Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/4/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und uns eine gute und konzentrierte Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksache 15/1067 Überweisungsvorschlag: A. f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) A. f. Wirtschaft und Arbeit Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine Aussprache dazu nicht erfolgen soll. - Ich stelle fest, dass Sie damit einverstanden sind. Wir kommen damit gleich zur Überweisung dieses Gesetzentwurfes. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1067 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Weltweit aktiv - Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung für mehr Wachstum und Beschäftigung. Für den einleitenden fünfminütigen Bericht erteile ich dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, das Wort.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Das Kabinett hat sich heute mit dem Thema „Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung“ beschäftigt. In der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation kommt der Außenwirtschaft eine erhebliche Bedeutung zu. Gleichzeitig macht die Exportwirtschaft eine besondere Bewährungsprobe durch; ich nenne beispielsweise den Druck der Währungsentwicklung, die Stabilität des Euros. Es kommt hinzu, dass jeder fünfte Arbeitsplatz bei uns in Deutschland - in der Industrie ist es sogar jeder Dritte - mit dem Export zusammenhängt, dass wir vor der Osterweiterung der Europäischen Union stehen und in Ost-, Mittelost- und Südosteuropa neue Märkte bekommen - die Märkte im Erweiterungsbereich Mittelund Osteuropas sind für unsere Wirtschaft schon heute größer als der gesamte amerikanische Markt -, dass wir es mit Wachstumsmärkten zu tun haben, die zwar nicht ganz neu sind, die aber immer mehr an Bedeutung gewinnen - das ist beispielsweise China -, dass es im Internet neue Handelskanäle gibt; das Unternehmen Ebay, das dort aktiv ist, ist ein interessanter Markt für kleine und mittlere Unternehmen, übrigens auch für Existenzgründer. Zudem haben wir es auch mit der Entwicklung im Nahen Osten zu tun, wo wir beginnen müssen, unsere Wirtschaftsinteressen wahrzunehmen bzw. wo sie stärker wahrgenommen werden müssen. Eine Außenwirtschaftsoffensive ist an sich nicht neu. Die „Weltweit aktiv“-Außenwirtschaftsoffensive ist eine Weiterentwicklung dessen, was wir bisher in der Außenwirtschaft getan haben. Wir wollen uns insbesondere um kleine und mittlere Unternehmen kümmern. Hinweise und Anregungen aus der unternehmerischen Praxis nehmen wir gerne auf. Einiges ist bereits im Gang: Ich nenne als Beispiele den Verzicht auf Antragsgebühren - für Anträge auf Investitionsgarantien bis 5 Millionen Euro, also für Minimalanträge, muss keine Gebühr mehr bezahlt werden -, die Ausfuhrpauschalgewährleistung, die besonders einfach gestaltet ist, oder den Fonds für Mittelständler und Freiberufler aus Ostdeutschland zur Finanzierung von Machbarkeitsstudien. Wir haben neue Korrespondentenbüros der Bundesagentur für Außenwirtschaft in Tunis und in Nairobi eingerichtet und haben eine Korrespondentenstelle in Brüssel eingerichtet, in der man sich speziell um die Ausschreibungen der Europäischen Union kümmert. Wir haben die Auslandsmesseförderung Redetext bereits stärker auf kleine und mittlere Unternehmen ausgerichtet. Wir haben heute im Kabinett besprochen und beschlossen, dass wir uns besonders intensiv um die WTORunde kümmern wollen - das tun wir bereits seit einiger Zeit mit Nachdruck -, die im September in Cancun Entscheidungen treffen wird. Wir wollen uns um eine Entbürokratisierung der Zollabwicklung kümmern; der Finanzminister wird dies in besonderer Weise tun. Das ist ein dringendes praktisches Thema für viele Unternehmen. Wir bauen das Netz der Außenhandelskammern, ob in Asien oder anderen Bereichen, aus und fördern es weiter. Das Gleiche gilt, wie angekündigt, für das Korrespondentennetz der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Bei der Auslandsmesseförderung werden wir weitere Schritte gehen. Wir werden immer kleinere, kostengünstigere Messestände fördern. Dadurch können wir auf mehr Messen vertreten sein und mehr kleine und mittlere Unternehmen dazu einladen. Den kleinen und mittleren Unternehmen wollen wir Exportbürgschaften und Investitionsgarantien noch leichter zugänglich machen. Dazu beschleunigen wir das Verfahren und auch die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Im Export wollen wir insbesondere ökologische Produkte wie erneuerbare Energien fördern. In diesem Jahr stellen wir immerhin knapp 30 Millionen Euro zur Verfügung, um den Einsatz und Export von erneuerbaren Energien und Energieträgern zu fördern. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wollen wir die Kooperation zwischen dem Staat und der Wirtschaft - Stichwort: Public Private Partnership - verstärken. Da Herr Kopper, der eine außerordentlich wichtige Rolle als Auslandsbeauftragter für die deutsche Wirtschaft gespielt hat, im Juni dieses Jahres ausscheiden wird, werden wir eine Nachfolgeregelung finden müssen. Wir haben ihm sehr zu danken; er hat diese außerordentlich wichtige Aufgabe mit einem unglaublichen weltweiten Einsatz für den Standort Deutschland ehrenamtlich wahrgenommen. Wir wollen die gesellschaftliche Struktur etwas verändern und eine Bundesgesellschaft unter dem Namen „Invest in Germany GmbH“ einrichten. Daneben werden wir das Auslandsengagement der Bundesregierung so weit verstärken, wie es geht, und unsere Unternehmen begleiten, wenn sie wünschen, dass wir als Türöffner im internationalen Waren- und Wirtschaftsverkehr agieren. Das sind die wichtigsten Akzente. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es Fragen zu dem vorgetragenen Bericht? - Zunächst Herr Kollege Brüderle, dann Herr Kollege Fritz.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister Clement, Ihr Vorgänger hat die Messeförderung leider zurückgefahren. Sie sagten eben, Sie würden sie stärker auf kleine und mittlere Unternehmen ausrichten. Erste Frage: Werden Sie das Volumen wieder erhöhen? Denn die Messeförderung ist eben in dieser Hinsicht genau das richtige Instrument. Zweite Frage. Sie sprachen davon, dass Sie eine Koordinierung der außenwirtschaftlichen Aktivitäten vornehmen wollen, indem Sie eine neue Bundesgesellschaft gründen. Hier sind ja verschiedene Ebenen tätig; wir haben uns heute auch im Wirtschaftsausschuss damit beschäftigt. Zunächst einmal gibt es 16 Bundesländer, die außenwirtschaftlich aktiv sind. Daneben gibt es eine Sondergesellschaft für die neuen Bundesländer, eine Bundesregierung, die ebenfalls aktiv ist, und es gab Herrn Kopper. Ich hatte früher schon in anderer Funktion den Eindruck, dass wir uns draußen manchmal schlecht präsentieren; denn ein Investor in Amerika oder ein potenzieller Partner kann nicht zwischen den verschiedenen Ebenen - 16 präsente Bundesländer und drei aktive Ebenen des Bundes - unterscheiden. Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber gibt es eine Chance, das besser zu koordinieren und zusammenzuführen? Bei dem dritten Punkt, den Sie genannt haben, ging es um Public Private Partnership. Dieser Ansatz bietet sicherlich neue Möglichkeiten. Meine Erfahrung bei dem Versuch, dies im Ausland umzusetzen, war immer, dass es für die kleinen und mittleren Unternehmen außerordentlich schwierig ist, ins Geschäft zu kommen. Nehmen wir als Beispiel Chile. Bei Straßen- oder Entwicklungsprojekten will man dort einen Partner für das gesamte Projekt, welches zum Beispiel die Weltbank finanziert, und nicht fünf oder zehn verschiedene Partner, zum Beispiel einen Gartenbauer, einen Straßenbauer, einen Brückenbauer usw. Gibt es neue Überlegungen dazu, wie man die Angebote kleinerer Unternehmen unter der Wahrung ihrer Selbstständigkeit und der Mittelstandschancen zu einem Gesamtangebot bündeln kann, sodass man der Nachfrage bei größeren Projekten, wie es sie draußen in der Welt gibt, stärker entsprechen kann?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Herr Kollege Brüderle, zum ersten Punkt, zur Messeförderung: Mir liegen unsere Finanzdaten im Moment nicht vor. Wir erhöhen die Zahl der von uns geförderten Messen, indem wir die Messebeteiligungen reduzieren und nur noch kleine und mittlere Unternehmen fördern. Wir gehen davon aus, dass große Unternehmen keine Förderung benötigen. Wir werden in diesem Jahr an insgesamt 210 Auslandsmessen beteiligt sein. Durch die Verkleinerung der Standflächen können wir erreichen, dass zusätzlich 24 Auslandsmessen bedient werden. Wir werden jedoch noch weiter gehen: Die Mittel werden ein bisschen erhöht, aber wir stehen noch in den Haushaltsverhandlungen. Ich habe bisher noch keine Übersicht, wie hoch sie 2004 sein werden. Die weltweite Koordination des deutschen Auftritts ist, wie Sie wissen, nicht ganz unproblematisch. Als jeBundesminister Wolfgang Clement mand, der bisher in einem Land Verantwortung trug, muss ich natürlich darauf hinweisen, dass der Föderalismus seinen eigenen Wert und seine eigene Bedeutung hat. Natürlich sind die besonderen Aktivitäten der Länder, wie Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg, außerordentlich wertvoll. Wir haben zudem die Aktivitäten der ostdeutschen Länder, für die das IIC eingerichtet wurde und die darüber gefördert werden. Das Schöne des deutschen Auftritts ist die Vielfalt, aber sie besitzt, wie wir beide soeben besichtigen konnten, wegen ihrer Buntheit einen Mangel an Klarheit. Darüber sind wir mit den Ländern im Gespräch. Was das IIC angeht, so gehe ich davon aus, dass es mit den Auslandsbeauftragten in Zukunft auf das Engste zusammenarbeitet. Wir beginnen mit der Koordination, sobald wir die Nachfolge von Herrn Kopper geregelt haben. Das ist das eine. Das andere ist: Wir werden die Länder an der „Invest in Germany“ in Form von Beiräten beteiligen. Ich habe meinen Kollegen Wirtschaftsministern vorgeschlagen, im Beirat mitzuwirken, sodass wir die Arbeit koordinieren können. Ich würde nicht darauf drängen, dass die Länder ihre Aktivitäten reduzieren. In der heutigen Zeit, in der wir nicht allzu viele zusätzliche Mittel einsetzen können, ist diese Beteiligung wichtig. Wir wollen den Auslandsbeauftragten finanziell etwas besser ausstatten. Wir haben in diesem Bereich bisher etwa 2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, denken aber an eine Größenordnung von 10 bis 11 Millionen Euro. Ich muss aber sagen, dass in zwei Tagen ein Spitzengespräch mit dem Bundesfinanzminister stattfindet. Daher sind diese Zahlen vorläufig. Wir jedenfalls wollen die Auslandsaktivitäten verstärken und die Arbeit des Auslandsbeauftragten durch zusätzliche Mittel verbessern. Ich hoffe insgesamt, dass unser Auftreten im Ausland etwas klarer wird. Aber wir bleiben ein föderaler Staat. Das wird auch im Ausland sichtbar bleiben. Dies findet auch manchmal Sympathien. Zum dritten Punkt, zu PPP. Insbesondere das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung koordiniert die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in der Form, dass Projekte gefördert werden, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind. Das ist eine andere Form von PPP, als wir sie sonst diskutieren. Im Übrigen sind wir jetzt dabei, die Möglichkeiten von Public Private Partnership in Deutschland durch steuerrechtliche Voraussetzungen insgesamt zu verbessern. Das ist bis jetzt noch nicht ausreichend geklärt. Auch von den einzelnen Finanzbehörden in den Ländern werden diese Beteiligungen unterschiedlich bewertet. Hier stehen wir noch in der Pflicht, dies zu verbessern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Fritz.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, heute Morgen war Herr Kopper im Wirtschaftsausschuss. Dabei hatten wir nicht nur die Gelegenheit, ihm für seine Arbeit zu danken, sondern auch die Möglichkeit, einige Dinge zu besprechen. Unter anderem ging es um die Rolle der Länder, die Sie gerade noch einmal positiv bewertet haben. Richtig aber ist, dass durch mangelnde Kooperation und Koordination unseres Auftritts Schaden an unserem Image entsteht; das erfahren wir immer wieder. In Ihrer Außenwirtschaftsoffensive finde ich zu diesem Bereich nichts. Dabei wäre es gerade in Zeiten knapper Kassen für den Bundeswirtschaftsminister jetzt die beste Gelegenheit, zu versuchen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln. Haben Sie das noch vor? Geht es über „Wir reden mal miteinander“ hinaus? Nachdem Herr Stolpe beim IIC vorgeprescht war, haben Sie sich jetzt entschlossen, die Arbeit des Büros von Herrn Kopper neu zu gestalten. Haben Sie langfristig eine Neuordnung in der Weise vor, ein Marketinginstrument für den Standort Deutschland zu entwickeln und alles andere, auch die besondere Akquise für die neuen Bundesländer, darunter zu fassen? Wäre das nicht ein Ziel, das Sie in Ihre Außenwirtschaftsoffensive aufnehmen könnten, weil es sinnvoll ist? Es ist schwierig, weltweit einen Standort zu vertreten und noch Teile dieses Standorts in gleicher Weise. Sie haben erfreulicherweise - Ihr Vorgänger hat das vermutlich gar nicht gekannt - die bfai angesprochen. Sie ist ein wirkungsvolles Instrument, das mit dem weiteren Ausbau des Korrespondentennetzes einen wichtigen Beitrag leisten kann, wenn es uns gelingt, diese Informationen noch mittelstandsfreundlicher und die Angebotsverarbeitung für die mittelständischen Unternehmen transparenter zu gestalten. Da gibt es aber einen Punkt, der heißt Abführung. Ich meine die Zwangsabführung von 20 Prozent. Diese sind nach meiner Auffassung auch in Zukunft nicht zu erreichen - schon gar nicht, wenn wir eine Ausweitung der Angebote anstreben wollen, vermutlich auch nicht mit dem größeren Korrespondentennetz, wenn Sie nicht neue Hürden für den Mittelstand durch eine Kostenbeteiligung errichten wollen. Haben Sie vor, in dieser Beziehung etwas zu unternehmen? Das wäre eine Sache, die bei den Haushaltsberatungen eine Rolle spielen müsste. In puncto Messeförderung frage ich Sie, ob Sie in Zukunft Großmessen wie Technogerma -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, es besteht immer die Gelegenheit, nach dem Bericht der Bundesregierung einzelne Zusatzfragen zu stellen. Ich bin, wie allgemein bekannt ist, relativ großzügig. Ich möchte aber vermeiden, dass wir durch zweimal hintereinander akzeptierte Fragenreihen eine Präjudizierung schaffen, auf die sich dann alle anderen berufen könnten. ({0}) Deswegen wäre ich dankbar, wenn sich die Anzahl der weiteren Fragen in sehr engen Grenzen halten ließe. ({1})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe noch eine Frage, aber es sieht ganz danach aus, als wenn ich damit auch die Fragekapazität für unsere Fraktion ausgeschöpft hätte, sodass weitere Fragen nicht zu erwarten sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann muss ich darauf aufmerksam machen, dass es Fragekapazitäten für Fraktionen in der Geschäftsordnung nicht gibt. ({0})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, meine letzte Frage: Bei der Messeförderung gibt es zwei Dinge neben der Tatsache, dass man sie ausweiten sollte, wenn es sinnvoll ist. Zum einen wird immer wieder geklagt, dass Gemeinschaftsstände gar nicht zustande kommen, wenn weniger als zehn Unternehmen beteiligt sind. Sollte man das nicht sinnvollerweise flexibler handhaben und nicht eine solche starre Grenze einführen? Meine zweite Teilfrage geht dahin, dass die Europäische Union einmal angemahnt hat, dass eine zweite Förderung desselben Unternehmens unter Beihilfegesichtspunkten fragwürdig sei. Ist das abgewehrt oder können da Probleme entstehen? Denn wir wissen, dass viele Unternehmen mit einem Auftritt auf einer Messe noch nicht im Weltmarkt verankert sind.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Was das Verhältnis zu den Ländern angeht, so habe ich da - ich bitte um Verständnis - eine andere Ansicht. Ich bin zwar für mehr Klarheit und für eine Koordination. Ich bin aber schon dafür, dass die Länder ihre Aktivitäten entwickeln können. Um es ganz offen zu sagen - da bin ich nicht verdächtig -: Wenn Sie den Auslandsauftritt Bayerns erleben und den Ruf Bayerns in Amerika betrachten, dann wissen Sie, dass das ein Wert an sich ist. Warum sollen wir den zurücknehmen? Ich könnte das auch für Nordrhein-Westfalen sagen. Aber Bayern hat nun einmal einen hervorragenden internationalen Ruf, Baden-Württemberg ebenfalls. Ich will jetzt nicht alle Länder aufzählen. Das würde ich nicht unterschätzen. Ich glaube, dass es klug ist, wenn wir das besser koordinieren. Man kann den Messeauftritt auch optisch besser als bisher gestalten. Aber ich finde, dass sich die Länder dort stark engagieren und dies auch weiterhin tun sollten. Ich könnte auch nichts anbieten, Herr Kollege. Ich kann nicht anbieten, dass der Bund mehr Geld ausgibt. Das wäre die natürliche Folge, wenn ich den Ländern nahe legen würde, sich etwas zurückzuziehen. Das würde der Finanzminister nicht mitmachen. Über das IIC haben wir mit den Wirtschaftsministern der ostdeutschen Länder gesprochen. Da gibt es jetzt, wenn ich das richtig sehe, eine einhellige Meinung. Auch da sprechen wir noch ein bisschen über das Geld. Ich möchte noch über die Zukunft des Büros des Auslandsbeauftragten bzw. der Auslandsbeauftragten sprechen, und zwar darüber, dies mit dem IIC zu verknüpfen. Was die Gebühren im Zusammenhang mit der bfai angeht, so können wir diese nicht reduzieren. Ich müsste eher fragen, ob die Wirtschaft etwas mehr dazu beitragen kann. Die bfai leistet immer speziellere und bessere Arbeit und liefert immer mehr Informationen. Sie ist, wie gesagt, jetzt auch in Brüssel präsent, was außerordentlich wichtig für die Information über die Förderinstrumente der Europäischen Union ist. Ich sehe nicht die Möglichkeit, dass wir dort zurzeit auf irgendeine Weise zurückgehen könnten. Wenn Ihre letzte Frage darauf zielt, Messen wie die Technogerma oder ähnliche einzurichten - so habe ich Ihre Frage verstanden -, dann antworte ich mit Ja. Es ist auch der Wunsch der Wirtschaft, dass wir größere Präsentationen dieser Art wieder aufnehmen. ({0}) - Die kenne ich, offen gesagt, nicht. Mir ist das bisher nicht bekannt. Ich hielte es aber für abwegig, wenn es nur einen einzigen Messeauftritt geben dürfte. Ein Messeauftritt allein ist keine Förderung, sondern Unterhaltung, also Entertainment. Ich glaube, dass wir eine gewisse Kontinuität hinbekommen müssen. Daran haben wir ein sehr starkes Interesse, weil es für kleine und mittlere Unternehmen sonst kaum eine Chance gibt, auf internationaler Ebene tätig zu werden. Bisher sind unsere kleinen und mittleren Unternehmen auf internationaler Ebene zu wenig vertreten. Deshalb ist diese Förderung sehr wichtig. Ich sehe auch nicht, dass sie in irgendeiner Weise einen Beihilfecharakter annimmt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es weitere Fragen zu dem Bericht des Bundeswirtschaftsministers? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an die Bundesregierung über die schriftlich eingereichten Fragen hinaus? - Letztere gibt es viele; sie sollen aber offenkundig heute nicht öffentlich vorgetragen werden. Dann darf ich mich herzlich bei Ihnen bedanken, Herr Minister, und schließe damit die Befragung der Bundesregierung ab. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 15/1077 Die Geschäftsbereiche werden in der Reihenfolge aufgerufen, die Ihnen auf Drucksache 15/1077 mitgeteilt worden ist. Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung Vizepräsident Dr. Norbert Lammert der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Trifft es zu, dass Kriegsschiffe der ehemaligen NVA-Flotte der DDR - die Anfang der 90er-Jahre mit Genehmigung der Bundesregierung an Indonesien unter der Auflage verkauft wurden, dass diese Schiffe nur für den Küstenschutz, für die Sicherung der Seewege gegen Piraterie und gegen den Drogenschmuggel eingesetzt werden; unter anderem die Teluk Gilimanuk, die früher den Namen Hoyerswerda trug - offenkundig vertragswidrig bei einer vom indonesischen Präsidenten angeordneten Militäroffensive gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Aceh eingesetzt wurden, und, wenn ja, was hat die Bundesregierung gegen diese Vertragsverletzung unternommen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Lötzsch, mit Vertrag vom 24. November 1992 hat der Bundesminister der Verteidigung Ex-NVA-Schiffe an Indonesien verkauft. Die Zweckbestimmung der Schiffe bezieht sich vertragsgemäß auf den Küstenschutz, die Sicherung der Seewege sowie die Bekämpfung der Piraterie, insbesondere im Bereich des Drogenhandels. Die genannten Einsatzzwecke haben für Indonesien mit seinen mehr als 14 000 Inseln erhebliche Bedeutung. Nach ersten Erkenntnissen sind bei der Aceh-Operation circa 20 indonesische Schiffe im Einsatz, darunter auch Ex-NVA-Schiffe. Dabei werden die genannten 20 Schiffe dem Anschein nach unter anderem für Mannschaftstransporte, aber auch für den Transport von Lebensmitteln für die Bevölkerung von Aceh eingesetzt. Der Bundesregierung ist der konkrete Einsatz von ExNVA-Schiffen zurzeit nicht hinreichend bekannt, um eine abschließende sachliche und rechtliche Bewertung vornehmen zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie und auf welchem Weg hat die Bundesregierung davon erfahren, dass die Schiffe auch zum Transport von Truppen verwendet werden, und wie gedenkt die Bundesregierung zu einer „abschließenden Bewertung“ - wie Sie es ausgedrückt haben, Herr Staatssekretär - dieses Vorgangs zu kommen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Die Frage, in welchem Umfang die Schiffe auch zum Transport von Truppen eingesetzt werden, ist zunächst einmal hypothetisch, weil das der Bundesregierung nicht hinreichend bekannt ist. Die Sach- und die Rechtsfrage, die Sie angesprochen haben, müssen noch abschließend geklärt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich möchte meine Frage wiederholen, weil ich den Eindruck habe, dass sie nicht richtig beantwortet worden ist. Könnten Sie vielleicht etwas präziser ausführen, wie die Bundesregierung vorgeht, um aufzuklären, in welchem Umfang diese Schiffe vertragswidrig genutzt werden? Und vor allen Dingen: Was will die Bundesregierung tun, um diesen Zustand zu beenden?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Zunächst einmal unterstellen Sie, dass die Schiffe vertragswidrig eingesetzt worden sind. Hinweise darauf liegen der Bundesregierung zurzeit nicht vor. Wir stehen mit unseren Botschaften und Konsulaten in Verbindung, um zu erfahren, ob vertragsgemäß gehandelt wird oder nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Der Kollege Kretschmer, der zwei Fragen dazu eingereicht hat - dabei handelt es sich um die Fragen 2 und 3 -, befindet sich noch in einer Ausschusssitzung, wie mir gerade mitgeteilt wurde, sodass wir darum bitten, diese Fragen schriftlich zu beantworten. Dies gilt offenkundig auch für die Fragen des Kollegen Marschewski zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, die ich ebenfalls schriftlich zu beantworten bitte. ({0}) - Herr Kollege Marschewski, wenn Sie Ihr Einzugstempo noch ein klein wenig beschleunigen könnten, dann bestünde die Möglichkeit, die beinahe schon zur schriftlichen Beantwortung überwiesenen Fragen noch mündlich zu beantworten. Wir kommen zu Frage 4 des Kollegen Erwin Marschewski: Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Rechtsauffassung zu, wonach Art. 49 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Union, EUV, für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindend ist, dem Beitrittsgesuchen eines Staates nur zuzustimmen, wenn dieser die in Art. 6 Abs. 1 EUV festgeschriebenen Grundsätze achtet, und welche eigenen Prüfungen hat die Bundesregierung unternommen, um die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 EUV genannten Grundsätze in Bezug auf die Beitrittskandidaten zu überprüfen? Herr Staatsminister Bury, bitte.

