Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/28/1989

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur Untersagung des Fusionsantrages Daimler-Benz / Messerschmitt-Bölkow-Blohm ({0}) durch das Bundeskartellamt Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was nun, Herr Haussmann? Auf der Tagesordnung steht die größte Unternehmensfusion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sie als Bundeswirtschaftsminister stehen nach unserer Auffassung wahrscheinlich vor der größten ordnungspolitischen Bewährungsprobe, die es seit Einführung der Marktwirtschaft in der Bundesrepublik gegeben hat. Ich möchte die Anforderungen des Kartellgesetzes an die Ministererlaubnis zitieren: Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird. Genau diese Gefährdung ist jedoch vom Bundeskartellamt gerade festgestellt worden. Ich sage es mit den Worten des Vorsitzenden der zuständigen Beschlußabteilung: Das sei - wörtliches Zitat -... ein seltenes Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Macht, die sich am Markt zeigt, politische Einflußmöglichkeit bedeutet, die wiederum zur Festigung der Marktmacht führt. Also, eine Ministererlaubnis im Falle von Daimler Benz/MBB wäre nicht nur - das ohnehin - ein Widerspruch zu Geist und Sinn der Marktwirtschaft, sondern auch ein klarer Rechtsbruch gegen das Kartellgesetz. ({0}) Was nun, Herr Haussmann? Hauptinitiator dieser Mammutfusion waren nicht Sie, sondern war Ihr Vorgänger. Ohne gewaltige Subventionsversprechungen gäbe es diese Fusion überhaupt nicht. Ohne eine Sondergenehmigung des Bundeswirtschaftsministers ist sie völlig unmöglich. Das heißt: Sie ist praktisch schon von Ihrem Vorgänger versprochen worden. Sie müssen also Mut haben; aber gerade zu diesem Mut fordern wir Sie auf. Wie war es? Klammheimlich wird im Mai 1988 unter Federführung des damaligen Bundeswirtschaftsministers die Fusion vorbereitet. Im Sommer 1988 verkündet dann Herr Bangemann, die angestrebte privatwirtschaftliche Lösung befreie den Staat von gewaltigen Risiken beim Airbusgeschäft. Im November 1988 erklärt die Bundesregierung ihre Bereitschaft zur Unterstützung des Einstiegs, mit Milliardensubventionen garantiert. Mehrfach, zuletzt in dieser Woche, erklärt der Parlamentarische Staatssekretär, der jetzt neben Ihnen sitzt, nämlich Herr Riedl, die Ministererlaubnis sei notwendig, politisch gewünscht und machbar. Er nimmt also öffentlich die Entscheidung seines Chefs vorweg. Der aber sagt nun wieder in derselben Öffentlichkeit zur selben Zeit, nichts sei vorentschieden; die Ministererlaubnis werde unvoreingenommen und sorgfältig geprüft. ({1}) Was denn nun, Herr Haussmann? Gilt das, was Ihr Nebensitzer Riedl sagt, oder das, was Sie sagen? Der neue Konzern würde alle bedeutenden Rüstungsprojekte in der Bundesrepublik Deutschland in den 90er Jahren kontrollieren. Dieser Konzern würde auch das Luft- und Raumfahrtgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland kontrollieren bzw. dort eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Dabei geht es fast ausschließlich um Projekte, die nur durch öffentliche Finanzierung, durch Subventionen, lebensfähig sind. Es kommt zu einer völligen Verschmelzung der Interessen des privaten Großkonzerns und des Staates. Herr Haussmann, das Kriterium des Kartellgesetzes lautet: Im überragenden Interesse der Allgemeinheit kann genehmigt werden. Das Gesetz verlangt ferner einen gesamtwirtschaftlichen Vorteil. Ich frage Sie: Ist die Machtzusammenballung in diesem Umfang ein gesamtwirtschaftlicher Vorteil? Herr Haussmann, jetzt sollten Sie keine kleinen Schlauheiten entwickeln. Es hat den Anschein, als wollten Sie sich jetzt mit ein paar Auflagen um die Entscheidung herumdrücken. Das geht nicht, Herr Wirtschaftsminister! ({2}) Sie müssen sich jetzt klar für die Marktwirtschaft entscheiden und gegen eine weitere Vermachtung der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland; ({3}) sonst sind Sie vor Ihrem vielbeschworenen Mittelstand völlig unglaubwürdig. Zeigen Sie heute morgen Mut und sagen Sie uns, daß Sie in die richtige Richtung gehen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Doss. ({0})

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für das Kompliment! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heftige Erregung - die bei Herrn Roth Gott sei Dank nicht zum Ausdruck kam -, die die Fusionsabsicht von Daimler-Benz und MBB und die Untersagung eines solchen Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt ausgelöst haben, sollte bei der Diskussion im Deutschen Bundestag durch eine sachliche, möglichst emotionsfreie Behandlung des Themas ersetzt werden. ({0}) Das ist durch den Beitrag von Herrn Roth weitestgehend erfolgt. ({1}) - Auch du lieber Gott, Sie werden sich doch noch einen Augenblick beherrschen können; dann können Sie zur vollen Form auflaufen. ({2}) Die Wichtigkeit und der Ernst der Angelegenheit gebieten das. Herr Roth hat ja dem Minister Mut gewünscht, und wir wünschen ihm das auch. ({3}) Insofern sind wir uns zumindest in diesem Punkt einig. Wir haben es mit einem ganz normalen Verfahren der Zusammenschlußkontrolle zu tun, das nach den Vorschriften des Kartellgesetzes ordnungsgemäß durchgeführt wird. Die beteiligten Unternehmen haben das Zusammenschlußvorhaben im Dezember 1988 beim Bundeskartellamt angemeldet. Nach Prüfung ist das Amt zu der Erkenntnis gekommen, daß durch den Zusammenschluß marktbeherrschende Stellungen in den Bereichen Wehrtechnik und Raumfahrttechnik sowie auf den Märkten für leichte und schwere Lastkraftwagen zu erwarten sind. Daraufhin hat die zuständige Beschlußabteilung das Fusionsvorhaben gemäß § 24 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GWB untersagt. Sofern die Unternehmen dies beantragen, kann gemäß § 24 Abs. 3 GWB der Bundesminister für Wirtschaft trotz vorhergehender Untersagung die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß erteilen. ({4}) Hierzu hat er eine gutachtliche Stellungnahme der Monopolkommission einzuholen sowie eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Meine verehrten Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß das Verfahren, nach dem dies abläuft, 1973 unter der SPD-geführten Bundesregierung ins Kartellgesetz aufgenommen wurde. Sie sind also Urheber dieser Regelung und sollten insofern das Verfahren auch kennen. ({5}) - Ich freue mich darüber, daß Sie wenigstens hier etwas zu lachen haben, sonst ja kaum. ({6}) Deswegen ist es so unverständlich, daß Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. ({7}) Nach dem von Ihnen selbst beschlossenen gesetzlichen Verfahren wissen Sie, daß zu dieser Zeit überhaupt noch kein Urteil abgegeben werden kann und daß es auch nicht abgegeben werden darf. ({8}) Sie wissen auch, daß das Bundeskartellamt bei seiner Entscheidung auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 GWB nur wettbewerbliche Vor- und Nachteile zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen hat. Die Gesamtbeurteilung eines Zusammenschlusses kann sich darin allerdings nicht erschöpfen. Das Institut der Ministerentscheidung wäre sonst überflüssig und überhaupt nicht zu erklären. Diese dient nach dem Gesetz dazu, einen Zusammenschluß nicht nur an rein wettbewerbsrechtlichen Kriterien zu messen, sondern auch an gesamtwirtschaftlichen Vorteilen der Fusion oder an Interessen der Allgemeinheit, die gegebenenfalls die mit dem Zusammenschluß verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen können. Es ist daher falsch und nicht zulässig, so zu tun, als wäre mit der Entscheidung des Bundeskartellamtes ein endgültiges Verdikt über das Fusionsvorhaben gefällt. Der Bundesminister für Wirtschaft hat den Vorgang völlig eigenständig zu überprüfen und dabei, wie soeben erwähnt, andere Maßstäbe anzulegen als das Bundeskartellamt. Um es hier noch einmal ganz klar und unmißverständlich zu verdeutlichen: Eine Entscheidung für eine Fusion dieser Größenordnung kann keinem WirtDoss schaftspolitiker leichtfallen. Das möchte ich ganz deutlich sagen. Wir in der Union ringen um dieses Thema. Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. Wir haben ordnungspolitische Bauchschmerzen; Sie wissen das. Weil wir diese Bedenken haben, sind wir der Auffassung, daß vor einer Entscheidung für diese Fusion eine sorgfältige und gewissenhafte Güterabwägung zu erfolgen hat. Nach Abwägung aller Argumente des Für und Wider des Einstiegs von Daimler-Benz bei MBB verbietet sich nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine pauschale Absage wie auch eine leichtfertige Zusage. Dazu wiegen die Argumente des Pro und Kontra viel zu schwer, als daß jetzt mit einer schnellen Entscheidung Klarheit herbeigeführt werden kann. Wir haben in den Bundesminister für Wirtschaft das große Vertrauen, daß er eine verantwortungsbewußte Entscheidung treffen wird. Wären Sie, meine verehrten Kollegen von der SPD, in unserer Rolle, was leider noch sehr lange nicht der Fall sein wird, täten auch Sie sich in dieser Frage schwer. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In seiner gestrigen Regierungserklärung hat der Bundeskanzler die geplante Mammutfusion von Daimler mit MBB mit keinem einzigen Wort erwähnt, obwohl das Problem vor allem seinem Wirtschaftsminister auf den Nägeln brennt. Durch den Einstieg von Daimler bei MBB würde die wirtschaftliche und letztlich politische Vormachtstellung von Daimler gefestigt und in unerträglicher Weise ausgebaut. ({0}) Zu Recht hat daher das Bundeskartellamt die geplante Fusion untersagt. Zur Begründung stellt es unmißverständlich fest - ich zitiere - : „Durch den Zusammenschluß entsteht eine im Rüstungsbereich dominierende Rüstungsgruppe, deren Marktmacht nicht zu kontrollieren ist." Knapp 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schmiedet die Bundesregierung Europas größten Rüstungskonzern. ({1}) Die leidvolle geschichtliche Erfahrung mit dem verhängnisvollen Einfluß der Rüstungsindustrie auf die Politik darf nicht vergessen werden, meine Damen und Herren. ({2}) Die Entscheidung der Bundesregierung stellt eine erhebliche Gefahr für die Friedens- und Abrüstungspolitik dar. Auch darüber darf man nicht hinwegsehen. ({3}) Es ist vorhersehbar, daß der Großteil aller zukünftigen Rüstungsaufträge - das sagt sogar Ihr Herr Friedmann - dem Daimler-Konzern zufließen. Dies hat auch das Bundeskartellamt scharf kritisiert. Auch die betroffenen Bundesländer und Kommunen, kleine und mittlere Zulieferbetriebe, die Beschäftigten und ihre betrieblichen Interessenvertretungen geraten in ein ökonomisches und damit letztlich politisches Abhängigkeitsverhältnis. ({4}) Jede künftige Bundesregierung wird sich ständig mit neuen Forderungen von Daimler-Benz konfrontiert sehen und damit erpreßbar werden. Das wird auf uns zukommen. ({5}) Gerade die etwa 30 000 kleinen und mittleren Zulieferer von Daimler - da gucke ich in Richtung FDP; darum wollen Sie sich doch angeblich kümmern - werden sich einem Industriekoloß gegenübersehen, der die Preise und die Geschäfts- und Lieferbedingungen nach Belieben diktieren kann, was zum Teil schon jetzt passiert. ({6}) Die Bundesregierung wird nicht müde, ihre angeblich so mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik hervorzuheben. Tatsache ist hingegen, daß die Förderung von zur Zeit jährlich 680 Millionen DM auf 480 Millionen DM in 1992 zurückgeführt werden soll. Dagegen werden neue Weltraumprojekte, neue Waffensysteme und der Airbus in Milliardenhöhe subventioniert. Und rein zufällig werden alle diese Produkte im Daimler-Konzern hergestellt, und der Mittelstand guckt in die Röhre. Das ist Ihre Mittelstandspolitik! ({7}) - Wenn Sie sich aufregen, mache ich da gleich weiter: Der FDP-Vorsitzende, Graf Lambsdorff, sagte in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung, daß der FDP die Entscheidung in dieser Sache schwerfalle. Das scheint wenig glaubwürdig, hatte doch derselbe Graf Lambsdorff noch vor einigen Monaten gesagt: Aus einem fahrenden Zug springen wir nicht ab. Die Untersagung der Daimler/MBB-Fusion durch das Bundeskartellamt war kaum veröffentlicht, da ließ die Bundesregierung verkünden, sie halte nach wie vor an der Fusion fest. Daraus darf man doch wohl schließen, daß die FDP-Minister, die Mitglieder der Bundesregierung sind - zumindest noch -, hinter dieser Entscheidung stehen, auch Minister Möllemann. Auf dem Landesparteitag der Liberalen in NRW forderte Herr Minister Möllemann hingegen seinen Kollegen Haussmann auf, keine Ministererlaubnis zu erteilen. Warum, so fragt man sich, haben er und seine Kollegen nicht innerhalb des Kabinetts für eine entsprechende Entscheidung gesorgt? ({8}) Offensichtlich hat der Widerstand aus den eigenen Reihen und aus den Reihen Ihrer vermeintlichen Klientel zu dieser plötzlichen Meinungsänderung geführt. Das ist Opportunismus in Reinkultur. ({9}) Wie, meine Damen und Herren, soll es jetzt weitergehen? Sollte Herr Minister Haussmann die Erlaubnis, wenn auch mit einigen kosmetischen Korrekturen, erteilen, müßte konsequenterweise das Bundeskartellamt aufgelöst werden. Eine Sondergenehmigung durch den Minister würde die Ordnungspolitik auf den Kopf stellen. ({10}) Wenn das geltende Wettbewerbsrecht überhaupt noch einen Sinn haben soll, darf es nicht durch eine Ministererlaubnis ad absurdum geführt werden. Ich fordere Sie auf, Herr Haussmann, die Entscheidung des Bundeskartellamts zu akzeptieren und sich hier und heute dazu zu erklären. Die Gelegenheit haben Sie. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskartellamt hat im Fall Daimler Benz/MBB sein Votum abgegeben. Es hat die Fusion von Daimler Benz und MBB nach den für das Bundeskartellamt geltenden Spielregeln untersagt. Das Kartellamt überprüft zum einen grundsätzlich nur wettbewerbsrechtliche Kriterien, nicht allgemeine volkswirtschaftliche, sicherheitspolitische, haushaltspolitische und ähnliche Gesichtspunkte. Zum zweiten bezieht es seine Beurteilung nur auf den nationalen Markt. Die Unternehmen haben nur zwei Möglichkeiten, nämlich die Entscheidung anzufechten oder um eine Ministererlaubnis einzukommen. ({0}) Solange diese Möglichkeit offen ist, ist das Verfahren nicht abgeschlossen. Es gehört zu den anerkannten Grundsätzen einer rechtsstaatlichen Demokratie und der Gewaltenteilung, daß das Parlament nicht in laufende Verwaltungsverfahren eingreift ({1}) und durch politische Stellungnahmen diese Verfahren zu beeinflussen versucht. Das gilt natürlich für jede Richtung der Beeinflussung. Deshalb darf das Parlament zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskunft des Wirtschaftsministers verlangen. ({2}) Der von der SPD gestellte Antrag würde den Minister veranlassen, zu Äußerungen, zu Ergebnissen zu kommen. Das wäre im gegenwärtigen Stand unrechtmäßig. ({3}) - Ein Blick ins Gesetz hätte genügt. Herr Roth, Sie hätten sich davon überzeugen können. Zunächst haben die Unternehmen eine vierwöchige Frist, um diesen Antrag zu stellen. Danach steht dem Wirtschaftsminister eine Viermonatsfrist zur Verfügung, um zu seiner Entscheidung zu kommen. In dieser Zeit legt die Monopolkommission ihr Gutachten vor. Den beteiligten Ländern ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Außerdem wird eine Anhörung der betroffenen Unternehmen stattfinden. Erst dann wird das Verfahren mit der Entscheidung des Wirtschaftsministers abgeschlossen. Der Minister hat drei Möglichkeiten: Er kann die Ministererlaubnis erteilen, er kann sie versagen, er kann seine Zustimmung mit Auflagen verbinden. Diese Entscheidung muß er allein treffen. Er kann und wird wohl die Zustimmung des Kabinetts einholen. Bei seiner Entscheidung muß er die in § 24 Abs. 3 des Wettbewerbsgesetzes vorgegebenen Kriterien prüfen. Er muß insbesondere die allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung, die internationalen Wettbewerbsverhältnisse und die haushaltspolitischen Auswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses beurteilen. Neben den nationalen kartellrechtlichen Bedenken ist auch die schiere Größe des nach der Fusion entstehenden Unternehmens ein bedeutsamer wirtschaftspolitischer Faktor. Es ist zu beurteilen, wie sich dies auf die nationale und die internationale, insbesondere auf die mittelständische Konkurrenz auswirkt. Es ist aber auch zu beurteilen, wie sich das auf die Stellung zu dem öffentlichen Auftraggeber, insbesondere im Bereich militärischer Güter, auswirkt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die Luft- und Raumfahrt heute unzweifelhaft keine nationalen Dimensionen mehr hat. Sie wird im internationalen Maßstab betrieben. Der relevante Markt ist dabei der Weltmarkt. Nationale Grenzen haben schon lange ihre Bedeutung in diesem Markt verloren. Für die Entwicklung und Produktion des Airbus hat die Bundesregierung bereits mehr als 10 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Ein Abbau der Subventionsabhängigkeit ist nur durch eine industrielle Führung des zivilen Flugzeugbaues möglich - das ist allgemein unbestritten - , da sonst produktive und rentable Strukturen in diesem Bereich nicht durchzusetzen sind. Daimler-Benz war das einzige Unternehmen, das sich bereit erklärt hat, diese Aufgabe auf sich zu nehmen; auch das muß man dabei berücksichtigen. Wenn wir also wollen, daß der Steuerzahler irgendwann einmal, mittelfristig, aus dieser ZahlungsverDr. Solms pflichtung entlassen wird, dann muß man diese Gesichtspunkte mit einbeziehen. ({4}) Der Bundeswirtschaftsminister muß die genannten Gesichtspunkte prüfen, abwägen und zu seiner Entscheidung kommen. Wir alle sollten ihm diese schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe erleichtern, indem wir ihn nicht dazu drängen, zu voreiligen und vorschnellen Urteilen zu kommen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, dieser Fusionsfall DaimlerBenz/MBB ist ein Skandal ersten Ranges. ({0}) Ich darf am Anfang einmal darauf hinweisen: So etwas hat es in der Geschichte der Ministererlaubnisse noch nie gegeben, ({1}) daß eine Bundesregierung beschließt, diese Fusion zu betreiben, und daß man hinterher sagt, der Minister sei bei diesem Verfahren noch objektiv. Das stimmt doch nicht mehr; er ist doch an die Kabinettsdisziplin gebunden. ({2}) So etwas hat es wirklich noch nie gegeben. Das hat es auch noch nie gegeben, daß ein großer Konzern, wenn ein Verfahren wie diese Ministererlaubnis anhängig ist, in der Öffentlichkeit so massiv Einfluß auf die Entscheidungsfindung nimmt, wie Daimler-Benz das tut. Das konnten Sie heute wieder der Presse entnehmen. Das Schlimme ist aus meiner Sicht: Kleine und mittlere Unternehmen haben häufig etwas zu sagen und finden in der Öffentlichkeit kein Gehör. Aber die großen Konzerne haben die Schlagzeilen sofort für sich. Das ist eine unmögliche Angelegenheit. ({3}) Und dann produzieren Sie noch „Unsinn" dazu; „völliger Unsinn" wird dann gesagt. Es ist nicht richtig, wenn gesagt wird, der nationale Markt sei die Basis. Vielmehr ist der relevante Markt die Basis für diese Entscheidung. Sehr wohl wurden bei der Entscheidung des Kartellamtes europäische Überlegungen berücksichtigt. Es ist auch nicht richtig, wenn gesagt wird, vollständiger Wettbewerb sei das Leitbild des Kartellamtes. Wir haben schon 1973 den dynamischen, funktionsfähigen Wettbewerb als Leitbild eingebaut. ({4}) Diese Fusion ist ein ordnungspolitischer Skandal ersten Ranges. Im Rüstungsbereich wird eine marktbeherrschende Stellung eingebaut und auch in der Luft- und Raumfahrt. Ich sage Ihnen aus meiner Sicht: Wenn Ludwig Erhard das miterleben würde, was diese Koalition praktiziert, würde er sich im Grabe umdrehen, weil er sich für diese Ordnungspolitik schämen müßte. Seine Grundsätze werden von der Regierung mit Füßen getreten. Ich möchte, weil die Regierung das selber angeführt hat, drei Punkte ein wenig näher beleuchten: Die Regierung behauptet, die Subventionen würden abgebaut; die Regierung würde, sagt sie, einen Beitrag zur Privatisierung leisten, und schließlich würde ein leistungsfähiger Luft- und Raumfahrtkonzern geschaffen. Das alles stimmt nicht, alles ist falsch. Subventionen gibt es bis zum Jahre 2000 noch in Höhe von 4,3 Milliarden DM, und zwar für das Wechselkursrisiko. Selbst der Bundesrechnungshof hat festgestellt, daß danach noch lange nicht Schluß damit sei; danach könnten sehr wohl weitere Subventionen fließen. ({5}) Welches kleine und mittlere Unternehmen bekommt eigentlich von dieser Regierung, wenn es Auslandgeschäfte macht, das Wechselkursrisiko abgesichert? Das bekommt nur Daimler-Benz. ({6}) - Das mag sein, daß die Anteile von Bremen, Hamburg und Bayern reduziert werden; vielleicht verschwinden sie sogar. Aber die ordnungspolitischen Grundsätze eines Walter Eucken besagen: So etwas kann es niemals geben, wenn gleichzeitig marktbeherrschende Positionen aufgebaut werden. Dann ist das völlig unmöglich, und dann wehren wir uns mit Händen und Füßen dagegen. Vielmehr ist das, wenn so etwas geschieht, immer mit Entballung und Entflechtung verbunden, und das ist hier nicht der Fall. ({7}) Es wird eine geschlossene nationale Luft- und Raumfahrtindustrie geschaffen. Seit 15 Jahren wird hier fusioniert, seit 15 Jahren werden überall regional Arbeitsplätze abgebaut. Auch diese Fusion wird dafür sorgen, daß in bestimmten Regionen weitere Arbeitsplätze verlorengehen. Das ist die Realität mit absoluter Sicherheit. ({8}) - Nein, Sie müssen doch endlich begreifen, Herr Cronenberg: Größe' sichert überhaupt nicht die Arbeitsplätze, sondern nur Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit sowie Innovationskraft. Das sind die entscheidenden Voraussetzungen, die man braucht. ({9}) Aber diese Arbeitsplätze schafft man nicht durch Fusionen. Und die Arbeitnehmer von Daimler-Benz wissen ganz genau, daß, wenn die Fusion zustande kommt, auch bei ihnen Arbeitsplätze gefährdet sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, der Wirtschaftsminister wäre gut beraten, wenn er diese Probleme und alle diese Punkte sehr sorgfältig studiert. Ich sage Ihnen: Der Wirtschaftsminister kämpft angeblich in Brüssel dafür, daß die wettbewerbspolitischen von den industriepolitischen Gesichtspunkten bei der Einführung einer europäischen Fusionskontrolle getrennt werden. Wenn diese Fusion genehmigt wird, braucht er in Brüssel überhaupt nicht mehr anzutreten, weil er dann absolut unglaubwürdig ist. Es wird immer gerne gesagt, er sei ein politisches Leichtgewicht. Ich glaube, hier hat er es wirklich in der Hand, zu einem Schwergewichtler zu werden. ({10}) Verhindern Sie also dieses Verbrechen gegen die Grundsätze der marktwirtschaftlichen Ordnung. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002208, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Jens, noch ist die Fusion nicht genehmigt. Meine Damen und Herren, das kartellrechtliche Zulassungsverfahren für die Fusion Daimler/MBB endete mit einer Überraschung. Das Kartellamt hat die Fusion nicht wegen der Airbusbeteiligung untersagt, sondern weil auf Teilmärkten, insbesondere im Rüstungsbereich, auf den Märkten für Luft- und Raumfahrt und für schwere Lastkraftwagen marktbeherrschende Stellungen entstünden oder weiter ausgebaut würden. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind um die Entscheidung, die Sie jetzt zu treffen haben, nämlich über eine Ministererlaubnis die Fusion dennoch zu genehmigen oder auch nicht, wahrlich nicht zu beneiden. ({0}) Sie werden eine Vielzahl von Faktoren und Gesichtspunkten abzuwägen und zu bewerten haben, die sich teilweise konträr gegenüberstehen. Ich nenne davon einige. Erstens. Es ist ja wohl nicht zu bestreiten, daß durch die Beteiligung von Daimler an MBB die Chance besteht, öffentliche Finanzhilfen für den Airbus zu reduzieren und das Airbusprogramm langfristig in die industrielle Eigenverantwortung zu stellen. Dies ist das Ziel der Fusion. Aber, meine Damen und Herren, dem steht die Schaffung von marktbeherrschenden Stellungen gegenüber, die sich mit unserer Wettbewerbsordnung beim besten Willen nicht vertragen. Zweitens. Durch die Beteiligung an MBB wird nicht für den Airbus eine marktbeherrschende Stellung geschaffen, sondern für solche Produktionsbereiche, für die es praktisch nur nationale Märkte gibt. In dieser Frage der nationalen Märkte hat das Kartellamt besonders sorgfältig recherchiert und erstmalig überhaupt Licht in Märkte gebracht, die bisher weitgehend im Dunkeln waren. ({1}) - Lesen Sie das nach, im Bericht des Kartellamts ist das alles zu lesen. ({2}) - Ich kann jetzt mit Ihnen darüber nicht diskutieren. Ich habe nur fünf Minuten, Herr Penner. - Das heißt aber auch, daß für diese Produktionsbereiche, Herr Minister, die Kriterien „überragende Interessen der Allgemeinheit" und „Wahrnehmung nationaler Interessen" eigentlich keine Basis für eine Ministererlaubnis sein können. Drittens. Von dem neuen Mammutunternehmen hängen Tausende von mittleren und kleinen Unternehmen ab. Monopoltheorie und Monopolpraxis zeigen, wie die Lage für Unternehmen sein kann, wenn sie einem einzigen, mächtigen Monopolisten gegenüberstehen. ({3}) - Ich spreche ja vom Abwägen. Viertens. Sicherlich werden Sie, Herr Minister, auch nicht übersehen, was Ihre Entscheidung für alle künftigen Entscheidungen bedeutet, für Fusionen kleineren Ausmaßes, die das Kartellamt verbietet und für die eine Ministererlaubnis beantragt wird. Hier möchte ich gerne eine kritische Anmerkung anfügen. Kann wirklich so argumentiert werden, Herr Minister, wie das Ihr Ministerium in der Antwort auf die Große Anfrage der GRÜNEN zur Fusion Daimler/MBB tut, nämlich daß die in Teilbereichen mit der Konzentration verbundene Einschränkung des Wettbewerbs im nationalen Rahmen durch konsequenten Wettbewerb unterhalb der Konzentrationsebene bei den Zulieferern entgegengewirkt werde? Also die Schlußfolgerung daraus ist: Konzentration und Einschränkung des Wettbewerbs bei den Großen ja, dafür um so konsequenterer Wettbewerb bei den Zulieferern, also in der Regel bei den Kleinen. Ich habe, Herr Minister, für diese Argumentation kein Verständnis. Aber ich gehe davon aus, daß es sich hier nur um eine verunglückte Formulierung handelt. Fünftens. Nicht zu bestreiten ist die Bedeutung, die dem technischen Know-how und den Forschungsergebnissen aus der Luft- und Raumfahrt für andere Wirtschaftsbereiche zukommt. Die Bundesrepublik Deutschland und Europa brauchen auch in Zukunft Spitzentechnologie mit ihren Spin-off Effekten für die übrige gewerbliche Wirtschaft. Aber es gilt auch, daß eine Subventionierung der Forschungsförderung nicht zu industrienah, nicht zu anwendungsnah sein sollte. Auch deutsche und europäische Spitzentechnologie kann und muß sich im rauhen internationalen Wettbewerb bewähren. Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister hat also einen schwierigen Abwägungsprozeß vorzunehmen. ({4}) Er muß die Vorteile der möglichen Neuordnung der deutschen Airbus-Aktivitäten und die Rückführung von Subventionen für den Airbus gegen die mit der Fusion verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen in anderen Bereichen abwägen. Herr Minister, vielleicht nehmen Sie sich dabei selbst beim Wort und vermeiden dadurch übermäßige Wettbewerbsrisiken, daß Sie die Ministererlaubnis, wenn Sie sie denn erteilen, mit entsprechenden Auflagen und Beschränkungen verbinden, die diese Risiken vermindern. Sie wissen, Herr Minister, daß Sie dazu die Möglichkeit haben. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Vennegerts, ich danke Ihnen sehr für Ihre Fürsorge für die mittelständische Wirtschaft, und ich sage Ihnen als mittelständischer Unternehmer: Wir schauen nicht in die Röhre, weil die Fusion von Daimler-Benz/MBB eventuell kommt, sondern im Augenblick schauen wir in die Röhre, weil wir zu wenige Fachkräfte und zu viele Leute haben, die über die mittelständische Wirtschaft große Sprüche klopfen, ohne davon etwas zu verstehen. Ich sage Ihnen das einmal in aller Offenheit. ({0}) Die Frage, die wir heute zu beantworten haben, ist eigentlich, warum denn die SPD die Aktuelle Stunde beantragt hat. Ich hätte die Aktuelle Stunde gern umformuliert: Welche Rolle spielt eigentlich die SPD bei dieser Fusion Daimler-Benz/MBB? ({1}) Eigentlich wäre ja die Frage zu beantworten - und ich will dies einmal versuchen - , warum Sie in rechtswidriger Art und Weise diese Aktuelle Stunde hier aufziehen. ({2}) - Ich weiß schon, daß Sie das nicht gerne hören; aber ich bin ja hier nicht dazu da, das zu sagen, was Sie gerne hören. Es ist doch bedauerlich, daß Sie diese Aktuelle Stunde im Grunde genommen nur in Fortsetzung der Politik von einigen Leuten, darunter des Herrn Reuter und anderer, machen, nämlich diesen Minister unter Druck zu setzen, obwohl das Gesetz ausdrücklich vorschreibt, daß der Minister eine Entscheidungsfrist von vier Monaten hat. ({3}) Warum wollen Sie ihn denn unter Druck setzen? Ich sage Ihnen, warum Sie das machen. Sie wollen weiter gar nichts als die Strategie, die ja gestern und vorgestern in diesem Hohen Hause aufgegangen ist. Sie wollen weiter nichts, als in diesem Land Unruhe zu stiften, und Sie glauben, Sie könnten daraus politisches Kapital schlagen. ({4}) Ich sage Ihnen: Wenn die SPD das so weiter macht, dann werden Sie zum besten Wahlhelfer für die Republikaner; aber Sie selbst werden daraus kein politisches Kapital schlagen. ({5}) Ich will Ihnen noch ein zweites sagen. Es ist doch abenteuerlich: ({6}) Das SPD-Mitglied und Gewerkschaftsmitglied Steinkühler ist ja stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender - ({7}) - Wenn Sie wüßten, wie ruhig ich bin! Sie werden doch nicht glauben, daß Sie mich aus der Ruhe bringen können. Das glauben Sie doch selber nicht. ({8}) Das SPD-Mitglied Steinkühler hat ja in letzter Zeit zwei Äußerungen als Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat von DaimlerBenz gemacht. ({9}) - Oder als Aufsichtsratsmitglied. In dieser Funktion hat er bisher überhaupt keine entscheidenden Einwendungen gegen die Fusion vorgetragen; ({10}) aber er zeigt ein Musterbeispiel sozialdemokratischer Richtung in der Ordnungspolitik. Er sagt nämlich, daß er die Daimler-Benz/MBB-Fusion schon gern hätte, läßt aber als IG Metall-Vorsitzender gleichzeitig zu, daß man den Aufruf erläßt, massenweise den Wehrdienst zu verweigern. Ja, wenn man keine Soldaten mehr will, dann braucht man auch keine Waffen mehr zu produzieren! ({11}) Herr Steinkühler sollte sich eigentlich einmal für eines der beiden Ämter entscheiden; das wäre ganz hilfreich. Nein, Sie gehen den falschen Weg. Ich bin nicht bereit, sosehr ich auch meine Bedenken gegen die Fusion vortrage, in solcher Art und Weise einen Minister unter Druck zu setzen, wenn er für seine Entscheidung tatsächlich nicht nur Zeit braucht, sondern ihm das Gesetz diese Zeit auch gibt. ({12}) - Herr Jens, Sie teile ich schon längt den Kunstturnern zu. Im freien Raum machen Sie immer Kürübungen, und hier im Plenum machen Sie die Pflichtübungen. ({13}) Machen Sie doch keine wettbewerbspolitischen Apostel in diesem Lande! ({14}) - Nein, da lassen wir uns von Ihnen nicht übertreffen. ({15}) Vielleicht könnten Sie mir, Frau Präsidentin, die Redezeit noch um ein paar Minuten verlängern, damit ich mir die Zwischenrufe alle anhören kann. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Da Sie meinen, in einer rechtswidrigen Aktuellen Stunde zu sprechen, ist diese Bitte eigentlich nicht recht verständlich. ({0})

