ab 1990 werden ein Pflegepauschbetrag von 1 800 DM sowie ein Sonderausgabenabzug von bis zu 12 000 DM pro Jahr für die Beschäftigung einer Pflegekraft eingeführt. Im Finanzplan bis 1993 werden erste Konsequenzen aus der Rentenstrukturreform gezogen. Zusätzlich zur üblichen Fortschreibung entsprechend der Lohnentwicklung wird deshalb der Bundeszuschuß ab 1990 um 300 Millionen DM und 1991 um 2,3 Milliarden DM aufgestockt. Eine neue Partei für ältere Menschen wie jetzt die „Grauen Panther" wird den Interessen dieser Gruppe unserer Gesellschaft nicht nützen, sondern schaden. ({74})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, einen Moment bitte. Es gibt keine Zwischenfragen während der Einbringung des Haushalts. Herr Bundesminister, ich bitte Sie aber, daran zu denken, daß natürlich Polemik gegenüber anderen Parteien auch deren Zwischenrufe herausfordert. Beide Seiten sollten sich also bitte an die Regeln halten, wie sie bisher gegolten haben. Keine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Unruh!

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin, ich habe mir noch einmal genau angesehen, was ich gesagt habe. Ich vermag darin keine Polemik zu erkennen. ({0}) Ich habe gesagt, eine neue Partei würde nur Gräben zwischen den Generationen aufreißen. Das würde zu einer gefährlichen Spaltung unserer Gesellschaft in Jung und Alt führen. ({1}) Ich bin der Auffassung, Jung und Alt sollten gemeinsam in jeder Partei Verantwortung tragen. ({2}) - Nein. Das Gegenteil tun wir. ({3}) Aber Sie werden einen Gegensatz erzeugen, der es Ihnen schwermachen wird, das für die ältere Generation durchzusetzen, was wir sonst miteinander für die ältere Generation erreichen könnten. ({4}) Im letzten Jahr sind 250 000 Deutsche aus der DDR und den osteuropäischen Staaten zu uns gekommen. In diesem Jahr rechnen wir mit bis zu 450 000 neuen Mitbürgern. Diese Menschen kommen oft nach vielen Jahren des Wartens, nach vielen Entbehrungen und behördlichen Schikanen zu uns. Wir sollten sie mit offenen Armen aufnehmen. ({5}) Unsere neuen Mitbürger brauchen nicht nur Wohnungen. Wir müssen ihnen die Eingliederung in unseren Alltag erleichtern und sie in die Lage versetzen, auf eigenen Füßen zu stehen, ihr Leben in eigener Verantwortung zu gestalten. Wir haben die notwendigen Mittel für die Aufnahme unserer neuen Mitbürger im Bundeshaushalt sowie im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit bereitgestellt. Vor allem aber ist der starke Zustrom neuer Bürger Ausdruck der Überlegenheit unserer Gesellschafts11662 und Wirtschaftsordnung. Der Kommunismus als Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist nicht nur nach den ökonomischen Daten, sondern vor allem im Urteil der Bürger gescheitert. Glasnost und Perestroika, die Bemühungen zu einer revolutionären Umgestaltung der Wirtschaft, sind - um es einmal in den eigenen Kategorien von Karl Marx auszudrücken - Folge der Tatsache, daß im kommunistischen Wirtschaftssystem der Stand der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse nicht mehr mit dem Stand der Produktivkräfte übereinstimmt. Der real existierende Sozialismus ist nicht mehr in der Lage, den Menschen eine überzeugende Zukunftsperspektive zu bieten. ({6}) Es wird Zeit für eine umfassende Neuorientierung in den Ostblockstaaten. Wir alle verfolgen in diesen Tagen die Entwicklung in den zu Reformen bereiten Ostblockstaaten. Wir wollen diesen Ländern im Rahmen unserer Möglichkeiten helfen, den Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung zu gehen. Voraussetzung für wirksame Hilfen sind allerdings echte Reformen. Die Ostblockländer müssen Raum schaffen für privaten Wettbewerb. Sie müssen Eigentumsrechte garantieren ({7}) und politische und wirtschaftliche Stabilität gewährleisten. Erfolgreich werden diese Hilfen dann sein, wenn wir sie jenen geben, die marktwirtschaftliche Reformen durchsetzen wollen. Das ist vor allem auch die Forderung derjenigen in den Ostblockstaaten, die wie die Gewerkschaft Solidarität jetzt um die Auflösung der erstarrten Strukturen kämpfen. Beim Pariser Wirtschaftsgipfel haben die großen westlichen Industrieländer auf unsere Initiative ihre Bereitschaft zur Unterstützung, zur Förderung einer marktwirtschaftlichen Entwicklung unterstrichen. Die Europäische Gemeinschaft hat bereits umfangreiche Nahrungsmittelhilfen für Polen in Gang gesetzt. ({8}) Gemeinsam mit unseren Partnerländern und den internationalen Organisationen wollen wir Polen auch weiterhin wirksam helfen. Wir erwarten im Zusammenhang mit unserer Hilfe auch eine Verbesserung der Situation der dort lebenden Deutschen. Das ist auch ein politischer Zusammenhang, der hier besteht. ({9}) Angesichts der erheblichen Zunahme der Arbeitsplätze um 1,2 Millionen seit 1983 haben sich die Beschäftigungschancen der meisten Arbeitsuchenden erheblich verbessert. Aber auch bei weiterem starkem Anstieg der Arbeitskräftenachfrage bleiben die Aussichten auf einen Arbeitsplatz für bestimmte Gruppen, insbesondere für ältere Arbeitnehmer und Arbeitsuchende ohne Berufsabschluß, ungünstig. Wir wollen deshalb durch die neuen Beschäftigungshilfen die Einstellungschancen von Langzeitarbeitslosen in ein dauerndes Arbeitsverhältnis erleichtern. Künftig sollen 40 bis 80 % der Lohnkosten für ein Jahr durch Zuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden. Durch besondere Maßnahmen für sehr schwer vermittelbare Arbeitslose soll auch diesem Personenkreis schrittweise der Weg in das Arbeitsleben erleichtert werden. Die Leistungen des Bundes zur Erhaltung einer möglichst großen Zahl bäuerlicher Familienbetriebe werden fortgesetzt. ({10}) Zusammen mit den direkten Maßnahmen zum Abbau der Überschußproduktion ermöglicht diese Förderung eine Bewältigung des strukturellen Anpassungsprozesses in der Landwirtschaft ohne die von der Opposition und teilweise auch von der EG-Kommission geforderte Preisdruckpolitik. Die Fördermaßnahmen dienen darüber hinaus zur Honorierung der Leistungen unserer Landwirte für den Umweltschutz und für die Erhaltung einer intakten Landschaftskultur. Unser Verteidigungsbeitrag im Nordatlantischen Bündnis hat in den letzten Jahrzehnten geholfen, den Frieden sicherer zu machen. Er hat die jetzt erzielten Erfolge in der Entspannungspolitik erst ermöglicht. Die Verteidigungsausgaben 1990 sind gegenüber dem bisherigen Finanzplan nicht gekürzt worden. Im Rahmen der bereitgestellten Mittel soll unter anderem das Attraktivitätsprogramm mit jährlich 400 Millionen DM verwirklicht werden. Bei zurückgehenden Jahrgangsstärken wollen wir so junge Menschen für den Dienst in der Bundeswehr gewinnen. Insbesondere sind Laufbahnverbesserungen und höhere Bezüge für Berufs- und Zeitsoldaten, eine Reihe von Verbesserungen für Grundwehrdienstleistende sowie die Modernisierung der Infrastruktur, vor allem der Unterkünfte, vorgesehen. Unser wichtigstes volkswirtschaftliches Investitionsvorhaben ist die wachstums- und beschäftigungsfördernde Rückführung der Steuer- und Abgabenlast. Aber auch öffentliche Investitionsausgaben, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Forschung, Ausbau der Hochschulen, bleiben ein wichtiges Element wachstumsfördernder Finanzpolitik. Im Bundeshaushalt sind die investiven Ausgaben seit 1982 um fast 6 Milliarden DM auf 37,7 Milliarden DM gestiegen. Wir haben im Haushaltsplan 1990 vor allem die Mittel für den Bundesfernstraßenbau um 300 Millionen auf 6,6 Milliarden DM aufgestockt. ({11}) Das Bundesprogramm zur Stadtsanierung und Dorferneuerung wird entgegen den ursprünglichen Planungen nicht gekürzt, sondern auf dem Niveau von 660 Millionen DM über 1990 hinaus fortgesetzt. Das ist ein wichtiger Schritt zur Verstetigung der Baukonjunktur ({12}) und ein ganz entscheidender Beitrag zur Erhaltung historisch gewachsener Ortskerne. ({13}) Darüber hinaus stellen wir erhebliche Mittel für die Forschung und den Wohnungsbau bereit. Als Ausgleich für den Verzicht auf die Fertigstellung der Wiederaufarbeitungsanlage werden für die mittlere Oberpfalz 230 Millionen DM vorrangig für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt. Struktur- und Anpassungshilfen werden immer wieder von vielen energisch gefordert und gleichzeitig der angeblich fehlende Fortschritt beim Subventionsabbau heftig kritisiert. Solche Vorwürfe sind nicht nur wegen ihrer offensichtlichen Widersprüchlichkeit völlig unberechtigt, sie entsprechen auch nicht den Tatsachen. So werden allein im Zusammenhang mit der Steuerreform 1990 Steuersubventionen im Volumen von über 6 Milliarden DM abgebaut. ({14}) Im Bundeshaushalt 1990 sind die Finanzhilfen des Bundes gegenüber dem laufenden Jahr rückläufig, und in der mittelfristigen Finanzplanung ist ein weiterer Abbau der Finanzhilfen vorgesehen. - Ich wundere mich manchmal über die Forderungen gerade auch aus dem Bereich der Wirtschaft, den Subventionsabbau noch stärker voranzutreiben. ({15}) Ich hätte gar nichts dagegen, wenn die Energieunternehmen auf einen Teil ihrer Forderungen gegenüber dem Verstromungsfonds verzichteten und damit einen weiteren Abbau der Subventionen für den Bundesfinanzminister ermöglichten. ({16}) Eine der zentralen grenzübergreifenden Zukunftsaufgaben ist der Schutz unserer natürlichen Umwelt. Durchgreifende Erfolge erfordern gesamteuropäisches, ja weltweites Handeln. Auf unsere Initiative sind die in der EG erzielten Fortschritte einer gemeinsamen Umweltpolitik zurückzuführen. Durch die Initiative des Bundeskanzlers hat der Wirtschaftsgipfel in Paris den Umweltschutz zu einem vorrangigen Ziel erklärt. Die deutschen Vorschläge haben eine besondere Anerkennung gefunden. Nicht grüne Wachstumsverweigerung, sondern private und öffentliche Umweltschutzinvestitionen sowie wirksame gesetzliche Regelungen sind der entscheidende Ansatz, die bereits erzielten Fortschritte auszubauen und für die kommenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu sichern. ({17}) Dabei sind marktwirtschaftliche Ordnungsprinzipien und wirksamer Umweltschutz kein Widerspruch. Durch konsequente Anwendung des Verursacherprinzips sollen diejenigen die Kosten der Umweltsicherung tragen, die bisher die Allgemeinheit durch Umweltschäden belastet haben. ({18}) Umweltschutz kann es nicht kostenlos geben. Die Bundesregierung hat seit 1983 ein umfassendes rechtliches Regelwerk zur Verbesserung des Umweltschutzes geschaffen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Verschärfung der Anforderungen auf dem Gebiet des Immissionsschutzes durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft oder die europaweite Festlegung von Abgasgrenzwerten für Pkw, ferner an die umfangreichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Gewässerschutzes, an das Abfallgesetz und das Chemikaliengesetz. ({19}) Zugleich haben wir durch wesentlich verbesserte gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen die privaten Unternehmen und auch Städte und Gemeinden in die Lage versetzt, notwendige Umweltschutzinvestitionen ohne Gefährdung von Ertragskraft und Arbeitsplätzen zu finanzieren. Wir fördern die Durchführung der notwendigen Umweltschutzinvestitionen durch gezielte Finanzierungshilfen in Milliardenhöhe im Rahmen der ERP-Umweltschutzprogramme und des Gemeindeprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Umweltschutzinvestitionen stehen an erster Stelle unter den im Rahmen des Strukturhilfegesetzes geförderten Investitionsvorhaben, und schließlich werden schon jetzt gezielt Steuern und Abgaben zur Verbesserung des Umweltschutzes eingesetzt. Die Förderung schadstoffarmer Autos durch die Ermäßigung oder den Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer hat den Absatz umweltfreundlicher Fahrzeuge erheblich zunehmen lassen. Wir haben das Abwasserabgabengesetz mit der zweiten Novellierung wirksamer gestaltet und sind dabei, die marktwirtschaftlichen Anreize dieses Gesetzes zu verstärken. Wir wollen auch durch den weiteren Ausbau ökonomischer Anreize im Steuer- und Abgabensystem wichtige Umweltschutzziele so wirksam und kostengünstig wie möglich erreichen. Das Kabinett hat in der vergangenen Woche eine verbesserte steuerliche Förderung schadstoffarmer Autos beschlossen. Es wird weiter geprüft, wie die Kraftfahrzeugbesteuerung noch enger an den Schadstoffausstoß gebunden werden kann. Auch andere Instrumente auf dem Gebiet der Luftreinhaltung stehen zur Diskussion. Bei der Nutzung steuerpolitischer Instrumente im Umweltschutz kommt es jedoch darauf an, die vorhandenen Spielräume zu nutzen, ohne andere zentrale wirtschaftspolitische Aufgaben in Frage zu stellen. ({20}) Umweltprobleme brauchen intelligente Lösungen und nicht den Holzhammer drastischer und undurchdachter Eingriffe in unser Steuer- und Abgabensystem, wie von der SPD und den GRÜNEN vorgeschlagen. ({21}) Wer unser gewachsenes Steuersystem in Frage stellt, muß auch die schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, die Auswirkungen für jeden einzelnen Steuerzahler, für sein Einkommen und für die Sicherheit seines Arbeitsplatzes aufzeigen. Warum eigentlich sollen die Autofahrer und vor allem die Bewohner des ländlichen Raumes die Hauptlast einer ökologisch fragwürdigen Maßnahme tragen? ({22}) Warum sind drastische Benzinpreiserhöhungen um fast 60 Pfennig je Liter jetzt plötzlich richtig, nachdem die SPD die maßvolle, mäßige Anhebung bei der Mineralölsteuer noch vor wenigen Monaten als unsozial gebrandmarkt hat? Hier sind Sie doch völlig unglaubwürdig. ({23}) Fragwürdig sind die SPD-Vorschläge vor allem wegen ihrer eklatanten Widersprüchlichkeit. Geht die Finanzierungsrechnung auf, dann wird das umweltpolitische Ziel verfehlt, wird weniger Kraftstoff verbraucht, dann stimmt die Rechnung nicht. Sie sollten also nochmals denken und nochmals rechnen, um den Zielkonflikt Ihrer Forderungen deutlich machen zu können. ({24}) Außerdem stehen die Vorstellungen der SPD im Gegensatz zu den zentralen Aufgaben der Steuerpolitik. Nach überschlägigen Berechnungen ergeben sich Mehrbelastungen für Betriebe und Arbeitsplätze von rund 7,5 Milliarden DM jährlich. Die SPD und die GRÜNEN wollen erhebliche Zusatzkosten beim Energieverbrauch aufladen und ihnen darüber hinaus auch noch die notwendige steuerliche Entlastung versagen. ({25}) „Das, was die SPD fordert, läßt sich in Europa nicht verwirklichen. " ({26}) Diese klaren Worte Ihres früheren finanzpolitischen Sprechers Hans Apel sprechen für sich. ({27}) Frau Matthäus-Maier sagt zu dem, was der geschätzte Kollege Apel gesagt hat, einfach „Quatsch". Das hat der Kollege Apel von Ihnen nicht verdient; denn Sie könnten von ihm noch eine Menge lernen. ({28}) - Jetzt ist Ihnen eine Panne passiert, die Sie nur sehr schwer wieder ausgleichen können. Man sollte halt immer noch eine Sekunde nachdenken, Frau Kollegin Matthäus-Maier, von wem etwas sein könnte, und dann erst „Quatsch" rufen. Die Leidtragenden eines solchen Programms wären wir alle, insbesondere die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze der sich schließenden Schere zwischen Erträgen und Kosten zum Opfer fallen würden. Leidtragende wären die Verbraucher, die höhere Produktionskosten mit steigenden Preisen bezahlen müßten. Leidtragender wäre letztlich auch der Umweltschutz selbst, für den sowohl im Bereich der Betriebe als auch bei den öffentlichen Haushalten bei nachlassender Wettbewerbs- und Wirtschaftskraft immer weniger Mittel zur Verfügung stehen würden. Ein solches Programm kann man, wie der frühere Wirtschafts- und Finanzminister der SPD-Regierung, Professor Karl Schiller, wirklich nur mit Schrecken zur Kenntnis nehmen. ({29}) Mit solchen Vorstellungen entfernt sich die SPD zunehmend von ihren ursprünglichen Wählern im Arbeitnehmerlager. Die negativen Reaktionen gerade aus dem Bereich der Gewerkschaften sprechen eine deutliche Sprache. Während die SPD trotz zahlreicher Reisen ihrer verantwortlichen Politiker zunehmend den Blick für internationale Zusammenhänge und Herausforderungen verliert, bereiten wir uns systematisch und zielstrebig auf den europäischen Binnenmarkt 1993 vor. Wir stärken die Rolle der Bundesrepublik in der immer enger zusammenwachsenden Weltwirtschaft. Wir wollen die Integration der europäischen Staaten fördern und zugleich unser Land für den zunehmenden Wettbewerb rüsten. Unsere Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Binnenmarkt beruht vor allem auf unserem leistungsfähigen Mittelstand. Wir setzen die bewährten Maßnahmen zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen fort. ({30}) Mit dem neuen Euro-Fitness-Programm sollen die kleinen und mittleren Unternehmen besser auf den EG-Binnenmarkt vorbereitet werden. In den Jahren 1990 bis 1992 sollen jeweils 28 Millionen DM und 1993 25 Millionen DM für Aufklärungsmaßnahmen, Beratungen und Schulungsmaßnahmen und Messebeteiligungen zur Verfügung stehen. Schon heute können viele finanzpolitische Entscheidungen nicht mehr allein im nationalen Maßstab getroffen werden. Wir bekennen uns zum Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion. Bei ihrer schrittweisen Verwirklichung darf die Stabilität unserer Währung nicht gefährdet werden. In einer solchen Gemeinschaft der europäischen Staaten werden die wechselseitigen Abhängigkeiten und der Koordinierungsbedarf noch zunehmen. Aber die Zentralisierung und Koordinierung wirtschafts- und finanzpolitischer Entscheidungen sind kein Selbstzweck, und die Ausweitung des finanziellen Rahmens sowie die Schaffung immer neuer Fonds sind kein Allheilmittel. Nachdem Wirtschaftslenkung und expandierende Staatshaushalte auf nationaler Ebene gescheitert sind, ist jede Neuauflage unter europäischen Vorzeichen sinnlos. Stabilität, Subsidiarität und Föderalismus sollen auch auf europäischer Ebene die Zusammenarbeit bestimmen. Die Bundesrepublik steht zu ihrer internationalen Verantwortung. Als führende Industrienation wollen wir unseren Beitrag zur Erweiterung des internationalen Handels, zum Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und zur Verbesserung der Situation der zum Teil hoch verschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländer leisten. Weltwirtschaft und Welthandel expandieren. Trotz mancher Störungen haben wir mehr Stabilität auf den internationalen Finanz- und Devisenmärkten erreichen können. Der Abbau des amerikanischen Außenhandelsdefizits ist spürbar vorangekommen. Der bilaterale Handelsbilanzüberschuß der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Staaten wird sich gegenüber 1987 in diesem Jahr voraussichtlich halbieren. Unser Handelsbilanzdefizit gegenüber den Entwicklungsländern hat sich spürbar ausgeweitet: von 1,2 Milliarden DM 1987 auf 5,4 Milliarden DM 1988. Durch die Öffnung unserer Märkte für die Erzeugnisse dieser Staaten tragen wir zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation ganz entscheidend bei. ({31}) Im Bundeshaushalt 1990 ist bei der Entwicklungshilfe ein überproportionaler Zuwachs von 3,7 % vorgesehen. Darüber hinaus haben wir bisher auf Forderungen im Umfang von fast 9 Milliarden DM gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern verzichtet. Die Bundesrepublik steht mit diesem Verzicht an der Spitze der Industrieländer. Während manche andere Staaten die Prolongierung der Schulden alle paar Jahre jeweils als großen Erfolg feiern, verzichten wir auf einmal, sind aber relativ bescheiden in der Darstellung dieses großen Werkes für viele andere Länder auf der Welt. ({32}) Auch sieben Jahre nach Ausbruch der MexikoKrise hat sich die Situation vieler hoch verschuldeter Entwicklungs- und Schwellenländer noch nicht entscheidend verbessert. ({33}) Wir unterstützen deshalb die im Währungsfonds und in der Weltbank getroffenen Vereinbarungen, durch Zusammenarbeit zwischen den internationalen Finanzierungsinstitutionen, privaten Gläubigerbanken und verschuldeten Ländern eine spürbare Schuldendiensterleichterung für reformwillige Schuldnerländer zu erreichen. In den letzten drei Jahren haben öffentliche Haushalte einen immer höheren Anteil am Kapitalfluß in die Entwicklungsländer übernommen. Während Anfang der 80er Jahre nur 30 % des Nettoressourcenflusses in Entwicklungsländer aus öffentlichen Mitteln stammten, waren es zwischen 1985 und 1988 bereits 80%. In der gemeinsamen Verantwortung aller Beteiligten und ebenso im eigenen Interesse an einer gesunden Entwicklung der Weltwirtschaft müssen jetzt auch die privaten Banken zu Zugeständnissen bereit sein. In der Bundesrepublik verfügen wir über großzügige steuerliche Regelungen, die die bilanzielle Vorsorge für mögliche Kreditausfälle erleichtern. Auch die deutschen Banken sind damit in der Lage, entsprechend dem Brady-Plan zur Entspannung der internationalen Verschuldungssituation beizutragen. Wir haben in den letzten sieben Jahren durch eine von klaren Ordnungsprinzipien geleitete Finanzpolitik politische Führungsfähigkeit unter Beweis gestellt. ({34}) Wir haben wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme eindeutig gewichtet und Prioritäten gesetzt. Wir haben nicht nur geredet, sondern wir haben gehandelt. ({35}) Unsere Politik ist ein unverwechselbares Angebot, ein Angebot, wie die Probleme von morgen zu lösen sind. Der Beweis für die Wirksamkeit unserer Politik ist bereits erbracht. Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren ihre Position in der Welt ausgebaut und wichtige Beiträge zur Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit und des Welthandels geleistet. Die bei uns und in anderen westlichen Industrieländern erreichten wirtschaftlichen Erfolge beruhen vor allem auf der Begrenzung der Staatstätigkeit, auf der Rückführung öffentlicher Defizite und der Schaffung wesentlich erweiterter Wettbewerbsräume. Wir haben unser Land, wir haben Bürger und Staat für die Lösung unserer großen Zukunftsaufgaben gerüstet. Nur auf gefestigtem wirtschaftlichem Fundament können wir den Umweltschutz sichern. Nur in einer dynamischen Wirtschaft können wir das Zusammenleben der Generationen auch bei sich verändernden demographischen Strukturen positiv gestalten, und nur eine anpassungsfähige und wettbewerbsfähige Wirtschaft kann im weltweiten technologischen Wettlauf um die besten Verfahren und Produkte bestehen. Der Wohlstand unseres Landes beruht auf der Arbeit der Menschen in den Fabriken und Dienstleistungsbetrieben, auf unserer Fähigkeit, uns auf den Weltmärkten zu behaupten. Wer mit diesen Grundlagen unseres wirtschaftlichen Erfolges spielt, wer experimentiert oder Grenzen der Belastbarkeit erprobt, wie einmal geschehen, wird die Folgen spüren, und zwar negativ, und wir alle damit leider auch. ({36}) Die Bundesrepublik Deutschland genießt heute durch ihre wirtschaftlichen Erfolge weltweit hohes Ansehen. Auf internationalen Konferenzen, bei der NATO-Tagung in Brüssel, beim EG-Gipfeltreffen in Madrid und beim Wirtschaftsgipfel in Paris, wurden unsere wirtschafts- und finanz-, beschäftigungs- und stabilitätspolitischen Erfolge uneingeschränkt anerkannt. Deshalb darf unser Land nicht zum Spielball der politischen Kräfte gemacht werden, die wirtschaftspolitische Experimente und die Erprobung der Grenzen der Belastbarkeit zu ihrem politischen Programm gemacht haben. ({37}) In gesamtwirtschaftlicher Hinsicht ernten wir jetzt, was wir in den ersten Jahren nach dem Regierungswechsel gesät haben. Um diese Erfolge auch in Zukunft zu sichern und auszubauen, werden diese Bundesregierung und diese Koalition ihre erfolgreiche Arbeit, ihre erfolgreiche Politik auch über 1990 hinaus fortsetzen. Ich danke Ihnen. ({38})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, Herr Waigel, haben heute Ihren ersten Entwurf für einen Bundeshaushalt eingebracht. Wir haben mit Interesse und Spannung darauf gewartet, denn ein neuer Bundeshaushalt von einem neuen Finanzminister hätte die Chance für eine neue Politik, für neue Akzente geboten, die Chance, mit Positionen aufzuräumen, die mehr in die Vergangenheit als in die 90er Jahre passen. ({0}) Tatsächlich aber ist Ihr Haushaltsentwurf eine herbe Enttäuschung. Das ist ein Bundeshaushalt von gestern, der in nichts die ausgetretenen Pfade seiner Vorgänger verläßt, ({1}) der den Anforderungen der Zukunft nicht gerecht wird, ein Haushalt, der mit einem einfallslosen „Weiter so!" vor den Problemen der Zukunft kapituliert. Mit diesem Haushalt, Herr Waigel, haben Sie die Chance zu einem Neuanfang in der deutschen Finanzpolitik verspielt. ({2}) Ein Beispiel: Auch in diesem Bundeshaushalt geben Sie Geld aus für den Schnellen Brüter in Kalkar. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß diese milliardenschwere Atomruine zu Ende ist. Wollen Sie tatsächlich, wie schon bei der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und beim Hochtemperaturreaktor in Hamm, immer weiter Steuergelder der Bürger für ein Prestigeobjekt verschwenden? Verantwortungsvolle Finanzpolitik darf nicht immer nur den Entwicklungen hinterherlaufen, verantwortungsvolle Finanzpolitik muß einen Beitrag leisten zur vernünftigen Gestaltung der Zukunft. Deshalb: Stoppen Sie den Schnellen Brüter in Kalkar, verwenden Sie das Geld statt dessen für die Förderung neuer Zukunftstechnologien wie der Sonnen- und der Windenergie! Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß der von uns geforderte Ausstieg aus der Kernenergie längst begonnen hat! ({3}) Auch beim Jäger 90 schauen Sie rückwärts und nicht in die Zukunft. ({4}) Dieses Kampfflugzeug kostet mindestens 50 Milliarden DM, nach allen Erfahrungen wahrscheinlich mehr als 100 Milliarden DM. Für unsere Sicherheit brauchen wir den Jäger 90 nicht. Wer nach vorne blickt, weiß: Der Jäger 90 paßt nicht in den Prozeß der Abrüstung. Er ist ein Überbleibsel einer überholten Politik und er bindet Finanzmittel, die wir an anderer Stelle zur Bekämpfung des Hungers und der Not in der Welt dringend brauchen. Steigen Sie aus dem Jäger 90 aus! ({5}) Auch gegenüber unseren östlichen Nachbarn wird bei Ihnen kein neuer Akzent sichtbar. Mit großem Interesse, mit Hoffnung und Anteilnahme verfolgen wir die Entwicklung in den osteuropäischen Ländern. Unsere Bürger hoffen, daß Gorbatschow mit seiner Reformpolitik Erfolg hat. Wir alle drücken die Daumen, daß den Polen ihr großes Experiment gelingt. Aber Daumen drücken allein hilft nicht. Diese Länder, allen voran Polen, brauchen auch unsere wirtschaftliche Unterstützung. Wer da nur zuschaut, wird mit schuld sein, wenn dieses Experiment scheitert. ({6}) Wir haben auch eine historische Verantwortung, dem polnischen Volk zu helfen. Herr Waigel, ich sehe bisher aber nicht, wo Sie als Finanzminister hier aktiv tätig sind. Ich sehe bisher nur, daß Sie als CSU-Vorsitzender schädliche Reden über die Grenzen von 1937 führen. ({7}) Hören Sie damit auf! Fallen Sie nicht in den kalten Krieg zurück! Tragen Sie als Finanzminister aktiv dazu bei, daß der Reformprozeß in Osteuropa ein Erfolg wird! ({8}) Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, daß die Reformpolitik in Osteuropa gelingt. Glasnost und Perestroika in den Ländern des Ostens bedeuten viel mehr Sicherheit in ganz Europa, als ein 100-Milliarden-Kampfflugzeug es je bringen kann. Auch deshalb wäre es besser, auf den Jäger 90 zu verzichten und statt dessen die Reformpolitik in Osteuropa zu unterstützen. ({9}) Auch bei den Subventionen verharrt Ihr Bundeshaushalt in den Strukturen von gestern und vorgestern. Sie haben nicht die politische Kraft, an die 30 Milliarden DM Subventionen heranzugehen, die der Bundeshaushalt mitschleppt und die unter Ihrer Regierung von Jahr zu Jahr angestiegen sind. Nach dem neuen Subventionsbericht hat diese Bundesregierung seit 1982 sage und schreibe 50 neue Subventionen eingeführt. ({10}) Wer nach vorne schaut, meine Damen und Herren, der weiß, daß er am Subventionsabbau nicht vorbeikommt. Wir fordern Sie auf: Zeigen Sie endlich Mut beim Subventionsabbau! ({11}) Meine Damen und Herren, verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Finanzpolitik ist für mich gestaltende Reformpolitik auf der Grundlage solider Finanzen. Sie, Herr Waigel, gestalten nicht, Reformen wollen Sie schon gar nicht, und mit soliden Staatsfinanzen hat Ihr Haushalt auch nichts zu tun. Sie wolFrau Matthäus-Maier len 1990 33,7 Milliarden DM neue Schulden machen. ({12}) Das bedeutet einen sprunghaften Anstieg der Neuverschuldung um 6 Milliarden DM. Dies ist finanzpolitisch unverantwortlich und mit unserer Verfassung nicht vereinbar. ({13}) Der Grund für diesen drastischen Anstieg der Bundesschulden ist nicht etwa, daß Sie Zukunftsinvestitionen finanzieren und damit Arbeitsplätze schaffen. Im Gegenteil: Parallel zum Anstieg der Verschuldung nimmt nicht nur der Anteil der Investitionen am Bundeshaushalt ab, sogar die absoluten Beträge für Investitionen gehen in Ihrer Finanzpolitik bis 1993 zurück. Dabei brauchen wir doch mehr Investitionen, z. B. zur Rettung der Nordsee, für Altlastensanierung, für den Wohnungsbau oder zum Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs. Nein, Sie machen Milliardenschulden, um Steuergeschenke an Hoch- und Höchstverdiener auszuschütten. ({14}) Von Ihrer Steuerreform 1990 bekommen zwar auch die Normalverdiener etwas ab. Diese Bürger haben aber ihre eigene Steuersenkung bereits vorfinanziert mit den kräftigen Verbrauchsteuererhöhungen, die am 1. Januar 1989 in Kraft getreten sind. Unter dem Strich werden viele Menschen im nächsten Jahr sogar mehr Steuern zahlen als vorher. ({15}) Hohe Steuerentlastungen erhalten die, die es am wenigsten benötigen. Für uns Bundestagsabgeordnete z. B. werden durch Ihre Steuerreform im nächsten Jahr die Steuern um mehrere tausend DM pro Person gesenkt. Ein Einkommensmillionär erhält sogar eine Steuersenkung von jährlich 36 000 DM. Das ist überflüssig, das ist ungerecht, und das ist eine Verschleuderung von Geld. ({16}) Diese Wahlgeschenke sind es, die die Staatsverschuldung 1990 sprunghaft nach oben treiben. Ihr Bundeshaushalt 1990 ist damit ein Wahlhaushalt auf Pump. ({17}) Bei Bundesfinanzminister Waigel geht parteipolitisches Interesse zu Lasten der finanziellen Solidität. Herr Waigel, Sie räumen die Bundeskasse jetzt leer, nach dem Motto: Entweder gewinnt die Koalition die Bundestagswahl, dann hat sie sich mit überhöhten Schulden wenigstens vier Jahre Regierung erkauft, oder aber es gewinnt die SPD, dann hinterläßt man einem sozialdemokratischen Bundeskanzler leere Kassen und eine hohe Zinsbelastung. ({18}) Das ist Finanzpolitik nach dem Prinzip: Nach uns die Sintflut. ({19}) Seit der Wende haben Sie 189 Milliarden DM neue Schulden gemacht. Ihr Finanzplan zeigt, daß Sie bis 1993 zusätzlich 119 Milliarden DM neue Schulden draufpacken wollen. ({20}) Dann hätte die Regierung Kohl, wenn sie an der Regierung bliebe, nach ihrem eigenen Finanzplan seit 1982 insgesamt 308 Milliarden DM neue Schulden gemacht, d. h. in rund elf Jahren genauso viele neue Schulden wie alle Bundesregierungen vor ihr in 33 Jahren zusammen. ({21}) - Da können Sie noch so viel rufen, Herr Glos, für eine Bundesregierung, die angetreten ist, weniger Schulden zu machen, ist diese Schuldenbilanz verheerend. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos? - Bitte schön, Herr Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, da Sie offensichtlich meinen Zwischenruf falsch verstanden haben, darf ich Sie fragen, wie hoch der Anteil der Zinsen ist, die wir für Ihre Schulden zahlen müssen, und wie sich das zur Neuverschuldung verhält.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Glos, Sie wissen ganz genau, daß weder Sie noch wir das berechnen können. ({0}) Aber ich gehöre nicht zu denen, die verschweigen - es ist ja offensichtlich - , daß wir zu unserer Zeit selbstverständlich eine Nettokreditaufnahme durch den Staat vorgenommen haben. Herr Glos, Sie kennen mich doch lange genug: Kreditaufnahme des Staates ist grundsätzlich weder etwas Schlechtes noch etwas Gutes. Es kommt darauf an, wofür man solche Schulden macht und in welcher Situation man sie macht. ({1}) Wer wie wir in den 70er Jahren nach zwei Ölpreisexplosionen und in einer tiefen weltwirtschaftlichen Rezession staatliche Kreditaufnahme durchgeführt hat, um damit Zukunftsinvestitionen zu finanzieren und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ({2}) - wenn Sie mich fragen, müssen Sie sich auch die Antwort anhören - , der hat ökonomisch vernünftig gehandelt. Weil Sie mich fragen, füge ich hinzu: Wir haben damit in den 70er Jahren erreicht, daß unser Land unter Helmut Schmidt besser als jedes andere Land der Welt durch diese schweren Krisenjahre gekommen ist. Und darauf bin ich stolz! ({3}) Ich hoffe, Graf Lambsdorff, daß auch Sie stolz darauf sind. Man merkt das nicht immer. Daß wir dann Anfang der 80er Jahre, meine Damen und Herren, die Neuverschuldung zurückführen mußten, ist selbstverständlich. Das haben wir auch getan mit zwei dicken Subventionsabbaupaketen im Jahre 1981. Nein, die Folge Ihrer Schuldenpolitik, meine Damen und Herren, ist ein besorgniserregender Anstieg der Zinsbelastung. In diesem Jahr zahlt der Bund allein 32,4 Milliarden DM. Im Klartext: In den nächsten sechs Tagen, von heute bis kommenden Samstag, muß der Bundesfinanzminister genausoviel Geld für Zinsen ausgeben, wie dem Bundesumweltminister im ganzen Jahr 1989 zur Verfügung steht. ({4}) Das ist absurd. Ihr Finanzplan weist aus, daß die Zinsausgaben bis 1993 sogar weiter auf 41,2 Milliarden DM ansteigen werden. Noch schlimmer als die absoluten Zahlen ist der Trend. Die Zinsquote soll bis 1993 auf über 12,5 % ansteigen. Dieser besorgniserregende Anstieg der Zinsbelastung schnürt die Handlungsmöglichkeiten des Staates immer weiter ein. Gestaltende Reformpolitik wird dadurch zunehmend erschwert. Wenn man dann in einer wirklich schwierigen Wirtschaftslage, die ja keiner ausschließen kann, gegensteuern muß, ist der Staat auch konjunkturpolitisch handlungsunfähig. Ich stelle fest: Mit Ihrer unsoliden Schuldenpolitik hinterlassen Sie der nächsten Bundesregierung eine schwere Hypothek. ({5}) Der in Ihrem Haushalt vorgesehene sprunghafte Anstieg der Neuverschuldung steht auch im Widerspruch zu Art. 109 des Grundgesetzes. Unsere Verfassung schreibt vor, daß der Bund bei seiner Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat. Wenn Sie das sogenannte Staatsschuldenurteil des Verfassungsgerichts nicht mißachten würden, dann müßten Sie bei einem Wirtschaftswachstum von 3 bis 4 % selbstverständlich weniger Schulden machen. Sie aber machen genau das Gegenteil. Sie wollen in dieser Situation die Neuverschuldung um über 6 Milliarden DM erhöhen. Damit machen Sie eine prozyklische Politik. Dies ist wirtschaftspolitisch verfehlt. Das ist mit der Verfassung nicht vereinbar und das Gegenteil einer soliden Finanzpolitik. ({6}) Jetzt kommen schon wieder die Koalitionsparteien und versuchen, sich mit einem neuen Steuersenkungswettlauf zu überbieten. Bereits heute versprechen Sie für die nächste Wahlperiode Steuersenkungen in Höhe von 25 bis 40 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, dies würde zu neuen Schuldenrekorden führen. Diese Bundesregierung plant schon wieder Stimmenkauf auf Pump. ({7}) Meine Damen und Herren, dabei ist das Steuerentlastungsprogramm der FDP für die Unternehmen das Phantasieloseste und Unsolideste, was ich in den letzten 20 Jahren in der Steuerpolitik gesehen habe. ({8}) 27 Milliarden DM Steuersenkung für Spitzenverdiener und Unternehmen und praktisch kein einziges Wort zu ihrer Finanzierung! Ich vermute ja nach wie vor: Sie haben eine Anhebung der Mehrwertsteuer in der nächsten Legislaturperiode im Kopf. Herr Haussmann hat das mehrfach gesagt. Heute streiten Sie das ab. Aber wer kann Ihnen eigentlich glauben? Wenn Sie das wirklich nicht tun wollen, würde das zu einer massiven zusätzlichen Schuldenerhöhung führen. Das hat mit seriöser Steuerpolitik nichts zu tun. Das ist Klassenkampf von oben, meine Damen und Herren. ({9}) Die immer wieder genannten Steuerreformen in den USA, in Österreich und in Schweden zeigen, wie man eine Unternehmensteuerreform aufkommensneutral durchführen kann. Dazu kann auch eine Steuersatzsenkung gehören, wenn man gleichzeitig die steuerliche Bemessungsgrundlage erweitert und Steuerschlupflöcher schließt. Wer aber wie Sie Steuersatzsenkung verspricht, ohne zugleich die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, der sollte sich endlich nicht mehr auf diese Länder berufen. Er sollte ehrlicherweise zugeben, daß es ihm einzig und allein um Umverteilung geht. Dies lehnen wir entschieden ab. ({10}) Besonders bedrückt mich, daß der Bundesfinanzminister diesem unverantwortlichen Steuersenkungswettlauf nicht Einhalt gebietet. Wo bleibt Ihr klares Wort, Herr Waigel, daß solche Steuersenkungen auf Pump finanzpolitisch unseriös und unsolide sind? Nichts davon! Als Hüter der Staatsfinanzen versagen Sie leider voll und ganz. ({11}) Ich fordere Sie auf: Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung als Bundesfinanzminister gerecht! Betreiben Sie Ihr Amt nicht länger als Hobbyminister, der im Hauptberuf CSU-Vorsitzender und nur nebenbei Finanzminister ist! Das hat unser Land nicht verdient. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Faltlhauser?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, haben Sie in den vergangenen Monaten nicht zur Kenntnis genommen, daß die wissenschaftlichen Institute alle miteinander den volkswirtschaftlich richtigen Weg dieser Steuersenkung und den Umstand anerkannt haben, daß natürlich nur dadurch Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzsicherheit festzustellen sind?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Das kann ich nicht so sehen wie Sie. Es gibt kluge und gute Institute, die gerade das Gegenteil festgestellt haben. ({0}) Gerade bei den Unternehmensteuern können Sie sich natürlich auf Verbände berufen. Aber das hilft nicht. Die werden dafür bezahlt, daß sie Steuersenkungen fordern. Eine kluge Unternehmensteuerreform wird umschichten, das Steuersystem von schädlichen Verzerrungen befreien und sich im übrigen besonders um die bei Ihnen zu kurz gekommenen kleinen und mittleren Unternehmen kümmern. Deswegen wollen wir eine Investitionsrücklage. ({1}) Wenn Sie, Herr Waigel, Ihr Amt wirklich ernst nähmen, würden Sie auch endlich den Zustand beenden, daß Jahr für Jahr Milliarden DM an große und größte Steuerhinterzieher verschenkt werden. ({2}) Im Einkommensteuergesetz steht, daß Kapitaleinkünfte genau so zu versteuern sind wie die Löhne der Arbeitnehmer und die Gewinne der Unternehmen. Bei den Arbeitnehmern greift das Finanzamt in voller Härte zu. Da wird die Lohnsteuer gleich vom Arbeitslohn abgezogen, bevor sie überhaupt nur eine Mark auf dem Konto haben. Ganz anders ist es bei Kapitaleinkünften. Hier findet jährlich Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe statt. Der Bundesrechnungshof hat die Bundesregierung mehrmals aufgefordert, dagegen einzuschreiten und die Einhaltung von Recht und Gesetz sicherzustellen. Ihre Quellensteuer war dazu ganz und gar ungeeignet. Wir sind froh, daß dieses bürgerfeindliche Monstrum wieder weg ist. ({3}) Unerträglich aber ist, daß Sie Ihren § 30 a, den Sie neu in die Abgabenordnung aufgenommen haben, nicht wieder abschaffen wollen. Sie wollen ganz bewußt die Finanzbeamten daran hindern, den großen Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen. ({4}) Dies ist eine politische Begünstigung der großen Steuerhinterzieher. ({5}) Die Deutsche Steuergewerkschaft hat vor wenigen Tagen heftig kritisiert, daß die Bundesrepublik durch diese Gesetzesänderung ein „sicherer Hort für Schwarzgeld" geworden ist. Auch von seiten der Wirtschaft kommt die Forderung, Kapitaleinkünfte nach Recht und Gesetz steuerlich zu erfassen, damit Investitionen in Produktivkapital steuerlich nicht länger schlechter behandelt werden als Finanzanlagen. Leider sind Ihnen aber die großen Steuerhinterzieher wichtiger als eine gute Wirtschaftspolitik. ({6}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie begünstigen die großen Steuerhinterzieher und wollen an das Geld der Normalsparer. Uns interessiert das Geld der Normalsparer nicht. Aber wir wollen an die großen Steuerhinterzieher ran. ({7}) Wir werden die Sparerfreibeträge für Zinseinkünfte auch gegen Ihren Widerstand auf 3 000 DM für Ledige und 6 000 DM für Verheiratete im Jahr erhöhen. Dies bedeutet: Zinseinkünfte aus Sparvermögen bis rund 100 000 DM werden bei uns steuerfrei sein, und zwar völlig legal. Mindestens 80 % aller Sparer fallen dadurch aus der Besteuerung völlig heraus. Das Ergebnis ist: Die Millionen Normalsparer werden von der Steuer befreit, die Besitzer von Millionenvermögen müssen aber endlich nach Recht und Gesetz Steuern zahlen. ({8}) Dies kann durch ein unbürokratisches und bürgerfreundliches Stichprobenverfahren sichergestellt werden. Das würde uns übrigens auch bei der Steuerharmonisierung in Europa weiterbringen. Überall in Europa werden Kapitalerträge steuerlich erfaßt. Nur die Bundesrepublik und Luxemburg drücken beide Augen zu. Wenn hier endlich auch die Bundesrepublik ihre Schularbeiten macht, dann wird Luxemburg nachziehen müssen, und dann wird Kapitalflucht nach Luxemburg kein Thema mehr sein, meine Damen und Herren. ({9}) Herr Waigel, wenn all diese guten Gründe Sie nicht überzeugen, habe ich eine Frage an Sie: Wie können Sie es eigentlich moralisch verantworten, daß unsere Kinder und Enkel Jahr für Jahr Zinsen für die Schulden bezahlen, die Sie, Herr Waigel, deswegen machen, weil Sie sich weigern, nach Gesetz und Recht die Steuern bei den großen Steuerhinterziehern reinzuholen? ({10}) Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, ob dies mit Ihrem Amtseid und mit Ihrer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen vereinbar ist? Ich sage Ihnen: Auf eines können Sie sich verlassen: Wir Sozialdemokraten werden nicht hinnehmen, daß Sie mit Ihrer famosen Steuerreform bei den Arbeitnehmern den Essenszuschuß von 1,50 DM steuerlich erfassen, aber gleichzeitig vor den großen Steuerhinterziehern kapitulieren. ({11}) 11670 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode Frau Matthäus-Maier Ihr Haushalt zeigt: Auch in der Familienpolitik fehlt jeder politische Gestaltungswille. Jedermann weiß, daß wir die Familien mit Kindern stärker entlasten müssen. Der SPD-Vorschlag, 200 DM Kindergeld vom ersten Kind an für alle Kinder, findet überall Zustimmung. Nur Sie wehren sich dagegen. Warum eigentlich? Unser Vorschlag ist kinderfreundlich, gerecht, einfach und solide durchfinanziert. Wir ersetzen die ungerechten Kinderfreibeträge bei der Steuer und vermindern bei den Hoch- und Höchstverdienern den Splittingvorteil. Das Splitting kostet heute 24 Milliarden DM im Jahr. Wir wollen davon 6 Milliarden DM zugunsten der Familien mit Kindern umschichten. Ich stelle hier eindeutig fest: Sozialdemokraten wollen das Ehegattensplitting nicht abschaffen. Selbstverständlich muß bei der Steuer berücksichtigt werden, wenn der eine Ehepartner den anderen Ehepartner unterhält. ({12}) - Herr Kollege, ich finde, Zwischenrufe sind ja gut, aber Sie müssen dem Redner ein bißchen folgen. Wenn ich sage: von 24 Milliarden 6 herausnehmen, dann können Sie doch hoffentlich drei und drei zusammenzählen und feststellen, daß wir es damit nicht abschaffen. ({13}) Wir wollen ändern, daß durch das jetzige Splitting Höchstverdiener, auch wenn sie keine Kinder haben, 22 842 DM Steuervorteil im Jahr erhalten, während sich Eltern mit einem Kind mit 1 200 DM im Jahr zufrieden geben müssen. Sie selbst, Herr Dregger, haben doch 1984 vorgeschlagen, beim Splitting 5 Milliarden DM - das ist kein so großer Unterschied zu uns - umzuschichten. Auch Ministerpräsident Späth hat erklärt, daß es in diese Richtung gehen muß. Warum sträuben Sie sich dann noch? Machen Sie endlich mit, den Familien mit Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen! ({14})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gattermann?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Gattermann, bitte.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, 6 zu 24 klingt ja ganz passabel. Könnten Sie bitte einmal konkretisieren, bis zu welchem Einkommen Sie herunter müssen, urn an diese 6 Milliarden zu kommen?