Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/27/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Grund einer Anregung im Ältestenrat möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß der Bundeskanzler wegen seines Besuchs in Israel verhindert ist, an der heutigen Plenarsitzung teilzunehmen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch chlorierte Kohlenwasserstoffe Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch chlorierte Kohlenwasserstoffe verlangt. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Hickel.

Prof. Dr. Erika Hickel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000898, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor Weihnachten hörten wir von dem Aussickern hochgiftiger chlorierter Kohlenwasserstoffe aus der Mülldeponie in HamburgGeorgswerder, einem Tatbestand, der der dortigen Regierung bereits sehr viel früher, mindestens ein Jahr früher, bekannt war. Kürzlich alarmierte uns der dioxinhaltige Staub aus der Altölverbrennungsanlage in Landsweiler im Saarland. Auch dieser Tatbestand war der Regierung spätestens seit Oktober 1982 bekannt. Der Betrieb dieser Anlage war, entgegen den Bestimmungen des Altölgesetzes, auch genehmigt worden. Vorgestern erfuhren wir nun, daß allein in Nordrhein-Westfalen pro Jahr über 30 kg an Dioxinen aus Müllverbrennungsanlagen entweichen, eben Gifte einer Klasse, die bereits in Bruchteilen eines Milligramms Leber und Nieren angreifen, langfristig Krebs erzeugen und die Schädigung menschlicher Embryonen hervorrufen. Diese chemischen Produkte aus der Stoffklasse der Seveso-Gifte sind Neben- und Folgeprodukte der chlorierten Kohlenwasserstoffe, aus denen sie bei Erhitzung entstehen. Sie sind inzwischen überall verbreitet. Bezeichnend ist, daß sie schon in dem Urin von Menschen vorkommen, die mit ihnen bewußt gar nicht in Berührung gekommen sind. Es handelt sich hier um eine chemische Zeitbombe, die zwar schon jetzt explodiert, aber heimtückisch genug ist, gleichzeitig ein sich dauernd vermehrendes, schleichendes Langzeitgift für die Zukunft zu sein. Und nun erfahren wir, daß das Umweltbundesamt für die Regierung eine Studie dazu angefertigt haben soll. Ich meine nicht diesen allgemeinen Sachstandsbericht vom Frühjahr 1983, sondern eine zweite, detailliertere Studie, die eine genaue Aufstellung all der Fälle enthalten soll, in denen diese Dioxine entstehen können. Diese zweite Studie wird geheimgehalten. ({0}) Wenn das stimmt - und wir verlangen von Ihnen darüber Auskunft -, dann hat diese Regierung etwas zu verbergen; ({1}) denn sie ist schließlich für den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit verantwortlich. ({2}) - Sie hat noch mehr zu verbergen, ich weiß. Stimmt es nicht - und darüber bitte ich um Auskunft -, dann hat diese Regierung offensichtlich selber keine Übersicht darüber, wo überall diese Stoffe aus der Klasse der Seveso-Gifte in welchen Mengen bei uns entstehen, obwohl wir GRÜNEN die Regierung bereits im Sommer 1983 aufgefordert hatten, dies zu erforschen. Leicht ist es nicht, sie zu erforschen, das wissen wir. Und wir allein oder die ökologischen Forschungsinstitute, denen Sie so gern solche Arbeit überlassen, können das nicht erledigen; denn etwa 50 % aller chemischen Prozesse in der Industrie beinhalten den Umgang mit polychlorierten Kohlenwasserstoffen, aus denen bei Erhitzung immer Dioxine entstehen können. ({3}) - Gucken Sie in „Römpps Lexikon". Schon da steht es. ({4}) - Ich auch. Sie entstehen beim Verbrennen von Leder, von Strümpfen, von Holz und von anderen Stoffen und Gegenständen, die man gegen Pilzbefall schützen zu müssen meint, beim Verbrennen von Transformatoren, von Altöl. Ja, man muß schon fragen: Wo entstehen sie nicht? Es handelt sich also um eine Gefährdung umfassenden Ausmaßes, bei der ein politisches Konzept für den Umgang mit derartigen Stoffen unerläßlich ist. ({5}) Wir GRÜNEN erwarten Auskunft von der Bundesregierung: Welches ist Ihr Konzept für den Umgang mit diesen polychlorierten Kohlenwasserstoffen und mit ihren hochgiftigen Folgeprodukten? Was unternimmt die Bundesregierung, um die chemische Industrie zu veranlassen, ihre Produktionsverfahren und ihre Produkte so umzustellen, daß in absehbarer Zeit keine Stoffe aus der Klasse der Seveso-Gifte mehr entstehen können? ({6}) Sie werden mir sicher erzählen wollen: Das geht gar nicht. So, wie es heute läuft, geht's tatsächlich nicht. Da muß sich etwas ändern. ({7}) Wann endlich gedenken Sie das Chemikaliengesetz so anzuwenden, daß es in Fällen wie diesen wirklich etwas nützt? In welchem Ausmaß werden bei uns immer noch - das ist eine weitere Frage - trotz des teilweise erlassenen Produktionsverbots polychlorierte Biphenyle, Pentachlorphenol und 2,4,5-T-Säure angewendet?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Prof. Dr. Erika Hickel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000898, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sofort fertig. - Und wann veröffentlichen Sie diesen Bericht? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Boroffka.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Hickel, schon die Terminologie, die Sie verwendet haben, macht deutlich, wie geringe Sachkenntnis Sie haben. ({0}) Ich will wenigstens kurz versuchen, Ihnen darzulegen, wie umfassend die Problematik in der Tat ist, die sich für eine Aktuelle Stunde überhaupt nicht eignet. ({1}) - Ja, Kollege Duve; sicher. Da haben wir erst einmal die halogenierten Methane, die als Treibstoffe in Sprühdosen verwendet werden. Sie haben möglicherweise zu Schädigungen der Ozonschicht geführt. Aber Sie, Kollege Hauff, wissen zum Beispiel, daß mit freiwilliger Vereinbarung der Industrie hier j a eine Zurückführung der Produktion erreicht werden konnte. Das heißt, diese Problematik ist im Griff. Aktueller Anlaß für eine Aktuelle Stunde ist überhaupt nicht vorhanden. ({2}) - Halogenierte Methane sind halogenierte Kohlenwasserstoffe. Im übrigen ist Dioxin zu dieser Klasse gar nicht gehörig. Zweitens haben wir die halogenierten Äthane und Äthylene, die als Lösungsmittel etc. verwendet werden. Dazu sind inzwischen so umfangreiche rechtliche Regelungen erlassen, daß auch hier kein aktueller Anlaß ist, darüber im Moment in Kurzbeiträgen zu debattieren. ({3}) Denn Sie werden in solchen Kurzbeiträgen die Problematik nicht lösen. Ich muß allerdings im Hinblick auf die Bundesregierung sagen, daß ich hoffe, daß wir bald die entsprechende Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz bekommen. ({4}) Ja, sicher. Aber doch kein aktueller am Freitag morgens um 8 hier im Deutschen Bundestag. ({5}) Dann haben wir, Herr Kollege Duve, den ganzen Bereich der halogenierten Aromaten und deren Derivate, wozu das Dioxin gehört. Hier haben wir eine Reihe von Stoffen für unterschiedliche Verwendungszwecke, z. B. Pflanzenbehandlungsmittel, Holzbehandlungsmittel, aber auch Arzneimittel, aber auch Isoliermittel in Transformatoren und ähnliches. Hier sind bereits rechtliche Regelungen vorhanden bzw. in Arbeit. Aktuelle Sachen sind auch hier nicht vorhanden. Daß sich ein paar Minister in letzter Zeit dazu geäußert haben, ist wirklich kein Anlaß, daß der Bundestag morgens um 8 zusammentritt. ({6}) Faßt man diese große komplexe Materie zusammen, dann stellt man fest: Es ist eine Reihe von Problemfeldern vorhanden, die in Arbeit sind. Das wissen Sie alle. Die Materie ist so komplex, daß wir sie heute morgen noch nicht einmal vernünftig andiskutieren können. ({7}) Die Frage entsteht, warum die GRÜNE-Fraktion eine solche Aktuelle Stunde beantragt hat. ({8}) Wenn man genauer nachguckt, sieht man den Grund: Sie wollen hier jede Woche eine Aktuelle Stunde haben, um in die Medien zu kommen. Das ist der gesamte Anlaß, meine Damen und Herren von der GRÜNEN-Fraktion. ({9}) Lieber Herr Kollege Schily von der GRÜNEN-Fraktion, ich hoffe, daß sich niemand auf Grund dieser giftgrünen Horrorschau, die Sie hier abziehen, ({10}) den Blick für die Realität vernebeln läßt. Ich habe mir als Arbeiter bei Siemens vor 30 Jahren die Hände sogar noch mit Trichloräthylen gewaschen. Sie sehen an meiner Gesundheit, daß es mir nichts geschadet hat. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der Odyssee der Seveso-Giftfässer habe ich an die Bundesregierung die Frage gerichtet, ob sie gedenke, im Hinblick auf Herstellung und Anwendung von Dioxin und dioxinhaltigen Präparaten Konsequenzen zu ziehen, und ob sie bereit sei, ein striktes Verbot auszusprechen. Daraufhin wurde ich vom Bundesminister des Innern belehrt, daß Dioxin bei uns nicht hergestellt werde, jedoch „als unerwünschte Verunreinigung" bei der Produktion des Pflanzenschutzmittels 2,4,5-T anfalle; eine Umweltgefährdung bestehe nicht. Schlußsatz der Minister-Antwort: „Die Frage eines Verbots für die Herstellung und Anwendung von Dioxin und dioxinhaltigen Präparaten stellt sich insofern nicht." ({0}) Heute muß ich sagen: Und sie stellt sich doch, Herr Kollege Laufs. ({1}) Bei einem Ultragift kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. ({2}) Und wenn Gefahr im Verzuge ist, Herr Kollege Boroffka, dann ist auch aktueller Anlaß für eine Aktuelle Stunde gegeben. ({3}) Wenn wir schon wissen, daß wir - teils ahnungslos, teils aber auch reichlich achtlos - seit 1950 und noch länger Gifthalden angehäuft haben, wenn wir schon wissen, daß verseuchte Sickerwässer unser Trinkwasser gefährden können, wenn wir zudem wissen, daß in unserem Land noch mehr als 60 000 PCB-gefüllte Transformatoren vorhanden sind, ({4}) - auch hier kann es bei Unfällen, bei Bränden oder Explosionen vorkommen, daß Dioxin freigesetzt wird ({5}) dann müssen sich daraus mindestens zwei Forderungen ergeben: erstens, alles zu tun, um diese Gefahren rasch zu beseitigen ({6}) - bitte, hören Sie zu -, zweitens, dafür zu sorgen, daß nicht noch mehr solche schädlichen Stoffe in 1 die Umwelt gelangen. ({7}) Dioxin ist hundertmal giftiger als Zyankali. Es ruft die gefürchtete Chlorakne hervor, hat mutagene Wirkung und steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Es kann keinen Grund geben, der es rechtfertigen würde, dioxinhaltige Präparate weiterhin bei uns zu verwenden, zumal inzwischen geeignete Ersatzstoffe vorhanden sind. Hier hilft kein Lamentieren, hier hilft nur schleuniges Handeln. Sie haben die Instrumente in der Hand: § 17 des Chemikaliengesetzes gibt Ihnen die Ermächtigung, die PCBs durch Verordnung zu verbieten. Tun Sie es! Weiter: Das Herbizid 2,4,5-T muß umgehend aus dem Verkehr gezogen werden. Es reicht nicht aus, daß der Hersteller mitgeteilt hat, daß er die Produktion eingestellt hat; auch Import und Verwendung müssen verboten werden. Die SPD-Fraktion hat dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Lehnen Sie ihn nicht ab, wie der Bundesrat es mit dem entsprechenden Entwurf Nordrhein-Westfalens unbegreiflicherweise getan hat! ({8}) - Darüber reden wir im Ausschuß. Was die Altdeponien betrifft, so fordern wir die Regierung auf, erstens in Zusammenarbeit mit den Ländern für eine systematische Erfassung aller Altablagerungen zu sorgen, ({9}) zweitens ein Bund-Länder-Programm zur Sanierung zu erstellen, und drittens zu gewährleisten, daß die Kosten der Sanierung so weit wie möglich und noch feststellbar, vom Verursacher getragen werden. ({10}) Dort, wo der Giftmüll produziert wurde und wo enorme Summen verdient wurden und noch werden, muß auch das Geld zur Schadensbeseitigung aufgebracht werden. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine neue Chemiepolitik. Der Kreislauf der Natur ist gewaltig gestört. Selbst in der Muttermilch finden sich PCB-Gehalte, die die Werte der Weltgesundheitsorganisation um das Dreizehnfache überschreiten. - Das ist kein Grund zum Lächeln, das ist ein Alarmsignal! ({11}) Wir müssen das Ruder herumreißen und uns darauf besinnen, meine Kolleginnen und Kollegen, daß wir den Verstand nicht zum Zerstören, sondern zum Bewahren der Natur bekommen haben. Nutzen wir die Chance, bevor es zu spät ist! ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hartenstein, wir brauchen keine neue Chemiepolitik, wir müssen die fortsetzen, die wir hier gemeinsam in den letzten Jahren getragen haben. ({0}) Es sieht beinah so aus, als wüßten wir nicht, was Dioxin ist, und als hätten wir fassungslos, sprachlos und ohne politisches Handeln vor diesem Problem gestanden. Wir haben insbesondere auch nach Seveso das Problem national und international intensiv diskutiert. Wir haben eine lang angelegte Politik in bezug auf die Gefährlichkeit, in bezug auf die Vermeidung von Gefahren durch Chemikalien in diesem Hause entwickelt. Ich erinnere Sie an die Störfallverordnung, ich erinnere Sie an das Chemikaliengesetz. Wir haben entsprechende Maßnahmen auf europäischer Ebene eingeleitet, wir haben eine Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe und anderes mehr. Es gibt also nicht nur ein Konzept, sondern es wurde nach einem Konzept gehandelt, das weiterverfolgt werden muß. Nun gebe ich Ihnen gern zu, ein solches Konzept ist nie vollständig, und es ist immer auch eine Frage des Vollzugs. ({1}) Ich gebe Ihnen gern zu: Was da in Hamburg geschieht, befriedigt mich keineswegs, um hier nicht härtere Worte zu gebrauchen; aber das ist nicht eine Frage der Gesetzgebung, das kann doch nicht Anlaß zu Vorwürfen gegenüber der Bundesregierung sein. Das ist wie so oft im Umweltschutz eine Frage von Vollzugsdefiziten. Hamburg erfüllt mich mit großer Sorge. ({2}) Ich möchte auch wissen, ob diese Werte bei einigen Müllverbrennungsanlagen tatsächlich so überschritten werden, wie es hier gesagt wird. Da möchte ich Aufklärung haben. Ich habe den Bericht des Umweltbundesamtes gelesen. Ich habe das gelesen, was das Umweltbundesamt vor einigen Tagen in einer Presseerklärung gesagt hat: Danach gibt es keinen aktuellen Anlaß zur Beunruhigung, was Müllverbrennungsanlagen angeht. Das müssen wir jetzt aufklären. Wir müssen fragen: Sind die bekanntgewordenen Werte besorgniserregend oder nicht? Das ist - ich sage es noch einmal - keine Sache der Vorwürfe an den Bundesgesetzgeber, sondern es ist eine Sache des Vollzugs. Ich bin der Meinung, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir sagen: Es gibt Probleme der Abfallbeseitigung, es gibt Probleme der Altlasten bei Deponien. Wir werden darüber diskutieren. Die Koalition hat dazu gerade eine Anfrage eingebracht, und sie ist beantwortet worden. Es gibt Probleme mit der Verbrennung von Abfall auf der hohen See - wir sind dagegen -, es gibt Probleme mit der Verklappung - wir sind dagegen -, aber das alles, meine Damen und Herren, kann doch nicht Anlaß sein, daß wir uns hier gegenseitig Vorwürfe machen. Wir sind uns doch weitgehend einig, nehme ich an. Ich weise noch auf das Pflanzenschutzgesetz hin, das wir hier beraten werden. Ich werde mit meiner Fraktion sehr großen Wert darauf legen, daß wir uns die ökotoxikologischen Prüfungen, die vorgesehen sind, ganz genau ansehen, und ich will nicht ausschließen, daß wir da aus der Sicht des Umweltschutzes noch einiges machen müssen, was zur Verbesserung des Pflanzenschutzgesetzes beiträgt. ({3}) Meine Damen und Herren, es gibt Probleme. Die Gefährlichkeit der hier behandelten Stoffe kann doch von niemandem geleugnet werden; aber es ist kein Anlaß zur Dramatisierung. Es gibt ein Konzept für eine wirksame Chemiepolitik zur Vermeidung von Gefahren, die sich hier ergeben können. Es ist weitgehend realisiert. Die Lücken müssen geschlossen werden - wir sind dabei -, und das werden wir mit Nachdruck tun, was ich Ihnen für die Koalition versichern kann. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die außerordentlich schwierige, vielschichtige und sehr ernst zu nehmende Problematik chlorierter Kohlenwasserstoffe stellt zweifellos einen wichtigen Bereich unserer Umweltpolitik dar. Herr Baum hat schon auf einige neuere Initiativen hingewiesen. Der vorgegebene Anlaß für diese Aktuelle Stunde beruht aber auf einigen Skandalberichten über vom Bundesinnenministerium angeblich geheimgehaltene Dioxin-Studien, über massenhafte Dioxin-Emissionen bei Müllverbrennungsanlagen. Diese öffentlich dargestellten Horrormeldungen haben sich mittlerweile als samt und sonders falsch erwiesen. Es gibt keine geheimgehaltene Studie des Umweltbundesamtes. Aber es gibt Untersuchungsergebnisse über Dioxinemissionen aus Müllverbrennungsanlagen, die schon im Jahresbericht des Umweltbundesamtes 1982, jedermann zugänglich und uns Abgeordneten allen zugesandt, nachzulesen sind. ({0}) - Für Sie der Literaturhinweis: Seite 95/96 unter der Überschrift: Dioxinemissionen aus Müllverbrennungsanlagen. Dort steht exakt das, was zu den Ergebnissen der erfolgten Messungen bei Müllverbrennungsanlagen jetzt vom Umweltbundesamt noch einmal veröffentlich worden ist, meine Damen und Herren. ({1}) Die Frau Kollegin Hickel hat hier behauptet, allein in Nordrhein-Westfalen solle aus Müllverbrennungsanlagen bis zu 30 kg Dioxin emittiert worden sein. Nach Feststellung des Umweltbundesamtes ist dagegen Tatsache - das steht in dieser vermeintlichen Geheimstudie, aber eben auch schon im Jahresbericht 1982 -: 1 g bis 5 g pro Jahr aus allen Müllverbrennungsanlagen in der Bundesrepublik zusammen. Ich will das überhaupt nicht verharmlosen. Es ist jedoch, wenn ich es richtig berechnet habe, ungefähr1 / 6000 von dem, was Frau Hickel eben behauptet hat. Deshalb sagt das Umweltbundesamt: keine gesundheitliche Gefahr. ({2}) In Nordrhein-Westfalen sind zum Zeitpunkt der Untersuchung durch die Landesanstalt für Immissionsschutz zwölf Anlagen überprüft worden. In elf ist nichts gefunden worden, in einer eine äußerst geringe Menge, so gering, daß sie irrelevant ist und vernachlässigt werden kann. Wir hören jetzt aus Kiel mit Interesse, daß dort in der Flugasche der Müllverbrennungsanlage etwa 1/100000 g Dioxin pro Kilogramm Flugasche festgestellt worden ist und daß man daraus Konsequenzen hinsichtlich der Verwertung der Flugasche gezogen hat. Aus Hamburg hören wir höhere Dioxin-werte. Die Hamburger haben ohnehin großen Anlaß, diese Problematik sehr ernst zu nehmen. Herr Baum hat auf die Altlastproblematik hingewiesen. Meine Damen und Herren, was diese Aktuelle Stunde anbelangt, möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß Sie angebliche Geheimstudien und Berichte, die sich nach veröffentlichten Materialien als eindeutig falsch erweisen, zum Anlaß dieser Aktuellen Stunde machen und daß Sie von geheimen Unterlagen über Materien sprechen, die Sie in Kleinen Anfragen schon im Juni letzten Jahres behandelt bekommen haben, ({3}) wo aus diesen Studien inhaltlich gerade zum sehr ernst zu nehmenden hochgiftigen Dioxin berichtet worden ist. ({4}) Ich werfe Ihnen ja gar nicht vor, daß Sie all diese Materialien nicht kennen, daß Sie den Bericht des Umweltbundesamtes nicht lesen. Wenn Sie jedoch hier eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema machen, dann wenigstens sollten Sie die Antworten der Bundesregierung auf Ihre eigenen Anfragen nachlesen, meine Kollegen. ({5}) Sie ziehen hier eine Sache hoch, von der Sie wissen müßten, daß das, was der Bund dazu tun kann, geschehen ist. In der TA-Luft sind die Mindesttemperatur, der Mindestsauerstoffgehalt und die Mindestverweilzeit im Feuerungsraum festgelegt, auch für Müllverbrennungsanlagen. Das ist das, was vorgegeben werden kann, um zu verhindern, daß bei der Verbrennung Dioxin in der Flugasche austritt. Wenn jetzt in der Tat in einigen Bundesländern Vollzugsdefizit besteht - das ist richtig gesagt worden -, dann ist das nicht Sache des Bundes. Ich bin gegen jegliche Verharmlosung, meine Damen und Herren; aber frei erfundene Schreckensmeldungen nützen niemandem. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die chemische Industrie noch solche Pressesprecher hätte, wie Herr Boroffka heute morgen gesagt hat, dann wären wir nicht so weit, wie wir im Gespräch mit einigen Chemikern schon sind. Genau dies ist die Verharmlosung, Herr Boroffka, die die Menschen nicht mehr mitmachen. ({0}) Sie zeigen Ihre Hände und sagen, als junger Chemiker haben Sie sich in irgend etwas gewaschen. Das sei der Beweis für die Harmlosigkeit dessen, wovon wir heute hier reden. Das ist heute anders. ({1}) - Daß Sie bei Siemens gearbeitet haben, ehrt Sie und Siemens. Meine Damen und Herren, hier ist von Hamburg gesprochen worden. Ich will ganz deutlich sagen: Der Jahrhundertskandal Stoltzenberg - für uns Hamburger ein Jahrhundertskandal - hat dazu geführt, daß die Hamburger suchen. ({2}) Es ist wohl sicher, daß überall, wo in Deutschland gesucht wird, auch hochgiftige Stoffe gefunden werden. ({3}) Wer in diesem Lande nicht sucht, der heuchelt. Jeder muß suchen, auch dann, wenn er Angst hat, selber etwas zu finden und mitschuldig zu werden; denn schuldig sind wahrscheinlich alle Verwaltungen in diesem Land, Bundesverwaltungen und Länderverwaltungen. Ich bin froh, daß die Hamburger suchen. Sie werden noch mehr finden, dann wird es noch mehr Aufschreie geben. Das halte ich für sinnvoll. Das halte ich für besser, als nicht zu suchen und auf die anderen Bundesländer zu weisen. ({4}) - Suchen Sie auch in Ihren Bundesländern, und Sie werden Altlasten finden. Es ist sicher falsch, daß die Bundesregierung nicht unterrichtet worden ist und nicht Bescheid weiß über die drei Bereiche, in denen wir es mit Dioxin zu tun haben. Einmal tritt es als Nebenprodukt in Produkten auf. Darüber haben wir hier in einer Fragestunde schon einmal diskutiert und keine Antwort von Herrn Waffenschmidt bekommen. Zweitens: Die Altlasten sollten endlich mit einem gemeinsamen Bund-Länder-Programm gesucht werden. Vor allen Dingen sollte hierfür ein gemeinsames Finanzierungsprogramm entwickelt werden. Das ist wohl das Vordringlichste. Drittens: Die Sache mit den Verbrennungsanlagen. Es ist natürlich nicht richtig, daß Hamburg hier besonders „dran" ist. Es war vielmehr umgekehrt. Durch die beiden Institute, die das Umweltbundesamt beauftragt hat, diese Verbrennungsanlagen-Untersuchungen durchzuführen, ist bekannt geworden, daß sie in Hamburg die größte Bereitschaft gefunden haben, mitzuhelfen. Das heißt, die meisten Untersuchungen haben wir auch hier wieder aus Hamburg, weil sich andere Bundesländer gesperrt haben, mitzuarbeiten. Wir werden das in einer längeren Diskussion gerne aufarbeiten. Bis heute ist dem Bundesland Hamburg dieser Bericht nicht zur Verfügung gestellt worden. Ich nehme an, er ist auch den anderen Bundesländern nicht zur Verfügung gestellt worden. ({5}) - Es ist richtig, Herr Kollege, daß es in einer Fachbesprechung und in dem Bericht, aus dem zitiert worden ist, erwähnt worden ist, aber die Dringlichkeit der Befunde ist von der Bundesregierung und vom Umweltbundesamt nicht mitgeteilt worden. Das, was dort herausgekommen ist, ist sozusagen verschlossen geblieben. ({6}) Wir hoffen, daß es zu einem gemeinsamen Suchprogramm und einem gemeinsamen Sanierungsprogramm kommt. Danke. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bedarf nicht der heutigen Aussprache, um die Bundesregierung von der Problematik chlorierter Kohlenwasserstoffverbindungen zu überzeugen. Wir haben das Thema von Anfang an ernstgenommen. Wir haben in einer Reihe von Antworten auf parlamentarische Anfragen über Problematik und notwendige Maßnahmen informiert. Ich erinnere an die Anfragen zur Produktion und Vernichtung von Dioxinen und zum Problem der Sonderabfälle. Dem Bundestag werden in diesen Tagen die Antworten auf die Großen Anfragen zum Thema PCB-Problematik und zum Bodenschutz zugeleitet. ({0}) Es kann also niemand sagen, er sei über das Problem nicht ausreichend informiert worden. Wenn hier von angeblichen Geheimberichten gesprochen worden ist, dann war das Schlichtweg Unfug. Geheimberichte hat es nicht gegeben und wird es nicht geben. Der Bericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 1983 ist beispielsweise im Juni mit in die Antwort auf die Anfrage der GRÜNEN eingeflossen und als Bundestagsdrucksache jederzeit für jeden zugänglich. ({1}) Die Meßergebnisse, die im Jahre 1982 im Bereich der Müllverbrennungsanlagen vom Umweltbundesamt ermittelt worden sind, sind im Jahresbericht 1982 veröffentlicht worden, und zwar unter regelmäßiger Information insbesondere auch der Hamburger Behörden. Was die Messungen in Nordrhein-Westfalen anbelangt: Das sind Maßnahmen der Landesbehörden ohne irgendeine Beteiligung des Bundes. Diese Messungen liegen zwei Jahre zurück. Die zuständigen Stellen haben damals keine Gefährdungen festgestellt. Es geht hier - das muß man erneut betonen - um klare Vollzugszuständigkeiten der Länder. Man sollte jetzt nicht den Versuch machen, eigene Verantwortlichkeiten dadurch zu vernebeln, daß man die Dinge von Hamburg nach Bonn verlagert. Das gilt auch für das Problem der Altlasten, meine Damen und Herren. Auch hier liegt die Zuständigkeit nach der Verfassung bei den Ländern. Der Bund ist allerdings bereit, die Bemühungen der Länder im Rahmen von Forschung und Entwicklung zu unterstützen und darüber hinaus auch die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, soweit sie noch nicht vorhanden sind, so daß alte Beseitigungsanlagen, die eine Gefährdung für die Umwelt bedeuten, in die Überwachung im Bereich des Abfallrechtes einbezogen werden. Was die eigentliche Problematik anbelangt: Es besteht weder Anlaß, die Situation zu verharmlosen, noch Anlaß, sie zu dramatisieren. Die Schädlichkeit von Dioxinen muß nach Art und Menge weiter wissenschaftlich erforscht werden. Deswegen sind entsprechende Mittel im Forschungsprogramm des Bundes 1983 eingestellt. Die Bundesregierung hat alle Möglichkeiten genutzt, um wirksam Einfluß zu nehmen und um diesen Beeinträchtigungen vorzubeugen. Ich erinnere an die seit März 1983 gültige TA-Luft, die vorschreibt, wie Feuerungsanlagen und auch Müllverbrennungsanlagen zu vertreiben sind. Die Produktion von PCB wurde mit Ablauf des vergangenen Jahres in der Bundesrepublik Deutschland eingestellt. Frau Hartenstein, ein Verbot ist also überflüssig. Für die Verwendung von PCB-haltigen Stoffen ist eine Lösung zu sukzessiver Verminderung in Vorbereitung, ({2}) und für die Entsorgung liegt seit zwei Monaten ein mit den Ländern abgestimmtes umfassendes Konzept vor. Was nun die Kontrolle der Beseitigung von Sonderabfall angeht, so liegt auch hier ein vom Bundesrat akzeptiertes Gesetz der Bundesregierung zum Abfallbeseitigungsgesetz vor. Wir sind bemüht, die strengen Kriterien dieses Gesetzes auf EG-Ebene durchzusetzen. Auch im Bereich des Gewässerschutzes sind durch Festsetzung von Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser und mit den Novellierungsarbeiten zum Abwasserabgabengesetz die notwendigen Maßnahmen getroffen bzw. eingeleitet worden. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Bundesregierung hat gehandelt. Wir halten nichts von plakativen Forderungen, denen eine fundierte Begründung fehlt. Wir werden auch zukünftig eine rationale Umweltpolitik betreiben und nicht eine Politik, die im Problematisieren und in Panikmache eine Lösung sieht. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß wir - mit Ausnahme des Herrn Boroffka - alle der Auffassung sind, daß wir angesichts vermehrter Funde von Ultragiften ({0}) und von chlorierten Kohlenwasserstoffen Alarmsignale geben müssen. Das ist gut, aber das ist die einzige Gemeinsamkeit bisher in der Diskussion. Keine Gemeinsamkeit besteht bisher in den anderen Fragen, die meines Erachtens zu Recht heute in einer Aktuellen Stunde erörtert werden. Es sind die Punkte a) Verharmlosung, b) Zurückhalten von Informationen und c) mangelnder Handlungsbedarf. ({1}) Wir stellen auf Grund der Hinweise, die uns gegeben wurden und die uns ständig gegeben werden, fest, daß ein Handlungsbedarf besteht. Es ist sogar notwendig, schnell zu handeln. Wir wissen, daß wir in vielen Bereichen sogar noch zu wenig über die tatsächlichen Auswirkungen der genannten Schadstoffe wissen, insbesondere im Hinblick auf die chronischen Wirkungen und in bezug auf die umfassende Gefährlichkeit kumulativer Wirkungen dieser Schadstoffe. ({2}) - Herr Boroffka, ich finde, es ist ein Armutszeugnis, daß trotz der Erfahrungen, die wir häufig gemacht haben - wir bekamen ja Hinweise aus der Bevölkerung und von Gruppen -, die Probleme verniedlicht werden; anschließend haben wir die Schäden doppelt gespürt. ({3}) So können wir mit solchen Problemen nicht verfahren. Wer so verfährt, verbaut meines Erachtens die Lösung auch zukünftiger Probleme. ({4}) - Ja, ja, ist gut! Wir stellen heute fest, daß wir durch die Fortschritte in der Spurenanalytik die Gefährdungen durch diese Stoffe erst richtig erkennen. Von den etwa 75 bekannten Dioxinverbindungen sind mindestens 20 als hochgiftig einzuschätzen. Sie sind gefährlich für uns alle. - Darüber braucht man nicht den Kopf zu schütteln, denn die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zeigen die Folgen: Mißbildungen, Erbkrankheiten und Krebs. Ich erinnere aus aktuellem Anlaß - vielleicht schütteln Sie dann nicht mehr den Kopf - an die jüngst veröffentlichte Studie von Professor Schlipköter. Er wird ja sicherlich auch von Ihnen als anerkannte Kapazität auf diesem Gebiet angesehen. Er warnt davor, daß gerade durch die verstärkten Müller ({5}) Dioxinemissionen zunehmend Krebskrankheiten auftreten. ({6}) Deshalb dürfen wir das weder verharmlosen noch darf es einen Schweigekomplott geben, nach Seveso erst recht nicht. Meine Damen und Herren, der Dioxinskandal ist kein Hamburger Skandal. Der Dioxinskandal ist auch kein Flugaschenskandal, sondern der Dioxinskandal besteht darin, daß der chemischen Produktion insgesamt ein Armutszeugnis ausgestellt werden muß. ({7}) Das Problem ist, daß Dioxin überall entsteht, daß es schon viel stärker in alle Lebensbereiche eingedrungen ist, als wir das wahrnehmen wollen. ({8}) Es ist auch viel schlimmer, als vermutet wird, wonach Dioxin „nur" auf etwa 1 500 Deponieplätzen vorhanden ist. Das Problem ist umfassender, da Dioxin sich in den letzten Jahren in einer Form kumuliert hat, daß ernsthafte gesundheitliche Schäden nicht nur zu befürchten sind, sondern zunehmend eingetreten sind. Ich glaube, daß es notwendig ist, diese Dioxingefährdungen - auch unter den gesundheitlichen Aspekten - nicht nur in der Frage der Abwehr eingetretener Schäden zu sehen, sondern es ist notwendig - da knüpfe ich bei meiner Fraktionskollegin Liesel Hartenstein an - dies in eine aktive Chemiepolitik umzusetzen, die von vornherein versucht, Schäden gar nicht erst eintreten zu lassen. Es gibt nicht nur den Handlungsbedarf, den wir insbesondere mit dem Chemikaliengesetz - § 17 - in bezug auf die Altlasten aufgezeigt haben. Es gibt noch sehr viel mehr eine Verpflichtung zu einer aktiven Chemiepolitik, die von vornherein Gefährdungen gar nicht erst zuläßt. Ich glaube, daß es deshalb notwendig ist, daß wir zu einer Überprüfung chemischer Produkte und chemischer Produktionsverfahren kommen, sowohl im Hinblick auf die Gefahren der Produkte selbst, auf die Nebenprodukte und besonders auch im Hinblick auf den Abfall, und daß wir noch stärker dahin kommmen, daß die Notwendigkeit des Gebrauchs schädlicher Stoffe von vornherein nicht nur eingegrenzt, sondern generell beseitigt wird. Ich stelle fest, daß die chemische Industrie zu dieser Politik nicht in der Lage ist. ({9}) Wir stellen das im übrigen auch bei Böhringer fest. Ich bin nicht sicher, was da passiert. Sie haben eine freiwillige Vereinbarung dargelegt, die meines Erachtens sehr viele Hintertüren öffnet. Viele Fragen sind nicht nur offen, sondern meines Erachtens lassen sie die Vermutung aufkommen, daß beispielsweise über den Weg der Importe und über verschiedene Nebenprodukte diese Problematik fortgesetzt bestehen bleibt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Verehrter Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sofort; letzter Satz. Das Chemikaliengesetz ist seit 1981 gültig. Handeln Sie!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ihre Redezeit ist ab sofort zu Ende. - Danke schön. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, das zur Debatte steht, verdient selbstverständlich die Aufmerksamkeit und die Diskussion. Ich glaube, die Art, wie es auf die Tagesordnung gesetzt worden ist und wie es hier diskutiert wird, verdient zunächst einmal, daß man sich mit der Art der Diskussion auseinandersetzt. Herr Kollege Duve, Sie können sich selbstverständlich - das ist sehr verdienstvoll - um Ihre Hamburger Probleme kümmern. Geben Sie aber Ihren Hamburger Kollegen Ratschläge, wie sie mit Deponien zurecht kommen, ({0}) die Sie früher groß gelobt und die Sie selber groß herausgestellt haben. Geben Sie bitte dort Ratschläge, und versuchen Sie nicht, das zu einem Thema der Bundespolitik und dieser Bundesregierung hochzustilisieren. ({1}) Herr Duve, wir verharmlosen keineswegs die Altlastenproblematik. Wir wissen, daß es von den vielen Deponien aus früherer Zeit - 30 000 bis 50 000 - vielleicht noch ein- bis zweitausend gibt, die als problematisch anzusehen sind. Wir sehen dieses Problem. Diese Deponien sind im übrigen auch bekannt, längst auf irgendwelchen Atlanten eingezeichnet worden. Wir sehen dieses Problem, und wir arbeiten auch an diesem Problem. Herr Duve, es ist ja keine Besonderheit, daß Sie in dieser Art diskutieren. Es ist auch nicht aktuell, genausowenig wie es aktuell ist, daß die GRÜNEN zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde beantragen. ({2}) Weder diese Stunde ist aktuell noch das Thema und der Stoff, mit dem wir uns zu befassen haben. ({3}) - Herr Kollege Fischer, die Dramaturgie ist ja bei Ihnen immer dieselbe: Während der Woche wird mit Hilfe dienstbereiter Medien ein Thema aufgekocht, am Freitag wird es dann aufbereitet und gar gekocht, am Samstag und Sonntag wird es dann der staunenden Bevölkerung noch einmal präsentiert. ({4}) - Die Bezeichnung der „Suppe" ist vorhin schon genannt worden. Der Stoff des Dramas muß natürlich Gift sein. Das ist in vielen Romanen aufbereitet. Manche haben sich damit umgebracht, manche haben damit viele Probleme gelöst. ({5}) Herr Kollege Fischer, es muß natürlich Gift sein. Wenn Gift nicht ausreicht, dann muß natürlich noch etwas geheim gehalten worden sein. ({6}) Das Geheimnis gehört selbstverständlich dazu. Gift allein reicht nicht. Meine Kollegen von den GRÜNEN, Sie haben viele fleißige und tüchtige Mitarbeiter. Die einen kümmern sich darum, was die Medien interessiert, die anderen lesen sehr sorgfältig interessante Fragen, interessante Antworten, interessante Themen. Die lesen sie und bereiten sie Ihnen sicherlich auf. Aber Sie sollten vielleicht einmal darangehen und sich das ansehen, statt das Thema herzunehmen und darüber Fragen zu formulieren und Stoff für Aktuelle Stunden im Bundestag zu gewinnen. Ich meine, daß man von Ihnen verlangen könnte, daß Sie etwas in den Fällen, in denen Sie das nachlesen können, auch wirklich nachlesen und nicht so tun, als hätte Ihnen irgend jemand etwas verheimlicht. Ich muß sagen: Wenn wirklich auf einen Bericht versehentlich der Stempel „Vertraulich" geraten sein sollte, dann ist das doch für Sie wahrlich kein Hindernis. Ich glaube, daß Sie dann gerade erst recht zugreifen, um an solche Berichte zu kommen. ({7}) Niemand bestreitet doch, daß hier Handlungsbedarf besteht. ({8}) Wir brauchen dies auch nicht zu bestreiten, weil die Schritte, die wir zur Lösung dieses Problems bereits eingeleitet haben, uns helfen werden, dieses Problem und das der Altlasten tatsächlich zu lösen. ({9}) Es ist nicht zu bestreiten, daß wir, wenn etwas getan werden mußte, bereits gehandelt und die notwendigen Schritte eingeleitet haben. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das Bodenschutzprogramm der Bundesregierung. Damit hat die Bundesregierung ein Thema aufgegriffen, nämlich den Boden als die natürliche Lebensgrundlage von Natur und Mensch, obwohl der Boden noch nicht so mediensichtbar geschädigt ist. Hier hat die Bundesregierung gesehen, daß durch Anreicherungen und durch Ablagerungen im Boden langfristig Schäden entstehen können, und sie hat gehandelt. ({10}) Sie hat alle Maßnahmen, die bisher ergriffen worden sind, noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Sie hat angemerkt, wo noch Untersuchungs- und Forschungsbedarf besteht, und hat angekündigt, daß sie in diese Richtung marschieren wird. In diesem Zusammenhang taucht noch ein Thema auf, das Ihnen auch mediengerecht zustatten kommt, und zwar betrifft das die Tatsache, daß wir in den letzten Jahren die Methoden der Analyse und der Messungen verschärft haben und dadurch jetzt mehr als früher wissen. ({11})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde ist durch die Pressemitteilungen über Dioxinrückstände in Müllverbrennungsanlagen ausgelöst worden. Mülldeponien, Sondermülldeponien und Müllverbrennungsanlagen existieren, seit unsere Wachstums-, Wohlstands- und Industriegesellschaft Müll verschiedenster Art und Gefährlichkeit produziert. Der gefährlichste aller Stoffe, das „Gift der Gifte", nämlich das Ultragift Dioxin liegt vor unserer Haustür, weil wir alle Stoffe und Materialien produzieren und benutzen, deren Verbrennung oder Zersetzung auch Spuren dieses Giftes hinterläßt. Das Gift ist da; übrigens, Herr Spranger, bereits Mitte der 70er Jahre erkannt. Die öffentliche Meinung ist empört, und des Bundestag hält seine Aktuelle Stunde. Dabei liegt das Grundproblem unserer heutigen Debatte weniger in der Gefährlichkeit des einen oder anderen Giftes, sondern in der Art und Weise, in der wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen mit immer mehr und immer höheren Hypotheken belasten. Denn über zwei Feststellungen wird es keine Differenzen geben: Erstens. Es gibt keine Müllentsorgung, sondern nur eine Müllbeseitigung; mit dem Beiseiteschaffen von Müll, in welcher Form auch immer, sind wir die Folgen dieser Beseitigung nicht los. Früher oder später bei der Verbrennung oder Deponierung werden wir unmittelbar an das Beiseitegeschaffte erinnert. Zweitens. Die einzige sichere, umweltfreundliche, schadlose Beseitigung von Müll ist die, keinen zu produzieren, ({0}) und die, zumindest die Produktion solcher Stoffe zu vermeiden, deren Rückstände wir in keinen Kreislauf bringen können, die liegenbleiben müssen und uns - wie im Falle Dioxin - lebensgefährlich bedrohen. Doch wer das will, meine Damen und Herren, muß auch bereit sein, in eine vorindustrielle Gesellschaft zurückzukehren - eine Utopie, deren Erfüllung wir auch nicht abwarten können. Unsere Aufgabe ist es also, uns nach besten Kräften vor der selbstgeschaffenen Bedrohung zu schützen. Diese Erwartung haben die Menschen der Bundesrepublik an die gewählten Vertreter, die Behörden und all diejenigen, die mit ihren Steuergeldern für die Regelung und Sicherung ihrer Existenz bezahlt werden. Diese Erwartung wird - seien wir da offen - heute, 1984, von der Politik nicht erfüllt. Die Bürger erfahren davon, daß die zuständigen Behörden die Gesundheitsvorsorge nicht sehr gründlich anpacken. Besonders der Innenminister, sonst als Anpacker sehr imagegepflegt, hat in den vergangenen Monaten das Problem Dioxin noch nicht einmal mit Glacéhandschuhen angefaßt. Er hat es liegengelassen. Gut, daß der nordrhein-westfälische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten anläßlich der Grünen Woche in Berlin ist. Die sechs Monate alte Dioxin-Studie konnte er sich dann im Umweltbundesamt selber abholen. Matthiesen und Farthmann prüfen jetzt bis Dienstag kommender Woche Maßnahmen, die auf Grund der selbst besorgten Studie dringend getroffen werden müssen. Sie, Herr Innenminister, hätten in ähnlicher Schnelle handeln können und auch handeln müssen. Auf meine Anfrage vom Juli 1983 haben Sie mitgeteilt, daß Sie dem betroffenen Wirtschaftsverband bis Herbst 1983 Zeit gegeben hätten, ein Konzept zum Austausch PCB-gekühlter Transformatoren zu entwickeln. Die Wirtschaft hat im November 1983 eine Vorlage präsentiert, die allgemein, kaum verbindlich und unpräzise ist und noch nicht einmal einen Zeitplan enthält. Der Innenminister hat gehandelt: Er hat die Frist bis Mitte 1984 verlängert. Das Dioxin-Problem ist uns seit Mitte der 70er Jahre bekannt; spätestens seit 1983, Herr Innenminister, durch eine Studie Ihres eigenen Umweltbundesamtes. Ich frage Sie, Herr Innenminister: Warum haben Sie diese Studie des Umweltbundesamtes, wenn nicht - oder nur versehentlich - als Verschlußsache gekennzeichnet, dann doch als solche behandelt? Warum stufen Sie die wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Industrie, die ja offensichtlich für die lasche Handhabung Ihrer „Freiwilligen Selbstkontrolle" noch mit großzügiger Fristverlängerung belohnt wird, als höheres Gut ein als die Gesundheitsvorsorge für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland? ({1}) Oder machen Sie das Unternehmerrisiko bereits zu einem Konsumentenrisiko? Das ist die Frage. Oder sind Sie schon so weit, daß Sie frei nach Bernhard Worms, dem Landesvorsitzenden der CDU/CSU von Nordrhein-Westfalen, in den Schoß der Unternehmer hineinhorchen, um den Bürgern sagen zu können: das ist der Weg, der aus der Mitte des Dioxins führt? Warum haben die Länder nicht unmittelbar nach Kenntnisnahme der Studie informiert, um sie zu einer raschen Umrüstung und schärferen Kontrolle der Müllverbrennungsanlagen zu veranlassen? ({2}) Warum haben Sie die weitgehende Ermächtigung des Chemikaliengesetzes nicht genutzt, um besonders gefährliche chemische Produkte zu verbieten oder deren Herstellung mit hohen Auflagen zu versehen? Die Antworten erwarten wir heute von Ihnen, obwohl sie kein Ersatz für versäumte Politik sind. Herr Innenminister, ich hätte mir gewünscht, daß Sie die Energie, die Sie in Anweisungen an die deutschen Filmregisseure gesteckt haben, für die Vorgaben an die Regisseure der deutschen Wirtschaft verwendet hätten. - Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man ist schon starr vor Staunen. Da reden wir über polychlorierte Biphenyle, über - wie heißt das; man muß das vorlesen; ({0}) ja, nicht verzagen, Boroffka fragen - Dibenzodioxine, Dibenzofurane. Ich wußte gar nicht, was für gewaltige Fachleute wir zu diesem Thema hier haben. Der Gipfel, lieber Kollege Müller aus Düsseldorf, ist wirklich das, was Sie geboten haben. ({1}) Sie fordern eine aktive Chemiepolitik. Die Welt hat doch nicht erst zu dem Zeitpunkt angefangen, zu dem Sie in den Deutschen Bundestag eingezogen sind. ({2}) Das muß man doch einmal sagen. Was wird denn seit langem gemacht? Was ist denn das Bundesimmissionsschutzgesetz, was ist denn das Chemikaliengesetz, was sind denn die komplizierten Regelungen über die Abfallbeseitigung und viele andere Regelungen - die Diskussion über die Dünnsäureverklappung; ich hoffe, daß Sie die chemische Formel dafür auch im Kopf haben - anders als jahrelang betriebene aktive Chemikalien- und Umweltpolitik? ({3}) Da müssen wir nun wirklich sagen: Das ist doch nicht etwas, was wir heute erst entdecken. Das ist ein Anliegen dieses Hauses, seitdem wir wissen, daß bis Anfang der 70er Jahre mit fröhlicher Unschuld alles mögliche Zeug abgekippt wurde. ({4}) Das kriegen wir nicht aus der Erde, wenn wir dauernd mit hohlen Augen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und erstaunt sind, was da alles liegt. Es gibt ja nicht nur ein Hamburg. Es wird viele Hamburgs geben. Bei Hamburg staune ich in der Tat, daß der dortige Senat - das gilt auch für den vorhergehenden - aus den bekanntgewordenen Skandalen offenbar zu wenige Konsequenzen gezogen hat, ({5}) daß immer noch abgekippt worden ist, während die Untersuchungsausschüsse schon liefen. Das muß man ja auch einmal sagen. ({6}) - Lieber Herr Kollege Duve, stehlen Sie mir doch nicht die Zeit mit Dingen, die wir beide kennen. - Da wird davon geredet, daß in Nordrhein-Westfalen das Dioxin in Kilogrammengen in die Luft geblasen wird. Das Umweltbundesamt hingegen sagt, daß es von allen Müllverbrennungsanlagen in der Bundesrepublik jährlich 1 bis 5 g sind. Das mag bedauerlich sein, aber man muß doch die Dimensionen dieser Probleme richtig im Kopf behalten, wenn man sie sachgerecht behandeln will. ({7}) Das eine Problem ist also das der Altlast. Ich nehme an, daß wir darüber in der nächsten Woche in größerer Ruhe und Ausführlichkeit reden können. Wir haben ja bezüglich der Behandlung der Sonderabfälle eine Anfrage eingebracht. Die Antwort liegt vor. In der Tat liegt das Problem nicht nur darin, was man mit dem Zeug macht, wenn es entstanden ist, sondern was man tun kann und muß, um zu verhindern, daß die Menge dieser Sonderabfälle geradezu logarithmisch ansteigt. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist die Frage, ob wir mehr als bisher die Verwendung - nicht nur die Einfuhr - bestimmter chemischer Stoffe verhindern müssen. Dazu liegt auch genug Papier auf dem Tisch, beispielsweise die Entschließung des Bundesrates vom 16. Dezember des vergangenen Jahres, nämlich diesbezüglich die Möglichkeiten von § 17 des Chemikaliengesetzes anzuwenden. Das ist in der Tat ein Punkt, über den wir ernsthaft reden müssen, um zu verhindern, daß dieses Zeug, das in den Transformatoren heute noch in vielen Tonnen verwendet wird, endlich aus dem Verkehr gezogen wird. Ich kann also nicht sehen, daß in dieser Aktuellen Stunde ungeheure neue Erkenntnisse zum erstenmal auf den Tisch des Hauses gekommen sind, weder politische noch wissenschaftliche Erkenntnisse; eben auch keine politischen. Ich habe den Eindruck, daß wir doch alle gemeinsam der Überzeugung sind, daß die Verwendung dieser beachtlichen Umweltgifte verhindert werden muß und daß wir gemeinsam mehr tun müssen, um die Altlast, die in den letzten Jahren immer deutlicher in unser Bewußtsein gedrungen ist, zu beseitigen. Da sehe ich keine Veranlassung zu einer gegenseitigen Beschimpfung, sondern höchstens einen Anlaß, uns gegenseitig anzuspornen, das zu tun. Danke. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauermilch.

