Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/16/1986

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Vorgezogener Beginn der Stationierung amerikanischer Atomraketen des Typs Cruise Missile im Hunsrück verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lange.

Torsten Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Treffen Reagan/Gorbatschow sind die Kumuluswolken, wie ich es einmal ausdrücken möchte, auf denen unsere Bürger sanft an der Realität der Hochrüstung vorbeigeschoben wurden, verflogen. Die Sicht ist wieder klar. Was ist im Januar 1986 zu erkennen? Der Völkermord der Sowjetunion in Afghanistan geht weiter. Der staatliche Terrorismus der USA gegen Nicaragua und nun auch offensichtlich gegen Libyen, wobei ich hier Herrn Gaddafi sicherlich nicht in Schutz nehmen möchte, ({0}) ist jetzt auch sichtbar als eine Bedrohungsmaßnahme zu erkennen. Die USA machen fröhlich weiter mit Atomtests, weil ihnen an SDI und anderen Rüstungsschüben mehr gelegen ist als an Reduzierungen. Wir sind sehr gespannt, wie die amerikanische Administration auf das neuerliche Angebot des sowjetischen Parteisekretärs Gorbatschow, das u. a. die Verlängerung des Atomtestmoratoriums um drei Monate vorsieht, reagieren wird. Auch wenn wir in den Geruch kommen, wiederum die Sprache Moskaus zu sprechen, muß ganz eindeutig gesagt werden, daß mit dem Atomtestmoratorium und dem Angebot der Wegnahme von 50% der strategischen Atomwaffen die Sowjetunion wenigstens Abrüstungswillen bewiesen hat, den es nun zu überprüfen gilt. Jetzt wird hier im Hunsrück eine Maßnahme ergriffen, die noch im Rahmen des sogenannten Doppelbeschlusses zu verstehen ist: Es werden vorgezogene Maßnahmen zur Stationierung der Cruise Missiles in die Wege geleitet. ({1}) Ich darf daran erinnern, was u. a. Bestandteil des Kommuniqués zum NATO-Doppelbeschluß war. Dort hieß es ja, daß „im Lichte konkreter Verhandlungsergebnisse" der TNF-Bedarf der NATO geprüft werden müsse. Ich möchte nicht darüber spekulieren, weshalb diese Maßnahme jetzt erfolgt. Interessant ist es schon, wenn ich es einmal so allgemein formulieren darf: Man kann auch durch eine planmäßige Stationierung von Massenvernichtungsmitteln außerplanmäßige Abrüstungsangebote der Sowjetunion planmäßig unterlaufen ({2}) und die Absicht der Regierung, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen, planmäßig konterkarieren, kurz: die Hoffnungen der Menschen auf Frieden planmäßig zerstören. Ich möchte Ihnen drei Stellungnahmen an die Hand geben, die Ihnen möglicherweise auch zeigen, wohin die Reise mit den Cruise Missiles gehen soll. Der Generalinspekteur Brandt hat 1982 vor dem Kabinett erklärt - ich darf ihn zitieren, weil auch heute noch das Argument durch die Lande geistert, die Pershings und die Cruise Missiles seien eine Reaktion auf die SS 20 gewesen -: Es geht bei der Nachrüstung nicht darum, die Fähigkeit des Westens zu verbessern, der anderen Seite in einer möglichen globalen Auseinandersetzung einen untragbaren Schaden anzudrohen. Es geht auch nicht darum, etwa dem Waffensystem SS 20 entsprechende Waffensysteme des Westens entgegenzusetzen. Es geht vielmehr darum, der Allianz Optionen für politisches Handeln zu erhalten, die sie zur Reaktion auf sowjetische Aktivitäten in dem Bereich zwischen nur politischer Druckausübung durch die Sowjetunion und einer großen militärischen Auseinandersetzung der Blöcke befähigen. Ein zweites Zitat: Die amerikanischen Atomstreitkräfte müssen die Überlegenheit besitzen und in der Lage sein, die Sowjetunion zu zwingen, die frühestmögliche Beendigung der Feindseligkeiten unter Bedingungen anzustreben, die für die Vereinigten Staaten günstig sind. Und Zitat drei: Grundlage der Atomkriegsstrategie wäre die sogenannte Enthauptung, - decapitation d. h. Schläge gegen die politische und militärische Führung und gegen die Verbindungslinien der Sowjetunion. Das zitiert aus dem Wortlaut des „New York Times"-Berichtes vom 31. Mai 1982 über das Leitliniendokument des Pentagon zur umfassenden Kriegsvorbereitung. Ich denke, daß das der Rahmen ist, in dem auch diese Stationierung der Cruise Missiles im Hunsrück zu sehen ist. Die Cruise Missiles sind zur Kriegführung bestimmte Waffen. Sie sind Teil des amerikanischen Counter-Force-Konzepts, das die gesamte sowjetische Vergeltungskapazität und ihre C3I-Strukturen zum Gegenstand der Zielplanungen macht. Absicht dabei ist ein möglicher Sieg in einem möglichen Atomkrieg. Die Cruise Missiles sind der Einstieg in einen technologischen Innovationsprozeß, an dessen Ende eine Waffe steht, die alle Kriterien für einen nuklearen Erstschlag erfüllt. Der Zeit halber kann ich leider nicht näher auf die Gefährlichkeit dieser Waffe eingehen, die nach meiner Einschätzung noch größer ist als die der Pershing II. Ich darf nur eines sagen: Wenn man Abrüstung will, muß sich die Bedrohungsanalyse ändern. Sie darf sich nicht nur nach den Absichten und Fähigkeiten des angenommenen Gegners richten, sie muß sich auch richten nach den eigenen Maßnahmen und den möglichen Interpretationen der anderen Seite. Erst dann ist eine Bedrohungsanalyse komplett. Meine Damen und Herren, sorgen wir dafür - auf der Straße und im Parlament -, daß die Menschen im Hunsrück und anderswo nicht im Schatten von Massenvernichtungsraketen leben müssen und die Bundesregierung diesen Zustand als Frieden erklärt. Sorgen wir dafür, daß diese Kriegsvorbereitungswaffen an den Absender mit der Empfehlung zurückgesendet werden, sie zu verschrotten. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn. ({0})

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört schon sehr viel dazu, um die Dinge derart auf den Kopf zu stellen, wie wir das gerade gehört haben. Der staatliche Terrorist Gaddafi wird nicht angegriffen, sondern es heißt, es gebe einen staatlichen Terrorismus der Vereinigten Staaten. ({0}) Ich glaube, es lohnt sich kaum, das auch nur zurückzuweisen, weil das j a nicht ernstgenommen werden kann. Die staatlichen Terroristen sitzen in Libyen, sie sitzen genauso in Nicaragua: die Sandinisten. ({1}) - Ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt. Aber Tatsache ist, daß die Sowjetunion überhaupt nur nach Genf zurückgekommen ist, um zu verhandeln, weil der NATO-Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen, gerade auch hinsichtlich der Stationierung, zeitgerecht durchgeführt worden ist und, wie ich hoffe, auch weiter zeitgerecht durchgeführt wird. ({2}) Das zweite Element, das dazu geführt hat, daß die Sowjetunion wieder am Verhandlungstisch sitzt, ist das amerikanische Projekt einer Verteidigungsinitiative im Weltraum, SDI. Deswegen möchte ich mit allem Nachdruck sagen: Je eher wir zu einem deutsch-amerikanischen Rahmenabkommen kommen - ich hoffe, daß das sehr bald geschieht -, desto besser wird es auch für die Abrüstungsverhandlungen sein. ({3}) Im übrigen sind die Cruise Missiles Abwehrwaffen und Abschreckungswaffen. ({4}) Mein Kollege Berger wird Ihnen hierzu noch Einzelheiten vortragen. Zu erklären, daß die Menschen im Hunsrück und anderswo im Schatten von Massenvernichtungswaffen lebten, ist zwar richtig. Aber ich kann dazu nur sagen: ({5}) Wir alle müssen im Schatten der sowjetischen Massenvernichtungswaffen leben, und nur ein einigermaßenes Gleichgewicht der Abschreckung sichert unsere Freiheit und unseren Frieden. Aber in Wirklichkeit geht es Ihnen doch gar nicht darum, ob das Programm für die Stationierung der Marschflugkörper vorgezogen wird oder ob das nach Zeitplan erfolgt. Ihnen geht es doch nur darum, hier noch einmal eine Debatte aufzuwärmen, die wir vor Jahren geführt haben. Sie wollen nämlich gegen den NATO-Doppelbeschluß polemisieren. ({6}) Das Hohe Haus hat dem NATO-Doppelbeschluß am 21. November 1983 in einer klaren und freiheitliGraf Huyn chen, demokratischen Entscheidung mit überwältigender Mehrheit - mit sämtlichen Stimmen der Koalitionsparteien, die sich hierzu vorher im Wahlkampf bekannt haben - zugestimmt. ({7}) Ich kann nur sagen: Leider ist es die SPD gewesen, die diesen ursprünglichen Plan ihres Bundeskanzlers Helmut Schmidt, begonnen mit seiner Rede in Oxfort, verlassen hat. Wir haben hier die Kontinuität einer guten Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, und zwar einvernehmlich in der Koalititon. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit März 1985 wird in Genf wieder verhandelt. Das Angebot der Vereinigten Staaten - auch insofern ist es falsch, was Sie sagen, die Sowjetunion sei gesprächsbereit; sie ist es gerade nicht gewesen - besteht fort, daß verhandelt wird, ({9}) und zwar volle Beseitigung aller amerikanischen und sowjetischen landgestützten Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite ({10}) und die Bereitschaft, zu einem Interimsabkommen für gleiche globale Obergrenzen der Zahl der Sprengköpfe auf möglichst niedrigem Niveau zu kommen. Die Sowjetunion hat dem bisher völlig sachfremde Positionen entgegengesetzt, nämlich die Einbeziehung der britischen und französischen Potentiale und ein Moratorium. ({11}) Ein solches Moratorium, das ein reines Scheinangebot ist, würde das Übergewicht der Sowjetunion in einem Verhältnis von 8:1 für die Sowjetunion festschreiben. Das liegt nicht im Interesse des Friedens und nicht im Interesse der Sicherheit und der Sicherung unserer Freiheit. Deswegen werden wir alles tun, daß das Stationierungsprogramm zeitgerecht fortgeführt wird, daß SDI so schnell wie möglich kommt und daß dadurch schließlich und endlich die Abrüstungsverhandlungen auf allen Gebieten zu einem erfolgreichen Ende geführt werden. Herzlichen Dank. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn du wüßtest, mit wieviel Dummheit diese Welt regiert wird! Dieser Ausruf des schwedischen Reichskanzlers Oxenstierna an seinen Sohn ist leider durch die Einführung parlamentarischer Demokratie nicht ganz gegenstandslos geworden. ({0}) Er läßt sich mit dem, was sich hierzulande im Bereich der sogenannten Nachrüstung abspielt, hervorragend belegen. Dabei gibt es noch Abstufungen der Dummheit, eine Dummheitspyramide, deren stolze Spitze die Bundesregierung erklettert hat. ({1}) Erst danach kommen andere. Wer der Stationierung der auf die Sowjetunion gerichteten Raketen und Marschflugkörper zustimmt, um die Ankoppelung Europas an den strategischen Schutz der USA zu betreiben, gleichzeitig jedoch auch den Krieg der Sterne fördern hilft, der nachweislich genau das Gegenteil bewirkt, der verfolgt eine undurchdachte, eine nahezu irre Politik. Wir haben es, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, mit einer Dreistufenrakete bundesrepublikanischer Dummheit zu tun. Die erste Stufe bestand in der Rolle der Bundesregierung bei der schlicht mangelhaften Verhandlungsführung des Westens zur Verhinderung der Nachrüstung. Mit der Unwilligkeit, sich westlicherseits die auf die Sowjetunion gerichteten britischen und französischen Atomsprengköpfe anrechnen zu lassen, wurde den Rüstungsbeschränkungsverhandlungen ein kaum zu überwindender Mühlstein um den Hals gelegt. Dann kam der einigermaßen erträgliche Kompromiß des Waldspaziergangs, der in Washington durch Nichtentscheidung torpediert wurde. Die Bundesregierung spielte bei der ganzen Affäre die Rolle eines impotenten Vasallen, der mit nervenaufreibender Beharrlichkeit den guten Willen der Beteiligten beschwört, ({2}) sich in seiner Impotenz jedoch nicht traut, eine eigene Auffassung zu vertreten, dafür aber um so lautstärker seinen Dank für Konsultationen zum Ausdruck bringt. Schlimmer wird es dem Honecker auch nicht ergangen sein. Dann folgte die zweite Stufe der Dummheit, die voreilige Stationierung der Pershing II, eines Waffensystems, das Präventivschläge auf sich ziehen muß. In Washington hatte die Meinung Oberhand gewonnen, die besagte: erst stationieren, dann verhandeln. Das war Wortbruch gegenüber der Verpflichtung, zunächst einmal in Verhandlungen eine Rüstungsbegrenzungsregelung herbeizuführen. ({3}) Die berühmte Politik der Stärke, nach der uns die Wiedervereinigung übrigens längst hätte in den Schoß fallen müssen, wurde zur erneuten Täuschung des Publikums angeboten. ({4}) Die Pershing II, obgleich nicht ausgetestet und mit zahlreichen Mängeln behaftet, wurde vorzeitig sta14160 tioniert. Im übrigen hat die andere Seite das zur Ausschaltung der Pershing II erforderliche Gegenpotential im Abstand von anderthalb Flugminuten in der DDR und CSSR längst stationiert. Unter dem Strich wurde nichts, aber auch gar nichts gewonnen, ganz im Gegenteil. Jetzt die dritte Stufe. Statt auf Zeit zu spielen und mit den anderen Europäern weitere Abrüstungsverhandlungen zu erzwingen, wird durch die offenbar wiederum voreilige Stationierung der Marschflugkörper erneut das Wettrennen zwischen denjenigen, die durchrüsten und vollendete Tatsachen schaffen wollen, und den Verfechtern der Abrüstung vasallenhaft mitgemacht. Wer die Stationierung durchsetzt, wird so schnell zum Abbau nicht mehr zu bewegen sein. Und genau dies scheint das Ziel der Maßnahmen im Hunsrück zu sein. Die Seestützung der Cruise Missiles, vor dem NATO-Doppelbeschluß als technisch nicht machbar abgetan, findet inzwischen längst statt. Die US-Navy erhält Tausende atomar einsetzbarer Tomahawks. Von daher könnte man selbst aus der Logik der Anhänger des zweiten Teils des Doppelbeschlusses auf Pershing II und Marschflugkörper verzichten. Rüstungskontrollpolitisch ist das Ganze ein Werk aus dem Tollhaus. Mit einem Dutzend Atombomben kann man die Sowjetunion ebenso wie die USA desindustrialisieren. Mit etwa 100 Atombomben kann man sie weitgehend unbewohnbar machen. 10 000 bis 12 000 atomare Interkontinentalsprengköpfe stehen auf beiden Seiten zur Verfügung, dazu weitere je 10 000 Sprengköpfe auf taktischer Ebene. Und gleichwohl ist man auch westlicherseits nicht in der Lage, den Unsinn zu stoppen. Die 586 Mittelstreckenraketen und Bummelraketen sind zwar ihrer Eigenschaft wegen gefährlich, spielen jedoch in dem den Erdball umspannenden Gesamtspiel nur eine völlig untergeordnete Rolle, fast so untergeordnet wie der Einfluß der Regierung Kohl/Genscher auf das Ost-West-Verhältnis geworden ist. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man eine Überschrift über diese Aktuelle Stunde heute morgen setzen kann, dann wäre es die: Schlecht getimet und falsch begründet. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hören heute von der Opposition bisher einen Neuaufguß aller jener schwarzen und makabren Vorhersagen, die wir im November des Jahres 1982 und in den folgenden Monaten schon einmal gehört haben. Es mag Ihnen unangenehm sein, Herr Kollege Lange, aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß genau das Angebot, das Gorbatschow gestern abend noch einmal gemacht hat und auf das der amerikanische Präsident und der amerikanische Außenminister bereits reagiert haben, daß die Tatsache, daß es in Genf einen Gipfel gegeben hat, daß es Abrüstungsvorschläge von seiten der beiden Großmächte gibt, die weit über alles hinausgehen, was wir in der Vergangenheit gehabt haben, offenbar bei Ihnen ohne Wirkung geblieben ist. ({1}) Herr von Bülow meint, es sei Dummheit, konsequente, überzeugende und unmißverständliche Politik zu betreiben, übrigens in einem Sinne, Herr Kollege von Bülow, in dem Ihr Bundeskanzler mit uns übereinstimmte, und der, Herr Kollege Jungmann, auch von daher vernünftig war, als Sie vorhin versuchten, den ehemaligen Generalinspekteur als Kronzeugen heranzuziehen. Sie haben ihn mit einem Wort zitiert, das ich voll unterstreiche, daß es nicht um den Einsatz von Waffen, daß es nicht um Krieg oder Gewinnen von Krieg gehe, sondern um die Offenhaltung von Optionen für politisches Handeln. ({2}) Dies genau ist es, was unsere Politik, in der Vergangenheit mit der SPD gemeinsam, aber konsequent und überzeugend auch im November des Jahres 1982 und in der folgenden Stationierung fortgeführt, zum Ziel gehabt hat. Es ging darum, zu verhindern, daß mit der Stationierung der SS 20 eine Aufspaltung des westlichen Bündnisses erfolgen würde. Wir haben sie verhindert. Das hat dazu geführt, daß die Sowjetunion inzwischen Abrüstungsvorschläge macht, die zwar gewiß nicht überprüft sind und in Verhandlungen präzisiert werden müssen, die aber endlich einmal - ich erinnere an das, was Gorbatschow gestern gesagt hat - die Hoffnung deutlich machen, für die wir in der Vergangenheit eigentlich keinen Ansatzpunkt gefunden haben, daß bis Ende dieses Jahrtausends die Atomwaffen beseitigt werden könnten. ({3}) Die Reaktion des amerikanischen Außenministers darauf: „Warum sollen wir eigentlich bis zum Ende dieses Jahrtausends warten?" ist etwas, was genau bestätigt, was mit dieser Politik betrieben wird. ({4}) Wir mögen alle nicht froh darüber sein - und wir sind es gewiß nicht -, daß das Gleichgewicht des Schreckens, das Gleichgewicht der gegenseitigen Vernichtungsfähigkeit bisher die Voraussetzung dafür ist, daß es in Europa im Gegensatz zu vielen Teilen der Welt in den letzten Jahrzehnten keinen Krieg gegeben hat. Aber wir werden gemeinsam nur den vernünftigen Weg dahin finden können, daß wirklich einmal, meine Damen und Herren, nicht nur von Rüstungskontrolle gesprochen wird, also von Begrenzung der Rüstung auf einem einmal erreichten Niveau, sondern auch von Abrüstung, von Verschrottung bereits vorhandener Waffen und daß damit von einem Gleichgewicht gesprochen werden kann, das auf einem niedrigen Niveau nicht nur eine größere Garantie dafür gibt, daß der Frieden erhalten bleibt, sondern das auch an die Stelle des Nicht-Krieges vielleicht in absehbarer Zeit sogar einen Zustand treten läßt, in dem gegenseitiges Vertrauen an die Stelle gegenseitigen Mißtrauens tritt und wirklich von jenem Zustand des Friedens in Europa, Herr Kollege von Bülow, geredet werden kann, in dem das deutsche Volk nicht durch eine Politik der Stärke, sondern durch eine überzeugende, klare, eindeutige und unmißverständliche Haltung seine Einheit in freier Selbstbestimmung und im Frieden wiedergewinnt. Ich danke Ihnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Marschflugkörper „Cruise Missiles" der amerikanischen Luftwaffe werden, beginnend in diesem Frühjahr, auch in der Bundesrepublik Deutschland stationiert, ({0}) so wie es 1979 der NATO-Doppelbeschluß vorgesehen hat, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Herr von Bülow, wenn mich nicht alles täuscht, Mitglied dieser Bundesregierung war. ({1}) Ich glaube, ich habe in diesem Hause noch kein erstaunlicheres Beispiel eines Meinungs- und Gesinnungswandels in einer so kurzen Zeit erlebt, ohne daß sich an den äußeren Umständen irgend etwas geändert hätte. ({2}) Ich kann mich nicht nur über das Vokabular wundern, Herr von Bülow, das Sie hier gebrauchen, sondern auch über die Einstellung, die dahinterstecken muß. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß das, was unter Ihrer Verantwortung beschlossen wurde, heute von Ihnen als Dummheit, als mehrstufige Dummheit, bezeichnet wurde. Da kann ich nur sagen: Beziehen Sie bitte diesen Vorwurf auf sich selber! ({3}) Die Zeitplanung für die Stationierung wurde zwischen den NATO-Partnern seit 1979 einvernehmlich bestimmt. Wir sind exakt in der Zeit, nicht früher und nicht später. Von einer vorgezogenen Stationierung kann also keine Rede sein. ({4}) Es hat nur eine einzige Abänderung gegenüber den ursprünglichen Planungen gegeben, und zwar mit Rücksicht auf den Deutschen Bundestag. Mit den Bauarbeiten in Wüschheim wurde nämlich erst dann begonnen, als der Deutsche Bundestag zur Stationierung votiert hatte. Dadurch sind wir in der Zeitplanung für Wüschheim etwas zurückgefallen. Der Abschluß der Bauarbeiten in Wüschheim ist bis Ende dieses Jahres vorgesehen. Bereits vorfertiggestellte Bereiche sind durch die 38. Wing, also durch diese Stationierungseinheit der Amerikaner, bezogen. Bis zur vollständigen Fertigstellung der Baumaßnahmen und Übergabe stützt sich diese amerikanische Einheit auf die Unterstützung des amerikanischen Flugplatzes Hahn ab. Die Cruise-Missiles-Stationierung in der Bundesrepublik folgt der Stationierung solcher Flugkörper in Großbritannien, Italien und Belgien. Sie wird Ende 1987, Anfang 1988 auch in den Niederlanden beginnen. ({5}) Auf deutschem Boden werden 96 Marschflugkörper bis Ende 1987 stationiert, in Großbritannien werden insgesamt 160, in Italien 112, in Belgien und den Niederlanden je 48 aufgestellt. Zur Zeit wird die Ausrüstung des 38. taktischen Flugkörpergeschwaders der amerikanischen Luftwaffe in Wüschheim vorbereitet. Sie hat mit der Anlieferung von schwerem Bodengerät, u. a. Werfern und Feuerleitfahrzeugen, begonnen. Wie im Bündnis 1979 vereinbart, werden Einzelheiten zum Stationierungsablauf, d. h. zum Eintreffen von Flugkörpern oder Gefechtsköpfen, nicht bekanntgegeben. Alle derzeit eingeleiteten Maßnahmen zielen darauf ab, die Stationierung der Marschflugkörper so vorzubereiten, daß die erste Staffel des amerikanischen Verbandes ihren Auftrag zum vorgesehenen Zeitpunkt Ende März 1986 aufnehmen und erfüllen kann. Soweit zu den Fakten. Nun eine kurze politische Bewertung. Der politische wie der militärische Zweck der Stationierung wird erreicht; das läßt sich heute kaum noch bestreiten. Keine Ihrer politischen Voraussagen ist eingetroffen. ({6}) Zum einen: Wir sind dabei, die Bedrohung durch die sowjetischen SS-20-Raketen zu neutralisieren. Die Kriegsgefahr ist entgegen Ihren Behauptungen nicht gestiegen. Wir sind heute vor der Androhung oder gar dem Gebrauch der SS 20 sicherer als zuvor, d. h. die Abschreckung wirkt, meine Damen und Herren. ({7}) Im übrigen, die Cruise Missiles sind keine Kriegsführungsmittel; sie sind Kriegsverhinderungsmittel. Sie als Erstschlagwaffen zu bezeichnen, Herr Kollege, ist abenteuerlich. Ihre Flugzeit beträgt 21/2 Stunden. ({8}) Zum anderen: Es gab keine Eiszeit im Ost-WestVerhältnis, wie Sie das vorausgesagt haben. Die Sowjets sitzen wieder am Verhandlungstisch. Daß sie dort sitzen, ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdan14162 ken, daß wir hier den Doppelbeschluß konsequent verwirklicht haben. Wären wir Ihren Ratschlägen gefolgt, hätte es nichts zu verhandeln gegeben. ({9}) Anstatt aus den Erfahrungen und aus Ihren Irrtümern zu lernen, fahren Sie mit Ihrer Strategie der Panikmache fort. ({10}) Ich sage Ihnen hier voraus: Sie werden auch künftig nicht recht behalten. Unser Ziel bei den Abrüstungsgesprächen in Genf bleibt die Begrenzung, die Verringerung, am besten die vollständige Abschaffung aller Mittelstreckenwaffen. Das ist Bestandteil der amerikanischen Verhandlungsposition. Die Amerikaner schlagen als ersten Schritt in diese Richtung eine Zwischenvereinbarung über die Begrenzung amerikanischer und sowjetischer Startgestelle für Mittelstreckenflugkörper in Europa bzw. in Reichweite Europas auf 140 vor. Wir haben immer wieder - zuletzt in der Special Consultation Group - am 14. Januar 1986 die Bereitschaft - die weiter gilt - unterstrichen, die Stationierung von Mittelstrekkenwaffen anzuhalten, umzukehren, und zwar einschließlich des Abzugs und der Zerstörung bereits stationierter Flugkörper, falls und sobald ein ausgewogenes, gerechtes und nachprüfbares Abkommen erzielt worden ist. Morgen gehen die Genfer Verhandlungen in die vierte Runde. Heute haben wir die Vorschläge des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow gehört. ({11}) Wir sind dabei, sie zu prüfen. Ich kann nur sagen: Jetzt wird in Genf die Möglichkeit sein, auszuloten, wie ernst es die Sowjetunion etwa mit ihrer Beteuerung meint, Mittelstreckenwaffen, dann allerdings auch die taktischen Nuklearwaffen, in Europa abzubauen, und zwar auf beiden Seiten. Ich kann nur sagen: An der Bereitschaft des Westens und an der Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland fehlt es nicht. Wir wollen weg von diesen Waffen, allerdings auf beiden Seiten. Jetzt kommt es darauf an, von den Vorschlägen zu den Taten überzugehen. Dazu ist in Genf der Platz. Ich danke. ({12}) Viezpräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Wörner, es hat keinen großen Sinn, wenn man sich jetzt gegenseitig mit Legenden traktiert und dabei ein falsches Bild der tatsächlichen Situation malt. Wir haben es in der Tat mit einer ganzen Reihe von Legenden zu tun. Ich will das an der Stelle hier einmal ausräumen. Zunächst einmal ist es doch wohl kaum glaubwürdig, und es kann doch wohl niemandem plausibel gemacht werden, daß das, was inzwischen Gott sei Dank an Abrüstungsvorschlägen zwischen den Supermächten bis hin zum Gipfel im November einschließlich dessen, was hoffentlich noch in diesem Jahr passiert, vorliegt, auf das Übermaß von Rüstung zurückzuführen ist. Es ist doch ebenfalls ganz offenkundig, daß inzwischen auch bei den Supermächten die Erkenntnis reifen mußte, daß die Tatsache, daß die Rüstung in den letzten fünf Jahren weltweit - insbesondere durch die Rüstung der Supermächte - um 70 % auf 1 Billion Dollar im Jahr - so zuletzt 1985 - angestiegen ist, allen über den Kopf wächst und Antworten erheischt, aber doch nicht in dem Sinn, daß man eine Politik der Stärke macht. Vielmehr hat man gemerkt: So kann es nicht weitergehen. Diese Erkenntnis hat inzwischen auch die Hauptstädte der Supermächte erreicht. Das ist der Punkt, um den es hier eigentlich geht. Es geht nicht darum, daß die Bundesregierung gemeint hat, sie müsse ständig der Musterknabe bei jedem weiteren Rüstungsschritt sein; so treten Sie hier j a leider auf. Es ist auch nicht richtig, daß die Verhandlungen, wie sie seit 15 Jahren mit mehr oder weniger Erfolg stattfinden, immer erst stattgefunden hätten, nachdem irgendwo ein großer Rüstungsschritt angekündigt worden wäre. Die meisten Verhandlungen fanden im normalen Verlauf statt und mußten nicht unbedingt einen großen Rüstungsschritt zur Voraussetzung haben. Dasselbe gilt für das SDI-Projekt. Dieses Projekt begann im März 1983. Da liefen in Genf noch die INF- und die START-Verhandlungen. Und jetzt all das, was anschließend, ab Anfang 1985, an Verhandlungen neu begann, z. B. auf SDI zurückzuführen, gewissermaßen als den großen Schneisenschlag für neue Verhandlungen zu bezeichnen, ist eine Legende und nichts anderes, die im Grunde genommen von Ihrer Seite aus doch nur bedeuten soll, daß Sie mit der Überschrift „Abrüstung" jeden nächsten Rüstungsschritt begründen. ({0}) Das ist etwas, was einmal aufhören und deutlich gemacht werden muß. ({1}) Der nächste Punkt ist die berühmte Schwarzmalerei. Wer hat bei den Prognosen denn eigentlich recht gehabt? Sie weisen darauf hin, irgend jemand habe einmal gesagt, daß zwischen den Supermächten vorübergehend eine Eiszeit eintreten könne. Weil dann nach einem Jahr verhandelt worden ist, sagen Sie: Da sieht man, daß alle unrecht gehabt haben. Was haben wir gesagt? Wir haben tatsächlich gesagt: Dadurch, daß die Nachrüstung für die Bundesregierung Priorität vor den Verhandlungen gewann, wird nicht Frieden mit immer weniger Waffen, wie es die Bundesregierung angekündigt hatte, eingeleitet, sondern Frieden mit immer mehr Waffen. ({2}) [SPD]: Sehr wahr!) Der erste Schritt wird sein, daß in der DDR und der CSSR - etwas, was sicherlich schon vorher geplant war, aber durch die Verhandlungsmöglichkeiten eben nicht unterbunden wurde - zunächst einmal neue operativ-taktische Atomwaffen stationiert werden, die auf die Pershing oder auf andere Atomwaffen hier gerichtet sind. Genau das ist passiert. Dann haben Sie gesagt: Das ist doch gar nicht so schlimm. Dabei stellt das tatsächlich eine schlimmere Bedrohung dar als die SS 22. Daß das gar nicht so schlimm sei und eigentlich gar nichts verändere, sagen Sie, weil Sie nicht zugeben wollten, daß damit ein zusätzliches Maß an gefährlicher Atomrüstung provoziert worden ist. ({3}) Jetzt sehen Sie die SS 22 auf einmal aber doch als so gravierend an, daß Sie sagen: Diese SS 22 machen es erforderlich, jetzt - gewissermaßen als europäisches SDI-Programm - Raketenabwehrsysteme teuerster, kostspieligster Art auch in der Bundesrepublik einzuführen. Erst war das also nicht so schlimm und wurde abgewiegelt, aber jetzt dient es zur Begründung für den nächsten umfangreichen Rüstungsschritt. Das ist also wieder genau der Vorgang, den wir feststellen können: Mit Verhandlungen oder mit der Überschrift „Abrüstung" begründen Sie jeden weiteren Rüstungsschritt. Das ist das, was wir immer wieder gezeigt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme jetzt zum Ende, Herr Präsident. Dieser Kreislauf muß durch eine Politik durchbrochen werden, in der nicht nur von Verhandlungen gesprochen wird, sondern die diese auch mit eigenen Konzepten betreibt. Solche Konzepte haben Sie bisher nirgendwo vorgelegt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lange, zu Ihrem Wortbeitrag möchte ich sagen: Wer in der Argumentation auf dem Kopf steht, hat natürlich wenig Mühe, die Dinge entsprechend zu verkennen. Zu dem Wortbeitrag von dem Kollegen von Bülow hat Herr Dr. Wörner, der Verteidigungsminister, schon Stellung genommen. Aber lassen Sie mich noch hinzufügen, daß ich im Unterschied zu ihm nicht glaube, daß dies eine Frage der Intellektualität oder der Dummheit gewesen ist. Wenn er als damaliger Verteidigungsstaatssekretär in der Zeit, als der Doppelbeschluß formuliert worden ist, heute eine solche Rede hält, so ist das vielmehr eine Frage der intellektuellen Redlichkeit und sonst nichts. Insofern möchte ich hinzufügen, Herr von Bülow: Es war höchste Zeit, daß Sie abgewählt worden sind und daß Sie heute nicht mehr die Verantwortung für die Politik für unser Land tragen müssen. ({0}) - Ich komme nun gerne auf Einzelheiten des Themas zu sprechen. ({1}) Die entscheidenden Kriterien, unter denen ein Rüstungsprojekt heute wie auch morgen und in Zukunft darauf untersucht werden muß, ob es zulässig ist und dem Frieden dient, sind die Fragen, ob die geplanten militärischen Mittel den Krieg weder fährbarer noch wahrscheinlicher machen. Ich möchte hinzufügen, daß das, was jetzt im Hunsrück stationiert wird, genau dies nicht tut und auch von der Natur der Sache her nicht tun kann. ({2}) Der Herr Verteidigungsminister hat darauf hingewiesen: Die Marschflugkörper haben eine Flugzeit von zweieinhalb Stunden. Dies sind Waffen, die zu einer militärischen Bedrohung wie zu einem Erstschlag, so wie Sie, Herr Lange, es behaupten, einfach nicht in der Lage sind. Wenn es im Doppelbeschluß überhaupt ein Potential gegeben hat, in dem die defensive Absicht dieses Beschlusses deutlich geworden ist, dann ist das die Tatsache, daß man zu diesem Zweck erst diese neue Waffe konzipiert hat, die in ihrer bewußten Begrenzung der Reichweite wie der Flugzeit auf zweieinhalb Stunden von den Sowjets einfach nicht als Bedrohung empfunden werden kann. Diese Waffe stellen Sie nun als Erstschlagwaffe hin. Das zweite Kriterium, das ich nennen möchte, ist, daß die Waffen - nun nehme ich Ihr Stichwort auf - an dem Ziel der Kriegsverhinderung orientiert sein müssen. Dies genau trifft für die Marschflugkörper in besonderer Weise zu: Sie dienen der Kriegsverhinderung und gleichzeitig dazu, daß wir uns nicht etwa durch sowjetisches Offensivpotential - das doch niemand im Saal bestreiten kann - bedroht fühlen müßten und in unserer Souveränität eingeschränkt fühlen müßten. Marschflugkörper, wie sie flächendeckend jetzt in Westeuropa, und zwar der Zahl nach geringer als das Offensivpotential des Warschauer Pakts, aufgestellt werden, dienen ausschließlich diesem Zweck der Kriegsverhinderung mit Blick auf die Tatsache, daß die andere Seite etwa mit ihrer Zerstörungskapazität, mit ihrem Drohpotential, mit ihren Waffen, uns bedrohen könnte. Das dritte Kriterium, das ich bei jeder Dislozierung für entscheidend halte, ist das Kriterium, ob alle militärischen Mittel, die wir bereithalten oder bereitstellen, mit den Versuchen und den bisherigen Möglichkeiten wirksamer Rüstungsbegrenzung vereinbar sind. Da gibt es doch gar keinen Zweifel, daß drei Jahre lang die Rüstungsbegrenzung versucht wurde, daß drei Jahre mit dem Ziel, auf diese Waffen verzichten zu können, verhandelt wurde. Aber es waren die Sowjets, die 1983 Genf verlassen haben, so wie es jetzt die Sowjets sind und vor einem Jahr die Sowjets waren, die nach Genf wieder zurückgekehrt sind, und zwar ausschließlich deswegen, weil sie erkannt haben, daß wir in ruhigem Ernst und großer Besonnenheit den Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen erfüllen, ({3}) wozu Sie, die Kollegen von der SPD, leider nicht die Nerven und auch nicht die Charakterstärke hatten. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Rumpf. ({0})

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wohne im Hunsrück. Zehn Kilometer vor meiner Haustür werden die Cruise Missiles installiert. ({0}) Die umfangreichen Vorbereitungsmaßnahmen sind seit einem Jahr im Gange. Damit wird der NATO-Doppelbeschluß von 1979 in die Tat umgesetzt. Dieser NATO-Doppelbeschluß - ich wiederhole es - wurde von Bundeskanzler Schmidt konzipiert. Wir haben ihm zugestimmt; und ich stehe dazu, heute genauso wie damals. ({1}) Sie von der Sozialdemokratie haben sich leider in der Zwischenzeit davongeschlichen. Herr Berger sagte, daß seit drei Jahren verhandelt wurde. Genau das ist richtig. Die Holländer haben sogar nochmals zwei Jahre zugegeben. Trotzdem hat sich an der Einstellung nichts geändert. Ich kenne SPD-Abgeordnete, die von 1979 bis 1982 in vorderster Front gegen die Friedensinitiativen gekämpft haben und für den NATO-Doppelbeschluß eingetreten sind. Sie stehen heute in vorderster Front an den Zäunen der Baumaßnahmen und schwenken die Fahnen gegen den NATO-Doppelbeschluß, gegen die Installierung. Inhalt des Beschlusses ist, daß 96 Marschflugkörper auf deutschem Boden stationiert werden. Wo sie sich genau befinden, weiß niemand und soll ja auch niemand wissen. ({2}) Nur die oberste Heeresleitung weiß, ob im Einzelfall Attrappen oder echte Trägersysteme irgendwo transportiert werden. ({3}) Der Standort und die Standorte der Dislozierung bleiben unbekannt. ({4}) Dies ist ein Teil der Verteidigungsstrategie und ein Teil der Unverwundbarkeit. Leider wird die Bevölkerung in hohem Maße verunsichert. Da gibt es - ich sage einmal - die sogenannten Friedensinitiativen, ({5}) die den Bürgern mit Flugblättern Angst einjagen. Sie erwecken den Eindruck, die scharf gemachten Raketen würden dauernd auf den Straßen des Hunsrücks hin- und hertransportiert. ({6}) Beides ist falsch. Die Trägerraketen und die Trägersysteme werden grundsätzlich ohne atomare Sprengköpfe transportiert. Selbst die Sprengköpfe sind gegen den größten vorstellbaren Unglücksfall gesichert. ({7}) Aber die Aufklärung der Bevölkerung von seiten der Bundesregierung könnte in der Tat etwas besser und auch geschickter sein. Da wird sogar unwidersprochen behauptet, ({8}) die Umgehungsstraßen im Hunsrück, z. b. Kirchberg-Kastellaun, Gödenroth-Argenthal würden wegen der Raketentransporte gebaut. ({9}) Dabei stehen sie seit Jahren im Bundesverkehrswegeplan. Ich wünsche mir, daß die staatlichen Hochbauämter, Herr Verteidigungsminister, und auch Ihr Haus selbst wenigstens die Ortsbürgermeister besser informieren und sie im Einzelfall über die Dinge auf dem laufenden halten, die da passieren - nicht über die geheimhaltungsbedürftigen Dinge, ({10}) aber über die notwendigen Baumaßnahmen. Ich glaube, die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung im Hunsrück ist nach wie vor ungebrochen ({11}) trotz der Hetzkampagne von Ihrer Seite, die inzwischen wieder angefangen hat. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Lamers. ({0})

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist, wie ich finde, schon abenteuerlich, wenn man erlebt, welche Klimmzüge die Herren von der Opposition ({0}) - ich meine die halbwegs ernst zu nehmende Opposition der Sozialdemokratie - hier vornehmen, um nun die Kurve zu kriegen von ihren früheren Behauptungen über die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stationierungsbeschluß zu der heutigen Wirklichkeit. Herr Kollege von Bülow versucht das mit demagogischen und völlig haltlosen, substanzlosen Angriffen. Herr Kollege Scheer versucht es mit interpretatorischen Serpentinen, die ihn in abenteuerliche Höhen und an gefährlichen Abgründen vorbeiführen. Aber das alles meine Damen und Herren, kann die wirkliche Lage überhaupt nicht verdunkeln. ({1}) Minister Wörner hat bereits darauf hingewiesen, was Sie prognostiziert haben. Sie haben Unruhe auf den Straßen prognostiziert; ({2}) die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland würde das nicht hinnehmen. Sie haben die kälteste Eiszeit in den Beziehungen zwischen Ost und West prognostiziert. Was haben wir statt dessen? ({3}) Kollege Rumpf hat darauf hingewiesen, Kollege Berger hat darauf hingewiesen: Unsere Bevölkerung nimmt die Stationierung nicht mit ruhiger Gelassenheit hin, nicht weil sie darüber glücklich und froh wäre, sondern weil sie weiß, daß sie eine Notwendigkeit ist, eine nüchterne Notwendigkeit, um das Gleichgewicht zwischen Ost und West zu erhalten ({4}) und zur Abrüstung zu kommen. Wir haben eben statt der Eiszeit das Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow, wir haben die Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen, wir haben das Versprechen von Reagan und Gorbatschow, sich regelmäßig zu sehen; weitere Treffen sind fest vereinbart. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, die Aktuelle Stunde heute morgen ist ganz gewiß kein geeignetes Mittel, um diese Situation zu verändern und die Stimmung in der deutschen Bevölkerung in irgendeiner Weise umzukehren. Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob Sie denn nun wirklich immer noch auf dem richtigen Wege sind. Meine Damen und Herren, ich will mich ein wenig mit den Genfer Verhandlungen befassen, weil ich meine, daß wir an einem außerordentlich interessanten Punkt angekommen sind. Zunächst aber möchte ich der Bundesregierung sehr herzlich dafür danken, daß sie alles in ihrer Kraft Stehende getan hat, um bei den Genfer Verhandlungen ein Schwergewicht auf die INF-Verhandlungen zu legen. Es ist ja von Ihnen auch prognostiziert worden, das Interesse der beiden Großmächte sei zunächst einmal auf die START-Verhandlungen gerichtet, und INF komme dabei zu kurz. Jetzt erleben wir das Gegenteil; wir sehen, daß wir die Möglichkeit eines separaten und eines Zwischenabkommens haben, was von Minister Wörner hier eben schon im wesentlichen skizziert worden ist. Ich möchte die Bundesregierung auch nachdrücklich darin unterstützen, daß sie dafür Sorge trägt, daß keine neuen Grauzonen entstehen, und daß sie auch Wert auf Verhandlungen über Mittelstreckenraketen mit kürzerer Reichweite legt. Ich stelle mit Interesse fest, daß es zwischen den USA und der Sowjetunion offensichtlich folgende Übereinstimmungen gibt: Erstens soll es über die INF-Problematik ein separates Abkommen geben. Zweitens soll eine Konzentration auf Raketen und Cruise Missiles stattfinden; Flugzeuge bleiben also ausgeschlossen. Drittens soll eine Verbindung von regionalen und globalen Obergrenzen vorgenommen werden. Meine Damen und Herren, ich frage mich: Was ist das Interesse der Sowjetunion an einer solchen Übereinkunft? Ich glaube, das ist die interessanteste Frage. Offensichtlich ist die Sowjetunion daran interessiert, die Glaubwürdigkeit ihrer ständig wiederkehrenden Abrüstungserklärungen unter Beweis zu stellen. Wenn sie das hier tun wird und damit auch das Wort vom gemeinsamen Haus Europas ein bißchen substantiierter erscheinen läßt, werden wir das selbstverständlich mit Nachdruck begrüßen. Zum anderen hat die Sowjetunion eben erkannt - und ich meine, das wäre wirklich wert, von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, anerkannt zu werden -, daß sie Einfluß auf die Stationierung von Pershings und Cruise Missiles in der Bundesrepublik Deutschland nicht über die Straße in der Bundesrepublik Deutschland, sondern nur auf dem Wege von Verhandlungen nehmen kann, ({5}) und das ist der beste Beweis für die Richtigkeit des Stationierungsbeschlusses. Danke schön. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Berger, wenn Cruise Missiles wirklich so defensiv und harmlos sind, wie Sie es vorhin gesagt haben, warum will dann Washington laut „Welt" vom 8. Januar die Patriot für die Raketenabwehr umbauen, um sowjetische Marschflugkörper abschießen zu können? ({0}) Während wir hier über die Stationierung der Cruise Missiles diskutieren, sitzt Kanzler Kohl bei Mitterrand und versucht, ihn für eine Europäische Verteidigungsinitiative zu gewinnen. Dies erinnert mich auf fatale Weise an die Situation von 1979: Fast zeitgleich mit dem NATO-Beschluß begann in der amerikanischen Regierung die öffentliche Diskussion über eine Raketenabwehr für Europa. Während der europäischen Öffentlichkeit immer noch die Illu14166 Frau Fuchs ({1}) sion einer Null-Lösung vorgegaukelt wurde, fiel in den USA bereits die Entscheidung, ein Abwehrsystem zu entwickeln, das die Pershings und die Cruise Missiles, die noch gar nicht da waren, die es noch gar nicht gab, vor anfliegenden Raketen schützen sollte - wohlgemerkt: die Raketen, nicht die Menschen. Damals haben wir das nicht durchschaut; ({2}) wir hätten es auch kaum geglaubt, wenn nicht Protokolle aus dem amerikanischen Kongreß uns mit diesen Tatsachen schwarz auf weiß konfrontiert hätten. Im Haushalt 1983 wurden dann die ersten Gelder für eine ATM-Entwicklung bewilligt. Meine Herren und Damen, das war zu einer Zeit, da Präsident Reagan uns täglich sein ernstes Interesse an einem Verhandlungserfolg in Genf zusicherte. In Wirklichkeit ging man zu dieser Zeit in den USA ganz selbstverständlich von der Stationierung aus und dachte bereits damals über die nächste Stufe der Aufrüstung nach, nämlich über Raketenabwehrsysteme. Hier zeigt sich wieder einmal, welch verhängnisvollen Weg diese Regierungskoalition beschritten hat, als sie der Raketenstationierung zustimmte. ({3}) Pershing II und Cruise Missiles ziehen eine endlose Folge weiterer Aufrüstung nach sich. Nach militärischer Logik gibt es einen zwingenden und direkten Zusammenhang zwischen Raketen und Raketenabwehr. Pershing II, Gruise Missiles und EVI gehören zusammen. Sie entspringen ein und derselben Logik. Und für den, der es nicht glaubt, will ich nur beispielhaft einen kurzen Dialog zwischen Senator Kennedy und General Merryman anläßlich einer Anhörung im amerikanischen Kongreß wiedergeben: Kennedy: „Betrachten wir die Pershing II! Mir scheint, daß diese Raketen ein erstrangiges Ziel in einem taktischen Krieg in Europa wären." Merryman: „Genau deswegen haben wir dieses Jahr Geld für ein Taktisches Raketenabwehrprogramm beantragt." Das war 1983, vor dem Stationierungsbeschluß im Deutschen Bundestag. Eine europäische Verteidigungsinitiative ist also keineswegs bundesdeutschen Hirnen entsprungen. Sie wurde in Amerika erdacht und dort beschlossen. ({4}) 1979 wurde uns - wie heute - gesagt, es gehe um europäische Interessen, während es in Wirklichkeit um amerikanische Aufrüstung ging. ({5}) Eines ist heute allerdings anders als damals: Heute gibt es eine Friedensbewegung, und die große Mehrheit der Bevölkerung hat genug von immer mehr Raketen und will Abrüstung. ({6}) Die Bevölkerung will nicht, daß das deutsche Interesse an Abrüstung und Entspannung fortwährend dem amerikanischen Rüstungskurs untergeordnet wird, wie diese Regierung das tut. Weil die Regierung Angst vor der Bevölkerung hat, versucht sie, die Spuren von EVI zu verwischen und einen Zusammenhang zwischen Mittelstreckenraketen und EVI zu verschleiern. Deswegen wird seit Jahren hinter dem Rücken der Bevölkerung an einer Raketenabwehr gearbeitet, deswegen werden alle Meldungen über die Umrüstung der Patriot zur Raketenabwehr geleugnet, deswegen spricht Herr Wörner nicht mehr so gern von der Europäischen Verteidigungsinitiative oder von EVI, ({7}) sondern lieber von „verbesserter Luftabwehr"; das klingt nicht so verfänglich nach SDI. Diese Unterordnung deutscher Interessen ist es auch, die die Bundesregierung daran hindert, Chancen zur Rüstungsbegrenzung wahrzunehmen, etwa jetzt mit allem Nachdruck in Washington für ein Zwischenabkommen über Mittelstreckenraketen einzutreten. Statt dessen sah sie zu, wie 108 Pershing stationiert wurden, und sieht jetzt zu, wie, vorgezogen, Cruise Missiles aufgestellt werden, die die Chance eines Zwischenabkommens zunichte machen müssen. Der Kanzler wirbt für EVI, der Wirtschaftsminister verhandelt über SDI, und Staatssekretär Rühl verabschiedete sich gestern im Verteidigungsausschuß faktisch von der Forderung nach einem umfassenden Atom-Teststopp, einer Forderung, die bisher alle Fraktionen dieses Hauses geteilt haben. ({8}) Das hat nichts zu tun mit dem Kohl-Spruch: „Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen"; das ist verantwortungslose Aufrüstung. Weil diese Politik mit jedem Jahr gefährlicher wird, muß ihr so schnell wie möglich ein Ende bereitet werden. Wir arbeiten daran nach Kräften. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.

Peter Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, ich bin wirklich dankbar - das meine ich ganz ernst -, daß Sie nicht die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland formulieren. ({0}) Denn wenn diese Haltung und diese Ressentiments gegen unsere wichtigsten Verbündeten, die über 30 Jahre ihre eigene Sicherheit mit unserer verkoppelt haben, ({1}) die Haltung der wirklichen Sprecher des deutschen Volkes wäre, würden die Amerikaner morgen nach Hause gehen ({2}) und uns unserem Schicksal überlassen, ({3}) und wir wären auf Gnade und Barmherzigkeit denen ausgeliefert, die hier bei uns etwas ganz anderes wollen als eine freiheitliche demokratische Grundordnung. Das, was wir heute morgen erleben, ist schon ein bißchen gespenstisch. ({4}) - Vielleicht sind Sie so nett und lassen mich weiterreden. Denn diese Brüllerei mag ich nicht, und das kann ich auch nicht so richtig; das kann Erwin Horn viel besser. - Wir erleben einen Neuaufguß - der Kollege Ronneburger hat es schon gesagt - der Nachrüstungsdebatte und vergessen dabei völlig den Ausgangspunkt. Der Ausgangspunkt war doch, daß Helmut Schmidt - Sie erinnern sich vielleicht an ihn, meine Damen und Herren von der SPD - in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu der Erkenntnis kam ({5}) - jetzt lassen Sie mich doch bitte -, daß sich - so hat er jedenfalls gesagt, und diese richtige Erkenntnis haben wir als Opposition damals unterstützt ({6}) die interkontinentalen Potentiale durch SALT II gegenseitig neutralisierten und die Russen jede Woche eine Mittelstreckenrakete vom Typ SS 20 aufbauten, so daß dadurch ein Ungleichgewicht entstand und wir in die Situation der Erpreßbarkeit kamen. Und er hat dann nicht, wie das sonst üblich war, gesagt: Gut, wenn die etwas machen, dann ziehen wir automatisch nach, sondern er hat gesagt: Wir geben den Russen vier Jahre Zeit. In diesen vier Jahren werden wir versuchen, durch Verhandlungen dazu zu kommen, daß sie diese Mittelstrekkenraketen mit einer neuen Qualität wieder abbauen. Er hat weiter gesagt: Wenn sie das nicht tun, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als unsererseits etwas Ähnliches zur Abschreckung aufzubauen. Da hat doch Willy Brandt, meine Damen und Herren, da haben doch eine ganze Reihe von Sozialdemokraten noch in der Regierung signalisiert: Wir wollen das Zeug hier gar nicht, wir meinen das gar nicht wirklich. Im Grunde genommen können die Russen ruhig so weitermachen. Denn wir werden ja gar nicht wirklich nachrüsten; das haben wir nur so gesagt. Dadurch kam eine Unsicherheit in die ganze Debatte hinein. Gott sei Dank kam es dann zum Regierungswechsel und zu der Entscheidung vom November 1982 in diesem Hause. ({7}) Durch diese unsere Politik war eine Kontinuität sowohl in Richtung Osten als auch in Richtung Westen gewährleistet. Und jetzt haben wir die Verhandlungen. Aber, meine Damen und Herren - und das ist mein letztes Wort -: ({8}) Wir konzentrieren uns viel zu sehr, so meine ich, auf diese Raketen. Es geht letztlich doch nicht um die Raketen, sondern es geht um Freiheit und Unfreiheit. Es geht doch darum - das müssen wir doch einmal begreifen -, daß die Machthaber in Moskau viel mehr Angst vor der Freiheit und der „Infektion" ihrer eigenen Völker mit eben dieser Freiheit als vor irgendwelchen Raketen, Pershings haben. ({9}) Deshalb müssen wir alles tun, damit diese Freiheit eine größere Strahlkraft bekommt. Denn das, was die Freiheit zu bieten hat, wird immer attraktiver sein - auch für die Menschen da drüben - als all das, was der Marxismus und der Leninismus jemals anzubieten vermögen. Danke schön. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bastian.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die mir zur Verfügung stehende Zeit in erster Linie dazu nutzen, mich mit einer Fehlinterpretation zu beschäftigen, der die Bundesregierung seit dem Wiederbeginn der Genfer Verhandlungen erliegt und die auch heute in den Redebeiträgen der Redner der Regierungsparteien wieder angeklungen ist, der Fehlinterpretation nämlich, daß der Beginn und der Fortgang der Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in unserem Lande die Wiederaufnahme der Genfer Gespräche unmittelbar zur Folge gehabt hätten. ({0}) An dieser Verfälschung nachprüfbarer Tatsachen wird mit Emsigkeit gestrickt. Trotzdem ist sie allzu durchsichtig, als daß sie überzeugen könnte. Sie müssen sich doch fragen lassen: Was waren denn tatsächlich die Folgen der Stationierung und des Fortgangs der Stationierung bis heute? Sie dürfen sich doch nicht in Hirngespinste verlieren wie das, Genf sei ein Erfolg der Bundesregierung, weil sie auf den Beginn der Pershing-II-Stationierung hartnäckig bestanden hätte; das ist doch aberwitzig. ({1}) Sie vergessen dabei völlig - Sie verdrängen es, Sie haben es sicher nicht vergessen, sondern Sie verschweigen es, besser gesagt -, ({2}) daß seit eineinhalb Jahren Verhandlungen geführt worden waren, als die erste Pershing-Il-Rakete nach Mutlangen kam, und daß diese Verhandlungen zur Reduzierung der Mittelstreckenwaffen in Europa, die in Genf seit eineinhalb Jahren liefen, von den Sowjets wegen des Eintreffens der ersten Pershing-Rakete - wie vorher angekündigt - abgebrochen wurden, als sie sich in der Phase eines kompromißfähigen Verhandlungsangebots bef anden. ({3}) Damals hat die Sowjetunion nämlich vorgeschlagen - das wissen Sie j a ganz genau -, ihr SS-20-Potential, von dem immer gesagt wurde, es würde zur Erpreßbarkeit der Europäer führen - leider hat der Bundesverteidigungsminister noch kein einziges Beispiel für einen tatsächlichen Erpressungsversuch mit SS-20-Raketen in der damaligen Zeit nennen können -, ({4}) auf das Niveau der bereits existierenden britischen und französischen Mittelstreckensysteme herunterzufahren. Das war ein verhandlungsfähiger Kompromiß, der beiden Seiten zum Vorteil gereicht hätte. Dann hätte eine Stationierung hier gar nicht mehr erwogen werden müssen. Statt dessen hat die NATO, unterstützt von der Bundesregierung, behauptet, die französischen und die britischen Mittelstreckenwaffen zählten nicht zum NATO-Abschreckungspotential und dürften in Genf keine Rolle spielen. ({5}) Das war doch eine wahnwitzige Fehleinschätzung dessen, was auf der NATO-Seite tatsächlich vorhanden ist ({6}) und sich auch in einem Prozeß fortgesetzter Vermehrung befindet. Sie brauchen nur die Umrüstungsprogramme der Franzosen und der Briten zu studieren, um zu sehen, was da in den nächsten zwei Jahren aufwächst. Das stellt alles, was die Sowjetunion an SS-20-Raketen aufgeboten hat, bei weitem in den Schatten. ({7}) Die zweite Folge war, daß auf der anderen Seite eine Gegenstationierung mit taktisch-operativen Raketen in der Tschechoslowakei und in der DDR begonnen hat, auf die auch vorher schon hingewiesen worden ist. Damit ist die Situation in Europa nicht besser geworden; weder mit der sogenannten Nachrüstung hier noch mit der Gegenstationierung dort ist sie besser geworden. Im Gegenteil: Die eurostrategische Instabilität hat zugenommen, weil sich jetzt beide Seiten mit Waffensystemen anzielen und bedrohen, die aufklärbar, angreifbar und verwundbar sind und deswegen als Vergeltungspotentiale überhaupt nicht in Frage kommen. ({8}) Beide Seiten stehen jetzt unter dem selbst gesetzten Zwang, nun über Waffenpotentiale zu verfügen, die als erste eingesetzt werden müssen, um überhaupt noch von irgendeinem Wert zu sein. Damit wächst natürlich die Instabilität und nicht die Stabilität, wie Sie es behaupten. Daß es anderthalb Jahre nach dem Beginn der Stationierung wieder zu Gesprächen in Genf gekommen ist, war ganz sicher nicht ein Ergebnis dieser Entwicklung, sondern ein Ergebnis des wachsenden Unmuts der Menschen in aller Welt über den Fortgang des Wettrüstens bei beiden Supermächten, der seine Resonanz in Washington und im Kreml gefunden hat. ({9}) Das war es, was zu Genf geführt hat. Die Erwartungen, die Sie in die Verhandlungen in Genf setzen, sind sowieso völlig aberwitzig. Was ist denn herausgekommen bei diesem Keep-smiling von Präsident Reagan und Herrn Gorbatschow? ({10}) - Gar nichts ist dabei herausgekommen. Es steht auch überhaupt nicht zu erwarten, daß in Zukunft von der Welt mehr Konstruktives in Genf gesehen werden wird. Der Hauptstolperstein, nämlich das SDI-Programm der Vereinigten Staaten, ist doch nicht aus dem Weg geräumt worden. Es steht auch nicht zu erwarten, daß er aus dem Weg geräumt werden wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß Ihrer Rede kommen.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Insofern ist doch der Zweckoptimismus, den Sie verbreiten, absolut unbegründet und nichts als eine grobe Irreführung der Bevölkerung. ({0}) Darauf muß auch jetzt zu Beginn der Stationierung der Marschflugkörper im Hunsrück wieder einmal hingewiesen werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß Ihrer Rede zu kommen.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Die Großdemonstration im Herbst, die von der Friedensbewegung dort veranstaltet wird, wird zeigen, daß sich die Bevölkerung mit diesem Schritt keineswegs abgefunden hat. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.

Gert Bastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000103, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Damit komme ich zum Schluß. Wir werden im Herbst sehen, wieviel Menschen bereit sind, sich nach wie vor gegen diese Maßnahme zu engagieren. Danke schön. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, in welcher Weise von den Rednern der Opposition die Tatsachen hier auf den Kopf gestellt werden. ({0}) Ausgangspunkt dieser Situation sind nach Ihren übereinstimmenden Darlegungen das phantastische Wettrüsten der USA und die Unterstützung der USA durch die Bundesregierung. Das hat angeblich zu dieser schwierigen Situation geführt. Die Sowjetunion hat sich dann - so sagen Sie - nach langen Verhandlungen schließlich gezwungen gesehen, gegenüber der massiven Aufrüstung des Westens ihrerseits etwas zu tun. ({1}) Die Situation ist doch genau umgekehrt gewesen. Die massive Aufrüstung der Sowjetunion durch SS20-Raketen hat dann schließlich dazu geführt, daß die NATO - und zwar auf einen Alarmruf des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt; davon reden Sie gar nicht mehr - schließlich den Doppelbeschluß gefaßt hat. Es waren ja gar nicht die Amerikaner, die uns dazu gezwungen haben, eine ähnliche Politik zu betreiben, sondern es war eine Initiative der damaligen Bundesregierung. Im übrigen meine ich: eine zutreffende und berechtigte. Die alte Legende - die im übrigen übereinstimmend von beiden Seiten der Opposition wieder aufgewärmt wurde -, die Verhandlungen in Genf seien keine Folge der Politik der NATO gewesen, wird durch ihre Wiederholung nicht glaubwürdiger. Das zeigt nur, auf welchem Weg die GRÜNEN und die SPD übereinstimmend sind: jedenfalls auf diesem Gebiet offensichtlich auf dem Weg zur Konstruktion einer künftigen eventuellen - es wird nicht dazu kommen - Koalition. Meine Damen und Herren, wie immer Sie diese Sache bewerten, eines steht fest: Die NATO hat ihren Beschluß nach langen Verhandlungen schließlich realisiert, und zwar zeitgerecht. Von Ihren Behauptungen einer vorzeitigen Stationierung im Hunsrück ist heute ja nichts mehr übriggeblieben. Das zeigte auch der Schlußredner, der sich schließlich in die SDI-Problematik geflüchtet hat, weil das andere nicht mehr aufrechtzuerhalten war. ({2}) Die Sache ist doch so: Nach Ihren Behauptungen sollte doch auf Grund der Politik der Bundesregierung nicht mehr verhandelt werden. Genau da' s Umgekehrte ist eingetreten. Das heißt, Sie können auch diese Behauptung in keiner Weise aufrechterhalten. Was in dieser Debatte völlig übersehen wurde, ist, daß auf westlicher Seite etwa gleichzeitig mit der Stationierung im Rahmen der Nachrüstung eine Vielzahl von Atomsprengköpfen abgebaut wurde, nämlich 1 400. Das heißt, für jeden neu stationierten Gefechtskopf sind fünf abgebaut worden. ({3}) Was Sie der NATO und eventuell auch der Bundesregierung vorwerfen könnten, ist nur, daß sie diese Zusammenhänge der Öffentlichkeit nicht hinreichend deutlich dargebracht hat. Allerdings, dieser Kritik würde ich mich anschließen. ({4}) Es läßt sich nicht übersehen - auch von Ihnen nicht -: Im Augenblick wird wieder über diese Dinge verhandelt. Das ist genau das, was wir wollen. Wir wollen verhandeln, und wir wollen auch reduzieren. Es gibt gegenwärtig einen beachtlichen Vorschlag von seiten der Amerikaner - nicht von seiten der Sowjetunion -, insgesamt zu einem tieferen Niveau zu kommen. Sie haben das vorher bereits gehört. Der Vorschlag lautet nämlich, man möge zu einer Zahl von 140 Systemen kommen, wie auch immer gemischt. Das würde bedeuten, daß der Stand erreicht wird, der der Nachrüstung Ende des vergangenen Jahres entspricht. Allerdings, die Sowjetunion müßte die Systeme dann erheblich reduzieren. Von seiten der NATO ist auch vorgeschlagen worden, daß man sich irgendwo dazwischen trifft. Es ist auch vorgeschlagen worden, daß die bereits stationierten Systeme gegen entsprechende Gegenleistungen der Sowjetunion nicht nur eingefroren, sondern reduziert werden. Die angestrebte Lösung, das Ziel ist, daß wir alle nicht mehr im Schatten der atomaren Bewaffnung leben müssen - die natürlich zu bedauern ist -, sondern daß wir zur NullLösung kommen, daß wir diese Waffen reduzieren. Nur, in diesem Punkt unterscheiden wir uns wieder in einer fundamentalen Weise in dem Weg zu diesem Ziel. Das, was mit einer erneut fast antiamerikanistischen Weise von Herrn Bülow gesagt worden ist, ({5}) ist sicher nicht der Weg dorthin. Einseitige massive Vorleistungen des Westens, wie sie hier zum Ausdruck kommen, sind mit Sicherheit nicht der richtige Weg zur Erreichung dieses Ziels.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. ({0})