Not found (Gast)

Herr Präsident, ich hatte schon vermutet, dass der Kollege Marschewski in der Zwischenzeit die Gelegenheit wahrgenommen hat, meine Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bosbach, Marschewski und anderer vom 8. April zu lesen; denn in dieser Kleinen Anfrage sind die gleichen Fragen gestellt, die heute erneut eingereicht worden sind. Wenn Herr Marschewski in der Zwischenzeit die Gelegenheit zum Lesen meiner Antwort nicht gehabt haben sollte, möchte ich gerne noch einmal auf die gestellten Fragen antworten. Nach Art. 49 Abs. 1 des EU-Vertrags ist die Achtung der in Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrags genannten Grundsätze eine Voraussetzung für die Beitrittsfähigkeit neuer Mitgliedstaaten. Der Beitrittsantrag wird an den Rat als Organ der EU gestellt. Dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission, das heißt, er stützt sich unter anderem auf deren Bewertung, und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Nur wenn der Rat einstimmig zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein Beitrittskandidat die Voraussetzungen für den Beitritt erfüllt, fasst er einen positiven Beschluss über dessen Beitrittsantrag. Die daraufhin erforderliche Anpassung der Verträge wird durch einen Vertrag geregelt, der von den Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern ratifiziert werden muss. Den Entscheidungen über den Beitritt liegen jeweils die Analysen der Europäischen Kommission und auch deren Fortschrittsberichte zugrunde. Diese wurden von der Bundesregierung sorgfältig geprüft und mit eigenen Erkenntnissen einschließlich der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen abgeglichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Staatsminister, ich habe natürlich Ihre Antwort gelesen. Weil diese Antwort unvollständig und oberflächlich ist und weil ich meine, dass das Fragerecht des Parlaments missachtet worden ist, habe ich die betreffenden Fragen erneut gestellt. Sie haben nur auf Verfahrensfragen und nicht auf das geantwortet, wonach ich gefragt habe. Ich frage deshalb noch einmal: Was hat die Bundesregierung genau unternommen, wenn sie schon der Auffassung ist, dass Art. 49 und Art. 6 des EU-Vertrags Gültigkeit haben? Ich möchte wissen, welche konkreten Handlungsschritte die Bundesregierung in Bezug auf die Verträge unternommen hat.

Not found (Gast)

Herr Kollege Marschewski, ich habe Ihnen gerade eben - ebenso wie in meiner Antwort auf Ihre Kleine Anfrage - das Verfahren präzise beschrieben und auch gesagt, auf welche Erkenntnisse sich die Bewertung stützt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, das Verfahren kenne ich natürlich. Ich habe aber gefragt, was die Bundesregierung ganz konkret getan hat, um zum Beispiel die Tschechische Republik oder andere Länder auf die Verpflichtung nach Art. 49 und Art. 6 des EU-Vertrags hinzuweisen. Haben Sie vielleicht gar nichts getan?

Not found (Gast)

Herr Kollege Marschewski, nach dem eben beschriebenen Verfahren sind die Verfahrensbeteiligten, das heißt auch wir, zu der Auffassung gekommen, dass die Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllt sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe Frage 5 des Kollegen Marschewski ({0}) auf: Wie bewertet die Bundesregierung die fortdauernde Geltung des als „Straffreistellungsgesetz“ bezeichneten, in der Tschechoslowakei verabschiedeten, Gesetzes Nr. 115 aus dem Jahre 1946 vor dem Hintergrund der sich aus Art. 49 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EUV ergebenden Verpflichtung und was gedenkt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund zu unternehmen?

Not found (Gast)

Hinsichtlich des so genannten Straffreistellungsgesetzes, Gesetz Nr. 115, gilt für die Bundesregierung die deutsch-tschechische Erklärung von 1997, in der die tschechische Seite die im Zusammenhang mit der Vertreibung stehenden „Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen“ stehen, bedauert. Sie bedauert ebenfalls, dass es „aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und dass infolgedessen diese Täter nicht bestraft wurden“.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Staatsminister, natürlich kenne ich die Erklärung von 1997, in der die Exzesse bedauert werden. Da ich aber auch weiß, dass Herr Spidla, der neue Ministerpräsident, gesagt hat, die betreffenden Dekrete und das Straffreistellungsgesetz, das Verbrechen an Ungarn und Deutschen für nicht rechtswidrig erklärt, seien gültig und werden weiter gültig sein, frage ich: Was tut die Bundesregierung, um eine Änderung zu erreichen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Marschewski, die jetzige Bundesregierung - das gilt im Übrigen auch für alle vorherigen Bundesregierungen - hat die entschädigungslose Enteignung und Ausbürgerung Deutscher aus der ehemaligen Tschechoslowakei auf der Grundlage der Benes-Dekrete immer für völkerrechtswidrig gehalten. Die deutsche Rechtsauffassung ist der Tschechischen Republik bekannt. In einer Resolution vom 24. April 2002 erklärt das tschechische Parlament einstimmig, dass die BenesDekrete konsumiert sind und auf ihrer Grundlage heute keine neuen rechtlichen Verhältnisse mehr entstehen können. Auf die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 habe ich bereits in der vorangegangenen Antwort hingewiesen. Wichtig ist mir Folgendes: Gegenstand dieser Deutsch-Tschechischen Erklärung ist auch die gemeinsame Auffassung, dass beide Seiten ihre Beziehungen zukunftsgerichtet weiterentwickeln und nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage, Herr Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie mit mir einer Meinung, dass zukunftsgerichtete Politik auch beinhaltet, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen? Ich verstehe deshalb nicht, dass Herr Spidla einfach sagen kann, diese Straffreistellungsgesetze zum Beispiel seien gültig, würden weiter gültig sein, möglicherweise mit Konsequenzen, und ich bitte Sie, etwas dagegen zu unternehmen.

Not found (Gast)

Herr Kollege Marschewski, ich stimme Ihnen darin zu, dass sich zukunftsgerichtete Politik mit der Vergangenheit auseinander setzen muss. Ganz im Geist der Deutsch-Tschechischen Erklärung will ich Ihnen aber sagen, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht den Blick auf die gemeinsame Zukunft verstellen darf.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, hat denn die Bundesregierung geprüft, ob dieses Straffreistellungsgesetz, das Gesetz Nr. 115, noch bis heute Wirkungen entfaltet, und, wenn ja, ob diese mit Art. 49 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrages in Einklang stehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Koschyk, auch Ihnen muss ich jetzt mit dem Verweis auf das bereits vorher dargestellte Verfahren antworten. Auch jenseits dieses Verfahrens liegen uns keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Grundsätze in den Ländern, die zum 1. Mai 2004 der EU beitreten werden, nicht eingehalten würden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist Ihnen die Erklärung des Europäischen Parlaments bekannt, in der es heißt, dass nach dem Beitritt der Tschechischen Republik alle Bürger der Europäischen Union auf dem Gebiet des Landes die gleichen Rechte haben, dass In-absentia-Urteile außer Kraft gesetzt werden, dass das Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946 vom Standpunkt moderner Rechtsstaatlichkeit keine Existenzberechtigung hat, und wie handeln Sie, wenn Ihnen das bekannt ist?

Not found (Gast)

Welche Handlungsnotwendigkeit leiten Sie aus der von Ihnen zitierten Erklärung ab? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatsminister, wir führen keine wechselseitige Befragung durch. Aufgerufen ist die Fragestunde. ({0}) Da bleibt es Ihnen natürlich völlig unbenommen, zu entscheiden, ob überhaupt und, wenn ja, wie Sie eine gestellte Frage beantworten wollen.