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gattermann, dies hängt ganz davon ab, für welches technische Modell man sich entscheidet. Das haben wir nicht getan. Sie können sicher sein, daß es sich um Hoch- und Höchstverdiener handelt, sonst hätte doch der verehrte Kollege Dregger diesen Vorschlag nicht gemacht, Herr Gattermann. Da werden Sie mir recht geben. ({0}) Ihre Politik des Aussitzens, Abwartens und Abwehrens wird am deutlichsten im Bereich der Umweltpolitik. Die SPD hat ihr Konzept für eine ökologische Weiterentwicklung des Steuer- und Abgabensystems vorgelegt, das, was die Menschen kurz „Ökosteuer" nennen. Daraufhin ist bei den anderen Parteien eine hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Das ist schon ein erster Erfolg unseres Konzepts. Bedauerlich aber ist, daß der für die Steuerpolitik zuständige Finanzminister es ablehnt, beim Kampf gegen die Umweltzerstörung stärker als bisher auch die Instrumente des Steuersystems ernsthaft einzusetzen. Das ist es gerade, Herr Waigel, was wir an Ihrer Finanzpolitik kritisieren: Ihr Verharren in alten Denkschablonen; bloß nicht einen Zentimeter heraus aus den ausgetretenen Wegen, ({1}) bloß nicht neue Gedanken aufgreifen! - Herr Bundesfinanzminister, Sie haben offenbar immer noch nicht erkannt, daß die Erhaltung der natürlichen Umwelt die größte Herausforderung der 90er Jahre ist. Sie verstehen immer noch nicht, daß man die traditionellen Instrumente des Umweltschutzes durch zusätzliche marktwirtschaftliche Anreize ergänzen muß. Wir Sozialdemokraten wollen unsere Industriegesellschaft ökologisch modernisieren. Wir wollen eine Form des Produzierens und Konsumierens, die die Umwelt nicht länger zerstört. Wir wollen für uns und unsere Kinder saubere Luft, sauberes Wasser und sauberen Boden. Dann dürfen aber nicht länger zum Null-Tarif unsere Luft verpestet, unser Trinkwasser vergiftet und unsere Böden verseucht werden. ({2}) Deshalb wollen wir mit unserem Konzept über marktwirtschaftliche Preissignale für Wirtschaft und Verbraucher wirksame Anreize für umweltverträglicheres Verhalten geben. ({3}) Selbstverständlich beschränkt sich unser Konzept nicht auf die Steuerpolitik. Man darf der Steuer nicht mehr aufbürden, als sie leisten kann. ({4}) Unser ökologisches Gesamtkonzept besteht deshalb aus drei Säulen: Erstens. Wir wollen klare Gebote und Verbote. Dazu gehören z. B. die obligatorische Einführung des Katalysators für alle Autos und ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf den Autobahnen und von 30 Stundenkilometern in Wohngebieten. Dazu gehören auch die Änderung der heutigen verbrauchsfördernden Stromtarife und ein Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen. Zweitens. Wir wollen eine Handvoll gezielter Umweltabgaben. Dazu gehört z. B. eine Luftschadstoffabgabe, die auch das Kohlendioxid umfaßt. ({5}) - Selbstverständlich umfaßt sie CO2 aus Kohlekraftwerken, Herr Glos. Da sind wir ganz konsequent. - Dazu gehören auch eine Massentierhaltungsabgabe, eine Abgabe auf Einwegverpackungen und die Erweiterung der bewährten Abwasserabgabe. Das Aufkommen aus diesen Abgaben soll gezielt für private und öffentliche Umweltinvestitionen eingesetzt werden. Dies schafft zugleich neue Arbeitsplätze. Wir verwirklichen damit das von uns entwickelte Konzpet „Arbeit und Umwelt" . Wir beweisen damit: Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze, im Gegenteil: Umweltschutz schafft mehr Arbeitsplätze. ({6}) Drittens. Wir wollen eine ökologische Weiterentwicklung des Steuersystems, mit der wir die bewährten Instrumente des Ordnungsrechts durch zusätzliche marktwirtschaftliche Anreize ergänzen. Eine der Hauptursachen für die Umweltzerstörung und die drohende Klimakatastrophe ist der hohe Verbrauch von Energie. Deshalb müssen wir den Energieverbrauch vermindern. Das geht, ohne daß wir unseren Wohlstand einschränken müssen, wenn wir die Energieproduktivität erhöhen. Wir müssen den technischen Fortschritt nutzen, die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft und den Erfindungsreichtum unserer Ingenieure und Techniker, um Energie rationeller zu verwenden als bisher. ({7}) Wir wissen z. B., meine Damen und Herren, daß in der Automobilindustrie Pläne für sogenannte Ökoautos in der Schublade liegen, die drei bis vier Liter Benzin pro 100 km verbrauchen. Aber diese werden heute nicht gebaut, weil heute noch die Nachfrage fehlt. Diese Autos werden erst auf den Markt kommen, wenn es sich für die Autofahrer auszahlt, verstärkt Benzin zu sparen. Wir sagen den Bürgern ganz offen, daß Benzin und Dieselkraftstoff teurer werden müssen, damit jeder einzelne einen Anreiz hat, weniger Energie zu verbrauchen. Wir denken an etwa 45 Pf für bleifreies und etwa 50 Pf für verbleites Benzin. ({8}) Dies bedeutet eine Anhebung des Benzinpreises auf das obere Drittel des europäischen Preisniveaus. Unser Benzinpreis würde übrigens auch danach noch unter dem von Frankreich und Italien liegen. Meine Damen und Herren, bei dieser ökologischen Weiterentwicklung des Steuersystems geht es uns um Umweltschutz und nicht darum, den Staatssäckel zu füllen. Deshalb werden wir im Gegenzug für die ökologisch wirksamen Energiesteuern in der Größenordnung von rund 30 Milliarden DM Bürger und Wirtschaft in gleichem Umfang und zum gleichen Zeitpunkt entlasten. ({9}) Mit unserem Konzept sollen der ökologisch schädliche Verbrauch von Energie stärker belastet, die Arbeit aber steuerlich entlastet werden. Deshalb steht im Mittelpunkt der von uns vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer um rund 15 Milliarden DM. ({10}) Durch eine Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages wollen wir eine Steuersenkung von jährlich 500 DM für Ledige und von 1 000 DM für Verheiratete erreichen. Mit dieser kräftigen Verbesserung des Grundfreibetrages wird der seit der Wende von Ihnen betriebene Marsch in den Lohnsteuerstaat gestoppt, meine Damen und Herren, ({11}) und wird endlich das Existenzminimum von der Steuer völlig freigestellt. Dadurch werden Millionen Bürger ganz von der Lohnsteuer befreit. Dies ist nicht nur ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Steuervereinfachung. ({12}) Die Rentner, meine Damen und Herren, werden an dieser Steuersenkung voll teilhaben; denn die Steuerentlastung führt bei den Arbeitnehmern zu einem Anstieg des Nettolohns und damit nach der nettolohnbezogenen Rentenanpassungsformel zu einer entsprechenden Erhöhung der Rente. Hierfür haben wir 4,5 Milliarden DM vorgesehen. Wir wollen auch die Kraftfahrzeugsteuer völlig abschaffen; denn nicht das Halten eines Autos verpestet die Luft, sondern das Fahren. ({13}) Die Abschaffung dieser Steuer bedeutet eine Steuerentlastung für Bürger und Wirtschaft um rund 9 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, die von Bundesumweltminister Töpfer geplante Abgassteuer ist ökologisch nur ein halbherziger Schritt. Wir wollen, daß der Katalysator Pflicht wird. Dann, so sagt uns die Automobilindustrie, gibt es beim Schadstoffausstoß zwischen den einzelnen Autotypen keine wesentlichen Unterschiede mehr. Dann hat eine emissionsorientierte Steuer aber praktisch keine ökologische Lenkungswirkung. Sie würde die Kraftfahrzeugsteuer übrigens noch viel komplizierter machen, als diese heute schon ist. ({14}) Ökologisch, umweltpolitisch sinnvoller ist es auf jeden Fall, den Kraftstoffverbrauch zu verringern und damit die Schadstoffbelastung direkt zu reduzieren. Ich freue mich, daß Herr Cronenberg mit dem Kopf nickt. ({15}) Aus diesem Grunde - das betone ich am Schluß stimmen der SPD bei ihrer Forderung nach der Umle11672 gung der Kraftfahrzeugsteuer die Automobilindustrie zu, das Umweltbundesamt, das Bundeswirtschaftsministerium, die Deutsche Steuergewerkschaft, der Bund der Steuerzahler und, jedenfalls bisher, Graf Lambsdorff, auch die FDP. Mal gucken, ob Sie dabei stehenbleiben. ({16}) - Herr Mischnick, wir sind uns dann einig. - Die vollständige Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer wäre im übrigen auch ein wesentlicher Beitrag zur Steuervereinfachung und zur Entbürokratisierung. Die Interessen der bisher von der Kraftfahrzeugsteuer befreiten Schwerbehinderten werden wir durch direkte Zahlungen in Höhe von jährlich insgesamt 150 Millionen DM berücksichtigen. Unser Konzept bedeutet auch keine unzumutbare Belastung von Fernpendlern und von Menschen im ländlichen Raum. Meine Damen und Herren, ich komme aus einem ländlichen Wahlkreis. Ich muß mir von Ihnen nicht erzählen lassen, wie das im ländlichen Raum ist. ({17}) Ich vertrete das da, und die Leute sind dafür. ({18}) Zum einen gehören zu unserem Konzept selbstverständlich auch der Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs und die Stärkung der Bundesbahn; ({19}) zum anderen zeigen verkehrsstatistische Erhebungen, daß die Arbeitswege auf dem Lande nicht von vornherein immer länger sind als in den Ballungsregionen. Wichtig ist auch, daß der Verkehr im ländlichen Raum hinsichtlich des Energieverbrauchs wesentlich günstiger abgewickelt werden kann als in den Ballungsräumen. Jeder weiß, daß man in der Stadt häufiger vor Ampeln oder im Stau steht. Gleichwohl sehen wir als SPD ausdrücklich eine besondere Fernpendlerpauschale vor. Damit sollen die Arbeitnehmer berücksichtigt werden, ({20}) die einen überdurchschnittlich weiten Weg zur Arbeit zurücklegen müssen. ({21}) Außerdem werden wir die bisherige Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale umwandeln. Das bietet nicht nur den Anreiz, bei der Fahrt zur Arbeit auf das eigene Auto möglichst zu verzichten, sondern fördert auch steuerlich die Bildung von Fahrgemeinschaften. Darüber hinaus werden wir sicherstellen, daß alle sozialen Gruppen an den geplanten Entlastungen teilhaben. ({22}) Auch Arbeitslose, Studenten und Auszubildende sowie Sozialhilfeempfänger werden zusätzliche Leistungen erhalten. Unser Konzept bedeutet, meine Damen und Herren - und das unterscheidet es von allen anderen - , eine ausgewogene Kombination ökologischer und sozialer Maßnahmen. Die Bürger können sicher sein, daß die soziale Gerechtigkeit bei der SPD immer eine zentrale Rolle spielen wird. ({23}) Es ist klar, daß die Umschichtung für den Staat durch die vollständige Rückgabe der höheren Energiebesteuerung an Bürger und Wirtschaft aufkommensneutral, also plus/minus Null, ausgeht. ({24}) Das bedeutet aber - das zu Ihnen, Herr Mischnick - selbstverständlich keinen individuellen Ausgleich für jeden einzelnen Bürger. ({25}) Das kann nicht so sein, und das soll auch nicht so sein; denn dann bestünde ja kein Sparanreiz. ({26}) Vielmehr hat es jeder einzelne Bürger mehr oder weniger selbst in der Hand, wie die Rechnung bei ihm unter dem Strich aussieht: ({27}) Spart er Energie, wird er bei der Umschichtung gewinnen. Verbraucht er sehr viel Energie, dann muß er mehr zahlen. Das ist aber auch genau das Grundprinzip: Umweltbelastung und Umweltzerstörung darf es nicht länger zum Nulltarif geben. Der Preis ist ein wirksamer Anreiz, sich künftig umweltgerechter zu verhalten. ({28}) Meine Damen und Herren, wir sind gefragt worden, wie wir denn die Entlastungen finanzieren wollen, wenn die Steuereinnahmen durch Energieeinsparungen zurückgehen. ({29}) - Ich lasse hier nichts unbeantwortet, Frau Rust, keine Sorge! Wir haben das nämlich durchaus vorher durchdacht. - Wir gehen davon aus, daß wir den Trend zu einem steigenden Energieverbrauch ({30}) durch eine ökologisch wirksame Energiebesteuerung stoppen können. Das wäre übrigens schon ein enormer ökologischer Erfolg, den wir nicht unterschätzen sollten. ({31}) Mittel- und langfristig erwarten wir eine Verringerung des Energieverbrauchs; dafür machen wir das ja. Probleme bei der Finanzierung der vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen gibt es aber auch dann nicht. Das vorgesehene Volumen für eine ökologische EnerFrau Matthäus-Maier giebesteuerung von insgesamt ca. 30 Milliarden DM ist nur etwa 5 % des gesamten Steueraufkommens, das in der nächsten Legislaturperiode etwa 600 Milliarden DM im Jahr betragen wird. Unterstellt man z. B. einen Einsparerfolg von 10 % - und das wäre nun wirklich schon was - , dann bedeutet das einen Ausfall von nur 1 % des gesamten Steueraufkommens. Das wäre dann die Belohnung dafür, daß die Bürger Energie gespart haben. Und diese Belohnung wäre auch haushaltsmäßig zu verkraften. Denn nach Ihren eigenen Steuerschätzungen, Herr Waigel, wäre das nur ein Bruchteil der jährlich automatisch anfallenden Steuerzuwächse. Deshalb ist unser Konzept auch finanzpolitisch absolut solide. ({32}) Das SPD-Konzept ist hinsichtlich seiner ökologischen Wirksamkeit und seiner politischen Durchsetzbarkeit den anderen Diskussionsmodellen deutlich überlegen. Das von Herrn Töpfer, dem Bundesumweltminister, vorgelegte Papier, besteht nur - es tut mir leid - aus nebulösen und halbherzigen Ankündigungen. - Im übrigen meine Frage - Sie sind doch eine ganze Weile dran - : Wenn Sie das wollen, warum haben Sie das nicht schon längst gemacht? ({33}) Das Umbauprogramm der GRÜNEN mit einem Volumen von 83 Milliarden DM ({34}) ohne Rückgabe der Mittel ist dagegen völlig überzogen. Es wird nicht die politische Zustimmung der Bürger finden. Damit ist es zum Scheitern verurteilt und deshalb im Ergebnis für die Umwelt völlig wirkungslos. ({35}) Meine Damen und Herren, die FDP hat bisher leider überhaupt noch kein eigenes Konzept vorgelegt. Sie sieht ihre Hauptaufgabe offensichtlich ({36}) darin, sich um Steuerentlastungen für Spitzenverdiener zu kümmern. ({37}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, drei Vorwürfe haben Sie gegen unseren Vorschlag erhoben. ({38}) Vorwurf 1: Das sei ein Steuererhöhungsprogramm. Diese Behauptung ist lächerlich. Sie haben die falsche Platte aufgelegt und haben sie dann nicht mehr so schnell wieder in die Schublade packen können. ({39}) Denn das, was bei der Energiebesteuerung eingenommen wird, wird gleichzeitig in vollem Umfang an Bürger und Wirtschaft zurückgegeben. Lassen Sie also diese falschen Behauptungen! ({40}) Zweiter Vorwurf: Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft werde abnehmen. Auch das ist falsch. Von den vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen entfallen rund 5,5 Milliarden DM direkt auf die Wirtschaft. ({41}) - Wenn wir die Kraftfahrzeugsteuer abschaffen, werden natürlich auch Betriebs-Lkw betroffen. Dies zu Ihrem etwas einfallslosen Zwischenruf, Herr Kollege. Ich stelle hier aber zusätzlich fest: Unser marktwirtschaftliches Umweltschutzkonzept gefährdet nicht die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft; denn die Wirtschaft wird durch Preissignale zu umweltfreundlichen und damit auch zu volkswirtschaftlich kostengünstigen Lösungen gebracht, ({42}) und dadurch wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf Dauer eher noch zunehmen. ({43}) Dritter Vorwurf: Wir hätten etwas gegen das Autofahren. Das ist nun wirklich Unsinn. Wir alle sind doch selbst Autofahrer. Das Auto ist für jeden von uns auch ein Stück persönlicher Freiheit. Aber wir sind dabei, uns dieses Stück Freiheit durch unsere Art des Umgangs mit dem Automobil selbst zu zerstören. ({44}) Sie, Herr Waigel, versuchen, dies, was die Autofahrer betrifft, zu verschweigen, weil Sie meinen, damit kämen Sie besser über die Runden. Wir dagegen sagen dem Bürger offen und ehrlich: Wir alle müssen lernen, das Auto vernünftiger und umweltbewußter zu gebrauchen. Nur dann werden wir uns die mit dem Auto verbundene Freiheit auf Dauer erhalten können. ({45}) Wir sind mit unserem Konzept frühzeitig an die Öffentlichkeit gegangen, denn wir wollen, daß sich alle Bürger und alle gesellschaftlichen Kräfte an der breiten Diskussion über unsere Überlegungen beteiligen können. Dabei nehmen wir jedes Gesprächsangebot gerne an. Wir sind auch für jeden konstruktiven Vorschlag offen. Aber von einem werden wir uns nicht abbringen lassen: Wir wollen diese große Zukunftsaufgabe energisch anpacken. Wir wissen: Nur durch eine mutige Politik können wir die natürliche Umwelt für uns und unsere Kinder retten, nur durch eine gestaltende Politik können wir die Zukunft gewinnen. Genau das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Sie kapitulieren vor den großen Zukunftsaufgaben. Sie sitzen aus, Sie wursteln sich durch, Sie wollen über die Runden kommen. Sie denken, Sie können die Menschen wie Automaten behandeln: Oben stekken Sie ein paar Mark Steuersenkung hinein, und unten kommen dann auf den Wahlzetteln die Kreuzchen für Sie heraus. ({46}) Ich sage Ihnen: Mit einer solchen kurzsichtigen Politik werden Sie die Menschen nicht gewinnen. Wir beklagen uns über die Politikverdrossenheit vieler Bürger. Diese Bundesregierung trägt zu ihr bei, indem sie den Menschen keine Ziele aufzeigt, für die einzusetzen sich lohnt. Es ist meine feste Überzeugung: Die Menschen wollen nicht immer nur mehr haben und immer mehr bekommen. Die Menschen wollen sich einsetzen. Die Menschen wollen mitmachen, und sie sollen es auch. Sie haben es satt, daß die Politik sie wie Unmündige behandelt. Wir trauen dem Bürger mehr zu, wir setzen auf den mündigen Bürger. ({47}) Wir zeigen den Menschen Perspektiven. Die Richtung ist klar: Wir wollen unsere Zukunft sichern und unseren Kindern eine lebenswerte Umwelt hinterlassen. Dann müssen wir Ernst machen mit der ökologischen Modernisierung unserer Industriegesellschaft. Wir zeigen, wie wir durch unser eigenes Handeln eine bessere Umwelt erreichen und dadurch unseren Wohlstand insgesamt erhöhen können. Eine saubere Umwelt für uns und unsere Kinder, das ist die Aufgabe der Zukunft. Ich bin sicher, die Menschen werden das verstehen und sich dafür genauso engagieren, wie sie es bei der neuen Ostpolitik gemacht haben, wie sie es bei unserem Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit gemacht haben und bei unserem Kampf um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. ({48}) Wir brauchen eine Politik, die die Zukunftsaufgaben anpackt. Wir brauchen eine Politik, die mit dem Kampf gegen die Umweltzerstörung endlich ernst macht. Wir brauchen eine Steuerpolitik, die für mehr Gerechtigkeit sorgt und die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft stärkt. Wir brauchen eine solide Finanzpolitik, die die Staatsfinanzen in Ordnung hält. Sie, Herr Waigel, Sie sind ein Finanzminister von gestern. Die Regierung Kohl ist eine Bundesregierung von gestern. ({49}) Der Bundeskanzler hatte recht, als er über seine Partei sagte - ich zitiere -, sie sei verkrustet, sie sei verbonzt, sie sei veraltet, und sie sei verschuldet. Eine solche Partei und eine solche Bundesregierung können die Zukunft unseres Landes nicht gestalten. ({50}) Wir müssen die Zukunft für uns und unsere Kinder gewinnen. Dafür braucht unser Land eine neue Bundesregierung und eine neue Politik. ({51})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, darf ich für einen Moment um Aufmerksamkeit bitten. Wir haben besondere Gäste in unserem Hause. Ich erlaube mir, sie sehr herzlich zu begrüßen. Es ist eine Gymnasiumsklasse aus Pécs in Ungarn, aus einem deutsch-ungarischen Gymnasium. Ich wünsche Ihnen hier in der Bundesrepublik alles Gute und hoffe, daß wir in Zukunft noch viele Schüleraustausche haben werden. Vielen Dank. ({0}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Jahren hat die SPD ihre Haushaltsdebatte jeweils mit einem großen Krisengemälde begonnen. In diesem Jahr hat sie die Haushaltsdebatte mit hübsch formulierter heißer Luft begonnen. ({0}) Es war schon bemerkenswert, daß es gerade bei den Vorschlägen der Frau Kollegin zur Steuererhöhung auf seiten der SPD ruhig blieb. Es ist sicher die Aufgabe der Opposition, die Politik der Regierung und der Koalitionsfraktionen kritisch zu überprüfen und eigene, bessere Vorschläge zu machen. Wenn Sie aber Jahr für Jahr Wirtschafts- und Haushaltskrisen prognostizieren - wie in diesem Jahr in einer Pressemitteilung der Haushaltsgruppe -, Krisen, die nichts, aber auch gar nichts mehr mit der Realität zu tun haben, dann zeigt das nur Ihren eigenen beklagenswerten politischen Zustand. Ihre Meldungen vermitteln den Eindruck, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, sondern die Wirklichkeit nur noch durch Ihre ideologische Brille sehen. ({1}) Am 29. August stellt die SPD-Haushaltsgruppe in einer Pressemitteilung fest, die Schuldenpolitik der Bundesregierung gefährde die Stabilität des Preisniveaus und eine stetige Wirtschaftsentwicklung und drohe den Haushalt in eine Finanzkrise zu führen. ({2}) Am 1. September erklärte der Bundesbankpräsident: Der Exportboom stellt alles in den Schatten, was wir seit Anfang der 70er Jahre erlebt haben. Das hat es seit sehr, sehr vielen Jahren nicht mehr gegeben. ({3}) Wahrscheinlich wird jetzt die SPD die Ablösung von Herrn Pöhl fordern, vermutlich wegen fehlender fachlicher Qualifikation. ({4}) Die SPD sieht die Stabilität des Preisniveaus gefährdet, während der Bundesbankpräsident erklärt, trotz Hochkonjunktur gebe es keinen Inflationsdruck. Die Preisentwicklung sei alles andere als dramatisch. ({5}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sollten dringend unter Beteiligung von Fachleuten in einer Klausurtagung Ihre wirtschafts- und haushaltspolitischen Vorstellungen überprüfen. Entgegen allen Rotmalereien und aller Rotgrünseherei der SPD hält diese Bundesregierung Kurs. Dies zeigen auch der Etatentwurf 1990 und der Finanzplan bis 1993. Sparsame Haushaltsführung bleibt auch in Zukunft Richtschnur unseres finanzBorchert politischen Handelns. Der Wechsel an der Spitze des Finanzministeriums bedeutet keine Kurskorrektur. Das Bewährte wird fortgesetzt. Wir werden die bisher bewährte, erfolgreiche Politik auch in Zukunft, auch nach 1990, fortsetzen. ({6}) Die Zuwachsrate des Haushalts 1990 beträgt 3,4 %, 1991 3,3 % und in den Folgejahren 2,8 %. Dies ist verknüpft mit einem kontinuierlichen Abbau der Nettokreditaufnahme von 33,7 Milliarden DM auf 25,6 Milliarden DM und einem erwarteten jährlichen Wirtschaftswachstum von etwa 4 bis 4,5 %. Mit diesem Haushaltsentwurf wird sichergestellt, daß auch in den 90er Jahren die erfolgreiche Haushalts- und Finanzpolitik weitergeführt werden kann. Allerdings - lassen Sie mich das deutlich sagen -: Geringe Zuwachsraten auf der Ausgabenseite sind nicht immer populär. Die Wünsche, die an den Bundesminister der Finanzen, die an diese Bundesregierung und an die Koalitionsfraktionen herangetragen werden, übertreffen häufig bei weitem das Machbare. Ich meine, es bedarf schon erheblichen politischen Stehvermögens, diesen haushaltspolitischen Kurs seit 1982 konsequent Jahr für Jahr durchzuhalten. Sicher liegt in dieser Tatsache auch eine Ursache für manche Kritik; denn eine alte Lebenserfahrung lautet: Nein sagen ist schwerer als ja sagen. Aber ich meine, der lange Atem hat sich gelohnt: Ich möchte an die Zeiten erinnern, als Sie von der SPD die Regierungsverantwortung trugen. Von 1969 bis 1982 stiegen die Ausgaben im Durchschnitt um rund 9 %. Gleichzeitig stieg die Staatsquote von 39 % 1969 auf 50 % 1982. ({7}) Für die Steuerquote ist das Ergebnis ähnlich. Mit 25 erreichte die Steuerquote im Jahre 1977 einen einsamen Höhepunkt. ({8}) Bei den Schulden war die Entwicklung noch gravierender. Betrug der Schuldenstand 1969 45 Milliarden DM, so explodierten diese Schulden während der 70er Jahre auf sage und schreibe über 300 Milliarden DM. Sie mußten 1969 keine Lasten übernehmen; trotzdem schafften Sie es in zwölf Jahren, geordnete Finanzen in das Chaos zu stürzen. Mit anderen Worten: Unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen" war staatlicher Dirigismus stetig auf dem Vormarsch. ({9}) Die Folge war, daß die in der Sozialen Marktwirtschaft dringend benötigte Entscheidungsfreiheit und Eigeninitiative immer stärker erlahmten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber resignierten. ({10}) - Man kann Ihnen einige Tatsachen, Herr Roth, nicht häufig genug sagen, weil Sie natürlich immer wieder gern verdrängen wollen. ({11}) - Ich verstehe ja, daß Sie an die Zahlen nicht gern erinnert werden wollen. Mehr Ausgaben, Herr Kollege, das klappte bei Ihnen hervorragend. Aber an der Rücknahme staatlicher Ausgabenprogramme sind Sie gescheitert, Herr Kollege Walther. ({12}) Die damalige Bundesregierung und Sie, die SPD, sind doch mit Ihrer nachfrageorientierten Haushalts- und Steuerpolitik gescheitert. ({13}) Politisch waren Sie sich rasch einig bei der Beantwortung der Frage: Wie steuere ich einer Konjunkturschwäche entgegen? - Sie gaben mehr Geld aus. Sie waren dann aber politisch zu schwach, das Ausgabenwachstum zu bremsen, und in den nächsten Abschwung gingen Sie mit immer höheren Defiziten. 1982 kam das Aus mit 37,2 Milliarden DM Defizit im Bundeshaushalt bei 10,5 Milliarden DM Bundesbankgewinn, den Sie eingestellt hatten, trotz einer Erhöhung der Verbrauchsteuern, die noch einmal Einnahmen von 5,4 Milliarden DM brachten. Und genau an dieser Stelle trat 1982 die Wende ein. Lassen Sie mich dies an einigen Beispielen zeigen, weil man deutlicher als an der Haushaltspolitik die Wende kaum darstellen kann. Die Zuwachsrate der Ausgaben stieg im Bundesdurchschnitt von 1982 bis 1988 nur um 2 %, zu Ihrer Zeit waren es fast 9 %. Wenn wir die Haushalte 1989 und 1990 mitrechnen, so beträgt die Zuwachsrate 2,5 %. Dahinter steht aber nicht nur ein quantitativer Unterschied, hier wird auch eine unterschiedliche Qualität unserer Haushalts- und Finanzpolitik deutlich. Sie von der SPD wollten mit mehr Dirigismus, mit mehr staatlichem Einfluß auf die Wirtschaft, mit steigenden Staatsausgaben das Ziel erreichen. Wir sagen: Die für die Gesellschaft notwendigen Entscheidungen treffen letztlich die Millionen von Unternehmen und privaten Haushalten selbst am besten. Sie wollten mehr Staat; wir vertrauen der Wirtschaft und der Vernunft mündiger Bürger. ({14}) Ende 1982 betrug die Staatsquote 49,6%; heute beträgt sie rund 464)/0. Um knapp 4 Prozentpunkte konnte die Staatsquote, d. h. der Anteil der in unserer Volkswirtschaft produzierten und erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen, der durch staatliche Hände verteilt wird, reduziert werden. Dies sind Jahr für Jahr runde 70 Milliarden DM, die unmittelbar bei den Rentnern, bei den Arbeitnehmern und bei den Unternehmern verbleiben. ({15}) 11 676 Das ist praktizierte Soziale Marktwirtschaft, das ist Dezentralisierung von wirtschaftlichen Entscheidungen. Ich nenne ein drittes Beispiel. Die Steuerbelastung - ich sprach es vorhin schon an - erreichte mit 25 % 1977 den höchsten Stand der Nachkriegszeit. Mit der Steuerreform der Jahre 1986, 1988 und 1990 haben wir die Steuerquote wieder auf unter 23 % gesenkt, und sie erreicht mit 22,5 % im nächsten Jahr Werte wie zuletzt Ende der 50er Jahre. ({16}) Diese Entwicklung blieb nicht ohne Auswirkungen auf unsere Gesamtwirtschaft. Seit 1983 haben wir Jahr für Jahr reales Wirtschaftswachstum, einen Wachstumszyklus, der in seiner Länge in der Nachkriegszeit noch nie erreicht worden ist. Aus Schrumpfung zu Ihrer Zeit wurde Wachstum, aus konjunkturellem Auf und Ab angemessene, stetige wirtschaftliche Entwicklung. Die SPD-Haushaltsgruppe erklärt trotz dieser Fakten, unsere Politik würde eine stetige Wirtschaftsentwicklung gefährden. ({17}) Vor einem Jahr, Herr Kollege, haben Sie eine Wirtschaftskrise vorhergesagt. Zu der Entwicklung in diesem Jahr ein Zitat aus der Presse zu der Stellungnahme des Bundesbankpräsidenten ({18}) - das waren nicht die falschen Tasten - : Die Konjunkturpropheten waren zu kleinmütig, um über 4,5 % schätzt der Bundesbankchef die Wachstumsrate, eine Traummarke, erreicht im siebten Jahr eines ununterbrochenen Aufschwungs, der sich 1990 verlangsamen, aber nicht abbrechen dürfte. ({19}) Dies ist der Erfolg unserer stetigen, konsequenten Wirtschafts- und Haushaltspolitik. ({20}) Wir haben eine enorme Zunahme an Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Noch nie waren in der Bundesrepublik so viele Arbeitsplätze vorhanden wie heute. Nach dem Verlust von fast 700 000 Arbeitsplätzen während Ihrer Regierungszeit wurden seit dem Tiefststand 1983 bis heute annähernd 1,5 Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen, Arbeitsplätze auf Grund unternehmerischer Entscheidungen. Das bedeutet Arbeitsplätze in zukunftssicheren Branchen, z. B. in neuen Produktionsbereichen und im Dienstleistungssektor. Wir haben Preisstabilität erreicht, nachdem in den siebziger Jahren die Preise um bis zu 7 % gestiegen waren. Hohe Preissteigerungsraten sind aber die schlimmste Geißel für den Arbeitnehmer. ({21}) Er ist es, den eine rasche Geldentwertung zuerst trifft. Er hat keine zusätzlichen Ersparnisse, die er, um seinen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, einsetzen könnte. Ihn treffen Erhöhungen bei allen Preisen. Mit dieser Politik haben wir Schluß gemacht. ({22}) Betrachten wir die Realverdienste, die in den Jahren 1979 bis 1983 erheblich geschrumpft waren, so stellen wir fest, daß auch hier eine Wende eingetreten ist. Seit 1984 steigen die Realverdienste wieder deutlich an. Heute liegen Realverdienste um gut 5,5 % über dem Niveau des Jahres 1980. Auch dies ist ein Stück mehr an wirtschaftlicher Sicherheit und ein Stück mehr an Wohlstand für alle. Auch Ihre ständige Miesmacherei, meine Damen und Herren von der Opposition, kann doch diese Fakten nicht umkehren. Diese Wahrheiten bleiben wahr, auch wenn Sie es in vielen Ihrer Stellungnahmen nicht wahrhaben wollen. Sie steigern mit Ihren maßlosen Vorwürfen doch höchstens den überall erkennbaren Parteienverdruß. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wem dies am Ende am meisten nützen könnte. ({23}) Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß die Haushalts- und Finanzpolitik nicht die alleinige Ursache für diese positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik seit dem Regierungswechsel 1982 gewesen ist. Aber sie war Voraussetzung, und sie hat maßgeblichen Anteil daran. Die Bundesregierung hat den haushalts- und finanzpolitischen Kurs 1982 neu bestimmt. Sie hat das Schiff Bundesrepublik wieder in ruhige und erfolgreiche Gewässer geführt. Es konnte aber heute nicht ausbleiben, daß Sie bei der Einbringungsrede des Bundesfinanzministers natürlich die Frage nach der Neuverschuldung stellten. Auch an dieser Stelle bewundere ich eigentlich Ihren Mut. Auch wenn Sie heute in der Opposition über den Schuldenberg des Bundes lamentieren, sind und bleiben Sie die wahren Verursacher dieser hohen, zukünftige Generationen belastenden Hypothek. ({24}) - Verehrte Kollegin, ich gehe gleich darauf ein. Wer über Jahre hinweg über seine Verhältnisse gelebt hat, ist ein schlechter Ratgeber in Sachen solider Haushaltspolitik. ({25}) Ich meine, eine ganz einfache Rechnung macht deutlich, wie schwer der Bundeshaushalt auch heute an der 1982 vorgefundenen Last trägt. Ende 1982 mußte diese Bundesregierung 309 Milliarden DM an Schulden übernehmen. Allein diese 309 Milliarden DM verursachten bis einschließlich 1988 200 Milliarden DM an Zinsen. Im gleichen Zeitraum betrug die Neuverschuldung des Bundes 205 Milliarden DM. Hätten wir also 1982 einen geordneten Haushalt übernommen, so hätte der Bund seit der Wende 1982 keine neuen Schulden machen müssen. ({26}) Deutscher Bundestag - 1 i. Wahlperiode Borchert - Ich habe ja Verständnis dafür, daß Sie ungern daran erinnert werden wollen, weil damit natürlich Ihr Lamentieren unglaubwürdig wird. Wir können deshalb mit gutem Gewissen, Herr Kollege, die finanzpolitische Kompetenz und die haushaltspolitische Solidität für uns in Anspruch nehmen. ({27}) Gleichzeitig ist bei dieser Rechnung zu bedenken, daß die Neuverschuldung ja eine Saldogröße ist; ({28}) - Ich empfehle Ihnen, sie einmal nachzulesen. Ausgaben und Einnahmen werden gegenübergestellt. Ganz entscheidend für die Neuverschuldung ist also sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmenseite. ({29}) Die Hausaufgaben auf der Ausgabenseite haben wir hervorragend erledigt. Niedrige Zuwachsraten sind die erste Voraussetzung, um die Neuverschuldung in den Griff zu bekommen. Sie haben in den ersten Jahren lamentiert und vom Totsparen geredet. Heute erklären Sie, wir hätten stärker sparen müssen. Gleichzeitig haben wir jedoch - ich meine, das ist das Spezifische unserer Finanz- und Steuerpolitik - den Spielraum, den wir über geringe Ausgabenzuwachsraten erreicht haben, sowohl zur Reduzierung und Begrenzung der Neuverschuldung als auch zur Steuersenkung genutzt. Erinnern wir uns, welch enorme Steuerentlastungen diese Bundesregierung in den vergangenen Jahren beschlossen hat. ({30}) Durch die Steuerreform entstanden Steuerausfälle, die die öffentlichen Hände in den nächsten Jahren mit mehr als 50 Milliarden DM Steuermindereinnahmen belasten. Hätten wir die Steuerzahler nicht entlastet, so wäre im Bundeshaushalt Jahr für Jahr ein Überschuß entstanden. Es ist aber gerade ein Markenzeichen unseres Weges in der Haushalts- und Steuerpolitik, sowohl auf eine Reduzierung der Staatsquote als auch auf eine nachhaltige Senkung der steuerlichen Abgabenlast, verknüpft mit einer Neuordnung der steuerlichen Abgabenregelung, zu setzen. Allerdings - lassen Sie mich das ausdrücklich betonen - haben wir, anders als in den Vereinigten Staaten, in der Bundesrepublik den steuerpolitischen Wohltaten keinen Vorrang vor der Senkung der Staatsquote eingeräumt. Wir sind den umgekehrten Weg gegangen. Um der Solidität willen, also um der Nachhaltigkeit des Erfolges willen haben wir Fortschritte bei der Senkung der Staatsquote und der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zur Vorbedingung für die Initiativen auf dem Steuergebiet gemacht. ({31}) Zugegeben, diese Politik hat zu Beginn keine spektakulären beschäftigungspolitischen Erfolge gebracht. Die Faszination des frühen beschäftigungspolitischen Erfolges beispielsweise in den Vereinigten Staaten war groß. Heute zeigt sich allerdings: Dieser Erfolg wurde mit ungelösten Haushaltsproblemen erkauft. Heute zeigt sich, daß es richtig war, durch strikte Ausgabenbegrenzung die Voraussetzungen für Steuerentlastungen zu schaffen. Ich meine, diese Beharrlichkeit der deutschen Finanzpolitik hat sich gelohnt. Lesen Sie die OECD-Berichte; dort wird gerade dieser Weg gelobt. Diese Politik hat wesentlich dazu beigetragen, die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen dauerhaft zu verbessern. Für Unternehmen sind heute Realinvestitionen wieder rentierlich, und die privaten Haushalte spüren das Mehr in der Haushaltskasse. Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, da das der Eckpfeiler unserer erfolgreichen Haushalts- und Steuerpolitik ist: Über erheblich reduzierte Ausgabenzuwächse wurde der staatliche Einfluß kontinuierlich zurückgeschraubt und gleichzeitig der Spielraum gewonnen, um einmal die Steuern zu senken und zum anderen die Neuverschuldung zu begrenzen. Die Vorwürfe der SPD im Zusammenhang mit dem Haushalt 1990 und gegen die Haushalts- und Finanzpolitik entbehren jeder sachlichen Grundlage. ({32}) Diese Haushaltspolitik hat Wachstum und Beschäftigung nachhaltig gefördert. Sie hat es aber auch möglich gemacht, auf neue Herausforderungen angemessen zu reagieren. Der Bundeshaushalt konnte konsolidiert und damit stabilisiert werden. Ohne die Last von 300 Milliarden DM Altschulden wäre der Haushalt seit Jahren ausgeglichen. ({33}) Auch der Etatentwurf 1990 erfüllt mit einer Steigerung von 3,4 % bei einem erwarteten wirtschaftlichen Wachstum von 4,5 % die Bedingungen, die wir in den vergangenen Jahren an die Haushaltspolitik gestellt haben. ({34}) Mit diesem Etatentwurf wird der konsequente Sparkurs fortgesetzt. Der Haushalt 1990 ist aber kein Etat einer ausschließlich quantitativen Konsolidierung. Vielmehr sind im Haushaltsentwurf und im Finanzplan bis 1993 wichtige zusätzliche Maßnahmen zur Zukunftssicherung vorgesehen. Mit zusätzlichen Maßnahmen im Wohnungsbau, im Straßenbau, bei der Förderung von Familien mit Kindern, mit Maßnahmen zur Sicherung des Lebensstandards unserer älteren Mitbürger, mit Sondermaßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit, mit umfangreichen Hilfen für Aussiedler und mit Ausgaben zur Verbesserung der Attraktivität der Bundeswehr ist dieser Haushalt die richtige finanzpolitische Antwort auf neue und zusätzliche Anforderungen. In der mittelfristigen Prognose bleibt die Ausweitung des Ausgaberahmens deutlich hinter der Zunahme des prognostizierten gesamtwirtschaftlichen Wachstums zurück. Der Bund setzt damit Daten, die die Gewähr dafür bieten, daß die solide Finanzpolitik auch in den 90er Jahren fortgesetzt werden kann. Der Entwurf, der nunmehr in den Ausschüssen beraten wird, stellt für die CDU/CSU-Fraktion, was den Ausgaberahmen betrifft, die Obergrenze dar. Wir werden uns Bemühen, während der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß in den nächsten Wochen die eine oder andere Korrektur nach unten anzubringen. Ziel unserer Bemühungen wird es sein, die Zuwachsrate von 3,4 % zu unterschreiten. Dabei werden wir hart, aber fair verhandeln. Jede Etatposition steht dabei auf dem Prüfstand. Es darf bei der Überprüfung des Haushalts keine Tabus geben. Auf eine Gefahr möchte ich aber gleich zu Beginn dieser Haushaltsberatungen hinweisen. Die guten Wirtschaftsdaten wirken auch auf den Bundeshaushalt. Gegenüber der Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres ist aus heutiger Sicht mit Steuermehreinnahmen zu rechnen. Lassen Sie mich aber ganz deutlich sagen: Zusätzliche Steuereinnahmen können und müssen allein zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme eingesetzt werden. ({35}) Diese Steuermehreinnahmen dienen der Senkung der Neuverschuldung. Sie sind keine Finanzmasse zur Finanzierung zusätzlicher Aufgaben. ({36}) Wer im Herbst während der Beratungen zusätzliche Ausgabenwünsche an den Bundeshaushalt heranträgt, muß gleichzeitig einen soliden Finanzierungsvorschlag mitliefern. Dazu dient nicht die Einnahmenseite; dazu dient allein die Ausgabenseite. Ich richte diese Bemerkung an alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses. Es ist unsolide, nur Forderungen zu stellen. Wer Forderungen stellt, muß gleichzeitig sagen, wie die zusätzlichen Ausgaben finanziert werden sollen. ({37}) Die pauschalen Finanzierungsvorschläge des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses sind für einen Mann, der von sich selbst sagt, Haushalts- und Finanzexperte zu sein, Herr Kollege Walther, unseriös. Sie wissen sehr genau, Herr Kollege Walther, Ausgaben werden heute beschlossen und belasten die Haushalte zukünftiger Jahre. Ihre Einsparvorschläge im Verteidigungsetat in einem Umfang von bis zu 10 Milliarden DM sind lediglich unverbindliche Absichtserklärungen. Sie tragen damit nicht zur Finanzierung der Ausgaben von heute bei. ({38})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das veranlaßt den Abgeordneten Walther, eine Zwischenfrage zu stellen. Sind Sie damit einverstanden?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sicher.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Borchert, ich habe mit großer Freude und mit Erschrecken zugleich feststellen und hören müssen, daß ich angeblich Einsparungsvorschläge für den Haushalt 1990 gemacht haben soll. ({0}) - Die kommt gleich; warten Sie es ab. - Herr Kollege Borchert, da wir über den Haushalt 1990 reden, möchte ich gerne wissen, welche Finanzierungsvorschläge ich in bezug auf den Haushalt 1990 gemacht haben soll. ({1})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist es ja gerade, Herr Kollege Walther. ({0}) Ich habe ja gesagt: Ihre Finanzierungsvorschläge, in zukünftigen Haushaltsjahren Einsparungen im Verteidigungsetat in einem Umfang von bis zu 10 Milliarden DM vorzunehmen, sind nicht solide, denn Sie fordern gleichzeitig Mehrausgaben. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine Nachfrage?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sicher. Ich versuche, es dann noch einmal zu erklären.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Borchert, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es nicht undenkbar ist, daß man im Zuge der weltpolitischen Entwicklung in den nächsten zehn Jahren auch im Verteidigungshaushalt 8 bis 10 Milliarden DM einsparen kann? ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Über den Einsatz dieser eingesparten Mittel können wir im Haushaltsausschuß natürlich erst dann reden, wenn sie tatsächlich eingespart werden können. Wir können aber heute nicht im Vorgriff auf zukünftig mögliche Einsparungen ({0}) Mehrausgaben finanzieren. ({1}) Herr Kollege Walther, Sie haben diesen Finanzierungsvorschlag bei einer Diskussion über heute zu finanzierende Mehrausgaben gemacht, und dies ist unsolide. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Angesichts dessen, Herr Abgeordneter, daß wir ohnehin schon große zeitliche Probleme haben, wäre ich sehr dankbar, wenn Sie ein wenig Selbstbeschränkung übten. Aber wenn Sie darauf bestehen - Borchert ({0}): Herr Präsident, ich schlage dem Kollegen Walther vor, diese Diskussion in aller Ausführlichkeit im Haushaltsausschuß fortzusetzen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Für die nötige Öffentlichkeit werden Sie ja dann schon sorgen. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Walther, die Vorschläge, die Sie gemacht haben, stehen auf schwachen Beinen, ({0}) und ich finde, sie sind bezeichnend für die Art und Weise, wie die Opposition bei der Haushaltspolitik und bei ihrem Entwurf Fortschritt '90 sich selber reichrechnet. Mit Steuererhöhungen, Ausgabensteigerungen und unsoliden Finanzierungsvorschlägen lassen sich die Zukunftsaufgaben der nächsten Jahre nicht lösen. Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzung der Staatsverschuldung machen. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Einbringungsrede dieses Problem angesprochen. Wir werden in einem Ausführungsgesetz zum Investitionsbegriff den Investitionsbegriff definieren müssen. Dieses Gesetz muß Klarheit über den Investitionsbegriff bringen. Das Gericht rammt in seinem Urteil auch für die Zukunft Pflöcke ein, die die staatliche Kreditaufnahme nachhaltig begrenzen. ({1}) - Es unterscheidet, Frau Kollegin, wie Sie sicher gelesen haben, ({2}) den Regelfall der Kreditaufnahme im Rahmen der veranschlagten Investitionen von der Ausnahme der Abwehr zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Es legt dem Gesetzgeber die Darlegungslast auf, das Vorliegen eines Ausnahmefalles zu begründen und seine Maßnahme zu rechtfertigen. Angesichts der Unbestimmtheit und der dynamischen Komponente des Begriffs „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" sowie der begrenzten Vorhersehbarkeit wirtschaftlicher Konstellationen einer in die Weltwirtschaft verflochtenen nationalen Volkswirtschaft wird es letztlich immer einer politischen Wertung bedürfen, um den Regelfall der Kreditaufnahme bzw. die Ausnahme zu bestimmen. ({3}) Ich stelle deswegen fest: Der Regierungsentwurf 1990 ist mit der Verfassung vereinbar. Die Nettokreditaufnahme 1990 unterschreitet die Investitionsausgaben um runde 4 Milliarden DM. ({4}) Diese Differenz wäre noch größer, würden wir nicht mit der politisch gewollten dritten Stufe der Steuerreform auf rund 11 Milliarden DM Steuereinnahmen für den Bund verzichten. Dies tun wir bewußt, um das erreichte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu stabilisieren ({5}) und den stetigen Pfad des Wirtschaftswachstums in die 90er Jahre hinein zu verlängern. Dies tun wir bewußt auch aus ordnungspolitischen Gründen, um die systemimmanenten Kräfte in unserer Sozialen Marktwirtschaft zu stärken. Wer hier den Vorwurf erhebt - wie dies die SPD tut -, der Haushalt 1990 sei mit der Verfassung nicht vereinbar, der muß sagen, wie hoch er die Nettokreditaufnahme im Regelfall, d. h. bei gesamtwirtschaftlichem Gleichgewicht veranschlagt. ({6}) - Na, das ist nun nicht ausreichend. - Er muß aber gleichzeitig sagen, wie er dann die Finanzierungslücke, die entstehen wird, finanziert: ({7}) ob mit Steuererhöhungen, die Sie vorgeschlagen haben, oder mit Ausgabenkürzungen, auf die wir bei Ihnen warten. Es ist unredlich, den Vorwurf des Verfassungsbruchs zu erheben, ohne gleichzeitig zu sagen, wie die Relation zwischen Nettokreditaufnahme und Investitionen im Bundeshaushalt aussehen müßte. ({8}) Dies ist und bleibt auch in Zukunft eine politische Entscheidung. ({9}) Der Haushalt 1990 setzt den erfolgreichen Weg der vergangenen Jahre fort. Der Haushalt 1990 ist Ausdruck solider Haushalts- und Finanzpolitik. Er zeigt Augenmaß. Der Haushalt 1990 erfüllt die verfassungsrechtlichen Bedingungen, und der Haushalt 1990 und der Finanzplan bis 1993 bieten die Gewähr dafür, daß auch in den 90er Jahren der Wachstumspfad unserer Wirtschaft bei stabilen Preisen nach oben gerichtet bleibt, zusätzliche Arbeitsplätze bereitgestellt werden und gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen werden, weitere Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode vorzusehen. Vielen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rust.