Prof. Dr. Manfred Abelein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000001, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin ohnehin fertig. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Abelein, die Rüstungspolitik der Sowjetunion wird von keinem von uns in irgendeiner Form verharmlost. Aber wir sind nicht mit der Sowjetunion, sondern wir sind mit den Vereinigten Staaten in einem Bündnis. ({0}) - Natürlich Gott sei Dank. Deshalb sind die Amerikaner unser Partner. Deshalb sind sie allerdings auch unser erster Ansprechpartner und auch ein Ansprechpartner dem man mit Kritik begegnen kann und muß. ({1}) Vom heutigen Tage an - der Minister hat schon darauf hingewiesen - wird in Genf über die Mittelstreckenwaffen verhandelt. Nach amerikanischen Quellen liegt ein Zwischenergebnis im Bereich des Möglichen. Daß wieder verhandelt wird, das ist kein Ergebnis einer Politik der Stärke. ({2}) Die andere Seite der verbalen Stärke ist die innere Schwäche. Antriebselemente, verehrter Herr Kollege Berger, sind im Westen der Druck der Öffentlichkeit und die bei beiden Weltmächten wachsenden Budgetprobleme. Am 18. November 1983 habe ich schon gesagt, daß die beiden Supermächte wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, daß sie dann aber unter neuen und für uns erschwerten und verschlechterten Bedingungen verhandeln. Leider ist beides in dieser Form eingetroffen. Die Verhandlungen werden vorbelastet, ohne daß die Bundesregierung gegenhält. Das sowjetische Testmoratorium wurde trotz des erstmaligen Angebots einer Kontrolle durch Ortsinspektionen nicht einmal ausgelotet. Vielmehr haben die USA Nukleartests für SDI durchgeführt. Die Bundesregierung hat sich nicht geregt. Denn sie ist für SDI-Forschung. ({3}) Damit trägt sie aber auch die Mitverantwortung, daß die Chancen für Rüstungskontrolle weiter vermindert werden. Alle 108 Pershing II wurden in der Bundesrepublik aufgestellt. Jetzt sollen nach dem Stationierungsplan in diesem und im nächsten Jahr die Marschflugkörper aufgestellt werden. Die Gedankenlosigkeit der Bundesregierung ergibt sich schon daraus, daß sie sich hier zum Erfüllungsgehilfen macht ({4}) und in keiner Weise versucht, auf die politischen Rahmenbedingungen Einfluß zu nehmen, um von der Aufrüstung zur Abrüstung zu kommen, gerade so, als hätte das Gipfeltreffen von Genf überhaupt nicht stattgefunden. Die USA gehen leider mit der gleichen Position wie 1983, als die Verhandlungen platzten, nach Genf. ({5}) Die Bundesregierung tut nichts. Man muß glauben, es sei ihr so recht, wie es sich ereignet. Durch das Nichtstun straft sie ihren eigenen Wahlslogan Lügen. Statt „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" schafft sie Fakten mit immer mehr und mit immer neuen Waffen. Die Bundesregierung macht die Strategie der flexiblen Reaktion zum Dogma und betreibt unbeirrbar diese Nachrüstung. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Rumpf, daß Sie in diesem Punkt wirklich nicht wußten, worüber Sie sprachen. Die Strategische Verteidigungsinitiative des amerikanischen Präsidenten hat nämlich die Strategie der flexiblen Reaktion längst auf den Kopf und in Frage gestellt. Durch Herauslösen der zentralstrategischen Nuklearwaffen der USA aus den möglichen militärischen Reaktionsarten der NATO wird der Bündnisstrategie ihr stärkstes Mittel, wird ihr das Rückgrat genommen. ({6}) Das Vertrauen der Bundesregierung auf die Technologie und darauf, mit Technologie politische Probleme lösen zu können, ist ein falscher Ansatz. Es gibt auch keine Akzeptanz in unserer Bevölkerung für immer gefährlichere, immer exotischere Waffen, wie das Beispiel SDI bei unserer Bevölkerung auch zeigt. Die SPD fordert die Bundesregierung auf, keiner Stationierung von Marschflugkörpern in der Bundesrepublik vor Abschluß der jetzt begonnenen Verhandlungsrunde in Genf zuzustimmen und dies mit den europäischen Verbündeten auch durchzusetzen. Zumindest während der Verhandlungen sollten wir doch nicht zulassen, daß aufgerüstet wird, um dann abzurüsten. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, daß Abrüstungsgespräche lediglich zum Deckmantel für neue Aufrüstung werden. Wer dies dennoch versucht, hat unsere politische Gegnerschaft. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich erbitte Ihre besondere Aufmerksamkeit. ({0}) Der Deutsche Bundestag trauert um sein Mitglied Dr. Helga Wex, die am 9. Januar im Alter von 61 Jahren in Mülheim nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben ist. Helga Wex, geborene Schimke, wurde am 5. Juli 1924 in Buxtehude geboren. Nach dem Kriegsende studierte sie an den Universitäten Hamburg, Heidelberg und Tübingen. Im Jahre 1949 wurde sie zum Doktor der Philosophie promoviert. Sie setzte ihr Studium dann am Europa-Kolleg in Brügge und an der Akademie für Internationales Recht in Den Haag fort. Bei ihrer Tätigkeit als Ministerialreferentin der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Bonn kam sie in den Jahren 1953 bis 1957 in erste Berührung mit der Politik. Nach der Heirat mit Dr. Günter Wex folgte sie ihrem Mann nach Mülheim/Ruhr. Hier engagierte sie sich in der Kommunalpolitik und war von 1961 bis 1973 Mitglied des Rates der Stadt Mülheim. Am 28. April 1967 zog sie für den am 19. April 1967 verstorbenen Dr. Konrad Adenauer über die Landesliste von Nordrhein-Westfalen in den Bundestag ein, verlor ihr Mandat aber bei der Bundestagswahl von 1969. Bei den Wahlen von 1972 gelang ihr der endgültige Einzug in das Parlament. In ihrer parlamentarischen Arbeit widmete sie sich vor allem der Familien- und Kulturpolitik. Sie war Mitglied des Bundesvorstands der CDU, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Vorsitzende der Bundesfrauenvereinigung der CDU. Im Jahre 1984 mit dem Amt des Koordinators für die deutschfranzösische Zusammenarbeit betraut, sah sie sich als Anwältin der Freundschaft mit Frankreich. In erster Linie aber war sie eine unermüdliche Kämpferin für die Belange der Frauen und der Familien. Auf ihre Initiative hin wurde 1974 die EnqueteKommission „Frau in der Gesellschaft" vom Deutschen Bundestag eingesetzt. In Würdigung ihrer großen Verdienste wurde sie mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Ich spreche dem Ehemann und den beiden Kindern der Verstorbenen sowie der Fraktion der CDU/CSU meine aufrichtige Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Helga Wex ein ehrendes Gedenken bewahren. Wir haben einen weiteren Toten zu ehren. Der Deutsche Bundestag trauert auch um sein ehemaliges Mitglied Kurt Mattick, der am 6. Januar in seiner Heimatstadt Berlin nach langer Krankheit verstorben ist. Am 27. Juni 1908 in dem später eingemeindeten Rummelsburg geboren, blieb Mattick Zeit seines Lebens Berlin eng verbunden, wo er den Beruf eines Maschinenschlossers erlernte, 1924 der Sozialistischen Arbeiterjugend und 1926 der SPD beitrat. In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur ging er in der Widerstand und schloß sich der Widerstandsgruppe „Neu beginnen" an. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges widmete sich Mattick ganz seiner Partei und dem Wideraufbau Berlins, dessen politische und gesellschaftliche Ordnung er als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung bzw. des Abgeordnetenhauses, als Landesvorsitzender der SPD und in zahlreichen Ämtern wesentlich mitgestaltet hat. Mehr als zweieinhalb Jahrzehnte hindurch - von 1953 bis 1980 - gehörte er als Berliner Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an, wo er als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen bzw. des Innerdeutschen Ausschusses und dann als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen vor allem als Mahner für Rechte und Freiheiten Berlins und der Menschen im anderen Teil Deutschlands eintrat und an den ostpolitischen Entscheidungen mitwirkte. Auch an seine Mitgliedschaft im Europarat, der Westeuropäischen Union und der Nordatlantischen Versammlung sowie an seine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender des Rundfunkrates des Deutschlandfunks ist zu erinnern. Kurt Matticks politische Haltung war stets gekennzeichnet durch den kompromißlosen Kampf gegen jede Bedrohung der Demokratie durch totalitäre Herrschaftsansprüche. Diese Haltung bestimmte sein Eintreten im Widerstand, sein Wirken in und für Berlin wie auch seine Arbeit im Deutschen Bundestag. In Anerkennung seiner großen Verdienste wurde Kurt Mattick 1983 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen. Ich war damals sehr froh, derjenige sein zu dürfen, aus alter Kenntnis und Zusammenarbeit mit ihm in Berlin in den ersten Jahren, der ihn dafür ehrend würdigen konnte. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen, vor allem seiner Frau und seinen Kindern. Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag wird Kurt Mattick ein danbkbares und ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der beiden Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen dafür. Wie immer im Leben stehen Tod und Freude über andere Ereignisse eng nebeneinander. Wir haben Glückwünsche für ältere Kollegen auszusprechen, die im Dezember 1985 ihren Geburtstag hatten. Ich spreche die Glückwünsche aus für den Abgeordneten Willy Brandt, der am 18. Dezember 1985 72 Jahre alt wurde, und den Abgeordneten Helmut Schmidt, der am 23. Dezember 67 Jahre alt geworden ist. Dann gibt es nach einer interfraktionellen Vereinbarung einige Mitteilungen. Die verbundene Tagesordnung soll um folgende Anträge erweitert werden: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bestandsaufnahme, Bericht und Prüfung von verbesserten Leistungen an Opfer nationalsozialistischer Verfolgung von 1933 bis 1945 - Druck14172 Vizepräsident Westphal sache 10/4638 -; Beratung des Antrags der Abgeordneten Schily, Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Entschädigung für Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit - Drucksache 10/4640 -. Die Anträge sollen als Zusatzpunkte 2 und 3 mit Punkt 4 der Tagesordnung aufgrufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit und Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes - Drucksache 10/4591 Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Bundeswehr spielt in der Friedenssicherung und in der Verteidigung Europas eine wichtige, j a eine unersetzliche Rolle. Ohne eine starke Bundeswehr ist Europa nicht zu verteidigen, ist der Frieden in Freiheit nicht zu bewahren. ({0}) Unser Bündnisbeitrag entscheidet ganz wesentlich über unsere Stellung und unseren Einfluß im Bündnis. Dies wiederum bestimmt auch unseren Einfluß und unseren Handlungsspielraum nach Osten. Die Stärke der Bundeswehr im Frieden wie im Einsatzfall ist nicht zufällig gewählt: Sie entspricht ihrem Auftrag, und sie entspricht der Bedrohung. Der Auftrag der Bundeswehr ist unverändert, zusammen mit unseren Verbündeten einen Angriff auf unser Land als aussichtslos erscheinen zu lassen und einen Angreifer notfalls abzuwehren. Die Kampfkraft der Bundeswehr ist sogar noch wichtiger geworden, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, die konventionelle Verteidigungsfähigkeit zu stärken, um so vom frühzeitigen Einsatz nuklearer Waffen unabhängiger zu werden. Im Frieden - darum geht es bei diesem Gesetzentwurf - ist die hinreichende Stärke der Bundeswehr im wesentlichen aus drei Günden wichtig: einmal um Krisen beherrschen zu können, ohne frühzeitig mobilisieren zu müssen, zum zweiten um schnell zum Verteidigungsumfang aufwachsen zu können und drittens um ausreichend Wehrpflichtige und Zeitsoldaten ausbilden zu können. Was nun die Bedrohung anlangt, so hat der Warschauer Pakt das militärische Kräfteverhältnis vor allem in den 70er Jahren einseitig zu seinen Gunsten verändert. Er läßt in seinen Rüstungsanstrengungen nicht nach. Unmittelbar vor unseren Grenzen unterhalten die Staaten des Warschauer Pakts weit mehr Streitkräfte, als zu ihrer Verteidigung notwendig wären. ({1}) Vor allem die zahlenmäßige Überlegenheit bei konventionellen Streitkräften ist offensichtlich. Das heißt: Der Auftrag der Bundeswehr und die Bedrohung unseres Landes sind unverändert. Also kann und darf der Umfang der Bundeswehr nicht vermindert werden. Niemand könnte fehlende deutsche Soldaten ersetzen. Wer sollte es denn tun, etwa die Amerikaner, die Belgier, die Briten, die Franzosen? Nein, wir selbst müssen alles daransetzen, die Präsenz der Bundeswehr zu halten, im Frieden wie für den Einsatzfall. ({2}) Wer die Bundeswehr verringern will - ich sage das in aller Deutlichkeit -, der schwächt die Verteidigung Europas und spielt damit der Politik Moskaus in die Hände. Er gibt ein verhängnisvolles Signal für andere Bündnispartner. Wir können nicht von anderen Bündnispartnern erwarten, daß sie ihre Anstrengungen aufrechterhalten, wenn wir selbst nachlassen. ({3}) Er riskiert den Abzug der Amerikaner mit dramatischen Konsequenzen für unser aller Sicherheit. Er senkt die nukleare Schwelle, erhöht die Kriegsgefahr und erschwert Rüstungskontrollverhandlungen. Wer will das verantworten? Wir jedenfalls nicht. Gerade in einer Lage, in der ein erfolgversprechender Dialog der beiden Supermächte sichtbar wird, ist eine Schwächung des Westens nicht zu verantworten. Die Stärke des Westens und die Entschlossenheit des Bündnisses haben zur Wiederaufnahme des Dialogs beigetragen. Die Chancen für Rüstungskontrollvereinbarungen würden mit einer Reduzierung der Bundeswehr entscheidend vermindert. Über erbrachte Vorleistungen brauchte nicht mehr verhandelt zu werden. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Nein, ich bin leider in der Zeit begrenzt und kann daher zu meinem Bedauern Zwischenfragen nicht zulassen. ({0}) Die nächste Frage lautet: Gibt es keine Alternativen? Wir haben das - genau wie die Regierung vor uns - gründlich untersucht. Ich nenne hier die wichtigsten Ergebnisse: Bei einem Umfang der Streitkräfte von 430 000 aktiven Soldaten müßte die Präsenz der Brigaden des Feldheeres und die EinBundesminister Dr. Wörner satzbereitschaft von Luftwaffe und Marine deutlich herabgesetzt werden. ({1}) Die Kampfkraft der Streitkräfte wäre in der kritischen Anfangsphase eines Konflikts nicht mehr ausreichend. Überdies müßte selbst bei einer Stärke von 430 000 Mann die Wehrdienstzeit verlängert werden. ({2}) Bei einer Reduzierung auf 400 000 aktive Soldaten müßte ein Drittel der präsenten Brigaden des Feldheeres gekadert werden. Die Heimatschutzbrigaden müßten ebenso wie zahlreiche Kampfverbände der Luftwaffe und der Marine aufgelöst werden. ({3}) Damit wären die Streitkräfte des Warschauer Pakts in der Lage, aus dem Stand anzugreifen. Die militärisch nutzbare Warnzeit würde für Mobilmachung und Aufmarsch nicht mehr ausreichen. Auch Strukturänderungen oder alternative Strategien tragen nicht zur Problemlösung bei. Dies gilt ganz besonders auch für den Milizvorschlag von Herrn von Bülow. Die gründliche Prüfung hat ergeben, daß alle diese Vorschläge alternativer Militärstrategien die entscheidenden Forderungen, nämlich Kriegsverhinderung durch glaubhafte Abschreckung und im Konfliktfall Aussicht auf schnelle Konfliktbeendigung, nicht erfüllen. Man kann nicht - wie es beispielsweise der Kollege Gansel in der letzten größeren Debatte hier getan hat - eine Verstärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit fordern und im selben Atemzug einer Schwächung der Kampfkraft der Bundeswehr das Wort reden. Beides geht nicht. ({4}) Ich schlage daher der Opposition vor, ihre Haltung zu überdenken. ({5}) Die Frage, der wir uns zu stellen haben, lautet also: Ist es möglich, trotz verringerter Jahrgangsstärken die Präsenz der Bundeswehr zu halten? Die von uns durchgeführten Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis: Wir können den Friedensumfang unter den Voraussetzungen halten, daß wir erstens den Bestand an Berufs- und Zeitsoldaten erhalten, zweitens schon für den Friedensumfang vermehrt auf Reservisten zurückgreifen, drittens die Verfügungsbereitschaft verbessern, viertens mit einem Bündel von Maßnahmen die Wehrgerechtigkeit entscheidend verbessern und fünftens den Grundwehrdienst auf 18 Monate verlängern. Im übrigen - das sage ich an die Adresse der SPD -: Unsere Planungen decken sich mit den Erkenntnissen der Vorgängerregierung, ({6}) mit Ihren eigenen Erkenntnissen. Ich will nur einmal zitieren, was mein Amtsvorgänger Apel noch am 21. Juni 1982 wörtlich gesagt hat: Ich denke, es ist unabweisbar, daß zur Mitte dieses Jahrzehnts, also schon jetzt, die Wehrpflicht verlängert wird. - Mir ist die Problematik dieses Vorschlags der Langzeitkommission, den ich voll unterstütze und den ich auch für unabweisbar halte, durchaus bewußt. ({7}) Die Ergebnisse - ich sage es noch einmal - stützen sich heute wie damals auf sorgfältige Berechnungen. Nun höre ich aus Ihrem Lager da und dort, alles, was wir da planten, sei unrealistisch. Bitte, dann müssen Sie den Vorwurf auch an Ihre eigene Adresse richten. Dann hat mein Vorgänger genauso unrealistische Zahlen gehabt. ({8}) Ich sage Ihnen, was wirklich der Fall ist. Genauso wie bei der Debatte, die wir gerade vorher hatten, laufen Sie auch hier - so wie Sie sich, kaum daß Sie in der Opposition waren, auch vom Doppelbeschluß verabschiedet haben - in Wirklichkeit Ihrer Verantwortung davon, weil Sie die Unpopularität scheuen. ({9}) Sie flüchten sich in Scheinalternativen. Jeder von Ihnen nennt andere Zahlen. Was soll denn nun gelten? Das ist meine Frage an die SPD. Gelten die 430 000 Mann des Kollegen Horn, die deutlich unter 400 000 Mann des Kollegen Scheer - sie sind beide hier - oder gar die 300 000 von Herrn von Bülow? Nein, meine Damen und Herren, Sie haben keine Alternative. Sie spielen mit Zahlen Lotterie. Dazu ist die Sicherheit unserer Bürger zu kostbar - um das einmal deutlich auszudrücken. ({10}) Nun ist nach unserer Meinung die Verlängerung des Wehrdienstes den jungen Leuten erst dann zumutbar, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Daher haben - das sage ich für die Regierung und auch für die sie tragenden Parteien, die hier als Fraktionen zu Wort kommen werden - für uns alle die Maßnahmen zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit absoluten zeitlichen und sachlichen Vorrang. ({11}) Wehrgerechtigkeit steht für die Bundesregierung an erster Stelle. Wir ändern gegenwärtig die Tauglichkeits- und Anforderungskriterien bis zu den Grenzen, die durch die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und durch das Gebot gesetzt sind, die Gesundheit junger Menschen nicht zu gefährden. Wir werden ab 1988 wieder Verheiratete einziehen müssen. Wir werden Freistellungen und Befreiungen vom Wehrdienst auf ein Mindestmaß reduzieren. Freistellungen für den für die Gesamtverteidigung unverzichtbaren Zivil- und Katastrophenschutz werden beibehalten. Diese Dienste müssen jedoch wie die Streitkräfte selber ihren Ergänzungsbedarf dem verringerten Aufkommen anpassen. Das Absetzen vom Wehrdienst mittels Tricks werden wir erschweren. Dies tun wir, indem wir für bestimmte Fälle die Altersgrenze für die Einberufung zum Grundwehrdienst anheben. Als Beispiel nenne ich den Fall, daß ein Wehrpflichtiger den Geltungsbereich unseres Wehrpflichtgesetzes ohne die erforderliche Genehmigung des Kreiswehrersatzamtes verläßt. Als Stichwort nenne ich beispielsweise Berlin. ({12}) Wehrpflichtige, die formal ihren ständigen Aufenthalt im Ausland haben, sich aber tatsächlich für mehr als drei Monate im Inland aufhalten, werden künftig zum Wehrdienst herangezogen. ({13}) - Boris Becker hat laut erklärt - das deckt sich mit meiner Erklärung -, daß er sich selbstverständlich seiner Pflicht zum Wehrdienst stellen werde. ({14}) Wir werden mit diesen Maßnahmen die Wehrgerechtigkeit in einem bisher nie gegebenen Umfang verwirklichen. Diese Maßnahmen werden umgesetzt sein, ehe der erste Wehrpflichtige für 18 Monate die Kaserne betritt. Wir verstehen Wehrgerechtigkeit aber nicht nur im Sinne gleichmäßiger Belastung. Daher ist die Bundesregierung entschlossen, die materielle Lage der Grundwehrdienstleistenden zu verbessern. Mit der Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate werden die Grundwehrdienstleistenden - und die Zivildienstleistenden - einmal durch eine substantielle Erhöhung des Entlassungsgeldes und zum anderen durch die Erhöhung wie die strukturelle Verbesserung des Wehrsoldes auch finanziell besser gestellt. Die Einzelheiten des Konzepts wird die Bundesregierung im Laufe der Gesetzesberatungen vorlegen. Ein Gedanke allerdings, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, darf nicht verlorengehen. Ich denke, daß Sie dem alle zustimmen: Der Wehrpflichtige dient zunächst in seinem eigenen Interesse und nicht etwa, um anderen zu gefallen. Es ist seine Freiheit und die Sicherheit seiner Familie wie seines Volkes, die er mit seinem Dienst in der Bundeswehr verteidigt. ({15}) Wir müssen und werden darüber hinaus sicherstellen, daß dienende Wehrpflichtige nicht zusätzliche Nachteile, etwa bei Aufnahme eines Studiums oder einer Berufsausbildung, erleiden. Dabei ist die Bundeswehr bereit, ein Höchstmaß an Flexibilität zu zeigen, wie wir das im übrigen schon heute tun. Erste Gespräche mit Kultusministern und der Westdeutschen Rektorenkonferenz haben folgenden Weg als gangbar erwiesen. Die Bundesregierung ist bereit, die Einberufungstermine um einen Monat vorzuverlegen. Das Abitur sollte zum 31. Mai abgeschlossen sein. Die Bundesregierung wird durch eine flexible Regelung sicherstellen, daß die Wehrpflichtigen zum 1. November des darauf folgenden Jahres das Studium aufnehmen können. Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz hat mir vorgestern erklärt, daß sich die Universitäten bereit erklären könnten, einen Studienbeginn zum 1. November möglich zu machen. Damit wäre sichergestellt, daß keiner zusätzlichen Zeitverlust hat. Ich sage dazu: Das gilt nicht nur für Abiturienten, sondern das gilt für jeden, der in einer gleichen Lage ist und einen Beruf oder eine Berufsausbildung aufzunehmen hat. Bei Absolventen beruflicher Vollzeitschulen gehen wir davon aus, daß in den Schulzeiten keine Änderung erfolgt. Die Bundeswehr wird hier durch flexible Handhabung der Einberufung Härten vermeiden. Die Gespräche mit den Bundesländern, den Hochschulen und den für die Berufsausbildung zuständigen Stellen werden wir fortsetzen. Entscheidend - das sage ich hier dazu - für die Sicherung des erforderlichen Personalbestands in den 90er Jahren ist nicht nur die Dauer der Verlängerung, sondern auch der richtige Zeitpunkt. Bei einer Verlängerung Mitte 1989 kann unter kontinuierlichem, langsamem Abbau der Überhänge an älteren ungedienten Wehrpflichtigen der erforderliche Umfang an Grundwehrdienstleistenden bis Ende der 90er Jahre sichergestellt werden. Sonst, Herr Kollege Horn, hätten Sie recht, der Sie einmal die Behauptung aufgestellt haben, man müsse gar auf 24 Monate gehen. ({16}) Wenn es bei unseren Planungen bleibt und wenn unsere Pläne verwirklicht werden, so wie das hier vorgeschlagen wird, dann kann mit einer Verlängerung von 15 auf 18 Monate und all den anderen Maßnahmen ohne weitere Verlängerung der Bestand der Bundeswehr bis Ende der 90er Jahre gehalten werden. Noch ein kurzes Wort zu der Frage: Was macht ihr denn mit den zusätzlichen drei Monaten? Wir werden in den gewonnenen drei Monaten einerseits die allgemeine soldatische Grundausbildung verbessern und andererseits in der Lage sein, die Wehrpflichtigen besser als heute auf ihre spätere Mobilmachungsverwendung als Reservisten vorzubereiten. ({17}) Das heißt, es ist möglich, diese Zeit sinnvoll zu nutzen und damit einige Mißstände abzubauen. Die Verlängerung des Grundwehrdienstes, meine Damen und Herren Kollegen, wird bei unseren Verbündeten, aber auch im Warschauer Pakt mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Sie setzt ein Zeichen für die Glaubhaftigkeit unseres Verteidigungswillens, für die Stetigkeit und Zuverlässigkeit unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die NATO hat dieses unser Vorhaben ausdrücklich begrüßt und für ein wichtiges Signal erklärt. Dies ist damit gleichzeitig auch ein wichtiger Beitrag für erfolgversprechende Rüstungskontrolle und Abrüstungsverhandlungen. Wir wissen, meine Damen und Herren, die Verlängerung des Grundwehrdienstes ab 1989 ist sicher keine populäre Maßnahme. ({18}) Die Bundesregierung ist jedoch nicht der Versuchung und nicht den Ratschlägen derer erlegen, die ihr angeraten haben, diese notwendige Maßnahme doch in die nächste Legislaturperiode zu verschieben. Wir halten es für geboten, der jungen Generation frühzeitig die notwendige Klarheit über ihre Zukunft zu geben und ebenfalls frühzeitig und rechtzeitig die erforderliche Umstellung mit aller Sorgfalt und Gründlichkeit vorzubereiten. Meine Damen und Herren, die Verlängerung des Wehrdienstes bedeutet sicher ein zusätzliches Opfer für die jungen Männer, die das ab 1989 treffen wird. Wir wissen das und haben nicht leichtfertig darüber entschieden. Diese Verlängerung ist aber um der Sicherheit aller willen unumgänglich notwendig. Wir meinen, sie ist auch zumutbar, weil die Verlängerung des Grundwehrdienstes jedem dient, der in einem freien Land in Frieden leben und seine Zukunft selbst gestalten will. Ich danke. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verteidigungsminister hat hier heute morgen nichts Neues vorgetragen. ({0}) Die Arien „Wer gegen die Verlängerung des Grundwehrdienstes ist, spielt Moskau in die Hände" erinnern an die Diskussionen der 50er Jahre, Herr Wörner. Und Sie haben in der Zeit nichts dazugelernt. ({1}) Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion werden den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung des Grundwehrdienstes von 15 auf 18 Monate ablehnen, und zwar aus mehreren gewichtigen Gründen, Herr Wörner, ablehnen, nicht nur aus den vordergründig vorgebrachten Argumenten, die Sie uns fadenscheinig unterstellen. Ich will mich auf zwei Probleme konzentrieren: auf die sicherheitspolitische Notwendigkeit der Wehrdienstverlängerung und auf die Frage, ob Sie, Herr Wörner, Ihr hochgestecktes Ziel, den Friedensumfang der Bundeswehr in den 90er Jahren bei 490 000 Mann halten zu können, erreichen werden. Ich glaube, dazu sind einige Fragen notwendig: Warum kam der Gesetzentwurf ausgerechnet jetzt? Herr Wörner hat gerade gesagt, daß es notwendig sei, die Betroffenen frühzeitig zu informieren. Oder sind es nicht doch andere Gründe, dies jetzt zu tun, Herr Wörner? Sie wissen doch selbst: Wenn alle Maßnahmen, die Sie vorschlagen, völlig greifen sollen - was alle seriösen Planer bezweifeln, was selbst aus Ihrem Ministerium bezweifelt wird -, dann wird es notwendig sein - trotz Ihrer wiederholten Gegenbehauptung -, Mitte der 90er Jahre den Wehrdienst auf 24 Monate zu erhöhen, weil bei diesen Maßnahmen ab 1995 noch einmal 42 000 Wehrpflichtige fehlen. Darum werden Sie trotz aller pathetischen Beteuerungen vor dem Bundestag nicht herumkommen. Auf der anderen Seite reicht das nötige Aufkommen der Wehrpflichtigen bis Ende 1991, so daß eine Wehrdienstverlängerung zum 1. Juli 1989 überhaupt nicht erforderlich ist. Daraus kann doch nur geschlossen werden, daß dieser Gesetzentwurf ein Versuchsballon für eine weitere Wehrdienstverlängerung spätestens Mitte der 90er Jahre sein wird. Sicher haben Sie darauf spekuliert, daß sich die Wogen über dieses Thema bis zur Wahl wieder etwas glätten. Wahrscheinlicher ist aber noch, daß Sie gerade jetzt meinen, ein Signal im Bündnis - das haben sie ja auch deutlich gesagt -, aber nicht nur im Bündnis, sondern auch gegenüber den Kommandeuren setzen zu müssen, denen Sie auf der Kommandeurstagung in Travemünde, damals in größter Not um Ihr Amt - ich erinnere an den KießlingAusschuß -, versprochen haben, alles zu tun, um den Grundwehrdienst zu verlängern. Bei all dem steht eines fest: Mit diesem Gesetzentwurf sollen wieder einmal vollendete Tatsachen geschaffen werden, ohne daß die Notwendigkeit und vor allem die Folgen - Sie haben ja angedeutet, daß Sie dabei sind, über die Verminderung der Folgen zu verhandeln - ausreichend überlegt und heute schon problemgerecht gelöst worden wären. Dieses Gesetz ist sicherheitspolitisch nicht notwendig. Die magische Zahl von 495 000 Mann, die Sie, Herr Wörner, zum Dogma erhoben haben - die Sie aber gar nicht erreichen werden; erreichen werden Sie nach eigener Darstellung nur 456 000 Mann -, ist nicht, wie Sie hier fälschlicherweise behauptet haben, irgendwo festgeschrieben. Die Bündnisverpflichtungen legen den Friedensumfang nicht fest, und diese Zahl ist vorher auch nie erreicht worden; ({2}) sie hat immer Schwankungen unterlegen. ({3}) Es ist nicht ersichtlich und auch nicht einsichtig, warum genau diese Stärke - losgelöst von Änderungen der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen - notwendig sein soll, um den Verteidi14176 gungsauftrag der Bundeswehr und ihren Beitrag zum Bündnis zu gewährleisten. Wir leben nicht in einem Spannungszustand, und wir bemühen uns um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Herr Wörner, Ihre Bedrohungsanalysen und Ihre Bedrohungsszenarien erinnern an die 50er Jahre und an die Zeit des Kalten Krieges. ({4}) Sollen denn politische Veränderungen und Bemühungen um Fortschritte bei Abrüstung und Rüstungskontrolle vollkommen an der Bundeswehr und an der Bundesrepublik Deutschland vorbeigehen? Das Gipfeltreffen in Genf hat - bei aller Vorsicht vor optimistischer Überbewertung - gezeigt, daß die Großmächte aufeinander zugehen wollen. Jetzt kommen Sie, Herr Wörner, und verlangen die Verlängerung des Wehrdienstes. Überlegen Sie doch einmal, wie das im Blick auf die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung wirken muß! Einerseits wollen Sie „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", und andererseits wollen Sie die Präsenzstärke der Waffenträger um jeden Preis halten. Die Bundesrepublik hat bei den seit 1973 andauernden Verhandlungen über beiderseitige Truppenreduzierungen bisher j a keine sehr positive Rolle gespielt. In Wien liegen Lösungsvorschläge auf dem Tisch. Die USA und die Sowjetunion scheinen bereit, sich hier ein Stück zu bewegen. Ihr Gesetzentwurf signalisiert genau das Gegenteil: Der Umfang der Bundeswehr soll starr fortgeschrieben werden. Erwarten Sie wirklich Zugeständnisse des Warschauer Paktes, wenn Sie nur hart genug bleiben? Diese Logik ist doch noch nie aufgegangen; ({5}) der Kollege Scheer ist darauf heute morgen schon eingegangen. Die von Ihnen dogmatisierte Präsenz ist überhaupt nicht erforderlich: Wir haben Milliarden und Abermilliarden für Aufklärungssysteme ausgegeben. Diese geben uns die Möglichkeit, Kriegsvorbereitungen sehr früh zu erkennen. Die Vorwarnzeit hat sich entgegen Ihrer Behauptung erheblich verlängert. Die anderen NATO-Staaten haben auf diese Veränderungen längst reagiert. Amerikaner und Briten haben schon lange die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. Belgien, die Niederlande und Dänemark haben die Wehrpflicht auf acht bzw. sechs Monate reduziert. Welches negative Signal erwarten Sie denn, wenn wir bei 15 Monaten bleiben? Daß unsere Verbündeten den Wehrdienst ganz abschaffen? Was glauben Sie wohl, warum sie so vorgegangen sind? Unsere Bündnispartner haben eingesehen, daß sie in Friedenszeiten nicht täglich bis an die Zähne bewaffnet an der innerdeutschen Grenze stehen müssen, um einen Krieg zu verhindern. Nicht allein die Zahl der präsenten Soldaten ist es also, Herr Wörner, die Verteidigungsfähigkeit gewährleistet; weit mehr noch sind es die Motivation, ({6}) die Ausbildung und Ausrüstung der Soldaten und die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte in einem Verteidigungsfall. Die Glaubwürdigkeit der Verteidigung wird in der Bevölkerung eher sinken, wenn um dieser magischen Zahl 495 000 willen Motivation, Ausbildung und inneres Gefüge der Bundeswehr künftig leiden werden - ebenso wie die Akzeptanz des Verteidigungsauftrages in der Bevölkerung. ({7}) Hinzu kommt noch, daß heute schon große Teile der Bundeswehr gar nicht in der Lage sind, die Wehrpflichtigen 15 Monate lang ausreichend und vor allem sinnvoll zu beschäftigen. Die Klagen über Gammelei, Alkohol und Nichtstun kann man doch nicht aus der Welt schaffen, indem man sie ignoriert oder als Randprobleme abtut. ({8}) Die jungen Wehrpflichtigen werden auch nur dann überzeugt sein, einen sinnvollen und notwendigen Dienst abzuleisten, wenn sie von der friedenspolitischen Glaubwürdigkeit der politischen Führung überzeugt sind. Wenn man die von Ihnen geplanten Maßnahmen einmal daraufhin überprüft, ob sie realisierbar sind und ob der Friedensumfang der Bundeswehr tatsächlich bei 495 000 gehalten werden kann, so kommt man zunächst zu der Feststellung, daß die Herabsetzung der Tauglichkeitskriterien einen Zugewinn von jährlich 12 000 Wehrdienstleistenden bringen soll. Hier muß aber die Frage gestellt werden: Was heißt das eigentlich in bezug auf Kampfkraft und Motivation der Betroffenen, und zwar nicht nur derjenigen, bei denen Sie die Tauglichkeitskriterien herabsetzen, sondern auch der Soldaten, die mit diesen zusammen Dienst leisten müssen? ({9}) Der „5-kg-Soldat", Herr Minister, ist doch heute schon dem Gespött in der Bundeswehr ausgesetzt. ({10}) Die anderen Soldaten müssen ihre Leistungen verstärken und müssen das, was diese eingeschränkt Tauglichen oder nur für bestimmte Verwendung Tauglichen nicht erbringen, mitleisten. ({11}) Zusätzlich 6 000 Wehrdienstleistende versprechen Sie sich durch die Heranziehung verheirateter Soldaten ab 1988. Abgesehen von den Kosten dieser Maßnahmen - diese Soldaten haben Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz -: Die Probleme in der Bundeswehr, was die Fürsorge der Vorgesetzten betrifft, werden sich dadurch sicher nicht verringern, sondern sehr viel größer werden, und der bürokratische Aufwand wird sich erheblich erhöhen. Zur Senkung der Freistellungsquote zu Lasten der Polizei, des BGS und des Zivil- und Katastrophenschutzes wird der Kollege Heistermann nachher etwas sagen. Ich empfehle Ihnen, die Rede des Ministers Schnoor aus Nordrhein-Westfalen im Bundesrat zu lesen. Die Hürden, die der Bundesrat für diesen Bereich aufgebaut hat, müssen Sie erst mal überspringen. Ich weiß nicht, ob Sie sich in diesem Bereich so schnell mit Herrn Strauß einigen werden. Da haben Sie ja immer ein paar Schwierigkeiten, wie wir beim Frühpensionierungsgesetz gesehen haben. Das Kernstück schließlich - die Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate - ist für Sie die wirksamste und kostenneutralste, aber auch die bequemste Rekrutierungsmaßnahme. Sie übergehen aber dabei nicht nur Fragen wie die nach der Motivation der jungen Menschen, dem Inhalt ihres Dienstes und dem Stellenwert des Wehrdienstes in dieser wichtigen Berufs- und Existenzfindungsphase. Sie verschweigen vor allem geflissentlich, daß - um Ihr eigenes Ziel zu erreichen - eine weitere Verlängerung auf 24 Monate Mitte der 90er Jahre unausweichlich sein wird. ({12}) - Nein. Das will ich nicht. Ich will nur auf die Gefahren hinweisen, Was die Erhöhung der Wehrübungsplätze und die Verfügungsbereitschaft betrifft, so bezeichne ich das als einen Griff in die Trickkiste. Denn die tatsächliche Präsenz wird dadurch nicht erhöht, sondern nach Ihrem Konzept auf 456 000 festgesetzt. Ihre Planung, Herr Wörner, steht also wie schon häufig und richtig behauptet wurde, auf tönernen Füßen. Sie können die Arbeitsmarktentwicklung nicht einkalkulieren. Sie lassen die Personalkostensteigerung völlig außer acht. In diesem Punkt ist Ihre Planung heute schon nicht anders als unrealistisch zu bezeichnen. Mir scheint, Sie haben auch die Auswirkungen auf das Klima innerhalb der Bundeswehr überhaupt nicht bedacht. Sie schaffen heute mit Ihren Maßnahmen - nämlich auf der einen Seite Aufwendungen in Milliardenhöhe für zusätzliche Längerdiener, auf der anderen Seite vermeintlich „billige" Wehrdienstleistende mit verlängertem Wehrdienst - ein Zwei-Klassen-Klima in der Bundeswehr. Das Problem, vor dem Sie stehen, ist doch Ihr ganz persönliches. Sie haben nach den Skandalen Schwierigkeiten, von Ihrem Haus getragen zu werden. Sie werden von Ihrem Haus vielmehr nur noch ertragen. Um sich lieb Kind zu machen, bringen Sie Gesetzesvorlagen ein, die völlig unausgereift sind. Der Generalinspekteur und Ihr Planungschef haben Sie in gleichlautenden Schreiben vom 30. September 1983 vor einer zu optimistischen Entscheidung bei der Präsenzstärke gewarnt. Sie haben diese Warnungen in den Wind geschlagen. Gegen den Rat von Fachleuten haben Sie die Tatsachen zugunsten Ihrer politischen Wunschvorstellungen ignoriert. Sie sollten den Rat der Fachleute befolgen und auf der Grundlage der Basisdaten, nämlich des zur Verfügung stehenden Geldes und Personals - ich betone: des zur Verfügung stehenden, nicht des gewollten oder gewünschten -, eine Struktur für die Streitkräfte in den 90er Jahren erarbeiten. Diese Struktur muß durch stärkere Kaderung den vorhandenen und den nicht vorhandenen Ressourcen Rechnung tragen. Die Anzahl der Grundwehrdienstleistenden, die heute noch vorhanden ist, ist in den 90er Jahren nicht zu erwarten. Auch die Ausschöpfung des Reservistenpotentials ist bei Ihnen noch nicht in allen Punkten ausgewogen. Für uns Sozialdemokraten ist die Länge des Grundwehrdienstes überhaupt kein Dogma. Wir haben ihn schon einmal verändert, nämlich auf 15 Monate reduziert - aus Gründen der Wehrgerechtigkeit. Es ist auch nicht so, wie Sie uns dauernd unterstellen, daß wir aus Prinzip nein sagen. Vielmehr müssen wir unsere Zustimmung aus Verantwortung gegenüber Hunderttausenden von jungen Menschen verweigern, weil Sie die Notwendigkeit überhaupt nicht belegen können. Wir wollen und sollten die Wehrdienstverlängerung nicht übers Knie brechen, sondern sollten nach anderen Möglichkeiten suchen, die im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrollpolitik liegen. Die Schwierigkeiten, die wir haben, haben die Warschauer-PaktStaaten bei der Rekrutierung ihrer Wehrpflichtigen genauso. Hier wäre ein Ansatz, endlich zur Reduzierung zu kommen. Die Wehrpflicht wird in diesem Jahr - am 8. Februar 1986 - 30 Jahre alt. Wir sind uns einig darüber, daß die Wehrpflicht beibehalten werden soll. Sie ist das „legitime Kind der Demokratie", und sie muß von der Überzeugung getragen sein, daß ein sinnvoller und notwendiger Dienst für die Erhaltung des Friedens geleistet wird. Meine Damen und Herren, wir sind bereit, an Lösungen der Probleme, die auf die Bundeswehr zukommen, und an der dafür notwendigen Strukturänderung mitzuarbeiten. Die Zeit dafür läuft bereits. Es scheint, daß der Bundesminister der Verteidigung die Zeit für Verbesserungen in diesem Bereich verschläft. Das, was Sie, Herr Wörner, bisher an Planungen vorgelegt haben - personell, materiell und finanziell -, ist unseriös, nicht zu bezahlen und dem Steuerzahler nicht zuzumuten. Sie handeln nach dem Motto „Nach mir die Sintflut" und überlassen die Problemlösung Ihren Nachfolgern. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Schönen Dank. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hauser ({0}).

Otto Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000835, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jungmann, nicht einmal Scheinalternativen haben Sie hier vorgelegt, Sie haben, wenn ich Ihnen das einmal sagen darf, gar nichts vorgelegt. ({0}) Hauser ({1}) Bei Ihnen ist eines festzustellen: Der eine redet so, der andere so, und am Ende steht die typische babylonische Verwirrung, wie sie bei Ihnen jeden Tag festzustellen ist. ({2}) Den Grundwehrdienst verlängern, lieber Herr Kollege Jungmann, meine Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß, wollte doch auch Ihr letzter Verteidigungsminister Apel. Ich möchte Ihnen nur einmal einige Zitate vom 21. Juni 1982 in Erinnerung rufen, als Apel seine Stellungnahme in der Langzeitkommission abgegeben hat. Da sagte er: Der Grundwehrdienst wird verlängert werden müssen. Das Gesetzgebungsverfahren wird Mitte der 80er Jahre einzuleiten sein. Es ist dafür zu sorgen, daß durch geeignete Information der Öffentlichkeit, besonders der betroffenen Altersgruppen, die Einsicht in diese gravierenden, aber unumgänglichen Maßnahmen gefördert wird. So Apel am 21. Juni 1982. Weiter hat er eine ganze Reihe von Dingen gesagt, u. a. auch: „Eckwert unserer Verteidigungsplanung bleibt ein Verteidigungsumfang der Bundeswehr von rd. 1,2 Millionen gut ausgebildeter und ausgerüsteter Soldaten." Ferner sagte er: „Das Bündnis kann seine Strategie nicht mit der Geschwindigkeit von Moden wechseln." Das, Herr Kollege Jungmann, sollten Sie sich endlich einmal hinter die Ohren schreiben und nicht immer davon reden, was Sie hier nicht machen würden. Sie machen nämlich ohnehin gar nichts. Wenn Sie versuchen, hier eine Legende aufzubauen, als hätten wir die Absicht, irgendwann auf 24 Monate zu gehen, ({3}) dann kann man nur feststellen, daß das, was Sie hier betreiben, schlicht und einfach Angstmacherei ist. Dadurch dokumentieren Sie Ihre Konzeptionslosigkeit. Von uns wird eine Verlängerung auf 24 Monate nicht verlangt. Ich frage Sie: Wollen Sie das, Herr Kollege Jungmann, wollen Sie auf 24 Monate gehen? Vielleicht wären Sie so lieb, mir dazu etwas zu sagen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

Otto Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000835, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich lasse momentan keine Zwischenfragen zu. - Vielleicht will der nächste Redner der SPD darauf eine Antwort geben. Sagen Sie: Wollen Sie 24 Monate, ja oder nein? Erklären Sie das hier. ({0}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn der Herr Kollege Jungmann hier von einer Auseinandersetzung zwischen der militärischen Führung und dem Bundesverteidigungsminister Wörner spricht, dann nur, weil Sie etwas konstruieren wollen, weil Ihnen sonst leider nichts einfällt. ({1}) Es gibt überhaupt keine Differenzen - da nützt auch Ihr Getöse nichts - zwischen der militärischen Führung und dem Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner. Und den Brief, von dem Sie gesprochen haben, haben Sie vielleicht heute nacht in einem Alptraum erfunden. Der existiert nur in Ihrem Gehirn, sonst aber nirgendwo. ({2}) Meine Damen und Herren, der heute vorliegende Gesetzentwurf hat zum Inhalt, auch die Wehrgerechtigkeit zu verbessern. Das wird schon in seinem Titel ausgesagt. ({3}) - Herr Kollege Jungmann, wenn das alles ist, daß Sie mich als „Quatschkopf" bezeichnen, dann tut es mir leid.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Ich muß dieses rügen, Herr Abgeordneter Jungmann. Dies ist ein Ausdruck, den wir hier nicht hören wollen. ({0})

Otto Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000835, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was Sie im Hirn haben, haben Sie mit dem bewiesen, was Sie von sich gegeben haben. Es soll in diesem Staat mehr Wehrgerechtigkeit verwirklicht werden, um Klarheit über die Stärke unserer Streitkräfte in den 90er Jahren angesichts des zu erwartenden drastischen Rückgangs der Jahrgangsstärken zu schaffen. ({0}) - Bestimmt nicht Sie, sonst wäre sie weitaus schlechter geworden. Das Problem der Wehrgerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist so alt wie die Bundeswehr. Viele haben schon Lösungen versucht. Als wir im März 1983 eine Bestandsaufnahme machten, mußten wir feststellen, daß von einer zufriedenstellenden Verwirklichung von Wehrgerechtigkeit nicht die Rede sein konnte. In unserem Volk ging das Wort um, einige dienten, während die weitaus größere Zahl der jungen Männer verdiente. Während diejenigen, die den Dienst in der Bundeswehr ableisteten, materielle Nachteile und persönliche Härten auf sich nahmen, konnten ihre Jahrgangskameraden ihrem Beruf nachgehen, Geld verdienen und ihr berufliches Fortkommen sichern. Hauser ({1}) So war es zwingend, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ankündigte, noch in dieser Legislaturperiode mehr Wehrgerechtigkeit verwirklichen zu können. ({2}) In der Zwischenzeit haben wir durch gezielte Maßnahmen die soziale Lage der Soldaten verbessert ({3}) und einige strukturelle Ursachen von Wehrungerechtigkeit beseitigt. Wir haben die arbeitsmarktorientierte Beratung von ausscheidenden Grundwehrdienstleistenden und die beruflichen Förderungs- und Fortbildungsmaßnahmen verstärkt. Die Möglichkeiten der heimatnahen Einberufung wurden soweit wie möglich genutzt. Der Übergang vom Grundwehrdienst zum Hochschulstudium bzw. zur Berufsausbildung wurde erleichtert. Nicht vergessen wollen wir die Erhöhung des Wehrsoldes, des Weihnachtsgeldes und des Entlassungsgeldes für die Soldaten 1984. ({4}) Alle diese Maßnahmen waren gute Ansatzpunkte, mußten aber durch strukturelle Maßnahmen ergänzt werden. Die Musterungsrichtlinien waren so gestaltet, daß schon geringe körperliche Mängel zur Wehrdienstunfähigkeit führten. Viel Ärger hat z. B. bei Wehrpflichtigen und anderen Bürgern unseres Landes die Tatsache erregt, daß bekannte und leistungsstarke Spitzensportler wegen angeblich körperlicher Mängel keinen Wehrdienst leisten müssen. Wir wollen hier keine Namen nennen, aber das war nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben in der Zwischenzeit dafür gesorgt, daß auch Spitzensportler ihren Dienst in der Bundeswehr ableisten müssen. ({5}) Wir haben dafür gesorgt, daß die Zahl der Wehrdienstfähigen pro Jahrgang von früher ca. 60 % auf heute fast 80 % gesteigert wurde. Das hat nichts mit der Aktion „Heldenklau" zu tun. Wir müssen doch ehrlicherweise davon ausgehen, daß ein junger Bürger unseres Landes, der seinem Beruf nachgehen und Sport treiben kann, auch tauglich sein muß für den Dienst in unserer Armee. Nicht jeder muß dort die gleiche körperliche Leistung vollbringen. Auch für weniger belastbare junge Männer gibt es dort Dienstposten. Wir wollen auch, um es einmal salopp auszudrükken, das „Schlupfloch" Berlin stopfen. Bisher haben Tausende junge Männer sich vor der Einberufung gedrückt, indem sie ihren Wohnsitz nach Berlin verlegten. ({6}) Mit der Vorverlegung der Wehrerfassung um ein Jahr wollen wir die Möglichkeit der nicht genehmigten Wohnsitzverlegung nach Berlin einschränken. ({7}) Ich darf nun noch ein Wort zu den Wehrdienstausnahmen sagen. Wir sind davon überzeugt, daß es notwendig ist, die Berechtigung aller bestehenden Wehrdienstausnahmen in der heutigen Zeit zu überprüfen. Einige davon wurden in einer Zeit geschaffen, als die Jahrgänge so stark waren, daß die Bundeswehr auf eine volle Ausschöpfung der Jahrgangsstärken verzichten konnte. Heute ist die Situation anders. Ich glaube, daß die Diskussion um die Abschaffung der Wehrdienstausnahmen bewirkt hat, daß grundsätzlich über die Berechtigung solcher Regelungen diskutiert wird. Eines möchte ich hier deutlich betonen: Wir wissen, daß der Zivil- und Katastrophenschutz als Bestandteil der Gesamtverteidigung nicht geschwächt, sondern gestärkt werden muß. Militärische Verteidigungsfähigkeit und Schutz der Zivilbevölkerung gehören zusammen. ({8}) Gerade deshalb muß es möglich sein, über einzelne Regelungen und Gewohnheiten nachzudenken und nach neuen und besseren Lösungen zu suchen. ({9}) Wir haben dafür gesorgt, daß für die Wehrpflichtigen einiges verändert wird, auch in materieller Hinsicht. Der Verteidigungsminister hat schon einiges ausgeführt. Wir werden das in den anstehenden Gesetzesarbeiten noch lösen. ({10}) Es ist leider so - ich habe das eingangs schon gesagt -, daß die SPD viel Mühe darauf verwendet, in unserem Lande Unsicherheit zu verbreiten: Herabsetzung der Präsenzstärke unserer Armee, Herabsetzung der Wehrdienstzeit oder gar - vielleicht sagt mir das nachher einer - tatsächlich Heraufsetzung auf 24 Monate. Ich möchte sagen: am Ende ein nicht durchführbares Verteidigungskonzept. Wir dagegen haben uns für eine weit vorausschauende und verläßliche Politik entschieden. Wir sind gewillt, die Präsenz unserer Streitkräfte als glaubwürdigen Beitrag zur konventionellen Abschrekkung auf dem jetzigen Stand zu halten. Ein entscheidender Beitrag dazu ist die Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate. Wir wissen, daß das eine weitere Belastung der Wehrpflichtigen bedeutet, und sind gewillt, auch aus diesem Grunde die Verbesserung der sozialen Lage der Wehrpflichtigen fortzuführen. Wir wissen auch, daß das ein Opfer für unsere Gesellschaft bedeutet gerade angesichts des Arbeitsmarktes in den 90er Jahren. Auch die Probleme, die sich mit Blick auf den Beginn des Studiums und der Berufsausbildung ergeben werden, werden gelöst. Der Verteidigungsminister hat Lösungen aufgezeigt. Wir wünschen ihm Kraft, damit er das auch so durchführen kann. Wir appellieren in diesem Zusammenhang an die SPD-geführten Bundesländer, mitzumachen und sich nicht dagegenzustemmen. ({11}) Dieses Gesetz ist ein wichtiger Meilenstein zur Erlangung von mehr Wehrgerechtigkeit, zur Ver14180 Hauser ({12}) besserung der Situation vor allem der wehrpflichtigen Soldaten und zur Stabilisierung der Personalsituation der Streitkräfte in den 90er Jahren. Wir zeigen damit, daß wir die Herausforderungen der Zukunft durch annehmbare Lösungen bewältigen können und dabei die Belange der Wehrpflichtigen soweit als möglich berücksichtigen. Zusammen mit den flankierenden Maßnahmen, die ich dargestellt habe, ist das ein maßgeblicher Beitrag zur Einlösung des Versprechens, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung 1983 gegeben hat: mehr Gerechtigkeit nach innen und mehr Sicherheit nach außen. Das sind Erfolge, mit denen wir im nächsten Jahr getrost vor die Wähler der Bundesrepublik Deutschland treten können. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, daß wir uns in dieser Debatte über Grundwehrdienst und allgemeine Wehrpflicht erstens bemühen sollten, etwas Neues zu sagen, und zweitens von dem ausgehen sollten, was die Betroffenen eigentlich denken. Da stelle ich auf Grund der Untersuchungen des Verteidigungsministeriums fest - Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr -: Mehr als 70 % der Rekruten der Bundeswehr halten den Grundwehrdienst für den einzelnen Soldaten für verlorene Zeit. Weitere Untersuchungen kommen zu demselben Ergebnis. Weil wir GRÜNEN im Bundestag um diese Haltung der Betroffenen wissen, weil dieser Gesetzentwurf im Titel eine Gerechtigkeit zu schaffen suggeriert, die er nicht einlöst, und weil wir den Grundwehrdienst in der jetzigen Form und auch hinsichtlich seiner Dauer für politisch nicht sinnvoll erachten können, lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Wir haben unser Kontrastprogramm in dem unter dem nächsten Tagesordnungspunkt zu debattierenden Antrag mit der Überschrift „Realisierung des Grundrechts der Gewissensfreiheit gegenüber den Anforderungen der allgemeinen Wehrpflicht" niedergelegt. Dort setzen wir uns gegen die Glorifizierung der allgemeinen Wehrpflicht, gegen die Verlängerung des Grundwehrdienstes und statt dessen für eine drastische Reduzierung der Grundwehrdienstzeit ein. Eine solche Herabsetzung der gegenwärtigen Grundwehrdienstzeit ist abrüstungspolitisch und jugendpolitisch das Gebot der Stunde. ({0}) Sie in der Koalition hingegen wollen eine allgemeine und gleiche Erfassung und Heranziehung aller männlichen Bürger für militärische und paramilitärische Dienste. Dabei streuen Sie diesen jungen Bürgern Sand in die Augen; denn das alles geschieht nicht, um Gerechtigkeit herzustellen. Zur Zeit ist eine an Willkür grenzende Ungerechtigkeit an der Tagesordnung. Von den jährlich gemusterten rund 500 000 männlichen Jugendlichen wurden bisher maximal 225 000 pro Jahr für die Bundeswehr benötigt. Mehrere Zehntausend brauchten und brauchen zur Zeit überhaupt keinen Dienst im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht zu leisten. Das waren keineswegs nur Untaugliche, Spitzensportler mit Knicksenkfuß oder Prominentensöhne. Wir gönnen es jedem von ihnen. Doch mit Gerechtigkeit hat das überhaupt nichts zu tun. Denn interessanterweise schert Sie die proklamierte Gerechtigkeit einen feuchten Kehricht, wenn es um die Disziplinierung jener steigenden Zahl von jungen Leuten geht, die ihr Grundrecht der Gewissensfreiheit höher bewerten als die Anforderungen der allgemeinen Wehrpflicht, wie das nach dem Grundgesetz selbstverständlich möglich sein muß. Die Rede ist hier zum wiederholten Male von jenen totalen Kriegsdienstverweigerern, die nach fünf oder sechs KDV-Verfahren - dafür haben wir jetzt einige Beispiele - zur Bundeswehr gezogen werden oder aber ohne jedes Verfahren den Kriegsdienst mit der Waffe ablehnen. Das ist Ihr wahrer Beitrag zur Wehrgerechtigkeit, Herr Wörner, nämlich jungen Leuten zu demonstrieren, daß der lange Arm des Staates jedermann zu erreichen in der Lage ist, notfalls mit Arrestzelle oder Knast gefügig zu machen versucht. Unsere Solidarität gilt daher in diesen Tagen symbolisch besonders Christoph Bausenwein, der aus Gewissensgründen den Zivildienst nach zwölf Monaten abgebrochen hat und dafür jetzt mit einer verfassungswidrigen Doppelbestrafung von sechzehn Monaten bedacht worden ist und am Montag seine Freiheitsstrafe antreten mußte. Wenn hier und dort von der allgemeinen Wehrpflicht als einer Verfassungspflicht gesprochen wird, so setzen wir dem entgegen, daß die grundgesetzlich ermöglichte, keineswegs zwingende allgemeine Wehrpflicht historisch und systematisch die Einschränkung eines anderen Grundrechts darstellt, nämlich der Freiheit der Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte. So steht es in Art. 12. Da ist die Berufswahlfreiheit geregelt. Da ist außerdem das Verbot der Zwangsarbeit geregelt. Das Verbot der Zwangsarbeit wird durch den Art. 12 a, der die allgemeine Wehrpflicht ermöglicht, eingeschränkt. Insofern haben wir GRÜNE allen Anlaß, daran zu erinnern, daß die allgemeine Wehrpflicht und damit der Grundwehrdienst in der heutigen Form erst durch die Notstandsgesetze von 1968 in das Grundgesetz eingefügt worden ist und daß - schade, daß Frau Fuchs ({1}) nicht da ist - insofern ein direkter Zusammenhang zwischen den Plänen der Bundesregierung, das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes durch Änderung von § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes einzuschränken, und den hier zu diskutierenden Plänen besteht, die Ausnahmen von der Freiheit der Berufswahl und dem Verbot der Zwangsarbeit zu erweitern. Hier besteht ein Zusammenhang. Wir GRÜNEN stehen somit auch aus diesem Grunde jeglicher Erweiterung der allgemeinen Wehrpflicht und der Einplanung von Teilen der Bevölkerung zur Vorbereitung eines Krieges ablehDr. Schierholz nend gegenüber. Diejenige oder derjenige dient nach unserer Auffassung am ehesten der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft, die oder der sich auf der Grundlage von Art. 12 - Berufswahlfreiheit - dazu entschließt, ökologisch sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten auszuüben. Von diesem Kriterium ist das besondere Gewaltverhältnis des Grundwehrdienstleistenden wahrlich meilenweit entfernt. ({2}) Auch ist es, Herr Jungmann, historisch falsch, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, die allgemeine Wehrpflicht sei das legitime Kind der Demokratie, auch wenn das ein früherer Bundespräsident behauptet hat. ({3}) - Das will ich gerade erläutern, Herr Klejdzinski. - Es ist natürlich erfreulich, wenn wir uns hier allgemein positiv an die französische Revolution erinnern. Nur hat die allgemeine Wehrpflicht bereits Vorläufer vor 1793 im absolutistischen Staate - Herr Kansy, Sie sind örtlich als nächster dran -: Prinz Wilhelm von Schaumburg-Lippe war dort schon Mitte des 18. Jahrhunderts aktiv. Die allgemeine Wehrpflicht ist in Deutschland - daran muß man auch erinnern - untrennbar mit der Entstehung und Herausbildung des preußischen Militarismus verbunden. Die Massenarmeen des 19. Jahrhunderts waren, anders als historische Vorbilder, auf die allgemeine und gleiche Disziplinierung aller jungen Männer angewiesen. Die Relikte dieser Vorstellungen - Massenarmee und allgemeine und gleiche Disziplinierung - finden sich jetzt auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung wieder. Getreu der Devise der GRÜNEN, „Militärische Verteidigung abbauen, soziale Verteidigung aufbauen" plädieren wir dafür, die Wehrpflicht abzubauen und den Grundwehrdienst drastisch zu verkürzen - ich persönlich bin der Meinung: auf höchstens zwölf Monate. Ihre Pläne, Herr Wörner, sind weder ehrlich noch abrüstungstauglich und schließlich auch nicht wiederspruchsfrei. Da wird mit Zahlen jongliert, daß die Wände wackeln. Nur eines vermögen diese Zahlen logisch nicht zu begründen, nämlich die Notwendigkeit einer Grundwehrdienstverlängerung zum 1. Juli 1989.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne, Herr Klejdzinski.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Schierholz, ich hätte fast gefragt, ob Sie die allgemeine Wehrpflicht für die soziale Verteidigung einführen wollen. Aber das soll nicht der wesentliche Punkt sein, sondern ich möchte Sie fragen, ob, wenn Sie 1995 nehmen, dieses Strukturkonzept, das der Herr Wörner hier vorgetragen hat, allein von den zugrunde liegenden Zahlen, ohne irgendwelche Wertungen zur einen oder anderen Seite vorzunehmen, Bestand haben kann?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Recht schönen Dank für diese hilfreiche Frage. Ich wollte genau dazu jetzt kommen. 50 000 Wehrpflichtige als Einplanungsreserve pro Jahrgang, zukünftig 24 000 Wehrdienstleistende in der Verfügungsbereitschaft, 15 000 Wehrübende und eine ungeklärte Zahl an Freistellungen für Zivil- und Katastrophenschutz, die sich ja wohl zum Oberzankapfel der Legislaturperiode entwickeln soll - wir wollen mal gucken, was Herr Strauß da jetzt für eine Taktik verfolgt -, schließlich veränderte Tauglichkeitsgrade und Einberufungsalter, garniert mit 5 000 DM Entlassungsprämie und - wenn es nach dem Willen des Verteidigungsministers geht - eine nahtlos in den Grundwehrdienst integrierte gymnasiale Oberstufe und Studienbeginn: Alle diese Planungsgrößen, Herr Klejdzinski, zu einem stimmigen und abrüstungspolitischen Konzept zusammenzubringen, ist der Bundesregierung nicht gelungen. ({0}) Wir haben dazu gestern eine Argumentationshilfe der Öffentlichkeit vorgelegt, Überschrift: „Wörners Rechenkunststücke", die das nachweist. Nur noch ein Argument, Herr Wörner: Sie sollten nicht vergessen, daß es Franz Josef Strauß war, der Ende der 60er Jahre dafür plädiert hat, die Bundeswehr in der Präsenzstärke auf ca. 430 000 Mann zurückzufahren. So war das. ({1}) - Und sogar noch weiter. Danke schön. Noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD - da stimme ich allerdings Herrn Hauser zu -: Es ist völlig richtig, die SPD soll endlich einmal klar sagen, was sie denn will: ({2}) Schon jetzt eine weitergehende Verlängerung als 18 Monate Grundwehrdienst oder aber mit uns eine drastische Verkürzung der Grundwehrdienstzeit. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seiner Stellungnahme von Anfang Oktober zu diesen Gesetzesplänen unter anderem deutlich gemacht, es gebe keinen sachlichen Grund dafür, der es rechtfertige, daß junge Menschen drei Monate länger in den Kasernen festgehalten werden sollten. Und er setzte fort: „Angesichts der zur Zeit verfügbaren ungeheuren Vernichtungskapazität moderner Waffensysteme ist die Aufrechterhaltung eines Heeres in dieser Größenordnung ein Aberwitz und dient offenkundig mehr dem Renommee der Generalität und des Verteidigungsministers als sachlichen, gemeint ist: friedenspolitischen Notwendigkeiten." Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir plädieren dafür: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird im Laufe meiner Ausführungen Gelegenheit geben, auf einige der Äußerungen des Kollegen Schierholz und auch des Kollegen Jungmann im einzelnen einzugehen. - Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Feststellung beginnen. Es geht bei dem, was der Bundesverteidigungsminister hier in seiner Einbringungsrede gesagt hat, um einen Katalog von Maßnahmen, an dessen Ende die Verlängerung der Wehrdienstzeit um drei Monate steht. Es geht vordringlich - und ich sage das deswegen mit so großem Nachdruck, weil es für die Beratungen in der Koalition und auch für die Beratungen mit der Hardthöhe ein unaufgebbares Moment war - darum, Wehrgerechtigkeit herzustellen, und erst, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um eine Verlängerung der Wehrdienstzeit. Das ist die richtige Reihenfolge, die wir beachten und die meine Fraktion von Anfang an als notwendig und unaufgebbar betont hat. Weil dieser Katalog überzeugend dargestellt und geplant worden ist, und weil sich am Ende dieser Beratungen herausgestellt hat, daß wir ohne eine Verlängerung der Wehrdienstzeit nicht jene Friedenspräsenz der Bundeswehr aufrechterhalten könnten, die wir alle für notwendig halten - jedenfalls wir in der Koalition und vor wenigen Jahren auch noch die SPD-Fraktion dieses Hohen Hauses -, ({0}) werden wir diesem Gesetzentwurf nach sorgfältiger Beratung in den Ausschüssen unsere Zustimmung geben. Wir werden das tun, weil wir erstens an dem Prinzip der Vorneverteidigung festhalten wollen, weil wir es nicht für angängig und möglich halten, von vornherein das der Zerstörung preiszugeben, was man zu verteidigen wünscht. Wir wollen es, weil wir es trotz all dessen, was heute bisher gesagt worden ist, für überzeugend nachgewiesen halten, daß es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Länge der Warnzeit und der Friedenspräsenz der Bundeswehr gibt, einer Friedenspräsenz der Bundeswehr, deren Herabsetzung eine entscheidende Auswirkung auf die Präsenz in den Bündnisstaaten, bei den Bündnispartnern haben würde. Herr Kollege Jungmann, Sie haben darauf hingewiesen, daß bei diesen Bündnispartnern durchaus eine Bereitschaft erkennbar sein könnte, unter bestimmten Umständen und wenn wir unsere Entschiedenheit nicht unter Beweis stellen, eine solche Minimierung von Präsenzstärken vorzunehmen. Wir haben auch hier eine Verantwortung im Bündnis. Wir haben schließlich einen dritten Grund, meine Damen und Herren. Wir haben heute morgen eine Aktuelle Stunde gehabt, in der es um die Frage atomarer Bewaffnung ging. Wer täuscht sich eigentlich darüber hinweg, daß eine Senkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik automatisch eine größere Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung nach sich ziehen würde? Auch wer diese Gefahr der atomaren Auseinandersetzung im ausreichenden Umfang sieht - wer von uns dürfte es sich leisten, das zu übersehen -, muß dafür sorgen, daß konventionelle Stärke aufrechterhalten bleibt ({1}) und daß wir zwar nicht, Herr Kollege Schierholz, die allgemeine Wehrpflicht glorifizieren, daß wir aber bereit sind, jedem und auch jedem jungen Bürger unseres Staates zu sagen, daß man die Freiheiten, die dieser Staat uns bietet, nicht in Anspruch nehmen kann, wenn man nicht bereit ist, auch für die Verteidigung dieser Freiheit seine eigene Leistung mit einzubringen. ({2}) Das steht hinter der allgemeinen Wehrpflicht, und das bewegt uns, in diesem Zusammenhang zu sagen: Wir stimmen einer solchen Regelung einer Verlängerung der Wehrpflicht auch zur Aufrechterhaltung dieser drei genannten Komponenten nicht deswegen zu, weil wir so sehr dafür sind, Wehrdienstpflicht zu verlängern, sondern weil wir es für eine selbstverständliche Pflicht halten, dem Bürger auch zu sagen, was ihm an Lasten auferlegt werden muß, was an Pflichten mit der Freiheit unseres Staates und was an Verantwortung damit verbunden ist. ({3}) Herr Kollege Jungmann, darüber hinaus sollten Sie eigentlich die Koalition und auch den Bundesverteidigungsminister eher loben, weil er und wir in der Koalition zu einem Zeitpunkt, wo diese Maßnahme noch nicht unmittelbar notwendig ist, diese Ehrlichkeit aufbringen, den Bürgern zu sagen, was wir im Jahre 1989 für notwendig halten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lange?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Torsten Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Ronneburger, Sie hatten vorhin den Zusammenhang zwischen Friedensstärke und Vorwarnzeit richtigerweise dargelegt. Nach dem, was Sie hier jetzt offengelegt haben, frage ich: Sehen Sie es nicht auch so, daß das Problem, das Sie geschildert haben, im Grunde genommen auch schon vor fünf oder vor zehn Jahren bestanden hat, als Sie in einer Regierungskoalition mit einer anderen Partei waren, und daß Sie jetzt der Verlängerung der Wehrdienstzeit nicht aus sachlichen Gründen zustimmen, sondern weil es die Opportunität der Sache erfordert? ({0})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin hier in der angenehmen Lage, Ihnen sagen zu können, daß wir tatsächlich auch in der Vergangenheit und übriRonneburger gens in Übereinstimmung mit dem damaligen Verteidigungsminister einen solchen Zusammenhang gesehen haben und, wie der damalige Verteidigungsminister ausdrücklich ausgeführt hat, eine solche Maßnahme auch für notwendig gehalten haben. Nur bin ich heute in der Lage, sagen zu können, daß wir an dieser Überzeugung festhalten, ({0}) während ich den Kollegen Jungmann fragen muß, warum er eigentlich heute das Gegenteil von dem sagt, was sein Verteidigungsminister noch im Jahr 1982 gesagt hat. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben im Verlaufe der Beratungen sehr sorgfältig eine Reihe von Möglichkeiten geprüft. Ich gebe hier zu, daß es zu unseren Optionen in der FDP-Fraktion gehört hat, ohne eine Verlängerung der Wehrdienstzeit durch eine stärkere Abstützung auf das Reservistenpotential die notwendige Präsenz der Bundeswehr im Verteidigungsfall aufrechtzuerhalten. ({2}) Ich habe Ihnen bereits einige Argumente genannt, die wir dabei geprüft haben und die uns zu der Überzeugung gebracht haben, daß eine solche alleinige Abstützung auf eine stärkere Heranziehung von Reservisten ({3}) nicht ausreicht, um die angeführten Ziele zu erreichen. Herr Kollege Jungmann, wenn wir heute sagen: Wir sind bereit, einer Verlängerung um drei Monate zuzustimmen, dann ist es schon außerordentlich aufschlußreich, daß Sie einer solchen Maßnahme nur widersprechen können, indem Sie im Hintergrund die Drohung aufbauen, dies bedeute Mitte der 90er Jahre aber 24 Monate. Ich will Ihnen eines sehr deutlich sagen: Je später Sie bereit sind, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, desto größer wäre die Gefahr, daß das eintritt, was Sie hier an die Wand gemalt haben und was von unserer Seite her in keiner Weise geplant, beabsichtigt oder in die Erwägungen einbezogen war.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte sehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, sind Sie bereit zuzugeben, daß allein die Maßnahmen, die der Bundesverteidigungsminister auf die Ergebnisse der Langzeitkommission stützt, und die Nichtergreifung anderer Maßnahmen - Frauen und Ausländer in der Bundeswehr hat er ja schon rausgeschmissen - zur Folge haben würden, daß der Grundwehrdienst ab 1995 auf 24 Monate erhöht werden muß? ({0})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jungmann, ich sage Ihnen hier als meine persönliche Überzeugung ganz deutlich: Wir sind bereit, rechtzeitig gegenzuhalten, um das zu vermeiden, was Sie soeben noch einmal aufgeführt haben. Meine persönliche Überzeugung ist - ich sage das hier an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit -: Ich halte es für nicht denkbar, daß irgendein politisch Verantwortlicher bis in die Mitte der 90er Jahre oder bis zum Ende der 90er Jahre mit nichts anderem im Hintergrund als der Überzeugung plant, die Wehrdienstzeit müsse abermals verlängert werden. Unterstellen Sie uns dies bitte nicht, und erschrecken Sie die Bürger nicht mit einer Darstellung, die in der heutigen Beurteilung jeder Realität entbehrt. ({0}) - Herr Kollege Horn, meine Redezeit ist zwar begrenzt, aber ich bin bereit, auf das Argument einzugehen, das Sie mir jetzt entgegenschleudern. Eines dürfen Sie ja wohl nicht übersehen: Wenn Sie nicht bereit sind, 1989 - falls Sie die Verantwortung haben sollten - etwas zu tun, dann werden Sie Mitte der 90er Jahre allerdings gezwungen sein, das zu tun, was Sie jetzt als Schreckgespenst an die Wand malen. ({1}) Das einzige, was uns helfen kann, ist, rechtzeitig, entschieden und berechenbar zu handeln. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, in aller Kürze noch auf einige ganz wenige Aspekte dieser Wehrdienstverlängerung und der größeren Wehrgerechtigkeit einzugehen. Was mich in diesem Zusammenhang zunächst besonders bewegt, ist die Erkenntnis, daß das Hauptargument für die Verlängerung der Wehrpflicht, Herr Bundesverteidigungsminister, der Hinweis auf die notwendige Präsenz der Bundeswehr ist. Ich gestehe Ihnen zu, wenn Sie - mit Recht - sagen: Wir können eine Verbesserung, eine Vertiefung der militärischen, der soldatischen Ausbildung in diesen zusätzlichen drei Monaten verwirklichen. Aber ich gehe namens meiner Fraktion an dieser Stelle über das hinaus, was Sie gesagt haben. Ich möchte gerne, daß wir in intensive Überlegungen eintreten, in welcher Weise wir die zusätzlich gewonnene Zeit zum Nutzen der Soldaten, ihrer Bildung und Ausbildung, ihrer Allgemeinbildung - Sprachen, Berufsvorbereitung, Berufsförderung - ausnutzen können und wie wir hier in einem Zusammenhang mit den arbeitslosen Lehrern eine sinnvolle Ausfüllung jener Präsenzzeit für den einzelnen Soldaten erreichen können, ({3}) die mir notwendig erscheint, wenn wir das erreichen wollen, was hier heute immer wieder genannt worden ist, nämlich auch die notwendige Motivation der Soldaten für ihren Dienst und die Erkenntnis, daß das, was sie in diesen 18 Monaten zu leisten haben, nicht nur der Allgemeinheit dient, sondern auch für ihren eigenen persönlichen Lebensweg von Nutzen sein wird. Das gilt natürlich auch in bezug auf die Frage der Abstimmung von Einberufungsterminen, Prüfungsterminen, Semesterbeginn und ähnlichem. Hier wird es notwendige Überlegungen geben müssen. Die Gespräche sind eingeleitet. Wir werden alles, was wir tun können, dafür einsetzen, daß hier keine zusätzliche Belastung entsteht. Wir werden aus den angeführten Gründen und aus der Überzeugung, daß man für diesen unseren Staat auch Leistungen verlangen kann, diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben, Herr Bundesverteidigungsminister. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Herr Abgeordneter Heistermann. ({0})

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde euch die Flötentöne schon beibringen! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, kurz auf die Ausführungen des Bundesministers der Verteidigung eingehen. Herr Minister, in diesem Hause ist doch nicht bestritten, daß, wie Sie es gesagt haben, die Bundeswehr wichtig ist. Aber es hätte Ihnen gut angestanden, zu sagen, daß auch andere Institutionen dieses Staates wichtig sind und wir für deren Aufgabenerfüllung in diesem Hause ebenso Verantwortung tragen. Deshalb ist das, was Sie hier dargestellt haben - dazu komme ich noch an anderer Stelle -, im Grunde nur ein Popanz, den Sie hier hinstellen, um das zu begründen, was Sie in Ihrem Gesetz beabsichtigen. Lassen Sie mich, bevor ich näher darauf eingehe, fragen: Was ist bei der Bundeswehr Präsenz? Wenn ich mir diesen Fetisch anschaue, dann muß ich sagen: In Ihre eigene Konzeption bauen Sie 24 000 Menschen als Verfügungsbereitschaft ein, die dort dann zur Verfügung stehen, wenn sie einberufen werden. Wenn man sich darüber hinaus anguckt, was Sie im Bereich der Reservistenkonzeption neu organisieren wollen, was Sie dort eventuell auch noch kadern müssen, dann kann man nur sagen: Sie haben einen Präsenzbegriff, den wir nicht mitzutragen bereit sind, weil er auf einer Größenordnung aufbaut - das werden wir Ihnen im weiteren Verlauf der Beratungen nachweisen -, die nicht einzuhalten ist. ({0}) - Dazu kommen wir gleich noch, Herr Kollege Ehrbar. Wir scheuen hier nicht, Verantwortung zu übernehmen. Aber wir machen Ihren Irrweg nicht mit, den Sie uns heute hier auf den Tisch gelegt haben. ({1}) Sie wissen ganz genau, daß Sie Mitte der 90er Jahre eine Strukturreform vornehmen müssen. Diese Entscheidung wollen Sie nicht treffen. Deshalb gehen Sie in diese Debatte mit einem Vorschaltgesetz hinein, weil Sie nämlich die Verantwortung dafür nicht übernehmen wollen, was Mitte der 90er Jahre in diesem Land zu geschehen hat. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heistermann, ist Ihnen bekannt, daß die Verfügungsbereitschaft zu einem Zeitpunkt eingeführt wurde, als Ihr Genosse Leber Verteidigungsminister war, und in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses beraten und beschlossen wurde, als möglichst wenig Kollegen aus Ihrer Fraktion da waren, damit die Mehrheiten nicht gefährdet würden?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Biehle, wenn wir hier über die Einführung der Verfügungsbereitschaft reden wollen, dann interessiert mich in diesem Zusammenhang als einzige Frage, ob sich das, was Sie hier unter Präsenz verkauft haben, tatsächlich so verhält. Herr Biehle, Sie sitzen hier j a auch als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Da möchte ich Sie einfach fragen: Was ist denn Präsenz bei einem Quartal Wehrpflichtiger, die in der Grundausbildung sind? ({0}) Ist das militärische Präsenz bei den Soldaten, die erst in den Stammeinheiten ausgebildet werden müssen, ({1}) um überhaupt ihre Funktion ausfüllen zu können? Ich würde die Debatte also ein wenig versachlichen und hier nicht auf Entscheidungen zurückgreifen, die hier vor vielen, vielen Jahren anstanden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Auch Ihr Kollege Horn möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Herr Kollege Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heistermann, können Sie bestätigen, daß damals bei der Einführung der Verfügungsbereitschaft Herr Wörner für die CDU, für die Union, eine kritische Rede gehalten hat und sich damals sämtliche Passagen gegen die Verfügungsbereitschaft gewendet haben?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Horn, so, wie Sie das darstellen, kann ich das nur bestätigen. ({0}) - Ich brauche doch nicht dabeigewesen zu sein, Kollege Wimmer. ({1}) Aber ich weiß, Herr Kollege Wimmer, Sie waren natürlich schon als Embryo bei allen Entscheidungen des Bundestages dabei. ({2}) Herr Kollege Dr. Wörner, ich möchte auch noch auf das zurückkommen, was Sie hier zur Finanzierung gesagt haben. Wenn Sie das Entlassungsgeld erhöhen wollen - das wird Ihnen niemand hier bestreiten -, dann verstehe ich nicht, warum diese Regierungskoalition einen Antrag auf Wehrsolderhöhung, den die Sozialdemokraten eingebracht haben, in diesem Jahr ablehnt. ({3}) Wenn das eine so wichtige Frage ist, die bereits heute entschieden werden muß, dann muß man doch die Frage stellen: Warum stimmen Sie dann nicht dem Antrag der Sozialdemokraten zu, der hier vorliegt? Herr Kollege Ronneburger, gestatten auch Sie mir noch einen Hinweis. Ich habe mir auch angesehen, was Sie zur Verfügungsbereitschaft erklärt haben. Sie wären sogar bereit, über eine Verfügungsbereitschaft über das eine Jahr hinaus bis hin zu drei bis vier Jahren nachzudenken. Wenn man das alles summiert, was an Vorschlägen von den einzelnen Fraktionen, von der Regierung auf den Tisch gekommen ist, so sagen Sie, das sei eine geschlossene Konzeption. Die können wir nicht erkennen. Ich habe mir große Mühe gegeben, das einmal vernünftig hintereinanderzubringen, aber es ist nicht möglich. ({4}) - Nun hören Sie zu, Kollege Wimmer! Nun kommen wir auf einige Fakten. Ich hoffe, daß dieses Haus und insbesondere die Regierungskoalition dazu noch eine Antwort geben. ({5}) - Ich werde Ihnen gleich noch einige entsprechende Fragen stellen. Das, was hier zur Debatte steht, ist Ihr Vorschlag, und darüber unterhalten wir uns heute. ({6}) Es ist schon tragisch zu nennen, daß diese Bundesregierung an der Tradition festhält, unzureichende Gesetzentwürfe einzubringen, und dafür auch noch die Zustimmung des Parlaments haben will. ({7}) Mit diesem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit und Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes belegt diese Bundesregierung exemplarisch, welche Perspektiven sie für die 90er Jahre hat und welche Lösungen sie anstrebt. ({8}) Diese Bundesregierung will mit ihrem Vorhaben alle anderen öffentlichen Belange unter die der militärischen Unabdingbarkeit stellen. Ich sage auch, warum sie das jetzt tun will. Sie will nämlich jetzt die Entscheidung, damit sich alle anderen Maßnahmen an dieser Entscheidung zu orientieren haben. Das bedeutet, daß die Fragen, wie man Katastrophenschutz, wie man das Polizeiaufkommen, wie man den Zivildienst später regeln will, durch diese Entscheidung im Grunde schon so vorbestimmt sind, daß nachher kein Handlungsspielraum zur Verfügung steht. ({9}) Dies geht zu Lasten junger Bürger und auch zu Lasten vieler Einrichtungen, die ebenso wie die Bundeswehr auf die Bereitschaft junger Menschen angewiesen sind. Sozialer Konsens wird doch in dieser Frage nicht gesucht. Völlig unberührt läßt sie das Problem, wie Mitte der 90er Jahre der Arbeitsmarkt aussieht. Aber dies können wir bereits heute bei den monatlichen Erklärungen zur Arbeitsmarktstatistik feststellen. Wer einmal kritisch prüft, auf welcher Basis die Personalplanung betrieben wird, der kommt zu zwei interessanten Feststellungen. Erstens. Die Rüstungsplanung reicht bis zum Ende dieses Jahrhunderts, während - das ist der zweite Punkt - der Personalbestand nur bis 1995 eingeplant wird. ({10}) Es muß doch Gründe dafür geben, daß diese Bundesregierung so tut, als wenn sie nicht wüßte, wer im Jahre 2006 bereits zur Bundeswehr eingezogen werden kann. Die Angaben über die Geburtenjahrgänge liegen j a schon vor. Aber sie beendet ihre Planung mit dem Jahr 1995, weil sie sich vor der Strukturveränderung drücken will. ({11}) Der Grund dafür ist schnell erklärbar. Sie steht nämlich 1995 vor der Frage, ({12}) - ja, darauf kommen wir; wir rechnen Ihnen das vor -, einen Fehlbestand von weiteren 40 000 Mann ersetzen zu müssen. Da ergibt sich wieder die Frage, wie man das lösen will. Und dann steht wieder die Frage nach einer Wehrdienstverlängerung auf der Tagesordnung. ({13}) Wir müssen heute schon fragen: Will man dann eine weitere Wehrdienstverlängerung durchsetzen? ({14}) Will man wiederum Schulzeiten ändern? Will man wiederum den Zivildienst mit dieser unseligen Drittelverlängerung beibehalten? Auf diese Fragen gibt die Bundesregierung keine Antwort. Sie spricht diese Fragen nicht einmal in dem eigenen Redebeitrag hier an. ({15}) Ebensowenig gibt die Bundesregierung eine Antwort darauf, wie die immer größer werdende Zahl von älteren Mitbürgern durch jüngere betreut werden soll. Ich nenne hier einmal „Essen auf Rädern". Ich nenne hier einmal Sozialhilfe vor Ort durch junge Menschen. Wie man das eigentlich alles bei geringer werdendem Personalbestand sicherstellen will, darauf antwortet diese Bundesregierung nicht. Dafür hat sie kein Konzept. Mein Kollege Horst Jungmann hat in seinem Beitrag schon auf Schwachstellen in der Konzeption „Bundeswehr in den 90er Jahren" hingewiesen. Ich will das nicht noch einmal alles wiederholen, aber auf einige Fragen eingehen, die Vereine, Verbände zu diesem Gesetzentwurf in der Zwischenzeit aufgeworfen haben. Da beabsichtigt die Bundesregierung, die Zahl der für den Zivildienst und Katastrophenschutz Freigestellten von derzeit 17 000 den sinkenden Jahrgangsstärken anzupassen. Reduzieren will man auf einen Umfang von 10 000. Nirgendwo wird gesagt, wie öffentliche Einrichtungen dann mit ihren Aufgaben fertig werden sollen. ({16}) - Ja, ich sage Ihnen das. Erhöht werden soll die Zahl der Wehrübungsplätze von rund 6 000 auf 15 000, wodurch ein Personalumfang im Jahresumsatz von 400 000 erreicht wird. Das bedeutet, daß während eines Jahres diese 400 000 Personen aus dem Arbeitsprozeß durch mehrtägige und mehrwöchige Übungen herausgezogen werden. Die völlig unzureichende finanzielle Absicherung dieser Soldaten will ich hier nur am Rande anmerken. Denn das, was sie heute an Entschädigung bekommen, ersetzt nicht das, was sie an Nettolöhnen während dieser Zeit in ihren Betrieben in der Tasche gehabt hätten. ({17}) Kein Wort dazu, wie man das regeln will! Ebenso wird nicht herausgestellt, wie man eigentlich die Situation des Arbeitsmarktes Mitte der 90er Jahre einschätzt, ob dann tatsächlich 400 000 Menschen aus dem Arbeitsprozeß herausgezogen werden können. Wer diese volkswirtschaftliche Berechnungen nicht in seine Überlegungen einbezieht, der kann im Grunde keine Konzeption haben, die sich als richtig und tragbar erweist. ({18}) Wie stark dieser Gesetzentwurf in den Lebens- und Schulbereich eines jungen Menschen eingreifen kann, ist beeindruckend in der Stellungnahme der Landeselternvereinigung der Gymnasien Bayern e. V. deutlich geworden. Dieser Verband mahnt zu Recht an, daß das Elternrecht nicht mit der Schulzeit der Kinder ende, sondern sich in den Rechten und Pflichten sowohl während der Wehrdienstzeit als auch während des daran anschließenden Studiums fortsetze. Von diesen Gedankengängen läßt sich der Bundesminister der Verteidigung allerdings nicht beeindrucken. Solche grundsätzlichen Überlegungen übergeht er einfach. ({19}) Dieser Verband schreibt, daß der Gesetzentwurf in der derzeitigen Fassung der Novelle des Wehrpflichtgesetzes ein verfassungswidriger Verstoß gegen das unverzichtbare Gebot der Wehrgerechtigkeit ist. Das berührt aber die Entscheidung der Bundesregierung ebensowenig. Diese Bundesregierung berührt auch nicht, daß die Eltern einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz als gegeben ansehen. Sie stellen fest - ich zitiere hier -: Andere Wehrpflichtige sind nach Ableistung ihrer Wehrpflicht weder in ihrer beruflichen Ausbildung noch in ihrer beruflichen Tätigkeit beschränkt oder behindert, während für Abiturienten ein ganzes Studienjahr verlorenzugehen droht. Andere Wehrpflichtige werden grundsätzlich nach Abschluß ihrer beruflichen Ausbildung zum Wehrdienst herangezogen. Unsere Abiturienten sollen dagegen in ihrer schulischen Ausbildungszeit erheblich beschnitten werden, wobei sie ohnehin für eineinhalb Jahre aus ihrem Ausbildungsprozeß herausgerissen werden. ({20}) - Immer noch Originalton! Andere Wehrpflichtige können während ihrer Wehrpflichtzeit den ihnen zustehenden Jahresurlaub beanspruchen, während unsere Abiturienten ihren Urlaub dafür einbringen sollen, um mit ihrem Studium rechtzeitig beginnen zu können. ({21}) Das schreibt ein Landeselternverband, aber diese Fragen werden hier nicht behandelt; dazu hört man nichts. ({22}) Im Gegenteil, einige Äußerungen von CDU-Kultusministern und einige Überlegungen in der Regierungskoalition gehen sogar dahin, daß die Schulzeit reduziert werden soll. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Die Schule darf nicht Teil der militärischen Planung werden. ({23}) Wir bleiben bei dem, was der damalige

Not found (Kanzler:in)

daß nicht die Bundeswehr, sondern die Schule die Schule der Nation ist. Dem haben wir auch heute nichts hinzuzufügen. Noch einen weiteren Aspekt will ich ansprechen. Welche Gedanken machen Sie sich eigentlich darüber, wie zivildienstleistende Abiturienten bei künftig 24 Monaten Dienst den Anschluß an eine Ausbildung finden können? ({0}) Ist denn hier die Bundesregierung nicht gefragt? Sie gibt auch keine Antwort auf die Frage nach der wachsenden Zahl von Abiturienten, die eine betriebliche Ausbildung oder sogar eine Ausbildung in einer beruflichen Vollzeitschule anstreben. Wie sollen diese jungen Menschen eine entsprechende Anschlußausbildung erhalten? All das sind Fragen, die Sie hier nicht beantworten und die Sie in Ihrer Konzeption nicht einmal berücksichtigt haben. Keine Sorgen scheint Ihnen auch die Frage zu bereiten, wie die Regelung für die Bereiche Polizei, Zivil- und Katastrophenschutz aussehen soll und wie man da den Personalbestand sichern kann. ({1}) - Ich komme jetzt zu der Frage, wie diese Bundesregierung diese Planungen zwischen den einzelnen Ressorts koordiniert. Wie sie das tut, kann man der Stellungnahme des Bundesinnenministers vom 21. November entnehmen, in der dieser die Auswirkungen dieses Gesetzesvorhabens auf den Katastrophenschutz und den zivilen Bevölkerungsschutz beispielhaft nachweist. Da liest man - ich zitiere Innenminister Zimmermann -: Beim THW sind bei den 55 000 Helfern insgesamt 35 900 vom Wehrdienst freigestellt. Ohne diese wäre die Organisation nicht mehr lebensfähig. Originalton Zimmermann! ({2}) - Sie können sich gleich melden, Herr Kollege Kansy! An anderer Stelle heißt es: Ebenso wäre der Warndienst ohne die Freistellungsregelung nicht mehr überlebensfähig. Von 1 690 Helfern des Warndienstes sind immerhin 1 487 freigestellt. Die Liste ließe sich hier noch beliebig verlängern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schierholz?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Heistermann, vielleicht darf ich Sie dann auch noch fragen, wie Sie denn den Tatbestand bewerten, daß das CDU-Präsidium beschlossen hat, die Zahl dieser Freistellungen in Richtung Null zu reduzieren? ({0})

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will den Kollegen zunächst einmal unterstellen, daß sie die Zahl von 10 000 erhalten wollen; nur sagen sie nicht, ob diese 10 000 ausreichen, um die Dienste, die eingerichtet sind, auch in ihrer Aufgabenerfüllung zu stabilisieren. Die Stellungnahmen der Bundesverbände besagen eindeutig, daß dieses Ziel nicht erreicht werden kann. ({0}) Deshalb sagen wir ganz deutlich: Innenminister Zimmermann hat mit seinen Feststellungen nicht einmal bei seinen eigenen Regierungskollegen Gehör gefunden, und das scheint mir doch immerhin bezeichnend für den Zustand dieser Regierung zu sein. ({1}) Sie schaffen eben mit diesem Gesetz keine Klarheit, denn - das sagen wir deutlich - jeder Stein, der in Ihrem Gebäudekonzept fehlt, wird eine Lücke bedeuten, die schlimme Folgen hat. Herr Bundesminister, Ihnen gegenüber wurden viele Warnungen ausgesprochen, aber leider sind alle auf taube Ohren gestoßen. Wir unsererseits bieten an, mit allen Ländern, mit allen Vereinen, aber auch mit allen Verbänden und Organisationen, die diese Fehlentwicklungen verhindern wollen, als fairer Partner zu sprechen, und wir sagen auch deutlich: Noch übersehen viele nicht, was für Wirkungen in der Gesellschaft aus diesem Gesetzesvorhaben resultieren können. Wir sind aber sicher, daß sich neben den Sozialdemokraten viele finden werden, die Überzogenes zurückweisen wollen. Die offenen Fragen werden an Zahl nicht abnehmen; vielmehr wird das Gegenteil der Fall sein. Eine der großen Fragen ist, wie das alles finanziert werden soll. Nicht Absichten sind hier gefragt, Herr Minister, sondern komplette Kostenübersichten, ({2}) die die jeweiligen Finanzierungsansätze offenlegen. Wir hoffen, daß Sie bei all ihren Überlegungen immer noch die Hand an der Notbremse haben. Denn wenn neben den Gebäudekonzeptionen auch noch die Finanzplanung in die Hose geht, dann ist alles, was Sie vorschlagen, als Ruine, als Torso konstruiert. Noch besser ausgedrückt: Es sind Potemkinsche Dörfer. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wittmann.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Was Herr Jungmann und Herr Heistermann hier geboten haben, ist totale Konzeptlosigkeit. Wir hätten gern einmal gehört, wie Sie es gern hätten. Wir haben festgestellt, daß Sie kein Konzept haben und daß wir, wie auch die Aktuelle Stunde gezeigt hat, immer mehr in den Grundpositionen auseinanderdriften, die Sie noch vor wenigen Jahren mit uns vertreten haben. Das ist das Ergebnis dieser Debatte. ({0}) - Herr Kollege Heistermann, ich habe aus Zeitgründen nicht die Absicht, eine Frage zuzulassen. Im Ausschuß bin ich gern bereit, viel mit Ihnen zu reden. ({1}) - Schreien Sie doch nicht! ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte, den Abgeordneten in Ruhe fortfahren zu lassen.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihr Geschrei kann ich nicht verstehen, Herr Horn. Die Aktuelle Stunde und diese Einlassungen eben haben gezeigt, daß Sie kein Konzept haben, das irgendwie vertretbar und auch irgendwie erkennbar wäre. Mit diesem Gesetzentwurf greifen wir in die Lebens- und Berufsplanungen vieler junger Menschen ein. Ich sage bewußt nicht „junger Männer", sondern „junger Menschen". Denn bei den Männern, um die es bei der Bundeswehr geht, sind ja auch die Eltern, die Frauen, sind die Familien, sind die Freundschaften usw. beteiligt. Auch diese Beteiligten wollen erfahren, wie es mit der Lebensgestaltung ihres Sohnes, ihres Freundes, ihre Ehemannes oder ihres Vaters weitergehen soll. ({0}) Das sagen wir jetzt, drei Jahre vor Inkrafttreten dieses Gesetzentwurfs. An der Bedrohung - das wurde schon deutlich zum Ausdruck gebracht - hat sich nichts geändert. Man kann das nicht hinwegdiskutieren, indem man beliebige Modellrechnungen aufstellt, wie es in verschiedenen Papieren der SPD geschehen ist, sondern dies sind einfach Tatsachen, die man zur Kenntnis nehmen muß. Unsere Verteidigungsfähigkeit muß sich nach der Verteidigungsnotwendigkeit richten. Wir müssen auf allen Stufen der Angriffsmöglichkeiten Verteidigungsmöglichkeiten haben. Dies gilt auch für die konventionelle Komponente, die mit diesem Gesetz in erster Linie angesprochen ist. Herr Kollege Jungmann, sie haben die Behauptung aufgestellt, der Generalinspekteur habe dem Bundesminister der Verteidigung einen Brief geschrieben, in dem er die in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommende und die weitere Planung in Frage gestellt habe. ({1}) Herr Jungmann, ich halte den Herrn Generalinspekteur für einen Ehrenmann. Ich habe im Gegensatz zu Ihnen von der ersten bis zur letzten Minute an der Kommandeurstagung in Karlsruhe - sicher waren auch Sie eingeladen - teilgenommen. ({2}) - Können Sie mir erklären, warum der Herr Kollege Würtz da war. ({3}) Können Sie mir das erklären? Also ich gehe einmal davon aus. Man kann j a auch einmal einen Brief verlieren oder nicht beachten. Wir kriegen zu viel Post. Jedenfalls: Ich stelle fest, daß sich der Generalinspekteur vor jenen Kommandeuren, die diese Planung durchzuführen haben, eindeutig zu dieser Planung bekannt hat. ({4}) Er kann seine Kommendeure nicht hinters Licht führen. Das wäre verantwortungslos. Unser Generalinspekteur ist eben ein verantwortungsbewußter Offizier. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Wittmann, darf ich Sie fragen: Lassen Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen zu?