Walter Sauermilch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001923, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde wurde von uns nicht nur deshalb verlangt, weil die neuesten Informationen zeigen, daß immer mehr Umweltskandale die Menschen verunsichern, aufregen und krank machen, ohne daß Nennenswertes dagegen geschieht. Es geht uns darum, die Anreicherungsfähigkeit, die unvorstellbare Giftigkeit und die beängstigende Stabilität dieser hier angeprangerten Stoffe bewußt zu machen und daraus Konsequenzen zu ziehen. ({0}) Wie ohnmächtig wir gegenüber der Langlebigkeit und der Giftigkeit selbst winzigster Mengen sind, erleben wir ja schließlich täglich. Es ist schon bemerkenswert, wie hilflos, technokratisch, bürokratisch und industriefreundlich auch hier in diesem Hohen Hause mit den Spitzen dieses toxischen Eisbergs umgegangen wird. ({1}) Die CDU/CSU verteilt Beruhigungspillen nach dem Rezept des Dr. Tunix und macht erste Übungen im Fach „Verbalökologie", und das auch noch sehr arrogant vorgetragen, Herr Boroffka. ({2}) Da kann man nur sagen: Kommt Zeit, kommt Gift. ({3}) Wie lange wollen wir noch diesen Teufelskreis aus chemischer und biologisch-genetischer Verantwortungslosigkeit hinnehmen? In den 60er Jahren wurden zum erstenmal die Gefahren eines Anreicherungsgiftes, nämlich des DDT, deutlich. Der Erlaß des DDT-Gesetzes 1972 und seine Verschärfung 1974 haben es aber nicht verhindern können, daß heute dieses Gift noch immer weit verbreitet ist. Fast alle Nahrungsmittel enthalten heute DDT und seine Umwandlungsprodukte. Dann kamen die PCBs. Man findet sie inzwischen im Eis der Antarktis und in den Tiefseefischen und neben dem DDT auch in der Muttermilch. Die Bundesregierung konnte sich bisher nicht zu einem Verbot durchringen, mit dem Scheinargument: Ein Verbot ist deshalb nicht nötig - das wurde auch hier heute wieder vorgetragen -, weil der einzige PCB-Hersteller seine Produktion eingestellt hat. Es ist aber spätestens seit den EPA-Ermittlungen erwiesen, daß dieses Gift bei vielen. chemischen Produktionsprozessen als Nebenprodukt auf unsere Umwelt losgelassen wird. Die Bundesregierung brauchte übrigens ein halbes Jahr, um unsere Große PCB-Anfrage zu beantworten; das ist eine Schande. ({4}) Die Bundesregierung pflegt eine Grenzwert- und Nachsorgephilosophie. Grenzwerte greifen deshalb nicht, weil sie nicht wissenschaftlich, sondern nach Pferdehändlerart zwischen Industrie, Administration und Regierung ausgehandelt werden. ({5}) Dazu kann ich auch ein Beispiel anführen. Der vom Bundesgesundheitsamt festgesetzte Grenzwert für HCB in Lebensmitteln wurde wiederaufgehoben, nachdem ruchbar wurde, daß viele Lebensmittel diesen Wert weit überschreiten. Ein neuer Grenzwert wurde übrigens bis heute nicht festgesetzt. Das Nachsorgeprinzip des reaktiven Umweltschutzes dieser Regierung kann deshalb nicht greifen, weil ein Gift, das sich in der geschilderten Weise in der gesamten Umwelt etabliert hat, einfach nicht mehr entsorgt, wie das so schön heißt, werden kann. Man reagiert erst, wenn es zu spät ist. Unsere Forderung: Für Anreicherungsgifte brauchen wir ein gesetzliches Instrument nach dem Prinzip der Vorsorge. Wenn sich ein Stoff akkumuliert, ist er zu verbieten. Das Verbot muß sich auch auf Nebenprodukte und Verunreinigungen bei der chemischen Produktion beziehen sowie auf die Anwendung, den Import und den Export. Der Bau von Müllverbrennungsanlagen muß eingestellt werden; denn durch die Verbrennung entsteht eine Vielzahl von Anreicherungsgiften. Die vorhandenen Anlagen sind strengen Auflagen zu unterwerfen, um den Ausstoß zu reduzieren. Forschung und Technologie sind auf diesem Gebiet massiv zu fördern. Sämtliche Altlasten sind in einem Kataster zu erfassen und Konzepte zur Bewältigung dieses Problems eigener Art, das wir uns ja schließlich selbst geschaffen haben, auf dem schnellsten Wege zu fördern, zu entwickeln und zu realisieren. Sonst ergeht es uns morgen so wie heute dem sterbenden Wald. Ich danke. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({0}).