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße ausdrücklich, daß es seit einigen Monaten in der Bundesrepublik Deutschland eine breite öffentliche Diskussion über ein ökologisches Steuer- und Abgabensystem gibt, mit dessen Hilfe der ökologische Umbau der industriellen Produktion in Angriff genommen werden kann. Ich begrüße, daß all diejenigen, die die Forderungen der GRÜNEN nach Ökosteuern und -abgaben noch vor vier Jahren als phantastische Tagträumereien vom Tisch wischen wollten, ({0}) nun endlich die ernsthafte Diskussion darüber beginnen, wie wir beim Galopp in die ökologische Krise dieses Wirtschaftssystems die Zügel wieder in die Hand bekommen können. ({1}) Ich begrüße, daß endlich die Einsicht Raum greift, daß sich Umweltpolitik nicht in Reparatur-Klein-Klein erschöpfen kann, sondern alle Ressorts umfassen muß, daß Umweltpolitik keine geringere Aufgabe hat, als die Wirtschaft und das Leben der Zukunft auf eine naturverträgliche Grundlage zu stellen. ({2}) Diese gesellschaftliche Bewußtseinsveränderung ist ein Erfolg der Umweltbewegung. Es ist ein Erfolg all derer, die seit Jahren oder Jahrzehnten in unendlich vielen Streitgesprächen, auf Demonstrationen, in Aktionen und in geduldiger Informationsarbeit dazu ihren Beitrag geleistet haben. ({3}) An all die möchte ich diesen Beifall jetzt weitergeben. ({4}) - In der Koalition klatscht keiner. Nun ändert sich durch viele Worte allein nichts, und so geht es heute auch darum, den Haushalt der Bundesregierung daran zu messen, welche Antwort er auf die zentrale Überlebensfrage dieser Industriegesellschaft, auf die ökologische Krise gibt. Das Ergebnis ist so erschreckend wie ernüchternd: Es findet sich nämlich keine Antwort. Keine einzige ernstzunehmende umweltpolitische Initiative haben Sie aufzuweisen, Herr Waigel. Ihr Haushalt ist die ökologische Bankrotterklärung dieser Regierung. ({5}) Das wiegt um so schwerer, als der jetzt vorgelegte Haushaltsplan der letzte dieser Legislaturperiode ist, der letzte, der von dieser Regierung noch bewirtschaftet wird, und damit möglicherweise auch der letzte dieser Koalition. In diesem Ihrem hoffentlich letzten Haushalt, Herr Waigel, dokumentieren Sie vor allem, daß die Bundesregierung auch im Haushaltsjahr '90 entschlosen ist, die Kraftprobe mit unseren Lebensgrundlagen weiterhin aussitzen zu wollen. Dieser Haushalt schreit nach einer ökologischen Alternative. Die Debatte um die ökologische Reform unseres Steuersystems ist nichts anderes als das Ringen um diese Alternative für die Zukunft. Hier formiert sich im Disput die gesellschaftliche Mehrheit für den Umbau der Industriegesellschaft, deren Ziel die politische Mehrheit der nächsten Legislaturperiode ist. Die lächerliche Antwort der Bundesregierung auf die Umweltbewegung ist und bleibt die Einsetzung eines Umweltministers, der herzlich wenig zu sagen hat. Aber solange ein Umweltminister nicht die gleichen Kompetenzen hat wie ein Bundesfinanzminister, ist dieses Ministerium nichts weiter als der schnöde Versuch, Umweltpolitik in ein Reparaturressort einzusperren. Dieser Versuch der Domestizierung der Umweltbewegung ist der Bundesregierung gründlich mißlungen. Die Antwort auf 120 Milliarden DM Umweltschäden, die pro Jahr verursacht werden, kann nicht nachträgliche Reparatur sein, ganz abgesehen davon, daß Sie noch nicht einmal das ernsthaft versuchen. Die Umweltbewegung haben Sie in Ihren Zielen nicht kleinkriegen können. Kleinkariert ist weiterhin Ihr Verständnis von Umweltpolitik, Herr Kohl und Herr Waigel. Genau dem entspricht auch die relative Zaghaftigkeit, mit der Herr Töpfer und Herr Haussmann versuchen, jetzt in der Debatte um Ökosteuern und -abgaben ebenfalls mitreden zu können, nachdem die Regierung Kohl sieben Jahre lang wirksame Umweltpolitik verhindert hat. ({6}) Die Einsicht in die Notwendigkeit des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft ist nicht mit den Parteien dieser Koalition stark geworden, sondern in der Auseinandersetzung gegen sie ist sie dabei, gesellschaftlich tragfähig zu werden. Deshalb muß jede Forderung nach der ökologischen Alternative zu diesem Haushalt auf die Ablösung der Regierung hinauslaufen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall?

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß anläßlich der Anhörung im Finanzausschuß über die von Ihnen eben so hochgepriesenen Ökosteuern der durch die Fraktion DIE GRÜNEN geUldall ladene Sachverständige, ein Professor aus Bremen, der die inzwischen zur Senatorin in Berlin ernannte Frau Schreyer vertrat, erklärt hat, daß das mit den Okosteuern alles nur sehr zurückhaltend zu beurteilen sei?