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse grundsätzlich keine zu.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann bitte ich die Kollegen, das zu beachten und zu respektieren. ({0}) - Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse deshalb keine zu, weil mir signalisiert wurde, daß es Teilnehmer an dieser Debatte gibt, die in Zeitnot sind. Das ist der Grund. ({0}) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält zwar als Regelungskern die Erhöhung der allgemeinen Wehrpflicht auf 18 Monate. Aber das Bündel an Maßnahmen, das der Bundesminister der Verteidigung außerhalb dieses Gesetzes im Erlaßweg vorschlägt, ist meines Erachtens von der Substanz her viel bedeutsamer, nämlich in Richtung Wehrgerechtigkeit. Herr Kollege Heistermann, Sie sagen, es werde auf den Zivil- und Katastrophenschutz, auf die anderen Hilfsdienste keine Rücksicht genommen: Sie haben die Rede des Verteidigungsministers offensichtlich nicht gehört. Die Regelungen sind ausgewogen. Der Bundesinnenminister hat - ich habe das von ihm wiederholt gehört - dieser Konzeption - wenn auch nicht leichten Herzens - ausdrücklich zugestimmt. Meine Damen und Herren, Wehrgerechtigkeit hat viele Seiten: Sie hat eine ideelle und materielle, eine äußere und eine innere Seite. Lassen Sie mich zu einem etwas sagen, was vielleicht falsch verstanden werden könnte: Ich bitte diejenigen, die für die Berufsgestaltung von Geistlichen verantwortlich sind, einmal zu überprüfen, ob es zu rechtfertigen ist, daß allein die Aufnahme des Studiums der Theologie, ohne daß es zu einem geistlichen Beruf führt, weiterhin eine Ausnahme von der Ableistung des Wehrdienstes begründen soll. Ich weiß nicht, ob man den geistlichen Ämtern und den Kirchen damit einen Dienst tut. ({1}) Der Verteidigungsminister hat eine Maßnahme zwar nicht vorgeschlagen, aber ich erwähne es, weil diese Wehrdienstausnahme zunehmend, vor allem bei den Wehrpflichtigen, ein Ärgernis bedeutet. Herr Kollege Heistermann, zum Wehrsold: Sie haben gehört, was der Bundesminister der Verteidigung deutlich gesagt hat. Auch wir werden den Wehrsold in einem Rhythmus von zwei bis drei Jahren angemessen erhöhen. Nur haben wir bei uns jetzt nicht eine solche Inflationsrate, daß eine Wehrsolderhöhung den Soldaten überhaupt nichts bringt. Ihre Wehrsolderhöhungen haben den Soldaten angesichts der Inflationsrate zu Ihrer Regierungszeit nichts gebracht. ({2}) Bei der inneren Wehrgerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist zu beachten, daß viele Soldaten unterschiedliche Belastungen zu tragen haben. Ich denke hier vor allem an die Dienstzeitbelastungen. Ich hoffe, daß auch die Dienstpläne mit der Verlängerung der Wehrpflichtzeit eines Tages anders gestaltet werden und die Ausbildung etwas entzerrt werden kann, so daß sowohl die Auszubildenden als auch die Ausbilder etwas mehr Luft haben und wir auf diesem Wege vielleicht auch die Dienstzeitbelastungen einschränken können. Es kann auch sichergestellt werden - der Verteidigungsminister hat das gesagt -, daß durch die längere Wehrdienstzeit eine bessere Ausbildung für die Reservistenzeit, für die Mob-Verwendung erfolgt, z. B. für eine spätere Verwendung als Sicherungssoldat, der vor allem infanteristisch ausgebildet sein muß. Dieser Ausbildung kann man also etwas mehr Gewicht beimessen. Ich möchte die Führung der Bundeswehr aber auf noch etwas hinweisen. Ich würde dringend empfehlen, die Sanitätsausbildung - sprich: Kameradenhilfe, wie es sich nennt - aller Soldaten in dieser längeren Wehrdienstzeit zu intensivieren. Das nützt den Soldaten nicht nur bei ihrem Dienst in der Bundeswehr, sondern es nützt ihnen auch später im Zivilleben. ({3}) Meine Damen und Herren, Herr Heistermann, Sie haben beklagt, daß nichts für die Reservisten geschehe bzw. geschehen sei: 13 Jahre haben Sie dafür Zeit gehabt. ({4}) Unsere Reservistenkonzeption wird nicht dazu übergehen, Reservisten allein in Geräteeinheiten zu verplanen; nein, unser Ziel ist, die Reservisten auch in aktiven Einheiten dienen zu lassen. Das ist von der Ausbildung her und in vielerlei anderer Hinsicht für sie besser. Sie sind dann für einen Mobilmachungsfall nicht nur besser ausgebildet, sondern auch, weil sie mehr können, entsprechend motiviert. Ich glaube, wir sollten in erster Linie einmal daran denken - das ist gestern im Verteidigungsausschuß j a schon diskutiert worden -, die Grenzaltersregelungen für Reservisten etwas aufzulokkern. Denn viele empfinden es als ungerecht, daß sie, obwohl sie wollen und können, nicht geholt werden, weil sie wenige Monate über einer bestimmten Altersgrenze liegen, während andererseits solche, die berufliche und persönliche Schwierigkeiten haben, gezogen werden. Diese sind dann ebenfalls unzufrieden. Wenn wir die Reservisten jetzt stärker berücksichtigen, sollten wir vor allem auch ins Auge fassen, daß unsere Reservisten eine militärische Heimat bekommen und immer wieder bei der Einheit dienen können, zu der sie einmal eingezogen worden sind. ({5}) Das ist zwar nicht immer möglich, aber es sollte mehr denn je angestrebt werden. Herr Heistermann, Sie haben von den Abiturienten gesprochen. Wir haben Gott sei Dank bei der Bundeswehr - ich muß das ausdrücklich sagen, obwohl es vorzügliche Soldaten sind - nicht nur Abiturienten. Wir brauchen auch Leute, die etwas handwerkliche Fähigkeiten haben. ({6}) - Nein, Sie haben vor allem auf die Abiturienten abgestellt. Ich darf Ihnen folgendes sagen. Die Zahl derjenigen, die nach ihrer Lehre - ich möchte keinen persönlichen Fall nennen - weiter zur Schule gehen wollen, z. B. in eine Fachoberschule, nimmt zu. Der Bundesminister der Verteidigung wird mit den Handwerkskammern und mit den Industrie- und Handelskammern dieses Problem besprechen. Das ist zum Teil schon geschehen. Wir werden auch hier Lösungen finden. ({7}) Die vermehrte Zahl von Reservisten und die längere Wehrpflichtzeit werden auch dazu führen, daß wir manche Führungsstrukturen - ich betone: Führungsstrukturen - überdenken müssen, um mehr Soldaten für die Ausbildung freizubekommen. Ich möchte das heute nur als Merkposten sagen. Vor allem sollte überprüft werden, ob auf einem Dienstposten nicht auch ein Zivilist tätig werden kann, vor allem dann, wenn der Dienstposten im Spannungs- und Verteidigungsfall entfallen kann. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat in den 30 Jahren ihres Bestehens den Frieden gesichert. Sie ist eine gute Armee. Wir wollen, daß sie eine gute Armee bleibt, in der sich alle Schichten unseres Volkes über die allgemeine Wehrpflicht wiederfinden. Ich danke Ihnen. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jungmann. Herr Abgeordneter.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wittmann hat in seinem Debattenbeitrag den Eindruck erwecken wollen, als hätte ich die Möglichkeit gehabt, an der Kommandeurtagung teilzunehmen. ({0}) Ich stelle hier nach Rücksprache mit dem Parlamentarischen Staatssekretär und dem Inspekteur der Marine fest, daß zur Kommandeurtagung alle MdBs mit einem Reserveoffiziersdienstgrad eingeladen waren. ({1}) - So ist es mir gesagt worden. Fragen Sie im Ministerium nach. ({2}) Ich habe leider - vielleicht auch: Gott sei Dank - keinen Reservedienstgrad als Offizier, sondern als Hauptbootsmann der Reserve. Schönen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Herr Abgeordneter Wittmann, melden Sie sich zur Geschäftsordnung? ({0}) - Bitte sehr, Herr Abgeordneter; ebenfalls nach § 30 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Fritz Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002540, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Jungmann, ich entschuldige mich ausdrücklich. Mir war dieser Sachverhalt nicht bekannt. Ich nahm an, daß die dem Verteidigungsausschuß angehörenden Kollegen eingeladen waren. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit ist die Sache wohl beigelegt. Da mir nunmehr weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, darf ich endgültig die Debatte schließen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4591 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Da ich davon ausgehe, daß andere Vorschläge nicht gemacht werden, darf ich feststellen, daß dies so beschlossen ist. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetzes - Drucksache 10/4489 Überweisgungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Innenausschuß Verteidigungsausschuß b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lambinus, Bachmaier, Bamberg, Buschfort, Delorme, Dreßler, Egert, Dr. Emmerlich, Fiebig, Fischer ({1}), Gilges, Glombig, Hauck, Heyenn, Jaunich, Kastning, Kirschner, Klein ({2}), Lutz, Müller ({3}), Peter ({4}), Reimann, Frau Schmidt ({5}), Schmidt ({6}), Dr. Schöfberger, Schreiner, Schröder ({7}), Dr. Schwenk ({8}), Sielaff, Frau Steinhauer, Stiegler, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Witek, Dr. de With und der Fraktion der SPD Erfahrungen mit dem Kriegsdienstverweigerungs- Neuordnungsgesetz - Drucksachen 10/3646, 10/4419 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schierholz, Lange, Mann, Frau Wagner und der Fraktion DIE GRÜNEN Realisierung des Grundrechts der Gewissensfreiheit gegenüber den Anforderungen der allgemeinen Wehrpflicht - Drucksache 10/4294 Überweisgungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({9}) Innenausschuß Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Durchführung des KriegsVizepräsident Cronenberg dienstverweigerungs- Neuordnungsgesetzes ({10}) - Drucksache 10/3936 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({11}) Innenausschuß Verteidigungsausschuß Es ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d vorgesehen, und zwar mit einer Dauer von 90 Minuten. - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich gehe davon aus, daß das Wort zur Begründung nicht gewünscht wird. Ich kann also die Aussprache eröffnen. Der Minister für Jugend, Familie und Gesundheit Frau Dr. Süssmuth, hat das Wort.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ihnen liegen vier Drucksachen zur Kriegsdienstverweigerung vor, von denen drei eng miteinander zusammenhängen: der Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz, der Entwurf eines Fortgeltungsgesetzes zu diesem Gesetz und die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, die sich hauptsächlich auf das Prüfungsverfahren der Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung bezieht. Hinzu kommt ein Antrag der Fraktion der GRÜNEN, die jedes Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer abschaffen will. ({0}) In den drei zuerst genannten Vorlagen geht es ausschließllich um die Frage, ob sich das neue Recht der Kriegsdienstverweigerung bewährt hat und ob es daher über den 30. Juni dieses Jahres hinaus weitergelten soll. Die Antwort der Bundesregierung dazu ist eindeutig: Die Neuregelung hat sich uneingeschränkt bewährt und sollte daher unverändert fortgelten. ({1}) Die Koalition und die Bundesregierung waren vor drei Jahren der Überzeugung, daß mit diesem Gesetz die anstehenden Probleme, die längst hätten bewältigt werden müssen, in diesem schwierigen Bereich der Prüfung der Kriegsdienstverweigerer geklärt werden müßten. Das sollte mit Erfolg geschehen. Dabei waren zwei gefährliche Klippen und damit eine Wiederholung der Folgen des Postkartengesetzes von 1977 zu vermeiden. Erforderlich war dazu eine richtige gesetzgeberische Konzeption und zum anderen eine ausreichende Vorbereitung der Durchführung durch die Verwaltung. ({2}) Das bedeutete für den Gesetzgeber erstens: Der Wegfall des mündlichen Prüfungsverfahrens dürfte nicht wieder gleichbedeutend sein mit der vom Bundesverfassungsgericht 1978 für grundgesetzwidrig erklärten freien Wahl zwischen den beiden Diensten, Wehrdienst und Zivildienst. Es durfte nicht wieder zu einem ungehemmten Zulauf zum Zivildienst kommen, der nur noch zum Teil - vielleicht sogar zum kleineren Teil - auf ernsthaften Gewissensgründen beruht. ({3}) Es bedeutete zweitens, daß die Zivildienstverwaltung Vorsorge zu treffen hatte, damit sie mit der zu erwartenden Verdoppelung des Zustroms anerkannter Kriegsdienstverweigerer fertig wurde, wie sie sich in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes unvermeidlich aus dem Nebeneinander der aktuellen Verfahren nach neuem Recht und der gleichzeitigen Abwicklung des unter der Geltung des alten Rechts entstandenen Staus von weit über 100 000 Anträgen ergeben mußte. Die Zahl der Zivildienstplätze mußte daher nach einem Zeitplan so gesteigert werden, daß auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts zu jedem Zeitpunkt alle anerkannten Kriegsdienstverweigerer umgehend zum Zivildienst herangezogen werden konnten. Bei allem Problembewußtsein hinsichtlich der Neuregelung dieser Frage blieben letzte Ungewißheiten hinsichtlich der Auswirkungen auf das Verhalten der Kriegsdienstverweigerer. Und würde es wirklich gelingen, die Zahl der Plätze in den sozialen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, die notwendig ist? Daher hat sich die Regierungsmehrheit entschlossen, das neue Gesetz zunächst auf zweieinhalb Jahre zu befristen, um dann nach den vorliegenden Erfahrungen erneut einen Gesetzesbeschluß zu fassen. Diese Entscheidung steht jetzt an. ({4}) - Ich möchte wissen, was daran faul ist, wenn man ein so problematisches Verfahren neu regelt und das mit den Ergebnissen tut, die dabei herausgekommen sind. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Bitte sehr.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Minister, .können Sie denn wenigstens, da ich jetzt im Rahmen einer Zwischenfrage nicht in der Lage bin, zu begründen, weswegen der Kompromiß faul ist, bestätigen, daß es in der Tat am 2. Oktober 1985 einen Kompromiß zwischen den Regierungsparteien gegeben hat, wobei man wissen sollte, daß sich die FDP ursprünglich nicht auf die Verlängerungsautomatik einlassen wollte, sich dann aber die CDU/CSU in dieser Frage durchgesetzt hat und die FDP umgefallen ist?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Herr Schierholz, ich spreche gerade zum Prüfverfahren. Sie sprechen zur Dauer des Zivildienstes. Die Bewährung des Gesetzes ist in Punkt 1 zu bestätigen, in der Frage des Prüfverfahrens. Zur Frage der Dauer komme ich noch im weiteren Teil meiner Rede. Hier würde ich nicht von faulen Kompromissen reden. ({0}) Für meine Ausführungen ist entscheidend, daß zu fragen ist: Wie hat sich das neue Recht in bezug auf die Zahl der Anträge ausgewirkt? Hier können wir ganz eindeutig sagen, daß sich die Zahl der Anträge so entwickelt hat, daß das neue Prüfverfahren als ein Verfahren ausgewiesen ist, in dem die Gewissensentscheidung zum Tragen kommt. Es hat weder zu einer hemmungslosen Vermehrung der Anträge geführt noch zu einer so starken Reduktion, daß der Vorwurf erhoben werden könnte, hier würden Menschen abgeschreckt. Das ergibt sich nicht nur aus den vorliegenden Antragszahlen, sondern auch aus Einschätzungen, die durch unzählige Hinweise aus Eingaben und Gesprächen bestätigt werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Minister, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Der Abgeordnete Klejdzinski möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten dies? - Bitte schön.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Minister, wenn Sie sagen, daß die Anerkennungsausschüsse sehr korrekt arbeiten, wie erklären Sie sich beispielsweise, daß die Anerkennungsausschüsse in Bayern nur 34,6 % der Antragsteller anerkennen, im übrigen Bundesgebiet aber 54,1 %? Hat das nicht damit etwas zu tun, wie man die Kammern im einzelnen zusammensetzt, und nicht so sehr mit der Gewissensentscheidung? ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Ich möchte darauf wie folgt antworten: Weder in Ihrer Regierungszeit noch in der gegenwärtigen ist an der Unabhängigkeit der Ausschüsse und Kammern in irgendeiner Weise Kritik geübt worden, ({0}) sondern es ist immer darum gegangen, daß diese Ausschüsse und Kammern, obwohl sie in den Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministers gehören, unabhängig entscheiden. ({1}) Bei dieser Unabhängigkeit haben Sie dann auch in der Antwort der Bundesregierung die unterschiedlichen Ergebnisse in den Entscheidungen. Ich gebe Ihnen zu: Man müßte darüber neu nachdenken, wenn es mit der Entscheidung der Ausschüsse sein Bewenden hätte. Es ist aber so, daß gegen die Ausschußentscheidung Widerspruch bei den Kammern eingelegt werden kann. Es kann, wenn auch der Kammerspruch nicht akzeptiert wird, beim Verwaltungsgericht weiterverfahren werden. Ich glaube, daß hiermit nicht eine einmalige Entscheidung unwiderruflich hingenommen werden muß. ({2}) Ich verweise Sie zweitens darauf, daß die Zahl der Ausschüsse noch in diesem Jahr von 119 auf 28 reduziert wird. Das ist möglich, weil die von der früheren Koalition übernommene Altlast von 110 000 unerledigten Fällen nunmehr fast abgearbeitet ist. ({3}) Ich begrüße es persönlich, wenn sich die Unterschiede in der Entscheidungspraxis von Ausschüssen verringern sollten. Indem wir diese Zahlen öffentlich machen, gibt es eine öffentliche Diskussion. Jedermann kann die Entscheidungen der Ausschüsse zur Kenntnis nehmen. ({4}) Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß durch das neue Prüfverfahren für die Antragsteller Klarheit und mehr Planungssicherheit eingetreten ist, daß in der Regel nach Antragstellung ein Monat vergeht, maximal sechs bis acht Wochen, bis der Antragsteller informiert ist und weiß, woran er ist. In der Gesamtzeit sind 142 Anträge abgelehnt worden und knapp über 30 den Ausschüssen zugewiesen worden. Auch das belegt, daß sich das Verfahren bewährt hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas zu den bereitgestellten Zivildienstplätzen sagen. Es waren 30 000 zusätzliche Zivildienstplätze zu schaffen. Sie erinnern sich, daß gerade das Bundesverfassungsgericht bei seinem Urteilsspruch 1978 erklärt hat, daß der Mangel an Plätzen deutlich mache, daß die Kriegsdienstverweigerer nicht einberufen werden könnten und von daher eine ernsthafte Alternative zum Wehrdienst gar nicht gegeben sei. Es waren 1982 51 000 Plätze vorhanden. Ihre Zahl ist bis 1984 auf 60 000 und 1985 auf 70 000 gestiegen. Der Rest der zu beschaffenden Plätze wird am Ende dieses Jahres bereitgestellt sein. ({5}) Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort des Dankes an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege richten, ({6}) ohne die dieser Erfolg nicht möglich gewesen wäre, aber auch an die Länder, von denen keines dem Bund die seinerzeit zugesagte Unterstützung bei der Platzbeschaffung versagt hat. Wenn ich hier den Wohlfahrtsverbänden danke, möchte ich den Dank im 25. Jahr des Zivildienstes auch die Zivildienstleistenden einschließen; ({7}) denn ich glaube, es gibt keinen Streit darüber, daß sie für die Gemeinschaft Unersetzbares leisten und daß die hier eben eingebrachte Meinung, dies sei eine verlorene Zeit für die Zivildienstleistenden, nicht in Erfahrung zu bringen ist. Ich kann eher umgekehrt sagen: Je schwerer der Dienst, desto zufriedener äußern sie sich über die Tätigkeit, die sie im Gemeinwesen an Behinderten, an alten Menschen wahrnehmen. ({8}) - Den Zeitpunkt bestimmen wir alle miteinander - auch die Zivildienstleistenden, so hoffe ich. ({9}) - Auch dafür wird gesorgt werden - auch ohne Reserveoffizier zu sein. Über das Verfahren vor den Ausschüssen und Kammern haben wir eben schon gesprochen. Danach spricht alles dafür, an dem neuen Recht der Kriegsdienstverweigerung festzuhalten. Die Bundesregierung hat daher einen Gesetzentwurf eingebracht, der sich auf eine einzige Vorschrift beschränkt, nämlich die Fortgeltung dieses Gesetzes über den 30. Juni 1986 hinaus. ({10}) Der Vorbehalt, der aus den Reihen der Opposition zu hören ist, dieses Gesetz sei verfassungswidrig, ist abwegig. Ich glaube, darüber ist eindeutig Klarheit durch den Urteilsspruch in Karlsruhe herbeigeführt worden. ({11}) Und das Sondervotum der beiden Verfassungsrichter Mahrenholz und Böckenförde beinhaltet nicht ein Votum gegen das Gesetz. Beide haben dieses Gesetz ausdrücklich begrüßt. Was sie gefordert haben, ist eine Klarstellung in Art. 12 a des Grundgesetzes. Wenn Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten von der Opposition, sich auf dieses Sondervotum berufen, dürfen Sie konsequenterweise nicht das Auslaufen des Reformgesetzes oder eine andere Reform verlangen, sondern nur die von diesen beiden Richtern angeregte Klarstellung im Grundgesetz. Wenn sich also die Kritik darauf reduziert, was ist dann die Alternative zum geltenden Reformgesetz? ({12}) Die Fraktion der GRÜNEN empfiehlt in ihrem heute vorliegenden Antrag die Abschaffung jedes Anerkennungsverfahrens, die Beschränkung auf eine bloße Feststellung. ({13}) Das war aber für die Ungedienten 1977 schon einmal für wenige Wochen Gesetz und ist dann vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. ({14}) Von anderer Seite hört man die Forderung, das Ausschußverfahren auch für Soldaten und Gediente wegfallen zu lassen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß damit die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die vom Grundgesetz geforderte Verteidigungsbereitschaft unseres Staates gefährdet würden. Auch die frühere Koalition hat das deshalb niemals vorgeschlagen oder auch nur in Erwägung gezogen. ({15}) Es bleibt die Forderung, die Dauer des Zivildienstes zu reduzieren. Zu fragen ist: auf welche Dauer? Sie wissen, das Bundesverfassungsgericht hat eine Dauer von 18 Monaten in Verbindung mit dem Wegfall des Ausschußverfahrens für verfassungswidrig erklärt und ein Gesetz aufgehoben, das solches vorsah. ({16}) Was bleibt dann noch als Alternative: ein Zurück zum alten Recht, zum Ausschußverfahren für jeden Kriegsdienstverweigerer mit mehrstündigen intensiven Befragungen in mehreren Instanzen, mit jahrelanger Ungewißheit über den jeweils nächsten Termin und den schließlichen Ausgang des Verfahrens, mit einem endgültigen Scheitern von einem Viertel der Antragsteller? Dies kann keine Alternative sein. Daher ist dem Gesetz zuzustimmen, das die Fortschreibung über den 30. Juni 1986 hinaus festlegt, und deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, um Ihre Zustimmung. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gilges.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Süssmuth, die Alternative werde ich Ihnen am Schluß meiner Ausführungen darstellen. Wir haben schon im Herbst 1982 eine Alternative in einem eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie abgelehnt haben. ({0}) Die sozialdemokratische Partei und die Bundestagsfraktion lehnen den Gesetzentwurf, der hier vorgelegt wird und unter Tagesordnungspunkt 1 a beraten werden soll, mit aller Entschiedenheit ab. Wir werden diesen Gesetzentwurf in den Ausschüs14194 sen kritisch prüfen. Wir werden alle parlamentarischen Möglichkeiten wahrnehmen, die uns gegeben sind, um die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs zu verhindern, diese Verlängerung bis zum 31. Dezember 1990 nicht stattfinden zu lassen. ({1}) Unsere Begründung, die wir 1982 gegen den damaligen Gesetzentwurf vorgetragen haben, der heute noch Gültigkeit hat, bleibt in den Grundzügen unverändert bestehen. Wir haben keine Veranlassung, unsere damalige Kritik, die hier im Plenum u. a. auch von mir vorgetragen worden ist, im nachhinein zu korrigieren. Ich möchte noch einmal betonen, daß das Gesetz weder einem sozialistischen, sozialdemokratischen, christlichen noch einem humanistischen Menschenbild entspricht. Dieses Gesetz, dessen Gültigkeit nun verlängert werden soll, widerspricht allen Grundsätzen einer Moral und Ethik, die von uns vertreten wird, weil dieses Gesetz nicht von der positiven Annahme im Art. 4 Abs.3 des Grundgesetzes ausgeht: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz" -, sondern genau das Negative herausholt. Es wird nämlich versucht, denjenigen, der dieses Grundrecht wahrnehmen will, an der Ausübung dieses Grundrechts zu hindern bzw. ihn davon abzuschrecken. ({2}) Dies widerspricht christlichem, sozialdemokratischem und humanistischem Menschenbild, und deswegen können wir solcher Tendenz und solcher Entwicklung in der Gesetzgebung in keiner Weise zustimmen, ({3}) weil Sie, Frau Süssmuth, damit zwar nicht der Verfassung widersprechen, aber am Rande der Verfassung sind. ({4}) Die Bundesregierung behauptet, daß sich die Reform von 1982 bewährt habe, und sie stützt diese Behauptung auf zwei wesentliche Tatsachen. Die eine ist, daß die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung rückläufig sei, wie in der Vergangenheit behauptet wurde. Das stimmt schlicht und einfach nicht: Wie ich festgestellt habe, haben Sie, Frau Süssmuth, das heute korrigiert. 1985 sind - die Zahlen sind auch Ihnen bekannt - von 63 711 Personen Anträge auf Inanspruchnahme des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes eingereicht worden. Das sind die konkreten Zahlen, Frau Süssmuth, ({5}) d. h. es hat sich überhaupt nichts verändert. Es gab ein ganz tiefes Absinken im Jahr 1978, es gab 1983 eine Steigerung und 1984 wieder ein Absinken. Aber die Durchschnittsquote bleibt in der Tendenz, Frau Süssmuth, generell gleich. ({6}) Diese Quote schwankt lediglich, und diese Schwankungen sind entstanden, weil der Gesetzgeber Unsicherheiten geschaffen hat. ({7}) Ich will dazu noch sagen, daß ich hohen Respekt vor all den Jugendlichen habe, die sich von der Verlängerung auf 20 Monate nicht haben abschrecken lassen. ({8}) Lassen Sie mich aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Als ich 1963 den Kriegsdienst verweigert habe, hätte mich auch die Aussicht, ins Gefängnis zu kommen, nicht abschrecken können, Frau Süssmuth. ({9}) - Wir kommen ja noch einmal auf die Verlängerung zu sprechen. Es ist Abschreckung, Herr Kollege. - Alle Versuche, die Abschreckung durch eine Verlängerung des Zivildienstes von 20 Monaten auf 24 Monate zu erhöhen, wird keinen potentiellen Kriegsdienstverweigerer, der das Recht aus dem Grundgesetz wahrnehmen will, abschrecken. Gott sei Dank wird keiner abgeschreckt. Ihr Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Dieses Steuerungsinstrument ist nicht funktionsfähig. Ich habe aber auch vor jedem Respekt, der sich von Ihnen hat beeindrucken lassen. Das kann es geben. Wir können es nicht feststellen, wir unterstellen es aber. Darüber hinaus begründen Sie diese Reform mit dem Wegfall des Prüfungsverfahrens. Dazu ist festzustellen, daß das schlicht und einfach nicht stimmt. Nach wie vor werden 15 bis 20 % geprüft. ({10}) - Entschuldigen Sie, Herr Sauer, es ist doch nun egal, ob es Gediente oder Ungediente sind, ob es nun Reservisten oder keine Reservisten sind. Es finden für 15 % bis 20 % der Antragsteller mündliche Prüfungsverfahren statt. Das ist eine Tatsache, an der Sie überhaupt nicht vorbeigehen können.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Moment, Herr Breuer. - Es ist auch unrichtig, wenn gesagt wird, im vergangenen Jahr seien weniger Prüfungsverfahren über die Stelle in Köln abgewickelt worden. Herr Finckh hat richtigerweise gesagt, daß im vergangenen Jahr noch 50 000 mündliche Verfahren in dieser Republik stattgefunden haben. Dabei handelte es sich überwiegend um Altanträge. Im nächsten Jahr wird es wiederum eine große Zahl von Verfahren sein. ({0}) - Ich komme noch einmal auf Sie zurück, Frau Adam-Schwaetzer. Das wird sehr interessant. - Nun nehme ich es doch vorweg: Sie haben die Möglichkeit - Sie sagen es ja auch -, das Gesetz nach 1987 wieder zu ändern. Herr Bangemann hat gesagt, Sie wollten das in die Koalitionsverhandlungen einbringen. Das kann ja auch bedeuten, daß das mündliche Prüfungsverfahren generell wieder eingeführt wird. Diese Möglichkeit lassen Sie sich immer wieder offen; das unterstelle ich Ihnen. Das heißt: Hier hat sich generell überhaupt nichts geändert. Die Ungerechtigkeit ist nach wie vor existent. - Herr Breuer, bitte schön.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gilges, wenn Sie so stark darauf abheben, es gebe immer noch so viele Antragsteller, die sich nach wie vor einer mündlichen Überprüfung unterziehen müßten, dann muß ich Sie fragen, ob im sogenannten Postkarten-Gesetz, im Gesetzentwurf der SPD aus dem Jahre 1980 sowie im Gesetzentwurf Ihrer Fraktion aus dem Jahre 1982 nicht gleiche Regelungen für Gediente und Soldaten vorgesehen waren.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigen Sie mal, wir haben auch nie die Propagandalüge verbreitet, wir hätten das mündliche Prüfungsverfahren abgeschafft. Sie erzählen doch überall: Wir haben das mündliche Prüfungsverfahren abgeschafft ({0}) Sie haben es eben nicht abgeschafft. Das ist schlicht und einfach eine Propagandalüge. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Was den Ausdruck „Propagandalüge" anbelangt, so möchte ich ihn als unparlamentarisch zurückzuweisen. - Ich bitte Sie fortzufahren.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gut. - Frau Süssmuth, warum wird dieses Gesetz nicht in ein zeitloses Gesetz umgewandelt, wenn es sich bewährt hat? Warum wird es zeitlich begrenzt? Das heißt - ich habe das schon angedeutet -: Sie wollen sich für die Zeit nach 1987 alle Möglichkeiten offenlassen. Wir behaupten: Sie wollen nach wie vor das Steuerungsinstrument, das in diesem Gesetz enthalten ist, gegen die Jugend mißbrauchen. Es könnte sein, daß Ursache für die Verlängerung bis zum 31. Dezember 1990 der sogenannte Kompromiß mit den sogenannten Liberalen war. ({0}) Die sogenannten Liberalen haben ja durch Frau Adam-Schwaetzer am 27. September 1985 erklären lassen, man wolle keine Verlängerung um ein Drittel. Ich darf einmal aus dem Tagesdienst der FDP zitieren: „In diesem Zusammenhang sprachen sich Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Guido Westerwelle gegen eine pauschale Verlängerung des Zivildienstes um ein Drittel gegenüber dem Wehrdienst aus." Am Abend vor der Kabinettsentscheidung hatte die FDP-Fraktion mit 11 gegen 10 Stimmen entschieden, sich gegen die Automatik auszusprechen. Ehe der Hahn dreimal gekräht hatte, hatten die FDP-Fraktion und ihre Minister schon den Verrat an den Jugendlichen und an den Wehrdienstverweigerern begangen. ({1}) Das ist liberale Politik. ({2}) Die Unglaubwürdigkeit der Liberalen dokumentiert sich erstens auch dadurch, daß Herr Eimer in diesem Hohen Haus immer wieder erklärt hat, er hätte mit der Postkartenregelung leben können. Zweitens dadurch, daß die FDP sagt, sie hätte auch mit 19 Monaten Zivildienstzeit leben können und drittens dadurch, daß Herr Eimer erklärt hat, er könne auch mit 20 Monaten Zivildienstzeit - das haben Sie mit der CDU j a auch gemacht - leben. Die neueste Dokumentation liegt darin, daß Sie einmal erklären, 21 Monate Zivildienstzeit reichten aus, dann von 22 Monaten und dann von 23 Monaten sprachen. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten! Das war wie auf dem Jahrmarkt. ({3}) Und heute stimmt die FDP 24 Monaten zu. So unglaubwürdig und so unmoralisch ist die FDP in dieser entscheidenden Frage. ({4}) Der sogenannte Kompromiß ist also kein Kompromiß. ({5}) Es wird eine Zivildienstzeit von 24 Monaten herauskommen. Aber vielleicht, sagt Herr Bangemann, kämen nur 18 Monate zustande, weil ja die betroffenen Jugendlichen zu dem Zivildienst von 24 Monaten zum 1. Juli 1989 einberufen werden. Bis zum Auslaufen des Gesetzes sind es 18 Monate; 1987 wollen Sie die Zeit j a noch ändern. - Diese Konstruktion ist noch unglaubwürdiger als Ihre vorherigen Aussagen. ({6}) Ein Jugendlicher, der der FDP überhaupt noch etwas glaubt, scheint ein ausgesprochen Dummer zu sein, oder er will die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen und glaubt den Lügen, die Sie verbreiten. ({7}) Was werden wir Sozialdemokraten machen? Wir haben eine Alternative. Frau Süssmuth hatte danach gefragt. ({8}) Wir werden alle Prüfungsverfahren abschaffen. Es kommt zu einer Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden, d. h. zu einer Wehr- und Zivildienstgerechtigkeit. Wir werden die maximale Länge des Zivildienstes aus unserem Vorschlag aus dem Jahre 1982 wiederaufnehmen. ({9}) Wir werden die Aufhebung der beim Verteidigungsministerium liegenden Verantwortung für das Prüfungsverfahren und eine humane Lösung für die Totalverweigerung fordern. Ich sage zum Schluß: Unter einer SPD-Regierung nach 1987 wird es ein neues, dem Gedanken des Grundrechts auf Gewissensfreiheit entsprechendes Gesetz geben. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sauer ({0}).

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gilges, das war die alte Platte, nichts Neues. ({0}) Falsche Argumente werden durch Wiederholung nicht richtig. Ihre Alternative ist in den meisten Punkten verfassungswidrig. ({1}) - Dann gehen Sie diesen Weg! Sie sind diesen Weg schon in der Vergangenheit gegangen. Sie haben uns unterstellt, wir hätten die Neuordnung am Rande der Verfassung gemacht. Aber wir sind in Karlsruhe voll bestätigt worden. Wir haben auch die Empfehlungen aus einem früheren Verfassungsgerichtsurteil befolgt. Ich weiß also nicht, was Sie hier noch vorbringen wollen. Sie machen immer einen großen Fehler: Sie unterscheiden nicht zwischen Gedienten und Ungedienten. Sie haben auf die Fragen des Kollegen Breuer nicht antworten können. Sie haben in Ihren bisherigen Vorschlägen für die Soldaten und die Gedienten ja immer ein Sonderprüfverfahren vorgesehen, das auch wir in unserem Gesetz haben. ({2}) Ich glaube, mit diesen opportunistischen Argumenten werden Sie bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 niemand aus der jungen Generation gewinnen können. ({3}) Wir haben heute zumindest als Regierungsfraktionen eine leichte und angenehme Tätigkeit vor uns; denn die Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes hat sich voll und ganz bewährt. ({4}) Ich darf Ihnen sagen, daß ich jetzt zum ersten- und letztenmal den Begriff Kriegsdienstverweigerung gebraucht habe. Ich werde in Zukunft von Wehrdienstverweigerung sprechen, weil ich den Begriff Kriegsdienstverweigerung für falsch halte. ({5}) - Ich kenne das Grundgesetz. Aber ich meine, unsere Grundgesetzväter haben mit dem Begriff Kriegsdienstverweigerung den wirklichen Kriegsdienst gemeint und nicht den Wehrdienst einer Armee, die unseren Frieden in Freiheit verteidigt. Dies sollte man einmal auch von Ihrer Seite klar zur Kenntnis nehmen. ({6}) - Wenn Sie so schreien, dann weiß man ja, daß Sie Unrecht haben. Dadurch können Sie Ihr Unrecht nicht in Recht umkehren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie denn eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waltemathe?

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Sauer, meinen Sie, daß der Text des Grundgesetzes verfassungswidrig ist? ({0})

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Waltemathe, geben Sie in Ihrer Dialektik, die Sie irgendwo gelernt haben, doch nicht irgend etwas zum Besten. Ich habe doch das nicht behauptet. Ich habe gesagt, ich nehme nicht den Begriff aus der Verfassung, sondern ich bewerte diesen Begriff politisch, und für mich ist das Wehrdienstverweigerung. ({0}) Lassen Sie mich zu den Kritikern gerade aus der SPD sagen: Ich möchte Ihnen den unbefriedigenden Zustand ins Gedächtnis zurückrufen, den wir gerade auf diesem Gebiet als Ihre Hinterlassenschaft 1982 vorgefunden haben. Es gab den Antragsstau, es ist vorher schon von Frau Minister Süssmuth gesagt worden. Über 100 000 Jugendliche waren teilweise über Jahre hinweg im ungewissen, was für den einzelnen, für seine Lebensplanung im privaten wie auch im beruflichen Bereich doch ganz gewaltige Beeinträchtigungen mit sich brachte. Diesen unhaltbaren Zustand haben wir, die Bundesregierung mit den sie tragenden Parteien, in wenigen Wochen nach dem Regierungswechsel beseitigt. Sauer ({1}) Bevor ich zu Einzelfragen Stellung nehme, möchte ich noch einmal grundsätzlich festhalten: Es gibt kein Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst. Der Ersatzdienst bleibt die Ausnahmeregelung, wenn ernsthafte Gewissensgründe vorliegen. Es ist ganz ausdrücklich eine Ausnahmeregelung. ({2}) - Herr Gilges, hören Sie doch zu! Viele Vertreter der Linken, aber leider auch Seelsorger scheinen das vergessen - ({3}) - Seelsorger! Das ist für Sie ein unbekannter Begriff, weil Sie mit dem, was in der Kirche geschieht, ({4}) nichts zu tun haben. ({5}) Diese Seelsorger scheinen das vergessen zu haben und argumentieren nach dem Motto: Wenn der Staat dich schon in die Pflicht nehmen will, dann entscheide dich für die Nächstenliebe und nicht für die Ausbildung im Kriegshandwerk. - Es gibt auch Vertreter von einigen kirchlichen Jugendorganisationen, die sogar noch weitergehen und den Standpunkt vertreten, die Verweigerung des Wehrdienstes und die Ableistung des Zivildienstes sei der christlichen Ethik allein entsprechend und die einzig richtige Handlungsweise. Dies weisen wir mit Entschiedenheit zurück. Dies ist moralischer Hochmut. ({6}) - Ich lasse jetzt keine Fragen mehr zu. ({7}) - Herr Roth, da komme ich nicht draus. ({8}) - Ist ja gut. Wenn diese Gremien oder Personen öffentlich zur Wehrdienstverweigerung aufrufen und junge Leute, die ihre Pflicht als Staatsbürger leisten wollen, diskrimieren oder zumindest moralisch an den Pranger stellen, dann kann der Staat nicht mehr tatenlos zusehen; denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht zunächst einmal die Ableistung des Wehrdienstes vor. ({9}) Es ist einfach eine Realität: Nur eine wehrhafte und zur Verteidigung bereite Demokratie sichert die Freiheit. Diese wehrhafte Demokratie und die Bundeswehr sichert auch die Gewissensfreiheit derjenigen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern wollen, und hilft letztlich zugleich, den Frieden zu bewahren. Unsere Bundeswehr ist und bleibt das entscheidende Instrument für die Politik der Friedenssicherung. ({10}) Die Zustände vor der Neuordnung des Wehrdienstverweigerungsgesetzes haben mit Sicherheit zur Frustration und Staatsverdrossenheit bei jungen Leuten beigetragen. Aber dafür sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD, zur Verantwortung zu ziehen; denn die Tatenlosigkeit angesichts dieser drängenden Probleme in den letzten Jahren Ihrer Regierungstätigkeit war schlicht und ergreifend unverantwortlich. ({11}) Doch es ging nicht nur um klare Verhältnisse und rasche Entscheidungen, sondern es ging auch um mehr Wehrgerechtigkeit. Die jetzige Regelung gewährleistet: Jeder als tauglich Gemusterte leistet entweder seinen Wehrdienst, oder er wird als Wehrdienstverweigerer rasch, zügig - das ist wichtig - zum Zivildienst eingezogen. Die frühere Praxis „Die einen dienen, die anderen verdienen" konnte nicht mehr länger akzeptiert werden. ({12}) Was ist damit gemeint? Wer bereit war, zur Bundeswehr zu gehen, wurde mit Sicherheit in die Pflicht genommen. Wer als Wehrdienstverweigerer anerkannt war, bekam vielleicht irgendwann einmal einen entsprechenden Zivildienstplatz. Der Grund lag darin - ({13}) Der Grund lag darin: Im Gegensatz zu heute hatten wir einfach nicht genügend Zivildienstplätze. ({14}) - Herr Lambinus, regen Sie sich doch nicht so auf! ({15}) Mit anderen Worten, die alte Regelung förderte das Drückebergertum. Wer ganz besonders schlau war, der stellte seinen Antrag, begann sein Studium. Durch die lange Bearbeitungszeit war man dann im Studium so weit fortgeschritten, daß man schon aus rechtlichen Gründen nicht mehr zum Abbruch kam. Man war dann sehr schnell über der Altersgrenze hinweg; und dann ist man an dieser Pflicht als Staatsbürger vorbeigekommen. ({16}) Die Mühlen der Bürokratie mahlten also so lange und so langsam, bis die Pflicht letztlich entfiel. Schuld an dieser Entwicklung war jedoch nicht die Sauer ({17}) Verwaltung, die Bürokratie, sondern die SPD, die durch ihr Unvermögen ({18}) und ihre Untätigkeit die Verwaltung in diese mißliche Lage gebracht hatte. ({19}) Meine Damen und Herren, die Verlängerung des Zivildienstes müßte mit Ausnahme der GRÜNEN, bei den demokratischen Parteien in diesem Haus ({20}) ernsthaft kein strittiger Punkt sein. Die SPD hatte j a auch eine Verlängerung des Zivildienstes auf 19 Monate vorgeschlagen. Die Soldaten wurden schon immer und werden in Zukunft noch verstärkt zu Wehrübungen herangezogen. Für die Zivildienstleistenden aber ist der Dienst für den Staat nach Ablauf des Ersatzdienstes endgültig beendet. ({21}) Dies bedeutete neben den Einschränkungen, die Streitkräfte eben fordern müssen, aber noch eine längere Dienstzeit. Wer also seine Pflicht bei der Bundeswehr erfüllte, wurde vom Staat auch noch bestraft. Das war für uns ein unerträglicher Zustand. Der junge Bürger kann erwarten, vom Staat gerecht behandelt zu werden. ({22}) Durch die Verlängerung des Zivildienstes ist aber auch die Zahl der Anträge auf Wehrdienstverweigerung im Vergleich zum Jahre 1982 im Jahre 1985 um 10 % zurückgegangen, während sie in den Jahren vorher ständig gestiegen war. ({23}) Das muß man wohl auch zur Kenntnis nehmen. Da ich so viele Zwischenrufe hatte und darauf antworten mußte, ({24}) bin ich leider am Ende meiner Redezeit. ({25}) - Ich habe Zwischenfragen zugelassen. ({26}) Ich darf Ihnen nur noch kurz sagen; nach zwei Jahren Erfahrung mit der Neuordnung kann festgestellt werden: Die unzumutbar langen Wartezeiten sind beseitigt. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer liegt jetzt bei ca. vier Wochen. Der Vorwurf der SPD, die Neuordnung habe die Gewissensprüfung de facto nicht abgeschafft, ({27}) kann mit Zahlen widerlegt werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen.

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Den letzten Satz bitte, Herr Präsident. ({0}) Vom Bundesamt für Zivildienst wurden bis jetzt ganze 37 Anträge wegen Zweifels an der Glaubwürdigkeit des Antragstellers an die Prüfungsausschüsse abgegeben. Damit haben sich die von der SPD vorgetragenen Befürchtungen in Luft aufgelöst. Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu. Herzlichen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wie eben möchte ich an den Beginn meiner Ausführungen die Frage, was eigentlich die Betroffenen denken, und die Antwort darauf stellen. Der Deutsche Bundesjugendring, die Interessenvertretung der jungen Menschen in der Bundesrepublik, hat auf seiner letzten Hauptversammlung beschlossen - ich zitiere -: Im Interesse junger Menschen fordert der DBJR die Bundesregierung auf, das bis zum 30. Juni 1986 gültige Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz nicht in dieser Form weiterzuführen, sondern eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die die Unverletzlichkeit des Gewissens garantiert ... Es geht dann noch weiter; es werden ein paar Punkte genannt, die ich hier jetzt nicht zitieren will. Dem entspricht von den heutigen Vorlagen am ehesten unser Antrag. In den Mittelpunkt dieses Antrages haben wir die Forderungen gestellt, daß erstens in der Tat das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer, und zwar sowohl das Schnellprüfungsverfahren des Bundesamtes als auch das Prüfungsverfahren vor den Ausschüssen und Kammern, ersatzlos entfällt und durch ein Feststellungsverfahren ersetzt wird und daß zweitens die nach unserer Ansicht nach wie vor verfassungswidrige und abschreckende Dauer des Ersatzdienstes, die gegenüber der des Grundwehrdienstes verlängert ist, zurückgenommen wird. Frau Minister Süssmuth, Sie haben nach Ablauf Ihrer Schonfrist von 100 Tagen bei diesem Vorhaben die Gelegenheit, zu beweisen, was Ihnen die Gewissensfreiheit des Grundgesetzes und damit dessen Art. 4 wirklich wert ist. Sie müssen daran beweisen, ob das liberale, das christlich-kämpferische Image, das von Ihnen verbreitet wird, der Realität entspricht. Schließen Sie sich Ihrem Herrn Amtsvorgänger an, der j a bekanntlich zum Doktor der Rechte mit der These promovierte - ich muß das jetzt sehr verkürzen -, das Grundrecht auf Gewissensfreiheit nach Art. 4 mit dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung sei höherrangig als die allgemeine Wehrpflicht; oder aber tragen Sie dazu bei, daß das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch Verlängerung des Ersatzdienstes sowie durch ein in sehr vielen Fällen fortbestehendes inquisitorisches Prüfungsverfahren weiterhin einem schleichenden Aushöhlungsprozeß unterworfen wird? Das ist hier die Frage. ({0}) Wir haben allen Anlaß, diese Frage nach Ihrer Position und Ihrem Image zu stellen, Frau Süssmuth, weil Sie über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz noch innerhalb Ihrer Schonfrist und auch hier heute schlicht die Unwahrheit verbreitet haben. Sie haben vor dem Bundesrat am 29. November gesagt, dieses KDVNG habe sich voll bewährt, sie haben das in einer Presseerklärung am 4. Dezember wiederholt. Heute haben Sie wörtlich gesagt, es habe sich uneingeschränkt bewährt. Ich glaube, Sie selbst wissen sehr genau, daß das nicht stimmt. Wir halten diese Behauptungen für eine Verdrehung der Tatsachen; nehmen Sie sie bitte zurück! ({1}) Wir müssen Ihnen recht geben: Das Bundesverfassungsgericht hat in der Tat am 24. April 1985 dieses KDVNG bestätigt. Das ist für uns eine klare politische Niederlage; das sage ich hier ganz deutlich. Nur, wir halten mit der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, der zahlreiche gesellschaftliche Organisationen angehören, denen das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung noch etwas wert ist, dieses Urteil zusammengefaßt für einen Staatsstreich der Justiz, und daß das Bundesverfassungsgericht dazu fähig ist, hat es erst vorgestern wieder bewiesen. ({2}) Die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer hat auch zu Ihrem 60 Manuskript-Seiten umfassenden Bericht einen Alternativbericht „Erfahrungen mit dem Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz" vorgelegt. Wir haben bereits vor einem Jahr eine Dokumentation unter dem Titel „Heiner Geißlers Märchenstunde" vorgelegt, ({3}) in der wir detailliert nachgewiesen haben - was auf den 136 Seiten des erwähnten Berichts ebenfalls getan worden ist -, daß Ihre Behauptung, dieses Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz habe sich uneingeschränkt bewährt, nicht stimmt. Ich hebe die wichtigsten Punkte einfach noch einmal hervor. Das Prüfungsverfahren ist eben nicht abgeschafft. Zu den Zahlen, Kollege Gilges: 1984 waren es 27 500 Schnellprüfungsverfahren vor dem Bundesamt. Die neuesten Zahlen für das ganze Jahr 1985 habe ich leider noch nicht; doch für die erste Hälfte 1985 können wir entsprechende Zahlen bestätigen. Dagegen waren es 56 000 Verfahren vor den Ausschüssen und Kammern und vor den Verwaltungsgerichten. Da können Sie doch nicht behaupten, das Prüfungsverfahren sei abgeschafft. Es galt mehrheitlich nach wie vor auch im Jahr 1985 die alte Inquisition. Das ist ein Skandal. ({4}) Zur Verlängerung des Zivildienstes: Die eigentümliche Logik, die das Bundesverfassungsgericht am 24. April 1985 nachvollzogen hat, lautet - kurz zusammengefaßt -: 15 gleich 20. Das widerspricht doch schon dem gesunden Menschenverstand. Das können doch insbesondere junge Bürger ({5}) weder dem Ministerium noch dem Bundesverfassungsgericht abnehmen. Und wir machen auch darauf aufmerksam: Viele, viele junge Leute müssen heute beides durchlaufen, sowohl das inquisitorische Prüfungsverfahren als auch den verlängerten Zivildienst. Es sind ja tolle Sachen vorgekommen, wo das Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsgerichten nahegelegt hat, Antragstellern zu raten, ihren Antrag zurückzuziehen. Das haben sie getan mit dem Ergebnis: Zweitantragsteller müssen sowohl durchs Verfahren als auch 20 Monate Zivildienst leisten. ({6}) - Schlimm! Sehr genau! Danke schön, Herr Ganz! Das ist ein schlimmer Zustand, daß Leute sowohl durchs Verfahren als auch 20 Monate Zivildienst leisten müssen. ({7}) Was die Bundeswehrverwaltung angeht: Da hat das Bundesverwaltungsgericht am 18. Juli 1984 ein Urteil gesprochen. Die Bundeswehrverwaltung hat daraufhin gesagt „April, April!" und den angeblich weisungsunabhängigen Kammern und Ausschüssen empfohlen, damit sehr lax umzugehen, so daß Richter aus dem Bundesverwaltungsgericht in der Öffentlichkeit immer wieder anmahnen mußten, daß ihr Beschluß endlich beachtet werde. Was sind denn das für Zustände! Die Rolle der FDP wäre gesondert zu behandeln. Aber Herr Gilges ist freundlicherweise schon darauf eingegangen. Was die Zivildienstverlängerung angeht: Sie haben j a Ihren Libero, die „Jungen Liberalen", die jetzt in die Bresche springen und ständig Dinge verkünden, die in der Praxis nicht eingehalten werden können. Wir halten das, was die FDP dort bezogen hat, für eine unwürdige Position. Sie haben auf Ihrem Parteitag beschlossen, daß Sie die Automatik nicht anerkennen und jetzt sind Sie wieder einmal umgefallen. Jeder Mensch, besonders jeder junge Bürger und jede junge Bürgerin, sollte endlich wissen, was er davon zuhalten hat. ({8}) Vielleicht noch einen Gesichtspunkt, bevor ich zur Konsequenz komme: Sie dürfen sich nicht wundern, daß jetzt viele junge Leute daran denken, den Zivildienst abzubrechen, daß es junge Leute gegeben hat, die nach 15 Monaten und ein paar Tagen den Zivildienst abbrechen, und daß die Zahl der Totalverweigerer steigt. Das ist doch nicht die Agitation der GRÜNEN, sondern das ist Ihre Politik, die manche junge Menschen da hineintreibt. ({9}) - Das ist so, Herr Berger! ({10}) Deswegen ist unsere Konsequenz: Dieses Parlament möge doch einmal feststellen, daß der grundgesetzlich ermöglichten allgemeinen Wehrpflicht kein höherer Rang zukommen möge, als dem Grundrecht der Gewissensfreiheit; seit Herr Geißler Berufspolitiker ist, steht er ja leider nicht mehr zu dieser Auffassung. Aus diesem Grund propagieren wir die vollständige Abschaffung des Verfahrens für Kriegsdienstverweigerer und die Ersetzung durch ein Feststellungsverfahren und sind der Meinung, daß die Dauer des Grundwehrdienstes und die des Zivildienstes, wie es in Art. 12a des Grundgesetzes heißt, gleichgestellt werden muß. Das steht in unserem Antrag, und dazu bitten wir um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Schierholz, Sie haben im Zusammenhang mit einem Verfassungsorgan den Ausdruck „Staatsstreich der Justiz" benutzt. Ich weise dies in aller Form und mit aller Deutlichkeit zurück und erteile Ihnen hierfür einen Ordnungsruf. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zuruf des Kollegen Schierholz, er habe lediglich zitiert, macht mich doch etwas betroffen. Man versteckt sich dahinter, daß man sagt, ich habe nur zitiert, und trägt die moralische Verantwortung für einen Ausspruch nicht mehr. Das ist die Moral der GRÜNEN. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben hier ein Gesetz zur Beratung, das sehr kurz ist. ({1}) Es soll nur ein Datum geändert werden. Ich will deshalb versuchen, obwohl das nach den Vorrednern sehr schwierig ist, mit einer kurzen Begründung auszukommen. Ersparen Sie mir bitte auch allgemeine Darlegungen zum Zivildienst und zur Wehrgerechtigkeit. Die Zahlen über die Entwicklung der Bevölkerung, der Zivildienstleistenden und der dafür zur Verfügung stehenden Plätze wurden ausgiebig kommentiert. Mein Kollege Schierholz hat hier eine Lösung vorgetragen, die im Grunde genommen wieder auf eine Postkartenlösung zurückkommt. ({2}) Nun, Herr Kollege Schierholz, es wurde hier schon mehrmals gesagt, daß wir mit einer Postkartenlösung hätten leben können. ({3}) Nur, das Verfassungsgericht hat diese Lösung für verfassungswidrig erklärt. ({4}) Obwohl uns das nicht gefällt, stehen wir dazu. ({5}) Das aber, was Sie als verfassungswidrig bezeichnen, hat das Verfassungsgericht ausdrücklich als verfassungsgemäß bezeichnet. Ich habe den Endruck, daß sich die GRÜNEN heute wieder einmal über das Verfassungsgericht, über die Verfassung gestellt haben. Herr Schierholz kommt gleich nach dem lieben Gott. ({6}) Ich frage mich manchmal: Warum brauchen die GRÜNEN überhaupt noch eine liberale Demokratie, wenn sie alles besser wissen, wenn sie glauben, sich an Mehrheitsbeschlüsse nicht halten zu müssen? ({7}) Auch heute haben sich die GRÜNEN wieder als Maß aller Dinge aufgespielt. Meine Damen und Herren, wenn heute überhaupt eine Novellierung und damit eine Beratung nötig wird, dann deswegen, weil wir das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz 1983 zeitlich bis zum 30. Juni dieses Jahres begrenzt und uns damit selbst die Aufgabe gestellt hatten, dieses Gesetz nach angemessener Zeit zu überprüfen, ob es Eimer ({8}) auch die gestellten Anforderungen erfüllt. Das war damals eine kluge Entscheidung, weil wir uns damit selbst gezwungen haben, ein Gesetz auf Bewährung zu prüfen. Es ist schon mehrmals gesagt worden - heute und an anderen Tagen -, daß sich dieses Gesetz besser bewährt hat, als selbst Zweifler das damals gedacht hatten: Der Antragstau ist reduziert, es wird überwiegend nach Aktenlage entschieden. Die zeitliche Begrenzung könnte also eigentlich wegfallen. Vor dieser Beratung stand aber die Verlängerung des Wehrdienstes zur Debatte. Sie wird leider nötig aus Gründen, die schon angeführt worden sind. Dies hat aber auch Auswirkungen auf den Zivildienst. Wird der Wehrdienst von 15 Monaten um drei Monate auf 18 Monate verlängert, so verlängert sich auch der Zivildienst wegen der Drittellösung von 20 Monaten um vier Monate auf 24 Monate. Das heißt, statt fünf Monate wird der Zivildienst sechs Monate länger sein als der Wehrdienst. Nun wurde behauptet, dieser eine Monat, nämlich sechs statt fünf Monate, mache das Kraut nicht fett; eine Auseinandersetzung um einen Monat lohne sich nicht. Für Liberale war aber schon die Verlängerung des Zivildienstes um fünf Monate 1983 die äußerste Grenze. Auch das Gegenargument der kräftigen Ausweitung der Wehrübungen überzeugt uns zur Zeit noch nicht. ({9}) Dies alles macht es uns unmöglich, die Begrenzung des Gesetzes ersatzlos wegfallen zu lassen und es unbegrenzt weitergelten zu lassen. Die heute gültige Verlängerung ist also unserer Meinung nach schon ein tragendes Indiz für die Gewissensentscheidung. Der Kompromiß, der Ihnen heute vorliegt, verlängert das Gesetz bis Ende 1990. Da der Wehrdienst bereits 18 Monate vorher auf 18 Monate verlängert wird, werden bis zum Ablauf des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes genau 18 Monate vergangen sein. Das bedeutet, daß bis zu diesem Zeitpunkt keiner der Zivildienstleistenden länger als 18 Monate dient und damit auch keinen Tag länger als Soldaten der Bundeswehr. ({10}) - Herr Kollege Gilges, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie feststellen müssen, daß damit der Automatismus der Drittellösung überhaupt nicht mehr zum Tragen kommt, weil vorher das Gesetz ungültig wird. ({11}) Das heißt also, im Gegensatz zu den Behauptungen der Opposition - von Herrn Gilges und von Herrn Schierholz - sind wir dem treu geblieben, was wir gesagt haben: ({12}) Die Verlängerung um ein Drittel findet nicht statt. Nachdem die Opposition keine vernünftigen Argumente hat, versucht man immer wieder, darauf herumzureiten. Man nimmt die Fristen, die Daten des Gesetzes überhaupt nicht zur Kenntnis. Nachdem Sie keine besseren Argumente haben, schnitzen Sie sich Ihren Gegner, Ihren Watschenmann, um besser auf ihm herumdreschen zu können. Mit den Fakten hat dies überhaupt nichts zu tun. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Eimer, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gilges zuzulassen?

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, nein, ich habe zuwenig Zeit, auf Zwischenfragen einzugehen. Wenn ich noch Restzeit habe, werde ich das sagen. ({0}) Ich kann die Krokodilstränen der Opposition, vor allem der SPD, überhaupt nicht verstehen, besonders dann nicht, wenn ich mich an den Versuch der Schaffung eines derartigen Gesetzes zu Zeiten der sozialliberalen Koalition zurückerinnere. Einmal wurde ein Gesetz abgelehnt; es ist gescheitert. Es ist aber nicht gescheitert, weil wir nicht mitgestimmt haben, sondern weil Kollegen von Ihnen dem Gesetz nicht zugestimmt haben. ({1}) Ich kann Ihre Erregung auch deshalb nicht verstehen, weil damals aus dem SPD-geführten Ministerium 21 Monate Zivildienst gefordert wurden. Ihr Kollege Buschfort war derjenige, der dies gefordert hat. Das, was uns angekreidet wird, haben damals maßgebliche Vertreter der SPD vorbereitet. ({2}) - Sie wissen ganz genau, daß wir mit den 19 Monaten hätten leben können. Aber lesen Sie doch einmal die Protokolle nach, an wem es bisher gescheitert ist. Sie können die Wahrheit hier nicht verdrehen. Es ist in den Protokollen des Bundestages dokumentiert. ({3}) Das Gerede vom Umfallen ist wieder nichts anderes als ein Ablenken von den Fakten, von den Peinlichkeiten der SPD auf diesem Gebiet. ({4}) Die angekündigte Verzögerungstaktik der SPD, wäre sie erfolgreich, wäre eine Katastrophe gerade für diejenigen, die die SPD angeblich schützen will. ({5}) Wir haben mit der vorliegenden Regelung Zeit bis 1990, um bezüglich der Bewährung des Gesetzes weitere Erfahrungen zu sammeln. Wir können vor allem prüfen, ob und wo es Schwachpunkte gibt, die sich vielleicht noch herausstellen könnten. Uns wird natürlich auch die Zahl der Verweigerer, die Zahl der Plätze, vor allem aber auch die tat14202 Eimer ({6}) sächliche Entwicklung der Dauer der Wehrübungen interessieren. Für uns Liberale aber ist am wichtigsten: Wir können unsere Vorstellungen bei künftigen Koalitionsverhandlungen für die nächste Legislaturperiode einbringen. Heute haben wir kaum Chancen, unseren Vorstellungen näherzukommen. Wir wollen aber die Zeit nutzen. Verbesserungen scheinen uns möglich. Wie gesagt: Sie sind für die Koalitionsverhandlungen in der nächsten Legislaturperiode angekündigt. Es gibt, meine Kollegen, eine Reihe von Wünschen verschiedener Stellen, so z. B. von der Synode der Evangelischen Kirche, vor allem zur Frage der Restdienstleistung von Reservisten. Bezüglich einer höheren Zahl von Zivildienstplätzen im Bereich des Umweltschutzes gibt es aus unseren eigenen Reihen Wünsche. Der Ausschuß hat bereits für den 29. Januar eine Anhörung vorgesehen. Das zeigt, wie zügig wir beraten wollen. Das zeigt aber auch, daß wir Zeit gewinnen wollen für die Auswertung dieser Anhörung und für die weiteren Beratungen selbst. Wenn auch bei dieser Änderung nicht alles nach unseren Vorstellungen optimiert werden kann, so haben wir uns doch, wenn die Verabschiedung wie vorgesehen erfolgt, nicht aus der Verantwortung entlassen. Das Thema bleibt offen auf dem Tisch. Wir haben Zeit, die sich abzeichnenden Erfahrungen in Ruhe auszuwerten. Das, was kurzfristig nötig ist, kann unserer Meinung nach kurzfristig verabschiedet werden. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lambinus.

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hochverehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Eimer, nach Ihrer Rede frage ich mich: Gibt es überhaupt etwas, womit die FDP nicht leben kann? ({0}) Eine zweite Frage, die ich mir stelle, ist: Gedächtnis scheint bei der FDP, insbesondere bei Ihnen, Glücksache zu sein. ({1}) Wenn ich an Ihre Reden in der sozialliberalen Koalition zu diesem Problem denke und sie mit Ihrer Rede heute vergleiche, dann muß ich tatsächlich sagen: Gedächtnis ist bei Ihnen Glücksache. ({2}) Die Mütter und Väter unseres Grundgeseztes haben sich nach dem Krieg aus gutem Grund für das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung entschieden. ({3}) Sie hatten noch die millionenfache Vergewaltigung des Gewissens durch die Nazi-Herrschaft unmittelbar vor Augen. Diese Grundsatzentscheidung für das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung haben große Teile von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, innerlich nie richtig akzeptiert. Wie ein roter Faden zieht sich das Bemühen der Union durch die Geschichte dieses Grundrechts, ein Ausnahmerecht daraus zu machen. ({4}) - Ist es nicht. ({5}) So bedurfte es des engagierten Einsatzes von Adolf Arndt, bei der Verabschiedung der Wehrverfassung den Satz aufzunehmen, daß der Zivildienst nicht länger als der Wehrdienst dauern darf. Anlaß dazu waren schon damals Bestrebungen der Union, durch einen längeren Zivildienst von der Inanspruchnahme des Grundrechtes abzuschrecken. Die Druckerschwärze dieses Gesetzblattes war noch nicht ganz trocken, da begannen schon die Versuche, diese Verfassungsänderung zu unterlaufen. ({6}) Ich darf nur an die Gesetzesregelung Ende der 50er Jahre erinnern, nach der der Zivildienst ohne Rücksicht auf die tatsächliche Dauer der Wehrübungen so lange dauern solle, wie Grundwehrdienst und die zulässige Wehrdienstdauer zusammen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich halte mich an das, was die Kollegen vor mir auch getan haben: keine Zwischenfragen zuzulassen. ({0}) - Das interessiert mich nicht. Weder Herr Sauer noch Herr Eimer haben Zwischenfragen zugelassen. ({1}) Diese Bestimmung hat die Regierung Adenauer Ende der 50er Jahre erst unter dem Eindruck einer von Adolf Arndt initiierten Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. Damals hatte die Bundesregierung berechtigte Angst, daß ein den anerkannten juristischen Interpretationsregeln verpflichtetes Verfassungsgericht ihr eine Niederlage bescheren würde. Die Beispiele, daß die Union das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nur widerwillig akzeptiert, ließen sich beliebig fortsetzen. ({2}) Auch Ihr heutiger Vorschlag, das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz unverändert zu verlängern, steht in dieser unseligen Tradition. Ich will das an zwei Beispielen erläutern. Da ist zunächst die Drittel-Automatik. Sie hat zur Konsequenz, daß der Zivildienst ohne Rücksicht auf die tatsächliche Dauer der Wehrübungen immer ein Drittel länger ist als der Grundwehrdienst. Bei der von Ihnen ab 1. Juli 1989 vorgesehenen Grundwehrdienstdauer von 18 Monaten heißt das, daß der Zivildienst 24 Monate dauern wird. Wenn angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge eine weitere Verlängerung des Grundwehrdienstes erforderlich sein sollte, würde die Schere zwischen der tatsächlichen Dauer des Wehrdienstes und der Dauer des Zivildienstes noch weiter auseinanderklaffen; denn jede Verlängerung des Grundwehrdienstes vermindert notwendigerweise den Zwang, durch eine Verlängerung der tatsächlichen Wehrdienstdauer die Präsenzstärke der Bundeswehr zu halten. Das wird von den Betroffenen zu Recht als schreiendes Unrecht empfunden. Nun ist uns sehr wohl bewußt, daß das Bundesverfassungsgericht die Drittel-Automatik verfassungsrechtlich für zulässig gehalten hat. Inwieweit das mit einer sauberen juristischen Argumentation vereinbar ist und inwieweit sich das Bundesverfassungsgericht hier zum Ersatzgesetzgeber aufgeschwungen hat, will ich nicht näher erörtern. ({3}) Die Sondervoten der beiden in der Minderheit gebliebenen Verfassungsrichter haben das Nötige und, wie ich meine, auch das Richtige dazu gesagt. Selbst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Regelung für verfassungsrechtlich zulässig erklärt, heißt das noch nicht unbedingt, daß sie politisch zweckmäßig oder geboten oder gar richtig ist. ({4}) Der Gesetzgeber muß Entscheidungsspielräume, die ihm das Grundgesetz und das Gericht zusprechen, verantwortungsbewußt nutzen. ({5}) Man darf sie nicht bis an die Grenze des verfassungsrechtlich gerade noch Zulässigen strapazieren oder gar als Blankoscheck mißbrauchen. Mit der Verlängerung der Drittel-Automatik über den 1. Juli 1989 hinaus haben Sie diese Grenze nach unserer Meinung überschritten. Nicht die Effektivierung eines Grundrechtes ist Ihr Ziel. Ihre Devise heißt nach wie vor Abschreckung. ({6}) Das ist ein weiteres Beispiel für die Kaltschnäuzigkeit, mit der Sie über die gravierenden Probleme hinweggehen, die das Anerkennungsverfahren vor den Ausschüssen und Kammern mit sich bringt. Hier findet weiterhin die inquisitorische Gewissensprüfung statt. Etwa 15% aller Antragsteller sind ihr von vornherein ohne die Chance unterworfen, im vereinfachten schriftlichen Bundesamtsverfahren anerkannt zu werden, und das trotz derzeitigem 20monatigem Zivildienst. Für Sie besteht dieses Problem nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. In Ihrem offiziellen Erfahrungsbericht haben Sie dieses Problem totgeschwiegen. Aber es kommt noch toller. Sie waren nicht einmal in der Lage, Teile unserer Großen Anfrage zu beantworten. Welch wunderbare Fügung: Die Verwaltung hatte vor Abschluß des Erprobungszeitraumes des Gesetzes das entsprechende Zahlenmaterial vernichtet. Deutlicher kann man seine Kaltschnäuzigkeit kaum demonstrieren. ({7}) Aber auch die Zahlen, die Sie offenlegen mußten, sprechen Bände. Die Gewissensprüfung ist weiterhin ein Lotteriespiel. Mit einem halbwegs willkürfreien und berechenbaren Verfahren, wie das in einem Rechtsstaat üblich sein sollte, hat dies alles nichts zu tun. Ich will nur ein Zahlenbeispiel von vielen nennen. Die Ausschüsse des Kreiswehrersatzamtes mit der höchsten Anerkennungsquote kamen in 80% der Fälle zu einer anerkennenden und nur in 9,1 % der Fälle zu einer ablehnenden Entscheidung. Das Kreiswehrersatzamt mit der niedrigsten Anerkennungsquote kam dagegen nur in 29% der Fälle zu einer anerkennenden, in 57 % der Fälle dagegen zu einer ablehnenden Entscheidung. ({8}) Diese krassen Unterschiede kennzeichnen die rechtsstaatliche Fragwürdigkeit des Verfahrens. ({9}) Eine gesetzliche Regelung, gleich im Losverfahren zu entscheiden, wäre vermutlich rationaler und berechenbarer. ({10}) Noch eines sollte man nicht vergessen. Für diese Mißstände sind nicht die Mitglieder der Ausschüsse oder die Richter der Verwaltungsgerichte verantwortlich. ({11}) - Ach, lassen Sie doch die dummen Zwischenrufe. Was Ihnen nicht paßt, ist Sozialismus. ({12}) Die Mitglieder der Ausschüsse und die Richter der Verwaltungsgerichte geben überwiegend ihr Bestes, obwohl Unmögliches von ihnen verlangt wird, nämlich ein Gewissen zu prüfen. Auch sie haben ein Gewissen. Sie werden durch diese Aufgabe teilweise in Gewissensnöte gestürzt und von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, im Stich gelassen. Sehr geehrte Frau Ministerin, bei allen Auseinandersetzungen in der Sache, die wir mit Ihnen bisher zu führen hatten und sicherlich auch in Zukunft führen müssen, haben Sie sich bisher sehr wohltuend von Ihrem Vorgänger unterschieden. Sie haben wenigstens argumentiert und nicht diffamiert. Ich appelliere an Sie: Lösen Sie sich auch im Bereich des Kriegsdienstverweigerungsrechtes aus dem dunklen Schatten Ihres Vorgängers und schließen Sie vor der Realität nicht die Augen! ({13}) Sorgen Sie dafür, daß nicht eine große Zahl junger Menschen an unserem Staat verzweifelt! Unsere Hilfe ist Ihnen dabei gewiß. Das Thema ist zu wichtig, um es zum Gegenstand kleinlicher parteipolitischer Rechthabereien zu machen. Recht herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, nachdem doch versucht worden ist, hier einige Verwirrung zu stiften, kurze grundsätzliche Bemerkungen. ({0}) Der Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung und das Recht, den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, scheinen auf den ersten Blick in einem unauflösbaren Spannungszusammenhang zu stehen. ({1}) Auf den ersten Blick läßt sich durchaus ein Kontra von Landesverteidigung bzw. allgemeiner Wehrpflicht gegen Gewissensfreiheit konstruieren. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei aber nicht um ein Gegeneinander. Wir leben in der wohl freiheitlichsten Ordnung der Welt. Der Schutz der persönlichen Gewissensentscheidung, auch der Kriegsdienstverweigerung, hat Verfassungsrang. ({2}) Ausdrücklich geschützt ist in Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gewissensentscheidung derjenigen, die den Dienst mit Waffen bei den Streitkräften aus ernsthaften Gründen nicht tun können. ({3}) Nun schützt andererseits, Herr Kollege Lambinus, aber gerade die Bundeswehr durch ihre Verteidigungsbereitschaft diese freiheitliche Ordnung. ({4}) Durch die Bundeswehr wird die Inanspruchnahme der Grundrechte, auch des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, überhaupt erst ermöglicht. ({5}) Landesverteidigung und Gewissensfreiheit, meine Damen und Herren, stehen also nicht gegeneinander, sondern bedingen einander. ({6}) Mit der militärischen Landesverteidigung sichern wir das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Das ist offenbar bei vielen sowohl in der SPD-Fraktion als auch bei den GRÜNEN - und dort ohnehin - in Vergessenheit geraten. Daraus folgt, daß jede mißbräuchliche Inanspruchnahme des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung aus anderen Gründen als denen des Gewissens ausgeschlossen werden muß. Andererseits muß - auch das will ich sehr deutlich sagen, Herr Kollege Lambinus - jede ernsthafte Gewissensentscheidung in Schutz genommen werden. ({7}) Mit der Neuregelung der Wehrdienstverweigerung hat die Koalition bei einem gewichtigen staatlichen Problem, aber auch bei einem wichtigen Problem junger Menschen Abhilfe geschaffen. Im Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" des 9. Deutschen Bundestages - ich habe ihr selbst angehört - wurde ganz bewußt die damals, im Jahr 1982, oft diskutierte Staatsverdrossenheit junger Menschen in Verbindung mit dem ungeregelten Zustand bei der Kriegsdienstverweigerung gebracht. Ich stelle fest, daß sich die Reform des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen voll bewährt hat und sowohl das staatliche als auch das jugendpolitische Problem heute gelöst ist, meine Damen und Herren. ({8}) Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ich kann mich des ernsthaften Eindrucks nicht erwehren, daß gerade Sie prinzipiell der gleichen Meinung sind; denn wenn ich Ihre Argumentation seit 1982 schrittweise verfolge, dann war es zunächst die Dauer des Zivildienstes, die Sie umtrieb, dann war es danach nicht mehr die Dauer, sondern die Frage, wie das Verfahren für Soldaten und Gediente aussieht. Militärisch gesehen ist das, was Sie machen, nichts anderes als hinhaltender Kampf mit riesigen Raumverlusten. Sie stehen im Prinzip mit dem Rücken zur Wand, wenn Sie heute so stark darauf abheben, daß nach wie vor - so wurde es hier ausgeführt, zuletzt gerade vom Kollegen Lambinus - eine inquisitorische Gewissensprüfung alltäglich sei. ({9}) Gesetzt den Fall, es wäre tatsächlich so, könnte das nur für Gediente und Soldaten zutreffen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, einen Moment. In keinem Gesetzentwurf Ihrer Partei, weder im Postkartengesetz von 1976/77 noch im Gesetzentwurf von 1980, der wegen 17 linker Kollegen in Ihrer Fraktion hier im Plenum scheiterte, ({0}) noch im Gesetzentwurf Ihrer Fraktion von 1982 ist für Gediente und Soldaten ein anderes Verfahren als das jetzt praktizierte vorgesehen. ({1}) Die Position, die Sie hier heute übernehmen, ist eine Position von heute, bezogen auf Ihre Fraktion; sie bricht aber mit allen Positionen, die Sie in der Vergangenheit übernommen haben. ({2}) Ich will Ihnen sehr gern abnehmen, daß dies heute Ihre ernsthafte und glaubwürdige Position ist. Nur müssen Sie dann deutlich sagen: Sie bricht mit allem, was Sie früher gemacht haben. Jetzt die Zwischenfrage, Herr Kollege Schierholz.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das ist sehr schön, Sie nehmen mir einige Arbeit ab. Bitte, Herr Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Obwohl ich das, was Sie gerade gesagt haben, Herr Breuer, für falsch halte, weil Sie sehr genau wissen, daß die SPD - das muß ich einfach der Wahrheit halber sagen - immerhin die Ausschüsse aus dem Geschäftsbereich des BMVg raushaben wollte, wie das auch im Minderheitenvotum des Bundesverfassungsgerichts der Fall ist -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte Ihre Frage.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Sie fragen, wie Sie auf Grund der behaupteten Erledigung des staatlichen und jugendpolitischen Problems die Tatsache interpretieren, daß der Deutsche Bundesjugendring bei zwei Enthaltungen einstimmig zu der Position gekommen ist, die ich ganz zu Anfang meiner Rede vorgetragen habe, daß sich dieses Recht nämlich in keiner Weise bewährt habe und geändert werden müsse.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich gehe zunächst davon aus, daß die Beantwortung der Zwischenfrage nicht auf meine allgemeine Redezeit angerechnet wird. ({0}) - Sie werden es nie werden, davon bin ich überzeugt. Sie werden nie eine Möglichkeit haben, hier oben zu sitzen. Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie mit der Gesamtschar auch in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr die Möglichkeit haben, hier zu sitzen. ({1}) Jetzt zur Frage: Herr Kollege Schierholz, Sie haben sicher die einzelnen Argumentationsschritte des Deutschen Bundesjugendringes verfolgt. In der Anhörung zum Gesetz 1982 - ich erinnere mich sehr genau daran - erhob der Deutsche Bundesjugendring den Vorwurf, daß bei 100 % aller Antragsteller eine mündliche Gewissensprüfung stattfinden wird. Heute wissen wir, daß von mittlerweile etwa 80 000 Antragstellern, sogenannten Neufällen, Nichtgediente und keine Soldaten, lediglich 37 in ein mündliches Verfahren hineingekommen sind. ({2}) Wenn dann nach wie vor mit gleichen Argumentationen gearbeitet wird, dann geht dies an der Realität vorbei. Da ich gerade Ihnen eine Frage beantworte, will ich mich mit dem Verband, dem auch Sie angehören, dem DFG/VK, der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner, beschäftigen. ({3}) - Das brauchen Sie nicht. Ein Funktionär des DFG/VK, Jan Brauns, ({4}) - ist das eine Sie? -, schreibt in „Was uns betrifft" vom 4. Dezember 1985 - ich zitiere -: Die Zahlen ratsuchender Kriegsdienstverweigerer gehen zum Teil drastisch zurück. Dann wird weiter beklagt - ich zitiere -: Es kommt nicht mehr zu der Konfrontation mit staatlichen Instanzen, wie es im alten Prüfungsverfahren war; die Politisierung des Kriegsdienstverweigerers durch das Verfahren entfällt. Meine Damen und Herren, dieser Ausspruch belegt eindeutig die Vermutung, die wir über Jahre hinaus gehabt haben, nämlich daß nicht nur die DFG/VK das alte, verwirrende und vielfach hochnotpeinlich wirkende Gesetz, das durch uns verändert worden ist, dazu benutzt haben, gegen den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und gegen die Verfassungsorgane zu hetzen und junge Menschen aufzuwiegeln. ({5}) Sie geben es ja regelrecht zu, bedauernd, daß die Aufgabe, die sie sich ehemals selbst beigemessen haben, nun nicht mehr erfüllt werden kann. In denselben Zusammenhang stelle ich Ihre Ausführungen, Herr Kollege Dr. Schierholz. ({6}) Lassen Sie mich noch etwas zur Totalverweigerung sagen, weil der Antrag der GRÜNEN j a gerade in diesen Bereich hineingeht. In einem freien und demokratischen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland ({7}) sind alle Bürger personale Träger der Gemeinschaft. Freiheit und Menschenwürde sind die obersten Rechtsgüter unseres Staates. Diese gilt es für den Bürger und mit dem Bürger nach innen und außen wirksam zu schützen. Rechte sind nur in Verbindung mit Pflichten zu gewährleisten. Sie versuchen, den jungen Mitbürgern zu suggerieren, es bestehe die Möglichkeit, demokratische Rechte und höchste Rechtsgüter wie Menschenwürde und Freiheit ohne das gleichzeitige Abverlangen von Pflichten zu gewährleisten. Dies ist nicht möglich. Lassen Sie mich ein weiteres sagen: Sie hetzen junge Menschen in Gerichtsverfahren hinein, in Bestrafungen hinein, in Haft hinein. ({8}) Sie fordern sie von diesem Platz aus regelrecht dazu auf. Herr Kollege Dr. Schierholz, die Konsequenz tragen die jungen Menschen. Sie wissen ganz genau, daß Ihnen nichts passieren kann. Ich muß sagen: Das ist moralisch nicht vertretbar. ({9}) Meine Damen und Herren, mit dieser neuen Regelung sind aber weitere Versuche gerade seitens der GRÜNEN, mit dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes ein Abwehrrecht gegen die allgemeine Wehrpflicht zu begründen, um die Landesverteidigung der Bundesrepublik Deutschland von innen her auszuhöhlen, ({10}) zum Scheitern verurteilt. Die Entwicklung gerade der letzten beiden Jahre zeigt, daß dieses Unternehmen völlig danebengegangen ist. Meine Damen und Herren, das heißt, daß der Anspruch, den diese Koalition bei der Reform im Dezember 1982 begründet hat, nämlich gerade dieses Gesetz als einen wichtigen Teilschritt auf dem Weg zu einer geistig-moralischen Wende zu sehen, ({11}) tatsächlich erfüllt worden ist. Ich bin davon überzeugt, daß der junge Wehrpflichtige heute seinen Dienst mit anderem Anspruch als 1982 tun kann. Er ist nicht mehr der von Ihnen so oft beschriebene Dummkopf, der sich eigentlich dafür rechtfertigen muß, daß er so dumm ist, sich der Pflicht zu unterziehen. Wenn hier ein Kollege der GRÜNEN, nämlich Herr Kollege Dr. Müller, vorhin in einem Zwischenruf quasi einräumt, er habe sich erfolgreich vor allen Pflichten gedrückt, dann muß ich Ihnen sagen: ({12}) Sie sind weder Fundi noch Realo, Sie sind Opportuno. Sie sind Opportuno, Herr Kollege! ({13}) Schauen Sie sich Ihr Erscheinungsbild an. ({14}) Sie sind der Turnschuhpolitiker im Nadelstreifenanzug, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, daß solche Positionen nicht den Anspruch auf moralische und ethische Qualität begründen können. ({15}) Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Die Fraktion der SPD zeichnet sich heute dadurch aus, daß sie mit allem bricht, was in der Vergangenheit durch sie in Gesetzentwürfen hier vorgeschlagen worden ist. ({16}) Die Fraktion der GRÜNEN zeichnet sich dadurch aus, daß sie die Dreistigkeit besitzt, vom Podium des Deutschen Bundestages aus in der Frage der Kriegsdienstverweigerung erneut verfassungswidrige Begehren zu stellen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die geistig-moralische Wende werde ich noch eingehen, Herr Breuer. ({0}) Ich hoffe, Sie merken, wie hier bei den Ausführungen Theorie und Wirklichkeit auseinanderklaffen. ({1}) - Vermutlich nicht. Bei den Diskussionen insbesondere über die Probleme der Kriegsdienst- und Totalverweigerer werde ich an eine Aussage erinnert, die lautet: „Der Pazifismus geht von extrem unwissenschaftlichen Vorstellungen eines Friedens um jeden Preis aus." - Wenn man die Argumente der Unionsparteien hört und den Umgang mit den Totalverweigerern, die sich in der Regel als Pazifisten verstehen, verfolgt, könnte man meinen, dieses Zitat stamme von Herrn Geißler oder anderen Unionspolitikern. - Dieses Zitat stammt aus einem neueren Jugendlexikon: „Philosophie der DDR". Ich hoffe, die Regierungskoalition sieht auf diesem Gebiet nicht eine quasi gesamtdeutsche Ausgangsposition für eine Annäherung von Standpunkten. ({2}) Wer die Gewissensfreiheit will und die Kriegsdienstverweigerung als zu achtende Alternative ansieht, muß eine Änderung der bisherigen Praxis der Behandlung von Kriegsdienstverweigerung, das Abkoppeln der Zuständigkeit des Verteidigungsministers für Kriegsdienstverweigerer und die Abschaffung der Doppelbestrafung für Totalverweigerer oder Pazifisten und eine echte Alternative des Zivildienstes als Friedensdienst suchen. Wie wir wissen, meine Damen und Herren, verweigert eine immer größere Zahl von jungen Wehrpflichtigen nicht nur den Wehrdienst mit der Waffe, sondern auch den bisher als Ersatz geltenden Zivildienst. Wir Sozialdemokraten haben wiederholt auf die Probleme der Totalverweigerer hingewiesen. Der vorgesehene § 15 a des Zivildienstgesetzes ist auch nur eine Scheinalternative und wohl nur Augenwischerei, wenn es heißt - ich zitiere -: Anerkannte Kriegsdienstverweigerer, die aus Gewissensgründen gehindert sind, Zivildienst zu leisten, werden zum Zivildienst vorläufig nicht herangezogen, wenn sie erklären, daß sie ein Arbeitsverhältnis mit üblicher Arbeitszeit in einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen begründen wollen, oder wenn sie in einem solchen Arbeitsverhältnis tätig sind. Diese Möglichkeit soll nur vorübergehend gegeben sein. Zudem weiß jeder, daß derjenige, der nach seiner Ausbildung als Schlosser oder Dreher den Zivildienst aus Gewissensgründen nicht leisten kann, wohl kaum eine geeignete Stelle erhält, weil gerade im Kranken-, Pflege- und Sozialdienst zuwenig Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Wir fürchten: Die bisherige Praxis, daß für vier Monate verweigerten Zivildienst junge Menschen zu 16 Monaten Freiheitsentzug verurteilt werden, wird fortgesetzt. Ich denke dabei ebenso wie Sie vorhin, Herr Schierholz, an den Ausgang des Verfahrens des Nürnberger Totalverweigerers Christoph Bausenwein. ({3}) - Wegen der Eingebundenheit des Zivildienstes in das militärische Gesamtkonzept, Herr Breuer, verweigerte Herr Bausenwein die Ableistung der restlichen vier Monate Zivildienst. ({4}) - Ich komme noch darauf. Am Wochenende trat er seine dafür verhängte insgesamt 16 Monate dauernde Freiheitsstrafe an. ({5}) - Da sagen Sie: Sehr gut! ({6}) Unser Grundgesetz, meine Damen und Herren von der Regierung, verbietet die Doppelbestrafung. Was ist denn diese Art der Bestrafung anderes? ({7}) Ich meine, es sollte uns alle nachdenklich stimmen, wenn ein anderer Totalverweigerer, der zu zwölf Monaten Haft verurteilt wurde, in einem Brief schreibt - ich zitiere -: Persönlich geht es mir ganz ordentlich, aber ich bin doch froh, wenn ich bald in den Knast komme, um diese Sache endlich hinter mich zu bringen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Sielaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, in diesem Zusammenhang nicht. Wenn der Beauftragte für den Zivildienst am Sonntag im Fernsehen erklärt, er habe wenig Verständnis für Doppelverweigerer, und wenn Herr Sauer hier heute vorhin nur von Wehrdienstverweigerern und nicht von Kriegsdienstverweigerern sprechen will, dann zeigt es, wie nahe die Bundesregierung - ich möchte vermuten: ungewollt - der kommunistischen Bewertung von Pazifisten steht. ({0}) Frau Süssmuth, Sie müssen sich, glaube ich, offensichtlich mehr mit Ihren eigenen Fraktionsmitgliedern auseinandersetzen als mit uns von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. ({1}) Unverständlich und ungerecht ist auch die Behandlung von Soldaten, die vor ihrer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer Gehorsamsverweigerung begangen haben und auch nach ihrer Anerkennung im Verfahren vom Gericht verurteilt und noch inhaftiert werden können. Wer hier nicht die Abschreckungsabsicht vor Kriegsdienstverweigerung sehen will, ist in der Tat, wie ich meine, auf beiden Augen blind. Unerklärlich ist ebenfalls, wenn das Verteidigungsministerium nicht bereit ist, den Kirchen die, wie ich meine, dringend notwendige Fortbildung der Beisitzer in den KDV-Ausschüssen zu ermöglichen, und der Staatssekretär Ermisch in einem Brief vom 30. September 1985 meint, „dadurch wäre die laienhafte Unbefangenheit bei der Entscheidungsfindung gefährdet". Welch eigenartiges Denken versteckt sich hinter so einer Argumentation!