Not found (Gast)

Ich kann nur verweisen auf die Antworten auf die bereits mehrfach angesprochene Kleine Anfrage, die sich mit dem exakt gleichen Sachverhalt und mit den teilweise wörtlich gleichen Fragen befasst, und auf die zuvor auf die Fragen der Kollegen gegebenen Antworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen zu diesem Komplex liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Staffelt zur Verfügung.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte darum, dass ich zu Beginn eine kurze Einführung zu den Fragen 6 bis 11 der Abgeordneten Dr. Pfeiffer, Hochbaum und Dr. Kues voranstellen darf. Im Rahmen der so genannten Länderexamen ist es ein übliches Verfahren, dass ein vom OECD-Sekretariat erstellter Länderberichtsentwurf nach der Diskussion im Länderprüfungsausschuss, in dem alle OECD-Länder vertreten sind, nachträglichen Änderungen unterzogen wird. Diese dienen der sachlichen Richtigstellung von Tatbeständen. Änderungen am Berichtsentwurf können dabei sowohl vom geprüften Land selbst als auch von den übrigen im EDRC vertretenen Ländern vorgebracht werden. Gegebenenfalls gewünschte Berichtsänderungen werden vom OECD-Sekretariat in den Berichtsentwurf eingearbeitet und abschließend noch einmal allen Ländern zur Einsicht- und Stellungnahme vorgelegt. Auch jetzt sind noch Änderungen am Bericht möglich. Erst nach Zustimmung aller dort vertretenen Länder zu dem Berichtsentwurf ist die OECD zur Publikation autorisiert. Dieses Verfahren lag auch der Erstellung des Deutschlandberichts zugrunde, auf den sich Ihre Fragen beziehen. Insoweit treffen die in Ihren Fragen geäußerten Behauptungen, dass Passagen dieses Berichts „auf Wunsch der Bundesregierung“ gestrichen oder geändert wurden, nicht zu. Dieser Bericht gibt die Meinung der OECD wieder. Diese entspricht keineswegs immer auch der Auffassung der Bundesregierung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer auf: Teilt die Bundesregierung die Meinung, dass neben der Steigerung der Flexibilität auch grundlegende Schritte zur „Senkung der Arbeitskosten“ erforderlich sind?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Präsident, ich möchte die Fragen 6 und 7 gern gemeinsam beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch die Frage 7 des Abgeordneten Pfeiffer auf: Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, auf deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 - gestrichen worden?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass neben der Steigerung der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt grundlegende Schritte zur Senkung der Arbeitskosten notwendig sind. Der Deutschlandbericht der OECD weist an mehreren Stellen darauf hin, dass zur Stärkung der Wachstumskräfte in Deutschland unter anderem grundlegende Reformschritte auf dem Arbeitsmarkt notwendig sind. Dazu gehört laut OECD vor allem die Erhöhung der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Die von der Bundesregierung bereits umgesetzten wie auch die geplanten Strukturreformen - Agenda 2010 tragen zu mehr Wachstum und Beschäftigung bei. Mit den in der Agenda 2010 vorgesehen Maßnahmen werden die Arbeitsmärkte durch strukturelle Reformen flexibilisiert, die Lohnnebenkosten gesenkt und die Anreize zur Aufnahme einer regulären Beschäftigung verbessert. Die von der Bundesregierung eingeleiteten Reformschritte werden von der OECD nachdrücklich begrüßt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da Herr Staffelt beide Fragen zusammen beantwortet hat, haben Sie, Herr Pfeiffer, bis zu vier Zusatzfragen. Herr Kollege Pfeiffer, bitte schön.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen, dass es offensichtlich sachlich unterschiedliche Bewertungen durch die OECD und die Bundesregierung gebe. Mir liegt ein Auszug aus dem „Handelsblatt“ vor, in dem die OECD-interne Fassung der veröffentlichten Fassung der Bundesregierung in einer Synopse gegenübergestellt wird. In der Sache kann ich allerdings weniger inhaltliche Unterschiede erkennen; man versucht vielmehr, die entsprechenden Passagen mit „Verschleierungslyrik“ mehr oder weniger weichzuspülen, indem man von den Punkten, die hier aufgelistet sind - Sie haben einige gerade angesprochen -, einfach ablenkt. An diesen Stellen hat die Bundesregierung einfach falsch oder gar nicht agiert. Ich kann keinen sachlichen Unterschied feststellen. Man hat einfach versucht, durch Einfügungen und Streichungen vom eigenen Nichtstun und von falschen Wegen abzulenken. Teilen Sie diese Auffassung?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wie ich Ihren Formulierungen entnehme, nehmen Sie eine streng wissenschaftliche Betrachtung der Politik der Bundesregierung vor. Wie ich „Kürschners Volkshandbuch“ entnommen habe, sind Sie Diplomkaufmann. Daher kennen wahrscheinlich auch Sie das Institut des Wirtschaftsprüfers. Jedenfalls meine persönliche Erfahrung ist, dass es, nachdem ein Unternehmen seine Bücher und damit auch seine inhaltlichen Projekte hat prüfen lassen, keine einzige Begegnung mit Wirtschaftsprüfern gab, in denen es nicht auch unterschiedliche Auffassungen und Kontroversen gegeben hat, die erörtert werden mussten und die dann zu einem letztendlich vernünftigen, gemeinsam getragenen Bericht geführt haben. Ich füge an dieser Stelle ausdrücklich hinzu: Die Gelegenheit zur Stellungnahme hatten in diesem Fall nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern alle anderen Regierungen der OECD-Länder. Um einmal aus dem Nähkästchen zu plaudern: Beispielsweise vertraten die Vereinigten Staaten von Amerika oder Belgien unterschiedliche Auffassungen bei der Interpretation des ersten Berichts aus dem Länderreferat Deutschland. Es ist doch ganz selbstverständlich: Die deutsche Bundesregierung ist mit einer ganzen Delegation zur OECD gefahren. ({0}) - Ich glaube, dass sie damit ganz in der Kontinuität aller Bundesregierungen steht. Als Sie noch regierten, hat man vielleicht gar nicht gemerkt, dass die OECD etwas gemacht hat, da man „herumgeschnarcht“ hat. Wir jedenfalls haben uns mit den Fragestellungen im Einzelnen auseinander gesetzt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: die Bewertung der besonderen Lasten, die die Bundesrepublik Deutschland durch die Vereinigung zu tragen hat. Dieses Thema wird in internationalen Gremien sicherlich anders bewertet als bei uns. Ich will Ihnen an diesem Punkte nur noch einmal deutlich machen: Hierbei hat niemand versucht, zu tricksen; vielmehr sind unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht worden. Es bleibt der OECD die Möglichkeit, den aus ihrer Sicht richtigen und zutreffenden Bericht zur Beschreibung der ökonomischen Lage in Deutschland dann zu veröffentlichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da auch Sie gerade ein Beispiel genannt haben, darf ich noch einmal zitieren, was die OECD in Bezug auf die neuen Bundesländer zu berichten vorschlägt: Das Wachstum in den neuen Bundesländern stagniert derzeit auf niedrigem Niveau und die wirtschaftliche Konvergenz mit den alten Bundesländern ist zum Stillstand gekommen. Da wir damit jetzt in eine wissenschaftliche Diskussion eingestiegen sind, sollten wir den Diskurs durchaus weiter pflegen; denn Sie haben daraus gemacht: Das gesamtwirtschaftliche Wachstum in den neuen Bundesländern stagniert derzeit auf niedrigem Niveau, und die wirtschaftliche Konvergenz mit den alten Bundesländern - jetzt kommt der Höhenflug ist trotz einiger Hochwachstumsnischen im Industriesektor zum Stillstand gekommen. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich meine, das trifft wirklich zu. Mehr kann ich zu dem Thema nicht sagen. Schauen Sie sich einmal ganz bestimmte Industriezweige in Ostdeutschland an: Die leisten nicht nur Hervorragendes, sondern die sind international vernetzt und behaupten sich im internationalen Wettbewerb. Gleichzeitig haben wir - das muss man einfach sehen - ein paar Kilometer weiter große Probleme mit der Arbeitslosigkeit. Das bestreitet niemand, vielmehr beschreibt das die Lage richtig. Eine nur negative Beschreibung der Verhältnisse in Ostdeutschland wäre schlicht und einfach undifferenziert. Wir alle zusammen müssen Wert darauf legen, dass wir nicht all das nur negativ beschreiben, was übrigens die alte Bundesregierung und auch diese Bundesregierung in den letzten zwölf Jahren in Ostdeutschland zuwege gebracht haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dritte Zusatzfrage.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Teilt der Herr Staatssekretär die Auffassung, dass solche Lyrik, die durchaus in manchen Bereichen positive Zeichen zum Ausdruck bringen kann, vielleicht auch dazu führen kann, dass die Wahrnehmung der Bevölkerung oder maßgeblicher Kräfte in Deutschland getrübt wird? Ein Beispiel dafür ist ja jetzt der Streik für die 35-Stunden-Woche in den neuen Bundesländern. Demzufolge hätten wir nicht nur ein Umsetzungs-, sondern auch ein Erkenntnisproblem. Verhindert das Weichspülen des Berichts durch die Bundesregierung nicht eine weitere Erkenntnissteigerung in diesen Bereichen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Das glaube ich nicht. Mir ist nicht bekannt, dass die IG Metall bzw. der dortige Arbeitgeberverband, nachdem sie sich im Rahmen ihrer Tarifgespräche nicht haben einigen können, einen Blick in den OECD-Entwurf geworfen hätten. Vielmehr glaube ich eher, dass für deren Verhalten andere Gründe vorliegen. Bezüglich dieses Streiks kann man sicherlich zu Recht sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Aber diese Dinge jetzt miteinander in Verbindung zu setzen, halte ich für ziemlich weit hergeholt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sogar richtig ist, wenn man auch auf die Projekte in Ostdeutschland hinweist, die erfolgreich sind. Das hat auch eine motivierende Wirkung. Dass wir Strukturreformen benötigen, das bezweifelt ja niemand; wir gehen sie ja im Moment an. Genau deshalb ist es, wie ich meine, richtig, wenn die Bundesregierung bei internationalen Institutionen von ihrem Recht Gebrauch macht, ein ihrer Ansicht nach schief geratenes Bild ein Stückchen zurechtzurücken. Das ist sogar ihre Pflicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Zusatzfrage? - Keine. Weitere Zusatzfragen hierzu gibt es nicht. Dann rufe ich die Frage 8 des Abgeordneten Hochbaum auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass in Deutschland seit zwei Jahren eine „dauernde Beinahe-Stagnation“ herrscht?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wenn ich darf, möchte ich die Fragen 8 und 9 gemeinsam beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch die Frage 9 des Abgeordneten Hochbaum auf: Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der OECD auf deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 - gestrichen worden?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Die Bundesregierung bestreitet nicht, dass das Wachstum in Deutschland unterdurchschnittlich ist. Sie verweist aber darauf, dass dies bereits seit Mitte der 90er-Jahre der Fall ist. Dies kommt jetzt im OECDWirtschaftsbericht zum Ausdruck. Der Grund für die Korrektur an dem ursprünglichen OECD-Text hat einen sachlich-logischen Grund: Die Beinahe-Stagnation in den letzten zwei Jahren ist vornehmlich wie die weltweite Wachstumsschwäche, die auch die EU erfasst hat, auf konjunkturelle Entwicklungen zurückzuführen, die in Deutschland durch die Rezession im Bausektor noch verschärft wurden. Wenn die Starrheiten am Arbeitsmarkt Ursache für die Wachstumsschwäche sein sollen, dann haben sie bereits in den 90er-Jahren und nicht erst in den letzten beiden Jahren das Wachstum gedämpft; denn die Starrheiten am Arbeitsmarkt existieren in Deutschland seit geraumer Zeit. Sie haben zumindest in den vergangenen zwei Jahren insgesamt nicht zugenommen. Außerdem sind sie - auch das ist Ergebnis von Untersuchungen der OECD, des IWF und von Forschungsinstituten wie beispielsweise des IfW Kiel - keineswegs größer als in anderen großen europäischen Staaten, insbesondere in Frankreich und Italien. Im Übrigen sorgen die derzeitigen Maßnahmen und Pläne der Bundesregierung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik für einen größeren Abbau von Rigiditäten, als er bis 1998 je von den Vorgängerregierungen in Angriff genommen worden ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Hochbaum.