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde über die chlorierten Kohlenwasserstoffe, für die bestimmt kein aktueller Anlaß besteht, soll uns aber die Gelegenheit geben, die kleinen und die großen Fische voneinander zu trennen. Eine Vorbemerkung zu dem Begriff Gift. Als Arzt wende ich tagtäglich Stoffe in der Medizin an, die in einer bestimmten Dosis lebensrettend sind und in einer erhöhten Dosis tödlich wirken. ({0}) Deshalb müssen die Begriffe sauber auseinandergehalten werden. ({1}) - Gewiß - meine Damen und Herren, das Schreien hilft nicht - können diese Stoffe, über die wir hier reden, giftartig wirken, in bestimmter Konzentration über die Nahrung, über Wasser und Luft bei Mensch und Tier Schädigungen verursachen. Gewiß ist aber genauso, daß bisher diese Schädigungen nur dort eintraten, wo Unfälle oder unsachgemäße Behandlung vorhanden waren. ({2}) Am bekanntesten in dieser Stoffgruppe ist das „Seveso-Gift" bei dem Unfall vor vier Jahren in Oberitalien geworden. Es hat Hautveränderungen gemacht, leichte Leberschädigungen, reversible Muskel- und Nervenreaktionen. Beim Tier sind Veränderungen am Immunsystem, Fehlbildungen bei Embryonen vorhanden, es besteht aber auch der Verdacht auf Krebsauslösung. Diese Stoffe sind sehr beständig. Deshalb werden sie in der Technik genutzt. Der Nachteil ist aber deswegen gegeben, weil sie die Natur nicht oder nur sehr, sehr langsam abbaut. Bei Unfällen und unsachgemäßer Behandlung kann es daher zu diesen Schädigungen kommen. Hier aber, meine Damen und Herren, sind wir sehr auf Hypothesen, Vermutungen und Tierversuche angewiesen - das sage ich zu den Leuten, die die Tierversuche abschaffen wollen -; wir sind angewiesen auf viel mehr gesichertes Wissen. Das haben alle Redner in diesem Hause heute bestätigt. Das enthebt uns aber nicht der Pflicht, dafür zu sorgen, daß Schädigungen nicht eintreten. Gerade das hat - wenn Sie aufmerksam zugehört hätten, Herr Müller und auch Herr Lennartz, hätten Sie das gehört - die Bundesregierung hier bereits gesagt und getan. In der kurzen Zeit, in der sie im Amt ist, war sie hier schon wesentlich aktiver als frühere Regierungen. Inzwischen sind wir so weit, daß durch Vereinbarungen in der Industrie auf freiwilliger Basis die Produktion des wichtigsten dieser Stoffe, des polychlorierten Biphenyl, in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr aufgegeben wurde. Die Technik hat uns vor kurzem die Gelegenheit gegeben, hier Ersatzstoffe einzusetzen. Diese Ersatzstoffe sollten wir bald in die Transformatoren, in die Hydrauliklösungen einbringen. Daß diese Stoffe heute so oft in den Zeitungen erwähnt werden, liegt doch hauptsächlich daran, Dr. Becker ({3}) daß unsere Analysemethoden so verfeinert worden sind. ({4}) Innerhalb von zehn Jahren haben wir gelernt, Stoffe noch in der 2 000fachen Verdünnung gegenüber früheren Methoden nachzuweisen. Deshalb tauchen diese Meldungen auf. Diese Tatsache darf aber nicht dazu führen, daß diese Meldungen, oft mit tausendfach falschen Zahlen dargestellt, Verunsicherung und Angstmacherei auslösen. ({5}) Bei uns besteht gewiß die Absicht, den Handlungsbedarf, der vorliegt, den niemand leugnet, sobald wie möglich auszuloten und ihm gerecht zu werden. Meine Damen und Herren, wir kommen in der Umweltpolitik durch Verunsicherungen, durch Verängstigungen nicht weiter, sondern nur durch Erarbeitung von Wissen, sachgerechter Aufklärung und Durchsetzung wirksamer Gegenmaßnahmen. Dafür sollten wir alle gemeinsam eintreten. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Dr. Martiny-Glotz.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „giftgrüne Horror-show", von der Herr Boroffka gesprochen hat, war für mich heute nicht giftgrün, sie hat nämlich schon mit der Zeitungslektüre beim Frühstück begonnen, als ich zur Kenntnis nahm, daß das Bundesgesundheitsamt nun endlich 65 Rheuma- und Schmerzmittel verboten hat. Dies ist ein weiterer Skandal, kein Umweltskandal, aber ein Gesundheitsskandal, der sich über Monate hinzieht. ({0}) Täglich erleben wir neue Horrormeldungen dieser Art. ({1}) Unser Problem ist doch nicht, ob wir uns morgens um 8 Uhr oder um 9 Uhr oder abends um 10 Uhr in Sachen Umwelt zusammensetzen, um eine gemeinsame Linie zu finden, sondern unser gemeinsames Problem ist doch: Wie können wir es eigentlich erreichen, daß wir rechtzeitig, gründlich, wahrhaftig, nicht beschönigend, nicht verharmlosend über die Gesundheitsgefährdung informiert werden, die von Chemikalien ausgeht? ({2}) Der Skandal ist doch auch nicht das, was im „Stern", im „Spiegel", in der „WAZ" oder wo immer, auch in Broschüren der Verbraucherzentralen, an Berichten über Chemikalien steht, ({3}) sondern der eigentliche Skandal ist doch, daß die Informationspolitik der Chemieindustrie, ihrer Verbände und auch der Bundesregierung immer hinter den Skandalen herhinkt, von denen tagtäglich in den Zeitungen zu lesen ist. ({4}) Wenn Sie, Herr Baum, vom Vollzugsdefizit gesprochen haben, ist das absolut richtig. Aber der Vollzug hätte doch sicherlich schon damit beginnen müssen, daß der Bericht des Umweltbundesamtes über Dioxin vom Mai 1983 umgehend veröffentlicht und mit den Ländern diskutiert wird, um daraus ein Handlungskonzept herzuleiten. ({5}) Der Vollzug beginnt doch sicherlich auch damit, daß man mit einer Antwort auf eine Große Anfrage der GRÜNEN, die im August veröffentlicht worden ist, nicht bis zum Februar wartet, sondern sie umgehend formuliert. ({6}) - Die Kleine Anfrage! Jetzt reden Sie doch nicht immer dazwischen, Sie Hampelmann. ({7}) Ich war vor zwei Jahren in den Vereinigten Staaten und habe mir angeguckt, wie die Deregulierungspolitik der Regierung Reagan sich im Umweltbereich ausgewirkt hat. Ich dachte, dies ist, was die Mülldeponien angeht, wirklich das Allerletzte, der allergrößte Skandal, den man sich überhaupt denken kann. Heute weiß ich: Wir hinken weit hinter dem her, was damals in den Vereinigten Staaten vorlag. Die hatten wenigstens schon ein Kataster über sämtliche besonders gefährlichen wilden Müllkippen in dem ganzen riesigen Land. Wir haben nicht einmal dieses. Dann nützt ein Hinweis darauf, daß etwas in Hamburg, im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen gefunden wurde, während in Bayern löblicherweise bisher noch nichts gefunden worden ist, überhaupt nichts; denn wir sitzen alle im selben Boot und müssen sehen, daß wir so schnell wie möglich die wilden Deponien, von denen Gesundheitsgefährdungen ausgehen können, im ganzen Bundesgebiet finden, feststellen, wer dafür verantwortlich ist, ein Umlagefinanzierungssystem entwickeln, um sie zu beseitigen, und dafür sorgen, daß in Zukunft weniger Müll produziert wird. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. ({0}) Ich rufe die Punkte 15a und 15b der Tagesordnung auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wischnewski, Herterich, Bindig, Vizepräsident Frau Renger Dr. Holtz, Voigt ({1}) und der Fraktion der SPD Lage in Mittelamerika - Drucksachen 10/279, 10/922 - b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Entwicklungsprogramm Karibik und Zentralamerika - Drucksache 10/239 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({2}) Auswärtiger Ausschuß Zum Punkt 15 a der Tagesordnung liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/927 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 15a, 15b und Entschließungsantrag und eine Zeit von vier Stunden vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 2. August des vergangenen Jahres hatte die SPD-Fraktion zur Lage in Mittelamerika eine Große Anfrage eingebracht. Diese Große Anfrage ist erst an diesem Mittwoch durch die Bundesregierung beantwortet worden, wenn ich das der Presse von heute richtig entnehme, bei einem so wichtigen Thema mit einer Tischvorlage in Abwesenheit des Bundeskanzlers, in Abwesenheit des Vizekanzlers und Außenministers. Welche Auseinandersetzung es bei dieser Gelegenheit gegeben hat, ist auch heute sehr deutlich in der Tagespresse nachzulesen. ({0}) Damals hat uns die Bundesregierung mitgeteilt, sie bitte um Verständnis dafür, daß sie erst die Botschafterkonferenz in San José abwarten wolle, bevor sie die Große Anfrage beantwortet. Die Botschafterkonferenz von San José liegt in der Zwischenzeit vier Monate zurück. Auch in diesen vier Monaten war es nicht möglich, die Antwort auf die Große Anfrage zu gewähren. Zentralamerika ist einer der gefährlichsten Krisenpunkte in der Welt. Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nehmen daran in ganz besonderem Maß Anteil. Da wir den Fleiß der Beamten des Auswärtigen Amts sehr gut kennen, wußten wir natürlich von Anfang an, daß die Nichtbeantwortung über viele Monate kein Problem des Fleißes der Beamten des Auswärtigen Amts ist. Das gilt übrigens auch für den Bundesaußenminister, bei dem natürlich überhaupt niemand auf die Idee käme, seinen Fleiß in Zweifel zu ziehen. Wenn wir die Große Anfrage zu Zentralamerika nicht ohne das Vorliegen der Antwort der Bundesregierung auf die Tagesordnung des Hauses hätten setzen lassen, wäre sie mit Sicherheit bis heute nicht beantwortet. ({1}) Denn Zentralamerika gehört zu den drei Punkten der auswärtigen Politik, in denen der Vorsitzende der CSU und bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, sehr laut und deutlich Korrekturen der Politik verlangt und, wie die Beantwortung dieser Frage zeigt, sich offensichtlich auch weitgehend durchgesetzt hat. Von diesen drei Punkten ist der erste Punkt das südliche Afrika. Sie werden sich alle daran erinnern können, daß es in dieser Frage nach der Beantwortung sehr unterschiedliche Stellungnahmen aus der Koalition gegeben hat, wer welchen Einfluß auf die Beantwortung genommen hat. Jetzt haben wir es mit Zentralamerika zu tun. Da hat es sechs Monate lang keine Beantwortung gegeben. ({2}) Nach diesen sechs Monaten hat es dann offensichtlich harte Auseinandersetzungen um eine Vielzahl von Formulierungen gegeben. Es bleibt dann noch das Problem des Nahen Ostens. Die Fragen in bezug auf den Nahen Osten werden wir an den Herrn Bundeskanzler dann stellen, wenn er aus Israel zurück ist, um festzustellen, welche Differenzen es in diesem Bereich gibt. Die Bundesregierung muß selbst wissen, ob es im Interesse unseres Landes ist, wenn die Regierungskoalition hinsichtlich der drei gefährlichsten Krisenpunkte der Welt unterschiedlicher Auffassung ist. Es ist natürlich das gute Recht der Koalition, gerade in diesen drei Punkten unterschiedlicher Auffassung zu sein. Aber es ist die Pflicht der Opposition, das hier im Parlament auch in aller Deutlichkeit aufzuzeigen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Zentralamerika. Am 16. Juni des vergangenen Jahres hat der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages eine ausführliche Aussprache zu Zentralamerika gehabt. Es hat da erfreulicherweise viel Übereinstimmung geben können - nicht in allen Punkten, aber wie gesagt, viel Übereinstimmung. Aber danach hat die Bundesregierung ihre Politik gegenüber Zentralamerika entscheidend geändert; die Antworten auf die Große Anfrage zeigen das ganz klar und eindeutig. Die Nicaragua gemachten Zusagen betreffend unserer Entwicklungshilfe werden nicht realisiert. El Salvador wurden vorher wegen des Krieges und auch wegen der ständigen Morde durch die Todesschwadronen keine Zusagen gegeben; dies ist geändert worden. Trotz des Krieges und trotz der täglichen Morde hat die Bundesregierung hier nun Zusagen gemacht. Diese Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat mit Kontinuität nicht das geringste zu tun. Das, was wir erleben, ist die Umkehr der bisherigen Politik. Deshalb ist es notwendig, daß über diese Fragen im Deutschen Bundestag geredet wird. Lassen Sie mich zu den einzelnen Antworten einige wenige Bemerkungen machen. Meine Kolleginnen und meine Kollegen, die nach mir sprechen, werden das durch weitere Punkte ergänzen. Zu 1: Hier gibt es eine völlig einseitige Darstellung der Situation in Nicaragua. Der Tageszeitung entnehme ich, daß insbesondere am Mittwoch mit der Tischvorlage in der Kabinettssitzung noch entscheidende Veränderungen, Verschlechterungen in dieser Hinsicht erfolgt sind. Da wird nur Negatives aufgeführt. Da wird kein einziges Wort darüber gesagt, daß das Land von Somozisten - leider auch mit Unterstützung der Vereinigten Staaten - aus dem Norden, aus Honduras angegriffen wird. Kein einziges Wort über den begonnenen Prozeß der demokratischen Öffnung in diesem Lande! ({3}) Diese einseitige Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Was wir unter Ziffer 3 lesen, ist blanker Hohn. Dort heißt es wörtlich: „Wie anderswo lehnt sie", nämlich die Bundesregierung, „auch hier Wirtschaftssanktionen grundsätzlich ab". Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich einem Staat eine Zusage gegeben habe, mit der er fest rechnen kann, und diese Zusage dann aus politischen Gründen, um Pressionen auszuüben, nicht einhalte, was ist denn das anderes als eine Sanktion? Das heißt, Ihre Antwort in dieser Frage entspricht überhaupt nicht den Tatsachen. Herr Bundesaußenminister, ich muß Sie folgendes fragen: Welches andere europäische Land verhält sich in dieser Frage genauso wie die Bundesrepublik Deutschland? Ich kann Ihnen nach genauer Überprüfung jetzt die Antwort geben: Kein einziges anderes Land innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nimmt in dieser Frage die gleiche Haltung wie die Bundesrepublik ein. Andere, bei denen Sie auf Zusammenarbeit besonderen Wert legen, haben eine andere Haltung. Zum Beispiel hat sich Frankreich erst vor ganz kurzer Zeit darum bemüht, ({4}) zusätzliche Hilfszusagen an Nicaragua zu machen. ({5}) In Ihrer Antwort zu 4. und 5. erwähnen Sie u. a. auch den Besuch des Innenministers von Nicaragua, von Tomás Borge in der Bundesrepublik. Der Innenminister von Nicaragua hat bei seiner Europareise Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland, die Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland besucht. Eine Reihe dieser Staaten, die ich soeben genannt habe, haben ihm zusätzliche Unterstützung zugesagt. Nach seiner Rückkehr hat er erklärt, nur in einem einzigen Land sei er beleidigt worden. ({6}) Dieses sei die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Das, was der Bundesminister Geißler ihm gesagt habe, sei für ihn aufs tiefste beleidigend gewesen. Es wäre besser gewesen, Sie hätten diesen Besuch nicht erwähnt. ({7}) - Ich komme auf die Frage noch zurück, keine Sorge, meine sehr verehrten Kollegen. In Zentralamerika hat es in der letzten Zeit eine Reihe von entscheidenden Bewegungen gegeben. Ich denke insbesondere an das, was die ContadoraGruppe erreicht hat. Die Contadora-Gruppe hat unter schwierigen Umständen nach vielen Verhandlungen ein Ergebnis erzielt, und dieses Ergebnis wird nicht nur von den vier Contadora-Staaten getragen, also nicht nur von Mexiko, von Kolumbien, von Venezuela und von Panama, sondern auch von den fünf betroffenen Staaten in Zentralamerika selbst, von Guatemala, Honduras, El Salvador, Costa Rica und selbstverständlich auch von Nicaragua. Alle fünf Außenminister, wenn Sie so wollen, von Fidel Chávez Mena bis zum Außenminister von Nicaragua, haben ihre Unterschrift daruntergesetzt. Dieses ist ein ganz großer Schritt nach vorn. Lassen Sie mich bitte wegen der Bedeutung die wichtigsten Prinzipien hier im Hause nennen. Man hat vereinbart: eine Reduzierung der militärischen Einrichtungen, eine Reduzierung der ausländischen Militärberater, und zwar auf allen Seiten, eine Beendigung der Unterstützung von irregulären Kräften, die gegen andere Staaten arbeiten. Man hat vereinbart: die nationale Wiederversöhnung auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie, die Wahrung der Menschenrechte, die Vorbereitung von Wahlen mit Parteien, wie es wörtlich heißt, die alle Kreise berücksichtigen, ein Hilfsprogramm für die Flüchtlinge in Zentralamerika, gemeinsame Investitionsprogramme über die Grenzen hinaus und die Schaffung gerechterer sozioökonomischer Strukturen. Am Montag der nächsten Woche werden die Arbeitsgruppen der fünf Staaten zusammentreten, um mit der schwierigen praktischen Realisierung der Prinzipien von Contadora zu beginnen. Wir halten das für einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn. ({8}) Ich glaube, wir alle können diese Ziele unterstützen. Jetzt kommt es darauf an, festzustellen, welchen Beitrag die Bundesregierung leisten wird, um mitzuhelfen, Contadora umsetzen zu können. Denn unbestritten ist selbstverständlich: Ohne Hilfe von außen wird das nicht funktionieren. ({9}) Die Stuttgarter Erklärung des Europäischen Rates hat Contadora unterstützt. Wir haben das damals ausdrücklich begrüßt. Geschehen ist bisher nichts. Wir haben auch nicht den Eindruck, daß in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit in diesem Zusammenhang etwas geschehen ist. ({10}) Contadora ist das Wort für Frieden in Zentralamerika. In Zentralamerika ist der Frieden aufs tiefste gefährdet. Wir erwarten deshalb, daß die Bundesregierung den sicher noch sehr schwierigen Weg politisch und ökonomisch unterstützt. ({11}) Hier gibt es jetzt die Chance, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur über den Frieden in Zentralamerika zu reden, sondern aktiv etwas für den Frieden in Zentralamerika zu tun. ({12}) Was tut die Bundesregierung in dieser Stunde? ({13}) - Das ginge ja beinahe noch. Aber sie tut genau das Gegenteil: Sie sperrt Nicaragua von der Hilfe aus. ({14}) Deshalb ist die Politik der Bundesregierung gegenüber Zentralamerika mit den Prinzipien von Contadora nicht in Einklang zu bringen. ({15}) Denn selbstverständlich sehen diese Prinzipien vor, daß der gesamten Region gegenüber eine gemeinsame Haltung eingenommen wird und nicht so verfahren wird, wie es jetzt geschieht, daß die Bundesregierung Nicaragua gegenüber eine besonders negative Haltung einnimmt. ({16}) Die Politik der Bundesregierung in diesem Punkt ist eher eine Behinderung bei der Durchsetzung der Prinzipien von Contadora. Lassen Sie mich, da Sie auch in dieser Frage Ihre Politik geändert haben, ein Wort zu El Salvador sagen. In El Salvador ist immer noch Krieg. Der von uns gewünschte Dialog ist von beiden Seiten - von beiden Seiten - nicht mit dem notwendigen Willen zu einem Ergebnis geführt worden. ({17}) Die Regierung in El Salvador hatte von Anfang an schwache Leute ausgesucht, die den Dialog für die Regierungsseite führen sollten. Mehrere Regierungsmitglieder haben daraus auch nicht den geringsten Hehl gemacht. ({18}) - Ich habe mit ihm geredet. Ich gebe Ihnen zu: Unter den dreien ist er noch der stärkste; die beiden anderen sind ohne jeden politischen Einfluß im Lande. ({19}) Diejenigen, die in der Lage gewesen wären, einen wirklichen Dialog zustande zu bringen, waren daran nicht beteiligt. Im übrigen hätte ich es, wenn das für den Frieden von so entscheidender Bedeutung ist, für gut gehalten, wenn dann auch der Erzbischof beteiligt gewesen wäre, dem ich gerade in diesen Fragen bereit bin, ganz besonders viel Vertrauen entgegenzubringen, auch nach vielen persönlichen Gesprächen mit ihm. ({20}) Aber ich mache überhaupt gar keinen Hehl daraus, daß auch die andere Seite den Dialog überfordert hat. Ich muß leider sagen: Beide Seiten - wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht - haben dazu beigetragen, daß es nicht zu einem Ergebnis gekommen ist. Am 25. März sollen nun in El Salvador Wahlen stattfinden. Ein Präsident und ein Vizepräsident sollen gewählt werden. Zum Prozeß der Demokratisierung gehören in jedem Land der Welt selbstverständlich Wahlen. Wir haben immer gesagt, daß für uns zum Demokratisierungsprozeß Wahlen gehören. Dazu stehen wir auch heute. ({21}) - Darauf komme ich gleich noch. Aber es müssen wirklich freie Wahlen sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({22}) Jeder Wahlberechtigte muß die Möglichkeit haben, sich wirklich frei zu entscheiden. ({23}) In allen Regionen des Landes muß gewählt werden können. Jeder Wählbare muß ohne Angst um sein Leben kandidieren können. In diesem Land sind ja schon viele Kandidaten umgebracht worden, und zwar demokratische Kandidaten, verehrter Herr Kollege Marx. ({24}) Die gesamte Führung einer Partei ist in dem Lande umgebracht worden. Ich muß das in Erinnerung rufen. Jeder Wählbare muß die Chance haben, zu kandidieren. ({25}) - Lassen Sie mich den Gedanken in Ruhe zu Ende führen. Die Kissinger-Kommission - in Ihrem Bericht gibt es Dinge, die ich für positiv halte, und andere, die den militärischen Bereich betreffen, zu denen ich eine ganz kritische Haltung einnehme - hat zu den Wahlen in bezug auf El Salvador eine ganz eindeutige Aussage gemacht. Aber viel entscheidender ist das Contadora-Papier. Deshalb möchte ich zitieren, was dort als Voraussetzung für Wahlen genannt worden ist: Die Wahlgesetzgebung für die Durchführung von Wahlen muß in Kraft gesetzt oder geprüft werden, damit die wirksame Beteiligung des Volkes garantiert wird. Es müssen unabhängige Wahlgremien geschaffen werden, die zuverlässige Wahllisten aufstellen und die Unparteilichkeit und Demokratie des Wahlprozesses garantieren. Die Bestimmungen, die die Existenz und die Beteiligung politischer Parteien garantieren, die die Meinungen der verschiedenen Kreise repräsentieren, müssen verfügt oder, sofern durchführbar, auf den neuesten Stand gebracht werden. Ein Terminkalender für Wahlen muß erstellt, und es müssen Maßnahmen getroffen werden, die die Beteiligung der politischen Parteien auf gleichberechtigter Grundlage gewährleisten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die eigenen Entscheidungen nicht nur der Contadora-Staaten, sondern der fünf zentralamerikanischen Staaten. Dieses Papier hat auch Fidel Chávez Mena, der Außenminister von El Salvador, unterschrieben, übrigens - damit keine Mißverständnisse entstehen - selbstverständlich auch der Außenminister von Nicaragua. Deswegen müssen diese Grundsätze für El Salvador und für Nicaragua gelten. Dafür müssen wir uns einsetzen. ({26}) Bis zur Stunde - und bis zum 25. März ist es nicht mehr weit - sind diese Voraussetzungen in El Salvador in keinster Weise erfüllt. ({27}) Wir werden die Entwicklung deshalb mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, und wir werden uns an der Wahlbeobachtung beteiligen. Wir halten dies für eine entscheidende Frage. Wir wollen unser besonderes Interesse hier deutlich zum Ausdruck bringen. Damit keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich hier noch einmal unseren Respekt vor den demokratischen Bemühungen der Christdemokraten in El Salvador ausdrücklich zum Ausdruck bringen. Ich bin seit vielen Jahren im Gespräch mit den Christdemokraten in El Salvador. Ich habe deshalb, glaube ich, Anlaß, das hier so deutlich zu sagen. Wir werden uns darum bemühen, unseren Beitrag zu leisten, um die Zusammenarbeit von Demokraten - ich spreche von Demokraten - zu fördern. ({28}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn wir in diesem Geiste an die Regelung der Fragen, soweit sie uns betreffen, durch bestehende Kontakte herangingen. Aber ich sage hier eines in aller Eindeutigkeit: In einer Zeit, in der die Todesschwadronen täglich morden - Sie und wir wissen sehr genau, wer dahintersteckt; ({29}) wer es noch nicht wissen sollte, dem empfehle ich, sich das anzuschauen, was der Vizepräsident der Vereinigten Staaten der Regierung in El Salvador in diesem Zusammenhang übergeben hat -, ({30}) in einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten wegen der Tätigkeit dieser Todesschwadronen die Einstellung ihrer Hilfe androhen, ist es für uns unerträglich, daß die Bundesregierung gerade jetzt neue Hilfszusagen an El Salvador macht. ({31}) Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung heute - ich wiederhole: heute - eine klare Aussage, daß die Gewährung von Entwicklungshilfe an El Salvador solange nicht in Frage kommt, solange diese Todesschwadronen in El Salvador ihr menschenverachtendes Mordspiel treiben. Hierüber brauchen wir heute eine klare Aussage! ({32}) Noch eines: Sie haben beschlossen, wieder einen Botschafter nach El Salvador zu schicken. Der Botschafter ist damals aus Sicherheitsgründen abberufen worden. Sie beurteilen die Sicherheitslage heute also wesentlich günstiger. Ich darf die Bundesregierung zu diesem Mut ausdrücklich beglückwünschen. ({33}) Zu einer Zeit, in der täglich gemordet wird, gehört dazu in der Tat erheblicher Mut. Die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, denn Sie haben entschieden. Aber, Herr Bundesaußenminister, ich habe eine kleine Bitte: Vergessen Sie bitte nicht den Beamten des mittleren Dienstes, der dort unter schwierigsten Umständen viele Jahre lang mutterseelenallein seine Pflicht und Schuldigkeit für unser Land getan hat. ({34}) - Wenn Sie wie ich die Chance gehabt hätten, zu erleben, wie dieser Mann unter sehr schwierigen Umständen seine Pflicht und Schuldigkeit getan hat, dann würden Sie es, nachdem jetzt eine wesentliche Veränderung eintreten soll, für berechtigt halten, hierzu ein freundliches Wort zu sagen. ({35}) Nun zu dem zweiten schwierigen Fragenkomplex, auf den Sie alle j a schon warten, nämlich zu Nicaragua. In diesem Land wurde eine grausame Diktatur, die Diktatur Somozas, ({36}) durch eine Revolution der Sandinisten beendet. Niemand, der mit den Verhältnissen in der Dritten Welt vertraut ist, konnte erwarten, daß nach dieser grausamen Somoza-Diktatur von heute auf morgen eine blühende parlamentarische Demokratie entstehen würde. ({37}) Natürlich hat es auch Fehler und Fehlentwicklungen gegeben. ({38}) Ich wäre der letzte, der das bestreitet. Heute erleben wir aber in Nicaragua einen Prozeß der Öffnung. ({39}) Lassen Sie mich einige praktische Beispiele nennen. Es ist eine Amnesty für die Misquitos erlassen worden. Es gibt die Voraussetzungen für eine Amnesty auch für diejenigen, die mit Waffen von außerhalb gegen ihr Land gekämpft haben. Die Parteien innerhalb der Patriotischen Front haben mehr Unabhängigkeit gewollt und erreicht. Herr Bundesaußenminister, Ihre politischen Freunde in der Patriotischen Front haben in einer ganz bestimmten Frage neulich ein sehr deutliches Zeichen gesetzt. Es gibt Gesprächsbereitschaft mit der unbewaffneten Opposition außerhalb des Landes. Wir haben uns bemüht, gerade in dieser Frage einen wichtigen Beitrag zu leisten. Es gibt ernstzunehmende Bemühungen um ein besseres Verhältnis zur Kirche. Es gibt neue Initiativen für eine gerechtere Aufteilung der ganz knappen Devisen, damit auch die privaten Unternehmungen, die j a nach wie vor die überwältigende Mehrheit in diesem Lande sind, die Möglichkeit haben, für ihre Betriebe die dringend notwendigen Ersatzteile zu kaufen. ({40}) Die Zensurvorschriften sind, insbesondere nach eindeutigen Diskussionen, die wir mit dem Innenminister gehabt haben, geändert worden. ({41}) Die Papiervoraussetzungen - wenn Sie das Thema ansprechen - sind längst geregelt. Trotz der knappen Devisen ist dafür Sorge getragen, daß der Papiervorrat bei „La Prensa" mindestens für drei Monate reicht. Wenn Sie noch ein paar solcher Zwischenrufe machen wollen, die mir die Möglichkeit geben, auf Einzelheiten einzugehen, wäre ich dafür sehr dankbar. ({42}) Das Entscheidende aber ist, daß das Wahlgesetz in diesen Tagen erarbeitet und verabschiedet wird. Der Wahltermin wird am 21. Februar 1984 bekanntgegeben werden. Die Leute, die das tun, wissen, daß das, was Contadora in bezug auf die Wahlen verabschiedet hat, ein entscheidender Maßstab ist. Wir sind bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei den politisch Verantwortlichen in Nicaragua für die Erfüllung der drei revolutionären Ziele eingetreten: für politischen Pluralismus, für gemischte Wirtschaft und für Blockfreiheit. Wir glauben, daß man das nur so erreichen kann, nämlich im ständigen, kritischen und eindeutigen Gespräch miteinander. Jetzt erleben wir - das bestreitet niemand - eine positive Entwicklung in diesem Land. Wir möchten, daß diese positive Entwicklung fortgesetzt werden kann. ({43}) Ich mache gar kein Hehl daraus: Ich werde - viele andere Politiker der westlichen Welt hoffentlich auch - am 21. Februar in Managua sein, um an der Verkündung des Wahltermins teilnehmen zu können, damit die Möglichkeit gegeben ist, diesen Prozeß weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung aber ist aufgefordert, die zugesagten Mittel für Nicaragua endlich freizugeben. ({44}) Ich zitiere mit der Genehmigung der Frau Präsidentin die „Freie Demokratische Korrespondenz" der verehrten Kolleginnen und Kollegen der FDP vom 18. November: Rumpf: Mittel für Nicaragua freigeben. Die Bundesrepublik Deutschland muß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nicaragua in vollem Umfang fortsetzen, damit dieses Land einen freien, unabhängigen und demokratischen Weg gehen kann. ({45}) Dieses erklärte der FDP-Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Wolfgang Rumpf nach einer Reise mit dem Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, an der Mitglieder aller Fraktionen teilgenommen haben. Rumpf forderte die Bundesregierung und insbesondere den zuständigen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf, sich nicht dem Vorwurf einer Nadelstichpolitik gegen Nicaragua auszusetzen und die im Haushaltsplan für die Jahre 1983 und 1984 vorgesehenen Mittel endlich in vollem Umfang freizugeben. ({46}) Nach Gesprächen mit allen relevanten politischen Gruppierungen in Honduras, Nicaragua und El Salvador hat Rumpf den Eindruck gewonnen, daß sich der Demokratisierungsprozeß Nicaraguas voll in der Gärung befindet. Deshalb sei es wichtig, daß immer neue Hefe zugefügt werde, damit dieser Prozeß weitergehen kann. ({47}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte die Auffassung des Kollegen Rumpf hier in vollem Umfang unterstützen. ({48}) Es wäre gut, wenn sich auch die anderen, die an der Reise beteiligt waren und die sich ja wohl zumindest intern ähnlich geäußert haben, daran beteiligen. Der Bundesregierung muß ich folgendes sagen. Wenn wir in dieser Frage nicht sehr schnell eine klare Antwort erhalten, muß das Haus über diese Frage abstimmen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich habe keinen Zweifel, wo die Mehrheit des Hauses in dieser Frage gegeben ist. Wir müßten es in dieser Frage dann einmal darauf ankommen lassen. ({49}) Im übrigen gilt folgendes. Wer gemachte Zusagen nicht einhält, bringt die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere in der Dritten Welt - in Mißkredit. Mehr inneren Pluralismus in Nicaragua, den wir alle haben wollen, wird es nur geben, wenn es auch Pluralismus von außen gibt. ({50}) Dabei muß die Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielen. Wer den äußeren Pluralismus verweigert, der lädt große Verantwortung auf sich. Wir haben diese Fragen vor sechs Monaten gestellt. In dieser Frage ist die Antwort der Bundesregierung für uns völlig unbefriedigend. Wir suchen keinen Streit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gibt genug Themen, über die wir miteinander streiten können. Was wir wollen, ist, daß den Menschen in Nicaragua geholfen wird ({51}) - nach einer grausamen Diktatur und nach einem schwierigen revolutionären Prozeß. ({52}) - Ich habe ein ganz klares Wort gesagt, daß ich helfen will, aber nicht, solange Todesschwadronen - Sie und ich, Herr Professor Pinger, wissen, wer dahintersteht - täglich Menschen umbringen. ({53})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wischnewski, sehen Sie nicht einen Unterschied darin, daß in El Salvador eine frei gewählte Regierung, die zwar die Todesschwadronen nicht will, an der Regierung ist, während umgekehrt in Nicaragua die sandinistische Regierung ähnlich wie die Todesschwadronen arbeitet und offiziell morden läßt? ({0})

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, ich bestreite nicht, daß Sie schon einmal in der Region unterwegs gewesen sind. Aber offensichtlich sind Ihnen wichtige Erkenntnisse bei Ihrer Reiserei entgangen. ({0}) Das erste: Ich habe eine klare und eindeutige Aussage in bezug auf die Tätigkeit von Demokraten dort gemacht. Das werden Sie mir nicht bestreiten können. Zweitens. Ich bestreite auf das entschiedenste, daß dort unter den Umständen freie Wahlen stattgefunden haben. Drittens. Es ist offenkundig, daß die Regierung mit denjenigen nicht fertig wird, die täglich morden. Daß der Vizepräsident der Vereinigten Staaten Bush der Regierung eine Liste mit den Namen von 28 Offizieren überreicht hat, von denen die Amerikaner den Eindruck haben, sie seien direkt oder indirekt an den Todesschwadronen beteiligt, daß die USA verlangt haben, sie abzusetzen, und daß das Ergebnis darin bestand, daß zwei in den auswärtigen Dienst versetzt worden sind und alle anderen ihre Aufgabe weiterhin wahrgenommen haben, ist für mich eine völlig unbefriedigende Situation. Wo mit amtlicher Unterstützung gemordet wird, kann die deutsche Entwicklungshilfe keinen Platz haben. ({1}) In bezug auf Nicaragua ({2}) gibt es Menschenrechtsverletzungen in dieser Form überhaupt nicht. Dazu gibt es von der Menschenrechtskommission eindeutige Aussagen. Ich habe klar und eindeutig erklärt, daß mir die Entwicklung in allen Punkten überhaupt nicht gefallen hat, aber daß es jetzt eine Öffnung gibt und unsere Aufgabe darin bestehen muß, diese Entwicklung weiter zu fördern. ({3}) - Lassen Sie mich bitte zum Ende kommen. Meine Redezeit ist ohnehin schon abgelaufen. Ich möchte ein paar abschließende Bemerkungen mit Blick auf die Situation insgesamt machen. Was wollen wir gegenüber Zentralamerika? Wir wollen, daß alle Konflikte in dieser Region, sowohl die äußeren als auch die inneren, ausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Wir wollen, daß statt Waffenlieferungen - von welcher Seite auch immer - wirkliche Hilfe gewährt und ein Dialog geführt wird. Wir verurteilen jede Einmischung von außen, ganz gleich, von welcher Seite sie erfolgt, und unabhängig davon, ob sie durch militärische Drohung, durch versuchte Destabilisierung oder durch Wirtschaftssanktionen geschieht. Wir wollen, daß der Prozeß wirklicher Demokratisierung einschließlich wirklich demokratischer Wahlen gefördert wird. Wir werden unsere Kontakte in dieser Region nutzen, um mitzuhelfen, dieses Ziel zu erreichen. Wir werden unsere Kontakte nutzen, um die Zusammenarbeit von Demokraten zu fördern. Wir wollen, daß die notwendigen Reformen nach dem Willen der Mehrheit der Menschen in dieser Region durchgeführt werden. Wir wollen, daß die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Gemeinschaft einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Not in der Region bekämpfen und den Menschen nach schrecklichen Jahren wieder ein wenig mehr Hoffnung geben zu können. Wir haben Verständnis für die besonderen Interessen der USA in dieser Region. Aber wir bitten die Vereinigten Staaten dringend, ihre derzeitige Politik gegenüber Zentralamerika zu überprüfen und sie in allen Punkten den Contadora-Prinzipien anzupassen. In allen Punkten! ({4}) Und wir verlangen von der Sowjetunion und von Kuba, daß beide die Prinzipien von Contadora in allen Punkten einhalten und respektieren. Im Interesse der Menschen in Zentralamerika darf die Region nicht zum Bestandteil des Ost-West-Konfliktes werden. Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie nicht nur Erklärungen zu Contadora abgibt, sondern die Fehler der letzten Monate beseitigt und damit die Prinzipien von Contadora unterstützt und nicht behindert. Ich habe schon gesagt: Wir suchen in dieser Frage keinen Streit. Wir wollen, daß unser Land in dieser Region den Menschen hilft und einen gefährlichen Krisenpunkt in der Welt zu beseitigen mithilft. Vielen herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich habe vor der nächsten Worterteilung eine Bemerkung zu machen. Mir liegt ein Auszug aus dem stenographischen Bericht vor. Danach hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz einen unserer Kollegen mit dem Wort „Hampelmann" bezeichnet. ({0}) - Was soll denn das nun heißen? ({1}) - Das ist auch richtig, daß Sie entrüstet sind. Dafür erhält die Frau Kollegin einen Ordnungsruf. Wenn Sie sich in der gleichen Weise äußern wollen, kann ich das natürlich fortsetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({3}).