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Sielaff, haben Sie noch die Absicht, Herrn Abgeordneten Breuer eine Zwischenfrage zu gestatten?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine Chance, Herr Breuer.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die evangelischen Kirchen lehnen - wie ich meine, mit Recht - die Zuständigkeit der Bundeswehrverwaltung bei den mündlichen Verhandlungen ab. Der Beauftragte für Kriegsdienstverweigerer in der Synode der EKD stellte fest, daß das neue Zivildienstgesetz das Wesen des Zivildienstes in Abhängigkeit vom Wehrdienst verstärkt. Im Ratsbericht der Synode der EKD heißt es: Besondere Aufmerksamkeit erfordern die gesetzlichen Regelungen für den Spannungs- und Verteidigungsfall. Denn hier wird - wie auch das Bundesverfassungsgericht betont - der Kernbereich des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung betroffen. Wir halten die jetzige Regelung für nicht ausreichend. Sie kann das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung im entscheidenden Moment aller Voraussicht nach nicht gewährleisten. Eine Einberufung in am Krieg aktiv beteiligte Einheiten würde, auch wenn die Betroffenen keinen Waffendienst zu leisten hätten, sicher zu schweren Gewissenskonflikten führen. Damit schließt sich die evangelische Kirche der Forderung des Bundesjugendrings von 1982 an. Wir haben - Herr Breuer, damit komme ich auf Ihre Frage - diese Forderung auch in unseren Gesetzentwurf von 1982 aufgenommen. ({0}) Die Möglichkeit des angemessenen Dienstes außerhalb der Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums darf nicht nur wie in einigen Fällen bei den Zeugen Jehovas gelten. ({1}) Ich möchte einen weiteren Punkt kurz ansprechen. Durch die Novellierung des Zivildienstgesetzes wollte die Bundesregierung - wie sie betont - den Zivildienst insgesamt belastender machen. Diesem Ziel sollte offensichtlich auch die Beseitigung der, wie die Bundesregierung meint, nicht ausreichend belastenden Zivildienstplätzen dienen. Schon heute gibt es doppelt so viele nur eingeschränkt taugliche Zivildienstleistende, wie Plätze für diesen Personenkreis zur Verfügung stehen. ({2}) Etwa 10 % der Zivildienstleistenden kommen nach Meinung von Fachleuten nicht für Pflegedienste und schwere körperliche Tätigkeiten in Frage. Der generelle Wegfall der Zivildienstplätze im Verwaltungsbereich ist deshalb unverständlich und kurzsichtig. Die Bundesregierung scheint in ihrem Eifer, den Zivildienst für die Kriegsdienstverweigerer zu erschweren, diesen Tatbestand einfach zu ignorieren. Bei den Wohlfahrtsverbänden und Kirchen ist man auch darüber besorgt - ich möchte das als letztes ansprechen -, daß auf seiten der Bundesregierung offensichtlich eine Unvereinbarkeit der Ableistung des Zivildienstes bei gleichzeitiger Mitgliedschaft bei demselben Träger erwogen wird. Danach könnte zum Beispiel ein Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes keinen Zivildienst beim Roten Kreuz leisten. Wir Sozialdemokraten raten der Koalition und der zuständigen Ministerin dringend ab, solchen Gedankengängen zu folgen und womöglich die Mitgliedschaft in einem Wohlfahrtsverband, in einer Kirche oder die ehrenamtliche Mitarbeit als Hinderungsgrund zu nehmen, in einer Einrichtung dieser Organisation den Zivildienst leisten zu dürfen. ({3}) Alles in allem, meine Damen und Herren, ist zu sagen, daß der Regierungsbericht zum KDVNG die Schwierigkeiten, die nach wie vor bestehen, leugnet oder verschweigt. Die meisten Antworten auf die Große Anfrage der SPD sind ungenau oder sogar irreführend. Die Bundesregierung nimmt die Gewissensnöte vieler Kriegsdienst- und Totalverweigerer nicht ernst. Sie würdigt das soziale Engagement dieser jungen Leute nicht genügend. Die einseitige Sympathie der Regierung ist offenkundig. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Schierholz das Wort.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Behauptungen, die der Abgeordnete Breuer hier über meine und unsere Position aufgestellt hat, möchte ich zu zwei Punkten noch einmal kurz Stellung nehmen. Erstens. Sie haben hier behauptet, Herr Breuer, daß ich und wir junge Leute zur totalen Kriegsdienstverweigerung aufhetzten. Das ist schlicht falsch. Für uns, für mich steht das Grundrecht der Gewissensfreiheit im Mittelpunkt. Es müssen alle jungen Leute primär zunächst ihr eigenes Gewissen prüfen. Es ist das Resultat Ihrer Politik, ({0}) wenn junge Leute dann daraus den Schluß ziehen, jegliche Wehrpflicht nicht ableisten zu wollen. Das ist der Sachverhalt. Wir respektieren als oberstes die Gewissensentscheidung; ({1}) denn die steht im Grundgesetz an vorderster Stelle vor den Verpflichtungen, die der Staat den jungen Leuten auferlegt. Zweitens. Sie haben mich als Mitglied der DFG/ VK angesprochen. In der Tat, das bin ich. Die richtigen Angaben dazu stehen im Handbuch des Deutschen Bundestages, nicht in dem, was das Bundesamt für Verfassungsschutz und große Boulevardzeitungen darüber verbreiten. Nur die Position der DFG/VK haben Sie völlig falsch dargestellt. Meine Position ist dort völlig identisch mit der -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, eine Richtigstellung ist erfolgt. Damit ist die Möglichkeit, nach § 30 eine persönliche Erklärung abzugeben, erschöpft. ({0})

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich den Satz noch zu Ende sagen: Meine Position, die dort identisch ist, ist, daß dieses Prüfungsverfahren, das wir hier kritisiert haben, ersatzlos entfallen muß! Das möchte ich zur Richtigstellung gegen Ihre Unterstellungen sagen! ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die könnte ich Ihnen auch nicht zulassen. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Zu den Tagesordnungspunkten 3 a, 3 c und 3 d schlägt der Ältestenrat vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 10/4489, 10/4294 und 10/3936 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall. Damit sind die Überweisungen, wie vorgetragen, beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 auf: Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Gesetzentwurf zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in der Zeit von 1933 bis 1945 - Drucksache 10/4040 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bestandsaufnahme, Bericht und Prüfung von verbesserten Leistungen an Opfer nationalsozialistischer Verfolgung von 1933 bis 1945 - Drucksache 10/4638 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Beratung des Antrags der Abgeordneten Schily, Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Entschädigung für Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit - Drucksache 10/4640 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 4 und der Zusatzpunkte 2 und 3 75 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Herr Abgeordneter Fellner, Sie haben das Wort.

Hermann Fellner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich in der vergangenen Woche zur Frage der Entschädigungsleistungen für ehemalige jüdische Zwangsarbeiter geäußert. Ich bedaure diese Äußerungen, nehme sie uneingeschränkt zurück und entschuldige mich bei den Betroffenen. ({0}) Mir ist jede antijüdische Haltung fremd. Ich wollte eigentlich meine Sorge zum Ausdruck bringen, daß durch die Verknüpfung berechtigter Entschädigungsforderungen mit dem Zeitpunkt der Veräußerung des Unternehmens falsche Eindrücke entstehen könnten. Ich bin betroffen darüber, daß meine Äußerungen offenbar genau das Gegenteil dessen bewirkt haben, was ich mit meiner Bemerkung bezwecken wollte. Deshalb bitte ich um Entschuldigung. Danke. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Bedauern stelle ich fest, daß auf der rechten Seite des Hauses, bei der Koalition, bei einem so wichtigen Thema nur sehr wenige Kollegen ihr Erscheinen als notwendig angesehen haben. ({0}) Es ist eine Schande für die Bundesrepublik Deutschland und für uns alle, daß mehr als 40 Jahre nach dem Ende des Mordens und der Verfolgung in Deutschland noch Menschen, die verfolgt wurden und gelitten haben, in materiell schwierigen und häufig unwürdigen Verhältnissen leben müssen. Im Sommer vergangenen Jahres sprach mich vor meiner Abgeordnetenwohnung eine Frau an und bat mich, sie während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung wohnen zu lassen. Diese jüdische Frau leidet an einer schlimmen Krankheit und muß sich alle paar Wochen in Bonn behandeln lassen. Sie ist im KZ gewesen. Sie hat heute nicht das notwendige Geld, um während ihres Aufenthalts in Bonn die Übernachtung bezahlen zu können. Das ist unwürdig, mehr noch für uns als für diese Frau selbst. ({1}) Ich habe mich geschämt. In solch schwieriger Situation sind auch viele andere aus anderen Gruppen von Verfolgten. Den Sinti und Roma wurde jede Zahlung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zunächst verweigert, weil ihnen nach Meinung des Bundesgerichtshofes „wie primitiven Unmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen" sein soll; das war ein wörtliches Zitat. Auch Homosexuellen, Berbern, sogenannten Asozialen, psychisch Kranken, Behinderten, Euthanasiegeschädigten, denen von den deutschen Nazis das Lebensrecht abgesprochen worden war, wurden Entschädigungszahlungen verweigert. Und es wer14210 den immer neue Gruppen bekannt, so gestern abend durch einen Beitrag in der Fernsehsendung „Kennzeichen D", in dem auf die Zwangssterilisierten, die auch nichts bekommen haben, hingewiesen wurde. „Politische" wie die Kommunisten wurden im Zeichen des Kalten Krieges ausdrücklich von allen Leistungen nach dem BEG ausgeschlossen und damit noch einmal bestraft, nachdem sie für ihre Überzeugung - für uns alle - im KZ gelitten hatten. Viele von den aufgezählten Gruppen leben häufig unwürdig und von Sozialhilfe. Deshalb haben wir im Sommer vergangenen Jahres mit vielen ehemals Verfolgten gesprochen und haben uns entschlossen, diese Gesetzesinitiative zur Regelung einer angemessenen Versorgung in den Bundestag einzubringen. Wir schlagen nicht mehr und nicht weniger vor, als all den Menschen, die von den Nazis - von den deutschen Nazis - verfolgt wurden, durch Zahlung einer Geldrente ein materiell gesichertes Leben zu garantieren, unabhängig von ihrem früheren Lebensstandard, unabhängig von Beruf oder Vermögen, das sie früher gehabt haben. Allen ehemals verfolgten Bedürftigen soll eine materiell gesicherte Existenz gewährleistet werden. Es ist unerträglich, daß viele von diesen Menschen von Sozialhilfe leben müssen. Mit den Verfolgten sind wir der Meinung, daß eine Wiedergutmachung der Leiden nicht möglich ist. Schon die Bezeichnung „Gutmachung" ist eigentlich eine Zumutung für die Opfer. Außer dieser Rentenzahlung, die wir vorschlagen, fordern wir für alle Verfolgten kostenlose Krankenbehandlung, Kur und Urlaub sowie, wenn sie es wollen, die kleinen Vergünstigungen, die sonst häufig Ehrenbürgern in unserem Lande gewährt werden. Für uns alle sollte es eine Ehre sein, wenn ehemals Verfolgte solche Möglichkeiten von uns annähmen. ({2}) So sehr wir es begrüßen, daß auch die SPD die Verfolgten und gerade die oft vergessenen Opfer wie die Zwangssterilisierten und die Euthanasiegeschädigten jetzt einbeziehen will, so wenig kann ich verstehen, warum Sie nicht einfach unsere Initiative unterstützen, sondern statt dessen immer wieder Berichte von der Bundesregierung verlangen. Die kosten viel Zeit, in der nichts geschieht. Ich bitte Sie: Sehen Sie sich unseren Vorschlag noch mal an, prüfen ihn genau und versuchen Sie, ihn zu unterstützen. Es ist eine Initiative; es ist kein fertiges Gesetz. Er ist mit vielen Betroffenen abgestimmt. Ähnliches wurde von Sozialdemokraten in diesem Hause gleich nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland gefordert. Der zweite Teil unserer Gesetzesinitiative fordert eine angemessene Entschädigung für die Sklavenarbeiter und die Zwangsarbeiter, die in der deutschen Industrie ohne Lohn geschuftet haben. Alle großen deutschen Firmen hatten bis 1945 solche Sklavenarbeiter, zum Teil Zehntausende. Insgesamt waren viele Millionen so beschäftigt. Die Firmen haben Umsatz und Profit durch die Ausbeutung dieser Arbeitskräfte verzigfacht. Es waren gerade die Firmen, auf die wir alle jetzt so gern hinweisen, wenn wir vom deutschen Wirtschaftswunder reden: Krupp, Volkswagen, Blohm & Voss, BMW. Seit vorgestern wissen wir aus der Sendung des Fernsehens, wie auch Flick und die Deutsche Bank an den Sklavenarbeitern verdient haben. Nach dem Krieg haben Entschädigung nur ganz wenige bezahlt, und auch sie nur geringe Beträge im Vergleich mit den Hunderten von Milliarden, die auf Kosten des Leben und der Gesundheit der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verdient wurden. Erhielten Zwangsarbeiter manchmal wenige Reichsmark oder wenige Pfennige als Lohn für sechs Zwölf-Stunden-Schichten in der Woche, so wurde an die Millionen Sklavenarbeiter aus den Konzentrationslagern überhaupt nicht bezahlt. Die Kaufgelder für diese Menschen kassierten die SS, die Aufseher und die Henker. Gerade diese Verfolgten müssen endlich eine angemessene Geldentschädigung bekommen. Nicht von ungefähr ist gerade im Zusammenhang mit solchen konkreten materiellen Forderungen für die KZ-Opfer der verdeckte, aber nach wie vor real existierende Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland wieder sichtbar geworden. Was an vielen Stammtischen zum Teil in Witzen verbreitet wird, hat leider auch der Abgeordnete Fellner laut gesagt. Die vielen entsetzlichen Briefe, von denen Herr Galinsky berichtet, beweisen das. Ich bin der Auffassung: Die Entschuldigung des Kollegen Fellner hier im Deutschen Bundestag war richtig und war gut. Aber ich meine: im Interesse seines eigenen Ansehens und des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland sollte der Abgeordnete Fellner sein Mandat zurückgeben. Wir in unserer Fraktion sind nach langer Diskussion der Auffassung, daß den ehemaligen Zwangsarbeitern und Sklavenarbeitern der Gegenwert für die geleistete Arbeit von den Firmen der deutschen Industrie gezahlt werden sollte, und zwar von jenen, die den Nutzen von der Arbeit gehabt haben. Das erscheint uns gerecht und angemessen. Ich halte das auch für eine moralische Pflicht. Damit diese Menschen aber nicht noch lang auf das Geld warten müssen, schlagen wir eine gesetzliche Regelung vor, wonach der Staat zunächst in Vorlage tritt und an diese Menschen zahlt. Die Firmen, die sich bereichert haben, sollen dann das vorgeschossene Geld in die Fonds zurückzahlen. So brauchen die früheren Zwangsarbeiter auch nicht die unwürdige Prozedur des Feilschens über Jahre mit Firmenvertretern wie Herrn von Brauchitsch über sich ergehen zu lassen. Aus der Diskussion der letzten Wochen haben wir zusätzlich gelernt. Wir sind Robert Kempner für die Anregung dankbar, die wir gern übernehmen und die wir zum Gegenstand eines Ergänzungsantrags gemacht haben, den ehemaligen Zwangsarbeitern auch eine Nachversicherung zukommen zu lassen. Wir übernehmen diese Anregung in unsere Gesetzesinitiative. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie - in anderem Zusammenhang würde ich Sie hier in diesem Hause nie um etwas bitten, aber heute hierzu tue ich es -: Unterstützen Sie unsere Anträge! Die Zeit drängt. Es gibt nur noch ganz wenige Überlebende der Verfolgung und der Zwangsarbeit. Lassen Sie uns rasch handeln - in anderen Fällen hat der Bundestag bewiesen, daß Gesetze auch ganz schnell gemacht werden können, in zwei Monaten z. B. -: im Interesse unserer eigenen Würde und im Interesse der Gerechtigkeit. Wir, unsere Fraktion, sind in den Ausschüssen zu allen Kompromissen bereit, wenn sie nur dem Interesse der Verfolgten dienen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit ihren Anträgen erweckt die Fraktion DIE GRÜNEN den Eindruck, bisher sei nichts oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maße unternommen worden, ({0}) und die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in den Jahren 1933 bis 1945 angemessen zu entschädigen. ({1}) Dem ist aber nicht so. Die deutsche Öffentlichkeit hat bereits unmittelbar nach Kriegsende ihre moralische Verpflichtung zu einer Wiedergutmachung gegenüber den von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Verfolgten anerkannt. Die zunächst in den Ländern getroffenen gesetzlichen Regelungen wurden nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland durch die Ihnen bekannten Gesetze ergänzt: das sogenannte Bundesergänzungsgesetz für die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 1. Oktober 1953, auf das das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 29. Juni 1956 folgte, das Bundesentschädigungsschlußgesetz vom 14. September 1965 und das Bundesrückerstattungsgesetz. Sämtliche im ursprünglichen Antrag der GRÜNEN aufgeführten Personengruppen werden von diesen Gesetzen erfaßt. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz werden Personen entschädigt, die aus politischen, rassischen, religiösen Gründen oder wegen ihrer weltanschaulichen Ansichten verfolgt worden sind und durch diese Verfolgungsmaßnahmen Schaden an Leben, Körper oder Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten haben. Für Personen, denen aus anderen Gründen Schaden an Leben, Körper oder Gesundheit rechtswidrig zugefügt worden ist, gilt das allgemeine Kriegsfolgengesetz. Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen unter der NS-Gewaltherrschaft Zwangsarbeit in einem Konzentrationslager oder sonst unter haftähnlichen Bedingungen bei deutschen Unternehmen oder sonstigen Stellen leisten mußten, haben nach dem Bundesentschädigungsgesetz Haftentschädigung erhalten. Für die durch die Zwangsarbeit selbst erlittenen Schäden an Gesundheit und ihrer beruflichen Existenz erhalten sie zum Teil Entschädigung in Form von Renten, Kapitalentschädigung oder Heilverfahren. Darüber hinausgehende Forderungen aus Zwangsarbeit, also wegen des entgangenen Arbeitsentgelts, sind unseres Erachtens der Zuständigkeit des deutschen Gesetzgebers entzogen. Sie machen sich die Sache zu leicht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie heute, 30 Jahre nach Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes, behaupten, dieses Gesetz von 1956 sei ein grundsätzlich falscher Ansatz für die Entschädigungsregelung gewesen. ({2}) Von allen denkbaren Möglichkeiten ist für mich die gefundene Lösung die wohl beste. Es kann doch nicht die Rede davon sein, daß, wie Sie in Ihrer schriftlichen Begründung ausführen, jedes noch so gutgemeinte Geldangebot, das die Leiden aufwiegen soll, die Leiden der Opfer bagatellisiert. Sicherlich läßt sich das unermeßliche Leid, das den Verfolgten von den nationalsozialistischen Machthabern zugefügt wurde, mit einer finanziellen Entschädigung nicht ungeschehen machen und auch nicht ausgleichen. Aber wäre es dann etwa besser gewesen, wenn wir untätig geblieben wären? Auch wenn durch unsere Gesetze nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, so hat sich unsere Wiedergutmachungsgesetzgebung bewährt. Das wird auch vom Ausland anerkannt. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, darf ich Ihre Geste so verstehen, daß Sie keine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily zulassen wollen?

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, so ist es.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immerhin hat die Bundesrepublik Deutschland bisher ca. 75 Milliarden DM zugunsten der Verfolgten gezahlt. Mit den noch zu erbringenden Leistungen wird der Gesamtaufwand für die Wiedergutmachung ca. 91 Milliarden DM betragen. In diesem Betrag sind auch die gegenüber dem Staat Israel in dem Abkommen vom 10. September 1952 übernommenen Verpflichtungen enthalten. Es war das große Verdienst von Bundeskanzler Konrad Adenauer, die Wiedergutmachung auf den Weg und vorangebracht zu haben. Die Unionsparteien sind dem von Konrad Adenauer vorgezeichneten Kurs bis zum heutigen Tage treu geblieben. Wir waren stets um gute Beziehungen zum Staat Israel bemüht und haben jede Form von Antisemitismus bekämpft. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, wenn heute gegen die Union oder eines ihrer Mitglieder der Vorwurf des Antisemitismus erhoben wird. Mein Kollege Hermann Fellner hat eingangs dieser Debatte vor diesem Hause eine Erklärung abgegeben, die jeden Zweifel an seiner Haltung ausräumt. Er hat ausdrücklich bedauert, daß seine Äußerungen mißverständlich waren. Um diese Mißverständnisse aus der Welt zu räumen, hat er seine Äußerungen zurückgezogen und hat sich dafür entschuldigt. Ich bin unserem Kollegen für diese Klarstellung dankbar und möchte seine Erklärung zum Anlaß nehmen, um folgendes festzustellen, Hermann Fellner ist kein Antisemit. In der CSU-Landesgruppe, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in der CSU und in der CDU gibt es nicht den leisesten Hauch von antisemitischen Tendenzen. ({0}) Wir legen den größten Wert auf ein gutes Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgern. Sie können sich in der Bundesrepublik Deutschland sicher und geborgen fühlen. Wir drücken dies nicht nur durch Worte aus, sondern wir haben dies in der Vergangenheit durch Taten bewiesen. ({1}) Mit der heutigen Erklärung des Kollegen Fellner sollten dieser Vorfall und dieser Vorgang erledigt sein. Auch Sie sollten es respektieren, daß Kollege Fellner seine Außerung zurückzog. Sie sollten jetzt nicht nachträglich versuchen, zu deuteln oder vielleicht sogar im übertragenen Sinne nachzutreten. ({2}) Wenn wegen jeder Äußerung außerhalb dieses Parlaments Mandate niedergelegt werden müßten, dann wären Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Dauerrotierer. ({3}) Dann müßten Sie sich nicht nur alle zwei Jahre diesem mühsamen Prozeß unterziehen. ({4}) Ich erwarte von Ihnen in einer ähnlichen Situation auch einmal eine vergleichbare Entschuldigung. Bisher haben wir darauf vergeblich gewartet. ({5}) Das sollten sich diejenigen ins Stammbuch schreiben, die nachher vielleicht versuchen, die Äußerungen Fellners für ihre politischen Zwecke auszuschlachten. Dann müßte man allerdings den Verdacht haben, es ginge ihnen nicht um den zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern mehr darum, möglicherweise ein Süppchen parteipolitischer Art für längere Dauer zu kochen ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wende mich zunächst an Herrn Abgeordneten Fellner. Ich fühle mich - das möchte ich für mich sagen; ich glaube, das ist auch der Eindruck vieler meiner Kollegen - erleichtert nach dem, was Sie sagten, Herr Fellner. Es ist für dieses Haus, für die Menschen draußen, die uns kritisch beobachten, wichtig, daß Sie eingesehen haben, etwas gesagt zu haben, was insbesondere für ein Mitglied des Deutschen Bundestages, aber eigentlich auch für jeden anderen, unvertretbar ist. Das, was Sie gesagt haben, kommt spät. Aber es kam nun wenigstens am richtigen Ort. Die Lektüre der schlimmen Briefe, die Heinz Galinski in Berlin bekam, von denen Sie aber, Herr Fellner, sicher auch ähnliche bekommen haben, zeigt, was mit antisemitischen Äußerungen angerichtet werden kann. Und so haben Ihre Äußerungen gewirkt. Meine Damen und Herren, ich möchte ein Zitat an den Anfang meiner Rede setzen: Im Namen des deutschen Volkes sind unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Auf diesem Gebiet sind erste Schritte getan. Sehr vieles bleibt aber noch zu tun. Das erklärte der damalige Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer von dieser Stelle am 27. September 1951. Er schloß - wie das Protokoll vermerkt, unter lebhaftem Beifall des ganzen Hauses außer bei der KPD und der äußersten Rechten - seine Rede mit dem Bekenntnis: Die Bundesregierung ist tief davon durchdrungen, daß der Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar werden muß. Diesem Geist mit aller Kraft zu dienen betrachtet die Bundesregierung als die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes. Soweit das Zitat. Ich füge hinzu: So sollte es auch heute noch sein. ({0}) Das gilt für die grundlegende Gesinnung, die hinter diesen Ausführungen stand und um deren rechtliche und politische Umsetzung sich Männer wie Franz Böhm, wie Heinrich von Brentano, Josef Mick und Adolf Arndt, Alex Möller und Martin Hirsch und andere verdient gemacht haben. Das gilt aber auch für die angefügte Erkenntnis, daß auch heute noch manches auf diesem Gebiet zu tun bleibt. Bei der Diskussion um Entschädigungsleistungen für die Sklavenarbeiter in deutschen Rüstungsfabriken während des Krieges, zu denen sowohl jüdische Mitbürger als auch ausländische Zivilpersonen, Kriegsgefangene, Roma und Sinti gehörten, entstand der Eindruck, als sei bei manchem in unserem Land dieses moralische Bewußtsein abhanden gekommen, als sei vergessen worden, daß wir an den Opfern des Nationalsozialismus wiedergutzumachen haben, was überhaupt wiedergutgemacht werden kann. Eine Wiedergutmachung im eigentlichen Sinne des Wortes konnte es ohnehin nicht geben und wird es auch nicht geben können; ({1}) denn Massenvernichtung, Morde, Verstümmelungen, seelische Grausamkeiten und Ängste - und was es an Greueltaten unvorstellbaren Ausmaßes noch gegeben hat - können nicht mit Geld ausgeglichen werden. Darum sollten die Entschädigungsgesetzgebung und die Vereinbarungen mit anderen Staaten über pauschale Leistungen das begangene Unrecht so gut, wie das mit materiellen Mitteln überhaupt möglich ist, ausgleichen. Damit konnte auch kein Loskaufen von Schuld, die auf unserem Volk lastet, gemeint sein oder das Einhandeln eines entlasteten Gewissens. Nichts, aber auch gar nichts berechtigt uns daher heute, die Moral für uns zu bemühen oder gar Ansprüchen von Opfern zu entgegnen, sie seien moralisch nicht begründet, wie es in diesen Tagen leider geschehen ist. Wer so argumentiert, hat den Sinn der Wiedergutmachung und ihre moralische Kategorie nicht erfaßt. Wer so denkt, gibt zu erkennen, daß er auch das Wesen des Nationalsozialismus und die unter ihm begangenen Verbrechen in ihrer historischen Einmaligkeit nicht begriffen und für sein Verhalten nicht verarbeitet hat. ({2}) Heinz Galinski hat wegen seiner - notwendigen - Stellungnahme zu den nicht hinnehmbaren, eindeutig antisemitisch wirkenden Äußerungen des Abgeordneten Fellner viele schlimme Briefe bekommen, aus denen Haß und Antisemitismus in seiner reinsten Form sprechen. Sie zeigen in bedrückender Weise, daß Antisemitismus bei uns nach wie vor latent vorhanden ist, daß er nicht nur ein Bazillus ist, mit dem einige rechtsradikale Randgruppen infiziert sind. Solche Ansichten und Verhaltensweisen werden geweckt und melden sich sofort zu Wort, meist feige anonym, wenn so etwas geschieht, wie wir es in diesen Tagen miterleben mußten. Wenn es wirklich so sein sollte, daß man mit Äußerungen dieser Art in unserem Lande wieder Stimmen für eine Partei gewinnen kann oder gar glaubt, es darauf anlegen zu sollen, dann, meine Damen und Herren, haben wir alle unsere Aufgabe, die doch wohl politische Bildung einschließt, nicht ausreichend erfüllt. Wir alle müssen antisemitischen Äußerungen mit Entschlossenheit entgegentreten. Ein Abwiegeln oder gar beschönigende Äußerungen, die nur die Wortwahl kritisieren, wo sofortige Distanzierung und Aufforderung zur Rücknahme geboten sind, schaden unserer Gesellschaft und schädigen auch das Ansehen unseres Staates. ({3}) Eigentlich wollte ich an dieser Stelle den Bundeskanzler direkt ansprechen. Er ist nicht hier. ({4}) - Er kann nicht hier sein. - Es wird ihm nicht entgangen und nicht verborgen geblieben sein, daß wir das, was er zu den Fellner-Äußerungen erst auf Fragen hin sagte, als zu dünn und unzureichend angesehen haben. ({5}) Ich muß noch einmal ein Zitat bemühen: Wer ... vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird ... anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Dies hat Bundespräsident von Weizsäcker in seiner Rede zum 8. Mai 1945 für uns alle gesagt. ({6}) Wir Sozialdemokraten bekennen uns dazu. An gleicher Stelle hat von Weizsäcker gefordert: Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. So ist es.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde ganz gern hier in diesem Kontext weiterfahren, Herr Schily. Ich komme zu dem, was die Initiative Ihrer Fraktion betrifft, gleich zu sprechen. Vielleicht ist dort eine bessere Gelegenheit für eine Rückfrage. Wir müssen diesen Gedanken, dieses Bekenntnis des Bundespräsidenten tief in unserem Volk verwurzeln. Unsere umfassende Haftung ist auch das Ziel des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN vom 17. Oktober 1985, der uns heute hier vorliegt. Mein Eindruck bei der Lektüre des Textes und auch seiner Begründung war, daß diese Aussage von dem kritischen Blick einer jüngeren Generation geprägt ist, die mehr als ein Vierteljahrhundert nach der grundlegenden Entschädigungsgesetzgebung unseres Landes Inhalt und Ergebnis dieses damaligen Bemühens um materielle Wiedergutmachung aus ihrer Sicht beurteilt und sich dabei mit dem damaligen Ansatz nicht einverstanden erklären will. ({0}) Und dieser Ansatz war, eine möglichst große Einzelfallgerechtigkeit bei Entschädigungsleistungen zu bewirken. Auch mancher aus unseren Reihen, der sich in seiner Parlamentarierlaufbahn immer und immer wieder mit dieser schwierigen Thematik befaßt hat, sieht ein wenig wehmütig darauf, wie in diesem Antrag ein ganz anderer Denkansatz für die Behebung materieller Not niedergeschrieben wird, der sich bewußt abhebt von der mehr oder weniger gerecht feststellbaren Größenordnung des materiell Verlorenen. Mancher von uns erinnert sich an eigene Unzufriedenheit mit der damaligen Gesetzgebung. Aber dem steht entgegen, daß die rechtliche Konstruktion der geltenden Gesetzgebung in mühevoller Arbeit von vielen der Fähigsten und Besten in Ministerien und im Parlament gestaltet worden ist und nicht einfach umgedreht oder beiseite getan werden kann. Dem steht aber auch entgegen, daß wir nicht zweierlei unterschiedliches Recht sich gegenseitig überlappen lassen dürfen mit der Gefahr, daß daraus neue Ungerechtigkeiten erwachsen könnten. Man kann und darf nicht so tun, als wäre bisher überhaupt keine Wiedergutmachung geleistet worden. Das grundlegende Bundesentschädigungsgesetz ist im September 1953 vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden und wurde danach mehrfach in seinen Leistungen verbessert. Mit diesem Gesetz konnte einer Vielzahl von Opfern geholfen werden. Und viele würden es nicht verstehen, wenn hier der Versuch gemacht würde, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Unser Problem liegt woanders. Es ergibt sich aus der Tatsache, daß dieses Parlament 1965 ein Schlußgesetz zum Bundesentschädigungsgesetz verabschiedet hat, nach dem Anträge auf Leistungen nach dem 31. Dezember 1969 nicht mehr gestellt werden können, sich aber andererseits nach diesem abschließenden Stichtag in sehr vielfältiger Weise zeigte, daß in einzelnen Fällen und Bereichen Ungerechtigkeiten auftraten oder ganze Problemgruppen aus dem unglaublich weiten Feld nationalsozialistischer Verfolgung noch gar nicht in Entschädigungsleistungen einbezogen waren. ({1}) Und es gab und gibt eine breite Übereinstimmung darin, daß Stichtagsregelungen immer problematisch sind. Es hat eine gewisse Logik in sich, daraus zu folgern, daß die Aufhebung von Stichtagen und deren Neufestsetzung zu einem späteren Termin eben auch nicht zu voller Gerechtigkeit führen. Insofern wurden in den dann folgenden Jahren, in denen eine sozialliberale Koalition die Regierungsverantwortung trug, andere Wege versucht, um mit neu aufgetretenen Problemen oder Härtefällen fertig zu werden. Ich will Ihnen nur einige Beispiele in Erinnerung rufen, die uns bewegten. Nach dem Bundesentschädigungsschlußgesetz fielen auch die Härtebestimmungen des § 172 weg. Dies hatte zur Folge, daß ein NS-Verfolgter, der aus der DDR zu uns gekommen war und dort vorher eine Verfolgtenrente bezogen hatte, hier weder eine Kapitalentschädigung noch eine Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten konnte. Das gleiche galt und gilt für alle Deutschen, die seit 1970 aus den Staaten Osteuropas in die Bundesrepublik übersiedelten. Die aberwitzigste Konsequenz zeigte sich, wenn z. B. die Witwe eines hohen NS-Funktionärs als Aussiedlerin in die Bundesrepublik kam und Rentenansprüche durchsetzen oder eine Pension beziehen konnte, während ein Aussiedler, der Verfolgter des Hitlerregimes gewesen ist, leer ausgehen mußte. Oder denken Sie an die Zwangssterilisierten, die wegen der rechtlich umstrittenen Beurteilung des sogenannten Erbgesundheitsgesetzes von 1933 nicht in die Entschädigungsregelung einbezogen waren. Auch die Gruppe der Euthanasie-Geschädigten, die doch offensichtlich erkennbare Opfer des Nationalsozialismus gewesen sind, hat keine Entschädigungsregelung erhalten. Gerade nachdem der Herr Bundespräsident auf diese weitere Gruppe von Betroffenen im vergangenen Jahr aufmerksam gemacht hatte, sind hier auch die Homosexuellen zu erwähnen. Die Strafbarkeit dieses Verhaltens einer Menschengruppe wurde erst in den 70er Jahren endlich aus unserem Gesetzbuch gestrichen. Das hieß aber, daß sich ein Homosexueller der Strafverfolgung aussetzte, wenn er vor dem Schlußdatum des Bundesentschädigungsgesetzes wegen einer Verfolgung in der Hitlerzeit einen Antrag auf Entschädigung einreichen wollte. ({2}) 1979 wollte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion deshalb mit einer Stiftung Wiedergutmachung für NS-Verfolgte diejenigen erreichen, denen bisher noch nicht geholfen werden konnte. Unser Kollege Gerhard Jahn hat sich damals bei der Vorbereitung einer entsprechenden Gesetzgebung besonders verdient gemacht. Aber dieses Projekt scheiterte. Der Partner unserer Koalition wollte dies mit Mehrleistungen für die sogenannten 131er verbinden, und die damalige Opposition dachte an Aufstockung bei den Lastenausgleichsleistungen. Immerhin ist es dann gelungen, mit breiter Zustimmung 1980 eine doch recht groß angelegte sogenannte Abschlußgeste zustande zu bringen. Damals wurden 400 Millionen DM aus Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung für jüdische Verfolgte. Im August 1981 folgten dann Richtlinien der Bundesregierung für die Vergabe von Mitteln an Verfolgte nicht-jüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen, für die bis zu 100 Millionen DM bereitgestellt wurden. Meine Damen und Herren, heute wissen wir, daß damit zwar durch Kapitalzahlung im Einzelfall bis zur Höhe von 5 000 DM geholfen werden konnte, aber daß dies problematisch ist, wissen wir auch. Bürokratischen Auslegungen unterliegt es, und es reicht nicht aus, weil immer noch Fälle oder Verfolgtengruppierungen nicht in richtiger oder gleichbehandelter Weise in Entschädigungsleistungen einbezogen sind. ({3}) Dies ist auch bei der großen Debatte des Hauses über die Probleme der Roma und Sinti deutlich geworden. Meine Fraktion hat dazu einen Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung u. a. aufforderten, dem Bundestag Vorschläge zu unterbreiten, in welcher Weise Wiedergutmachungsleistungen tatsächlich den Betroffenen zugute kommen können, ohne andere staatliche Leistungen zu kürzen und damit begangenes Unrecht tatsächlich gemindert wird. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung in absehbarer Zeit dazu Stellung nehmen wird. Schließlich hat uns nun die Diskussion um die Entschädigung der Sklavenarbeiter - „Vernichtung durch Arbeit" als Programmziel - und das uns in diesem Zusammenhang erneut vor Augen geführte Ausmaß ihrer Leiden, besonders aber die entwürdigende Art, wie man auf ihre Ansprüche reagierte, deutlich gemacht: Wir sind noch nicht am Ende dieses Themenfeldes der Entschädigung von Opfern nationalsozialistischen Unrechts. Bevor wir die zeitlich vielleicht letzte gegebene Möglichkeit nutzen, unsere eigene Gesetzgebung zu verbessern, brauchen wir - dahin zielt der sozialdemokratische Antrag - eine umfassende Bestandsaufnahme. ({4}) Wir brauchen einen Bericht über alle Leistungen, die auf Grund der verschiedenen und teilweise von mir genannten gesetzlichen oder anderweitigen Regelungen zur Wiedergutmachung national-sozialistischen Unrechts gewährt worden sind. Dies können wir dann zur Voraussetzung unserer Entscheidungen machen. Nach den Erfahrungen, die wir mit den Richtlinien über den Härtefonds gesammelt haben, ist es wohl erlaubt anzuregen, bei Härtefallregelungen den Gedanken aufzugreifen, der im Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN enthalten ist und darauf abzielt, die Beweispflicht nicht dem Antragsteller zuzumuten, sondern einen Anspruch als begründet anzusehen, wenn der Antragsteller seine Angaben glaubhaft machen kann. ({5}) Bleibt noch das Problem der Entschädigung für das Unrecht der Zwangsarbeit für deutsche Firmen während des Krieges. Der Flick-Fall hat deutlich gemacht, wie unterschiedlich und auch beschämend dieses Problem bisher behandelt wurde. Die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament hat dies in einem Antrag sehr eindrucksvoll dargestellt. Wir meinen, daß die Bundesregierung insofern gefordert ist, als sie etwas tun muß, um die in Frage kommenden Wirtschaftsunternehmen unseres Landes zu Entschädigungsleistungen zu bewegen. Meine Damen und Herren, wir besprechen heute erneut ein bitteres Kapitel miteinander. Lassen Sie uns dafür sorgen, daß die Chance nicht ungenutzt verstreicht und in ruhiger Ausschußarbeit an Hand der heute zu überweisenden Vorlagen konkrete Aufträge an die Regierung erarbeitet werden, die uns allen ein besseres Gefühl geben, unserer Verantwortung gegenüber den Opfern des Hitler-Regimes besser als bisher gerecht zu werden. Um an den Anfang meiner Rede zurückzukehren: Es geht nicht allein um die Bemühung bestmöglicher materieller Wiedergutmachungen. Die geistige Auseinandersetzung mit dem, was die NS-Zeit war und was sie uns hinterlassen, aufgeladen hat, bleibt unsere gewichtige Aufgabe. In diesen Tagen sah ich, daß die Theodor-Heuss-Stiftung die Absicht hat, die Initiative junger Leute aus Dachau, den Förderverein Internationale Jugendbegegnungsstätte Dachau e. V., lobend hervorzuheben. Ich habe mich darüber gefreut. Ich habe die Bemühung dieser Gruppe, die aus Jugendleitern unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Richtung zusammengesetzt ist, im vergangenen Jahr kennengelernt, als ich aus Anlaß des 40. Jahrestages der Befreiung der überlebenden Dachauer Häftlinge dort sprach. Gewiß, mir ist bekannt, daß die gewählten Repräsentanten der Stadt und des Landkreises Bedenken gegen eine immer neue dauerhafte Verbindung des Namens ihrer Stadt mit dem schrecklichen Geschehen im dortigen Konzentrationslager haben. Es ist richtig, daß Dachau nicht nur KZ bedeutet. Wer den Bürgerfleiß dort und das demokratische Leben Dachaus kennengelernt hat und wer die großartigen Bildbände der Dachauer Malerschule gesehen hat, wird dies gern bestätigen. Doch die Aufgabe bleibt. Wir müssen uns mit Entschiedenheit gegen alle diejenigen wenden, die demokratische Freiheiten mißbrauchen, um Haß zu predigen, die den nicht berechtigten Versuch machen, von anderen begangenes Unrecht gegen die unvergleichlichen Schandtaten des Hitlerregimes aufzurechnen oder die die Vergangenheit aus anderen Gründen vertuschen oder verdrängen wollen. Dies und unseren Willen zu Freiheit und Demokratie müssen wir jeder nachwachsenden jungen Generation nüchtern und eindeutig vermitteln. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Fellner hat heute eine Erklärung abgegeben und seine umstrittenen Äußerungen zurückgenommen. Er hat sich dafür vor dem Deutschen Bundestag entschuldigt. Die Äußerungen waren klar und unmißverständlich; das war gut. Das wird von uns anerkannt. Herr Kollege Westphal, auch wir fühlen uns erleichtert. Seine Ausführungen hatten zu Recht nicht nur die tiefe Betroffenheit bei unseren jüdischen Mitbürgern ausgelöst. Sie sind auf Ablehnung gestoßen in unserer Öffentlichkeit und durch die politischen Parteien. Wir alle haben angesichts des schrecklichen Holocaust, des Völkermordes an den Juden, von denen der Bundespräsident hier gesagt hat, daß er beispiellos ist in der Geschichte, eine große Verantwortung, alles, aber auch alles zu unterlassen, was geeignet ist, antisemitische Einstellung zu wekken oder zu bestärken. Es dürfen auch keine Mißverständnisse entstehen oder bestehen bleiben. Welche Geister sich da gerufen fühlten, haben die Zuschriften gezeigt, die die Juden in unserem Lande, aber auch wir selbst und sicher auch der Kollege Fellner bekommen haben. Dem müssen wir entschieden entgegentreten. Die Parteien in diesem Parlament und die ganz überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung waren und sind sich einig in der Bewertung der unseligen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihrer Verbrechen, vor allem der Verbrechen an den Juden. Niemand hat das in der letzten Zeit überzeugender zum Ausdruck gebracht als Bundespräsident von Weizsäcker am 18. Mai letzten Jahres hier von dieser Stelle aus. Aber auch seine Amtsvorgänger aus den anderen Parteien - ich nenne Gustav Heinemann und Walter Scheel - haben es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen, diesen Unterschied zwischen einer freiheitlichen Grundordnung, die wir heute in unserem Lande haben, und der rassistischen Gewaltherrschaft der Nazis, vor allem der jüngeren Generation immer wieder ins Bewußtsein zu bringen und überzeugend vorzuleben. Der Rechtsextremismus ebenso wie der Linksextremismus sind gegenwärtig keine ernsthafte Bedrohung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Dennoch sollten wir uns nicht damit beruhigen, daß es nur wenige in unserem Lande sind, die der Nazi-Ideologie und anderen Extremismen in fanatischer Verbohrtheit anhängen. Wir sollten uns vor allen Dingen dann nicht zufriedengeben, wenn wir sehen, daß es junge Menschen sind, die sich von neonazistischen Ideen und Gruppen angezogen fühlen. Wir müssen uns energisch immer wieder mit den Ursachen einer solchen extremistischen Orientierung junger Leute auseinandersetzen, und zwar offensiv. ({0}) Wir müssen immer wieder aufklären und erinnern, und wir müssen denen, die etwa Gruppengeborgenheit suchen, sagen, daß sie diese auch außerhalb von Wehrsportgruppen und anderen Männerbündnissen finden können und müssen. Es ist mir auch nach wie vor unverständlich, meine Kollegen, daß es in unserem Lande eine Zeitung mit nicht geringer Auflage gibt, in der die Verbrechen des NS-Regimes verharmlost oder gar geleugnet werden. ({1}) Auch wenn der Rechtsextremismus - ich wiederhole das - keine ernsthafte Bedrohung für unsere freiheitliche Ordnung ist, trägt er, was nie übersehen werden sollte, infolge seiner Irrationalität und seiner Unberechenbarkeit, infolge seines Fanatismus und seines Fremdenhasses ein gefährliches Gewaltpotential in sich. Immer wieder gibt es Beispiele dafür, wohin Haß führt. Eines dieser Beispiele haben wir vor kurzer Zeit in dem schrecklichen Mord an einem jungen Türken erlebt. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein toleranter Staat, der bewußt die politische Auseinandersetzung über den Einsatz staatlicher Machtmittel stellt. Wir sind aber auch eine wehrhafte Demokratie. Wir werden uns weiterhin gegenüber all denen energisch wehren, die die freiheitliche Grundordnung gekämpfen. Der Bundespräsident hat gesagt: Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. So ist für mich das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Staate Israel ein besonderes Verhältnis. So habe ich mich gegen die Aufführung des Faßbinder-Stückes ausgesprochen, weil ich bei allem Respekt vor der Freiheit der Kunst die Sorge und die Furcht hatte, daß sich die jüdischen Mitbürger wieder ausgegrenzt fühlen. So haben wir eine besondere Verpflichtung, uns um Minderheiten in unserem Lande zu kümmern und sie zu schützen. Wir müssen alles tun, um Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen. Haß auf Minderheiten in unserem Lande darf nie wieder entstehen. Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung ist durch keinen Zweck gerechtfertigt. ({2}) Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über die angemessene Versorgung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Wir wissen, daß durch eine umfangreiche Gesetzgebung und durch Wiedergutmachungsabkommen, durch das IsraelAbkommen, Entschädigung geleistet wurde, wenn Entschädigung überhaupt etwas wiedergutmachen kann. Auch wir möchten einen Überblick darüber erhalten, welche Leistungen erbracht wurden und was mit diesen Leistungen bewirkt worden ist. Dann werden wir sehen, welche Personengruppen möglicherweise nicht oder nicht ausreichend entschädigt worden sind oder wo Härtefallregelungen nicht funktionieren. Die Forderung der Zwangsarbeiter an die Firma Flick halte ich moralisch natürlich für gerechtfertigt, wenn man mit Geld überhaupt etwas wiedergutmachen kann. Nur frage ich mich: Warum hat das so lange gedauert? Wer über die Lage der Zwangsarbeiter im Dritten Reich nichts weiß, sollte sich orientieren. Er sollte Eugen Kogons Buch „Der SS-Staat" lesen, worin es heißt: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Außenkommandos und Außenlagern waren grauenhaft, die Ernährung elend. Die Leute kamen häufig bis zu vier und sechs Wochen nicht aus den Kleidern, Wäsche zum Wechseln stand nicht zur Verfügung. Seuchen hielten reiche Ernte unter den Arbeitersklaven. Erleichterung gab es nur in den seltensten Fällen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Auch wenn die Zwangsarbeiter nach dem Bundesentschädigungsgesetz Haftentschädigung erhalten haben und die Entschädigung in Form von Renten, Kapitalentschädigung und Heilverfahren erfolgt ist, wird zu prüfen sein, ob dies ausreicht. Ist der Vorschlag von Robert Kempner, sie in der Rentenversicherung nachzuversichern, sinnvoll und realisierbar? Wir möchten auch wissen, welche Entschädigungen durch Wirtschaftsunternehmen geleistet wurden und welche noch ausstehen. Vor einigen Wochen haben wir hier über die Verfolgung der Sinti und Roma und über ihre heutige Lage diskutiert. Auch hierbei sind Fragen insbesondere im Hinblick auf die Praktizierung der Härteregelung aufgeworfen worden, die bald einer Klärung zugeführt werden müssen. Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege Westphal, der Meinung, daß dabei die Beweispflicht eine wichtige Rolle spielen wird. Es ist die Frage, wie wir jetzt, nach dieser langen Zeit, die Beweispflicht regeln sollen, wo es schwierig geworden ist, Beweis zu erbringen. ({0}) - Nein, es ist schwieriger geworden, Herr Kollege Ströbele, noch schwieriger. Wenn es so sein sollte, daß Sinti und Roma für Zwangsarbeit bisher überhaupt nicht entschädigt worden sind, muß eine Regelung gefunden werden. Auch über die Lage anderer Personengruppen sollten wir uns Klarheit verschaffen. Dazu gehören selbstverständlich die homosexuellen Naziopfer, die Zwangssterilisierten, die Euthanasiegeschädigten, und dazu gehören alle, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen Opfer waren. Den Antrag der GRÜNEN können wir so nicht akzeptieren, weil er zuwenig berücksichtigt, was bereits getan worden ist. ({1}) Zum Schluß. Wir sollten uns auf diesem Felde der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und bei der Bewältigung seiner Folgen die Übereinstimmung erhalten, die wir im Deutschen Bundestag von Anfang an gehabt haben. Ich stelle fest, daß wir sie heute nicht beschädigt haben. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir tragen als Vertreter unseres Volkes in diesem Hohen Haus nicht nur Verantwortung für gegenwärtiges Geschehen. So wie wir oft für die künftigen Generationen in Deutschland schon heute mitentscheiden, so vertreten wir auch ein Volk, in dessen Namen unter dem nationalsozialistischen Unrechtsregime unsagbare Verbrechen an den Juden und an vielen Menschen in Europa begangen wurden. Bundeskanzler Helmut Kohl, der zu dieser Stunde mit dem französischen Staatspräsident Mitterrand in Baden-Baden zusammentrifft, wie dies vor langem vereinbart wurde, ({0}) hat in seiner Rede im Konzentrationslager BergenBelsen betont, daß wir Deutsche unsere Geschichte zur Gänze annehmen müssen. Jeder von uns, der den Namen Deutscher führt - dies gilt erst recht für die im freien Teil Deutschlands gewählten Abgeordneten - kann sich nicht nur auf die Gestalten und Leistungen unserer Geschichte beziehen, die Deutschland zum Ruhm und Ansehen gereichten; wir müssen auch die „Schuldgeschichte" unseres Landes wahrnehmen. Es war dieser Deutsche Bundestag, der vor nahezu 35 Jahren die moralische Verpflichtung des deutschen Volkes zur Wiedergutmachung und Entschädigung anerkannt hat. Es war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der in einem Brief vom 6. Dezember 1951 an Nahum Goldmann davon sprach, daß es die Ehrenpflicht des deutschen Volkes sei, sein möglichstes zu tun, um das an dem jüdischen Volk begangene Unrecht wiedergutzumachen. Wenige Wochen vorher war es am 27. September 1951 zu einer bewegenden Szene hier in diesem Saal gekommen, als sich die Abgeordneten auf Aufforderung von Bundestagspräsident Hermann Ehlers von ihren Sitzen erhoben, um vor Beginn der Gesetzgebung zur Wiedergutmachung und Entschädigung ein Zeichen dafür zu geben, daß dieser Deutsche Bundestag im Mitgefühl für die Opfer des Nationalsozialismus einig ist und daß er gewillt ist, Folgerungen aus dem, was geschehen war, zu ziehen. Kollege Westphal hat hier Bundeskanzler Adenauer zitiert, der damals auch darauf hingewiesen hat, daß die begangenen Verbrechen zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, obwohl das deutsche Volk in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheute, sich nicht daran beteiligte und es viele Deutsche gegeben hat, die verfolg14218 ten Juden unter persönlicher Gefährdung geholfen haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat seither sowohl unter Bundeskanzlern meiner Fraktion als auch unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern gezeigt, daß sie es mit der sittlichen Verpflichtung ernst meinte, sich mit ganzer Kraft um die Aussöhnung mit dem Staat Israel und den Juden in aller Welt zu bemühen, wie es damals der Alterspräsident dieses Hauses, Paul Löbe, sagte. Die Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen der vergangenen Jahrzehnte für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die von der Bundesrepublik Deutschland aufgebracht wurden, haben das begangene Unrecht gewiß nicht aufheben oder gänzlich ausgleichen können. Sie haben aber bewiesen, daß wir aus den Trümmern des Hitler-Deutschland ein anderes Deutschland aufgebaut haben. Unser Bekenntnis im Grundgesetz zu Menschenwürde, sittlichen Werten und Freiheitsrechten ist eine Grundentscheidung, welche die Realität deutscher Innen- und Außenpolitik bestimmt. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich betonen, daß alle vier in diesem Hause seit 1949 vertretenen Parteien an dieser Aufgabe mitgewirkt haben. Ich sage bewußt nicht, daß wir die unter großer Anstrengung aufgebrachten Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen unentwegt vorzeigen sollten. Uns Deutschen, auch der Generation nach Hitler, steht Zurückhaltung gut an. ({1}) Ich verwahre mich allerdings entschieden dagegen, mir von Leuten, die in dieser parlamentarischen Kontinuität nicht stehen und sie bei vielen Gelegenheiten ablehnen, Belehrungen oder Ratschläge in dieser Frage geben zu lassen. ({2}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Kanzler Konrad Adenauer das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel Anfang der 50er Jahre beraten und am 10. September 1952 abgeschlossen hat, weist die Belehrungen der GRÜNEN als unangemessen zurück. ({3}) Es war die CSU, welche im März 1953 mit dem Kollegen Karl Graf von Spreti den Berichterstatter zum Wiedergutmachungsabkommen mit Israel stellte, der sich leidenschaftlich für diesen Versuch der moralischen Rehabilitierung unseres Volkes einsetzte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. In dieser parlamentarischen Tradition stehen die Unionsparteien und die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auch unser Kollege Hermann Fellner. Ich möchte nicht den Versuch machen zu interpretieren, was Kollege Fellner in seinem Zeitungsinterview und seinen folgenden Stellungnahmen dem Sinne nach sagen wollte. Er hat mit seiner Erklärung zu Beginn dieser Debatte auf eindrucksvolle Weise sein Bedauern ausgedrückt. Ich begrüße dies und habe dem für meine Fraktion nichts hinzuzufügen. Ich selbst gehöre zu denen, die Hermann Fellner über Jahre hinweg aus freundschaftlicher Nähe kennen. Ich weiß aus dieser Nähe, daß ihm zutiefst Unrecht tut, wer in ihm einen Menschen sehen wollte, der sich kalt und uninteressiert über deutsche Schuld und Verstrickung hinwegsetzt und der nicht ebenso wie wir alle das Andenken der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft ehrt und der unfaßbaren Leiden des jüdischen Volkes gedenkt. Hermann Fellner hat sich als Deutscher der Nachkriegszeit, des Jahrganges 1950, in einem von innerer Bewegtheit zeugenden Briefwechsel mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, im Mai 1981 mit den Schatten der Vergangenheit beschäftigt. Ich möchte nicht alles, was er damals sagte, hier bewerten, sondern nur auf sein engagiertes Bemühen hinweisen, sich als ein Jüngerer mit dem deutsch-israelischen Verhältnis als einem Verhältnis besonderer Art auseinanderzusetzen. Dieser Briefwechsel macht den schwierigen Prozeß in der jungen Generation deutlich, das richtige Verständnis deutscher Geschichte und ihrer Folgen zu finden. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat mit dem Blick auf die jungen Deutschen, die diese finstere Zeit nicht selbst erlebt haben, gesagt: Kein fühlender Mensch erwartet von ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen. Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen, zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Wir Deutsche müssen stets Rücksicht auf die Gefühle der überlebenden Opfer des Nationalsozialismus und der Hinterbliebenen nehmen. Wir schulden ihnen persönliche Solidarität. Solidarität muß sich auch gegenüber dem Staat Israel bewähren, indem deutsche Politik überall für das Existenzrecht des jüdischen Staates eintritt. Antisemitismus muß nicht nur bekämpft werden, wenn er sich hier in Friedhofsschändungen oder rechtsextremer Hetze äußert. Mit Abscheu und Empörung wenden wir uns gegen den blutigen antiisraelischen Terrorismus unserer Tage. Meine Damen und Herren, das besondere Problem der von den Nationalsozialisten ausgebeuteten Zwangsarbeiter war eine der schrecklichen Erscheinungen des Zweiten Weltkrieges. Rund 9 Millionen ausländische Männer und Frauen wurden nach Deutschland deportiert und in der deutschen Kriegsindustrie völkerrechtswidrig zur Arbeit gezwungen. Im Rahmen der Wiedergutmachung und Entschädigung haben auch die Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen Zwangsarbeit in einem Konzentrationslager oder sonst unter haftähnlichen Bedingungen bei deutschen Unternehmen oder sonstigen Stellen leisten mußten, Haftentschädigung sowie die übrigen Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten. ({0}) Hier wie auch bei der übrigen Wiedergutmachung war und ist der Versuch eines vollen Schadenersatzes unmöglich. Einige deutsche Industrieunternehmen haben darüber hinaus für die bei ihnen während des Zweiten Weltkrieges beschäftigten jüdischen Zwangsarbeiter einen Ausgleich von rund 50 Millionen DM gezahlt. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß sich ein Unternehmen der früheren Flick-Gruppe Anfang des Jahres zu einer ähnlichen Geste durch Zahlung eines Geldbetrages bereit gefunden hat. Auch für die Wiedergutmachung gegenüber jüdischen Zwangsarbeitern oder Zwangsarbeitern aus anderen europäischen Staaten wird allerdings weiter die Erkenntnis gelten: Die geschichtliche Welt ist nicht so eingerichtet, daß durch Wiedererstattung und Bezahlung einer Schuldigkeit das Gleichgewicht wiederhergestellt werden könnte. ({1}) Es gibt Schuldigkeiten, die nicht gänzlich getilgt werden können, sosehr man auch danach strebt. Was hier geleistet wird, ist und bleibt eine Tat der Freiheit und der Moral, zu der sich die Unionsparteien bekennen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Duve nach § 30 unserer Geschäftsordnung das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich durch die Äußerungen des Abgeordneten Fellner von Anfang an persönlich sehr betroffen gefühlt. Ich habe mich dazu auch geäußert, habe mich dazu auch äußern müssen, weil viele erlebt haben, wie sie mit gerade dem Vorwurf leben müssen, der in dieser antisemitischen Äußerung gemeint war. Ich nehme diese Erklärung und diese Entschuldigung natürlich entgegen - auch die Form, in der sie hier im Deutschen Bundestag vorgebracht wurde -, aber ich möchte hier zum Ausdruck bringen, daß für mich die Schmach, die durch diese Diskussion entstanden ist, so lange auf der Bundesrepublik lastet, wie nicht der Regierungssprecher Ost und der Herr Bundeskanzler selbst die verharmlosende Art, nur von der Verbalität der Aussage, also nur von der Wortwahl, aber nicht vom Inhalt zu sprechen, ihrerseits zurückgenommen haben. ({0}) Ich fordere beide auf, einen klaren und eindeutigen Weg zu finden, ({1}) auf dem dies durch diese beiden Vertreter der Bundesregierung zurückgenommen wird. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, zur Vermeidung von Mißverständnissen und Mißdeutungen möchte ich darauf hinweisen, daß sich der Herr Bundeskanzler und andere, die an den deutsch-französischen Konsultationen teilnehmen, entschuldigt haben und deswegen an der heutigen Sitzung nicht teilnehmen. Ich muß noch über die Überweisung an die Ausschüsse abstimmen lassen. Es geht um die Drucksachen 10/4040, 10/4638 und 10/4640. Entsprechend den interfraktionellen Vereinbarungen sollen diese Vorlagen zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Werden andere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen. Ich werde die Sitzung gleich bis 14.30 Uhr unterbrechen. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort, und ich werde die Fragen aus den Bereichen Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Verteidigung und Auswärtiges Amt aufrufen. Um 15.30 Uhr werden wir mit der Behandlung des Tagesordnungspunktes 5 beginnen. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Wir fahren mit Punkt 1 der Tagesordnung fort: Fragestunde - Drucksache 10/4633 Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Nöbel auf: Wie verträgt sich nach Meinung der Bundesregierung der Artikel „In der Wirtschaftspolitik hat die SPD nicht aus Fehlern gelernt" in der Tageszeitung „Die Welt" vom 6. Januar 1986 von Friedhelm Ost, für den als Staatssekretär auch das Beamtenrecht gilt, mit dem Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung gemäß § 53 Bundesbeamtengesetz?

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Herr Kollege Nöbel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einverstanden wären, daß ich Ihre Fragen 5 und 6 zusammen beantworte. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe dazu auch die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Nöbel auf: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegen den offenbar als Parteisprecher auftretenden Staatssekretär Ost zu ergreifen, um derartige von parteipolitischer Einseitigkeit, Polemik und persönlicher Anfeindung gekennzeichnete Beiträge ihres Regierungssprechers künftig zu verhindern?

Not found (Gast)

Der von Ihnen angesprochene Artikel von Friedhelm Ost enthält einen Beitrag im Rahmen der politischen Auseinandersetzung. Nach Prüfung durch die Bundesregierung wahrt dieser Beitrag die durch § 53 des Bundesbeamtengesetzes gezogenen Grenzen. Deshalb hat die Bundesregierung keinen Anlaß zu Maßnahmen gegenüber dem Autor.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich nehme an, daß Sie eine Zusatzfrage wünschen, Herr Abgeordneter. Bitte sehr.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß die dem Beamten auferlegte Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung um so größer ist, je höher seine dienstliche Position ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Nöbel, es ist nicht nur die dienstrangmäßige Einordnung, sondern auch die Aufgabe zu berücksichtigen, die ein Beamter hat. Hier ist ja zu berücksichtigen, daß der Sprecher der Bundesregierung kraft seines Amtes die Aufgabe, das Recht und die Pflicht hat, die Politik der Bundesregierung nachdrücklich und gerade auch gegenüber den Oppositionsparteien zu vertreten. Insoweit handelt der Sprecher der Bundesregierung auch außerhalb seiner Amtstätigkeit in Übereinstimmung mit den ihm dienstlich obliegenden Aufgaben, für die Politik der Bundesregierung Partei zu ergreifen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber stimmen Sie mir nicht zu, daß Beamte dem Staat zu dienen haben und nicht einer Partei, wie es hier offensichtlich geschehen ist? ({0})

Not found (Gast)

Es ist völlig unbestreitbar, daß nach § 53 des Bundesbeamtengesetzes der Beamte gegenüber der Gesamtheit, nicht gegenüber einer bestimmten Partei, gegenüber einer bestimmten politischen Richtung, die Zurückhaltung zu wahren hat, die sein Amt ihm auferlegt. Hier sind wir wieder bei dem Amt, das er wahrnimmt. Vielleicht interessiert es Sie, was z. B. einer der Vorgänger des derzeitigen Sprechers der Bundesregierung insoweit über sein Amt gesagt hat. Der von uns allen ja sehr geschätzte Conrad Ahlers hat in einem Beitrag, den er auch im Rahmen der politischen Auseinandersetzung außerhalb seiner Diensttätigkeit geliefert hat, geschrieben: Der wesentliche Grund scheint mir darin zu liegen, daß die Regierungssprecher, obwohl Bundesbeamte, mit allen dazugehörigen Pflichten zwangsläufig in der Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit eine politische Funktion innehaben. Sie müssen die Politik der Bundesregierung öffentlich vertreten, erklären und verteidigen. Sie können sich im Namen des Bundeskanzlers und des Bundeskabinetts äußern. Ich glaube, daß von da in die Wertung einzubeziehen ist, welche Funktion, welche Aufgabe der Sprecher der Bundesregierung hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage. Bitte schön.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich annehme, daß Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977 kennen, frage ich: Sind Sie der Ansicht, daß der Beitrag von Herrn Ost mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977 in Einklang zu bringen ist, wonach bei staatlicher Informations- und Öffentlichkeitsarbeit eine strikte Trennung zwischen Staat und Parteien zu wahren ist, demgemäß sogenannte parteiergreifende Informations- und Öffentlichkeitsarbeit für unzulässig erklärt wurde?

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Herr Kollege, dieses Urteil bezieht sich auf die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Es bezieht sich nicht auf außerdienstliche Äußerungen eines Beamten. Ich glaube, daß wir dies auch in diesem Falle auseinanderzuhalten haben. Herr Ost hat diesen Beitrag nicht in seiner dienstlichen Eigenschaft, sondern als Privatmann außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit geliefert. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Nöbel. Bitte sehr.

Dr. Wilhelm Nöbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001617, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da wir offenbar nicht übereinkommen, Herr Ost hier auf dem Foto aber mit „Regierungssprecher" bezeichnet ist: Wäre die Bundesregierung bereit, eine Stellungnahme des Bundesdisziplinaranwalts einzuholen, die eine disziplinarrechtliche Würdigung des Verhaltens von Herrn Ost zum Gegenstand hat, und wären Sie bereit, mir das Ergebnis zu gegebener Zeit zuzuleiten?

Not found (Gast)

Herr Kollege Nöbel, die Bundesregierung sieht eine solche Veranlassung nicht. Ich habe ja schon gesagt, daß die Bundesregierung rechtlich geprüft, gewertet und gewürdigt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, das ich Ihnen mitgeteilt habe. In diesem Beitrag in der „Welt", auf den Sie sich beziehen, steht völlig korrekt, und zwar als Überschrift: „In der Wirtschaftspolitik hat die SPD nicht aus Fehlern gelernt." Die Überschrift macht, wie wir wissen, nicht der Autor, sondern das ist redaktionelle Arbeit der Zeitung. Es steht dort dann weiter: „von Friedhelm Ost". Ich glaube, daß dies nicht zu beanstanden ist. Wenn dann in redaktioneller Verantwortung der Zeitung ein Bild gebracht wird und darunter etwas steht, was im übrigen jedermann in der Bundesrepublik weiß, nämlich „Regierungssprecher Friedhelm Ost", dann trägt der Autor dafür nicht die Verantwortung. Nur zur Ergänzung: Dies ist früher nicht anders gewesen. Ich könnte Ihnen hier Beiträge, z. B. von Herrn Ahlers, zeigen, bei denen es ganz korrekt heißt: Conrad Ahlers. Dann kommt ein Bild, und da steht dann beispielsweise: Regierungssprecher Conrad Ahlers ist Staatssekretär des Bundespresseamtes. Niemand ist auf die Idee gekommen, die Verantwortung dafür Herrn Ahlers zuzusprechen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Stockhausen, bitte sehr.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, beinhaltet § 53 des Bundesbeamtengesetzes, in dem von „Mäßigung und Zurückhaltung" gesprochen wird, auch das Verbot für Beamte, die Wahrheit zu sagen und den Tatsachen entsprechend zu berichten?

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Nein. Ich kann Ihnen den § 53 einmal im Wortlaut vorlesen, Herr Kollege Stockhausen. Da heißt es: Der Beamte hat bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß hier die besondere Stellung des Sprechers der Bundesregierung mit seinen besonderen Rechten und Pflichten in die Betrachtung, in die Würdigung mit einzubeziehen ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Penner hat nun die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, erfüllt Staatssekretär Ost nach Ihrer Auffassung das Gebot der Zurückhaltung, wenn er in dem angezogenen Namensartikel mit Dienstbezeichnung eine Oppositionspartei mit Begriffen wie „Heuchelei", „Schüren von Neidkomplexen", „Phantasielosigkeit", „vorbeimogeln", „Sozialapostel", „Armutszeugnis", „Miesmacher", „Kurpfuscherei" bedenkt? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Penner, wenn ich einzelne Vokabeln herausnehme und sie dann aneinanderreihe, ergibt sich natürlich ein völlig anderes Bild, als wenn ich den Beitrag in seinem gesamten Kontext und in der politischen Auseinandersetzung, die dieser Beitrag liefert, lese. In der gleichen Weise könnten Sie auch aus Beiträgen früherer Regierungssprecher, ohne daß dies zu irgendwelchen rechtlichen Konsequenzen geführt hätte, ähnliche Zusammenstellungen machen. Ich habe Conrad Ahlers erwähnt. Aber Sie können auch Herrn von Wechmar nehmen, Sie können auch Herrn Bölling nehmen. Dort finden Sie durchaus Vergleichbares.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da die Bundesregierung offenbar einer recht eingenwilligen Auslegung des Begriffs „Zurückhaltung" unterliegt, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, allen Bundesbeamten, die sich kritisch äußern - kritisch auch gegenüber der Bundesregierung -, Gleichbehandlung zuzusichern?

Not found (Gast)

Herr Kollege Penner, ich muß die Auffassung zurückweisen, daß die Bundesregierung eine eigenwillige Auslegung hat. Die Bundesregierung orientiert sich an dem im Gesetzestext zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Diesen Maßstab legt die Bundesregierung gegenüber jedem Bundesbeamten an. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, hatte Herr Staatssekretär Ost für seine Schimpfkanonade in der „Welt", die Sie hier als einen Meinungsartikel bezeichnen, eine Genehmigung für Nebentätigkeiten? Sie wissen: Wir haben uns vor kurzem schon einmal über Nebentätigkeiten von Regierungssprechern des Herrn Bundeskanzlers Kohl unterhalten müssen und werden das wohl auch weiter tun.

Not found (Gast)

Herr Kollege Duve, Sie wissen vielleicht besser als manche andere, daß dieser Artikel Ausfluß schriftstellerischer Tätigkeit des Herrn Friedhelm Ost ist. Für diese schriftstellerische Tätigkeit bedarf er nach § 66 des Bundesbeamtengesetzes keiner Genehmigung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie versuchen, es hier so darzustellen, als sei dieser Artikel in der Freizeit des Herrn Ost, sozusagen zu Hause handschriftlich, erstellt worden. Ich stelle also die Frage: Ist dieser Artikel im Bundespresseamt unter Hilfestellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundespresseamts erstellt worden?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen diese Frage jetzt so konkret nicht beantworten. Ich will ihr gern nachgehen, Herr Kollege Duve. Nur: Ich gehe nach dem Sachverhalt, wie er mir dargestellt worden ist, davon aus, daß es sich um eine schriftstellerische Arbeit außerhalb der dienstlichen Tätigkeit handelt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Gansel. ({0})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, können Sie mir auf Grund Ihrer langjährigen Erfahrungen als Parlamentarier bestätigen, daß Herr Ost, wenn er seine schriftstellerische Arbeit z. B. in der Fragestunde des Deutschen Bundestages zum besten gegeben hätte, vom Präsidenten wegen seiner Verbalinjurien gerügt worden wäre?

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Ich mache einen Unterschied - ich will jetzt keine Würdigung vornehmen -, ob das eine Äußerung vor 20 Jahren gewesen wäre, als ich in dieses Hohe Haus gekommen bin, oder ob das heute ist. Es hat in der Zwischenzeit - das werden auch Sie bestätigen - einen gewissen Stilwandel gegeben, der es mir zweifelhaft erscheinen läßt, ob eine der Äußerungen, die darin enthalten sind, hier eine Rüge des Präsidenten nach sich gezogen hätte. Aber dies sage ich mit allem Vorbehalt, weil es mir natürlich überhaupt nicht zusteht, eine solche präsidentielle Frage von mir aus zu beantworten. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie möchten noch eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf Grund einschlägiger Erfahrungen, die Sie selbst in Ihrem Amt mit dem demissionierten Regierungssprecher Boenisch gemacht haben, möchte ich Sie fragen, ob denn wenigstens Sorge dafür getragen ist, daß die schriftstellerische Nebentätigkeit des Regierungssprechers ordnungsgemäß versteuert wird.

Not found (Gast)

Soweit mir bekannt ist, hat Herr Ost für diesen Artikel kein Honorar bekommen, so daß auch keine Veranlassung besteht, daß er dies versteuert. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Bernrath die Möglichkeit einer Zusatzfrage.

Günther Leonhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie das ganze Problem etwas eigenartig ausgelegt haben, habe ich in Ergänzung dazu die Frage, ob Herr Staatssekretär Ost eine Genehmigung für Nebentätigkeiten hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie wollen die Frage beantworten, Herr Staatsminister. - Der guten Ordnung halber möchte ich aber vermerken, daß ich zunächst einmal den Kollegen Bernrath aufgerufen habe und dann erst Sie. Nun lassen wir es so. Aber ich wäre dankbar, wenn sie künftig dem Aufruf des Präsidenten folgen würden. ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich nehme Vokabeln immer sehr genau. Sie haben von „eigenartig" gesprochen. Ich habe nichts eigenartig gesagt. Vielmehr orientiere ich mich am geltenden Recht. - Die Frage, die Sie gestellt haben, habe ich bereits beantwortet. Ich habe darauf hingewiesen, daß Herr Ost für diese schriftstellerische Arbeit keine Genehmigung brauchte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Günther Leonhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist vorhin nicht davon die Rede gewesen, ob hier eine Genehmigung vorlag, sondern ob Herr Ost für diesen Artikel einen Betrag erhalten hat. Meine Frage geht dahin, ob er grundsätzlich eine Genehmigung hat für die Ausübung von Nebentätigkeiten neben seinem Beruf.