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, dass wir eine unterdurchschnittlich wachsende Volkswirtschaft haben. Welcher sachliche Hintergrund ist verantwortlich dafür, dass es zur Streichung dieser Einschätzung, die Sie selber gerade bestätigt haben, kam, sodass diese in der veröffentlichten Fassung nicht mehr zu lesen ist?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich will an dieser Stelle noch einmal eine Einschätzung abgeben. Wir haben niemals die Ansicht korrigiert, dass es nachdrückliche Veränderungen im Bereich des Arbeitsmarktes geben muss. Dem entspricht auch unsere Politik. Wir sind aber dagegen, mit Begriffen wie Stagnation und Deflation zu arbeiten. Wir sind der Auffassung, dass zur Kenntnis genommen werden muss, dass wir, sowohl was die Anregung der Konjunktur als auch was die Veränderung der Strukturen angeht, auf dem richtigen Wege sind. Dies wollten wir mit unserer Intervention gegenüber den OECD-Verantwortlichen deutlich machen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Nein. Dann rufe ich Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hermann Kues auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland einen hohen strukturellen Anteil aufweist?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wenn ich darf, beantworte ich die Fragen 10 und 11 gemeinsam, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch Frage 11 auf: Wenn ja, warum ist diese Passage aus dem Entwurf des Wirtschaftsberichts Deutschland Januar 2003 der OECD auf deutschen Wunsch hin - vergleiche „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 - gestrichen worden?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die derzeit in Deutschland herrschende Arbeitslosigkeit neben konjunkturellen Faktoren auch auf strukturelle Ursachen zurückzuführen ist. Die empirische Ermittlung der strukturellen Arbeitslosigkeit ist in der Wissenschaft aus methodischen Gründen äußerst umstritten. Aus diesem Grund führt die Bundesregierung auch keine entsprechenden Schätzungen durch. Dieser Standpunkt wurde auch gegenüber der OECD vertreten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir sind uns darüber einig, dass eine wichtige Voraussetzung für gezielte politische Vorschläge ist, dass man nüchtern analysiert. Das ist quasi eine zwingende Voraussetzung; ansonsten kommt man plötzlich zu Vorschlägen, bei denen man sich wundert, dass das Ergebnis, das man damit verbindet, nicht eintritt. Wenn man etwa die Diskussion um die Agenda 2010 in den letzten Wochen verfolgt hat, stellt man fest, dass über alles Mögliche diskutiert wird, aber nicht mehr über den eigentlichen Gegenstand, der damit verbunden ist. Deswegen frage ich Sie, ob es nicht vielleicht ein generelles Problem ist, dass die Bundesregierung dazu neigt, sachverständige Bewertung von außen infrage zu stellen und zurückzuhalten. Ich erinnere Sie daran, dass Minister Clement im Oktober 2002 sogar allen Wirtschaftsforschungsinstituten öffentlich die Kompetenz abgesprochen hat, weil sie im Herbstgutachten etwas gesagt haben, was ihm nicht ins Konzept passte. Sie haben nämlich Zweifel an der Wirksamkeit des Hartz-Konzeptes geäußert. Jetzt weiß keiner mehr genau, was mit Hartz-Konzept gemeint ist. Ich erwähne das deswegen, weil wir heute Morgen über die Auswirkung der Personal-Service-Agenturen diskutiert haben. Herr Clement hat damals gesagt: Ich bin mir nicht sicher, dass die Gutachter wissen, worüber sie genau reden. - Das war im Oktober 2002. Dann ist berichtet worden, dass es auch etwa zwischen der Regierung und dem Internationalen Währungsfonds zu einer Diskussion gekommen ist, weil der Fonds in einer Studie vor den Gefahren einer Deflation in Deutschland gewarnt hatte. Herr Eichel hat sich seinerzeit dazu geäußert. Ich könnte Ihnen viele andere Beispiele dafür zitieren, dass von außen, von der EU-Kommission, von OECDKommissionen oder Sachverständigen, kritische Anmerkungen gemacht worden sind und Sie entsprechend reagiert haben. Könnte es daher sein, dass die Bundesregierung ein strukturelles Problem bei der Wahrnehmung hat?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Das kann ich selbstverständlich nicht bestätigen. Ich will in diesem Zusammenhang vielmehr darauf hinweisen, dass wir wissenschaftliche Arbeiten und insbesondere auch die Aussagen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute sehr ernst nehmen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was uns in den letzten drei Jahren an Einschätzungen und Prognosen über die Entwicklung der Konjunktur und über das Wachstum geliefert wurde, dann müssen Sie mir konzedieren, dass wir zumindest die Verpflichtung haben, das, was an Zahlen geliefert wird, kritisch zu hinterfragen. Genau das war die Absicht von Herrn Clement. Ich muss Ihnen ganz offen gestehen, dass ich im Gegensatz zu Ihnen sehr wohl weiß, was Hartz bedeutet. Die Umsetzung dieses Konzepts war ein großer Reformschritt. Dieses Konzept werden wir mit Hartz III und IV in den nächsten Wochen und Monaten weiterentwickeln. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir sehr wohl den wissenschaftlichen Rat ernst nehmen, uns aber auch erlauben, ihn kritisch zu hinterfragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine kurze Bemerkung zu Ihrer Antwort: Es ist ja so, dass Herr Hartz es total ablehnt - dazu gibt es eindeutige Äußerungen von ihm -, dass dieses Konzept mit seinem Namen verbunden wird. Nun zu meiner Frage. Nach meinen Informationen wird in OECD-Kreisen gesagt, Veränderungen an Berichten habe es immer gegeben, aber noch nie in dem Ausmaß, wie das derzeit der Fall sei. Ich will einmal Bert Rürup zitieren, der bei Ihnen in den unterschiedlichsten Funktionen tätig ist und der häufig Erklärungen abgibt. Zu dem deutschen Redigiereifer sagt er Folgendes: Kritik aus internationalen Organisationen ist für eine Regierung besonders schmerzhaft. Er sagt weiter, dass es bei nationalen Kritikern leichter sei, diese als interessengeleitet abzutun. Wie beurteilen Sie diese Aussage von Herrn Rürup?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich finde die Aussagen von Herrn Rürup grundsätzlich interessant und höre sie mir an. Sie werden mir aber sicherlich an dieser Stelle nachsehen, wenn ich mich nicht jeder seiner Äußerungen anschließe. In dem Zusammenhang sei noch eines gesagt: Für mich sind die internationalen Institutionen wie beispielsweise die OECD und der IWF wichtige Einrichtungen, die ihren Zweck auf internationaler Ebene erfüllen. Aber nicht umsonst verfügen sie über Länderreferate und nicht umsonst bedarf es eines eingehenden Dialoges zwischen den Ländern, die untersucht und beurteilt werden, und diesen Institutionen. Sie wissen, dass auch in unseren Gesprächen unterschiedliche Auffassungen, unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliche Lehren zum Ausdruck kommen. Das ist doch ganz normal. Ebenso normal finde ich es, wenn es einen Diskurs mit internationalen Organisationen über strittige Punkte gibt. Eine aktive Bundesregierung wird sich in einen solchen Diskurs selbstverständlich einschalten. Ich hatte das Vergnügen, vor einigen Monaten in den USA zu sein, als der IWF-Bericht vorbereitet wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es die Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Agenda 2010. Diese hat auf den Bericht des IWF zu Deutschland einen ganz erheblichen, positiven Einfluss ausgeübt. Sie sehen, es gibt eine Dynamik. Wir schalten uns aktiv in die Diskussion ein. Im Übrigen muss man unseren Standpunkt nicht teilen. ({0}) Dass man das aber - zumindest partiell - getan hat, spricht wohl dafür, dass auch von der Sache her an den Argumenten etwas drangewesen sein muss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie passt dazu die Rede des Bundeskanzlers, die er anlässlich der 40-Jahr-Feier des Sachverständigenrates am 6. Mai, also nach Bekanntgabe der Agenda 2010, gehalten hat? Er hat gesagt: Wir brauchen gerade in Zeiten, in denen es schwieriger wird, wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen durchzusetzen, - das stimmt eher mehr Beratung durch unabhängige Gremien als weniger. Er sagt weiter: Beratung durch kompetente Dritte ist für jeden handelnden Politiker eine wertvolle Unterstützung. Das gilt auch dann, wenn einem die Gutachten nicht in den Kram passen. Wie passt das zu Ihrer Stellungnahme?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich finde, das ist wieder einmal eine der richtungsweisenden Äußerungen des Bundeskanzlers. Er hat das völlig richtig beschrieben. Fast alle von Ihnen sind wissenschaftlich geschult. Sie wissen doch, wie das geht - das lernt man doch an den Universitäten -: Die Professoren A, B, C und D vertreten unterschiedliche Standpunkte, haben unterschiedliche Sichtweisen, kommen aus anderen Wissenschaftsschulen. Auseinander setzen darf man sich. Dass es das gibt, ist wichtig. Dass man sich damit auseinander setzt, ist wichtig. Aber man muss sich nicht jedem Professor anschließen, der irgendetwas zur Ökonomie in Deutschland, in Europa oder in der Welt sagt. Darin sollten wir eigentlich übereinstimmen. Das könnte auch Ihnen irgendwann einmal wieder passieren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine letzte Zusatzfrage? - Keine mehr. Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn wir uns im Hinblick auf die Bundesregierung das wissenschaftliche Prinzip von Trial und Error vor Augen führen, dann kommen wir zu dem Ergebnis: Es gibt wenig Trial, aber ziemlich viel Error. Wir haben erleben dürfen, dass der Bundesfinanzminister für 2004 angekündigt hat, einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Jetzt hat der Bundeskanzler am Rande des G-8-Gipfels in Evian erklärt, man werde wahrscheinlich auch im Jahre 2004 die Maastricht-Kriterien verletzen. Ich habe dazu zwei Fragen. Die erste Frage ist: Meinen Sie nicht, dass wir in der Haushaltspolitik weiter wären, wenn die Bundesregierung den Analysen der OECD folgen und nicht versuchen würde, sie umzuinterpretieren? Meine zweite Frage ist: Ist es nicht auch Ihre Ansicht, dass der Deutsche Bundestag für eine solche Mitteilung das richtige Gremium gewesen wäre? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da gerade zwei Fragen gemeinsam beantwortet worden sind, besteht zu jeder dieser beiden Fragen die Möglichkeit einer Zusatzfrage. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich denke, dass es sich der Bundeskanzler nicht nehmen lassen wird, diese Position im Zweifel auch hier im Deutschen Bundestag mit allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu erörtern. Der Gipfel in Evian war natürlich ein besonderes Ereignis, auf dem dazu Stellung genommen werden musste. Denn ich bin ganz sicher, dass die Regierungschefs genau über diese Frage gesprochen haben. Wir wissen ja, dass es in Bezug auf die MaastrichtKriterien zusammen mit den Franzosen, den Briten und anderen Europäern Überlegungen gibt, in dieser besonderen Situation, in der nicht nur wir Deutsche uns, sondern sich auch die anderen Europäer befinden, ein Stück mehr Spielraum zu schaffen, damit wir der Konjunktur entsprechende Impulse geben können. Dies haben wir im Übrigen hier im Hause schon mehrfach erörtert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär Staffelt, es ist unbestritten in diesem Hause, dass es möglich sein muss und gewünscht ist, sich mit Gutachten und wissenschaftlichen Ausarbeitungen auseinander zu setzen; das ist keine Frage. Prognosen, auch Prognosen der Bundesregierung, muss man in der Tat genauso kritisch hinterfragen. Insofern stelle ich jetzt an Sie, Herr Staatssekretär, eine Frage, was die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr in Bezug auf unsere Wirtschaft betrifft. Wir haben immer wieder Korrekturen erlebt. Die letzte Korrektur, die die Bundesregierung vorgenommen hat, betraf die Änderung der Prognose des Wirtschaftswachstums von 1 auf 0,75 Prozent. Ihnen ist sicher bekannt, dass in der Wirtschaftsfachwelt leider damit gerechnet wird, dass unser Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr wahrscheinlich nur noch 0,4 bis 0,5 Prozent betragen wird. Wie lautet die aktuelle Wachstumsprognose der Bundesregierung?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich kenne keine neue Wachstumsprognose der Bundesregierung über das hinaus, was Sie bereits angeführt haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Fritz auf: Wann wird die Bundesregierung von ihr selbst als „überlegenswert“ erachtete gesetzliche Maßnahmen ergreifen „Handelsblatt“ vom 28. Mai 2003 -, die es ermöglichen, von kollektiven Tarifverträgen abzuweichen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Präsident, Herr Kollege Fritz, ich darf die Fragen 12 und 13 wieder zusammen beantworten?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch die Frage 13 des Kollegen Fritz auf: Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wie Sie wissen, setzt sich die Bundesregierung dafür ein, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen und damit ihren Erfolg auf dem Weltmarkt stärken. Nur so kann es gelingen, neue und zusätzliche Impulse zur Sicherung und zum Aufbau von Arbeitsplätzen zu geben. In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, im Rahmen der Flächentarifverträge genügend Freiräume zu schaffen, um auf betriebsspezifische Problemlagen reagieren zu können und Unterschieden in der Qualifikation der Beschäftigten Rechnung zu tragen. Zur flexiblen Anpassung der Tarifverträge an die Bedürfnisse der Betriebe und der Arbeitnehmer sind in den letzten Jahren vermehrt Öffnungsklauseln, Härtefallregelungen und andere Differenzierungsbestimmungen in die Tarifverträge aufgenommen worden. Sie ermöglichen den betrieblichen Akteuren unter bestimmten Bedingungen beim Einkommen und bei der Arbeitszeit von normierten Standards der Flächentarifverträge abzuweichen und betriebsspezifische Regelungen zu vereinbaren, insbesondere zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Diese Möglichkeiten der verstärkten Flexibilität innerhalb des bestehenden Tarifvertragssystems sind nach Ansicht der Bundesregierung der richtige Ansatz, die Vorteile des Flächentarifvertrages für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit der notwendigen Flexibilität auf betrieblicher Ebene zu verbinden. Die Tarifvertragsparteien stehen gemeinsam in der Verantwortung, die Flexibilitätsmöglichkeiten im Tarifgefüge weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege Fritz.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, der OECD-Bericht enthält einen deutlichen Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die Möglichkeiten, von kollektiven Tarifverträgen zugunsten von Vereinbarungen zwischen den Beschäftigten und dem Management eines Unternehmens abzuweichen, verbessert werden müssen. Die Bundesregierung hat in der veröffentlichten Fassung in diesem Zusammenhang die Formulierung „überlegenswert“ benutzt. Deshalb frage ich Sie noch einmal - Sie haben das noch nicht beantwortet -: Wann werden diese Überlegungen in konkrete Gesetzesvorlagen überführt?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich darf darauf hinweisen, dass in Deutschland noch immer die Tarifautonomie gilt und die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen die Tarife selbstverständlich aushandeln. Herr Kollege Fritz, ich möchte darauf verweisen, dass wir bei näherem Hinschauen konzedieren müssen, dass die in bestehenden Tarifverträgen existierenden Möglichkeiten - auch das ist ein Teil der Wahrheit - bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Wir stimmen in der Auffassung überein, dass darüber hinaus - das stoßen wir an - manches zu tun ist. Die Tarifpartner sollten aber noch stärker dafür Sorge tragen, dass die Möglichkeiten betrieblicher Regelungen im Rahmen existierender Tarifverträge dort, wo es angebracht und notwendig ist, ausgeschöpft werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Formulierung, die Sie der OECD übermittelt haben, lautet: Überlegenswert wäre eine Erweiterung des Spielraums für die Lohnfestsetzung auf betrieblicher Ebene, um so eine bessere Anpassung der Tarifverträge an die Arbeitsmarktbedingungen zu erreichen. Jetzt sagen Sie hier, das sei Sache der Tarifpartner. Warum haben Sie dann auf den deutlichen Rat der OECD, die Gesetzgebung in diesem Zusammenhang zu ändern, mit einem entsprechenden Änderungsvorschlag reagiert?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich gehe fest davon aus - das sage ich ausdrücklich -, dass die Tarifpartner in Fortsetzung der sehr erfolgreichen Tradition der Bundesrepublik Deutschland ein hohes Maß an Verantwortung an den Tag legen müssen. Das sollte nicht in erster Linie per Gesetz geregelt werden. Ich bin der Auffassung, dass wir die besondere Verantwortung der Tarifpartner in vollem Umfang einfordern sollten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Niebel auf: Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass gemeinnützig wirkende und nicht auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen nicht als Personal-Service-Agenturen tätig werden können und Bewerbungen deshalb abgelehnt werden müssen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Jeder, der eine Personal-Service-Agentur betreiben will, muss im Besitz einer Verleiherlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sein. Dies gilt auch für gemeinnützige Einrichtungen. Nach den Vorstellungen der Hartz-Kommission, auf die das neue arbeitsmarktpolitische Instrument der Personal-Service-Agenturen zurückgeht, sollen diese durch den Verleih der Leiharbeitnehmer Einnahmen erzielen, also gewerbsmäßig tätig werden. Gemeinnützige Träger, die bislang als nicht gewerbsmäßige Verleiher aufgetreten sind und deshalb keine Verleiherlaubnis benötigten, können dies weiterhin tun, jedoch nicht als Personal-Service-Agenturen. Wollen sie sich an den Ausschreibungen für eine Personal-ServiceAgentur beteiligen, so müssen sie hierfür Ausgründungen vornehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir wahrscheinlich zu, dass sehr viele gemeinnützige, meist auch kommunale Beschäftigungsgesellschaften gute Erfolge mit der Vermittlung gerade besonders schwieriger Personengruppen haben. Dann würde es doch eigentlich auch Sinn machen, wenn solche Gesellschaften als Personal-ServiceAgenturen dieses neue Segment der Arbeitsmarktpolitik mit übernehmen könnten, ohne dass sie plötzlich von ihrer Gemeinnützigkeit hin zur Gewerbsmäßigkeit abdriften müssten. Würden Sie es nicht für sinnvoll erachten - im Hinblick auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und vor dem Hintergrund, dass die Personal-Service-Agenturen pro Fall einen Zuschuss bekommen, der natürlich, wenn man nicht auf Gewinn ausgerichtet arbeitet, niedriger sein kann, als wenn man Gewinn machen muss -, gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaften die Teilnahme am Wettbewerb der Ausschreibungen für Personal-Service-Agenturen zu ermöglichen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich darf auf unsere Diskussion von vor einer Stunde oder vor zwei Stunden im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit verweisen. Da haben Sie ein Beispiel angeführt, das deutlich gemacht hat, wie schwierig es in diesem Felde mit dem Wettbewerb ist. Es ist ja ganz selbstverständlich: Wenn Sie ein gemeinnütziges Unternehmen als PSA beauftragen und arbeiten lassen, das sozusagen gar nicht gewinnorientiert arbeiten muss, führen Sie damit eine noch größere Schieflage gegenüber den privaten Zeitarbeitsfirmen herbei. Deshalb kann ich nur noch einmal sagen: Wir glauben, dass es denkbar ist, mit Ausgründungen zu arbeiten. Wir wollen ganz bewusst die Beauftragung von privaten Unternehmen durch die Arbeitsämter auf der Grundlage der freiwilligen Bildung eines spezifischen Honorars. Ob dann Probleme rechtlicher Art bei der Ausgründung entstehen, sodass insgesamt die Gemeinnützigkeit infrage gestellt wäre, ist eine Frage, die wir natürlich nicht beantworten können; diese Frage muss letztlich von den Finanzämtern beantwortet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie stimmen mir offenkundig darin zu, dass die Gefahr der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei einer Ausgründung natürlich besteht. Stimmen Sie mir tatsächlich dahin gehend nicht zu, dass, wenn eine gemeinnützige Personal-Service-Agentur die Vermittlung übernehmen würde, die Zuschüsse der Bundesanstalt an diese Personal-Service-Agentur geringer sein könnten als bei einer gewerbsmäßigen Arbeitnehmerverleihfirma?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Herr Kollege Niebel, ich bin jetzt etwas überrascht.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich es anders formulieren?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Üblicherweise kommt aus den hiesigen Reihen, die so nahe an der Regierung, aber nicht in der Regierung sind, immer der Hinweis darauf, dass alles, was öffentlich ist, vom Grunde her eigentlich teurer und ineffizient ist.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es gibt private gemeinnützige Gesellschaften!