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Kollege Wischnewski ({0}) hat mit dem ihm eigenen dramatischen Tremolo ({1}) die totale Umkehr in der Politik der Bundesregierung konstatiert. Herr Kollege Wischnewski, wir geben uns Mühe, in diesem Ihnen nicht unbekannten Prozeß der Standpunktannäherung von Koalitionspartnern möglichst leise zu sein. Das gelingt nicht immer; manchmal brüstet sich eine Seite. Das ist so. Sie haben heute ausgerechnet uns einen besonderen Gefallen getan. Dafür bedanke ich mich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat der Bundesregierung 14 Fragen zur Lage in Mittelamerika gestellt: Zwölf vergleichsweise sachliche Fragen, eine programmatische Frage und eine Frage, die eine Unterstellung enthält. Die Bundesregierung hat diese Fragen klar und korrekt beantwortet. ({2}) Wenn wir uns an die Tonlage dieser Fragen und dieser Antworten halten, können wir eine Debatte führen, ({3}) die dem Thema angemessen ist. ({4}) Wir sprechen über Not und Bedrängnis eines großen Teils der mehr als 20 Millionen Menschen in den mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Nicaragua, Guatemala, Honduras und Costa Rica. Aber wir sprechen auch darüber, wie ihnen die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika helfen kann. Ich wünschte mir, daß in diesem Hohen Hause bei allen Unterschieden in der Analyse der historischen, wirtschaftlichen, sozialen, ethnischen und politischen Ursachen der heutigen Zustände in Mittelamerika wenigstens darin Übereinstimmung erzielt werden könnte, die demokratischen Kräfte der Mitte gegenüber gewalttätigen Extremisten links wie rechts wirksam zu unterstützen. ({5}) - Lieber Herr Kollege Voigt, wenn ich von den demokratischen Kräften der Mitte im Gegensatz zu extremen Linken spreche, dann reicht ja wohl die Mitte ziemlich weit, rechts und links. ({6}) Vielleicht ist auch noch - zumindest mit den Sozialdemokraten - Übereinstimmung in dem UrKlein ({7}) teil erreichbar, daß mit Ausnahme von Costa Rica die Menschenrechtssituation in den mittelamerikanischen Staaten bedenklich bis verheerend ist. ({8}) Ich weiß, daß es in der SPD-Fraktion eine Reihe von Mittelamerika-Spezialisten mit soliden Kenntnissen und differenziertem Urteilsvermögen gibt. Um so erstaunlicher mutet es mich an, daß, während die Bundesregierung in ihrer Antwort mehrfach auf Costa Rica eingeht, die SPD in ihrer Großen Anfrage nicht das geringste Interesse an diesem sozialdemokratisch regierten, die Menschenrechte strikt beachtenden, auf friedlichen Ausgleich mit seinen Nachbarn bedachten, um sein wirtschaftliches Überleben jedoch schwer ringenden Land bekundet. ({9}) Dabei verdient Costa Rica unsere besondere Zuwendung. ({10}) Mit seinem inzwischen Jahrzehnte alten, freiheitlich-demokratischen System ist es ein Hort der Stabilität inmitten einer von Unruhen und Umstürzen heimgesuchten Region. ({11}) Und Honduras, von der Bundesregierung ebenfalls an mehreren Stellen der Antwort aufgeführt, wird von der SPD nur adjektivisch erwähnt. Ich widerstehe der Versuchung, mich eingehender mit der verräterischen Wortwahl der betreffenden Frage auseinanderzusetzen, der zufolge grenzverletzende Guerillatrupps Flüchtlinge und antimarxistische Ex-Sandinisten Konterrevolutionäre sind. ({12}) Doch auch in Honduras haben nach langen Jahrzehnten der Militärherrschaft Parlamentswahlen stattgefunden, aus denen eine Zivilregierung hervorgegangen ist. Da wir aber weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind sind, stehe ich nicht an zu erklären, daß der Weg zu einer wirklichen Demokratie ohne Militäreinfluß und ohne schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in Honduras noch weit ist. Die Militarisierung Nicaraguas und der anhaltende Guerillakrieg in El Salvador machten Honduras einerseits zu einer antisandinistischen Base, andererseits zum Zufluchtsland für ungezählte Tausende von salvadorianischen Flüchtlingen. ({13}) Nach vorsichtigen Schätzungen gibt es gegenwärtig in ganz Mittelamerika über 1 Million Flüchtlinge, die größtenteils im Elend leben. Wer dies jemals mit eigenen Augen gesehen hat, kann nur Zorn über Menschen empfinden, die in einschlägigen linken Blättern der Bundesrepublik Deutschland oder West-Berlins um Geldspenden inserieren, mit denen Waffen für die Guerillas in El Salvador gekauft werden sollen. ({14}) Die Guerilla ist aber wesentlich für das Klima der Gewalt in El Savador verantwortlich. Ihre mörderischen Aktionen lieferten - Herr Kollege Wischnewski, das wissen Sie genau - der militanten Rechten, den war lords, den Todesschwadronen die Begründung für ihr nicht minder grausames Vorgehen. Das salvadorianische Volk will Frieden und in Frieden arbeiten. ({15}) Gewalttätern gewährt es keinen Rückhalt. Das weiß die Guerilla inzwischen. Unter großen Opfern und gegen schwere Widerstände hat El Salvador den Weg zur Demokratie eingeschlagen. Dieser Prozeß wäre schon jetzt erfolgreicher verlaufen, hätte die Guerillabewegung nicht Ermutigung aus dem Ausland, insonderheit auch von der Sozialistischen Internationale, erfahren ({16}) bei ihrer Boykotthaltung gegenüber den, Herr Kollege Wischnewski, wirklich freien Wahlen am 28. März 1982. ({17}) Der Kollege Wischnewski hat es heute wieder einmal mit seiner in der Tat publikumswirksamen Formel versucht, der Dialog zwischen den politischen Kontrahenten in El Savador sei aus Verschulden beider Seiten gescheitert. Das klingt gut, klingt offen. ({18}) Dann sprach er von den angeblich schwachen Figuren, die auf Regierungsseite dafür ausersehen gewesen seien, ({19}) aber er verschwieg, daß die linke Guerilla erneut das demokratische Verfahren von freien Wahlen ablehnt und vorher, ohne Wahlen, an der Regierung beteiligt werden möchte - als Bedingung. Ich bedanke mich ausdrücklich für die ausgewogenen und respektvollen Worte, Herr Kollege Wischnewski, die Sie für unsere christdemokratischen Freunde in El Salvador gefunden haben. Ihr Spitzenkandidat, Napoleon Duarte, hat in den bevorstehenden Wahlen zweifellos gute Aussichten. Sie haben auch ihn bei mehrfacher Gelegenheit als einen Demokraten von hohen Graden charakterisiert. ({20}) Klein ({21}) Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es ausdrücklich, daß die Bundesregierung die unterbrochene entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador wieder aufnimmt. Daß sich die Bundesregierung, wie es in ihrer Antwort heißt, verpflichtet fühlt, die demokratischen Kräfte des Landes zu unterstützen, wird nunmehr sicher auch zur umgehenden Entsendung des Botschafters führen. Dieser Akt ist jetzt so überfällig, wie die seinerzeitige Abberufung überflüssig war. ({22}) Meine Damen und Herren, auch in Guatemala, dessen Präsident durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist, wo die Parteien amtlich suspendiert sind und nur als Vereinigungen von Privatpersonen toleriert werden, wo mehrere Grundrechte außer Kraft gesetzt sind und im Gefolge des Krieges gegen die Guerilla schwere Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben, stehen Wahlen bevor. ({23}) Die Aussichten für eine demokratische Zukunft Mittelamerikas, ja, für den ganzen Kontinent, sind gut. Von den 32 unabhängigen Staaten in Lateinamerika und der Karibik sind heute 17 demokratisch. ({24}) Eine ganze Reihe von Ländern hat in den letzten Jahren den friedlichen Übergang von Militärregierungen zu Wahlen und demokratischen Regierungsformen gefunden. Ich denke vor allem an Argentinien. Militärregime haben also offenbar die Fähigkeit zu friedlichem demokratischen Wandel. Im Gegensatz dazu warten wir bis heute darauf, ({25}) daß sich ein marxistisch-leninistisches System aus freien Stücken durch eine Demokratie ablösen läßt. ({26}) Wie, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht es nun mit Nicaragua? ({27}) Die SPD spricht in ihrer Großen Anfrage von der „Aufrechterhaltung der Prinzipien der sandinistischen Revolution". Aufrechterhaltung? Herr Kollege Wischnewski, das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. ({28}) Daß Sie eine einseitige Moskau-Orientierung als Blockfreiheit auslegen ({29}) - hier haben Sie das Prinzip Nummer eins, wenn Sie es gern wissen möchten -, kann ich angesichts der international akzeptierten Selbstbeschreibung Kubas beispielsweise, das sich ja auch blockfrei nennt, noch nicht einmal arg kritisieren. ({30}) Aber verstehen Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, unter politischem Pluralismus neuerdings eine Ein-Parteien-Diktatur? ({31}) Und gilt es Ihnen als gemischtes Wirtschaftssystem, wenn es zu 80 % staatlich kontrolliert ist? ({32}) Die Sandinisten haben ihre eigenen Revolutionsziele verraten. Warum sonst wären prominente nicht-marxistische Führer des Aufstandes gegen Somoza ins Exil oder in den Untergrund gegangen, so Alfonso Robelo, dessen sozialdemokratisch inspirierte Partei vergeblich um Aufnahme in die Sozialistische Internationale nachsuchte, oder Edén Pastora, der populärste, freilich auch nichtmarxistische Guerilla-Führer gegen Somoza? Was heute zur Debatte steht, ist nicht eine Aufrechterhaltung der ursprünglich verkündeten Prinzipien, sondern eine Rückkehr zu ihnen. ({33}) - Herr Kollege, ich habe nichts dagegen, wenn Sie nicht zuhören können. Aber Sie können offenbar auch nicht lesen. ({34}) Für den 21. Februar 1985, den 50. Todestag von Augusto César Sandino, ({35}) hat die marxistisch-leninistische Regierung Nicaraguas Wahlen angekündigt. ({36}) - Herr Kollege Wischnewski, für 1985 hat sie sie angekündigt. ({37})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, das ist schon sehr unparlamentarisch! ({0})

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie führen doch keine Selbstgespräche, Herr Kollege? ({0}) Auch wenn der allmächtige Innenminister Tomás Borge, den Sie heute schon angeführt haben, einst Klein ({1}) allzu voreilig erklärt hat: „Wahlen werden bei uns keine Lotterie sein, deren Ausgang ungewiß ist", ({2}) sollten wir Nicaragua angesichts der ermutigenden Entwicklung in seinen Nachbarstaaten noch nicht abschreiben. Deshalb stimme ich der Bundesregierung namens meiner Fraktion zu, es Nicaragua anheimzustellen, zu der Geschäftsgrundlage zurückzukehren, auf der die Bonner Zusagen gemacht wurden, oder auf deutsche Hilfe zu verzichten. ({3}) Ein Weg dahin wäre in unseren Augen die konstruktive Zusammenarbeit mit der ContadoraGruppe, die Annahme ihrer 21 Ziele. Herr Kollege Wischnewski, ich würde mich freuen, wenn Ihre futuristischen Hoffnungsdarstellungen auch nur teilweise Wirklichkeit würden. Ein Nicaragua, das sich auf diese Weise in die Gemeinschaft der mittelamerikanischen Nationen zurückbegibt, das seine Energien nicht auf deren Destabilisierung und Umsturz, sondern auf inneren Aufbau und Zusammenarbeit mit den Nachbarn konzentriert, ({4}) kann wieder mit unserer tatkräftigen Hilfe rechnen. ({5}) Diese Umkehr muß aber durch Taten und nicht durch Sprüche bewiesen werden. ({6}) Zu oft schon hat das sandinistische Regime sein Wort gebrochen, ja, es hat sogar Sachverhalte abgestritten, die es dann später selber zugeben mußte, wie die Verfolgung der Mizquito-Indianer oder die Verhaftung von politischen Gegnern oder die Verfolgung von Kirchenleuten oder die Unterdrückung der Presse oder - und auch das haben die Sandinisten nach anfänglichem Leugnen später öffentlich erklärt - die Lieferung riesiger Mengen von Waffen an die linke Guerilla in Nachbarländern. ({7}) Verteidigungsminister Humberto Ortega Saavredra hat die politische Position mit unwiderlegbarer Deutlichkeit beschrieben. Er hat gesagt: „Unsere politische Stärke ist der Sandinismus und unsere Doktrin der Marxismus-Leninismus." ({8}) Da gibt's doch nichts mehr zu fragen. Wer also jetzt vor einem erkennbaren Wandel des Regimes, das einen Großteil seiner Finanzkraft, die übrigens wiederum zu 80% aus westlicher Hilfe kam, von Anfang an in eine überdimensionale Militarisierung gesteckt hat, deutsche Steuermittel für Nicaragua fordert, muß ehrlicherweise dazusagen, daß er den marxistisch-leninistischen Brückenkopf der Sowjets ({9}) und der Kubaner in Nicaragua zu unterstützen gedenkt. ({10}) Dennoch unterstreiche ich nochmals, daß wir den Standpunkt der Bundesregierung für richtig halten, die alten Zusagen nicht zu widerrufen und sofort einzulösen, wenn ein überzeugender Demokratisierungsprozeß in Gang gesetzt ist. - Leider ist der Kollege Rumpf nicht da; sonst hätte ich nicht nur gesagt: „in Gang gesetzt ist", sondern: „wenn sich die Gärung zu setzen beginnt". ({11}) Daß weithin überholte, nicht mehr tragfähige wirtschaftliche und soziale Strukturen zu den Ursachen der gegenwärtigen Unrast in Mittelamerika gehören, kann niemand bestreiten. Die Bundesregierung stellt dies in ihrer Antwort ausdrücklich fest. Das Bild wird aber erst vollständig, wenn auch darauf hingewiesen wird - was die Bundesregierung ebenfalls tut, die Fragesteller aber auffälliger-weise, obwohl sie sonst in ihren Fragen mit Instigationen durchaus operieren, unterlassen -, daß der internationale Kommunismus aus der Not der Menschen politisches Kapital zu schlagen sucht. Die CDU/CSU-Fraktion ermutigt die Bundesregierung in ihrer Absicht, die begrüßenswerten Anstrengungen der in der Contadora-Gruppe zusammengeschlossenen mittelamerikanischen Anrainerstaaten Mexiko, Venezuela, Kolumbien und Panama nach Kräften zu unterstützen. Dies entspricht auch der Auffassung der Kissinger-Kommission, deren Anregungen von der amerikanischen Regierung aufgenommen werden. Im ersten Kapitel des Kommissionsberichts heißt es: Die geplagte Geschichte Mittelamerikas ist so verlaufen, daß weder die militärischen noch die politischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Aspekte der Krise für sich allein betrachtet werden können. Wenn es nicht gelingt, rasche Fortschritte an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Front zu machen, dann wird der Frieden an der militärischen Front kaum erreichbar und zerbrechlich sein. Aber wenn den von außen unterstützten Aufständen nicht Einhalt geboten und die Gewalt eingedämmt wird, dann wird es kaum einen Fortschritt an den anderen Fronten geben, und wenn, wäre er zerbrechlich. Deshalb schlägt die Kommission eine Verdoppelung der amerikanischen Wirtschaftshilfe an die be3646 Klein ({12}) troffenen Länder auf 8 Milliarden Dollar für die nächsten fünf Jahre vor. ({13}) - Dies, Frau Kollegin, ist ein Bruchteil der Aufwendungen und im übrigen im Zusammenhang mit diesem Zitat, im Zusammenhang mit der gegenseitigen Abhängigkeit der Entwicklungen zu sehen. ({14}) Dies sollte die Bundesrepublik Deutschland und die EG-Staaten, zu denen seitens der mittelamerikanischen Länder teilweise traditionelle historische Verbindungen bestehen, nachdrücklich ermutigen, ihre eigenen Anstrengungen zu verstärken, um den Prozeß der Demokratisierung und des wirtschaftlichen Aufbaus in Mittelamerika wie in den karibischen Republiken rasch voranzutreiben. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte muß dazu beitragen, die vielfach rein emotional und schwarzweiß geführte Auseinandersetzung über einen der großen Krisenherde der Welt zu versachlichen. Ich glaube, daß die beiden Vorredner dazu bereits einen erfreulichen Beitrag geliefert haben. ({0}) Es ist ein Verdienst des deutschen Parlaments, wenn wir heute auch zur Information der deutschen Öffentlichkeit beitragen, statt angesichts der in Wahrheit geringen uns zur Verfügung stehenden politischen Einflußmöglichkeiten hier ein Schattenboxen zu veranstalten, das vor allem innenpolitische Motive hat. Ich weiß, daß es kaum ein außenpolitisches Thema gibt, das insbesondere unsere politisch engagierte Jugend mehr bewegt, und daß es gerade für idealistisch eingestelle junge Leute, die sich mit den Problemen der Dritten Welt leidenschaftlich auseinandersetzen, ({1}) wichtig ist, zu erfahren, wie dieser Deutsche Bundestag denkt und handelt. Für viele ist der Fall Mittelamerika auch ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Wertvorstellungen des westlichen Bündnisses geworden, und wir haben das sehr ernst zu nehmen. Wir müssen diesen Hintergrund auch geduldig denjenigen unserer amerikanischen Freunde verständlich machen, denen vielfach das Verständnis dafür fehlt, daß sich junge Deutsche z. B. für ein so weit von Europa entferntes und Europa nur scheinbar nicht betreffendes Problem so sehr engagieren, ({2}) wobei zum Teil die leidenschaftliche Kritik am Verhalten der amerikanischen Regierung als Antiamerikanismus mißverstanden wird. Die Debatte über diesen Konflikt wird - das müssen wir uns immer wieder klarmachen - in den Vereinigten Staaten genauso erregt und kontrovers geführt, ({3}) an den Hochschulen des Landes, in seinen Medien, aber áuch im amerikanischen Kongreß. Wir sollten das bitte nicht vergessen. ({4}) Bei allem Verständnis für manche Kritik, die auch an der Handlungsweise der amerikanischen Regierung geübt wird, muß man all denen in Deutschland, die glauben, die USA allein für die schrecklichen Ereignisse und Zustände in dieser Region verantwortlich machen zu können, sagen, daß ohne die USA eine langfristig angelegte Gesundung dieser Region nicht möglich sein wird und daß eine Lösung der sozialen Probleme nur durch die materielle Unterstützung der freien Welt, nicht durch die materielle Unterstützung des Ostblocks möglich sein wird. ({5}) Meine Damen und Herren, nur eine verantwortungsvolle Politik gemeinsam mit den USA, aber keine Politik auch gegen die berechtigten Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten kann auf Dauer zu einer Beseitigung der Mißstände führen. Umgekehrt aber wäre es falsch, wenn die Europäer ihre Verantwortung für einen wichtigen Teil der Dritten Welt leugneten und aus, wie ich meine, falscher Rücksichtnahme auf ihren engsten Verbündeten eigene Möglichkeiten zur Mäßigung der extremen Fronten außer acht ließen. ({6}) Ich möchte das auch an einige Kollegen in diesem Hause richten, wobei ich den Bundesaußenminister und auch seinen Nachbarn, den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ausdrücklich ausschließe. ({7}) Diplomatische Zurückhaltung mag gut sein, aber sie darf nicht zur politischen Selbstverleugnung führen. ({8}) Insofern müssen wir der Opposition für die Große Anfrage zur Mittelamerikapolitik dankbar sein, weil sie uns Gelegenheit zu dieser Debatte gibt. Die Bundesregierung hat mit ihrer Antwort deutlich gemacht, daß sie den drängenden Fragen nicht ausweicht, sondern entschlossen ist, ihre Politik in Schäfer ({9}) Richtung auf eine friedliche Lösung dieser Krise fortzusetzen. ({10}) Sie tritt ein - ich zitiere aus der Antwort - für „Selbstbestimmung, nationale Unabhängigkeit, Nichteinmischung, eigenständige Entwicklung, Achtung der Menschenrechte und friedliche Konfliktlösung". Sie sieht im Gegensatz zu einigen amerikanischen Politikern - übrigens nur einer Minderheit in den Vereinigten Staaten -, aber in Übereinstimmung mit dem Kissinger-Bericht die wesentlichen Ursachen der Krise in Mittelamerika „in den überkommenen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen". Ich glaube, das ist die übereinstimmende Meinung in diesem Hause. Diese Verhältnisse sind eben nur durch wirtschaftliche und soziale Reformen lösbar. Im Kissinger-Bericht, der j a auch in den Vereinigten Staaten in einigen Teilen sehr kritisiert wird, sollte man aber bitte auch nicht überlesen, daß es dort zutreffend und selbstkritisch heißt: „Vielleicht hätten die Vereinigten Staaten Mittelamerika schon früher größere Beachtung schenken sollen." Ich weiß, daß das die Meinung aller Staaten in dieser Region ist und daß bedauert wird, daß die Vereinigten Staaten erst zu einem sehr späten Zeitpunkt eingegriffen haben, nämlich, als sie eine sowjetische Expansion befürchteten. Nach neuen Schätzungen leben in den fünf Ländern der Krisenregion, Panama und Belize ausgeschlossen, 21,7 Millionen Menschen in einem Raum, der etwas größer ist als der der Bundesrepublik Deutschland. Auf je 70 Einwohner kommen jeweils ein Soldat oder ein Guerillero. Die soziale Lage ist schlimm. Die Unterschiede zwischen arm und reich sind immer noch unerträglich. Die Auslandsschulden liegen inzwischen bei 10 Milliarden Dollar. Mit Ausnahme von Costa Rica - Herr Kollege Klein hat darauf hingewiesen -, einer immer noch friedlichen Oase in diesem Bürgerkriegschaos, sind die Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung, tobt der Machtkampf zwischen den verschiedenen Ideologien und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, und das Militär spielt, wie das in Lateinamerika leider eine geschichtliche Tradition ist, immer noch eine oft verhängnisvolle Rolle, die bedauerlicherweise kurzfristig kaum geändert werden kann. Besonders schlimm aber ist, daß auch der OstWest-Konflikt zunehmend auf diese Region übergreift und dadurch leider zum Teil sinnvolle Lösungsmöglichkeiten der in Wahrheit sozialen Krise immer mehr erschwert. ({11}) Wir wollen und müssen uns als Europäer deshalb um eine Lösung dieser Krise mit bemühen und dürfen uns gerade auch im Hinblick auf diesen Aspekt nicht aus der Verantwortung schleichen. Ich glaube, das ist die übereinstimmende Meinung von Bundesregierung und Parlament. Über die Art unseres Engagements gibt es allerdings erhebliche Meinungsunterschiede, meine Damen und Herren. Die Vorwürfe der Opposition - Herr Wischnewski hat sie heute morgen wiederholt - basieren vor allem darauf, daß behauptet wird, die Bundesregierung habe mit Rücksicht auf die Vereinigten Staaten einen Wechsel ihrer bisherigen Außen- und 'Entwicklungspolitik vollzogen. ({12}) Sie begründet das mit einem angeblich nachlassenden Engagement für Nicaragua und mit der Bereitschaft, sich in El Salvador wieder stärker zu engagieren durch die Entsendung eines Botschafters und die angekündigte Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe für dieses Land. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten den Text der Bundesregierung auch hier genau lesen. Es heißt: Die Bundesregierung hat trotz Bedenken über den politischen Weg Nicaraguas die entwicklungspolitische Zusammenarbeit nicht abgebrochen. Neuzusagen können grundsätzlich nur erteilt werden, wenn sich herausstellt, daß sich Nicaragua nachhaltig von der Politik der Destabilisierung abwendet. ({13}) Herr Wischnewski, ich beziehe mich jetzt auf die Äußerung, die Sie vorhin gegenüber Herrn Kollegen Rumpf gemacht haben. Die Bundesregierung hat Mittel, etwa zur Reparatur des Turbinenkraftwerks in Managua, freigegeben. ({14}) Die Zahlungen, auch im Hinblick auf die Warenhilfe, werden fortgesetzt, und zwar auch im Zusammenhang mit den noch anstehenden Schulden, die Nicaragua hier hat, verrechnet. ({15}) - Sie werden verrechnet. - Das kann ich als Ergebnis unserer internen Bemühungen eindeutig feststellen. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte weiterkommen. Es ist zu recht darauf verwiesen worden, daß wir in unseren Gesprächen in Nicaragua - Herr Kollege Wischnewski, ich glaube, das tun alle, auch Sie - immer wieder auch denen, die dort glauben, mit dem Kopf durch die Wand rennen zu können, klar3648 Schäfer ({0}) machen, daß die selbstgewählten Ziele dieser großen Revolution auch verwirklicht werden müssen, nämlich Pluralismus, gemischte Wirtschaft, Blockfreiheit. All dies ist eine Zielsetzung - Herr Wischnewski, hier stimmen wir überein -, die wir bei all unseren Gesprächen, die wir in Managua geführt haben und noch führen werden, immer wieder fordern. Meine Damen und Herren, wir müssen hier ganz eindeutig feststellen: Das Ziel der Revolution in Nicaragua konnte nur erreicht werden, weil alle demokratischen Parteien an dem Kampf gegen die Diktatur beteiligt waren und nicht nur die Frente Sandinista ({1}) und weil die amerikanische Regierung Carter Herrn Somoza fallen ließ. Auch das bitte ich zu berücksichtigen. Dazu kommt, daß beim Wiederaufbau Nicaraguas 80 % der gesamten Hilfe aus westlichen Ländern gekommen ist. Auch das muß hier doch einmal positiv dargestellt werden. ({2}) Ich will auch ganz klar sagen - gegen alle die, die Nicaragua in Bausch und Bogen verdammen -: Wir müssen natürlich auch positive Maßnahmen in Nicaragua zur Kenntnis nehmen, z. B. eine sogar von Robelo, einem oppositionellen Parteiführer, der jetzt im Ausland lebt, mir gegenüber in einem langen Nachtgespräch in der deutschen Botschaft gelobte und gute Alphabetisierungskampagne, eine Landreform, die immerhin 87 % in privaten Händen belassen hat, und eine Fülle sozialer Maßnahmen, die von dieser Regierung eingeleitet worden sind, allerdings mit Ungeschick gegenüber den MizquitoIndianern, wo man traditionelle Werte im Verlauf dieser etwas missionarischen Tätigkeit mißachtet und dadurch große Probleme hervorgerufen hat. ({3}) Meine Damen und Herren, in dieser Junta nach dem Triumph der Revolution waren bürgerliche Politiker wie Robelo und Frau Chamorro Mitglieder. Die tragische Seite dieser Entwicklung ist doch gewesen, daß auch die Sandinisten der typisch lateinamerikanischen Versuchung erlegen sind, die schönen Uniformen nach dem Triumph der Revolution anzubehalten und den Anspruch auf Macht nicht mehr freizugeben, die Macht nicht mehr mit anderen Parteien teilen zu wollen. ({4}) Das ist im Grunde das Problem: die schöne olivgrüne Uniform anzubehalten, die auch in anderen Ländern Lateinamerikas immer wieder zum Machtmißbrauch verführt hat. Wir sollten nicht den Fehler machen, zwischen Linksdiktaturen und Rechtsdiktaturen hinsichtlich ihrer Sucht nach militärischer Macht und militärischem Einfluß zu unterscheiden. Das muß man auch in Nicaragua ganz klar sehen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Verdrängung der bürgerlichen Kräfte und der Opposition in Nicaragua kann nicht geleugnet werden. Es steht fest, daß schon 1980 begonnen worden ist, Kritiker der Somoza-Regierung, aber auch bürgerliche Kräfte auszubooten. Wir wissen, daß Teile der Junta ausgeschieden sind, zum Teil das Land verlassen mußten. Wenn Roberto de la Cruz, ein Mann von wirklich großem Format, der noch 1981 in die Junta eingetreten ist und ein Jahr später ausschied, in einem Artikel in „Foreign Affairs" davon spricht, daß die „Sandinisation" aller Lebensbereiche auch ihn dazu geführt habe auszuscheiden, dann kann man das, so glaube ich, hier nicht einfach vom Tisch wischen, auch nicht bei denen, die für Nicaragua so begeistert sind. ({6}) Meine Damen und Herren, Herr Ortega hat in großen Reden an manche unrühmlichen Vorbilder erinnert. Spruchbandpathos und militärische Demonstrationen haben in Nicaragua jahrelang das Bild eines sich immer mehr in Richtung auf bestimmte östliche Vorbilder entwickelnden Staates hervorgerufen. Das ist nicht von uns erfunden worden, sondern wir haben das mit einem, so glaube ich, doch tiefen Mißtrauen beobachtet. Hinzu kam die Zensur der oppositionellen Zeitung „La Prensa". Hinzu kam der Waffentransport nach El Salvador, der nicht geleugnet worden ist, und es kamen immer mehr Schikanen gegen Kritiker der Regierung. De la Cruz spricht von einer Erosion der Revolution und warnt vor einem Pyrrhussieg, den die Sandinisten errungen haben. Er sagt in einem Satz, der mir sehr gefallen hat und den ich unterstreiche - dieser Satz ist von einem leidenschaftlichen Patrioten dieses Landes gesagt worden -: Ich akzeptiere nicht die Unterstellung der Sandinisten, daß Kritik an ihrer Regierung schon Kritik an meinem Vaterland ist und daß die Aktionen ihrer Partei - der sandinistischen Partei bereits schon die Aktionen meines Volkes sind. Ich glaube, de la Cruz hat recht. Meine Damen und Herren, gegen den totalitären Anspruch der Sandinisten, sich mit dem Volk von Nicaragua zu verwechseln, müssen auch wir protestieren. Meine Damen und Herren, wenn de la Cruz den Zustand seines Landes 45 Monate nach der Revolution beschreibt als eine Entzweiung zwischen den Menschen, als eine in Scherben gegangene Wirtschaft, als eine immer mehr zunehmende Kriegsgefahr, die die gleiche Intensität besitze wie vor dem Ende Somozas, dann, meine ich, ist diese Kritik angebracht und kann nicht nur Außenstehenden, Schäfer ({7}) sondern muß auch den Sandinisten angelastet werden. Meine Damen und Herren, so sehr wir zwischen den Vorgängen zu unterscheiden haben, die dazu geführt haben, daß es in Nicaragua zu solchen Aktionen von außen gekommen ist: Ich bin auch mit de la Cruz der Meinung, daß die USA sehr deutlich unterscheiden müssen zwischen Contras, die sich hauptsächlich zusammensetzen aus „ehemaligen Nationalgardisten Somozas" und „bewaffneten Dissidenten", die Gegner der Junta geworden sind und die zum Teil selber Sandinisten gewesen sind. Eine Unterstützung der Contras - da ist ja auch die Kritik im amerikanischen Kongreß sehr groß - schwächt, so de la Cruz, die gemäßigten Kräfte im Land, auch unter den Sandinisten, stärkt dagegen die Rolle der Extremisten. - Das kann ja wohl keine sinnvolle Außenpolitik sein, meine Damen und Herren. Deshalb teile ich auch hier die Meinung der Kritiker in den Vereinigten Staaten, die sagen: Wir wollen diese bedeckten Aktionen des CIA nicht mehr, denn sie führen im Grunde nicht weiter. ({8}) Es besteht die Gefahr, daß die internationale Sympathie für eine sich doch zum Teil nicht erfreulich gebärdende Regierung durch solche bewaffnete Einmischung von außen eher verstärkt wird und daß der Wandel zurück zur Vernunft erschwert wird. Wir sagen hier alle miteinander vollkommen zu Recht: Allein die Contadora-Lösung kann auf Dauer eine Befriedung dieser Region bringen. Ich bin sehr froh, daß die Sandinisten erkennen lassen, daß sie bereit sind, einzulenken. Das wird übrigens auch in den Vereinigten Staaten nicht bestritten. Es gibt Hinweise: die Unterzeichnung des Contadora-Abkommens in Panama, die Ankündigung freier Wahlen - wenn auch sehr spät, aber immerhin für 1985 -, Amnestie für bewaffnete Gegner des Regimes, eine drastische Verminderung der kubanischen Berater, auch die Bereitschaft zum Dialog mit den Nachbarländern und auch der angekündigte Verzicht auf Waffenlieferungen. Dies macht doch deutlich, daß man auch auf sandinistischer Seite bereit ist - weshalb auch immer, will ich hier nicht untersuchen; Botschafter Stone hat dafür entsprechende Erklärungen - einzulenken. Jetzt kommt es darauf an, diese Versprechungen in die Tat umzusetzen. Nichts anderes sagt die Bundesregierung in ihrer heutigen Antwort, als daß sie das abwarten will und die Entwicklungshilfe dann fortsetzen möchte. Botschafter Stone hat mir im vorigen Jahr in Washington auch gesagt: Wenn es bei freien Wahlen einen Sieg der Sandinisten gibt, wenn die Sandinisten endlich bereit sind, die Opposition zuzulassen und eine freie Presse zu gewähren, werden auch die Vereinigten Staaten ihre Entwicklungshilfe wiederaufnehmen. Aber es muß zu diesen freien Wahlen kommen. Herr Bundesaußenminister, ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal dringend empfehlen, einen Vorschlag der Liberalen Internationale aufzugreifen, die im vergangenen Jahr in Stockholm beschlossen hat: Im Grunde müßten sowohl in Nicaragua als auch in El Salvador freie Wahlen international kontrolliert, nicht nur observiert durchgeführt werden. ({9}) Das heißt: Schon in der Vorstufe - hier böte ja beispielsweise die Contadora-Gruppe eine Möglichkeit - muß den Gegnern der jeweiligen Regimes Gelegenheit gegeben werden, ihren Wahlkampf mit größtmöglicher Sicherheit für ihre Person zu führen. Ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung, nicht aber die Durchführung der Wahlen selbst und die Beobachtung von Leuten, die ihren Zettel in eine Wahlurne werfen. Ich meine, hier ist ein wichtiger politischer Ansatzpunkt. Meine Damen und Herren, ich bin überhaupt der Meinung, wir sollten und könnten unseren Einfluß auf die gemäßigten, uns nahestehenden Parteien durch die drei Internationalen - sowohl durch die Sozialistische als auch durch die Liberale und die Christdemokratische - mehr geltend machen. Ich darf noch etwas zu der europäischen Bemühung, Hilfe für diesen Bereich zu leisten, sagen. Nehmen wir uns einmal ein Beispiel am Ostblock. Dann werden wir die erschreckende Feststellung machen, wie viele Stipendien einerseits der Ostblock an junge Leute in Nicaragua gibt - auch an Facharbeiter - und wie wenig andererseits der Westen bisher in der Lage war, solche Stipendien zu verleihen. Das wäre ein friedliches Mittel, um jungen Menschen in Nicaragua zu helfen. ({10}) Ich darf Ihnen auch sagen, daß mir Botschafter Stone, der Sonderberater des Präsidenten, hier ausdrücklich zugestimmt hat: Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt ganz konkreter europäischer und amerikanische Politik. Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Sosehr auch das Modell Nicaragua durch die zunehmend totalitären Entwicklungen von seiner anfänglichen Anziehungskraft verloren hat, so sehr gilt sicher der Satz eines Professors aus Princeton, der neulich in „Foreign Affairs" einen, wie ich meine, hervorragenden Artikel über die Situation in diesen Ländern geschrieben hat. Professor Ullman sagt, es komme in den Nachbarländern Nicaraguas mehr darauf an, die Ungerechtigkeiten, die dort bestehen, zu beseitigen, als eine Art Heiligen Krieg gegen Nicaragua führen zu wollen. ({11}) Ich glaube, hier liegen die Möglichkeiten. Ich wiederhole, was in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck kommt und was der Bundesaußenminister - auch bei seiner Konferenz mit den deutschen Botschaftern in San José - immer wieder gesagt hat: Wir wollen eine friedliche Lösung. Diese Bundesregierung - ich glaube, das ganze Parlament wird die Bundesregierung dabei unterstützen - ist entschlossen, ihren außenpolitischen und entwicklungspolitischen Kurs für eine friedliche Lö3650 Schäfer ({12}) sung und gegen den Wahn militärischer Optionen fortzusetzen. - Vielen Dank. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Gottwald.