Not found (Gast)

Sie meinen jetzt für bezahlte Nebentätigkeiten? ({0}) - Diese Frage steht in dem Zusammenhang überhaupt nicht zur Diskussion, Herr Kollege. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der direkte Zusammenhang mit den eingebrachten Fragen ist, wie der Herr Staatsminister schon zu Recht festgestellt hat, nicht ersichtlich. Nunmehr hat der Abgeordnete Bernrath das Wort zu einer Zusatzfrage.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sehen Sie nicht schon in den wenigen Tagen dieses Jahres eine sehr unterschiedliche Wertung der Rechte und Pflichten der Beamten nach § 53 des Bundesbeamtengesetzes, der j a Mäßigung und Zurückhaltung auch politischen Beamten gebietet? Herr Staatssekretär Ost hat als politischer Beamter die Ziele und die Maßnahmen der Bundesregierung zu begründen und zu erläutern, nicht aber über Mandatsträger anderer Parteien oder in den Ländern herzufallen, was er getan hat. Er bleibt ungerügt, obwohl auf der anderen Seite Herr Ministerialdirektor Viehof, der seine Bedenken gegen das beabsichtigte Vorgehen im Zusammenhang mit § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes geäußert hat, von der Bundesregierung entlassen wird.

Not found (Gast)

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe - aber ich bin gerne bereit, das noch einmal nachzuprüfen -, hat Herr Viehof von sich aus um seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gebeten, so daß das überhaupt nicht vergleichbar ist. Hier ist also seitens der Bundesregierung auch nicht nach unterschiedlichen Maßstäben geurteilt und bewertet worden. Ich sage Ihnen noch einmal: Für alle Beamte gilt § 53 des Bundesbeamtengesetzes. Die Bundesregierung orientiert sich an dem Wortlaut und an der Zielsetzung dieser Bestimmung, wobei in die jeweilige Würdigung, Bewertung das jeweilige Amt und die sich aus diesem Amt ergebenden Aufgaben und Pflichten einzubeziehen sind. Das Amt des Sprechers der Bundesregierung ist eben nicht vergleichbar etwa mit dem Amt irgendeines anderen politischen Beamten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich muß noch einmal ausdrücklich fragen, ob das eine gleiche Bewertung, auch eine gleiche Gewichtung ist. Ich wiederhole: Herr Ost hat über Ziele, Maßnahmen der Bundesregierung zu informieren, sie zu begründen. Ähnliches hat in seinem Aufgabenbereich Herr Viehof getan. Sie können mir doch sicherlich bestätigen - vielleicht auch später -, daß er seine Entlassung beantragt hat, nachdem ihm dieser Weg in einer harten Auseinandersetzung nahegelegt worden ist.

Not found (Gast)

Herr Kollege, der Sprecher der Bundesregierung hat die Politik der Bundesregierung nach außen zu vertreten. Das ist seine Aufgabe. ({0}) - Herr Kollege Duve, manches ist auch eine Frage von Temperament und Geschmack. Es gibt bisweilen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich dessen, was schicklich ist, was nicht schicklich ist. Da gibt es sehr viele Unterschiede. De gustibus non est disputandum - das wissen Sie auch. Die Frage ist hier, ob man beim Anlegen des rechtlichen Maßstabes zu dem Ergebnis kommt, es liege ein Verstoß gegen die Verpflichtung vor, oder nicht. Das hat die Bundesregierung in diesem konkreten Fall verneint.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, da Sie offensichtlich genau recherchiert haben, daß der Herr Regierungssprecher Ost für seinen beanstandeten Artikel in der „Welt" Honorar weder erhalten noch versteuert hat, möchte ich Sie fragen, ob Herr Ost damit jetzt als unbezahlter Interessenvertreter der Regierung in der Redaktion „Die Welt" gelten darf.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich nehme an, daß Sie auf diese Frage gar keine Antwort erwarten, weil der Zweck dieser Frage darin bestand, sie zu stellen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Schierholz, Sie haben die Möglichkeit, noch eine Zusatzfrage zu stellen. Wünschen Sie dies?

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann muß ich die Zusatzfrage in der Form stellen, ob Sie bereit sind, nicht doch auf die Frage zu antworten, weil sich etwa in dem Fall des früheren Regierungssprechers ergeben hat, daß solche Interessenverquickungen, die lange Zeit nicht offengelegt waren, offensichtlich bei Regierungssprechern schon vorgekommen sind. Von daher bitte ich um eine Beantwortung.

Not found (Gast)

Um die Frage ganz klar zu beantworten: Sie können in gar keiner Weise aus diesem einmaligen Artikel einen auch nur entfernt dahin gehenden Schluß ziehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da Sie vorhin gesagt haben, daß der Herr Ost ehrenamtlich und unentgeltlich diesen Artikel geschrieben hat, möchte ich Sie fragen, ob der § 51, Nebentätigkeit, an dem Sie sich immer orientieren - ({0}) - Das haben Sie doch gesagt. Die Bundesregierung hält sich, was die Nebentätigkeiten betrifft, immer an die geltenden Rechtsvorschriften. Vielleicht habe ich den falschen Paragraphen zitiert. Vielleicht ist es ein anderer, etwa § 53. Gibt es in diesem Paragraphen eigentlich einen Unterschied zwischen bezahlten und nicht bezahlten Nebentätigkeiten?

Not found (Gast)

Nach § 66, den ich vorhin schon einmal zitiert habe, bedarf es für schriftstellerische Tätigkeit keiner Genehmigung. Das ist völlig unabhängig davon, ob es eine bezahlte oder nicht bezahlte schriftstellerische Tätigkeit ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben soeben gesagt, daß Herr Ost dies in einmaliger Weise getan habe. Heißt das, daß er sich in Zukunft weiterer ähnlicher Artikel enthalten wird?

Not found (Gast)

Ich habe nicht gesagt, daß das einmalig ist, sondern ich habe gesagt, daß aus diesem einmaligen Vorgang der Schluß, der hier gezogen werden sollte, nicht gezogen werden kann. Es gab z. B. eine ganze Reihe von Artikeln des geschätzten früheren Regierungssprechers Conrad Ahlers. Da ist eine ganze Serie, fast jede Woche, in einer bestimmten Zeitung erschienen. Auch dies ist schriftstellerische Tätigkeit. Es kann also durchaus auch sein, daß ein Beamter in einer Zeitung eine Kolumne hat, die er regelmäßig bedient. Auch das ist schriftstellerische Tätigkeit. Das ist auch, soweit mir ersichtlich, nie beanstandet worden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Fragen liegen mir für den Bereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes nicht vor. Ich bedanke mich beim Staatsminister Vogel und rufe nunmehr den Bereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Jungmann auf: Vizepräsident Cronenberg Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Antwort, die der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 4. April 1984 ({0}) auf die Frage der Abgeordneten Frau Fuchs ({1}) gegeben hat, weiterhin gültig? Die Frage lautete: „Teilen Sie meine Befürchtung, daß die veränderten PatriotSysteme dann eben dort eingesetzt werden, wo sie einen Sinn machen, wo sie auch taktische Raketen erreichen können, nämlich an der Nahtstelle zwischen den Blöcken, in der Bundesrepublik Deutschland?" Antwort: „Ich teile Ihre Befürchtung nicht."

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Präsident! Herr Kollege Jungmann, meine Antwort ist: ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bezog sich die Bundesregierung damals und bezieht sich die Bundesregierung heute in ihrer Antwort auf mit ATM-Fähigkeit veränderte Patriot-Raketen im Besitz der amerikanischen Luftwaffe oder solche im Besitz der Bundesluftwaffe?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Auf beide, Herr Kollege.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Jungmann wünscht eine weitere Zusatzfrage.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage Sie dann, Herr Staatssekretär - das geht ja aus Berichten nicht nur in deutschen Zeitungen, sondern auch des amerikanischen Kongresses hervor -: Wo und wann, wenn nicht in der Bundesrepublik Deutschland oder in Westeuropa, könnten nach Auffassung der Bundesregierung ATM-Systeme stationiert werden oder wo könnte ihre Stationierung sonst noch sinnvoll sein, von denen US-Staatssekretär Ward und General Merryman gesprochen haben?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Herr Kollege, zu untersuchen, wo theoretisch in der Welt solche Raketen stationiert werden können. Ich habe Ihnen hier für die Bundesregierung für die in Deutschland stationierten amerikanischen und deutschen Patriot-Systeme, die schon hier sind, oder die kommen, geantwortet.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Fuchs, eine Zusatzfrage.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welchen militärischen Sinn, wenn nicht den des Schutzes von z. B. Pershings und bodengestützten Marschflugkörpern und anderen militärischen Schlüsseleinrichtungen kann nach der Auffassung der Bundesregierung jene Untersuchung haben - jetzt zitiere ich Sie -, welche Veränderungen am Waffensystem Patriot durchgeführt werden müßten, um es gegen einen Teil der nichtnuklearen taktischen Flugkörper erfolgreich einsetzen zu können? Sie haben diese Auskunft in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 4. 4. 1984 erteilt.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Den militärischen Sinn, flächendeckend die gesamte Bundesrepublik und damit die Bevölkerung der Bundesrepublik, in der Luftverteidigung besser als bisher gegenüber dem ständig gewachsenen sowjetischen Potential zu schützen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe nunmehr, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, die Frage 11 des Abgeordneten Jungmann auf: Ist die Bundesregierung - und wenn ja, wann und in welcher Form - in den amerikanischen Entscheidungs- und Arbeitsprozeß bezüglich ATM eingebunden oder eingebunden gewesen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Kollege Jungmann, das Ministerium wird über Stand und Fortschritte dieser Untersuchungen unterrichtet. Die Möglichkeiten werden in unsere eigenen Überlegungen mit einbezogen. Und ich möchte betonen, daß es in unserem deutschen Interesse liegt, solche Untersuchungen anzustellen, unsere Verteidigungspotentiale der sich ändernden Bedrohung anzupassen, und weise darauf hin, daß dies bei ähnlichen Waffensystemen zu aller Zeit vernünftigerweise so gehandhabt wurde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, bitte schön.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in welcher Form ist das ATM-Konzept oder das umfassende Luftabwehrkonzept „Counterair 90" in den Gremien der NATO Gegenstand der Beratung gewesen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Sie kennen den Beratungsablauf in den NATO-Gremien. Ich werde hier in der Öffentlichkeit keine Einzelheiten zu diesen Konsultationen über bestimmte Programme geben. Das werden wir unter entsprechendem Geheimhaltungsgrad im Verteidigungsausschuß tun. Diese Gespräche finden in einem entsprechenden sogenannten Projekt-Board statt, in dem wir ab Juli dieses Jahres regulär mit einem Offizier vertreten sein werden, wo wir aber, obwohl dies noch nicht formell gilt, vorab sowohl durch das Pentagon wie durch die Firma über die von Ihnen erfragten Untersuchungen informiert worden sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie bewertet dann die Bundesregierung in diesem Zusammenhang einen Bericht des Luftfahrtmagazins „Aviation Week & Space Technology" vom 4. 4. 1984, in dem es heißt: Das Verteidigungsministerium erwartet, - und damit ist das amerikanische gemeint daß die Nationen des Bündnisses am taktischen Raketenabwehrverbesserungsprogramm teilnehmen werden, vor allem Deutschland, und das auch finanziell.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, wir als Deutsche haben vor dem Hintergrund der Pflicht, unsere Bevölkerung zu schützen, ein InterParl. Staatssekretär Würzbach esse daran, auch gegenüber taktischen Raketen der Sowjetunion, deren Stückzahl ständig zunimmt, Möglichkeiten zu finden, die Bevölkerung zu schützen. Und sollten sich bei diesem System - einiges deutet darauf hin - Möglichkeiten der Weiterentwicklung konventionellen Schutzes - hier geht es nicht darum, wieder in die Nuklearrolle zu fallen; wir ziehen doch mit dem Nike-System, das heute hier besteht, nukleare Sprengköpfe ab, indem das Patriot hierher kommt - ergeben, sollten sie genutzt werden. Es besteht ein zweites Interesse, daß die hier stehenden amerikanischen und die hierher zu stellenden deutschen Raketen die gleichen sind - wegen der Bedienung, der gegenseitigen Ergänzung, der Ersatzteilversorgung, der Ausbildung und anderer Dinge.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage der Abgeordneten Fuchs.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung jemals an einer Beschlußfassung hinsichtlich ATM oder Europäische Verteidigungsinitiative oder „Counterair 90" im Rahmen der unabhängigen europäischen Programmgruppe der NATO mitgewirkt und, wenn ja, mit welcher Zielrichtung?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Gegen den Willen der Bundesregierung wird hier kein einziges System stationiert. In dem vorhin genannten Board werden diese Dinge, wenn sie als konkrete Untersuchungsergebnisse vorliegen, diskutiert und gemeinsam beschlossen, bevor sie eingeführt werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß, was den amerikanischen Entscheidungs- und Arbeitsprozeß bezüglich Patriot angeht, gegenwärtig im Hunsrück, über den wir schon heute morgen in der Aktuellen Stunde geredet haben, rund um die Cruise-Missiles-Basis in Wüschheim-Hasselbach zur Zeit vier Patriot-Stellungen ausgebaut werden, und zwar völlig neu ausgebaut werden, und können Sie mir einmal begründen, warum das entgegen der Logik der Flugabwehr, die in anderen Breiten der Bundesrepublik disloziert wird, passiert?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich sehe keinen Zusammenhang zu der Eingangsfrage, und sähe ich ihn, würde ich dies, der alten Gepflogenheit entsprechend, weder bestätigen noch dementieren. Sie kennen dieses Vorgehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 12 der Abgeordneten Frau Fuchs auf: Sind der Bundesregierung Berichte bekannt, wonach die Arbeiten an einer Systemverbesserung, die der Patriot-Luftabwehrrakete ATM-Eigenschaften gegen sowjetische SS 21 und SS 23 verleihen soll, „bereits fortgeschritten" sind?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Frau Kollegin Fuchs, meine Antwort auf Ihre Frage ist: ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wünschen Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung einen Bericht der amerikanischen Zeitschrift „Aviation Week & Space Technology" bestätigen, wonach die ersten auf ATM-Fähigkeit umgerüsteten Patriot-Raketen bereits im September 1987 die sogenannte „initial Operation capability" erreichen sollen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Nein.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie bringt die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, die Berichte, wonach die ATM-Umrüstung der Patriot bereits fortgeschritten sei und diese Rakete in der ATM-Rolle 1987 die soeben genannte Fähigkeit erreichen soll, in Übereinstimmung mit der Aussage, die Sie hier getroffen haben, daß sich die Überprüfungen, welche Veränderungen am Waffensystem Patriot durchgeführt werden müßten, um es gegen einen Teil der nicht nuklearen Flugkörper erfolgreich einsetzen zu können, bis 1988 hinziehen werden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Frau Kollegin, ich habe soeben auf Ihre Frage nach dem Datum klar geantwortet; insofern fehlt der logische Aufbau Ihrer zweiten Frage. Ich verweise auf die erste Antwort.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 13 der Abgeordneten Frau Fuchs auf: Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Patriot-Luftabwehrraketen mit ATM-Eigenschaften gegen SS 21 und SS 23, später auch SS 22, und deren möglichem Einsatz zum Objektschutz von Pershing II und bodengestützten Marschflugkörpern? ({0}) meldet sich zu einer Zusatzfrage) - Herr Abgeordneter Jungmann, Sie hatten sich nicht rechtzeitig gemeldet. Das tut mir leid.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Das Flugabwehrraketensystem Patriot ist für einen flächendeckenden Einsatz zum Schutz des gesamten Raumes der Bundesrepublik anzusehen. Es besteht somit kein Zusammenhang für irgendeinen speziellen Objektschutz, sei es für Pershings oder Cruise Missiles.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kennt die Bundesregierung und wie wertet sie die Aussage des US-Verteidigungsstaatssekretärs James Wade während der Senatsanhörung für das Finanzjahr 1981, in der er sagte: Wir prüfen die Frage einer aktiven Verteidigung für die atomaren Mittelstreckenwaffen sehr sorgfältig; es ist aus gu14226 Frau Fuchs ({0}) tern Grunde klar, daß ein solches Vorgehen Verdienste haben könnte?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Frau Kollegin, ich habe die Aussagen im amerikanischen Kongreß von 1981 nicht gegenwärtig. Ihre eingereichte Frage gab auch nicht den Anlaß, in diese Tiefe hineinzugehen. Sonst hätten wir das sicherlich getan. Im übrigen haben Sie soeben nach Mittelstreckenraketen gefragt. Wenn es hier eine Entwicklung später als 1987, wonach Sie vorhin fragten - dies zu früh -, geben würde - vieles deutet darauf hin, daß es dies geben wird, und es ist auch gut, daß es dies geben wird -, dann ist das nicht gegen Mittelstreckenraketen, sondern allenfalls - so wird es sein - gegen Kurzstrecken-, gegen taktische Raketen gerichtet.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Zitat, das ich soeben angeführt habe, sagt auch etwas über Mittelstrekkenraketen und auch andere aus. Ich möchte jetzt eine weitere Frage stellen: Kennen Sie und wie werten Sie die Aussage des Generals Merryman, die er anläßlich einer Anhörung im Senat 1984 auf die Frage von Kennedy gemacht hat, die ich heute morgen zitiert habe? Ich sage es noch einmal, falls Sie es vergessen haben: Betrachten Sie die Pershing II. Mir scheint, daß diese Rakete ein erstrangiges Ziel in einem taktischen Krieg in Europa wäre. Auf die Frage sagte Merryman dann, sie wäre ein Ziel. Er fuhr fort: Deswegen haben wir dieses Jahr Geld für ein antitaktisches Raketensystem, ATM, beantragt, um ein Programm zu starten, das dieser Bedrohung begegnet.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Sie fragen mich, ob ich das kenne und wie ich das bewerte. Ich kenne es nicht. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich auf Grund Ihrer letzten Antwort davon ausgehen, daß die Bundesregierung keine Kenntnisse über die Absichten der amerikanischen Regierung hat, daß Sie die Hearings im amerikanischen Kongreß, die über Verteidigungskonzepte in der Bundesrepublik Deutschland ablaufen, nicht verfolgen, und ist auf Grund Ihrer gegenüber früheren Antworten im Deutschen Bundestag veränderten Antwort, was die ATM-Fähigkeit von Patriot betrifft, davon auszugehen, daß die Bundesregierung jetzt die ATM-Fähigkeit von Patriot im Zusammenhang mit der europäischen Verteidigungsinitiative aufgegriffen hat?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, zum ersten: Diese Bewertung dürfen Sie nicht vornehmen. Zum zweiten: Als wir uns zuletzt darüber unterhielten, war es Mitte 1984. Die entsprechende Antwort liegt Ihrer Frage zugrunde. In der Zwischenzeit sind wir von der amerikanischen Regierung wie von der entsprechenden Firma darüber informiert worden, daß hier Weiterentwicklungen - wie ich vorhin sagte -, wie immer bei ähnlichen Systemen, der Bedrohung entsprechend vorgenommen worden sind, die möglicherweise gegen Ende dieses Jahrzehnts in die Praxis umgesetzt werden können. Ich füge, damit hier nicht möglicherweise falsche Eindrücke genährt werden, noch einmal hinzu: Es bleibt bei konventionellen Systemen für eine flächendeckende Luftverteidigung der gesamten Bundesrepublik.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz. ({0}) - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz. - Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte Ihre Zusatzfrage.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich Ihre Antwort in jedem Falle so verstehen, daß Sie nach wie vor generell intensiv darüber nachdenken, ein Patriotystem mit ATM-Eigenschaften auch in der Bundesrepublik zu beschaffen, und daß mittlerweile nicht Überlegungen Platz gegriffen haben, eine europäische Verteidigungsinitiative etwa auf Grund von anderen Studien zusammen mit bundesdeutschen Firmen originär zu entwickeln?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, die Verbindung, die Sie herstellen, habe ich hier nicht zu kommentieren; ich führe sie auch in keiner Form auf die Frage zurück.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfragen werden nicht verlangt. Damit schließe ich den Bereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich bedanke mich bei Staatssekretär Würzbach. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Hupka auf: Ist die Bundesregierung bereit, die Sowjetunion nach den Gründen zu fragen, warum 1985 die seit 1970 niedrigste Zahl von Ausreisegenehmigungen für Rußlanddeutsche zu registrieren war, und darauf hinzuweisen, daß die Qualität des deutsch-sowjetischen Verhältnisses an der Behandlung der 2 Millionen Deutschen in der Sowjetunion abgelesen werden muß?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Hupka, die Bundesregierung hat der sowjetischen Führung gegenüber ihre tiefe Sorge über die außerordentlich negative Entwicklung bei der Rückführung und Familienzusammenführung von Deutschen aus der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht. Der Lage der Deutschen in der Sowjetunion mißt die Bundesregierung eine große Bedeutung zu. Sie hat der sowjetischen Führung immer wieder die Bedeutung dieser Fragen für Stand und Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen vor Augen geführt. Angesichts der Tatsache, daß die Gesamtzahl der vom Deutschen Roten Kreuz registrierten Ausreisen im vergangenen Jahr - 1985 - mit 460 auf den Stand von 1970 zurückgefallen ist, haben Bundespräsident von Weizsäcker am 13. Januar und Bundesminister Genscher am 10. Januar dieses Jahres gegenüber Botschafter Semjonow erneut auf eine wohlwollende Behandlung bei der Familienzusammenführung gedrängt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka, bitte schön.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, darf man dann erfahren, wie die Antwort des Vertreters der Sowjetunion ausgefallen ist, ob er das nur zur Kenntnis genommen hat oder ob er in Aussicht gestellt hat, daß hier eine entscheidende Änderung eintreten könnte?

Not found (Gast)

Natürlich richtet sich eine solche Äußerung des Bundespräsidenten und des Bundesaußenministers an die sowjetische Staatsführung. Wir erwarten von dort eine Antwort. Sie liegt bis jetzt noch nicht vor.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, haben wir irgendwelche Anhaltspunkte dafür, warum die Zahl der Ausreiseerlaubnisse so zurückgegangen ist? Sie haben zu Recht das Jahr 1970 angesprochen. Seitdem war die Ausreisesituation nie so katastrophal wie 1985.

Not found (Gast)

Es ist ja sehr schwer, präzise zu sagen, wie viele Betroffene auf Grund dieser bedauerlichen Entwicklung nicht ausreisen können, die es eigentlich wollen. Schätzungen zufolge handelt es sich um eine Größenordnung von 100 000 Menschen. Es ist auch sehr schwer, darzustellen oder überhaupt zu wissen, was die wirklichen Gründe für eine so zurückhaltende Praxis sind. Wir glauben nicht, daß sie zuallererst bei den Betroffenen oder deren Bewertung durch die sowjetische Führung liegen, etwa wenn gesagt wird, sie seien dort sehr gern gesehene Arbeitskräfte. Es scheinen doch vielmehr die allgemeinen politischen Umstände zu sein, die das sowjetische Verhalten bestimmen. Wir haben die Erwartung, daß im Zuge einer möglichen Verbesserung des allgemeinen OstWest-Klimas, von dem wir dann auch zu profitieren hoffen, auch diese Frage wieder in einer vernünftigeren, besseren Weise gelöst werden kann.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, liegt da eigentlich nicht die Meinung nahe, daß die Not der Menschen als ein politisches Druckmittel ausgenutzt wird?

Not found (Gast)

Jedenfalls wird man dem Empfinden der Menschen, die davon betroffen sind, nicht widersprechen können, wenn sie sich als Gegenstand der politischen Auseinandersetzung als Folge der politischen Verhältnisse fühlen, wenn sie glauben, daß ihre persönlichen Interessen und ihr persönliches Schicksal nicht hinreichend gewürdigt werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Hupka auf: In welcher Weise und in welcher finanziellen Höhe hat die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1985 den politischen Kräften, die für ein demokratisches Kambodscha eintreten, Hilfe zuteil werden lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Hupka, die Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe an die vor der vietnamesischen Besatzungsmacht aus Kambodscha geflohene Khmer-Bevölkerung, die derzeit in thailändischen Auffanglagern evakuiert ist. Wir wissen nicht ganz genau, wie hoch die Zahl ist, aber sie liegt zwischen 230 000 und 300 000 Menschen. Die Bundesregierung leistet in diesem Rahmen Zahlungen an die mit der Betreuung der Indochinaflüchtlinge beauftragten Organisationen, z. B. an die United Nations Border Relief Operation, abgekürzt UNBRO. Daneben haben auch die Nationale Einheitsfront für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha, FUNCINPEC, geführt von Prinz Sihanouk, und die Nationale Befreiungsfront des Khmer-Volkes, KPNLF, geführt von Son Sann, über die deutsche Botschaft in Bangkok Hilfsgüter, z. B. Medikamente und Lebensmittel - allerdings keine Barmittel -, für kambodschanische Flüchtlinge erhalten. Es handelt sich dabei um die Flüchtlinge, die bis zu der Trockenzeitoffensive Vietnams im Frühjahr des letzten Jahres in Lagern der KPNLF und der FUNCINPEC entlang der thailändisch-kambodschanischen Grenze gelebt hatten. Die in diesem Rahmen im Jahr 1985 von der Bundesregierung erbrachten Leistungen betragen insgesamt 5,1 Millionen DM. Davon gingen an die Flüchtlingshilfeorganisation UNBRO, die ich erwähnte, 2,35 Millionen DM, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz 1 Million DM und an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 800 000 DM. Der Malteser-Hilfsdienst erhielt im vergangenen Jahr 180 000 DM für ein Projekt zur Bekämpfung von Lepraerkrankungen in dem kambodschanischen Flüchtlingslager Khao-I-Dang. Antragsgemäß erhielt 1985 die KPNLF humanitäre Hilfsgüter im Wert von 411 000 DM und die FUNCINPEC im Wert von 214 265 DM. Darüber hinaus hatte Bundesminister Dr. Wörner während seines Thailand-Aufenthalts im Oktober letzten Jahres in einer Sonderaktion 5,8 t Hilfsgüter für Khmer-Flüchtlinge an die KPNLF und an die FUNCINPEC übergeben. Neben der Leistung humanitärer Hilfe für kambodschanische Flüchtlinge unterstützt die Bundesregierung seit 1984 ein Projekt zur Förderung des Erziehungswesens und eines buddhistischen For14228 schungsprogramms zur geistig-religiösen Erneuerung Kambodschas. Der Zuschuß der Bundesregierung zu diesem Projekt betrug 1985 200 000 DM. Für 1986 und 1987 sind je 350 000 DM zur Fortführung des Projekts vorgesehen. Die Bundesregierung unterstützt schließlich politisch die auch von der KPNLF und der FUNCINPEC angestrebte Wiederherstellung des Selbstbestimmungsrechts des kambodschanischen Volkes auf der Grundlage der hierzu von der Generalversammlung der Vereinten Nationen und der internationalen Kambodscha-Konferenz verabschiedeten Erklärungen. Die Bundesregierung tritt in diesem Rahmen für eine friedliche und politische Lösung der Kambodscha-Frage ein. Keine Hilfe irgendwelcher Art erhalten die Roten Khmer.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Hupka, bitte schön, zu einer Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, indem ich mich für diese umfassende Antwort und auch für die Leistungen bedanke, frage ich: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierung in Thailand die von Ihnen zu Recht so genannten Flüchtlinge nicht als legale Flüchtlinge betrachtet, sondern als illegale „displaced persons", so daß sich auch bezüglich der Hilfeleistung besondere Schwierigkeiten ergeben?

Not found (Gast)

Ich würde jetzt angesichts der Notwendigkeit, in dieser Frage - wie übrigens in vielen anderen Fragen - mit der uns befreundeten thailändischen Regierung eng zusammenzuarbeiten, nur ungern eine Bewertung vornehmen. Aber es trifft zu, daß dieses Problem, das für die thailändische Regierung ein beachtliches Problem darstellt, nicht so leicht zu behandeln ist, auch wegen möglicher unterschiedlicher Bewertungen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben im Zusammenhang mit der Antwort eine Erhöhung eines ganz bestimmten Postens für 1986 in Aussicht gestellt. Betrifft das generell die humanitäre Hilfe für die Gruppierung, die Sie genannt haben?

Not found (Gast)

Nein, das bezieht sich nun wirklich auf das Projekt zur Förderung des Erziehungswesens und des buddhistischen Forschungsprogramms; denn wir haben natürlich ein Interesse daran, nachdem dieses Land ideologisch und von seiner Ausbildungs- und Bildungsstruktur her in einer ganz bestimmten Richtung festgelegt worden ist, den Menschen dort wieder die Chance zu geben, sich auf Eigenverantwortung, auf Mündigkeit hin zu orientieren. Deswegen setzen wir da einen Schwerpunkt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel.

Axel Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002376, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt: Keine Hilfe erhalten die Roten Khmer. Ich würde daher ganz gerne wissen, nachdem die Roten Khmer praktisch das Schrekkensregiment unter Pol Pot gewesen sind und jahrelang einen Massenmord an ihrer eigenen Bevölkerung begangen haben, wie die Bundesregierung es bewertet, daß Vertreter dieses Regimes bei der UNO nach wie vor als die Vertreter Kambodschas residieren, und inwieweit die Bundesregierung bereit ist, dagegen etwas zu unternehmen.

Not found (Gast)

Herr Kollege, Sie wissen, daß die in der UNO diskutierte Alternative ja die ist, daß das Demokratische Kamputschea dem von den Vietnamesen eingesetzten Marionettenregime entgegengestellt werden soll. Unsere Einstellung zu den Verbrechen, die unter der Herrschaftszeit Pol Pots begangen worden sind, trennt uns beide nicht. Aber dies kann keine Legitimation für welches Land auch immer sein, von außen eine Regierung zu installieren. Deswegen plädieren wir - politisch, wie ich sagte - für eine Lösung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts und der Vorschläge der Kambodscha-Konferenz.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Im übrigen, Herr Abgeordneter Vogel, würde ich an Ihrer Stelle einmal darüber nachdenken, ob der Sachzusammenhang mit der ursprünglichen Frage wirklich noch gegeben ist. Herr Abgeordneter Czaja, ich rufe Ihre Frage 28 auf: Begrüßt die Bundesregierung die - im umfassenden Geist des Bündnisses und des Deutschlandvertrages getroffene - Feststellung des amerikanischen Außenministers in Berlin, daß die Verbündeten „als Treuhänder der geteilten deutschen Nation handeln" müssen, daß „ein Grundbestandteil der Friedenssuche", der Entspannungsbestrebungen des Westens, die Überwindung „der künstlichen Teilungen" Europas, Deutschlands und Berlins sowie die Durchsetzung der Selbstbestimmung ebenso unserer osteuropäischen Nachbarn wie der Deutschen in friedlichem Wandel sein müssen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Czaja, die Bundesregierung begrüßt die Feststellungen des amerikanischen Außenministers in Berlin, mit denen er die Verantwortung der Verbündeten für Berlin und Deutschland als Ganzes bekräftigt hat. Diese Äußerungen unterstützen die erklärte Politik der Bundesregierung, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Im Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland vom 27. Februar des vergangenen Jahres heißt es: Europa wie Deutschland wollen frei zur Einheit finden. Der Schlüssel dazu ist die Selbstbestimmung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, nachdem Sie das dankenswerterweise so begrüßen und der amerikanische Außenminister - ich glaube, das begrüßen Sie ebenso stark, es ist in vollem Einklang mit den Aussagen der Bundesregierung - auch die Treuhänderschaft des Atlantischen Bündnisses für die existentielle Frage der Überwindung der Teilung Deutschlands angesprochen hat - das ist ein sehr starkes Wort -: Sind Sie der Auffassung, daß die Mehrheit der politisch engagierten Deutschen die Bedeutung dieser Rede voll würdigt, deren Auffassung teilt und sie überhaupt in diesen bestimmten Einzelheiten kennt?

Not found (Gast)

Das kann ich beim besten Willen, Herr Kollege Dr. Czaja, nicht beurteilen. Aber im Zweifel werden nach den Erfahrungen, die wir alle haben, von politischen Reden, die Mitglieder von Regierungen oder Parlamenten halten, immer nur bestimmte Schwerpunkte veröffentlicht. Die Dokumentationen, die darüber herausgegeben werden, erreichen immer nur einen kleinen Kreis von Menschen. Aber eine Debatte oder eine Fragestunde wie diese gibt Gelegenheit - vielleicht auch durch die zuhörenden Journalisten -, diese Rede noch einmal aufzunehmen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja, bitte schön.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da es um eine existentielle Frage Deutschlands und der Deutschen und die verfassungsmäßigen Aufgaben auch des freien Teils Deutschlands geht: Halten Sie es nicht für notwendig, daß auch über die Fragestunde hinaus beispielsweise durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die Bedeutung dieser Rede und der substantiellen Aussagen dieser Rede, die ich ja um die Treuhänderschaft ergänzt habe, der deutschen Öffentlichkeit etwas stärker bekanntgemacht wird? Da wir hervorragende Ostinformationen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung haben, aber keine Westinformationen, sollte man bei so gewichtigen Dingen die Veröffentlichung nicht nur der amerikanischen Botschaft und einigen Zeitungen, die davon berichtet haben, überlassen.

Not found (Gast)

Ich habe im Moment nicht den Überblick, wie viele Zeitungen in welchem Umfang über diese Rede berichtet haben. Das muß ich vorausschicken. Aber ich will gern dieser Anregung aus dem Parlament folgen und mit dem Bundespresseamt die Frage aufnehmen, ob in künftigen Fällen vergleichbarer Art zusätzliche Aktivitäten des Bundespresseamtes möglich sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, in der vom Kollegen Dr. Czaja zitierten Rede des amerikanischen Außenministers George Shultz vom 13. September vorigen Jahres ist auch auf Jalta Bezug genommen. Ist die Bundesregierung bereit, diesen Gedankengang, daß in Jalta alles ausgesagt worden ist über die freie Wahl des Regierungssystems eines jeden Landes in Mittel- und Osteuropa, aufzugreifen und auch in der Öffentlichkeit weiterzubehandeln?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Hupka, ich habe vorhin gesagt, daß es unser Ziel ist, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk - das ist ja unser erstes Anliegen - in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Das ist auch etwas, was etwas über unsere Vorstellungen von der staatlichen Ordnung aussagt, unter der wir uns das vorstellen. Wir werden also der Bezugnahme des amerikanischen Außenministers auf die Zielvorstellung freier Wahlen ganz sicherlich nicht nur widersprechen, sondern auch sie begrüßen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf: Wird die Bundesregierung auch außenpolitisch die sechs Kriterien und „Lehren", die der amerikanische Außenminister zu aktuellen Fragen der Ost-West-Beziehungen und zu aktuellen Bemühungen um Abbau der bestehenden „Spannungsquelle" in der deutschen Frage aufzeigte, unterstützen?

Not found (Gast)

Herr Dr. Czaja, die von Außenminister Shultz in sechs Punkten zusammengefaßten Aussagen, die er beispielhaft an Hand der historischen Erfahrungen Berlins seit dem Zweiten Weltkrieg gemacht hat, werden von der Bundesregierung geteilt. Sie sind Bestandteil westlicher Allianzpolitik gegenüber den Staaten Osteuropas, die auf den beiden Pfeilern der Sicherheit und der Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit beruht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, kann ich nach Ihrer dankenswerten Aussage davon ausgehen, daß die Regeln und „Lehren", von denen Shultz spricht, auch die Bemühungen der Bundesregierung, durch friedlichen Wandel zu einem Zustand in Europa zu kommen, den Sie vorher zum Ausdruck gebracht haben und der auch der deutschen Selbstbestimmung entspricht, ganz entscheidend stützen? Werden diese Aussagen benützt werden, um insbesondere auch die Aussagen des Herrn Bundeskanzlers in der Pressererklärung vom 4. Juli 1985 und im Grundsatzartikel zum Moskauer Vertrag vom 12. August 1985, die in hervorragender Weise Ähnliches aussagen, zu unterstreichen?

Not found (Gast)

Ich kenne diese Artikel nicht. Ich kann sie deswegen jetzt nicht bewerten. Aber wir empfinden die Äußerungen, auch die sogenannten sechs Schlußfolgerungen des Außenministers in der Tat als eine Unterstützung für unsere politischen Ziele.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Hupka mit einer Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000982, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, besteht die Möglichkeit, den Text dieser ausgezeichneten Rede des amerikanischen Außenministers unseren Missionen im Ausland zugänglich zu machen, um deutlich zu machen, welchen Standpunkt unser stärkster, größter Bundesgenosse in den deutschen Fragen einnimmt?

Not found (Gast)

Auch mit dieser Frage habe ich mich noch nicht beschäftigt. Aber prinzipiell sollte das keine Schwierigkeit sein.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Damit liegen keine weiteren Zusatzfragen zu diesem Komplex vor. Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf: Kann die Bundesregierung mitteilen, wie viele Menschenopfer der sechsjährige Krieg der Sowjetunion in Afghanistan gefordert hat?

Not found (Gast)

Herr Dr. Meyer zu Bentrup, gesicherte Erkenntnisse über die Anzahl der Opfer, die der Krieg der Sowjetunion in Afghanistan bislang gefordert hat, liegen der Bundesregierung nicht vor. Auf seiten der afghanischen Zivilbevölkerung hat es aber sicher mehrere hunderttausend Tote und Verwundete gegeben. Schätzungen zufolge sind sogar eine Million Opfer zu beklagen. Die sowjetischen Interventionstruppen haben bis heute ca. 10 000 Tote und ca. 20 000 Verwundete zu verzeichnen. Diese Zahlen verdeutlichen, mit welcher Härte der Kampf in Afghanistan von seiten der sowjetischen Truppen geführt wird. Aufschluß darüber gibt der „Bericht über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan", den der Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Professor Ermacora, im Februar 1985 veröffentlicht hat. Er wurde in aktualisierter Form im November 1985 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgelegt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie erklären Sie es, daß der Westen dem Völkermord in Afghanistan fast schweigend zusieht?

Not found (Gast)

Ich finde nicht, daß man sagen kann, daß der Westen schweigend zusieht, wiewohl ich Ihre Auffassung in einem Punkt teile: Man hat fast den Eindruck, als gehe man bei diesem Thema zu einer Art Jahrestagspraxis über, bei der man sich einmal im Jahr, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Einmarsch jährt, mit diesem Thema beschäftigt. Dies ist sicher aus der Sicht der betroffenen Menschen inakzeptabel und ist übrigens auch nicht sehr überzeugend und plausibel, wenn man sich das politische Engagement vieler Menschen bei uns und in anderen westlichen Staaten in anderen Fällen ähnlicher Art anschaut. Es birgt vor allen Dingen die Gefahr in sich, daß die Sowjetunion daraus den Schluß ziehen könnte, man müsse ein Ziel nur geduldig genug verfolgen, und dann werde sich die Weltöffentlichkeit daran gewöhnen. Das ist die eigentliche Gefahr. ({0}) Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages hat nun erfreulicherweise - wenn ich mir dieses Urteil erlauben darf - beschlossen, ein zweitägiges öffentliches Anhörverfahren zur Situation in Afghanistan am 18. und 19. März vorzusehen und dabei insgesamt 21 internationale Sachverständige zu hören, um dieses Problem ins Bewußtsein zu bringen und darauf zu drängen, daß es zu einer politischen Lösung kommt, die nur darin bestehen kann, daß die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden und daß den Menschen in Afghanistan das Selbstbestimmungsrecht eingeräumt wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß es eine stärkere Berichterstattung gibt, damit unser Wissen und Gewissen wachgerüttelt wird und wir nicht nur täglich etwas über Nicaragua lesen?

Not found (Gast)

Es ist für die Bundesregierung sehr schwierig, die Medienlandschaft oder die Journalisten, die in ihr tätig sind, so zu beeinflussen oder sie dafür zu gewinnen. Wir geben Informationen, soweit wir sie haben. Mein Eindruck ist, daß dies eine Aufgabe aller politisch Tätigen ist. Es ist ja kein Geheimnis, daß es eine große Zahl von Journalisten gibt, die mit ihren Sympathien eher bei der einen oder der anderen Partei stehen. Vielleicht sollten wir alle die Möglichkeit - die wir ja haben - wahrnehmen, im Gespräch mit Journalisten diese aufzufordern, diesem Thema die gleiche Breite einzuräumen, die man vergleichbaren Themen eingeräumt hat. Nun möchte ich hinzufügen, daß man die Lage in Nicaragua, wie immer man sie bewerten mag - und sie ist sicherlich kritisch zu bewerten -, hinsichtlich der Dimension des Problems auf gar keinen Fall mit dem von der Sowjetunion geführten Angriffskrieg, durch den dort fast 1 Million Menschen umgebracht worden sind, vergleichen sollte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf: Kann die Bundesregierung mitteilen, wie viele Menschen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden?

Not found (Gast)

Herr Dr. Meyer zu Bentrup, infolge der Kriegshandlungen in Afghanistan haben nach dem Bericht von Professor Ermacora rund 4 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Sie fanden zumeist Zuflucht in Pakistan, das ca. 3 Millionen afghanische Flüchtlinge beherbergt, und im Iran. Es gibt jedoch auch eine Flüchtlingsbewegung innerhalb Afghanistans. Dort haben sich schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen aus Angst vor dem Krieg oder aus materieller Not in die Städte geflüchtet. Vor der sowjetischen Invasion Ende 1979 hatte das Land 15,5 Millionen Einwohner. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung hat demnach bisher seine Heimat verloren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Meyer zu Bentrup? - Das ist nicht der Fall. Dann möchte der Abgeordnete Gansel dazu eine Zusatzfrage stellen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben darauf hingewiesen, daß in den Nachbarländern über 3 Millionen Flüchtlinge vorübergehend eine Heimat gefunden haben. Können Sie im Blick auf die oft übertriebenen und oft auch bösartigen Berichte in deutschen Zeitungen über eine „Asylantenflut" in der Bundesrepublik oder über die „Flüchtlingsheimstatt Bundesrepublik" sagen, wie viele Flüchtlinge aus Afghanistan in der Bundesrepublik Asyl erhalten haben?

Not found (Gast)

Das kann ich Ihnen aus dem Stand nicht sagen, Herr Kollege Gansel; auf diese Frage bin ich nicht vorbereitet. Ich möchte aber betonen, daß es auch nicht unser Interesse ist, jetzt eine möglichst große Zahl von aus Afghanistan geflohenen Menschen nach Deutschland zu holen, sondern wir helfen den Pakistanis mit beachtlichen finanziellen Mitteln dabei, diese Menschen in ihrem Land zu betreuen. Wir wollen auf diese Art und Weise - dadurch, daß sie in der Nähe ihres eigenen Landes bleiben - auch deutlich machen, daß wir wünschen, daß sie möglichst schnell in ihr eigenes Land zurückkommen können. Das soll ja kein Dauerzustand werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe als letzte Frage der heutigen Fragestunde die Frage 32 des Abgeordneten Dr. de With auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des US-Präsidenten, daß der Staatschef Libyens - und damit Libyen - in die Terroranschläge von Rom und Wien verwickelt sei?

Not found (Gast)

Herr Kollege de With, die Bundesregierung geht davon aus, daß der stellvertretende amerikanische Außenminister Whitehead, der am 20./21. Januar 1986 im Auftrag von US-Präsident Reagan die amerikanischen Maßnahmen gegen Libyen ausführlich erläutern will, die Informationen über die Erkenntnisse der Vereinigten Staaten in dieser Frage im einzelnen darlegen wird. Der österreichische Außenminister Gratz hat am 7. Januar 1986 erklärt, daß man Anhaltspunkte für eine Beteiligung Libyens an verschiedenen Terrorhandlungen habe, daß aber bisher konkrete Beweise fehlten. Die Innenminister Italiens und Österreichs haben gesagt, die Terroristen von Rom und Wien seien aus Lagern im Bekaa-Tal im Libanon gekommen. Es gebe keinen Beweis für eine Verwicklung Libyens. Der Verdacht bleibe aber bestehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter de With. Bitte sehr.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich präzise gefragt habe, ob die Regierung die Auffassung des US-Präsidenten teile, daß der Staatschef Libyens in die Terroranschläge „verwickelt" sei, frage ich Sie, ob Sie willens sind, diese meine Frage zu beantworten: ob er „verwickelt" sei.

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Ich habe das verstanden, Herr Kollege de With. Aber ich bitte um Verständnis, daß ich eine Beantwortung mit Ja oder Nein erst dann vornehmen möchte, wenn wir Herrn Whitehead hiergehabt und das Material, das er uns vorzulegen beabsichtigt, bewertet haben. Ich kann, bevor das geschehen ist, Ihre Frage seriös heute nicht definitiv mit Ja oder Nein beantworten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage. Bitte schön.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 15. Januar 1986 entnehmen muß, daß der Staatschef Italiens, Craxi, davon sprach, daß eine Komplizenschaft vorgelegen habe, muß ich Sie fragen, a) ob Sie diese Auffassung teilen und b) ob Sie versucht haben, über unsere Verbündeten zu klären, welche Beweise insoweit vorliegen.

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Der Innenminister Italiens, Herr Kollege de With, war gestern hier bei uns, und er hat das gesagt, was ich vorgetragen habe, nämlich: Nach seinen Erkenntnissen seien die Terroristen von Rom und Wien aus Lagern im Bekaa-Tal im Libanon gekommen; es gebe keinen Beweis für eine Verwicklung Libyens; der Verdacht aber bleibe bestehen. ({0}) - Die Pässe scheinen - das muß man mit allem Vorbehalt sagen - solche zu sein, die möglicherweise tunesischen Gastarbeitern, die in Libyen früher tätig gewesen waren, abhanden gekommen sind. Wir wissen nicht, ob es Pässe sind, die von ordnungsmäßigen Grenzkräften Libyens ihnen abgenommen und etwa an Dritte weitergegeben worden sind; oder wie sie sonst in die Hand der Betroffenen gekommen sind. Ich meine, Sie wissen aus Ihrer früheren Tätigkeit, daß auch in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland Pässe in einem erstaunlichen Umfang in die Hand von Unbefugten kommen, ohne daß es im einzelnen immer sehr leicht ist, zu belegen, wie sie dorthin gekommen sind. Das ist wohl einer der Punkte, bei denen man meint, daß es Anzeichen für eine Verwicklung gebe. Aber dem steht natürlich auch die jetzt mehrfach wiederholte Erklärung der libyschen Regierung - zuletzt durch den Außenminister Triki abgegeben - gegenüber, daß sie die Taten von Rom und Wien verurteile und mit ihnen nichts zu tun habe.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Ich schließe die Fragestunde. ({0}) - Wir sind schon sehr über die Zeit, Herr Abgeordneter Gansel. Ich habe schon mehr als drei Minuten überzogen. Ich bitte um Verständnis, daß ich nun die Fragestunde schließe. ({1}) - Wir hatten im Ältestenrat vereinbart, Herr Abgeordneter Becker, daß wir um 15.30 Uhr mit dem Tagesordnungspunkt 5 beginnen. Die Uhr weist Vizepräsident Cronenberg nunmehr 15.34 Uhr aus. Ich glaube, die Großzügigkeit des Präsidenten sollte nicht überstrapaziert werden. Ich schließe die Fragestunde. Ich rufe nunmehr vereinbarungsgemäß die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN Richtlinien der Zentralen Kommission für biologische Sicherheit zum Schutz vor Gefahren durch in vitro neukombinierte Nukleinsäuren - Drucksache 10/3531 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie ({2}) Innenausschuß b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({3}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hickel und der Fraktion DIE GRÜNEN Gentechnik - Drucksachen 10/2740, 10/3943 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Neumeister Dr. Kübler Schmidt ({4}) Beschlußfassung Zum Tagesordnungspunkt 5 b liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4670 vor. Außerdem ist mir gerade mitgeteilt worden, daß es einen Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/4679 gibt, von dem ich noch nicht weiß, ob er inzwischen verteilt worden ist. Wir werden aber dafür Sorge tragen - die Verwaltung bemüht sich -, daß er jedenfalls bis zur Abstimmung verteilt ist. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b und ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Hiergegen ergibt sich kein Widerspruch. Ich gehe auch davon aus, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird. - Da all dies so ist, können wir mit der Aussprache beginnen. Ich rufe die Abgeordnete Frau Dann auf. Bitte sehr.

Heidemarie Dann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag ist heute aufgefordert, Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes von den schwerwiegenden Folgen einer rücksichtslosen Technikentwicklung sofort zu ergreifen. Er ist aber gleichzeitig aufgefordert, einen Angriff der Bundesregierung auf demokratische Prinzipien abzuwehren. Ich will das im folgenden erklären. Minister Riesenhuber hat mit seinem Vorhaben, die Sicherheitsrichtlinien für Arbeiten mit gentechnischen Methoden in Kürze zu revidieren, seine Mißachtung des Parlaments zum Ausdruck gebracht. Eine zentrale Aufgabe der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission zur Gentechnologie sollte die Erarbeitung von Kriterien für solche Sicherheitsstandards sein. Genau an diesem Punkt will Minister Riesenhuber den Bundestag jedoch vor vollendete Tatsachen stellen. In wenigen Wochen soll eine Neufassung der Bestimmungen im Kabinett beraten werden, die zwei Hauptpunkte hat: ein Routinezulassungsverfahren für die industrielle Produktion und die Aufhebung des bisherigen Verbots einer absichtlichen Freisetzung von gentechnisch veränderten Mechanismen in die Umwelt. ({0}) Zur Erörterung der Freilassungs-Frage hat das BMFT für morgen zu einer geschlossenen Veranstaltung eingeladen, an der auch ausländische Wissenschaftler teilnehmen werden. Daß die EnqueteKommission erst nachträglich, d. h. vorgestern, dazu eingeladen wurde, als der Termin zufällig bekanntgeworden war, halte ich für einen ungeheuerlichen Vorgang. Nun zu einem anderen Aspekt: Heute ist viel von Altlasten, die unsere Umwelt vergiften, die Rede. Wenn allerdings gentechnisch veränderte Lebewesen in die Umwelt gelangen, müssen wir in Zukunft mit Altlasten ganz anderer Art fertigwerden. Lebewesen bleiben nicht auf Mülldeponien sitzen, sie können sich auf unvorhersehbare Weise fortpflanzen und ausbreiten, mit anderen Organismen in genetischen Austausch treten und dabei ganze Ökosysteme verändern oder zerstören. Einmal freigesetzte Organismen können nicht wie glykolhaltige Weine zurückgerufen werden. Auch die Entscheidung für den Einstieg in die gentechnische Großproduktion ist kaum umkehrbar. Deshalb fordern die GRÜNEN: keine Änderung der Sicherheitsrichtlinien, bevor die Enquete-Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. ({1}) Hier muß der Bundestag auch international ein Zeichen setzen. Denn in den USA steht in diesen Tagen nach mehr als zweijährigem juristischem Kampf die erste Freisetzung von gentechnisch veränderten Eis-minus-Bakterien unmittelbar bevor. Es muß eine Diskussion nicht nur der Risiken gentechnischer Projekte, sondern auch ihrer Zielsetzung geben. Deshalb fordern wir eine Veröffentlichung aller derzeit vorliegenden und künftigen Anträge, die auf eine Freisetzung oder auf eine Großproduktion abzielen. Mit diesen Forderungen kann nur ein Einfrieren des Ist-Zustandes erreicht werden. Damit sind aber keineswegs alle Gefahren gebannt. Insgesamt können die Richtlinien entgegen den Behauptungen des BMFT allein aus juristischer Sicht ihre Schutzfunktion kaum erfüllen; denn sie sind nur für öffentlich geförderte Projekte bindend. Wie weit die freiwillige Selbstbindung in der Industrie reicht, erfuhren wir hier im Plenum am 5. November 1985. Dem BMFT liegen Erkenntnisse darüber vor, daß einige Gentechnikfirmen in der BRD ihre Versuche gar nicht erst gemeldet haben. Wir sollten mit dem Hinweis beschwichtigt werden, es habe im sicherheitsrelevanten Bereich keinerlei Anhaltspunkte für eine Gefährdung gegeben. Weder mit den bestehenden Richtlinien noch mit bestehenden Gesetzen zum Schutz des Wassers, der Böden, der Lebensmittel oder der menschlichen Gesundheit haben wir ein wirksames Mittel gegen die bisher ungeklärten und vor allem derzeit unklärbaren Risiken dieser Technologie. Solche Risiken bestehen nicht nur bei gentechnischen Verfahren, sondern auch bei Arbeiten mit anderen zellbiologischen Methoden und mit Erregern wie Retro-Viren. Die USA werden als Konkurrent und Vorbild im Wettbewerb um die Entwicklung und Kommerzialisierung der Gentechnologie immer weiter beschworen. Als GRÜNE wollen wir statt dessen das Vorbild des umfassenden amerikanischen Umweltverträglichkeitsgesetzes nachahmen. Damit konnten in den USA bereits der Bau eines gentechnologischen Labors für die Erforschung biologischer Waffen sowie die Freisetzung verhindert werden. Ein solches Gesetz läßt sich leider nicht von heute auf morgen realisieren, mit Sicherheit nicht so schnell, wie die Gentechnologiewelle unter dem Druck der Industrie auf uns zukommen wird. Deshalb muß auf anderem Wege eine Denkpause erreicht werden. Die GRÜNEN fordern daher ein Moratorium für die gentechnologische Forschung. Danke. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Voigt ({0}).