Bärbel Rust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001908, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, es ist mir bekannt, daß wir alle, wenn wir uns viel Mühe geben, zu jeder Frage beliebig viele Sachverständige finden, die jede vom Auftraggeber gewünschte Meinung vertreten. ({0}) Nur: Das Problem ist, ob Sie sich auf so etwas wie ein Verständnis davon, was Umweltpolitik überhaupt sein kann, einlassen. Ich sage überhaupt nicht, daß Okosteuern und -abgaben das einzige Instrument der Umweltpolitik sein können und sein müssen. Aber es ist doch eine hochinteressante Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Diskussion, daß in dieser Dimension heute überhaupt schon diskutiert werden kann. Das ist der Erfolg. ({1}) 60 % der Bundesbürger und -bürgerinnen befürworten laut Infas Ökosteuern und -abgaben unter Billigung von höheren Preisen für umweltschädliche Produkte. Der Deutsche Industrie- und Handelstag signalisiert Gesprächsbereitschaft, und Ernst-Heinrich Rohe, Vorstandsmitglied der Bayer AG, bezeichnet ein „Öko-Steuerrecht" gar als eine - Zitat -„Chance, zu einer vernünftigen Steuerfunktion zu kommen" und als „interessante Ergänzung zum Ordnungsrecht " . Hört, hört! Hier zeichnet sich also deutlich die Kontur eines neuen gesellschaftlichen Konsenses ab, und es wird darauf ankommen, daß die Parteien diese Chance nicht verspielen durch Abstriche an ihre jeweilige Lobby oder durch falsche Versprechungen in Form von gut klingender Wahlrhetorik. Ich begrüße ausdrücklich die Vorschläge der SPD zu Ökosteuern und -abgaben. Den Sozialdemokraten kommt das Verdienst zu, durch ihre Vorlage, in der wir grundlegende Eckwerte unserer Forderungen wiederfinden, auch die Koalitionsparteien so unter Zugzwang gesetzt zu haben, daß sie jetzt öffentlich Farbe bekennen müssen. Das will ich ausdrücklich anerkennen. Aber bei genauer Betrachtung zeigt sich: Die SPD weckt die völlig unangemessene Erwartung, der ökologische Umbau sei zum Nulltarif zu haben. Das geht aus verschiedenen Gründen nicht. Erstens. Der ökologische Umschwung braucht die ökologische Alternative. Das heißt, aus den Einnahmen der höheren Energiesteuer und Mineralölsteuer müssen die Energiewende und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs finanziert werden und nicht, wie die SPD vorschlägt, die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags und andere soziale Wohltaten. Wenn wir das Benzin verteuern, aber keine Alternative zum Auto anbieten, ({2}) werden die Leute mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter Auto fahren und die Mehrkosten an anderer Stelle einsparen. ({3}) Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Senkung der Fahrpreise sind aber nicht ohne staatliche Zuschüsse und Investitionen zu haben. Wie wollen Sie das finanzieren, Frau Kollegin Matthäus-Maier, wenn Sie die Einnahmen aus der Mineralölsteuer anderweitig verbraten? Die SPD sollte sich mit der Binsenweisheit anfreunden, daß Umweltschutz eben Geld kostet. Wer wider besseres Wissen einen Nulltarif verspricht, der ist auf Wählerfang aus und setzt aufs Spiel, daß ein neuer lebenswichtiger Konsens zur dauerhaften Erhaltung von Erde, Wasser und Luft an enttäuschten Hoffnungen wieder zerbricht oder gar nicht erst zustande kommt. In puncto Energiesteuer weisen die Vorschläge der SPD dann auch noch eine fatale Gemeinsamkeit mit den schüchternen Beiträgen aus dem Hause Töpfer auf: Die SPD will die Kohle vor dem Zugriff des Fiskus schützen. Sie können hier erzählen, was Sie wollen, Frau Matthäus-Maier: In Ihren Papieren steht nichts von der Kohle. Bei Ihnen hat sich scheinbar die Praxis eingebürgert, daß der eine dieses erzählt, der andere jenes. Deshalb haben wir es uns angewöhnt, uns auf Ihre Papiere zu beziehen. Dort steht es nicht drin. Die CDU und FDP wollen die Atomenergie ausnehmen. Das ist Lobbypolitik! Wie wollen Sie verantworten, daß Sie einerseits von Bürgerinnen und Bürgern die Einschränkung ihres Energiekonsums verlangen, während Sie andererseits vor mächtigen Pressuregroups im höflichen Kotau die umweltpolitische Kapitulation zelebrieren? Dies ist nicht der einzige Pferdefuß Ihres schlauen Plans zur Aufkommensneutralität, Frau MatthäusMaier. Wer aus Energiesteuern höhere Steuerfreibeträge finanzieren will, belastet zukünftige Haushalte mit ungedeckten Schecks. Denn: Ziel der Energiesteuer ist die Senkung des Energieverbrauchs. ({4}) - Schlauer sind wir davon auch nicht geworden. ({5}) Denn nach wie vor gilt: Wird das Ziel erreicht, ist die steuerliche Mehreinnahme weg. Wer allgemeine Steuererleichterungen dauerhaft aus Energiesteuern decken will, der muß entweder Minderverbrauch durch jeweils angepaßte Erhöhung der Energiesteuer bestrafen oder aber ankündigen, daß die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags bei sinkenden Einnahmen aus der Energiesteuer zurückgenommen wird. Beides kündigen Sie nicht an. Und beides führt das umweltpolitische Ziel der Energiesteuer ad absurdum, denn der finanzielle Anreiz zum Energiesparen löst sich in Wohlgefallen auf. Mit Ökosteuern und Abgaben muß die Umwelt und dürfen nicht auf Kosten der Umwelt die maroden Staatsfinanzen saniert werden. ({6}) Wer das nicht zum Prinzip erhebt, der begeht nicht nur eine umweltpolitische, sondern auch eine finanzpolitische Dummheit. Für soziale Härten, verursacht durch Ökosteuern und Abgaben, muß es einen Ausgleich geben, solange diese Sonderbelastungen wirken. Dieser Ausgleich kann, da zeitlich begrenzt, durchaus aus den Einnahmen der Ökosteuer finanziert werden. Aber wenn wir den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft ernsthaft anpacken wollen, müssen wir auch den Mut haben, zu sagen: Es wird Geld kosten. Aber es wird erheblich weniger kosten als unterlassener Umweltschutz. ({7}) Und wir müssen den Mut haben, zu sagen: Es wird für zusätzliche sozialpolitische Leistungen nur ein sehr begrenzter Spielraum da sein. Alles andere wäre Betrug am Wähler. Und auch den hat die Bevölkerung mit Recht satt. Wenn die umweltpolitische Opposition von heute die politische Mehrheit von morgen für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft erringen will, dann muß diese Mehrheit auf zwei Beinen fest stehen: Das eine Bein ist die bewußte Entscheidung der Mehrheit der Bevölkerung für die Priorität der Umweltpolitik. Das andere Bein ist die solide finanzpolitische Grundlage. Wenn wir die Chance eines neuen gesellschaftlichen Konsenses zur Erhaltung von Boden, Wasser und Luft nicht leichtfertig verspielen wollen, dann darf es vor allem eines nicht geben: falsche Versprechungen! ({8}) 120 Milliarden DM Umweltschäden verursacht unsere Wirtschafts- und Lebensweise pro Jahr. Veröffentlicht hat diese astronomisch anmutende Zahl Lutz Wicke, wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt und CDU-Mitglied. Allein in den sieben Jahren der Regierung Kohl sind also mehr als 800 Milliarden DM ökologischer Folgekosten aufgelaufen. Dazu kommen Umweltschäden, die sich in Mark und Pfennig überhaupt nicht ausdrücken lassen. ({9}) Doch schon diese eine Zahl zeigt: Es ist sträflich kurzsichtig, Ökonomie von Ökologie trennen zu wollen. ({10}) Zu einer ökologischen Alternative gibt es keine Alternative. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Einbringung und Lesung des Haushalts 1990 befaßt sich der Deutsche Bundestag mit einem Haushalt, der eine Reihe von Besonderheiten aufweist. ({0}) Zum ersten. Es ist die erste Kabinettsentscheidung, die auf Vorlage des neuen Bundesfinanzministers Theo Waigel getroffen worden ist. Zum zweiten. Der Haushalt betrifft das Jahr 1990, in dem eine Vielzahl von Landtagswahlen und am Ende, vermutlich Anfang Dezember, die Wahl des nächsten Deutschen Bundestags anstehen werden. Zum dritten. Der Haushalt fällt in eine Periode enormer politischer Bewegungen, insbesondere bei unseren östlichen Nachbarn, die auf uns nicht ohne Einfluß geblieben sind und auch in Zukunft Einfluß auf uns haben werden. Theo Waigel ist für seinen Haushaltsentwurf von der veröffentlichten Meinung nicht sehr gelobt worden. ({1}) Auch die heutige „Süddeutsche Zeitung" hat wieder einen äußerst kritischen Kommentar verfaßt. Meine Damen und Herren, wer die vielen Aspekte eines Haushalts sieht, der wird natürlich bemerken, daß Kritik insbesondere beim geplanten Ausgabenwachstum, das deutlich über der Konzeption früherer Finanzplanungen liegt und mit 3,4 % sicher nicht eine wünschenswerte Steigerung darstellt, begründet ist, aber nur an einzelnen Positionen. Ich werde auch die Positionen aufzeigen, die die Gesamtsituation eben doch positiv bewerten lassen. ({2}) Die Kritik betrifft auch die Nettokreditaufnahme, die mit 33,7 Milliarden DM im Moment geplant ist und die den schon vorhandenen Schuldenberg erhöhen wird. ({3}) Allerdings muß bei dieser Zahl hier in der Diskussion ehrlicherweise gesagt werden: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie niedriger ausfallen. Wir haben durch eine Beschlußlage der Koalition bezüglich des Bundesbankgewinns ja dafür gesorgt, daß der 7 Milliarden DM übersteigende Bundesbankgewinn, von dem wir heute ausgehen können, zur direkten Schuldentilgung eingesetzt wird. Rechnerisch würde er, wenn er im Haushalt voll eingesetzt würde, die Nettoneuverschuldung also absenken. Es ist immer eine gewisse Gratwanderung, ob man eine solche finanzpolitisch vernünftige Entscheidung, die absichtlich auch für eine gewisse Enge des Haushalts sorgt und für übertriebene Ausgabenwünsche ein gewisses Limit bedeutet, trifft, weil sie sich in anderen Zahlen dann negativ auswirkt. Wir haben das in Kauf genommen. Es sollte hier aber doch gesagt werden: Die Verschuldungszahl sieht besser aus als die Dr. Weng ({4}) hier ausgedruckte. Wenn wir den Bundesbankgewinn in seiner Berechnung vorliegen haben, wird sich das erweisen. Meine Damen und Herren, natürlich muß man solche Kritik akzeptieren. Besser wäre, sie wäre konstruktiv. Die Kritiker werden ganz bestimmt dadurch relativiert, daß sie keine eigenen Konzepte, die besser wären, zur Lösung dieser Probleme vorlegen. Ich sage das ganz bewußt, ich habe heute vormittag darauf geachtet: Der Finanzminister hat hier ja eine sehr eindrucksvolle Bilanz von Leistungen vorgelegt. Er hat eine ganze Reihe von Dingen aufgezählt, die wir aus diesem Haushalt für unsere Bürger leisten. Die Kollegin Matthäus-Maier hat zu diesen Leistungen nichts gesagt. Sie hat bei ihrer Kritik an der Verschuldung nicht gesagt, welche dieser Leistungen sie gar zurücknehmen bzw. verändern wolle. ({5}) Da ist sie überraschend stumm geblieben, natürlich aus gutem Grund. ({6}) Dies relativiert die Kritik. ({7}) Denn, meine Damen und Herren, Haushalt ist ja Bilanz. Wir wissen, der vorgelegte Entwurf ist natürlich die Bilanz der Entscheidungen der Koalition für die Politik des kommenden Jahres und darüber hinaus. Nicht alle dieser Entscheidungen waren vorhersehbar. Einige sehr kostenträchtige Entscheidungen auf der Ausgabenseite haben wir mit großem Widerstreben beschlossen; ich werde da noch einige Hinweise geben. Der immer wieder öffentlich geäußerte Vorwurf, meine Damen und Herren, Politiker könnten nicht mit Geld umgehen, relativiert sich in einer Demokratie auch durch das Verhalten der Öffentlichkeit. ({8}) Staatliche Einnahmen werden kritisiert, Steuern sowieso. Sie sollen so niedrig wie möglich sein; keiner zahlt gerne welche. Öffentliche Verschuldung wird kritisiert; sie soll nicht stattfinden. Aber im eigenen Bereich, im persönlichen Bereich der Bürger, auch in dem Bereich, in dem die Bürger den Schwerpunkt ihrer politischen Wünsche haben, soll nichts reduziert werden, da soll aufgestockt und erhöht werden. Das ist etwas, was sich natürlich auch hier im Haus bei den Interessen der einzelnen Kollegen widerspiegelt und was in einem Haushalt Niederschlag findet. Wir haben dies häufig genug erlebt. ({9}) - Frau Matthäus-Maier, die Entscheidung, die Sie hier einfordern, ist genau die Entscheidung, die Sie dann aufs härteste kritisieren, der Sie nicht nur nicht beitreten - das kann man noch verstehen - , sondern bei der Sie immer nur die eine Seite der Medaille aufzeigen - bei jeder Kürzung. ({10}) - Ich komme nachher noch darauf. Ich habe bei Ihrer Rede sehr gut zugehört. Ich habe mir ein paar Vermerke gemacht. Es ist gut, daß Sie wieder da sind und sich das nachher anhören können. Die Diskussion über die Strukturreform im Gesundheitswesen, meine Damen und Herren, ist doch ein Musterbeispiel solchen Verhaltens gewesen. ({11}) Das kann keine Entschuldigung sein. Ich sage aber gerade als Freidemokrat: Meine Damen und Herren, ich habe ein gewisses Verständnis für die Union, wenn sie erklärt, es könne wohl keine Aufgabenteilung derart geben, daß sozialdemokratisch geführte Regierungen Schulden machen und christdemokratische Regierungen solche Schulden wieder abbauen müssen. Wir haben gemeinsam mit der Union die wesentlichen Probleme gelöst. Diesen Erfolg lassen wir uns nicht zerreden. Ich habe von unvorhergesehenen Ausgaben gesprochen, und solche Ausgaben sind ganz wesentlich durch die Entwicklung im Osten entstanden. Meine Damen und Herren, alle politischen Kräfte in unserem Land haben immer wieder gefordert, und wir haben es auch immer gewünscht, daß es für die Menschen jenseits der Ostgrenze mehr Freiheit und mehr persönlichen Bewegungsspielraum geben sollte. Wesentliche politische, auch wesentliche Rechtsgrundlagen bei uns beinhalten, daß Deutsche uneingeschränkt zu uns kommen und angemessene Aufnahme erwarten dürfen. Solange der Eiserne Vorhang dicht war, waren solche Deklamationen bequem, und viele haben sie sich auch bequem gemacht. Jetzt kommen Menschen zu uns. Unsere Politik trägt dem Rechnung, und wir vertreten das ausdrücklich. Natürlich kann man die haushaltsmäßigen Kosten nicht ganz genau beziffern. In letzter Zeit wird erfreulicherweise in einer offeneren Diskussion auch dargestellt, daß der Zuzug insgesamt ein Gewinn für unser Land ist und insofern die Ängste vieler unserer Bürger unbegründet sind. Aber klar ist natürlich, daß dieser Zuzug, daß diese neuen Bürger zunächst erhebliche Kosten verursachen, und diese Kosten finden auch haushaltsmäßigen Niederschlag. Zur Frage, Frau Matthäus-Maier, wie man die Kosten in dieser Höhe durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle hätte einsparen können, haben Sie nichts gesagt. Klar ist natürlich, daß der Schwerpunkt auch war, in den Bereichen der Bundesländer, in denen die Finanzausstattung zur Aufgabenerfüllung offensichtlich nicht mehr ausreichte, solche zusätzliche Finanzausstattung zu schaffen. Wir haben das im vergangenen Jahr händeringend und zähneknirschend getan. Über die Zeitachse von zehn Jahren bekommen die Länder insbesondere für Investitionen rund 2,5 Milliarden DM Strukturhilfe, und diese wird fortgeschrieben. Die haushaltsmäßigen Spielräume beim Bund waren dafür, wenn man sich die Verschuldungszahl ansieht, an sich nicht gegeben. Ich habe kein Wort der Finanzsprecherin der SPD dazu gehört, wie eigentlich die Finanzverteilung zwischen dem Bund und den anderen Gebietskörperschaften weitergehen soll, ob es weiter so gehen kann, daß der Bund praktisch aus11684 Dr. Weng ({12}) blutet und sich sein Anteil am Steueraufkommen ständig weiter verringert. Hierzu sind Sie eine Antwort schuldig, Frau Matthäus-Maier. ({13}) Wir haben - das will ich beim Thema Bundesländer nicht unerwähnt lassen - die steigenden Aufwendungen im Hochschulbereich - ({14}) - Gnädige Frau, jeder hat vorhin, als Sie am Mikrofon waren, schon gesehen, daß Sie ein überaus lautstarkes Organ haben. Ich bitte aber doch, mir wenigstens die Konzentrationsfähigkeit nicht herunterzureden. ({15}) Wenn Sie Fragen haben, können Sie die ja stellen, aber nicht ständig dazwischenrufen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Weng, Ihre Aufforderung war nicht vergeblich. Die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier bittet um Gelegenheit zu einer Zwischenfrage.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis. Ich stehe selbstverständlich zur Verfügung.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Sie erstens fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß ich einmal und nicht ständig dazwischengerufen habe. Zweitens habe ich Sie nach dem Schnellen Brüter gefragt. Es ist doch Graf Lambsdorff, der sagt, das Ding ist ein toter Vogel. Warum stellen Sie ihn dann nicht ein? Ich habe Sie nach dem Jäger 90 und, weil das nicht sofort haushaltswirksam wird, nach anderen Einsparungen im Verteidigungshaushalt gefragt. Ich habe Sie nach der Zinsbesteuerung für die großen und größten Steuerhinterzieher gefragt. Sind das nicht eine Menge Vorschläge, die Geld bringen würden, und zwar schnell?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann jetzt nicht jede Ihrer zahlreichen Fragen detailliert beantworten, aber Sie wissen natürlich, daß der Jäger 90 im Rahmen der augenblicklichen rechtlichen Bindungen keine Spielräume für den Haushalt des kommenden Jahres beinhalten würde. ({0}) Sie haben die Frage nach dem Schnellen Brüter gestellt. Das, was im Moment mit dem Hochtemperaturreaktor aufgeführt wird, zeigt, daß sofortiges Einstellen haushaltsmäßig kurzfristig erhebliche Höherbelastungen bedeutet. Über die Zeitachse werden die Dinge dann wahrscheinlich billiger werden, aber nach der Entscheidung, die heute früh durch die Nachrichten ging, wird die öffentliche Hand auf jeden Fall zusätzlich leisten müssen. ({1}) Ich habe da keine Zweifel. Ich kann das jetzt nicht in der Größenordnung beziffern, aber ich bin dessen sicher, Frau Matthäus-Maier, ob direkt oder indirekt. Auch wenn die Gesellschaft ihre Gelder von den Stromzahlern holt, dann sind das ja letztlich auch die Gelder der Bürger. ({2}) Wenn hier immer so getan wird, als könne die Wirtschaft das zahlen, dann muß man auch sehen, daß das in der Konsequenz auch unsere Bürger trifft. ({3}) Ich wollte hier - das ist jetzt leider ein bißchen untergegangen - dem Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann ausdrücklich dafür danken, daß der Bund eine wesentliche Unterstützung auch in den Bereichen der Hochschulen leistet, in denen Länder ihren Aufgaben nicht genügend nachgekommen sind. ({4}) Auch das ist ein Teil von Aufwendungen aus dem Bundeshaushalt, der an sich nicht unsere Sache wäre, in dem wir aber Notwendigkeiten Rechnung tragen, weil andere politische Entscheidungsgremien ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Daß die steigende Schuldenlast auch steigende Zinslast bedeutet, daß hierdurch auch unsere eigenen Handlungsspielräume enger werden - das will ich durchaus anfügen - , ist hier schon diskutiert worden. Ich meine allerdings, daß der Hinweis der Union, sie zahle im wesentlichen Zinsen und Zinseszinsen für die Schulden früherer Regierungen, inzwischen nicht mehr trägt. Auch wenn der Vergleich etwas hinkt, meine Damen und Herren: Wer in der Wirtschaft einen verschuldeten Betrieb erwirbt, wird beim Kreditgeber mit dem Hinweis auf alte Lasten nur für beschränkte Zeit kreditwürdig sein. ({5}) - Daß hier die Falschen geklatscht haben, Herr Kollege Borchert, habe ich auch gemerkt. Damit muß man manchmal leben. Die Koalition - das ist mein Resümee aus dieser Äußerung - muß ihre Anstrengungen zur Sanierung des Haushalts zweifelsfrei verstärken. Ich sage auch mit Blick auf andere Gebietskörperschaften, die dieser Verantwortung in den letzten Jahren nicht gerecht geworden sind: Mehr als 1 000 Milliarden DM GeDr. Weng ({6}) Samtschulden der öffentlichen Hände sind nun wirklich eine schlimme Sache. ({7}) Bei einer Haushaltsdebatte darf - das ist die andere Seite der Medaille - das wirtschaftliche Umfeld nicht unberücksichtigt bleiben. Die Zahlen, die in der vergangenen Woche von der Bundesbank bestätigt worden sind, zeichnen ja ein äußerst positives Bild. Wenn Sie mir eine Anmerkung erlauben: Es ist natürlich schon ein bißchen eigenartig, wenn die Bundesbank vor den Ferien sagt, der Haushalt sei in seinem Umfang inflationstreibend - ich gebe ja zu, daß ich selbst immer sehr auf die Bundesbank gehört habe -, und die gleiche Bundesbank jetzt nach den Ferien sagt, allerdings nicht mehr der Vizepräsident, sondern der Präsident, der Haushalt sei nicht inflationstreibend. ({8}) Insofern ist zu hoffen, daß es eine gewisse Konsequenz der jetzigen Äußerung gibt und wirklich mit dem genannten Wachstum und dem genannten Blühen der Wirtschaft gerechnet werden kann. Ich sage mit großer Deutlichkeit: Wir können froh darüber sein, daß dieses Wachstum vorhanden ist; denn mit einer stagnierenden oder gar einer rückläufigen Wirtschaft die anstehenden Probleme zu bewältigen wäre praktisch unmöglich, es wäre zumindest unvorstellbar schwer. Ob es nun 4 % oder 4,5 % Wachstum ist - dieses Wachstum gibt uns die Möglichkeit, notwendige Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Einschränkung des Wohlstandes unserer Bürger zu leisten. Insoweit ist der Bundeshaushalt für 1990 volkswirtschaftlich jedenfalls vertretbar und vernünftig. Steigende Steuereingänge trotz einer inzwischen eingetretenen Nettoentlastung der Bürger von einer Steuerlast von - nach der jetzigen Beschlußlage - rund 50 Milliarden DM kennzeichnen diese positive Situation. Die sinkende Arbeitslosenzahl, vielleicht sogar noch mehr die massiv gestiegene Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze sprechen hier eine gewichtige Sprache. Meine Damen und Herren, zusätzliche Arbeitsplätze, offensichtlich im öffentlichen Interesse, das wird schon gar nicht mehr richtig realisiert. Man hält es wohl für selbstverständlich. Ich erinnere aber an die Entwicklung Anfang der 80er Jahre, die umgekehrt worden ist. ({9}) Seit 1983 insgesamt rund 1,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze, beim heutigen Stand im Jahre 1988 170 000, für 1989 prognostiziert: 250 000 und auch für 1990, nach der jetzigen Erwartung, wieder mehr als 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet hätte, wenn diese Arbeitsplätze nicht geschaffen worden wären. Zu behaupten, unsere Politik, die Politik der Koalition, hätte hieran nicht entscheidenden Anteil, müssen wir der Opposition überlassen. Diese Behauptung hält einer Überprüfung nicht stand. Dies ist unser Erfolg, unsere Leistung. ({10}) Die genannte große Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze ist, wie gesagt, ein großer Erfolg. Die Kritik der SPD trägt hier nicht. Denn die SPD hat zum Haushalt und zur Politik der Koalition - das ist trotz der Wortgewandtheit und der vorhin schon artikulierten akustischen Potenz der Sprecherin der SPD deutlich geworden - keine Alternative. ({11}) Denn großvolumige Steuererhöhungen sind kein wünschenswertes Mittel zukünftiger Politik. ({12}) - Selbstverständlich ist es gesagt worden. Es ist dann von seiten Ihrer Sprecher in der Öffentlichkeit ein wenig relativiert worden. Als man gemerkt hat, wie die Öffentlichkeit auf die Ankündigungen reagiert, hat man gesagt, insgesamt müsse es natürlich ausgeglichen sein. Aber das will ich hier nicht vertiefen. Es ist erfreulich, daß die SPD die Idee der ökologischen Marktwirtschaft aufgegriffen hat, die erstmals Anfang der 80er Jahre von der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale artikuliert worden ist. ({13}) - Es wird im Zweifelsfall jeder seine Verdienste haben. Nun lassen Sie uns die unserer jungen Freunde hier auch einmal in den Mittelpunkt stellen. ({14}) Das, was von Ihrer Seite bisher konkret dazu gesagt worden ist, ist jedenfalls dürftig. Wer sich das SPD-Papier besorgt, meine Damen und Herren, und es sich anguckt, muß sagen: Darin ist wirklich überhaupt nichts Greifbares; ({15}) das sind Absichtserklärungen. Das sollten Sie noch deutlich konkretisieren, ehe Sie versuchen, damit in Wahlkämpfe zu ziehen. ({16}) Ich bin überzeugt - und das ist auch eine Aufforderung an den Herrn Wirtschaftsminister - , daß das Wirtschaftsministerium in Fragen ökologischer Struktur der Marktwirtschaft eine führende Rolle spielen kann und spielen muß. Helmut Haussmann ist hier gefordert, das vernünftig Machbare zu artikulieren und auf den Weg zu bringen und alles andere deutlich zurückzuweisen. Frau Kollegin, Sie meinten, die FDP habe hier kein Konzept. Das sagen Sie, weil unsere Vorlage seriös ausgearbeitet wird und wir nicht sofort mit irgendwelchen Schnelläufern auf den Markt rennen. Das könnte man zwar machen, aber sehr vernünftig wäre das nicht. Sie werden zu diesen Fragen - über unsere jetzige Programmbeschlußlage hinaus, die Ihnen ja Dr. Weng ({17}) bekannt ist, die Sie seinerzeit vermutlich selber mitgestaltet haben ({18}) von uns konkrete Vorschläge zu dem Zeitpunkt hören, in dem die Öffentlichkeit damit befaßt werden muß. Meine Damen und Herren, die heutige Ausgabe der „Welt" kritisiert fehlenden Subvetionsabbau. ({19}) Mit dieser Kritik hat sie teilweise recht. Wenn man den Subventionsbericht, der in der vergangenen Woche auf den Tisch kam, ansieht, stellt man fest: Die Steuersubventionen werden zwar zurückgeführt - das ist ein Teil unserer Beschlußlage in Sachen Steuerreform - , aber bei den Finanzhilfen hat im Moment offensichtlich keine politische Kraft den Mut - ich sage das auch selbstkritisch -, hier einen Abbau konkret zu fordern oder gar durchzuführen. Wer sich diese Finanzhilfen dann allerdings wieder im einzelnen vor Augen führt, gewinnt dafür menschliches Verständnis. Und ich habe vorhin ja gesagt, daß von seiten der Opposition hier auch keine konkrete, sondern nur die allgemeine Forderung in den Raum gestellt worden ist; die ist immer wohlfeil, Frau Matthäus-Maier. Nach jahrzehntelanger Diskussion über das Thema Subventionen sage ich Ihnen: Die Diskussion über allgemeinen Subventionsabbau, ohne die Positionen konkret zu benennen, ist wohlfeil und deswegen eigentlich nicht seriös.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Weng, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich unterstelle einmal, daß mir das redezeitmäßig nicht angerechnet wird. Im übrigen wird es langsam ein bißchen viel Dialog.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weng, können Sie denn mit Blick auf Ihre Pläne zur Unternehmenssteuerreform bestätigen, daß bei Realisierung dieser Pläne die Nettokreditaufnahme in den Jahren 1993 und 1994 zwischen 70 und 80 Milliarden DM betragen würde? ({0})