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Auch diese gibt es. Dennoch: Sie haben den Hauch des Öffentlichen, während die Privaten das sehr viel besser können. Ich finde, das ist keine Frage, in der man sich politisch streiten muss. Das Beste, was hier machbar ist und der Sache dient, soll auch zum Zuge kommen. Vor dem Hintergrund allerdings ist die jetzige Rechtslage - dazu habe ich Ihnen eben Auskunft gegeben -, dass gemeinnützige Einrichtungen dieser Art solche Aufträge nicht in der Form übernehmen können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Werner Lensing auf: Soll durch die gezielte Besetzung einer „fachkundigen Stelle“ im Zusammenhang mit der Ausgabe von Bildungsgutscheinen eine Substitution anstelle eines Bundesrahmengesetzes für Weiterbildung geschaffen werden?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Die fachkundigen Stellen sollen künftig im Bereich der nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch geförderten Weiterbildung Träger und Maßnahmen zertifizieren. Substituiert wird nach Implementierung des Verfahrens die derzeitige Anerkennung von Weiterbildungsträgern und -maßnahmen für die Weiterbildungsförderung durch die Arbeitsämter. Diese Zulassung wird Voraussetzung dafür sein, dass die Teilnahme an solchen Weiterbildungsangeboten mit Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit gefördert werden kann. Das Verfahren soll sich nach einer noch zu erlassenden Rechtsverordnung nach dem SGB III richten und gilt dementsprechend auch nur für die Weiterbildungsförderung nach dem SGB III. Herr Präsident, das war jetzt die Antwort auf Frage 15. Die Antwort auf Frage 16 erfolgt extra. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Lensing, dann können Sie Ihrer Freude in Form einer Zusatzfrage Ausdruck verleihen.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine Freude wäre besonders groß, wenn ich zwei Zwischenfragen stellen dürfte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, aber bitte der Reihe nach. ({0})

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wollen das Auffassungsvermögen der Regierung auch nicht überstrapazieren. Herr Staatssekretär, mit der Schaffung der „fachkundigen Stelle“ erhofft man sich einen Einfluss auf den Weiterbildungsmarkt. Daher frage ich Sie: Wer wird eigentlich die „fachkundige Stelle“ überwachen, um Missbrauch bei der Zertifizierung zu verhindern?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich gehe davon aus, dass Missbrauch dadurch verhindert wird, dass sich die entsprechenden Arbeitsämter genau anschauen, wer beauftragt wird und wie die Beauftragung im Einzelnen ablaufen wird. Darüber wird es Erfahrungsberichte und dementsprechend eine Fortsetzung der Beauftragung oder gegebenenfalls Korrekturen geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe im Vorfeld gehört, dass man sich darum bemüht, dass diese „fachkundige Stelle“, die insgesamt etwas unklar definiert ist, kostenneutral arbeitet. Ich kann mir das aber nicht vorstellen. Daher ergibt sich für mich die Frage, ob die entstehenden Kosten auf die Weiterbildungsträger abgewälzt werden sollen oder ob man auf andere vorhandene Strukturen zurückgreifen möchte.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich gehe davon aus, dass man im Zuge der Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit und der entsprechenden Arbeitsämter auf andere vorhandene Strukturen zurückgreifen und dann aus diesem Gesamtpool die entsprechende Kompetenz herausziehen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum wurden bei der Ausgabe von Bildungsgutscheinen angesichts der schlechten Erfahrungen mit der Ausgabe von Gutscheinen für eine Arbeitsvermittlung - es sind wohl nur etwa 5 Prozent überhaupt eingelöst worden - nicht zuvor Testläufe in ausgewählten Arbeitsamtsbereichen durchgeführt?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Mein Eindruck ist der, dass sich die Lage bezüglich der Bildungsgutscheine deutlich verbessert hat. Die Träger - das dürfen Sie nicht vergessen - haben Zeit gebraucht, um sich darauf einzustellen. Heute hat - jedenfalls nach meinem Kenntnisstand - das Thema Bildungsgutscheine nicht mehr die Brisanz, die es noch zu Beginn der Diskussion hatte. Vergessen Sie bitte nicht: Wir wollen ausdrücklich Wettbewerb und einen Prozess, an dessen Ende sich Qualität durchsetzen kann. Auch das ist ein Teil des Gesamtkonzepts, das wir über eine Modernisierung des Förderns und Forderns erreichen wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Lensing auf: Inwieweit sind durch die Einführung der Bildungsgutscheine kleine und mittlere Bildungseinrichtungen dadurch benachteiligt, dass die Kosten für eine Zertifizierung bzw. Zulassung unabhängig von der Größe der Einrichtung beziffert werden und überregional tätige Träger sich lediglich für einen einzigen Durchführungsstandort zuzulassen haben, sodass für Träger, die nur an einem Ort tätig sind, die gleichen Kosten wie für bundesweit tätige Träger mit vielen „Filialen“ entstehen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Derzeit nehmen die Arbeitsämter der Bundesanstalt für Arbeit übergangsweise noch die Aufgaben der „fachkundigen Stelle“ für die Anerkennung von Weiterbildung wahr. Kosten entstehen den Bildungsträgern in diesem Zusammenhang nicht. Das haben wir im Grunde schon erörtert. Das Nähere zum zukünftigen Zertifizierungsverfahren wird in einer Rechtsverordnung geregelt, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung erlassen wird. In diesem Zusammenhang werden auch Notwendigkeit und Umfang von Kostenregelungen geprüft. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass auch in diesem Bereich die Kosten aufwandsbezogen abgerechnet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Staffelt, kann ich Ihre Auskunft so verstehen, dass Sie nicht glauben, eines Tages vor der Frage zu stehen: Wie gehen wir mit kleinen und mittleren Weiterbildungsunternehmen um, die sich der Zertifizierung stellen müssen? Ich frage das vor dem Hintergrund dessen, dass ich gehört habe, die Kosten für die Zertifizierung würden unabhängig von der Größe des Unternehmens anfallen. Wenn das stimmt, sehe ich die Gefahr, dass kleine, aber qualifizierte Anbieter nicht zum Zuge kommen können, weil die eigene finanzielle Grundlage dafür nicht ausreicht und man nicht mit einer Unterstützung vonseiten des Arbeitsamtes oder von wem auch immer rechnen kann.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wir legen dennoch - dessen dürfen Sie gewiss sein großen Wert darauf, dass auch die kleinen Unternehmen ihre Chance erhalten, wenn sie die entsprechende Qualität liefern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen Hochbaum.

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wann soll die Einrichtung der von Ihnen so gelobten „fachkundigen Stelle“ abgeschlossen sein?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich diese Stelle ausdrücklich gelobt habe. Aber wenn Sie das sagen, dann werde ich das wohl gemacht haben. - Wir wollen die Rechtsverordnung so schnell wie möglich in Kraft treten lassen und damit eine Regelung für den gesamten Sektor erreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen haben die Bildungsgutscheine derzeit in der Praxis? Ist es richtig, dass die Arbeitsämter die Vergabe eines Gutscheins teilweise an die Vorlage einer Einstellungszusage binden, dass also ein Arbeitnehmer schon bei der Vergabe vorweisen muss, in welchem Unternehmen er später anfangen wird? Ist es richtig, dass es vorkommt, dass Lehrgänge nicht zustande kommen und Bildungsträger Konkurs anmelden müssen, weil sich auf einem größeren Markt drei oder vier Anbieter tummeln, die jeweils dieselben Leistungen anbieten, aber zu wenige Anmeldungen vorliegen, um die Kurse letztlich durchzuführen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Es ist keine Frage, dass es im Zusammenhang mit den Reformen am Arbeitsmarkt zu Umstrukturierungen auch in diesem Bereich kommen wird. Das liegt doch auf der Hand. Was diese Einzelfälle betrifft, so werden Sie es mir hoffentlich nicht verübeln, dass ich Ihnen sagen muss, dass ich das nicht beurteilen kann. Ich bin hier schließlich zur Wahrheit verpflichtet. Ich bin aber daran interessiert, wenn Sie mir von einem solchen Vorfall schwarz auf weiß berichten könnten, damit wir ihn uns anschauen und gegebenenfalls überprüfen können. Das wäre, wie ich denke, ganz in Ihrem Interesse.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie hoch ist zurzeit der Rücklauf von ausgegebenen Bildungsgutscheinen bei den lokalen Arbeitsämtern? Haben Sie eine Übersicht darüber?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Das kann ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen? - Frau Kollegin Connemann, bitte.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Anzahl und Volumen der Weiterbildungsmaßnahmen werden von der Bundesanstalt für Arbeit von vornherein quantifiziert. Inwieweit wird das nach Ihrer Ansicht zu mehr unnötiger Regulierung führen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wir arbeiten gerade daran, dass weniger reguliert wird, dass sich die Menschen schneller qualifizieren können und dass Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte schneller in den Arbeitsmarkt zurückkommen. Dass es dabei Übergänge gibt, liegt auf der Hand. Aber wir alle waren uns einig - auch wenn Sie andere Akzente gesetzt hätten -, dass wir in Deutschland in dieser Frage besser werden müssen. Daran arbeiten wir. Vor diesem Hintergrund kann es in Übergangsphasen hier oder da etwas knirschen. Wir glauben aber, dass es große Anstrengungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsämter wie auch eine hohe Motivation gibt, sich erfolgreich in den Prozess der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit einzubringen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Zusatzfrage. Herr Kollege Lensing, bitte.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf, da ich zwei Fragen eingereicht habe, noch eine weitere Zusatzfrage stellen. Deswegen erlaube ich es mir, mich noch einmal zu melden. Ist es richtig, dass lokale Arbeitsämter die Ausgabe eines Bildungsgutscheins von der Vorlage einer Einstellungszusage abhängig machen oder zumindest abhängig gemacht haben?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Danach hatte eben Ihr Kollege schon gefragt.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war mir durch Ihre Antwort nicht klar geworden.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Es gibt natürlich Einzelfälle. Bitte nehmen Sie mir nicht übel, dass ich dazu jetzt nichts sagen kann. Ich hatte Ihren Kollegen darum gebeten, mir Einzelfälle zu schildern. Diese schauen wir uns an und werden Ihnen - das hatte ich schon angeboten - einen schriftlichen Bericht dazu geben.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diesen Bericht hätte ich gerne.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Gut, dann machen wir das so.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Spahn: Mit welchen Ausweichreaktionen der Tabakkonsumenten in Richtung Billigmarken, Schnittware, Schmuggelware oder Internetanbieter rechnet die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Erhöhung der Tabaksteuer und wie bewertet sie dabei die rechtlichen Grundlagen für den EU-weiten Internethandel mit Zigaretten?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Die Anhebung der Tabaksteuer soll in drei Stufen erfolgen, wodurch sich der Kleinverkaufspreis einer Packung Zigaretten um insgesamt einen Euro erhöht. Über die Zeitpunkte und die jeweilige Höhe der Anhebungen der Tabaksteuer gibt es noch keine abschließende Entscheidung. Mit der Anhebung der Tabaksteuer wird die Nachfrage nach so genannten Billigmarken - auch Handelsmarken genannt -, so genannter Schnittware - oder auch Feinschnitttabake - oder anderen preisgünstigeren Alternativen, zum Beispiel aus dem Internethandel, voraussichtlich zunehmen. Eine verlässliche Vorhersage des Umfangs der Verlagerung des Konsums von Zigaretten ist allerdings nicht möglich. Der zu erwartenden Verstärkung der Nachfrage nach so genannten Billigmarken wird durch eine entsprechende Anhebung des Mindeststeuersatzes begegnet werden. Auch im Bereich der Feinschnitttabake ist eine Anhebung der Steuer vorgesehen. Hinsichtlich des Internethandels mit Tabakwaren ist Folgendes zu sagen: Zigaretten, die sich eine Privatperson von einem Händler aus einem anderen Mitgliedstaat schicken lässt, unterliegen den Bestimmungen über den gewerblichen Versandhandel, da derjenige, der die Zigaretten versendet oder den Versand durch andere durchführen lässt, ein Gewerbetreibender ist. Aus Sicht des Versenders dienen die Zigaretten gewerblichen Zwecken. Diese Zigaretten müssen in Deutschland versteuert werden. Das Verbringen von Zigaretten aus einem anderen Mitgliedsland nach Deutschland ist grundsätzlich nur dann steuerfrei, wenn die Höchstmenge von 800 Zigaretten nicht überschritten wird und die Zigaretten zu privaten Zwecken versandt werden. Dabei müssen sowohl Versender als auch Empfänger Privatpersonen sein. Erfahrungen aus der zurückliegenden Zeit zeigen, dass hier eine Klarstellung und Abgrenzung zwischen dem privaten und dem gewerblichen Verbringen von Tabakwaren innerhalb der Europäischen Union erforderlich ist, die mit der bevorstehenden Änderung der Art. 7 und 10 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates, der so genannten Systemrichtlinie, in Angriff genommen wird. Ich finde, das war ziemlich ausführlich. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das lässt sich jetzt durch Zusatzfragen sicherlich prüfen. - Herr Kollege Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war durchaus ziemlich ausführlich; so habe ich es mir natürlich auch gewünscht. Was sagen Sie jedem verantwortungsbewussten Gesundheitspolitiker, der die Ankündigungen von Frau Gesundheitsministerin Schmidt, die Tabaksteuer zu erhöhen, so verstanden hat - so hat es sich auch angedeutet -, dass dies geschieht, um Anreize zu setzen, in Zukunft nicht mehr zu rauchen? Man muss sich in diesem Ansinnen jetzt ein wenig konterkariert fühlen, weil Sie ganz offen sagen - auch gerade noch einmal -, dass Sie die Tabaksteuer stückweise erhöhen wollen, um die Menschen letzten Endes nur abzuschröpfen. Sie wollen dort gar keine gesundheitspolitische Wirkung erzielen.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich muss hier natürlich darauf hinweisen, dass die Grundüberlegungen zu den gesundheitspolitischen Fragen noch nicht im Wirtschaftsministerium formuliert werden. Vor diesem Hintergrund haben wir uns insbesondere mit den Auswirkungen auf die Industrie beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass eine moderate Anhebung in mehreren Schritten verträglich ist und von der Zigarettenindustrie inzwischen auch als vertretbar im weitesten Sinne - so möchte ich es bezeichnen - angesehen wird. Sie können von mir jetzt also nur eine Antwort aus der Sicht des Wirtschaftsministeriums erhalten. Ich denke aber, dass à la longue auch der Preis eine Auswirkung hat. Es gibt aber, da will ich ganz offen und ehrlich sein, sicherlich sehr unterschiedliche Meinungen darüber, inwieweit man über den Preis eine solche Angelegenheit - eine solche Sucht - regeln kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin nicht dafür verantwortlich, welches Ressort auf meine Frage antwortet. Letzten Endes sprechen Sie für die gesamte Bundesregierung, wenn Sie mir antworten. Ich will noch einmal dezidiert nachfragen: Ihre Entscheidung, die Tabaksteuer schrittweise zu erhöhen, ist vornehmlich aus finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen gefällt worden, weil Sie der Zigarettenindustrie entgegenkommen wollten, und weniger bis gar nicht aus gesundheitspolitischen Gründen? Habe ich Sie richtig verstanden?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Nein, ich habe den Standpunkt des Wirtschaftministeriums zum Ausdruck gebracht. Sicherlich gibt es auch eine ganze Reihe von gesundheitspolitischen Erwägungen. Bitte vergessen Sie nicht, dass insbesondere das Zigarettenrauchen zu einer ganz erheblichen Belastung der Gesundheitssysteme in unserem Lande führt, sowohl durch Krankheiten des Bronchialsystems als auch durch Krankheiten im Koronarbereich. Dass an einer solchen Stelle angesetzt wird, ist zunächst einmal eine gesundheitspolitische Überlegung, die aber auch in den anderen Politikfeldern umgesetzt werden musste. Vor diesem Hintergrund haben wir uns als Wirtschaftsministerium mit dieser Frage auseinander setzen müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kopp. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär Staffelt, falls Sie die Frage weitergeben wollen: Ich rauche nicht. ({0}) - Ich glaube nicht, dass sich das noch ergeben wird. Ich möchte eine Frage nach der Glaubwürdigkeit Ihrer Argumentation stellen und beziehe sie auf die Wirtschaftspolitik, damit Sie antworten können. Wie steht die Bundesregierung in ihrer Argumentationskette zu der Tatsache, dass der Tabakanbau auf EU-Ebene noch immer mit 1 Milliarde Euro subventioniert wird? Wie passt das ins Konzept? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hätte es, wenn diese Subvention wegfallen würde?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Dass es auf EU-Ebene gerade bei der Förderung von landwirtschaftlichen Produkten - dazu gehört bekanntermaßen auch die Tabakpflanze - Widersprüche gibt - Herr Berninger bestätigt mir das gerade, und zwar mit erhobenem Zeigefinger -, steht ganz außer Frage. Ich kann nicht dementieren, dass es Widersprüche gibt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich wohne circa 60 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Tschechien wird zum 1. Mai des nächsten Jahres in die EU aufgenommen. Glauben Sie nicht auch, dass im Zuge des kleinen Grenzverkehrs bzw. über Internethandel vermehrt tschechische Zigaretten auf den deutschen Markt gelangen? Denken Sie daran, möglicherweise Päckchen zu überprüfen, wenn der Verdacht besteht, dass auf diese Weise tschechische Zigaretten nach Deutschland gelangen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich will an dieser Stelle Ihre Frage erweitern, weil sie einen ernsten Hintergrund hat. ({0}) - Man muss die Zusammenhänge kennen. Es ist so, dass die polnische Regierung im Zusammenhang mit dem EUBeitritt erreicht hat, dass die EU-Steuersätze und -richtlinien für Tabak neun Jahre außer Kraft gesetzt sind. Das heißt, für diesen Zeitraum werden die heutigen Preise - in Euro umgerechnet -, die weit unter den Preisen der hier angebotenen Zigaretten liegen, im Wesentlichen Geltung haben. Da mit dem Beitritt sozusagen die normalen Richtlinien - ich nannte vorhin die Begrenzung auf vier Stangen, gleich 800 Zigaretten - gelten würden, müssen wir dafür sorgen, dass hier keine Schieflage entsteht. Die Republik Österreich hat mit Tschechien eine Regelung gefunden. Für die nächsten neun Jahre - das ist der gleiche Fall wie mit Polen - ist von Tschechien nach Österreich die Mitnahme von nur einer Schachtel erlaubt. Wir müssen uns also mit dieser Frage befassen. Das Wirtschaftsministerium ist gerade dabei, zu prüfen, was das für uns bedeutet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt hierzu eine Frage des Kollegen Beck. ({0}) - Viele wollen fragen, aber die Geschäftsordnung lässt jeweils nur eine Zusatzfrage zu. ({1}) - Das kommt in der Fragestunde leider häufiger vor.