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema der Debatte heißt „Karibik und Zentralamerika - Politik der Bundesregierung". Die Politik der Bundesregierung gegenüber dieser Region ähnelt meiner Meinung nach einem echten Trauerspiel. Nachdem ich gestern die Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der Sozialdemokraten gelesen hatte, habe ich mich gefragt, ob die Regierung dieses Parlament eigentlich für dumm verkaufen will. ({0}) Es ist ein Zustand erreicht, in dem nicht nur der größte Teil der für die Zentralamerikapolitik verantwortlichen Regierungsmitglieder offensichtlich kaum ausmachen kann, in welchem Teil der Welt sich diese Region befindet, sondern in dem auch alle Hemmungen fallengelassen worden sind und die Bundesregierung keine noch so peinliche Antwort auf Anfragen mehr scheut. ({1}) - Ich komme noch zu Ihnen, Herr Klein. ({2}) Zentralamerika ist die ärmste Region Lateinamerikas mit den größten sozialen Gegensätzen, der größten Armut und Repression und dadurch mit den härtesten politischen Konflikten. Seit dem Versuch Nicaraguas 1979, aus dieser Situation auszubrechen, findet verstärkt eine konsequente Militarisierung der sozialen und politischen Gegensätze in der Region statt. ({3}) - Die USA, Herr Pinger, führen Krieg in Zentralamerika und der Karibik, um mit allen Mitteln ein zweites Nicaragua zu verhindern. Was ist eigentlich am 19. Juli 1979 in Nicaragua passiert? Was hat ein so kleines Land gemacht, daß es den Zorn des mächtigsten Staates der Welt und vieler seiner Bündnispartner auf sich gezogen hat? ({4}) Nach dem Sturz Somozas wurde in Nicaragua der systematische Versuch unternommen, eine Gesellschaft aufzubauen, die aus der einseitigen Abhängigkeit von den USA und dem Weltmarkt nur ein Stück weit auszubrechen versucht. Das Spezifische an der sandinistischen Revolution ist der Versuch, die Produktion auf die Bedürfnisse der Bevölkerung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des privaten Wirtschaftssektors umzustellen. Das ist wichtig. Das muß man noch einmal sagen. ({5}) Wesentliche Kennzeichen dieser gemischten Wirtschaft sind die Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Produktion, die Agrarreform, die gezielte Produktion von Grundnahrungsmitteln - sehr ungewöhnlich für Mittelamerika - und die Integration der Bauern in die politischen Entscheidungsprozesse. Daß die wirtschaftlichen und politischen Umstrukturierungen zu veränderten politischen Machtverhältnissen führten und die ehemaligen Nutznießer der alten Verhältnisse in ihrer Interessendurchsetzung beschnitten wurden, ist unumgänglich und war überdies Sinn und Zweck der Revolution. Das sollte man auch nicht vergessen. Es ist die gleiche Frage, die auch für die anderen Länder Zentralamerikas ansteht. Will man die soziale und politische Situation verändern, dann müssen die Interessengegensätze zugunsten der Mehrheit entschieden werden, die bislang unterdrückt und ausgebeutet wurde. ({6}) So einfach ist das. Es ist ganz banal eine Frage von Interessen, wobei sich alle zu fragen haben, auf welcher Seite sie eigentlich stehen. ({7}) Nicaragua hat sich entschieden und seine Gegenspieler auch. Es gibt die gemischte Wirtschaft, die zu fast 50 % vom Privatsektor getragen wird, weswegen es im Lande nach wie vor soziale Interessengegensätze gibt, auf denen externe Kräfte ihr Süppchen kochen. Niemals zuvor sind in Nicaragua die Interessengegensätze so öffentlich ausgetragen worden und hat die Opposition ein so breites, sogar internationales Agitationsfeld gehabt. Diesem Land vorzuwerfen, es gewährleiste keinen wirtschaftlichen und politischen Pluralismus, ist absurd. Es gibt in Nicaragua zwar keine politische Demokratie nach westlichem Muster, ({8}) was jedoch nicht bedeutet, daß es keine Partizipation der Bevölkerung an politischen Entscheidungen gibt. In Nicaragua sind große Teile der Bevölkerung viel direkter Träger der sozialen und politischen Prozesse als in der Bundesrepublik. ({9}) Die Voraussetzungen für Demokratie und ihre Formen in der Dritten Welt sind ganz anders als bei uns. ({10}) Meine Herren, es ist nicht möglich, am grünen Tisch Entwürfe für Demokratieformen in der Dritten Welt zu machen. ({11}) Es ist auch gar nicht nötig. Die Bevölkerung in der Dritten Welt hat ihre eigenen Entwürfe. Sie fallen vielleicht viel direkter aus, als Sie es sich wünschen, wie sich in Nicaragua zeigt. Sie sollten dann aber auch sagen, daß Ihnen diese Modelle nicht passen, ({12}) und nicht so heuchlerisch vorgeben, Sie sorgten sich um die Armen in der Dritten Welt. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. ({13}) - Mit Ihrer Polemik kommen Sie vielleicht später noch einmal zu Wort. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz auf den Antrag der CDU/CSU und FDP zur Karibikpolitik der Bundesrepublik eingehen, in dem sehr deutlich geschrieben steht: Es liegt nicht im Interesse der westlichen Demokratien, daß Diktatur und Unterdrückung in einzelnen Ländern bestehenbleiben ...

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Gottwald, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rumpf?

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von Herrn Rumpf? - Ja. ({0})

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Kollegin Gottwald, Sie haben eben erwähnt, wie demokratisch es in Nicaragua zugeht. Ich wollte Sie einmal fragen: Was halten Sie eigentlich von dem Umgang der Sandinisten mit den Misquito-Indianern?