Dr. Hans Peter Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002387, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir die ersten Anträge der GRÜNEN vorgelegt bekamen, waren wir uns schon darüber im klaren, daß die Begründung wenig ernsthaft war, daß es primär um Publikumswirksamkeit ging und daß zum wiederholten Male versucht wurde, Unsicherheit in die Öffentlichkeit zu bringen. Liebe Frau Dann, Sie sagten eben, daß hier eine Mißachtung des Parlaments vorliege. Sie müßten einmal die Begründung Ihrer beiden Anträge nachlesen. Zum einen weisen Sie darauf hin, daß die Ergebnisse der Enquete-Kommission nicht abzuwarten sind, um zu einem Beschluß zu kommen. Zum anderen wird erklärt, wir müßten die Ergebnisse der Enquete-Kommission abwarten. Ich weiß nicht, wo darin eine vernünftige Logik steckt. Zumindest wenn man sich den Änderungsantrag, der uns heute morgen auf den Tisch gelegt worden ist, anschaut, wird die Konfusion perfekt. Ich glaube, daß nicht Sachkompetenz diese Anträge geschrieben hat, sondern daß hier wieder versucht wird, mit Falschmeldungen und Unterstellungen zu arbeiten, die Sie, Frau Dann, eben auch wieder benutzt haben, als Sie sagten, daß mit der Revision der Richtlinien versucht werden solle, die Freisetzungsproblematik anzugreifen. Das ist nicht der Fall. Auch hier arbeiten Sie mit Unterstellungen. Wir haben in einem sehr mühsamen Prozeß versucht, uns in der Enquete-Kommission „Gentechnologie" sachkundig zu machen, indem wir viele Wissenschaftler eingeladen haben. Dieser Versuch scheint an Ihnen ein bißchen vorbeigegangen zu sein. Vielleicht war die Anhörung dafür zu kurz. Ich bedaure das. Lassen Sie mich auf unsere Linie zurückkommen, die wir in den angesprochenen Fragen, die Sie in dem Änderungsantrag zusammengefaßt haben, vertreten. Wir haben ein ganz klares Konzept, was die immunbiologische und virologische Forschungsarbeit angeht. Hier wollen wir von der Bundesregierung eine Aufstellung bekommen, um der Immunmangelkrankheit AIDS in vernünftiger Form begegnen zu können. Dem gleichen Ziel dient der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vom 10. Dezember 1985, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, zusätzliche Maßnahmen zu entwickeln und durchzuführen, um den betroffenen Personenkreis zu schützen. Angesprochen ist eine zusätzliche Aufklärung, angesprochen sind zusätzliche Informationen über Verhaltensformen, ärztliche Fortbildung, Weiterentwicklung von diagnostischen Verfahren, internationale Zusammenarbeit und die Entwicklung von Impfstoffen und Chemotherapeutika. Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, die Richtlinien der Zentralen Kommission für biologische Sicherheit nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern später zu revidieren, muß auf Ablehnung stoßen. Unsere Linie ist klar. Wir müssen die jeweiligen Sicherheitsvorschriften den Gegebenheiten anpassen. Bei einer so rasant sich entwickelnden Wissenschaft muß auch diese Dynamik auf die Sicherheitsüberlegungen übertragen werden. Ich glaube, daß die Bundesregierung hier immer verantwortungsvoll gehandelt und immer das Ziel gehabt hat, diese Richtlinien unter dem Gesichtspunkt zu ändern, die Freilassung von manipulierten schädlichen Mikroorganismen zu verhindern, um somit den Menschen zu schützen. Das Ergebnis der Vergangenheit ist ja eindeutig. Die seit langem in Kraft befindlichen Sicherheitsrichtlinien der ZKBS haben funktioniert. Sie haben den Menschen, sie haben die Umwelt geschützt. Es gilt, diese Richtlinien in einer vernünftigen und verantwortungsvollen Form weiterzuentwickeln, ausgehend von einer zu erstellenden Nutzen-RisikoAbschätzung. Lassen Sie mich zum Schluß noch auf die Aufgaben der Enquete-Kommission zurückkommen. Selbstverständlich ist es die Aufgabe dieser Kommission, eine Nutzen- Risiko-Abschätzung vorzunehmen und eine Basis der forschungspolitsichen Maßnahmen zu finden. Aber es hat in der Vergangenheit - und das wird auch in Zukunft so sein - einen engen Kontakt zu dem zuständigen Ministerium gegeben. Es hat einen Gedankenaustausch mit Minister Riesenhuber gegeben. Wir werden die Dr. Voigt ({0}) Neufassung der Richtlinien mit dem zuständigen Minister in den nächsten Tagen und Wochen besprechen. Diese Zusage für einen Gedankenaustausch liegt vor. Auch die Kommission wird dann ihre Gedanken in die endgültige Fassung einbringen. Lassen Sie mich schließen und sagen: Unsere Wissenschaft braucht vernünftige Richtlinien. Sie müssen den Gegebenheiten angepaßt werden. Das ist zumindest unser Ziel. Der Zeitpunkt scheint mir dafür gekommen zu sein hinsichtlich der Bereiche, in denen eine verantwortliche Tätigkeit gewährleistet ist. Vielen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich gebe jetzt dem Abgeordneten Catenhusen das Wort, möchte aber herzlich darum bitten, die für das Haus notwendige Ruhe herzustellen. Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst nehmen wir mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die GRÜNEN mit dem heute vorgelegten Antrag ihren lange Zeit und sehr emsig vertretenden Vorwurf, AIDS sei durch die gentechnologische Forschung entstanden, fallengelassen haben. Das wird die Diskussion über die Entstehung und Bekämpfung von AIDS auch in der Öffentlichkeit versachlichen. Ich denke, die GRÜNEN mußten akzeptieren, daß sie durch diese Diskussion viel zur Verwirrung in der öffentlichen Meinung beigetragen haben. Es wird noch erheblicher Forschungsanstrengungen bedürfen, bis wir den AIDS-Kranken wirklich helfen können. Die gentechnologische Forschung hat uns zwar die Strukturaufklärung des AIDS-Virus in sehr rascher Zeit ermöglicht. ({0}) Wir sind auch auf dem Gebiete der Testverfahren zur Erkennung von AIDS sehr weit vorangekommen. Aber wir können heute nicht davon reden, daß wir die Aussicht haben, einen wirksamen Impfstoff gegen den AIDS-Virus in Sicht zu haben. Viren sind auch an der Entstehung von Krebs beteiligt. Es wird auch der Frage nachgegangen, ob an der Entstehung der multiplen Sklerose möglicherweise Viren beteiligt sind. Es bedarf daher einer Intensivierung der Erforschung unseres Immunsystems und der Erforschung viraler Infektionen. Der Forschungsausschuß hat dazu mit seinem Beschluß eine Initiative ergriffen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rusche?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, Herr Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es keinen AIDS-Virus gibt, sondern nur einen HTLV-3-LAV-Virus?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mir zustimmen, daß dieser maßgeblich zur Entstehung von AIDS beiträgt, sind wir uns vielleicht sogar wieder einig. ({0}) - Wunderbar. Der Umgang mit Viren in der Forschung bringt aber auch Risiken. Wir gehen diesen Risiken in der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" nach. Da wir gerade in der übernächsten Woche den Fragen, die in Punkt 2 und 3 des Änderungsantrags der GRÜNEN angesprochen werden, nachgehen, halten wir den Antrag in diesen Punkten für entbehrlich. Die GRÜNEN sagen immer: Wir wollen die Arbeiten der Enquete-Kommission im Bundestag und durch die Bundesregierung nicht vorwegnehmen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigung, daß ich Sie unterbreche. - Meine Damen und Herren, ich wäre sehr dankbar, wenn diejenigen, die nicht darauf verzichten können, sich mit den Kollegen zu unterhalten, den Saal verlassen und die notwendige Ruhe auf diesem Weg hergestellt wird. ({0}) Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, nicht fortzufahren. Solange die Ruhe nicht hergestellt ist, werde ich Ihnen das Wort nicht wieder geben. - Danke schön. Sie können nunmehr fortfahren.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" wird ihre Arbeiten noch in diesem Jahr abschließen. Im Bundesforschungsministerium wird zur Zeit eine 5. Fortschreibung der Richtlinien der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit erarbeitet. Wir Sozialdemokraten erwarten in dieser Situation von der Bundesregierung, daß sie der Arbeit unserer Kommission nicht vorgreift, daß insbesondere die bestehenden Richtlinien nicht gelockert werden. Unser Antrag formuliert im Unterschied zu dem allgemein formulierten Antrag der GRÜNEN präzise unsere Bedenken. Insbesondere fordern wir, daß die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen vor Abschluß unserer Arbeit und nach Auswertung dieser Arbeit durch das Parlament nicht zugelassen wird. Denn ein solches Experiment ist nicht rückholbar, meine Damen und Herren, könnte ökologische Schäden verursachen, die wir nicht mehr aus der Welt schaffen können. Das, denke ich, ist ein maßgeblicher Grund dafür, solche Experimente zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zuzulassen. Wir fordern weiterhin, daß die bestehenden Einschränkungen und Verbote für den Umgang mit Krankheitserregern aufrechtzuerhalten sind, weil auch hier die Gefahren nicht abgeschätzt werden können. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Uns vor den Folgen der Erkenntnisse der Genforschung durch Nicht-Wissen-Wollen, durch Forschungsverbote in der Grundlagenforschung schützen zu wollen, ist für uns weder möglich noch sinnvoll. Darin unterscheiden wir uns von den GRÜNEN. Wir werden den Änderungsantrag der GRÜNEN bis auf den Punkt 5 ablehnen und stellen unseren Änderungsantrag zur Abstimmung. Schönen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr bitte ich um Ruhe für den Abgeordneten Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in dieser Aussprache um zwei Punkte, nämlich einmal um die Fortschreibung der Sicherheitsrichtlinien der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit und zum zweiten um das Thema AIDS. Lassen Sie mich zu dem ersten Thema folgendes deutlich machen. Wir Liberalen halten daran fest, daß der hohe Sicherheitsstandard, den wir in der Vergangenheit in diesem Bereich erreicht haben, gewahrt bleiben muß. Es geht unter gar keinen Umständen darum, hier zu einer Einschränkung zu kommen. Denn bisher haben sich diese Sicherheitsrichtlinien bewährt. Allerdings, meine Damen und Herren, haben wir in der Zwischenzeit rund zehn Jahre Erfahrung im Umgang mit gentechnologischen Arbeiten und können deshalb sagen: Es ist sinnvoll, zu überprüfen, ob bestimmte Befürchtungen, die am Anfang dieser Entwicklung bestanden, heute noch gerechtfertigt sind. Deswegen ist es notwendig, diese Richtlinien zu überprüfen und zu überarbeiten. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich möchte nochmals versuchen, die notwendige Ruhe herzustellen.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Jahre 1981 hat die letzte Überprüfung der Sicherheitsrichtlinien stattgefunden. Ich denke, es wird angesichts des rapiden wissenschaftlichen Fortschritts in diesem Bereich dringend nötig, daß hier gehandelt wird. Selbstverständlich - da stimmen wir denen zu, die das hier bereits ausgeführt haben - muß die Bundesregierung dabei die Anregungen und Vorschläge der EnqueteKommission berücksichtigen. Lassen Sie mich die liberale Position in diesen Fragen in vier Punkten zusammenfassen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte nochmals eindringlich um Ruhe. Ich unterbreche sonst die Sitzung.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht, wie ich sagte, um vier Punkte. Erstens. Wir müssen den Anwendungsbereich der Sicherheitsrichtlinien nicht nur auf den Bereich der Rekombination von DNS beschränken, sondern auf den Bereich der Zellbiologie, beispielsweise Zellfusion, ausweiten. Es geht zweitens darum, die Freisetzungsproblematik angemessen zu berücksichtigen. Es geht drittens darum, darüber nachzudenken, ob die bisherige Freiwilligkeitsregelung für die private Wirtschaft aufrechterhalten werden kann. Und es geht viertens darum, die Bundesregierung aufzufordern, in Zukunft regelmäßig und ständig im Gleichschritt mit dem wissenschaftlichen Fortschritt diese Richtlinien zu überprüfen. ({0}) Was nun den zweiten Bereich, AIDS, angeht, meine Damen und Herren, so gilt hier das gleiche wie für die Anträge der GRÜNEN zum Problem der Sicherheitsrichtlinien. Was Sie in Ihren Anträgen vortragen, ist im Grunde nichts anderes als der Versuch, Ängste und Emotionen zu wecken, Unruhe zu schüren, Menschen zu verängstigen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß in dem Antrag der GRÜNEN wörtlich steht, „daß das AIDS-Virus ein in wissenschaftlichen Laboratorien entstandener Krankheitserreger ist" - jeder, der sich ein bißchen mit der Thematik beschäftigt hat, weiß, daß dies kompletter Unsinn ist, es keinerlei wissenschaftlichen Beleg dafür gibt -, ({1}) dann, meine Damen und Herren, wird deutlich: Hier geht es den GRÜNEN ausschließlich darum, Unruhe zu schüren. ({2}) Meine Damen und Herren, seit Sie diesem Hause angehören, ist Grün eben nicht mehr die Farbe der Hoffnung, sondern die Farbe der Verunsicherung und der systematischen Irreführung. ({3}) Meine Damen und Herren, wir wissen, daß AIDS ein großes und schwieriges Problem ist. Deswegen hat der Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie einen Bericht von der Bundesregierung gefordert. Wir wollen erstens eine deutliche Übersicht über die immunbiologischen und virologischen Forschungen in der Bundesrepublik haben. Wir wollen zweitens wissen, was bisher an Forschungsförderung in diesem Bereich stattgefunden hat. Wir wollen drittens wissen, wie der Stand der internationalen Forschung aussieht und welche Möglichkeiten es gibt, diese Forschung zu intensivieren und zu verbessern. Und wir möchten viertens auch wissen, was die pharmazeutische Industrie in diesem Bereich an Fortschritten erreichen konnte. Meine Damen und Herren, wir Liberalen lassen uns nicht durch ein manichäisches Weltbild der GRÜNEN verunsichern. Wir sind nicht der Auffassung, daß man alles in Schwarz und Weiß einteilen kann. Wir bleiben bei unserer Position. Wir wollen dafür sorgen, daß die Gentechnologie in ihren Chancen und in ihren Risiken ausgewogen beurteilt wird. Deswegen werden wir die Anträge der GRÜNEN ablehnen. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Minister für Forschung und Technologie, Riesenhuber. Herr Minister. ({0}) - Ich möchte die Kollegen noch einmal eindringlich bitten, doch die notwendige Ruhe herzustellen.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reden der heutigen kleinen Debatte, die Arbeit der Enquete-Kommission haben gezeigt, was Gentechnologie für großartige Chancen bringt, daß wir aber auch sensibel zu sein haben gegenüber ihren möglichen Risiken. Die Bundesregierung hat dies seit Oktober 1982 mit größter Sorgfalt beachtet. Das gilt im Bereich des Umgangs mit menschlichem Erbgut, wo wir nach erheblichen und intensiven Vorarbeiten die Benda-Kommission eingesetzt hatten, die ihren Bericht vorgelegt hat. Dies gilt bei den Richtlinien der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, die heute im Mittelpunkt der Debatte stehen. Grundsatz war immer, daß wir die großartigen Chancen der Gentechnologie nutzen, daß wir rechtzeitig verstehen, wo ihre Risiken liegen, daß wir im Zweifel unsere vorsichtigen Maßnahmen an der Oberkante des erwartbaren Risikos ansetzen und so insgesamt das Verantwortliche nach besten Kräften vollziehen. ({0}) Seit 1981 ist die Revision hier nicht mehr durchgeführt worden. Sie ist fällig. Seit Beginn der Periode arbeiten wir daran. Sie ist eine Aufgabe der Exekutive, also der Bundesregierung. Wir sind aber dankbar für jeden Beitrag des Parlaments und der Enquete-Kommission und nehmen ihn auf. Die Punkte, die wir als kritisch angesprochen haben, betrachten wir mit großer Sorgfalt. Die Freisetzung gentechnisch modifizierter Bakterien steht heute unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. An diesem Tatbestand haben wir eine Änderung nicht vorgesehen. Wir werden mit größter Sorgfalt an diese Frage herangehen. Die Frage des Umgangs mit Krankheitserregern, die der Kollege Catenhusen angesprochen hat, werden wir ebenfalls mit größter Sorgfalt betrachten. Hier haben wir eine klare rechtliche Regelung. Und diese rechtliche Regelung hat sich bis heute als tragfähig erwiesen. Wenn wir die einzelnen Fragen ansehen, dann sind wir auf die Empfehlungen der Enquete-Kommission zu den Punkten sehr gespannt. Aber selbst wenn diese nicht mehr in die jetzige Novellierung einbezogen werden können, ist zu berücksichtigen, daß hier nicht für lange Fristen entschieden werden wird. Wenn die Empfehlungen der Enquete-Kommission vorliegen, wird zu prüfen sein, an welchen Stellen uns neue Erkenntnisse dazu veranlassen können und vielleicht auch müssen, in einer nächsten Runde eine weitere Novellierung zu erwägen. Ich meine, daß unsere Wirtschaft und unsere Wissenschaft klare, verläßliche, sachgerechte und eindeutige Rahmenbedingungen brauchen. Nur dann können wir die großartigen Möglichkeiten der Gentechnologie nutzen: für Gesundheit und Umwelt, für Industrieprodukte, für Impfstoffe, für die Möglichkeit von Arbeitsplätzen und Problemlösungen, für die Chancen der Pflanzenzüchtung. Nur dann können wir in einer schwierigen und komplexen Welt die Probleme mit dem besten Wissen lösen. Unser Programm führt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen. Aus gemeinsamen Anstrengungen entsteht ein Konzept, aus dem wir Zukunft bauen, unter der besten Nutzung dessen, was wir wissenschaftlich können, aber mit einer empfindlichen und sensiblen Verantwortung für eine verletzliche Welt, in der wir uns zu bewegen haben. Aus beiden entsteht die Zukunft, nicht aber aus der Verweigerung von Entscheidungen, nicht aus dem Wegdukken vor den Problemen, nicht aus dem Wegschlüpfen vor dem, was heute unserer Verantwortung anheimgegeben ist. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache kann geschlossen werden. Zu Tagesordnungspunkt 5 a schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, den Antrag auf Drucksache 10/3531 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Antragsteller schlagen zusätzlich die Mitberatung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vor. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. So ist die Überweisung entsprechend beschlossen. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 5 b, zunächst zum Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dann und der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf Drucksache 10/4670 vorliegt. Auf Wunsch der GRÜNEN wird über diesen Antrag getrennt abgestimmt. Ich rufe daher zunächst die Ziffer 1 des Änderungsantrages auf. Ich weise darauf hin, daß dieser Text insoweit mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie übereinstimmt. Wer also der Ziffer 1 des Antrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Ziffer 1 einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt über die weiteren Teile des Änderungsantrags der GRÜNEN ab. Wer der Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über die Ziffer 3 ab. Wer der Ziffer 3 dieses Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Vizepräsident Cronenberg Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ziffer 4 des Änderungsantrags. Hier findet auf Grund des Antrags der GRÜNEN gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung statt. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die Abstimmung. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es nach der namentlichen Abstimmung und während der Auszählung weitere Abstimmungen gibt. Ich bitte daher die Abgeordneten, im Hause zu verbleiben. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung *). Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen, damit wir in den Abstimmungen fortfahren können. Wir haben noch über Ziffer 5 des Antrags der GRÜNEN abzustimmen. Wer Ziffer 5 des Antrags der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Ziffer 5 ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4679 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen angenommen. Können wir mit der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren? - Dann rufe ich den nächsten Punkt auf und gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung nachher bekannt. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Sammelübersicht 113 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4136 - b) Beratung der Sammelübersicht 116 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4249 - c) Beratung der Sammelübersicht 117 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4250 - *) Ergebnis der Abstimmung Seite 14238. d) Beratung der Sammelübersicht 125 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/4546 Zu den Punkten 6 a, b und d liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4653 und 4654 sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4655 vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 6 a bis d und jeweils ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen also vier Debattenrunden stattfinden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache zu Punkt 6 a. Das Wort hat Herr Abgeordneter Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, vor einem so gut besetzten Haus sprechen zu dürfen. Das ist man als Mitglied des Petitionsausschusses bei der Beratung von Sammelübersichten nicht gewohnt. ({0}) Bei der Petition, zu der ich spreche, handelt es sich um die Eingabe einer Gruppe von Bürgern aus Krefeld, die die Entsperrung von Entwicklungshilfegeldern fordern, die der Regierung von Nicaragua zugesagt wurden. Es handelt sich um 40 Millionen DM, die ausschließlich in zivile Projekte fließen und den Menschen in Nicaragua helfen sollten. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" greift in dieser Woche - fast wie bestellt - die Entwicklungshilfepolitik von Minister Warnke am Beispiel Nicaraguas auf und weist nach, wie sinnvolle Projekte durch diesen Minister sinnlos kaputtgemacht werden. Die Hauptvorwürfe der Bundesregierung gegen Nicaragua - auf die die Ablehnung der Zahlung der Entwicklungshilfegelder gestützt wird - sind: Nicaragua habe im Innern eine totalitäre Diktatur aufgebaut, durch eine gigantische Aufrüstung würde Nicaragua seine Nachbarn bedrohen, und Nicaragua sei zum Zentrum des Terrorismus in Mittelamerika geworden, versorge insbesondere die Guerilla-Bewegungen mit Waffen. Diese Begründungen für eine Ablehnung sind ersichtlich falsch. Nicaragua ist keineswegs eine totalitäre Diktatur. Nicaragua befindet sich im Kriegszustand, und dennoch gibt es dort Pluralismus und Liberalität, wie es nie zuvor in diesem Land der Fall war, vor allem wenn man sich an die Situation unter Somoza erinnert. Nicaragua muß, was die Frage der Menschenrechte anlangt, einen Vergleich mit anderen Ländern in Mittelamerika nicht scheuen, vielleicht mit Ausnahme von Costa Rica. Was die Aufrüstung anlangt, so ist sie - das muß man sehen - eine Reaktion auf die aggressive Haltung der Vereinigten Staaten. Die Zunahme der Bedrohung von außen führt zu einer zunehmenden Militarisierung im Innern des Landes. Das wird auch von uns bedauert. Nicaragua hat im September 1984 alle Punkte des Contadora- Friedensplans ohne Vorbehalt unterzeichnet. Das muß man wissen. Honduras, El Salvador und Costa Rica, die sich ursprünglich ebenfalls grundsätzlich positiv zu diesem Plan geäußert hatten, verweigerten jedoch auf Druck der USA die Unterschrift. Dies zeigt deutlich, daß es nicht an Nicaragua liegt, wenn diese Region nicht zur Ruhe kommt, wenn es dort nicht zum Frieden kommt. Nähme sich die Bundesregierung ernsthaft selbst beim Wort, dann dürften an kein Land in Mittelamerika - mit Ausnahme eben von Costa Rica - Entwicklungshilfegelder gezahlt werden. Wir denken überhaupt nicht daran, die Menschenrechtsverletzungen, die es in Nicaragua auch gibt, zu verharmlosen. Wir setzen uns dafür ein, auch in Gesprächen mit der Regierung von Nicaragua, mit den Sandinisten, daß diese Menschenrechtsverletzungen abgestellt werden. Aber man muß wissen: Diese Menschenrechtsverletzungen passieren nicht auf Veranlassung von oben, sie werden nicht von der Regierung administriert durchgezogen, sondern sie erfolgen auf Grund der instabilen Situation im Innern. Die meisten Länder in Mittelamerika haben eine sehr viel schlimmere Situation, was die Menschenrechtsverletzungen anlangt. Zu dieser Auffassung kommen auch so wichtige Organisationen wie Amerikas Watch und amnesty international. Auch sie sind der Meinung, daß die Menschenrechte in Nicaragua noch vergleichsweise gewahrt werden, vor allen Dingen eben von der Regierung. Wir begeben uns innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in eine Isolation, denn die Europäische Gemeinschaft will zahlen, zahlt. Nur wir versuchen, Auflagen zu machen. Ich glaube, die Bundesrepublik isoliert sich hier und wird zum Erfüllungsgehilfen der traditionell unsensiblen und verhängnisvollen Mittelamerikapolitik der Vereinigten Staaten. Warnkes Entwicklungshilfepolitik hat nicht die Hilfe der Menschen durch der Lebenssituation angepaßte Entwicklungshilfeprojekte zum Ziel, sie ordnet sich den geostrategischen Interessen der USA unter und verfolgt in unvertretbarer Weise wirtschaftspolitische Exportinteressen der Bundesrepublik. Wir fordern, dem Anliegen der Petenten zu folgen und die Mittel für Nicaragua zu entsperren. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich gebe inzwischen erst einmal das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Ziffer 4 des Änderungsantrages der Fraktion der GRÜNEN bekannt, Drucksache 10/4670: Abgegebene Stimmen 417. Keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 22 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 394 Mitglieder des Hauses. Ein Mitglied des Hauses hat sich der Stimme enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 415; davon ja: 22 nein: 392 enthalten: 1 Ja GRÜNEN Auhagen Frau Borgmann Bueb Frau Eid Frau Hönes Frau Kelly Lange Mann Dr. Müller ({0}) Schily Schmidt ({1}) Schulte ({2}) Ströbele Tatge Tischer Vogel ({3}) Volmer Frau Wagner Werner ({4}) Werner ({5}) Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker ({6}) Berger Frau Berger ({7}) Biehle Dr. Blank Böhm ({8}) Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({9}) Dr. Bugl Carstensen ({10}) Clemens Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard ({11}) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer ({12}) Francke ({13}) Funk Ganz ({14}) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach ({15}) Gerstein Gerster ({16}) Glos Götzer Günther von Hammerstein Hanz ({17}) Hauser ({18}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({19}) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Graf Huyn Jäger ({20}) Jagoda Dr. Jahn ({21}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({22}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kittelmann Klein ({23}) Dr. Köhler ({24}) Kolb Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({25}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({26}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({27}) Louven Lowack Maaß Vizepräsident Frau Renger Frau Männle Magin Marschewski Metz Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({28}) Müller ({29}) Nelle Frau Dr. Neumeister Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Frau Pack Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Reddemann Repnik Dr. Riedl ({30}) Rode ({31}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({32}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({33}) Ruf Sauer ({34}) Sauer ({35}) Sauter ({36}) Sauter ({37}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({38}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({39}) von Schmude Schneider ({40}) Dr. Schneider ({41}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({42}) Schulhoff Dr. Schulte ({43}) Schultz ({44}) Schulze ({45}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({46}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Straßmeir Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({47}) Vogt ({48}) Dr. Voigt ({49}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner ({50}) Frau Will-Feld Wilz Wimmer ({51}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Würzbach Dr. Wulff Zink SPD Dr. Ahrens Dr. Apel Bachmaier Bamberg Becker ({52}) Bernrath Bindig Brandt Brück Büchler ({53}) Buschfort Catenhusen Collet Conradi Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich ({54}) Dreßler Egert Dr. Ehmke ({55}) Dr. Ehrenberg Eickmeyer Dr. Emmerlich Esters Ewen Franke ({56}) Frau Fuchs ({57}) Frau Fuchs ({58}) Gerstl ({59}) Glombig Grunenberg Dr. Haack Haehser Hansen ({60}) Dr. Hauchler Hauck Dr. Hauff Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({61}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({62}) Jahn ({63}) Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({64}) Klose Kolbow Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann ({65}) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({66}) Dr. Mitzscherling Müller ({67}) Müller ({68}) Müntefering Nagel Nehm Neumann ({69}) Frau Odendahl Pauli Peter ({70}) Pfuhl Porzner Poß Purps Ranker Rapp ({71}) Rappe ({72}) Reschke Reuschenbach Rohde ({73}) Roth Schäfer ({74}) Schanz Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({75}) Schmidt ({76}) Schmidt ({77}) Schmitt ({78}) Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({79}) Schulte ({80}) Sieler ({81}) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Stahl ({82}) Frau Steinhauer Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Dr. Vogel Voigt ({83}) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg ({84}) Weinhofer Weisskirchen ({85}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer ({86}) Wischnewski Dr. de With Zander Zeitler FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Cronenberg ({87}) Eimer ({88}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Genscher Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch Hoff ie Hoppe Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({89}) Frau Dr. Segall Dr. Weng ({90}) Wolfgramm ({91}) Enthalten GRÜNEN Rusche Dieser Antrag ist also abgelehnt. Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Entwicklungshilfegelder für eine beispiellose militärische Aufrüstung mißbraucht, wer Guerillabewegungen in Nachbarländern massiv durch Waffenlieferungen unterstützt und damit Gewalt exportiert, wer die Menschenrechte im eigenen Lande mit Füßen tritt, meine Da14240 men und Herren, wer sich so verhält, kann nicht mit deutscher Entwicklungshilfe rechnen. ({0}) Das gilt für Nicaragua, und das würde für jedes andere Land gelten müssen, das sich so verhält. ({1}) Nach der Revolution 1979 hat die Regierung von Nicaragua nach eigenen Angaben etwa eineinhalb Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe verschiedenster Institutionen, öffentlicher und privater, bekommen. In dieser Zeit hat Nicaragua eine beispiellose militärische Aufrüstung betrieben und diese Mittel in einem Maße für Militarisierung verschwendet, wie es zumindest in Mittelamerika ohne historisches Beispiel ist. ({2}) Das Regime in Nicaragua unterstützt über diese eigene Aufrüstung hinaus - und das ist ein für uns entscheidender Gesichtspunkt - die Auf ständischen in El Salvador mit Waffen und Munition, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo sich dort nach einem demokratischen Prozeß ein frei gewählter Präsident darum bemüht, die Wiederherstellung von Menschenrechten und Demokratie zu ermöglichen und einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung für die Bürger zu erreichen. ({3}) Auch andere Nachbarländer der Region fühlen sich von Nicaragua bedroht. Die Waffenlieferungen aus dem Warschauer Pakt an Nicaragua verringern diese Furcht nicht gerade! ({4}) Die Kehrseite dieser großen Militarisierung in Nicaragua ist die wirtschaftliche und soziale Not der Bevölkerung. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung klipp und klar die künftige entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Nicaragua davon abhängig macht, daß das dortige Regime die Politik der Destabilisierung der Region und des Exports von Gewalt in die Region aufgibt. Im übrigen muß mit einer erneuten Entwicklungshilfe auch ein Prozeß der Wiederherstellung der Menschenrechte einhergehen. Polizei und Militär unterstehen in Nicaragua der Sandinistischen Partei. Die Arbeit der Parteien, der Gewerkschaften und der Kirchen wird schwer behindert. Besonders die christdemokratische Partei Nicaraguas hat darunter zu leiden. Staatssicherheitsdienst, Presse, Wohnsiedlungen, Schulen, Universitäten, alles steht unter der Beherrschung der Sandinisten. Das sind im übrigen typische Merkmale totalitärer Regime, wie es leider das deutsche Volk auch schon einmal erfahren hat. Demgegenüber ist in El Salvador eine demokratische Entwicklung in Gange, die unsere Unterstützung verdient. ({5}) Deshalb fließt dorthin seit 1984 auch wieder Entwicklungshilfe. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich möchte auch noch eine grundsätzliche Anmerkung zu dem Antrag der SPD aus Anlaß einer Petition machen. Der Bundestag debattiert die Frage der Entwicklungshilfe für Nicaragua nicht sozusagen das erste Mal aus Anlaß einer Petition. Die hier ausgetauschten Argumente enthalten gegenüber den zahlreichen entwicklungspolitischen Debatten in diesem Hause auch im letzten Jahr exakt über diese konkrete Frage der Entwicklungshilfegelder für Nicaragua nichts Neues. Wir wiederholen, was wir schon in vielen Debatten hier ausgetauscht haben. ({6}) Ich frage mich - und ich möchte die SPD-Fraktion fragen -, ob es wirklich sinnvoll ist, daß wir das Petitionswesen - es ist zugegeben ihr gutes parlamentarisches Recht, das Petitionswesen parlamentarisch zu begleiten - dazu benutzen, vergangene allgemeinpolitische Debatten hier aufzufrischen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß verschiedene Kollegen der SPD aus dem Petitionsausschuß, die jeweils dann, wenn hier generell diese Thematik zur Debatte steht, in ihren Fraktionen nicht als Redner zum Zuge kommen, hier die Gelegenheit nutzen wollen, doch noch einmal dazu zu sprechen. Wir haben gerade in dieser Woche wieder erlebt, daß die SPD einen erneuten Antrag angekündigt hat, hier in einer Debatte des Bundestages über einen Einzelfall zu diskutieren; da soll es dann um die Frage der Anrechnung von Erziehungszeiten im Rentenrecht gehen, worüber wir vor wenigen Wochen, kurz vor Weihnachten, hier in intensiven Debatten vielfach geredet haben. ({7}) Ich möchte an Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, appellieren, doch dann, wenn Sie es für sinnvoll halten, daß wir hier Petitionsdebatten führen, diese nicht ausschließlich - wie Sie als SPD-Fraktion es jetzt tun - über Themen zu führen, die hier und in den zuständigen Fachausschüssen gerade wenige Wochen zuvor intensiv abgehandelt worden sind. ({8}) Wir sollten nicht das Petitionswesen dadurch entwerten, daß wir es zu allgemeiner politischen Debattiererei herabwürdigen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über eines der traurigsten Kapitel der bundesdeutschen Entwicklungspolitik, über das man, Herr Kollege Göhner, nicht oft genug reden kann. ({0}) Guatemala, das seine mehrheitlich indianische Landbevölkerung zwangsweise in Wehrdörfern konzentriert, das die Menschen zwingt, sich gegenseitig mit Waffengewalt zu kontrollieren, das einen traurigen Rekord im Abschlachten von Oppositionellen hält, bekommt Entwicklungshilfe. El Salvador, das seine Bevölkerung bombardiert, wovon jetzt auch der dortige Erzbischof berichten kann, das foltert, umbringt, verschwinden läßt und sich eine Marionette der Militärs als Staatspräsidenten hält, bekommt Entwicklungshilfe. Honduras, auf dessen Territorium die von den USA gedungenen Contras gegen Nicaragua operieren dürfen, bekommt Entwicklungshilfe. Keine Entwicklungshilfe bekommt dagegen Nicaragua. Angeblich unterdrücke es seine Bevölkerung und greife die Nachbarstaaten an, so die Begründung der Bundesregierung, die jede Anstrengung unternimmt, den Nord-Süd-Konflikt in einen Ost-West-Konflikt umzudefinieren. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Was die innere Situation Nicaraguas angeht, so schreibt die amerikanische Menschenrechtsorganisation „Rat für Angelegenheiten der Hemisphäre", die aus Abgeordneten des US-Kongresses, Gewerkschaftern, Hochschullehrern und Kirchenleuten zusammengesetzt ist, in ihrem Jahresgutachten, die Menschenrechtslage in Nicaragua sei, gemessen am mittelamerikanischen Niveau, gut; verglichen mit der Lage der Nachbarländer gebe es keine Repressionen, keine Hinweise auf Mord und Folter durch die Sicherheitskräfte, keine Polizeigewalt gegen Demonstranten und Streikende. ({1}) Was die außenpolitische Lage angeht, stellt die Bundesregierung die Wirklichkeit auf den Kopf. Seit Jahren führen die USA mit ihren Contra-Banden einen unerklärten Krieg gegen Nicaragua. Der katholische Theologe Greinacher beschreibt dies so - ich zitiere -: Das Land wird durch die täglichen Überfälle der Contras stark geschädigt. Die Militärmittel und die Militärberatung seitens der USA für die Contra beginnen sich auszuwirken. Zielpunkte der Contra-Anschläge sind die drei Reformprojekte der sandinistischen Regierung: Agrarreform, Alphabetisierungskampagne und Gesundheitswesen. Die meisten Anschläge wenden sich deshalb gegen Gesundheitsstationen und Krankenhäuser, Schulgebäude und landwirtschaftliche Kooperativen. Von den Contras werden bevorzugt Ärzte und Krankenschwestern, Lehrer und Techniker verschleppt. Durch diese gezielte Politik soll der Veränderungsprozeß in Nicaragua gestoppt und die Loyalität der Bevölkerung zur Regierung untergraben werden. Dieser Krieg zwingt Nicaragua dazu, bereits 40 % des Haushalts für die Verteidigung bereitzustellen. Die vielen Berichte über heimtückische Angriffe gegen Zivilobjekte und gegen die Zivilbevölkerung lassen den Schluß zu, daß hier ein grausamer und verbrecherischer Krieg von den USA gegen Nicaragua geführt wird. Es geht der Bundesregierung nicht um Entwicklung und Menschenrechte. Gemeinsam mit anderen, die oben sind - sowohl geographisch als Norden wie auch sozial als Oberschicht -, will sie verhindern, daß der Widerstand derer, die unten sind - im Süden und in den armen Schichten -, als legitim gilt. Der Überlebenskampf der Ärmsten, die ihre sozialen Menschenrechte auf Nahrung, Wohnung, Kleidung, Gesundheitsversorgung und Bildung einklagen wollen, wird als rote Gefahr aus dem Osten denunziert, damit dem Klassenkampf von oben der Anstrich staatspolitischer Weihen verliehen werden kann. Deshalb wurde die Entwicklungshilfe gestrichen; die Einzelmaßnahmen sind im jüngsten „Spiegel" nachzulesen. Die Bundesregierung will sich daran beteiligen, das Land auszuhungern, will soziale Unruhen schüren, um anschließend die Menschenrechtsverletzungen anprangern zu können, die sie selber mitproduziert hat. ({2}) Greinacher drückt das so aus: Zuerst spielt man den Unglückspropheten, malt die Gefahr eines totalitären Regimes in Nicaragua an die Wand. Dann unternimmt man alles, aber wirklich alles, um Nicaragua an den Rand der Existenz zu bringen, vermint die Häfen, verhängt ein Handelsembargo, führt einen taktischen, grausamen Krieg, fordert die Regierungen in Europa auf, keine Hilfe an Nicaragua zu geben, und erklärt dann mit einem menschenverachtenden Zynismus: Wir haben es schon immer gesagt, daß das revolutionäre Experiment mißglückt. Ich komme zum Schluß. Der CDU-Staat ist nicht der Vasall der USA. Er hat ein eigenständiges Interesse an der Unterdrückung der Emanzipation der Dritten Welt. Damit muß Schluß sein. Wir fordern die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe für Nicaragua. Wir fordern die Union auf, ihre propagandistische und politische Unterstützung für die gedungenen Killerbanden und den Staatsterrorismus gegen Nicaragua einzustellen. Ich danke. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man darf natürlich seine Informationen nicht nur aus dem „Spiegel" holen. ({0}) Die Begeisterung in Nicaragua war ja sehr groß, und nicht nur dort, sondern auch in ganz Südamerika und eigentlich in der ganzen Welt, als 1979 die Sandinisten das Somoza-Regime hinwegfegten. Aber diese Begeisterung nahm von Jahr zu Jahr ab. Zu viele Dinge sind inzwischen geschehen, die mit den Idealen der Revolution nichts mehr zu tun haben: Erstens. Verhaftungen ohne ordentliche Gerichtsverfahren. Zweitens. Druck auf die freien Gewerkschaften und die anderen Parteien. Wir können da ein Lied von unserem Freund Godoy von der Liberalen Partei singen. Drittens. Übergriffe auf das Volk der Miskito-Indianer; Zwangsumsiedlungen; Unterdrückung dieses Volkes. Viertens. Menschenrechtsverletzungen und Folter - nach Auskunft der unabhängigen Menschenrechtskommission. Fünftens. Einschränkung der Pressefreiheit. Das ist etwas ganz besonders Einmaliges. Nachdem „La Prensa" von der Friedrich-Naumann-Stiftung unter dem Somoza-Regime gegen dieses Regime unterstützt worden war, ist diese gleiche Presse nun gegen die Sandinisten eingestellt. Viele ehemalige Sandinisten haben sich inzwischen abgekehrt und sind in die Emigration gegangen. Ich erinnere nur an Estern Pastora und Comorra. Andere sind bei den Contras gelandet. Ich muß sagen: Auch wir Freien Demokraten sind sehr enttäuscht. Jetzt nimmt sogar der Druck auf die Kirche in Nicaragua zu. Bischof Obando Bravo ist geradezu zu einem Helden gegen die Sandinisten geworden. Schließlich ist der Ausnahmezustand auf ein Jahr ausgerufen. Das hatte es überhaupt noch nie auf der Welt gegeben, daß ein Staat den Ausnahmezustand für ein Jahr ausruft. Wir von der FDP sind immer dafür eingetreten, daß die Entwicklungshilfe für Nicaragua fortgesetzt wird und daß die guten Ansätze weitergeführt werden können. Die Hilfe ist auch nicht eingestellt worden, ({1}) sondern die Neuzusagen wurden nicht gemacht. Wir treten dafür ein, daß die Bundesregierung die entwicklungspolitische Zusammenarbeit fortsetzt - wenn nicht mit der Regierung, dann mit Nichtregierungsorganisationen. Denn wir sind der Ansicht, daß das arme Volk in Nicaragua direkt Hilfe braucht und davon erreicht werden muß. Diese Ansicht teilen wir im übrigen mit der Contadora-Gruppe - der Gruppe der acht mittelamerikanischen Staaten, die sich um den Frieden in Mittelamerika bemühen - und mit der Europäischen Gemeinschaft. Alle fordern die sandinistische Regierung auf, ihre militärische Hochrüstung einzustellen. Ich heiße bestimmt nicht gut, wie die USA gegenüber Nicaragua aufgetreten sind. ({2}) Aber ich sehe im äußeren Erscheinungsbild der Sandinisten keinen großen Unterschied zu den Militärdiktaturen anderer Länder. Alle Commandantes zeigen sich fortwährend in ihrer Uniform. ({3}) Das haben selbst die Erntehelfer der GRÜNEN, Sie selber, bei der Kaffee-Ernte erfahren müssen. Sie wollten sich in Nicaragua ja nicht in Reih und Glied aufstellen und mußten von der Regierung alsbald abgeschoben werden. ({4}) Die GRÜNEN spielen in Mittelamerika ohnehin eine sehr dubiose Rolle. Bei den Vorfällen in Guatemala - Sie haben das ja erwähnt, Herr Volmer -, wo die GRÜNEN zusammen mit Sandinisten auftraten, ({5}) bei den freien Wahlen in Guatemala haben Sie dem deutschen Ansehen einen Schaden zugefügt. ({6}) Wir halten die Petition insofern für erledigt, als die Freigabe der Entwicklungshilfegelder nicht ohne weiteres erfolgen kann. Es muß gewährleistet sein, daß sie einer Demokratisierung und einer pluralistischen Gesellschaftsordnung nützen und daß sie vor allem unten, bei der armen Bevölkerung, ankommen. Dies muß erst geprüft werden. Es kann mit dieser Petition nicht erreicht werden. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, zumal ich den Ausführungen der Kollegen Professor Rumpf und Göhner in der politischen Bewertung nichts hinzuzufügen habe, sondern mit ihnen völlig übereinstimme, doch einige sachliche Bemerkungen zu der Begründung des Antrags zu machen, Bemerkungen, von denen ich hoffe, daß sie nicht ganz ohne Wirkung bleiben. Erstens. Menge und Umfang von Projekten von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen mit dem Ziel, die Lage der Menschen in Nicaragua erträglicher zu gestalten, sind in den letzten Jahren unter dieser Bundesregierung kontinuierlich gestiegen; die Zahlen weisen dies eindeutig aus. Es ist absurd und falsch, der Bundesregierung vorzuwerfen, daß sie ihre humanitäre Verpflichtung in diesem Fall nicht kennt. Entsprechend haben wir auch unsere Haltung in der Frage der Nahrungsmittelhilfe der Europäischen Gemeinschaft für Nicaragua stets positiv ausgerichtet. Zweitens. Die Begründung, daß die Gelder, und zwar die 40 Millionen, die nicht fließen, zweckgeParl. Staatssekretär Dr. Köhler bunden und ausschließlich zur zivilen Verwendung gedacht sind, müßte von den Antragstellern meines Erachtens noch einmal sehr sorgfältig überlegt werden. Jede deutsche staatliche Entwicklungshilfe ist zweckgebunden und nur für zivile Zwecke gedacht. Dann dürfte Ihre Fraktion, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Kritik an der Zusammenarbeit mit Zaire, an der Zusammenarbeit mit Guatemala und dergleichen mehr, niemals erneuern. Wenn dieser Satz das entscheidende Kriterium ist, dann kann die deutsche staatliche Entwicklungshilfe mit jedem Regime auf dieser Welt zusammenarbeiten. Denn unsere Mittel sind immer zweckgebunden und für zivile Zwecke gedacht. Das kann doch wohl nicht ernsthaft das alleinige, entscheidende Kriterium sein. Drittens. Es ist hier soeben die Behauptung, der Vorwurf wiederholt worden - nun muß man sagen, und zwar sowohl was Herrn Greinacher als auch den „Spiegel" angeht, daß Fehlurteile und Unwahrheiten nicht dadurch besser werden, daß sie ständig wiederholt werden; sie bleiben das, was sie immer schon waren -, die deutsche Entwicklungspolitik diene wirtschaftlichen Interessen, nicht aber humanitären Verpflichtungen. Dazu muß ich Ihnen sagen: Diese 40 Millionen würden, wenn sie fließen, zu einem guten Teil in Rehabilitationsprojekte für die Kraftwerkswirtschaft fließen; sie wären mit deutschen Lieferungen verbunden. Wir setzen gerade die humanitäre Hilfe über die Nichtregierungsorganisationen fort. Würden wir das tun, was der Antrag intendiert, würde es zu deutschen Lieferungen kommen. Sie würden genau das erreichen, was Sie dieser Regierung zum Vorwurf machen, und das, so meine ich, wissen Sie sogar. Nun kommt noch ein Letztes: Die Regierung von Nicaragua weiß ganz genau, daß unser Recht, unser Haushaltsrecht den Abschluß von Kreditverträgen ausschließt, wenn ein Land beträchtliche Handelsschulden und andere Zahlungsschulden gegenüber der Bundesrepublik hat. Aus diesem Grunde hat Nicaragua schon längst, und zwar vor weit mehr als eineinhalb Jahren, angeboten, seine aufgelaufenen Handelsschulden bei Freigabe dieser 40 Millionen aus dieser Summe zu decken. Das ist ein völlig ungewöhnlicher Vorschlag, der mit Entwicklungspolitik herzlich wenig zu tun hat und den Effekt hätte, daß der Vorteil für Nicaragua bei Genehmigung Ihres Antrags praktisch gleich Null wäre. ({0}) - Das behaupte ich nicht, sondern das ist die Rechtslage, die unter jeder Bundesregierung genau dieselbe war. Das, was ich zur Haltung der nicaraguanischen Regierung behauptet habe, ist durch Noten der Regierung von Nicaragua belegt. Verehrter Kollege, es gibt kaum etwas, was leichter zu belegen ist als das, was ich gesagt habe. Ihr Antrag würde, wenn er hier eine Mehrheit fände, zu einem Ergebnis führen, das Ihren eigenen Intentionen nicht gerecht würde, es sei denn, es ginge allein um das Ziel, einen politischen Erfolg für Nicaragua zu erstreiten. Das mag Ihr Anliegen sein. Dann würde ich hier aber bitte nicht von Entwicklungspolitik, von Entwicklungshilfe und humanitären Gründen, sondern von einer eindeutigen politischen Option sprechen, und darüber gibt es hier in diesem Hause verschiedene Meinungen. Die Meinung der Mehrheit ist bekannt. Ich danke schön. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 6 a liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Reise der Delegation der Fraktion und der Partei DIE GRÜNEN nach Mittelamerika Ende November des vergangenen Jahres muß Sie ja ungeheuer geärgert haben. Ich kann daraus nur schließen, daß wir dort nicht nur sehr viel Richtiges gesehen, sondern auch gesagt haben. Das, was der Kollege Volmer heute hier gesagt hat, trifft Sie offenbar ganz besonders. Andernfalls könnten Sie nicht immer wieder dazu übergehen, Unwahrheiten zu verbreiten und an Hand von äußeren Unwahrheiten zu versuchen, die Reise zu diskreditieren. Jetzt ganz konkret: Herr Kollege Rumpf, Sie sollten sich bei Ihren US-amerikanischen Freunden und deren Geheimdienst etwas besser sachkundig machen. ({0}) Wir sind mit einer Delegation von fünf Personen - zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages, eine ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, ein Mitglied des Bundesvorstands der Partei DIE GRÜNEN und ein Mitglied der Europafraktion der GRÜNEN - im November 1985 nach Mittelamerika gereist. Wir haben auch Guatemala besucht. Der Delegation gehörte zeitweilig nicht ein Vertreter der Sandinisten, sondern ein Dolmetscher an, ein Deutscher aus Berlin ({1}); damit hier keine Zweifel aufkommen. Diese sechs Personen wurden nicht nur am Flughafen von der deutschen Botschaft abgeholt, sondern sie wurden während des gesamten Aufenthalts betreut und sicherlich auch beobachtet. Die deutsche Botschaft könnte diese Fehlinformation oder Desinformation, die Sie hier wieder verbreitet haben, leicht widerlegen. Es haben sich zu keinem Zeitpunkt irgendwelche anderen Personen dieser Delegation zugeordnet. Das, was Sie hier vor dem Deutschen Bundestag erklärt haben, ist genauso falsch wie das, was Minister Warnke über die Reise der Delegation der GRÜNEN nach Mittelamerika meinte verbreiten zu müssen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Ta14244 Vizepräsident Frau Renger gesordnungspunkt 6 a. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4653 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4136 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Behandlung des Tagesordnungspunktes 6 b. Dazu hat der Abgeordnete Hiller das Wort.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung zu dem Kollegen Göhner machen. Herr Göhner, allmählich kommt es mir wie eine Schallplatte vor, daß Sie immer wieder betonen, wir dürften bestimmte Petitionen nicht ernsthaft behandeln oder zur Diskussion bringen, weil Sie der Auffassung sind, das sei schon politisch diskutiert und behandelt worden. ({0}) Heute morgen haben Sie im Ausschuß gesagt, man sollte flexibel sein. ({1}) - Gestern morgen. Ich bin schon der Auffassung, daß man flexibel sein sollte. Wir werden politische Probleme so lange diskutieren, weil wir hoffnungsvolle Menschen sind; ({2}) denn wir hoffen, daß Sie in bestimmten politischen Bereichen auch etwas dazulernen können. ({3}) Meine Damen und Herren, ich möchte zum Thema kommen. Wir beraten jetzt zwei Petitionen von jungen Zollanwärtern aus dem Bereich des Hauptzollamtes Lübeck. Diese Petenten beklagen sich insbesondere darüber, daß sie während praxisbezogener Übungen innerhalb ihrer Ausbildung zu Wehrübungen eingezogen werden. Dabei wenden sich diese Petenten keinesfalls gegen Wehrübungen während der Ausbildungszeit generell, sondern lediglich während dieser praxisbezogenen Übungen. Diese praxisbezogenen Übungen sind termingebunden. Es gibt keine zusätzlichen Kurse, in denen man diese Ausbildung nachholen könnte. Es ist auch so, daß die Noten, die im Anschluß an diese Kurse gegeben werden, einen direkten Einfluß auf die Abschlußnote haben. Jeder, der heute etwas mit Ausbildung von jungen Menschen zu tun hat, weiß, wie entscheidend Noten für die berufliche Zukunft sind. Nun haben wir es erlebt, daß die zuständigen Wehrbereichsbehörden nicht mehr bereit gewesen sind, auf die Einberufung zu Wehrübungen zu verzichten. In konkreten Fällen setzt sich das Verteidigungsministerium über die Fachmeinung der Ausbildungsleiter und damit auch über die Ausbildungsinteressen dieser jungen Menschen hinweg. ({4}) Natürlich kann man darüber streiten, was Härtefälle sind. Deshalb kommen die Wehrbereichsverwaltungen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im übrigen hat sich seit Abgabe der Petitionen - das begrüßen wir sehr - die Praxis in den Wehrbereichsbehörden geändert, so daß diese Einberufungen zumindest im Norden nicht mehr erfolgen. Aber damit ist die Problematik nicht gelöst. Wir sind der Auffassung, daß diese Einberufungen während dieser wichtigen Ausbildungsabschnitte unnötig sind. Deshalb lehnen wir sie ab. In diesem Sinne danken wir den Petenten und besonders auch den Personalvertretungen für das Engagement für ihre Petenten. ({5}) Wir würden so ein Engagement gerne häufiger erfahren. Deshalb sind wir besonders betrübt darüber, daß die Mehrheitsfraktionen diesen sehr mäßigen Wünschen auch im Petitionsausschuß nicht haben Rechnung tragen können. Wir appellieren von dieser Stelle aus an alle Beteiligten, künftig keine Auszubildenden mehr zu Wehrübungen bei der Bundeswehr einzuziehen. Wir hoffen, daß dieser Appell auch weithin Erfolg haben wird. Wir würden uns freuen, wenn eine Einigung zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Verteidigungsministerium in dieser Frage zustande käme. Gespräche in diesem Bereich könnten nicht schaden. Wir hoffen, daß in Zukunft Diskriminierungen vermieden werden können. Insofern hoffen wir auch noch darauf, daß diese wirklich mäßigen Petitionen doch Ihre Zustimmung finden können, d. h. daß Sie unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung geben können. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst zum Kollegen Hiller eine Bemerkung machen. Er hat gesagt, den beiden Petenten sei es nicht möglich gewesen, den Nachteil auszugleichen, der ihnen durch die Einberufung zur Wehrübung entstanden sei. Ich zitiere dazu aus dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 15. April des vorigen Jahres. Dort heißt es: Für die Zollämter Schalm und Held hat die Teilnahme an den Mobilmachungsübungen während ihrer berufspraktischen Ausbildung nicht zu besonderen Härten geführt. Die Beamten haben zwar Teile der praxisbezogenen Lehrveranstaltungen bzw. der Unterweisung in unterstützenden Techniken versäumt, sie konnten aber - Herr Kollege, so heißt es hier durch gezielte Maßnahmen an den Wissensstand der übrigen Teilnehmer herangeführt werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es über die von Ihnen jetzt angesprochene Frage Meinungsverschiedenheiten gibt und daß die zuständigen Ausbildungsleiter eine unterschiedliche Auffassung bezüglich des Schreibens des Ministeriums haben, daß Sie zitiert haben?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich zitiere die oberste Dienstbehörde, die für die Ausbildung dieser beiden verantwortlich ist. Ich glaube, daß wir dieser Stellungnahme des Bundesfinanzministers bzw. des Ministeriums doch wohl einiges Gewicht beimessen sollten. Aber ich gebe Ihnen zu, Herr Kollege Hiller, daß es nicht richtig wäre, wenn wir den Versuch unternähmen, an Hand eines speziellen Ergebnisses die rechtliche Situation zu beurteilen und danach auf die Dauer zu verfahren. Ich denke etwa daran, daß ein Mangel sichtbar würde, der insgesamt zu Benachteiligungen zu führen in der Lage wäre. Ich nehme Bezug auf das Wehrpflichtgesetz, wenn ich sage, daß die Wehrpflicht natürlich nicht mit Ableistung des Wehrdienstes endet. Dabei ist es völlig unbestritten, daß die Inanspruchnahme vor allem der jungen Staatsbürger als Reservisten, die sich in aller Regel nach der Ableistung des Wehrdienstes in der Ausbildung befinden, eine persönliche Belastung bedeutet, die aber sicher grundsätzlich getragen werden muß. Nur in Fällen, wo sie eine unzumutbare Härte bedeuten würde, ist die Ausnahme zuzulassen. Das, meine Damen und Herren, ist auch die Praxis. Ja, ich sage darüber hinaus: Die Praxis geht weiter. Sie vermeidet, wo irgend angängig, auch vermeidbare Härten, wo sie für den einen oder anderen auftreten würden. ({0}) - Herr Kollege, mit „Oh, oh!" ist ein Tatbestand nicht aus der Welt geschafft, ({1}) der in der Einberufspraxis der Bundeswehr weit verbreitet die Regel ist. Ich will überhaupt nicht bestreiten, daß es an der einen oder anderen Stelle auch einmal Härten gegeben hat, die vielleicht zu vermeiden gewesen wären, ({2}) aber die Regel werden Sie mit noch so schönen und wohltönendem „Oh, oh!" nicht aus der Welt schaffen. Es ist Aufgabe der Vollzugsbehörden, die Belastung aller Beteiligten so gering wie möglich zu halten. In den hier zu behandelnden Fällen sind beide Petenten innerhalb ihrer Ausbildung für die Laufbahn des mittleren Dienstes der Zollverwaltung für einige Tage zu einer Wehrübung beordert worden. In ihrem Widerspruch, der von der Zollverwaltung und der Personalvertretung - Herr Hiller hat darauf hingewiesen - unterstützt wird, befürchten die Petenten nicht auszugleichende Nachteile für ihren beruflichen Werdegang, da entscheidende Ausbildungsziele nicht erreicht werden könnten. Diesem Vorbringen wurde sowohl in der Begründung der ablehnenden Bescheide wie auch wie zitiert vom Bundesfinanzministerium widersprochen. Der befürchtete Nachteil ist also offenbar für die beiden nicht eingetreten. Im übrigen aber weisen beide Petitionen infolge der in diesem Zusammenhang gefaßten Beschlüsse des Bezirkstages und der Bundeshauptversammlung des Bundes der Deutschen Zollbeamten über die zu behandelnden Einzelfälle hinaus auf ein grundsätzliches Problem: ob die geforderte Belastung vermieden werden kann und gegebenenfalls wie. Hier meine ich, meine Damen und Herren, daß das, was im Schreiben des Bundesfinanzministeriums genannt worden ist, eben doch den richtigen Weg weist, nämlich in Zusammenarbeit der ausbildenden Behörden und der Bundeswehrbehörden jede vermeidbare Belastung in der Berufsausbildung tatsächlich zu vermeiden. Wir können an Hand dieser beiden Fälle nicht dem Begehren folgen, Zollanwärter während des Vorbereitungsdienstes grundsätzlich vom Wehrdienst zurückzustellen. Beide Behörden müssen zusammenarbeiten zugunsten derjenigen, die davon betroffen sind. Die FDP-Fraktion stimmt aus den dargelegten Gründen dem Beschluß des Petitionsausschusses vom 13. November 1985 zu, die Petitionen als erledigt anzusehen, weil den Anträgen nicht entsprochen werden kann. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich bemühen, Ihnen hier einen Beitrag zur Parlamentsreform darzubieten und mich ganz kurz zu fassen. Deswegen beschränke ich mich auf drei Anmerkungen. Erstens. Wir GRÜNEN stimmen dem Anliegen der Petenten zu. Ich kann für uns sagen, daß wir weitestgehend die Argumentation, die Herr Hiller für die SPD vorgetragen hat, teilen. Zweitens. Herr Ronneburger, in der Tat verbirgt sich hinter dieser Thematik ein grundsätzliches Problem: allgemeine Wehrpflicht, Freistellung von der allgemeinen Wehrpflicht, Ausnahmeregelungen, auch Freistellung von Wehrübungen. Das haben wir heute morgen bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sehr ausführlich debattiert. Deswegen möchte ich dazu nur kurz die Position, die ich heute morgen vorgetragen habe, wiederholen. Erstens. Wir gönnen es jedem der Betroffenen, wenn er freigestellt wird. Zweitens. Wir plädieren dafür, die Belastungen, die sich aus der allgemeinen Wehrpflicht ergeben, so niedrig wie möglich zu halten. Das bedeutet, daß wir darauf hinweisen, daß die allgemeine Wehrpflicht insgesamt eine Ausnahme vom Verbot der Zwangsarbeit, das in Art. 12 geregelt ist, darstellt. Solche Ausnahmen sollten wir in der Tat - das sagt schon der Name - so weit wie möglich begrenzen und herunterfahren. Drittens. Herr Hiller hat hier dargestellt, das sich die Zollbeamten, über deren Anliegen, das Gegenstand der Petition ist, wir hier zu befinden haben, in einem wichtigen Ausbildungsabschnitt befanden. In einem solchen durch Streß und zahlreiche Prüfungen gekennzeichneten Ausbildungsabschnitt sollte man Leute, wenn eben möglich, sehr großzügig von Wehrübungen und vom Wehrdienst freistellen. Wir haben aus der Kenntnis der Petition den Eindruck gewonnen, daß hier bürokratisch und penibel und nicht großzügig vorgegangen worden ist. Deswegen stimmen wir insgesamt dem Änderungsantrag der SPD zu. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte den Versuch eines Beitrages zur praktizierten Parlamentsreform machen und mich deshalb zunächst einmal den Ausführungen von Herrn Kollegen Ronneburger anschließen und nur noch darauf hinweisen, daß im Grundsatz die Frage der Freistellungen in § 12 des Wehrpflichtgesetzes unseres Erachtens befriedigend geregelt worden ist. Das, was die Petition erstrebt, ist eine Ausnahmeregelung für eine ganz bestimmte Gruppe. Dem können wir uns nicht anschließen. Wehrpflichtige, die zu Wehrübungen von bis zu zwölf Tagen Dauer herangezogen werden sollen, werden freigestellt, wenn Ausbildungsziele gefährdet sind. Das war bei den Petenten nachweislich nicht der Fall. Deshalb konnten wir uns dem Begehren der Petenten nicht anschließen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4654. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. ({0}) Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4249 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zu Punkt 6 c der Tagesordnung. Dazu wird keine Aussprache gewünscht. ({1}) - Entschuldigung, das steht nicht auf meinem Zettel. - Dann eröffne ich also die Aussprache zu Punkt 6 c der Tagesordnung. Dazu hat der Herr Abgeordnete Vahlberg das Wort.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Offenbar gibt es noch einen zweiten Fehler auf Ihrem Zettel; denn wir sind bei der Petition zur A 95 - um die handelt es sich jetzt wohl - gar nicht die Antragsteller. ({0}) Wir sind davon ausgegangen, daß die GRÜNEN diese Petition zum Thema gemacht haben. Ist das richtig, Herr Mann? ({1}) - Wir sind nämlich darüber verwundert gewesen, daß Sie das zum Thema gemacht haben. Ich habe jedenfalls im Herbst vergangenen Jahres für die Lokalpresse im Loisachtal und Umgebung einen Artikel geschrieben, der „Ein AutobahnVerwirrspiel" betitelt war, bezogen auf die unterschiedlichen Äußerungen von Politikern. ({2}) - Das paßt auf Sie, Herr Mann, auf Ihr Agieren in dieser Frage; denn zunächst wurde gesagt: Es wird kein Antrag vorliegen. Dann sollte ein Antrag vorliegen. Jetzt aber liegt kein Antrag vor. Ich werde als vermeintlicher Antragsteller ans Podium gerufen - na schön! ({3}) In der Sache, Herr Mann, sind wir uns einig. Es handelt sich darum, den Ausbau der Bundesstraße B 2 von Eschenlohe nach Garmisch-Partenkirchen zur Autobahn, zur A 95, zu verhindern. Bis zum heutigen Tage ist diese Strecke im Bundesverkehrswegeplan als Autobahn im vordringlichen Bedarf ausgewiesen, obwohl Kosten-NutzenAnalysen dieses Autobahnstück ausgesprochen niedrig bewerten und sich alle Bürgerinnen und Bürger dieses Tales mit ganz wenigen Ausnahmen gegen den Bau dieser Autobahn ausgesprochen haben. Es haben sich gegen diesen Autobahnbau ausgesprochen: alle Parteien im Loisachtal, ({4}) alle Gemeinden. Es haben sich dagegen ausgesprochen: Bürgerinitiativen, der Alpenverein, der Bund Naturschutz. Habe ich eine Organisation vergessen, Herr Mann? ({5}) Also alles, was es dort an politisch relevanten Institutionen gibt, ist gegen diesen Autobahnbau, und zwar aus wohlerwogenen Gründen. Man muß wissen, daß dieses Autobahnstück vor über 20 Jahren geplant wurde und eine Verbindung von München über Garmisch-Partenkirchen bis Lermoos schaffen und ein Anschluß an die AlpenTransversale Ulm-Mailand sein sollte. Sowohl die Italiener wie auch die Österreicher haben diese Planung längst zu den Akten gelegt. Aber bei uns wird sie fortgeschleppt. Jedenfalls steht sie bis zum heutigen Tag im Bundesverkehrswegeplan. Wenn man das Loisachtal kennt und weiß, daß es sich um eines der letzten intakten deutschen Alpentäler handelt - mit wunderschönen Feuchtbiotopen -, ({6}) wenn man dieses Alpental also kennt und sich vorstellt, dort würde eine sechsspurige Autobahn mit kreuzungsfreien Bauwerken durchgeschlagen ({7}) - vierspurig, aber mit Abzweigspuren und dergleichen -, erkennt man, daß das Tal in ganz erheblichem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen würde. ({8}) Das sehen alle so, die sich mit Naturschutz und Landschaftsschutz beschäftigt haben. Das sieht auch die Regierung von Oberbayern so, die gegen dieses Projekt ist. Aber die Politiker in Bonn und auch die im Maximilianeum in München schleppen in einer gewissen geistigen Trägheit dieses Projekt nach wie vor fort. Es muß aus dem Bundesverkehrswegeplan heraus, wenn nicht dieses Tal ganz arg in Mitleidenschaft gezogen werden soll. ({9}) Es muß eindeutig heraus, und zwar zugunsten eines Ausbaus der B 2. Daß die B 2 ausgebaut werden muß, darüber sind sich alle einig. Denn wer die Verkehrssituation in den betroffenen Orten kennt - Oberau und Farchant -, der weiß, wie stark die Bürger dort vom Durchgangsverkehr belastet sind. Es gibt ausgefeilte Alternativüberlegungen zur jetzigen Planung der A 95, nämlich eine Umgehung von Oberau und eine Untertunnelung von Farchant. Das Ganze rechnet sich finanziell. Deshalb muß der schonende Ausbau der B 2, mit vordringlichem Bedarf versehen, in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden. Darüber hinaus gilt es, die Umgehungsstraßen um Garmisch-Partenkirchen durch Untertunnelung des Wank und des Kramers voranzubringen; sonst würde Garmisch-Partenkirchen über kurz oder lang seine Qualität als Luftkurort verlieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende!

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Dem Anliegen der Petenten sollte Rechnung getragen werden. Ich höre, daß sich die Berichterstatter im Verkehrsausschuß bereits darauf verständigt haben, diese Planung zu kippen und einen Ausbau der B 2 zu favorisieren. Wenn dies tatsächlich realisiert wird - offensichtlich in der nächsten Woche; Sie nicken, Frau Kollegin Geiger, die Sie aus diesem Wahlkreis kommen -, dann ist das ein großer Sieg, ein groBer Erfolg der Bürgerinitiativen in dem Tal, der Parteien aller Gemeinden dort, die gegen diese Autobahnplanung sind. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Götzer. ({0}) - Hier weiß kein Mensch, daß er reden soll; das finde ich fabelhaft. ({1})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wieder einmal drängt sich der Eindruck auf, daß die Fraktion der GRÜNEN eine Petition und die Möglichkeit des § 112 der Geschäftsordnung des Bundestages dazu benutzt, um parteipolitische Schautänze aufzuführen. Der Kollege Vahlberg bemüht sich, etwas mitzutanzen, aber die Veranstaltung selbst ist schon geschlossen, und die Kapelle spielt eigentlich nicht mehr.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann, Herr Kollege?

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte nicht. Ich möchte das Ganze in Ihrem Interesse möglichst schnell zu Ende bringen. Zunächst, Herr Kollege, waren wir uns im Petitionsausschuß einig, zu beschließen, die Petition den Fraktionen zur Kenntnis zu überweisen, und zwar deswegen, weil nach dem Sachstand ein höherrangiges Votum im Hinblick auf den strittigen Gesetzentwurf nicht mehr möglich war. Dann wollten Sie die Begründung ändern, wofür aber keine Mehrheit vorhanden war. Daraufhin sollte es ins Plenum kommen, wenn der Verkehrsausschuß eine Entscheidung fällen sollte, die nicht Ihren Vorstellungen entsprochen hätte. ({0}) Trotz der noch ausstehenden Entscheidung des Verkehrsausschusses sind Sie aber jetzt ins Plenum gegangen, und zwar ursprünglich mit einem Antrag, der in dieser Form unzulässig war und deswegen zurückgezogen worden ist, weswegen ich auch gar nicht mehr darauf eingehe. Wir sind also jetzt in der Plenardebatte, obwohl der Kollege von den GRÜNEN doch wissen müßte, daß sich im Raum Eschenlohe-Garmisch-Partenkirchen schon seit längerem eine breite Mehrheit der verantwortlichen Politiker ohnehin gegen die A 95 ausgesprochen hat. ({1}) Abgeordnete, insbesondere meine Kollegin Michaela Geiger, Landrat und Bürgermeister der betroffenen Gemeinden haben sich unermüdlich für eine Lösung eingesetzt, die sowohl den verkehrlichen Bedürfnissen als auch dem Landschaftsschutz Rechnung trägt. Bei dieser Gelegenheit muß ich auch noch einmal klarstellen: Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht über eine konkrete Trassenführung, sondern nur über den Bedarf. ({2}) Die Trassenführung wird gemäß dem Bundesfernstraßengesetz über die Länder durch die höhere Landesplanungsbehörde des Freistaates Bayern, hier also durch die Regierung von Oberbayern, im Raumordnungs- und im anschließenden Planfeststellungsverfahren festgelegt. Daß hier ({3}) - Sie müssen zuhören; jetzt erfahren Sie den Grund dafür, warum die Kapelle schon zu spielen aufgehört hat - die A 95 schon seit einiger Zeit gestorben ist, ({4}) ist Ihnen offensichtlich bisher entgangen. Union und FDP sind mit den betroffenen Kommunalpolitikern einig: Die A 95 wird abgelehnt. Dafür soll es eine B 2 neu/B 2 Neubau und Ausbau - Eschenlohe-Garmisch-Partenkirchen - geben. So lautet auch bereits die neu vorgesehene Bezeichnung im Verkehrsausschuß, der demnächst über den Bedarf dieser Maßnahme entscheiden wird. Dies trägt dem aktuellen Diskussionsstand Rechnung und ermöglicht eine neue Trassenführung, über die aber erst - freilich nicht im Verkehrsausschuß - befunden werden muß. Fest steht: Die Trasse, wie sie ursprünglich in die Planfeststellung gegeben wurde und die in der Tat nicht nur einen schwerwiegenden, sondern in unseren Augen einen unvertretbaren Eingriff in die wunderschöne Landschaft des Loisachtales darstellt, wird nicht mehr aufrechterhalten; so auch die Auskunft der obersten Baubehörde. Auch die Regierung von Oberbayern hat insoweit ihre landesplanerische Beurteilung aus dem Jahre 1973 geändert. Mittlerweile sind sechs Varianten im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens in der Diskussion. Es ist nicht auszuschließen, daß ein neues Planfeststellungsverfahren eingeleitet wird. Jedenfalls steht fest: Es wird eine neue Auslegung und eine neue Anhörung geben. ({5}) Damit ist dem zentralen Anliegen des Petenten bereits Rechnung getragen. ({6}) Dies wurde durch das Engagement von betroffenen Bürgern und verantwortlichen Politikern erreicht, insbesondere auch aus dem Garmisch-Partenkirchener Raum, und nicht durch allzu durchsichtige GRÜNE-Aktionen, wozu auch die heute inszenierte Plenardebatte gehört. Wieder einmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich, daß der Umweltschutz bei den Konservativen in den richtigen Händen ist. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß ich zu dieser Petition zu diesem Zeitpunkt sprechen darf, um die größte Volksverdummung bei einem Fernstraßenprojekt, die jemals passiert ist, offenzulegen. Ich möchte überhaupt keine Worte und Zeit für Ausführungen zu der ökologischen Bedeutsamkeit des Loisachtales mehr verlieren - diese wird von keiner Seite mehr bestritten -, sondern ich möchte gleich zu dem Schwindel kommen, den man mit dem Petenten und mit allen um das Loisachtal besorgten Bürgern treibt. Ich lese den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zum Fernstraßenplan vor. Dort heißt es: Die Bezeichnung „A 95" wird durch folgende Formulierung ersetzt: „B 2 neu/B 2 Neubau und Ausbau Eschenlohe-Garmisch-Partenkirchen". Dann folgt der Satz: Die Einstufung „vordringlicher Bedarf" bleibt, und der Kostenansatz von 224,2 Millionen DM bleibt ebenfalls bestehen. Unterzeichnet von Herrn Hoffie und Herrn Lemmrich. Ich habe mich gestern mit Herren aus dem Verkehrsministerium lange Zeit darüber unterhalten. ({0}) Wir waren uns alle einig, daß diese Formulierung, wenn sie in das Gesetz aufgenommen wird, bedeutet, daß wie bisher eine vierspurige Fernstraße durch das Loisachtal neben der B 2 gebaut wird. ({1}) - Frau Geiger, Sie schauen mich sehr zweifelnd an. Sie können das nachprüfen. Fragen Sie im Verkehrsministerium nach. Es wurde die Auskunft gegeben, daß das Planfeststellungsverfahren - ({2}) - Vom Unterabteilungsleiter, Herrn Contzen. Die Rufnummer habe ich leider nicht im Kopf, aber Sie Schulte ({3}) werden sich sicherlich erkundigen, Herr Hoffie. Sie werden sich wundern, was in den nächsten Tagen auf Sie, den ständigen Vertreter der Automobil- und Straßenbaulobby hier, zukommen wird. Es ist wirklich gut, daß wir diesen Schwindel, diesen Lug und Trug, diesen reinen Etikettenschwindel, den man betreiben will, indem man sagt: Wir bauen keine Autobahn mehr, sondern nur noch eine vierspurige Bundesstraße, rechtzeitig offenlegen. Alle Parteien - das wurde schon gesagt -, die CSU-Bürgermeister, die FDP im Kreistag, der Kreistag selbst, setzten sich dafür ein: keine neue vierspurige Bundesfernstraße im Loisachtal. Genau das Gegenteil aber würde geschehen, wenn der Beschluß so, wie ihn die FDP zusammen mit der CDU/ CSU-Fraktion vorlegt, gefaßt würde. Die Tatsache, daß kein großer Aufschrei von der rechten Seite kommt, beweist eindeutig, wie richtig wir mit unserer Analyse liegen. ({4}) Herr Hoffie, dies war von Ihnen, der Sie im Herbst letzten Jahres im Loisachtal waren und sich von der Schönheit dieses Tales beeindrucken ließen, ein dummdreister Versuch, alle Loisachtaler hinters Licht zu führen, den wir verhindern werden. ({5}) Ich bin gespannnt, wie Sie diesen Antrag von CDU/ CSU und FDP zum Bedarfsplan rechtfertigen werden. Die Fraktion der GRÜNEN wird auf jeden Fall bei den Beratungen nächste Woche im Verkehrsausschuß aufpassen. Wir werden dafür sorgen, daß dem, was die Bürger im Loisachtal seit Jahren fordern, nämlich keine zusätzliche vierspurige Fernstraße zu bauen, auf jeden Fall Rechnung getragen wird. ({6}) Wir werden uns massiv für eine optimale Verkehrslösung einsetzen. Denn die Verkehrsprobleme, die dort bestehen, können so nicht bleiben. Wir werden wirklich dafür eintreten, daß die Bundesstraße entweder um Oberau herumgeführt wird oder, wie es neuerdings vorgeschlagen wird, daß eine Untertunnelung erfolgt; bei Farchant fordern wir ebenfalls eine Untertunnelung. Wir sind auch bereit, Umgehungsstraßen für Garmisch und Partenkirchen zu akzeptieren. Aber was wir auf keinen Fall durchgehen lassen werden - und ich bin gespannt, was Sie hierzu sagen -, ist, daß Sie, Herr Hoffie, sich dort unten als GRÜNER aufspielen und sagen: Wir werden die Autobahn verhindern, aber dann nach Bonn fahren und hier diesen Etikettenschwindel-Antrag als Fortschritt verkaufen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier jemand Etikettenschwindel treibt und die Unwahrheit erklärt, dann ist es der Vertreter der GRÜNEN. ({0}) Denn führende Herren des Verkehrsministeriums haben genau an der Formulierung, die ich gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Herrn Lemmrich, in dieser Frage gefunden habe, mitgewirkt. Mitgewirkt hat natürlich gerade der Vertreter des Verkehrsministeriums, den Sie erwähnt haben, Herr Contzen. ({1}) - Am Ende, wenn Zeit bleibt. Ich nutze die fünf Minuten voll aus, um Ihre unwahren Darstellungen in der ganzen Breite zurückzuweisen. Wenn die Präsidentin mir dann am Ende Zeit gibt, Ihre Fragen zu beantworten, dann tue ich das gerne und beliebig lange. Zunächst möchte ich meine Redezeit ausnutzen, um zur Sache zu sprechen. ({2}) Klar ist, Herr Kollege: Es wird keine Autobahn A 95 von Eschenlohe nach Garmisch-Partenkirchen gebaut. ({3}) - Hören Sie mich doch einmal an! Sie wollten doch Antworten auf Ihre Unterstellungen. - Es wird keine neue vierspurige Bundesstraße als Ersatz für eine Autobahn neben die vorhandene B 2 gesetzt. Auch dies ist nicht richtig. Dies wird deutlich, wenn Sie den Antrag objektiv und so lesen, wie er zu verstehen ist. ({4}) An Stelle einer A 95 wird in die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans „Ausbau der vorhandenen B 2/Neubau B 2" aufgenommen. Das heißt im Klartext - und das ist für jeden Verkehrspolitiker auch ganz eindeutig und nicht zu bezweifeln, schon gar nicht von Herrn Contzen, der Ihnen das ausdrücklich bestätigen wird -: Überall, wo es entlang der vorhandenen Bundesstraße technisch darstellbar ist, wird die vorhandene B 2 ausgebaut. Dort, wo es technisch an einigen Stellen effektiv nicht möglich ist, wird auf solchen Teilstrecken ersatzweise eine B 2 neu gebaut, aber nur dort, wo es technisch tatsächlich nicht anders geht. Schon gar nicht aber wird selbst in diesen Bereichen eine neue B 2 erscheinen, die dann als Autobahnersatz zu werten wäre. Nun haben Sie das j a bis heute, bevor Sie hier eine Schau abziehen wollten, alles gewußt und auch richtig erkannt; ({5}) denn: Im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat nicht nur die SPD, nachdem ich diese Formulierung der CDU/CSU vorgeschlagen hatte, die sie lobenswerter Weise auch übernommen hat, haargenau mit der gleichen Formulierung den gleichen Antrag gestellt, nämlich an Stelle „A 95" „B 2/B 2 neu" hineinzuschreiben, sondern haben auch die GRÜNEN wortgleich den Antrag gestellt: Verzicht auf A 95, ersatzweise B 2/B 2 neu. Jetzt stellen ausgerechnet Sie sich hier hin und sagen, das - was auch Sie im gleichen Bemühen, einen Autobahnbau zu verhindern, als Antrag eingebracht haben - sei jetzt, verkehrstechnisch gesehen, nichts anderes als ein Etikettenschwindel, indem man mit dieser Formulierung am Ende doch eine Autobahn bauen wolle. Dies ist falsch. ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe gesagt: am Schluß, wenn ich dann noch Zeit habe.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich dache, Sie waren fertig.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gerne, gerne. HoffIe ({0}): Ich danke Ihnen. Nun will ich Ihnen sagen, wo das Problem wirklich liegt. Jahrelang hat man allen Parteien, dem Landrat, den Fraktionen, den Kommunalpolitikern, den Menschen erklärt: Entweder ihr bekommt durch den Bund eine Autobahn A 95 bezahlt - und diese zerschneidet dann leider das Loisachtal - oder ihr bekommt gar nichts. - In einer unverantwortlichen Art und Weise ist dies geschehen, nicht nur durch den jetzigen Verkehrsminister, denn die A 95 war als A 95 auch in der Planung dort unten etwas älter, Herr Kollege Vogel, um Ihnen das ganz klar zu sagen. Ich beziehe mich auch auf Verkehrsminister der SPD. ({1}) Nein, Herr Kollege, die FDP in diesem Raum hat vor allen anderen Parteien, auch vor den GRÜNEN, dort seit Jahren erklärt: Wir lehnen den Autobahnbau ab, ({2}) wir wollen an Stelle dessen den Ausbau der vorhandenen B 2. Darauf haben wir uns jetzt mit dem Koalitionspartner verständigt. ({3}) Die SPD, Herr Vogel, schließt sich dem an. Ich weiß gar nicht, warum Sie so nervös sind. ({4}) Die SPD schließt sich dem jetzt an, und die GRÜNEN wollen es jetzt auch. Nur, Sie wollen nicht zugestehen, daß die Koalition diese Lösung auf Anregung der FDP durchgesetzt hat, ({5}) weil dort jahrelang gesagt wurde: Ihr bekommt die Autobahn, oder ihr bekommt gar nichts. Nun, meine Damen und Herren, die Bürger - ich war dort - sind aufgeklärt worden. Die Kommunalpolitiker, der Landrat, die Bürgermeister waren auch hier. Sie haben es immer noch nicht geglaubt, daß man an Stelle der Autobahn auch eine im Bundesverkehrswegeplan ausgewiesene ausgebaute Bundesstraße bekommen kann. Wir haben ihnen das klargemacht. Dann war große Freude dort unten im Loisachtal.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, eine Sekunde. Sie sind am Schluß Ihrer Redezeit. Sie wollten noch eine Zwischenfrage zulassen.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es war große Freude im Loisachtal, und es wäre schön, wenn sich die GRÜNEN dieser Freude anschließen könnten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön. Hoffie ({0}): Auch mehrere.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Nein, bitte nicht. ({0})

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Hoffie, um der Sache willen würde es mich ja freuen, wenn nicht Sie jemanden linken wollten, sondern Sie vom Verkehrsministerium gelinkt worden wären. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Verkehrsministerium gestern die Auskunft gegeben hat, daß es auf Grund dieses Ihres Antrages keine Änderung des Planfeststellungsverfahrens geben wird und nur die Varianten im Planfeststellungsverfahren, ({0}) was ja sechs Spuren im Loisachtal bedeuten würde, weiterhin untersucht werden, nicht aber ein Ausbau der B 2?

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie sprechen von sechs Varianten. Es wäre gut, wenn Sie, Herr Mann und Herr Vogel, nicht die A 95 mit der A 94 verwechseln. ({0}) Da haben wir in der Tat festgeschrieben, daß erneut sechs Varianten zu prüfen sind. Im Loisachtal haben wir nun weiß Gott sechs Varianten, darunter die des B 2-Ausbaus. Es geht lediglich um die Frage - ({1}) - Noch einmal -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, die Redezeit ist eigentlich zu Ende. Würden Sie jetzt freundlicherweise die Frage beantworten.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Letzte Feststellung: Wenn die GRÜNEN wirklich wollen, daß die vorhandene Bundesstraße ausgebaut wird ({0}) - entweder mit Untertunnelung oder mit Umfahrung der Orte, die dort betroffen sind -, dann brauchen Sie nichts anderes zu tun, als sich unserem Antrag im Verkehrsausschuß anzuschließen. Sie haben noch einmal gleichlautend denselben Antrag gestellt. Stimmen Sie Ihrem eigenen Antrag und damit unserem Antrag zu. Damit tun Sie den Menschen, nicht nur denen, die hier als Petenten aufgetreten sind, den größten Gefallen. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich schließe die Aussprache zu dem Tagesordnungspunkt 6 c. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4250 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0}) - Weil es so schön ist, Herr Vorsitzender. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer winzigen kleinen Enthaltung ist es so beschlossen. Hervorragend! ({1}) Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu dem Tagesordnungspunkt 6 d: Beratung der Sammelübersicht 125 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen. Ich eröffne die Aussprache. Dazu hat der Abgeordnete Mann das Wort. ({3})

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es? ({0}) Um den blauen Dunst in unserer 150jährigen Eisenbahn. Vorab: Unseren Änderungsantrag hat eine Raucherin mit innerer Überzeugung formuliert, eine überzeugte Nichtraucherin, meine persönliche Mitarbeiterin, hat ihn zu Papier gebracht. Ich gabe das Vergnügen, als toleranter Nichtraucher diesen Antrag zu begründen. ({1}) Sie, die Sie das anhören dürfen, sind vermutlich in Nichtraucher/innen und Raucher/innen zu unterteilen. Der Petent fordert, daß in den Nichtraucherabteilen der Deutschen Bundesbahn auf den Gängen in Zukunft durch entsprechende Verbote das Rauchen unterbunden wird. ({2}) Ich darf, da das meist am überzeugendsten ist, aus einem Schreiben des Petenten zitieren. Da heißt es: Nach meinen Beobachtungen auf Reisen innerhalb der Bundesrepublik wird in den Gängen von Nichtraucherwagen feste geraucht, und zwar von Personen, die als Raucher sich offenbar vor dem Tabaksqualm anderer Raucher möglichst schützen wollen und deshalb die Nichtraucherwagen bevorzugen, wo sie selbst in nicht nach Tabak stinkenden Abteilen und in besserer Luft als in Raucherwagen reisen können, je nach Bedarf aber auf den Gängen rauchen und den Nichtrauchern die Luft verpesten dürfen. ({3}) Die Reisenden in den Nichtraucherabteilen können deshalb z. B. in den heißen Sommermonaten zur besseren Klimatisierung des Abteils noch nicht einmal die Abteiltür offenlassen, nur weil in den Gängen die Raucher die Luft verpesten, anstatt die ihnen vorbehaltenen Raucherwagen aufsuchen zu müssen, ({4}) die jedenfalls in voll ausreichender Zahl vorhanden sind. So weit der Petent mit aus unserer Sicht überzeugender Begründung zu seinem Antrag. Es ist viel und seit langem von der gesundheitlichen Schädlichkeit auch des passiven Rauchens die Rede. Ich meine, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als Politiker sollten endlich die möglichen und erforderlichen Taten folgen lassen. Insoweit könnten wir beispielgebend, wie es in unserem Änderungsantrag heißt, gerade im öffentlichen Bereich, also etwa bei der Bundesbahn, vorangehen. ({5}) Abschließend möchte ich - auch an Ihre Adresse, Frau Berger, und an die Adresse des Kollegen Dr. Göhner, den ich jetzt nicht sehe ({6}) aus einem Schreiben des Petenten an meinen lieben Kollegen Senfft, der hier eigentlich reden sollte, zitieren: Es spricht für das Demokratieverständnis der GRÜNEN im Deutschen Bundestag, ({7}) wenn Sie sich nicht wie die anderen Fraktionen offensichtlich mit unzutreffenden Auskünften des Bundesministers für Verkehr - das gilt übrigens auch für die vorher behandelte Petition zur vorgetragenen Sache zufriedengeben und erwarten, daß der Bürger das hinnimmt, weil er sich sonst nur weitere Umstände, wenn nicht Unannehmlichkeiten bereitet. Der Bundesminister für Verkehr sollte sich schämen, im Widerspruch zu den Parolen des Bundesgesundheitsministers „Rauchen - und passives Mitrauchen - schadet der Gesundheit" nichts zu unternehmen, die körperliche Unversehrtheit der Bundesbürger im Sinne des Art. 2 des Grundgesetzes zu schützen. Wir meinen, es ist das verfassungsmäßig verbriefte Recht des Petenten, daß er auf Grund seiner Petition eine ernsthafte politische Diskussion bekommt, ({8}) und es ist unser Recht, diese Petition in diesem Hohen Hause zur Diskussion zu stellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte sehr.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Mann, da ich bei dieser Beratung leider nicht anwesend sein konnte, möchte ich fragen: Hat denn der Petitionsausschuß auch die Alternative geprüft, ob nicht in allen Gängen vor den Eisenbahnabteilen ein Schild mit der Aufschrift „Der Bundesverkehrsminister: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit" angebracht werden kann, um wenigstens ein Minimum des Anliegens der Petenten zur Geltung zu bringen?

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Soweit ich mich erinnere, ist diese Möglichkeit nicht geprüft worden. Allerdings meine ich, daß es zwar sehr gut ist, auf die gegenseitige Rücksichtnahme - wie es jetzt in der Begründung der Mehrheit zu dieser Petition heißt - zu vertrauen, daß wir aber manchmal - vor allen Dingen dann, wenn die Gesundheit gefährdet ist - notgedrungen dieser Rücksichtnahme auch ein wenig mit Verboten nachhelfen müssen. Darum geht es, und ich bin gespannt, wie Sie, meine lieben Kollegen von der SPD-Fraktion, hier jetzt abstimmen werden. Im Ausschuß haben Sie - und zwar auch rauchende Kollegen - erfreulicherweise ganz gemäß Art. 38 des Grundgesetzes für unseren Antrag gestimmt, also für das Nichtrauchen auch in den Gängen der Nichtraucherabteile der Deutschen Bundesbahn. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit des Ausschusses hat diese Petition als erledigt betrachtet. Ihnen, Herr Kollege Mann, ist es in den wenigen Minuten auch nicht gelungen, überzeugende Gründe dafür vorzubringen - auch wenn Sie persönlich der Meinung waren, Sie hätten welche gehabt -, daß anders entschieden werden sollte. Es scheint zu den Markenzeichen grüner Politik zu gehören, erst einmal Erwartungen zu wecken, anschließend Dinge zu fordern, die nicht praktikabel sind, und beim Petenten den Eindruck zu erwecken, die GRÜNEN hätten ein besseres Demokratieverständnis, wohl wissend, daß sie, die GRÜNEN, persönlich nie das tun, was sie als beispielgebend fordern. ({0}) Es wäre etwa ein anschauliches Beispiel, zu sehen, wie die GRÜNEN im Tulpenfeld im Aufzug und in ihren Räumen den passiven Schutz der Nichtraucher vor den Rauchern praktizieren. Kollegen haben mir berichtet, daß im Vergleich damit die Verhältnisse in den Wagen der Deutschen Bundesbahn direkt als vorbildlich zu bezeichnen sind. ({1}) Doch worum geht es hier? Es geht darum, daß die Bundesbahn als kundenorientiertes Transportunternehmen sowohl die Raucher als auch die Nichtraucher so bedienen will, wie es geht. Es geht aber auch darum, daß spezielle Nichtraucherzonen in Gängen und in öffentlichen Räumen wie Waschräumen international nicht üblich und für die Bundesbahn, die j a bekannterweise nicht nur in der Bundesrepublik fährt, auch nicht möglich sind. Die Bundesbahn hat sich dazu verpflichtet, internationale Verträge einzuhalten. Auch dies scheint GRÜNE sehr wenig zu interessieren. ({2}) - Es ist in Ihren Augen sicher ein schwaches Argument, Verträge einzuhalten und rechtliche Verpflichtungen zu sehen. Für uns, die wir den Rechtsstaat durchaus noch als etwas Bewahrenswertes ansehen, ist dies natürlich ein äußerst starkes Argument. ({3}) Sie als toleranter Nichtraucher, Herr Kollege Mann, haben sich verständlicherweise recht schwergetan, Argumente vorzubringen, die Sie selber überhaupt nicht für durchschlagend halten. Ich hielte es für das Beste, wenn die gegenseitige Rücksichtnahme von Rauchern und Nichtrauchern in der Praxis geübt würde. So macht es die Bundesbahn. Sie soll, wenn möglich, noch mehr Schilder mit dem Hinweis aufstellen, daß das Rauchen unerwünscht ist. Das ist sicher besser, als mit Verboten und Kontrollen zu arbeiten. Ich hoffe im Interesse des Gesundheitsschutzes, daß es jetzt nicht zu einer neuen Kampagne von Nichtrauchern gegen Raucher kommt, sondern daß wir - die einen und die anderen - tolerant und mit Rücksicht miteinander umgehen: in den Abteilen und Gängen der Deutschen Bundesbahn und auch in den Einrichtungen des Deutschen Bundestages. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Meininghaus.

Alfred Meininghaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicher alle einig, daß Probleme hochpolitischer Art oder Themen von grundsätzlicher Bedeutung, über die im Petitionsausschuß keine Einigkeit erzielt werden konnte, dem Plenum des Deutschen Bundestages zur Abstimmung und damit der gesamten Öffentlichkeit vorgelegt werden sollten. Ob das Rauchen in den Gängen von Eisenbahnwagen in diese Kategorie fällt, mag jeder selber entscheiden. ({0}) In diesem Zusammenhang Art. 2 des Grundgesetzes, den Schutz der körperlichen Unversehrtheit, zu bemühen, wie es auch in der Petition getan wird, halten wir allerdings für überzogen. Zunächst, meine ich, ist jeder für seine körperliche Unversehrtheit selbst verantwortlich. Denn in diesem Fall kann ja jeder der Gefahr ausweichen. Auch daran wollen wir denken. ({1}) - Ich erzähle Ihnen das gleich. Es kommt nämlich in meiner Rede vor. ({2}) Fest steht, daß viele Menschen sich durch Tabakrauch belästigt fühlen und sogar gesundheitliche Schäden davontragen können. ({3}) Weil die Freiheit des einen da aufhört, wo die des anderen beeinträchtigt wird, muß hier von den Institutionen oder auch vom Gesetzgeber ordnend eingegriffen werden. Es ist darum von uns die Frage zu klären, ob die Deutsche Bundesbahn dies optimal tut. Es ist festzustellen, daß sie alle Möglichkeiten ausschöpft, die ihr im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Vereinbarungen im internationalen Bereich - an diesen Vereinbarungen haben sich 24 europäische Eisenbahnen beteiligt - vorgegeben sind. Es wird in jedem Zug und in jedem Wagen eine angemessene Zahl von Nichtraucherabteilen zur Verfügung gestellt. Als ständiger Benutzer der Bundesbahn und als Nichtraucher kann ich feststellen, daß in der letzten Zeit die Anzahl der Nichtraucherabteile zu Lasten der Raucherplätze laufend erhöht worden ist. Ich schätze das Verhältnis zwischen Nichtraucherabteilen und Raucherabteilen auf ungefähr zwei zu eins. ({4}) - Doch! Doch! Nun wird von den Petenten gefordert, daß in den Gängen vor Nichtraucherabteilen ein generelles Rauchverbot Platz greifen soll. Dieser Forderung konnte sich die Mehrheit meiner Fraktion nicht anschließen. Dabei sind folgende Überlegungen ausschlaggebend. Man sollte, meinen wir, nicht mit Verboten in solche Bereiche hineinwirken, die innerhalb eines Zuges allen Reisenden zur Verfügung stehen müssen, beispielsweise Vorräume, Toiletten oder auch Gänge. ({5}) Hier muß es auch einem Raucher, der in einem Nichtraucherabteil reist, möglich sein, dann und wann seine Zigarette oder Zigarre auf dem Gang zu rauchen, ({6}) ohne daß er gezwungen wird, eine stundenlange Reise im Raucherabteil, zusätzlich noch im gesundheitsschädigenden Rauch seiner Mitreisenden, zu verbringen. In den Gängen vor den Nichtraucherabteilen - diese Frage ist vorhin ja auch noch einmal besonders aufgeworfen worden - hat die Bundesbahn übrigens Hinweisschilder in drei Sprachen angebracht mit der Aufschrift: Rauchen unerwünscht. Wir meinen, daß dies ausreichend ist und uneinsichtige Zeitgenossen vom Schaffner oder von Mitreisenden um Rücksicht gebeten werden können. Bei aller Toleranz und Fürsorge den Nichtrauchern gegenüber darf man auch von diesen, so meine ich, eine Toleranz gegenüber Rauchern erwarten. Ich sage dies immer, obwohl ich selbst Nichtraucher bin. Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN zu dieser Petition daher ab. Lassen Sei mich aber, meine sehr geehrten Damen und Herren - unabhängig von dieser Petition -, einen anderen Vorschlag machen - ich hoffe, ich darf das -: Die Bundesbahn möge prüfen, ob nicht jeweils ein ganzer Wagen als Nichtraucherwagen oder als Raucherwagen deklariert werden kann, ({7}) also nicht nur einzelne Abteile in einem Wagen, sondern jeweils der ganze Wagen. Ich betone das noch einmal ausdrücklich. ({8}) Damit wäre die Problematik des Rauchens in den Gängen gelöst. In der nächsten Sitzung werde ich den Petitionsausschuß darum bitten, der Bundesbahn einen entsprechenden Vorschlag vorzutragen. Meininghaus Ich danke schön. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Mann hat das Problem, um das es hier geht, sehr ausführlich erklärt. Der Petitionsausschuß war mehrheitlich der Meinung, daß diese Petition für erledigt erklärt werden sollte. Dem schließt sich die FDP-Fraktion an. Aber ich möchte betonen: in erster Linie mehr aus formalen Gründen. Erstens verhindern internationale Verträge ein Rauchverbot auf den Gängen, zweitens ist es zur Zeit noch schwer praktikabel, und drittens - das ist für mich persönlich der wichtigste Grund - wird das Problem des Nichtraucherschutzes im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Zeit sehr umfassend beraten. ({0}) Wir halten es deswegen nicht für zweckmäßig, daß man den Beratungen des Ausschusses hier in einem Einzelfall zuvorkommt. Ich möchte allerdings betonen, daß die inhaltliche Begründung des Petitionsausschusses mich nicht voll befriedigt hat. ({1}) Ich glaube also, daß das Problem insgesamt nicht vom Tisch ist. Wir werden dieses Problem - ich glaube, da spreche ich für alle Gesundheitspolitiker - jedenfalls in unserem Ausschuß noch sehr ausgiebig beraten müssen. In Richtung Bundesbahn möchte ich sagen: Es kann j a auch versucht, angestrebt werden, internationale Verträge zu ändern. ({2}) Ich glaube, wir müssen den Nichtraucherschutz insgesamt verbessern. Passivraucher sind nicht nur belästigt, sondern auch gefährdet. Mein Rat an die GRÜNEN: Wenn wir als Nichtraucher - ich nehme an, daß wir da eine Koalition als Nichtraucher eingehen - mehr Schutz für Nichtraucher erreichen wollen, dann sollten wir versuchen, zu gemeinsamem Vorgehen zu kommen. Denn der Widerstand der Raucher aus allen Fraktionen wird entsprechend groß sein. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Zum Tagesordnungspunkt 6 d liegt auf Drucksache 10/4655 ein Antrag der GRÜNEN vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4546 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der anwesenden GRÜNEN ({0}) ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 10/990 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 10/4636 Berichterstatter: Abgeordnete Bachmaier Saurin ({2}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bachmaier, Antretter, Bernrath, Frau Blunck, Buckpesch, Catenhusen, Daubertshäuser, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Duve, Egert, Dr. Ehmke ({3}), Dr. Emmerlich, Fischer ({4}), Fischer ({5}), Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Immer ({6}), Jansen, Kiehm, Kißlinger, Klein ({7}), Dr. Klejdzinski, Dr. Kübler, Lambinus, Lennartz, Lohmann ({8}), Frau Dr. Martiny-Glotz, Menzel, Müller ({9}), Müller ({10}), Müntefering, Dr. Nöbel, Oostergetelo, Dr. Penner, Reuter, Roth, Schäfer ({11}), Frau Schmedt ({12}), Frau Schmidt ({13}), Schmidt ({14}), Dr. Schmude, Schreiner, Schröder ({15}), Schröer ({16}), Dr. Schwenk ({17}), Stahl ({18}), Stiegler, Tietjen, Toetemeyer, Wartenberg ({19}), Dr. Wernitz, Dr. de With, Wolfram ({20}), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 10/1502 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({21}) - Drucksache 10/4636 Berichterstatter: Abgeordnete Bachmaier Saurin ({22}) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag des Abgeordneten Schulte ({23}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4680 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsident Frau Renger Wünschen die Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Wir beginnen mit dem Herrn Abgeordneten Bachmaier. Bitte.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erhaltung einer menschenwürdigen Umwelt in Gegenwart und Zukunft ist eine der zentralen politischen Aufgaben, der sich kein verantwortlich Handelnder entziehen kann. Kein Mitglied dieses Hauses wird die Richtigkeit dieser Feststellung bestreiten. Wir und die kommenden Generationen sind für unsere Existenz auf eine weitgehend intakte Umwelt, auf genießbares Wasser, nutzbaren Boden, saubere Luft, eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt, einen funktionierenden Naturhaushalt und ein stabiles Klima ebenso angewiesen wie auf die nachhaltige Nutzbarkeit und den sparsamen Gebrauch natürlicher Ressourcen. Daß es um den Zustand unserer natürlichen Lebensgrundlagen nicht gerade zum besten bestellt ist, wird ernsthaft wohl ebenfalls von niemandem bestritten werden können. Unbestritten dürfte auch sein, daß wirksamer Umweltschutz nicht lediglich eine zeitlich befristete staatliche Aufgabe ist. Kommen wir und die künftigen Generationen dieser Aufgabe nicht nach, dann ist das Gemeinwohl, dem wir alle verpflichtet sind, buchstäblich an seinem Lebensnerv getroffen. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, beurteilen zumindest in Ihren öffentlichen Erklärungen die Lage nicht anders. Wenn also eine so breite Grundübereinstimmung gegeben ist, dann fragen wir uns, warum nicht auch eine Übereinstimmung aller Parlamentsfraktionen darüber erzielt werden kann, daß eine so zentrale Lebensfrage unseres Volkes ihren entsprechenden Niederschlag im Wertekatalog des Grundgesetzes findet. Das Begriffe wie „Umwelt", „Umweltschutz" oder der „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" im Grundgesetz nicht auftauchen, hängt wohl einzig und allein damit zusammen, daß man sich bei der Verabschiedung unserer Verfassung im Jahre 1949 einfach noch nicht bewußt sein konnte, welche Gefahren und Risiken die stürmische technische und industrielle Entwicklung der folgenden Jahrzehnte für die Umwelt mit sich bringen würde. Trotz redlichen Bemühens konnte die Rechtsprechung aus einigen normativen Grundwerten und Zuständigkeitsregeln des Grundgesetzes lediglich ein sogenanntes „ökologisches Existenzminimum" als Auftrag herleiten. Eine normative Richtlinie zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen mit verpflichtendem Charakter für alle staatlich Handelnden ist jedoch aus der derzeit gültigen Fassung des Grundgesetzes nicht zu entnehmen. Deshalb sprach j a auch die von den Bundesministern des Innern und der Justiz beauftragte unabhängige Professorenkommission in ihrem Abschlußbericht vom Dezember 1983 davon, daß das Grundgesetz im Bereich eines wirksamen Umweltschutzes - so wörtlich - nicht unerhebliche Schutzlücken aufweise, die am sinnvollsten, so die Kommission, durch eine entsprechende Staatszielbestimmung geschlossen werden sollten. Die von uns zur Aufnahme in das Grundgesetz beantragte Staatszielbestimmung würde den Schutz und die Pflege der natürlichen Lebensgrundlagen zu einer grundgesetzlich verpflichtenden Aufgabe machen. Der Gesetzgeber wäre verfassungsrechtlich gebunden, zum Schutz der Umwelt tätig zu werden und bei der Ausgestaltung der Gesetze dem Umweltschutz angemessene Berücksichtigung zukommen zu lassen. Diese Staatszielbestimmung, meine Damen und Herren, wäre aber auch eine verfassungsmäßig zu berücksichtigende Abwägungs- und Auslegungshilfe für die Verwaltungen auf staatlicher und kommunaler Ebene. Nicht zuletzt wäre diese Staatszielbestimmung eine normative Vorgabe und Richtschnur für die Auslegung und Fortbildung des Rechts bei der täglichen richterlichen Rechtsanwendung. Inzwischen ist die heute zu fällende Entscheidung zu einem Prüfstein dafür geworden, wie ernst es wir Politiker - wenn ich so die Reihen anschaue, kann ich an der Anwesenheit bisweilen schon den Ernst ablesen - jenseits unserer öffentlichen Bekundungen und Bekenntnisse mit dem Schutz und der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen nehmen. Die Gegner dieser Verfassungsnorm haben erkannt, daß von einem solchen Staatsziel - jetzt hören Sie genau zu -, wenn es seinen gleichwertigen Rang neben anderen Staatszielen im Grundsatz einnehmen sollte, eine erhebliche Dynamik auf das gesamte staatliche Geschehen ausginge. Wahre Horrorvisionen werden und wurden einem da bisweilen dargeboten. Warum soll aber - so frage ich mich - dem Umweltschutz nicht der gleiche Rang eingeräumt werden, wie er dem Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 109 des Grundgesetzes gewährt wurde? Die Staatsaufgabe Umweltschutz wird dann der tagespolitischen Opportunität anheimgegeben, wenn sie nicht gleichwertig neben anderen Staatszielen als zwingendes Abwägungs- und Verpflichtungskriterium im Grundgesetz ihren Platz findet. ({0}) - Das ist Ihnen ja sehr wohl bekannt; sonst müßten wir noch einmal miteinander zum Repititor gehen. ({1}) Der Umweltschutz hat nur dann eine Chance, sich neben den ökonomischen Zwängen und innerhalb des politischen Kräftefeldes durchzusetzen, sich auf Dauer zu behaupten und zu entfalten, wenn er erklärter Teil des verfassungsrechtlichen Wertgefüges wird. In gegenseitiger Ergänzung von Sozialstaatsprinzip und Staatsziel Umweltschutz wird auch deutlich, daß diejenigen, die sich aus eigener wirtschaftlicher Kraft nicht den zunehmenden Umweltgefährdungen entziehen können - und das ist noch immer die weit überwiegende Mehrheit unse14256 rer Bevölkerung -, den gleichen Schutz vor Umweltgefährdungen genießen, der denjenigen zukommt, die es sich leisten können, sich in eine weniger gefährdete Umgebung zurückzuziehen. Nur dann, wenn der Umweltschutz in der Verfassung verankert wird, wird das Grundgesetz seine bisherige heilsame Aufgabe, existentielle gesellschaftspolitische Anliegen in den staatlichen Handlungsprozeß zu integrieren, fortsetzen können. Ein zum Umweltschutz weitgehend schweigendes Grundgesetz können auch diejenigen nicht wollen, denen an einer täglich gelebten und erlebbaren Verfassung gelegen ist. Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, Ihre immer wieder geäußerten Einwände, die von der Sorge um wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit bis zur Behauptung reichen, ein Staatsziel Umweltschutz habe nur symbolischen Charakter, gehen an der Sache vorbei, werden im übrigen noch nicht einmal von einem erheblichen Teil der von Ihrer Partei gestellten Landesregierungen geteilt. Sie schrecken nur davor zurück, sich verfassungsrechtlich selbst in die Pflicht zu nehmen. Wenn Sie es heute und in Zukunft ernst mit Ihren Bekenntnissen zum Umweltschutz meinen, dann können Sie das bei der heutigen Abstimmung unter Beweis stellen. ({2}) Sie, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion - stellvertretend durch Herrn Kollegen Baum -, erklären immer wieder mit Stolz, daß die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz Ihr ureigenstes Anliegen sei. ({3}) Sie haben hier und heute die Gelegenheit - sagen Sie das Ihren Kollegen; aber die wissen es ja -, Ihre entsprechenden Parteitagsbeschlüsse und bis in die jüngste Zeit hineinreichenden vielfältigen Bekenntnisse in die Tat umzusetzen. Tun Sie es! Ich meine, die Koalition wird daran sicherlich nicht zerbrechen. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Saurin.