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, Zahlen in den Raum zu stellen, wenn die Zahlen und ihre Berechnungsgrundlagen nicht vorliegen, ist immer relativ einfach. Daß die von uns angekündigte, politisch gewünschte Unternehmenssteuerreform ein sehr großes Volumen hat und daß die Frage der Finanzierung hier noch nicht abschließend diskutiert worden ist, gestehe ich Ihnen ohne weiteres zu. ({0}) - Frau Matthäus-Maier, wenn Sie sagen, das sei nett ausgedrückt, ehrt mich das. ({1}) Meine Damen und Herren, der Finanzminister hat heute morgen die Privatisierungserfolge der Koalition dargestellt und zu Recht gelobt. Zusätzlich wünschen wir uns von Theo Waigel eine neue Privatisierungsinitiative. Es gibt ja auch Stimmen aus dem Lager der CDU und der CSU, die dies fordern. Wir meinen, daß sowohl im Bereich der öffentlichen Beteiligungen als auch im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen der Schwung im Moment ein wenig zu sehr abgeflaut ist. Unser Appell geht an die Regierung, dieses ordnungspolitische Thema wieder deutlicher in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen, und zwar auch dann - das sage ich wiederum mit Blick auf die Finanzen - , wenn große Einnahmen für den Haushalt hier vielleicht nicht mehr zu erwarten sind. Welche Möglichkeiten hat nun die Mehrheit im Deutschen Bundestag, die handelnde, handlungsfähige und, Herr Kollege Borchert, weiter handlungsfähig bleibende Mehrheit im Haushaltsausschuß, den Haushalt zu verbessern? Verbessern bedeutet für uns ja, ihn sparsamer zu gestalten. Die großen Finanzvolumina sind durch politische Entscheidungen bestimmt, durch Gesetze festgeschrieben und insofern für uns im wesentlichen nicht veränderbar. Auch da, wo wir Veränderungen vornehmen können, werden wir natürlich nicht blindlings sparen - Sparen ist kein Selbstzweck - , sondern entsprechend dem politischen Willen der Koalition Schwerpunkte bestehen lassen und auch Schwerpunkte bei der Einsparung setzen. Der neue Obmann der CDU, der Kollege Borchert, hat ja in der vergangenen Woche zwei wichtige Schwerpunkte seiner Fraktion öffentlich genannt. Zum ersten: Auch wir sind der Meinung, daß bei der Sprachförderung, die die Bundesanstalt für Arbeit für unsere neuen Mitbürger aus dem Osten anbietet, im Moment überzogen wird. ({2}) Vieles von dem, was in der Schulstube mühsam vermittelt wird, kann am Arbeitsplatz oder im Wohnumfeld ganz automatisch zugelernt werden. Deshalb ist hier sicher eine Verkürzung der Lehrzeit und damit auch eine Einsparung von Haushaltsmitteln möglich. Über den genauen Umfang werden wir uns erst bei den detaillierten Beratungen unterhalten können. ({3}) Zum zweiten: Die FDP hat mit Sympathie die Pläne der Regierung zur Kenntnis genommen, den von unserer Seite initiierten sozialen Verbesserungen im Bereich des Verteidigungsministeriums unter dem Stichwort „Attraktivitätsprogramm" Rechnung zu tragen. Wir freuen uns darüber, daß man mit diesen Plänen unseren Vorstellungen folgt; allerdings hätten wir uns - das haben wir auch öffentlich artikuliert - gewünscht, daß dies ohne überproportionale Erhöhung des Gesamtetats des Verteidigungsministeriums möglich gewesen wäre. Jochen Borcherts Ankündigung, im Verteidigungsetat haushaltsmäßig mögliche Kürzungen durchaus vornehmen zu wollen, findet insoweit ausdrücklich unsere Unterstützung. Wenn die Parlamentarier in den Vereinigten Staaten mit dem Gramm-Rudman-Gesetz sogar ständig Dr. Weng ({4}) sinkende Verteidigungsausgaben in ihrem Etat festschreiben, sollte dies in der jetzigen sicherheitspolitischen Lage doch auch von uns mit einer gewissen finanziellen Zurückhaltung flankiert werden können. ({5}) Die Verteidigungsfähigkeit darf hierunter nicht leiden; doch in begründeter Erwartung von Verhandlungsergebnissen bei Abrüstungsgesprächen und auch bei einer veränderten politischen Großwetterlage sollte auch die Optik eines Verteidigungsetats eine gewisse Rolle spielen. Mancher Wunsch, den die Hardthöhe heute hat, wird sowieso nicht in Erfüllung gehen, und so wird man das eine oder andere auch erneut strecken und ein wenig schieben können, wie es in der Vergangenheit möglich war. ({6}) - Auf die Kollegin Unruh wollte ich, da die grüne Fraktion ihre Entscheidung noch nicht getroffen hat und ich die Dame den GRÜNEN gönne, jetzt nicht eingehen; aber bitte, wenn sie sich zu einer Frage meldet.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das veranlaßt Sie also nicht, eine Zwischenfrage zu verweigern?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich verweigere ihr diese Zwischenfrage nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Unruh, Ihnen wird damit die Möglichkeit gegeben, zu fragen.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke für die Solidarität. - Welche Überlegungen haben Sie angestellt, im Beamtenetat, im besonderen für die höheren Beamten, Einsparungsmaßnahmen zu treffen?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es sind im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf keine Pläne einer strukturellen Totalveränderung der Besoldung im öffentlichen Dienst vorhanden, wie Sie sie hier in den Raum stellen. Ich vermute, Sie wußten das schon vorher. Aber die Frage mußte wahrscheinlich mit Blick auf Ihre Klientel, der Sie immer etwas schmackhaft zu machen versuchen, gestellt werden. Sie ist damit beantwortet. ({0}) Meine Damen und Herren, voraussichtlich in dieser Woche wird der Bundeswirtschaftsminister seine Entscheidung in Sachen der Fusion Daimler-Benz und MBB treffen. Ich will hier nicht die ganze ordnungspolitische Diskussion noch einmal führen. Die Entscheidung ist auch haushaltspolitisch von großer Tragweite. Wir wissen, daß ohne den Einstieg der Firma Daimler-Benz die Subventionen für die zivile Luftfahrt auf Grund eingegangener Verpflichtungen des Bundes deutlich erhöht werden müßten. Hier wäre ich auf Seiten der SPD mit Zurufen vorsichtig, weil die gesamten Verpflichtungen üblicherweise unisono, zumindest von allen Regierungen, getragen worden sind. In der Diskussion war von diesem Subventionsabbau zuletzt leider überhaupt nicht mehr die Rede. Es war auch nicht mehr die Rede von der Wettbewerbsfähigkeit auf einem internationalen Markt. Das mußte eine größere Rolle spielen, als es das tatsächlich getan hat. ({1}) Das Bundeskartellamt hat seine Pflicht getan. Ob es gleichzeitig Aufgabe seines Präsidenten war, mit einer gewissen Selbstgefälligkeit durch die Medien zu ziehen, kann dahingestellt bleiben. Die Monopolkommission hat entschieden. Es war folgerichtig, daß der Vorsitzende abgetreten ist, nachdem er sich ohne Kenntnis der Aktenlage und ohne sein Gremium zu hören, öffentlich vorab festgelegt hatte. Ich kann heute nur vermuten, wie Helmut Haussmann entscheiden wird. Ich glaube, die Entscheidung liegt noch in dieser Woche an. Wenn es aber gelingt - das sage ich hier in aller Deutlichkeit - , Aspekte der Mittelstandsförderung mit der Entscheidung zu verbinden, wenn es gelingt, entsprechend dem Wunsch der Monopolkommission Entflechtung in monopolisierten Wirtschaftsbereichen zu erreichen, ist das Gesamtergebnis in jedem Fall vertretbar. Haushaltsmäßig ist es ausdrücklich wünschenswert. Das ist ja bekannt. Ich kann mich hier nicht enthalten, erneut darauf hinzuweisen, daß die SPD in dieser Frage mit doppelter Zunge spricht. Überall da, wo sie das Projekt hätte bremsen können, hat sie es gefördert. Da, wo sie Öffentlichkeit hatte, ist sie verbal dagegen Sturm gelaufen. Es ist schon eine ganz lustige Konsequenz, daß im Moment die vertraglichen Dinge - unabhängig von der genannten Entscheidung des Wirtschaftsministers - noch nicht abgeschlossen sind, weil ausgerechnet das SPD-geführte Land Hamburg weitere Wünsche an die Firma Daimler-Benz hat, über die Beschlußfassung des Haushaltsausschusses hinaus. Wir im Haushaltsausschuß haben die Freigabe der Bundesmittel an die Forderung nach einer GmbH-Lösung und damit einer vernünftigen industriellen Führerschaft geknüpft. Wir wollen nicht, daß durch eine AG-Lösung die einzelnen Bundesländer blockieren können. Ein weiterer Bereich im Haushaltsentwurf, der hier Erwähnung finden muß, liegt in der Aufstockung der Mittel für den Straßenbau. Das hat auch eine hohe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden. In Kenntnis ständig wachsender Notwendigkeiten insbesondere im ökologischen Bereich halten wir diese Steigerung für vertretbar. ({2}) Bei Ortsumfahrungen, die die Menschen vor der Verkehrslast verschonen sollen, müssen auch aus Gründen der Schonung der Natur mehr und mehr teure Tunnelbauten erstellt werden. Der Abbau von Unfallschwerpunkten bleibt wichtige und sehr teure Angelegenheit. Denken Sie an unbeschrankte Bahnübergänge , schlecht ausgebaute Straßeneinmündungen und ähnliches. Bei den großen Verkehrstrassen 11688 Dr. Weng ({3}) auch das zu Ihrem Einwurf: Was ist ökologisch? - wird schon heute zusätzlicher Lärmschutz gebaut. Er ist bei vielen alten Trassen dringend erforderlich und wird Zug um Zug installiert. Wenn die vorhandene Straßenkapazität den Verkehr künftiger Jahre möglichst umweltschonend bewältigen soll, dann werden immer mehr Leitsysteme unter dem Stichwort „intelligente Straße" erforderlich werden. ({4}) Das es sowieso zu einer internen Umschichtung von Neubau auf Erhalt und Wiederherstellung und Reparatur kommt, ist zwangsläufig. Es ist auch so gewollt. Irgendwann wird diese Umschichtung 100 % der Mittel für den Straßenbau erreichen. Die Mittel werden dann nur noch für Reparatur und Wiederherstellung ausgegeben. Der Verkehrsminister hat sich - das beantwortet Ihren Zwischenruf, Frau Kollegin - beim Geldbeschaffen bei seinem Parteifreund Waigel gut durchgesetzt. Diese Durchsetzungskraft wünschen wir ihm auch für eine kräftige Unterstützung der Deutschen Bundesbahn und für zukünftige Verkehrskonzepte, die Schiene und Straße bestmöglich verbinden. Das Stichwort heißt hier: kombinierter Ladungsverkehr. Die Bürger müssen vor Belästigung insbesondere durch den Schwerlastverkehr zunehmend geschützt werden. Und die Bahn kann und muß hierbei einen größeren Beitrag leisten. ({5}) Ein kurzes Wort zur Magnetschwebebahn Transrapid: Wenn die Technologie tatsächlich funktioniert, verschließen wir uns dem Bau einer Referenzstrecke nicht. Im Gegenteil, wir haben ihn ausdrücklich gewünscht und gefordert. Allerdings: Schon eine solche Referenzstrecke muß vernünftig strukturiert sein und sich in ein künftig mögliches Gesamtkonzept einpassen lassen. ({6}) Also nur einfach damit so ein Ding dasteht, einen Riesenaufwand treiben, wird nicht möglich sein. Wir werden das, was uns hier alle möglichen Institutionen vorlegen, sehr sorgfältig prüfen. Und zugestimmt wird sicher nur an einer Stelle, wo das vertretbar ist im Sinne einer Referenzstrecke und künftiger Verwendbarkeit. ({7}) Meine Damen und Herren, nach der Debatte dieser Woche werden wir Haushälter in die detaillierte Einzelberatung des Entwurfs gehen. Die Berichterstatter werden in den Ministerien wie gewohnt Position um Position abklopfen. Und der Haushaltsausschuß unter seiner bewährten Leitung wird in gewohnt konzentrierter und sachlicher Debatte die Ergebnisse bewerten, dann verabschieden und dem Deutschen Bundestag wieder vorlegen. Auf der Basis der dann neuesten Schätzansätze für zahlreiche Ausgaben - Sie wissen, daß hier auf der Basis von Schätzansätzen gearbeitet werden muß, weil eine genaue Voraussage nicht möglich ist - und auf der Basis der neuesten Steuerschätzungen werden wir dann abschließend beraten, nicht ohne alle zu diesem Zeitpunkt eintretenden Risiken zu bewerten. Das können Positiv- oder Negativergebnisse sein. Vielleicht kriegen wir noch Spielräume, weil weniger Risiken eintreten. Das hoffen wir Haushälter natürlich. Vielleicht wird es auch anders. Dann müssen wir auch dem Rechnung tragen. Wir wollen - ich sage das in großer Deutlichkeit - in diesem Jahr, wenn irgend möglich, auf globale Kürzungen in letzter Minute verzichten; denn wir wollen natürlich als Koalition und wir wollen als FDP einen bestmöglichen Haushalt auch im Sinne der Transparenz und Durchsichtigkeit vor unseren Bürgern vertreten - dieses um so mehr, weil es der Haushalt eines Wahljahres ist. Wir treten da erhobenen Hauptes an. Denn wir sind mit dem, was die Koalition im Sinne ordnungsgemäßer Finanz- und Haushaltspolitik seither vorgelegt hat, entschlossen, solche Konzepte weiterzuführen. Wir sind entschlossen, auch den Haushalt 1991 noch im nächsten Jahr zu entscheiden, bevor sich der Deutsche Bundestag dann den Wählern stellt. ({8}) Ich bin sicher, meine Damen und Herren, daß, auch bei einiger berechtigter Kritik, die Grundzüge und vor allem der Erfolg unserer Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik bei den Bürgern positiv aufgenommen werden und wir mit Zustimmung rechnen dürfen. Der haushaltspolitische Kurs der Koalition, den die FDP-Fraktion konstruktiv mitgestaltet, wird fortgesetzt. Vielen Dank. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek ({0}).

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir feiern in diesem Jahr das 40jährige Bestehen der Bundesrepublik. Vor 40 Jahren haben wir buchstäblich aus dem Nichts angefangen. Wir haben die existentielle Not der Stunde Null durch eine große gemeinsame Anstrengung überwunden. Jeder wußte damals, um was es ging, jeder hat angepackt, und alle zusammen haben es geschafft. Heute, an der Schwelle der 90er Jahre, stehen wir wieder vor einer einschneidenden Zäsur. Die globale Umweltkrise, die akute Gefährdung unserer Lebensgrundlagen, zwingt uns, unsere Lebensgewohnheiten kritisch zu überdenken. Nur wenn wir unsere industrielle Wohlstandsgesellschaft, auf die wir Älteren stolz sind und die die Jüngeren als selbstverständlich ansehen, grundlegend umbauen, können wir die ökologische Katastrophe noch verhindern. Das, meine Damen und Herren, ist die große Aufgabe der 90er Jahre. Wir wissen, worum es geht. Wir müssen die Herausforderung jetzt annehmen, auch in der Finanzpolitik. Der Haushalt 1990 muß der Beginn eines Haushaltes gegen den Umwelttod werden. Ihr erster Haushalt, Herr Waigel, gibt auf die Umweltkrise keine Antwort. ({0}) Wieczorek ({1}) Sie reparieren mit erkennbarem Desinteresse und ohne Konzept an den immer noch ungelösten Problemen der 80er Jahre herum. ({2}) 27 Milliarden DM geben Sie an Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit aus, ohne daß dadurch ein einziger Arbeitsloser in Lohn und Brot kommt. ({3}) Seit 1983 sind ständig zwei Millionen Menschen in unserem reichen Land arbeitslos. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen nimmt trotz gut laufender Konjunktur immer weiter zu. Viele rutschen mit ihren Familien ins soziale Abseits. Für die Kinder dieser Familien wird es Chancengleichheit nie geben. Die neue Wohnungsnot in den Städten ist durch die jahrelange Demontage des sozialen Wohnungsbaus unter Minister Stoltenberg vorprogrammiert worden. ({4}) Von 1983 bis 1988 wurden die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 80 % gekürzt, und zwar aus ideologischen Gründen, ({5}) und natürlich um die überzogene Steuerreform zu finanzieren. Jetzt müssen Sie unter dem Druck der öffentlichen Meinung Hals über Kopf neue Sonderprogramme auflegen und belasten damit die öffentlichen Haushalte auf Jahre hinaus. Auch die Integrationsprobleme der Aus- und Übersiedler sind durch die unseriöse Kürzungspolitik dieser Bundesregierung verschärft worden. Obwohl die Zahl der Aus- und Übersiedler von 1983 bis 1988 verfünffacht wurde, wurden die Leistungen aus dem Bundeshaushalt von 1,7 auf 1,3 Milliarden DM zusammengestrichen. Heute herrscht vielerorts bei der Unterbringung das blanke Chaos unter menschenunwürdigen Umständen und wachsender Unmut der Bevölkerung. Die Hochschulkrise geht auf die gleiche Ursache zurück. Jahrelang wurden die Studentenzahlen systematisch nach unten geschätzt, um auch hier Mittel für die Finanzierung von Steuergeschenken, Subventionen und unsinnigen Großvorhaben freizumachen. ({6}) - Auch das waren ideologische Gründe, das muß ich deutlich betonen. Jahr für Jahr wird immer mehr Geld für eine verfehlte Agrarpolitik ausgegeben, die immer mehr bäuerliche Familienbetriebe unter dem Druck staatlich geförderter Massenproduktion zum Aufgeben zwingt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern, Herr Gattermann.

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, glauben Sie das eigentlich selbst, was Sie gerade gesagt haben? ({0})

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Frage gibt hervorragenden Einblick in Ihr Seelenleben, Herr Kollege. Aber lassen Sie mich zu dem eigentlichen Thema zurückkommen. Ich war über Ihren Gedanken ja schon hinweg. Ich darf noch einmal wiederholen: Wir geben zwei Milliarden DM jährlich dafür aus - das müssen unsere Steuerzahler aufbringen -, daß wir sinnlos gehortete Überschüsse aus der Agrarproduktion vergammeln lassen. Das müssen wir uns nur einmal überlegen. Das ist genau der Beitrag, Herr Kollege Borchert, der in diesem Jahr bei Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit gestrichen wurde. Auch darüber muß man sich einmal Gedanken machen. Meine Damen und Herren, wo bleibt eigentlich das Konzept der Regierung für den Kohlebergbau? Erst wurde dem Bundesminister Haussmann die Zuständigkeit entzogen, und nun wird durch Einsetzung einer neuen Kommission wieder auf Zeit gespielt; man will wohl über einige Wahldaten hinwegkommen. Der krasse Widerspruch zwischen dieser Bestandsaufnahme und den pharisäerhaften Erfolgsbilanzen der Bundesregierung könnte nicht größer sein. ({0}) An der Schwelle der 90er Jahre stehen wir vor der absurden Situation, daß das reiche Land Bundesrepublik trotz denkbar guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen immer noch mit den Strukturproblemen der 80er Jahre ringt. ({1}) Stellen wir uns doch einmal vor, der seit über sieben Jahren anhaltende Wirtschaftsaufschwung wäre genutzt worden, um die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Aufgaben anzupacken und zu bewältigen! ({2}) Wir müßten dann nicht Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge für alte Rechnungen ausgeben, der Bundeshaushalt wäre für die nächsten Jahre fit, ({3}) und wir könnten uns nach vorn orientieren. Statt dessen sind die Probleme unerledigt liegengeblieben, und der Bundeshaushalt 1990 ist in Wirklichkeit in schlimmer Unordnung. ({4}) Es wird hier eindeutig die Krise Ihrer Finanzpolitik deutlich, und ich werde es Ihnen beweisen. ({5}) Es ist nämlich die Krise einer Bundesregierung, die jahrelang wie Don Quichotte gegen Windmühlenflü11690 Wieczorek ({6}) gel angerannt ist. Ihre Windmühlen, meine Damen und Herren von der Koalition, sind abstrakte Quoten- und Wachstumsziele, auf die Sie buchhalterisch starren und dabei die Realitäten aus den Augen verlieren. Es ist die Krise einer Politik, die sich für überzogene Steuersenkungen, verfehlte Subventionen und unsinnige Großprojekte bis über beide Ohren verschuldet und den Bundeshaushalt ohne Not geplündert hat. ({7}) Heute sind die Kassen leer, und in einem Boomjahr muß eine Bundesregierung 34 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen, um ihre Aufgaben überhaupt finanzieren zu können. ({8}) - Das ist eine Bankrotterklärung, Herr Kollege Borchert; da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Sie nehmen mit dieser überhöhten Neuverschuldung weder auf die Konjunktur noch auf die steigende Schuldenlast im nächsten Haushalt Rücksicht. Die Zinslast im Bundeshaushalt, die 1982 bei 22 Milliarden DM lag, liegt heute bei 32 Milliarden DM - Herr Kollege Borchert, das nur, weil Sie den absurden Vergleich in der Schuldenbilanz gemacht haben - , und sie wird bis 1993 auf 41 Milliarden DM steigen. Dann muß allein für die Zinsen auf bestehende Schulden weit mehr ausgegeben werden als für die Bereiche Umwelt, Jugend, Familie, Frauen, Gesundheit, Wohnungsbau, Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Das sind alles Einzelpläne, die in ihrer Summe geringer sind als der Einzelplan Zinslasten. ({9}) Sehen Sie wirklich nach vorne, und sehen Sie die Probleme so, wie sie sind. Wenn wir diese absurde Entwicklung nicht stoppen, wenn wir nicht alle Anstrengungen darauf richten, das Wachstum des Schuldenbergs und der Zinslast zu begrenzen, dann droht unausweichlich das Aus für eine gestaltende Haushaltspolitik; dann fehlen auf Jahre hinaus die Mittel, die wir für neue Aufgaben dringend brauchen. ({10}) Die nach uns kommenden Generationen werden durch die hohe Schuldenlast in unverantwortlicher Weise doppelt belastet. Sie haben nicht nur die Schulden, sondern zusätzlich noch die Probleme, die wegen zu hoher Zinsausgaben finanziell nicht mehr bewältigt werden konnten. Sie betreiben in Wahrheit eine Finanzpolitik unter dem Motto: Nach mir die Sintflut. Es schert Sie nicht, daß sich Ihre Versprechen und Arbeitshypothesen, unter denen Sie 1982 angetreten sind, längst als falsch herausgestellt haben. Sie bleiben stereotyp bei Ihrem „Weiter so". Sie nehmen die tiefe Glaubwürdigkeitskrise Ihrer Politik einfach nicht zur Kenntnis. Sie tun so, als sei der öffentliche Widerstand gegen Ihre Politik, der Sie in immer kürzeren Abständen zwingt, gerade getroffene Entscheidungen wieder umzuwerfen, das Machwerk böswilliger Journalisten. Es ist diese Arroganz der Macht, die viele Menschen in die Arme von politischen Marktschreiern und Hasardeuren mit scheinbar einfachen Rezepten treibt. Ich rate Ihnen und uns allen dringend: Lassen Sie uns eine ehrliche Politik machen; lassen Sie uns Fehler eingestehen, die begangen worden sind. Herr Kohl, hören Sie auf, jedes Jahr mehr Steuergelder für sinnlose Propaganda zu verschwenden, durch die Ihre Politik nicht besser wird. ({11}) Eine gute Politik spricht doch für sich selbst und braucht keinen hochdotierten Informationsminister. Meine Damen und Herren, Probleme muß man erkennen und benennen. Regieren und Verantwortung tragen, heißt für mich vor allem, daß man vorausdenkt ({12}) und die erkannten Probleme anpackt. Im Gegensatz zur Bundesregierung hat sich die SPD mit den vor uns liegenden Problemen der neunziger Jahre intensiv auseinandergesetzt. ({13}) Erstmals seit Menschengedenken sind unsere natürlichen Lebensgrundlagen ernsthaft bedroht. Täglich wird diese existentielle Bedrohung sichtbarer. Sie kann längst nicht mehr als Horrorvision von ÖkoFreaks abgetan werden. Wir müssen sie als hinreichend gesicherte Erkenntnisse zur Grundlage unseres politischen Handelns machen. Wir alle haben uns jahrelang des gedankenlosen Raubbaus an der Natur schuldig gemacht, und wir haben die frühen Warnungen beispielsweise des Club of Rome, die sich nun bewahrheiten, zu lange überhört. Wir haben die Natur geplündert, ohne uns über die Endlichkeit der Ressourcen dieser Erde Gedanken zu machen. Allein in der Bundesrepublik richten wir jährlich Umweltschäden in einer Größenordnung von über 100 Milliarden DM an. Auch das sind Schulden, die wir unseren Kindern hinterlassen. Der Begriff vom ökologischen Umbau der Industriegesellschaft darf deswegen nicht ein Modewort sein, das wir in unsere Parteiprogramme schreiben. Wenn wir die Umweltkrise wirklich angehen wollen, dann müssen wir die Ursachen beim Namen nennen und konkret bei den Ursachen ansetzen. Einen anderen Weg gibt es dazu nicht. Die Ursachen der Umweltkrise liegen vor allem im verschwenderischen Umgang mit Energie und im Straßenverkehr mit seinen hohen Schadstoffemissionen. Sie liegen in den Abfallbergen, die unsere Wohlstandsgesellschaft produziert, und in der hohen Zahl von Umweltgiften, die tagtäglich in Industrie und Landwirtschaft freigesetzt und ausgebracht werden. Sie liegen letztlich in unserem Denken und in unserem Lebensstil begründet, der Wohlstand nur in materiellen Gütereinheiten und Bequemlichkeiten mißt. Hier müssen wir ansetzen, wenn es gelingen soll, unser Leben und Produzieren umweltverträglicher zu gestalten. ({14}) Wieczorek ({15}) Ich zitiere gern Kurt Biedenkopf, der vor einem Jahr in einem Vortrag die Aufgaben klar benannt hat. Ich will das wiederholen. Er hat gesagt: „Wir müssen unserer gesellschaftlichen Ordnung neben der wirtschaftlichen und sozialen eine ökologische Dimension hinzufügen. Wir müssen uns von unserem rein quantitativen Wachstumsdenken lösen und die Umweltqualität als einen Wohlstandsfaktor mit berücksichtigen." ({16}) Richtig hat er das formuliert und treffend dargestellt. Wir müssen in vielen Bereichen unseres menschlichen Zusammenlebens umdenken und uns umweltverträgliche Verhaltensweisen angewöhnen. ({17}) Daran gemessen, meine Damen und Herren, die Sie mir jetzt so zustimmen, ist der Haushalt 1990 ein schwerer umweltpolitischer Rückschritt. Das medienwirksame Bekenntnis des Bundeskanzlers zum Umweltschutz auf dem Pariser Weltwirtschaftsgipfel war ein reines Lippenbekenntnis. Die Umweltkrise findet in Ihrem Haushalt, Herr Waigel, einfach nicht statt. Was tun Sie denn gegen die beginnende Klimakatastrophe und das Ozonloch? Was tun Sie gegen die Folgen der einseitig auf das Auto ausgerichteten Verkehrspolitik, unter denen wir alle in unseren Städten täglich zu leiden haben? Was tun Sie eigentlich gegen die Giftwelle in Trinkwasser und Nahrung und gegen das fortschreitende Sterben des Waldes und das Verkommen der Nordsee? Was tun Sie gegen die Müllflut, in der unsere Städte und Gemeinden ersticken? Sie führen die Menschen, die hiernach fragen, einfach hinters Licht. Sie haben keine ehrlichen Antworten. Von den 2,6 Milliarden DM, die im Haushaltsentwurf an Umweltschutzausgaben ausgewiesen sind, entfallen über 850 Millionen DM auf die Atomenergie: ({18}) vom Nachteilsausgleich für Wackersdorf bis zu durchlaufenden Mitteln für die Endlagerung bei Gorleben. Ist das ehrliche Politik, Herr Waigel? ({19}) Die Ausgaben für die Endlagerprojekte für Atommüll, die bisher beim Bundeswirtschaftsminister veranschlagt waren, werden ab 1990 im Haushalt des Bundesumweltministers ausgewiesen und werden dadurch über Nacht zu einer Ausgabe für den Umweltschutz. Ab 1. Januar 1990 steigt also der Umweltanteil um 330 Millionen DM. ({20}) Sie haben etwas verschoben, was Sie immer schon im Haushalt gehabt haben. ({21}) 1990 wird der Umweltminister, Herr Töpfer, mehr Geld für die Atomenergie und ihre Folgekosten ausgeben als für alle anderen Umweltbereiche zusammen, angefangen von der Luft- und Wasserreinhaltung bis zur Abfallbeseitigung und Lärmbekämpfung. Das sind die Tatsachen. Da frage ich Sie: Wo bleibt die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik? ({22}) Mit billigen Zahlentricks, sozusagen zum Nulltarif, ist Umweltschutz nicht zu haben. Umweltschutz kostet Geld. Da stimme ich Frau Rust ausdrücklich zu. Was in Ihrem Haushalt am meisten fehlt, Herr Waigel, sind vernünftige ökologische Weichenstellungen in der Umweltpolitik, in der Energiepolitik, in der Verkehrspolitik und in der Steuerpolitik. Die Mittel dafür sind doch da. Im Haushalt 1990 werden 2,1 Milliarden DM für die Kernforschung ausgegeben, u. a. für den Schnellen Brüter, den niemand will, und für den konkursreifen Hochtemperaturreaktor. ({23}) Für die Erforschung regenerativer Energien und der rationellen Energieverwendung werden nur 255 Millionen DM bereitgestellt. Ein Mißverhältnis von 8: 1. Warum schichten wir nicht einen Teil der Mittel von der Kernforschung auf die Alternativenergien um, um damit unsere Energieversorgung umweltfreundlicher, sparsamer und für alle billiger zu machen? ({24}) 6,5 Milliarden DM sollen im nächsten Jahr in neue Straßen investiert werden - den Unterhaltungsaufwand rechne ich gar nicht erst mit - , aber nur 1,3 Milliarden DM in den öffentlichen Personennahverkehr. Warum schichten wir nicht einen Teil der Mittel um? ({25}) - Von mir aus auch eine Umschichtung zugunsten vernünftiger Radfahrwege. Herr Kollege Borchert, auch das wäre eine Möglichkeit, hier gestaltend einzugreifen. Das wäre auch eine Möglichkeit, unsere Städte vor dem Verkehrsinfarkt zu bewahren und letztlich die Gemeindeetats zu entlasten. Jede Straße zieht Verkehr an und produziert Verkehr. Aber gehen wir weiter. Um 24 Milliarden DM sollen im nächsten Jahr die Steuern gesenkt werden. Hier, meine Damen und Herren, wird das Bekenntnis der Bundesregierung zum Umweltschutz endgültig zur Farce. Im Rahmen der Steuerreform 1990 ist vorgesehen, die beiden ökologischen Hauptelemente im Steuerrecht, die Förderung von Energieeinsparinvestitionen und von bestimmten Umweltschutzinvestitionen, 1990 und 1991 abzuschaffen, ({26}) nämlich um die Senkung des Spitzensteuersatzes zu finanzieren. Den Steuerausfall von 1,1 Milliarden DM durch die Senkung des Spitzensteuersatzes holen Sie, Herr Waigel, sich zurück, indem Sie die steuerliche Förderung des Umweltschutzes in gleicher Höhe ersatzlos abschaffen. ({27}) Wieczorek ({28}) Die Wohlhabenden werden reicher, und die Umwelt wird ärmer. So ist das mit dem Bekenntnis der Bundesregierung zum Umweltschutz. ({29}) Während Sie lavieren und mit gefälschten Erfolgsbilanzen die Öffentlichkeit täuschen, hat die SPD intensiv an den Konzepten für einen ökologischen Umbau unserer Gesellschaft gearbeitet, die den Wohlstand sichern und gleichzeitig unsere natürliche Umwelt schützen. Im Mittelpunkt steht die ökologische Umgestaltung des Steuersystems, die Frau Matthäus-Maier soeben in aller Breite dargestellt hat. Wer den Umweltschutz schädigt - ich will es nur schlagwortartig zusammenfassen - , muß künftig mehr Steuern und Abgaben zahlen. Wer sich umweltgerecht verhält, zahlt weniger. Die bestehende Steuerlast wird also nicht erhöht, sondern zugunsten der Umwelt gerechter verteilt. Dort, wo wir bestehende und bewährte Abgaben ausbauen und neue Abgaben auf umweltbelastende Produkte und Verfahren erheben, garantieren wir, daß jede Mark, die Bürger und Wirtschaft zahlen, wieder für den Umweltschutz ausgegeben wird. Wir wollen nicht den Staatssäckel füllen, sondern konzentriert die Umweltprobleme angehen. ({30}) Die 90er Jahre sind die entscheidenden Jahre für die Rettung der Umwelt. Gefordert ist eine Politik mit Phantasie und langem Atem, denn das Umsteuern dauert Jahre. Eine konservative Politik, die von Selbstgerechtigkeit, Kleinmut und Einfallslosigkeit geprägt ist, wird diese Herausforderung nicht bewältigen. Umweltschutz muß genauso wenig an knappen Kassen scheitern wie die Bewältigung der Probleme der 80er Jahre. Die SPD-Fraktion wird bei den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge zur Lösung der Wohnungsnot, der Hochschulkrise, zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und zum Umweltschutz machen, die sich solide finanzieren lassen und die Neuverschuldung des Bundes nicht erhöhen. Es gibt genügend Möglichkeiten, Geld aus falschen Verwendungen herauszuziehen und für die richtigen Dinge einzusetzen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({31})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Wieczorek, wir kennen uns nun schon lange, und Sie wissen, daß ich Sie auf Grund vieler persönlicher Gespräche sehr schätze. ({0}) Sie sind auch Vorstandsmitglied eines angesehenen Unternehmens. Mir ist es ein Rätsel, wie Sie vor Ihrem beruflichen Erfahrungshintergrund so reden können, wie Sie es soeben getan haben. ({1}) Herr Kollege Wieczorek, Sie wissen doch selber, wie es in der deutschen Wirtschaft aussieht. Wenn Sie hier aufzeigen, wir befänden uns hier in einer Massenarbeitslosigkeit, dann glaubt Ihnen das doch kein Mensch in Deutschland mehr. In weiten Teilen der Bundesrepublik haben wir Vollbeschäftigung, ja, inzwischen Überbeschäftigung, weil Facharbeiter fehlen. Seriöse Institute haben ermittelt, daß 900 000 Arbeitsplätze überhaupt nicht mehr dem Arbeitsamt gemeldet worden sind, weil man sich von dort keine Hilfe mehr verspricht. Wir haben also - Herr Wieczorek, das werden Sie nicht bestreiten wollen - keine Massenarbeitslosigkeit. Wir haben in weiten Teilen Deutschlands Vollbeschäftigung. ({2}) Wenn Sie uns, Herr Kollege Wiecorek, hier nun vorwerfen, wir konservierten die alten Strukturen, dann erinnere ich Sie an die Situation im Ruhrgebiet oder im Saarland. ({3}) Sie wissen ganz genau, welche Anforderungen mit Ihrer Hilfe von dort auf uns zukommen, um alte Strukturen zu konservieren. Sie wissen als Mann der Wirtschaft genau, daß wir trotz der teuren Steinkohle nur dann auf dem Energiesektor konkurrenzfähig sind, wenn wir eine Mischung mit Kernernergie betreiben. Aber genau der Kernenergie zieht Ihre Partei, wo immer es geht, den Boden weg. ({4}) Herr Kollege Wieczorek, Sie werfen uns vor, wir täten nicht genug für alternative Energien. Wir tun in finanzieller Hinsicht mehr als jedes andere Land für alternative Energien. ({5}) Aber es braucht seine Zeit. Es geht darum: Wie können wir Sonnenenergie, wie können wir Wasserenergie, wie können wir Windenergie verstärkt und industriell nutzen? Das braucht Zeit. Das ist nicht nur eine Kapitalfrage. ({6}) An Geld fehlt es nicht. Da haben wir eine Menge hineingesteckt. Sie sollten hier keinen falschen Eindruck erwecken. ({7}) Wenn Sie, Herr Kollege Wieczorek, hier in bester Fernsehzeit nochmals aufgezeigt haben, wir betrieben in finanzieller Hinsicht eine Mißwirtschaft, dann möchte ich für unsere Fernsehzuschauer feststellen: Wir haben in unserer Zeit etwa 200 Milliarden DM Schulden gemacht. Das ist in etwa der Betrag, den wir an Zinsen für Ihre Schulden gezahlt haben. ({8}) Ich möchte ein zweites feststellen, meine Damen und Herren auch draußen im Lande: Schulden muß man immer in Relation zum Vermögen und in Relation zum Einkommen sehen. ({9}) Was wir alle miteinander in Deutschland produzieren ist das Bruttosozialprodukt. ({10}) Bezogen darauf haben zu Ihrer Zeit, 1981, alle öffentlichen Hände in Deutschland 4,9 % Schulden gemacht. Heute sind es noch 2,4 % - die Hälfte! Da sehen Sie, wie wir in der Konsolidierung vorangekommen sind. Was Sie hier aufgezeigt haben, ist ein Horrorgemälde, ({11}) und ich wage zu behaupten, daß es auch nicht Ihrer inneren Einstellung entspricht, lieber Helmut Wieczorek. ({12}) Es ist auch wieder der Eindruck erweckt worden, als täten wir nichts für die Umweltpolitik. ({13}) Auch das braucht seine Zeit. Ich erinnere Sie an die Diskussion um den Katalysator. Wie lange haben Sie darüber diskutiert, obwohl es ihn damals zu Ihrer Zeit schon gab? Wir haben ihn dann eingeführt. Als dann das bleifreie Benzin gekommen ist, so wie vieles mehr Schritt für Schritt gekommen ist, konnte man wieder sehen: Es braucht seine Zeit. Man kann hier nicht sagen, es sei nichts geschehen. Gefragt ist, daß wir miteinander nach Ideen suchen. Frau Matthäus-Maier, ich habe es Ihnen doch angerechnet, daß Sie sich Gedanken machen, wie wir in der Umwelt vorankommen können. Es ist auch Aufgabe der Opposition, hier Alternativen zu den Vorschlägen der Regierungskoalition mitzuentwickeln. Nun besteht der Bundeshaushalt nicht nur aus der Ausgabenseite, sondern auch aus der Einnahmenseite. Es sind in der Hauptsache die Steuern, mit denen wir unsere Ausgaben finanzieren. Diese haben damit primär Finanzierungscharakter, aber durch die Art ihrer Wirkung haben sie natürlich auch Steuerungsfunktion. Insoweit ist der Ansatz sicherlich überlegenswert: Inwieweit können auf Grund der Steuerungsfunktion Steuern in den Dienst einer der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, der Umweltpolitik, gestellt werden? ({14}) Die Frage ist nur, Frau Matthäus-Maier, ob Ihre Überlegungen, soweit Sie bis heute gekommen sind, das bewirken, was Sie wollen. ({15}) Das ist der entscheidende Punkt. Wenn man eine allgemeine Energiesteuer einführt, wenn Sie statt der Kraftfahrzeugsteuer höhere Mineralölsteuern wollen, dann zeigt alle Erfahrung, daß die Fahrleistungen nicht nachlassen - das haben wir jetzt seit Jahren erlebt - , sondern damit die Steuerlast insgesamt steigt, daß sie damit auch preistreibend wirkt, daß sie wettbewerbsverzerrend wirkt und daß die Einnahmen daraus dann im wesentlichen der Finanzierung des allgemeinen Haushalts dienen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. ({16}) - Bitte schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Friedmann, selbst wenn Sie unseren Details nicht folgen, müssen Sie mir nicht zustimmen, daß auf Grund der Steigerung der Preise während der beiden großen Ölpreisexplosionen, wegen des Anreizes an die Wirtschaft, neue Technik vorzuhalten, der Energieverbrauch in den 70er Jahren deutlich vom Wachstum des Bruttosozialproduktes abgekoppelt wurde und daß es richtig ist, diese Idee wiederaufzugreifen?