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rumpf, ich muß sagen, ich finde diesen Umgang der Sandinisten mit den Misquito-Indianern sehr unglücklich. ({0}) Übrigens ist das aber gar nichts Besonderes, weil die Sandinisten selber ihren Umgang mit den Misquito-Indianern mittlerweile unmöglich finden und deswegen auch versuchen, heute eine andere Politik gegenüber den Misquitos zu machen, als sie das Anfang der 80er Jahre getan haben. ({1}) Ich zitiere noch einmal aus dem Antrag der CDU/ CSU und FDP: Es liegt nicht im Interesse der westlichen Demokratien, daß Diktatur und Unterdrückung in einzelnen Ländern bestehenbleiben ... Ich finde es schon bemerkenswert, wie wichtig es ist, was alles nicht oder doch im Interesse des Westens liegt. Die CDU/CSU sollte der Vollständigkeit halber dazuschreiben: Es liegt nicht im Interesse westlicher Demokratien, wenn Staaten der Dritten Welt ihren eigenen Weg gehen wollen, wie wir am Beispiel Nicaraguas sehen. - Das ist aber wiederum eine ganz andere Sache. Man kann der sandinistischen Regierung viele Fehler vorwerfen, aber man kann ihr nicht absprechen, daß sie stets versucht hat, ihren Zielen - gemischte Wirtschaft, politischer Pluralismus und Blockfreiheit - in der Praxis gerecht zu werden. ({2}) Man kann aber sehr wohl behaupten, daß die Vereinigten Staaten von Anfang an alles mit allen Mitteln versucht haben, damit dieses Modell nicht funktionieren kann. ({3}) Man kann auch über Militarisierung in Nicaragua lamentieren, ebenso über die zahlreichen Waffenkäufe aus der UdSSR, über die Militärberater aus Kuba und über die Wehrpflicht in Nicaragua. Gerade für uns GRÜNE sind das besorgniserregende Faktoren. Es gibt aber keinen Sinn, dies ständig zu konstatieren - wie es z. B. die Bundesregierung tut -, wenn man nicht die Ursachen dafür benennt. Die USA führen Krieg gegen Nicaragua. Die Nicaraguaner müssen ihr Land, ihre Kooperativen, ihre Bauern gegen die von den USA ausgebildeten Banden an der Grenze zu Honduras verteidigen. Sollen sie die Waffen dafür vielleicht in den USA kaufen? Nehmen Sie den Tatbestand der äußeren Aggression doch endlich einmal zur Kenntnis, und leugnen Sie ihn nicht ständig. Die Frage ist: Wer destabilisiert eigentlich wen? Destabilisiert Nicaragua vielleicht die USA? Es ist eine unglaubliche Frechheit, daß in der Antwort der Regierung auf die SPDAnfrage nicht einmal der Begriff Militärpolitik der USA in Zentralamerika vorkommt. ({4}) Was ist das für eine Friedenspolitik dieser Regierung, die auf dem linken Auge völlig übersichtig geworden ist, dafür aber auf dem rechten Auge völlig blind, ({5}) die sich mit penetranter Konsequenz weigert, die Kriege ihres Bündnispartners überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, ({6}) dafür aber von dem Wahn besessen ist, hinter jeder sozialrevolutionären Entwicklung in der Dritten Welt stehe der große Bruder aus dem Osten. ({7}) Das zweite große Problem in Zentralamerika ist El Salvador. In El Salvador haben sich weite Teile der Bevölkerung zum erbitterten Kampf gegen ein Regime entschlossen, das zur Aufrechterhaltung der herrschenden Ausbeutungsverhältnisse Verfolgung, Folter und politische Morde zum täglichen Regierungsgeschäft gemacht hat. Die Opposition hat mittlerweile eine solche politische und militärische Stärke entwickelt, daß das Militärregime ohne US-Hilfe längst zusammengebrochen wäre. Todesschwadrone und Killerkommandos, deren Chef der jetzige Präsident der verfassunggebenden Versammlung ist, beherrschen das Land. Daß sie sich aus Teilen der Regierungsarmee zusammensetzen und deshalb eine Trennung von Militär und Todesschwadronen nur schwer möglich ist, bestätigte uns selbst der Präsident des Landes, als eine Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im November 1983 dort war. Diese Tatsache macht übrigens mittlerweile selbst dem amerikanischen Präsidenten Sorge. Nur die Bundesrepublik ist nicht in der Lage, der Realität zu folgen. Auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Waltemathe antwortete sie, daß nach ihren Informationen den salvadorianischen Regierungskräften keine rechtswidrigen Handlungen unterstellt werden könnten. Wer im Fall von El Salvador von Demokratisierungsprozessen und von der Verbesserung der Menschenrechtslage spricht, leugnet die Realität und widerspricht allen Untersuchungen internationaler Menschenrechtsorganisationen ({8}) außer natürlich den Untersuchungen, die die USRegierung selber angestellt hat. ({9}) Die Wahlen im März dieses Jahres werden, falls sie überhaupt stattfinden, die Situation nicht verändern. Ganz abgesehen davon, daß sich die Opposition an den Wahlen nicht beteiligen darf und kann - was die Freiheit der Wahlen unabhängig von den zu erwartenden Wahlfälschungen nicht gerade freier macht -, wird der Wahlausgang die faktischen Machtverhältnisse nicht berühren. Selbst unter der christdemokratischen Duarte-Regierung Anfang 1980 hat es Menschenrechtsverletzungen in großem Umfang gegeben. Die März-Wahlen lassen die Greueltaten des Militärs unberührt. Sie bieten allenfalls eine neue Fassade für die Legitimierung weiterer ausländischer Hilfe. Darauf spekuliert wohl auch die Bundesregierung bei ihrem Beschluß, wieder Entwicklungshilfe zu zahlen. In der Antwort auf die SPD-Anfrage ist darüber hinaus das Loblied der Bundesregierung auf die Agrarreform sehr verwunderlich. In El Salvador gibt es keine in weitem Umfang eingeleitete Agrarreform, wie es in der Antwort geschrieben steht. Die entscheidende Phase zwei der Agrarreform, die den Hauptteil des großen und mittleren Grundbesitzes des Kaffeeanbaus betreffen sollte, ist nie durchgeführt worden. Die verbleibenden Teile dieser Reform sind in der Umsetzung von den Militärs massiv gestört worden. Im Dezember 1983 ist auf Druck der Oligarchie die Agrarreform von der verfassunggebenden Versammlung faktisch gestoppt worden. Sollte das dem Auswärtigen Amt wiederum entgangen sein? ({10}) Mittelamerika ist auf Grund seiner sozialen Problematik und der politischen Repression zum Unruheherd geworden, der nach Veränderung und Überwindung dieser Situation schreit. Die USA sorgen dafür, daß das nicht passiert. Die USA führen in Zentralamerika und der Karibik auf allen Ebenen und mit unterschiedlicher Intensität Krieg: politisch, ökonomisch, militärisch, offen, verdeckt, direkt oder mit regionalen Helfershelfern wie z. B. Honduras. Wer es bis dahin noch immer nicht glauben wollte, daß die USA jederzeit mit militärischen Überfällen kalkulieren, wenn ihnen in der Region eine Regierung nicht in den Kram paßt, wer es immer noch nicht wußte, konnte sich am 25. Oktober 1983 noch einmal ein Lehrstück in Sachen Demokratie anschauen. Grenada, das seit 1979 einen Weg der politischen und ökonomischen Unabhängigkeit zu gehen versuchte, ({11}) wurde von US-Truppen und einigen ostkaribischen Feigenblattsoldaten besetzt. - Daß Sie die Invasion begrüßen, Herr Marx, ist mir klar. ({12}) Dies geschah, sehr verehrte Kollegen von der CDU/CSU, im Namen der Freiheit, versteht sich. Wir können aus der Politik der Vereinigten Staaten folgendes Fazit ziehen: Die USA behindern nach besten Kräften eine durchgreifende strukturelle Lösung der sozialen Konflikte in den einzelnen Ländern der Region. Sie wollen weiterhin günstige Investitionsbedingungen für das US-Kapital und billige Arbeitskräfte in den jeweiligen Ländern garantiert wissen. Sie wollen aus geostrategischen Gründen im gesamten karibischen Becken umfassende Kontrollen behalten und benötigen dafür überall Militärstützpunkte, die sie auch aufbauen. Sie wollen ihre politische Vormachtstellung demonstrieren sowie ihre Bereitschaft, überall in der Welt ihre Interessen durchzusetzen. Ab Oktober 1983 wurden seitens der USA Schritte zur Wiederbelebung des zentralamerikanischen Verteidigungsrates Condeca gegen Nicaragua unternommen. Die Einberufung des interamerikanischen Verteidigungspakts TIAR gegen Nicaragua wurde ebenfalls erwogen. Die Gesamtstrategie der USA als Geflecht von politischen, ökonomischen und militärischen Maßnahmen mit dem Schwerpunkt auf militärischen Lösungen zeigt sich besonders gut im Bericht der von der Reagan-Administration eingesetzten Kissinger-Kommission. Diese Kommission wurde von Reagan eingesetzt. Das Ergebnis fiel dementsprechend aus. Kernstück des Berichts ist die Militärhilfe. Der Bericht geht wie die Reagan-Administration von der absurden Annahme aus, die Sicherheit der USA in dieser Region werde von der Sowjetunion und Kuba bedroht. Damit wird auch weiterhin der Ost-West-Gegensatz an die Stelle der eigentlichen Ursachen der Konflikte in der Region gesetzt, nämlich der sozialen Auseinandersetzungen im Innern der einzelnen Länder. Dieser Bericht ist letztlich ein Freibrief für Reagan, seine Kriegspolitik in Zentralamerika mit noch höheren finanziellen Mitteln als bisher fortsetzen zu können. Den Empfehlungen der Kissinger-Kommission stehen die Vereinbarungen der Contadora-Staaten mit den fünf zentralamerikanischen Ländern von Anfang 1984 direkt gegenüber. Die Zielrichtung des Kissinger-Berichts und die der Contadora-Initiative widersprechen sich. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, all diese Fakten nicht zur Kenntnis zu nehmen. Auf alle Fälle spricht sie nie darüber, wie man an der Antwort auf die SPD-Anfrage sehen kann. Oder sie streitet diese Fakten ab, wie Minister Genscher auf der Botschafterkonferenz in San José im Oktober 1983. Eine aggressive Politik der USA gegen Nicaragua gebe es nicht, war seine Aussage in einem dpa-Interview. Warum diese Politik? Es geht offensichtlich um Höheres als um die Konflikte in Mittelamerika. Es geht um das Nordatlantische Bündnis. Um jeden Preis muß eine Kritik am Bündnispartner USA vermieden werden. Um jeden Preis muß die innenpolitische Diskussion über die Konsequenzen der US-Politik vermieden werden, auch um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit. Daß bei einer solchen Politik Peinlichkeiten und verheerende Widersprüche auftauchen, läßt sich nicht vermeiden. Nachdem die USA nach monatelangen Sabotageversuchen die Contadora-Initiative verbal unterstützen, da sie ihr keine Bedeutung mehr beimessen, gibt die Bundesregierung auch ein Lippenbekenntnis dazu ab. In ihrer Antwort auf die SPD-Anfrage begrüßt die Bundesregierung auch die Unterstützung der fünf mittelamerikanischen Staaten für Contadora, vergißt dabei aber zu erwähnen, daß just im Oktober 1983 vier dieser Staaten den mittelamerikanischen Verteidigungspakt Condeca unter Anleitung der USA gegen Nicaragua wiederbelebt hatten. Im Januar 1984 erscheint der Kissinger-Bericht, dessen Empfehlungen die Bundesregierung aufs heftigste begrüßt. Die Verdoppelung der Wirtschaftshilfe für El Salvador findet sie ausgezeichnet. Daß Nicaragua kein Geld bekommt, stört sie nicht. Sie hat offensichtlich ähnliche Pläne. Die Militärhilfe an El Salvador, Honduras und Guatemala wird nicht erwähnt, wie überhaupt unerwähnt bleibt, daß die Konzeption des Kissinger-Berichts primär eine militärische ist und die Wirtschaftshilfe als flankierende Maßnahme gedacht ist. Die Bundesregierung unterstützt nun zwei Initiativen, die einander grundsätzlich widersprechen. Contadora ist für Entmilitarisierung und Einstellung externer Militärhilfe; die Kissinger-Kommission ist für massive Aufrüstung der reaktionären Militärdiktaturen zwecks Vorbereitung eines regionalen Krieges. Wen stört's? In bezug auf Nicaragua gehen die Widersprüche weiter. Ich zitiere: Der Bundesregierung liegen Informationen über einen aggressiven Ideologieexport und eine Destabilisierungspolitik Nicaraguas vor. So lautet eine Antwort des Auswärtigen Amtes vom 6. Dezember 1983 auf meine Frage, warum die Finanzhilfe an Nicaragua nicht ausgezahlt wird. Übrigens liegen mir andere Informationen vor. Außerdem hatte ich nicht nach Informationen, sondern nach Beweisen gefragt. Nebenbei bemerkt: Wenn Sie wissen wollen, was Ideologieexport ist, dann lesen Sie einmal die Entschließung des Deutschen Bundestages zur personellen Entwicklungshilfe der Bundesrepublik auf Drucksache 9/2220. Wenn Sie das lesen, dann wissen Sie, was Ideologieexport ist! - Ja, Herr Lamers, Sie wissen, was darin steht, sonst würden Sie nicht so lachen. ({13}) Die Angaben über die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit deri Staaten Zentralamerikas in der Antwort auf die SPD-Anfrage betrachte ich als bewußte Irreführung. Nicaragua als das angeblich am meisten geförderte Land anzugeben soll wohl von der Tatsache ablenken, daß es seit 1981 keine Finanzhilfe mehr erhalten hat und daß diese Bundesregierung dabei ist, die Zahlungen ganz einzustellen. Es ist überhaupt sehr interessant, welche Begründungen für die Nichtauszahlung der 40 Millionen DM Finanzhilfe vom BMZ gegeben werden. Unter anderem behauptet das Ministerium, Nicaragua habe zu wenige Projekte eingereicht und es gebe keinerlei Mittelzusage von seiten der Bundesrepublik. Als nun die Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im November 1983 in Nicaragua war, mußte sie folgendes feststellen: Die Anzahl der vorgeschlagenen Projekte ist mehr als ausreichend gewesen. Es existiert außerdem eine mündliche Zusage in Form einer Verbalnote von 1981 über eben diese 10 Millionen DM Warenhilfe für bereits gekaufte Landmaschinen aus der Bundesrepublik, die jetzt offensichtlich mit noch ausstehenden Schulden seitens Nicaraguas verrechnet werden sollen. Die Aussagen des BMZ, die es uns gegenüber vorher gemacht hatte, waren offensichtlich falsch. Was völlig fehlt, ist - so haben wir in Nicaragua festgestellt - eine Kommunikation des BMZ mit der nicaraguanischen Regierung über die angeblichen Vorbehalte gegenüber den eingereichten Projektvorschlägen. Was fehlt, ist offensichtlich der politische Wille zur Auszahlung der Gelder. ({14}) Dieses Problem hat das BMZ bei El Salvador nicht. Welche Projekte sind eigentlich für El Salvador vorgesehen? Basisnahe Kleinprojekte, die stets angestrebt werden, werden in der gegenwärtigen Situation kaum durchgeführt werden können. Was bleibt, sind Infrastrukturmaßnahmen, die auch bereits als Ersatzprojekte ausgeschrieben sind. AEG-Telefunken war schon in El Salvador, wie uns dort im November der Planungsminister mitteilte. Für Nicaragua werden die Renovierung und der Ausbau des Fernmeldewesens verweigert, weil es sich laut BMZ bei Infrastrukturmaßnahmen stets um strategische Projekte handele. Trifft das bei El Salvador eigentlich nicht zu? Fazit: Die Bundesregierung verfolgt eine Mittelamerikapolitik, die sich streng an die Vorgaben der USA anlehnt, ({15}) diese begleitet und ergänzt. Sie legitimiert das Vorgehen der USA in der Region, übernimmt deren Feindbilder und teilt deren antikommunistische Doktrin. ({16}) Sie stellt damit die sozialen und politischen Konflikte der Region in den Kontext der Ost-West-Problematik. Sie macht das Gegenteil von dem, was sie stets beteuert. Sie unterstützt nicht die Kräfte, die sich für soziale Verbesserung und Demokratisierung einsetzen. Sie setzt sich nicht für Frieden ein, sondern steht auf seiten der Kriegstreiber. Eine Politik, die nicht bereit ist, die Kriegspolitik der USA in Zentralamerika und in der Karibik zu verurteilen, wie wir es in unserem Entschließungsantrag fordern, kann nicht für sich in Anspruch nehmen, die Interessen der armen Bevölkerung in der Region zu vertreten. ({17}) Sie kann ebenfalls nicht in Anspruch nehmen, eine internationale Friedenspolitik zu sein. Die Interessen liegen offensichtlich ganz woanders. Die Hauptgefahr heute in Zentralamerika und der Karibik ist die Militarisierung der Region durch die USA. ({18}) Ohne Einstellung der US-Intervention wird es nie einen Frieden in Mittelamerika geben. ({19}) In diesem Sinne ist der Antrag der GRÜNEN-Fraktion zu verstehen. Ich danke Ihnen. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort an den Kollegen Wischnewski richten, der von dem legitimen Recht der Opposition Gebrauch gemacht hat, den Zeitpunkt der Beantwortung der Großen Anfrage zu beanstanden. Herr Kollege, das gab uns die Möglichkeit, zu erwartende, aber in ihrem Eintreten nicht sichere Entwicklungen mitzuberücksichtigen, insbesondere die Verabschiedung einer Verfassung in El Salvador im Dezember 1983, die Anberaumung der Präsidentschaftswahlen für dieses Land für den 25. März 1984, die Ankündigung der Vorlage eines Wahlgesetzes in Nicaragua für den 21. Februar 1984 und schließlich die Verabschiedung eines grundsätzlichen Arbeitsdokuments der vier Contadora- und der fünf zentralamerikanischen Staaten am 8. Januar dieses Jahres sowie der Bericht der Kissinger-Kommission, der am 11. Januar vorgelegt wurde. Auch diese Tatsachen, Herr Kollege Wischnewski, würden noch nicht erklären können, warum die Bundesregierung erst am letzten Mittwoch über die Antwort auf die Anfrage beschlossen hat. Das hat vielmehr etwas mit mir persönlich zu tun, mit den Folgen meines Unfalls und meiner Abwesenheit durch die Teilnahme an der Konferenz in Stockholm. Ich darf insofern um Nachsicht bitten und Ihnen schon jetzt Besserung zusagen und mir persönlich Besserung erhoffen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sprechen über eine Region, die seit langem nicht nur im Interesse unseres Landes und der Menschen unseres Landes steht, sondern mit der wir zutiefst mitfühlen. ({1}) Die Politik, die wir betreiben, hat allein das Ziel, diese Region nicht zum Austragungsort der Gegensätze zwischen West und Ost werden zu lassen. ({2}) Wer das schreckliche Jahr 1962, Frau Kollegin, miterlebt hat, als es darum ging, ob sowjetische Raketen auf Kuba stationiert würden oder nicht, ({3}) als die Welt vor einem Dritten Weltkrieg stand, der wird eines verstehen: daß wir alles daransetzen müssen, diese Region nicht zum Austragungsort eines Machtkampfes zwischen den beiden Großmächten werden zu lassen. ({4}) Deshalb hätte ich mir gewünscht, daß Sie bei den von Ihnen so nachdrücklich vorgebrachten, von mir nicht geteilten, aber aus Ihrer Sicht verständlichen kritischen Bemerkungen zur Politik der Vereinigten Staaten auch einmal etwas zu den destabilisierenden Aktivitäten der Sowjetunion gesagt hätten. ({5}) Man kann Außenpolitik nicht betreiben, wenn man das so einseitig macht, daß man überhaupt kein Gefühl mehr dafür hat, was andere denken und wollen. Meine Damen und Herren, wir haben uns doch über den Kissinger-Bericht noch gar keine abschließende Meinung gebildet, die amerikanische Regierung auch nicht. ({6}) Aber es gibt im Kissinger-Bericht doch ganz unbestreitbar Vorschläge, die jeder unterstützen kann und muß, ({7}) der es mit dieser Region gut meint. ({8}) Wenn z. B. vorgeschlagen wird, daß bis 1990 in Höhe von 8 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe gezahlt werden soll, kann ich Ihnen sagen: Das genau ist es, was diese Region dringlich braucht, damit die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen, die der politischen Instabilität zugrunde liegen, beseitigt werden können. Auch das muß unser Ziel sein. ({9}) Ich denke, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gerade in dieser Region eine besondere Verantwortung übernehmen können. Europa hat gezeigt, daß es als Europäische Gemeinschaft in der Lage ist, mit Staatengruppen in verschiedenen Teilen der Welt zusammenzuarbeiten. Europa, als Gemeinschaft auftretend, steht auch nicht im Verdacht, Vorherrschaftszonen und Einflußzonen errichten zu wollen. Die Zusammenarbeit mit den ASEAN-Staaten ist ein klassisches Beispiel dafür. Ich wünsche mir - und wir haben es in der Europäischen Gemeinschaft wiederholt vorgeschlagen -, daß die Europäische Gemeinschaft den Staaten Zentralamerikas auch das Angebot einer solchen partnerschaftlichen Zusammenarbeit macht, und zwar ganz unabhängig von den unterschiedlichen politischen Strukturen unter der Voraussetzung, daß diese partnerschaftliche Zusammenarbeit von allen mit dem Ziel geführt wird, zu stabilisieren und nicht zu destabilisieren, soziale Gerechtigkeit zu erreichen und soziale Ungerechtigkeit nicht aufrechtzuerhalten. ({10}) Und nun muß man natürlich etwas sehen, Herr Kollege Wischnewski, wenn Sie die Kontinuität der Politik der Bundesregierung an dieser Stelle kritisch betrachten. Sie haben ja sonst in der Frage der Kontinuität von Außenpolitik eine größere Beweglichkeit - ich meine nicht Sie selbst, aber die restlichen 97 % Ihres Parteitags -, wenn es um die Sicherheitspolitik geht. ({11}) Aber ist es denn nicht so, daß wir alle nach der Revolution in Nicaragua einen großen Vertrauensvorschuß den Kräften gegeben haben, die dort die Diktatur überwunden hatten, ({12}) daß wir eine Entwicklungshilfe gegeben haben, die außerhalb jeder Proportion war, ({13}) weil wir gesagt haben: Hier muß ein neuer demokratischer Anfang unterstützt werden? ({14}) Und da wußten wir, daß es Kräfte in den regierenden Kreisen gibt, die gar nicht die Auffassungen haben, die wir hier, ganz gleich, wo wir sitzen mögen, für richtig hielten. Aber wir haben gesagt: Es sind Ziele gesetzt worden, und eines dieser Ziele ist der Pluralismus; und das wollen wir fördern; wir wollen, daß dieser Versuch eines demokratischen Anfangs Erfolg hat; und er wird ihn nur haben, wenn er wirtschaftlichen Fortschritt, wenn er sozialen Fortschritt bringt. Wenn die Bundesregierung heute sagt, daß ihre weitere Haltung zur Hilfe für Nicaragua dadurch beeinflußt werden wird, wie man sich zu den damals selber gesetzten Zielen stellt, dann ist das nichts anderes als das, was wir den Verantwortlichen in Nicaragua immer gesagt haben, wenn sie hierher kamen, wenn wir mit ihnen über diese Frage gesprochen haben. Denn das ist doch nicht eine Entwicklung der letzten drei Monate oder sieben Wochen; sondern es zeigte sich doch, wie immer mehr Kräfte von der Regierungsverantwortung ausgeschlossen wurden, wie immer stärker einseitig regiert wurde. Da können sie sich auch nicht auf den mir politisch nahestehenden, unserer Parteifamilie angehörenden Arbeitsminister berufen. Er hat zu dem Wahlgesetz Stellung genommen, Herr Kollege Wischnewski. Er hat gesagt, daß dieses Wahlgesetz ohne die Mitwirkung der anderen Parteien, auch der uns nahestehenden, entstanden sei. Und dann hat er gesagt, es bleibe abzuwarten, ob andere Parteien Gelegenheit zum Wahlkampf erhalten werden. Er stellt sich dieselbe Frage, die sich die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD stellt: ob es nur eine taktische Bewegung ist, die jetzt angekündigt ist, ober ob es wirklich eine Rückkehr zu den ursprünglichen Zielen nach der Machtablösung in diesem Land ist. Das ist die Haltung. ({15}) Da befinden wir uns ganz in Übereinstimmung mit diesen demokratischen Kräften. Was El Salvador angeht, Herr Kollege Wischnewski: Dort ringen demokratische Kräfte darum, daß ein Wahlvorgang trotz der Behinderungen durch Extremisten von rechts und links stattfinden kann. Niemand kann heute voraussagen, ob er so stattfinden wird, daß man von einem Wahlvorgang sprechen kann. ({16}) Denn niemand weiß, wie weit die Eskalation des Terrors geht. Nur, wenn uns diese demokratischen Kräfte bitten, zur Anerkennung ihres Bemühens auch durch den Status unserer diplomatischen Vertretungen beizutragen, und wenn wir den demokratischen Kräften in der Auseinandersetzung mit den Extremisten von rechts und links ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft dieses Landes setzen, dann kritisieren Sie das doch nicht! Das ist doch dieselbe Motivlage, die uns auch - unter anderen Voraussetzungen - bei Nicaragua veranlaßt hat, Hilfe zu leisten. ({17}) Hier befinden wir uns voll in der Kontinuität der Politik, die dieses Land seit Jahren betrieben hat. ({18}) Aber wir dürfen nicht über das hinwegsehen, was sich auch an Änderungen an anderer Stelle ergibt. Wir dürfen doch nicht blind sein dafür, daß sich die Sandinisten mehr und mehr von ihren ursprünglichen Zielen entfernt haben. Aber wir sagen ja nicht: Sie werden nicht mehr dazu zurückkehren. Die Bundesregierung sagt: Wir werden unser Verhalten davon abhängig machen, ob es ein taktisches Manöver oder ob es wirkliche Politik ist, was jetzt eingeleitet worden ist. ({19}) Nichts würde uns mehr freuen, als wenn sich die Erwartungen und Hoffnungen, die wir alle haben, bestätigen. - Es würde Ihnen leichter fallen, die Politik der Bundesregierung zu verstehen, wenn Sie sich die Mühe geben würden, unsere Ausführungen hier im Deutschen Bundestag mit derselben Ruhe anzuhören, mit der wir Sie anhören. ({20}) Sie haben ja nachher noch Gelegenheit, Ihre gegenteilige Meinung darzustellen. Nur, Sie werden niemals - das muß ich Ihnen einmal sagen - zu einer objektiven Einschätzung außenpolitischer Lagen und Probleme kommen, ({21}) wenn Ihre erste These ist: wenn irgend etwas nicht stimmt, sind bestimmt die Amerikaner daran schuld. Das hat bei Ihnen Prädomination. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wischnewski?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ich würde gern mit meinen Ausführungen fortfahren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich frage Sie dann anschließend noch einmal, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Denn ich habe im Moment die Aufmerksamkeit der GRÜNEN-Fraktion in einer Weise, wie man das nicht immer haben kann, und möchte deshalb die wirklich kurze Zeit, die Sie bis zur Durchführung der Rotation hier bei uns sein werden, nutzen, um Ihnen unsere Politik noch zu vermitteln. ({0}) - Also, das Wort „Masche", Herr Kollege, stammt nicht von mir. Aber wenn Sie damit sagen wollten, daß Ihre Erklärung vor der Wahl, Sie wollten die Mandate nach zwei Jahren wechseln, eine Wahlmasche war, dann wird das für Ihre Wähler eine außerordentlich interessante Information sein, die etwas mit Ihrer politischen Glaubwürdigkeit zu tun hat. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, ich darf Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wischnewski?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ich möchte meine Ausführungen gern fortsetzen, Herr Kollege Wischnewski. Mittelamerika ist seit vielen Jahren ein gefährliches Spannungsgebiet; das kann niemand bestreiten. Die Völker dieser Region ringen um eine gerechte politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung. Sie wollen demokratische Institutionen. Sie fordern eine eigenständige Entwicklung, die frei von fremden Einflüssen ist. Da kann es gar keinen Zweifel geben, daß die Ursachen der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zunächst einmal in überkommenen, nicht mehr tragfähigen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen liegen. Die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme haben zu einer Krise der Gesellschaftssysteme vieler mittelamerikanischer Länder geführt. Der Glaube an gewaltsame Lösungen hat sich leider ausgebreitet - wir müssen das sehen -, nachdem Wünsche über lange Zeit, Wünsche nach Reformen, mit nichts anderem als mit Repression beantwortet worden sind. ({0}) Sehen Sie, es wäre ganz falsch, wenn man eben erwachende demokratische Hoffnungen jetzt mit anderer Form und anderer politischer Zielrichtung der Repression beantworten würde. Das ist doch das Problem. ({1}) Das kann man nur objektiv tun, wenn man für die Gefahren von links und rechts für die Demokratie und nicht nur von der einen Seite ein scharfes Auge hat. Die Gefahren aus beiden Richtungen muß man sehen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Länder brauchen wirtschaftliche und finanzielle Hilfe von außen. ({3}) Diese Unterstützung ist gegenwärtig in besonderem Maße notwendig. ({4}) - Ich hatte darum gebeten, meine Ausführungen zu Ende führen zu können, weil ich im Interesse der Redezeit der anderen Redner der Koalition nicht übermäßig lange sprechen will. ({5}) - Ich bedauere wirklich, daß ich Ihnen nicht noch mehr erzählen kann. Ich würde das tun; denn ich halte Sie zwar für langfristig einseitig festgelegt, aber doch noch überzeugbar und gewinnbar. ({6}) Diese Unterstützung ist gegenwärtig in besonderem Maße notwendig; denn die Auswirkungen der weltweiten wirtschaftlichen Rezession, hohe Zinsen, sinkende Exporterlöse, erdrückende Schuldenlasten erschweren die eigenen Anstrengungen der Länder um Gesundung und Erneuerung. Ich habe manchmal den Eindruck, daß in der Diskussion über Zentralamerika vielleicht ein bißchen überstark auch innenpolitische Gegensätze aus diesem Lande auf die Außenpolitik übertragen werden, statt über die brennenden Probleme der Menschen dort zu sprechen, die sie unabhängig davon haben, wer dort gerade die Regierungsgewalt hat. Armut drückt auch dort, wo eine andere politische Richtung diese Armut prolongiert. ({7}) - Sie können uns doch dazu keine Vorwürfe machen; denn wir sind auf jeden Fall eine Regierung, die in der Lage ist, unser Land aus einer schweren wirtschaftlichen Krise herauszuführen. ({8}) Das erklärt auch, warum wir bei der friedlichen Entwicklungshilfe eine so hervorragende internationale Position haben, während Länder, die ein anderes politisches System haben, nur eine einzige Spitzenposition haben, ({9}) nämlich die Spitzenposition bei Waffenlieferungen in Krisengebiete, wo in Wahrheit Traktoren, Schulen und Krankenhäuser gebraucht werden. ({10}) Mittelamerika liegt nicht isoliert. Was sich dort entwickelt und was dort geschieht, hat seine Auswirkungen auf die umliegenden Nachbarländer, auf ganz Lateinamerika. Da zeigt sich, daß unsere Auffassung, daß die Lösung von regionalen Problemen am besten in der Hand von politischen Kräften aus der Region liegt, nicht nur von uns für richtig gehalten, sondern auch von den Staaten der Region bejaht wird. Deshalb unterstützen wir die ContadoraInitiative. ({11}) Wir haben das von Anfang an getan, wir werden das auch in Zukunft tun. Da werden wir die Vorschläge, die jetzt gemacht worden sind, sehr genau prüfen; aber wir werden uns auch das Recht vorbehalten zu prüfen, welches der Länder, das diese Verpflichtungen unterzeichnet hat, sie wirklich erfüllt oder wer dort mit der Unterschrift nur einen guten Konferenzabgang haben wollte. ({12}) Deshalb kommt es jetzt darauf an, daß wir alle unsere politischen Möglichkeiten einsetzen, daß es zur Durchführung der Entscheidungen kommt, die durch die Vermittlung der Contadora-Staaten zustande gekommen sind, und daß wir durch unsere Politik dazu beitragen, diejenigen zu ermutigen, die das ernsthaft wollen. Es kommt darauf an, daß wir sagen, wir werden nicht achtlos daran vorübergehen, wenn selbst-erklärte Verpflichtungen nicht eingehalten werden. Ich glaube, daß wir unsere Verantwortung am besten erfüllen, wenn wir bei der Auseinandersetzung über die Entwicklung in Zentralamerika ein Land nicht als Nebenpunkt behandeln, das eigentlich ein Beispiel setzen sollte, wie Zentralamerika politisch sein könnte. Ich meine das Land Costa Rica. ({13}) Das ist ein Land, meine Damen und Herren, mit einer funktionierenden Demokratie, mit schwersten ökonomischen Problemen, über deren Ursache ich nicht reden will - die nicht nur von außen kommen; aber das ist ein innenpolitisches Problem der dort agierenden politischen Kräfte. Wir sollten durch unsere Hilfe für Costa Rica zeigen, daß dies ein Modellfall für ein unabhängiges Land sein kann, für ein Land, das durch demokratische Struktur - das ist mehr als nur Pluralität - und durch eine weitgehend marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, aber auch durch rechtzeitige soziale Reformen - Costa Ricas soziale Reformen werden oft übersehen - eine relativ stabile Demokratie geschaffen hat. ({14}) Das, was heute Costa Rica bedroht, ist nicht innere soziale oder politische Instabilität. Was Costa Rica heute bedroht, ist die Gefahr, mehr und mehr in die Auseinandersetzungen anderer Staaten hineingezogen zu werden, ({15}) Objekt einer Instabilitätspolitik zu werden. Das Beispiel Costa Rica sollten Sie sich einmal genau ansehen, weil es das Land Zentralamerikas ist, das frühzeitig auf eigene Streitkräfte verzichtet hat, das heute gegenüber solchen Aktivitäten praktisch wehrlos ist und das gerade wegen dieser Wehrlosigkeit unserer besonderen politischen und wirtschaftlichen Unterstützung bedarf. Nun haben Sie, Frau Kollegin Gottwald, eine Bemerkung gemacht, die der Vertiefung bedarf. ({16}) Sie haben gesagt: Man kann ja nicht erwarten, daß sich überall in der Dritten Welt die demokratischen Entwicklungen so vollziehen, wie wir uns das hier in der Bundesrepublik Deutschland vorstellen. ({17}) Da haben Sie absolut recht. ({18}) Das muß übrigens auch für alle Teile der Welt gelten. ({19}) Unsere Auffassung, daß in der Blockfreienbewegung die Grundsätze der Unabhängigkeit, aber auch der nationalen Identität verwirklicht sein sollten, deckt sich genau mit dieser Auffassung. Wir können und wir wollen nicht Lehrmeister sein ({20}) für die inneren Strukturen in diesen Ländern. ({21}) Was wir anbieten können, ist das Beispiel unserer eigenen Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur. ({22}) Costa Rica ist ein solches Land, das dieses Beispiel positiv angenommen hat. ({23}) Diese Länder wissen, daß dieses Beispiel auch für sie gut ist. ({24}) Denn unsere gute wirtschaftliche Lage ermöglicht es uns - ich muß es Ihnen noch einmal sagen, auch wenn Sie es nicht gern hören -, bei der friedlichen Entwicklungshilfe mit an der Spitze der Welt zu stehen. ({25}) Sagen wir es einmal deutlich: Wir, die Bundesrepublik Deutschland, leisten mehr als doppelt soviel staatliche Entwicklungshilfe ({26}) als alle Staaten des Warschauer Pakts zusammengenommen. ({27}) Wo wir nicht konkurrenzfähig sind, das sind die Waffenexporte. Dabei wollen wir das auch gar nicht sein. Ich spreche noch gar nicht von den privaten Investitionen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es wird uns in der Mittelamerikapolitik mehr weiterhelfen - und damit auch den Völkern dort weiterhelfen -, wenn der Deutsche Bundestag weniger Vergangenheitsbewältigung betreibt oder versucht, Ost-West-Gegensätze oder Parteifamiliengegensätze in seine Debatte zu tragen, sondern wenn wir gemeinsam prüfen, wie wir dazu beitragen können, daß die Ziele und politischen Vorstellungen der Contadora-Gruppe verwirklicht werden. Es würde uns mehr helfen, wenn wir in unseren Parteifamilien in der Europäischen Gemeinschaft dafür sprächen, daß die anderen Mitgliedstaaten wie wir, die Bundesregierung, dafür eintreten, daß die Europäische Gemeinschaft eine besondere Verantwortung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Zentralamerika erkennt, und wenn es gelingt, dieses Programm durch eine Gemeinschaft in die Tat umzusetzen, die auch nicht im Verdacht steht, diese Region dominieren zu wollen. ({28}) Daß hier ein Machtgefälle zwischen einem großen Nachbarn im Norden und kleineren Ländern besteht, ist doch objektiv richtig. Deshalb wird diese Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft ein Beitrag zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit sein. Denn eines weiß die ganze Welt: Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und die Bundesrepublik Deutschland leisten Hilfe, um Hunger und Not zu überwinden. Wir wollen, daß überall in der Welt die Menschenrechte gewahrt werden. Aber was wir niemals verlangt haben und was wir um der Glaubwürdigkeit unserer Politik der Zusammenarbeit mit den Staaten der Dritten Welt willen auch nie tun werden, ist, daß wir erwarten, daß wir unser politisches System exportieren. Ich sage noch einmal: Wir zeigen es als Beispiel. Wir zeigen es als Modell. Wir wissen, daß nicht alles, was in Europa richtig ist, auf Asien, Afrika oder Amerika übertragbar ist. ({29}) Ich stelle aber fest, Frau Kollegin - damit komme ich auf Costa Rica zurück -, im zentralamerikanischen Raum zeigt dieses Land doch, daß es durchaus möglich ist, die Grundsätze von Demokratie zu bejahen, die wir für richtig halten. Man kann Demokratie nicht durch Begriffe wie „Partizipation" als ersetzt gelten lassen, wie Sie das genannt haben. Das sind schöne Verschleierungen ({30}) dafür, daß man sich, wenn man an der Macht ist, nicht der Entscheidung der Wähler über Ablösung oder Bestätigung stellen will. Das ist der Punkt. ({31}) Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, uns in der Zentralamerikapolitik zuerst darauf zu konzentrieren, die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Instabilität zu überwinden, alles zu tun, damit der West-Ost-Gegensatz nicht auf diese Region übertragen wird, und unseren Beitrag dazu leisten, daß diese Staaten ihre Unabhängigkeit stärken können. ({32}) Wenn wir das tun, dann dienen wir auch unseren europäischen Interessen. Ich erinnere an das, was ich Ihnen zur KubaKrise gesagt habe: Der Frieden in Zentralamerika ist nicht nur der Frieden dieser Völker, er ist nicht nur der Frieden der Vereinigten Staaten, an deren Frieden wir allerdings interessiert sind, weil sie auch Garant unseres Friedens sind, der Frieden dort ist auch unser Frieden. Wenn wir so an diese Aufgabe herangehen, kann sogar diese Diskussion und Debatte noch eine sachliche und konstruktive Definition dessen geben, was uns gemeinsam bewegen sollte. Das ist die Unterstützung der Politik der Contadora-Staaten. ({33})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein Krisenherd bewegt - obwohl so weit von Europa entfernt - die europäische öffentliche Meinung so sehr wie Mittelamerika und die Karibik. Mit der Antwort haben Sie sich viel Zeit gelassen. Was lange währt, muß noch lange nicht in allen Teilen gut sein, Herr Außenminister. Die Antwort ist auch dadurch interessant, daß sie sich an einigen wichtigen klaren Aussagen vorbeidrückt. Wir finden es enttäuschend, daß Sie hier nicht eindeutig erklärt haben: Die Bundesregierung unterstützt das Gewaltverzichtsprinzip. Deshalb wendet sie sich gegen jede Art von militärischer Intervention, auch gegen die US-Intervention in diesem Raume. ({0}) Wir hätten genauso erwartet, daß man sich eindeutig gegen die CIA-Aktivitäten ausspricht, die auch in dieser Region destabilisierend wirken. ({1}) Wir Sozialdemokraten sehen - wie die Bundesregierung und wie auch der Kissinger-Bericht - die wesentlichen Ursachen in den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, aber nicht nur in ihnen, sondern auch in den häufig undemokratischen politischen Strukturen, die zu einer massiven Unterdrückung der Bevölkerung beitragen, sowie auch in der Unterentwicklung und der Ausbeutung. Nicht der internationale Kommunismus, Herr Klein, ist daran schuld, daß es in verschiedenen Ländern soziale Emanzipations- und Befreiungsbewegungen gibt; verantwortlich für ihr Entstehen sind zuallererst diese ungerechten unterdrückerischen Strukturen. Das versucht die Sowjetunion auszunutzen. Aber machen Sie es nicht andersherum! ({2}) In dem Bericht der Kissinger-Kommission sind in der Tat einige positive Ansätze zu sehen, aber das Fazit für den Präsidenten Reagan wird sein: Im Zweifel sollen die USA eine militärische Lösung erzwingen. Auf die Widersprüche zwischen Contadora und Kissinger-Bericht hat die Kollegin Gottwald zu Recht hingewiesen. Dies beweist auch der Kissinger-Bericht selbst. Dort heißt es: Die USA können den Contadora-Prozeß nicht als Ersatz für die eigene Politik benutzen. Deshalb, Herr Bundesaußenminister, reichen Lippenbekenntnisse zu den Contadora-Aktivitäten nicht aus. Sie müssen tatkräftig und konstruktiv dabei mithelfen, daß dies umgesetzt wird. ({3}) Ich stimme dem demokratischen Senator Alan Cranston aus Kalifornien zu, der den Kissinger-Empfehlungen vorwarf, nur 01 auf das Kriegsfeuer schütten zu wollen, indem sie Illusionen eines militärischen Sieges in El Salvador und eines gewaltsamen Sturzes der nicaraguanischen Regierung nährten. ({4}) - Ich kann Ihnen auch sagen, daß ich mit der gesamten Fraktion und den 30 demokratischen Abgeordneten des Repräsentantenhauses übereinstimme, die gesagt haben, daß derjenige, der den in der Region tobenden Kampf in Ost-West-Begriffe gießt, wie es da geschieht, die Gewalt dadurch erhöht, indem er nämlich die Linke radikaler und die Rechte noch unversöhnlicher macht. Das wollen wir alle nicht. ({5}) Entwicklung heißt für die Menschen in der Region, aber nicht nur dort, zuvörderst Befriedigung der Grundbedürfnisse, Freiheit von Not und Furcht, Verwirklichung der politischen und sozialen Menschenrechte. Wir Sozialdemokraten begrüßen ausdrücklich die Würdigung der gemeinsamen Bundestagsentschließung zur Entwicklungspolitik vom 5. März 1982, die sich auch in dieser Antwort findet. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß diese gemeinsame Bundestagsentschließung in der letzten Woche als Grundlage für die Entwicklungspolitik hier einstimmig erneuert worden ist. Einige Anmerkungen zu den Ländern Honduras, El Salvador und Nicaragua, die ich zusammen mit einigen anderen Kolleginnen und Kollegen im November habe besuchen können. Honduras ist eines der ärmsten Länder der Region. Die Wirtschaftslage ist katastrophal. Das liegt nicht nur am Mißmanagement im eigenen Lande, sondern hat auch äußere Ursachen, etwa den Verfall von Rohstoffpreisen. Das hängt insofern auch mit der Weltwirtschaftsordnung zusammen. Die militärische Präsenz der USA ist in keinem mittelamerikanischen Land so groß wie in Honduras. ({6}) Honduras ist Aufmarschgebiet für die vom CIA unterstützten Konterrevolutionäre, die gegen Nicaragua kämpfen. Zum politischen System stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion fest: „Seit 1982 ({7}) in Honduras ein aus Wahlen hervorgegangenes Parlament und ein frei gewählter Präsident". - Diese lapidare Feststellung erweckt einen falschen Eindruck. ({8}) In Honduras gibt es keine wirkliche Demokratie, so der einzige christdemokratische Abgeordnete im honduranischen Parlament. Es gibt schwere Menschenrechtsverletzungen, und wir möchten Sie, Herr Bundesaußenminister, bitten, daß Sie sich u. a. auch für die Deutsch-Honduranerin Inés Schwaderer einsetzen, damit sie freigelassen wird. ({9}) Wir haben das als Delegation gemacht, aber bislang leider noch keinen Erfolg gehabt. Der eigentlich starke Mann in Honduras ist eben nicht der Präsident, sondern neben dem US-Botschafter der General Alvarez. Die Streitkräfte üben die eigentliche Macht aus. Dennoch ziehen wir Sozialdemokraten für die Entwicklungshilfe nicht die Konsequenz, diese einzufrieren oder zu kürzen, wie Sie das gegenüber Nicaragua gemacht haben. Ich will auch noch ein kurzes Wort zu Costa Rica sagen, weil angemerkt worden ist, wir Sozialdemokraten vergäßen dieses freie Land, das in der Tat in vielen Bereichen Modellcharakter hat. Wie war das denn bei den Haushaltsberatungen? Wer hat denn da im Ausschuß einen Antrag zur Erhöhung der Entwicklungshilfe an Costa Rica gestellt? Das waren wir Sozialdemokraten. Das ist von Ihnen abgelehnt worden. Ihr Vorwurf richtet sich selbst. ({10}) Mit unserer Entwicklungshilfe in Honduras sollte der kotleidenden Bevölkerung geholfen und Honduras beim Prozeß der Demokratisierung gestützt werden. Der Außenminister Paz Barnica von Honduras hat selber bescheiden gesagt: Wir sind ein Land auf dem Wege zur Demokratie. Wir meinen deshalb: Das soll unterstützt werden. Warum nehmen Sie nicht die Bedenken gegen die Militarisierung von Honduras auf, die auch von vielen Ihrer politischen Freunde geäußert worden sind? Läge es nicht an Ihnen, die kluge und vorausschauende Neutralitätserklärung Costa Ricas auch für Honduras als die bessere Lösung vorzuschlagen? Nicaraguas Wirtschaftsaussichten sind noch nicht rosig, wie die deutsch-südamerikanische Bank in ihrem letzten Vierteljahresbericht schreibt. Dort heißt es auch: Die politische Unsicherheit hält an; bei fortgesetzten Unruhen an den Grenzen zu Honduras und Costa Rica richten sich Anschläge aufständischer Gruppierungen zunehmend auf die Zerstörung wirtschaftlicher Infrastruktur. Das neue Nicaragua ist ein Land mit beachtlichen Erfolgen im Bereich der sozialen Menschenrechte, wie z. B. im Gesundheitswesen, bei der Landreform, bei der Alphabetisierung; auf der anderen Seite sind Verletzungen der politisch-bürgerlichen Freiheitsrechte zu beklagen. Reagans Pauschalbehauptung aber, von der Bundesregierung in der Substanz übernommen, die jetzigen Machthaber in Nicaragua seien so totalitär wie jedes beliebige kommunistische Land, trifft nicht zu, wie die Existenz von verschiedenen Parteien - etwa auch der liberalen Partei, die jetzt einen eigenen Präsidentschaftskandidaten für das nächste Jahr aufstellen will -, eines freien UnterDr. Holtz nehmerverbandes COSEP, der klagt, aber immerhin zugeben muß, daß 50 % der Wirtschaftsaktivitäten im Privatbereich ablaufen - die Regierung nennt eine noch höhere Zahl -, einer unabhängigen Menschenrechtskommission und einer sich wieder größeren Spielraums erfreuenden Oppositionszeitung - solche Zeitungen wie „La Prensa" werden Sie in der DDR, in der Sowjetunion nicht finden - beweist. Ich finde es gut, daß die Zensur jetzt zurückgedreht worden ist. Wir fordern die Pressefreiheit. Das ist ganz, ganz wichtig. Die Bundesregierung aber stellt immer die Frage - das haben Sie auch gerade getan -, ob die jüngsten positiven Veränderungen - da gibt es nicht nur Ankündigungen; es hat Veränderungen gegeben ({11}) - ich habe sie gerade genannt - lediglich ein taktisches Manöver mit dem Ziel des Zeitgewinns darstellen. Wer vermag darauf eine verläßliche Antwort zu geben? ({12}) Aber eine Menge von Anzeichen sprechen dafür, daß die Entwicklung, die sich jetzt verstärkt hat, in die Richtung geht, die man uns auch mitgeteilt hat. Nicaragua befindet sich nach unserer Auffassung an einem Wendepunkt, an dem sich entscheidet, ob die Entwicklung dieses Landes stärker auf eine wirkliche demokratische Entwicklung hingeht oder auf eine - ich greife das einmal auf - Kubanisierung innen- wie außenpolitisch hinsteuert. Mit ausschlaggebend für die jeweilige Entwicklung ist die Frage, ob man Nicaragua jetzt unterstützt oder es politisch, wirtschaftlich und mit Hilfe der Contras militärisch bekämpft und so eben geradezu in eine falsche Richtung hineintreibt. ({13}) Angesichts der klaren Aussagen, man wolle freie Wahlen, man wolle keine Volksdemokratie à la Osteuropa - so Tomas Borge uns gegenüber -, man wolle selbstverständlich an der Blockfreiheit festhalten, keine ausländischen, keine sowjetischen Militärbasen zulassen, also die Sicherheitsbedürfnisse selbst der Großmacht USA anerkennen ({14}) - ich lasse keine Frage zu, weil die Zeit eilt -, bleibt als Konsequenz eigentlich nur, daß nicht Entmutigung, sondern Ermutigung die Devise gegenüber Nicaragua sein muß. ({15}) Ich kann der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, mit zweierlei Maß zu messen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern werden gegenüber Nicaragua besonders hohe Vorbedingungen gestellt. Sie gehen mit großem Knüppel gegen Menschenrechtsverletzungen mißliebiger Regime vor, während Sie schreckliche Verbrechen bei Verbündeten und westlichen Freunden in der Region - wie in Haiti - allenfalls mit Mahnungen bedenken. ({16}) Nicaragua hat bei der Beachtung der Bürgerrechte noch eine Wegstrecke zurückzulegen. Dabei sollte es wie Honduras unterstützt werden. Risikokapital ist Entwicklungshilfe allzumal, in Togo, in Zaire, in Mittelamerika. Wenn man argumentiert, Nicaragua sei ein kommunistischer Brückenkopf, so erinnere ich an die Analogie zu Portugal. Es gibt einen Kollegen, der heute morgen nicht unter uns ist, der seinerzeit gesagt hat: Portugal entwickelt sich zum kommunistischen Brückenkopf, zum Brückenkopf Moskaus. Damals war man bereit, Risikokapital einzusetzen. Ich bitte Sie: Handeln Sie jetzt ähnlich, und verurteilen Sie nicht schon vorab! ({17}) Steht die FDP mit ihrer Aufforderung zur Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua in vollem Umfang allein in der Koalition? ({18}) Die Ergebnisse Ihrer Bemühungen erkenne ich ausdrücklich an. Wir möchten von der Bundesregierung aber klar wissen, was sie mit den 40 Millionen DM zu tun gedenkt. 40 Millionen DM Entwicklungshilfe für Nicaragua sind kein geeignetes Mittel, um Druck auszuüben. So schrieb unser Kollege Lamers im „Deutschland-Union-Dienst" vom 7. Dezember 1983. ({19}) Der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion hat in Nicaragua auf Grund der dort gewonnenen Eindrücke gegenüber dem Juntamitglied Sergio Ramirez gesagt: Wir werden uns dafür einsetzen, daß Nicaragua Hilfe in größtmöglichem Umfang erhält. - Dabei wäre noch zu definieren, was unter größtmöglichem Umfang zu verstehen ist. ({20}) - Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Warum ist von diesen Erkenntnissen und Forderungen nichts, aber auch gar nichts in die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage eingeflossen? ({21}) Erzählen Sie uns nicht, Sie hätten dazu keine Zeit gehabt. Die Bundesregierung hat es offensichtlich vorgezogen, ihre Nicaraguapolitik nicht an den Sprechern für Entwicklungspolitik der sie tragenden Fraktionen auszurichten, sondern in enger Anlehnung an Franz Josef Strauß und die ReaganAdministration. Schade! Damit begeht sie sehr wahrscheinlich einen sehr verhängnisvollen Fehler. ({22}) Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, der ich als stellvertretendes Mitglied angehöre, hat sehr ausgewogen zu Nicaragua Stellung genommen und sich mit diesem Komplex befaßt. Ich möchte die Bundesregierung mit den Worten der EKD-Synode bitten, in bezug auf Nicaragua die entwicklungspolitischen Hilfen zugunsten der staatlichen Unabhängigkeit, der Achtung der Menschenrechte, für eine friedliche Entwicklung, für eine gerechte Gesellschaftsordnung zu verstärken. Seit Jahrzehnten lebt El Salvador unter undemokratischen und sozial ungerechten Verhältnissen. Die Bevölkerung leidet unter einem unbeschreiblichen Klima der Gewalt, wie ich es noch in keinem von mir besuchten Lande erlebt habe. Eine relativ kleine Gruppe hält die Kommandohöhen in Staat, Politik, Wirtschaft, Militär und Gesellschaft besetzt. Hier finden die massivsten Menschenrechtsverletzungen, die grausamsten politischen Morde statt. Die Regierung des Übergangspräsidenten Magaña macht offenkundig immer nur solche Anstregungen, die in Washington gerade noch als „ehrliche Bemühungen" bezeichnet werden können. Dies schreibt die FAZ in einer Analyse am 23. Januar 1984. Weiter heißt es dort: „Die Todesschwadronen vermag die Regierung nicht auszuschalten." ({23}) Entwicklungshilfe wäre zum jetzigen Zeitpunkt für keinen eine Ermutigung, außer eben für jene Rechtsextremisten, die heute die Zügel in der Hand haben. Deshalb sagen wir: keine Entwicklungshilfe zum jetzigen Zeitpunkt. ({24}) Wir können mit den geplanten Wahlen im März keine allzu optimistischen Hoffnungen verbinden: erstens, weil man sich nicht vorstellen kann, wie Leib und Leben all jener garantiert werden können, die in entschiedener Opposition zu den herrschenden Verhältnissen stehen. Wissen Sie, der Präsident Magaña hat uns gesagt - und auch Napolèon Duarte; Christdemokraten, von denen ich meine, daß ohne ihre Beteiligung keine wirklich reformorientierte Politik in El Savador durchgesetzt werden kann -: Wer hier von Dialog spricht, Dialog auch mit der Demokratisch-Revolutionären Front, setzt sich der Gefahr aus, auf die Abschußliste der Todesschwadrone zu kommen. Dafür gibt es genügend Beispiele; auch Christdemokraten sind ermordet worden. ({25}) Zweitens bin ich der Auffassung, daß Gewalt die Probleme dort nicht löst. Ich habe auch Ruben Zamora von der FDR gesagt, wir Sozialdemokraten gingen nicht davon aus, daß der militärische Kampf zu befriedigenden Lösungen führen könne. Dort wird es keine Sieger geben. Es gibt nur Besiegte. Es gibt Leid in der Zivilbevölkerung. ({26}) Deshalb glaube ich, daß wir alles daransetzen müssen, um den Dialog wirklich voranzutreiben. Es sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Die Zeit drängt schon wieder. Schauen Sie nur in „Le Monde Diplomatique" dieses Monats! Darin werden Sie nachlesen können, daß auch der amerikanische Unterhändler Stone die Möglichkeiten nicht ausreichend genutzt hat, um den Dialog zwischen FDR und den jetzt in El Salvador Regierenden zu führen und dort zu einem guten Ergebnis zu kommen. Aber wir haben auch deshalb mit den Wahlen keine optimistischen Hoffnungen zu verbinden, weil keineswegs sichergestellt ist, daß alle technischen Voraussetzungen, wie vollständige Wahlregister, für eine faire Wahl erfüllt werden können.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Schön, wenn im März gewählt wird; dann bin ich diesen Posten endlich los, den ich eigentlich gar nicht weiter haben möchte. Aber ich muß hinzufügen: Bis jetzt haben wir noch gar nicht die Wahlregister, die nötig sind. - Ich möchte mal sehen, was die CDU sagen würde, wenn in Hessen Wahlregister nur in den Städten zu finden wären, wo absolute SPD-Mehrheiten sind, und nicht woanders. Also: bis heute sind noch nicht einmal die technischen Voraussetzungen gegeben. ({0}) Drittens wird zwar der Präsident gewählt, aber nicht das Parlament. Somit gibt es keine Chance auf eine wirkliche parlamentarische Veränderung. Die Rechtsparteien in dem jetzt bestehenden Parlament haben es leider abgelehnt, zu Nationalwahlen zu kommen. Die US-Auffassung, jetzt die Präsidentschaftswahlen vorzuziehen und dann, wie die Kissinger-Kommission empfiehlt, in Verhandlungen mit der FDR/FMLN, die namentlich genannt werden, über die Rahmenbedingungen zukünftiger Wahlen einzutreten, hat sich durchgesetzt. Ich frage mich, warum man bis heute nicht ernsthaft genug mit der FDR - für die SPD eine wichtige politische Kraft - verhandelt hat. Ein echter, ernsthafter Dialog hätte zu einem Prozeß führen können, der den Weg zu einer provisorischen Übergangsregierung mit anschließenden wirklich freien, demokratischen Wahlen freigemacht hätte. Die Bundesregierung schreibt zu Recht, daß Frieden und ein Leben in Sicherheit von der Bevölkerung gewünscht würden. Das könne aber nur durch politischen Dialog und Verhandlungen - man beachte die Reihenfolge - sowie durch freie und ungehinderte Wahlen erreicht werden. Genau dieser Auffassung sind wir auch. Ein Abschlußwort, Herr Präsident, zu den uns vorliegenden Anträgen. Gegen das von den Koalitionsfraktionen gewünschte Entwicklungsprogramm für die zentralamerikanische und karibische Region haben wir Sozialdemokraten grundsätzlich nichts einzuwenden, obwohl dann natürlich mit gleichem Recht Sonderprogramme für andere Regionen gefordert werden könnten. Daß in diesem Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode -. Konzept die Entwicklungszusammenarbeit einen zentralen Stellenwert einnehmen soll, findet unsere Unterstützung. Einige allgemeine Zielsetzungen können wir unterstreichen, wie z. B. Stärkung der Unabhängigkeit, Schaffung der Voraussetzungen für den inneren und äußeren Frieden, Verwirklichung - Verwirklichung! - der elementaren Menschenrechte. Dazu kann auch die Entwicklungspolitik beitragen. Wir vermissen allerdings eine klare Absage an die militärische Lösung der Probleme in Mittelamerika. Wir haben Schwierigkeiten damit, daß vom Verfolg der Sicherheitsinteressen des Westens gesprochen wird. Da ist Klärung nötig. Wir vermissen klare Aussagen zur spezifischen Politik gegenüber den einzelnen Ländern. Das wird in dem Antrag der GRÜNEN geleistet, der einige sehr wertvolle, brauchbare Gedanken und Übereinstimmungen mit uns enthält. In dem Antrag ist aber auch eine Reihe von Widersprüchen aus Sicht der Sozialdemokraten festzustellen. Man ist für eine eigenständige Entwicklung, aber gegen regionale Zusammenschlüsse, die etwa mit der EG zusammenarbeiten, obwohl doch jedermann weiß, daß solche Zusammenschlüsse gerade die Entwicklungsländer stärken können. Deshalb halten wir es für nötig und richtig, daß beide Anträge den Ausschüssen zur Beratung überwiesen werden. Wir hoffen, daß wir uns schnell an die Arbeit machen können, um dann so rasch wie möglich die parlamentarischen Voraussetzungen für eine bessere Mittelamerikapolitik schaffen zu können. Danke schön. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation der am 6. November 1983 gewählten türkischen Nationalversammlung Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen, interessanten und informativen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Das Wort hat nun der Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich an die Diskussionen in unserem Lande vor zwei, drei Jahren über das uns auch heute wieder bewegende Thema erinnert, ist als Christdemokrat sehr versucht, durch einige Zitate die zahllosen Irrtümer, welche die Sozialdemokratie sich hier geleistet hat, genußvoll aufzuspießen. Ich will darauf verzichten, weil ich den Eindruck habe, daß ein Lernprozeß stattgefunden hat - dafür war die Rede des Kollegen Wischnewski und, wie ich glaube, ansatzweise auch die Rede des Kollegen Holtz ein Beweis - durch die Entwicklung in der Region und wohl auch durch den wohltätigen Einfluß des spanischen Ministerpräsidenten. Ich möchte deswegen versuchen, wie der Bundesaußenminister das auch angeregt hat, in dieser Debatte zu prüfen, ob und inwieweit eine gemeinsame Lateinamerikapolitik von Liberalen, Christdemokraten und Sozialdemokraten möglich ist. Daß das generell wünschenswert ist - im Falle Lateinamerikas auch aus dem speziellen Grund unserer besonderen parteipolitischen Beziehungen in diesen Raum hinein -, wissen wir alle. Ich gehe dabei davon aus, daß in Zentralamerika die Probleme ganz Lateinamerikas gewissermaßen wie in einem Brennglas zusammengefaßt sind und daß man daher auch einige generelle Aspekte einer deutschen Lateinamerikapolitik in dieser Debatte berühren muß. Fragen wir uns also: Stimmen wir überein erstens in der Beurteilung der Interessenlage aller Beteiligten, zweitens in der Analyse der Lage und drittens in dem, was wir tun können und tun sollen? Ich komme zunächst zur Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland. Die Heftigkeit der innenpolitischen Diskussion über Zentralamerika steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu dem nicht nennenswerten Umfang unserer unmittelbaren und aktuellen außenpolitischen Interessen dort. Dieses Mißverhältnis erklärt sich allein aus dem amerikanischen Engagement in dieser Region. Ohnehin können wir feststellen, daß es eine öffentliche Erregung in der Bundesrepublik Deutschland über schlimme Zustände in der Dritten Welt ausschließlich dann gibt, wenn die USA engagiert sind. Im Falle Lateinamerikas ist die Anteilnahme in der Bundesrepublik Deutschland wegen der besonderen Nähe dieses Kontinents zu uns immer besonders groß. Die Kritik bestimmter Gruppen in der Bundesrepublik an der Dritte-Welt-Politik und vor allem der Lateinamerikapolitik der USA ist ein Faktor, der auf Dauer geeignet erscheint, die Zustimmung zu unserem Bündnis mit den Vereinigten Staaten zu erodieren. Natürlich ist es erlaubt - ich will das hier an dieser Stelle ganz deutlich sagen -, in unserer Politik wie in der Politik der Vereinigten Staaten gegenüber der Dritten Welt einen Test auf die Glaubwürdigkeit unserer eigenen Ideale zu sehen. Natürlich ist auch Kritik an den Vereinigten Staaten legitim und manchmal notwendig. Aber - das sage ich mit allem Nachdruck - die Art dieser Kritik, ihre verzerrte Wirklichkeitssicht, das völlige Fehlen des Bemühens, auch die Position der Vereinigten Staaten zu verstehen, die Leidenschaftlichkeit dieser Kritik zeigen, daß diese Kritik weniger durch ein Mitleiden mit dem Schicksal der betroffenen Menschen in Zentralamerika motiviert ist, sondern vielmehr als Vehikel zur Förderung eines sich aus ganz anderen Wurzeln speisenden Antiamerikanismus dient. ({0}) Deswegen, meine Damen und Herren, ist es unser erstes Interesse - ich sage das in aller Deutlichkeit -, durch unser Engagement in dieser Region dieser Tendenz entgegenzutreten und den inneren Zusammenhalt des Bündnisses zu stärken und seine Fähigkeit unter Beweis zu stellen, auch in der Dritten Welt gemeinsame Intressen auch gemeinsam zu vertreten und sich gerade im Falle Lateinamerikas dafür einzusetzen, daß die Ideale, die dieses Bündnis begründet haben, auch dort verwirklicht werden. Ich weiß, ein wie schwieriges Thema ich damit anschneide, aber ich bin fest davon überzeugt, daß es für die Zukunft des Atlantischen Bündnisses von zentraler Bedeutung ist. Unser zweites Interesse besteht darin, die Zugehörigkeit Lateinamerikas zum Westen dauerhaft zu sichern; denn Lateinamerika, meine Freunde, ist nur unter wirtschaftlichen Modernitätsgesichtspunkten ein Teil der Dritten Welt. Historisch, kulturell und noch weitgehend ethnisch ist Lateinamerika aber ein Teil des Westens, und zwar, wie ich finde, ein ganz hervorragender Sproß dieser Völkerfamilie, wie etwa seine reiche und faszinierende Literatur eindrucksvoll belegt. ({1}) Es ist, wie ich meine, wirklich ein weit über die Tagesaktualität hinausreichendes Interesse des gesamten Westens, dafür Sorge zu tragen, daß die politische Grundorientierung der Länder dieses Subkontinents dieser Grundtatsache auch entspricht. Die Antwort, die die Völker Lateinamerikas auf diese Frage geben werden, wird nicht zuletzt vom Ausgang des derzeitigen Konflikts in Zentralamerika und der Art seiner Behandlung durch die USA und durch uns bestimmt sein. Unser drittes Interesse ist ein aus dem zweiten erwachsendes, ganz spezielles westeuropäisches Interesse. Ein Lateinamerika, das von einem Objekt zu einem Subjekt der Weltpolitik geworden sein wird, von einer Randexistenz zu einer aktiven Rolle gelangt sein wird, das zu sich selbst gefunden und seine gewaltigen menschlichen und materiellen Ressourcen in freier und demokratischer Ordnung entfaltet haben wird, ein solches Lateinamerika innerhalb der westlichen Gemeinschaft wäre ein geradezu idealer Partner für Westeuropa, auch zu dem Zweck, sein durch ein manchmal übergroßes Maß an Abhängigkeit gezeichnetes Verhältnis zu den USA besser auszubalancieren. In der Ehe wirken mehr als zwei Partner eher destabilisierend, in der Politik können sie eher das Gleichgewicht fördern. Es ist evident - und damit komme ich auf die lateinamerikanische Interessenlage -, daß auf lateinamerikanischer Seite dieses Interesse noch sehr viel schärfer ausgeprägt ist. Die lateinamerikanischen Nationen halten noch weit stärker Ausschau nach Freunden, die ihnen helfen, sich im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Angehörigen einer Einflußsphäre zu gleichberechtigten Partnern zu entwickeln. Diese Rolle kann nur Europa übernehmen. Im Falle Zentralamerikas ist es eine besonders schwierige, ja, wie ich weiß, sogar heikle Rolle; aber sie ist ebenso dringend. Die Erwartungen, die dabei an uns gerichtet werden - wer weiß das nicht, der sich mit lateinamerikanischen Freunden trifft? -, mögen zuweilen unsere Möglichkeiten tatsächlich übersteigen. Aber mehr als bislang können und sollten wir nach meiner festen Überzeugung tun. Daß die Lateinamerikaner dabei insbesondere auch Hilfe bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung - und übrigens auch ihrer sozialen - erwarten, versteht sich von selbst. Die Interessenlage der Vereinigten Staaten ist in dieser langfristigen und grundlegenden Perspektive - eben der Stellung und Orientierung Lateinamerikas in der Welt - identisch mit der Zielsetzung Europas wie mit den Wünschen Lateinamerikas, nur ist ihr Interesse an der Region aus geopolitischen, wirtschaftlichen und historischen Gründen sehr viel stärker und unmittelbarer als das europäische Interesse. Auch die USA sind sich selbstverständlich darüber im klaren, welche Bedeutung die zentralamerikanische Krise für ihre gesamten lateinamerikanischen Interessen hat. Gerade hier haben die USA bislang eine überaus dominierende Stellung gehabt und haben sie noch heute. Der Prozeß tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen und nationaler Selbstfindung hier wie im übrigen Lateinamerika richtet sich daher in seinen Auswirkungen unvermeidlicherweise auch gegen diese Stellung der Vereinigten Staaten, deren Präsenz nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell, als übermächtig und zuweilen bedrückend empfunden wird. Wer die amerikanische Diskussion aufmerksam verfolgt hat, weiß, daß sich die USA vollkommen darüber im klaren sind, daß sie im Interesse des gemeinsamen langfristigen Zieles des gesamten Westens einschließlich Lateinamerikas ihre bisherige Position gegenüber dem Subkontinent und vor allem gegenüber Zentralamerika neu gestalten müssen. Um das Wesentliche zu erhalten, muß der unvermeidliche Wandel akzeptiert und Zweitrangiges geopfert werden. Dabei müßten aber wir, meine ich, in der Rolle zuweilen des Ratgebers aus der Distanz, des Weisen oder Pseudoweisen sehen, daß es ein fundamentales und legitimes amerikanisches Interesse ist, zu verhindern, daß durch diesen umwälzenden Emanzipationsprozeß ein Vakuum entsteht, in dem sich ihr weltpolitischer Gegenspieler, die Sowjetunion, sogar ohne größere eigene Anstrengungen ausbreiten kann. Das zu verhindern - daran hat der Bundesaußenminister hier eben eindrucksvoll erinnert -, liegt mindestens ebensosehr auch im europäischen Interesse. Wie ist die Lage? - Wir stimmen offensichtlich alle darin überein, daß die Kernursache für die Konflikte in der Region gesellschaftliche Strukturmängel gravierendster Art sind. So unstreitig der Kern dieser Konflikte ist, so unbezweifelbar ist - und ich hoffe, daß wir auch darin übereinstimmen - die Ausnutzung dieser Situation durch Kuba und die Sowjetunion. Das kubanische Interesse ist evident. Kuba versucht, durch die Schaffung ähnlicher Systeme in der Region aus der Isolierung in der Region herauszukommen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Lamers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben jetzt mehrfach Ihren Wunsch nach einer Übereinstimmung hinsichtlich der Mittelamerikapolitik geäußert. Ich stelle Ihnen daher die Frage, ob eigentlich im Kabinett, in der Bundesregierung, Übereinstimmung hinsichtlich der Mittelamerikapolitik besteht. Müssen wir, wenn ich heute in der „Welt" lese, daß Herr Bundesinnenminister Zimmermann die Kabinettsvorlage als „schludrig" bezeichnet und ferner kritisiert habe, daß sich in die Vorlage kommunistischer Sprachgebrauch eingeschlichen habe, davon ausgehen, daß jetzt auch schon die Bundesregierung kommunistisch unterwandert ist? ({0})