Wolfgang Saurin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen eines der bedeutendsten und vorrangigsten Ziele. Wir sind entschlossen, unsere Umwelt vor Zerstörung und unvertretbaren Belastungen sowie schädlichen Eingriffen zu bewahren. Aber lassen Sie mich genauso deutlich sagen: Ein wirksamer Umweltschutz bedarf keiner Verfassungsänderung. Zum Schutz unserer Umwelt sind konkrete Maßnahmen und nicht Verfassungsänderungen erforderlich. ({0}) Das Grundgesetz enthält im Umweltbereich keine Schutzlücke, die es auszufüllen gilt. Die Grundrechte und Kompetenznormen bieten dem Staat umfassende Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Bundesregierung hat in drei Jahren erheblich mehr für den Umweltschutz geleistet als die SPD in dreizehn Jahren zuvor. Sie haben während Ihrer Regierungszeit immer neue Kommissionen zur theoretischen Prüfung einer Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz eingesetzt. Wir handeln und ergreifen Maßnahmen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen zu erhalten, und haben auf diesem praktischen Weg die Spitzenstellung in Europa im Umweltschutz erreicht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits im Mai 1984 eine Anhörung zur Ergänzung des Grundgesetzes um eine Umweltschutzbestimmung durchgeführt, bei der renommierte deutsche Professoren, u. a. der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda zu Wort gekommen sind. Wenn man zusätzlich die Anhörung des Bundesrates einbezieht, ist festzustellen, daß eine Mehrheit der Sachverständigen davon abrät, den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern. ({1}) Der Vorschlag der GRÜNEN, ein einklagbares Individualrecht auf Herstellung einer unbeschädigten Umwelt in den Grundrechtskatalog einzufügen, ist, wie so oft, wenn sich Sachverständige mit grüner Politik beschäftigen, einhellig abgelehnt worden. ({2}) Ich möchte daher zu einem solchen Umweltgrundrecht und der dahinterstehenden utopischen Vorstellung, die Verfassung sei für den einzelnen eine juristische und politische Risikoversicherung keine weiteren Ausführungen machen, um mich der ernsthaften Diskussion - die kann man in der Tat führen - über die Aufnahme einer Staatszielbestimmung ausführlicher zuwenden zu können. Nach unseren ausführlichen Beratungen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß auch der SPD-Antrag, ein Staatsziel Umweltschutz in das Grundgesetz einzuführen, abzulehnen ist, da die Nachteile und Risiken und unkalkulierbaren Auslegungsmöglichkeiten klar überwiegen. Die vorhandenen Streitfragen um den Umweltschutz, die sich nicht so sehr auf das Ziel als solches, sondern auf die Wahl der Mittel zur Erreichung des Zieles und auf den Ausgleich bzw. die Abwägung mit anderen privaten und staatlichen Interessen beziehen, werden durch die Verankerung eines Staatszieles nicht gelöst. Der SPD-Entwurf ist plakativ und rechtlich unscharf und scheint dem napoleonischen Verfassungsideal, kurz und unklar, zu entsprechen. Offen bleibt nach den unterschiedlichen Auffassungen der Sachverständigen, ob das Staatsziel lediglich einen appellativen Charakter entfalten würde, ohne das Verfassungssystem anzutasten, oder ob eine konstitutive Wirkung, die den verfassungsrechtlichen Status quo ändern würde, das Ergebnis wäre. Herr Bachmaier hat sich eben sehr einfach festgelegt. Ich bitte einmal die Stellungnahmen von Professor Benda oder Professor Sendler, dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, nachzulesen, die sehr in Frage stellen, was von Ihrem Gesetzentwurf wirklich ausgehen würde. ({3}) Ein Umweltschutzartikel mit lediglich appellativer Wirkung hätte keinen faßbaren Sinn, sondern wäre ein Programmsatz ohne verfassungsrechtlichen Regelungsgehalt. Politische Absichtserklärungen, die nichts bewirken, sondern höchstens der Stimulierung des öffentlichen Umweltbewußtseins dienen könnten, gehören nicht in das Grundgesetz. Sie widersprechen der Struktur unserer Verfassung. Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung kennt das Grundgesetz nämlich keine plakativen Appelle. Es würde sich lediglich um Verfassungslyrik, ökologische Gesinnungstüchtigkeit oder, wie ein Professor während der Anhörung sehr kraß formuliert hat, um Verfassungsgeschwätz handeln. Durch eine Appellbestimmung im Grundgesetz würden zudem beim Bürger lediglich Erwartungen geweckt, die nicht einlösbar sind und dann zu Enttäuschungen führen müßten. ({4}) Es könnte auch der Eindruck entstehen, nach der Aufnahme einiger wohlklingender Sätze Umweltschutz in die Verfassung sei das Thema jetzt erledigt. Eine Bestimmung, die nur als Appell oder Impuls gedacht ist, ist zudem überflüssig, da beim Umweltschutz ein breiter Grundkonsens in der Bevölkerung und bei allen beteiligten Institutionen und Parteien in unserem Staate besteht. ({5}) Sofern das Staatsziel Umweltschutz einen verfassungsrechtlichen Gehalt entfalten würde - ich stimme in der Bewertung letztendlich mit Ihnen überein, Kollege Bachmaier, weil es wahrscheinlicher ist -, wären die Auswirkungen völlig unklar und nicht kalkulierbar. Der von der SPD verwendete Begriff „natürliche Lebensgrundlagen" ist rechtlich nicht genügend bestimmt. Mögliche Deutungen, Interpretationen und die Auswirkung auf andere Staatsziele, die nicht in der Verfassung verankert sind, lassen sich, wie die unterschiedlichen Stellungnahmen der Sachverständigen zeigen, nicht einmal annähernd vorhersehbar beschreiben. Was ist rechtlich unter dem Begriff „natürliche Lebensgrundlagen" zu verstehen? Was ist nach 4 000, 5 000 Jahren Kulturlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich natürlich? ({6}) Unsere heutigen Lebensgrundlagen sind von urbanen, industriellen Ökosystemen und vom Agrarökosystem geprägt. Beide sind eindeutig nicht natürlich, sondern von Menschen gestaltet. Es dürfte schwerfallen, zu definieren, was an der Umwelt des Menschen eigentlich natürlich ist. Was sind Lebensgrundlagen? Ist nur die physische Existenz gemeint, oder geht es um Grundlagen, die den Menschen auch als geistig-sittliches Wesen verstehen? Was bedeutet „natürliche Lebensgrundlagen" beim Artenschutz und bei Artenvielfalt, wenn Unkräuter in Nahrungskonkurrenz zu Nutzpflanzen treten? Ist die Unkrautbekämpfung dann von der Verfassung geboten, oder ist sie verboten? Um nur ein weiteres Beispiel von vielen möglichen anzuführen: Gehören Kernbrennstoffe zu den natürlichen Lebensgrundlagen? Müssen sie wiederaufbereitet werden, oder sind sie trotz Wiederverwendbarkeit endzulagern?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Saurin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Um ein bißchen Licht in Ihren ökologischen Wirrwarr zu bringen: Können Sie mir mal ein Industrieökosystem erklären?

Wolfgang Saurin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe vorhin gesagt, daß unsere Gesellschaft, unser Staat, davon geprägt ist, daß bei uns die Auswirkungen von Städten, Stadtplanung, Industrie als ökologisches System und das Agrarökosystem letztendlich entscheiden, was überhaupt noch als natürlich zu definieren ist. Wenn Sie in Mitteleuropa mal rumgucken, werden Sie nur ganz, ganz wenige unberührte Biotope, Küstenlandschaften, finden, wo der Mensch nicht schon irgendwie gestalterisch eingegriffen hat. Was ist dann, bitte schön, natürlich? Ist das natürlich, was der Mensch geschaffen hat, oder ist „natürlich" ein Begriff der auf das zurückgreift, was vor dem Menschen war? Ich will hiermit nur eines deutlich machen, nämlich wie unpräzise, auch nach der Meinung der Sachverständigen - das können Sie bei Professor Rauschning so sinngemäß nachlesen -, die SPD-Begriff sind, weil sie gar nicht rechtlich abzugrenzen sind. ({0}) - Lesen Sie die Ausführungen von Professor Rauschning. Dann beantworte ich Ihnen die nächste Zwischenfrage. Ich möchte jetzt erst einmal ein bißchen fortfahren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Es wird also keine weitere Zwischenfrage zugelassen.

Wolfgang Saurin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es muß ausdrücklich davor gewarnt werden, unpräzise Begriffe in die Verfassung aufzunehmen, ohne genau zu definieren, was letztlich durch das Grundgesetz als konkretes Ziel geboten und was verboten sein soll. Die Umweltbelastung ist die Kehrseite der Umweltnutzung. Sie wirkt sich in allen Bereichen aus. Die unterschiedlichen Begriffe und die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten lassen aber das Spannungsverhältnis und die Abwägung gegenüber anderen wichtigen Zielen und Werten unserer Gesellschaft völlig ungeklärt erscheinen. Die isolierte Aufnahme des Umweltschutzes könnte den Eindruck entstehen lassen, daß bei allen Güterabwägungen, Auslegungen und Vorhaben der Umweltschutz stets Vorrang genießt und andere Werte und Interessen zurücktreten müssen. Es würde sich die Frage stellen, ob der Umweltschutz die einzige verfassungsrangige Aufgabe der bundesdeutschen Staatlichkeit ist. Die einseitige Priorität des Umweltschutzes würde durch die Formulierung des SPD-Entwurfs „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates" nur noch unterstrichen. In der Anhörung wurde die Meinung vertreten, daß dann im Rahmen eines Gesamtkonzepts die Aufgaben des heutigen Staates in der Industriegesellschaft nicht selektiv, sondern umfassend beschrieben werden müßten. Und, Kollege Bachmaier, diese anderen Staatsziele und Werte unserer Gesellschaft sind eben bisher in der Verfassung nicht beschrieben. Werte und Ziele wie z. B. innerer und äußerer Frieden, Sicherheit der Bürger, Kulturpflege, Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, Volksgesundheit, Energieversorgung, angemessenes Wirtschaftswachstum, Wohnungsbau, Regional- und Strukturpolitik müßten im Spannungsfeld zu einer im Grundgesetz verankerten Umweltschutzbestimmung vernünftig abgegrenzt werden. Ohne eine Abgrenzung zu anderen Werten käme es sicherlich zu einem Eingriff in die durch praktische und theoretische Interpretation gewachsene Verfassung. Die Folge wäre, daß in vielen Bereichen für eine längere Übergangszeit erhebliche Rechtsunsicherheit ausgelöst würde. Es wäre lediglich eine politische Entscheidung vorweggenommen, ohne daß die Verfassung verläßliche Maßstäbe liefern könnte, wie der Konflikt zu anderen Werten zu lösen ist. Letztlich kann eine notwendige Abgrenzung zu anderen Werten durch eine Grundgesetzergänzung wohl gar nicht erbracht werden. Gerade die Wahrung der Umweltbelange und ihre Abgrenzung zu anderen Werten und Zielen ist Sache der politischen Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers und muß ständig an Hand der konkreten Situation neu vorgenommen werden. Eine Staatszielbestimmung Umweltschutz würde sicherlich zu einer Verlagerung der Entscheidung vom politisch legitimierten Gesetzgeber zu den Gerichten führen, da sie als Ermessensdirektive und Auslegungsprinzip für Verwaltung und Gerichte wirken würde. Gesetze könnten im konkreten und abstrakten Normenkontrollverfahren auf ihre Vereinbarkeit mit der Staatszielbestimmung überprüft werden. Bei Verfassungsbeschwerden werden die angegriffenen Akte der öffentlichen Gewalt von Amts wegen unter jedem in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt geprüft. Die Verwaltungsgerichte würden sich dieser Entwicklung sicherlich bald anpassen, wenn sie sie nicht sogar forcieren würden. Die Folge wäre eine weitere unerwünschte Verrechtlichung der Politik und auf der anderen Seite eine Politisierung der Justiz. Betrachtet man die Bundesrepublik in einem internationalen Vergleich, so gibt es schon jetzt kaum ein Land mit einer so weitgehenden Justitiabilität politischer Entscheidungsprozesse. ({0}) Durch die Aufnahme des Begriffs „natürliche Lebensgrundlagen" in die Verfassung könnten alle politischen Abwägungen an dem einen grundgesetzlich verankerten Staatsziel gemessen werden. Über die Generalklausel würde dem Normengeber die Entscheidung über den Konkretisierungsgrad aus der Hand genommen. Das Ergebnis wäre eine weitreichende Umpolung des Kompetenzgefüges des parlamentarischen Systems zugunsten einer Umweltpolitik durch die Gerichte. Abwägungen zwischen Umweltschutz und anderen Staatszielen müssen von denen vorgenommen werden, die dafür vom Bürger den Auftrag erhalten haben und jederzeit wieder abgelöst werden können. Es wäre falsch, die parlamentarische Entscheidung und damit die Einflußnahme des Bürgers durch die Rechtsprechung ersetzen zu wollen. Zudem kann keiner halbwegs voraussagen, was die Gerichte aus einer Staatszielbestimmung Umweltschutz, zumal mit den von der SPD vorgeschlagenen völlig unbestimmten Begriffen, machen würden. Richterliches Engagement wird, so scheint es nach der Erfahrung, in besonderer Weise von offenen Normen beflügelt: je offener die Norm, desto ungewisser ihr Deutungsspektrum. Lassen Sie mich kurz einige andere Argumente beleuchten. Vielfach ist die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz unter Hinweis auf entsprechende Regelungen in einigen Landesverfassungen begründet worden. Dabei wird jedoch häufig verschwiegen, daß die Landesverfassungen völlig anders strukturiert sind als das Grundgesetz. Viele Landesverfassungen enthalten im Gegensatz zum Grundgesetz eine ganze Anzahl von Programmsätzen mit lediglich appellativem Charakter. Die dem Grundgesetz eigene hauptsächliche Beschränkung auf vollzugsfähiges Verfassungsrecht ist in den Landesverfassungen in dieser Form nicht enthalten. Die rechtliche Qualität, auch gerade im Hinblick auf eine Ausweitung der Justitiabilität, ist bei einer Staatszielbestimmung im Grundgesetz im Vergleich zu den Landesverfassungen vollkommen anders ausgestaltet. Auswirkungen hätte die Grundgesetzänderung aber auf die Länder. Da die Einhaltung einer generalklauselartigen Schutzverpflichtung und die Erfüllung dieser grundgesetzlichen Pflicht durch die Länder und nachgeordneten Körperschaften der Bundesaufsicht unterlägen, wäre eine VerschieSaurin bung des bundesstaatlichen Gefüges zu erwarten. Eine Staatszielbestimmung käme beim Bau von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen, Ausweitung von Wohn- und Gewerbegebieten, letztlich bei allen Fragen der Landes- und kommunalen Planungshoheit zum Zuge. Nachdem in den letzten Jahren ohnehin eine zunehmende Kompetenzverlagerung von den Ländern zum Bund festzustellen ist, wäre ein weiterer Eingriff in das föderalistische System zu befürchten. Sicherlich würde es auch nicht lange dauern, bis die Aufnahme des Umweltschutzes ins Grundgesetz die Forderung nach der Ergänzung der Verfassung durch weitere Staatszielbestimmungen nach sich ziehen würde: Datenschutz, Kultur- und Denkmalpflege und das Recht auf Arbeit sind seit Jahren in der Diskussion. Es bestünde die Gefahr, daß das Grundgesetz nach und nach zu einem Warenhauskatalog entwertet würde. Bei der Aufnahme einer Staatszielbestimmung Umweltschutz wäre es wahrscheinlich schon aus Gründen einer vernünftigen Güterabwägung notwendig, andere Werte und Ziele unserer Staats- und Gesellschaftsordnung ebenfalls in Verfassungsrang zu erheben, um das Spannungsverhältnis ausgewogen gestalten zu können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Die Aufnahme einer Umweltschutzbestimmung, wie die SPD sie fordert, hätte entweder eine lediglich appellative Wirkung und würde gar nichts schützen und bewirken und letztlich nur falsche Erwartungen und daraus resultierende Enttäuschungen beim Bürger hervorrufen, oder vollkommen unbestimmte Normen würden von Gerichten mit verfassungsrechtlichem Regelungsgehalt ausgefüllt. Die Folge wäre dann: Die Interpretationsmöglichkeiten, Auslegungen, Abwägungsmaßstäbe und Auswirkungen gegenüber anderen Zielen und Werten unserer Staats- und Gesellschaftsordnung wären überhaupt nicht zu übersehen. Wenn schon die Stellungnahmen der Sachverständigen zu grundlegend verschiedenen Ergebnissen kommen, zumindest aber deutliche Unterschiede in Detailfragen aufweisen, wie lange soll es dann dauern, bis Gerichte höchstinstanzlich verläßliche Auslegungsregeln zu einer Staatszielbestimmung Umweltschutz, wie sie von der SPD vorgeschlagen wurde, entwickelt haben? Die Bürger erwarten eine konkrete Umweltpolitik und Maßnahmen, die der Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen dienen, ohne daß andere wichtige Staatsziele aus den Augen verloren werden. Die CDU/CSU-geführte Regierung hat in den letzten drei Jahren klar und entschieden Lösungen in Angriff genommen und mehr für die Umwelt bewirkt als die SPD in 13 Jahren ihrer Regierungszeit. Wir werden unseren vorgezeichneten Weg konsequent weiterverfolgen. Die Bürger wissen sehr gut an Taten zu messen und lassen sich nicht von wohlklingenden Verfassungsformulierungen blenden. Wir brauchen keine Verfassungsänderung, um unsere Umweltpolitik aufzupolieren. Wir können uns an unseren Taten messen lassen und werden im Urteil der Wähler garantiert bestehen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung. Herr Kollege Saurin, der Kollege Schulte läßt Ihnen ausrichten, daß es vielleicht notwendiger ist, daß Sie sich an Hand eines Biologiebuches z. B. einmal mit Biotopen und Ökosystemen vertraut machen, als daß der Kollege Schulte die Stellungnahme von Professor Rauschning nachliest. Die heutige Debatte und die gleich erfolgende Abstimmung über die Gesetzentwürfe der beiden Oppositionsfraktionen zeigt einmal mehr, daß nur durch die GRÜNEN eine echte Wende in der Umwelt- und Umweltrechtspolitik möglich sein wird. ({0}) Unsere Fraktion hat mit der Initiative zur Einführung eines Umweltgrundrechtes in unserer Verfassung eine lange überfällige rechtspolitische Konsequenz gezogen. Wer unsere natürlichen Lebensgrundlagen für die heutigen und künftigen Generationen wirksam schützen will, muß bereit sein, den Rechtsschutz des Bürgers und der Bürgerin im Umweltbereich qualitativ zu verbessern. Wichtiger Bestandteil einer solchen Verbesserung des Umweltrechtsschutzes wäre eine Verankerung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz durch Einführung eines Umweltgrundrechtes sowie einer staatlichen Verpflichtung und einer Verpflichtung für jedermann ({1}) - und jede Frau. Die Zeit dafür - Herr Minister Engelhard, das geht vor allem an Ihre Adresse und an die Adresse der FDP - ist überreif. Ich erinnere mich, daß die Freien Demokraten bereits 1971 in den Freiburger Thesen die Einführung eines Umweltgrundrechtes forderten. In den Beratungen des Rechtsausschusses und auch heute hat die CDU in erfreulicher Deutlichkeit eingeräumt, daß sie eine qualitative Verbesserung des Rechtsschutzes durch eine Änderung des Grundgesetzes ablehnt. Meine Damen und Herren - dies geht auch an die Adresse der Sozialdemokratie -, eine lediglich deklaratorische Verankerung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz aus Gründen politischer Opportunität ist Augenwischerei, ja, Volksverdummung. ({2}) Mir scheint, der bisherige Standpunkt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion - man muß sagen: der bisherige Standpunkt, denn da bewegt sich ja offenbar hinter den Kulissen einiges; in den Bundesländern vertreten Sie j a auch eine andere Auffassung als die, die Sie hier heute vertreten - ist ehrlicher als beispielsweise der der Bayerischen Staatsregie14260 rung und ihres Ministerpräsidenten Strauß. Was bringt denn die von CSU und SPD im bayerischen Landtag vor etwas über einem Jahr gemeinsam beschlossene Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel in der bayerischen Verfassung? Gegen die Mehrheit der betroffenen Bevölkerung und in einem rechtsstaatlich einmaligen Sonderverfahren wird gegenwärtig versucht, den Bau der größten natur- und menschenzerstörenden Industrieanlage in der Oberpfalz durchzusetzen. Immer wieder, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es bei unserer politischen Glaubwürdigkeit gegenüber der betroffenen Bevölkerung um den Einklang von Worten, meinetwegen auch von Verfassungsworten, mit Taten. Herr Saurin hat das soeben selbst ausgeführt. Das Beispiel WAA Wackersdorf zeigt, daß die bayerische Staatsregierung der vielgepriesenen Verfassungsänderung keine Taten folgen läßt. ({3}) Die bayerischen Bürgerinnen und Bürger werden der Regierung Strauß am 12. Oktober hoffentlich eine schmerzhafte Quittung dafür erteilen. Noch kurz ein weiteres Beispiel aus dem Freistaat Bayern, wo seit über einem Jahr der Umweltschutz als Staatsziel in der Verfassung verankert ist. In Oberjettenberg in der Nähe von Bad Reichenhall kämpfen seit 17 Jahren viele tausend Bürgerinnen und Bürger gegen eine ökologisch unverantwortliche Verlegung des Standortübungsplatzes von Bad Reichenhall nach Schneizlreuth auf den Oberjettenberg. Die Planung nach dem Landbeschaffungsgesetz und das Raumordnungsverfahren beruhen auf längst überholten Grundlagen, vor allem hinsichtlich des Naturschutzes in der gefährdeten Alpenregion. Nach der Änderung der bayerischen Verfassung müßte es für die Staatsregierung eine Selbstverständlichkeit sein, gegenüber dem Bundesminister der Verteidigung mit allem Nachdruck eine eventuell auch nur teilweise Verlegung des Übungsplatzes auf den Oberjettenberg zu bekämpfen. Dazu sind die CSU und ihre Landesregierung jedoch allem Anschein nach in ihrer Fixiertheit auf vordergründige Belange der Bundeswehr nicht imstande. Fazit: Eine Verankerung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen lediglich als Staatsziel im Grundgesetz hat in der politischen und rechtlichen Praxis aller Voraussicht nach keine Wirkung. Dennoch stimmen wir - mit gewissen Bauchschmerzen - dem Gesetzentwurf der SPD zu, nach dem Motto: Wahrscheinlich nützt es nichts, aber es schadet auch nichts. Wir wollen mit unserer Zustimmung außerdem einmal deutlich machen, wo hier die Fraktionen sitzen, die umweltrechtspolitisch etwas ändern wollen, und wo diejenigen sitzen, die eine Ankündigungspolitik der großen Worte demonstrieren, wie es hier auch heute geschehen ist. ({4}) Notwendig ist eine Erweiterung des Umweltrechtsschutzes durch die Einführung eines Umweltgrundrechts; ich führte das bereits aus. Der Zustand unserer Umwelt und unsere Pflicht gegenüber künftigen Generationen gebieten dringend eine derartige Änderung unserer Verfassung. Das sprichwörtliche Vollzugsdefizit im Umweltschutz muß endlich beseitigt werden. Angesichts der Vielzahl von Soll- und Kann-Vorschriften im Umweltrecht würde die Einführung eines Umweltgrundrechts bewirken, daß sich die Abwägung insbesondere mit kurzfristigen und kurzsichtigen wirtschaftlichen Interessen zugunsten des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen verschiebt. Es wäre sehr reizvoll, jetzt einiges zu dem zu sagen, was Herr Saurin hinsichtlich offener Normen gesagt hat. Das ist unser alltägliches Problem, wenn wir hier Gesetze schaffen, die hinterher in der Praxis ausgelegt werden. Hier versteckt sich jemand hinter rechtlichen Argumenten, um politisch etwas zu vernebeln, Herr Saurin. Wir dürfen jedoch bei einer solchen Verfassungsänderung natürlich nicht stehenbleiben, sondern müssen den Schutz der Umwelt durch eine Erweiterung der Bürgerrechte im Bereich einfacher Gesetze ergänzen. Dazu weise ich auf unsere grünen Initiativen zur Einführung einer Verbandsklage sowie eines allgemeinen Rechts zur Einsichtnahme in Umweltakten hin. Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, vor allem von der, wie man inzwischen wohl sagen muß, ehemals liberalen Partei, ({5}) daß Sie trotz teilweise übereinstimmender Beschlüsse der FDP nicht bereit sind, solchen Initiativen zuzustimmen. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie in einer modernen Industriegesellschaft kann, das ist unsere Überzeugung, nur mit dem Bürger erfolgen. Das setzt voraus, dem Bürger durch ausreichenden Rechtsschutz die Möglichkeit einzuräumen, auf umweltrelevante Planungen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Einfluß zu nehmen. Das liegt übrigens auch im Interesse der Industrie, wenn ihr tatsächlich an wirksamem Umweltschutz gelegen ist. Ihre Angst, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, dem mündigen Bürger ausreichenden Umweltrechtsschutz zu gewähren, entlarvt Ihr tatsächliches Verhältnis zum Umweltschutz. Verkürzt gesagt: Sie bleiben, was ich bedaure, bei einer vordergründigen Ankündigungspolitik nach dem Modell Kohl/Zimmermann stehen. Ihre Devise lautet: vollmundige Worte und allenfalls viertelherzige Taten. Wir GRÜNEN hingegen wollen dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen den lange überfälligen Rang in Verfassung und Gesetz einräumen. Mit Sicherheit will dies auch die Mehrheit der Bevölkerung. Dazu abschließend noch ein Beleg: Anläßlich der Demonstration gegen das Kraftwerk Buschhaus forderte die Interessengemeinschaft für gesunde Luft Berlin e. V. am 28. April 1984 die Aufnahme eines Grundrechts auf eine gesunde Umwelt in das Grundgesetz. Mehr als 3 000 Bürger, der BBU, der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen, die Berliner Elterninitiative Pseudokrupp, die Berliner Regionalgruppe von Robin Wood und weitere Bürgerinitiativen aus Berlin und Niedersachsen unterstützen dieses Anliegen, das im übrigen seit fast zwei Jahren auch als Petition im Bundestag anhängig ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihr Selbstbewußtsein, Herr Kollege Mann, möchte ich Ihnen nicht nehmen, aber es ist unberechtigt. Die wichtigsten Grund- und Einzelentscheidungen zum Umweltschutz sind in diesem Parlament - übrigens in großer Übereinstimmung aller Parteien - getroffen worden, bevor Sie in den Deutschen Bundestag eingezogen sind. ({0}) Wir haben das fortgesetzt. Sie waren im wesentlichen vorbereitet. Sie sind in dieser Legislaturperiode fortgesetzt worden; sie sind in dieser Legislaturperiode ergänzt worden. Ich möchte sagen, Sie haben manchmal unsere Bemühungen eher gehindert, weil Ihre Katastrophenszenarien, die Sie malen, es uns in der sachlichen Diskussion schwerer machen. Ich sage Ihnen voraus, daß diese Katastrophenszenarien eher geeignet sind, Umweltschutzinitiativen zu verschütten, als sie zu fördern. ({1}) - Ich verdränge die Wirklichkeit nicht, wenn ich hinzufüge, Herr Kollege Mann, daß es natürlich Versäumnisse gegeben hat, daß natürlich Dinge zu spät gemacht worden sind. ({2}) Aber das sagt sich heute viel einfacher als vor zehn Jahren. In diesem Parlament sind erhebliche Kraftanstrengungen unternommen worden. Die Verwaltung hat gehandelt; die Gerichte haben gehandelt; die Wissenschaft hat gehandelt. Sie können nicht Milliarden von Investitionen einfach wegputzen und sagen: Jetzt kommen wir, und jetzt geht die Sache los. - Was Sie wirklich bewirkt haben, werden Sie sich in einer ruhigen Stunde vor Augen führen können - und das ist relativ wenig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte? - Bitte sehr!

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Baum, wollen Sie hier wirklich den Eindruck erwecken, daß ohne die GRÜNEN mehr im Umweltschutz getan worden wäre?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte nur ausdrücken, daß Ihr Selbstbewußtsein unberechtigt ist. Im übrigen haben Sie dieses Themenfeld nicht für sich gepachtet. Alle Parteien vertreten es nachdrücklich. ({0}) Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben in mehreren wichtigen Phasen der Umweltschutzdiskussion durch Ansprache von Themen, die diese Diskussion nicht benötigt hat, z. B. die Kernenergie, die öffentliche Meinung von den eigentlich wichtigen Fragen abgelenkt, so daß viele Dinge nicht geschehen sind, die damals hätten geschehen sollen. Jetzt stehen Sie vor der Frage, was Sie mit den Kohlekraftwerken machen müssen. Das hätten Sie sich früher überlegen müssen. ({1}) Bitte! ({2}) - Nein, ich kann nicht verlangen, daß Sie während meiner Rede stehenbleiben, weil ich schon weit über die Antwort auf Ihre Frage hinausgegangen bin. ({3}) - Jetzt bitte keinen Dialog. Ich habe Sie ja auch angehört, Herr Kollege Mann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Baum, ich muß Sie fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. - Seit den Freiburger Thesen im Jahre 1971 - das ist richtig - vertritt die FDP das Ziel, den Umweltschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Wir waren damals die erste Partei, die eine solche verfassungsrechtliche Verankerung der Pflicht des Staates zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gefordert hat. Mittlerweile sind breite Kreise der Bevölkerung von der Richtigkeit dieses Verlangens überzeugt. Landesverfassungen sind in diesem Sinne geändert worden. Der Bundesrat befaßt sich mit entsprechenden Anträgen sowohl von CDU- als auch von SPD-Seite. Die FDP-Forderung ist im Jahre 1983 durch eine Kommission namhafter Wissenschafter, die ich - noch als Innenminister - um ein Gutachten gebeten hatte, bestätigt worden. Die Lage der Umwelt macht es notwendig, den Prozeß der Abwägung zwischen dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und anderen Rechtsgütern in der Verfassung selbst deutlich zu verankern. Würde das Grundgesetz heute neu konzipiert, gäbe es gar keinen Zweifel, daß ein solches Ziel aufgenommen werden würde. Es handelt sich beim Umweltschutz nicht um eine beliebige Staatsaufgabe, - ich zitiere jetzt die Kommission sondern schließlich um die Sicherung der existentiellen Voraussetzungen des gesellschaftlichen Lebens, die aus diesem Grunde auf eine Stufe mit den bereits in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes geregelten fundamentalen Staatszielen, insbesondere dem Sozialstaatsprinzip, zu stellen ist. Der Mensch ist für seine biologisch-physische Existenz und als soziales Wesen auf eine weitgehend schadstofffreie und intakte natürliche Umwelt, auf nachhaltige Nutzbarkeit ... erneuerbarer Ressourcen angewiesen ... Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ist daher zu einer hochrangigen Aufgabe geworden, zu der der Staat einen wesentlichen Beitrag zu leisten hat. ({0}) ... hat ... nichts mit wohlfahrtsstaatlichem Anspruchsdenken zu tun. Sie ist im Hinblick auf die Bedrohung und Verknappung der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlich und trägt den realen Wirkungsmöglichkeiten Rechnung. ({1}) ... ist im geltenden Verfassungsrecht nicht gewährleistet. Diese Schutzlücken sind auch durch Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip nicht zu schließen. Das Allgemeininteresse am Umweltschutz gerät in der Gesetzgebung, in der Verwaltung, aber auch in der Rechtsprechung allzu leicht in Gefahr, gegenüber anderen, kurzfristigeren oder stärker sichtbaren Allgemein- oder Privatinteressen zurückgesetzt zu werden. Dies ist die Begründung, die die Kommission gegeben hat, die unter Leitung von Herrn Professor Denninger stand, und dies ist unsere Meinung. Die FDP will - anders als die GRÜNEN - kein neues Grundrecht, also keinen einklagbaren Anspruch der Bürger auf Umweltmaßnahmen. Dies würde nämlich bedeuten, den Umweltschutz von den Parlamenten wegzuziehen und sehr viel stärker als heute in die Hände der Richter zu legen. Wir lehnen eine solche Entwicklung ab. Wir wollen keinen Verlust an parlamentarischer Demokratie. ({2}) Wir wollen aber auch keine reine Alibiregelung, die nur der Form nach den Umweltschutz in das Grundgesetz aufnimmt und praktisch nichts bewirkt. Unser Ziel ist in der Mitte zwischen beiden Positionen. Wir wollen also eine Staatszielbestimmung. Wir wollen zunächst dem Gesetzgeber, d. h. wir wollen uns selbst auf Dauer deutlich auf dieses Ziel hin verpflichten, wir wollen aber auch die staatliche Verwaltung stärker in diese Richtung hin orientieren - und auch die Gerichte. Wir sind der Meinung, daß durch eine derartige Verfassungsänderung die ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft einen verbindlichen Ordnungsrahmen erhält. Eine derartige Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz kann zwar konkrete Maßnahmen nicht ersetzen, bedeutet jedoch eine umfassende Signalwirkung und gibt dem Umweltschutz eine stärkere Position in den Abwägungsprozessen auf verschiedenen staatlichen Ebenen, d. h. er bekommt eine relative Priorität, wie die Kommission ausgeführt hat. Wir wissen, daß eine solche Grundgesetzänderung in der Koalition nicht vereinbart ist. Wir wissen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eindeutig entschieden hat - sie hat Anhörungen durchgeführt -, daß sie dieses Ziel nicht unterstützt. Dies respektieren wir. Wir erinnern daran, daß auch unser damaliger Koalitionspartner, die SPD, nicht auf dieses Ziel zu verpflichten war. ({3}) Das hat sich heute geändert. Das ist immerhin erfreulich. ({4}) Es entspricht dem Verhalten in einer Koalition - so haben wir es immer praktiziert, auch in der Koalition mit der SPD -, daß wir Anträgen der Opposition, auch wenn sie unseren Vorstellungen entsprechen, nicht zustimmen, wenn dazu eine Einigung in der Koalition nicht erzielt worden ist. Im übrigen fragen wir uns, warum überhaupt auf eine Abstimmung gedrungen wird, wenn seit langem klar ist, daß eine verfassungsändernde Mehrheit in diesem Hause gar nicht zu erzielen ist. ({5}) - Unser Mut, Herr Kollege, kann nicht so weit gehen, die verfassungsändernde Mehrheit herzustellen. Das ist nicht drin. Das wissen Sie. 1980 wurde in einem anderen Fall durch den Rechtsausschuß in diesem Hause festgestellt: Überdies hält es der Ausschuß nicht für erfolgversprechend, die vorgeschlagene Kompetenzverlagerung weiter zu verfolgen, weil eine Mehrheit im Bundesrat für eine Änderung der Verfassung nicht erzielbar ist. Das heißt, er hat überhaupt keine solche Debatte geführt, jedenfalls keine Abstimmung vorgenommen. Man hätte hier genauso verfahren können. Wir werden an unserem Ziel festhalten. Wir werden weiterhin versuchen, dafür verfassungsändernde Mehrheiten zu erhalten. Dies ist in dieser Legislaturperiode nicht möglich. Unterstützung erwarten wir insbesondere auch vom Bundesrat, dem ja bekanntlich zwei Anträge der Bundesländer Hessen und Schleswig-Holstein vorliegen, das Grundgesetz in dem auch unserer Auffasssung entsprechenden Sinne zu ändern. Die vom Rechtsausschuß und vom Innenausschuß des Bundesrates durchgeführte Anhörung im Juli letzten Jahres hat unsere Argumente jedenfalls in einigen wichtigen Äußerungen unterstützt. Im übrigen war Gegenstand der Anhörung auch ein Vorschlag des Berliner Senators Professor Dr. Scholz, der eine Verankerung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 109 Abs. 1 des Grundgesetzes zum Inhalt hat. Auch darüber hätte man vielleicht reden können. Wir werden also auf die Sache zu gegebener Zeit zurückkommen. Heute lehnen wir den Antrag der GRÜNEN ab. Wir stimmen dem Antrag der SPD nicht zu. Trotz unterschiedlicher Positionen in der Koalition werden wir uns in der gemeinsamen Arbeit der Koalition im Umweltbereich nicht beirren lassen. Diese Arbeit ist gut und erfolgreich. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist die Antwort auf die Frage fällig, wie ernst wir es mit dem Umweltschutz wirklich meinen und ob wir bereit sind, uns auch als Parlament auf dieses Ziel verbindlich festzulegen. ({0}) Der Änderungsvorschlag droht an der Haltung der CDU/CSU-Fraktion, die sich sperrt, zu scheitern, obwohl die Mehrheiten des Bundestages und auch wohl des Bundesrates für diese Änderung sind. ({1}) Herr Kollege Baum, es kann wohl niemanden überzeugen, wenn Sie sich rühmen, das von uns hier eingebrachte Ziel seit langem selbst verfolgt zu haben, dann aber ein Koalitionsverständnis vorweisen, das es Ihnen untersagt, sich zu diesem Ziel auch durch Abstimmung zu bekennen. Das muß eine merkwürdige Koalition sein. ({2}) Bei der Vorbereitung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs der SPD-Bundestagsfraktion ist nicht überstürzt und nicht kurzatmig, sondern mit großer Sorgfalt und Gründlichkeit gearbeitet worden. ({3}) Wir Sozialdemokraten sind ebenfalls der Kommission unter Vorsitz von Professor Denninger für die solide und gehaltvolle Arbeit dankbar, in der einleuchtend dargetan wird, daß gerade der Umweltschutz einer zusätzlichen verfassungsrechtlichen Stärkung bedarf. Auch der jetzige Bundesjustizminister unterstützt ja diesen Vorschlag. Von denen, die sich gegen die Neuregelung sperren, ist uns auch heute wieder entgegengehalten worden, durch die verfassungsrechtliche Betonung des Umweltschutzes würden andere für das menschliche Leben wichtige Belange wie Wirtschaft, Verkehr, Verteidigung usw. unangemessen zurückgesetzt. Aber es ist doch gerade unser aller Erfahrung, daß diese Belange seit eh und je ihre energischen Vertreter finden und daß es der Umweltschutz ist, der demgegenüber oft genug weichen mußte. Das ist der Grund unserer Initiative. ({4}) Dann hören wir, den Richtern dürfe man nicht zusätzlichen Entscheidungsraum in Umweltangelegenheiten eröffnen, sondern man müsse diese Angelegenheiten politischen Regelungen überlassen. Abgesehen davon, meine Damen und Herren von der Union, daß wir hier bei Ihnen ein weiteres Mal einem offenbar tief verwurzelten Mißtrauen gegen die Justiz begegnen, entfaltet die Staatszielbestimmung ihre Wirkung doch gerade darin, daß sie nur dann greift, wenn der Umweltschutz grob vernachlässigt und mißachtet wird. Dann allerdings greift sie. Darauf wollen wir die Regelung beschränken. Deshalb lehnen wir auch ein Umweltgrundrecht, das nach unserer Auffassung gar nicht realisierbar wäre, ab. Wir können aber nicht verstehen, daß Sie einerseits den Entscheidungsraum der Richter fürchten und andererseits uns klarmachen wollen, diese Neuregelung müsse mangels inhaltlicher Faßbarkeit und Substanz ganz ohne Auswirkungen bleiben, sie werde gar nichts bringen. Wenn ich sage: Diese Staatszielbestimmung greift nur dann, wenn der Umweltschutz grob vernachlässigt und mißachtet wird, dann muß ich die Frage anschließen: Will sich denn die CDU/CSU-Fraktion auch diese Möglichkeit des Umgangs mit der Umwelt für die Zukunft vorbehalten? Eine Reihe von unionsgeführten Ländern hat demgegenüber die Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Absicherung des Umweltschutzes erkannt und entsprechend gehandelt. Ich halte es nicht nur umweltpolitisch, sondern auch verfassungspolitisch für einen bösen Fehlgriff, wenn Änderungen der Landesverfassungen sozusagen gnädig zugestanden werden, die entsprechende Grundgesetzänderung aber verworfen wird. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat recht, wenn er sagt: „Wer verfassungsrechtliche oder politische Bedenken gegen die Aufnahme eines Umweltschutzartikels in das Grundgesetz vorträgt, muß dies konsequenterweise ebenso in bezug auf Landesverfassungen tun." Ich füge hinzu: Wer da mit gespaltener Zunge spricht, drückt in Wahrheit seine Geringschätzung des Landesverfassungsrechts aus. ({5}) Das soll doch wohl heißen, darin könne manches stehen, wofür das Grundgesetz zu schade sei. Wir sollten uns als Bundespolitiker vor solcher Überheblichkeit hüten. Wir würden damit außerdem die umweltpolitische Schutzaufgabe auf eine Ebene schieben, auf der sie aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht vollständig gelöst werden kann. Die großen Wertentscheidungen, die unser Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland verbindlich prägen, sind in das Grundgesetz aufgenommen worden. Wie sehr das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, wie sehr die gesamten Rahmenbedingungen des menschenwürdigen Lebens durch die Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet werden können, hat man bei der Formulierung des Grundgesetzes und noch viele Jahre danach nicht gesehen. Noch 1961 wurde der spätere Bundeskanzler Willy Brandt von seinen konservativen Gegnern öffentlich ausgelacht, als er den Schutz der Umwelt zu einem seiner politischen Ziele erklärte. Inzwischen haben auch die gedankenlosen Spötter von damals sich besserer Einsicht nicht verschließen können. Wir alle müßten begriffen haben, daß die immer tiefer greifende und härtere Beanspruchung und Ausbeutung der Natur in all ihren Bereichen durch die modernen technischen Mittel des Menschen uns vor eine in der Qualität und in der zeitlichen Dimension neue Herausforderung stellen. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte sind die naturgegebenen Lebensumstände der Menschen stärker beeinträchtigt worden als in Jahrhunderten zuvor. ({6}) Niemand will den modernen Industriestaat in das Naturparadies der geschichtlichen Zeit zurückverwandeln. Aber soll es zum Beispiel wirklich selbstverständlich bleiben, daß in fast allen fließenden Gewässern das Baden unmöglich bzw. gesundheitsgefährdend ist? Und hier ist in Wahrheit mehr angesprochen als die eine oder andere oder sämtliche naturbezogenen Freizeitgestaltungen. Es geht darum, die mit der natürlichen Umwelt gegebenen Grund- und Rahmenbedingungen menschlichen Lebens als eigenen Wert zu begreifen, dessen Schutz durch die Verfassung angemessen und notwendig ist. ({7}) Notwendig wird dieser Schutz bleiben, und zwar auf unabsehbare Zeit. Mich hat es bestürzt, in den Ausschußberatungen zu unserem Gesetzentwurf von der Unionsfraktion zu hören, die Einschätzung der Bedeutung des Umweltschutzes könne sich ja auch mal wieder ändern, und dann werde sich der verfassungsrechtliche Rang vielleicht als völlig unangebracht erweisen. Nein, diese Einschätzung wird sich nicht ändern, weil die Gefahren für die Umwelt nicht geringer, sondern eher noch größer werden. ({8}) Sie wird sich auch deshalb nicht ändern, weil mit einer Abstumpfung, die die Menschen Umweltschäden fraglos hinnehmen läßt, zum Glück nicht zu rechnen ist. Im Gegenteil, die Sensibilität, die Sorgen, auch die Ungeduld im Fordern wirksamer Abhilfe nehmen zu. Umweltschutz ist kein Saisonartikel, an dem das öffentliche Interesse nach Beruhigung der Gemüter nachlassen wird. Er bleibt uns als Aufgabe, und zwar als drückende und dringliche Aufgabe, erhalten. Ich bitte die Gegner dieser Gesetzesinitiative: Bleiben Sie nicht bei ihrem uneinsichtigen Nein, wie es vielleicht dem Stand der 50er oder 60er Jahre entsprochen haben könnte, sondern geben Sie den Weg frei für die verfassungsrechtliche Sicherung des Staatsziels Umweltschutz! ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der rheinland-pfälzische Umweltminister Töpfer hat in der vorigen Woche bei der Tagung des Deutschen Beamtenbundes in Bad Kissingen im Zusammenhang mit dem Umweltschutz vor einer „Flucht der Politiker in kurzlebige Symbolpolitik" gewarnt. Genau das ist es, was wir heute mit dem Antrag der SPD, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, erleben. ({0}) Symbolpolitik ist das, was die SPD hier vorschlägt, deshalb, weil so getan wird, als ob etwas ganz Neues geschaffen würde und als ob durch dieses Neue eine Verbesserung der Umweltsituation zu erreichen wäre. Aber weder das eine noch das andere entspricht den Tatsachen. Es bedarf keiner Änderung des Grundgesetzes, um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in den Rang eines Staatsziels zu erheben. Der Schutz dieser Güter gehört auch heute schon zu den selbstverständlichen und besonders hervorgehobenen Aufgaben des Staates. Das beweist die große Zahl der Gesetze, die diesen Schutz zum Ziel haben. ({1}) So hat das Bundes-Immissionsschutzgesetz nach seinem § 1 den Zweck, Menschen, Tiere und Pflanzen vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz sind oberirdische Gewässer und das Grundwasser so zu nutzen und zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit dienen und jede vermeidbare Beeinträchtigung unterbleibt. Das Bundeswaldgesetz nennt als Gesetzeszweck, den Wald wegen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Bodenfruchtbarkeit und die Erholung der Bevölkerung zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Baugesetzbuches legt in seinem § 1 ausdrücklich fest, daß Bauleitpläne dazu beitragen sollen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Deshalb sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere - ich zitiere - „die Belange des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere des Naturhaushalts, des Wassers, der Luft und des Bodens einschließlich seiner Rohstoffvorkommen, sowie das Klima" zu berücksichtigen. Am umfassendsten ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen als Staatsziel im Bundesnaturschutzgesetz geregelt. Da heißt es ({2}) - Herr Mann, ich will das hier zu Ende bringen, nachher können Sie fragen - in § 1 - ich zitiere auch hier -: Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß 1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, 2. die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3. die Pflanzen- und Tierwelt sowie 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlagen des Menschen ... nachhaltig gesichert sind. Diese allgemeinen Ziele sind in § 2 dieses Gesetzes konkretisiert. Wenn man das nachliest, stellt man fest, daß da alles drinsteht, was als Inhalt der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen auch hier heute wieder genannt worden ist. Es heißt dort u. a. - ich zitiere auch das -: Die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts ist zu erhalten und zu verbessern; Beeinträchtigungen sind zu unterlassen oder auszugleichen .. . Die Naturgüter sind, soweit sie sich nicht erneuern, sparsam zu nutzen; der Verbrauch der sich erneuernden Naturgüter ist so zu steuern, daß sie nachhaltig zur Verfügung stehen. Boden ist zu erhalten; ein Verlust seiner natürlichen Fruchtbarkeit ist zu vermeiden. Beim Abbau von Bodenschätzen ist die Vernichtung wertvoller Landschaftsteile oder Landschaftsbestandteile zu vermeiden; dauernde Schäden des Naturhaushalts sind zu verhüten .. . Wasserflächen sind auch durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu erhalten und zu vermehren; Gewässer sind vor Verunreinigungen zu schützen, ihre natürliche Selbstreinigungskraft ist zu erhalten oder wiederherzustellen; ...

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das tue ich gern, wenn ich mit dem Zitat hier fertig bin. Beeinträchtigungen des Klimas, insbesondere des örtlichen Klimas, sind zu vermeiden, .. . Die Vegetation ist im Rahmen einer ordnungsgemäßen Nutzung zu sichern, dies gilt insbesondere für Wald, sonstige geschlossene Pflanzendecken und die Ufervegetation; .. . Wildwachsende Pflanzen und wildlebende Tiere sind als Teil des Naturhaushalts zu schützen und zu pflegen. So weit das Zitat über die bereits heute in geltenden Gesetzen enthaltene Staatszielbestimmung Umweltschutz. - Bitte schön.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Kollegin Blunck, bitte sehr.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Wenn das in geltenden Gesetzen alles schon so drin ist und wir die Staatszielbestimmung Umweltschutz eigentlich gar nicht brauchen, würde ich Sie doch gern fragen: Können Sie mir bitte erklären, wieso Ihr Parteikollege - seines Zeichens Ministerpräsident von Schleswig-Holstein - trotz all der von Ihnen angeführten Gründe sehr wohl für die Staatszielbestimmung Umweltschutz ist?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich Ihnen zwar nicht restlos erklären, ({0}) aber ich bin davon überzeugt, daß es mir gelingt - vielleicht auch durch diese Rede - dazu beizutragen, daß der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein einsieht, daß der Gesetzentwurf nicht notwendig ist. Meine Damen und Herren, wenn man sich nur diese wenigen Vorschriften einiger Gesetze ansieht, dann bedarf es keiner Frage, daß der Schutz von Boden, Wasser, Luft, Klima und Natur als der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen auch ohne jede Änderung des Grundgesetzes auf Grund der geltenden Gesetze selbstverständliches Staatsziel ist. Durch eine Änderung des Grundgesetzes würde sich insoweit nicht das geringste ändern. Aber, meine Damen und Herren, nicht nur einfache Gesetze verpflichten den Staat zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Auch das Grundgesetz selbst enthält heute schon eine Verpflichtung des Staates, die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen vor solchen Beeinträchtigungen zu schützen, die das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährden können. Das Bundesverfassungsgericht hat z. B. in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 1979 zum Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich festgestellt, daß das in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe ist. Vielmehr -- so heißt es dort wörtlich - folgt darüber hinaus aus seinem objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen. Infolgedessen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen die Verpflichtung des Staates zum Schutz vor Gesundheitsgefährdungen z. B. durch nukleare Anlagen und durch Lärm ausdrücklich bejaht. Dasselbe gilt natürlich auch für Gesundheitsgefährdungen, die von der Beeinträchtigung anderer natürlicher Lebensgrundlagen wie Luft, Wasser und Boden ausgehen. Bei jeder Gefährdung der verfassungsrechtlich geschützten körperlichen Unversehrtheit durch eine Veränderung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ist der Staat also auch heute schon von Verfassungs wegen zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit verpflichtet. Eine Verfassungsänderung ist insoweit überflüssig. Nun lehnen wir die vorgeschlagene Änderung des Grundgesetzes nicht nur deshalb ab, weil sie überflüssig ist, obgleich das an sich ein ausreichender Ablehnungsgrund wäre; denn eine Verfassungsänderung kann nach unserem verfassungspolitischen Verständnis nur dann in Betracht kommen, wenn sie unbedingt erforderlich ist. Wir lehnen die Änderung des Grundgesetzes auch deshalb ab, weil sie zu verfassungspolitischen Konsequenzen führen kann, die wir für schädlich halten. Herr Saurin hat eben schon auf die wesentlichen Punkte hingewiesen. Lassen Sie mich noch einmal kurz zusammenfassend dasselbe tun. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein besonders wichtiges, aber keineswegs das einzige Staatsziel. Der Staat hat auch die Aufgabe, z. B. für Vollbeschäftigung zu sorgen und die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Wohnraum, Verkehrsflächen, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sicherzustellen, um nur einiges zu nennen. ({1}) Die Verwirklichung dieser Staatsziele ist nicht möglich, ohne in die natürliche Beschaffenheit z. B. von Boden, Wasser, Luft oder Natur einzugreifen. Der Bau eines jeden Hauses, der Bau einer jeden Schule, der Bau einer jeden Universität bedeutet eine Inanspruchnahme von Boden. Der Bau von Straßen und Schienenwegen ist ohne die Versiegelung von Boden nicht möglich. Jedes Auto beeinträchtigt die Sauberkeit der Luft. Jede elektrisch betriebene Eisenbahn braucht Strom aus Kraftwerken, deren Emissionen die natürliche Beschaffenheit der Luft verändern. Dasselbe gilt für jede Fabrik, in der Arbeitsplätze zur Sicherung der Vollbeschäftigung vorhanden sind. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist nicht möglich ohne die Verwendung von Kunstdünger in der Landwirtschaft, der die Qualität des Grundwassers verändert. Meine Damen und Herren, das Staatsziel der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen kollidiert also zwangsläufig mit anderen Staatszielen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik, die kollidierenden Staatsziele zu gewichten, sie gegeneinander abzuwägen und sie nicht zuletzt im Wege des Kompromisses zum Ausgleich zu bringen. Dabei kann und muß die Entscheidung unter Berücksichtigung der sich verändernden Verhältnisse unterschiedlich ausfallen. In Zeiten der Überversorgung mit Lebensmitteln z. B. ist es politisch richtig, etwa der Qualität des Grundwassers den Vorrang vor der Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung durch Kunstdüngereinsatz zu geben. In Zeiten einer allgemeinen Lebensmittelknappheit oder sogar einer allgemeinen Unterernährung kann es dagegen politisch richtig und notwendig sein, den Kunstdüngereinsatz zu erhöhen und eine Verschlechterung der Wasserqualität zeitweise in Kauf zu nehmen, soweit dadurch keine Gesundheitsgefährdungen entstehen. Dasselbe gilt auch für andere Kollisionen von Staatszielen. Wenn Sie sich einmal die Entscheidung von Ibbenbüren ansehen, werden Sie feststellen, daß es hier genau um eine solche Kollision von Staatszielen ging, nämlich einerseits Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, auf der anderen Seite Umweltschutz. Ebenso ist das bei Buschhaus der Fall gewesen. Ich weiß nicht, wie bei einer Verfassung, die das Staatsziel Umweltschutz heute schon enthielte, Prozesse gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks Ibbenbüren ausgingen. ({2}) Es muß möglich sein, die Staatsziele zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich zu gewichten und ihre Kollision unterschiedlich auszugleichen. Es ist Aufgabe der Parlamente und Regierungen, die entsprechenden Abwägungsentscheidungen in Verantwortung vor den Wählern den jeweiligen Verhältnissen entsprechend zu treffen. Erhielte nun eines dieser kollidierenden Staatsziele, nämlich die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, Verfassungsrang, so würde sich dessen Gewicht gegenüber anderen Staatszielen so stark erhöhen, daß die notwendige Flexibilität der politischen Abwägung erheblich beeinträchtigt würde. Das allein mit Verfassungsrang ausgestattete Staatsziel der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen würde im Konfliktfall alle anderen Staatsziele überdecken.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön. Aber kurz, Herr Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben jetzt viel von Abwägung und sich ändernden Situationen gesprochen. Haben Sie sich einmal grundsätzlich mit der Frage befaßt, wie wir unserer Abwägungspflicht gegenüber künftigen Generationen z. B. bei den Risiken im Zusammenhang mit der Atomenergie - ich denke an die Lagerung über mehrere hundert Jahre - gerecht werden, und meinen Sie nicht, daß unter Berücksichtigung dieses Abwägungsgesichtspunktes eine verfassungsrechtliche Aufnahme des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen unbedingt geboten ist?