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Matthäus-Maier, da sind wir jetzt an einem interessanten Punkt. Das Fahrverhalten hat sich Gott sei Dank ein Stück geändert, und es hat sich auch die Technik der Autoindustrie vorteilhaft entwickelt. Das war richtig, aber das lag nicht am Preis. ({0}) - Nein. - Da möchte ich jetzt an Ihre Überlegungen anknüpfen. - Bitte schön, Frau Matthäus-Maier, nehmen Sie doch wieder Platz.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, dann muß ich Ihnen das auf Ihre Redezeit anrechnen; bis jetzt galt das noch als Antwort. ({0})

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So schön es ist, sich mit Ihnen zu unterhalten, Frau Matthäus-Maier, aber ich muß ja hier auch eine Rede halten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie dürfen in Ihrer Rede fortfahren, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist aber nett von Ihnen, Herr Präsident. Danke schön. ({0}) Der Umweltschutz ist in der Zwischenzeit - das bestreitet niemand mehr - zu einer so vorrangigen Aufgabe geworden, daß er eine Staatsaufgabe ist. Dafür haben wir das Instrument des Ordnungsrechts, das mit Geboten und Verboten arbeitet. Das ist unsere erste Aufgabe, um hier voranzukommen. Wir sollten also das Ordnungsrecht nutzen, Gebote und Verbote erlassen. Der Nachteil des Ordnungsrechts besteht aber darin, daß es in aller Regel keine ökonomischen Anreize bietet. Deshalb müssen jetzt weitere Anreize hinzukommen. ({1}) Sie haben beim Steuerrecht und teilweise auch bei Abgaben angesetzt. Aber entscheidend ist - das sagen Sie selber -, daß man das Steuersystem nicht überfordert. Vielmehr ist jetzt wichtig, daß man gezielte Abgaben, die in sich geschlossene Kreisläufe darstellen, in den Dienst der Sache stellt. ({2}) Heute ist hier mehrmals die Wasserabgabe angesprochen worden. Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, wie sie funktioniert. Entsprechend der Belastung des Abwassers muß der Verursacher Abgaben zahlen. Es kann für ihn deshalb interessant sein, Kläranlagen zu bauen, weil dann seine Belastung nachläßt. Das Aufkommen aus der Abgabe, das durch andere entsteht, die noch keine Kläranlage haben, muß dann in den gleichen Dienst der Abgabe gestellt werden, so daß sie in sich noch stärker wirkt und ein in sich geschlossener Kreislauf entsteht. ({3}) Dies muß auch auf andere Gebiete übertragen werden. Wenn Sie sagen, Frau Matthäus-Maier, daß das z. B. beim Auto nichts bringt, muß ich entgegnen: Eben doch! Denn wenn man bei der Schadstoffbelastung ansetzt, wie es Minister Töpfer versucht, wenn man dort mit einer gezielten Abgabe ansetzt, entsteht natürlich der Anreiz, noch bessere Autos zu schaffen, und dann hat man den in sich geschlossenen Kreislauf. ({4}) Bei den Abgaben, die Sie vorgeschlagen haben, Frau Matthäus-Maier, haben Sie bisher nur den ersten Schritt getan. Wenn Sie eine Abgabe auf Düngemittel, auf Massentierhaltung, auch generell andere Abgaben bevorzugen und vorschlagen, so ist das der erste Schritt. Man muß dann aber weitergehen und zusätzliche ökonomische Anreize bieten. Wenn Sie z. B. eine Abgabe auf Einwegflaschen einführen wollen, muß die logische Folge daraus sein, daß das Ergebnis der Abgabe die Mehrwegflaschen begünstigt und somit insgesamt der geschlossene Kreislauf funktioniert. ({5}) - Bitte schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kühbacher, bitte schön.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Friedmann, würden Sie mir zustimmen, daß das, was wir hier führen, wirklich den Charakter einer Debatte hat? Würden Sie mir auch zustimmen, daß in Ihrer Fraktion eine solche Debatte vorab leider nicht geführt worden ist? Denn sonst würden von diesem Haushalt 1990 Signale für eine neue Politik ausgehen. Leider ist davon nichts im Haushalt. ({0})

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege KlausDieter Kühbacher, Sie haben recht: Wir sind hier in einer Debatte. Die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen. Wir befinden uns intern wirklich in der Meinungsbildung - Sie merken es doch an meinem Redebeitrag -, denn wir sind derselben Sache verpflichtet. Ich darf Sie also beruhigen: Wir arbeiten miteinander auf das gleiche Ziel zu. Gestern hat der Deutsche Gewerkschaftsbund den Eindruck erweckt - er hat dabei Ihr Argument vom letzten Jahr aufgegriffen -, mit der Umweltpolitik könne nicht viel los sein, weil der Umwelthaushalt nur 950 Millionen DM umfasse. Das ist ein ganz grober Unfug. Denn was in der Umwelt zu geschehen hat, muß sich finanziell am allerwenigsten bei Herrn Töpfer niederschlagen. Es ist doch ganz klar, daß unsere Wirtschaft zweistellige Milliardenbeträge jetzt schon Jahr für Jahr aufwenden muß, um die Umwelt zu entlasten. In seinem Haushalt muß das am allerwenigsten stehen. Die Größe des Haushalts weist insofern auf nichts Negatives hin. ({0}) Ein zweiter Punkt liegt mir am Herzen. Da spreche ich jetzt den Kollegen Rudi Walther an. Ich sehe ihn jetzt zwar nicht, aber er war nicht der einzige, der so argumentierte. Von seiten der Opposition, vor allem der SPD, wird zunehmend damit argumentiert, als wäre unser Verteidigungshaushalt eine große Spardose. Nun möchte ich nicht bestreiten, daß ein Haushalt mit 54,5 Milliarden DM immer wieder da und dort sparsamer gestaltet werden kann. Das kommt allein von der großen Zahl her. Es ist ja auch zu sehen, daß ein großer Teil dieses Haushalts gesetzlich gar nicht gebunden ist, so daß man auch politisch gestalten kann. Nur muß man folgendes sehen. Zum einen: Das, was wir alle von den Abrüstungsverhandlungen erwünschen, ist noch nicht verhandelt und ist noch nicht Tatsache. Die Abrüstungsverhandlungen, die jetzt geführt werden, so gut sie angelegt sind und soviel wir uns davon versprechen, bewirken bis zum heutigen Tag nicht, daß wir mit der Personalstärke bei der Bundeswehr heruntergehen können. Es widerspricht aller Lebenserfahrung, einen Verhandlungsgegenstand über Bord zu werfen, über den man eigentlich erst hinterher verhandeln will. Man darf auch nicht übersehen, was der amerikanische Präsident vorgeschlagen hat, nämlich die Zahl der amerikanischen und der sowjetischen Soldaten auf jeweils 270 000 zu reduzieren, Herr Hoyer. Dies erfaßt ja nur die sowjetischen und die amerikanischen Soldaten. Unsere Soldaten und die anderer NATO- bzw. Warschauer-Pakt-Staaten sind noch nicht Verhandlungsgegenstand. Meine Bitte ist also, diese Verhandlungsposition nicht vorher aus der Hand zu geben, bevor man nicht entsprechende Gegenwerte, die nachprüfbar und kontrollierbar sind, in der Hand hat. ({1}) Ein Zweites: Der Kollege Rudi Walther hat dargelegt, man könnte durch Personalabbau und durch Materialreduzierungen im Laufe der Zeit jährlich 10 Milliarden DM sparen. Ich bitte Sie, zu bedenken: Was uns künftig fehlt, sind Wehrpflichtige. Wehrpflichtige sind aber die billigsten Soldaten. Zum Ausgleich des Fehlens von Wehrpflichtigen brauchen wir mehr Berufs- und Zeitsoldaten und Reservisten. Die sind teurer. Ein Wehrpflichtiger kostet im Jahr 18 000 DM, ein Berufssoldat 28 000 DM und ein Reservist 38 000 DM. Das heißt, die Zahl der billigen Soldaten sinkt, während die Zahl der teuren Soldaten steigt. Deshalb wird der Verteidigungshaushalt nicht in demselben Umfang zurückgehen wie die Truppenstärke. Ein weiterer Punkt ist zu bedenken. Es geht letztlich um die Rationalisierung der Verteidigung. Sie erfordert Kapital. Wir brauchen Waffensysteme, die mit weniger Menschen auskommen. Sie sind entsprechend teuer. Wir können uns also nicht dem Gedanken hingeben, als wäre da eine Riesensparreserve. Bis heute ist das so nicht erkennbar. Nur nebenbei möchte ich bemerken: Wir sind jetzt bei 18,1 % Anteil am Gesamthaushalt. Das ist die Zielvorstellung, die die SPD auf ihrem Nürnberger Parteitag als ideal bezeichnet hat. ({2}) - Heute beschimpfen Sie uns, wenn wir diesem Ziel ziemlich nahe sind. Ein dritter Punkt muß in diesem Zusammenhang noch angesprochen werden. In diesem Bundeshaushalt sind 26 Milliarden DM für die Europäische Gemeinschaft nachgewiesen. Das heißt, der Bürger zahlt im nächsten Jahr 26 Milliarden DM für die Europäische Gemeinschaft. Dieser Betrag steckt aber nicht in der Summe des Bundeshaushalts; er ist gewissermaßen nur nachrichtlich ausgewiesen. Im Gegenzug dazu bekommen wir aber wiederum 14,4 Milliarden DM von der EG zurück, so daß die eigentliche Nettobelastung 11,6 Milliarden DM beträgt. Das ist der Betrag, der viele Bürger ärgert, der auch Gegenstand der Kritik ist. Ich möchte nur darauf hinweisen: Der Gegenwert zu diesem Negativsaldo steht natürlich nicht im Bundeshaushalt; der steht in den Exportbilanzen der Unternehmen. ({3}) Was noch wichtiger ist: Er steht in der allgemeinen politischen Entwicklung. Diese europäische Entwicklung liegt - das sei allen Kritikern gesagt - im deutschen Interesse. ({4}) Ich bin der Meinung, daß wir innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dahin kommen müssen, auch neutrale Staaten aufzunehmen wie Österreich, Finnland, auch die Schweiz, wenn sie es eines Tages will. Ich bin sogar der Meinung, daß in einer noch ferneren Zukunft ostmitteleuropäische Staaten wie Ungarn und Polen dazukommen sollten. Denn je mehr blockübergreifend in der EG zusammengearbeitet wird, um so mehr haben wir die Chance, Grenzen ad absurdum zu führen und dabei auch die deutsche Frage zu lösen. Insoweit liegt diese Entwicklung im deutschen Interesse. ({5}) Ich gebe aber zu bedenken, daß es bei dieser Konstruktion kritisch werden könnte, wenn wir die Verteidigungspolitik bei der Entwicklung zur politischen Union hineinnähmen. Es ist ja nicht davon auszugehen, daß die Sowjetunion Staaten ihres Einflußbereichs in eine EG hineinließe, die eine Sicherheitspolitik betreibt, die sie nicht ohne weiteres billigt. ({6}) Daher muß der Gedanke durchdacht werden, ob es sinnvoll wäre, die Westeuropäische Union parallel auszubauen, in der dann all die Länder wären, die unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit betreiben. ({7}) Dies ist dann zugleich das zweite Bein der NATO in Europa. Das ist im übrigen auch ein Punkt, der die Europäer in die Lage versetzt, ihre Verteidigung selber stärker in die Hand zu nehmen. Die Entwicklung der EG hat bereits in den Ostblock hinein übergegriffen. Die Auflösungserscheinungen und Liberalisierungstendenzen im Ostblock fänden dort mit Sicherheit nicht so statt, wenn wir diese Entwicklung im Westen nicht hätten. Im Zeitalter der Massenkommunikation bleibt den Menschen drüben nicht verborgen, wie man auch hier leben kann. Genau das wollen sie dort. Da leisten wir Vorschub mit dem, was wir auf friedliche Weise gemeinsam auf den Weg gebracht haben. ({8}) Meine Damen und meine Herren, dies ist voraussichtlich die letzte Rede, die ich vor diesem Hohen Haus halte. ({9}) Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mich in aller Form für die langjährige Zusammenarbeit zu bedanken, und zwar bei allen: bei der Koalition und bei der Opposition, vor allem soweit wir im Haushaltsausschuß und in ähnlichen Bereichen zusammengearbeitet haben. Mir ist dabei noch klarer geworden, was ich vorher schon wußte: daß zu einer Demokratie Koalition und Opposition gehören. ({10}) Das befruchtet einfach die Meinungsbildung. Manches, was in der Öffentlichkeit als fauler politischer Kompromiß bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein herausgearbeitetes Ergebnis, das erst durch das Für und Wider der Meinungen zustande kam. ({11}) Ich habe nur einen Wunsch. Mir bedeutet diese freiheitliche parlamentarische Demokratie auf dieser Erde das meiste, fast alles. Diese freiheitliche Demokratie lebt von einem funktionierenden Parlament. Denn nur in einem freien Staat können sich die Menschen frei entwickeln, wobei jeder wissen muß: Seine Freiheit findet die Grenze an der Freiheit des anderen. Wenn man die Freiheit so verwirklichen kann, wie Sie es in der Hand haben, und wenn der einzelne dies nutzt, dann kann er die Gaben und die Begabung, die er von seinem Schöpfer mitbekommen hat, am ehesten verwirklichen und so seinen menschlichen Auftrag erfüllen. Sie haben damit viel, viel Verantwortung in Ihrer Hand. Ich habe die herzliche Bitte an Sie, diese Verantwortung weiterhin so zu sehen und so wahrzunehmen. Schönen Dank, und Ihnen alles Gute! ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nach diesem erfreulichen Beifall von allen Seiten des Hauses erteile ich der Abgeordneten Vennegerts das Wort.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen versöhnlichen Schlußworten des Kollegen Friedmann muß ich mich nun leider wieder den Niederungen des Haushaltsentwurfs zuwenden. Ich wünsche Ihnen aber, Herr Friedmann, auch von dieser Stelle alles Gute für Brüssel und hoffe, daß Ihr Einfluß in Bonn in Ihrer Fraktion trotzdem noch wirksam bleibt. ({0}) Herr Waigel, Sie haben vorhin in Ihrer Rede so große Worte gebraucht - Sie werden ja nachher noch einmal sprechen; da bin ich schon sehr gespannt -, dieser Haushalt habe einen großen Gestaltungsspielraum, er gestalte Zukunftsaufgaben; dieser Haushalt sei ein Kennzeichen von Solidität, dieser Haushalt bewege sich in einer Kontinuität. Bei der Kontinuität kann ich Ihnen zustimmen, nämlich die Kontinuität im Machen hoher Schulden. Das ist aber auch das einzige, wo ich Ihnen zustimmen kann. Der Bundesfinanzminister agiert als Finanzminister normalerweise geschickter als sein Vorgänger Stoltenberg. Heute fand ich das allerdings nicht; ({1}) heute war es sehr offensichtlich und sehr plump, Herr Waigel. Kaum im Amt haben Sie etwas aus meiner Sicht Geschickteres als Herr Stoltenberg gemacht, Sie haben nämlich eines der Kernstücke der sogenannten großen Steuerreform zurückgenommen: die in der Öffentlichkeit so viel gescholtene Quellensteuer. Allein dadurch entsteht in diesem Jahr ein Einnahmeausfall von ca. 4 Milliarden DM. Ziel dieser Maßnahme war nicht etwa die Herbeiführung von mehr Steuergerechtigkeit, vielmehr ging es Ihnen darum, bestimmten populistischen Stimmungen nachzugeben und vermeintlich aus der Bundesrepublik ins Ausland verschreckte Kapitalanleger zur Rücktransferierung ihres Kapitals in die Bundesrepublik zu bewegen. Deshalb haben Sie die Quellensteuer zurückgenommen. Die Bundesregierung - und Sie allen in dieser Bundesregierung voran - hat sich dadurch zum Helfershelfer von Steuerhinterziehern und der von Großbanken organisierten Steuerflucht gemacht. Das ist eine Tatsache. Wenn Sie wie heute sagen, Herr Waigel, Sie appellierten an die Steuerehrlichkeit der Leute, das solle alles angegeben werden usw., dann weiß ich gar nicht, wo es einen Widerspruch zu den Kontrollmitteilungen gibt. Wenn Sie wollen, daß das alles angegeben wird, haben wir hier doch ein hervorragendes Instrument. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich da verweigern. Es gibt hier unter den Kollegen der CDU ehemalige Chefs von Finanzämtern, die es doch eigentlich begrüßen müßten, daß es endlich Kontrollmitteilungen gibt, daß die Dinge entsprechend angegeben werden. Wenn auch Finanzminister Waigel an dieser Stelle von der Politik seines Vorgängers abgewichen ist, so ist er in den Kernbereichen doch ein würdiger Nachfolger von Herrn Stoltenberg. Wie Stoltenberg verspricht er, die Nettoneuverschuldung zurückzuführen. Tatsache ist jedoch, daß er die Kreditaufnahme gegenüber dem Vorjahr um nahezu 6 Milliarden DM erhöht. Das ist ihm gar nicht peinlich. Der SPD hat er früher vorgeworfen, daß sie hier sozialistische Mißwirtschaft veranstalte. ({2}) Was wird man eigentlich Ihnen heute sagen? Sie müssen sich wirklich einmal vor Augen halten, Herr Waigel, was Sie hier machen; und Sie sagen noch, Ihre Finanzen seien wunderbar in Ordnung. Wie Minister Stoltenberg bekennt sich jetzt auch sein Nachfolger, Herr Waigel, zu dem Prinzip, Steuerentlastungen nicht durch die Streichung von Steuervorteilen oder durch die Kürzung der Ausgaben, sondern durch eine Erhöhung der Kreditaufnahme zu finanzieren. ({3}) Mit anderen Worten: Die Neuverschuldung wird dazu verwendet, den privaten Konsum zu beleben, was in Zeiten einer schwachen Konjunktur Sinn machen kann - kann! - , nicht jedoch dann, wenn wie gegenwärtig die Kapazitäten nahezu beständig ausgelastet sind und mit einem Wachstum von 3,5 % gerechnet wird. Das ist nicht nur konjunkturpolitisch widersinnig, sondern droht über kurz oder lang, inflationäre Gefahren heraufzubeschwören. Da sagen Sie, Sie machten eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie sie im Lehrbuch stehe. Dieses Lehrbuch müssen Sie erst noch schreiben. ({4}) Sie handeln gegen jegliche Lehrbuchtheorie der ganz normalen Volks- und Wirtschaftspolitik. Das wissen Sie auch. Das ist es ja: Sie wissen das auch. ({5}) - Es sind keine Horrorgemälde, Herr Glos. Sie wissen ganz genau, daß Sie sich, statt sich hier antizyklisch zu verhalten, prozyklisch verhalten. ({6}) Ganz normale volkswirtschaftliche Erkenntnisse treten Sie mit Füßen, weil es Ihnen nicht paßt, weil Sie in der Finanz- und Wirtschaftspolitik versagt haben und die normalen Gesetzmäßigkeiten schon gar nicht mehr beachten, von anderen ganz zu schweigen. Die vorgesehene Finanzierung von Steuerentlastungen durch die Anhebung der Neuverschuldung ist auch deshalb abzulehnen, weil ein Teil der durch die Steuerentlastung Begünstigten überhaupt gar keiner Entlastung bedarf. Ich nenne hier Beispiele: ({7}) die Rückführung des Körperschaftsteuersatzes von 56 auf 50 %, was allein in diesem Haushaltsentwurf zu einem Steuerausfall von ca. 2,5 Milliarden DM führen wird. ({8}) Dafür soll dann die Verschuldung erhöht werden. Doch damit nicht genug. Die Regierung, besonders die FDP, verlangt weitere drastische Steuerkürzungen für Unternehmen. Sie schlagen nur einmal so lächerliche 27 Milliarden DM vor. Obwohl, meine Damen und Herren, die Gewinne der Unternehmen Rekordhöhen erreicht haben, sollen die Unternehmen noch entlastet werden. Wenn dann davon gesprochen wird, es sind keine Mittel für soziale und ökologische Maßnahmen da, so, muß ich sagen, ist das wirklich Hohn und Spott. Man muß die Mittel, die im Bundeshaushalt vorhanden sind, für die richtigen Dinge einsetzen. Das ist der springende Punkt. ({9}) Sie haben, Herr Waigel - das habe ich auch schon Ihrem Vorgänger, Herrn Stoltenberg, gesagt - , Ihre eigenen Ziele verfehlt. Ich spreche nicht von unseren Zielen, sondern ich spreche von Ihren Zielen. Sie haben die Konsolidierung des Bundeshaushalts nicht einmal annähernd erreicht. Sie haben die Konsolidierung noch weiter verfehlt als je zuvor. Das sind die Tatsachen. Kontinuität zu Minister Stoltenberg haben Sie aber auch da nachgewiesen, wo Sie alle sozial ungerechten Teile der Steuerreform beibehalten haben: Streichung des Weihnachtsfreibetrags, Einführung der Besteuerung von Zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeit, Streichung des steuerfreien Essenszuschusses. Diese unsoziale und unökologische Steuerreform muß zurückgenommen werden. Zu nennen wären auch die zum Teil drastischen Erhöhungen der Mineralölsteuer, z. B. beim leichten Heizöl um 300 % oder beim schweren Heizöl um 100 %. Nur damit hier jetzt kein Mißverständnis entsteht, meine Damen und Herren: Die GRÜNEN setzen sich für die Einführung einer Primärenergiesteuer ein, die auch zu einer deutlichen Erhöhung des Preises für fossile Brennstoffe führen würde, also auch bei Benzin, leichtem und schwerem Heizöl. Im Gegensatz zur Bundesregierung würden wir das Geld aber dazu verwenden, ökologische Vorsorgemaßnahmen z. B. im Bereich der Energie und des Verkehrs zu finanzieren und den Bürgerinnen und Bürgern echte Alternativen zu bieten. Demgegenüber benutzt die Bundesregierung die Energiesteuer, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Das ist Ihre Politik, Herr Waigel. Das hat mit Ökologie überhaupt nichts zu tun. Das haben Sie hier heute mehr oder weniger nachgewiesen. Diese Steuerpolitik leistet keinen Beitrag zum Umbau der Industriegesellschaft. Meine Damen und Herren, hier geht es doch nicht um Erstgeburtsrecht. Kollege Weng führte an, die FDP habe das auch schon einmal gewollt. ({10}) - Die Jungliberalen. Wo sind denn die Jungliberalen? Wo ist denn der Einfluß der Jungliberalen auf die Altliberalen in Ihrer Partei, muß ich Sie dann fragen, als Sie das wieder weggekipppt haben? ({11}) Hier geht es doch gar nicht um das Erstgeburtsrecht, hier geht es darum, daß diese Debatte einmal geführt wird und - das ist entscheidend und wichtig - die richtigen Schlußfolgerungen gezogen werden. Nur - das bitte auch an die Adresse der SPD - : Ich hoffe sehr, daß die SPD ihr Konzept da noch korrigieren wird, ({12}) und zwar dahin gehend, daß Sie, wenn Sie der Bevölkerung, was auch wir sagen, höhere Steuern im Energiebereich zumuten, dann gleichzeitig auch die Alternative aufbauen. Sie können nicht das Autofahren verteuern und nicht gleichzeitig die Mittel für den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs einsetzen. Das ist eine falsche Politik, und das halte ich auch für nicht zumutbar. Für die Beurteilung des Haushalts kommt es aus der Sicht der GRÜNEN darauf an, welchen Beitrag zur Lösung der dringendsten Probleme unserer Gesellschaft die Haushaltspolitik leistet. Untersucht man den vorliegenden Haushalt unter dieser Prämisse, so kommt man zu einem erschreckenden Ergebnis: Er trägt nicht zur Lösung der Probleme bei, in weiten Teilen verschärft er sie sogar. Im Bereich der Friedens- und Abrüstungspolitik wird der Aufrüstungskurs fortgesetzt. Der Rüstungshaushalt 1990 soll um 1,7 Milliarden DM auf 54,4 Milliarden DM steigen. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf die abrüstungspolitische Initiativen Gorbatschows. Herr Friedmann, ich muß Ihnen widersprechen: Es sind Fregatten angeschafft worden, und die schlagen sich auch im Haushalt 1990 nieder. Es wird also weiter aufgerüstet. Im Bereich der Umweltpolitk sieht es nicht besser aus. Die Umweltausgaben verharren auf dem erschreckend niedrigen Niveau des Vorjahres. Nicht einmal 1 To des Gesamthaushalts wird dazu verwendet, auch nur die dringendsten Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt zu finanzieren, geschweige denn Vorsorge gegen weitere Umweltzerstörung zu treffen. Und Sie wagen es, Herr Waigel, hier von der Bewältigung der Zukunftsaufgaben zu sprechen. Das wagen Sie bei diesem Etat! Dabei sind Sie nicht einmal auf die ökologischen Steuern und Abgaben eingegangen, was Teile der FDP und der CDU getan haben. Sie lehnen dieses Instrument anscheinend in Bausch und Bogen ab oder haben noch keine Meinung dazu. Ich meine: Das ist doch der springende Punkt. Der von der Regierung vorgelegte Haushaltsentwurf ist ein Dokument des alten Denkens. Eine alternative Haushaltspolitik, wie sie die GRÜNEN fordern, muß dafür sorgen, daß der Schutz der Umwelt und die Schaffung von Arbeitsplätzen für alle übrigen Politikbereiche zum integralen Bestandteil der Planung wird. Ich kann nicht verstehen, Frau Matthäus-Maier, wenn Sie sagen, die insgesamt 83 Milliarden DM an ökologischen Steuern und Abgaben, die wir nach unserem Konzept dann als Einnahmen haben, seien ein Betrag, der zu hoch sei. Wenn Sie sich den Gesamthaushalt angucken, stellen Sie fest, daß es mehr als 300 Milliarden DM sind. Wenn angesichts dessen mehr als 80 Milliarden DM für ökologische Maßnahmen, Vorsorgemaßnahmen eingesetzt werden, die gleichzeitig auch noch Arbeitsplätze schaffen, dann ist das nicht zuviel, sondern dringend und bitter notwendig und auch finanzierbar. ({13}) Entscheidend aus haushaltspolitischer Sicht ist die Frage - das wissen wir auch - : Wieviel kosten die Maßnahmen? Wir wollen solide Finanzpolitik machen. Ist das also finanzierbar? Wir müssen diese Frage aber um die Fragen ergänzen - daran fehlt es bei Ihnen in der Politik - : Nützt es den Menschen und nicht nur einer bestimmten Klientel, Herr Waigel, und trägt es zur Verbesserung der Umwelt bei? Wir werden nachweisen, daß die Finanzierung eines alternativen rohstoffsparenden und umweltverträglichen Energiesystems möglich und umsetzbar ist, wenn der politische Wille vorhanden ist. Daran fehlt es dieser Bundesregierung aber gänzlich. Was jetzt not tut, ist eine neue, eine wirkliche Wende im gesamten Bereich der Ökologie, d. h. in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Verkehr. Notwendig ist eine Energiewende, die Ernst macht mit dem Abbau regenerativer Energien. Notwendig ist ein ökologischer Umbau der Landwirtschaft, eine Landwirtschaft ohne Massentierhaltung, Vergiftung durch Pestizide und Gülleseen. Notwendig ist eine drastische Einschränkung des Automobilverkehrs und ein Stopp der Straßenbaumanie. ({14}) Wir werden die anderen Parteien zwingen, Farbe zu bekennen, zu sagen, wie sie z. B. die selbstzerstörerische Verkehrslogik durchbrechen wollen, wenn sie gleichzeitig die Mittel für den Bundesfernstraßenbau in diesem Haushalt erhöhen. Das spricht doch eine eindeutige Sprache. ({15}) - Das ist das, was Sie wollen, Herr Weng, das ist doch Augenwischerei. Gucken Sie doch in den Bundesverkehrswegeplan. Dann sehen Sie, wieviel neue Bundesfernstraßen und Autobahnen weiterhin geplant sind. Verkaufen Sie die Leute doch nicht für dumm! ({16}) Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der im Zusammenhang mit dem Gedenken an den 50. Jahrestag des Überfalls auf Polen auch für die Haushaltsberatung eine wichtige Rolle spielen wird. Es geht um die dringliche Bitte der demokratischen Kräfte in Polen, mit großzügiger Wirtschaftshilfe die ökonomische und soziale Umstrukturierung Polens zu unterstützen. Es ist beschämend, mit ansehen zu müssen, mit welch politischer Instinktlosigkeit die Bundesregierung auf diese von der polnischen Seite mit großem Nachdruck vorgebrachten Bitten bisher reagiert hat. ({17}) Ich möchte der Bundestagspräsidentin, Frau Süssmuth, ausdrücklich dafür danken, daß sie gestern die zaudernde Haltung der Bundesregierung kritisiert hat. ({18}) Wir GRÜNE fordern die Bundesregierung auf, das von der Gewerkschaft Solidarität vorgeschlagene Reformprogramm nachdrücklich zu unterstützen. Woran liegt es eigentlich, daß bis heute nichts geschehen ist? Vielleicht daran, daß der Schatten der Republikaner nach Niedersachsen nun auch auf Minister Waigels Schreibtisch gefallen ist? ({19}) Statt Grenzen in Frage zu stellen, Herr Waigel, sollten Sie finanzielle Mittel in Richtung Polen bewegen. Das wäre die richtige Antwort. Herr Waigel, Sie betreiben eine auf den Wahlkampf gerichtete Finanz- und Haushaltspolitik, indem Sie ihre Klientel schamlos bedienen. ({20}) Dieser Haushalt ist eine ökologische Null-Nummer, sozial kaltherzig und stellt durch unterlassene Zukunftsinvestitionen besonders im Umweltbereich eine unverantwortliche Hypothek für die Zukunft dar. Die GRÜNEN werden es nicht bei der Kritik belassen, sondern einen konkreten Alternativhaushalt präsentieren. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat jetzt Herr Kollege Glos. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz des Jammergemäldes, das wir, wie z. B. soeben, von den Oppositionsrednerinnen und -rednern hinsichtlich dieses Haushalts gemalt bekommen haben, ist es eine Tatsache, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung seit der Wende erfolgreich war. Seit 1982 wächst unsere Wirtschaft Jahr für Jahr. Wir haben andauernd niedrige Zinsen, eine stetige Zunahme der Beschäftigung und im historischen und internationalen Vergleich immer noch stabile Preise. ({0}) Auch 1990 und danach wird unsere Wirtschaft nach Einschätzung nationaler und internationaler Einrichtungen wieder erfolgreich sein. Die Angst vor konjunktureller Überhitzung ist gegenwärtig größer als die Befürchtung eines nahen Konjunktureinbruchs. Diese gute Wirtschaftslage gibt uns auch die Möglichkeit, im Umweltschutz verstärkt tätig zu sein. Die Investitionsschwäche vergangener Jahre ist gottlob überwunden; die Politik des langen Atems und der Stetigkeit hat sich ausgezahlt. Der Aufschwung - und das ist ganz besonders wichtig - verlief fast inflationsfrei. Der Flächenbrand der Inflation während der letzten Jahre unter der Herrschaft der SPD - ich wiederhole noch einmal die Zahlen: 1980 5,4 %, 1981 6,3 %, 1982 5,3 % - ist gelöscht. 1986, 1987 und 1988 war die Inflation - und jetzt zitiere ich Herrn Professor Schiller - „so tot wie ein rostiger Nagel" . Die Beschleunigung des Preisanstiegs in den ersten Monaten dieses Jahres auf gut 3 % im Vergleich zum Vorjahr hatte vor allem externe Ursachen wie den Anstieg des Ölpreises und des Dollarkurses. Zugegeben: Auch - und damit komme ich zur Steuerpolitik - die maßvolle Anhebung einzelner Verbrauchsteuern hatte einen gewissen preissteigernden Einfluß. ({1}) - Herr Kollege Walther, ich nehme Ihren Zwischenruf jetzt sehr gerne auf: Es war sehr maßvoll. Und wenn Sie sich anschauen, was in dem Papier „Fortschritt '90", wie es sich nennt, an massiven Erhöhungen der Verbrauchsteuern geplant ist, ({2}) dann wird klar, was dies allein für die Preissteigerungsrate, für die Inflation bedeuten würde. Es ist lohnenswert, auch das einmal zu untersuchen. ({3}) Trotzdem war der Weg - runter mit direkten, leistungsabhängigen Steuern, gewisser Teilausgleich bei indirekten Steuern - richtig. Diese Steuermaßnahmen dienen auch dem unvermeidlichen Harmonisierungsprozeß im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt. Und bei den Steuervorschlägen der SPD vermisse ich diesen europäischen Aspekt überhaupt. ({4}) In den letzten Monaten ist der Preisauftrieb fast zum Stillstand gekommen; Gott sei Dank. ({5}) Und wenn es weiter gut läuft und man im Inland vorsichtig ist, könnte es heuer wieder mit einer Zwei vor dem Komma abgehen. Inflation trifft vor allen Dingen den Geldbeutel des „kleinen Mannes" oder der „kleinen Frau" , wie Sie wollen. Unsere Stabilitätspolitik ist deshalb der wirksamste Beitrag zu einer erfolgreichen Sozialpolitik. ({6}) Die kostentreibenden SPD-Pläne für eine drastische Erhöhung der Energiesteuern sind dagegen sozialfeindliche Inflationspolitik. Das sollten wir bei aller Umwelteuphorie der letzten Wochen und Monate nicht übersehen. Es war vorhin ganz interessant - ich habe dem Herrn Kollegen Friedmann sehr aufmerksam zugehört - : Es ist sicher richtig und wertvoll, daß wir miteinander darüber debattieren, wie wir unserer Umwelt helfen. Es sind auch viele richtige Schritte über Abgaben eingeleitet worden. Aber wir hier müssen natürlich auch immer wieder auf die Kostensituation unserer Wirtschaft Rücksicht nehmen. ({7}) Wir sind in die internationale Zusammenarbeit und ganz besonders in die europäische Zusammenarbeit eingebunden. Und wir möchten auch, daß auch unsere jungen Leute wieder konkurrenzfähige Arbeitsplätze haben. Überhaupt ist es mehr als fragwürdig, ob die ökologische Steuerreform à la Rot/Grün die gestreckten Umweltziele jemals erreichen kann, wenn auf der anderen Seite staatliche Transfers und Steuerentlastungen winken, wie es in diesem Papier drinsteht. Ich zitiere den Kölner Finanzwissenschaftler Gretschmann. Er hat den Verdacht, daß bei den SPD-Plänen zur kräftigen Verteuerung des Benzins nicht so sehr das Umweltziel, sondern - ich zitiere aus dem „Handelsblatt" vom 29. August - „zumindest unterschwellig das zu erzielende Mehraufkommen eine nicht unerhebliche Rolle spielt". ({8}) - Es ist ganz interessant, wenn Sie das sagen. Ich habe mir das auch überlegt. Ich hatte den Namen auch noch nicht oft gehört, aber das „Handelsblatt" beruft sich auf einen Artikel der WSI, und das ist doch die Monatsschrift des DGB. Da bin ich eigentlich davon überzeugt, daß Sie das alles sogar ganz ausführlich gelesen haben; das zählt ja zu Ihrer Pflichtlektüre. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zeigt vor allem: Die SPD hat nichts dazugelernt. Wie zu ihren Regierungszeiten in den 70er Jahren ist sie bereit, mit höheren Steuern und höheren Staatsleistungen den Leistungswillen unserer Bürger und Betriebe zu schwächen und damit den wiedergewonnenen Wohlstand unseres Volkes zu gefährden. ({10}) Auch unter dem Schafspelz des Umweltziels ist und bleibt die SPD die Steuererhöhungspartei Deutschlands. ({11}) Es ist sicher unsere Aufgabe, bis zu den Wahlen dem Steuerbürger klarzumachen, daß das Programm, das sich unter dem Tarnnamen „Fortschritt '90" verbirgt, im steuerpolitischen Teil in Wirklichkeit als „Rückschritt '92" oder möglicherweise noch besser als „Diebstahl 2000" bezeichnet werden muß. ({12}) Da weiß ich mich auch mit der Deutschen SteuerGewerkschaft ebenso wie mit dem Bund der Steuerzahler einig, die sich beide entschieden gegen die Vorschläge von SPD und GRÜNEN zur Umgestaltung des Steuersystems gewandt haben. Das Steuersystem ist ein untaugliches Instrument, Umweltschutz zu betreiben. Das sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Erhard Geyer letzte Woche vor der Presse. ({13}) Verbrauchsteuererhöhungen, wie sie die SPD z. B. für die Mineralölsteuer vorgeschlagen hat, treffen aus der Sicht der Steuer-Gewerkschaft Einkommenstarke und Einkommenschwache im gleichen Maße. Ich füge nur hinzu: Der sogenannte kleine Mann oder die kleine Frau gerade im ländlichen Raum können - ohne eine Alternative im öffentlichen Personennahverkehr - den teuren SPD-Sprit nicht verkraften, ({14}) auch dann nicht, wenn dieser teure SPD-Sprit grün gefärbt ist und als Öko-Super angepriesen wird. ({15}) Ich bin überzeugt, spätestens dann, wenn der Motor unserer Volkswirtschaft stottert, wird dem Bürger klar, daß er nicht den Tiger in den Tank gepackt hat, sondern daß Sand ins Getriebe gestreut worden ist. ({16}) Eine vollständige ökologische Umstrukturierung ({17}) unseres Steuersystems nach den Vorstellungen der SPD und der GRÜNEN ({18}) ist nach meiner Meinung unrealistisch. Die Zerstörung von Umwelt und Natur hat einen Umfang erreicht, ({19}) der nicht nur das ökologische, sondern auch das ökonomische Gleichgewicht gefährdet. Auch deshalb sind - da sind wir alle uns sicher einig - weitere nachhaltige Umweltschutzmaßnahmen erforderlich. Über das Ziel, der Umwelt zu helfen, bestehen keine unterschiedlichen Auffassungen. Nach wie vor bin ich aber der Meinung, daß im Bereich der Umweltpolitik die Priorität der Ordnungspolitik, d. h. dem Arbeiten mit Geboten und Verboten, zukommt, nicht jedoch der Steuerpolitik. Leider nur früher maßgebende Leute in der SPD wie die ehemaligen Finanzminister Apel und Schiller sehen das in ihren Veröffentlichungen ebenso. Klar gesagt werden muß noch einmal, daß sich die vorgeschlagene drastische Verteuerung der Energie knallhart gegen die Bürgerinnen und Bürger richtet, die über ein nur geringes Einkommen verfügen. ({20}) Ein anderer ganz wesentlicher Mangel ist, daß die SPD offensichtlich die Vorschläge der EG-Kommission zur Harmonisierung der Verbrauchsteuern nicht einmal gelesen hat, so, als gäbe es überhaupt keinen Binnenmarkt '93. Ihr Umbaupapier „Fortschritt '90", wie Sie es nennen - ich sage noch einmal: besser „Rückschritt '92" -, erwähnt mit keinem Wort die Steuerpläne der EG-Kommission. Das allein zeigt, wie unausgegoren und undurchdacht, aber auch wie unrealistisch die Absichten sind. Ich darf ein Beispiel bringen. Ab 1. Januar 1991 wird bei uns die Mineralölsteuer für verbleites Benzin 67 Pfennige pro Liter und für bleifreies Benzin 60 Pfennige pro Liter betragen, während die Kommission 70 bzw. 64 Pfennige pro Liter vorschlägt. Wir sind also in der Bandbreite. Eine Erhöhung um 50 Pfennige pro Liter, wie das die SPD will, ist europaweit schlicht und einfach nicht zu machen. Solche Pläne sind auch deshalb gefährlich, weil sie den Binnenmarkt-Prozeß empfindlich stören. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Frau MatthäusMaier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Glos, ist Ihnen bekannt, daß die von Ihnen genannten Zahlen der Europäischen Kommission vier Jahre alt sind, daß mittlerweile in jedem Eco-Fin-Rat, d. h. in dem Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, immer mehr davon gesprochen wird, das Steuer- und Abgabenrecht für den Umweltschutz einzusetzen, und daß jeder in Brüssel weiß, daß die neuen Vorschläge der EG so sein werden, daß unsere Vorschläge abgedeckt sind? Sind Sie nicht auch da weit hinter der Zeit? ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir ist bekannt, verehrte Frau Kollegin, daß es bis jetzt keine neuen Vorschläge seitens der EG-Kommission gibt. Wenn sich dort die Meinung und die Haltung ändert, kann man durchaus darüber reden. ({0}) Ich weiß aber eines: Steuerpolitik ist ein sehr sensibles Instrument. Falsch gehandhabt kann dieses Instrument zur Garotte für Konjunktur, Wirtschaft und Wohlstand werden. Die andauernde Aufwärtsentwicklung unserer Wirtschaft seit der Wende ist sicher kein Zufall. Sie ist auch - das sage ich mit einem kleinen Stolz - das Ergebnis der wachstumsfördernden und arbeitsplatzschaffenden Finanz- und Steuerpolitik der christlich-liberalen Koalition, der richtigen Handhabung dieser Instrumente also. Die positive Entwicklung bestätigt, daß die finanzpolitische Neuorientierung, die unter Gerhard Stoltenberg begann und jetzt von Theo Waigel fortgesetzt wird, durch strenge Ausgabendisziplin neue Spielräume für den privaten Sektor zu schaffen, erforderlich war und auch in Zukunft erforderlich ist. Die Entwicklung gibt unserer Strategie recht, den privaten Entscheidungsträgern durch mittelfristige finanzpolitische Zielsetzungen die notwendigen Orientierungen zu geben, statt sie mit einer Stop-and-go-Politik kurzfristiger Maßnahmen zu verunsichern. Unsere finanzpolitische Doppelstrategie, Ausgabendisziplin und spürbare Steuerentlastung, hat bewirkt, daß die Staatsquote, also der Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt, seit 1982 um fast 5 % zurückging und die Steuerquote, das ist der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt, mit rund 22,5 % im nächsten Jahr den niedrigsten Stand seit dreißig Jahren erreichen wird. Das neu gefestigte Fundament der öffentlichen Haushalte hat die dreistufige Steuerreform 1986/88/90 ermöglicht, mit der das Steuersystem in der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verbessert wird ({1}) und die Steuerzahler um insgesamt fast 50 Milliarden DM jährlich entlastet werden, ({2}) und das - ich habe es schon erwähnt - , ohne daß die Inflation wie noch zu SPD-Zeiten den Entlastungskuchen auffrißt. Die in knapp vier Monaten wirksam werdende dritte und wichtigste Stufe der Steuerreform wird die Steuerlast für Bürger und Betriebe jährlich um 25 Milliarden DM senken. Kernstück ist die nachhaltige Senkung des Einkommensteuertarifs mit einem nur noch sanft ansteigenden geradlinigen Verlauf der Progression. Dieser Tarif ist sozial ausgewogen, er ist mittelstandsfreundlich, und er ist vor allen Dingen leistungsgerecht. Die wachstumspolitischen Wirkungen dieses entscheidenden steuerpolitischen Schritts werden weit in die 90er Jahre gehen. Das ist wahrer Fortschritt' 90. ({3}) Der erforderliche Beitrag unserer Finanz- und Steuerpolitik zu der anhaltenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung belegt: Nicht kreditfinanzierte Staatsnachfrage nach altem Strickmuster à la SPD, nicht kostentreibende Energiesteuern nach rot-grünem Muster, sondern eine solide Haushaltspolitik und eine wachstumsfördernde Steuerpolitik erweisen sich als die verläßlichen Grundlagen für eine gesunde Wirtschaft. Wir haben vor, diese Politik in den kommenden Jahren fortzusetzen. Deswegen hat die Koalition für die kommende Legislaturperiode eine weitere Steuerentlastung zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen auf ihr Panier geschrieben. ({4}) Diese Steuerentlastungsmaßnahmen sind notwendig, damit es sich auch künftig lohnt, mit Investitionen und Arbeitsplätzen in Deutschland zu bleiben. Anders als Teile der Wirtschaft hält es allerdings die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber auch für notwendig, die weitere Verbesserung der Unternehmensbesteuerung mit sozialen Komponenten wie einer weiteren Anhebung des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge zu verknüpfen. Auch angesichts der zum Teil sehr weitgehenden Absenkung der Steuertarife in anderen wichtigen Industrieländern sind weitere Steuerentlastungen zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen unabdingbar. So haben die meisten Länder um uns herum und viele Staaten in Übersee in den letzten Jahren den Körperschaftsteuersatz auf einbehaltene Gewinne auf Werte zwischen 30 und 40 gesenkt. Wir wollen - über den Prozentsatz werden wir uns sicher noch einigen müssen - auch senken. Aber wir wollen eines nicht und werden dies nicht tun: Wir werden eine weitere Senkung nicht über die Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren, was heute von Ihnen, Frau Kollegin, unterstellt worden ist. ({5}) Wir gehen davon aus, daß wir dies in einer Koalition dann letztendlich einvernehmlich regeln. ({6}) Die CDU/CSU wird die erfolgreiche Finanzpolitik zur Sicherung und Mehrung des Wohlstands unserer Bürgerinnen und Bürger unbeirrt fortsetzen. ({7}) In dem Maße, in dem es weiterhin gelingt, den Zuwachs der Staatsausgaben unterhalb des Zuwachses des nominalen Bruttosozialprodukts zu halten, werden wir neue Spielräume für die notwendigen Steuersenkungen und die weitere Begrenzung des Staatsdefizits gewinnen. Dieser Haushalt leistet einen entscheidenden Beitrag. ({8}) Und jetzt bedanke ich mich bei denen, die zugehört haben; die, die dauernd geschrien haben, bitte ich, das nächste Mal etwas anderes zu tun. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debattenbeiträge der Kollegen der Koalition - mit Ausnahme des Kollegen Friedmann - und die Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen können nicht entkräften, daß der Haushaltsentwurf 1990 und der Finanzplan dem Leitmotiv zum Opfer gefallen sind, das der Parlamentarische Staatssekretär Carstens in den „Finanznachrichten" vom 18. August so formulierte: Wir haben allen Anlaß, Experimente jeder Art nicht zum Tragen kommen zu lassen. Dieser Wille zum Stillstand, der das „Keine Experimente" der Adenauer-Ära zu potenzieren sucht, ist der Grund dafür, daß die politische Dimension, das Gespür für das Neue und Notwendige, fehlt ({0}) und in einem Meer der Selbstzufriedenheit und Selbstbelobigung untergegangen ist. ({1}) Der Finanzplan selbst ist passagenweise so penetrant, Herr Minister, formuliert, daß er von einem Produkt des Bundespresseamtes kaum noch zu unterscheiden ist. ({2}) Kurios ist vor allem, daß der Eindruck erzeugt werden soll, als habe es seit 1982 den genialischen Wurf einer Finanzpolitik aus einem Guß gegeben, als ob nicht schon wegen der labyrinthischen Steuerreform ein Personalwechsel im Amt des Bundesfinanzministers hätte stattfinden müssen, der höchst sichtbar die Brüche in der Finanzpolitik dokumentiert. Diesem Haushaltsentwurf - und dem Finanzplan - fehlt die ökologische Perspektive, weil er in einer völlig unproduktiven und überholten Weise Wirtschaftswachstum gegen Natur ausspielt und zu einem konstruktiven und phantasievollen Zusammenführen dieser Werte nicht in der Lage ist. ({3}) Sie nennen dies: „Keine Experimente". Ebenso fehlt es Ihnen an der Fähigkeit, die trotz anzuerkennender Beschäftigungserfolge und guter Konjunktur ({4}) an der Zwei-Millionen-Grenze verharrende Arbeitslosigkeit mit dem dringenden Bedarf an Umweltinvestitionen zusammenzuführen, wie dies die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit dem Programm „Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen hat. Übrigens räumt der Finanzbericht 1990 meines Wissens erstmals ein, daß die Beschäftigungserfolge u. a. auf die Arbeitszeitverkürzung zurückgehen, die der Bundeskanzler seinerzeit als „dumm, töricht und absurd" bezeichnet hat. Haushaltsentwurf und Finanzplan schweigen sich ferner darüber aus, ob überhaupt und in welcher Weise die Bundesrepublik Deutschland die Reformen in Osteuropa, namentlich in Polen, unterstützen will. Vor der Sommerpause gab es nichts weiter als einen unklaren Verhandlungsstand: Der Bundeskanzler ging nicht nach Polen. Der CSU-Vorsitzende hat sich zu den Grenzen von 1937 so geäußert, daß der Bundespräsident notwendige Klarstellungen vornehmen mußte. In der Parlamentarierdelegation fehlt meines Wissens das CSU-Element. Dafür weilte der Bundesarbeitsminister dort, dessen Vollmachten allerdings als Frondeur gegen seinen Parteivorsitzenden äußerst gering zu veranschlagen sind. Dabei ist gerade unser Land in seiner mitteleuropäischen Lage aufgerufen, hier historische Chancen wahrzunehmen, statt sie dilettantisch zu vertun. ({5}) Es wäre ein schwerer Fehler, wegen vermuteter Ressentiments eines Wählerteils schlaue Vorsicht walten zu lassen. Der Deutsche Bundestag bezieht seine Legitimation aus dem Gedanken der parlamentarischen Repräsentation und muß den Mut zeigen, sich über fragwürdige Instinkte hinwegzusetzen. ({6}) Dies gilt namentlich auch auf dem Feld der Entwicklungspolitik, wo zur Zeit eine wirklich massive Finanzkrise stattfindet. Bei heißlaufender Konjunktur und einem gigantischen Leistungsüberschuß ist gleichzeitig dieser Etat chronisch unterfinanziert. Statt daß die Bundesrepublik diesen Leistungsbilanzüberschuß, den sonst nur noch Japan erwirtschaftet, dazu benutzt, Entwicklungsländer, soweit dies möglich ist, in den Welthandel einzubeziehen, wie dies z. B. Helmut Schmidt vor kurzem gefordert hat, verwendet sie ganz im Gegenteil Darlehensrückflüsse aus diesen hoch verschuldeten Ländern zum übergroßen Teil dazu, hiesige Haushaltslöcher zu stopfen. Die ganz wenigen Perspektiven, die der Haushaltsentwurf aufweist, Herr Minister, will ich nicht verschweigen. Sie bestehen in der Wiederbelebung gemeinsamer Bund-Länder-Programme im Hochschulbereich, sie bestehen im sozialen Wohnungsbau und beim BAföG. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß Sie sich damit Strukturen sozialliberaler Haushalte nähern. Das sind noch die besten Eigenschaften Ihres Haushaltsentwurfs. Stillstand und Farblosigkeit sind aber nur die eine Seite des Haushalts; in fiskalischer Hinsicht demonstriert er eine halsbrecherische Risiko- und Schuldenbereitschaft, die jede Vorsorge nach dem berühmten hausväterlichen Grundsatz vermissen läßt. Sollte sich die Konjunktur verschlechtern, was niemand wünscht, so wird Heulen und Zähneknirschen im Finanzbereich auf uns zukommen. Soweit Ihre Haushaltspolitik sich auf Neuverschuldung gründet, strafen Sie Ihre seinerzeitigen Forderungen als Opposition Lügen. ({7}) Ich bediene mich, um dies zu zeigen, einfach der Rede des Kollegen Dr. Stavenhagen, des damaligen Haushaltsobmanns, in der Plenardebatte vom 23. Juni 1982 und wechsle lediglich die Jahreszahlen auf Ihre Regierungszeit aus. Ich sage dann wortgleich mit dem Kollegen Dr. Stavenhagen folgendes - Zitat - : Seit 1983 macht die Neuverschuldung jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge aus. Seit 1983 schreiben Sie in jeden Finanzplan knackige Konsolidierungssprüche: ,Ab 1984 wird die Kreditaufnahme drastisch reduziert', ,Fortsetzung der Konsolidierungspolitik im Planungszeitraum', ,Deutliche Rückführung der Nettokreditaufnahme ist das herausragende Merkmal', ,Mittelfristig soll die jährliche Nettokreditaufnahme schrittweise verringert werden' usw. Ich fahre mit Dr. Stavenhagen fort und setze wiederum die Zahlen aus Ihrer Regierungszeit ein: Das Ergebnis Ihrer Bemühungen ... sind seit 1983 bis dato 237 Milliarden DM Zunahme der Nettoverschuldung. Auf deutsch: Der Schuldenberg des Bundes ist um diesen Betrag höher geworden. Dr. Stavenhagen krönte seine Ausführungen - und auch ich tue das - : Wenn einer von Ihnen hier noch einmal von Konsolidierung spricht, dann darf getrost gelacht werden. ({8}) Das Protokoll des Bundestages weist damals Beifall bei der CDU/CSU und Zurufe von der SPD aus. Diesmal hatte ich es genau umgekehrt erwartet. Aber bei aller Wortgleichheit unterscheidet sich die Situation in einem Punkt gravierend. Dr. Stavenhagen bezog sich auf die Jahre der ölpreisbedingten weltwirtschaftlichen Rezession, während Sie an der Phase eines weltweiten Aufschwungs partizipieren können. Die damaligen pathetischen Vorwürfe des Kollegen Carstens von Ende November 1982 „Wer die Gegenwart verbraucht, verliert die Zukunft", fallen doch heute auf Sie zurück, ({9}) weil Sie Vorsorge treffen müßten und könnten, es aber nicht tun. In acht Jahren Ihrer Regierungszeit ist Ihre Nettokreditaufnahme annähernd so hoch wie in 13 Jahren sozialliberaler Koalition, und zwar bei weltwirtschaftlich anderen Situationen. Dabei verbrauchen Sie einen Bundesbankgewinn von insgesamt 67 Milliarden DM, während die sozialliberale Koalition insgesamt nur 13 Milliarden DM in den Haushalt einstellen konnte. Ich darf zu dieser Handhabung und zu Ihrem widersprüchlichen Verhalten erneut Dr. Stavenhagens Rede zur Hand nehmen. Er sitzt heute als Berater beim Bundeskanzler und ist insofern heute ein ganz wichtiger Mann. Er sagte: Nach § 27 des Bundesbankgesetzes ist die Verwendung der Bundesbankgewinne eindeutig geregelt. Die Verwendung beim Bund zum Ausgleich laufender Ausgaben kommt aber, volkswirtschaftlich gesehen, einer Erhöhung der Neuverschuldung gleich. Deshalb muß der Bundesbankgewinn der Neuverschuldung eigentlich hinzugerechnet werden, um ein wahres und richtiges Bild der Lage zu erhalten. ({10}) Diese Verwendung im laufenden Konsum - so fährt Dr. Stavenhagen fort ist haushaltspolitisch schlimmer als Schuldenaufnahme; denn sie kostet keine Zinsen und löst deshalb auch keinen Sparzwang aus. Sie ist außerdem geldpolitisch abzulehnen, weil auf diese Weise praktisch die gesamte von der Bundesbank vorgesehene Geldmengenausweitung über den Bundeshaushalt läuft. Es ist ein zentraler Unterschied, - so der Kollege Stavenhagen ob das Geld über die Bundeskasse in den Staatskonsum fließt oder ob es über das Bankensystem für Investitionen der Wirtschaft zur Verfügung steht. Hier müßten Sie einsetzen; da kam Beifall. Dann leistet Dr. Stavenhagen den Schwur: Die einzig volkswirtschaftlich richtige Verwendung des Bundesbankgewinns ist die Verringerung der Schulden und sonst überhaupt nichts. Wieder Beifall bei der CDU/CSU. Dies war dann das Ende der goldenen Worte von Dr. Stavenhagen. ({11}) Ich schlage vor, daß Sie über Ihren nächsten Finanzplan das geflügelte Wort Konrad Adenauers setzen: „Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an?" ({12}) Die Versprechen von 1982/1983 und deren Bruch sind das eine. ({13}) Ein Zyniker würde sagen, daß sie im politischen Raum abgegeben worden sind und deshalb in besonderem Maße dem Relativitätsgesetz unterliegen. Das andere aber ist, daß die Fragen der Verschuldung, des Bundesbankgewinns und die darauf gerichtete Haushaltspolitik durch das seinerzeit von Dr. Kohl, Dr. Zimmermann und der CDU/CSU-Fraktion herbeigeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. April dieses Jahres zu Art. 115 aus dem politischen Belieben in die Sphäre der Rechtsverbindlichkeit gerückt worden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kühbacher? 1 1 7 04