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Wir können über Ihre Frage in einem persönlichen Gespräch gerne noch einmal reden. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Diese Frage wird noch ein Thema sein. Aber schon heute - das wissen Sie am allerbesten - bestehen bei Benzin und anderen Artikeln im grenznahen Bereich erhebliche Probleme. Diese gab es aber auch im Westen unseres Landes, zum Beispiel zwischen Deutschland und Luxemburg oder zwischen Deutschland und Holland. Wir können nicht alles regeln. Das ist nicht möglich und auch nicht im Sinne des Erfinders.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin zu meiner Zwischenfrage gekommen, weil die Stichwörter Widersprüchlichkeit und Glaubwürdigkeit fielen. Ich frage die Bundesregierung, wie sie die Kritik aus der Unionsfraktion an der Erhöhung der Tabaksteuer vor dem Hintergrund beurteilt, dass allein in den letzten drei bis vier Monaten zwei Presseerklärungen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgegeben wurden, in denen eine Erhöhung der Tabaksteuer gefordert wurde. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Glaubwürdigkeit und Widersprüchlichkeit? ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich darf nicht mehr so polemisch sein wie auf den Abgeordnetenbänken, sonst würde ich etwas anderes sagen. Ich bedaure diese Form der Unglaubwürdigkeit der Opposition ({0}) und würde sie bitten, ihre Haltung zu ändern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich hoffe, Herr Staatssekretär, dass Sie trotz Ihrer offensichtlichen Erschütterung noch in der Lage sind, die letzte der Ihnen heute gestellten Fragen, die Frage 18 der Kollegin Lötzsch, zu beantworten: Trifft es zu, dass die Bundesregierung in den Jahren 1999 bis 2003 Lieferungen von Motoren für indonesische Kriegsschiffe erlaubt und diese Lieferungen mit Hermesbürgschaften abgesichert hat, und, wenn ja, in welcher Höhe wurden die Bürgschaften abgeschlossen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Im Zeitraum von 1999 bis 2003 sind keine exportkontrollrechtlichen Genehmigungen für die Ausfuhr von Motoren für indonesische Kriegsschiffe erteilt worden. Für den Export von Ersatzteilen für Schiffsdieselmotoren ist ein Nullbescheid erteilt worden, da die Ersatzteile von der Ausfuhrliste nicht erfasst werden und somit nicht der Genehmigungspflicht unterliegen. Zwei Voranfragen zur Ausfuhr von Schiffsdieselmotoren sind ebenfalls mit einem Nullbescheid beantwortet worden. Die Remotorisierung von acht Korvetten wurde mit zwei Ausfuhrgewährleistungen über insgesamt 24,2 Millionen Euro im genannten Zeitraum begleitet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. Darf ich mir als Vorbemerkung eine Anregung im Sinne der Zuschauerinnen und Zuschauer erlauben? Vielleicht könnten auch die Fragen bekannt gegeben werden, damit die Gäste wissen, worauf geantwortet wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich darf darauf hinweisen, dass die Fragen ausliegen, ({0}) sodass die Möglichkeit besteht, sich zu informieren.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Das war nur eine Anregung. Vielleicht kann man die bedenken. Danke schön. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antwort. Sie haben erst einmal verneint, um dann doch zu bejahen. Ist die Lieferung der Ersatzteile im Wert von über 20 Millionen Euro, von denen Sie gesprochen haben, an bestimmte Bedingungen gebunden? Ist in den Lieferverträgen festgelegt, dass diese Ersatzteile nicht in Kriegsschiffe eingebaut werden dürfen?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Ich darf Ihnen sagen, dass die Bundesregierung Anfang der 90er-Jahre 39 Schiffe der Nationalen Volksmarine an Indonesien geliefert hat und dass wir in diesem Bereich selbstverständlich auch für Ersatzteillieferungen sorgen. Sie wissen, dass diese Bundesregierung die Exportbestimmungen für Kriegswaffen und Dual-Use-Güter in besonderer Weise verschärft hat und alle Auslieferungen einer besonderen Überprüfung unterzogen werden. Insoweit gibt es natürlich Bedingungen, an die die Lieferung von bestimmten Produkten gebunden ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, ich hatte in meiner ersten Frage auf den Vorgang, den Sie eben wiederholt haben, Bezug genommen. Sind nach Meinung der Bundesregierung Waffenlieferungen gleich welcher Art nach Indonesien überhaupt zu rechtfertigen, solange dort nicht ein grundlegender Wandel der politischen Verhältnisse stattgefunden hat und solange sich dort nicht die Rolle des Militärs grundlegend geändert hat?