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, Herr Reuter hat gestern im Bonner ,,General-Anzeiger" geäußert, er erwarte vom Minister eine uneingeschränkte Erlaubnis. Er hat ferner geäußert, daß er für den Fall, daß die Auflagen, die der Minister eventuell erläßt, zu einer Ablehnung des Fusionsgeschäftes führen, bereits mit anderen Partnern verhandele. Ich finde das unfair, wenn der andere Verhandlungspartner, der weiß, daß diese Bundesregierung alle Sachargumente prüft und sorgfältig gegeneinander abwägt, eben diese Bundesregierung in einer solchen Art und Weise unter Druck setzt und wenn gleichzeitig seine Partei hier eine Aktuelle Stunde betreibt, um dieses Unterdrucksetzen auch noch in der Öffentlichkeit zu unterstützen. Das halte ich nicht für gut. Meine Sorge ist eine andere. Meine Damen und Herren, es ist in diesem Kartellgutachten ein Tatbestand aufgelistet, der Auskunft darüber gibt, was denn die gesamten Auftragsvolumina bei der Bewirtschaftung der Bundeswehr ausmachen: in zehn Jahren mehr als 200 Milliarden DM. Das ist natürlich eine Verantwortung, die der Minister da auf sich nehmen muß. Da wünsche ich ihm alles Gute. Die FDP jedenfalls wird den Minister begleiten ({0}) und ihm zurufen, daß er nach geltendem Recht, nach gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, aber auch nach den Chancen entscheiden soll, die die deutsche Industrie -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Grünbeck, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin schon fertig, aber vielleicht darf ich den Satz noch zu Ende führen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, in diesem Fall nicht.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, der Minister möge auch in gesamtwirtschaftlicher Verantwortung handeln. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Grünbeck, bei allem Temperament: Diese Aktuelle Stunde ist nicht rechtswidrig, und Sie haben auch in dieser von Ihnen als rechtswidrig bezeichneten Stunde das Wort ergriffen. ({0}) Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Lieber Kollege Grünbeck, Sie sollten einmal Ihr Parlamentsverständnis überprüfen, wenn Sie bei einer derart wichtigen Sache, die unsere Bevölkerung wirklich angeht, weil sie nämlich in Zukunft der Goldesel für diesen Konzern sein wird, dem Parlament das Recht absprechen, hier über in aller Öffentlichkeit zu diskutieren. ({0}) Meine Herren und Damen, der Bundesminister für Wirtschaft und der Koordinator für Luft- und Raumfahrt in der Bundesregierung rechtfertigen den Zusammenschluß von Daimler-Benz und MBB mit dem Abbau der Airbus-Subventionen, mit der angeblichen Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Der Hinweis auf den Abbau der Airbus-Subventionen streut aber der Bevölkerung nur Sand in die Augen und lenkt von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. ({1}) Die Hauptbelastung - das wissen Sie sicherlich sehr gut - des Bundes beim Airbus-Programm ergibt sich nämlich nicht aus den Absatz- und Serienfinanzierungshilfen, sondern aus den Forschungs- und Entwicklungskostenzuschüssen. Bis zum 30. September 1989 brachte der Bund 5,48 Milliarden DM für das Airbus-Programm auf. 3,8 Milliarden DM hiervon, also rund 70 %, waren Zuschüsse für Forschung und Entwicklung. An diesen Zuschüssen soll jedoch auch in Zukunft nicht gerüttelt werden; das sind die Fakten. Wenn Sie angesichts dieser Zahlen von einer vollen unternehmerischen Verantwortung, von einer Entlastung des Bundeshaushalts sprechen, so kann man dies nur als Volksverdummung bezeichnen. ({2}) In Wirklichkeit geht es auch gar nicht um den Airbus, sondern es geht um ganz andere Dinge. Es geht um ein milliardenschweres Subventionsprogramm für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie, deren Aktivitäten nunmehr im Daimler/MBB-Konzern zusammengefaßt werden sollen. Bereits jetzt können sich die Unternehmen beider Firmengruppen über einen jährlichen Milliardensegen aus den Forschungshaushalten des Bundes freuen. Allein 1987 verfügten Daimler Benz, AEG, MTU, Dornier und MBB mit rund 1,3 Milliarden DM über nahezu jede vierte Mark aller Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung an die gewerbliche Wirtschaft. ({3}) Rechnet man die Tochtergesellschaften und die Mittelrückflüsse von der ESA hinzu, so erhielten diese Unternehmen sicherlich mehr als 40 % aller der Wirtschaft zur Verfügung gestellten Forschungs- und Entwicklungsgelder des Bundes. ({4}) Wenn Sie den Bericht des Bundeskartellamts lesen würden, statt hier Floskeln zu verbreiten, würden Sie auch das Ausmaß kennen, ({5}) in dem ein einziger Konzern mit Milliarden gehätschelt und gepflegt wird. Während andere Unternehmen die Mittel für ihre Investitionen im Forschungs- und Entwicklungsbereich auf dem Markt verdienen müssen, kann eine Daimler/MBB-Gruppe einen Großteil ihrer Aufwendungen mit öffentlichen Mitteln bestreiten, kann sie auf Grund ihrer Marktmacht und ihrer Forschungskapazitäten entscheidenden Einfluß auf technologiepolitische Entscheidungen nehmen. Das Schlaraffenland, das sich für die Daimler/MBBGruppe auftut, hat das Bundeskartellamt in seiner Verbotsverfügung eingehend belegt. ({6}) Von den bereits bewilligten Forschungs- und Entwicklungsmitteln im Bereich der Rüstungsforschung erhielte die Gruppe Daimler/MBB 75 % - das können Sie nachlesen - von den nationalen Ausgaben für Luft- und Raumfahrt des BMFT 56 % und von den zurückfließenden ESA-Mitteln 62,5 %. Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist verhängnisvoll. Sie darf nicht noch weiter vorangetrieben werden, wenn nicht in der Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtforschung zukünftig nur noch ein Konzern über die Ausrichtung und Inhalte der Forschungspolitik bestimmen soll, und wenn nicht die Politik in diesem Bereich zum Spielball eines Konzerns gemacht werden soll. Bereits jetzt wissen wir nicht, wie wir die Großprojekte der Raumfahrt- und Rüstungsindustrie in den 90er Jahren bezahlen sollen. Wir werden die ohnehin knappen Mittel für Umweltforschung, Humanisierung der Arbeitswelt, aber auch für Grundlagenforschung und für die Mittelstandsforschung zusammenstreichen müssen, um die Finanzierung der Raumfahrt- und Rüstungsprogramme der Daimler/MBB-Gruppe sicherzustellen, so wie Sie das bereits jetzt für den Mittelstand gemacht haben. ({7}) Es ist forschungspolitisch verfehlt, Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in weitgehend unproduktive und volkswirtschaftlich unbedeutende Bereiche zu lenken. Es ist riskant, die Zukunft der deutschen Wirtschaft von dem Erfolg weniger Technologien und damit letztendlich die Zukunft eines ganzen Landes vom Erfolg oder Mißerfolg eines einzigen Unternehmens abhängig zu machen, das sich zudem in den Schonraum staatlicher Protektion zurückzieht, statt sich mit wettbewerbsfähigen Produkten auf dem Markt durchzusetzen. ({8}) Meine Damen und Herren, einen Staat im Staate darf es bei uns nicht geben. Die Devise „Was für Daimler gut ist, ist auch für die Bundesrepublik gut" trifft nicht zu. ({9}) Ich hoffe, Herr Haussmann, Sie werden Rückgrat zeigen und nein zu dieser Fusion sagen. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße diese Aktuelle Stunde ausdrücklich, weil sie mir die Chance gibt, für ein streng objektives und rechtsstaatliches Verfahren zu werben, wie es unsere Fusionskontrolle vorsieht, die von Karl Schiller im Jahre 1972 entwickelt wurde und heute nach wie vor wichtig und gültig ist. ({0}) Es wird sich ohne Zweifel um die bisher schwierigste Entscheidung meiner Dienstzeit handeln. Ich glaube, man kann vorab schon sagen, daß es auch die schwierigste Wettbewerbsentscheidung überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik sein wird. Ich werde mich weder von der Politik noch von einzelnen Unternehmen, noch von den Medien drängen lassen, dieses streng rechtsstaatliche wettbewerbspolitische Verfahren abzukürzen, meine Damen und Herren. ({1}) Ich kann auch den Vertretern der Opposition nur raten, sich die Sache nicht zu einfach zu machen. ({2}) Hier wird weder sofort genehmigt noch wird sofort abgelehnt, meine Damen und Herren. Wenn ich lese, daß sich Herr Vogel und Herr Lafontaine mit den Vorzeigeunternehmern der Sozialdemokraten schmükken, daß sich in vornehmen Hotels mit Herrn Reuter, mit Herrn Rohwedder und mit Herrn Ruhnau getroffen wird, ({3}) dann, meine Damen und Herren, sollten Sie sich dort einmal anhören - Herr Jahn -, um welche Fragen es hier geht. ({4}) Es geht um die Frage der Unternehmensgröße und der wirtschaftlichen Macht einerseits, es geht aber auch um die Frage von Unternehmensgröße und internationaler Wettbewerbsfähigkeit andererseits. ({5}) Es geht um die Gefahren der Abhängigkeit von Zulieferanten und Personal von einem Arbeitgeber einerseits, es geht aber auch um Chancen der Diversifikation in Zukunftsbereiche und nichtmilitärische Bereiche andererseits. Es geht bei solchen Gesprächen, Herr Jahn, auch um die Gefahr der Abhängigkeit des Staates im Beschaffungsbereich einerseits, ({6}) es geht aber auch um Chancen der Privatisierung und des Subventionsabbaus andererseits. ({7}) Dieser Auseinandersetzung und dieser Güterabwägung - so will es das Wettbewerbsrecht - muß sich nicht nur der Minister stellen, sondern müssen sich auch alle verantwortlichen Parlamentarier stellen, die dieses Gesetz mit den Stimmen der sozialdemokratischen Partei so beschlossen haben. ({8}) Ich erwarte von einer Partei, die den großen Wirtschaftsminister Schiller gestellt hat, daß sie sich auch im Verfahren an dieses von ihr mitentwickelte und mit ihren Stimmen verabschiedete Gesetz hält, meine Herren von der Opposition. ({9}) Deshalb entspricht es guter rechtsstaatlicher Tradition des jeweiligen Bundeswirtschaftsministers, sich im Zusammenhang mit Ministererlaubnisverfahren äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen. ({10}) Einer meiner Vorgänger hat anläßlich eines anderen, ebenfalls schwierigen und spektakulären Fusionsfalls, nämlich Burda/Springer, unter Hinweis auf die Rechtslage damals erklärt, er lasse sich bei aller Achtung öffentlicher Debatten mit Blick auf ein schwebendes Verfahren - es handelt sich um ein schwebendes Verfahren - nicht an der Zunge ziehen. ({11}) So will es in der Tat das Gesetz. Im übrigen weise ich darauf hin, daß der Antrag der beiden Firmen bisher noch nicht vorliegt. ({12}) Ich sage deshalb: Es gibt keine gesetzliche Automatik, nach der ein starkes öffentliches Interesse an einem bestimmten Fusionsverfahren per se Vorrang vor den wettbewerblichen Nachteilen eines solchen Falles bekommt, nämlich Nachteilen, deren Ausmaß erst aus einer Entscheidung des Kartellamtes ersichtlich wird. Das gilt auch dann, verehrte Kollegen, wenn der Staat unter besonderen Bedingungen Umstrukturierungsprozesse in einer gewichtigen Wirtschaftsbranche aktiv begleitet. Das macht die Besonderheit - Herr Jens, das ist richtig - dieses Falles aus. Eine rationale Abwägung der berührten Interessen ist aber erst dann möglich, wenn in dem gesetzlich vorgeschriebenen transparenten Verfahren alle Entscheidungsgrundlagen auf den Tisch des Hauses gelegt werden. Zunächst haben sich in der Öffentlichkeit die Stimmen der Industriepolitik artikuliert. Mit der Entscheidung des Bundeskartellamtes sind nunmehr auch die Wettbewerbsprobleme deutlich zu Tage getreten. Als nächstes ist das Votum der Monopolkommission abzuwarten. Der Vorsitzende der Kommission, Professor Immenga, hat mir persönlich versichert, daß seine Äußerungen ausschließlich von der Sorge um die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens bestimmt waren und keine Festlegung seiner Kommission in der Sache bedeuten. Ich unterstreiche, daß bei einer Ministerentscheidung die Stellungnahmen der Antragsteller, ihrer Konkurrenten, ihrer mittelständischen Zulieferanten, ebenso wie diejenigen der Verbände, also der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, mit zu berücksichtigen sind. Ich bitte deshalb auch die Sozialdemokraten, das Verfahren einzuhalten, weil die Voten z. B. der Gewerkschaften und der Zulieferanten ja noch gar nicht abgegeben werden konnten, meine Damen und Herren. ({13}) Erst dann ist eine sorgfältige Abwägung möglich. ({14}) Abschließend daher noch einige verfahrensleitende Hinweise: Die rechtliche Würdigung des Falles durch das Bundeskartellamt ist der wettbewerblichen Überprüfung im Ministererlaubnisverfahren entzogen. Das Kartellamt hat sein Votum abgegeben. Der Bundeswirtschaftsminister ist an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Bundeskartellamtes zu einer marktbeherrschenden Stellung oder ihrer Verstärkung gebunden. Sache des Bundesministers für Wirtschaft ist es - wie es das Gesetz vorschreibt -, eine Gewichtung der Wettbewerbsseite vorzunehmen und die gewichteten Wettbewerbsnachteile gegen mögliche gesamtwirtschaftliche Vorteile oder überragende Gemeinwohlinteressen abzuwägen, meine Damen und Herren. ({15}) Das ist nicht so einfach, daß man das heute morgen mit Ja oder Nein beantworten könnte. Deshalb hat Ihr früherer Wirtschaftsminister Schiller zu Recht ein so sorgfältiges mehrstufiges Verfahren vorgesehen. Ihre Vorgänger haben dieses Verfahren mit verabschiedet. Deshalb erwarte ich vor allem von Ihnen Respekt für dieses Verfahren des Bundeswirtschaftsministers. ({16}) Nun hat die Monopolkommission das Wort. Im Juli/ August werden die öffentlichen Anhörungen durchzuführen sein. Dann wird es unter Einhaltung der gesetzlichen Viermonatsfrist eine Ministerentscheidung geben. Diese Entscheidung wird auch für unsere Position in Brüssel wichtig sein. Deshalb müssen wir uns - daher noch einmal mein Appell in dieser Aktuellen Stunde - sehr sorgfältig an dieses rechtsstaatliche Verfahren halten. Wenn Herr Roth mich frägt: Was tun?, sage ich: Ich werde meine Pflicht tun und mich genauestens an ein Wettbewerbsrecht halten, das auch mit Ihren Stimmen verabschiedet wurde. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts. ({0})

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Ministers haben mich überhaupt nicht überrascht. ({0}) Ich finde es dieser Diskussion, Herr Minister Haussmann, nicht angemessen, sich nur auf die Paragraphen und das Verfahren zurückzuziehen. Sie haben mit keinem einzigen Wort die Vorwürfe des Kartellamtes zur Kenntnis genommen. Sie appellieren an uns zu verstehen, daß es eine Ihrer schwierigsten Entscheidungen ist. Sicherlich, das weiß auch die Opposition, das wissen auch wir. Vielleicht beneidet Sie auch gar keiner um diese Entscheidung. Aber eins muß klar sein: Sie können sich doch nicht bei der Opposition beschweren und sie auffordern, so lange den Mund zu halten, bis die Monopolkommission entschieden hat, wenn sich Ihr Staatssekretär Riedl zu Ihrer Rechten und die Bundesregierung permanent äußern und für eine Ministererlaubnis aussprechen. Dann sorgen Sie einmal für Ordnung im Kabinett. So geht das nicht. ({1}) Sie sagen, es solle eine rationale Abwägung erfolgen. Wie gerne würde ich Ihnen glauben. Bloß, die Vergangenheit spricht wirklich gegen Sie. Gucken Sie nach Baden-Württemberg, wo es nur die Bürgerinitiativen geschafft haben, sich im Zusammenhang mit Boxberg gegen Daimler-Benz zur Wehr zu setzen. Die Regierung hat hier auch wiederum Daimler-Benz geholfen. So sieht es aus, das sind die Tatsachen. Die Vergangenheit spricht also gegen Sie. Ich würde mich freuen, wenn Sie wirklich dieses Wörtchen nein sagten, wenn Sie es schaffen würden, hier einmal das viel beschworene Wettbewerbsrecht zu seiner Geltung kommen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht auch die einzige Alternative, die Sie in dieser Angelegenheit überhaupt noch haben. ({2}) Eine kleine Anmerkung noch zur SPD. Ich kann nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema zu beantragen und sich gleichzeitig bei der Abstimmung über unseren gestrigen Antrag zu enthalten. ({3}) Das finde ich um so unverständlicher, wenn man bedenkt, daß die Begründung dieses Antrags von den Kollegen Roth, Jens, Vogel und Frau Matthäus-Maier stammt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Vennegerts, die Redezeit ist abgelaufen.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch da sollten Sie einmal über Ihren Schatten springen und nicht sagen, das ist ein grüner Antrag. Vielmehr sollten Sie dann sagen, daß dieser Antrag gut ist und daß Sie ihm zustimmen können. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß sich ein Minister, der Verantwortung trägt, in einem laufenden Verfahren zurückhält. Wir Parlamentarier können uns sehr viel deutlicher äußern. Ich werde das auch tun. Ich möchte den Kollegen der Opposition aber vorweg sagen: Ich staune immer, wie marktwirtschaftlich Sie denken, wenn Sie uns kritisieren. Ich lese Ihre Parteiprogramme und stelle fest: Da haben Sie ein sehr viel differenzierteres Verhältnis zur Marktwirtschaft. Sie sollten das nicht vergessen, wenn Sie hier reden. Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal festhalten, was die Bundesregierung anstrebt, die tatsächlich bisher diese Fusion betrieben hat. Das ist ja richtig, das muß man bestätigen. Erstens hat sie angestrebt die weitgehende Privatisierung des Beitrags der deutschen Industrie an der Airbus-Produktion und zweitens den Abbau öffentlicher Finanzhilfen und damit die Privatisierung von Geschäftsrisiken. Dies ist selbst für Marktwirtschaftler ordnungspolitisch richtig und wird deshalb auch vom Bundeskartellamt nicht beanstandet. Es entsteht zwar - ich spreche jetzt von den zivilen Verkehrsflugzeugen - auf nationaler Ebene ein noch stärkerer marktbeherrschender Konzern; das ist aber ausgesprochen unproblematisch, weil es auf dem Weltmarkt einen harten Wettbewerb gibt. Frau Vennegerts, auch wenn ich ausdrücklich von Konzern- und Marktbeherrschung geredet habe, national bezogen, darf man aber auch nicht übertreiben. Ich habe mir, weil ich mich nicht dauernd mit den Dingen beschäftige, mal die Zahlen sagen lassen: Der Umsatz von Daimler-Benz wird nach der Fusion um ganze 10 % steigen. Zum Vergleich: Boeing hat ein Wachstum, einen Umsatz im Jahre 1988 von 9,4 %. Man muß also die Größenordnung realistisch im Auge behalten. ({0}) Die Marktwirtschaftler, die jetzt das Problem der Neuordnung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie beerdigen wollen, müssen die Frage beantworten, ob sie weiter und weit über das Jahr 2000 hinaus bereit sind, über den Bundeshaushalt die milliardenschweren Risiken des Programms abzudecken. Ich habe mich auch mit den Mittelständlern in meinem Wahlkreis unterhalten. Die finden das Ganze zunächst einmal schrecklich. Wenn ich die dann frage, ob das, was momentan an öffentlichen Subventionen im Haushalt ist, fortgeführt werden soll, dann sagen die natürlich: Um Himmels willen, doch bitte, bitte nicht. Wir werden jetzt aus der einen Ecke kritisiert. Würden wir wie bisher fortfahren, gibt es gute Gründe, uns ebenfalls zu kritisieren. Man sollte einmal klar festhalten und ehrlich bekennen: Eine marktwirtschaftlich voll befriedigende Lösung gibt es nicht, es sei denn, wir verzichten auf den deutschen Beitrag zum Airbus-Programm. Das wäre dann aber nicht nur eine Null-Lösung für die Großindustrie, sondern auch eine Null-Lösung für 100 meist mittelständische Betriebe, die an der Ausstattung und Ausrüstung des Airbus in Deutschland beteiligt sind. Ich glaube nicht, daß wir die Unlustgefühle über den Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen bei einer solchen NullLösung dadurch ausgleichen können, daß wir befriedigt sind, daß wir die reine Lehre der Fusionskontrolle beibehalten und kompromißlos verteidigt haben. Wenn wir von Daimler-Benz erwarten, daß dieser Konzern bisher öffentliche Risiken, also rote Zahlen, übernimmt, dann wäre es naiv zu erwarten, daß dies ohne jede Gegenleistung erfolgt. ({1}) Ich habe mir auch sehr genau die Begründung des Beschlusses des Bundeskartellamts durchgesehen; ich sehe die Probleme auf dem militärischen Sektor. Wir müssen diese Risiken sehr ernst nehmen, sie gegen die Vorteile für die Airbus-Industrie abwägen und dann politisch bewerten. ({2}) - Ich wollte das noch erläutern. Ich habe persönlich nicht den Eindruck, daß es auf dem Bereich der militärischen Beschaffung noch allzuviel Marktwirtschaft gibt. ({3}) Wenn das Wirtschaftsministerium noch eine Möglichkeit sieht, das eine oder andere durch Auflagen und Bedingungen zu retten, werden wir den Minister voll und ganz unterstützen, aber so viel Marktwirtschaft gibt es da nicht mehr. ({4}) Ich sage Ihnen dann aber dazu: Wo der Markt nicht kontrolliert, muß die Politik kontrollieren; das ist doch selbstverständlich. ({5}) Letzter Satz, Frau Präsidentin: Wir hatten vor kurzem eine Debatte über die innere Sicherheit, und da haben einige FDP-Kollegen zum Ausdruck gebracht, wie schwer es für sie ist, was die Union ihnen sozusagen ins Koalitionsbett hineingelegt hat. Wir wollen unabhängige Abgeordnete sein, und das muß man respektieren. ({6}) - Wir dürfen das nur nicht zu oft machen; die Leute draußen verstehen das nicht, Frau Kollegin. ({7}) Die verstehen das nicht, wenn Sie in unserem gemeinsamen Wahlkreis überwiegend sagen -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt werden das doch mehr Sätze. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann bringe ich wirklich nur noch einen Satz: In diesem Fall ist es keine Kröte der Union, sondern dieses Initiative kommt aus einem Ministerium, ({0}) das in der einschlägigen wichtigen Zeit von einem FDP-Bundesvorsitzenden geleitet wurde. Das bitte ich zu berücksichtigen. ({1}) Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Kleinkind auf die heiße Herdplatte faßt, dann sagen wir: Durch Schaden wird man klug. Diese Lebensweisheit von Generationen nehmen heute nicht nur Kleinkinder in Anspruch, auch die Bundesregierung pocht auf Rabatt für politische Fehlleistungen, so gestern bei der Quellensteuer und bei der Wehrdienstverlängerung und so Müller ({0}) wahrscheinlich übermorgen bei dieser Fusion Daimler-Benz und MBB. ({1}) - Ja, Sie sollen bitte lachen. ({2}) Was heute über diese Fusion auf dem Tisch liegt, läßt schon voll erkennen, was es an Schäden geben wird. Es wird bittere Folgen für unser Land haben. Den Schaden haben zunächst alle mittleren und kleinen Betrieb, die mit dem Großkonzern Daimler-Benz um die knappen Mittel des Staates für Forschung und Industrieförderung konkurrieren. ({3}) - Entschuldigen Sie bitte, das war Konsens bei uns im Wirtschaftsausschuß. Da kann auch keiner von Ihnen lachen. ({4}) Den Schaden haben zweitens alle Unternehmen, die als Mitbewerber oder als Zulieferer oder Abnehmer mit dem künftigen Großkonzern zu tun bekommen. Wir werden die neue Marktmacht noch deutlich zu spüren bekommen. ({5}) Den Schaden hat drittens der große Kreis jener Unternehmer, die auf dem Arbeitsmarkt um Ingenieure und Facharbeiter mit dem neuen Großkonzern zu konkurrieren haben. Herr Grünbeck, hier kann ich Ihr Jammern wirklich nur bewundern. Sie wissen auch: 45 000 DM laufen schon heute in jeden Airbus-Arbeitsplatz. Wie wollen Sie als anderer Unternehmer damit konkurrieren, wenn Sie einen Ingenieur haben wollen? Das ist schon heute eine unmögliche Zumutung. ({6}) Den Schaden haben viertens die Steuerzahler. 