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, ich stelle zunächst mit großer Befriedigung fest, daß Sie die „Welt" zitieren ({0}) und lesen. Zweitens nehme ich an, daß sich der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der nach mir noch das Wort ergreifen wird, dazu äußern wird. Daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland kommunistisch unterwandert sei, hat der Kollege Fritz Zimmermann ganz gewiß nicht insinuiert; denn er gehört eben dieser Bundesregierung an, und es ist unvorstellbar, daß er einer Regierung angehörte, die kommunistisch unterwandert wäre. ({1}) Meine Damen und Herren, unstreitig ist jedenfalls, daß die Sowjetunion die Situation in Lateinamerika nutzt, wobei ich mir darüber im klaren bin, daß für sie Lateinamerika nicht das prioritäre Feld ihrer Dritte-Welt-Politik ist. Aber es gibt keinen Kontinent, der für sie so geeignet wäre, die USA innerhalb des Westens in Mißkredit zu bringen. Und so kommt ihr die Entwicklung in vielen Punkten sehr zugute. Ich will nicht viel über die generelle Situation der demokratischen und der oligarchischen und der rechtsextremen Kräfte in der Region sagen, sondern mich auf die beiden Länder konzentrieren, die im Mittelpunkt unserer Debatte stehen, wobei ich das manchmal bedauere, weil beispielsweise die schlimmen Menschenrechtsverletzungen in Guatemala ganz zu kurz kommen, weil sich kein Mensch wirklich darum kümmert. ({2}) Aber reden wir zunächst von El Salvador. Natürlich ist die Lage alles andere als erfreulich. Die Regierung ist infolge ihrer inneren Gegensätze zu schwach, um gleichzeitig die radikalen Kräfte und die von ihnen ausgehenden Menschenrechtsverletzungen und Morde zu bekämpfen, das Militär ganz in den Griff zu bekommen und die Guerrilleros ganz in den Griff zu bekommen. Andererseits gibt es in Gestalt der Christdemokraten eine bernerkenswerte starke demokratische Kraft. Auch ich habe, Herr Kollege Wischnewski, gern die Worte gehört, die Sie hier und an anderer Stelle an sie gerichtet haben. Das ist ein gewaltiger Fortschritt - Sie werden mir das zugeben - gegenüber den Beschimpfungen, die diese tapferen Christdemokraten noch vor einigen Jahren über sich haben ergehen lassen müssen. Deswegen hoffe ich zuversichtlich, Herr Kollege Wischnewski, daß dem, was andeutungsweise hier und anderswo von Ihnen schon angeklungen ist, als zweiter Schritt eine Distanzierung von den undemokratischen Kräften der FSLN und der FDR folgen. Denn es ist ja gar kein Zweifel, daß die Entwicklung, wenn es dort überhaupt jemals Demokraten gegeben hat - einige hat es gegeben -, höchst unerfreulich für diese demokratischen Kräfte verlaufen ist. Die zum Teil blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Guerrilleros haben gezeigt, welches Schicksal die Menschen in El Salvador zu gewärtigen hätten, würden sie sich durchsetzen. ({3}) Die völlige Ausschaltung der demokratisch-sozialistischen Kräfte innerhalb der sandinistischen Befreiungsfront müßte, meine ich, Ihnen zu denken geben. Für eine friedliche und demokratische Lösung des tragischen Konflikts in El Salvador ist es von großer Bedeutung, daß die undemokratischen radikalen Kräfte rechts wie links nicht mit der Unterstützung durch Demokraten von außen rechnen dürfen - die Rechten nicht, die Linken nicht. Ich weiß, daß die militärische Lage so zu sehen ist, wie Sie sie geschildert haben, Herr Kollege Wischnewski. Keine Seite kann siegen. Das liegt auf seiten der Guerrilleros entscheidend daran, daß sie keine ausreichende Unterstützung durch das Volk haben, anders als seinerzeit in Nicaragua. Sie haben gottlob davon gesprochen, daß die sich daraus ergebende Forderung nach einem Dialog auch von seiten der Guerrilleros eine Überforderung gewesen sei. Ich bitte Sie: Betrachten wir das doch wirklich einmal ein wenig näher. Wir alle stimmen darin überein, daß diese Regierung in El Salvador schwach ist und daß sie auch das Militär nicht ausreichend kontrolliert. Nun fordern aber die Guerrilleros, in diese Regierung aufgenommen zu werden. Wer soll das denn eigentlich durchsetzen? So frage ich Sie. Das ist doch eine derart völlig unrealistische Forderung, daß sie im Grunde beweist, daß man den Dialog nicht will. Denn wenn ich von dem Partner etwas fordere und dabei genau weiß, daß er es nicht leisten kann, dann will ich den Dialog im Grunde nicht. Es bleibt in der Tat nur der eine, wie ich sehr gut weiß, Herr Kollege Wischnewski, schwierige Weg der Wahlen, damit wir eine andere Regierung bekommen. Bitte, auch hier habe ich mit Genugtuung festgestellt, wie sehr sich Ihre Einstellung zu dem jetzigen Wahlprojekt von Ihrer Einstellung 1982 un3666 terscheidet, die damals voreilig als Fakt bezeichnet worden ist. Ihr Stellvertreter Koschnick hat das ja nach einiger Zeit zu Recht bedauert. Also ich habe festgestellt: Auch hier gibt es Wandel. Bitte lassen Sie uns doch bei aller Problematik, die ich natürlich kenne, auch dies unterstützen, damit die Chance ein wenig größer wird, nach den Wahlen eine friedliche Lösung in El Salvador zu bekommen. Bitte unterstellen Sie doch nicht, daß wir mit der Ankündigung der Wiederaufnahme von Entwicklungshilfe hier irgendwelche undemokratischen problematischen Kräfte unterstützen wollen. Wir wollen doch nur das eine: damit ein Signal für die demokratischen Kräfte geben und ihnen sagen: Wenn ihr es schafft, werdet ihr unsere Unterstützung haben, hier wie natürlich auch in Nicaragua. ({4}) Nun zu Nicaragua: Ich will nicht alles das wiederholen, was dazu hier schon gesagt worden ist. Es ist so: Unser aller Hoffnungen sind enttäuscht worden. Ich breche nicht endgültig den Stab. Es hat in letzter Zeit zwar einige Zeichen gegeben - ich habe das ausdrücklich anerkannt, auch schriftlich -, aber, meine Damen und Herren, ich befürchte, daß diese Zeichen in der Tat eher trügerisch waren, als daß sie die Wirklichkeit wiedergaben; ich befürchte das wirklich. Fragen wir uns doch einmal, wann diese Zeichen gegeben worden sind. Unstreitig nachdem es entschiedenen Druck gegeben hat, wie immer wir den bewerten wollen. Aber erst auf Grund dieses Druckes haben sich die Sandinisten bequemt, einiges zu erklären, während sie in der Zeit, in der wir alle ihnen aus Überzeugung geholfen haben - die Vereinigten Staaten eine ganze Zeitlang mitgeholfen haben -, diesen abschüssigen Weg hin zum Totalitarismus gegangen sind und gewaltig aufgerüstet haben. ({5}) Deswegen bleibt nur das übrig, was in der Antwort der Bundesregierung steht: Wir werden abwarten. Wenn es eine Entwicklung zum Besseren gibt, dann werde auch ich - verlassen Sie sich darauf - mit Nachdruck fordern, daß wir die Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe wieder aufnehmen; das ist doch ganz unstreitig. Im übrigen kurz zu dem, was ich in dem von Ihnen erwähnten Artikel geschrieben habe, Herr Kollege Holtz. Sie haben nur den einen Teil zitiert. Ich habe gesagt: Natürlich ist es denkbar, daß wir diese 40 Millionen DM als Anreiz verstehen, um eine positive Entwicklung zu initiieren. Ein Wort zu der Contadora-Initiative: Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, daß wir das alle unterstützen. Aber wir müssen auch die Schwäche dieser Initiative sehen und feststellen, daß sie keineswegs so einig ist, wie das nach außen erscheint. Wir müssen darüber hinaus auch feststellen, daß ihr heute leider die Mittel fehlen, um sowohl Anreize als auch Druck auszuüben. Das relativiert die an sich außerordentlich begrüßenswerte Initiative, die wir nach wie vor unterstützen sollten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Lamers, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit überschritten ist.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende, meine Damen und Herren, indem ich mich kurz frage: Was können wir eigentlich tun? Wenn ich diese Frage zu beantworten suche, dann muß ich, glaube ich, zunächst sagen, daß wir versuchen sollten, unsere Grenzen, unsere Möglichkeiten nüchtern zu sehen. Denn nur derjenige, der die Grenzen dessen, was er tun kann, wirklich sieht, kann das, was er tun will, auch wirklich mit Aussicht auf Erfolg tun. Des weiteren: Wenn wir dort wirklich etwas tun wollen, dann müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir nichts gegen oder auch nur ohne die USA tun können. Sie spielen nun einmal - neben den Betroffenen - den Hauptpart dort. Wer Lateinamerikapolitik ernsthaft betreiben will, muß sich dieser Grundtatsache erinnern und darf sich nicht aus innenpolitischer Kraftmeierei, die die außenpolitische Impotenz nur verdecken soll, in fortwährendem Antiamerikanismus ergehen. Wer das erstere will, nämlich dort ernsthaft etwas betreiben und bewegen, ist uns als Partner willkommen. Wer das zweite tun will, beweist nur, wie weise die Wähler am 6. März 1983 entschieden haben. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schily, die durch die Meldung einer großen Tageszeitung in Ihnen hervorgerufene Besorgnis über kommunistische Unterwanderung der Bundesregierung wird, so nehme ich an, nach Anhören meiner Ausführungen wieder zerstreut sein. ({0}) Im übrigen glaube ich mich erinnern zu können, daß ich der heutigen Morgenpresse gleichfalls eine Qualifikation des Abgeordenten Schily als des Krawattenträgers der GRÜNEN entnommen habe, und möchte Sie zu dieser ehrenvollen Einstufung herzlich beglückwünschen. Sie sind dem Ruf treu geblieben. ({1}) - Nun gedulden Sie sich einmal, Frau Kollegin Gottwald. Meine Damen und Herren, im mittelamerikanisch-karibischen Raum ist es in den letzten Jahren zu einer gefährlichen Zunahme innerer und äußerer Konflikte gekommen. Die tieferen Ursachen sind - das ist hier zu Recht herausgestellt worden - in nicht mehr tragfähigen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zu suchen; aber die kurzfristigen Aktualisierungen und Verschärfungen dieser Konflikte innerhalb der einzelnen Staaten in Mittelamerika und der Karibik sowie die Internationalisierung sind durch die Unterstützung der Gewaltanwendung von außen herbeigeführt worden. Mit Hilfe von Kuba, Libyen und Ländern des Ostblocks hat Nicaragua eine Aufrüstung und Militarisierung durchgeführt, die ohne geschichtliches Vorbild ist. ({2}) - Frau Kollegin Gottwald, Sie sollten nicht außer acht lassen, daß die Streitkräfte Nicaraguas die Nationalgarde Somozas um ein Vielfaches übertroffen haben, zu einem Zeitpunkt bereits, als es noch keine Aufständischen gegen die sandinistische Regierungsjunta gab. ({3}) - Sehr richtig, Sie sollten sich die Frage nach Ursache und Wirkung einmal sehr deutlich stellen ({4}) und feststellen, daß dieser Regierung nicht nur mit materieller Hilfe, sondern auch in Goodwill und Aufgeschlossenheit Vorschußlorbeeren gegeben wurden, und zwar von allen in diesem Hause vertretenen politischen Kräften, wobei es schon einer gewaltigen politischen Anstrengung seitens der Sandinisten bedurft hat, dies abzuwirtschaften. ({5}) Auf dieser Grundlage einer Militarisierung im Innern hat die Regierungspartei FSLN, die heute praktisch die Einheitspartei des Landes ist und die sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnet, ihre Ideologie in Nachbarländer exportiert ({6}) und sich auch vor der Unterstützung von Gewalt in Nachbarstaaten - ich nenne als konkretes Beispiel El Salvador - nicht gescheut. ({7}) Sie haben hier die Contadora-Initiative angesprochen. Es ist die Furcht vor der destabilisierenden Politik der sandinistischen Regierung, die alle Staaten der Region einigt und die die tiefste und entscheidende Wurzel der Contadora-Initiative darstellt. ({8}) Diese Bundesregierung unterstützt die ContadoraInitiative nachdrücklich und vorbehaltlos, und ebenso genießt die Contadora-Initiative die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir begrüßen diese Unterstützung, und wir sind der Meinung, daß die Länder der Contadora-Gruppe einen guten Schritt getan haben, der allerdings seinen Erfolg nur dadurch haben konnte, daß die politischen Rahmenbedingungen den Nicaraguanern gezeigt haben: Es tut nicht gut, auf die Dauer gegen die Grundlagen internationaler Gesittung zu verstoßen. ({9}) Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Regierungspolitik gegenüber El Salvador hat die Bundesregierung dennoch die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Nicaragua nicht abgebrochen. Die Bundesregierung führt diese Zusammenarbeit fort. Sie will keine Entwicklungsruinen in diesem Land; aber sie stellt auch klar heraus: Neuzusagen können nur erteilt werden, wenn klargestellt ist, daß sich die Junta nachhaltig von der Politik der Destabilisierung abwendet. Die Bundesregierung zieht damit die Konsequenz aus der Tatsache, daß sich die sandinistische Regierung trotz außerordentlich großzügiger wirtschaftlicher Hilfe seitens der westlichen Industrienationen auf den Kurs der massiven Militarisierung begeben hat und in die Richtung der Unterstützung Kubas und des Ostblocks abgedriftet ist. Die Bundesregierung hält die in der Frage 12 der Großen Anfage der sozialdemokratischen Fraktion liegende Unterstellung, die sandinistische Regierung habe in Nicaragua die Prinzipien der Blockfreiheit und des politischen Pluralismus aufrechterhalten, für schlicht und einfach wirklichkeitsfremd. ({10}) Die Bundesregierung verurteilt in gleicher Weise wie die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua - der Fall der Misquitos ist hier genannt worden - die Menschenrechtsverletzungen im benachbarten El Salvador durch die Extremisten von rechts und von links. Sie steht aber ebenso eindeutig zu denjenigen politischen Kräften El Salvadors, die bereit sind, den Menschenrechten unter Einsatz ihres eigenen Lebens in diesem Lande wieder Geltung zu verschaffen. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador wird daher gezielt wieder aufgenommen. Frau Kollegin Gottwald, es gibt keine Auszahlungsanweisungen für aktuelle Projekte in El Salvador. Wir warten ab, ob die Wahlen in diesem Land stattfinden, ob sie demokratisch durchgeführt werden, ob das Ergebnis eines ist, das unserer Zielsetzung, Stärkung der Menschenrechte in Salvador, konform ist. Dann werden wir unsere Entscheidung treffen nach genau dem gleichen Maßstab, wie wir in Nicaragua die Entscheidung treffen werden: ob sich das Land in Zukunft nachhaltig von der Destabilisierung abwendet oder nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Holtz?

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Ja, bitte.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Bundesminister. Trifft Ihre Aussage in bezug auf El Salvador, daß nichts ausgezahlt wird, nur auf die staatliche Entwicklungshilfe zu, d. h. auf die bilaterale Zusammenarbeit von Staat zu Staat, oder auch auf alle anderen Bereiche?

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Kollege Holtz, die Bundesregierung ist sehr froh, daß sie ein reiches Instrumentarium auch außerhalb der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit hat. Sie weiß, daß die nicht-staatlichen Kräfte gerade in den Ländern - das gilt bei dieser Regierung wiederum sowohl für Salvador als auch für Nicaragua - entscheidende Wirkungsmöglichkeiten besitzen, wo wir keine staatliche Zusammenarbeit praktizieren können. Deshalb werden wir in beiden Fällen jedem geeigneten Weg der Durchsetzung von Freiheitlichkeit, auch von mehr Wohlstand in diesen Ländern auf dem Wege der nicht-staatlichen Zusammenarbeit ungeachtet der staatlichen Kooperation Rechnung tragen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, es wird noch die Erlaubnis zu einer Zwischenfrage von Abgeordneten Schily verlangt.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Ich bedaure, Herr Präsident, sonst würde die Debatte ungebührlich ausgeweitet. ({0}) Meine Damen und Herren, dies ist also die Bilanz der Regierung Kohl für die beiden kritischen zentralamerikanischen Staaten: Botschafter in beiden Ländern statt nur in dem einen, wie es unter der sozialdemokratischen Regierung war, und Abhängigmachung der Entwicklungszusammenarbeit des Staates von gleichmäßig angewendeten Kriterien - diese Bilanz, Herr Kollege Holtz, steht allerdings in einem klaren und gewollten Gegensatz zu einer Politik der einseitigen Bevorzugung der Sandinisten. Herr Kollege Wischnewski, Sie haben hier dem Plenum kundgetan, daß sich der Innenminister Borge beleidigt gefühlt habe ({1}) durch Äußerungen des Kollegen Geißler. Herr Bundesminister Geißler hat in dem Gespräch mit Innenminister Borge Besorgnis geäußert - erstens - über die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua, - zweitens - über die Arbeitsbedingungen von Parteien, Gewerkschaften und Presse. Er hat - drittens - eine Liste mit den Namen inhaftierter Christdemokraten und Gewerkschafter überreicht. Ich meine, Herr Kollege Wischnewski, Sie sollten sich hier nicht zum Überbringer einer angeblichen Empfindsamkeit eines hartgesottenen Politikers machen, ({2}) sondern diese Intervention des Kollegen Geißler bei der nicaraguanischen Regierung unterstützen, und das mit Nachdruck. ({3}) Herr Kollege Wischnewski, ich habe mit Aufmerksamkeit Ihre Würdigung der demokratischen Bemühungen der Christlichen Demokraten in El Salvador gehört. Ich stehe nicht an, Ihnen und dem Haus die Meinung der Bundesregierung zu sagen, daß dort, wo das Zusammenwirken von sozialdemokratischen, christlich-demokratischen und liberalen politischen Kräften in Lateinamerika funktioniert - oft unter anderem Namen, aber das spielt hier keine Rolle -, und ich nenne Ecuador, ich nenne Venezuela, ich nenne Kolumbien, die Demokratie Wurzeln fassen kann. Eben das funktioniert in Nicaragua nicht. ({4}) Ich spreche den Liberalen Nicaraguas meine Hochachtung aus, die dazu bereit wären. Wer sich versagt, das sind die Sandinisten. Ich kann nur hoffen, daß den Bemühungen der Sozialistischen Internationale, diese Sandinisten, die an den Beratungen der Sozialistischen Internationale teilnehmen, ({5}) auf den Pfad der Demokratie zu bringen, in Zukunft mehr Erfolg beschieden ist als bisher. ({6}) Die Bundesregierung steht, um das noch einmal klarzumachen, zu ihrer Bereitschaft, einem demokratischen und friedfertigen Nicaragua weitere Entwicklungshilfezusagen zu machen. Diese Politik ist ebenso an den eigenständigen Grundsätzen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik ausgeBundesminister Dr. Warnke richtet wie am Interesse der Sicherheit entscheidender atlantischer Versorgungswege. ({7}) Die Bundesregierung weist den massiven Antiamerikanismus, den massiven und emotionalen Antiamerikanismus, der in dieser Debatte zum Vorschein gekommen ist, mit Nachdruck zurück. ({8}) Wir können nicht die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere die Sicherheit der Stadt Berlin und wir können auch nicht die Möglichkeit, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, daß Sie Ihre Meinungen hier frei und ungehindert sagen können, solange Sie wollen, in die Hände der Vereinigten Staaten von Amerika legen und gleichzeitig legitime amerikanische Sicherheitsinteressen allenfalls mit Schulterzucken, wenn nicht gar mit Häme und Diffamierung behandeln. ({9}) - Da haben Sie nicht zugehört. In dem Bündnis, das uns den Frieden und die Freiheit bewahrt, darf Loyalität keine Einbahnstraße sein. Die Entwicklung in Grenada hat gezeigt, daß die Souveränität eines Landes nicht ungestraft zur Destabilisierung einer Region mißbraucht werden kann. ({10}) Diese Entwicklung hat auch gezeigt, daß Mittelamerika und die Karibik eine Einheit bilden. Die Bundesregierung begrüßt den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP, der als Ziele unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit die Stärkung von Unabhängigkeit und Souveränität der Länder der Region, Wahrung des Friedens und der Menschenrechte, Aufbau einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft, sozialer, wirtschaftlicher Stabilität sowie die Unterstützung der regionalen Zusammenarbeit nennt. Keine Region der Welt ist in einem gleich hohen Maße wie Zentralamerika und die Karibik abhängig von regionaler Kooperation und ihrer Voraussetzung, dem friedlichen Zusammenleben. Die Staaten Mittelamerikas und der Karibik sind von der geringen Einwohnerzahl her - und im Falle der Karibik auch noch von der Begrenztheit der Fläche her - auf regionale Zusammenarbeit angewiesen. Nur regional können jene Größenordnungen erreicht werden, die für funktionierende Märkte ebenso wie für die Wahrung der eigenen Sicherheit, für ein gegliedertes Bildungs- und Gesundheitswesen ebenso wie für eine leistungsfähige Verwaltung nötig sind. Es gibt viele positive Entwicklungen in der Region: Costa Rica, die Dominikanische Republik, Jamaika haben frei gewählte Regierungen, ({11}) haben funktionierende demokratische Ordnungen. Auch in Honduras und in Salvador sind bemerkenswerte Schritte in Richtung auf politische Stabilität und sozialen Wandel eingeleitet. - Grenada, Frau Kollegin Gottwald, bereitet in der Tat eine Entwicklung vor, von der wir alle hoffen, daß sie in freie Wahlen münden wird. ({12}) Die Bundesregierung glaubt, daß für diese und die übrigen Staaten der Region im Zusammenwirken der Länder der Europäischen Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika der Weg einer Entwicklung zu Wohlstand, zu Frieden und Freiheit gegangen werden kann. Sie begrüßt die einstimmig gefaßten Beschlüsse der KissingerKommission als einen Meilenstein auf diesem Weg. ({13}) All denjenigen, die heute guten Willens Beiträge in dieser Aussprache geleistet haben, dankt die Bundesregierung ohne Unterschied der Fraktionszugehörigkeit und ungeachtet sachlicher und zum Teil tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen mit denen des Parlaments zu einer Gestaltung eines deutschen Beitrages zur friedlichen Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft in den Ländern Zentralamerikas und der Karibik vereinen. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Luuk.