Dr. Ditmar Staffelt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003239

Sie wissen, dass diese Entscheidungen vom Bundessicherheitsrat bzw. vom interministeriellen Ausschuss unter Beteiligung des Bundesministers des Auswärtigen, der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Bundeswirtschaftsministers, des Bundesfinanzministers und des Bundeskanzleramtes gefällt werden und dass vor diesem Hintergrund jedes Land, das nicht der NATO angehört oder der NATO in Bezug auf seine innere Struktur gleichzusetzen ist, besonderer Prüfung unterliegt und dorthin vom Grunde her nicht ausgeliefert wird, sondern nur nach besonders sorgfältiger Prüfung. Ich bitte Sie, den Bericht der Bundesregierung zu diesem Thema zu lesen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 19 der Kollegin Mortler auf: Wie viele osteuropäische Regierungspraktikanten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung 2002 in der deutschen Landwirtschaft betreut? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Kollegin Mortler, ich beantworte die Frage wie folgt: Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat im Jahr 2002 Weiterbildungsmaßnahmen für 158 junge Nachwuchskräfte im Agrarbereich aus der Russischen Föderation, der Ukraine und Weißrussland gefördert. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurden 360 Praktikantinnen und Praktikanten weitergebildet. Darüber hinaus haben einige Länder im Jahr 2002 Praktikumsprogramme durchgeführt. Zu nennen sind Baden-Württemberg mit 166, Bayern mit 175, Brandenburg mit 70, Nordrhein-Westfalen mit 24, Sachsen mit 52 und Schleswig-Holstein mit 13 Teilnehmern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit haben Sie meine erste Frage schon beantwortet. ({0}) Meine Zusatzfrage lautet: Wie bewerten Sie, Herr Staatssekretär, bzw. die Bundesregierung den Einsatz der Regierungspraktikanten in der deutschen Landwirtschaft? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die Praktikantenprogramme sind mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, den Kontakt zwischen der Landwirtschaft der Herkunftsländer und der europäischen Landwirtschaft zu intensivieren. Wir sind nicht das einzige Land, das in diesem Bereich tätig ist. Grundsätzlich begrüßen wir die Programme, weil sie die Zusammenarbeit der betreffenden Staaten mit den europäischen Ländern intensivieren. Bekanntlich ist es nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in Osteuropa und in der ehemaligen GUS zu erheblichen Umbrüchen in der Landwirtschaft gekommen. Wir erhoffen uns von den Praktikantenprogrammen auch einen Beitrag dazu, die Landwirtschaft in diesen Ländern auf gesunde Füße zu stellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es weitere Zusatzfragen?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich Frage 20 auf: Zu welchen Bedingungen kann ein osteuropäischer Regierungspraktikant von einem Landwirt beschäftigt werden? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft geförderten Praktikanten werden auf der Grundlage eines Auswahlverfahrens im Heimatland ermittelt. Mit den Bewerbern werden AusParl. Staatssekretär Matthias Berninger wahlgespräche geführt. Wichtigste Auswahlkriterien sind zum einen ausreichende Deutschkenntnisse sowie die fachliche und persönliche Eignung; zum anderen ist für uns die Motivation potenzieller Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders wichtig. Während des Aufenthalts in Deutschland erhalten die Teilnehmer außer der freien Unterkunft und Verpflegung ein monatliches Taschengeld in Höhe von mindestens 200 Euro. Darüber hinaus sind für die Praktikanten Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen abzuschließen. Neben der praktischen Tätigkeit legen wir besonderen Wert darauf, dass die Lehrgänge von Exkursionen und anderen Maßnahmen begleitet werden, durch die auch entsprechende theoretische Kenntnisse vermittelt werden können. In arbeitsrechtlicher Hinsicht erfolgt die Abwicklung in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit und der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Pau auf: Welche Erwartungen hat die Bundesregierung an die Landesregierung Brandenburg, um den Erhalt des Standortes Wusterhausen der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, BFAV, durch geeignete Vereinbarungen über die langfristige Nutzung der Liegenschaft zu ermöglichen? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Kollegin, die Bundesregierung macht die Entscheidung über die Zukunft der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Wusterhausen von einer sinnvollen Konzeption dieses gesamten nachgeordneten Forschungsbereichs abhängig. Die Bundesforschungsanstalt ist an drei Standorten vertreten, und zwar in Jena, auf der Insel Riems und in Wusterhausen. Hinzu kommt der ehemalige Standort Tübingen, der sich in Abwicklung befindet. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter fachlichen Gesichtspunkten an den optimalen Stellen arbeiten. Vor diesem Hintergrund geht es uns nicht in erster Linie darum, mit dem Land Brandenburg über vernünftige Standortbedingungen in Wusterhausen zu verhandeln, sondern darum, mit den Fachleuten an den drei Standorten ein für die Wissenschaft optimales Konzept auszuarbeiten. Die Bedeutung der Arbeit der Virusforschung ist in den vergangenen Tagen noch einmal unterstrichen worden, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Wusterhausen bei dem Auftreten der Geflügelpest in Nordrhein-Westfalen hervorragende Arbeit geleistet - das wurde auch von allen Parteien im zuständigen Fachausschuss bestätigt - und damit dazu beigetragen haben, die Ausbreitung der Geflügelpest in den Griff zu bekommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, das, was Sie gesagt haben, ist richtig. Auch mir ist natürlich aufgefallen, dass man unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse und der Leistungen der genannten Einrichtung nicht nur über ein Gesamtkonzept, sondern auch über die Weiterentwicklung der Einrichtungen dieser Bundesforschungsanstalt nachdenkt. Können Sie bestätigen, dass ein Angebot der Landesregierung Brandenburg zur Sicherung einer langfristigen Nutzung dieser Liegenschaft Ihren Entscheidungsprozess sozusagen positiv beeinflussen würde? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Nein, das kann ich deshalb nicht bestätigen, weil ich gerade bei der Beantwortung Ihrer schriftlich eingereichten Frage das genaue Gegenteil deutlich gemacht habe. Uns geht es nicht darum, mit dem Land Brandenburg etwa über die Frage, wie ein solcher Standort herzurichten ist, zu feilschen. Wir machen unsere Entscheidung vielmehr davon abhängig, ob die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am besten in Wusterhausen, in Jena oder in Riems oder auf diese Orte verteilt arbeiten können; denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Bundesforschungsanstalt müssen, wie der Fall der Geflügelpest gezeigt hat, hoch mobil sein. Es ist nicht relevant, an welchem Standort sie arbeiten, sondern ob sie ein optimales wissenschaftliches Umfeld haben. Hinzu kommt die Frage der Wirtschaftlichkeit. Wir sind gezwungen, einen Beschluss des Deutschen Bundestages von 1996 zur Neuordnung des nachgeordneten Bereichs in unserer Ressortforschung umzusetzen. Damals sind uns wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Auflagen gemacht worden, die mit eine Rolle spielen. Aber in Fragen der Neuordnung wollen wir nicht mit einzelnen Landesregierungen über Standorte feilschen, sondern die optimalen Arbeitsbedingungen für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler langfristig sichern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Eine letzte Nachfrage: Bis wann rechnen Sie mit einer Entscheidung über die Umstrukturierung bzw. ein Konzept? Es geht ja auch darum, Sicherheit sowohl für die betroffenen Bundesländer als auch für die Beschäftigten zu schaffen, die sicherlich hoch mobil und motiviert sein müssen. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: In der Vergangenheit hatte sich die Standortentscheidung auf zwei Standorte, nämlich Riems und Wusterhausen, zugespitzt. Durch entsprechende Änderungen der Zuständigkeiten in dieser Wahlperiode ist der Standort Jena neu hinzugekommen, welcher in die Erwägungen einbezogen wurde. Das führte zu Verzögerungen. Wir denken aber, dass es im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, wenn möglichst bald Klarheit geschaffen wird. Ich gehe davon aus, dass uns das in den nächsten Monaten gelingen wird. Gleichwohl ist aus unserer Sicht diese Verzögerung sinnvoll, weil wir mit dem Hinzukommen von Jena als Standort weitere Beiträge zur Optimierung der Forschungsarbeit leisten können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die Frage 22 des Kollegen Austermann sowie die Fragen 23 und 24 der Kollegin Connemann werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Großmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Straubinger auf: Hält es die Bundesregierung - vor dem Hintergrund, dass sie zur Verwirklichung der dem Transportgewerbe zugesagten Harmonisierung bei Einführung der Lkw-Maut zum 31. August 2003 unter anderem eine Mautabsenkung im Vorgriff auf ein noch mit der EU abzustimmendes Mautermäßigungsverfahren durch Anrechnung in Deutschland gezahlter Mineralölsteuer vorsieht - für denkbar, dass die Europäische Kommission im Nachhinein einer Mautanhebung auf die ursprünglich geplante Höhe von durchschnittlich 15 Cent je Kilometer zustimmt, wenn die dadurch erzielten Mehreinnahmen ausschließlich zur Harmonisierung der fiskalischen Wettbewerbsbedingungen im Interesse des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes verwendet werden sollen?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Straubinger, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission gegen eine Anhebung der durchschnittlichen Mauthöhe auf 15 Cent pro Kilometer keine Einwände erheben wird, da sich dieser durchschnittliche Mautsatz aus den durch wissenschaftliche Gutachten ermittelten Wegekosten ableitet und damit im Einklang mit der europäischen Eurovignettenrichtlinie steht. In § 11 des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge ist im Übrigen geregelt, dass die Mauteinnahmen nach Abzug lediglich der Ausgaben für das Mautsystem zusätzlich dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur - überwiegend für die Bundesfernstraßen - verwendet werden müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es wurde im Verfahren zum Autobahnmautgesetz auch vereinbart, dass das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe mit 600 Millionen Euro entlastet werden soll. Wenn aber die Mautgebühr von 12,5 Cent auf 15 Cent pro Kilometer erhöht wird, dann ist das deutsche Speditionsgewerbe natürlich benachteiligt. Es geht ja um die Frage, ob das deutsche Speditionsgewerbe zukünftig eine Entlastung erfahren kann.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Straubinger, dieses Gesetz ist nach Beratung im Vermittlungsausschuss zustande gekommen. Dem entsprechenden Gesetzentwurf haben Sie persönlich im Deutschen Bundestag zugestimmt. Daher verwundert mich Ihre Frage ein bisschen. Dazu müsste ich jetzt eigentlich die Antwort auf Ihre nächste Frage vortragen; denn Sie haben im Grunde genommen schon die nächste Frage aufgerufen. Wir haben in Bundestag und Bundesrat vereinbart - Sie wissen es -, dass die Bundesregierung die LKWMaut mit der größtmöglichen Harmonisierung begleiten will. In einem zügigen Verfahren - das ist natürlich vom Gesetzgebungsgang im Deutschen Bundestag abhängig soll eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt werden. Dabei geht es um das Mautermäßigungsverfahren, das Mineralölsteueranrechnungsverfahren, die Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, das Innovationsprogramm und jede andere geeignete Harmonisierungsmaßnahme einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung. Die Mauthöhe wurde daher durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zunächst auf diesen Eingangssatz festgesetzt. Das bedeutet, dass die Harmonisierungsschritte nach wie vor angestrebt werden. Es war ein Vorschlag aus den B-Ländern, in umgekehrter Reihenfolge zu beginnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Harmonisierungserfolge der Bundesregierung sind nicht so bedeutend. Zu dieser Auffassung komme ich, wenn ich die Beschlüsse des Ecofin-Rates betrachte, nach denen Italien und Frankreich die Subventionierung im Güterkraftverkehrsgewerbe bis zum Jahresende 2004 gestattet wird. Mit der Mauteinführung gibt es weiterhin große Wettbewerbsnachteile für das deutsche Speditionsgewerbe. Berechnungen auf der Grundlage dieser Beschlüsse ergeben, dass ein 40-Tonnen-Lastzug der Klasse Euro 2, der auf deutschen Straßen bewegt wird, mit rund 24 362 Euro im Jahr belastet wird, während ein französischer mit 19 300 Euro bzw. ein italienischer mit 17 400 Euro beMax Straubinger lastet wird. Deshalb entsteht natürlich eine große Wettbewerbsverzerrung.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sie haben schon selbst die Befristung dieser Subventionierung angesprochen. Ich darf wiederholen: Diese Tatbestände waren bekannt, als der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion dieser Regelung zugestimmt hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Straubinger auf: Teilt die Bundesregierung geäußerte Befürchtungen des Transportgewerbes, dass bei Einführung der Maut ohne entsprechende Harmonisierung 10 000 deutsche Unternehmen in ihrer Existenz gefährdet sind und sich deshalb die Zahl der Insolvenzen im Transportgewerbe nach Mauteinführung verdoppeln wird?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Präsident, Herr Straubinger hat diese Frage vorhin schon als Zusatzfrage gestellt. Deshalb habe ich die Frage bereits beantwortet. Ich müsste mich jetzt wiederholen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Straubinger kann dazu aber selbstverständlich eine Zusatzfrage stellen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Befürchtung des Speditionsgewerbes ist, dass es aufgrund der jetzigen Situation weitere Insolvenzen bzw. Betriebsschließungen geben wird. Es wird von einer Anzahl von 10 000 Betrieben gesprochen. Teilen Sie diese Ansicht?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich kann diese Ansicht nicht teilen. Im Übrigen haben auch der Bundesrat und der Bundestag sie nicht geteilt. Es ist eine Belastung, die alle betrifft. Jeder, der deutsche Straßen benutzt - das gilt auch für ausländische Spediteure -, muss diese Belastung tragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Die Frage 27 des Kollegen Dirk Fischer ({0}) wird schriftlich beantwortet. Die Frage 28 des Kollegen Axel E. Fischer ({1}) wird - er hat dazu hier gerade seine Zustimmung gegeben - auch schriftlich beantwortet. Dann rufe ich die Frage 29 des Kollegen Klaus Hofbauer auf: Werden die im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2003 genannten Projekte „EU-Osterweiterung“ noch ergänzt bzw. ausgedehnt?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Hofbauer, der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2003 enthält alle Vorhaben, die nach heutiger Einschätzung für die EU-Osterweiterung erforderlich sind. Die in Tabelle 2 des Ihnen vorliegenden Entwurfs vom 20. März 2003 dargestellten Projekte der EU-Osterweiterung sind in Verbindung mit dem davor stehenden Text zu sehen. Damit wird deutlich, dass es im Entwurf des BVWP 2003 neben den in dieser Tabelle aufgeführten Projekten noch weitere Maßnahmen gibt, die für die EU-Osterweiterung von Bedeutung sind. Änderungen, die aufgrund der Abstimmungsgespräche mit den Bundesressorts sowie der bilateralen Gespräche gegebenenfalls erforderlich sind, sollen im Kabinettsentwurf berücksichtigt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, nach welchen Kriterien, insbesondere im Bereich der Nutzen-KostenRechnung, sind die Projekte der EU-Osterweiterung in den Entwurf aufgenommen worden?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sie wissen, dass wir die Nutzen-Kosten-Rechnung bei allen Projekten durchgeführt haben, sofern die Planfeststellung nicht vor dem 31. Dezember 1999 vorgenommen worden ist. Für die EU-Osterweiterung und die grenzüberschreitenden Verkehrswege gelten natürlich auch die Bedingungen der Raumordnung und der Raumwirksamkeitsanalyse. Damit stellen wir für die eingestellten Projekte sicher, dass wir uns nicht nur nach dem Nutzen-Kosten-Verhältnis richten, sondern die Grenzbeziehungen generell als wichtig auffassen und dafür sorgen, dass bei Wasser, Straße und Schiene funktionierende grenzüberschreitende Verkehre aufgebaut werden können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Inwieweit werden diese Projekte mit den Beitrittsländern bzw. mit den angrenzenden Ländern abgestimmt und der zeitliche Ablauf des Baus besprochen? Wie erfolgt in diesem Zusammenhang die Abstimmung mit den Beitrittsländern?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Es ist natürlich von entscheidender Bedeutung, dass man sich über Trassen, bei denen noch Unklarheiten bestehen, in bilateralen oder trilateralen Verträgen einigt. Ich kann Ihnen jetzt nicht die ganze Liste „herunterdeklinieren“, aber ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Bezüglich der B 178, die wir von der A 4 aus nach Zittau bauen, hat es mehrere trilaterale Gespräche mit Tschechien und Polen gegeben. Wir haben jetzt eine Vereinbarung darüber getroffen, wo genau der Grenzübergang gebaut werden soll. Somit wissen wir bei der Planung der B 178, wo wir an der Grenze auf den polnischen Anschluss stoßen. Unmittelbar danach folgt die tschechische Grenze. Das heißt, es handelt sich um eine Straße, bei der drei Partner zu einer Übereinkunft gekommen sind. Bezogen auf Grenzübergänge, die nicht an Bundesautobahnen liegen, gibt es das eine oder andere Problem; das heißt, wir sind noch mitten in den Verhandlungen. Die Nachbarn - egal ob Polen oder Tschechien - haben ein großes Interesse daran, mit uns relativ schnell Vereinbarungen zu treffen. Wenn es in diesem Zusammenhang noch Fragen gibt, dann liegen sie meist nicht auf deutscher Seite.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 30 auf, die ebenfalls der Kollege Hofbauer gestellt hat: Wird nach Einschätzung der Bundesregierung der Baubeginn der Bundesautobahn A 6 im Abschnitt Amberg Ost-Pfreimd so frühzeitig erfolgen, dass damit dem steigenden grenzüberschreitenden Verkehrsaufkommen nach der EUOsterweiterung Rechnung getragen wird?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Hofbauer, ich kann Ihre Frage mit Ja beantworten. Ausgehend von der heutigen Belastung der Bundesautobahn A 6/Bundesstraße B 14 zwischen Amberg-Ost und Waidhaus von maximal rund 12 000 Kfz pro 24 Stunden, dem für 2004 vorgesehenen Baubeginn für den letzten noch fehlenden Abschnitt der Bundesautobahn A 6 von Amberg nach Pfreimd sowie der Gesamtfertigstellung der Bundesautobahn A 6 in 2008 wird nach Auffassung der Bundesregierung dem zu erwartenden grenzüberschreitenden Verkehrsaufkommen auch nach der EU-Osterweiterung Rechnung getragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Strebl auf: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um die beiden europäischen Metropolen München und Prag auf dem Schienenverkehrsweg über Regensburg-Schwandorf-Furth im Wald-Pilsen attraktiv zu verbinden, sodass insbesondere eine Direktanbindung des Münchener Flughafens gewährleistet ist?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Strebl, der deutsche und der tschechische Verkehrsminister haben 1995 vereinbart, für den Schienenfernverkehr zwischen dem Freistaat Bayern und Böhmen die Verbindung Nürnberg-Marktredwitz-Prag weiterzuentwickeln. Der Raum München wird über die Neu- und Ausbaustrecke Nürnberg-Ingolstadt-München, die für Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h ausgelegt ist, an Nürnberg angeschlossen. Der Verbindung über Furth im Wald kommt nur noch regionale Bedeutung zu; der Fernverkehr wurde inzwischen eingestellt. Die Gestaltung des verbleibenden Regionalverkehrs fällt in die Zuständigkeit der Länder.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Notwendigkeit sehen Sie für den Ausbau der grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur, um das Verkehrsnetz noch dichter werden zu lassen? Ich meine, dass wir diesbezüglich insgesamt nicht für die Osterweiterung gerüstet sind. Die Zeit drängt: Am 1. Mai nächsten Jahres wird Tschechien vollwertiges EU-Mitglied. Im Zusammenhang mit der Osterweiterung wächst wahrscheinlich auch die Bedeutung des Münchener Flughafens.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege, ich habe in den letzten Wochen mehrmals solche Fragen zu beantworten gehabt. Ich habe sie immer folgendermaßen beantwortet: Nennen Sie mir bitte das Projekt, das aus Ihrer Sicht fehlt. Daraufhin habe ich nie eine Antwort bekommen. Das heißt, wir sind der Überzeugung, dass wir im Bundesverkehrswegeplan dafür Vorsorge getroffen haben, das in der Folge der EU-Osterweiterung zu erwartende Verkehrsaufkommen aufzufangen. Wir haben jetzt bilaterale Gespräche mit den betreffenden Ländern geführt. Es ist uns ein Projekt in Sachsen genannt worden, bei dem wir die Zuständigkeit für die Baulast mit dem Land Sachsen noch klären müssen. Ansonsten sind wir der Meinung, dass die eingestellten Maßnahmen ausreichen, um die grenzüberschreitenden Verkehre sicherzustellen. Das betrifft allerdings nur die Aufgabe, die der Bund zu übernehmen hat. Ich hatte Sie ja darauf aufmerksam gemacht, dass Vereinbarungen bezüglich der Regionalverkehre Sache der Länder sind, denn wir haben ja aufgrund unserer föderalen Struktur eine ganz klare Aufgabenverteilung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Keine. Dann Herr Kollege Hofbauer, bitte.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben diese Vereinbarung aus dem Jahre 1995 angesprochen. Glauben Sie nicht, dass aufgrund der Entwicklungen der letzten zehn Jahre auch neue Erkenntnisse möglich sind? Insbesondere im Rahmen der Osterweiterung könnte der Verkehr so dramatisch zunehmen, dass ein Grenzübergang für die Bahn zwischen Bayern und Tschechien nicht ausreicht. Insbesondere weil die Umfahrung über Marktredwitz und Nürnberg nach München sehr umständlich ist, wird sie vielleicht gar nicht so angenommen. Haben Sie Zahlen, wie sich der Verkehr auf dieser Umwegstrecke wirtschaftlich entwickelt? Nach meinen Informationen wird dieser Umweg, der ja eine Fahrzeitverlängerung von einigen Stunden bedeutet, nicht angenommen, während die kürzere Strecke über Regensburg-Furth im Wald-Pilsen brach liegt.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, dass die wesentlichen Gründe für die Entscheidung, die Verkehre über Marktredwitz und nicht über Furth im Wald zu leiten, die durchgehende Zweigleisigkeit auf deutscher Seite bis Marktredwitz, die bestehende Streckenelektrifizierung auf tschechischer Seite zwischen Prag und Cheb/ Eger, die Möglichkeit der Bündelung mit dem deutschen Bedarfsplanvorhaben Ausbaustrecke Karlsruhe-Nürnberg-Leipzig/Dresden und die schon heute vorhandene Ertüchtigung der Strecke Nürnberg-Marktredwitz für den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen sind. Die Entscheidung zum Ausbau wurde außerdem im Einvernehmen mit Tschechien getroffen. Das heißt, es gibt ganz harte Fakten, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Nun gibt es beispielsweise im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2003 vonseiten des Freistaates Bayern die Anmeldung des Vorhabens einer Ausbau-/Neubaustrecke Donau-Moldau, wobei der Neubau einer Schienentrasse einschließlich eines langen Tunnels zwischen Regensburg und Cham vorgesehen wäre. Ich kann Ihnen mitteilen, dass, bevor darüber entschieden werden kann, zunächst das Ergebnis der angekündigten und von der EU-Kommission geförderten Machbarkeitsstudie abgewartet werden muss. Sie sehen also, wir prüfen die Möglichkeit eines zweiten Korridors. Da laufen aber noch die Untersuchungen, sodass wir bisher noch nichts in den Bundesverkehrswegeplan übernehmen konnten, aber es dauert ja noch ein paar Monate, bis er im Parlament beraten wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt rufe ich die Frage 32 des Kollegen Strebl auf: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung insbesondere im Hinblick auf die EU-Osterweiterung, um den Schienenverkehr der Bahn zwischen Ostbayern und Böhmen stärker zu vernetzen?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Die EU-Osterweiterung wird die grenzüberschreitenden Verkehrsströme zwischen Deutschland und Tschechien weiter ansteigen lassen. Der daraus resultierende Bedarf für den Aus- und Neubau wurde im Bundesverkehrswegeplan 2003 berücksichtigt. Nach der 1993 in breitem politischen Konsens beschlossenen Bahnreform gehört es zur Aufgabe der Eisenbahnverkehrsunternehmen, marktgerechte Angebote für den Schienenverkehr zwischen Ostbayern und Böhmen gegebenenfalls mit Unterstützung der für den Regionalverkehr zuständigen Stellen zu entwickeln.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Keine. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung. Ich rufe die Frage 33 der Kollegin Kristina Köhler auf: Wie lässt sich die Aussage in der Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Rainer Baake, vom 21. Mai 2003 auf meine schriftliche Frage in Bundestagsdrucksache 15/1040, das Erreichen des unter dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl beschlossenen Ziels, die CO2-Emissionen Deutschlands bis 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, sei ein „Zwischenschritt“ auf dem Weg zur Umsetzung der im KiotoProtokoll genannten Zielsetzung, damit vereinbaren, dass das von der Regierung Kohl beschlossene Ziel höher gesteckt ist als das im Kioto-Protokoll für Deutschland festgelegte Ziel?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Sehr geehrte Kollegin Köhler, Sie beziehen sich in Ihrer Frage ja auf eine Antwort auf eine schriftliche Frage. Deshalb kann ich sie relativ kurz beantworten. Die Antwort auf die Frage, warum wir die politische Absichtserklärung des damaligen Bundeskanzlers Kohl jetzt als politisch wichtigen Zwischenschritt bewerten, lautet, dass diese Absichtserklärung es möglich gemacht hat, nun im Rahmen des Kioto-Protokolls zu völkerrechtlich verbindlichen Erklärungen und Reduktionszielen zu kommen, da wir auch andere Staaten haben überzeugen können, entsprechende Reduktionsverpflichtungen einzugehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verstehe ich Sie jetzt richtig, dass Sie mit „Zwischenschritt“ meinen, dass damit eine erste Basis geschaffen wurde, und nicht, dass 25 Prozent ein Zwischenschritt zu 21 Prozent sind?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Wir haben zwei qualitativ völlig unterschiedliche Systeme. Wir haben auf der einen Seite eine politische Absichtserklärung, die zweifelsohne sehr mutig war. Auf der anderen Seite haben wir von Bundestag und Bundesrat gemeinsam das Kioto-Protokoll ratifiziert. Wir haben völkerrechtsverbindliche Klimaschutzziele vereinbart, die sich nicht auf nur ein Treibhausgas beziehen, sondern, wie Sie wissen, auf sechs Treibhausgase, und die deshalb völlig andere Implikationen haben. Denken Sie zum Beispiel an die Fluorkohlenwasserstoffe oder an die halogenierten Kohlenwasserstoffe. Dadurch wurden völlig andere Auswirkungen beispielsweise auf die Chemiepolitik, auf Kühlstoffe, auf Bauschäume erzielt, die auch ihren Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland geleistet haben. Deshalb freue ich mich, dass wir bei der Ratifizierung des Kioto-Protokolls einen Konsens haben und alle Anstrengungen unternehmen wollen, um die Klimaschutzpolitik weiter voranzutreiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Dies begrüßen wir natürlich. Aber dem kann ich entnehmen, dass das kohlsche Ziel aufgegeben wurde.