15 Milliarden DM wird diese ganze Geschichte kosten. Nach aller Erfahrung wissen wir, daß das auch noch Eigendynamik hat. Es wird weitere Projekte im Rüstungsbereich betreffen, Jäger 90 und bemannte Raumfahrt. Den Schaden werden fünftens wir, der Deutsche Bundestag, zu tragen haben. Wir liefern unser Recht, in den weiteren Jahren z. B. über Airbus-Subventionen zu entscheiden, heute an der Garderobe von Daimler-Benz ab. Sie können sich in diesem Fall, Herr Minister Haussmann, nicht darauf berufen, nicht gewußt zu haben, was ins Haus steht. Es ist auch nicht erst durch das gute Votum des Bundeskartellamtes offengelegt worden, sondern lange im Wirtschaftsausschuß diskutiert worden. Der Bundesrechnungshof hat Ihnen schon ins Stammbuch geschrieben, daß die Hoffnungen beim Airbus trügerisch sind. Sie waren immer gewarnt und mit allen Argumenten versehen. Deshalb kann ich nicht verstehen, daß Sie jetzt noch auf Zeitgewinn spielen. Keiner der Einwände ist heute hier ernsthaft widerlegt worden. Statt dessen gab es erstaunliche Anmerkungen, z. B. von Herrn Grünbeck. Herr Grünbeck, Sie haben auf Ruhe während dieser Entscheidungszeit gepocht. Da kann ich nur fragen: Was macht Herr Riedl? Wie wollen Sie einen so harten Fall unserer Wirtschaftsgeschichte einfach aus der öffentlichen Diskussion herausnehmen? Das ist unmöglich. Außerdem werden wohl laufend Entscheidungen getroffen. Es werden beim Jäger 90 Dinge festgezurrt, es werden auch beim Airbus Dinge festgezurrt. Das haben wir während dieser Zeit schon erlebt. Da kann man nicht sagen: Jetzt möchte ich Zeit haben. Das wissen Sie alle genausogut wie wir. Die Diskussion hat interessanterweise auch ergeben, daß der Herr Sprung, den ich bisher immer als jemanden, der der Großindustrie näher steht, verstanden habe, ({7}) für mehr Wettbewerb und für die Sicherung eintritt und der Herr Doss, der eigentlich für den Mittelstand zuständig wäre, sehr viel mehr dieser Fusion das Wort redet. Herr Bundeswirtschaftsminister Haussmann, Sie haben bei dieser Sache die Chance, Ihre Glaubwürdigkeit zu behalten oder sie vollends zu verlieren. Sie haben die Chance, mit der Versagung der Ministererlaubnis als jemand dazustehen, der glaubwürdig für Wettbewerb eintritt. Andernfalls werden Sie als jemand abgehakt werden, von dem alle wissen: Für die Kleinen hat er die großen Worte und für die Großen das große Geld; den Kleinen predigt er den Wettbewerb, den Großen verhilft er zu marktbeherrschenden Positionen. Sie haben bei dieser Sache auch die Chance, ein Stück Industrie- und Forschungspolitik nach vorn zu bringen. Was sich hier abzeichnet, läuft dem völlig entgegen. Wir kriegen einen Konzern, dessen politische Macht so groß ist, daß wir in den wenigen Spielräumen, die wir noch haben, um eine ordentliche sektorale Strukturpolitik zu betreiben, noch weiter eingeengt werden. Wir appellieren an Sie, sich jetzt nicht mit Zeitgewinn herauszureden, sondern ein klares Wort zu sprechen und diese Fusion nicht zu genehmigen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine lieben Kollegen von der SPD, ich vermisse zwei wichtige Vertreter Ihrer Partei, die eigentlich auf der Bundesratsbank sitzen müßten, die Bürgermeister von Bremen und von Hamburg, ({0}) die doch dieser Fusion zugestimmt haben. ({1}) Wir machen uns diese Frage nicht leicht. Das haben Sie aus den Ausführungen meiner Kollegen Doss, Dr. Sprung und Friedrich gehört. Wir kennen die Argumente Marktbeherrschung und weiterhin Subventionen und vor allem das Argument Mittelstand. Diese nehmen wir sehr ernst. Ich weiß, daß sich der Bundesvorsitzende unserer Mittelstandsvereinigung, Herr Pieroth, gegen die Fusion ausgesprochen hat, und zwar mit der Sorge, das hier - das haben auch Sie gesagt, Frau Kollegin - die kleinen Firmen preislich ausgequetscht werden. Es gibt aber auch Gründe dafür. Dazu möchte ich doch einiges sagen. Zunächst zur Marktbeherrschung: Die Daimler-Benz-Umsätze nehmen um 10 % zu; das wurde gerade gesagt. Also, so weltbewegend ist der Umfang nicht. Zweiter Punkt: Mit dieser Zusammenfassung von industrieller Kapazität ({2}) werden wir in Bereichen industrieller Großprojekte Rationalisierungserfolge erzielen können, und bei künftigen Projekten werden wir auch die Systemführung erreichen können. Systemführung ist für internationale Geschäfte entscheidend; das wissen auch Sie. Bei fast allen europäischen Produkten - mit drei Ausnahmen - haben unsere europäischen Partner die Systemführung, nicht wir. Wenn wir uns einig sind, daß es sich bei der Luft- und Raumfahrttechnik um eine fortgeschrittene Technologie mit großen Zukunftsaussichten handelt, dann ist diese industrielle Führung bei MBB durch Daimler-Benz ein Weg, Schwächen gegenüber unseren bisherigen europäischen und US-Konkurrenten auszugleichen und zu beseitigen. Der neue Konzern würde im internationalen Wettbewerb erst den elften Platz einnehmen und im europäischen den zweiten Platz. Er wird dann nicht einmal der Stärkste. ({3}) Zu den Subventionen: Es war doch die Bundesregierung mit Unterstützung der sozialdemokratisch geführten Länder Bremen und Hamburg die diese Fusion verlangt hat, und zwar um die Subventionen abzubauen. Meine lieben Kollegen, sehen Sie doch auch einmal, daß es nach dem Jahre 2000 keine Subventionen mehr gibt. ({4}) Wenn jetzt nichts geschieht, dann ist der Bund auch nach dem Jahr 2000 noch weiterhin im Obligo; das wissen auch Sie. ({5}) - Herr Müller, lassen Sie mich reden. Ich möchte jetzt noch das mittelständische Argument behandeln. Sehen Sie, Daimler-Benz hat heute schon 38 000 Zulieferer, und diese Zulieferer haben einen Umsatz von 25,4 Milliarden DM. Also, man sieht, daß Daimler-Benz sehr zuliefererfreundlich ist; es hat keine übergroße Fertigungstiefe. Ich weiß auch, daß es bei so großen Einkaufsvolumen für den Mittelstand Schwierigkeiten beim Einkauf geben kann; das gebe ich zu. Aber eine Weltfirma wie Daimler-Benz wird doch hier nicht mit Methoden vorgehen, wie es heute z. B. im Lebensmittelhandel der Fall ist. Das kann ich mir nicht vorstellen. ({6}) Die Firma Daimler-Benz weiß ganz sicher, daß sie auf leistungsstarke mittelständische Zulieferer geradezu angewiesen ist. Die Firma braucht die Dynamik und Innovationskraft des Mittelstandes. Viele Produkte, die sie heute in ihren Fahrzeugen einsetzt, sind ja in kleinen und mittleren Firmen entwickelt worden. Es ist bekannt, was für ein Potential an Innovationskraft im Mittelstand steckt. Weil es sich bei den Aufträgen dieses neuen Konzerns oft um solche handelt, die mit Steuergeldern finanziert werden, bin ich sehr dafür, daß man ein durchsichtiges Verfahren für die Vergabe von Unteraufträgen einführt. Der Bundeswirtschaftsminister muß sich noch Gedanken darüber machen, wie diese öffentlichen Mittel so vergeben werden, daß sich die Vergaben nach ordentlichen Methoden abspielen. Dazu wird der Herr Bundeswirtschaftsminister die Zulieferer sicher noch hören, und dadurch wird sicherlich eine entsprechende Absicherung gegenüber dem Risiko für die mittelständischen Zulieferer, das die Opposition hier angesprochen hat, möglich sein. Wir haben nicht zu entscheiden. Es entscheidet der Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich bin davon überzeugt, daß er eine gute und für uns alle tragbare Lösung finden wird. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Vertrackte an dieser Debatte ist, daß an fast allen Argumenten etwas dran ist. Auf der einen Seite steht das Prinzip der Marktwirtschaft. Dem widerspricht die Marktbeherrschung. Subventionen wollen wir nicht haben, aber die Arbeitsplätze wollen wir erhalten. Wir wollen unter allen Umständen den Anschluß der deutschen Wirtschaft an die technischen Innovationen erhalten; das ist ein wichtiges Prinzip des wirtschaftlichen Fortschritts. Wir wollen die Arbeitsplätze sichern. ({0}) Im Bereich dieser Prinzipien, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind wir alle uns einig. All diese Prinzipien muß jetzt der Wirtschaftsminister, dieser arme Mann, in der Praxis unter einen Hut bringen. Zu beneiden ist er da sicher nicht. Ich gestehe ganz offen: Mich befällt ein Unbehagen angesichts dieser eventuell bevorstehenden Fusion. ({1}) Ich bin kein Freund von Größe. Mein Herz schlägt - rein emotional - mehr auf der Seite der Kleinen. Das gebe ich offen zu. ({2}) Das Kartellamt hat wichtige Argumente geliefert, an denen man nicht vorbeigehen kann. Das wird der Wirtschaftsminister - egal, wie seine Entscheidung ausfällt - zu berücksichtigen haben. Wir stehen in einem Verfahren, und ich gehe davon aus, daß all diese Argumente jetzt sehr sorgfältig geprüft werden. Ich bin auch nicht unbedingt ein Anhänger der These, daß Größe zu einer besseren Rationalisierung in der Produktion führt. Ich neige eher der gegenteiligen Meinung zu. ({3}) Meine Meinung ist: „small is beautiful". Dennoch gibt es eine Reihe von Argumenten, die ich auch nicht übersehen kann. Subventionen wollen wir alle nicht haben. ({4}) Wenn schon Marktwirtschaft, dann muß sich der Staat nach Möglichkeit aus diesem Bereich zurückziehen. Das müßten doch auch Sie jetzt sagen. Es ist im übrigen der erfreulichste Aspekt der heutigen Debatte, hier zu hören, wie Sie sich als Hüter der marktwirtschaftlichen Ordnung aufführen. ({5}) Meine Damen und Herren, das macht Sie in der politischen Konkurrenz in der Bundesrepublik Deutschland geradezu gefährlich. ({6}) Im übrigen, von den rund 10 Milliarden, die bisher, wenn ich richtig informiert bin, für den Airbus genehmigt wurden, haben rund die Hälfte Sie zu verantworten. Das haben Sie unter Brandt und Schmidt beschlossen. Sie sehen also, die Kontinuität reicht weit zu Ihnen zurück, auch bei diesem Thema. ({7}) Das Bestreben, auf die Dauer aus den Subventionen herauszukommen, ist ein Argument, das zu berücksichtigen ist. Auch die internationale Situation kann aus dem Bereich der Argumente nicht ausgeschlossen werden. ({8}) So gigantisch sich dieser Zusammenschluß national ausnimmt, so differenziert ist diese Sache international zu betrachten. Selbst im europäischen Rahmen wäre dieser Zusammenschluß nicht der größte Zusammenschluß, und im internationalen Rahmen - und das spielt bei der Produktion von Großflugzeugen nun einmal eine Rolle - kommt dieser Zusammenschluß unter „ferner liefen". Meine Damen und Herren, wenn ich schon von Konkurrenz rede: Im internationalen Bereich würde dieses Gebilde die Konkurrenz in einem wichtigen Sektor fördern; sonst wäre dort gar keine Konkurrenz vorhanden. ({9}) Im übrigen hat sich, wenn ich das recht verstehe, Daimler-Benz nach dieser Rolle nicht gedrängt. ({10}) Man hat ja haftendes Privatkapital für diese Aufgabe gesucht. Das müßten Sie, Herr Roth, am besten wissen, denn Sie verkehren ja dauernd in den Vorstandsetagen von Daimler-Benz, nehme ich an. ({11}) Ich glaube, meine Redezeit ist abgelaufen. Es gäbe sicher noch sehr vieles zu sagen. Ich habe Ihnen kein abschließendes Ergebnis zu bieten. Das muß ich gestehen. Ich selber bin auch etwas verwirrt von der Fülle der Argumente für und wider. Ich hoffe, daß es gelingen wird, eine im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegende und am Gemeinwohl orientierte Entscheidung zu finden. Ich habe hier in Sie einiges Zutrauen, Herr Wirtschaftsminister. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Forderungen an ein abrüstungspolitisches Gesamtkonzept - Drucksache 11/4053 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0}) Verteidigungsausschuß b) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses - Drucksachen 11/2438, 11/4404 Berichterstatter: Abgeordnete Lamers Voigt ({2}) Irmer Dr. Lippelt ({3}) Zu Tagesordnungspunkt 27 b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4425 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes zwei Stu10454 Präsidentin Dr. Süssmuth den vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Abschluß des Vertrages über die Abrüstung aller landgestützten Mittelstreckenraketen Ende 1987 war eigentlich nur eines zwischen Ost und West, zwischen Bundesregierung und SPD unumstritten: daß es alsbald zu den Verhandlungen über eine konventionelle Abrüstung in Europa vom Atlantik bis zum Ural kommen müsse. Diese Verhandlungen wurden vor wenigen Wochen aufgenommen. Strittig ist und bleibt erstens, welche Zielvorstellungen für die Abrüstung konventioneller Waffen angestrebt werden sollen, d. h. über welche Waffen verhandelt werden soll; zweitens, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen es zu Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen kommen soll; drittens, wie der Abrüstungsprozeß bei chemischen Waffen weitergeführt werden soll. Nur noch wenige Blindgänger verleugnen heute, daß, seit Gorbatschow sowjetischer Generalsekretär wurde und eine sehr ernst gemeinte und glaubwürdige Abrüstungsinitiative startete, erstmals seit 40 Jahren umfassende Abrüstungschancen bestehen. Doch seitdem erleben wir auch, wie schwer es manchen Regierungen der NATO einschließlich der Bundesregierung fällt, diese Chancen wirklich zu ergreifen. ({0}) In ihrem letzten Abrüstungsbericht erklärte die Bundesregierung, daß bei atomaren Waffen keine neuen Grauzonen entstehen dürfen. Das bedeutet in einer allgemeinverständlichen Übersetzung: Es darf nicht sein, daß es zu Verträgen über die Abrüstung konventioneller Waffen und zur Abrüstung amerikanischer und sowjetischer atomarer Fernraketen kommt, aber keine Abrüstung der in Mitteleuropa gelagerten atomaren Kurzstreckenraketen stattfindet. Außenminister Genscher hob mehrfach öffentlich hervor, daß atomare Waffen wegen ihrer Zweckbestimmung als politische Waffen zur Kriegsverhütung nicht mit konventionellen Waffen verrechnet werden dürften. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Dregger prägte den Satz: „Je kürzer die Reichweiten, desto toter die Deutschen" und sprach sich deutlich für die gesamte Abschaffung der sogenannten atomaren Gefechtsfeldwaffen aus, die zu Tausenden bei uns stationiert sind und von denen jede eine größere Sprengkraft hat als die Hiroshima-Bombe. Ferner sprach er sich für Abrüstungsverhandlungen bei Kurzstreckenraketen aus. Sein Stellvertreter Rühe forderte ebenfalls solche Verhandlungen und sagte irgendwann im Frühjahr 1988, deren Ergebnisse sollten nicht von denen einer konventionellen Abrüstung abhängig gemacht werden. - So noch die Diskussion im ersten Vierteljahr 1988. In dieser Zeit entstand der Eindruck, als würden sich die Koalitionsparteien auf die Abrüstungslinie der SPD begeben. Gemeinsamkeit in der für unser Land bedeutsamen Frage der atomaren Abrüstung - das wäre eine große Chance, unsere damit verbundenen existentiellen Interessen im Bündnis zur Geltung zu bringen, verständlich zu machen und von deutscher Seite aus auch den Prozeß der atomaren Abrüstung konstruktiv voranzutreiben. Aber der Schein trog. Verteidigungsminister Wörner und sein Nachfolger Scholz sprachen sich in derselben Zeit, in der die Äußerungen fielen, die ich eben zitiert habe, für die Neurüstung bei den atomaren Kurzstreckenraketen aus. ({1}) Als die Bundesregierung und die Koalitionsparteien merkten, daß zu den deutschen Forderungen nach Verhandlungen über Kurzstreckenraketen Gegenwind aus Washington und aus London kam, wurde der Rückwärtsgang eingelegt. Auf einmal wurde es monatelang still. Bei den wichtigsten Bündnispartnern wurde gar der Eindruck erweckt, die Bundesregierung werde die Neurüstung letztlich mittragen. Auf einmal überwogen bei den Unionsparteien die Warnungen vor einer Denuklearisierung, als sei Denuklearisierung, also atomare Abrüstung, etwas grundsätzlich Anstößiges. Es hieß, wenn es zu Verhandlungen komme, dann dürfe es nur um Reduzierungen gehen; ein Mindestbestand an atomaren Kurzstrekkenwaffen, der nicht verhandelbar sei, müsse bleiben. Es wurde begonnen, Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen vom Verlauf der Wiener Abrüstungsverhandlungen abhängig zu machen. In Ermangelung einer klaren Position spielte die Bundesregierung auf Zeitgewinn. Herr Genscher rief gestern im Plenum die Bündnispartner auf, die Bundesregierung in ihrer Position zu unterstützen. Dies würde manchem leichter fallen, wenn die Position der Bundesregierung in der Sache weniger verschwommen wäre. ({2}) Die Stichworte, daß nun parallele Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen stattfinden sollten und vor dem Jahr 1992 kein Entscheidungsbedarf bestehe, reichen nicht aus. Tatsächlich besteht bereits jetzt Entscheidungsbedarf im Hinblick auf ein deutliches Nein zur atomaren Neurüstung. Tatsache ist, daß sich die Bundesregierung in der NATO ein Jahr lang um klare Worte gedrückt hat und unseren Fragen und Forderungen unter Verweis auf ein Gesamtkonzept, das sie vorlegen werde, jeweils ausgewichen ist. Dieses Gesamtkonzept liegt bis heute nicht vor, obwohl es schon im Herbst 1988 versprochen worden ist. Das Ergebnis ist: Die Bundesregierung hat übertaktiert und sich damit in den Schlamassel hineingebracht, in dem sie nun im Verhältnis zu den Bündnispartnern steckt. Wir können den Standpunkt der amerikanischen Regierung und des Kongresses verstehen, daß die USA nicht wertvolles Geld für die Entwicklung und Produktion neuer Raketen ausgeben wollen, ohne daß sie Klarheit darüber haben, ob diese Waffen stationiert werden können. ({3}) Es wäre fairer und partnergerechter, wenn wir ohne Floskeln nach Washington telegraphierten: Spart euch das Geld; senkt lieber euren Verteidigungshaushalt um diese Beträge! ({4}) Wir teilen nicht den Standpunkt, ein Beschluß über die Neurüstung sei - ähnlich wie beim NATO-Doppelbeschluß - als Vorbedingung für Verhandlungen erforderlich. Tatsache ist, daß die Sowjetunion inzwischen mehrfach ihre Bereitschaft zu Verhandlungen erklärt hat. Seien wir doch froh, daß ein Waffendruck gar nicht erforderlich ist, um zu solchen Verhandlungen zu kommen! ({5}) Es gibt keinen vernünftigen politischen Grund, einen kostspieligen Umweg zu Abrüstungsverhandlungen über amerikanische und sowjetische Atomwaffen in Europa zu gehen, wenn es einen kostenlosen direkten Weg gibt. Es ist unverantwortlich, die Chance zur Beseitigung einer 16fachen sowjetischen Überlegenheit bei Kurzstreckenraketen nicht sofort zu ergreifen. ({6}) Wir teilen auch nicht die Auffassung, daß wir im Abrüstungsprozeß vorsichtig sein müßten, weil man nicht wissen könne, ob sich die Gorbatschow-Richtung in der Sowjetunion auch mittel- und längerfristig durchsetze, und man die westliche Sicherheitspolitik nicht von einem Mann abhängig machen könne. Umgekehrt ist es richtig: Je mehr ein erneuter Richtungswechsel in der Sowjetunion zu befürchten wäre, desto mehr müßte man sich beeilen, die Gunst der Stunde zu nutzen und so viel und so umfangreiche Verträge wie möglich mit der Sowjetunion zu schließen. Denn so, wie sich die Vorgänger an Verträge gehalten haben, würden es sicher auch die Nachfolger tun. Je mehr man überdies einen sowjetischen Führungswechsel befürchtet, desto mehr müßte man doch gerade Vereinbarungen treffen, die die Stellung Gorbatschows stärken und Gegnern seines Kurses die Basis entziehen. Wir teilen auch nicht die Auffassung, daß in Europa stationierte Atomwaffen vom Verlauf der Verhandlungen über konventionelle Abrüstung abhängig gemacht werden dürfen. Die Verhandlungen über konventionelle Abrüstung sind auch bei gutem Willen aller Beteiligten sachlich sehr kompliziert. Es kann durchaus lange dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Wir schaden uns doch selber, wenn bis dahin alles andere weitergehen soll und sich durch neue atomare Rüstung neues Mißtrauen bildet. Die so oft geäußerte Litanei von der angeblich so überwältigenden konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes, deren Abbau zur Bedingung einer weiteren atomaren Abrüstung gemacht wird, wird von Monat zu Monat immer mehr zu einer politischen Gespensterbeschwörung. Angesichts etwa der Entwicklungen in Polen und Ungarn könnte selbst eine angriffslüsterne Politik es nicht riskieren, militärisch gegen die NATO zu operieren. Wenn man das sagt, kommt natürlich prompt das Argument, man sei blauäugig und gefährde die Grundlage westlicher Sicherheitspolitik. Bei vernünftiger Betrachtung ist wiederum das Umgekehrte richtig: Wer die weltpolitischen Chancen nicht richtig nutzt, ist politisch blind. Die SPD fordert keine einseitigen Vorleistungen des Westens, sondern sie fordert, daß die Chancen für beiderseitige Abrüstungsschritte in vollem Umfang beherzt ergriffen werden. Das ist der Unterschied. ({7}) Wenn die offiziellen Gründe für allzu große Reserviertheit der offiziellen Position der NATO und auch die noch zu große Reserviertheit der Bundesregierung so einfach widerlegbar sind, dann muß es versteckte Gründe geben. Ein versteckter Grund für die Weigerung der NATO-Gremien und auch für das lange Zögern der Bundesregierung, unmittelbar in Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen einzutreten, ist die Befürchtung, daß diese bei einer weiteren Null-Lösung enden könnten. Was dann auf dem Spiel steht, ist nicht die westliche Sicherheit, sondern das Gedankengebäude der atomaren Abschreckung. ({8}) - Sie stimmen mir offensichtlich zu, Graf Huyn. ({9}) Eine ganze Generation von Sicherheitspolitikern kann und will sich nicht vorstellen, ohne dieses Gedankengebäude auskommen zu können. Aber persönliche Identitätsprobleme sind keine guten Ratgeber, wenn es um die Probleme von Völkern geht. Wir meinen nicht, daß alles in der Friedens- und Abrüstungspolitik Wünschbare und real Vorstellbare auf einmal zu realisieren ist. Selbstverständlich denken wir in Schritten. Diese Schritte zu gehen setzt aber erstens einen klaren Standpunkt voraus und zweitens eine klare Perspektive. Das ist es, was von uns, von allen, die politische Verantwortung tragen, erwartet wird. ({10}) Die SPD formuliert mit ihrem Antrag vom Juni 1988, der heute zur Abstimmung steht, einen solchen klaren Standpunkt: gegen die Modernisierung, für die vollständige Beseitigung der atomaren Gefechtsfeldwaffen und die unmittelbare Eröffnung der Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen. Wenn die Bundesregierung die Unterstützung haben will - auch international - , dann kann sie sich die Unterstützung ja selber besorgen, indem sie unserem Antrag heute zustimmt. Sonst stünde ihr Verhalten ja in manchen Punkten im Widerspruch zu dem, was sie sagt. Wir wissen aber auch, daß sich in diesen Fragen das Abrüstungsthema nicht erschöpft. Da die Bundesregierung nicht in der Lage war, ein Gesamtkonzept vorzulegen, bringen wir heute einen weiteren Antrag ein und empfehlen diesen Ihrer Nachdenklichkeit. Er ist überschrieben mit: Forderungen an ein abrüstungspolitisches Gesamtkonzept. In diesem zeigen wir auf, welche Perspektiven wünschbar wären. Wir sprechen uns für die vollständige Abrüstung aller atomaren und chemischen Waffen aus, wobei der atomare - vielleicht auch der chemische - Abrüstungsprozeß nur in Schritten praktisch vorstellbar ist. Dennoch ist es eine Aufgabe der Politik, der sie sich nicht länger entziehen darf, diese Schrittfolgen aufzuzeigen. Auch das tun wir mit unserem Antrag. Für die Wiener Verhandlungen über eine Reduzierung konventioneller Rüstungen halten wir Versuche für falsch und kontraproduktiv, wichtige Waffenkategorien auszuklammern oder Vereinbarungen darüber erst einmal auf die lange Bank zu schieben. Wir meinen, daß die Zurückhaltung des Westens gegenüber einer Einbeziehung der Marine ebenso unangebracht ist wie die sowjetische Forderung nach deren weitgehender Berücksichtigung. Weiterführend wäre der Ansatz, die Marinepotentiale in der Ostsee und im Schwarzen Meer einzubeziehen, da diese in engem Bezug zu Landstreitkräften stehen. Wir treten dafür ein, die Abrüstung der Luftstreitkräfte zum Verhandlungskonzept der NATO zu machen, und zwar nicht erst in ein paar Jahren. Die Luftwaffe verursacht schon jetzt die größten Kostensteigerungen. Außerdem versammelt sich bei ihr etwa die Hälfte der konventionellen Feuerkraft. Eine Luftwaffenabrüstung müßte vor allem bei den Jagdbombern ansetzen, was auch das leidige Problem der Tiefflüge - die ja Flugübungen von Jagdbombern sind - definitiv lösen hilft. Wir meinen, daß die Richtschnur der Wiener Verhandlungen eine beiderseitige Reduzierung konventioneller Waffen und Truppen auf eine Größenordnung von etwa 50 % des heutigen NATO-Standes sein sollte. Große Reduktionsschritte lösen auch mehr Probleme, entlasten die Haushalte spürbar, sind leichter verifizierbar und erlauben es auch, die Wehrpflichtdauer zu senken. „Wenn schon, denn schon", müßte doch die Maxime in diesem Abrüstungsprozeß sein. Wir sind der Auffassung, daß im Verlaufe der Verhandlungen eine Vereinbarung über einen kontrollierten Stopp der Einführung neuer Waffensysteme versucht werden sollte, wenn es ansonsten den Verhandlungsprozeß nicht aufhält. Es ist unsinnig, zum selben Zeitpunkt, da über Abrüstung verhandelt wird, neue Rüstungsprojekte anzukurbeln. Welche konkreten Waffensysteme eine künftige beiderseitige Defensivstruktur erfordert, sollte tunlichst erst dann entschieden werden, wenn die Umrisse einer Vereinbarung abzusehen sind. Für den weiteren atomaren Abrüstungsprozeß empfehlen wir ein eigenes Verhandlungsforum, an dem nicht nur die USA und die Sowjetunion beteiligt sind, sondern an dem auch diejenigen Regierungen mitwirken sollten, in deren Ländern atomare Waffen stationiert sind. Atomwaffen werfen mehr als alle anderen Waffen ganz unmittelbar besonders für die Länder Existenzfragen auf, von denen aus sie gestartet werden sollen. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, daß diese Länder mitwirken. Wir halten es darüber hinaus für wünschbar, daß auch Frankreich und Großbritannien als europäische Atommächte aktive Verhandlungsteilnehmer beim europäischen atomaren Abrüstungsprozeß werden. Dieser Punkt darf kein Tabu sein. Es ist Ausdruck einer verkrampften Freundschaft, wenn solche Erwartungen nicht einmal ausgesprochen werden. Gerade weil es um das Eigengewicht Europas geht, sollten Frankreich und Großbritannien im Hinblick auf ihre unmittelbare Beteiligung an diesen Verhandlungen nicht länger abstinent bleiben. Eine Null-Lösung bei atomaren Kurzstreckenwaffen wäre Bestandteil eines europäischen Abrüstungsprozesses, aber sie würde noch keine Atomwaffenfreiheit Europas bedeuten. ({11}) Es blieben atombestückte Flugzeuge, atombestückte U-Boote in europäischen Gewässern, seien es amerikanische, britische, französische oder sowjetische. Des weiteren blieben französische Mittelstreckenraketen und sowjetische Fernraketen. Diese zu reduzieren bliebe nach einer Eliminierung von Kurzstreckenwaffen eine Aufgabe von NATO und Warschauer Pakt in exklusiver Verantwortung der darin eingebundenen Atommächte. Wir dürfen sie daran nicht zu hindern versuchen, sondern müssen sie dazu motivieren. Zu völliger Atomwaffenfreiheit Europas werden solche Bemühungen aber erst im Verbund mit einer weltweiten Beseitigung aller Atomwaffen führen können. Es ist nicht vorstellbar, daß etwa Frankreich auf Atomwaffen verzichtet, solange es noch andere Staaten gibt, die über Atomwaffen verfügen. Die Abrundung und Vollendung des atomaren Abrüstungsprozesses kann nur geschehen durch Verhandlungen aller Atommächte, also auch einschließlich Chinas. Auf dieses Ziel müssen wir hinsteuern und unseren möglichen Beitrag dazu leisten. ({12}) Es sind denkfaule Ausreden, die uns erklären wollen, daß dies nicht möglich sei. Die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen ist leichter als ein vollständiges Verbot aller chemischen Waffen durchführbar. Wer letzteres für ein realistisches Ziel hält, muß auch die vollständige atomare Abrüstung als ein realistisches Ziel anerkennen und anzustreben bereit sein. Dies sind wir künftigen Generationen schuldig, bevor eine Entwicklung eintritt, in der es zu zahllosen Atomwaffenstaaten und entsprechend wachsenden Gefahren atomarer Kriege in anderen Teilen der Welt kommt, nur weil wir nicht zum Verzicht bereit sind. Überall, wohin wir schauen, sehen wir heute Gesellschaften im Umbruch. Umbruch bedeutet, daß die alten Kategorien des Denkens und Handelns nicht mehr weiterführen, weil sie nicht mehr stimmen. Politik im Umbruch heißt also, alles neu zu überdenken. Was früher klug war, kann morgen dumm sein. Was früher rational war, kann morgen eine bloße Illusion sein. Die Fortsetzung bisheriger Politik in den Strukturen, wie sie überkommen und übernommen sind, ist dabei, zur großen Selbsttäuschung zu werden, wenn wir nicht endlich unsere Ziele streng an den neuen Problemen und Möglichkeiten orientieren und den Mut haben, eingefahrene Gleise zu verlassen, die nunmehr ausgefahren sind. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion begrüßt nachdrücklich, daß die Bundesregierung nunmehr ihre Position für den NATO-Gipfel am 29. Mai formuliert hat. ({0}) Die CDU/CSU teilt die Überzeugung der Bundesregierung, daß auch die atomaren Systeme mit unter 500 km Reichweite in den Abrüstungsprozeß einbezogen werden müssen. Dafür sprechen, wie mir scheint, drei zwingende Gründe. Erstens. Die Sowjetunion besitzt in dieser Waffenkategorie nach ihrem eigenen Eingeständnis eine gewaltige, ja beängstigende Kapazität mit einer nicht genau feststellbaren, jedoch nach Tausenden zählenden Zahl von Raketen mit atomaren, konventionellen und chemischen Sprengköpfen. Zweitens. Alle diese Waffen sind sowohl atomar als auch konventionell als auch chemisch verwendbar. Wie will man das Ziel der Wiener Verhandlungen - konventionelle Stabilität auf der Basis von Gleichgewicht - je erreichen, wenn man eine ganze Waffenkategorie dauerhaft aus diesen Verhandlungen ausschließt? ({1}) Drittens. Die nach dem INF-Abkommen verbleibende Struktur der atomaren Waffen ist nicht nur aus deutscher - aber gerade aus deutscher - Sicht alles andere als befriedigend. Sie zu verbessern ist allerdings nicht nur durch Verhandlungen möglich, sondern muß auch durch einseitige Maßnahmen zu ihrer Neustrukturierung erfolgen. Der strategische Zweck dieser Systeme auf westlicher Seite bezieht sich im Rahmen der Vorneverteidigung auf die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes. Daher stehen Beginn und Ergebnis von Verhandlungen über diese Systeme in einem unlösbaren Zusammenhang mit Verlauf und Ergebnis der Wiener Verhandlungen, deren Ziel ja die Beseitigung dieser östlichen konventionellen Überlegenheit ist. Wer Verhandlungen über die SNF-Systeme zeitlich und sachlich unabhängig von der VKSE fordert, setzt sich dem Verdacht der Alliierten aus, es gehe ihm weniger darum, die östliche Überlegenheit als vielmehr die eigenen Waffen wegzuverhandeln. Unerläßlich aber wird es sein, auf dem NATO-Gipfel für diese Systeme zumindest eine rüstungskontroll-politische Perspektive zu eröffnen und etwa eine hochrangige Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung der näheren Einzelheiten für ein Verhandlungsmandat zu beauftragen - und dies mit Nachdruck und mit Vorrang. Die deutsche Auffassung, eine Entscheidung über Produktion und Stationierung eines Nachfolgesystems für die Lance nicht jetzt, sondern erst 1991/92 zu treffen, haben sich bereits seit einiger Zeit offensichtlich auch die Vereinigten Staaten zu eigen gemacht. ({2}) - Weil das eine sachlich begründete, vernünftige Position ist. - Das Drängen auf einen früheren Zeitpunkt ist auch von der Sache her überhaupt nicht erklärlich. Vielmehr verbarg sich hinter ihm - ähnlich wie bei der soeben erwähnten Frage des Zeitpunkts von Verhandlungen - die Befürchtung der Alliierten, die Bundesrepublik strebe eine dritte Null-Lösung an oder treibe doch zumindest darauf zu. Deswegen möchte ich hier eindeutig klären: Wir, die CDU/CSU-Fraktion, halten nicht nur, wie es ja auch in der Ziffer 1 der Regierungsposition heißt, an dem Prinzip der nuklearen Abschreckung fest, sondern auch daran, daß auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland atomare Waffen auch in Zukunft stationiert bleiben, was einschließt, daß sie auf dem gebotenen Stand gehalten werden müssen. Eine dritte Null-Lösung kommt für uns nicht in Betracht. ({3}) Aber ich möchte, Herr Kollege Voigt, mit derselben Deutlichkeit hinzufügen: Die Art der Lösung, die sich wesentliche Alliierte bislang - und manche bis heute - vorstellen, ist unannehmbar, weil sie nicht nur den Eindruck erweckt, es könne sich nichts Grundlegendes ändern, sondern zuweilen sogar, dies solle auch nicht geschehen. Es ist in der Tat zutiefst widersprüchlich, wenn der Westen auf der einen Seite Abrüstungsvorschläge unterbreitet, deren Realisierung genau denselben Zweck erfüllte wie die hier in Rede stehenden atomaren Systeme, und dann auf der anderen Seite gleichzeitig Rüstungsentscheidungen vorschlägt, die diese Perspektive eines Erfolgs in Wien überhaupt nicht ins Auge fassen. Andererseits wäre es sowohl unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit als auch aus verhandlungstaktischer Sicht töricht, so zu tun, als gäbe es schon ein solches Ergebnis der Wiener Verhandlungen. Wir müssen in diesem Fall wie künftig überhaupt lernen, ausgehend vom Status quo, aber in der Perspektive des Status quo plus unsere Entscheidungen zu treffen. Eben daran hat es bei der bisherigen Diskussion in der Allianz gemangelt. Das aber, meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, ist nicht nur ein Vorwurf an die Alliierten, sondern, wie ich in Deutlichkeit sagen möchte, auch an uns - und an uns sogar in besonderer Weise -, weil wir mehr als die anderen an einer Überwindung des Status quo interessiert sind. Deswegen müssen wir auch in besonderer Weise Vorstellungen entwickeln, wie denn die künftige militärische Ordnung, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus die politische Ordnung in Europa konkret aussehen könnte und sollte, Vorstellungen, die aber nicht nur für uns, sondern auch für unsere Alliierten und natürlich auch für die Länder im anderen Teil unseres Kontinents attraktiver sind, verglichen mit der derzeitigen Ordnung. Für die heute hier in Rede stehende Frage bedeutet dies: Wenn wir das Ziel der Wiener Verhandlungen tatsächlich erreichen, d. h. konventionelle Stabilität auf der Basis von Gleichgewicht und weitestgehender Nichtangriffsfähigkeit beider Seiten, dann wünsche ich mir nicht nur eine drastisch verringerte Zahl von atomaren Waffen, sondern auch andere atomare Waffen als die derzeitig hier lagernden, und das heißt natürlich auch eine andere Strategie. Wir müssen bereit sein, auch darüber zu sprechen. Dazu habe ich durchaus die eine oder andere Idee, die heute hier auszubreiten nicht möglich ist. Die Richtung muß sein: Minimalabschreckung im wörtlichen Sinne; das heißt weitreichende Systeme, und das heißt eine Repolitisierung der atomaren Abschreckung. ({4}) Ich fordere uns und natürlich auch unsere Alliierten auf, in einer solchen Perspektive zu denken. Ich fordere uns vor allen Dingen auf, zu sehen, daß wir uns mit einer dritten Null-Lösung, die zwangsläufigerweise eine vierte und fünfte und daher eine atomwaffenfreie Bundesrepublik Deuschland zur Folge haben müßte, aus diesem gemeinsamen Prozeß des Nach-, ja des Umdenkens ausschlössen. Das widerspricht nun allen Interessen unserer Alliierten, und es widerspricht nicht nur aus dem eben von mir erwähnten Grunde, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen auch unseren Interessen. Wir würden uns isolieren. ({5}) Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat eine zentrale Bedeutung für alles, wirklich für alles, was innerhalb des Westens wie innerhalb ganz Europas von Belang ist. Genau dies ist aber zugleich der Grund, weshalb wir in besonderer Weise abhängig und verletzlich sind, denn von unseren Entscheidungen sind unmittelbar und mittelbar alle Staaten in Europa und natürlich auch die USA betroffen. Das, worum es im Kern der Diskussion, die wir derzeitig führen, geht, ist keineswegs nur militärisch-technischer Art, sondern es geht in der Tat um die Nachkriegsordnung in Europa. Wenn das richtig ist, dann ist es auch einleuchtend, daß unsere Entschlossenheit, sie im Interesse unseres Volkes, und zwar in diesem Fall unseres ganzen Volkes, zu überwinden, mit einer ebenso großen Besonnenheit gepaart sein muß. Ich frage uns alle, ob dies in letzter und auch in allerletzter Zeit zu jedem Zeitpunkt der Fall gewesen ist. Ich bin sicher, daß wir jetzt, wenn wir nach dem Doppelprinzip „Entschlossenheit und Besonnenheit" handeln, nach wie vor eine gute Chance haben, auf dem NATO-Gipfel in Brüssel ein gutes Ergebnis zu erreichen. Die Bereitschaft unserer Alliierten - ich habe mich gerade gestern in Brüssel davon überzeugen können -, mit uns einen Konsens zu finden, ist natürlich gegeben, weil sie wissen, daß ohne uns eine zukunftsorientierte Politik der Allianz nicht gemacht werden kann. Aber wir müssen doch wissen, meine Freunde, daß wir den Konsens mindestens ebenso brauchen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die gestrige Scheindebatte hat verdeutlicht: Diese Bundesregierung sitzt sicherheits- und innenpolitisch auf der Abschußrampe, und daran werden Kosmetikerklärungen auch nichts mehr ändern können. Wie sieht es wirklich aus? Auf der einen Seite steht das NATO-Bündnis und der de facto schon gefaßte Entschluß zu einer neuen Aufrüstungsrunde, die verharmlosend „Modernisierung" genannt wird. Insbesondere die „anglo-amerikanische Achse" läßt keinen Zweifel daran erkennen, daß die nuklearen Kurzstreckenraketen nicht zur Disposition stehen. Auf der anderen Seite steht die bundesdeutsche Öffentlichkeit, deren Mehrheit die Antwort auf einseitige Abrüstungsschritte Gorbatschows erwartet. Diese kann nicht in der Stationierung neuer Atomwaffen bestehen! Was heißt das denn anderes als die faktische Zustimmung zur weiteren Aufrüstung, wenn die Nukleare Planungsgruppe in der vergangenen Woche beschließt, daß „die Streitkräfte auf dem gebotenen Stand gehalten werden müssen, wo immer dies erforderlich ist"? Ist das die Antwort der NATO auf den Abbau der sowjetischen Streitkräfte um 500 000 Mann, auf den in dieser Woche begonnenen Abzug in Ungarn und auf den heute beginnenden Abzug in der DDR? ({0}) Die NATO-Strategen, die Bundsregierung, aber auch die SPD machen keinen Hehl daraus, daß sie dafür sorgen werden, daß die NATO vielfältige, überlebensfähige und flexible nukleare Streitkräfte über das gesamte Spektrum hinweg besitzen will. Was tut diese Bundesregierung? Sie versucht, das Problem einfach durch einen neuen Begriff wegzudefinieren. Die Entwicklung des Nachfolgesystems für die Kurzstreckenrakete vom Typ Lance wird kurzerhand als „nationale amerikanische Entscheidung" und damit für die Bundesregierung scheinbar nicht mehr relevant dargestellt. Diesen Betrug haben wir bei der Entscheidung für die Neuproduktion der binären C-Waffen schon einmal erlebt. Es bleibt dabei: Die Bundesregierung hat der Modernisierung zugestimmt. Für wie dumm hält die Bundesregierung eigentlich die bundesdeutsche Bevölkerung, wenn sie ihr weiszumachen versucht, daß die Amerikaner Milliarden von US-Dollar in die Entwicklung eines Waffensystems investieren, um sich dann eventuell zwei Jahre nach der Wahl sagen zu lassen, daß es für die StatioFrau Beer nierung dieses Waffensystems in Europa keinen Bedarf mehr gibt? Wer glaubt denn in diesem Land noch an den ernsthaften Abrüstungswillen der NATO, ({1}) wenn diese den konkreten Abrüstungsschritten der UdSSR seit Monaten nichts anderes als unverbindliche Phrasen entgegenzusetzen hat? ({2}) Auch die Befürwortung der Aufnahme „baldiger Verhandlungen", wie sie die Bundesregierung empfohlen hat, ist nichts weiter als eine Phrase, ebenso der von den Niederländern gemachte Vorschlag des Mittelwegs. Dieser Mittelweg bedeutet einen neuen Doppelbeschluß. Auch dies werden wir vehement bekämpfen. ({3}) Was heißt denn im Sprachgebrauch der Bundesregierung „baldig"? Heißt es: in Wochen und Monaten, nach der Bundestagswahl, nach einem Erfolg in Wien, vielleicht in zehn Jahren? Den letzten Akt in diesem Theater der Hilflosigkeit und des Dilettantismus gaben Minister Genscher und Verteidigungsminister Stoltenberg mit ihrem Blitzbesuch in den USA: nicht ein einziges konkretes Ergebnis. ({4}) Der Streit - das ist der entscheidende Punkt - soll vom Wesentlichen ablenken: nicht nur Scheindebatte, sondern Gespensterdebatte. Die Bundesregierung könnte die Modernisierung durch ein Veto verhindern, aber sie tut es nicht, sie will es nicht. Deshalb laufen zur Tarnung und zur Anpassung an die öffentliche Meinung Geisterdebatten. Wohldosiert wird der latente Antiamerkanismus der Bundesregierung mit dem neuen Lieblingswort „anglo-amerikanisch" überdeckt. Doch die gezielte Schwerpunktsetzung in diesem Streit auf die Kurzstreckenwaffen, auf die Lance, verdeckt den eigentlichen Streitpunkt innerhalb der NATO. Die NATO hat keine konsistente Strategie, die von allen Partnern gleich interpretiert wird. ({5}) Die Bundesregierung will weitreichende Waffen, um die USA an das atomare Wahnsinnsrisiko und an die Auslöschung anzubinden. Die USA wollen kurzreichende Waffen, um einen Konflikt begrenzen zu können. Das Schlachtfeld hier, das will die Bundesregierung nicht. Der Coup scheint gelungen zu sein: Durch eine zunehmend intensive Diskussion über die FOTL - follow on to Lance - und potentielle Verhandlungen über Kurzstreckenwaffen ist die Implementierung der NATO-Strategie im Bereich der notwendigen Systeme, nämlich der neuen Atomgranaten W 82, der zusätzlichen und/oder neuen „dual capable"-Flugzeuge sowie deren Ausrüstung mit luftgestützten Abstandswaffen, aus dem Licht der öffentlichen Diskussion gerückt. Dieser Anachronismus der verschiedenen Interessen verhindert ein wirkliches Gesamtkonzept. Das wird es nie geben. Die Gespensterdebatte dient der Umgehung des INF-Vertrages; denn die beiden wichtigeren Modernisierungsschritte betreffend Artillerie und luftgestützte Pershings werden nicht zur Debatte oder Disposition gestellt. ({6}) Abrüstungspolitik ist etwas ganz anderes. Sie bedeutet nicht nur ein Veto, was eine vertrauensbildende Maßnahme wäre, die notwendig ist. Abrüstungspolitik wäre eine deutliche, glaubwürdige Kürzung des Rüstungshaushaltes, und zwar weit hinaus über das, was jetzt in der DDR mit einer zehnprozentigen Kürzung des Rüstungshaushaltes praktiziert wird. Abrüstung wäre der Abzug ausländischer Truppen aus der Bundesrepublik Deutschland, die von den WVO-Staaten als besonders bedrohend empfunden werden. ({7}) Der Abzug dieser Truppen wäre der erste Teil einer Initiative - das ist unser längerfristiges Ziel - , sämtliche fremden Streitkräfte aus diesem Land abzuziehen. Die Kündigung des WHNS-Abkommens durch die Bundesregierung wäre ein dringend gebotener Schritt, um die politische Bereitschaft zu substantiellen Abrüstungsschritten zum Ausdruck zu bringen. Das Projekt des Jägers 90 - man braucht es kaum noch zu erwähnen - , der die bestehende Überlegenheit der NATO bei den Luftstreitkräften weiter erhöht und stabilisiert und deshalb ein Unsicherheitsfaktor ist, sollte sofort gestoppt werden. Herr Stoltenberg, es ist schrecklich für uns, spricht aber natürlich für diese Regierung, daß Sie als Finanzminister die skandalösen Finanzpläne für dieses Skandalprojekt aufgestellt haben und es nun als dritter Verteidigungsminister in nur zwei Jahren auch noch durchziehen wollen. Das, meine Damen und Herren, wären die richtigen Schritte und angemessenen Reaktionen auf die einseitige Abrüstung der Sowjetunion. Sie bieten die Chance, in eine grundlegende neue Logik von Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik einzusteigen. Sie wären die Voraussetzung für einen Prozeß, an dessen Ende eine Entmilitarisierung des Ost-West-Konfliktes, die Überwindung von Abschreckungs- und Blocksystemen und eine entmilitarisierte neue europäische Friedensordnung stehen könnten. Wir werden dem SPD-Antrag nicht widersprechen. Aber wir wünschen uns, daß dieser Antrag zukünftig der Mehrheitsmeinung in der SPD entspricht. Anders ist eine parallel zu dieser Sitzung stattfindende Pressekonferenz - gerade jetzt in diesen Minuten - Ihres Kollegen von Bülow, auf der er neue Vorschläge macht, nicht zu erklären. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Beer, mit sol10460 chen hektischen, dilettantischen Rundumschlägen werden Sie nicht friedensfähig. ({0}) Frau Beer, diese Regierung sitzt nicht auf der Abschußrampe, ({1}) diese Regierung bemüht sich, Abschußrampen zu beseitigen. ({2}) Vor sieben Jahren ist diese Regierung angetreten mit dem Ziel, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen. Wir können heute auf eine erfolgreiche sicherheitspolitische Bilanz zurückblicken: auf die erste Null-Lösung, den INF-Vertrag - bejahen Sie das nicht? - , die doppelte Null-Lösung, KVAE-Abkommen in Stockholm und nicht zuletzt den Beginn der Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung. Sind das keine Leistungen? Hier hat die Bundesregierung überall maßgeblich mitgewirkt. Die deutliche Handschrift des Außenministers und damit der FDP ist dabei unverkennbar. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Dr. Feldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, wenn Sie noch einmal betonen, daß Sie Abschußrampen beseitigen wollen, sind Sie dann nicht auch der Meinung, daß es Zeit wäre, die Aufrüstungsmaßnahmen bei den see-und luftgestützten Cruise Missiles zu kritisieren, statt immer nur die veralteten Systeme abziehen zu wollen?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin, ich habe Ihnen gesagt: Sie machen dilettantisch und blauäugig Rundumschläge. Die FDP steht auch weiterhin für eine kontinuierliche, realistische Abrüstungspolitik. Sie erfolgt Schritt für Schritt, einen Punkt nach dem anderen. Wir können nicht alles auf einmal abräumen. Ein schöner Friedenswillen allein hilft nicht weiter. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden in realistischen Schritten auch weiterhin Abrüstungspolitik betreiben. Wir werden die neue Politik der Sowjetunion als eine Chance für Europa und damit auch als eine Chance für die Deutschen in Ost und West begreifen. ({0}) Die FDP wird alles tun, daß diese Chance auch genutzt wird und daß sie nicht zerredet oder gar zerrüstet wird. Wir wollen - darauf können Sie sich verlassen - unsere Sicherheit durch Abrüstung verbessern. Nirgends ist die Überlegenheit der Sowjetunion größer als bei den nuklearen Kurzstreckenraketen: 1 365 gegen 88 Systeme. Wie anders als durch Verhandlungen kann eine derartige Überlegenheit beseitigt werden? Die Sowjetunion will verhandeln, und wir sollten Gorbatschow beim Wort nehmen. Der Deutsche Bundestag hat bereits im Oktober 1987 festgestellt, daß nach Abschluß des INF-Abkommens Verhandlungen über nukleare Kurzstreckenraketen notwendig sind. Dies wurde in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung noch einmal von allen Fraktionen unterstrichen. Diese breite Übereinstimmung im Deutschen Bundestag wird ihren Eindruck auf das Bündnis nicht verfehlen. Wer die Sicherheit der Bundesrepublik, die Sicherheit Europas verbessern will, kommt an Verhandlungen nicht vorbei. ({1}) Unser Plädoyer für Verhandlungen mit der Sowjetunion beruht auf den NATO-Beschlüssen von Reykjavik und den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs vom März 1988 in Brüssel. ({2}) - Doch, Herr Kollege. Wie kann eine NATO-Forderung, auf die die Sowjetunion dann eingeht, eine Falle für das westliche Bündnis sein? Es macht sicherheitspolitisch auch keinen Sinn, die Diskussion ausschließlich auf ein Waffensystem zu konzentrieren. Wenn unsere Sicherheit entscheidend verbessert werden soll, muß die sowjetische Überlegenheit in allen Bereichen abgebaut werden: bei den konventionellen Waffen, bei der nuklearen Artillerie und bei den nuklearen Kurzstrekkenraketen. Zwischen diesen Bereichen besteht eine Wechselbeziehung von erheblicher verhandlungspolitischer Bedeutung. Wer Verhandlungen will, Herr Kollege Scheer, darf die Position des Westens nicht dadurch schwächen, daß er ein Element willkürlich herausreißt. Deshalb ist es meines Erachtens wenig hilfreich, wenn sich die SPD bereits heute auf eine dritte Null-Lösung festlegt. Das hilft nicht weiter. ({3}) Genauso falsch wäre es aber, auch bereits heute eine dritte Null-Lösung definitiv auszuschließen. ({4}) Die FDP ist nach wie vor der Überzeugung, daß jede Festlegung zum jetzigen Zeitpunkt ein falsches Signal wäre. Wir haben wiederholt erklärt, daß vor 1992 nicht entschieden werden muß, ob und wie die Lance ersetzt werden soll. Diese Entscheidung wird 1992 vor dem Hintergrund der Wiener Verhandlungsergebnisse zu treffen sein. Wichtig ist, daß wir unsere Übereinstimmung in den Kernfragen nicht selbst gefährden. Mit ihrer Position steht die Bundesregierung im Bündnis keineswegs allein. Diesen Vorwurf hat der Herr Bundespräsident zu recht als Märchen zurückgewiesen und damit die deutsche Position bestärkt. ({5}) - Der Bundespräsident hat da nicht unangemessen in die Tagespolitik eingegriffen, Herr Kollege. Wir sind uns im Deutschen Bundestag in dieser Position einig, und deswegen hat der Bundespräsident zu Recht nach außen die Position des Deutschen Bundestages verteidigt. Das ist unsere Meinung dazu. ({6}) In einem demokratischen Bündnis ist ein demokratischer Meinungsbildungsprozeß die Regel und nicht die Ausnahme. Die Bundesregierung hat in der Frage der nuklearen Kurzstreckenraketen einen klaren Standpunkt, der in wesentlichen Punkten, Herr Kollege, auch von Ihnen mitgetragen wird. ({7}) - Ich habe nicht gesagt, daß Sie alle wesentlichen Punkte mittragen, aber einige tragen Sie mit, und das ist gut so. Wir sind deswegen auch der Auffassung, daß es nicht nur Aufgabe der Bundesregierung sein kann, bei unseren Verbündeten Überzeugungsarbeit zu leisten. Dies ist Aufgabe aller Parteien im Deutschen Bundestag. Die Reise von Außenminister Genscher und Verteidigungsminister Stoltenberg war hierzu ein erster notwendiger Schritt, denn kein Land der Welt hat mehr als wir an den Folgen des Ost-West-Gegensatzes und eines mehr als 40jährigen Wettrüstens zu tragen. Mehr Rüstung in Ost und West kann nicht mehr, sondern nur weniger Sicherheit bedeuten. Viele unserer Bündnispartner sehen dies inzwischen genauso. Wir müssen und wir werden im Bündnis zu einer gemeinsamen Haltung kommen; denn wir wollen das Bündnis. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesaußenminister.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß ich heute morgen zum erstenmal zusammen mit meinem Kollegen Stoltenberg in seiner neuen Verantwortung auftreten kann, einem Kollegen, dem ich mich nicht nur kollegial, sondern freundschaftlich verbunden fühle, dem ich von hier aus allen Erfolg wünsche ({0}) für ein schweres und verantwortungsvolles Amt in der Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Meine Damen und Herren, bei einer Debatte über die Abrüstungspolitik ist es wichtig, sich über die Ausgangslage zu vergewissern, in der diese Debatte stattfindet. Sie wird gekennzeichnet erstens durch die Tatsache, daß das Modell Freiheit, das Modell Marktwirtschaft und das Modell Einigung in der Europäischen Gemeinschaft zunehmend an Attraktivität gewinnt und seine Kraft zur Erneuerung in immer mehr sozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa entfaltet. Zweitens. Wir können feststellen, daß der Grundgedanke des Harmel-Berichts, der 1967 vom westlichen Bündnis vorgelegt wurde, daß es darum geht, eine europäische Friedensordnung vom Atlantik bis zum Ural zu schaffen, zum erstenmal nach Jahrzehnten des Wartens mit der Antwort Gorbatschows eine positive Antwort aus dem Osten bekommt. Und wir können drittens feststellen, daß mit Ausnahme der Kurzstrekkenraketen inzwischen alle Bereiche der Rüstung Gegenstand von Abrüstungsverhandlungen sind: die interkontinentalen strategischen Waffen, die chemischen Waffen; wir haben in diesem Jahr den Beginn der Verhandlungen über die konventionelle Stabilität, wobei das Verhandlungsziel ein Ziel ist, das der Westen formuliert hat. ({2}) Ziel ist, nicht nur gleiche Obergrenzen auf einem niedrigeren Niveau zu erreichen, also mit weniger militärischem Aufwand mehr Sicherheit zu schaffen und Überlegenheiten zu beseitigen, sondern zugleich auch Angriffsfähigkeit, Überraschungsfähigkeit und Invasionsfähigkeit zu beseitigen. Wir sind also in einer Lage, wo wir feststellen können, daß sich westliche Vorstellungen politisch, ökonomisch, europapolitisch - für die Zukunft - und abrüstungspolitisch durchzusetzen beginnen. Der Westen hat deshalb keinen Anlaß zum Kleinmut. Der Westen hat keinen Anlaß zur Sorge, wenn er es mit seinen Vorschlägen ernst meint, sondern der Westen hat Anlaß zur Zuversicht und zur beharrlichen Verfolgung der von ihm selbst formulierten Ziele. Nun ist es in der Tat notwendig, daß wir die neue Offenheit, die sich aus der neuen sowjetischen Politik ergibt, auch wirklich beherzt und entschlossen nutzen. Vor dieser Aufgabe stehen wir. Wir müssen jenes Stück in der Abrüstungskette schließen, wir müssen jenes Stück der Abrüstungsvorstellungen einfügen, das sich auf die Kurzstreckenraketen bezieht. ({3}) Wir können feststellen, daß wir für diese Position immer mehr Verständnis im ganzen Bündnis finden und für die Verhandlungen immer mehr Verständnis bei den Partnern in Europa, vor allem bei denen, die sich ähnlich wie wir in besonderer Weise betroffen fühlen müssen. Herr Kollege Lamers hat recht: Es geht jetzt darum, daß wir den Konsens im Bündnis herbeiführen; denn nur ein einiges Bündnis - das hat die Vergangenheit bewiesen - kann Fortschritte bei der Abrüstung erreichen, und nur ein einiges Bündnis wird das auch in Zukunft bewirken können. ({4}) Frau Kollegin, der Konsens lautet schon deshalb nicht Aufrüstung, weil der Vorschlag, alle Mittelstreckenra10462 keten abzuschaffen, nicht ein östlicher, sondern ein westlicher war und auch verwirklicht worden ist. ({5}) Ich habe hier oft davor gewarnt, an den Feindbildern festzuhalten, und habe dazu aufgefordert, sich ein Bild zu verschaffen, wie die Absichten der anderen Seite wirklich sind. Ich habe dabei, Frau Kollegin, an die außenpolitischen Feindbilder gedacht. Aber als ich Sie heute hier habe sprechen hören, hatte ich den Eindruck, bei Ihnen ist das Problem weniger ein außenpolitisches als ein innenpolitisches Feindbild, von dem Sie sich nur schwer zu trennen vermögen. ({6}) Nein, meine Damen und Herren, wir haben über die Abrüstung und über die Entwicklung in der Abrüstungspolitik hinaus eine politische Entwicklung in Europa, die auch das notwendige Umfeld schafft, um Abrüstungsverhandlungen erfolgreich gestalten zu können. Es ist zu Recht von allen Seiten des Hohen Hauses immer wieder darauf hingewiesen worden, daß wir die West-Ost-Beziehungen nicht auf die Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung verkürzen dürfen, so bedeutungsvoll sie für das Überleben unseres Kontinents sind. Aber wir haben auch die Verantwortung, die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Vertrauensbildung möglich wird und in denen aus Vertrauensbildung auch Abrüstungsergebnisse erreicht werden können. Vertrauensbildung ist eben mehr als nur Verifikationsabkommen. Vertrauensbildung bedeutet Schaffung von gemeinsamen Interessen und Schaffung von gemeinsamen Aufgaben nach gemeinsamen Zielen, bei denen dann niemand mehr ohne Gefahr für sich selbst und ohne Nachteile für sich selbst aus dem aussteigen kann, was man sich gemeinsam vorgenommen hat. Deshalb war der gute Ausgang der KSZE-Folgekonferenz in Wien eine so wichtige Voraussetzung dafür, daß wir uns über die Aufnahme der Verhandlungen über die konventionelle Stabilität verständigen konnten. Hätten wir in der Frage der politischen Zusammenarbeit nicht Annäherung erreicht, hätten wir nicht in den Fragen der Menschenrechte eindeutige Fortschritte möglich machen können, dann hätten wir uns - so sage ich Ihnen - auch nicht über ein Mandat über die konventionelle Abrüstung verständigen können. Man kann das eine von dem anderen nicht trennen. ({7}) Es ist der große Grundgedanke des KSZE-Prozesses, daß er Zusammenarbeit, Menschenrechte und Sicherheit - Sicherheit auch verstanden als integraler Bestandteil jeder verantwortlichen Sicherheitspolitik, nämlich der Rüstungskontrolle und Abrüstung - zusammenfaßt. Hier liegt eine ganz besondere Aufgabe, die wir erfüllen können. Hier hat das deutsch-sowjetische Verhältnis eine zentrale Bedeutung. Deshalb wird der bevorstehende Besuch von Generalsekretär Gorbatschow ein bedeutsamer Beitrag zur Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses sein. Das deutsch-sowjetische Verhältnis hat zentrale Bedeutung für das West-Ost-Verhältnis. Aber ich denke, wir sind uns auch bewußt, daß es im Jahre 1989, 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, der durch den Überfall Hitlers auf Polen ausgelöst wurde, ({8}) wichtig ist, daß wir im deutsch-polnischen Verhältnis durch einen Besuch des Bundeskanzlers und, darauf folgend, des Bundespräsidenten ein neues Kapitel, ein Kapitel der Zukunft im deutsch-polnischen Verhältnis aufschlagen. Das darf nicht zerredet werden. Hier geht es vielmehr darum, einen deutsch-polnischen Beitrag für ein Ja zur Hoffnung für das ganze Europa zu leisten. ({9}) Meine Damen und Herren, wenn wir diese historische und moralische Perspektive unserer Politik erkennen, wenn wir überzeugt sind - und wir dürfen es sein - von der Kraft, der Durchsetzungskraft der Idee der Freiheit, der Durchsetzungskraft und der Idee unseres gesellschaftlichen und freiheitlichen Modells, dann werden wir auch die Fragen der Abrüstung zu bewältigen wissen, und dann bekennen wir uns zu dem, was am Anfang der Zusammenarbeit in dieser Bundesregierung in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers stand: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Da wird es nicht an unserem Beitrag zu dieser Abrüstungspolitik fehlen. Wir haben eine besondere Verantwortung, die mit einem besonderen Interesse der Deutschen deckungsgleich ist, eine besondere Verantwortung für den Frieden in Europa und ein besonderes Interesse, die Trennung Europas zu überwinden, weil alles, was Europa trennt, auch Deutsche von Deutschen trennt. Deshalb, meine Damen und Herren, ehrt es jede deutsche Politik, wenn sie sich als Motor der Entspannung, der Zusammenarbeit und der Abrüstung versteht. Ich denke, daß jeder Europäer und jeder unserer Partner und Freunde in Übersee diese Motive unseres Handelns erkennen sollte; dann sind Mißverständnisse ausgeschlossen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesaußenminister, ich möchte mit einem Lob beginnen: Ich kann jede Ihrer Aussagen, ich kann jedes Wort unterstreichen. Sie finden voll meine Zustimmung. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesregierung insgesamt und auch Sie als Bundesaußenminister in den letzten Wochen Fehler gemacht haben, die mit Ursache dafür sind, daß die Verstimmungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA größer sind, als es von der Sache her erforderlich ist. Wenn man heute die Äußerungen von Herrn Lamers und von Herrn Feldmann gehört hat, die unterschiedlichen Aussagen z. B. zu einer dritten Null-Lösung, kann man voraussagen, daß das, was hier als Gemeinsamkeit der Regierungsseite dargestellt wird, Voigt ({0}) in vielen Fragen ein Formelkompromiß ist, der in Wirklichkeit sachliche Widersprüche überdeckt. Diese sachlichen Widersprüche werden eine der Ursachen für künftige Widersprüche in der Regierung und in der Regierungskoalition sein ({1}) und werden auch Gründe für die Schwierigkeit sein, die deutsche Position gegenüber Verbündeten durchzusetzen. ({2}) Man kann die Positionen der Sozialdemokratie kritisieren, aber eines ist klar: Die Positionen der SPD in der Sicherheits- und Abrüstungspolitik sind seit Monaten, ja, seit Jahren eindeutig. ({3}) Wenn man wie ich den Besuch Jochen Vogels in den Vereinigten Staaten miterlebt hat, kann man feststellen und resümieren, daß dort zwar nicht alle unsere Vorstellungen auf Zustimmung stoßen, daß sie aber in jedem Falle Respekt finden. Das liegt daran, daß diese Regierungskoalition und diese Bundesregierung - da möchte ich den Bundesaußenminister mit seiner gestrigen und mit seiner heutigen Rede ausdrücklich ausnehmen - in Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht von Taktik frei sind, ja, daß sie taktieren und daß sie im Gegensatz zu uns nicht den Eindruck vermitteln, daß sie nur auf Grund von Grundwerten und Grundüberzeugungen zu den Positionen gefunden haben und finden, die sie jetzt im Bündnis vertreten. ({4}) Wir sind in vielerlei Fragen pragmatisch, aber nicht prinzipienlos. Man kann auf Dauer in der Außen- und Sicherheitspolitik nur dann Vertrauen bewahren und neues schaffen, wenn man zu seinen Prinzipien steht, auch gegenüber Bündnispartnern. Aus diesem Grunde sind wir im Gegensatz zu dieser Regierungskoalition für unsere Bündnispartner im Westen ein berechenbarer Partner. Diese Regierung hat in den vergangenen Wochen gerade in der Sicherheitspolitik eine konzeptionelle Unsicherheit und Unberechenbarkeit ausgestrahlt, und sie strahlt sie weiterhin aus. Wir sind gegen eine neue Nachrüstung mit neuen weitreichenden Nuklearraketen. Aus diesem Grunde sagen wir bereits heute ohne Wenn und Aber nein zur Stationierung eines Lance-Nachfolgesystems in den 90er Jahren. Diese Bundesregierung will ihre Haltung erst nach den kommenden Bundestagswahlen festlegen, aber der deutsche Wähler hat Anspruch auf eine klare Aussage bereits vor den kommenden Bundestagswahlen. ({5}) Ich füge hinzu: Auch die Vereinigten Staaten als unser Bündnispartner haben Anspruch auf eine klare Aussage bereits heute! ({6}) Den Amerikanern zu sagen, sie könnten jetzt mit der Entwicklung und Produktion neuer Raketen in - wie man so schön sagt - nationaler Verantwortung beginnen, sie könnten jetzt finanzieren, aber später möglicherweise nicht stationieren, schafft Unklarheiten im Deutschen Bundestag hier und Unklarheiten im US-Kongreß dort. Es kann bereits heute vorausgesagt werden, daß diese Unklarheiten zur Ursache für neues Mißtrauen in der Zukunft werden. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb bereits heute nein zur Nachrüstung. Wir halten sie abrüstungspolitisch für schädlich und sicherheitspolitisch für überflüssig. Aber ich sage auch: Wenn die Bundesregierung diese Nachrüstung im Unterschied zu uns Sozialdemokraten sicherheitspolitisch für erforderlich hält, dann muß sie auch den Mut aufbringen, dies dem deutschen Wähler bereits vor den Wahlen im Jahre 1990 zu sagen. ({7}) In Grundfragen der Sicherheitspolitik darf man nicht taktieren. Das Primat der Politik gegenüber der Bundeswehr verlangt politische Zivilcourage und verbietet politischen Opportunismus. Wer als Politiker von Soldaten Tapferkeit verlangt, der muß selber genug Zivilcourage haben, um vor dem Wähler auch vor Wahlen zu unpopulären Entscheidungen zu stehen. Es geht deshalb nicht an, daß diese Regierung bei der Lance-Modernisierung gegenüber dem Wähler heute den Eindruck des Nein und gegenüber den USA öffentlich den Eindruck des Vielleicht-dochNoch und intern den Eindruck des Ja, aber nach den Bundestagswahlen erweckt. ({8}) Wir sind gegen die heutige östliche Überlegenheit bei landgestützten Kurzstreckenraketen. Deshalb haben wir wiederholt die Sowjetunion auch zu einseitigen Schritten der Abrüstung in diesem Bereich aufgefordert. Das möchte ich hier wiederholen. ({9}) - Das kritisiere ich, daß nichts geschehen ist. Deshalb wiederhole ich die Forderung. Aber das allein reicht nicht. Auch die Forderung der einseitigen Abrüstung reicht nicht. Deshalb fordern wir Verhandlungen. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung hier auf unseren Kurs eingeschwenkt ist. Hier bieten wir unsere Zusammenarbeit an. Aber wir fordern die Bundesregierung auch auf, Herr Bundesaußenminister, bis zum NATO-Gipfel im Mai nicht wieder umzufallen oder den Ausweg in nichtssagenden oder doppeldeutigen Formelkompromissen zu finden. Wir Sozialdemokraten zielen auf eine dritte Null-Lösung. Die Bundesregierung will gemeinsame Obergrenzen auf niedrigem Niveau. Sie lehnt eine dritte Null-Lösung ab. Die FDP ist in dieser Frage offen. Für uns ist die beste gemeinsame Obergrenze Null. Wir sind bereit, dieses Ziel in einem großen Schritt zu erreichen; dies würden wir vorziehen. Aber als Partei der Reformen unterstützen wir auch jeden einzelnen Voigt ({10}) Teilschritt, wenn er ein Schritt in Richtung auf dieses Ziel ist. ({11}) Wir sind für die völlige Beseitigung der nuklearen Gefechtsfeldwaffen, ({12}) insbesondere sind wir für eine Beseitigung der nuklearen Artillerie. - Sie sind zwar nicht dagegen, Herr Feldmann, aber dies steht nicht im Regierungskonzept. ({13}) Diese Waffen bedrohen Deutschland mehr als alle anderen Waffen. Sie bedrohen es mehr, als daß sie es beschützen. Deshalb ist die vierte Null-Lösung in gewisser Weise sogar noch mehr als die dritte NullLösung im deutschen Interesse. Wir haben zusammen mit der SED und der KPC einen nuklearwaffenfreien Korridor vorgeschlagen. Das ist ein Schritt in diese Richtung. Wenn Sie bessere Vorschläge haben, sind Sie damit willkommen. Bisher haben Sie keine Vorschläge. ({14}) Nach vier Jahren der Kritik an der SPD akzeptiert die Bundesregierung Kohl heute das Ziel des Abbaus der Nuklearartillerie. Leider aber bekennt sie sich nicht zum Ziel einer Null-Lösung gerade bei diesem Waffensystem. Ich bedaure das. Viele Offiziere der Bundeswehr sagen intern, daß sie gerade bei diesem Waffensystem für eine vierte Null-Lösung sind. Es ist zu begrüßen, daß besonders der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Dregger, sich offen zu einer solchen vierten NullLösung bei nuklearen Gefechtsfeldwaffen bekennt. Im übrigen wäre eine solche vierte Null-Lösung viel leichter zu verifizieren als gemeinsame Obergrenzen oberhalb von Null. Es ist überhaupt keine Frage, daß ein Verhandlungskonzept bei der Nuklearartillerie, das nicht die völlige Beseitigung der Nuklearartillerie, sondern eine gemeinsame Obergrenze vorsieht, so gut wie nicht zu verifizieren ist. Deshalb ist auch aus dieser Sicht eine vierte Null-Lösung die einfachste, aber auch die am leichtesten zu vereinbarende Lösung. Es ist schlecht, daß die Bundesregierung, die Verhandlungen über die beiden Themenbereiche Kurzstreckenraketen und Gefechtsfeldwaffen fordert, selbst noch kein Verhandlungskonzept hat. Ich sage ganz offen: Eine Bundesregierung, die selbst keine konkreten Verhandlungskonzepte in diesen Bereichen hat, aber vom westlichen Bündnis Verhandlungskonzepte fordert, ist nicht gerade sehr vertrauenswürdig. Aus diesem Grunde wird sie auch in diesem Punkt und aus diesem Anlaß in der Abrüstungspolitik weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Wir Sozialdemokraten sind Realisten. ({15}) Wir wissen deshalb, daß konventionelle Abrüstung um so dringender wird, je mehr Fortschritte man bei der nuklearen Abrüstung macht. Deshalb haben wir auch im Bereich der konventionellen Abrüstung Vorschläge vorgelegt. Das Konzept der strukturellen Angriffsunfähigkeit beider Seiten ist von uns zuerst erarbeitet worden. Es wird jetzt Schritt für Schritt, zunächst von der FDP, dann mit Phasenverzögerung von Teilen der CDU, übernommen. Ich finde es gut, wenn in diesem Hause auf der Grundlage sozialdemokratischer Konzeptionen eine Gemeinsamkeit möglich ist. Für uns ist die Überzeugungskraft unserer Ideen wichtiger als kurzatmige Parteitaktik. Herr Lamers, Sie haben vorhin mit einem Zwischenruf meinen Kollegen Scheer gefragt, wie wir zur nuklearen Abschreckung stehen. - Ja, wir halten an dem Ziel der Überwindung des Systems der nuklearen Abschreckung fest. Die Koalitionsfraktionen, die FDP einerseits und die CDU/CSU andererseits, sind in dieser Frage gespalten. In der gestrigen Debatte haben sich die Vertreter der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler kritiklos zur Abschrekkung bekannt. Das ist zu bedauern. Aber auch wir wissen, daß die Überwindung der nuklearen Abschreckung, wenn sie überhaupt jemals erreicht werden kann, zumindest Jahrzehnte dauern wird. Wir wissen, daß wir Deutsche, die wir nicht selbst über Nuklearwaffen verfügen, zwar auf dieses Ziel dringen können, daß aber dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wie mein Kollege Scheer zu Recht gesagt hat, wenn alle heutigen Nuklearstaaten - ich möchte hinzufügen: alle potentiellen Nuklearstaaten - dieser Welt dauerhaft und überprüfbar auf Nuklearwaffen verzichten. ({16}) Das heißt, es müßte nicht eine nukleare Abrüstung vereinbart werden, sondern es müßten zumindest Grundlagen einer Weltfriedensordnung geschaffen werden, bevor eine endgültige Überwindung der nuklearen Abschreckung zu einer Wirklichkeit werden könnte. Wir wollen ein Europa - hierin stimme ich Bundesaußenminister Genscher völlig zu - ohne Bedrohung zwischen Ost und West, ein Europa der Zusammenarbeit. ({17}) Wir wollen ein Europa, in dem Deutschland, Berlin, Europa die Spaltung überwinden. ({18}) Deshalb unterstützen wir die Forderung nach einem Gesamtkonzept der westlichen Politik. Wir nennen es das Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Wir haben den Vorschlag für eine zweite Phase der Entspannungspolitik vorgelegt. Wir fordern und wir praktizieren systemöffnende Zusammenarbeit. Meine Sorge und meine bisherige Wahrnehmung ist, daß diese Bundesregierung, die selbst ein Gesamtkonzept von der NATO verlangt hat, bisher kein eigeVoigt ({19}) nes Gesamtkonzept entwickelt hat und aus diesem Grunde im Bündnis mit nackten und bloßen Händen dasteht und daher aus der Sicht der Vereinigten Staaten und Großbritanniens unglaubwürdig ist. Wir stehen zum westlichen Bündnis. Wir bemühen uns deshalb um ein gutes Verhältnis zu unseren Bündnispartnern. Im Unterschied zu dieser Regierungskoalition haben wir die Bündnispartner nicht über unsere Ziele im Unklaren gelassen. Nicht alle Bündnispartner haben unsere Meinung geteilt, ({20}) aber alle haben unsere Meinung gekannt. ({21}) Für alle waren wir berechenbar, und mit allen haben wir in wechselseitigem Respekt gesprochen. Diese Bundesregierung hat die zweifelhafte Leistung vollbracht, heute zugleich mit den USA und mit Großbritannien im Streit zu liegen. ({22}) Wir Sozialdemokraten haben uns mit allen Sozialdemokraten in Westeuropa auf eine gemeinsame Sicherheits- und Abrüstungspolitik einigen können. Im Gegensatz hierzu sind die Bundesregierung Kohl, die von einer konservativen Partei geführt wird, und die britische Regierung, die ebenfalls von einer konservativen Partei geführt wird, wenige Wochen vor der Europawahl im wechselseitigen Verhältnis nicht handlungsfähig, sondern nur noch konfliktfähig. ({23}) An die Stelle des wechselseitigen Respekts ist die wechselseitige Abneigung getreten. Das ist keine gute Grundlage für die Selbstbehauptung europäischer Interessen im westlichen Bündnis. Gestern hat Bundeskanzler Kohl vor der Unberechenbarkeit einer rotgrünen Politik gewarnt. Tatsache ist aber, daß diese Bundesregierung in wachsendem Maße im In- und Ausland als unberechenbar gilt. Das ist ihre eigene Schuld; das ist die Folge ihres stümperhaften Vorgehens. In den letzten Wochen hat sich diese Bundesregierung gerade in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik im Handwerklichen wie eine Truppe von Laienschauspielern benommen. ({24}) Vor Monaten fordert diese Bundesregierung ein Gesamtkonzept. Das westliche Bündnis macht sich auf Drängen der Bundesregierung diese Forderung zu eigen. Dann aber müssen deutsche Diplomaten in Brüssel in bezug auf das Problem der nuklearen Kurzstreckenwaffen wochen- und monatelang auf konkrete Weisungen warten, weil diese Bundesregierung zu konkreten Weisungen an deutsche Beamte in Brüssel unfähig ist. Monatelang arbeiten deutsche Soldaten und Diplomaten in Brüssel an einer Studie über den künftigen Bedarf an Nuklearwaffen in Europa. Diese Studie sieht die Modernisierung und Stationierung von neuen Nuklearwaffen - auch größerer Reichweite - vor. Die Bundesregierung ist von den Ergebnissen dieser Studie in allen Einzelheiten und in jedem Schritt informiert worden, und sie hat bis zum heutigen Tage - ich betone: bis zum heutigen Tage! - intern, innerhalb der NATO, den darin enthaltenen Schlußfolgerungen nicht widersprochen. ({25}) Die Schlußfolgerungen führen unter anderem auch zu einer Stationierung von Kurzstreckenwaffen. Ich möchte wiederholen: Sie hat intern bis zum heutigen Tage nicht widersprochen. Öffentlich aber erweckt sie den Eindruck, als würde über das Ob einer Stationierung erst nach den Bundestagswahlen entschieden. ({26}) Bei dieser Doppelzüngigkeit - im wahrsten Sinne des Wortes: Doppelzüngigkeit! - darf man sich nicht wundern, wenn insbesondere in den USA das Mißtrauen gegenüber dieser Bundesregierung wächst. Noch in der vergangenen Woche hat der damalige Verteidigungsminister dieser Bundesregierung, Scholz - ich nehme doch an, nicht als Alleinkämpfer -, ({27}) dem Kommuniqué der Nuklearen Planungsgruppe der NATO zugestimmt. In diesem Kommuniqué waren keine Verhandlungen über nukleare Kurzstrekkenraketen vorgesehen. Wenige Tage später beschließt die Bundesregierung das Gegenteil. Ich begrüße, daß die Bundesregierung jetzt Verhandlungen fordert. Aber wenn sie das früher und konsequenter getan hätte, so wie die SPD, dann gäbe es heute weniger Mißtrauen in den USA gegenüber dieser Bundesregierung. ({28}) Insofern ist die Bundesregierung zum guten Teil selber an der Krise schuld, die jetzt zwischen Ihnen und den Vereinigten Staaten entstanden ist. Denn auch heute noch enthalten die Aussagen und Forderungen dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien Unklarheiten und Doppeldeutigkeiten. Das kann den Kompromiß innerhalb der Regierungskoalition kurzfristig erleichtern, aber schon bald wird sich diese kleine Schlauheit als große Dummheit erweisen. Denn sie wird erneut dazu führen, daß Widersprüche innerhalb dieser Regierungskoalition aufbrechen, und das wird durch solche Formelkompromisse nicht verhindert werden können. Im übrigen wird - ich möchte das wiederholen - dieser Mangel an Klarheit und Eindeutigkeit die Durchsetzung deutscher Interessen im Bündnis in den kommenden Wochen erschweren. Dazu tritt noch der Mangel an Professionalität im Handwerk des Regierens. Welch ein diplomatischer Fehler, Herr Bundesaußenminister - das kam ja of10466 Voigt ({29}) fensichtlich aus Ihrem Haus - , die Position der Regierung gezielt bei Journalisten zu verbreiten, ({30}) bevor sie den Verbündeten intern übermittelt und erläutert wird. Wie würde wohl die Bundesregierung reagieren, wenn sie zuerst aus der amerikanischen Presse in allen Einzelheiten über die Forderungen einer US-Regierung informiert werden würde? Wie kann man erstaunt sein, daß zwei Bundesminister nach diesen gezielten Vorabindiskretionen und ohne jegliche diplomatische Vorbereitung ihrer sowieso schon sehr heiklen Mission faktisch mit leeren Händen aus Washington zurückkehren? Der Dilettantismus der Bundesregierung droht über unvermeidbare sachliche Gegensätze hinaus zu einer vermeidbaren tiefen psychologischen Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen zu führen. ({31}) Die Vereinigten Staaten hatten es bei ihrer eigenen Interessendefinition mit einer Bundesregierung zu tun, die für sie nicht eindeutig kalkulierbar war und weiterhin nicht eindeutig kalkulierbar ist. ({32}) Der Streit zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium und dem Kanzleramt über die Frage des Gesamtkonzepts muß in den Vereinigten Staaten so verstanden werden, daß die Westdeutschen selber nicht wissen, was sie wollen. Hätte die Bundesregierung von Anfang an eine klare Position bezogen, dann wäre dieser Streit in der Sache nicht vermieden worden. Aber in der Form wäre die psychologische Entfremdung nicht notwendig gewesen. Sie wäre vermeidbar gewesen. Ich möchte ganz offen sagen, daß - sosehr ich in den Einzelfragen sogar noch über die Position der Regierungskoalition hinausgehe - ich es bedaure, daß Sie sogar die geringeren Forderungen, die Sie haben - im Vergleich zu meinen eigenen - , nur schwer werden durchsetzen können, auf Grund von eigenen Fehlern, die Sie zu verantworten haben und die wir vom Parlament bedauerlicherweise auch nicht korrigieren können. Denn sie sind handwerkliche und konzeptionelle Fehler in dieser Regierung, und zwar nicht unten an der Basis, nicht bei den Beamten, nicht bei den Soldaten und nicht bei den Diplomaten, sondern bei den Ministern selber und beim Bundeskanzler selber. Vielen Dank. ({33})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn. ({0})

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Voigt hat eine bemerkenswerte Rede gehalten. Ich kann nur sagen: Herr Kollege Voigt, wir haben unterschiedliche Auffassungen, das wissen Sie. Wir haben uns aber immer sachlich unterhalten. Aber was Sie über die Notwendigkeit einer klaren Position sagen, das kann ich nur voll unterstreichen. Wir Deutschen in einem geteilten Land, in der Mitte Europas und an der Nahtstelle zwischen Ost und West, haben ein besonderes Interesse - ich glaube, da sind wir uns alle einig -, eine Abrüstungspolitik mit Erfolg zu betreiben. Allerdings - ich mache diesen Hinweis - sollten wir nicht das Wort des großen spanischen Philosophen - der übrigens auch Abrüstungsexperte beim Völkerbund war - Salvador de Madariaga vergessen, der einmal sagte: „Die Nationen mißtrauen einander nicht, weil sie gerüstet sind, sondern sie rüsten, weil sie einander mißtrauen. " Den Menschen zu sagen, man könne durch Abrüstung Fragen lösen und eine Beseitigung der Spannungen herbeiführen, das wäre genauso, so sagte Madariaga, als wenn man den Menschen sagte: „Geht nackt hinaus auf die Straße, damit der Winter aufhört! " ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht also primär nicht um Abrüstung - so wichtig sie auch ist -, sondern um Entspannung durch Beseitigung der Spannungsursachen. Sehr verehrter Herr Bundesaußenminister: Ihre Interpretation des Harmel-Berichtes, die Sie seit Jahren und heute wieder bringen, ist falsch. ({1}) - Nein, ich werde es zitieren, Herr Feldmann. Es steht dort nichts drin von einer Friedensordnung vom Atlantik bis zum Ural, sondern - ich zitiere wörtlich - : Eine endgültige und stabile Regelung der Spannungen in Europa ist jedoch nicht möglich ohne eine Lösung der Deutschlandfrage, die den Kern der gegenwärtigen Spannungen bildet. Jede derartige Regelung muß die unnatürlichen Schranken zwischen Ost- und Westeuropa beseitigen, die sich in der Teilung Deutschlands am deutlichsten und grausamsten offenbaren. So weit der Harmel-Bericht. Es geht also darum, das Selbstbestimmungsrecht und die Menschenrechte für unser ganzes deutsches Vaterland und für den Bereich der Völker im Warschauer Pakt einzufordern. Wenn Glasnost Offenheit heißen sollte - es heißt eigentlich Öffentlichkeit - , dann müssen auch Mauer und Stacheldraht endlich geöffnet und niedergerissen werden. Das ist die Politik, die wir brauchen. Daneben wollen wir natürlich auch Abrüstung. Da sind wir uns alle einig. Sie muß kontrollierbar und ausgewogen sein. Nur, wir haben heute die längste Friedensepoche seit Menschengedenken in Europa, und zwar deswegen, weil wir die Atlantische Allianz - die nicht nur ein militärisches Verteidigungsbündnis, sondern eine Wertegemeinschaft ist - haben, die vor vierzig Jahren gegründet wurde und die wir in ihrem Bestreben und ihrem Erfolg, unsere Sicherheit und den Frieden zu gewährleisten, nicht beschädigen dürfen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies verdanken wir der Abschreckung, nämlich - durch die Möglichkeit des Verbundes - einer konventionellen und nuklearen abgestuften, flexiblen Antwort. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Öffentlichkeit werden immer grauenhafte Szenarien von atomarer Zerstörung verbreitet. ({3}) Aber diese Waffen sind doch gerade dafür da, nicht eingesetzt zu werden und den Frieden zu sichern. Das haben sie 40 Jahre lang bewiesen. Deshalb brauchen wir diese Möglichkeit der abgestuften Abschreckung von, wenn Sie so wollen, den Verbänden des Bundesgrenzschutzes an der innerdeutschen Grenze bis hin zu den Interkontinentalraketen. Wenn aus dieser Leiter Stufen herausgebrochen werden, dann allerdings sind die Abschreckung und der Frieden gefährdet. ({4}) Deswegen ist es so wichtig, daß wir die Einheit der Sicherheit des Bündnisgebietes gewährleisten. Deswegen ist es auch immer das Hauptziel der sowjetischen Politik gewesen, aus dieser Stufenleiter der Abschreckung Stufen herauszubrechen, um Europa politisch und psychologisch zu isolieren und von Amerika abzukoppeln.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Graf Huyn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, im Moment nicht, Herr Präsident. Es tut mir leid; ich habe leider nur eine begrenzte Redezeit. Aber wir können uns gern nachher unterhalten, Herr Kollege Horn. Es darf ein Konflikt nicht wieder denkbar werden. Daher kommt es darauf an, daß diese Stufen der Abschreckung intakt gehalten werden. ({0}) - Ich bin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein ebenso überzeugter Anhänger einer ausgewogenen und kontrollierten Abrüstung, die wir alle wollen, ({1}) wie ich ein überzeugter Anhänger und Verfechter der Erhaltung aller dieser Sprossen der Leiter bin. Ich habe Ihnen daher, Herr Bundesaußenminister, vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit namens der CSU in der großen außenpolitischen Fernsehrunde im letzten Wahlkampf am 11. September 1986 gesagt, daß wir gegen die INF-Null-Lösung sind, und Ihnen vorausgesagt - Sie können das im Protokoll nachlesen - , daß wir vor der Frage der Modernisierung der Kurzstreckenraketen stehen würden, wenn wir einer Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen zustimmten. Genau diese Situation ist jetzt eingetreten. Als es vor anderthalb Jahren hierzu kam, verabschiedete die CSU unter Vorsitz von Franz Josef Strauß eine Erklärung zur Sicherheitspolitik, in der sie hiervor gewarnt hat. Sie hat gesagt, die Null-Lösung I sei problematisch, die Null-Lösung II mit der unmittelbaren Einbeziehung der Pershing-I a durch den Bundeskanzler sei falsch, weil die Lage nach Vollzug wesentlich schlechter sein werde, noch kritischer als vor der Nachrüstung sein werde. ({2}) Weiter heißt es in dieser Erklärung: Diese Lösung II führt dazu, - genau das ist heute die Situation daß im Bereich von 0 bis 500 km der Westen nur 88 Lance mit 120 km Reichweite und im Bereich von 120 bis 500 km nichts hat, während die Sowjetunion in diesen beiden Bereichen zusammen 1 300 - inzwischen hat sie zugegeben: 1 600 - Atomraketensysteme ... hat. Dann heißt es in dem Papier der CSU: Entscheidungen dürfen nicht vom Grade der Popularität, sondern nach dem Ernst der Situation erfolgen. ({3}) Für uns geht es um die unteilbare Sicherheit und Freiheit der Menschen! Seither hat sich die Lage noch mehr zu unseren Lasten verschoben. Trotz aller immer wiederholten Abrüstungsvorschläge des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow ist die Rote Armee seit dem Tode Breschnews von 3,6 auf 5,1 Millionen Mann erhöht worden, sind zwar die SS-20 abgezogen, dafür aber moderne SS-24 und SS-25 installiert worden, die auch auf uns gerichtet werden können, und sind die Kurzstreckenraketen - nach eigener sowjetischer Angabe 1 600 - laufend modernisiert worden und werden weiter modernisiert. So ist die entscheidende Sprosse dieser Sicherheitsleiter der nuklearen Abschreckung im Bereich der Koppelung mit Amerika damals bei dem INF-Abkommen herausgebrochen worden. Das war ein Fehler. Nicht daß wir abgerüstet haben, war ein Fehler, sondern daß wir am falschen Ende angefangen haben. Ebenso war die Null-Lösung auf diesem Gebiet ein Fehler. Deswegen stehen wir jetzt vor der Situation, daß wir die Sprosse darunter, also die Kurzstreckenraketen, eben etwas höher setzen müssen, soweit es mit der Sowjetunion vertraglich vereinbart ist. Wir müssen also das erreichen, was die Sowjetunion schon längst hat, und müssen die Glaubwürdigkeit der Friedenssicherung wiederherstellen. Und jetzt möchte ich noch etwas sagen: Wir dürfen nicht vergessen, daß im Herbst 1983 in Montebello die Grundsatzentscheidung über die Notwendigkeit dieser Modernisierung gefallen ist. ({4}) - Sie haben recht, sie ist gefallen. - Dies war Voraussetzung dafür, daß das INF-Abkommen überhaupt abgeschlossen worden ist. ({5}) Wir können doch jetzt nicht die Voraussetzungen der Abrüstung, die wir vollzogen haben, nicht vollziehen oder in Frage stellen. ({6}) Deswegen kann ich hier nur sagen, daß dieser Beschluß jetzt hier im Grundsatz bekräftigt werden muß. Das gemeinsame Koalitionspapier, das meine Kollegen und ich aus den zuständigen Ausschüssen für Verteidigung und Auswärtiges am vergangenen Wochenende aus der Zeitung erfahren haben, wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Die erste positive Reaktion darauf habe ich von Egon Bahr gehört, der erklärt hat, die Regierung habe sich SPD-Positionen zu eigen gemacht. ({7}) - Herr Voigt bestätigt das ja hier. ({8}) Daß heißt: Wir brauchen eine Bekräftigung des Beschlusses von Montebello und ein klares Signal, und das aus vier Gründen: Wir brauchen ein Signal nach Osten, weil die Systeme dort bereits modernisiert sind und wir klar zeigen müssen: Wir stehen zum Bündnis. Wir brauchen aber auch ein Signal nach Westen, um deutlich zu machen, daß wir ein berechenbarer Partner bleiben. Wir brauchen aber insbesondere auch ein klares Signal für unser eigenes Land, um deutlich zu machen, daß wir die Sicherheit erhalten wollen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen uns nicht dem Argument aussetzen, wir drückten uns um eine Entscheidung herum, weil sie vielleicht unpopulär sein könnte. Mut, Führung und Entschlossenheit, nicht aber Zögern, Wechselbäder und ZickzackKurs erwarten die Menschen in unserem Lande von der politischen Führung. ({9}) Mut wird vom Wähler honoriert. Den Mut, mit dem diese Koalition zum NATO-Doppelbeschluß gestanden hat, dann die Wahlen gewonnen, den NATO-Doppelbeschluß durchgeführt und die Abrüstung erreicht hat, brauchen wir auch heute. ({10}) - Ja, jetzt sind wir unterschiedlicher Meinung. ({11}) Ein Signal müssen wir schließlich auch für die Abrüstung geben. Denn die nukleare Artillerie können wir natürlich nur abrüsten, wenn auch die konventionellen Abrüstungen vorangehen. Ich möchte deswegen allen danken, die mit Nachdruck für eine klare Haltung eingetreten sind - in der Politik, in der Führung der Bundeswehr und im Atlantischen Bündnis - , an ihrer Spitze Professor Rupert Scholz. Soviel zum materiellen Inhalt des entscheidenden deutschen Beitrags zum Gesamtkonzept. Aber ebenso wichtig ist der prozedurale Teil, das richtige Vorgehen. Die Lehre aus dem NATO-Doppelbeschluß war: Nur dadurch, daß Bundeskanzler Schmidt und - nachher - Bundeskanzler Kohl entschlossen waren, dies durchzuführen und auch die Pershing II und die Cruise Missiles aufzustellen, konnte Abrüstung erreicht werden. Soll das jetzt plötzlich nicht mehr stimmen? Soll es heute im Gegenteil heißen, man müsse Herrn Gorbatschow erst Gelegenheit geben, abzurüsten, und dürfe deswegen keine Entscheidung treffen? Das kann doch wohl nicht wahr sein, nachdem sich gerade das Gegenteil bewährt hat. Jetzt beginnen die Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung. Wir wollen sie vorantreiben und beschleunigen. Aber wenn wir jetzt parallel über ein einziges Waffensystem, nämlich die Kurzstreckenraketen, verhandeln, ({12}) dann würde sich die Sowjetunion mit dem trügerischen Vorschlag einer wohlklingenden, aber gefährlichen Null-Lösung an die öffentliche Meinung des Westens wenden, ({13}) dadurch die Abrüstung lähmen und auf der anderen Seite jegliches Interesse verlieren, ihre konventionelle Überlegenheit abzubauen. ({14}) Wir würden damit tatsächlich in eine lebensgefährliche Falle laufen. Das heißt: Wir brauchen erst konventionelle Abrüstung und erst danach gemeinsame Obergrenzen auch bei Kurzstreckenraketen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Null-Lösung kommt natürlich auch dann nicht in Frage. Bei einer Null-Lösung hätten wir nämlich ein entnuklearisiertes Europa mit ungefährem konventionellem Gleichgewicht, also genau die Situation, in der der Erste und Zweite Weltkrieg begonnen haben, und das müssen wir vermeiden. Daher ist die Forderung nach baldiger Aufnahme von Verhandlungen über die Kurzstreckenraketen mit der Gewährleistung des Friedens und unserer Sicherheit unvereinbar. Ich betrachte daher das Koalitionspapier zu den Kurzstreckenraketen als unvereinbar mit dem deutschen Interesse und mit den Interessen der westlichen Allianz. Es ist allenfalls, wie aus den Kreisen der Bundesregierung bereits zu verstehen gegeben wurde, ein deutscher Diskussionsbeitrag für die Willensbildung innerhalb des Bündnisses, ({15}) Aber auch als solcher wäre er besser unterblieben. Ich erspare mir hier die vielen Pressestimmen, möchte aber abschließend sagen: Ich halte es für empörend, daß nun Herbert Kremp in der „Welt am Sonntag" schreiben kann: Kanzler Kohl hat sich gegen besseres Wissen und Wollen auf die Richtlinie seines Außenministers begeben, der seit Jahren daran arbeitet, tragende Elemente der westlichen Sicherheitspolitik einem Arrangement mit der Sowjetunion Gorbatschows zu opfern. In Wirklichkeit steht hinter der deutschen Absage an moderne Waffensysteme ein grundlegend neues außenpolitisches Konzept, das eine Lockerung der Westbindung der Bundesrepublik einkalkuliert. Dies muß von der Bundesregierung dementiert werden, und nicht durch Worte, sondern durch Taten und natürlich durch eine Korrektur der Haltung. Das große Erbe Konrad Adenauers ist die Westbindung der deutschen Politik, die Berechenbarkeit der deutschen Haltung und der Mut, hierfür einzutreten. Deutschland darf nicht zur unberechenbaren Größe werden, nicht ein Signal der Unsicherheit und des Rückzugs darf gegeben werden. Das freie Deutschland darf nicht den Eindruck erwecken, als ob es zum drittenmal in diesem Jahrhundert eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West vollführen wolle. Wir wollen gute Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn und einen Abbau von Spannungen. Dies ist nur mit einer klaren Einbindung in die westliche Wertegemeinschaft möglich, um Freiheit und Frieden für uns und unsere Kinder erhalten zu können. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mechtersheimer. ({0})