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Klaus Dieter Kühbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Esters, würden Sie mir zustimmen, daß es hier im Raum nur eine einzige Partei gibt, die in der Kontinuität steht, nämlich die FDP? Sie hat immer die gleiche Politik vertreten - mal dort und mal dort - , mehr Schulden zu machen.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kühbacher, in diesem Falle muß ich Ihnen völlig recht geben. ({0}) Bei allen Schulden, die diese Republik im Bundesbereich hat, war die FDP immer mitbeteiligt. ({1}) Sie ist insofern auch Spitzenreiter. Nur, sie hat in schwierigen Situationen auch immer haushaltspolitische Sprecher - einmal war es der Herr Hoppe, jetzt ist es der Kollege Weng -, die die Schuld ({2}) - ich sah dich gerade kommen - auf die jeweils größere Regierungsfraktion verlagern. ({3}) Wer den Haushaltsentwurf 1990 und den Finanzplan an diesem Urteil und den tragenden Gründen mißt, gelangt zu folgenden Feststellungen. Erstens. Art. 115 des Grundgesetzes, wonach die Neuverschuldung eines Haushalts nicht höher sein darf als die Investitionen, ist verletzt. Das Gericht hat ausgeführt, daß sich der Haushaltsgesetzgeber auf den herkömmlichen weiten Investitionsbegriff, der nur durch die bisherige Staatspraxis gedeckt sei, nicht zurückziehen darf, sondern eine gesetzliche Regelung zu treffen hat, die die Investitionen angemessen faßt, soll heißen: auf echte Investitionen beschränkt. Die echten Investitionen, d. h. diejenigen ohne Bürgschaften und BAföG-Gewährungen, belaufen sich auf 33,1 Milliarden DM und liegen mithin um eine halbe Milliarde DM unter der Neuverschuldung. Daß das wie beim Haushaltsgesetz 1981 ausnahmsweise gerechtfertigt sei, weil eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege, hat die Bundesregierung bisher nicht dargetan. Zweitens. Das Mißverhältnis zwischen Neuverschuldung und Investition verschlimmert sich noch, weil im Haushaltsentwurf 1990 der Bundesbankgewinn in Höhe von 7 Milliarden DM zur Ausgabenfinanzierung eingestellt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat, wenn man so will, Dr. Stavenhagen bestätigt: daß das in der Wirkung einer Kreditaufnahme bei der Notenbank ohne Zins- und Tilgungsverpflichtung gleichkommt. Die Neuverschuldung läge danach tatsächlich bei über 40 Milliarden DM. Drittens. Das Bundesverfassungsgericht hat bekräftigt, daß die Haushaltswirtschaft nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes auf eine antizyklische Steuerung des Konjunkturverlaufes auszurichten ist. Das bedeutet, daß bei einem Konjunkturverlauf, wie wir ihn jetzt erleben, Schulden abzutragen und nicht zu erhöhen sind. Wer die Finanzverfassung und die Rechtslage nach dem Stabilitätsgesetz noch ernst nimmt, müßte aus Vorsorge für die Zukunft angesichts der Gefahr einer Konjunkturüberhitzung über Konjunkturausgleichsrücklagen - Art. 109 des Grundgesetzes - nachdenken. So wie die Haushaltspolitik der sozialliberalen Koalition im Haushalt 1981 antizyklisch und deshalb verfassungskonform war, so ist Ihre Politik jetzt prozyklisch und nicht mehr verfassungskonform. ({4}) Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die dritte Stufe Ihrer Steuerreform verfehlt, weil sie in eine Zeit ohnehin hoher Nachfrage fällt. Das Stufensystem Ihrer Steuerreform ist im Timing verfehlt. ({5}) Das RWI hat Ihnen die Wirkungslosigkeit der beiden ersten Stufen nachgewiesen. Die rote Lampe leuchtet auf, Frau Präsidentin?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das liegt daran, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch hier stehen Sie im Widerspruch zu Ihrem früheren Verhalten. Ich zitiere noch einmal den Kollegen Dr. Zimmermann. Er sagte am 3. Juni 1981 - ({0}) - Nein, diesmal Zimmermann. ({1}) - Nein, den habe ich doch schon zitiert. Er hat seinerzeit gesagt: Herr Bundeskanzler, angesichts des wachsenden Schuldenbergs möchte ich von Ihnen gerne wissen, wie Sie sich überhaupt vorstellen, daß diese Milliardenschulden einmal getilgt werden. Oder denken Sie daran nicht? Wollen Sie das Problem wirklich nur der nachwachsenden Generation überlassen? Noch niemals in der Geschichte sind Schulden dieser Größenordnung vom Staat zurückgezahlt worden; noch niemals. Dem Bundeskanzler Helmut Kohl würde ich in dieser Situation die gleiche Frage stellen, wenn Herr Zimmermann sie mit seinem letzten Satz nicht schon beantwortet hätte : „noch niemals" ! Ich verweise nochmals auf das Bundesverfassungsgericht, wonach in konjunkturellen Normalzeiten kein Schuldensockel wachsen darf, „der schließlich die Fähigkeit des Staatshaushalts, auf die Probleme der Gegenwart und Zukunft zu reagieren, in Frage stellt". Wir Sozialdemokraten fordern Bundesregierung und Koalition auf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu beachten. Wie sagte doch der Kollege Carstens so schön am 10. November 1982: Wir haben keine Angst vor den Vorschriften der Verfassung. Wir werden dafür sorgen, daß die Vorschriften des Artikels 115 möglichst schnell wieder eingehalten werden. Das ist unsere Finanzpolitik. Heute, Herr Kollege Carstens, haben Sie eine erhöhte Einstandspflicht für diese Versicherung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, ich muß Sie jetzt wirklich mahnen. Sie haben jetzt vier Minuten über die der SPD zustehende Redezeit verbraucht. ({0}) Ich wäre dankbar, wenn Sie zum letzten Satz kommen könnten.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, die letzten Passagen beziehen sich auf unseren früheren Kollegen Dr. Althammer. Er hat nämlich auch noch so eine schöne Debattenführung gemacht. Ich wäre dankbar, wenn ich das noch sagen dürfte. - Gut, dann mache ich das noch. Dr. Althammer hat hier am 7. Dezember 1983 nach dem Regierungswechsel folgende Worte gesagt: „Ich erinnere mich noch an eine Sitzung der Fraktion, in der ich dem Fraktionsvorstand zu Zweifeln hinsichtlich der Opportunität einer Verfassungsklage sagte: Auch wenn wir selber die Regierungsverantwortung haben, wäre es nicht schlecht, wenn man uns an den Mast binden würde, so wie Odysseus es wegen der gefährlichen Sirenenklänge tun ließ."