Dagmar Luuk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001400, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, es war gut, daß der Entwicklungsminister das Wort genommen hat, denn so wurde offenkundig, wie groß die Unterschiede im Kabinett sein müssen. Das, was der Außenminister hier ausgeführt hat, unterscheidet sich j a doch von dem, was sich der Minister Warnke hier soeben geleistet hat. ({0}) Wenn man das vorgeführt bekommt, dann, meine ich, braucht man sich auch nicht darüber zu wundern, daß die Bundesregierung ein halbes Jahr gebraucht hat, um unsere Anfrage zu beantworten. Es ging j a nicht darum, die neuen Fakten, die der Außenminister Genscher hier dargelegt hat, zu bewerten - das ist nämlich überhaupt nicht geschehen -, es ging wohl darum, die Abstimmung im Kabinett zu irgendeinem Ende zu bringen. Wenn ich die Antwort der Bundesregierung dazunehme und mir vergegenwärtige, was Herr Warnke gesagt hat, dann scheint mir, daß der Herr Genscher auf der Strecke geblieben ist. ({1}) Ich will zu unserer Debatte zurückkehren. Die Politik der Mittelmacht Bundesrepublik im karibischen und im mittelamerikanischen Raum ist in ihrem Einfluß sicherlich nicht gerade bedeutungslos, sie kann und sie darf sich aber gerade für Mittelamerika nie und nimmer allein auf diesen Raum beschränken, sondern sie muß ihren ganzen Einfluß geltend machen, um die Führungsmacht unserer westlichen Allianz zu einer Kursänderung ihrer Politik in dieser Region zu bewegen. ({2}) Ich meine, es ist gut, daß ich als Berliner Abgeordnete nach dem Entwicklungsminister hier sprechen darf, weil ja, wenn wir kritische Töne von uns geben, immer an Berlin und auch an unsere Verpflichtung erinnert wird, den Amerikanern unsere Freundschaft zu beweisen. Ich darf Sie versichern, daß ich zu den häufigen Gästen des Gesandten in Berlin gehöre, der mich immer wieder mit amerikanischen Senatoren und Abgeordneten zusammenbringt, obwohl ich aus dieser Meinung niemals einen Hehl mache. Er lädt mich aber immer wieder ein. Die Amerikaner sind also wesentlich weniger empfindlich, als Sie es sind. ({3}) Die Bundesregierung hat es in ihrer Antwort sorgfältig vermieden, zur Mittelamerikapolitik der Vereinigten Staaten Stellung zu nehmen. Das gilt insbesondere in bezug auf das Problem der militärischen und paramilitärischen Intervention, die sich in der massiven Anwesenheit amerikanischer Soldaten, Berater und amerikanischer Schiffe in der Region ausdrückt und die sich ebenso in der großzügigen Unterstützung der nicaraguanischen Konterrevolutionäre wie in der massiven Militärhilfe der USA für Staaten wie El Salvador, Honduras und Guatemala äußert, die - das muß ich befürchten - vielleicht das einzige sein wird, was von den Vorschlägen des Kissinger-Berichts übrigbleibt. Folgerichtig sagen Sie in Ihrer Antwort auch nichts zu der Tragödie, daß kleine Länder und ihre Völker, die eigentlich genug eigene Sorgen haben, in einen Konflikt hineingezogen werden, der sie nicht interessieren kann und aus dem sie nur schlechter herauskommen können, als sie hineingeraten sind. Deshalb klingt auch das hohe Lied, das der Kollege Klein und der Außenminister auf Costa Rica gesungen haben, einigermaßen hohl. Costa Rica ist der einzige Nachbar Nicaraguas, der es bislang verstanden hat, sich ziemlich aus dem Konflikt herauszuhalten und dies gegen die Absicht der Amerikaner. Die Regierung in San José hat - das darf ich hier erwähnen - keine amerikanischen Berater ins Land gelassen. Die Pioniere der amerikanischen Armee, die an der Grenze zu Nicaragua herumwerkeln, ohne daß eigentlich jemand ganz genau weiß, was die da treiben, sind ihr unheimlich genug. Sie hat es abgelehnt, ihre Grenze zu Nicaragua von Truppen der OAS besetzen zu lassen, weil ihr in der Organisation der amerikanischen Staaten der amerikanische Einfluß zu stark ist. Sie hat eine Beobachtergruppe der Contadora-Staaten gewünscht. Die Regierung tut alles in ihren Kräften Stehende, um zu verhindern, daß ihr Land durch die Übergriffe der Contras von Costa Rica aus auf Nicaragua in die Gefahr einer unmittelbaren militärischen Auseinandersetzung gerät. Daß dies nicht hundertprozentig gelingen kann, ist angesichts der schwierig zu überwachenden Grenze und der fehlenden militärischen Möglichkeiten nicht weiter verwunderlich. Immerhin hat diese Regierung im Laufe der Jahre erreicht, daß Costa Rica als Basis für die nicaraguanische Konterrevolution erheblich an Bedeutung verloren hat. Sie hat - das möchte ich ganz besonders herausstellen - ihre immerwährende, aktive und unbewaffnete Neutralität erklärt; ein Schritt, der beispielhaft für andere Länder sein könnte, vor allem für Honduras, das alles andere nötig hat, denn als Plattform für die Austragung zweier Konflikte zu dienen. Das ist eine Politik, die wir für weitsichtig und klug halten und die wir auch unterstützen. Dies ist der einzige erfolgversprechende Weg für Costa Rica, seine politische und demokratische Stabilität zu erhalten und seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht noch durch militärische Verwicklungen zu verstärken. Seit 1948 hat das Land eine ungebrochene demokratische Tradition. Der Machtwechsel zwischen verschiedenen politischen Kräften ist in diesem Land eine Selbstverständlichkeit. Es ist eines der wenigen Länder der Welt - das einzige in dieser Region -, das seit 35 Jahren auf eine Armee verzichtet und damit viel Geld für sinnvollere Aufgaben freihält als für Rüstung. ({4}) Es wäre wünschenswert, wenn auch die Bundesrepublik diese Politik vorbehaltlos unterstützte und honorierte und vor allem auch der Reagan-Administration diesen beispielhaften Charakter für ganz Mittelamerika deutlich machte. Leider aber - wie mein Kollege Holtz schon ausgeführt hat - hat sich die Koalition nicht dazu verstehen können, unserem Antrag auf Steigerung der Verpflichtungsermächtigung für Costa Rica zuzustimmen; Sie haben die wohlklingenden Worte beigetragen, aber nichts auf den Tisch gelegt. Die Regierung von Alberto Monge tut aber nicht nur aus diesen Gründen gut daran, zu den amerikanischen Alliierten um Nicaragua herum Distanz zu halten. Denn ein besonders problematischer Verbündeter der USA, unterstützt mit sehr großzügiger Militärhilfe, ist das Guatemala des Präsidenten Mejia Victores. Victores hat im August vergangenen Jahres Rios Montt abgelöst, der wahrhaftig mit Schwert und Feuer das guatemaltekische Volk seiFrau Luuk ner Adventisten-Sekte zuführen wollte und im Verlauf dieser Bemühungen ein unzuverlässiger politischer Faktor in dieser Region geworden zu sein schien. Mejia Victores hat bei seinem Amtsantritt Demokratisierung und - man höre! - Beachtung der Menschenrechte gefordert. Es ist aber der Mann, der unter Rios Montt verantwortlich für geradezu unvorstellbare Greuel war, die die von ihm geführte Armee der Zivilbevölkerung des Landes, vor allem den Indianern zugefügt hat. Die Bewohner ganzer Dörfer wurden unter seiner Ägide als Verteidigungsminister ermordet, Flüchtlinge gnadenlos verfolgt. Eine Delegation des katholischen Arbeitskreises „Frieden und Entwicklung" erklärte im Dezember 1982 nach einer Reise durch Guatemala: Was wir auf unserer Reise gesehen, gehört und erfahren haben, zwingt uns, heute vom schrecklichen Guatemala zu schreiben. Alles andere wäre Zynismus. Wo selbst Kinder und Frauen bestialisch massakriert werden, kann man nicht mehr über die Schönheit der Landschaft reden, in der das alles geschieht. Ein Beispiel, was die guatemaltekische Armee unter Mejia Victores von der Beachtung der Menschenrechte gehalten hat, möchte ich mir und Ihnen nicht ersparen. Ich zitiere: Da überfallen ca. 50 Soldaten und rund 150 Mitglieder der Patrouillen zur zivilen Selbstverteidigung ein friedliches Dorf, treiben Männer und Frauen in zwei Gruppen zusammen, übergießen sie mit 01 und zünden sie an. Über 300 Menschen kamen bei diesem Massaker um. Die Bundesregierung erklärt dazu in einem Länderbericht: Die neue Regierung - zur Klarstellung: Gemeint ist hier Mejia Victores ist ... offensichtlich bestrebt, den Kampf gegen die Aufständischen mit Entschiedenheit fortzusetzen, ({5}) um so die Voraussetzung für eine unbehinderte wirtschaftliche Betätigung der Bevölkerung zu schaffen. Wenn dies dieselbe Entschiedenheit ist, mit der man dort Menschenrechtsverletzungen, wie die vorhin beschriebenen bekämpfen will, dann ist die Behauptung der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage völlig unannehmbar, daß Guatemala erste Bemühungen zur Demokratisierung eingeleitet habe ({6}) und - jetzt hören Sie einmal gut zu - daß die Menschenrechtssituation in diesem Land weiterhin Anlaß zur Besorgnis gibt. ({7}) Derartige Verniedlichungen sind angesichts einer solchen Lage wirklich nicht angebracht, ja zynisch. ({8}) Regime wie in Guatemala und El Salvador sind für die Flüchtlingsprobleme verantwortlich, die sich in Mittelamerika angehäuft haben und für die die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag betreffend ein Entwicklungsprogramm Karibik und Zentralamerika eine Lösung anbieten möchten. Allein der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen zählte in dieser Region 370 000 Flüchtlinge, davon allein 220 000 aus El Salvador und 70 000 aus Guatemala. Die Schätzungen sind vermutlich erheblich zu niedrig gegriffen. Es gibt Zahlen, die von über 600 000 Flüchtlingen in dieser Region ausgehen. Ich möchte aber nicht über Zahlen streiten. Jeder weiß, daß die Flüchtlingsproblematik als Folge der sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und der daraus entstandenen Konflikte und als Folge der brutalen Menschenrechtsverletzungen in vielen zentralamerikanischen Staaten große Ausmaße angenommen hat. Jeder weiß, daß der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, die Europäische Gemeinschaft, private Träger wie das Rote Kreuz oder die Kirchen das Problem nicht lösen, sondern nur lindern können. Es kann nur durch die Beseitigung seiner Ursachen gelöst werden. Diese Ursachen liegen eben nicht im äußeren Erscheinungsbild einer Regierung oder in ihrer außenpolitischen Orientierung. Sie liegen vielmehr darin, ob wirtschaftlicher Fortschritt für alle und soziale Gleichberechtigung angestrebt werden sollen oder die Macht von Militärs oder Herrschaftscliquen gefestigt werden soll. ({9}) Wer dies nicht begreift, wird die Flüchtlinge Zentralamerikas nicht nach Hause bringen, wird den Menschenrechten keine Geltung verschaffen können und wird die Konflikte nicht friedlich lösen können. Entwicklungspolitik und internationale Zusammenarbeit müssen untrennbar mit dem Ziel verbunden sein, zu Fortschritten im Bereich der Menschenrechte zu gelangen. Ein Regime darf nicht dafür belohnt werden, daß es die Bevölkerung terrorisiert und den Ausbau demokratischer Strukturen verhindert. Ein Regime darf nicht dafür belohnt werden, daß es dafür sorgt, daß die Kluft zwischen arm und reich weiter wächst, daß die Erträge der Wirtschaft in höchstem Maße ungleich verteilt werden und damit zu einer weiteren Destabilisierung der Gesellschaft beigetragen wird. Es dürfen keine Regime unterstützt werden, die sich weder dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlen noch willens und schon gar nicht in der Lage sind, ihre Ressourcen für die Armen zu nutzen. Es dürfen keine Regierungen unterstützt werden, die ihre Aufgabe darin sehen, die Herrschaftscliquen zu fördern. Die Bundesregierung sollte inzwischen längst wissen, daß ein Einschwenken auf den rigiden Kurs Washingtons in diesen Fragen alles andere als automatische Zustimmung gerade bei unserer jüngeren Generation bewirkt; das hat ja auch vorhin schon Herr Schäfer angemerkt. ({10}) Kein Krisenherd hat, obwohl er so weit von Europa entfernt liegt, die öffentliche Meinung in unserem Land so bewegt wie die Krise in Mittelamerika. Darin waren sich auch die Kollegen Holtz und Lamers einig. Die Bundesregierung und mit ihr die westeuropäischen Staaten dürfen ihren Einfluß in der mittelamerikanischen Region zwar nicht überschätzen, sie dürfen aber auch nicht durch ein zögerliches Verhalten diesen Einfluß verspielen. Entwicklungspolitisch muß es unser Ziel bleiben, eine Art Marshallplan für die Dritte Welt in Gang zu setzen. Wir dürfen dabei nicht verkennen, daß es gerade in dieser Region industrielle Strukturen nicht gibt und dort auch ausgebildete Arbeitskräfte fehlen; ganz im Gegensatz zu Westeuropa, wo das eben als Voraussetzung vorhanden war. Sicherlich fehlt es in jener Region auch an einem gemeinsamen politischen Selbstverständnis sowie an einer gut ausgebildeten Administration, die einen Plan nach diesem klassischen Muster umsetzen könnte. Wir wissen aber, warum jene „Allianz des Fortschritts" aus den 60er Jahren in Lateinamerika scheitern mußte. Wir wissen auch, daß die früheren Fehler einer forcierten Industrialisierung von Entwicklungsländern nach europäischem Muster vermieden werden müssen. Uns muß auch bewußt sein, daß eine Ideologisierung von Entwicklungsländern zum Scheitern verurteilt ist. Wir werden uns nicht scheuen, das überall dort, wo es not tut, öffentlich deutlich zu machen: vor jenen, die eine solche Ideologisierung betreiben, und vor jenen, die gewillt sind, ein solches Verfahren zu dulden. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Luuk meinte, Unterschiede in den Erklärungen des Außenministers und des Entwicklungsministers festgestellt zu haben. ({0}) Eine Begründung für die Behauptung haben Sie nicht gegeben. Ich jedenfalls habe keine Unterschiede erkennen können. ({1}) Dann hat mich der Kollege Holtz zitiert, und zwar irreführend. Deshalb muß ich das klarstellen. Genauso wie bei dem Kollegen Lamers hat er die wichtige zweite Hälfte des Satzes weggelassen. ({2}) Ich habe in dem Gespräch mit dem Junta-Mitglied Ramirez gesagt, daß ich mich für eine möglichst umfassende Zusammenarbeit auch mit Nicaragua einsetze, vorausgesetzt - das war klar, das steht auch in dem Bericht - daß die Sandinisten zu den selbst gesetzten Zielen der Revolution zurückkehren, insbesondere zu Pluralismus und Demokratie. Dabei bleibe ich. Darauf ist ja auch die Bundesregierung eingestellt. 40 Millionen DM stehen noch für Nicaragua zur Verfügung. Die Mittel werden für konkrete Projekte verwendet, ({3}) sobald die Kehrtwende, die Sie prognostizieren, tatsächlich eintritt. Um soziale Ungerechtigkeit und Armut zu überwinden, bedarf es der Reformen. In El Salvador wurde die Agrarreform begonnen und in einem ersten Schritt auch realisiert, bis sie dann von den Grundbesitzern und von denjenigen Militärs, die mit ihnen verbündet sind, brutal abgewürgt wurde. Die Christdemokraten haben damals die Reform durchführen wollen. Sie sind dort immer noch die einzige Reformkraft, die mit friedlichen, demokratischen Mitteln soziale Verbesserungen herbeiführen will. Aber sie ist auch dem Terror von rechts und von links besonders ausgesetzt. ({4}) Sie hat einen schrecklichen Blutzoll entrichten müssen. Keiner anderen politischen Partei wurden 30 Bürgermeister und 247 kommunale Amtsträger weggemordet. Die Unterbindung des Terrors der Todesschwadronen soll jetzt unter dem massiven Druck der USA erreicht werden. Wir hoffen, daß das Erfolg hat. Aber, meine Damen und Herren, gleichzeitig muß auch der Terror von links, muß die Guerillatätigkeit aufhören. ({5}) Auch dieser Terror darf nicht weiter unterstützt werden. Nur wer aus ideologischen Gründen blind ist, kann im übrigen den Einfluß des Ost-West-Konflikts in dieser Region übersehen. Die Sowjetunion hat bisher alles dafür getan, um die Krise dort weiterschwelen zu lassen. Wenn wir nach Entwicklungsmöglichkeiten für Zentralamerika suchen, sollten wir daher vom Ostblock nicht erwarten, daß er Brücken baut. Im Gegenteil, er läßt sie durch seine Freunde zerstören. Zur Analyse gehört auch die Feststellung, daß in Nicaragua die beachtliche Entwicklungshilfe auch der Bundesrepublik im Ergebnis zum beschleunigDr. Pinger ten Aufbau einer Einparteiendiktatur benutzt wurde. ({6}) Alle Instrumente wurden zur Stärkung dieses Systems eingesetzt. Auch die an sich lobenswerte Alphabetisierungskampagne hatte nach einer durchaus positiven Anfangsphase die Indoktrinierung, Kadererfassung und Überwachung der Bevölkerung zum Ziel. ({7}) Meine Damen und Herren, wie war die Entwicklung in Nicaragua seit 1979? Die Hilfe anderer Nationen zum Wiederaufbau war enorm. Die gesamte Bevölkerung war durch den Kampf gegen Somoza geeint worden und wollte ihren Sieg nun in ein menschenwürdiges Leben für alle umsetzen. Die Vereinigten Staaten blieben Nicaraguas entscheidender Handelspartner und wurden zum größten Entwicklungshilfegeber der Sandinisten. ({8}) Woher aber kam dann die wachsende Zahl der Gegner der sandinistischen Comandantes? Warum stehen die Nachbarländer jetzt einschließlich Costa Rica diesem Regime so ablehnend gegenüber? ({9}) Nun, die Junta und die Comandantes haben sich ihre Regimegegner durch totalitäre Maßnahmen, Unterdrückung der Bevölkerung und Menschenrechtsverletzungen selbst geschaffen. Dies soll nun seit zwei Monaten anders geworden sein. Richtig ist: Der einzigen Oppositionszeitung „La Prensa" scheint es im Augenblick besser zu gehen, was die Zensur angeht. „La Prensa" aber wird vom Ausland als besonderes Symbol für die Meinungsfreiheit beobachtet und hat insofern erfreulicherweise eine Vorzugsstellung. ({10}) Wir fragen: Wurde auch die Einschnürung der Vertriebswege von „La Prensa" aufgegeben? Die entscheidende Frage lautet: Wird die Lockerung der Zensur anhalten? Was die Unterdrückung der politischen Oppositionsparteien angeht, können wir eine entscheidende Wende noch nicht feststellen. Kürzlich hat eine dieser Parteien ihren Vorsitzenden gewählt. Selbst dies durfte in der Presse nicht mitgeteilt werden. Da können wir noch nichts von politischer Freiheit sehen. Auch was die Amnestieankündigung angeht, wollen wir sehen, welche Garantien vorhanden sind, damit die politische Freiheit auch realisiert werden kann. ({11}) Herr Kollege Holtz, Sie sehen die Wende schon kommen. ({12}) Ich hoffe, Sie haben recht; wir alle hoffen, daß Sie recht haben. Aber zunächst haben wir festzustellen, daß Ankündigungen vorhanden sind, aber noch keine durchgreifende Änderung zu verzeichnen ist. ({13}) Es wäre jedenfalls eine ganz gefährliche Schönfärberei, wenn wir allein auf Grund der Ankündigungen unsere Politik bereits änderten. ({14}) Ich stelle erneut fest: Unser Angebot einer verstärkten entwicklungspolitischen Zusammenarbeit liegt vor. Aber dann müßten wirklich reale Änderungen eintreten, und es müßten tatsächlich die selbst gesetzten Ziele realisiert werden. ({15}) Was erwarten wir demgemäß von den Comandantes und der Junta? Erstens, daß die freien Wahlen nun tatsächlich durchgeführt und sofort die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Oppositionsparteien geschaffen werden. ({16}) Das heißt außerdem, daß die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit tatsächlich durchgeführt wird. Wenn es der „La Prensa" auch besser geht, dann ist es doch nicht so, daß die Zensur abgeschafft wäre. Sie wird täglich durchgeführt. Es dürfen einige Artikel mehr erscheinen. So ist die Lage bisher. Das ist noch nicht die Kehrtwendung, die wir erwarten können. Zweitens, wir erwarten, daß alle kirchenfeindlichen Aktionen aufgegeben werden, drittens, daß den Gewerkschaften eine freie Betätigung ermöglicht wird, ({17}) viertens, daß die Presse- und auch die Rundfunkfreiheit wiedereingeführt, fünftens, daß die übermäßige Militarisierung abgebaut wird, ({18}) sechstens, daß die Destabilisierung der Nachbarländer einschließlich Costa Ricas aufgegeben wird. Was soll nun an Entwicklungspolitik in der gesamten Region geschehen, und unter welchen Akzenten sollte sie stehen? ({19}) Erstens, sie darf nicht unter Ideologie stehen. Wir stellen fest, daß die Politik in der Vergangenheit teilweise ideologiebestimmt war; dies muß aufgegeben werden. ({20}) Ich unterstreiche, was Minister Warnke dazu immer wieder erklärt hat. Wir dürfen nicht unsere innenpolitischen Kämpfe in die Region hineintragen. Wir brauchen Gemein3674 samkeit. Nur dann werden wir zusammen Wirkung erzeugen. ({21}) Wenn und soweit die staatliche Zusammenarbeit wegen der Verhältnisse, wegen Menschenrechtsverletzungen nicht möglich ist, sollte sie jedenfalls noch den Menschen zugute kommen. Wir sollten die Türe nicht völlig zuschlagen. Ich unterstreiche auch dies, was Minister Warnke soeben sagte. Wir sind uns darüber einig, daß über Nichtregierungsorganisationen ein möglichst großes Maß von Hilfe direkt an die Bevölkerung gegeben werden sollte. ({22}) Wir sind als CDU/CSU-Fraktion der Meinung - ich will das aber nicht zum Nachkarten noch einmal sagen, sondern weil es für die künftige Politik wichtig ist -, daß die Bundesregierung 1980 versagt hat, als sie in El Salvador die Tür zuschlug. Denn dort suchten damals gerade reformwillige Kräfte unter Napoleon Duarte in der Regierung händeringend nach Hilfe. ({23}) Die damalige Bundesregierung hat sie im Stich gelassen, und dies, nachdem sie früher bei den Diktatoren in El Salvador, in Guatemala und auch in Nicaragua hinsichtlich der Entwicklungshilfe großzügiger war. Ich erinnere daran, daß es unter den Sozialdemokraten gerade das Somoza-Regime war, das die meiste Kapitalhilfe in Mittelamerika bekam. ({24}) Damit nicht Schwierigkeiten bei dem Ziel einer gemeinsamen Politik, Schwierigkeiten, die nach wie vor bestehen, unter den Teppich gekehrt werden, möchte ich noch einige kritische Positionen ansprechen. ({25}) Ich sage klar, wir mißtrauen den Zielen der salvadorianischen Guerilla, die im Kern marxistischleninistisch ist. Die Geschichte marxistisch-leninistischer Machtergreifung bestätigt, daß letztlich derjenige in der Revolution übrigbleibt, der die Waffen hat. ({26}) Die politischen Freunde, mit denen Sie zuammenarbeiten, haben die Waffen nicht, ({27}) und deshalb sind wir da sehr skeptisch. Wir lehnen vor allem auch die Methoden der salvadorianischen Guerilla ab. Sie betreibt einen Krieg gegen das Volk. Gesprengte Brücken, ausgebrannte Omnibusse und Lkws, zerstörte Wasser- und Elektrizitätsanlagen treffen die arme Bevölkerung. Arbeitslose, ruinierte Genossenschaften, zerstörte Betriebe, das alles sind Folgen der Guerillataktik. Dies aber kann nicht schweigend hingenommen werden. ({28}) Meine Damen und Herren von der SPD, geben Sie Ihr Schweigen auf, stellen Sie Ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf die Guerilla unter Beweis. ({29}) Wir jedenfalls möchten der Polarisierung in El Salvador entgegenwirken. Die demokratische Mitte würde sonst zwischen den beiden Extremen weiter zerrieben. Wir wissen doch aus der eigenen Geschichte, welche katastrophalen Folgen dies hat. Wenn die Christdemokraten weiter bekämpft werden, dann wird einem Regime unter D'Aubuisson und den Todesschwadronen ungewollt, aber zwangsläufig in die Hände gearbeitet. Wir erklären erneut: Die Todesschwadronen sind ein Skandal und müssen von der Regierung dort mit allem Nachdruck bekämpft werden. ({30}) Aber ebenso nachdrücklich verlangen wir die Einstellung der Kampftätigkeit der Guerilla. ({31}) Wir fordern Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auf: Verurteilen Sie die Übergriffe der Guerilla ebenso deutlich. Nur dann können wir die leider zu schmale demokratische Mitte stützen. Lassen Sie mich zum Schluß auch das noch deutlich sagen: Nicaragua ist zur Zeit nicht das Musterland, das vorbildliche, repräsentative System, das durch öffentliche Aktionen des Kaffeepflückens oder wie auch immer demonstrativ unterstützt werden sollte. ({32}) Ihre einseitige Unterstützung verstärkt ungewollt die totalitären Kräfte des Regimes. ({33}) Helfen Sie mit - wir alle zusammen sollten das tun -, die Restbestände an Pluralismus, die es noch gibt - Herr Holtz, da stimme ich Ihnen zu; das ist noch kein Ostblockland; wir hoffen, daß wir endlich sagen können, daß es nie eines geworden ist -, ({34}) zu stärken, damit das nicaraguanische Volk endlich zur Selbstbestimmung gelangt. Zum Schluß: Um Extremismus, Haß und Gewalt zu überwinden, bedarf es der gemeinsamen Anstrengungen und enger Abstimmung unter allen Demokraten, die an der Entwicklung in ZentralDr. Pinger amerika Anteil nehmen. Das sind die USA, Kanada, die lateinamerikanischen Demokraten, ({35}) und das sind unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft. Ich glaube, wenn wir zusammenarbeiten, und zwar in der Weise, daß wir dies in einer gewissen Arbeitsteilung tun, wir Europäer aber zusammen, werden wir einen entscheidenden Beitrag zum Frieden in der Region leisten können, aber auch nur dann. - Ich bedanke mich. ({36})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zum letzten Redner des heutigen Vormittags. Herr Dr. Rumpf hat das Wort.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich, daß Sie bis zum letzten Moment ausgeharrt haben. Ich werde Sie damit belohnen, daß ich es ganz kurz mache. ({0}) Bei der SPD ist heute eigentlich doch durchgekommen, daß sie die Wende dort sucht, wo sie nicht ist, und sie sie immer dort nicht findet, wo sie schon längst geschehen ist, nämlich in der Wirtschaftspolitik. Es ist ganz eigenartig. Es ist so, wie wenn ein Jäger mit einem geladenen Gewehr auf das Wild wartet, das Gewehr, weil das Wild nicht kommt, entlädt, in ein neues Revier geht, zielt und abdrückt, das Gewehr aber nicht schießt. So ungefähr war das heute auch zu sehen. Wir befinden uns doch vollkommen in der Kontinuität. Ich darf doch einmal aus dem Protokoll vom 18. März 1982 zitieren, was Minister Offergeld vor dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nach einer sehr ausgedehnten Reise nach Nicaragua gesagt hat. Er sprach von der Grundlage der deutsch-nicaraguanischen Zusammenarbeit. Die Ziele der Revolution seien Pluralismus, Demokratie, gemischte Wirtschaftsform, Blockfreiheit. Weiter sagte er, er habe auf die deutschen Sorgen bezüglich der Behinderung der Opposition und der Presse und bezüglich der Verhaftungen, der wachsenden Militarisierung usw. hingewiesen. ({1}) Zum Schluß erklärte er, er habe während seines Besuchs keine formalen Zusagen im Sinn der Rahmenplanung gegeben usw. usf. Also dieser Prozeß - dieser Meinung bin ich nach wie vor, Herr Wischnewski - ist voll in Gärung begriffen. Wir können nun nicht etwas ganz anderes als das machen, was die sozialliberale Regierung damals getan hat. ({2}) - Was soll das heißen? ({3}) Herr Holtz, vielleicht liegt es an Ihrem Informationsdefizit. Als wir zusammen in Mittelamerika waren, haben Sie sich ja geweigert, mit bestimmten Gruppen zu sprechen, ({4}) die Sie hier aussortiert haben. Wir haben mit allen gesprochen. Das ist immer der Unterschied. ({5}) - Mir kommt es manchmal so vor, als ob sich die SPD - -({6}) - Ach Frau Gottwald! Machen Sie eine kleine Zwischenfrage, und dann sage ich alles. Also! Köstlich! ({7}) Die SPD ist beinahe auf einer sozialistischen Insel. Vielleicht sind die GRÜNEN noch weiter links. Aber wenn der Herr Holtz versucht, sie links zu überholen, muß ich sagen: Links von Ihnen, Frau Gottwald, ist ja nur noch die Wand. ({8}) Alle Nachbarn in Mittelamerika stehen den Sandinisten inzwischen kritisch gegenüber. Selbst Kuba rät zur Mäßigung. Die Contadora-Gruppe als Versuch einer Lösung aus der Region hat sich engagiert. Kuba ist - das weiß es selber - in einer Sackgasse und rät den anderen bereits, Hilfe beim Westen zu suchen. Ich meine, wir sind uns doch darüber im klaren: Die mittelamerikanischen Staaten wollen eines: Sie wollen von den USA unabhängig sein, und sie wollen ihren eigenen Weg gehen. ({9}) - Jawohl! Und deswegen meine ich im Gegensatz zu Ihnen, Frau Gottwald, daß der Kissinger-Bericht etwas mehr als früher differenziert. Er hat durch Selbstkritik, Differenzierungsbereitschaft, Querdenken und Selbstbeschränkung mit der amerikanischen Politik Remedur gemacht. Er zeigt auf, was falsch gelaufen ist und was besser gemacht werden kann. Aber es geht immer um diese drei Forderungen: Pluralismus, eine gemischte Wirtschaftsform und Blockfreiheit. Jetzt will ich mal versuchen, den Pluralismus in Nicaragua darzustellen, wie er mir begegnet ist. Er ist buntschillernd. Es gibt beeindruckende Fortschritte im Gesundheits- und Bildungsbereich. Das ist eindeutig. Im Bildungsbereich ist dummerweise alles voll marxistischer Floskeln. Warum, weiß man nicht. Das ist j a nicht nötig. Dem stehen Behinderungen der Pressefreiheit gegenüber. Sicher ist das inzwischen ein bißchen besser geworden. Dem steht weiter die Verletzung von Menschenrechten gegenüber. Stichwort: Misquitos. Aber beim Botschafter der Bundesrepublik Deutschland stehen am Abend alle einträchtig beisammen, auch die inländische Opposition mit einem Uniformierten der Junta. Sie sprechen miteinander; und es passiert nichts. Ich möchte sagen: Hier ist zumindest mehr Pluralismus als beispielsweise in irgendeinem Land des Ostblocks zu sehen. ({10}) Aber was sagt die deutsche Kolonie? Die deutsche Kolonie zerfällt in drei Gruppen. Es gibt glühende Verehrer dieser sandinistischen Freiheitsbewegung in Nicaragua. ({11}) Sie treten praktisch dafür ein. Sie kämpfen dafür. ({12}) Es gibt Schwarzseher. Die sagen: Es läuft überhaupt nichts; wir werden alle pleitegehen. Schließlich gibt es die abwägende Mitte, die sagt: Man sollte die Tür nicht zuschlagen. Genau dies hat die Bundesregierung getan. Wir werden die Tür nicht zuschlagen. Und ich muß hier sagen: Die Stimmenthaltung der Freien Demokratischen Partei im Ausschuß bei der Beratung der Haushaltsansätze hat ja doch die Wirkung gezeigt, daß die Tür nicht zugeschlagen wird. Und das gleiche ist in Tansania passiert. Vielleicht haben Sie das verfolgt. Und dabei soll es bleiben. ({13}) Als letztes will ich nur noch sagen: Die ureigenen Interessen Europas in dieser Region liegen doch vor allen Dingen darin, daß Europa auch den Amerikanern - ich will mal sagen - die Angst vor irgendwelchen Bedrohungen nehmen könnte. Da sehe ich auch in dem Beitritt Spaniens einen entscheidenden Schritt. Hier möchte ich mal Felipe Gonzáles besonders loben, ({14}) der in dieser ganzen Auseinandersetzung eine hervorragende Rolle gespielt hat. ({15}) Der Beitritt Spaniens ist schon aus diesem Grund für die zähen Bemühungen höchst wichtig. -({16}) Vielen Dank. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/239 und den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/927 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. Februar 1984, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende und schließe die Sitzung.