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gerster, pflegen Sie Ihre Feindbilder! - Graf Huyn wird mit seiner Position, die er zum Schluß darstellte, demnächst sicher Kolumnist in der „New York Times" werden können. ({0}) - Vielleicht kann man da etwas tun. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stalin war der Geburtshelfer der NATO, Gorbatschow wird zu ihrem Totengräber. Wegen der neuen Politik und den Abrüstungsoffensiven aus dem Osten befindet sich die NATO nicht in einer üblichen Krise, sondern in einer Existenzkrise. „Entfeindung" - ich greife Begriffe von Herrn Genscher von gestern auf - und „Entmilitarisierung der Ost-West-Beziehungen" sind Gift für diese Militärkoalition. Militärbündnisse entstehen nun einmal nicht durch Entspannung und Abrüstung, sondern bei Konfrontation und Aufrüstung. Jetzt aber, wenn der Warschauer Pakt in dem Wettrüsten nicht mehr mitläuft und statt dessen einseitig demobilisiert, gerät die NATO zwangsläufig in einen Zerfallsprozeß. Das Mittelstreckenabkommen - das so oft als Beweis für die Verträglichkeit von NATO und Abrüstung angeführt wird - hat die NATO in der Tat in ihrem Bestand nicht bedroht, sie nicht belastet, aber nur deshalb, weil man von Anfang an darauf baute, die Pershing II und die Cruise Missiles durch andere Waffensysteme ersetzen zu können. Der NATO-Krach ist deshalb so tiefgreifend, weil mehrere europäische Länder die Zustimmung zu genau jenen Waffen verweigern, mit denen die amerikanischen Mittelstrekkensysteme ersetzt werden sollen. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse hat erklärt - ich zitiere - : Es geht bei den Abrüstungsverhandlungen nicht nur um die Beseitigung von Waffen, sondern um die Überwindung der Teilung Europas. Ich glaube, das ist völlig richtig. Wer eine dritte, vierte oder fünfte Null-Lösung anstrebt, ebnet den Weg für ein blockfreies Europa. Wer aber dieses blockfreie Europa nicht will, wird sich gegen jede weitere NullLösung stemmen müssen und mit neuen Nuklearwaffen die Teilung Europas zu zementieren versuchen. Das ist das Interesse der US-Regierung, und das ist die Politik der US-Regierung. Die Sowjetunion beginnt in dieser Woche mit dem Abzug der Truppen aus Ungarn und entledigt sich damit ihrer Instrumente ihrer bisherigen Vorherrschaft in Osteuropa. Moskau hat in Osteuropa nur noch Sicherheitsinteressen, aber keine Hegemonialinteressen mehr. Die USA dagegen haben in Europa keine oder keine essentiellen Sicherheitsinteressen, aber Hegemonialinteressen. Deshalb liegen die Überwindung der europäischen Teilung und die europäische nukleare Abrüstung im sowjetischen und gesamteuropäischen Interesse, nicht aber im US-amerikanischen. Hier liegt der Kern des Konflikts. Deshalb ist es auch nicht überzeugend - wie das hier gestern von mehreren Seiten versucht wurde -, einerseits ein Bekenntnis zur NATO abzulegen und gleichzeitig Fortschritte im Abrüstungsprozeß zu fordern. Die Bundesregierung muß sich entscheiden, was sie für wichtiger hält: die NATO mit den amerikanischen Atomwaffen auf europäischem Territorium oder aber die nukleare Abrüstung. Die Bevölkerung hat sich längst entschieden, nämlich für Abrüstung. Aber noch ist der Mehrheitswille der Bevölkerung in der Abrüstungsfrage nicht Mehrheitswille hier im Parlament. Doch es reicht nicht, amerikanischen Aufrüstungsmaßnahmen halbherzig zu widersprechen. Die Bundesregierung muß endlich - so wie das heute die Regierung der DDR tut - mit der Demobilisierung ihrer eigenen Streitkräfte beginnen. ({1}) Abrüstungsverhandlungen brauchen einseitige Reduzierungen, wenn sie erfolgreich sein sollen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr überzeugend ist es nicht, Herr Kollege Voigt, wenn Sie sich hier als besorgter Anwalt vertrauensvoller Beziehungen zu den USA darstellen wollen und uns kritisieren. Ich brauche es ja nicht zum dritten Mal ausführlich zu sagen: Die Gespräche, die Herr Kollege Genscher und ich mit den amerikanischen Kollegen geführt haben, waren in der Sache offen. Sie waren aber eindeutig von dem Willen bestimmt, da, wo wir Positionsbestimmungen brauchen und abstimmen müssen, dies im Geiste bewährter Partnerschaft zu tun; denn wir führen diese Gespräche auf der Basis einer gemeinsamen Strategie des Bündnisses. Die SPD hat sich von dieser Gemeinsamkeit weit entfernt, und deshalb sind Sie überhaupt nicht in der Situation, uns in dieser Form hier zu kritisieren und mahnend zu begleiten. ({0}) Herr Kollege Graf Huyn, Egon Bahr ist auch in der Bewertung der Position der Bundesregierung und der Koalition kein sehr guter Kronzeuge. ({1}) Die Befürchtung, wie Sie sie in der Form eines Zitats anklingen ließen, daß diese Bundesregierung eine Lockerung der Westbindung in Kauf nehmen könne, ist vollkommen unbegründet. ({2}) Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die Aussagen der Sprecher der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben das gestern unterstrichen. ({3}) - Gestern und heute, ich ergänze das gerne. Im übrigen ist auch eines sichtbar geworden: Die Ost-West-Diskussion findet in diesen Jahren in einer Intensität statt, wie sie besonders von der Opposition vor Jahren für unmöglich gehalten wurde. Das ist ein Erfolg unserer Politik, ({4}) ich will das nachdrücklich sagen. Ziel dieser Verhandlungen ist es, Stabilität und Sicherheit in ganz Europa auf einem niedrigeren Niveau der Streitkräfte zu fördern. Die Sowjetunion hat durch ihre geänderte Politik dafür einige positive Perspektiven eröffnet und mit den jetzt begonnenen einseitigen Truppenreduzierungen einen ersten begrenzten Schritt getan. Es bleibt aber, auch wenn diese Reduzierung erfolgt ist, ein Tatbestand, daß wir in Europa eine erhebliche Überlegenheit des Warschauer Paktes haben. ({5}) Unsere Sicherheit beruht weiter auf zwei Säulen - keine darf vernachlässigt werden - : auf unserer gesicherten Verteidigungsfähigkeit im Bündnis, die wir auch in Zukunft zu gewährleisten haben, und auf der Bereitschaft zum Dialog und zur Rüstungskontrolle. Das sind notwendige und komplementäre Elemente der Sicherheitspolitik. ({6}) Der heute zur Debatte stehende Antrag der SPD löst - sicherlich nicht unüberlegt und unbeabsichtigt - Rüstungskontrolle und Abrüstung aus ihrem Sicherheitsverbund. Das ist der grundlegende Gegensatz, Herr Kollege Voigt, in dem Sie und Ihre Partei sich nun zu uns, aber auch zu unseren Verbündeten begeben haben. Ich habe schon ein bißchen mit Überraschung gehört, daß Sie erklärten, Sie seien sich in Ihrem Konzept mit allen Sozialdemokraten in Westeuropa einig. Man braucht ja nur die öffentlichen Äußerungen der sozialistischen Regierung Frankreichs zur Kenntnis zu nehmen, um festzustellen, daß das einfach nicht zutrifft. ({7}) Forderungen nach Abrüstung und Rüstungskontrolle finden heute zu Recht breite Unterstützung. Aber manchen dieser Äußerungen dazu fehlt es doch an nüchterner Analyse der Voraussetzungen für Sicherheit. Diese Bundesregierung hat alles in ihren Kräften Stehende getan, um den Rüstungskontrollprozeß voranzutreiben. Der Antrag der SPD will einen gegenteiligen Eindruck erwecken. Wir bejahen unsere Pflicht, an der konsequenten Weiterentwicklung unserer Sicherheitspolitik im Bündnis tatkräftig mitzuwirken und die deutschen Gesichtspunkte zu vertreten. Wir haben besondere geographische Voraussetzungen. Aber mir kommt eins zu kurz, wenn über die besondere Bedrohung der Deutschen in Verbindung mit bestimmten Waffensystemen geredet wird: Hier sind über 200 000 Soldaten der Vereinigten Staaten, hier sind zahlreiche Soldaten und Familienangehörige der anderen NATO-Truppen. Sie tragen dasselbe Risiko wie wir Deutschen. Auch das gehört zur Sicherheitsgemeinschaft. ({8}) Deswegen darf man die berechtigte Definition der deutschen Interessen im Bündnis nicht in einen betonten Kontrast zu den legitimen Interessen unserer Verbündeten bringen, deren Soldaten und Angehörige bei uns in Deutschland mit unserer Bundeswehr für Frieden und Freiheit eintreten. ({9}) Es geht um die Grundlagen unserer Sicherheit, um die Grundlagen für den konstruktiven Dialog mit dem Osten, der vorrangig Rüstungskontrolle und Abrüstung einbezieht. Wir wollen den Erfolg in den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte. Die Bundesregierung hat lange darauf hingearbeitet. Aber nur eine stabile konventionelle Verteidigung in Europa schafft die Voraussetzungen hierfür. Deswegen benötigen wir weiterhin leistungsfähige konventionelle Streitkräfte, und wir benötigen sie in einem Umfang, der es erlaubt, die Verteidigung nach menschlichem Ermessen erfolgreich zu führen. Das Wort von der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit verwischt im üblichen Sprachgebrauch leicht einen grundlegenden Tatbestand: Die NATO-StreitBundesminister Dr. Stoltenberg kräfte sind nicht fähig, einen Angriffskrieg zu führen, ({10}) und sie werden es auch in Zukunft nicht sein. Der Warschauer Pakt hat noch einen weiten Weg an nachhaltigerer Abrüstung zurückzulegen, um die Fähigkeit zu einem Angriffskrieg zu verlieren. Es gehört ja auch zu den interessanten Wirkungen der Perestroika, daß heute sowjetische Politiker und Generale offener darüber reden, daß ihre Streitkräfte bisher als offensiv und angriffsfähig zu bewerten waren. Wir hoffen, daß hier konsequent ein neuer Weg beschritten wird. Die Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa und über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen sind in der vor uns liegenden Zeit von ganz besonderer Bedeutung. Die von beiden Seiten unterbreiteten Vorschläge zeigen in einigen wichtigen Punkten Übereinstimmung oder doch jedenfalls Ansätze für Übereinstimmung. Das berechtigt zu der Hoffnung, ein Verhandlungsergebnis erreichen zu können, das die Sicherheit durch mehr Stabilität und Vertrauen erhöht. Das ist unser Ziel. Ost und West sind sich im Grundsatz einig, daß es zunächst um das Erreichen gleicher Obergrenzen durch den Abbau von Überlegenheiten gehen muß. Aber man darf die Agenda dieser Verhandlungen jetzt auch nicht mit zu vielen weiteren Themen befrachten, wenn man an einem Erfolg im zentralen Bereich interessiert ist. Ich sage das auch im Hinblick auf einige Punkte der Ausführungen von Herrn Kollegen Scheer. Die Bundesregierung - das ist gestern doch vollkommen klargeworden - will Verhandlungen über die Reduzierung von Nuklearwaffen in Europa. Wir sind hierüber mit unseren Verbündeten im intensiven Gespräch. Das ist alles gestern sehr detailliert gesagt worden. Aber ich will noch einmal bekräftigen: Nach Auffassung aller Bündnispartner ist derzeit keine Alternative zum Konzept der Kriegsverhinderung durch Verteidigungsfähigkeit und abgestufte Abschreckung in Sicht. Wer uns empfehlen wollte, unsere militärische Verteidigung künftig ausschließlich auf konventionelle Mittel zu beschränken, müßte wissen, daß er damit den Frieden nicht sicherer macht. ({11}) Nuklearwaffen dienen ausschließlich dem politischen Zweck der Kriegsverhinderung. Sie unter Kontrolle zu halten, sie in einer Form, in Etappen, die sorgfältig bestimmt werden müssen, zu reduzieren, aber so, daß ihre friedensbewahrende Funktion im Prinzip erhalten bleibt, ist die Aufgabe der Zeit, die vor uns liegt. Meine Damen und Herren, die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition sind hier deutlich geworden. ({12}) - Ja, aber ich will hier ausdrücklich sagen, Herr Kollege Voigt: Wir sind eine freiheitliche Partei, und wir respektieren auch abweichende Meinungen einzelner Kollegen. Was wir, die Sprecher der Bundesregierung, Herr Kollege Genscher und ich, hier vortragen, wird von der Koalition getragen. Das ist gestern sichtbar geworden; darauf können Sie auch in Zukunft bauen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern noch ein paar Schlußbemerkungen machen, damit wir dann zur Abstimmung und in das Wochenende kommen. Graf Huyn, bei aller Freundschaft, ich fand den Duktus Ihrer Rede nicht sehr hilfreich. Ich habe den Eindruck, daß Sie nicht bereit sind, eine Sache, von der Sie sehr viel verstehen, in die gegenwärtige Situation einzubeziehen, nämlich den gewaltigen Umbruch, den wir im Osten erleben. Die geistige Auseinandersetzung im Ostblock bietet eine gewaltige Chance, natürlich auch eine Gefahr. ({0}) - Natürlich. Ich komme auf die Fakten. Der Außenminister hat gesagt, daß man heute beobachten könne, wie sich die Idee der Freiheit in der Welt durchsetzt. Das ist eine aufregende und eine ermutigende Entwicklung. Diese sollten wir unterstützen. Die gefährdet natürlich auch viele Dinge im Ostblock, wenn man an 16 Millionen Beamte, Funktionäre denkt. ({1}) - Richtig. Nur kann ich natürlich nicht Antworten, die 1960 oder 1950 ganz richtig waren, heute, ohne auf diese Dinge einzugehen, versuchen zu wiederholen. Das ist mein Anliegen; wir werden uns darüber noch weiter unterhalten müssen. ({2}) Zweiter Punkt. Ich möchte, Frau Beer, nicht auf Ihren Beitrag eingehen; wir werden uns nicht einigen. Nur müssen wir eine Sache bitte wirklich ernsthaft überlegen. Sie haben hier aus einer grundsätzlich vertraulichen Sitzung des Unterausschusses zitiert, die unter Leitung des Kollegen Bahr stattfindet, und zwar über - noch dazu falsch - NPG-Entscheidungen. Ich werde Herrn Bahr bitten, mit uns gemeinsam zu überlegen, ob es geht, daß Sie zu diesen Veranstaltungen weiter eingeladen werden. ({3}) Wenn das so weitergeht, dann können Sie von der Regierung nicht erwarten, daß sie dort vertrauliche Auskünfte gibt, was sie bisher uneingeschränkt getan hat. Sie verderben der Regierung diese Möglichkeit. Wir werden das zu besprechen haben. ({4}) Herr Scheer, bei aller Freundschaft: Haben Sie sich den Teller nicht ein bißchen voll geladen? Es ist natürlich das Recht der Opposition, mehr als das zu verlangen, was heute möglich ist, aber wenn Sie bei den Wiener Verhandlungen jetzt auch noch die Luftstreitkräfte, die Marine, die Ostsee und das Schwarze Meer einbeziehen wollen, dann verhindern Sie damit doch, daß überhaupt etwas dabei herauskommt. Deshalb würde ich etwas mehr Bescheidenheit erwarten, nicht ganz so viel blauäugigen Idealismus.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Petersen, können Sie sich vorstellen, daß die Einbeziehung dieser Dinge die Verhandlungen erleichtern könnte, weil sie die Probleme widerspruchsfreier macht?

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Da gibt es auch eine unterschiedliche Einschätzung der Situation heute, und da komme ich auf den Kern des Unterschieds, der auch heute morgen wieder bei Herrn Voigt und bei Ihnen zu uns deutlich geworden ist. Sie halten grundsätzlich Atomwaffen für ein Teufelszeug. Wir sind der Meinung, man kann Atomwaffen nicht wieder vergessen, nicht, wie die Amerikaner sagen, „disinvent them". Die sind da. Wir müssen sie also begrenzen, wir müssen sehen, daß nicht noch mehr Leute auf der Welt sie bekommen. Aber wir werden sie nie auf der ganzen Welt abschaffen können, leider Gottes. Nur, die Atomwaffen haben auch eine ganz große positive Bedeutung. Da, wo es atomare Abschreckung gibt, kann es keinen Krieg geben. ({0}) - Richtig, einverstanden. Nur, es hat in der Welt - das haben uns die Friedensforscher vorgerechnet - seit 1945 etwa 140 bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben - nach dem zweiten Weltkrieg! -, denen 30 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Es hat bei uns ja weiß Gott seit 1945 Krisen gegeben, immer wieder. Aber es hat keine Kriege gegeben, weil Kriege hier nicht möglich sind, wenn man davon ausgeht, daß nicht ein Verrückter wie Hitler oder Gaddafi diese Waffen in die Hand bekommen, was Gott verhüten möge und was wir alle gemeinsam verhüten müssen. Deshalb ist die Vorstellung von einem atomwaffenfreien Europa, die Sie propagieren, die sehr populär sein mag, für uns nicht akzeptabel; denn rein konventionelle Abschreckung hat - das wissen wir aus unserer eigenen deutschen Geschichte - leider Gottes Kriege nie zuverlässig verhindern können. Wir müssen gemeinsame Obergrenzen festlegen. Wir müssen herunter von den gewaltigen Zahlen. Wir haben einseitig nach Montebello 2 400 Atomsprengköpfe abgezogen. All das ist richtig. Aber ich meine, solange die Reformen im Ostblock nicht ganz grundsätzlich durchgeführt sind, sondern nur angekündigt werden, können wir auf ein Minimum auch nuklearer Abschreckung nicht verzichten. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 hat Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Dame! Ich möchte eine Erklärung bezüglich der eben gemachten Unterstellung abgeben, ich hätte irgendwelche Ergebnisse aus einer Ausschußsitzung vorgetragen, die unter „VS-Vertraulich" oder „VS-Geheim" gelaufen sei. Abgesehen davon, daß ich mich auf diese Unterausschußsitzung nicht bezogen habe, auch Informationen daraus nicht gezogen habe, ist es eine Diffamierung und einfach unglaubwürdig, weil ich Sie darauf hinweisen muß, daß ich an dieser von Ihnen zitierten Sitzung nicht teilgenommen habe und Sie mir mit Ihrer Bemerkung eben Ergebnisse dieser Sitzung mitgeteilt und insofern diese Veröffentlichung vorgenommen haben und nicht ich. Ich bin froh, daß wir nicht in der Situation sind, auf schlechte Unterausschuß- oder Ausschußsitzungen zurückgreifen zu müssen, die wenig informieren, so wie bei der fünfmaligen Absetzung der Unterrichtung über das Gesamtkonzept, sondern Friedenspolitik machen, die Gott sei Dank davon unabhängig zu gestalten ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der SPD auf Drucksache 11/4053 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist, da kein Widerspruch vorliegt, so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 27b, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4425. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das letzte war die Mehrheit. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4404 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2438 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vizepräsident Stücklen Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes - Drucksache 11/4306 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({0}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 75 Minuten vorgesehen. Es heißt immer: 75 Minuten sind die obere Grenze. Sie braucht also nicht unbedingt ausgeschöpft zu werden. Wer stimmt für diese zeitliche Begrenzung der Aussprache? - Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Artikelgesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes legt die Bundesregierung fünf Gesetzentwürfe vor: ein neues Bundesdatenschutzgesetz, ein um Datenschutzregelungen ergänztes Verwaltungsverfahrensgesetz, ein neues Bundesverfassungsschutzgesetz, ein MAD-Gesetz und ein BND-Gesetz. Es geht um weiterentwikkelte Datenschutzvorschriften. Die vom Bundesverfassungsgericht hierzu aufgestellten Grundsätze sind in dem Gesetzentwurf voll berücksichtigt. Da es um Datenschutz geht, ist es nicht richtig, dieses Artikelgesetz mit seinen Einzelgesetzen als „Sicherheitsgesetze" zu bezeichnen. Gemeinsamer Inhalt aller fünf Gesetze sind allgemeine und spezielle Datenschutzregelungen. Dies ist auch der Grund für die Zusammenfassung in einem Artikelgesetz. Bei jedem dieser Gesetze steht der Gesetzgeber vor der schwierigen Aufgabe, Zielkonflikte angemessen zu lösen, Zielkonflikte, die sich im Spannungsfeld zwischen Datenschutz auf der einen und dem Informationsbedarf einer modernen Gesellschaft und ihren Anforderungen an eine leistungsfähige Verwaltung auf der anderen Seite zwangsläufig ergeben. Die Schwierigkeiten beruhen nicht zuletzt darauf, daß die verschiedenen Konfliktsituationen aus völlig unterschiedlichen Richtungen heraus entstehen. Im öffentlichen Bereich müssen die Behörden über die Informationen verfügen können, die sie zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben benötigen. In diesem Umfang muß der Bürger eine Einschränkung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, aber in eben diesem Umfang und nicht darüber hinaus. Anders liegt die Problematik im nichtöffentlichen Bereich. Denn hier stehen sich ja einander entgegengesetzte Grundrechte von Bürgern gleichrangig gegenüber. Deshalb gilt es, abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen: einerseits das auf dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit beruhende Recht auf Informationsbeschaffung und Informationsverwertung sowie andererseits das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich denke, Herr Präsident, daß der Gesetzentwurf sowohl für den staatlichen Bereich als auch für den privaten Bereich die Zielkonflikte in angemessener Weise löst. Naturgemäß können in einem Gesetz die Zielkonflikte nur im Grundsatz gegeneinander abgewogen werden. Die einzelnen Gesetze sind auf eine Fülle sehr unterschiedlicher Einzelfälle anzuwenden. Deshalb kann der Gesetzgeber letztlich nur Grundentscheidungen treffen. Er muß daher auch mit Generalklauseln arbeiten. Die Ermessensausübung und die Interessensabwägung im Einzelfall kann er in den meisten Fällen den Gesetzesanwendern nicht abnehmen. Aber mit den Gesetzentwürfen werden die Maßstäbe für den Einzelfall vorgegeben. In besonderen Abwägungsklauseln wird festgelegt, welche Rechte und schutzwürdigen Interessen sich bei der Abwägung im Einzelfall gegenüberstehen. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf folgende Weiterentwicklungen vor: Erstens. Die Zweckbindung bei der Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten wird verstärkt. Die Daten dürfen grundsätzlich nur für die Zwecke verarbeitet und genutzt werden, für die sie gespeichert worden sind. Eine Änderung dieser Zwecke ist nur in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Zweitens. Die Rechte der Betroffenen werden im öffentlichen wie auch im nichtöffentlichen Bereich verstärkt. Das Auskunftsrecht umfaßt künftig auch die in der Datei gespeicherte Herkunft und den Empfänger von Daten. Außerdem ist die Auskunft grundsätzlich unentgeltlich. Schließlich wird auch ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch eingeführt. Drittens werden erstmals für die Einrichtung automatisierter Abrufverfahren Zulässigkeitsvoraussetzungen gesetzlich vorgegeben. Künftig haben öffentliche wie private Stellen vor der Einrichtung eines solchen Verfahrens zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen angemessen ist. Schließlich werden die Kontrollbefugnisse des Bundesbeauftragten für den Datenschutz erweitert. Die bisher strittige Frage, ob sich die Kontrollbefugnis auch auf Akten bezieht, wird entschieden. Künftig kann der Bundesbeauftragte auch Akten kontrollieren, wenn er durch eine Beschwerde oder auf sonstige Weise Anhaltspunkte für eine mögliche Rechtsverletzung erhalten hat. ({0}) - Eine Kontrolle, wenn ein Anlaß gegeben ist! Dies ist die Linie des Entwurfs. ({1}) - Die Erfahrungen haben wir doch aus der bisherigen Praxis, und das hat sich bisher in der Praxis ja durchaus eingespielt und bewährt. ({2}) - Herr Kollege, ich denke, wir sind in der ersten Lesung, und es besteht die Chance, daß wir debattieren. Ich bin gerade dabei, den Gesetzentwurf in der Einbringung erläuternd vorzustellen, und ich bin sehr gespannt und neugierig auf die Stellungnahmen der Fraktionen in der ersten Lesung und in den Ausschußberatungen. Zur Erläuterung will ich aber auch sagen, daß das Artikelgesetz an der in über zehnjähriger Praxis bewährten Grundkonzeption festhält, nur den Umgang mit personenbezogenen Daten, die in Dateien gespeichert sind, im Bundesdatenschutzgesetz zu regeln. Damit wird also insbesondere die automatisierte Datenverarbeitung erfaßt, in der ja das Bundesverfassungsgericht ein besonderes Gefährdungspotential gesehen hat. Demgegenüber wird der Schutz von Daten in Akten im Verwaltungsverfahrensgesetz als Querschnittsgesetz und im übrigen in bereichspezifischen Gesetzen geregelt, und auch die Zulässigkeit des Erhebens von Daten soll nach dem Gesetzentwurf bereichsspezifisch geregelt werden. Betonen möchte ich auch, daß im privaten Bereich die Datenerhebung und Aktenbearbeitung sowie deren Kontrolle durch staatliche Aufsichtsbehörden nicht geregelt werden sollten. Ich habe ja bereits darauf hingewiesen, daß für diesen Bereich die grundrechtlich garantierte Informationsfreiheit gilt und gelten muß. Meine Damen und Herren, die moderne Gesellschaft ist auf einen umfassenden Informationsaustausch angewiesen. Es ginge deshalb - jedenfalls nach meiner Auffassung - zu weit, und ich hielte es auch für verfassungsrechtlich bedenklich, wenn über den geregelten Bereich hinaus auch die Erhebung von Informationen und deren schriftliche Aufzeichnung im nichtöffentlichen Bereich reglementiert würden. ({3}) Ziel der im Artikelgesetz enthaltenen Entwürfe zu den Nachrichtendiensten ist es, die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes besser durchschaubar zu machen. Die Tätigkeit dieser Behörden besteht im wesentlichen im Einholen, Ordnen und Weitergeben von Informationen. Deshalb enthalten die Gesetzentwürfe Einzelregelungen über das Einrichten und Bereithalten gemeinsamer Dateien der Verfassungsschutzbehörden, die Präzisierung der Vorschriften über die Erhebung personenbezogener Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln und völlig neue Datenschutzvorschriften, nämlich Übermittlungsverbote und Nachberichtspflichten sowie Schutzvorschriften für Minderjährige. Meine Damen und Herren, gerade in diesem Bereich kommt es darauf an, das Recht der Bürger auf ein Leben in Sicherheit mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang zu bringen. Ein Leben in Sicherheit setzt eben voraus, daß die mit der Gewährleistung der inneren Sicherheit betrauten Behörden über das notwendige Instrumentarium verfügen. Ich denke, daß der Gesetzentwurf insgesamt durch drei Essentials gekennzeichnet ist: Das Persönlichkeitsrecht des Bürgers wird so wenig wie möglich eingeschränkt. Die Behörden erhalten die Befugnisse, die sie im Interesse der Bürger benötigen, und wir erreichen bei Verwirklichung dieses Gesetzentwurfs einen hohen Datenschutzstandard, der auch im internationalen Vergleich vorbildlich sein wird. Der Einbringung dieses Gesetzentwurfes sind, wie wir alle wissen, lange und leidenschaftlich geführte Diskussionen vorausgegangen. Auch sie belegen, wie schwierig die Abwägung der konkurrierenden Gesichtspunkte im einzelnen ist. Die Bundesregierung erwartet, daß die Ausschußberatungen Gelegenheit bieten, den Ausgleich zwischen den verschiedenen Bürgerrechten, auch dem Recht der Bürger auf innere Sicherheit und eine leistungsfähige Verwaltung, im einzelnen - auch unter Einbeziehung der vom Bundesrat abgegebenen Stellungnahmen - zu überprüfen. Herr Präsident, ich möchte gern hinzufügen: Jeder von uns, auch und in besonderer Weise ich als Innenminister, ist dabei zugleich für innere Sicherheit, für eine leistungsfähige Verwaltung und für Datenschutz zuständig und verantwortlich, und keiner sollte dies bei aller Leidenschaft in der Sache vergessen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg ({0}).