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Mann, im Gegensatz zu Ihnen bin ich davon überzeugt, daß wir durch unsere Umweltpolitik, die wir betreiben, der Verantwortung auch gegenüber zukünftigen Generationen in vollem Umfang gerecht werden. ({0}) Aber nicht nur die notwendige Flexibilität der politischen Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen würde eingeschränkt. Es bestände auch die Gefahr, daß in einem zentralen Bereich der Politik politische Entscheidungszuständigkeiten von Parlamenten und Regierungen auf die Gerichte verschoben würden. Die beabsichtigte neue VerfasDr. Blens sungsbestimmung ist für die Gerichte, sowohl für das Bundesverfassungsgericht als auch für die Verwaltungsgerichte, ein neuer Prüfungsmaßstab für die Überprüfung politischer Entscheidungen. Jeder neue Prüfungsmaßstab bedeutet für die Gerichte eine neue Prüfungszuständigkeit. Und jede neue Prüfungszuständigkeit der unabhängigen und keinem Wähler verantwortlichen Gerichte führt zu einem Verlust autonomer politischer Entscheidungszuständigkeit der demokratisch gewählten und den Bürgern verantwortlichen Parlamente und Regierungen. Ich meine, das sollten diejenigen bedenken, die doch sonst soviel von Basisdemokratie und Demokratisierung von Entscheidungsprozessen reden. Nach unserer Überzeugung jedenfalls muß der Primat der politischen Entscheidung bei der Abwägung verschiedener kollidierender Staatsziele miteinander auf jeden Fall erhalten bleiben. Auch das ist für uns ein entscheidender Grund, die vorgeschlagene Änderung des Grundgesetzes abzulehnen. Anstatt durch wohlklingende, aber überflüssige Formeln, die in der Sache nichts bewirken, das Grundgesetz zu ändern, ziehen wir es vor, durch praktische Politik unter Einsatz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Errungenschaften Schritt für Schritt die Qualität der natürlichen Lebensgrundlagen Wasser, Luft, Boden, Natur und Klima zu verbessern, ohne gleichzeitig die Ziele eines hohen Lebensstandards, der Vollbeschäftigung und der Erhaltung der sozialen Errungenschaften aufzugeben. Die Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes, die Reform des Wasserhaushaltsgesetzes, die Reform des Abfallbeseitigungsgesetzes, der Erlaß der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Novellierung der TA Luft und die verschiedenen Maßnahmen zur Einführung des umweltfreundlichen Autos sind praktische, erfolgreiche Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in der Bundesrepublik. Diesen Weg werden wir weitergehen. Dieser Weg wird Erfolg bringen. Die Flucht in die Symbolpolitik überlassen wir der Opposition, insbesondere den Sozialdemokraten. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauff.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat eines weitsichtigen Wirtschaftsführers beginnen. Er hat gesagt: Die Welt steht im Hinblick auf den Umweltschutz an einem epochalen Scheideweg. Wohin das Pendel ausschlägt, liegt im wesentlichen bei uns selbst. Dieses Zitat stammt von Aurelio Peccei, dem Gründer des Club of Rome. Dieser Club of Rome hatte zu Beginn der 70er Jahre die öffentlichen Diskussionen mit einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen maßgeblich bestimmt, die sich mit den verschiedenen Themen auseinandergesetzt haben: Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Wettrüsten, internationale wirtschaftliche Entwicklungen. ({0}) Der rote Faden all dieser Botschaften war, daß wir es hier mit neuen globalen Problemen zu tun haben, Problemen, die die Welt als Ganzes angehen und von deren Lösung unser Schicksal auf einigen Gebieten, möglicherweise unser Überleben, abhängt. Diese Botschaft ist in vielfacher Weise verstanden worden. Ich glaube, daß wir heute klar sagen können, daß die Notwendigkeit eines vorausschauenden, eines umfassenden und auch eines grenzüberschreitenden Umweltschutzes von allen politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik bejaht wird. Die Bundesregierung fordert sogar, daß der Umweltschutz in die neuen grundlegenden Verträge der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen wird, sozusagen als Staatsziel der Europäischen Gemeinschaft. Nur: Diese richtige Forderung kann nach meiner Überzeugung nur dann glaubwürdig vertreten werden, wenn man auch bereit ist, den Umweltschutz in unsere eigene, in unsere nationale Verfassung aufzunehmen. ({1}) Wir Sozialdemokraten haben vorgeschlagen, im Art. 20 in Ergänzung der Sozialstaatsklausel den Satz einzufügen: Die natürlichen Lebensbedingungen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Wir alle, denke ich, sind uns einig, daß die Grenzen der Belastbarkeit und der Fähigkeit zur Regeneration der Natur oft erreicht, vielfach überschritten sind. Die natürlichen Lebensgrundlagen für Menschen, für Tiere und Pflanzen sind gefährdet. Ökologische Belastungen werden zunehmend zu Grenzen der wirtschaftlichen Entwicklung. Dafür gibt es viele Beispiele: beim Waldsterben, bei den Gesundheitsschäden, bei Gebäudeschäden, bei Altlasten im Bereich des Sondermülls, bei Grundwasser und bei der Bodenverseuchung. Nur: Wir müssen lernen, diese Bedrohung der Natur und der Umwelt ist keine Naturkatastrophe. Sie ist das Werk von Menschen. Das muß geändert werden, weil sonst die Lebensgrundlagen für uns und unsere Kinder in Gefahr sind. ({2}) Meine Damen und Herren, es stimmt schon: Wir haben diese Welt nicht nur von unseren Vorfahren geerbt, sondern wir haben sie auch von unseren Enkeln geliehen. ({3}) Nun sagen einige - dazu gehört Herr Blens als Vertreter der CDU -: Eine Grundgesetzänderung bewirkt gar nichts. Das Grundgesetz hindere der14268 zeit weder den Gesetzgeber noch die Exekutive, umweltschützend tätig zu werden. Daran ist etwas Wahres. Auch die Sachverständigenkommission hat die vorgeschlagene Änderung der Verfassung nicht als zwingend geboten gesehen. Aber sie hat sie aus guten Gründen empfohlen. Mit dieser Empfehlung müssen wir uns auseinandersetzen. Ich halte eine Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz für verfassungspolitisch sinnvoll und richtig. Es ist schon ein großer Unterschied, ob in der Verfassung eine Verpflichtung des Staates zum Schutz der Umwelt ausdrücklich enthalten ist oder ob die Verfassung dazu schweigt. Es geht also bei der Frage, die heute zur Entscheidung ansteht - -({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Hauff, einen Moment. - Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Herr Dr. Hauff ist der letzte Redner. In wenigen Minuten kommen wir zur Abstimmung.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, es geht bei der Frage, die heute hier zu entscheiden ist, nicht um technische Einzelheiten wie beispielsweise die TA Luft. Darüber werden wir weiter miteinander reden und auch miteinander streiten müssen. Es geht heute um mehr. Es geht um den Umweltschutz als ethische Verpflichtung von Staat und Gesellschaft. Die vorgeschlagene Ergänzung des Grundgesetzes hätte positive Auswirkungen auf den Gesetzgeber, auf die Verwaltung und auf die Rechtsprechung. Herr Blens, Sie werden doch wohl bei dem politischen Hintergrund, den Sie haben, nicht ernsthaft behaupten wollen, das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes hätte nichts bewirkt. ({0}) Das war etwas sehr Wichtiges als Auftrag, als Aufforderung zum Handeln. ({1}) Diese Ergänzung ist ein solcher Auftrag an Gesetzgeber, Verwaltung und Rechtsprechung. Eine solche Verankerung im Grundgesetz setzt Maßstäbe, die dann von allen beachtet werden müssen. Und, noch wichtiger, sie setzt über die Tagespolitik hinaus ein bedeutsames Zeichen und eine richtige Aufforderung, die Aufforderung an alle, an Produzenten und Konsumenten, an Unternehmer und Arbeitnehmer, an Politik und Verwaltung, an Männer und Frauen, zum verantwortlichen Handeln, was die Umwelt angeht; denn der Satz von Gustav Heinemann stimmt schon: „Wir alle werden gewohnte Verhaltensweisen ändern müssen." Die Aufnahme des Umweltschutzes in einige Landesverfassungen ist zu begrüßen. ({2}) Der Umweltschutz ist aber eine gesamtstaatliche Aufgabe. Und an dieser Aufgabe müssen Bund und Länder zusammenwirken. Eben nur durch eine Grundgesetzänderung entsteht eine Verpflichtung zum Umweltschutz für Bund und Länder. Ein in der Verfassung verankerter Grundkonsens über den Umweltschutz fördert in dieser wichtigen Frage die Integration unserer Gesellschaft, und er kann dazu beitragen, den inneren Frieden zu bewahren. ({3}) Es ist bedauerlich, daß alle Bemühungen, auch die unseres Fraktionsvorsitzenden zu Beginn der Legislaturperiode, um eine gemeinsam getragene Grundgesetzänderung bisher an der Fraktion der CDU/CSU und am Bundeskanzler gescheitert sind. ({4}) Die andauernden Beratungen im Bundesrat, insbesondere über den Gesetzentwurf des Landes Schleswig-Holstein, aber auch den des Landes Hessen, lassen uns jedoch noch hoffen. Der Bundesregierung, die in dieser Debatte peinlicherweise schweigt, ({5}) muß eines jedoch klar sein. Sie mögen die Grundgesetzänderung heute ablehnen. Aber, meine Damen und Herren, der Tag wird kommen, an dem der Umweltschutz als Ziel staatlichen Handelns in unserer Verfassung steht. ({6}) Diesen historischen Prozeß werden Sie nicht aufhalten können. Der kommt. Der Umweltschutz ist eine der großen und für die überschaubare Zukunft auch bleibenden Aufgaben, denen wir uns zu stellen haben. Wir müssen die Welt, in der wir leben, bewahren, und wir müssen sie mit Sorgfalt behandeln. Es gibt nur diese eine Welt; es gibt keine zweite Welt in Reserve. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. ({0}) - Ich darf bitten, Platz zu nehmen. - Das gilt für alle Seiten des Hauses. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 7 a der Tagesordnung, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/990. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4636 diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach Vizepräsident Stücklen § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag des Abgeordneten Schulte ({2}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4680. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7 b, und zwar über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Bachmaier, Antretter, Bernrath und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1502. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4636, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Art. I und II, Einleitung und Überschrift auf. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist bekannt. Die Abstimmung ist eröffnet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das die Absicht hat, sich an der Abstimmung zu beteiligen? - Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Ich gebe das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Bachmaier, Antretter, Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Drucksache 10/1502 bekannt. Es wurden 457 Stimmen abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 186, mit Nein 243 Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 28 Abgeordnete. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 456; davon ja: 186 nein: 242 enthalten: 28 Ja SPD Dr. Apel Bachmaier Bamberg Becker ({3}) Bernrath Bindig Frau Blunck Brandt Brück Buckpesch Büchler ({4}) Dr. von Bülow Buschfort Collet Conradi Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich ({5}) Dreßler Egert Dr. Ehmke ({6}) Dr. Ehrenberg Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fischer ({7}) Franke ({8}) Frau Fuchs ({9}) Frau Fuchs ({10}) Gansel Gerstl ({11}) Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haase ({12}) Haehser Hansen ({13}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Hauck Dr. Hauff Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({14}) Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Ibrügger Jahn ({15}) Jaunich Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({16}) Klose Kolbow Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann ({17}) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({18}) Dr. Mitzscherling Müller ({19}) Müller ({20}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann ({21}) Frau Odendahl Oostergetelo Pauli Peter ({22}) Pfuhl Porzner Poß Purps Ranker Rapp ({23}) Rappe ({24}) Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde ({25}) Roth Sander Schäfer ({26}) Schanz Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt ({27}) Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmitt ({30}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({31}) Schulte ({32}) Sieler ({33}) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Dr. Vogel Vogelsang Voigt ({34}) Waltemathe Walther Wartenberg ({35}) Weinhofer Weisskirchen ({36}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek von der Wiesche Wimmer ({37}) Wischnewski Dr. de With Wolfram ({38}) Zander Zeitler DIE GRÜNEN Auhagen Frau Borgmann Bueb Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller ({39}) Rusche Schily Schmidt ({40}) Schulte ({41}) Senfft Ströbele Tatge Tischer Vogel ({42}) Frau Wagner Werner ({43}) Werner ({44}) Nein CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Vizepräsident Stücklen Austermann Dr. Barzel Bayha Dr. Becker ({45}) Berger Frau Berger ({46}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({47}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Broll Brunner Bühler ({48}) Dr. Bugl Carstens ({49}) Carstensen ({50}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Frau Fischer Fischer ({51}) Francke ({52}) Dr. Friedmann Funk Ganz ({53}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerlach ({54}) Gerstein Gerster ({55}) Glos Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz ({56}) Hauser ({57}) Hauser ({58}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({59}) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Graf Huyn Jäger ({60}) Jagoda Dr. Jahn ({61}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({62}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kiechle Kittelmann Klein ({63}) Dr. Köhler ({64}) Dr. Kohl Kolb Kraus Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({65}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Lenzer Link ({66}) Link ({67}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({68}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({69}) Müller ({70}) Müller ({71}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Frau Pack Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({72}) Dr. Riesenhuber Rode ({73}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({74}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({75}) Rühe Ruf Sauer ({76}) Sauer ({77}) Sauter ({78}) Sauter ({79}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({80}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({81}) von Schmude Schneider ({82}) Dr. Schneider ({83}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({84}) Schulhoff Dr. Schulte ({85}) Schultz ({86}) Schulze ({87}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({88}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({89}) Vogt ({90}) Dr. Voigt ({91}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner ({92}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({93}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wittmann ({94}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zink FDP Frau Dr. Segall Enthalten FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Beckmann Cronenberg ({95}) Eimer ({96}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Dr. Rumpf Schäfer ({97}) Dr. Solms Dr. Weng ({98}) Wolfgramm ({99}) DIE GRÜNEN Damit ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt jede weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: a) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ({100}) und Landstraßen ({101}) - Drucksachen 10/3183, 10/4287 - Vizepräsident Stücklen b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Großversuch Tempolimit - Drucksache 10/4385 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({102}) Innenausschuß c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Minderung der Schadstoffemissionen bei Nutzfahrzeugen - Drucksache 10/4234 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({103}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusss ({104}) zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens - Drucksachen 10/3006, 10/3025, 10/4096 Berichterstatter: Abgeordnete Schmidbauer Duve Schulte ({105}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve. ({106}) Meine Damen und Herren, Herr Duve kann erst zu sprechen beginnen, wenn die Damen und Herren, die an den Beratungen teilnehmen wollen, Platz genommen haben. Ich darf auch die Damen in der Mitte des Hauses bitten. Herr Abgeordneter Duve, Sie haben das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berichterstatter weiß es zu schätzen, daß ihm auf so angenehme und charmante und ihm ganz ungewohnte Weise hier Ruhe verschafft wird. Meine Damen und Herren, wir haben heute eine Reihe von neuen Vorlagen, aber auch solche zu diskutieren, die wir bereits im Ausschuß hatten. Ich möchte mich dazu als Sprecher meiner Fraktion äußern. Ich möchte einem Roman vorgreifen, der nächstens erscheint ({0}) und dessen Autor zur Zeit daraus liest, nämlich Günter Grass. In dem Roman „Die Rättin" hat er die Vision eines deutschen Bundeskanzlers, der einen Propagandafilm über die Klugheit seiner deutschen Politik und die Schönheit des deutschen Waldes in Auftrag gegeben hat. In dieser ironischen Prophetie besteht der Wald aus grandiosen Papp- und Plastikkulissen. Der künstliche Wald ist elektrisch bestrahlt, und die deutschen Märchenfiguren setzen sich mit dem Kanzler auseinander. Unser Innenminister - ich sehe ihn nicht, ihn interessiert das vielleicht auch nicht mehr - Friedrich Zimmermann baut nun schon im vierten Jahr die Medienkulisse einer grandiosen Umweltpolitik aus. Sollte er noch lange im Amt sein - was Gott und unsere Wähler verhüten mögen -, so muß er eines Tages für die Fortführung seines großen Bluffs Plastikwaldkulissen aufstellen. In diesen dreieinhalb Jahren hat der Minister Zimmermann nach der Devise gehandelt: Der Wald stirbt, aber das Auto muß leben; nur ich, Zimmermann, muß genau das Gegenteil behaupten. Die Medientechnik, in der Sache Schritt um Schritt zurückzugehen und mit dem Maul Siege zu verkünden, ist gewiß nicht neu. Bluff Nummer eins: die amerikanischen Abgaswerte. Zwei Jahre lang hat Zimmermann uns Glauben gemacht, die Bundesdeutschen müßten sich und sollten sich auf amerikanische Abgasnormen einstellen. Ja, er hat damit gedroht, italienische und französische Autos nicht ins Land zu lassen, solange sie nicht umgerüstet seien. Das klang gut, der Mann ließ sich feiern. Heute wissen wir: Die amerikanischen Abgasnormen kommen mit dieser Regierung überhaupt nicht. Bluff Nummer zwei. Die deutschen Autos sollten rasch auf Katalysator umgerüstet werden, um den amerikanischen Abgaswerten zu genügen. Firmen, die jahrelang versucht haben, Katalysatoren zu entwickeln, bereiten sich auf die große Nachfrage vor. Der Vorteil des Katalysators liegt ja gerade darin, daß viele der seit Jahren im Verkehr befindlichen Fahrzeuge damit nachträglich hätten ausgestattet werden können. Inzwischen ist diese Katalysatorfreude zu Ende. Der Katalysatorweg wird von der Mehrheit der Autofahrer nicht mehr beschritten. Jetzt kommt der Bluff Nummer drei: das schadstoffarme Auto. Nicht für den Katalysator gibt es im wesentlichen die Steuererleichterungen, sondern für das schadstoffarme Auto, und das ist nun so definiert, daß über kurz oder lang von den neu zugelassenen Wagen verhältnismäßig viele einen Steuervorteil erlangen können, ohne daß dies eine wesentliche Entlastung für die Luft bewirkt. Dann kam der Bluff Nummer vier: der Großbetrug mit dem Tempolimit. Mein Kollege Daubertshäuser wird dazu im einzelnen Stellung nehmen. Wir haben hier auch mehrfach darüber diskutiert. Wir kündigen im übrigen jetzt schon an, daß wir die Untersuchungsunterlagen, wenn wir sie denn endlich bekommen, sehr genau prüfen und prüfen lassen werden. Unabhängige Wissenschaftler müssen uns, den Parlamentariern, erklären, wie haltbar die Ergebnisse dieses skandalös erscheinenden Großversuches wirklich sind, ({1}) vor allen Dingen was das schnelle Finden des Ergebnisses in wenigen Tagen in einer Nacht- und Nebelaktion anlangt. ({2}) - Über Wissenschaft, Herr Fischer, brauchen wir uns nicht zu streiten. Die Regierung hat während dieses Großbetruges monatelang immer wieder augenzwinkernd den Autofahrern zugerufen: „Nehmt das doch nicht so ernst! Wir nehmen das auch nicht so ernst, und ihr braucht es auch nicht so ernst zu nehmen." ({3}) Das ist geschehen, damit man diese angebliche Befolgungsrate bekommt. ({4}) - Also meine Meinung, Herr Schmidbauer, zu Ibbenbüren ist ganz klar und eindeutig. In bezug auf NOX und in bezug auf Stickoxide hat auch Ibbenbüren den Beschluß erfüllt, den wir hier gemeinsam mit den Stimmen der GRÜNEN - nicht mit Ihren Stimmen, sondern mit den Stimmen Ihrer Vorgänger - getroffen haben. Von den Bluffs zu den Tatsachen. Ich will hier noch einmal in Erinnerung rufen, auch für die zwei oder drei Besucher des Hauses: ({5}) Mit jedem verbrannten Liter Benzin im Motor werden 17 Liter schadstoffhaltige Luft produziert. Mit jedem verbrannten Liter Benzin 17 Liter vergiftete Luft! Von den 26 Millionen Fahrzeugen in der Bundesrepublik haben 1985 43 000 Autos mit Ottomotor bei den Anmeldungen einen Katalysator mit angemeldet, der den US-Abgasnormen entspricht. Das heißt, vom deutschen Fahrzeugpark haben am 1. Januar 1986 wahrscheinlich - denn die Zahlen der Jahre 1983 und 1984 liegen mir nicht vor - ganze 0,16% jene Normen, deren Einführung für alle am 1. Januar 1986 dieser Innenminister vor drei Jahren versprochen hatte, erreicht. Ganze 0,16 %! Die fortschrittlichste Rußminderungstechnik für Diesel haben im Jahre 1985 3,2 % der Antragsteller auf Neuzulassungen eingereicht. Die anderen als schadstoffarm dargestellten Fahrzeuge erfüllen die schwache Europanorm oder sind gar nur bedingt schadstoffarm, wie der Taschenspielerbegriff seit Einführung der Steuererleichterung lautet. Das heißt, für schwache Normen werden veraltete Techniken subventioniert, die US-Werte aber nie erreicht. ({6}) - Herr Schmidbauer, nun hören Sie doch mir zu. Ich werde Ihnen nachher auch genau zuhören. ({7}) Diese Bundesregierung hat den propagandistischen Rahm voll abgeschöpft, aber die wirklichen umweltpolitischen Rahmenbedingungen nicht gesetzt. Die hätten zu einer erheblichen Beschleunigung geführt, übrigens auch zu einem erheblichen technologischen Innovationsschub mit ehrlichen Zielen. Jetzt haben wir eine allgemeine technische Bastelei, die immer da schon aufhört, wo die schwachen Europagrenzen erreicht sind und die begehrte Betriebsgenehmigung winkt. Selbst da, wo sie noch nicht ganz sicher ist, wird von ihr gesprochen. Das ist keine umweltpolitisch orientierte Technologiepolitik. Das ist nicht Innovation, sondern Subvention; und das hat zu einer allgemeinen Konfusion geführt. Wer kommt in den Genuß der Steuererleichterung? Mit welchem Gerät? Die Briefe von besorgten oder inzwischen sogar schon sarkastisch gewordenen Bürgern könnten ja vielleicht unserem famosen Minister die Schamröte ins Gesicht treiben, wenn er jenes nicht schon bei anderer Gelegenheit verloren hätte. Da schreibt ein Bürger empört, daß er einen Volkswagentransporter mit Katalysator gekauft hat. ({8}) Er hat diesen Brief übrigens auch an die CDU und an die GRÜNEN geschickt. Er muß dann feststellen, daß er für diesen Volkswagentransporter überhaupt keine Steuererleichterung bekommt, sondern daß er ab 1. Januar 1986 den erhöhten Steuersatz zahlen muß, obwohl der Transporter einen Katalysator hat. Warum? Weil dieser Wagen hinten keine Fenster hat, sprich, weil er nicht als Personenwagen klassifiziert ist. Der Motor ist der gleiche, der Katalysator ist der gleiche, der Wagen ist der gleiche. Eine solche Konfusion - wir werden davon in nächster Zeit wohl noch mehr erleben - führt nun nicht gerade zu einem umweltpolitischen Durchbruch. Am Schluß dieses sehr langen und sehr interessanten Schreibens dieses Bürgers heißt es dann, die nächsten beiden Fahrzeuge für seine Firma werde er nun wieder ohne Katalysator kaufen, weil er das Geld sparen möchte ({9}) und weil man eben - ({10}) - Wenn Sie den Bürger verspotten wollen, ({11}) ist das Ihre Sache; ich habe hier nur berichtet, und ich bin gespannt, was Herr Schmidbauer, der diesen Brief sicher auch bekommen hat, dazu sagen wird. Aber Sie können hier gerne laut die Bürger der Bundesrepublik Deutschland verspotten; ({12}) das hört man gerne. Weil man also statt strenger Werte höchst schwammige Worte eingeführt hat, hapert es bei den Betriebsgenehmigungen. ({13}) Die Kunden und auch die Hersteller wissen nicht: Bekommen sie die Erleichterung, oder bekommen sie sie nicht? Mit dem Wort vom schadstoffarmen Auto wird Schindluder getrieben. ({14}) Der große Bluff der Propagandaoperation scheint gelungen; jetzt gibt es Steuererleichterungen bei manchen Autos, bei manchen nicht. Ob es dem Wald nützt, ist weniger wichtig als die Frage, ob es der Regierung und dem Auto nützt. Der Wald stirbt, und das Auto ist lebendiger als je zuvor. ({15}) Im Waldschadensbericht vor 1985 hatten wir eine Zunahme der Schäden um 2 % zu verzeichnen. Dies hat den Herrn Spranger Ende Oktober doch tatsächlich dazu gebracht, die Minderung des Zuwachses zu feiern, als hätte er dem Wald schon wirklich geholfen, als wäre der Wald gerettet. Das Hantieren mit Bluff und Halbwahrheiten verzeichnen wir auch bei den Nutzfahrzeugen - wir haben dazu ja einen Antrag vorgelegt -, bei den großen und den kleinen Lkw. Schon im Juni 1985 haben uns Firmen wie Daimler Benz mitgeteilt, sie seien in der Lage, die US-Normen für leichte Lastkraftwagen zu erfüllen. Die Industrie ist also so weit, bei den Lastkraftwagen Grenzwerte für die neuen Typen zu akzeptieren. Wir begrüßen das. Wir begrüßen auch, daß die Hersteller freiwillige Verpflichtungen eingegangen sind, aber wir meinen, das ist nicht genug. Wir müssen Rahmenbedingungen setzen, um den technischen Wandel hier ganz erheblich zu beschleunigen. Wir wollen, daß ab 1. Januar 1987 die derzeit praktizierten nicht vorgeschriebenen Grenzwerte bei schweren Nutzfahrzeugen um 30% unterschritten werden; erst dann würden wir ja die bis 1983 in den USA gültigen Grenzwerte in Europa überhaupt erreichen. 1987 sollen in einer zweiten Stufe schadstoffmindernde Werte festgelegt werden. Wir brauchen dann einen Bericht über den Stand der Technik bei den Rußpartikeln der Lastkraftwagen, und wir fordern diesen Bericht bis zum 1. Juli 1987. Wir bedauern, daß die Bundesregierung bei den Nutzfahrzeugen das gleiche halbherzige Spiel wie bei den Pkw spielt, so daß sie in europäischen Verhandlungen über dieses Thema nicht gerade stark auftreten kann. Ein letztes Wort zu unserem Antrag im Innenausschuß, das verbleite Normalbenzin ganz zu verbieten. Das hätte den wirklichen Durchbruch im Angebot gebracht; es hätte vor allem bei kleineren Tankstellen die Lösung der vielen Kapazitäts- und technischen Probleme der Umstellung wesentlich erleichtert. Es hätte diesen Tankstellen erhebliche Kosten erspart, weil Zapfsäulen freigeworden wären. Natürlich hätten die Kunden, die dann mit verbleitem Super hätten fahren müssen, die Preisspreizung ganz empfindlich und ganz anders gespürt als jetzt. Meine Damen und Herren, Hans-Jochen Vogel hat der Bundesregierung vor einiger Zeit eine Gemeinsamkeit in der Umweltpolitik im Interesse der Bürger und der Natur vorgeschlagen, damit wir rascher vorankommen. Die Bundesregierung hat dies ausgeschlagen - im Wohlgefühl ihrer unbestrittenen Propagandaerfolge und in der stillen Sicherheit, daß sie Schwieriges ja wirklich nicht gegen die Interessen anderer durchsetzen will und wird, wenn es nicht gerade um den Abbau von Gewerkschaftsrechten geht. Sie hat die dargebotene Hand ausgeschlagen. Sehen wir uns das Ergebnis an, dann müssen wir heute sagen: Mit diesem Bluff-Konzept des Innenministers hätten wir nie eine gemeinsame Politik machen können. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Duve, die Häufigkeit und Heftigkeit Ihrer verbalen Attacken läßt die Konzeptionslosigkeit Ihrer Argumente um so deutlicher hervortreten. Hier zeigt sich die These bestätigt: Je heftiger der Angriff gegen Personen geführt wird, desto sicherer kann man auf das Fehlen sachlicher Argumente schließen. Das war heute bei Ihnen deutlich spürbar. ({0}) Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen gingen innerhalb kürzester Zeit daran, umweltpolitische Prioritäten festzulegen und politische Initiativen umzusetzen. Ein Schwerpunkt unserer Umweltpolitik ist der Bereich der Luftreinhaltung. Als eine wesentliche Quelle der Luftverschmutzung steht das Kraftfahrzeug im Vordergrund unseres Maßnahmenkatalogs. Anfang dieses Jahres können wir bereits eine sehr positive Bilanz dieses konstruktiven Handelns ziehen. Die heute vorliegenden Anträge der Opposition haben daran sicherlich - Herr Kollege Duve, es wäre schön, wenn Sie mir zuhörten - keinen Anteil. Sie weisen lediglich auf den inneren Schulterschluß zwischen der SPD und Randgruppen des politischen Spektrums hin. Die Situation ist in der Tat für die Opposition sehr unangenehm. Einerseits müssen sie den Beifall für unsere erfolgreiche Umweltpolitik unterdrücken und darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, daß alle Ihre umweltpolitischen Anträge zwangsweise dem Regierungsprogramm zeitlich und inhaltlich hinterherhinken sowie das Fehlen eines geschlossenen Konzeptes offenbaren. Die Opposition muß sich nur an der Kongruenz ihrer eigenen, ständig wechselnden Vorschläge und Begründungen messen lassen, wobei auch dies manchmal recht schwierig zu sein scheint. Wir dagegen lassen uns an der konkreten Umsetzung unserer Vorhaben messen. Ich will hier nicht auf Ibbenbüren eingehen; ich will auch nicht auf die Aussagen des SPD-Verkehrsministers eingehen, der noch 1981 in der „Bild-Zeitung" am 17. Februar erklärt hatte: „Tempolimit ist zwar kein Tabu, aber ich bin dagegen." Heute ist er an der vordersten Front der Tempolimit-Verfechter. Wir stellen uns gern dem Vergleich. Wir haben in kurzer Zeit die Einführung des umweltfreundlichen Autos und bleifreien Benzins erreicht. Wir haben Grenzwerte durchgesetzt, die um 20 bis 35 Prozent schärfer sind als die Grenzwert-Ziele der früheren Bundesregierung, die sie in über einem Jahrzehnt nicht durchgesetzt hat. Die steuerliche Förderung ist Teil unseres in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzten Gesamtkonzepts. Da die Einführung des umweltfreundlichen Autos auf der Grundlage der steuerlichen Förderung schon längst begonnen hat, konnten wir die Fristen für die obligatorische Einführung auch akzeptieren. Wir haben als erstes Land der Welt ein Konzept für die Umrüstung von im Verkehr befindlichen Fahrzeugen auf schadstoffärmeren Betrieb entwikkelt ({1}) und die steuerliche Förderung in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt. Auf der Grundlage unseres Steuerkonzepts sind bereits jetzt über 700 000 schadstoffarme beziehungsweise bedingt schadstoffarme Autos in den Verkehr gekommen. Im November 1985 waren rund 30 Prozent aller neu zugelassenen Pkw schadstoffarm beziehungsweise bedingt schadstoffarm. ({2}) Wir gehen davon aus, daß der Marktanteil des umweltfreundlichen Autos 1986 50 Prozent und 1987 75 Prozent betragen wird. Wir, Herr Kollege Duve, haben ein flächendekkendes Netz für bleifreies Benzin erreicht. Ich erinnere an die Diskussionen von Ihrer Seite: wie Sie dies ständig hinterfragt haben. Heute ist dies Realität. Sie können in der Presse von Januar sehr deutlich nachlesen - der Kollege Dr. Laufs hat vor wenigen Tagen dazu eine Presseerklärung abgegeben -, daß der Absatz des bleifreien Benzins verdoppelt wurde, in einigen Fällen 30 und 40 Prozent Umfang erreicht hat.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Schulte ({0})?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, es tut mir leid; wenn es nachher noch geht, gern. Wir haben mit unserem Nutzfahrzeugkonzept die Verminderung der Emissionen von Lkw vorangetrieben. Jetzt kommt Ihr Antrag, Herr Kollege. Er kommt zwar zu spät, aber wenn er kommt, fordert er immer ein paar Prozent mehr, als die Regierung dies getan hat. Wir erwarten, daß die EG-Kommission unseren Vorschlag übernimmt - die Gespräche sind aufgenommen -, die Emissionen der schweren Lkw in einer ersten Stufe begrenzt und es auch zu einer weiteren Verschärfung unter Einbeziehung der Ruß-Emissionen in einer zweiten Stufe kommt. Damit wäre die Chance gegeben, die LkwEmissionen europaweit rasch zu vermindern. Mit der drastischen Reduzierung aller Abgasemissionen aus dem Straßenverkehr hat die Bundesregierung ein insgesamt umfassendes, konsequentes Konzept zur Minderung der Schadstoffe des Verkehrs vorgelegt. Mit all diesen Maßnahmen übernehmen wir eine Vorreiterrolle in Europa. Gegenüber diesem umfassenden Konzept der modernen Technik gibt es keine Alternative. Der Großversuch zum Tempolimit zeigt klar, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus Umweltschutzgründen nicht zu rechtfertigen ist. Im Gegensatz, Herr Kollege Duve, zur Opposition haben wir uns auch nicht den Ergebnissen des wissenschaftlichen Großversuchs zum Tempolimit verschlossen. Wir haben wissenschaftliche Erkenntnisse vor Publizität gestellt. ({0}) - Sie werden immer dann hektisch und unruhig, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt. Das ist klar. Nach den Ergebnissen dieses Versuches könnte ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen theoretisch eine Verminderung der Stickoxidemissionen von ca. 30 000 Tonnen bewirken. ({1}) - Da muß man mindestens einmal das Gutachten lesen. ({2}) Das sind lediglich 3,8 % der Emissionen des PkwVerkehrs und nur 1% des gesamten NOx-Ausstosses in der Bundesrepublik Deutschland. Im übrigen werden die Kohlenwasserstoffemissionen durch ein Tempolimit praktisch überhaupt nicht beeinflußt. Diese angegebenen Mengen würden tatsächlich nicht erreicht, da die Studie ({3}) von den zur Zeit des Versuches im Verkehr befindlichen Fahrzeugen und nicht von den künftigen schadstoffarmen und umgerüsteten Fahrzeugen ausgeht, bei denen die Auswirkungen des Tempolimits nicht wirksam wären. Es ist schon erstaunlich, daß Sie, wenn der Versuch für Sie anders ausgeht, von bestelltem Versuch reden. Das zeigt Ihre Auffassung zu solchen wissenschaftlichen Versuchen, zu solchen Versuchen, die von namhaften Wissenschaftlern mit durchgeführt und begleitet wurden. ({4}) Da mancher die Ergebnisse des Großversuchs nicht wahrhaben will, wird behauptet, das Ergebnis des Großversuchs läge an der unzureichenden Überwachung der Autobahnabschnitte, auf denen der Versuch durchgeführt wurde. ({5}) Ich denke, daß der Kollege Fischer darauf eingeht. Im übrigen glaube ich, daß der Kollege Fischer ({6}) auf die Befolgungsraten, wenn Sie darauf abheben, eingeht. Ich will mir das ersparen, weil ich bemerke, daß wir etwas Zeit sparen müssen. Eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung wäre für den Umweltschutz - auch dies ist deutlich geworden - sogar nachteilig, weil sie die Bereitschaft zur Umstellung auf den schadstoffarmen Neuwagen sowie zur Umrüstung schwächen würde. Sie wäre in der Tat kontraproduktiv. ({7}) Eine solche Entwicklung ist zu befürchten. Wir können durch Umstellung auf schadstoffarme Neufahrzeuge und durch Umrüstung die jährlichen Stickoxidemissionen bis Ende 1986 um etwa das Vierfache des theoretischen Effektes eines Tempolimits senken. Schon zu Anfang des Jahres 1986 wird durch die Umstellung auf das schadstoffarme Auto ({8}) und die Umrüstung eine gleich starke Umweltverbesserung erzielt, wie sie theoretisch durch ein Tempolimit erreichbar erscheint. Durch die von uns durchgesetzten Maßnahmen lassen sich die jährlichen Stickoxidemissionen des Pkw-Verkehrs bis Mitte der 90er Jahre um fast 60 % - das sind 480 000 Tonnen -, die Kohlenwasserstoffemissionen um fast 65 % reduzieren. ({9}) Hierfür entscheidend ist die Einführung des schadstoffarmen Autos sowie die Umrüstung der Altfahrzeuge. Dazu kommen pro Jahr etwa 100 000 Tonnen Reduzierung allein aus der ersten Stufe unseres bereits erwähnten Nutzfahrzeugkonzeptes. Dies ist ja realisiert, weil sich die Hersteller bereits freiwillig dazu entschieden haben, ab 1. Januar 1986 in der ersten Stufe 20 % zu vermindern. Durch die GroßfeuerungsanlagenVerordnung und die TA Luft werden die jährlichen Stickoxidemissionen um weitere 800 000 Tonnen herabgesetzt. Dies alles ergibt eine Gesamtverminderung von 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Vergleich mit diesen Zahlen macht deutlich, wie winzig die theoretischen Auswirkungen eines Tempolimits sind, das sich in der Realität sogar noch zu einem Nachteil im Bereich des Umweltschutzes auswirkt. Es ist allgemein deutlich geworden, daß eine Tempobegrenzung mit Umweltschutzgründen kaum zu rechtfertigen ist. Dies zeigt, daß es wesentlich um die Durchsetzung unseres Konzepts zur Einführung des umweltfreundlichen Autos auf der Grundlage des Marktes geht. Hierzu gibt es keine Alternative. Dirigismus auf Autobahnen kann moderne Technik nicht ersetzen. ({10}) Die Ergebnisse des Abgasgroßversuchs sind so eindeutig, daß wir schnell entscheiden konnten. Es kommt jetzt darauf an, daß der Autofahrer mitzieht und sich für das umweltfreundliche Auto und die Umrüstung entscheidet. Dies ist der richtige Weg zu einer gesunden Umwelt und nützt dem Wald und dem Menschen gleichermaßen. Herzlichen Dank! ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abg. Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Dr. Joe! Nachdem die Bundesregierung Ende letzten Jahres geglaubt hat, die Tempolimit-Diskussion mit dem dreistesten und teuersten Großbetrug aller Zeiten abwürgen zu können, ist es besonders erfreulich, den Reigen der diesjährigen verkehrs- und umweltpolitischen Debatten mit eben diesem Thema Geschwindigkeitsbegrenzung zu beginnen. Falls Herr Gruselminister Zimmermann - er ist leider nicht hier ({0}) überhaupt noch vor lauter Spionage- und Bespitzelungsaffären dazu kommen sollte, in diesem Wahl14276 Schulte ({1}) kampfjahr 1986 als Minister für angewandte Umweltzerstörung aufzutreten, ({2}) wird ihm überall das folgenschwere Versäumnis, Tempo 80/Tempo 100 nicht einzuführen, entgegengehalten werden. Ende des Monats sollen endlich die Ergebnisse des TÜV-Versuchs vorgelegt werden. Herr Schmidbauer, sie liegen noch nicht komplett vor, sondern nur vorläufige Berechnungen. Erst dann werden die Experten die gesamte Palette der Tricks und Manipulationen nachweisen können, mit denen die Zahlen des Abgastests gefälscht wurden. Die Fraktion der GRÜNEN wird auf der Grundlage ihres Antrags „Großversuch Tempolimit" ein Hearing beantragen, damit auch die breite Öffentlichkeit erfährt, mit welchem Lug und Trug die hohe Wirksamkeit einer Geschwindigkeitsbegrenzung geschmälert wurde. Aber nicht nur weil Tempo 80/Tempo 100 die beste Sofortmaßnahme zur Rettung des Waldes ist, ({3}) werden wir diese Diskussion am Kochen halten. Nein, besonders aus Gründen der Verkehrssicherheit müssen wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, auf Landstraßen und in den Städten fordern. ({4}) Jährlich könnten hierdurch 1 500 bis 2 000 Menschenleben gerettet werden. Wenn diese Regierung auch zu feige ist, bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage die Senkung der Verkehrstoten-zahlen infolge einer Geschwindigkeitsbegrenzung einzugestehen, bleibt es doch Ihre moralische Mitschuld, Herr Verkehrsminister Dollinger, bleibt es in der Verantwortung dieser Bundesregierung, wenn Hunderte, ja, Tausende von Mitmenschen auf unseren Straßen Jahr für Jahr auf Grund sinnloser Raserei ihr Leben lassen müssen. ({5}) Überhaupt gehört das Massensterben im Straßenverkehr zu den unfaßbaren Erscheinungen unserer Zeit. Denn seit dem Zweiten Weltkrieg sind über eine halbe Million Bundesbürger dem Auto geopfert worden. ({6}) Dies ist ein Höllenwahnsinn, der unbedingt gestoppt werden muß. Tempolimits können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Was wir dennoch unbedingt brauchen, ist eine menschen- und umweltfreundliche Verkehrspolitik, die durch Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel sowie der Bundesbahn den Pkw- und besonders den Lkw-Verkehr insgesamt reduziert. ({7}) Doch diese Autolobby-Regierung betreibt zur Zeit genau die entgegengesetzte Politik. Während bei der Bundesbahn noch 7 000 km Gleise abgebaut werden sollen, ({8}) sollen zugleich 7 500 km zusätzliche Fernstraßen gebaut werden. Der Lkw-Verkehr wird gefördert, wo es nur geht, obwohl er nur einen Bruchteil der gesellschaftlichen Kosten selber deckt, die er verursacht. ({9}) Der Autoverkehr wird immer mehr staatlich subventioniert, indem die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin gesenkt wird. Hier wird das Verursacherprinzip völlig außer acht gelassen. Auch die steuerlichen Maßnahmen zur Förderung schadstoffarmer Personenkraftwagen stehen in einem krassen Widerspruch zu dem von allen Parteien geforderten Verursacherprinzip. Zirka 80 % aller sogenannten schadstoffarmen Neufahrzeuge, für die j a propagandamäßig die perverse Orwellsche Begriffsdefinition des „Umweltautos" geprägt wurde, sind Dieselfahrzeuge. ({10}) - Ja, man sollte sich die Sprache genau anschauen, Herr Hoffie. „Umweltfreundliches Auto" ist in sich ein perverser Begriff. ({11}) Jedermann weiß, daß eben diese Dieselfahrzeuge hochgiftige, krebserregende Abgase erzeugen. Doch was soll's? Da es die Mitglieder dieser Bundesregierung nie gelernt haben, in Zusammenhängen zu denken, wird auch dem Dieselauto neuerdings das Schwindeletikett umweltfreundlich aufgedrückt. ({12}) Schließlich werden ja die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten. Das allein reicht für eine Steuerbegünstigung aus. Aber in Wahrheit sind die Dieselfahrzeuge nicht umweltfreundlich, sondern sie sind für mich dieselbetriebene Krebsautos. So muß man es ganz klar sagen. Ein weiteres Versagen der Abgaspolitik dieser Regierung liegt vor allen Dingen in der Schonung des Lkw-Verkehrs. Sowohl bei der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzungen als auch bei der Senkung der Abgaswerte kuscht man vor der schwerlastigen Lkw-Lobby. Statt dessen wird eine Nebelkerze nach der anderen geworfen. Da verkündete beispielsweise der Herr Minister Zimmermann im August 1985 ein Nutzfahrzeugkonzept. Durch angebliche freiwillige Selbstbeschränkungen der Industrie sollen ab 1. Januar 1986 20 % weniger Stickoxide aus den Auspufftöpfen der Lkw kommen. Hier wurde den bekannten Betrugsmanövern wie bei der Abgassonderuntersuchung, bei der Nachrüstung der Altfahrzeuge und bei dem Katalysator ein weiterer hinzugefügt, und das in voller und böser Absicht. ({13}) Schulte ({14}) Denn schon im April 1985 wurde die Bundesregierung durch das Umweltbundesamt darauf aufmerksam gemacht, daß selbst eine 30 %ige Reduzierung der Stickoxide bei Lkw als nicht mehr dem derzeitigen Stand der Technik und der Entwicklung der Abgasvorschriften im internationalen Bereich entsprechend bezeichnet werden könne. Die GRÜNEN haben bereits mehrere Anträge zur Verminderung der Lkw-Schadstoffbelastung gestellt. Wir haben Anträge gestellt zur Verminderung des Schadstoffausstoßes durch sofortige Umsetzung der US-Abgasgrenzwerte sowie durch Herabsetzung der Lkw-Raserei auf unseren Straßen, vor allen Dingen aber zur Verlagerung des Lkw-Verkehrs auf die Schiene durch Einführung einer Schwerlastverkehrsabgabe. ({15}) Der größte Teil des Lastwagenverkehrs hat meines Erachtens auf der Straße überhaupt nichts zu suchen. ({16}) Dabei will Brummi-Fan Dollinger in seiner Lobbyarbeit den unerträglichen Lkw-Verkehr auf unseren Straßen bis zum Jahre 2000 noch um 40 bis 50 steigern. Das muß unbedingt verhindert werden. Die GRÜNEN im Bundestag werden nicht locker lassen, eine tatsächlich menschen- und umweltfreundliche Verkehrspolitik zu fordern. So dringend wir das Tempolimit und den Katalysator brauchen: Wichtiger ist eine Trendwende zugunsten der umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrsmittel. Danke schön. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meiner Rechnung ist es so, daß wir heute ein kleines Jubiläum feiern; denn wir führen die zehnte Debatte in dieser Legislaturperiode zum Thema Umwelt und Abgas. In dieser zehnten Debatte haben Sie, Herr Kollege Duve, eine ro-ro-rotgrüne Märchenstunde - diesmal nicht in gelber, sondern roter Aufmachung - gegeben. Das, was die GRÜNEN ausgeführt haben, war eigentlich nichts Neues, sondern das, was wir schon zehnmal gehört haben, aber durch zehnmalige Wiederholung auch nicht besser geworden ist. ({0}) - Immer etwas Neues. Ich weiß, daß Sie das heute schon einmal geärgert hat. Vielleicht gibt es für Sie dann wieder Grund, ein paar Zwischenfragen zu stellen. Ich sage Ihnen gleich am Anfang: Dieses wieder nur am Schluß, weil ich meine Zeit eigentlich ausschöpfen möchte. Ich sage das jetzt, damit Sie nicht immer umsonst ans Mikrophon laufen. Aber am Ende können Sie beliebig oft und lange fragen. Meine Damen und Herren, viel Neues war in der Tat bisher hier heute nicht zu hören zu den altbekannten Themen, ({1}) außer daß das argumentative Durcheinander nicht geringer, sondern größer geworden ist. Man versucht immer wieder, die Bürger, die sich für dieses Thema kaum noch interessieren, glauben zu machen, Tempolimit sei das große Allheilmittel für Umweltschutz, für mehr Verkehrssicherheit und für Energieeinsparung. Hier muß man wirklich daran erinnern, daß wir bereits aus der Zeit frührer Regierungen einige Untersuchungen dazu auf dem Tisch haben. ({2}) Wirtschaft, Verbände, auch Regierung haben solche Untersuchungen angestellt, nicht in dieser Legislaturperiode, sondern vorher. Das war damals, Herr Duve, wie Ihre Kollegen seinerzeit gesagt haben, alles richtig und aufschlußreich. Weil es so richtig war, sollte man noch einmal daran erinnern. Das war die Zeit, als Volker Hauff Verkehrsminister war. Damals hat er den Auftrag erteilt, einmal zu erkunden, welche Energieeinsparung mit Tempo 100 zu erzielen ist. Das spielt immer wieder eine Rolle. Weil das mit dem Umweltschutz alleine nicht ausreicht, um die Bürger als Feinde des Autos zu mobilisieren, muß man zu Verkehrssicherheit und Energieeinsparung noch ein bißchen draufsatteln. Nun zur Energieeinsparung. Das hat Herr Volker Hauff damals untersuchen lassen. Ergebnis: 1,1 des im Straßenverkehr verbrauchten Kraftstoffs bzw. 0,22 % des gesamten Mineralölverbrauchs werden eingespart, vorausgesetzt, Tempo 80 auf Landstraßen wird gleich mitverordnet und die Befolgungsrate ist wenigstens durchschnittlich, also mindestens 50 %. ({3}) Dem stand die Erkenntnis gegenüber, daß die Automobilindustrie auf Grund freiwilliger Verpflichtung durch die Entwicklung sparsamer Motoren und Fahrzeuge weit mehr erreicht hat, nämlich eine Senkung des Durchschnittsverbrauchs nicht um die 0,22 %, sondern um 20 % oder, wenn Sie das anders rechnen wollen, um 2 Liter je 100 Kilometer. Das geschah nicht durch Tempolimit, sondern dadurch, daß man dieses Problem technisch angegangen ist, technologisch gelöst hat. Da war es nur logisch und konsequent, die Automobilindustrie in ihren Bemühungen nicht erlahmen zu lassen und ein Tempolimit unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung auf jeden Fall abzulehnen. So hat es die damalige Regierung unter der Verantwortung des damaligen Verkehrsministers Volker Hauff gemacht, zuletzt im Jahre 1982 noch einmal bestätigt, wie jeder nachlesen kann, auch in den Reihen der SPD und der GRÜNEN. Weder 1982 noch in den Jahren davor hat jemals eine Bundesregierung etwas vom Tempolimit aus Verkehrssicherheitsgründen wissen wollen, auch 1970 nicht, als die Zahl der Verkehrstoten mit über 19 000 am höchsten lag. Nach der Unfallprognose der BASt, der Bundesanstalt für Straßenwesen, für 1985 werden wir den seit 1953, Herr Kollege Duve, niedrigsten Stand an Verkehrstoten erreicht haben. Auch die Zahl der Personenschäden hat erneut deutlich um 10 % abgenommen. ({4}) - Herr Duve, damit hier die Wahrheit gesagt wird: ({5}) Das Verwarngeld für den Gurt hat die FDP, habe ich im Ausschuß gemeinsam mit Klaus Daubertshäuser gefordert, als Volker Hauff das noch nicht gefordert hat. Wir haben oft genug gemeinsam gestritten - hier sollten Sie sich einmal bei Ihren Fachkollegen erkundigen -, daß der jetzige Minister die Gurtanlegepflicht schneller einführt, als er es getan hat. Hier sollten wir die Wahrheit nicht verfälschen. ({6}) Das könnten selbst die Vertreter der GRÜNEN hier ehrlicherweise bekennen. Also: Wir haben den niedrigsten Stand bei den Unfalltoten seit 1953. Es gab neulich eine Meldung, wir werden auf den Stand von 1936 kommen, ({7}) und das ohne Tempolimit auf Autobahnen und ohne Tempo 80 auf Landstraßen, was ja angeblich bewirkt, daß wir zu ganz abenteuerlichen Werten kommen. Also: Außerorts ist die Zahl der Unfalltoten im Bundesschnitt um 18 % zurückgegangen. Hier sind doch wohl erhebliche Zweifel daran erlaubt, ob ausgerechnet der sogenannte Tempoversuch, übrigens auch der hessischen Landesregierung, bisher ohne nachprüfbare Ergebnisse, eigentlich aufweisen kann, daß dieses etwas zur Verkehrssicherheit beigetragen hat, was übrigens im Bundesdurchschnitt, wo man diese hessischen Versuche nicht mitgemacht hat, schon längst erreicht worden ist. Auch das sollte vielleicht mal denen zu denken geben, die meinen, man müsse dieses Experiment in Hessen im Gegensatz zu anderen Bundesländern beliebig lange fortsetzen. ({8}) - Ja, ich weiß, daß Sie für Fortsetzung dessen sind, was sich da in Hessen abspielt. Nur die Minister dort, Ihre Vertreter im hessischen Landtag werden immer dabei erwischt, daß sie auf den Autobahnteilen, auf denen die SPD die Geschwindigkeit auf 100 oder 120 km/h festgelegt hat, mit 150, 170 km/h herumfahren, wie übrigens auch schon der hessische Ministerpräsident dort entsprechend erwischt wurde. ({9}) - Aber ich bin doch von denen aufgeklärt worden, die nicht mehr genug Saft hatten, um hinterherfahren zu können. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Hoffie, ich darf Sie unterbrechen. - Meine Damen und Herren, unterlassen Sie diese permanenten Zwischenrufe. Ich bin nicht gewillt, die Störungen des Redners weiter hinzunehmen.

Klaus Jürgen Hoffie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000935, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Präsident; denn das gibt mir Gelegenheit, Sie etwas besser ansprechen und Sie, Herr Duve, darauf hinweisen zu können, daß das Beispiel, das uns die SPD zur Zeit ständig vorhält, man solle sich, wie der Klaus Daubertshäuser zuletzt in einem Pressedienst in der SPD geschrieben hat, stärker an der Fahrmentalität der amerikanischen Autofahrer orientieren, ({0}) unzutreffend ist. Ich möchte dazu ein paar Zahlen in die Diskussion bringen, die hoffentlich dazu führen werden, daß wir diesen Teil der Verunsicherung aus der Debatte bekommen. Es sieht so aus, daß. dort die Rate der Unfälle mit tödlichem Ausgang 1984 um 15% höher lag als in der Bundesrepublik und - hören Sie genau hin - fast 60 % aller Verkehrstoten in den USA, nämlich fast 29 000, auf den von Ihnen so gepriesenen mit Geschwindigkeitsbegrenzung belegten Highways zu beklagen waren - 60 %, nicht etwa 7 % wie auf unseren Bundesautobahnen, den sichersten Straßen der Welt, auch ohne Tempolimit, und das in den USA, obwohl dort nicht wie bei uns ein Viertel der gefahrenen Kilometer auf Autobahnen zurückgelegt werden. 60% der Verkehrstoten sind also auf den Straßen zu beklagen, die Sie uns immer als besonders verkehrssicher und vorbildlich für die Verhaltensweise der Autofahrer vorhalten. Herr Daubertshäuser, dieses zuletzt in Ihrer Pressemeldung am 18. November erwähnte Beispiel sollten wir aus der Debatte herausnehmen; denn es ist ein schlechtes Beispiel. Nichts kann man von einem Land und den Verhaltensweisen der Autofahrer lernen, in dem jährlich fast 46 000 Menschen im Straßenverkehr sterben und die Unfallrate 15 bis 20 % über der in unserem Land liegt. Da bietet es sich wirklich nicht an, etwas von der Fahrmentalität der Amerikaner zu übernehmen. Es mag sein, daß überhöhte Geschwindigkeit die häufigste Unfallursache ist. Aber eine Überschreitung bestehender Geschwindigkeitsbegrenzungen etwa auf Landstraßen ist damit nur in 2,3 % der Fälle verbunden. Meine Damen und Herren, nachdem diese Bundesregierung nun erstmals nicht nachträglich hat untersuchen lassen, sondern ihre Entscheidung von vornherein von wissenschaftlichen Ergebnissen abhängig gemacht hat und nachdem feststeht, daß Tempolimit auch für den Umweltschutz nichts Spürbares bringt, zählen alle früheren Erkenntnisse nicht mehr. ({1}) Die Ergebnisse des TÜVs sind natürlich nicht wahr, sind manipuliert, Etikettenschwindel, gefälscht, wie hier die Vertreter der GRÜNEN und der SPD noch einmal erklärt haben. Dem Vorwurf des Mangels an wissenschaftlicher Begründung kann wohl entnommen werden, daß er am Ergebnis liegt und SPD und GRÜNE überhaupt nur noch zwei Arten von Gutachten kennen: ({2}) solche Gutachten, die Ihnen recht geben, die Ihre Überzeugungen stützen - die sind richtig - und solche, die zu anderen Ergebnissen kommen als Ihnen lieb ist - die sind grundsätzlich falsch und manipuliert. Wer natürlich das Tempolimit zur Glaubensfrage hochstilisiert, kann nicht wahr sein lassen, was nicht wahr sein darf. ({3}) Das gilt besonders für Sie, Herr Duve; Sie, der Ideologe der Verkehrspolitik, kann nicht wahr lassen wollen, was nicht wahr sein darf. Der Autofahrer, meine Damen und Herren, steht nach den Entscheidungen der Bundesregierung vor einer eindeutigen Situation, zumal nachdem Automobilindustrie und Mineralölwirtschaft wirklich Wort gehalten haben. Der Autofahrer weiß, wie der Kauf eines schadstoffarmen Neufahrzeuges oder die Umstellung des alten auf schadstoffärmere Technik steuerlich gefördert wird. Das mag dem einen zuviel sein, wie den GRÜNEN, die bei der steuerlichen Förderung gar nichts wollen, das mag anderen zuwenig sein. Der Bürger, der Autofahrer weiß aber, was er kriegt, wenn er ein schadstoffarmes Auto kauft. Er weiß, daß er seit dem 1. Januar dieses Jahres bleifreies Benzin tatsächlich überall billiger als bleihaltiges tanken kann, und er weiß auch, daß es kein Tempolimit gibt. Er hat die Wahl aus einer breiten Palette von Katalysatormodellen, die auf dem Markt sind. Aber trotz dieser Klarheit ist der Absatz an bleifreiem Benzin noch immer unbefriedigend, obwohl es billiger ist, und unbefriedigend sind auch die Zulassungszahlen für die Katalysatorfahrzeuge. ({4}) Ich sage hier ganz eindeutig: Das liegt in erster Linie, wie der ADAC auch heute noch einmal festgestellt hat, an dem skandalösen Verhalten vieler Verkäufer der Automobilindustrie, die den Menschen, die die Beratung beim Neukauf eines Autos ehrlicherweise einfordern, auch heute noch erklären, die steuerlichen Voraussetzungen seien noch nicht klar, die technischen Lösungen seien noch nicht perfekt, und man solle sich doch möglichst noch für eines der vielen Fahrzeuge entscheiden, die weniger schadstoffarm sind. Meine Damen und Herren, dieser umweltpolitische Skandal in vielen Verkaufsstätten des Automobilhandels muß ein Ende haben, wie auch die Aufrufe der SPD an viele Bürger, möglichst nicht das schadstoffarme Auto zu kaufen, wie das hier von dieser Stelle im Plenum des Deutschen Bundestages wiederholt geschehen ist. ({5}) Ich höre heute, Herr Duve, daß Sie sich unserem Vorschlag anschließen, den die GRÜNEN kurz danach übernommen hatten, und daß Sie jetzt auch sagen: Verkaufsverbot für verbleites Normalbenzin, Drei-Säulen-Modell, ({6}) für das wir bei Ihnen geworben und keine Zustimmung gefunden hatten. ({7}) - Daß Sie das jetzt auch fordern, finde ich prima - nachdem Sie wissen, daß wir die Zustimmung bei den Partnern in der EG nicht bekommen -, nur um wieder etwas zu haben, mit dem man im europäischen Schwierigkeitsbrei herumrühren kann. Herr Duve, da sollten wir ehrlicherweise sagen: Dieses Modell wollten Sie nie. ({8}) Jetzt gibt es Ihnen Schützenhilfe gegen die Europapolitik, die Sie hier mit beklagen können, die wir aber auch nicht von heute auf morgen ändern können. Auch da wäre etwas mehr Redlichkeit angebracht, Herr Kollege. ({9}) Für Sie und die GRÜNEN ist das Schlimmste, daß das Thema Tempolimit in Wahrheit in der deutschen Bevölkerung überhaupt keine richtige Rolle mehr spielt. Millionen wollten Sie gegen die Entscheidung der Bundesregierung auf die Straße bringen, wenn sie vom Tempolimit ablassen würde, weil wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse dieses belegen. Sie belegen es. ({10}) Jetzt findet dieser Aufruhr nicht statt. Die Millionen, die Sie auf die Straße bringen wollten, die Sie mobilisieren wollten, kommen nicht. Da verkündet Herr Rau, da verkündet Herr Vogel: Aber in das nächste Wahlprogramm werden wir es noch einmal hineinschreiben. Die Menschen wollen das in Ihrem Wahlprogramm gar nicht lesen; denn sie haben mit uns gemeinsam diese Debatte offen und ehrlich nach Vorlage der Ergebnisse beendet, und dabei sollte es bleiben. ({11}) Jetzt kommt es darauf an - das wollen Sie als Feinde des Individualverkehrs nicht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN -, daß Sie uns in dem unterstützen, was wir den Autofahrern vermitteln wollen, nämlich nicht irgendein, sondern das schadstoffärmste Auto zu kaufen, das mit dem Katalysator US-Abgaswerte erreicht, mit dafür zu sorgen, daß immer mehr Menschen erkennen, daß sie mit ihrem Auto, wenn es nicht ein Uraltauto ist, bleifreies statt teureres verbleites Benzin tanken können. Dabei sollten Sie mit aufklären, meine Damen und Herren. ({12}) Sie sollten auch dabei mit aufklären, daß wir ein verdichtetes Netz von Bleifrei-Tankstellen in der Bundesrepublik, sogar entlang der Transitstrecken der DDR und überall im europäischen Ausland haben, so daß die Menschen, die mit einem Katalysatorauto herumfahren, tatsächlich unbesorgt draußen fahren können, weil sie überall den Sprit tanken können, den sie brauchen. Darum sollten wir uns bemühen. Dann hätten wir das eigentliche Ziel erreicht, auch die verkehrsbedingten Umweltbelastungen erheblich zu reduzieren. Wenn Sie das wirklich wollen, dann sollten wir uns auf diese gemeinsame Linie verständigen. Dann hätten wir wirklich etwas für die Bürger und für den Umweltschutz erreicht. Herzlichen Dank. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffie, ich finde es gut, daß Herr Innenminister Zimmermann nicht hier ist. Bei allen ihm zuzubilligenden PR-Künsten wäre er sicher blaß vor Neid geworden, wenn er gehört hätte, was Sie soeben gesagt haben: Hoffie, der Erfinder des Umweltschutzes. Das ist wirklich eine ganz neue Rolle für Sie. Meine Damen und Herren, das Thema Großversuch Tempolimit wird mit Sicherheit in die Kabinettsgeschichte der Regierung Kohl als einmaliger Vorgang eingehen, denn ausnahmsweise wurde etwas ja nicht ausgesessen, sondern hier wurde ja einmal im schnellen Hüftschuß entschieden. ({0}) - Im Hüftschuß, würde ich sagen. ({1}) Das Gutachten über den Abgasgroßversuch Tempo 100 lag j a noch nicht richtig auf dem Tisch, als dieses Kabinett bereits verkündet hatte: Es gibt kein Tempolimit. - Nun ist es schon erstaunlich - Herr Kollege Schmidbauer, Sie haben das ja dargestellt -, wie schnell ein derartiges Gutachten angeblich ausgewertet und für eine Beschlußfassung auch noch aufbereitet werden konnte. In anderen Fällen dauerte dies ja Monate. ({2}) - Nein, Herr Kollege Schmidbauer, mich wundert dies j a nicht. Die Bundesregierung hat entschieden, wie sie immer entscheiden wollte. Es hätte j a gar nicht dieses 14 Millionen DM teuren Großversuchsmonstrums bedurft, denn schon vor der Auftragsvergabe an den TÜV im Herbst 1984 war für Kanzler Kohl ja klar, was ein Tempolimit bewirken würde. Es hieß: Das bringt nichts. Das machen wir nicht. - Dies war seine Botschaft. Der oberste Umweltschützer der Nation, unser Klaus-Jürgen Hoffie, hat im Verkehrsausschuß gesagt: Ich bin gegen ein Tempolimit. ({3}) Aber dann hat er der Ausgabe von 14 Millionen DM dennoch zugestimmt. Dies besagt doch: Aus ideologischen Gründen wollten Sie, wollte die Bundesregierung schon immer kein Tempolimit. Entsprechend hat man den Großversuch geplant und organisiert. Der CDU-Generalsekretär hat dies ja im nachhinein eingeräumt; da war er ehrlich. ({4}) Er hat den Versuch als einen Prüfauftrag bezeichnet, der nur beweisen solle, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung überflüssig sei. Auch die „Süddeutsche Zeitung" von heute hält Ihnen vor, Sie hätten die Fakten nicht so genau genommen; die Diskussion sei eben noch nicht zu Ende, Herr Kollege Schmidbauer. Deshalb reichten Ihnen die dürren Daten aus, die die Minister Zimmermann und Dollinger als Grundlage vorlegten, um eine Geschwindigkeitsbegrenzung abzulehnen, eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die in allen zivilisierten Ländern längst Gesetz ist. Bis heute liegt übrigens das eigentliche, umfassende TÜV-Gutachten noch nicht vor. Ich kann dem Kollegen Schulte hier nur recht geben. Auch wir werden das Untersuchungsergebnis, das Ende des Monats vorliegen soll, sehr aufmerksam werten. Ich bin sicher, daß wir einige große Haken darin finden werden. Auch dies wird in dem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" schon angekündigt. ({5}) - Herr Kollege Straßmeir, ich gebe Ihnen zu: Wir waren gegen einen Großversuch, und wir sind auch jetzt für entschlossenes Handeln, denn es hat sich ja gezeigt, daß dieser Großbetrugsversuch lediglich eine kostenträchtige Alibiveranstaltung war. Den Versuch haben wir von Anfang an kritisiert, und zwar deshalb, weil sich die Bundesregierung hier wie ein Ärzteteam verhalten hat, das sich am Bett eines todkranken Patienten - sprich: dem deutschen Wald - mühsam dazu durchgerungen hat, Vorsorgeuntersuchungen zu empfehlen. Ich bin sicher, daß die nächsten Waldschadensberichte, aber auch ein vorurteilsfreies Diskutieren des dann vorliegenden TÜV-Gutachtens und der einschlägigen Arbeitspapiere der EG-Kommission dazu führen werden, daß die Bundesregierung - wenn auch zeitlich verspätet - auf diesem Feld handeln muß. ({6}) Der politische Druck wird nämlich so stark werden, daß sich die Bundesregierung, Herr Kollege Schmidbauer, nicht auf Nichtstun beschränken kann. Ein ganz wesentlicher Kritikpunkt bei den Ergebnissen des Großversuchs war ja die Kontrolle. Es ist immer offengeblieben, ob die Polizei Geschwindigkeitsüberschreitungen ahnden oder ob sie, weil es sich um einen Versuch handelte, nur beobachten und aufzeichnen sollte. Auch wir haben uns bei der Polizei sachkundig gemacht. Gleichzeitig haben alle Beteiligten dafür gesorgt, daß die Autofahrer diese Unsicherheit auch kannten und damit wußten, daß die Geschwindigkeitsüberschreitungen auf den Versuchsstrecken nicht geahndet wurden. ({7}) Deshalb, meine Damen und Herren, ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Autofahrer nur zu 30 % an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten haben. ({8}) Die Befolgungsquote wäre wesentlich besser gewesen, wenn die Autofahrer damit hätten rechnen müssen, daß Geschwindigkeitsüberschreitungen geahndet werden. Dies bestätigt auch die Regierungsvorlage, die an die Ministerkollegen des Herrn Dollinger in der EG weitergereicht wurde. Dort wird nämlich von einem Befolgungsgrad von 100 % bei einer deutlichen Polizeipräsenz gesprochen. Die Behauptung der Regierung, eine vollständige Überwachung sei nicht möglich gewesen und deshalb müsse auf jede Kontrolle verzichtet werden, verfängt nicht. Träfe dies zu, Herr Kollege Fischer, dann müßte beispielsweise der Diebstahlparagraph abgeschafft werden. Die Aufklärungsquote bei diesem Delikt ist nicht eben hoch. Sie lag 1984 bei 17,7 % der Diebstähle unter erschwerenden Umständen. Aber da sagen Sie auch nicht, daß deshalb der Diebstahlparagraph abgeschafft werden müßte. ({9}) - Ich habe den Zuruf leider nicht verstanden. Die ersten tieferen Auswertungen des Großversuchs ergeben, Herr Kollege Fischer, daß das Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen sehr wohl geeignet ist, den Schadstoffausstoß drastisch zu mindern. Bei guter Befolgung kommt die TÜV-Berechnung zu einer Umweltentlastung von 100 000 t Stickoxiden jährlich allein auf den Bundesautobahnen. Dies entspricht schon einer Minderung der Schadstoffmenge auf den Autobahnen, Herr Kollege Hoffie, um über 30 %. Alle seriösen Vorschläge zum Tempolimit hatten Tempo 80 km/h auf Landstraßen einbezogen. Auch dazu haben wir Zahlen. Wenn Sie nur die niedrigsten Zahlen des TÜV Essen oder vom ADAC nehmen, kommen Sie auch auf immerhin 67 000 t Stickoxide, die man hätte vermeiden können. Das bisherige Verhalten hat einen vergleichbaren Vorgänger. Das ist eben schon einmal angesprochen worden. Aus den Erfahrungen mit dem Bußgeld für Gurtmuffel hätte man wahrhaftig lernen können. Wir haben Ihnen, Herr Minister Dollinger, bereits 1982 prophezeit, daß das Bußgeld für Gurtmuffel Menschenleben rettet. Herr Kollege Duve, da hat Kollege Hoffie in der Tat recht gehabt. Er hat in diesem Punkt immer fleißig gemeinsam mit uns gestritten. ({10}) - Gut. Da muß man Herrn Kollegen Hoffie zubilligen, daß er nach einigen Wochen Lernphase sehr schnell geschaltet hat; denn dann hat er uns unterstützt. ({11}) Herr Kollege Hoffie, trotzdem hat der Bundesverkehrsminister - das werden Sie wieder bestätigen - den von seinem Vorgänger Hauff eingebrachten Verordnungsentwurf zurückgezogen, mit der Begründung, die Einhaltung der Anschnallpflicht sei nicht zu überwachen - das Argument hörten wir eben wieder - und verstoße gegen das Gebot der persönlichen Freiheit; auch das hören wir jetzt wieder. Da muß man doch fragen: Was ist das für ein Freiheitsverständnis? Das ist doch ein Bekenntnis zur Ellbogengesellschaft. ({12}) Jeder verschafft sich ein Höchstmaß an Freiheit durch Intensivstgebrauch seiner Ellbogen bis hin zur Rücksichtslosigkeit und zur Unbarmherzigkeit gegenüber anderen. Das ist allerdings nicht unser Freiheitsbegriff. ({13}) Herr Dollinger, 1984 haben Sie das Bußgeld eingeführt. Die Anschnallquote stieg daraufhin von 50 auf ca. 90 %. Die Zahl der Verkehrstoten geht drastisch zurück. In dem von Ihnen herausgegebenen Blatt „Verkehrsnachrichten" wird dies als „deutsches Wunder" vermeldet. Dieses „Wunder" wäre aber bereits 1982 eingetreten, wenn der Bundesverkehrsminister mit deutlich mehr Weitblick gehandelt hätte. Aber offensichtlich hat die Bundesregierung aus alledem nichts gelernt. Bei der Frage des Tempolimits wiederholt sie die bei der Einführung des Bußgeldes für Gurtmuffel gemachten Versäum14282 nisse. Sie will nicht begreifen, daß aus der versuchsweisen Bereitschaft zur Einhaltung des Tempolimits nicht auf das dauerhafte Verkehrsverhalten geschlossen werden kann. Zudem hat der Regierung der politische Wille gefehlt, für ein Tempolimit bei der Bevölkerung zu werben und das Limit auch durchzusetzen. Meine Damen und Herren, auf der Strecke bleibt nicht nur der deutsche Wald, sondern auch die Verkehrssicherheit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie es nicht auf die Zeit anrechnen, ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich werde einmal nicht so sein.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay. Bitte sehr.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Daubertshäuser, meinen Sie, daß die Tempobegrenzung, von der Sie sprechen, für alle Genossen Ihrer Partei gelten sollte, und wenn j a, wie beurteilen Sie dann die Feststellung, die vor nicht allzulanger Zeit von einem Bundestagskollegen der SPD getroffen wurde, daß er nach dem Landesparteitag der bayerischen SPD, auf dem einstimmig der Beschluß gefaßt worden ist, die Tempo-100-Begrenzung festzuzurren, von dem nominierten Spitzenkandidaten der SPD, nämlich Herrn Hiersemann, mit 180 Stundenkilometern auf der Autobahn überholt worden ist? Wo bleibt hier die Moral? ({0})

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, selbstverständlich sind auch alle Genossen vor dem Gesetz gleich. Selbstverständlich haben auch die sich danach zu richten. Wenn es da so einen Schnellfahrer gibt, muß er nach dem Gesetz sein Bußgeld oder seine Strafe bekommen wie Sie auch, das ist doch völlig klar. ({0}) Herr Kollege Hinsken, bei dem Verhalten - Entschuldigung, ich habe Ihre Frage beantwortet; Sie können sich ruhig setzen -, das Sie mit Ihrer Fraktion und mit der Bundesregierung an den Tag legen, bleibt eben der deutsche Wald auf der Strecke, und es bleibt auch die Verkehrssicherheit auf der Strecke. Wir sagen nochmals - und wir haben uns immer auf diese drei Aspekte konzentriert -: Ein Tempolimit hilft dem Wald, rettet Menschenleben und spart Energie. - Mit ihrer Entscheidung gegen das Tempolimit hat die Bundesregierung auch die Chance vertan, ein Zeichen im Verhältnis Mensch, Technik und Umwelt zu setzen. Herr Kollege Hoffie hat die USA angesprochen; deshalb muß ich dazu noch einige Sätze sagen. Die USA haben 1974 ein Tempolimit von 88 km/h eingeführt, um Energie zu sparen. Dann sank dort die Zahl der Verkehrstoten innerhalb eines Jahres um rund 9 000; sicherlich von einem sehr hohen Niveau, aber sie sank um 9 000; allein auf Grund des Tempolimits - nachgewiesen durch dortige Untersuchungen - in der Größenordnung von 5 000. Dies hat eine Kommission für den amerikanischen Kongreß ermittelt und deshalb die Beibehaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung empfohlen. ({1}) Ich finde, es ist schon erstaunlich, daß Sie die Tempolimitbefürworter polemisch - wie das in der Aktuellen Stunde hier geschehen ist - als sozialistische Ideologen etikettieren und ihnen eine manische Abneigung gegen das Auto unterstellen wollen. Sie sollten Ihrem Antiamerikanismus ein bißchen mehr Aufmerksamkeit widmen. ({2}) Meine Damen und Herren, es wäre wirklich besser gewesen, Sie hätten die USA, Herr Hoffie, als Beispiel gelten lassen, zumal nach zehn Jahren dortiger Erfahrung mit dem Tempolimit und nach Auswertung der Ergebnisse des US-Kongresses, der ja jetzt die Beibehaltung noch einmal beschlossen hat, weil es eben so viele Menschenleben rettet. ({3}) Herr Kollege Hoffie, Sie bestreiten das. Sie verweisen auch darauf, daß die Autobahnen die sichersten Straßen sind. Das ist richtig, das ist auch unbestritten. Aber trotzdem müssen Sie sich doch fragen: Können die Autobahnen noch sicherer gemacht werden? ({4}) Denn solange noch Menschen auf unseren Straßen unnötig sterben oder verletzt werden, muß immer neu überlegt werden, was zur Verbesserung der Situation getan werden kann. ({5}) Hier dürfen wir dann nicht nur die Autobahnen sehen. Hier müssen ebenfalls die Bundesstraßen berücksichtigt werden. (Hoffie ({6}): Die sollen so sicher wie die

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und nicht so unsicher wie Hoffie!) - Herr Kollege Hoffie, die Bundesanstalt für Straßenwesen hat ermittelt: Ein Tempolimit würde die Verkehrssicherheit verbessern; bei Tempo 100 auf Autobahnen würde die Zahl der Verkehrstoten um 250 Personen pro Jahr zurückgehen und bei Tempo 80 auf Außerortsstraßen um 1 000 Personen pro Jahr. - Ich nehme die untere Zahl, der Kollege Schulte hat die höhere Zahl vorhin bereits zitiert. ({0}) Die Bundesregierung weiß aber von alledem nichts. Schriftlich hat sie dem Bundestag mitgeteilt: Zur Frage der Vermeidung von Unfällen durch Geschwindigkeitsbegrenzungen liegen der Bundesregierung keine beweiskräftigen Aussagen vor. ({1}) Nun, Qualitätsbewußtsein, Herr Kollege Straßmeir, mit der Auszeichnung „Made in Germany" läßt diese Antwort nicht erkennen. Offenbar handelt die Regierung hier nach dem Motto: Wer nicht soviel weiß, kann auch nicht soviel verwechseln. Wir halten es für besonders verwerflich, daß diese Regierung nicht einmal ernsthaft erwogen hat, wie viele Menschenleben mit einem Tempolimit gerettet werden könnten. Das ist dann offensichtlich der Werdegang, den sie als geistig-moralische Wende versprochen hat. Dies ist aber eine unglaubwürdige Politik. In der gesamten Diskussion haben selbstverständlich auch die Fragen der Absatzerwartungen der deutschen Automobilindustrie und, damit verbunden, die Fragen der Sicherheit der Arbeitsplätze eine bedeutsame Rolle gespielt. Aber Panikmache, Herr Kollege Straßmeir, ist auch hier fehl am Platze. Die japanische Automobilindustrie hat nach der Einführung des Tempolimits ihre Position auf den internationalen Weltmärkten nicht nur gehalten, sondern entscheidend gestärkt und ausgebaut. ({2}) - Nun, das ist schon ein Argument, Herr Kollege Solms, auch auf den japanischen Inlandsmärkten und auf den Auslandsmärkten, aus der Sicht der Japaner gesehen. ({3}) - Gut, Herr Kollege Solms, in der Diskussion war doch immer wieder das Argument zu hören, es gebe einen Zusammenhang von freier Fahrt in Deutschland und gutem Verkauf im Ausland. Belegt werden kann diese Behauptung aber doch nicht. Wie ist es denn zu erklären, daß ausgerechnet in den USA mit dem 88-km/h-Tempolimit die deutschen Sport- und Nobelmarken wie Audi, BMW, Mercedes und Porsche glänzende Absatzergebnisse vorzuweisen haben. ({4}) - Aber Herr Kollege Hoffie, hohes Prestige kann viele Gründe haben, z. B. eine gute Verarbeitung, Effizienz, Komfort, Styling, auch Preis, selbstverständlich! Aber die Bundesregierung - das ist der für mich wichtige politische Grund - hat einmal mehr gegen die Schwächeren in unserer Gesellschaft entschieden; die Schwächeren sind in diesem Fall die Bäume und der Wald, die Verkehrstoten und die Verkehrsverletzten. Sie haben eben keine schlagkräftige Lobby. ({5}) Die Stärkeren, auf deren Seite die Bundesregierung steht, sind die, die eben mit dieser Ellenbogenparole von der freien Fahrt für freie Bürger seit langem lautstark argumentieren. ({6}) Eine Verkehrspolitik aber, welche ein. Verkehrssystem festschreibt, das einer Minderheit das Austoben eines egoistischen Geschwindigkeitsrausches zubilligt, der Mehrheit jedoch Nachteile wie Lärm und Abgasbelastung sowie eine überhöhte Unfallgefährdung mit Schäden für Leben und Gesundheit aufzwingt, eine derartige Verkehrspolitik, in der der Starke alles kann und darf und die Schwächeren zu kuschen haben, ist nicht nur sozial ungerecht. Eine derartige Verkehrs- und Umweltpolitik ist das gesellschaftspolitische Symbol der von Ihnen vertretenen Ellenbogengesellschaft. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Daubertshäuser, daß Sie eben einige sehr mühselige Wiederbelebungsversuche für Argumente aus der Klamottenkiste gemacht haben, ({0}) die nun wirklich niemand überzeugen können, insbesondere jene nicht, die auch die wissenschaftlichen Ergebnisse des Versuches durchgearbeitet haben. Herr Kollege Duve, ich hatte gelegentlich den Eindruck, die Broschüre hätte Ihnen nicht zur Verfügung gestanden. Ich habe Sie mir noch einmal bringen lassen, um Ihnen vielleicht auch einmal Einsicht in die wissenschaftlichen Ergebnisse zu gewähren. ({1}) Herr Daubertshäuser, Sie müssen sich einmal entscheiden. Sie haben den Bericht in der Kurzfassung vorliegen. Selbst den haben Sie offenbar nicht gelesen. Wenn Sie noch nicht einmal den Kurzbericht lesen, Herr Duve, dann ist es doch wohl auch einigermaßen vermessen, hier die umfangreiche Fassung zu verlangen. Dann sollten Sie erst einmal diese Ergebnisse verinnerlichen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es gibt gleich zwei Abgeordnete, die Zwischenfragen stellen wollen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin absolut überzeugt, daß, wenn die Kollegen aufmerksam zuhören, am Ende meiner Rede keine einzige Frage mehr offenbleibt. ({0}) Deswegen würde ich empfehlen, daß Sie erst einmal zuhören und sich erst dann zu Wort melden. ({1}) Herr Daubertshäuser, Sie müssen sich einmal entscheiden und auch mit dem Kollegen Vogel abstimmen, ob die Regierung nun zu langsam oder zu schnell entscheidet. Bisher hat Herr Vogel der Regierung eigentlich immer vorgeworfen, daß sie zu langsam entscheiden würde. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, daß heute der Kollege Daubertshäuser Herrn Vogel insoweit in den Arm gefallen ist. Im übrigen darf ich sagen: Bei uns bleibt der Wald nicht auf der Strecke. In der Alternative zwischen unserem Programm und Ihrer Lösung entscheiden wir uns für das viermal wirksamere Programm. ({2}) Das heißt also, dem Wald geht es nach unserem Konzept noch viermal besser als nach Ihrem Konzept. Das ist ja wohl eine plausible Begründung. Herr Kollege Daubertshäuser, wenn wir einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten wollen, um die Unfallrate und die Zahl der Verletzten und Getöteten zu reduzieren, dann müssen wir erst einmal die Strecken mit Geschwindigkeitsbeschränkung sicherer machen. Das sagen doch alle Zahlen aus. ({3}) Herr Kollege Daubertshäuser, in der Vergangenheit haben wir doch immer gemeinsam Verkehrssicherheitspolitik gemacht. Wir sind hier nie auseinandergefallen. Wir haben gegenüber Herrn Hauff, Herrn Gscheidle, Herrn Leber niemals den - unappetitlichen - Versuch unternommen, mit der Zahl der Verkehrstoten Politik zu machen und moralische Vorwürfe zu erheben. Ich kann nur sagen: Nehmen Sie davon Abstand, weil das wirklich eine sehr unerfreuliche Argumentation ist. ({4}) Meine Damen und Herren, die GRÜNEN setzen mit ihrer Großen Anfrage eine Tradition fort, die weder gut noch nützlich, dafür aber alt und unergiebig ist. ({5}) Diese Diskussion über das Tempolimit begleitet uns schon mehr als zehn Jahre. Mit schöner Regelmäßigkeit tauchen die gleichen Thesen auf; ({6}) sie werden nur - je nach aktuellem Anlaß - leicht variiert. Ich kann hier den Kollegen Dr. Schulte ({7}) aus dem „Deutschland-Union-Dienst" vom 14. Februar 1979 zitieren. Dort heißt es: Bezeichnend ist allerdings, daß die SPD ihre Begründung für die angebliche Notwendigkeit eines Tempolimits je nach aktuellem Anlaß dauernd wechselt. Das spricht nicht gerade für ihre Seriosität. Zunächst diente die Senkung des Benzinverbrauchs als Argument. Das war in der sogenannten Ölkrise 1973/74. ({8}) Als die dürftigen Fakten auf dem Tisch lagen, schaltete man schnellstens auf das Argument „Verkehrssicherheit" um. Großversuche und umfangreiche Gutachten haben auch hier die SPD widerlegt. Dann kam der dritte Anlauf mit der These, ein gemeinsames Europa verlange eine einheitliche Geschwindigkeitsbegrenzung .. . ({9}) - Herr Duve, diese Sätze sind sieben Jahre alt, aber man kann sie noch heute so vorlesen. Die Szene ist absolut die gleiche, und auch Sie haben dazu nichts Neues geboten. ({10}) Das heißt also: Sie haben dieser Chronologie ein neues Kapitel hinzugefügt. Diesmal heißt die Begründung „Waldsterben"; alles läuft absolut nach dem gleichen Muster ab: ({11}) Zuerst werden Phantasiezahlen in den Raum gestellt, und wenn Sie, Herr Kollege Schulte, heute einmal die Phantasiezahlen der GRÜNEN über die Schadstoffeinsparung mit der Realität vergleichen, kann man nur sagen: Sie sind wirklich Phantasten, ({12}) Sie führen uns hier hinters Licht, Sie machen nichts anderes als Panik, und Sie haben eine rege Phantasie. ({13}) Da interessieren Sie keine wissenschaftlichen Gutachten, da greift man einfach hinein und nennt eine Zahl, hinter der möglichst „Milliarden" stehen muß, damit sich das am Ende zur Panikmache eignet. Es werden also erst Phantasiezahlen über die positiven Auswirkungen eines Tempolimits genannt, ({14}) dann kommen die Fakten auf den Tisch, die alles widerlegen, und dennoch, Herr Kollege Duve, bleibt Fischer ({15}) man „in guter alter Tradition" bei seiner vorgefaßten Meinung. So macht man nicht seriöse Politik! ({16}) - Herr Mann, ich beantworte Ihre Frage nicht. ({17}) Das Ganze ist nichts anderes als ideologische Stimmungsmache. Dem liegt insbesondere bei den GRÜNEN Autofeindlichkeit zugrunde, obwohl die IG Metall immer wieder darauf hinweist, daß die Automobilindustrie für den Arbeitsmarkt eine Schlüsselindustrie ist. ({18}) Sie verteufeln sie hier, obwohl z. B. Ihr ehemaliger Kollege Hoss genau in dieser Branche seit 25 Jahren einen sicheren Arbeitsplatz hat. Ich finde es wirklich schamlos, mit welch moralisch verwerflichen Argumenten Sie heute den Arbeitsplatz Ihres ehemaligen Kollegen besudelt haben. Davon nehmen Sie in Zukunft bitte Abstand. ({19}) Nun, meine Damen und Herren, der Wunderglaube von SPD und GRÜNEN kann nur durch Sachargumente reduziert werden. ({20}) Durch den Großversuch ist bewiesen worden, daß durch Tempo 100 auf Autobahnen gerade 1 % der jährlichen Stickoxidemissionen eingespart werden könnten. Herr Kollege Duve, das rotzt Herr Rau in Ibbenbüren bei Vollast schon mit einem Kraftwerk heraus! Ich kann nur sagen, dann sollten Sie dort ansetzen; da haben Sie den gleichen Effekt. Sie sollten hier nicht mit derartig verwegenen Thesen kommen. ({21}) Ich frage mich: Was bringt das Ganze dann, wenn Ihr Kanzlerkandidat in seinem Land einen solchen denkbaren Erfolg mit einem Kraftwerk vereitelt? Ich meine, es bringt nichts Positives, aber auf jeden Fall eine Reihe von Nachteilen: Die Bereitschaft zum Kauf von schadstoffarmen Kfz sowie zur Umrüstung würde geschwächt werden. Dies ist das Schlimmste, was uns passieren könnte. Eine verbesserte Abgastechnik bringt nämlich Schadstoffreduzierungen, die mit keinem noch so drastischen Tempolimit zu erreichen sind. ({22}) Deshalb hat die Bundesregierung hier klar und deutlich den Schwerpunkt ihrer Kfz-Umweltpolitik gesetzt: Nicht nur die Steuerersparnis beim Kauf eines schadstoffarmen Wagens, sondern auch die Steuerpräferenz bei bleifreiem Benzin, zum 1. Januar 1986 gerade noch einmal verstärkt, sind Signale für den Umweltschutz. Ich meine, es ist ein großartiger Erfolg, daß bleifreies Benzin jetzt fast an jedem Ort zu bekommen ist und überall billiger als bleihaltiges ist. Ich lese heute mit Interesse in der Zeitung, daß unsere Politik selbst in Jugoslawien ab 1. Juli des Jahres 60 Stationen bringen wird und daß Touristen sogar in Jugoslawien alle hundert Kilometer derartiges Benzin tanken können. Das ist doch durch unseren Anstoßeffekt gekommen, nachdem Sie, Herr Duve, zehn Jahre dieses Thema völlig verschlafen haben. Da sitzen doch die Umweltsünder, und nicht auf dieser Seite des Hauses. ({23}) Erwähnen möchte ich die Einführung der jährlichen Abgassonderuntersuchung im April 1985. Auch dies ist konkreter Umweltschutz, weil durch falsche Motoreinstellung bisher jährlich viele Tonnen Schadstoffe mehr als notwendig durch den Auspuff gegangen sind. Wenn SPD und GRÜNE die umweltpolitischen Salbungen eines allgemeinen Tempolimits loben, dann bewundere ich eigentlich nur den Mut zu soviel Ignoranz. Denn geringfügige Schadstoffeinsparungen auf der einen Seite werden mit erheblichen umweltpolitischen Beeinträchtigungen auf der anderen Seite erkauft. Können Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es denn verantworten, daß durch Tempo 100 auf unseren Autobahnen Verkehr wieder auf Landstraßen und in Ortschaften verlagert würde und Millionen Menschen hierdurch belästigt und gefährdet würden? ({24})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, keine Zwischenfragen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich beantworte keine Zwischenfragen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das heißt - davon gehe ich aus -: Überhaupt nicht. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Experten sprechen von zu erwartenden Verkehrsverlagerungen in das nachgeordnete Straßennetz von etwa 1,6 Milliarden Kfz-Kilometer pro Jahr. Damit würden alle Bemühungen, den Verkehr aus den innerörtlichen Bereichen herauszubekommen, vereitelt. Lärm und Abgase würden das Leben in den Städten und Gemeinden verschlechtern. Das kann doch nicht in unser aller Sinne sein! Das hat der Kollege Becker bereits frühzeitig erkannt. Er hat dies im Parlamentarisch-Politischen Pressedienst vom 30. August 1979 veröffentlicht: Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Helmut Becker, Fischer ({0}) glaubt nicht an eine Mehrheit für die Einführung eines Tempolimits in seiner Fraktion.Bei einem verordneten Tempolimit müßten nach seiner Auffassung verstopfte Straßen mit einer nur geringen Kraftstoffersparnis erkauft werden. ({1}) - Völlig recht! Durch diese Rückverlagerung des Verkehrs auf das nachgeordnete Netz würde aber auch die Unfallbilanz erheblich verschlechtert. ({2}) Unsere Autobahnen sind die sichersten Straßen! ({3}) - Herr Schulte, mehr Autobahnen würden nach diesen Zahlen weniger Tote bedeuten. Diese Gleichung ist richtig. Sie haben eine völlig falsche Einschätzung der Situation! Obwohl das Autobahnnetz nur 1,7 % des gesamten Netzes ausmacht, werden auf ihm 26 % der Fahrleistungen erbracht. Dennoch passieren dort nur 5% aller Unfälle. Im Vergleich zu den Autobahnen ist die Unfallrate auf den Außerortsstraßen viermal so hoch, auf den Innerortsstraßen fast vierzehnmal so hoch. Rückverlagerungen würden unweigerlich zu einer Erhöhung der Unfallzahlen führen. Deswegen wird in Dänemark, Holland und Schweden derzeit überlegt, Geschwindigkeitsbeschränkungen wieder aufzuheben. Die neuesten Zahlen der Unfallbilanz bringen das Argument Verkehrssicherheit bei der TempolimitDiskussion endgültig vom Tisch. Vom Januar bis zum Oktober 1985 sank die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr ({4}) noch einmal um fast 19%. Absolut gesehen, wird für 1985 mit 8 400 Verkehrstoten gerechnet. Das sind zwar 8 400 zuviel, ({5}) aber das ist die beste Bilanz seit 30 Jahren. Deswegen kann ich nur sagen: Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, weil wir ja inzwischen sehr viel mehr Kraftfahrzeuge auf unseren Straßen haben. Wir sollten über diesen überzeugenden Beweis für die Leistung in der Verkehrssicherheitsarbeit alle gemeinsam glücklich und darauf stolz sein. ({6}) Zum Schluß zur Akzeptanz: Hier wird kritisiert, daß der Befolgungsgrad mit 30 % zu niedrig angesetzt worden sei. Dies ist aber die Realität. Ich glaube, auch im Rahmen der internationalen Erfahrungen können wir uns damit sehen lassen. In Holland, wo Tempo 100 auf den Autobahnen gilt, fahren vier von fünf gemessenen Fahrzeugen schneller, als erlaubt. ({7}) Das ist eine Befolgungsrate von 20 %. In einem Papier der EG-Kommission - die ist ja wohl unverdächtig -, heißt es, daß sich an den gefahrenen Geschwindigkeiten in den Niederlanden durch die Einführung des Tempolimits nichts geändert hat. In den USA beträgt der Befolgungsgrad trotz intensivster Überwachung weniger als 50 %. In ländlichen Gebieten liegt er sogar unter 30%. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte die Tempolimit-Historie fortsetzen, ({8}) möchte das aber jetzt nicht tun. Allerdings muß man daran erinnern, daß die Einführung eines Tempolimits zu Zeiten einer SPD-Regierung abgelehnt worden ist. ({9}) Wenn man die Zeitungen von damals durchblättert, so stellt man fest, daß es in der SPD auch damals schon drunter und drüber ging. Während Herr Hauff lautstark ein Tempolimit auf Autobahnen forderte, haben Herr Gscheidle und Bundeskanzler Schmidt öffentlich dementiert. ({10}) Diese Zerrissenheit hat sich bis heute gehalten. Ihre Forderung nach einem Tempolimit, meine Damen und Herren von der SPD, ist doch völlig unglaubwürdig, wenn sie von Ihrem Kanzlerkandidaten nicht getragen wird. Ich zitiere aus dem berühmten „Express"-Interview mit Herrn Rau vom 16. Oktober 1985 wörtlich: Ich fahre gerne etwas schneller als 100, wenn der Verkehr es zuläßt. Falls wir auch ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen den Wald retten können, würde ich das sehr gerne sehen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Ich kann dem nur hinzufügen: Der Großversuch hat bewiesen, daß es auch ohne Tempolimit geht. ({11}) SPD und GRÜNE sollten sich den Tatsachen nicht länger verschließen, sondern sie akzeptieren, damit sie ihrem obersten Heerführer in der Politik der nächsten Zeit nicht ihre Gefolgschaft versagen müssen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und HerBundesminister Dr. Dollinger ren! Es steht außer jedem Zweifel: Die Bundesregierung hat schnell und klar entschieden: ({0}) keine generellen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen! Und, meine Damen und Herren: Wie würden Sie - ich habe etwas darüber nachgedacht - den Großversuch heute wohl loben, wenn er zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre? Ich weiß zwar nicht genau, Herr Duve, wie Ihr Verhältnis zu Herrn Ministerpräsident Rau ist. ({1}) Aber das, was er in der teuren Anzeigenaktion verlangt hat, Fairneß ({2}) - Sie sagen: „Das war nicht schlecht", aber da müssen Sie sich noch bessern -, haben Sie, meine Damen und Herren, heute mit Ihren Aussagen in bezug auf den Großversuch nicht gezeigt. So sollte man sich nicht verhalten. Wie können Sie den Wissenschaftlern und den Mitarbeitern des TÜVs hier glatt unterstellen, daß sei nichts anderes als ein Großbetrug? Ich weise das mit Nachdruck zurück und stelle mich vor diejenigen, die daran mitgewirkt haben. ({3}) Im übrigen werden Sie, meine Damen und Herren - Sie haben danach gefragt -, den vollständigen Bericht des TÜVs Ende des Monats, spätestens Anfang Februar bekommen. Vielleicht kommen Sie dann zu anderen Ergebnissen als jetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daubertshäuser?

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Also, weil Sie heute einigermaßen freundlich waren, machen wir es. ({0})

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen der Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung" von heute bekannt, in dem es heißt: Der Wahrheit am nächsten kommt, daß es die Bundesregierung bei ihrer Begründung zur Ablehnung des Tempolimits mit den Fakten nicht so genau genommen hat. ({0}) Der TÜV muß sich den Vorwurf gefallen lassen, dies bis zum heutigen Tag ohne Widerspruch hingenommen zu haben. ({1}) Sehen auch Sie dies als eine schlimme Beschreibung der Verhältnisse an?

Dr. Werner Dollinger (Minister:in)

Politiker ID: 11000403

Herr Daubertshäuser, ich verstehe, wenn Sie Herrn Duve zu Hilfe kommen. Ich habe den Artikel nicht gelesen, aber wir werden ihn selbstverständlich eingehend studieren. Allerdings meine ich, daß Sie Ihr Urteil erst dann fällen sollten, wenn Sie das Gutachten vollständig vorliegen haben. ({0}) Und gehen Sie bitte nicht in dieser unfairen Form mit den Herren des TÜVs um. Das ist nach meiner Meinung - ich sage es kurz und klar - nicht anständig. ({1}) Und nun darf ich noch etwas zu dem bemerken, was Herr Schulte gesagt hat - ich lege Wert darauf, daß das nicht mein Staatssekretär ist; ({2}) er sagt, er sei mit Ihnen weder verwandt noch verschwägert, und legt auch großen Wert darauf, daß das, was vorhin von Herrn Fischer zitiert worden ist, von ihm und nicht von Ihnen stammt -: ({3}) Wie kommen Sie eigentlich dazu, Ergebnisse hier als gefälscht, als Lug und Trug zu bezeichnen? Meine Damen und Herren, das sollte man nicht tun. ({4}) Das Ergebnis des Großversuchs ist klar. Die Konsequenzen sind gezogen. Wir sind der Meinung: Weder aus Gründen der Verkehrssicherheit noch aus Gründen des Energieverbrauchs, des Lärmschutzes oder des Umweltschutzes ist ein solches Tempolimit auf Autobahnen erforderlich. Bei der Verkehrssicherheit - meine Herren Vorredner haben das zum Teil unterstrichen - hat man beachtliche Erfolge erzielt. Ich sage das nicht, damit wir uns damit zufriedengeben, sondern damit wir den Mut haben, mit Nachdruck auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit weiterzuarbeiten. ({5}) Es gibt eine Vergleichszahl, die interessant ist. Das Jahr 1985 brachte bedauerlicherweise 8 400 Verkehrstote. Wir können feststellen, daß es im Jahre 1936, also vor 50 Jahren, im Deutschen Reich, in der doppelten Fläche, bei einem Fahrzeugbestand von damals 2,5 Millionen - das ist ein Zwölftel des heutigen Bestands - dieselbe Zahl von 8 400 Verkehrstoten gab. Meine Damen und Herren, das ist eine interessante Zahl, weil sie zeigt, daß die Maßnahmen zur Verkehrssicherheit im Interesse des Gemeinwohls gewirkt haben. Wir sollten allen danken, die sich in diesen Bereichen entsprechend bemüht haben. ({6}) Ich meine auch, daß das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung, das ja zügig vollzogen wird, hier einiges weitere schaffen wird. Ich warne davor, immer den Eindruck zu erwekken, als gäbe es in Deutschland keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Von den 490 000 km Straßen haben wir lediglich auf den ca. 8 000 km Autobahnen, abzüglich der Streckenabschnitte, in denen es Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt, keine Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich werde im Ausland, beispielsweise in Brüssel, oft gefragt: Warum haben Sie keine Geschwindigkeitsbegrenzungen? Wenn ich dann sage, daß wir normalerweise auf den Bundes- und Landstraßen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h, in den Gemeinden von 50 km/h haben und daß die Verkehrsbehörden der Städte und Landkreise das Recht haben, diese Geschwindigkeiten zu ändern und an die örtlichen Verhältnisse anzupassen, ist man sehr überrascht. Ich meine, man sollte ehrlicherweise sagen, daß es nur auf 1,4 % unseres Straßennetzes keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt. Allerdings spielen sich dort 26 % des Verkehrs ab. Ich brauche nicht zu wiederholen, wie das Verhältnis in bezug auf die Unfälle ist. Vielleicht ist noch folgender Vergleich mit dem Ausland interessant. Es wird immer wieder auf das Tempolimit in Amerika hingewiesen. Von 1973 bis 1983 nahm die Zahl der Unfälle in den USA lediglich um 20 % ab. Bei uns waren es 28 %. Wenn im Zusammenhang mit dem Tempolimit immer wieder die USA angeführt werden, so weise ich darauf hin, daß sich nach neuesten Untersuchungen in Amerika lediglich 30 % der Kraftfahrer an die Höchstgeschwindigkeit von 55 Meilen pro Stunde halten. ({7}) Wir sollten also, meine Damen und Herren, nicht mit allen möglichen neuen Mitteln immer wieder versuchen, das Tempolimit ins Gespräch zu bringen. Ich habe vermißt, daß folgendes nicht gesagt wurde: Die Verkehrssicherheit ist nicht nur eine Sache der Gesetze und der Verordnungen und der Technik; die Verkehrssicherheit ist auch in entscheidendem Ausmaß vom Verantwortungsbewußtsein des einzelnen Bürgers für sich und für den Nächsten abhängig. Ich halte es für dringend erforderlich, darauf immer wieder hinzuweisen; denn mit Gesetzen allein werden wir es nicht schaffen können. ({8}) Eine Bemerkung auch zum Energieverbrauch. Es ist den Technikern gelungen, von 1978 bis 1984 den Benzinverbrauch bei den Pkw um 20,5 % zu senken. Ich betrachte das als eine sehr beachtliche Leistung. Die Technik sollte in dieser Richtung fortfahren. Bezüglich der Lärmminderung darf ich darauf hinweisen, daß man sich damit im Oktober im Haushaltsausschuß beschäftigt hat und von einer Lärmsanierung sprach. Die Werte sollen um bis zu fünf Dezibel abgesenkt werden. Ich hoffe, daß es auch hier mit entsprechenden Maßnahmen wie beispielsweise Lärmschutzwänden gelingt, die Situation zu verbessern. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß der Pkw im Zusammenhang mit dem Lärm gar nicht die entscheidende Rolle spielt. Wenn Sie draußen mit der Bevölkerung sprechen, wird Ihnen gesagt, daß der Lärm von Motorrädern und Flugzeugen wesentlich stärker ist. Ich glaube, ich brauche auf die Frage der Stickoxide nicht noch einmal zurückzukommen. Von Herrn Duve wurden heute so sehr die amerikanischen Werte in den Vordergrund gerückt. Es freut mich, wenn Sie soviel Sympathie für Amerika haben. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen in allen Bereichen der Fall ist. Aber hier ist es der Fall. Sicher hätten wir gern die US-Werte gehabt. Aber sie waren nicht durchzusetzen. Hätten wir einen Alleingang machen sollen? Ein Alleingang wäre falsch gewesen. ({9}) Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß selbst geringere Werte als in den USA, die aber in ganz Europa gültig sind, mehr als ein deutscher Alleingang bringen. ({10}) Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß der TÜV Rheinland erreicht hat, daß die jährliche Gesamtemission des Pkw-Verkehrs an Stickoxiden bis zum Jahre 1995 um 57 % abgebaut sein wird. Das ist weit mehr, als durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung möglich wäre. Meine Damen und Herren, nun einige Bemerkungen zu der Statistik der Zulassungen. Ich bin der Meinung, daß wir in einem guten Trend liegen, obwohl viele Maßnahmen der Bundesregierung erst zum 1. Januar wirksam geworden sind. Aber wir haben immerhin bereits im November bei den Erstzulassungen 31,5 % schadstoffarme oder bedingt schadstoffarme Fahrzeuge. Ich bin der Überzeugung, daß es uns gelingen wird, in dieser Richtung weiterzukommen. Wir schätzen, daß in diesem Jahr 50 Prozent der Neuzulassungen an Pkw schadstoffarme Autos sein werden. Bis 1987 rechnen wir mit 75 %. Eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung würde diese Ergebnisse mit Gewißheit nicht erzielen. Ich meine, wir überwinden Schäden, die die Technik gebracht hat, durch moderne Technik. ({11}) Wenn wir uns dies vor Augen halten und Wissenschaft und Forschung weiterhin anregen, in diesem Sinne tätig zu sein, kann ich mir vorstellen, daß wir rasch umfassende Erfolge haben werden. ({12}) - Ob das ein Irrglaube ist oder nicht: Über Glauben kann man immer streiten. Ich bin der Meinung, daß wir in diesem Zusammenhang nicht das Wort von der „Ellbogengesellschaft" gebrauchen sollten. Das ist gefährlich; denn, Herr Kollege Daubertshäuser, denken Sie einmal daran, wie sich angesichts des Ausmaßes des Verkehrs auf den Straßen - und ich erinnere an die Zahlen, die ich gebracht habe - insgesamt die Verhältnisse gebessert haben. Einige Flegel und unverantwortliche Menschen auf den Straßen sollte man nicht zur Norm erklären. ({13}) Wir täten sonst all denjenigen unrecht, die sich anständig und verantwortungsbewußt verhalten. Helfen Sie bitte mit, dem Bürger klarzumachen, daß das schadstoffarme Auto einen Vorteil für ihn selbst und für die Gemeinschaft bringt. Unternehmen wir nichts, was den Käufer abhalten würde, diesen Prozeß „durch technischen Fortschritt eine bessere Umwelt" zu verhindern. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zu den Tagesordnungspunkten 8 b und 8 c schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 10/4385 und 10/4234 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 d, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/4096. Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer 1 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3006 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen. ({0}) Der Ausschuß empfiehlt weiterhin unter Ziffer 2 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3025 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit ist die Beschlußempehlung des Ausschusses angenommen. Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus auf Drucksache 10/4096 unter Ziffer 3 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit der gleichen Mehrheit ist die Entschließung angenommen worden. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1983 - Einzelplan 20 und zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1984 - Einzelplan 20 -- Drucksachen 10/1355, 10/3304, 10/4482 Berichterstatter: Abgeordneter Walthemathe Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- men zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/4482 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Neu-Ulm an die Neu-Ulmer Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH - Drucksachen 10/4118, 10/4484 Berichterstatter: Abgeordnete Zander Dr. Müller ({3}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf der Drucksache 10/4484 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1985 bei Kap. 14 12 Tit. 632 01 - Erstattungen von Verwaltungsausgaben an die Länder -- Drucksachen 10/4117, 10/4485 14290

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Dr. Rose Frau Seiler-Albring Frau Traupe Kleinert ({0}) Das Wort zur Berichterstattung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4485, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich hiergegen ein Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Januar 1986, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.