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Jetzt müssen Sie Schluß machen.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

„Man könnte ja sonst wieder fröhlich Schulden machen." - „Ich muß sagen", so fuhr Dr. Althammer fort -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, nein, jetzt wirklich nicht mehr. Lieber Herr Kollege, ich muß Sie jetzt wirklich bitten, Schluß zu machen.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Bild von Dr. Althammer nehme ich noch auf: Sie haben sich längst vom Mast losgerissen und sind mit den Sirenenklängen verschlungen worden. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Jetzt hat der Herr Bundesfinanzminister das Wort.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich eigentlich gewundert, daß sich der Kollege Esters doch so zum Filibustern geeignet hat. In dieser Eigenschaft wurde er offensichtlich aufgestellt. Nur, Kollege Esters, Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, den Bundesbankgewinn anders zu verwenden. Warum haben Sie es denn nicht getan? ({0}) - Sie hätten das ändern können. Sie haben es nicht getan. Wir sind unserem Versprechen treu geblieben und haben das geändert. Wir setzen ihn nur partiell zur Finanzierung des Haushalts ein. Das sollten Sie positiv sehen. ({1}) Sie haben noch zur FDP gesagt, sie sei immer dabeigewesen. Ich kann nur sagen: Mit uns jedenfalls waren sie immer erfolgreicher als mit Ihnen, und das wird sich auch künftig fortsetzen. ({2}) Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben diesen Bundeshaushalt 1990 einen Wahlhaushalt genannt. - Frau Präsidentin, es wäre nett, wenn Sie das „Rot" abschalten könnten, denn ich habe das als politische Farbe von links schon immer als ziemlich störend empfunden, und wenn man es dann auch noch von rechts bekommt, dann irritiert das. - Sie haben gesagt, der Bundeshaushalt sei ein Wahlhaushalt auf Pump, und wir würden nach dem Motto handeln: nach uns die Sintflut. Das ist schon an Unverfrorenheit nicht zu überbieten, ({3}) wenn man sich überlegt, welche Finanzsituation Sie uns überlassen haben. Ich will Sie an einige Dinge erinnern: Das Ausgabenwachstum war in jedem Wahljahr unter SPD-Regierungsverantwortung höher. Es betrug 1972 12,8 vom Hundert, 1976 3,6 vom Hundert und 1980 6,1 vom Hundert - jedes Jahr höher. Die Neuverschuldung, gemessen am Bruttosozialprodukt, war in zwei SPD-Wahljahren höher: 1976 2,3 und 1980 1,8 vom Hundert. Die Gesamtausgaben wurden in zwei SPD-Wahljahren zu einem höheren Anteil durch Neuverschuldung finanziert: 1976 15,9 vom Hundert, 1980 12,6 vom Hundert. Wenn man dann in einem Wahljahr gegenüber dem Ausgabenanstieg in diesem Jahr wegen der Aussiedler, wegen der Übersiedler, wegen neuer Probleme auf 3,4 vom Hundert zurückgeht, dann ist das eine Leistung, die Sie in Ihrer Regierungszeit nie zustandegebracht hätten. ({4}) Und dabei setzen wir Akzente: Jeder von Ihnen weiß, was für Übersiedler und für Aussiedler in diesem Jahr und im nächsten Jahr aufzubringen ist. Das ist eine riesige Herausforderung, und der Etat sähe anders aus, wenn hier andere Zahlen stünden. ({5}) Wohnungsbau, Aussiedler, Übersiedler, Langzeitarbeitslose, Infrastruktur - das sind alles Dinge, die wir bewältigen und die wir mit finanzpolitischer Solidität bewältigen. ({6}) Dann haben Sie mich als Hobbyfinanzminister apostrophiert. Wenn man etwas als Hobby tut, tut man es jedenfalls gern. Ich habe auch den Eindruck, daß die Damen und Herren - ({7}) - Das sollten Sie sich gut überlegen, bevor Sie das sagen. Das sollten Sie beweisen, dann sollten Sie sich hier hinstellen und mir den Nachweis führen, wo ich mein Amt vernachlässigt habe. Das werden Sie nicht unter Beweis stellen können. Ich habe diese Aufgabe mit großem Ernst, mit großem Zeitaufwand durchgeführt. Das wird Ihnen jeder der Mitarbeiter im Finanzministerium bestätigen können, denen ich übrigens für ihre hervorragende Arbeit ausgezeichneten Dank erstatten möchte. ({8}) Übrigens ist das Finanzministerium und die Finanzpolitik mit CSU-Ministern nie schlecht gefahren. Das haben Schäffer und Strauß schon unter Beweis gestellt. ({9}) Frau Präsidentin, es ist eigenartig, daß man es hinnimmt, daß, wenn der Finanzminister spricht, von der SPD permanent und systematisch gestört wird. Das wird mit Absicht getan, um an diesem ersten Tag eine andere Situation im Parlament aufkommen zu lassen. Ich möchte das einmal in aller Klarheit feststellen: So ist mit Ihren Rednern nicht umgegangen worden. Sie tun das mit Systematik, weil Sie wissen, daß dies auf Grund der Akustik in diesem Raum seine Wirkung hat. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, soweit das die Präsidentin betrifft, kann ich das natürlich so nicht stehen lassen, daß ich nicht den Versuch mache, Ihnen die Redezeit und die Möglichkeiten, die vorhanden sind, zu verschaffen. Aber der parlamentarische Ablauf ist nun mal so, wie er ist. Dieses gilt für alle Seiten des Hauses. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich bedanke mich sehr für diese Feststellung, Frau Präsidentin. 100 Tage Schonzeit gibt man normalerweise einem Minister. In dieser Zeit gab es den Nachtragshaushalt, das Steueränderungsgesetz, europäische Zusammenarbeit und Währungsfragen. Dann haben wir wieder rechtzeitig, wie jedes Jahr seit 1983, den nächsten Haushalt beraten, rechtzeitig im Kabinett verabschiedet, in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause in diesem Parlament diskutieren können und für die Verabschiedung in diesem Jahr rechtzeitig Sorge getragen. Fast nie zu Ihrer Zeit hat es diese zeitgerechte Verabschiedung von Haushalten gegeben. ({0}) Ich bin allerdings als CSU-Vorsitzender in dieses Kabinett eingetreten, weil ich den Erfolg dieser Regierung will. Dafür werde ich als Bundesfinanzminister und als CSU-Vorsitzender mit aller Kraft kämpfen. Denn wir haben nicht diese ungeheure Last seit 1982 auf uns genommen, um bei guter Finanzlage, bei guter Wirtschafts- und Soziallage, alles wieder in Ihre Hände zu übergeben. ({1}) Aber, Frau Matthäus-Maier, Sie brauchen sich um einen kommenden SPD-Finanzminister keine Sorgen zu machen; er kommt nämlich nicht. Ich will Ihnen allerdings eines sagen: Es gab im Jahre 1969 einen Finanzminister, der hat Schulden zurückgezahlt. Das wird wohl der letzte in diesem Jahrhundert sein. Ich habe, wenn ich mich mit Franz Josef Strauß unterhalten habe, oft zu ihm gesagt: „Das war großartig, staatspolitisch hervorragend in einem Wahljahr, volkswirtschaftlich exzellent, finanzwissenschaftlich wie aus dem Lehrbuch. Es hatte nur einen Nachteil: Du hast das einem SPD-Finanzminister übergeben. " Er sagte dann fast jedesmal zu mir: „Theodor" - weil er immer den ganzen Namen sagte und wußte, was das heißt, nämlich „Geschenk Gottes" -, ({2}) „du hast absolut recht. Denn eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als daß ein SPD-Finanzminister das Geld zusammenhalten würde. " ({3}) Meine Damen und Herren, die Kritik von Frau Matthäus-Maier an der finanzpolitischen Solidität des Haushalts '90 ist völlig unglaubwürdig. Es war die SPD, die nicht nur die öffentliche Kreditaufnahme, sondern auch die Steuer- und Abgabenlast sowie die Staatsquote bis Anfang der 80er Jahre auf eine Rekordhöhe geschraubt hatte. Dagegen haben wir den Anteil der Neuverschuldung am Bruttosozialprodukt - das ist die entscheidende Meßgröße - innerhalb weniger Jahre halbiert und die Steuerquote auf den niedrigsten Stand seit 1959 gedrückt. Wir haben dies erreicht, obwohl wir Jahr für Jahr steigende Zinslasten auf die übernommenen Schulden finanzieren mußten. Die bisherige Rekordneuverschuldung betrug 1981 und 1982 jeweils über 37 Milliarden DM. Demgegenüber wird 1989 die Schuldenzunahme mit voraussichtlich etwas mehr als 20 Milliarden DM niedriger sein als in all den Jahren seit 1974. Es besteht allerdings ein entscheidender Unterschied: Es ist ein großer Unterschied, ob ich die Nettokreditaufnahme dafür benötige, um steigende Ausgaben, die fast unumkehrbar sind, immer wieder zu finanzieren, oder ob diese Nettokreditaufnahme auch dazu dient, die Steuerlast zu senken und damit langfristig den Wachstumspfad für unsere Wirtschaft für eine langfristige günstige Konjunktursituation herzustellen und zu festigen. ({4}) Im übrigen hätte ich nichts dagegen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, wenn Sie mit dem SPD-Senator in Berlin einmal sprechen würden, wie er die Erhöhung der Kreditaufnahme um 50 % beurteilt. Vielleicht könnten Sie da einen Teil Ihrer Lehren gleich unter Parteifreunden abwickeln. Ich verschweige nicht, daß die Höhe und die Dynamik der Zinsausgaben uns Sorge bereiten. Aber Sie haben bei dieser Kritik, Frau Kollegin Matthäus-Maier, eines vergessen: In der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung wurden die verhängnisvollen falschen Weichenstellungen vollzogen. Die Zinsausgaben sind durch weit überhöhte Verschuldung zwischen 1970 und 1982 um jahresdurchschnittlich 20 % angestiegen. Allein 1976 waren es 32 %, 1981 29 %. Die Neuverschuldung des Bundes seit 1982 reichte gerade aus, um die Zinsen und Zinseszinsen auf die bis 1982 aufgelaufene Verschuldung des Bundes zu decken. So betrachtet sind alle bis heute aufgenommenen Schulden die Folge früherer völlig unsolider Finanzpolitik. Uns dafür haftbar zu machen ist schon ein starkes Stück in der Politik, das wir nicht auf uns sitzen lassen. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, in der Familienpolitik fehle jeder politische Gestaltungswille. ({6}) Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage. ({7}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, waren es doch, die ab 1982 das Kindergeld für das zweite und dritte Kind gekürzt haben. Diese Bundesregierung hat seit 1984 den Familienlastenausgleich stetig verbessert: Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub wurden eingeführt, Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung anerkannt, das Kindergeld erhöht und wesentliche steuerliche Vergünstigungen wie die Wiedereinführung und mehrmalige Aufstokkung des Kinderfreibetrags beschlossen. Das alles zusammen macht 1990 zusätzlich - gegenüber 1984 - 18 Milliarden DM aus. Nirgendwo sonst in der Gesellschaftspolitik ist die Wende stärker erkennbar als hier an unseren Leistungen für die Familie. ({8}) Was den Schnellen Brutreaktor anbelangt, ist das ja ein Projekt aus der Regierungszeit der SPD. Meine Damen und Herren, bereits im Juni 1982, also noch zur Zeit der sozial-liberalen Koalition, wurden für den Brutreaktor Gesamtkosten von 6,5 Milliarden DM ermittelt. Dieser Finanzrahmen ist im wesentlichen eingehalten worden. Sie wissen ganz genau, daß wir jetzt jährlich noch 105 Millionen DM benötigen, die Hersteller, Elektrizitätswirtschaft und Bund zu je einem Drittel tragen müssen. Durch diese Finanzierung wird Zeit für die ordnungsgemäße Abwicklung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens geschaffen. Sie stehlen sich aus der Verantwortung für Dinge, für die Sie mitverantwortlich sind, und wollen uns dann anklagen. Das ist eine unseriöse, pharisäerhafte Politik, die wir nicht auf uns sitzen lassen. ({9}) Sie beklagen das Thema Subventionen. Der Anteil der Subventionen des Bundes am Bruttosozialprodukt wird 1990 auf 1,3 % sinken, während er in den 70er Jahren noch bei 2 % lag. Wenn Sie allerdings einen Vorschlag machen können, wie wir bei den Subventionen, z. B. für den Bergbau, etwas weiter herunterkommen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, Frau Kollegin Matthäus-Maier, auch für andere Vorschläge aus Ihren Reihen. Schlimm, unwahr und rechtlich nicht gerechtfertigt ist Ihr Vorwurf der Verfassungswidrigkeit dieses Haushalts. Die Nettokreditaufnahme bleibt in allen Jahren bis 1993 deutlich unter der Summe der investiven Ausgaben: ({10}) 1990 fast 4 Milliarden DM, 1993 sogar 11,5 Milliarden DM. Dieser Bundeshaushalt entspricht auch den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen, ({11}) wie es in Art. 109 des Grundgesetzes verlangt wird. ({12}) - Hören Sie zuerst zu, und dann können Sie noch sagen, ob das stimmt oder nicht. Die Nettokreditaufnahme 1990 steigt allein wegen der umfassenden Steuerentlastung der Arbeitnehmer und Betriebe, durch die wir das Wachstum dauerhaft stärken und so das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sichern. Allein auf den Bund entfallen Einnahmeausfälle von 10,5 Milliarden DM. Demgegenüber beträgt der Anstieg der Nettokreditaufnahme nur 6 Milliarden DM. Im Finanzplanungszeitraum bis 1993 wird die Nettokreditaufnahme wieder auf 25,6 Milliarden DM zurückgeführt. Aber die SPD scheint an akutem und sehr starkem Gedächtnisschwund zu leiden, denn sie vergißt völlig, daß sie fünfmal - 1975, 1976, 1978, 1981 und 1982 ({13}) die Verschuldungsgrenze des Art. 115 überschritten hat. Es geht nicht nur um die Jahre 1981 und 1982, Herr Kollege Esters, wie Sie es eben darzustellen versucht haben. ({14}) - Der Prozeß hat jedenfalls einiges ausgesagt. Wir werden zu dem, was die Investitionsbestimmungen anbelangt, etwas aussagen und miteinander festlegen müssen. Nur: Mit unserer Finanzpolitik, mit der Verwendung des Bundesbankgewinns liegen wir genau in der Richtung dessen, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat, Sie jedenfalls nicht. ({15}) Nun haben Sie auch noch mal beklagt, daß die Steuerreform für diejenigen nichts bringe, die keine Steuern zahlen. Nur wenige Minuten später, Frau Kollegin Matthäus-Maier, haben Sie behautet, die SPD-Steuersenkungen kämen auch den Rentnern zugute, weil durch sie der Nettolohn anstiege, was über die Rentenformel auf das Rentenniveau durchschlüge. Was stimmt jetzt eigentlich? Sie müssen sich für eine der beiden Alternativen entscheiden. ({16}) Dann haben Sie auf den Mittelstand und die Mittelstandspolitik Bezug genommen. Nur, so wichtig und so interessant es ist, über eine Investitionsrücklage zu diskutieren: das Entscheidende für den Mittelstand sind natürlich die Steuerfragen, die 90 % der Unternehmen als Personengesellschaften oder als Einzelunternehmen treffen. Eine nachhaltige Steuerentlastung dieser Betriebe ist nur über eine Senkung der Einkommensteuer möglich, die vor allem dem Mittelstand zugute kommt. Das übersehen Sie.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Bitte schön.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die CDU seit vielen Jahren für die steuerfreie Investitionsrücklage eintritt - mit der Folge, daß Sie vielleicht eine Menge an uns kritisieren können, aber doch diese Forderung der SPD eigentlich nicht kritisieren dürfen?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich habe sie auch nicht kritisiert. ({0}) - Nein. Entschuldigung! ({1}) - Entschuldigung! Frau Präsidentin, wie machen wir's hier? ({2}) Kommt zunächst die Frage und dann die Antwort? Oder darf die Fragestellerin während der Antwort permanent den Beantworter unterbrechen? ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Also so pingelig sind wir hier noch nie gewesen, Herr Bundesminister. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Ich würde jetzt gern antworten: Ich habe immer ja gesagt zu der steuerstundenden Investitionsrücklage. ({0}) Ich kritisiere das nicht. Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß wir mit der steuerstundenden Investitionsrücklage die Finanzprobleme, die Steuerprobleme des Mittelstands nicht lösen, sondern daß der Mittelstand mehr davon profitiert hat, daß der „Mittelstandsbauch" durch den linear progressiven Tarif abgeschafft worden ist ({1}) und wir weiter bei der Einkommensteuer auch bei der Spitze eine Entlastung brauchen, um den 90 % Personengesellschaften und Einzelunternehmen, die hauptsächlich mittelständisch orientiert sind, zu helfen. Insofern haben Sie mich völlig falsch verstanden, und es hätte Ihrer Zwischenfrage nicht bedurft. ({2}) Noch einen Punkt zur Verteilungswirkung. Die von der SPD immer wieder vorgetragene Behauptung, die Steuerreform begünstige vor allem die Großverdiener, während sie für die Haushalte mit geringerem Einkommen nichts bringe, wird auch durch ständige Wiederholung nicht richtig. Insgesamt wird durch die dreistufige Steuerreform im Zeitraum 1986 bis 1990 die Belastung der Geringerverdienenden in der bisherigen unteren Proportionalzone bis 18 000 bzw. 36 000 DM um etwa ein Drittel gesenkt. Bei den Beziehern hoher Einkommen in der oberen Proportionalzone verringert sich die Einkommensteuerbelastung demgegenüber nur um etwa 10 %. Und warum sagen Sie eigentlich der Bevölkerung nicht, daß Sie in den 70er Jahren den Eingangsteuersatz von 19 auf 22 % erhöht haben und wir ihn mit dieser Steuerreform von 22 wieder auf 19 % senken? Das ist unser Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit gerade gegenüber den Arbeitnehmern. ({3}) Noch ein Wort zu den Ökosteuern. SPD und GRÜNE tun so, also ob nun hier der Schlüssel für die Bewältigung aller Umweltprobleme gefunden worden wäre. Das ist nicht so. Ich wiederhole: Umweltschutz in der Marktwirtschaft muß sich auch in Zukunft in erster Linie am Verursacherprinzip orientieren. Darauf hat auch der Kollege Friedmann hingewiesen. Dazu sind die Instrumente: Gebote und Verbote und spezielle Abgaben. Das Steuerrecht kommt als Instrument nur in begrenztem Umfang in Frage, z. B. im Bereich der Kfz-Steuer. ({4}) Genau da haben wir es angepackt. Ihre Forderung, möglichst schnell von der Kfz-Steuer zur Mineralölsteuer allein überzugehen, würde genau den Anreiz, stärker Katalysatoren zu kaufen, zunichte machen, den wir durch die Veränderung, natürlich auch durch die Spreizung, in dem Zusammenhang erreicht haben. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Rust?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Es tut mir leid. Ich bitte um Verständnis. Es ginge zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen. Noch eines, Frau Kollegin Matthäus-Maier: Sie haben zum Ehegattensplitting Stellung genommen. Bei einer Einschränkung des Ehegattensplittings von 23,4 Milliarden DM in 1990 um 6 Milliarden DM auf 17,4 Milliarden DM müßte die Splittingwirkung ab ca. 60 000 DM zu versteuernden Einkommens gekappt werden. ({0}) - Nein. Für knapp 1,5 Millionen der rund 12 Millionen Ehepaare würde sich die tarifliche Einkommensteuer nach der Splittingtabelle erhöhen. Das muß man wissen. Das sollten Sie Ihren Plänen dann korrekterweise auch hinzufügen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte am Schluß noch etwas tun, was mir sehr am Herzen liegt, nämlich dem Kollegen Dr. Bernhard Friedmann meinen großen und, ich darf wohl sagen: unseren großen Respekt und Dank zum Ausdruck bringen. Er hat sich immer als ein sehr unabhängiger Bundestagsabgeordneter empfunden, ({2}) der nicht nur im Haushaltsrecht, der nicht nur in der Haushalts- und Finanzpolitik zu Hause ist, sondern der sich auch über den Tellerrand hinaus an andere Fragen wie z. B. Deutschland und unsere Perspektiven in der Zukunft gemacht hat und hier manchmal spektakuläre, manchmal sehr persönliche Initiativen entwickelt hat und damit seinem Auftrag als unabhängiger, frei gewählter Abgeordneter gerecht geworden ist. ({3}) Ich denke gern, lieber Kollege Friedmann, an die gemeinsame Zeit im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß. Man sieht, aus diesen Gremien kommen nicht die Schlechtesten. Ich darf Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft in Europa wünschen, und bei Ihnen allen bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich hatte ja gedacht, daß der einzig unabhängige Kopf in diesem Hause das Schlußwort bekäme: Wenn schon weit hinten, dann ganz hinten. Aber das vorletzte Wort hat ja auch seine Reize. Zum Stichwort „Umverteilung" bei diesem Haushaltsentwurf. Ich glaube, nichts drückt dies deutlicher aus als die Tatsache, daß die Lohnquote bei steigender Arbeitnehmerzahl gesunken ist, und jetzt bei 66 bis 67 % liegt. Gleichzeitig werden Unternehmensgewinne in nie erwartetem Ausmaße konstatiert. Diese Unternehmensgewinne werden nicht investiert. Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern, wie das Beispiel Siemens zeigt, es wird in Finanzrücklagen investiert, auf dem internationalen Finanzmarkt spekuliert, weil dort einfach höhere Renditen zu erzielen sind, als wenn die Rücklagen direkt in den Wirtschaftskreislauf eingegeben würden. Ich denke, das dürfte die Bezugsgröße von Herrn Waigel sein, wenn er sagt, daß die Volkswirtschaft in der Bundesrepublik von der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung noch nie wie in den letzten sieben Jahren profitiert hat. Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut hat gerade dieser Tage folgende Ziffern ausgeworfen: Die privaten Haushalte haben im ersten Halbjahr 1989 nur 1,5 % zusätzliche Einnahmen gehabt, die Nettoquote - die Nominalquote mit 4,5 %. Die Steigerung bei den Unternehmen liegt weit über 10 %. Bei den Bruttoeinkommen 1989 wird sie nach dieser Prognose im Vergleich zu 1988 gerade bei 1 % liegen. Am kommenden Dienstag, also morgen, wird das Statistische Bundesamt die Zahlen für das zweite Quartal - natürlich einen Tag nach der Einbringung dieses Bundeshaushaltes - offenlegen und zum Ausdruck bringen, daß es sich um ein Nullwachstum handelt, wahrscheinlich sogar um ein Minuswachstum für das zweite Quartal in diesem Haushaltsjahr. Gleichzeitig weist dieser Haushalt Passagen auf -Sie hatten das vorhin bereits zum Ausdruck gebracht, und auch Dr. Weng von der FDP sprach es an - wie z. B. beim THTR, bei der Wiederaufbereitungsanlage oder bei Kalkar, wo Stillegungen im atomindustriellen Bereich endlich erfolgen und diese Stillegungen nur auf Kosten der Stromkunden oder der staatlichen Haushalte finanziert werden. Die Industrie hat sich mit klugen Verträgen und mit noch klügeren Gesellschaftsformen freigehalten. Das ist eine Stümperei sondergleichen seitens derjenigen, die politisch die Verantwortung für die Einführung dieser Technologie hatten und nicht einmal den Weitblick auf 20 Jahre hin entwickelten, wie der Ausstieg finanziell zu regeln ist. Ein weiteres Stichwort bei diesem Haushalt: die Rentenfrage. SPD, CDU/CSU und FDP haben einen Kompromiß gemacht. So leid es mir tut - an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet - : Das ist nur noch peinlich. ({0}) Während Sie vor diesem sogenannten Kompromiß vehement gegen die Erhöhung der Lebensarbeitszeit Stellung genommen haben, tragen Sie jetzt in diesem Kompromiß die Erhöhung der Lebensarbeitszeit mit. Ich finde, das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, und dazu kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch an die Adresse der Sozialdemokratie. ({1}) Versuchen Sie das noch bei der anstehenden zweiten und dritten Lesung und der Verabschiedung dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit zu vermitteln! ({2}) Ob die Frauen, Frau Matthäus-Maier, Ihre Vorgehensweise, die Sie im Bereich der Frauen praktizieren, verstehen werden, werden wir sehen. Die Rente nach Mindesteinkommen ist das Stichwort. ({3}) Die Frist zur Anerkennung ist verlängert. Das ist der Vorteil. Aber warum sind bisher 25 Jahre erforderlich, um die 75 % des Durchschnittsentgeltes aller Versicherten zu erhalten, und warum sollen es zukünfig 35 Jahre sein? Ich hoffe auch, daß das draußen erkannt wird. Betroffen sind hiervon nämlich vor allen Dingen Personengruppen, die Pflichtbeitragszeiten, Kindererziehungszeiten haben, Ersatz- oder Zurechnungszeiten nachweisen können, also genau die Bevölkerungsgruppe, die im Bereich der Sozial- und Familienpolitik nicht nur der Bundesregierung verbal immer ein besonders ehrenvolles Wort genießen darf. Im praktischen Bereich sieht das ein bißchen anders aus. Ein letzter Stichpunkt für die, ich sage einmal: Rentensauereien, die in diesem Hohen Hause anstehen, ist der Bundeszuschuß. Herr Waigel, da sind Sie natürlich zuallererst gefordert. Aber die SPD ist bereit, einen so niedrigen Bundeszuschuß mitzutragen. 1957 waren es 31,9 %, 1966 25,2 % und 1988 18 %. Sie kommen jetzt langsam in den Bereich der 20 %. Wir müssen den Bundeszuschuß aber auf deutlich über 20 % anheben. Ein weiteres Stichwort ist die Drogenpolitik. Auch die findet ihren Niederschlag in dem Haushalt, nicht nur in den 40 zusätzlichen Stellen, die zwar nicht ausgewiesen sind, aber tatsächlich für das BKA, für die Rauschgiftbekämpfung geschaffen werden - genau mit der falschen Prioritätenliste; mit der Repression werden Sie dort nicht weiterkommen - , sondern auch an vielen, vielen anderen Stellen. Hierzu möchte ich Sie ausdrücklich auf meine Ausführungen vom 8. und 23. September 1988 hinweisen, nachzulesen in den Stenographischen Berichten. Das jetzt alles angesichts Ihrer Steinzeitmethode, mit der Sie Drogenpolitik betreiben wollen und diese Erscheinungsform in der Gesellschaft bekämpfen möchten, jetzt noch einmal darzustellen, erspare ich mir und Ihnen. Jedenfalls wird genau diese Ideologie - im Drogenbereich betreiben Sie keine Politik, sondern eine Ideologie - ein Land wie Kolumbien - und nicht nur Kolumbien - in Tiefen stürzen, an die vorher niemand auch nur annähernd gedacht hat. Es ist eine Träumerei, die Sie im Bereich der Drogenpolitik zusammen mit hilflosem Sprücheklopfen anbieten - anstatt tatkräftig die Konzeption der Entkriminalisierung und Teillegalisierung anzunehmen - , die ihresgleichen sucht und die auch eine Mißachtung der Menschen ist, die davon betroffen werden. Ein weiteres Stichwort: Ihre Zeltlager für DDR-Flüchtlinge, die dieser Tage aufgebaut werden. Es ist eine Frechheit, wie Sie diese Menschen behandeln. Als wenn wir uns im Bürgerkrieg oder nach einem Erdbeben befänden und uns in einer Notsituation behelfen müßten. Wieso werden beispielsweise keine Kasernen freigemacht, die Jungs vier Wochen in Urlaub geschickt - darüber freuen sich alle, auch die Friedensbewegung -, oder auch Hotels angemietet? Statt dessen fahren unsere Bonzen rülpsend nach drüben, machen eine Lagerbeobachtung, und anschließend geht es zurück an die Fleischtöpfe hier.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich weiß nicht, wen Sie mit „Bonzen" meinen. Was ist das für eine Bemerkung, und wen soll das betreffen, Herr Kollege?

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Diejenigen, die ich eben beschrieben habe, Frau Präsidentin, diejenigen, die die Lager begutachten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Aber es ist doch wirklich unglaublich, was Sie hier sagen.

Thomas Wüppesahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002568, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Wieso werden nicht auch für andere Ausländer, die in diesem Land Schutz suchen, Asylbewerber und und und, ähnliche Bedingungen geschaffen, wie sie die DDR-Flüchtlinge z. B. mit Sprachkursen erhalten? Auch diese Ungleichbehandlung zeigt überdeutlich, welches Menschenbild hinter dieser Vorgehensweise steht. Entspricht dies der Konkretion des sogenannten christlichen oder des sozialdemokratischen Menschenbildes? Ich würde dazu gern deutlichere Worte hören. Gesundheitspolitik - auch hierzu nur ein Stichwort. Gerade aktuell ist die sogenannte Festbetragsregelung, die zum 1. September dieses Jahres greifen soll. Zum 1. September 1989, nachdem mit Kraft und mit Krampf diese sogenannte Gesundheitsreform bereits zum 1. Januar 1989 Gültigkeit erlangt hat. - Von 800 bis 900 Substanzen werden gerade zehn erfaßt. Mehrere zehntausend Präparate können damit hergestellt werden. Tatsächlich werden gerade 1 500 Präparate erfaßt. Von diesen 1 500 liegen gerade 80 Medikamente über diesem Festbetrag. Weil die Industrie diese acht Monate, die verflossen sind, natürlich genutzt hat, liegt jetzt, 1. September 1989, nur noch ein einziges Medikament über diesem Festbetrag. Während man sich draußen darauf gefreut hatte - ich habe das auch getan - , nun diese dicken Bände zu sehen, in denen die Festbeträge und die betroffenen Medikamente ausgeworfen werden, hat man aus dem Arbeits- und Sozialministerium gerade ein dünnes Heftchen herausgegeben. Das soll dann der Beitrag der Pharmaindustrie sein. Das ist nur eine Fingerkuppe dessen, was die Pharmaindustrie an Beitrag zur Einsparung in der Gesundheitspolitik zu leisten hätte. Es gibt noch ein Stichwort, das aus meiner Sicht sehr delikat ist, nämlich die indirekte Einflußnahme der Republikaner bereits auf diesen Bundeshaushalt und damit das Verhältnis der CDU, der CSU im besondeWüppesahl ren, zu den Republikanern. - Klar: Die Republikaner sind die bestellten Sargträger der Bundes-CDU. Das geschieht Ihnen recht, und das wird auch Zeit. Jetzt trennt sich die CDU in Niedersachsen endlich von ihrem rechtskräftig verurteilten Wahlfälscher. Sie tut das aber nicht deshalb, weil er rechtskräftig verurteilt ist, sondern deshalb, weil er sich nicht ausreichend von den Republikanern distanzieren will. Das einzige, was parteischädigend ist, ist, sich zu den Republikanern zu bekennen und dadurch die Wiederwahlchance zu verschlechtern; denn andere in der CDU und der CSU bekennen sich ja auch, jetzt, September 1989, zu den Republikanern, und das nicht nur auf kommunaler Ebene. Es reicht also nicht, Wahlunterlagen zu fälschen, sondern man muß Parteischädigung in diesem skizzierten Sinne betreiben. Wie verkommen die politische Moral inzwischen geworden ist, das dokumentieren u. a. auch diese Vorgänge, und die Konzession im finanzpolitischen Bereich hieran finden wir an mehreren Stellen im Haushalt. Meine Damen und Herren, ich würde gern noch ein letztes Stichwort aufgreifen, und zwar „Gorbatschow und Perestroika". - Immer wieder hören wir die Lobeshymnen, die gerade im Westen darauf gehalten werden. Viel bedeutsamer finde ich, daß - so meine Einschätzung - diese Veränderung nur auf Grund der wirtschaftlichen Situation in der Sowjetunion zustande gekommen ist und nicht deshalb, weil Gorbatschow so demokratisch ist. Er ist - ähnlich wie alle größeren Politiker im Westen - nur insofern eine Ausnahmeerscheinung im Osten, als er ein geschickter und kluger Verkäufer ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Damit ist Ihre Redezeit wirklich verbraucht. ({0}) - Nein. ({1}) - Ich habe Ihnen eine Minute entsprechend gegeben. Ihre Redezeit ist zu Ende. Verehrter Herr Kollege, wir bekommen Ärger. Es ist gleich halb drei. Ich bitte Sie wirklich, Ihre Ausführungen an den folgenden Tagen zu machen. Sie haben noch Gelegenheit, zur Außenpolitik zu sprechen. ({2}) Ich bitte Sie, freundlicherweise - ({3}) - Nein. ({4}) Ich habe Ihnen entsprechende Redezeit gegeben. Ich bitte, das Podium zu verlassen. Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg. ({5}) - Nein. Wenn hier einer ungeheuerlich ist, dann sind Sie es.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ungeheuerlich finde ich es, daß von diesem Pult u. a. ein ehrenwerter Politiker dieses Hauses, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, in seinem Bemühen, für ordentliche Unterbringung von Aussiedlern zu sorgen, als „rülpsender Bonze" bezeichnet wird. Ich schäme mich dafür. ({0}) - Natürlich hat er das gesagt! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einige kritische Bemerkungen zur Debatte machen. Abgesehen von dem Dialog mit Dr. Friedmann und abgesehen von dem Dialog mit Frau Matthäus-Maier um die Ökosteuern läuft die ganze Debatte nach Schema F ab: SPD-Schulden: gut, CDU-Schulden: schlecht. Von einem anderen Standpunkt heißt es dann: CDU-Schulden: gut, SPD-Schulden: schlecht. ({1}) - Ich komme darauf gleich. - So, glaube ich, können wir eine solche Debatte nicht führen. ({2}) Die Wahrheit ist: Die Zinsbelastungen aller Schulden sind ein Problem aller, ({3}) und mit diesem Problem müssen wir alle fertigwerden. Ich will auch gern auf die von Herrn Kühbacher, der nicht mehr da ist, in so netter Form angesprochene Frage der Kontinuität eingehen. Tatsache ist selbstverständlich, daß wir in beiden Regierungen waren. Tatsache ist aber auch - und da rufe ich Ingrid Matthäus als besondere Zeugin an - , daß wir uns immer bemüht haben - Helmut Esters weiß das auch -, Hoppe zu sozialdemokratischen Zeiten, Weng jetzt, den Schaden so gering wie möglich zu halten, für ein Optimum an Vernunft zu sorgen. Ich meine, es würde auch vernünftig sein, wenn man sich in einer solchen Debatte bei den Sozialdemokraten einmal bedanken würde, daß das Argument vom Totsparen nicht mehr vorgetragen wird. Aber es wäre auch nicht schade, wenn anerkannt würde, daß - darauf hat der Finanzminister mit Recht hingewiesen - die Defizite aller öffentlichen Haushalte - in diesem Zusammenhang wird fälschlicherweise von der Staatsquote gesprochen und die Sozialversicherungsträger werden einbezogen - auf 2,4 % des Bruttosozialprodukts gesunken sind, und es wird vergessen, daß die Steuerquote relativ niedrig ist. Von dieser Stelle möchte ich deutlich machen: Jeder Arbeitslose, der arbeiten kann und will, bedeutet für uns eine Aufforderung, dafür sorgen, daß er Arbeit Cronenberg ({4}) findet. Aber jene 1,2 Millionen, die Arbeit gefunden haben, sind ein Grund zur Freude. Darüber sollte sich auch die Opposition freuen und die Dinge nicht in diesem Hin und Her kaputtreden. ({5}) Ich meine auch, es wäre gut und richtig, einmal festzustellen, daß wir bei hoher Stabilität, die wir dankenswerterweise haben, trotz Steuersenkungen Steuermehreinnahmen haben, daß also der Mechanismus - Absenken der Steuerlastquote, Ankurbelung der Wirtschaft; durch höhere Eigenkapitalquote der Betriebe - im Prinzip funktioniert und wir uns dieses Instruments bedienen können. Ich glaube, es wäre einer sachlichen Umweltdiskussion dienlich, wenn wir darauf hinweisen und zugeben, daß das Verhältnis von Preis, z. B. beim Öl, zu Verbrauch unbestritten gegeben ist und daß zum Preis selbstverständlich auch die steuerliche Belastung gehört, d. h. daß der Zusammenhang zwischen Energiesparen einerseits und Steuerpolitik andererseits so offensichtlich ist, daß wir völlig falsch handeln würden, wenn wir diesen Zusammenhang nicht sehen würden, auch wenn dann von Ökosteuer die Rede ist. Darüber in Ruhe und Sachlichkeit zu diskutieren wäre mir sehr lieb. Das würde auch den Leuten draußen viel besser gefallen, als wenn wir uns gegenseitig Schuldenmachen - mit den daraus resultierenden Belastungen - vorwerfen. So wie teures Öl dazu geführt hat, daß Doppelfenster eingebaut wurden und Öl gespart wurde, ({6}) so hat eine zeitweilig zu hohe Subvention für diese Doppelfenster dazu geführt, daß Hunderte von Betrieben gegründet wurden und es nach dem Wegfall der Subvention in dieser Branche besonders viele Pleiten gab. Hier ist uns beispielhaft vorgeführt worden, wie man richtig steuern kann, ohne Planwirtschaft zu praktizieren. Wenn wir uns darüber - auch kontrovers - auseinandersetzten, dann würden wir, glaube ich, dem Appell Friedmanns, nämlich dem Appell, daß in diesem Haus parlamentarische Demokratie praktiziert werden möge und wir uns nicht gegenseitig mit Totschlagsargumenten bekämpfen sollten, mehr gerecht werden. Denn diese Art, uns in unserem Staat zu organisieren, halten wir für die optimale. Meine große Bitte für die Diskussion in den nächsten Tagen ist, diesem Appell zu folgen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache über die Beratung des Haushaltsgesetzes 1990 und des Finanzplanes 1989 bis 1993 morgen fort; Beginn 9 Uhr. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Einspruch des Abgeordneten Volmer gegen den am 23. Juni 1989 erteilten Ordnungsruf Über diesen Einspruch entscheidet der Bundestag gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung ohne Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einspruch des Abgeordneten Volmer stattgeben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einspruch ist abgelehnt. Die Sitzung ist geschlossen.