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben eben auf den langen, schwierigen Gang dieser Gesetze in den letzten Jahren hingewiesen. Ich will das noch einmal kurz nachvollziehen, um daran zu erinnern, daß dies nicht nur ein Ausdruck der Schwierigkeit der Materie ist, sondern auch ein Ausdruck der Misere, in der sich die Regierungskoalition in innenpolitischen Fragen in den letzten sechs Jahren befunden hat. ({0}) Am 15. Dezember 1983 hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Volkszählung verkündet. Jeder weiß: Auf Grund dieses Urteils war es zwingend geboten, daß die eben aufgezählten Gesetze den Grundsätzen dieses Urteils angepaßt und neu eingebracht wurden. In der letzten Legislaturperiode hatte die Regierung ein neues Datenschutzgesetz, ein MAD-Gesetz, ein Verfassungsschutzgesetz und das berühmt-berüchtigte Zusammenarbeitsgesetz vorgelegt. Der Innenausschuß hat sich sehr viel Zeit genommen. Es hat mehrere Anhörungen gegeben, es wurde kiloweise Papier produziert. Sachverständige wurden verschlissen. Die Kritik war niederschmetternd. Am Ende der Legislaturperiode mußten letztendlich alle Gesetze von der Regierung wieder einkassiert werden. Das Gebot des Bundesverfassungsgerichts konnte nicht umgesetzt werden. Wartenberg ({1}) Anfang dieser Legislaturperiode wurden - neues Spiel, neues Glück - ein Verfassungsschutzgesetz und ein Verfassungsschutzmitteilungsgesetz vorgelegt. Auf diese Art und Weise wollte man das sehr umstrittene Zusammenarbeitsgesetz verdeckt wieder einbringen. Man hatte scheinbar elegant gesplittet. Dann stellte sich aber doch heraus, daß diese Gesetze der öffentlichen Kritik und der internen Kritik in der Koalition nicht standhielten. Nach langen Streitereien innerhalb der Koalition und heftiger Kritik in der Öffentlichkeit sind nun, fast sechs Jahre nach dem Volkszählungsurteil, dem Parlament wiederum fünf Gesetze in diesem Zusammenhang vorgelegt worden. Sie müssen spätestens Ende dieser Legislaturperiode beschlossen sein, denn sonst gibt es wirklich ernsthafte verfassungsrechtliche Komplikationen, da der sogenannte Übergangsbonus ja abgelaufen ist. ({2}) Was hat sich in den sechs Jahren der Auseinandersetzung um diese Gesetze getan? Man kann eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen: Es hat sich so gut wie gar nichts bewegt; denn nach wie vor sind auch bei diesen Gesetzentwürfen die Grundprobleme, die schon in der letzten Legislaturperiode kritisiert worden sind, überhaupt nicht in Richtung einer Lösung verändert worden. ({3}) Nachdem die Datenschutzbeauftragten immer wieder darüber geklagt haben, daß der Bund seine Leitfunktion in der Datenschutzgesetzgebung längst verloren habe, muß man feststellen, daß in diesem neuen Gesetzgebungspaket die Leitfunktion des Bundes nicht wiederhergestellt wird. Man kann das insbesondere an der Datenschutzgesetzgebung sehen. Die Gesetze der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bremen sind im Vergleich zu den Gesetzentwürfen, die Sie jetzt hier einbringen, meilenweit voraus. ({4}) Es ist nicht nur ein Problem, daß die Bundesgesetzgebung sozusagen zurückbleibt, sondern es ist auch ein Problem, daß die Rechtslage im Bereich des Datenschutzes noch weiter zersplittert wird. Auch das ist ein völlig unbefriedigender Zustand. Fast einmalig ist, wie die Bundesregierung auf die Änderungs- und Prüfungswünsche des Bundesrats reagiert hat. Herr Schäuble, Sie haben eben gesagt: Es sieht so aus, als sei das jetzt ein einigermaßen guter Entwurf, man könnte wohl nach den Ausschußberatungen, vielleicht mit einigen Veränderungen, in dieser Legislaturperiode etwas Sinnvolles verabschieden. Der Bundesrat hat allein 86 Änderungs- und Prüfungswünsche beschlossen. Es waren übrigens weitestgehend die A-Länder zusammen mit dem Land Hessen. Es gab also auch in den von Ihnen regierten Ländern eine sehr harte Kritik und große Änderungswünsche in diesem Bereich. Die Bundesregierung war nicht einmal in der Lage, zu den meisten der 86 Änderungsanträge eine Stellungnahme abzugeben. In 36 Fällen konnte die Bundesregierung nur sagen, daß sie im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dazu Stellung nehmen wird. Das ist ein Vorgang, den wir in diesem Umfang eigentlich bei keinem Gesetzesverfahren hatten. ({5}) - Das ist natürlich ein deutliches Zeichen dafür, daß die Bundesregierung nach sechs Jahren bei 36 wesentlichen Punkten immer noch nicht in der Lage ist, zu sagen, was sie eigentlich will. Das ist Ausdruck einer grandiosen Handlungsfähigkeit. Wenn Sie meinen, daß das nicht ein Licht auf die innenpolitische Handlungsfähigkeit dieser Regierung wirft, dann weiß ich nicht, was eigentlich sonst noch als Beleg angeführt werden soll. ({6}) Die Koalitionsfraktionen blockieren sich also nach wie vor gegenseitig. Handlungsfähigkeit ist überhaupt nicht zu erkennen. Einiges sei zu diesen Gesetzen inhaltlich angemerkt. Dieses Gesetzespaket bleibt hinter seinen Zielsetzungen zurück. Es entspricht in weiten Teilen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, und verletzt in eklatanter Weise das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes herrührende Gebot der Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Ich möchte einige Bemerkungen zum Bundesdatenschutzgesetz machen. Mein Kollege Dr. Emmerlich wird zu den die Nachrichtendienste betreffenden Fragestellungen noch einiges sagen. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aufgestellt hat, sind nicht umgesetzt worden. Der Entwurf enthält keine ausdrückliche Regelung der Datenerhebung, obwohl gerade diese erste Phase der Datenverarbeitung den Bürger unmittelbar belastet. Der Regelungsbereich des Gesetzes wird auf die Datenverarbeitung in und aus Dateien beschränkt. Die Verarbeitung von Daten in Akten bleibt ungeregelt. Übrigens kritisiert Hessen gerade in diesem Punkt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf. Der Grundsatz der Zweckbindung wird durch zahlreiche und zu weitgehende Ausnahmen völlig durchlöchert. Die Transparenz der Datenverarbeitung, insbesondere das Recht der Betroffenen auf Auskunft, bleibt hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen weit zurück. Dem technologischen Fortschritt auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik - z. B. Arbeitsplatzcomputer, neue optische Speichermedien, Videoaufzeichnungen, Telekommunikation und Vernetzung - trägt der Entwurf nicht Rechnung. Der gegenüber dem geltenden Recht kaum veränderte Dateibegriff und die Beibehaltung des bisheri10476 Wartenberg ({7}) gen Katalogs technischer und organisatorischer Datensicherungsmaßnahmen berücksichtigen nicht die technische Entwicklung. Entgegen gegenteiliger Behauptungen werden die Kontrollbefugnisse des Bundesbeauftragten für den Datenschutz insgesamt eingeschränkt, insbesondere durch den Ausschluß systematischer Kontrollen bei der Erhebung und Verwendung personenbezogener Informationen außerhalb von Dateien. Die Datenschutzvorschriften für den nichtöffentlichen Bereich berücksichtigen nicht den Grundsatz der Zweckbindung und stellen unvertretbare Privilegien für die Datenverarbeitung in der Wirtschaft dar. Dies ist übrigens ein Punkt, den man gerade der FDP vorhalten muß, die zwar immer im Viereck springt, wenn es um die Datenschutzproblematik im öffentlichen Bereich geht, die aber hinsichtlich des nichtöffentlichen Bereichs so tut, als sollte der Staat dort überhaupt nicht eingreifen. Der Gesetzentwurf trägt nicht der Tatsache Rechnung, daß beispielsweise die Banken untereinander sowie mit Handel und Inkassobüros vielfältige Informationsbeziehungen unterhalten und sich gegenwärtig darauf vorbereiten, eine umfassende Verflechtung mit der Versicherungswirtschaft aufzubauen. Dies geschieht entweder in der Form, daß Banken und Versicherungsgesellschaften zusammenarbeiten, oder in der Form, daß sich Banken und Versicherungsgesellschaften jeweils gegenseitig Kunden empfehlen, also Angebote aus einer Hand machen. Nicht angegangen wird das Problem, daß angesichts der vielen versicherungsübergreifenden Zentraldateien und der vielfältigen Kommunikation zwischen den einzelnen Versicherungszweigen innerhalb eines Versicherungsunternehmens allein auf die vertragliche Beziehung zwischen Versicherungsunternehmen und Kunden abgestellt wird. Ebenso wird der Arbeitnehmerdatenschutz nicht berücksichtigt. Ich habe bewußt den nichtöffentlichen Teil herausgegriffen, weil auf diesem Gebiet ganz eindeutig der allergrößte Mangel auch in der Diskussion in diesem Parlament zu verzeichnen ist. Viele Bürger beklagen sich zunehmend mehr über den privaten Bereich als über den ohne Frage lästigen und schwierigen öffentlichen Bereich. Auf diesem Sektor kuscht man immer wieder vor der Wirtschaft, obwohl gerade dort die technologische Entwicklung stürmisch ist und die Vernetzung immer größer wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ({0})?

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur noch eine Minute Redezeit; es tut mit leid. Der Entwurf entspricht daher nicht den Anforderungen, die an ein zeitgemäßes Datenschutzgesetz als Ausprägung des verfassungsrechtlich garantierten Rechts des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung zu stellen sind. Die Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes löst dieses Problem übrigens überhaupt nicht. Es handelt sich hierbei um eine weitere Zersplitterung des Datenschutzrechts. Diese Fragen müssen im Datenschutzrecht selbst geregelt werden. Ich weise darauf hin, daß wir Sozialdemokraten diesem miserablen Gesetzentwurf unser Bundes-Informationsschutzgesetz entgegengestellt haben, daß wir im letzen Jahr im Plenum eingebracht haben. Wir werden fordern - das ist von den Obleuten auch schon beschlossen - , daß umfangreiche Anhörungen zu diesen Gesetzen durchgeführt werden. Wir hoffen, daß innerhalb dieser Anhörungen die massive Kritik, die sich schon heute abzeichnet, von den Fachleuten, auch von der Regierung wahrgenommen wird, und zwar in der Art und Weise, daß das nicht hinterher im Papierkorb verschwindet, sondern ein Datenschutzgesetz entsteht, das den Anforderungen der technologischen Entwicklung standhält und den Grundsätzen des Verfassungsgerichtsurteils zur Volkszählung voll entspricht. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blens.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen zieht die Bundesregierung für wichtige Bereiche staatlichen Handelns, aber auch für private Stellen und damit für die private Wirtschaft Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Datenschutz wird in all diesen Bereichen verstärkt. Die Rechte der Betroffenen werden verbessert, die Kontrollbefugnisse des Bundesbeauftragten für den Datenschutz werden ausgeweitet. ({0}) Für die Sicherheitsbehörden werden die Voraussetzungen für das Errichten und Bereithalten gemeinsamer Datenbestände sowie die Erhebung und die Übermittlung personenbezogener Informationen gesetzlich geregelt bzw. präzisiert. Die Gesetzentwürfe enthalten alle Datenschutzregelungen, die das Bundesverfassungsgericht zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für erforderlich erklärt hat. Es gibt keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, Herr Wartenberg, daß die Gesetzentwürfe verfassungsgemäß sind und den Verfassungsauftrag voll und ohne jede Einschränkung erfüllen. ({1}) - Davon sind schon 34 von der Bundesregierung akzeptiert. Trotzdem ist sicher, daß die Entwürfe das Parlament nicht so verlassen werden, wie sie heute von der Regierung eingebracht worden sind. Das ergibt sich schon daraus, daß sie durch einen Kompromiß zwiDr. Blens schen dem Bundesinnenminister und den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion auf der einen Seite sowie dem Bundesjustizminister und den Vorstellungen der FDP-Fraktion auf der anderen Seite zustande gekommen sind. Kompromiß ist Einigung durch gegenseitiges nachgeben. Das hat zur Folge, daß keiner der Kompromißpartner ({2}) - wie Sie wissen, Herr Penner - mit dem Ergebnis voll zufrieden sein kann. Das ist in der Politik keineswegs etwas Außergewöhnliches. Ungewöhnlich ist es allerdings, wenn die Kompromißpartner ihre Unzufriedenheit öffentlich erklären, und genau das ist bei diesen Gesetzentwürfen der Fall. Ich weiß natürlich, meine Damen und Herren, daß mit dieser Feststellung für einen Teil der Medien die Schlagzeile für morgen schon feststeht, nämlich: Streit in der Koaliton über Datenschutz. Ich muß allerdings dazusagen: Mich beeindruckt das nicht sonderlich; denn wenn der Regierungsentwurf von den Koalitionsfraktionen unverändert angenommen würde, dann würden dieselben Journalisten schreiben, in den Koalitionsfraktionen säßen nur mittelmäßige Jasager ohne eigene Meinung und ohne eigenes Profil, und im übrigen seien sie sowieso nichts anderes als eine Art teuer bezahlter Regierungsjubelchor. ({3}) Da es also für mich keine Möglichkeit gibt, einem negativen Medienurteil zu entgehen, wähle ich von den zwei möglichen Alternativen, die mir sympathischere, nämlich die, die den Tatsachen entspricht. Tatsache ist: Die FDP hat Vorbehalte gegenüber dem Regierungsprogramm; sie hat diese Vorbehalte im Kabinett zu Protokoll gegeben. Tatsache ist: Die CDU/CSU-Fraktion hat Vorbehalte gegenüber dem Regierungskompromiß, und sie hat Vorbehalte gegenüber den Vorbehalten der FDP. Tatsache ist aber auch: CDU/CSU und FDP haben den entschiedenen Willen, sich zu einigen. Sie werden die Gesetzentwürfe rechtzeitig vor dem Ende dieser Wahlperiode gemeinsam verabschieden; das sage ich Ihnen heute verbindlich voraus. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Anmerkung machen: Grundlage der Demokratie ist die Erkenntnis, daß niemand von sich zu Recht behaupten kann, er allein sei im Besitz der absoluten Wahrheit. Deshalb ist es das Grundrecht der Demokratie, anderer Meinung zu sein. Es ist die Aufgabe eines demokratischen Parlamentariers, seine andere Meinung und seine Argumente im Parlament zu sagen. ({4}) Nur wenn unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Argumente gegeneinandergestellt und gegeneinander abgewogen werden können, dann ist die Gewähr dafür gegeben, daß die aus einem solchen Meinungsaustausch hervorgehende politische Entscheidung dem, was richtig ist, so nahe wie möglich kommt. Meine Damen und Herren, ich halte es deshalb für eine Unsitte, einer Koalition, einer Oppositionsfraktion oder auch einer Partei sofort das wahlschädliche Etikett „Streit" anzuheften, nur weil es dort unterschiedliche Meinungen zu einer Sachfrage gibt. Das ist doch auch Ihr Problem, Herr Nöbel. ({5}) Diese Methode zwingt Koalition, Fraktion und Parteien zur permanenten Einstimmigkeit. Sie zerstört den fruchtbaren Austausch von Argumenten im politischen Dialog und gefährdet dadurch die Qualität der politischen Entscheidung. (Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE] Deshalb, Herr Nöbel, ob Sie es glauben oder nicht: Ich halte es für keine schlechte Sache, daß wir hier und heute ganz offen über unterschiedliche Positionen von CDU/CSU und FDP zum Datenschutz reden. Das ist die beste Gewähr dafür, daß wir am Schluß zu einem qualitativ guten gemeinsamen Ergebnis kommen. Ich füge hinzu: Das ist auch ein praktischer Beitrag zur Parlamentsreform. Ich halte das für besser als manches andere, was dazu gesagt wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Nöbel?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn das nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, es wird nicht angerechnet. Dr. Nöbel ({0}); Zur Parlamentsreform gehören auch vereinfachte Vorschläge. Ich habe einen parat. Sind Sie nicht der Meinung, daß es, wenn Sie sich so streiten müssen, einfacher für Sie ist, ganz neutral den Vorschlag der SPD zu übernehmen? ({1})

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Nöbel, wir - die CDU/CSU und die FDP - sind uns, was den Vorschlag der SPD angeht, einig. Wir halten ihn gemeinsam für schlecht. Insofern wäre dann in der Tat die Meinungsverschiedenheit beendet, aber sicherlich nicht so, wie Sie sich das vorgestellt haben. ({0}) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen zu einigen Schwerpunkten der Gesetzentwürfe. Als erstes: Die Entwürfe enthalten eine Ausweitung des Datenschutzes im Bereich der öffentlichen Behörden und der Sicherheitsbehörden. Es ist keine Frage, daß der Datenschutz auch in diesem Bereich ausgebaut und die Rechte des einzelnen verstärkt werden müssen. Lassen Sie mich hier aber auch eines klarstellen: Es ist falsch, zu glauben, daß jedes Mehr an Datenschutz auch immer besser für den Bürger sei, weil ein Mehr an Datenschutz immer im Interesse des Bürgers liegt. Derselbe Bürger, der ein Interesse daran hat, daß seine eigenen Daten restriktiv behandelt wer10478 den, hat gleichzeitig ein Interesse daran, daß die öffentliche Verwaltung und auch die Sicherheitsbehörden des Staates funktionsfähig sind und seine Sicherheit möglichst umfassend gewährleistet ist, was wiederum ohne Kenntnis der Daten von Personen, die diese Sicherheit gefährden oder gefährden können, nicht möglich ist. Deshalb liegt es im wohlverstandenen Interesse des Bürgers, einerseits den Datenschutz auszubauen, andererseits aber die Einschränkung der Erhebung und Verwertung von Daten nicht so weit zu treiben, daß die Funktionsfähigkeit staatlicher Behörden - und damit auch der Sicherheitsbehörden - ernsthaft beeinträchtigt wird. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir die Entwürfe sehr sorgfältig prüfen. Wir werden z. B. prüfen, ob nach den Gesetzentwürfen der Datenaustausch zwischen deutschen Behörden und den Behörden der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in dem Umfang möglich bleibt, wie es erforderlich ist, um eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungs- und den Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten. Verstärkte Zusammenarbeit ist zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität unerläßlich. Das gilt erst recht, wenn ab 1990 die Grenzkontrollen an den Grenzen mit Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden und 1993 alle Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft abgeschafft werden. Dieses Problem würde sicherlich am besten gelöst, wenn es gelänge, im Rahmen der Schengener Vertragsverhandlungen die wesentlichen Grundsätze unseres Datenschutzrechts zum Vertragsinhalt zu machen, mit der Folge, daß sie auch von den anderen Vertagspartnern - und später, bei Übernahme dieses Vertragssystems durch die übrigen EG-Staaten, auch von diesen - beim Umgang mit Daten, die nach dem Schengener Abkommen ausgetauscht werden, angewandt würden. Auf diese Weise käme der Datenschutz in der gesamten Europäischen Gemeinschaft -- dank der Initiative der Bundesrepublik - einen guten Schritt voran. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung die Verhandlungen mit diesem Ziel führt. Wir hoffen, daß sie damit Erfolg hat. ({1}) Bei der Abwägung zwischen der Ausweitung des Datenschutzes auf der einen Seite und dem Erhalt der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite werden wir auch die in dem Gesetzentwurf zum Datenschutzgesetz vorgesehene Ausweitung der Auskunftsrechte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden - d. h. gegenüber der Polizei, dem Bundeskriminalamt, den Staatsanwaltschaften und der Generalbundesanwaltschaft - einer kritischen Prüfung unterziehen. Dabei geht es um die Frage, ob diese Ausweitung der Auskunftsrechte es möglich macht, diese Behörden auszuforschen und dadurch die Strafverfolgung erheblich zu erschweren oder in Einzelfällen sogar unmöglich zu machen. Datenschutz ist nicht dazu da, dem tatsächlichen oder potentiellen Rechtsverletzer, z. B. einem Straftäter, zu garantieren, daß er weiß, was die Polizei und andere Sicherheitsbehörden über ihn wissen oder auch nicht wissen. Eine solche Art von Datenschutz würde die generalpräventive Funktion der Sicherheitsbehörden zerstören und erfolgreiche Aufklärung und Strafverfolgung weitgehend unmöglich machen. Noch zwei abschließende Bemerkungen zu den Sicherheitsbehörden. Wir begrüßen es, daß die Erfassung und Übermittlung von Daten unter 16jähriger Minderjähriger nach dem Entwurf eines Verfassungsschutzgesetzes weitestgehend eingeschränkt wird. Eine noch weitergehende Beschränkung auf solche Fälle, in denen sich Minderjährige strafbar gemacht haben, ist durchaus überlegenswert. Mindestens jeder, der selbst Kinder hat, weiß, daß rein politische Äußerungen von Minderjährigen z. B. in Schülerzeitungen nicht so ernst zu nehmen sind, daß sie die Aufmerksamkeit ernstzunehmender Verfassungsschutzbehörden verdienen. Was die übrigen Vorschriften des Bundesverfassungsschutzentwurfs betrifft, so gilt für uns der Grundsatz der Koalitionsvereinbarung - ich zitiere - : Das Trennungsgebot Verfassungsschutz/Polizei, das niemand bestreitet, schließt einen Informationsaustausch zwischen diesen Institutionen nicht aus. Der besonders engen Verzahnung der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz ist bei gesetzlichen Übermittlungsregelungen Rechnung zu tragen. Terrorismus und Spionagebekämpfung sowie die Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen sind gleich wichtig. Soviel, meine Damen und Herren, zu den öffentlichen Stellen, zu den Sicherheitsbehörden. Für den Bereich privater Stellen, insbesondere also der privaten Wirtschaft, besteht auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine verfassungsrechtlich zwingende Notwendigkeit zur Verschärfung der bestehenden Datenschutzregelungen, weil sich das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich auf die zwangsweise Erhebung von Daten durch den Staat bezieht. Eine Verschärfung der Datenschutzvorschriften im privaten Bereich führt im übrigen zu zusätzlichem bürokratischen Aufwand und damit zwangsläufig zu höheren Kosten, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht zuletzt im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt beeinflussen. Wir werden deshalb die im Regierungsentwurf des Datenschutzgesetzes vorgesehenen Verschärfungen für den privaten Bereich sehr kritisch prüfen. Darüber hinausgehende Verschärfungen lehnen wir ab. Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einführung der verschuldungsunabhängigen Gefährdungshaftung für die Datenverarbeitung und die Verpflichtung zur Zahlung von Schmerzensgeld in diesen Fällen weichen vom geltenden Haftungsrecht erheblich ab. ({2}) Für diese Regelung mit unter Umständen sehr weitgehenden Folgen gibt es nach unserer Überzeugung keine nachweisbare, objektive Notwendigkeit. Das ergibt sich zunächst daraus, daß aus den entsprechenDr. Blens den landesgesetzlichen Vorschriften, die es schon gibt, bisher in keinem einzigen Fall Schadensersatzansprüche hergeleitet worden sind. ({3}) - Das ist aber wohl nicht das überzeugende Argument. Wenn man sagt, daß es Regelungen gebe, die nicht faktisch geworden sind, dann ist es an sich ein Argument dafür, daß man auch auf Bundesebene keine neue Regelung braucht, und nicht umgekehrt. ({4}) Im übrigen ist der für die verschuldungsunabhängige Gefährdungshaftung angeführte Grund, die Haftungserweiterung sei zur Förderung der Akzeptanz der Datenverarbeitung erforderlich, angesichts des immer selbstverständlicheren Umgangs einer rapide wachsenden Zahl vor allem jüngerer Leute mit Computern meines Erachtens nicht überzeugend. Ein zweiter Punkt. Die von verschiedenen Seiten geforderte Einbeziehung sämtlicher Akten und sonstiger Unterlagen privater Stellen und damit auch privater Wirtschaftsbetriebe in das Datenschutzgesetz lehnen wir ab. Eine solche Einbeziehung der Akten Privater hätte einen unübersehbaren bürokratischen und Kostenaufwand zur Folge. Um welche Zahlen es dabei geht, zeigen einige Beispiele. Ein Kölner Industrieunternehmen mit rund 1 400 Beschäftigten hat einen Bestand an Aktenordnern von etwa 29 000; ein Kölner Schreinermeister mit fünf Beschäftigten hat zur Zeit 128 laufende Akten. Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, kommen auf einen Beschäftigten mindestens 21 Akten. Bei rd. 28 Millionen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik wären das rd. 590 Millionen Akten, auf die der Datenschutz ausgedehnt würde, ({5}) wenn man den Forderungen folgen würde. Diese Zahl ist aber noch viel zu niedrig gegriffen, wenn man berücksichtigt, daß es eine Vielzahl von Branchen gibt, die noch sehr viel aktenintensiver sind. Das gilt z. B. für die Versicherungswirtschaft. ({6}) Eine Kölner Versicherung mit rd. 3 000 Beschäftigten hat zur Zeit etwa 5 Millionen Akten, eine andere mit etwa 3 500 Beschäftigten sogar 12 Millionen Akten. Diese wenigen Zahlen zeigen, was auf die Wirtschaft, auf die Datenschutzbeauftragten der Betriebe und schließlich auch auf die Aufsichtsbehörden zukommen würde, wenn man die Akten in das Datenschutzgesetz einbeziehen und die Einhaltung der Datenschutzvorschriften auch tatsächlich kontrollieren wollte. ({7}) Objektiv wäre das letzte, nämlich die Kontrolle, praktisch unmöglich. Der riesige Aufwand brächte also für den praktischen Datenschutz keine nennenswerten Verbesserungen. Nicht zuletzt deshalb spricht sehr vieles dafür, daß die Einbeziehung von Akten von Privaten und Privatunternehmen in das Datenschutzgesetz gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Übermaßverbotes verstoßen würde. ({8}) - Ich will die Akten da lassen, wo sie sind, nämlich außerhalb des Gesetzes. ({9}) Ein dritter Punkt: Der im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Bundesdatenschutzgesetz vorgeschlagenen Erweiterung der Befugnisse der Aufsichtsbehörden gegenüber privaten Unternehmen können wir nur dann zustimmen, wenn ihre Notwendigkeit eindeutig nachgewiesen wird, was nach unserer Überzeugung bisher nicht der Fall ist. Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Rechte der Aufsichtsbehörden, wie der Bundesrat sie z. B. vorschlägt, ist für uns nicht akzeptabel. Für uns gilt der Grundsatz: Im privaten Rechtsverkehr ist es grundsätzlich nicht Sache staatlicher Behörden - auch nicht der Aufsichtsbehörden -, sondern des einzelnen selbst, seine Rechte - und damit auch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung - mit den Mitteln des Zivilrechts gegenüber anderen Privaten durchzusetzen. ({10}) Dazu ist der vielbeschworene mündige Bürger auch in der Lage. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen eng begrenzt bleiben. Für uns gilt auch im Bereich des Datenschutzes, daß der Staat nicht das Kindermädchen der Nation ist. Meine Damen und Herren, das sind einige unserer Positionen zu den vorgelegten Gesetzentwürfen der Bundesregierung. Ich sage noch einmal: Manches davon stimmt mit den Vorstellungen unseres Koalitionspartners nicht überein; das werden Sie nachher im einzelnen sicherlich auch noch hören. Aber ich wiederhole zum Schluß noch das, was ich soeben gesagt habe: Wir werden uns im Laufe der kommenden parlamentarischen Beratungen - sehr schnell, hoffe ich - auf ein gemeinsames Konzept einigen, ({11}) so wie sich die Koalition in den schwierigen Fragen des Ausländerrechts bereits auf ein vernünftiges, ausgewogenes, gemeinsames Konzept geeinigt hat. ({12}) Mit diesem Willen und - ich sage es noch einmal mit dieser Voraussage bezüglich des Ergebnisses gehen wir in die parlamentarischen Beratungen. Und der Glaube, lieber Herr Nöbel, wird Ihnen in den nächsten Monaten schon kommen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Such.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, Sie haben schon eine seltsame Vorstellung, wenn Sie glauben, daß Sie die organisierte Kriminalität durch Paßkontrollen an den Außengrenzen bekämpfen können. Ich glaube, so stellt sich Klein Fritzchen die Bekämpfung der OK, der organisierten Kriminalität, vor. ({0}) Gleich zur Regierungsvorlage: Ihrem wohlklingenden Titel „Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes" zum Trotz muß man feststellen, daß es sich in der Sache genau um das Gegenteil handelt, nämlich um eine Rückentwicklung zum kaschierten Wurmfortsatz der expandierenden Informationsgesellschaft. ({1}) Die Reichweite der Regelungen ist allzu offensichtlich allein am Status quo der heutigen Datenverarbeitung bzw., wie der Deutsche Richterbund es zugespitzter formulierte, einseitig an den Interessen der datenverarbeitenden Wirtschaft orientiert. ({2}) Und: Mit seinen weitgeschnittenen Hosen - wie der Landespolizeipräsident Stümper in Stuttgart formulierte läßt der Gesetzesvorschlag außerdem genügend Raum für die Legalisierung heutiger und zukünftiger Begehrlichkeiten, insbesondere der Sicherheitsbehörden. ({3}) Mit einem Wort: Es ist genau das geschehen und gewollt, wovor die Datenschutzbeauftragten nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts so eindringlich gewarnt haben. Die häufig rechtswidrige Datenverarbeitungspraxis insbesondere der Sicherheitsbehörden ist nur nachgezeichnet und in Worte gefaßt worden. Dabei hätte angesichts der galoppierenden Entwicklung dieser Praxis mit all ihren Gefahren für die Persönlichkeitsrechte nach der Zäsur des Volkszählungsurteils aller Anlaß bestanden, einmal für eine kritische Bestandsaufnahme einzuhalten, statt den Amtsschimmel so schnell, mit der überstrapazierten Leerformel „Übergangsbonus" ausgestattet, weitertrotten zu lassen. ({4}) Was die Bundesregierung nun in Kenntnis des Grundrechtscharakters des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hier vorgelegt hat, kann man eigentlich nur mit einem Wort beschreiben, das sie selbst so gern gegen die Oppositionsparteien bemühte: Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf um einen Anschlag auf die Verfassung. ({5}) Doch hätte man von einer Bundesregierung überhaupt etwas anderes erwarten können, deren Mitglieder nicht müde wurden - wir haben es eben auch wieder von der CDU gehört - vom Datenschutz als „Täterschutz" zu schwadronieren, die den Datenschutzbeauftragten in Teilbereichen bei seinen Kontrollen nach Kräften zu behindern versuchte, die dem Datenschutzbeauftragten in ihren Haushaltsansätzen regelmäßig noch nicht einmal 1 % der EDV-Kosten all ihrer zu kontrollierenden Behörden zubilligt und angemessene Ausweitungen durch ihre Fraktionen verhindern läßt, einer Bundesregierung, deren Ressorts sich von den Datenschützern trotz deren Behinderungen mit schöner Regelmäßigkeit gravierender Datenschutzverstöße zeihen lassen müssen? ({6}) Nein. Ich sage, die Bundesregierung hat mit dem hier vorgelegten Machwerk, wie zu erwarten, ihr Datenschutzverständnis sehr deutlich offenbart. Der von dieser Regierung übernommene und in den letzten Jahren kräftige praktizierte Sponti-Spruch „Legal, illegal" und - mit Verlaub - „scheißegal" wird und soll nach Verabschiedung dieses Gesetzespakets in umgekehrter Reihenfolge gelten; nichts anderes ist der Sinn der Übung. An Einzelheiten aus diesem Entwurf möchte ich heute nur einige besonders markante Kritikpunkte herausgreifen. Da ist zunächst die Begrenzung des Geltungsbereichs des Bundesdatenschutzgesetzes auf Dateien, die eine entsprechend begrenzte Befugnis des Datenschutzbeauftragten zur systematischen Kontrolle zur Folge hätte; eine angesichts der Nachhilfelektion des Verfassungsgerichts heutzutage fürwahr kühne, um nicht zu sagen: freche Beschränkung. Kontrollen etwa der umfangreichen Aktensammlungen des Verfassungsschutzes oder Beanstandungen wie etwa der in den letzten Wochen gemeldeten Fortführung der Zersetzerkartei durch die Ämter für psychologische Verteidigung wären damit nicht mehr möglich. ({7}) Genau solche umfangreichen und uneingeschränkten Kontrollrechte unabhängiger Datenschutzbeauftragter hat das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Persönlichkeitsrechte jedoch ausdrücklich gefordert. Auch die gesetzestechnisch ausgeklügelte Auslagerung der Datenerhebungsphase aus dem Bundesdatenschutzgesetz in das VerwaltungsverfahrensgeSuch setz und deren Verkürzung auf eine gezielte Beschaffung hat hierauf entsprechende Auswirkungen. Außerdem sind weite Verwaltungsbereiche, wie die Strafverfolgung, ein großer Teil des Sozialrechts, Post, Finanzämter und andere, von der Anwendung ebenso wie der gesamte nichtöffentliche Bereich von vornherein ausgenommen, also gerade die Bereiche, in denen in den letzten Jahren immer wieder gravierende Verstöße auch schon bei der Datenerhebung festgestellt werden mußten. Auch dem technologischen Fortschritt auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien, z. B. Einsatz von Arbeitsplatzcomputern, optischen Speichermedien, Videoaufzeichnungen, Telekommunikation und Vernetzung werden die Vorschriften in keiner Weise gerecht. Entweder er ist überhaupt nicht anwendbar, oder aber der nur fortgeschriebene alte Katalog von technischen und organisatorischen Sicherungsmaßnahmen greift insoweit nicht. Ebenso fehlen Schutzbestimmungen gegen die Veröffentlichung personenbezogener Daten fast vollkommen. Die Durchbrechung des Verfassungsgrundsatzes der Zweckbindung wird nahezu uneingeschränkt ermöglicht. Das Prinzip, daß Daten beim Betroffenen zu erheben sind, damit dieser überhaupt davon erfahren kann, wird in sein Gegenteil verkehrt. Der von der Bundesregierung so gern als Verbesserung herausgestellte Schadensersatzanspruch wird praktisch zu technischem Versagen verkehrt. Löschungspflichten und -fristen werden nicht präzisiert. Auskunftsansprüche der Betroffenen machen vor dem besonders sensiblen Bereich der Sicherheitsbehörden halt. Gerade da wäre das wichtig! Für die Gesetze über die Nachrichtendienste gilt der Grundsatz: Erlaubt ist alles, was nicht verboten ist. Verboten ist so gut wie nichts. Die in der letzten Zeit aufgedeckten Praktiken wie die Überwachung von Medien samt Spitzelanwerbung von Journalisten, die Speicherung von Prozeß- und Häftlingsbesuchern und -besucherinnen sowie von Beziehern und Bezieherinnen kritischer Literatur würden ebenso legalisiert wie sogar das Herbeibomben eines weiteren Lochs in Celle oder anderswo. Ich könnte noch einige Dinge aufzählen; leider ist meine Zeit eng begrenzt. Wir werden sicherlich in den nächsten Monaten noch weitere Möglichkeiten haben, auf die Mängel in diesem Machwerk einzugehen. ({8}) Zum Schluß: Meine Fraktion hielte es demgegenüber für die einzig konsequente Verfahrensweise, wenn die Bundesregierung dieses Flick- und Machwerk zurückzöge und sich im Lichte der von zahlreichen Fachleuten bereits erhobenen Einwände noch einmal eine ausgiebige Denkpause verordnen würde. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da wir uns kurzfassen sollen, sage ich: Erstens. Es gilt auch das geschriebene Wort. Zweitens. Wir wollen uns einigen; das ist in dieser Sache ganz wichtig. ({0}) - Wir haben eine Mehrheit in diesem Parlament. ({1}) - Wir wollen uns natürlich in erster Linie mit unserem Koalitionspartner einigen. Drittens. Wir haben noch erhebliche Arbeit vor uns. Das Wort von den zu weiten Hosen stammt nicht von Herrn Stümper, sondern von mir. ({2}) Ich habe ihm gesagt: Sie wollen die Hosen so weit auf Vorrat schneidern, daß jede zukünftige Entwicklung mit einbezogen wird. Er hat uns entgegengehalten, ich wollte sie so eng haben, daß sie bei jedem Schritt platzen. Nur, inzwischen laufen wir ja über Jahre hindurch einer stürmischen technischen und personellen Entwicklung des Datenschutzes hinterher. Das heißt, die Zeit, wo es keine neuen Datenschutzgesetze gegeben hat, ist wirklich ausgiebig zu einem großen Wachstum benutzt worden. Darum ist es wichtig und notwendig, daß wir neue Grenzen ziehen. Ich fange mit der Überschrift an - ich kann das Wort „Datenschutzgesetz" schon nicht mehr hören -: ({3}) Es geht um ein Gesetz zum Schutz der Privatheit der Bürger. Erst mit dieser Formulierung, Privatheit der Bürger, findet man den richtigen Maßstab für seine Beurteilung. ({4}) Der Bürger hat bestimmte Erwartungen: Er redet nicht vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern er sagt, daß bestimmte Einzelheiten aus seinem Privatleben eigentlich niemanden etwas angehen, auch den Staat nicht. ({5}) Nun kann jeder die unziemliche Neugierde eines anderen Zeitgenossen damit beantworten, daß er ihn als unerzogen oder als unangenehm betrachtet und den Verkehr mit ihm abbricht. Aber im Verhältnis zum Staat und zu vielen Organisationen, Verbänden, Unternehmen, Auskunfteien, Banken, Ärzten, Krankenkassen und Dienstvorgesetzten ist das nicht möglich. Wir sind keine Horde von Robinsonen, sondern wir leben in einer Gesellschaft, in der wir gemeinschaftliche Leistungen erwarten und in Anspruch nehmen und in der der Staat dementsprechend die Aufgabe übernehmen muß, uns vor unziemlicher Neugierde und auch vor Schnüffeleien zu schützen. Wir haben in den 70er Jahren den ersten großen Anlauf zu Datenschutzgesetzgebungen genommen. Damals waren alle politischen Kräfte übereinstimmend der Auffassung, daß das fortgesetzt werden muß. ({6}) - Ja. - Wir sind mit dieser Absicht - das war unsere gemeinsame Auffassung, auch die der CDU/CSU: Weiterentwicklung des Datenschutzes ist notwendig - am Beharrungsvermögen der Verwaltung und an wirtschaftlichen Interessen gescheitert. Das Volkszählungsurteil hat den Preis deutlich gemacht, der für dieses Scheitern gezahlt werden mußte bzw. gezahlt worden ist. Er besteht in einem massiven und wachsenden Mißtrauen des Bürgers gegenüber dem Staat, ob er bereit ist, die Privatsphäre zu respektieren und von den technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung keinen größeren Gebrauch zu machen als unbedingt erforderlich. Tatsächlich hat die Weiterentwicklung der Informationsverarbeitung das Gleichgewicht, das Verhältnis zwischen staatlichem Wissen und Privatheit dramatisch verändert. Der Staat weiß heute von jedem einzelnen mehr als jemals irgendein Staat vorher. Dieses Wissen verstaubt nicht in irgendwelchen Aktenkellern, sondern es ist verfügbar. Es wird nicht vergessen. Es verändert die Arbeitsweise der großen Verwaltungen in Staat und Wirtschaft. ({7}) - Wenn es nicht angerechnet wird, gerne, Herr Penner.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hirsch, ich wäre sehr daran interessiert, von Ihnen zu erfahren, worauf Ihre Zurückhaltung bezüglich einer unbestreitbaren Datenschutzproblematik im Bereich von Wirtschaft, Industrie und Banken zurückzuführen ist.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihre Frage ist ganz überflüssig, weil ich im Laufe der Rede darauf eingehen werde. Selbstverständlich stellen sich auch im Bereich der Wirtschaft erhebliche Datenschutzprobleme, auf die wir zu sprechen kommen werden. Ich wollte aber noch auf das Allgemeine eingehen. Es geht nicht darum - was immer wieder gesagt wird -, den Staat künstlich dumm zu machen, sondern es geht darum, ihn daran zu hindern, allwissend zu werden. Wenn wir uns nicht zu klaren Begrenzungen öffentlichen und privaten Wissens durchringen können, dann wird es einen wachsenden Konflikt geben zwischen der Anwendung moderner Technik auf der einen Seite und dem wachsenden Mißtrauen des Bürgers auf der anderen Seite, daß die Möglichkeiten dieser Technik nicht nur mißbraucht werden können, sondern tatsächlich mißbraucht werden. ({0}) Diese Sorge ist keinesfalls nur Theorie. ({1}) Ich will auf die Vorgeschichte dieses Entwurfes nicht weiter eingehen; das ist dargestellt worden. Der Übergangsbonus nach dem Volkszählungsurteil läuft aus. Wir wollen uns verständigen. Ich sage aber auch in allem Ernst, daß wir ein Scheitern dieser Gesetzgebung mit allen Folgen eher hinnehmen werden als Lösungen, die die Privatheit der Bürger nicht respektieren, die das Mißtrauen gegen staatliche Einrichtungen im Ergebnis weiter schüren und die dem Geist der verfassungsrechtlichen Vorgab en nicht entsprechen. Es gibt Probleme im Verhältnis Verfassungsschutz und Polizei. ({2}) Da gibt es in den Regelungen - ich sage einmal - Privilegierungen der Nachrichtendienste, was die Auskunftspflichten angeht. Wir sind der Meinung, daß die Datenverarbeitung, die Minderjährige unter 16 Jahren betrifft - ob in Akten oder Dateien - , den Verfassungsschutz nichts angeht. ({3}) Der Verfassungsschutz hat an Schulen nichts zu suchen. ({4}) Wenn es da kriminelle Handlungen gibt, dann ist das eine Sache der Polizei und nicht des Verfassungsschutzes. ({5}) Die Dateien mit Textzusätzen stellen ein Problem dar. Sie sind ein erhebliches Gefährdungspotential. Wir wollen, was das allgemeine Datenschutzrecht angeht, die Befugnisse des Datenschutzbeauftragten verbessern. Es kann auch für den Bürger nicht entscheidend sein, ob seine Privatheit in einer EDV oder in einer Akte verletzt wird. Das Mittel ist nicht das Entscheidende. Es geht uns nicht darum, Herr Blens, jedes Papierstück lückenlos zu erfassen. Aber das Problem, das Sie ja zutreffend dargestellt haben - diese Tausenden von Akten in dem großen Bereich von Banken, Versicherungen oder sonst etwas; auch dort wird die Privatheit verletzt, auch dort gibt es schwarze Listen, auch dort gibt es eine unziemliche Neugier, der sich der einzelne nicht entziehen kann - , ist doch nicht dadurch zu lösen, daß Sie sagen: Das klammern wir aus, das geht uns nichts an. Natürlich geht es uns etwas an, ob auch dieser Bereich in vernünftiger Weise geregelt wird. Wenn Sie die zunehmenden Berichte über Datenverarbeitungsprobleme im privaten Bereich lesen - Bankenwesen, Schufa-Klausel, Datenverarbeitung in den Personalbereichen der großen Unternehmen und und und - , merken Sie - das ist unbestreitbar - , daß hier ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers besteht, dem wir uns stellen müssen. ({6}) Letzte Bemerkung. Mir ist in diesen Tagen das Buch „Die aufgeklärte Republik" in die Hände gekommen, das einen Aufsatz von Ruth Leuze, der baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten enthält. Es geht nicht nur um Gesetzgebung, sagt sie, und fährt fort: Wir brauchen ebenso notwendig eine andere Einstellung zum Datenschutz, ({7}) und dazu gehört, daß man aufhört, die Sache des Datenschutzes als übertriebenen Individualismus und mangelnde Solidarität abzutun und stattdessen zur Kenntnis nimmt, daß ohne seine Sicherung die Demokratie - ich füge hinzu: eine freie Gesellschaft - nicht existieren kann. Das ist das Wichtige. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich spreche zu den Art. 3, 4 und 5, also zu den Gesetzen über die Aufgaben und die Befugnisse der Nachrichtendienste, Verfassungsschutz, MAD und BND. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum informationellen Selbstbestimmungsrecht muß die Tätigkeit der Nachrichtendienste durch Gesetz geregelt werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist 1983 ergangen, die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes und die Gesetze über den MAD und den BND hätten längst vorgelegt werden müssen. Wenn die Bundesregierung diese Gesetze erst jetzt einbringt, zeigt sie erneut, wie unterentwickelt ihre gerade von ihr selbst, Herr Blens, so viel beschworene Handlungsfähigkeit in Wahrheit ist. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die Bundesregierung nach wie vor außerstande ist, das nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch erforderliche Gesetz über Sicherheitsüberprüfungen vorzulegen. Nach vorherrschender Meinung läuft der vom Bundesverfassungsgericht für die Schaffung datenschutzgerechter gesetzlicher Vorschriften eingeräumte Übergangsbonus spätestens mit dem Ende dieser Legislaturperiode aus. Die Bundesregierung handelt unverantwortlich, wenn sie nicht dafür sorgt, daß die Sicherheitsüberprüfungen endlich auf eine den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werdende Grundlage gestellt werden. ({0}) Sicherheitüberprüfungen finden in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes und in der Rüstungsindustrie statt. Sie werden auch bei lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen durchgeführt und mehr und mehr auf Betriebe mit einem außerordentlichen Gefährdungspotential erstreckt. Der Bundesumweltminister hat z. B. Richtlinien über Sicherheitüberprüfungen in Nuklearbetrieben erlassen, und er versucht, sich dafür mit dem Gesetzentwurf über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz eine gesetzliche Rechtsgrundlage in einer Weise zu verschaffen, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eklatant widerspricht. Die Gewerkschaften und wir Sozialdemokraten beobachten mit zunehmender Sorge, wie ein immer größerer Teil der Arbeitnehmer einer Sicherheitsüberprüfung ausgesetzt und dadurch zum gläsernen Menschen gemacht werden kann. Wir wollen nicht, daß unser demokratisches Gemeinwesen zum Überwachungsstaat wird. Wir wollen den freien, vom Staat nicht geprüften und nicht kontrollierten Bürger. Nur er, nicht der überwachte Untertan, ist der Garant für unsere Demokratie und für die Zukunft unseres Landes. ({1}) Überfällig sind auch datenschutzgerechte gesetzliche Vorschriften im Strafverfahrens- und im Polizeirecht. Auch insoweit ist die Bundesregierung seit langem in Verzug. Die Bundesregierung darf sich nicht wundern, wenn befürchtet wird, sie wolle den derzeitigen Zustand unzureichenden Datenschutzes möglichst lange aufrechterhalten. Meine Damen und Herren, die nunmehr vorgelegten Gesetzentwürfe zum Verfassungsschutz, zum MAD und zum BND entsprechen nur den formalen, nicht aber den materiellen Anforderungen, die sich nach dem Bundesverfassungsgericht aus unserer Verfassung ergeben, daß sich nämlich aus dem Gesetz für die Bürger, für die Mitarbeiter der Nachrichtendienste, für die Dienstaufsicht und nicht zuletzt für die gerichtliche Kontrolle mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen lassen muß, zu welchen Zwecken und unter welchen Voraussetzungen Daten erhoben, gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden dürfen. Herr Bundesinnenminister, den verfassungsrechtlichen Anforderungen ist eben nicht genügt, wenn im Gesetz nur Grundsatzentscheidungen in bezug auf diese Dinge enthalten sind und wenn sich das Gesetz mit Generalklauseln begnügt. Sie haben mit dieser Formulierung das, was Ihre Gesetzesvorlage tatsächlich enthält, zutreffend beschrieben, aber ich füge hinzu: Das ist der Kern unserer Kritik, daß solche globalen Formulierungen den Anforderungen, die für Eingriffe in den Grundrechtsbereich gelten müssen, nicht gerecht werden. ({2}) Über den Datenschutzaspekt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinaus kann nicht geleugnet werden, daß es insbesondere beim Verfassungsschutz und beim MAD in der Vergangenheit zu Fehlentwicklungen gekommen ist. Es sind Informa10484 tionen über Gruppierungen und Personen erhoben, gespeichert und weitergegeben worden, die keine verfassungswidrigen Bestrebungen verfolgen. Davon waren auch Betriebsräte, Gewerkschaften und politische Parteien betroffen. Das Recht zur Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel ist dahin fehlinterpretiert worden, daß damit die Befugnis gegeben sei, sich über Gesetze, ja, sogar über Vorschriften des Strafrechts hinwegzusetzen. Auf diese Weise ist z. B. der Celler Sprengstoffanschlag gerechtfertigt worden. Diese Fehlentwicklungen beruhen darauf, daß die Regelungen über den Auftrag und die Befugnisse der Dienste zu unbestimmt sind und infolgedessen rechtliche Grauzonen bestehen, ferner darauf, daß keine ausreichende Kontrolle stattfindet. Diese Umstände hat die Bundesregierung bei ihrem Gesetzentwurf unberücksichtigt gelassen. Notwendig ist es daher, daß die Aufgaben und die Befugnisse der Dienste präziser als bisher beschrieben werden. Es muß eindeutig klargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen eine politische Gruppierung vom Verfassungsschutz beobachet werden darf. Das gleiche gilt für den MAD. Wer selbst keine verfassungswidrigen Ziele verfolgt, darf kein Beobachtungsobjekt sein. Bei Gelegenheit der Beobachtung einer verfassungswidrigen Gruppierung anfallende Erkenntnisse über Personen und Gruppen, die keine verfassungswidrigen Ziele verfolgen, dürfen weder gespeichert noch weitergegeben werden. Eine Beobachtung darf nicht schon deshalb stattfinden, weil sich in Gruppen, Verbänden und Parteien Extremisten betätigen, Einfluß gewinnen wollen oder Einfluß haben. Eine Beobachtung ist erst dann gerechtfertigt, wenn die Organisation, die Objekt der Beeinflussungsversuche ist, selbst verfassungswidrige Ziele verfolgt. Nachrichtendienste haben die Befugnis zur heimlichen Informationsbeschaffung. Daran bestehen keine Zweifel. Soweit sie darüber hinausreichende nachrichtendienstliche Mittel einsetzen wollen, müssen diese durch Gesetz oder durch Normen mit Gesetzesrang beschrieben werden. Bloße Verwaltungsvorschriften reichen nicht aus. Der Einwand, es gehe nicht an, bei jeder Neuentwicklung eines nachrichtendienstlichen Mittels das Gesetz zu ändern, ist nicht stichhaltig. Das Verfassungsgebot der Gesetzesbindung erfordert eine exakte Beschreibung der Eingriffsbefugnisse staatlicher Behörden. Das gilt für im Geheimen arbeitende Nachrichtendienste in besonderem Maße. ({3}) Im übrigen ergeben die bisherigen Erfahrungen, daß mit einer permanenten Entwicklung neuer nachrichtendienstlicher Mittel nicht gerechnet zu werden braucht. Weil es auch insoweit zu Fehldeutungen gekommen ist, muß ferner klargestellt werden, daß die allgemeine strafrechtliche Notstandsklausel keine Norm ist, aus der Nachrichtendienste oder andere Behörden Handlungsbefugnisse herleiten können. Meine Damen und Herren, das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Zweckbindung muß beim Datenaustausch strikt beachtet werden. Daraus folgt, daß Erkenntnisse der Nachrichtendienste nicht zu Zwecken verwandt werden dürfen, die außerhalb ihres Aufgabenfeldes liegen. Daraus ergibt sich ferner, daß Erkenntnisse anderer Behörden, die ausschließlich zur Erfüllung ihrer spezifischen Aufgaben und Befugnisse erhoben worden sind und erhoben werden durften, ohne eine der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerecht werdende gesetzliche Erlaubnisnorm nicht an den Verfassungsschutz weitergegeben werden dürfen. Bei der Amtshilfe und auch beim Datenaustausch muß das von Herrn Blens erfreulicherweise schon erwähnte Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei beachtet werden. Dieses Trennungsgebot besagt dreierlei: Erstens: keine polizeilichen Befugnisse für den Verfassungsschutz und die anderen Nachrichtendienste. Zweitens: keine nachrichtendienstlichen Mittel für die Polizei. Drittens: organisatorische Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten. Das Trennungsgebot wird unterlaufen, Herr Blens, wenn sich der Verfassungsschutz zur Erfüllung seiner Aufgaben der Vollzugsbefugnisse anderer Behörden bedient oder wenn sich umgekehrt andere Behörden Erkenntnisse der Nachrichtendienste verschaffen können, die diese nur auf Grund ihres besonderen Auftrages und ihrer besonderen Befugnisse erlangt haben. Diese für den Datenaustausch und die Amtshilfe zwischen Verfassungsschutz und anderen Behörden sowie Dritten geltenden Grundsätze werden von dem Regierungsentwurf in mannigfacher Weise verletzt. Einige Beispiele dazu: Erstens. Jede Behörde oder öffentliche Stelle soll den Nachrichtendiensten Erkenntnisse übermitteln dürfen, wenn nach ihrer Auffassung Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste erforderlich ist. Zweitens. Die Nachrichtendienste sollen grundsätzlich alle Informationen an andere Behörden, selbst an private Stellen und an das Ausland übermitteln dürfen. Die als Ausnahme von diesem Grundsatz festgelegten Übermittlungsverbote sind keine Barrieren, die den notwendigen Datenschutz sicherstellen. Drittens. Innerhalb des Verfassungsschutzes soll jede Information, unabhängig von ihrer Herkunft, für jede der unterschiedlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes verwendet werden dürfen. Bei Sicheheitsüberprüfungen zum Zwecke des Geheimschutzes gewonnene Erkenntnisse dürfen aber nach unserer Überzeugung nicht für andere, mit der Spionageabwehr in keinem Zusammenhang stehende Aufgaben wie z. B. für die Extremismusbeobachtung verwandt werden. Viertens. Der im Regierungsentwurf zugelassene generelle Zugriff der Dienste auf personenbezogene Dateien anderer Behörden ist nicht akzeptabel. Fünftens. Die Voraussetzungen, unter denen elektronische Dateien angelegt werden können, müssen gesetzlich festgelegt werden. Insbesondere ist klarzustellen, daß in Dateien nur solche Personen aufzunehmen sind, bei denen ein durch Tatsachen begründeter Verdacht besteht, daß sie Aktivitäten entfaltet haben, die der Beobachtung durch die Nachrichtendienste unterliegen. Sechstens. Soweit durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel Erkenntnisse anfallen, die außerhalb des Beobachtungsauftrages der Dienste liegen, müssen in Anlehnung an das G-10-Gesetz Verwertungsverbote normiert werden. Meine Damen und Herren, die Intensivierung der Kontrolle der Dienste muß im innerdienstlichen Bereich und durch Verdichtung der Dienstaufsicht erfolgen. Aber auch die Möglichkeiten der parlamentarischen und - ich füge bewußt hinzu - der öffentlichen Kontrolle sollten verbessert werden. Ein besonders geeignetes Mittel dazu ist der Abbau überflüssigen Geheimschutzes. Wir alle wissen, wovon wir jetzt reden. Die parlamentarische Kontrollfähigkeit würde zunehmen, wenn die Parlamente entschlossener als bisher auch in bezug auf die Nachrichtendienste auf ihrem Auskunfts- und Kontrollrecht bestehen würden. Ich gebe auch zu bedenken, ob es dabei bleiben kann, daß jede, auch eine offensichtlich unberechtigte VS-Klassifizierung unbesehen übernommen wird. Verstärkt werden müßte auch die Kontrollfähigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission. Sie muß aus der Rolle eines die Informationen der Bundesregierung bloß entgegennehmenden Gremiums herauskommen und in den Stand gesetzt werden, eine eigenständige aktive Kontrolltätigkeit zu entfalten. Eine unverzichtbare Hilfe bei der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste sind die Datenschutzbeauftragten. Die durch sie erfolgende datenschutzrechtliche Kontrolle der Nachrichtendienste würde aber unerträglich eingeschränkt, wenn ihnen, so wie der Regierungsentwurf dies vorsieht, bei ihrer Kontrolltätigkeit der Zugriff auf Akten der Nachrichtendienste weitgehend verwehrt werden würde. Wir Sozialdemokraten, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind der Auffassung, daß über die Rechtsgrundlagen für die Nachrichtendienste ein parteiübergreifender Grundkonsens erforderlich ist. Davon habe ich weder bei Ihnen, Herr Blens, noch bei Ihnen, Herr Hirsch, etwas verspürt. Sie haben immer nur von der Einigung in der Koalition geredet. ({4}) - Also, Kollege Gerster, ich kenne Ihre generöse Haltung und weiß sie in jeder Lage des Verfahrens zu schätzen. Wir befürchten, daß die Koalition - damit überstrapaziert, zwischen den Koalitionsparteien einen Kompromiß zu finden - nicht mehr die Fähigkeit und nicht mehr den Willen hat, eine Übereinstimmung mit der SPD zu suchen. Wir warnen davor, die Gesetze über die Nachrichtendienste - das gilt auch für Gesetze über andere Sicherheitsbehörden, die Polizei, die Staatsanwaltschaft usw. - nach dem Motto Mehrheit ist Mehrheit gegen die Sozialdemokraten durchzupauken. Das könnte zu unabsehbaren Belastungen unseres demokratischen Gemeinwesens führen und den erforderlichen Grundkonsens zwischen den demokratischen Parteien in Frage stellen. Die SPD, meine sehr geehrten Damen und Herren, bekennt sich auch in der Opposition zu ihrer Verantwortung. ({5}) Ich hoffe, daß die Regierung und die Koalition die sich daraus ergebende Chance und ihre, verehrter Herr Gerster, daraus folgende Verpflichtung erkennen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Emmerlich, ich glaube, wenn wir uns der Tatsache bewußt bleiben, daß wir es hier mit einer Materie zu tun haben, die wir nicht nach freiem Belieben gestalten können, je nachdem, wie lax Datenschutz von den einen gehandhabt und als wie lästig er empfunden wird oder wie sorgfältig, seriös und solide Datenschutz von den anderen verankert werden soll, wenn wir uns also dessen bewußt bleiben und wenn wir weiterhin aufmerksam zuhören - vielleicht lesen Sie das, was der Kollege Hirsch gesagt hat, noch einmal nach -, werden Sie auch sehen, daß wir hier den Konsens suchen, und zwar, wie ich betone, den breiten Konsens. Wir brauchen wie in jeder Koalition die Einigung auch in dieser Koalition, aber wir wollen sie darüber hinaus; wir wollen den Konsens darüber erreichen, hier ein Optimum an Datenschutz zu schaffen. Herr Minister Schäuble, wir sind Ihnen dafür dankbar, daß Sie mit dieser irrigen Vorstellung aufgeräumt haben, daß es sich hier um „Sicherheitsgesetze" handeln könnte. Es ist gut, daß das jetzt auch von Regierungsseite deutlich gemacht worden ist. Wir sind Ihnen auch dafür dankbar, daß Sie noch einmal auf den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen haben. Wir stehen ja hier vor der Aufgabe, eine Verfassungspflicht zu erfüllen, nämlich Datenschutz gesetzlich zu verankern. Wir sind auch bereit, durch die von Ihnen geöffnete Tür zu gehen. Sie haben ja gesagt, daß wir in den Ausschüssen und damit auch nach der Anhörung den Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen, die es gegeneinander abzuwägen gilt, suchen müssen, wobei wir an dem Stellenwert des Grundrechts auf Privatheit, an dem Stellenwert der Verfassungspflicht zum Datenschutz nicht rütteln lassen. Wir sind zuversichtlich, daß wir am Ende einen Weg finden werden, der noch in dieser Legislaturperiode - ich greife das auf, was der Kollege Blens gesagt hat - zu einem Gesetzgebungsverfahren führt, das sich dann auch sehen lassen kann. Gestern haben wir ja in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers dadurch eine Vorgabe bekommen, daß er sagte, daß wir die freiheitsstiftende Funktion des Rechts sehen und beachten müssen. Für mich geht es hier darum, der freiheitsstiftenden Funktion des Rechts Geltung zu verschaffen, und dies können wir, wenn wir hier noch Nachbesserungen vornehmen. Das Recht kann seine friedensstiftende Funktion nur dann wirksam erfüllen, wenn es im Zweifel für die Freiheit ausgestaltet wird. Deswegen gilt für die Beratungen unser Grundsatz: Wir schützen unsere Verf as-sung am besten, wenn wir die Verfassungsrechte wahren und die Verfassungspflichten umfassend erfüllen. Deshalb sage ich: Umfassender Datenschutz ist zugleich der beste Verfassungsschutz. Davon wollen wir uns leiten lassen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes auf Drucksache 11/4306 an die in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Vorschlag, der ausgedruckt ist, angenommen, und es wird so verfahren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP eingebrachte Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes, Drucksache 11/4445, noch heute zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Mai 1989, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.