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Nein, wir haben eine andere qualitative Basis. Wir haben ein verpflichtendes völkerrechtliches Ziel, das sich auf sechs Treibhausgase bezieht. Auf der anderen Seite haben wir es mit unserem anspruchsvollen Programm - verknüpft mit der Frage, was Deutschland und was die EU übernimmt - geschafft, andere Staaten davon zu überzeugen, Klimaschutz zu betreiben. So wie es das maßgebliche Ziel der Bundesregierung ist, in diesem System alle Treibhausgase im Blick zu haben, hoffe ich, dass das auch für den Deutschen Bundestag gilt, wie wir es hier miteinander verabredet und beschlossen haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe jetzt die Frage 34 der Kollegin Köhler auf: Wird die Bundesregierung das Klimaschutzziel der Regierung Kohl, die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, erreichen können oder hält die Bundesregierung lediglich das niedriger angesetzte Kioto-Ziel, die Treibhausgasemissionen in der 1. Verpflichtungsperiode 2008 bis 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990/1995 zu reduzieren, für erreichbar?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Die Antwort auf die Frage nach dem Erreichen des Klimaschutzzieles knüpft an meine vorige Antwort an. Für uns ist die Lastenteilung innerhalb der EU maßgeblich. Alle Prognosen und Trends, die uns bisher vorliegen, gehen davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland das im Rahmen des Kioto-Protokolls völkerrechtlich vereinbarte Ziel erreichen wird. Wir müssen uns aber sehr anstrengen, denn es wird keinen Selbstlauf geben; wir werden noch weitere Maßnahmen auf den Weg bringen müssen.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann nutze ich jetzt noch einmal die Möglichkeit zur Nachfrage. Sie sagten, das Kioto-Ziel sei ein qualitativ anderes - da stimme ich Ihnen zu - und es sei für Sie das maßgebliche. Kann ich dem entnehmen, dass das KohlZiel für Sie nicht mehr maßgeblich ist? ({0})

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Sie können das einfach nicht vergleichen. Unsere Klimaschutzpolitik ist um ein Vielfaches anspruchsvoller. Sie beschränkt sich nicht allein auf ein Segment. Ich habe vorhin Ausführungen zur Klimaschädlichkeit in anderen Bereichen gemacht. Wenn wir es schaffen, Russland dazu zu bewegen, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren, kommen wir beim Klimaschutz einen großen Schritt weiter. Auf der anderen Seite muss man das System, das wir jetzt haben, sehen. Sie sprachen von den Zielen. Ich denke, man muss die gesamte Klimaschutzpolitik betrachten. Das Programm, das wir jetzt haben, wird mit seiner Vielfalt und der Implikation bezüglich der Industrie international als vorbildlich angesehen. Es hat in den letzten Jahren sehr große Fortschritte gegeben, auch dank des Konsenses im Deutschen Bundestag. Deshalb sage ich: Für uns ist Kioto maßgeblich. Sie wissen, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen als Fortführung dieses Zieles vereinbart haben, sofern die EU bereit ist, ihre Treibhausgase bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, ein Reduktionsziel von 40 Prozent anzustreben.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist mir bekannt. Aber wenn Sie sagen, dass das Klimaschutzziel der Bundesregierung sehr viel weit gehender sei, da es qualitativ anders sei, dann können Sie doch auch sagen, dass das kohlsche Ziel für Sie somit nicht mehr maßgeblich ist.

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Wir haben eine völlig andere Situation. Bundeskanzler Kohl hat auf einer Konferenz eine politische Absichtserklärung abgegeben, die ich gar nicht hoch genug bewerten kann. Wir sind dank dieses politischen Zwischenschritts dahin gekommen, völkerrechtsverbindliche Klimaschutzziele zu vereinbaren. Diese Ziele verfolgen wir weiter. Das ist ein Maßstab, den wir von Bundestag und Bundesrat gemeinsam geschaffen haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 35 und 36 des Kollegen Ernst Hinsken werden schriftlich beantwortet. Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich bedanke mich, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Eckart von Klaeden auf: Aus welchem Grund behauptet die Bundesregierung in der Fragestunde am 21. Mai 2003 - Plenarprotokoll 15/45, Seite 3741 C - bezüglich der dort genannten Leuna/Minol-Akten, weder die Originale noch Kopien zu haben, obwohl das Bundeskanzleramt bzw. das Bundesministerium der Finanzen - Bundestagsdrucksache 14/9300, Seiten 812, 821 - dem 1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode mindestens 19 Ordner solcher Akten - eventuell als Kopie - zur Verfügung gestellt haben?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, ich bitte um Verständnis, dass aufgrund der Komplexität der Frage und des Themas meine Antwort etwas länger ausfällt. Ich hatte schon darauf hingewiesen - ich tue das hier und heute gerne noch einmal -, dass die Originalakten bis zum Abschluss des Privatisierungshauptvertrages und zur nachträglichen Genehmigung desselben fehlen. Für den Zeitraum bis 1992/93 sind heute nur sechs rekonstruierte Kopienbände vorhanden. Diese Kopienbände sind chronologisch chaotisch zusammenkopiert und enthalten überwiegend minderwertiges Schriftgut. Sie beziehen sich zu jeweils drei Bänden auf die Aktenreihen Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5. Zum Hintergrund dieses Befundes muss ich etwas weiter ausholen, damit Sie mich nicht wieder missverstehen, Herr von Klaeden. Die Akten Tr 3 NA 4 „Leuna Minol“ und Tr 3 NA 5 „Elf Aquitaine“ wurden am 28. Dezember 1993 bzw. am 1. Februar 1994 aus der ursprünglichen Akte Tr 3 NA 1 „Leuna Minol“ ausgegründet. Dies geschah erst nach Bildung des Treuhanduntersuchungsausschusses der 12. Legislaturperiode. ({0}) Es ist nicht mehr feststellbar, auf wessen Anweisung die Ausgründungen erfolgten und welchen Umfang die ursprüngliche Akte Tr 3 NA 1 hatte. Die Akte Tr 3 NA 1 wurde bei Ausgründung in „Chemische Industrie“ umbenannt. Sie enthält heute kein Leuna-Schriftgut mehr, sondern befasst sich allgemein mit der Lage der Großchemie in den neuen Ländern. Die ursprüngliche Stellkarte der Akte Tr 3 NA 1, die über den Umfang der Akte hätte Aufschluss geben können, ist nicht mehr vorhanden. Dies ist ein beispielloser Vorgang. Die Karte konnte trotz umfangreicher und aufwendiger Suche nicht wiedergefunden werden. Es entspricht auch nicht dem üblichen Vorgehen bei der Begleitung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Vorgänge aus- oder umzugründen. Die jeweils ersten drei Bände der ausgegründeten Aktenreihe Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5 wurden im Sommer 1994 an den Untersuchungsausschuss übersandt. Diese sechs Bände betrafen den Zeitraum bis zum Abschluss und zur Genehmigung des Hauptvertrages. Diese dem Untersuchungsausschuss „Treuhand“ in der 12. Legislaturperiode im Original vorgelegten sechs Bände der so genannten Leuna-Akten „Leuna Minol“ und „Elf Aquitaine“ im Original - also Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5, jeweils Band 1 bis Band 3 - sind verschwunden. Ebenso verschwunden sind die so genannten C-Kopien, die als Sicherungskopien im Bundeskanzleramt verblieben waren. Über den Verlust dieser sechs Originalbände hinaus ist fraglich, was mit dem Schriftgut geschah, das dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung unterliegt und deshalb dem Untersuchungsausschuss nicht zur Verfügung gestellt wurde. Der Umfang dieses Schriftgutes ist unbekannt. 1997 wurde im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss der 13. Legislaturperiode der Verlust der sechs Originalbände im Kanzleramt bemerkt. Bei dem Bemühen um Aktenrekonstruktion fand man im BMF einen weiteren Kopiensatz und verwendete ihn zur Rekonstruktion. Diese Kopien, die möglicherweise den dem Bundestag vorgelegten Originalakten entsprechen, sind chronologisch chaotisch, überschneiden sich und sind lückenhaft. Sie enthalten überwiegend minderwertiges Schriftgut und können in der vorliegenden Form zu keinem Zeitpunkt das eigentliche Arbeitsmaterial gewesen sein. ({1}) Der Umfang des nicht mehr vorhandenen und auch 1994 dem Untersuchungsausschuss der 12. Legislaturperiode nicht übersandten Aktenmaterials lässt sich nur vermuten. In Vermerken aus der Zeit 1993/1994 über den Umfang der Leuna-Akten ist von „15 m“ und von „59 Aktenordnern“ und einige Zeit später von „mehr als 100 AB“ die Rede. 100 Aktenbände würden in etwa 15 Metern entsprechen. Diese sicherlich interpretationsbedürftigen Indizien lassen in ihrer Gesamtheit ein respektables Leuna-Konvolut des Bundeskanzleramtes erwarten und nicht nur sechs unstrukturierte Kopienbände mit fast durchgängig minderwertigem Schriftgut. Ich möchte ergänzen, dass das Kanzleramt die entsprechenden Untersuchungsausschüsse in der 12. und auch in der 13. Legislaturperiode regelwidrig nicht auf die Zurückhaltung von Akten hingewiesen hat. Auch die Umgründungen und der Aktenverlust bzw. der damit korrespondierende Rekonstruktionsversuch in der 13. Legislaturperiode wurden vor dem Parlament verborgen. Über den möglichen Sinn der Ausgründungen gibt es nur Mutmaßungen. Die zuständigen Beamten erklärten dazu übereinstimmend, sie hielten auch rückblickend die Differenzierung in zwei Aktenreihen Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5, also für Leuna/Minol und Elf Aquitaine, für unschlüssig, zumal in der Folgezeit die Zuordnung der einzelnen Vorgänge zu der einen oder anderen Akte zufällig gewesen sei. ({2}) Ein sachlicher Grund für die Ausgründung ist nicht er- sichtlich. Sie entspricht auch nicht dem üblichen Vorge- hen bei der Begleitung Parlamentarischer Untersu- chungsausschüsse. 3940 C) D) Die weiteren Bände der ausgegründeten Vorgänge Tr 3 NA 4 und Tr 3 NA 5, also ab Band 4, sind ebenfalls unvollständig: Die Akte „Leuna-Minol“, also Tr 3 NA 4, hat erhebliche Zeitlücken. Zwischen Band 5 und Band 6 dieser Akte besteht eine zeitliche Lücke von Juni 1996 bis Februar 1997, die nicht nachvollzogen werden kann. Die Akte weist heute zusätzlich zu den drei geschilderten Kopienbänden sechs weitere Bände im Original auf. Sie läuft bis in das Jahr 2000. Von der Akte „Elf Aquitaine“, also Tr 3 NA 5, ist Band 5 verschwunden. Anscheinend wurden die Bände 4 und 5 verändert und zusammengeheftet. Der verbliebene Band 4 enthält eine Lücke vom 26. Mai 1994 bis zum 4. August 1995 und endet am 6. Mai 1996. Der Zeitraum von Juni 1996 bis Februar 1997 ist also in beiden Akten nicht dokumentiert. Die Originalakten weiterer sieben Privatisierungsvorgänge, die dem Untersuchungsausschuss gleichzeitig mit den Leuna-Akten im Original vorgelegt worden waren, sind verschwunden. Dies betrifft die Vorgänge Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei, Grimmener Hähnchen, Baukombinate ELBO, Deutsche Seereederei Rostock, Interhotel, Motorradwerke Zschopau und Mitteldeutsche Kali. Von diesen Akten sind lediglich Kopien vorhanden, die im Kanzleramt vor Abgabe an den Untersuchungsausschuss hergestellt worden waren. Bei keinem der im Kanzleramt heute vorhandenen Kopienbände ist gesichert, dass sie den ursprünglichen Akteninhalt vollständig enthalten. Abschließend kann ich zu Ihrer Frage, also zu den 19 Aktenbänden, die dem Untersuchungsausschuss der 14. Legislaturperiode vorlagen, feststellen: zwölf Bände sind rekonstruierte Kopienbände in doppelter Ausfertigung, davon jeweils sechs identische Bände aus dem Bundeskanzleramt und sechs aus dem BMF. Sechs Bände sind fortlaufende Bände aus der Reihe Tr 3 NA 4. Ein Band ist ein fortlaufender Band aus der Reihe Tr 3 NA 5.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, insbesondere der Vorgang „Grimmener Hähnchen“ ist wirklich ein unglaublicher Skandal. - Scherz beiseite. Versichern Sie, dass Ihre hier vorgetragene umfangreiche Darstellung, detailliert und abschließend ist? Haben Sie diese Darstellung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, Sie können sicher sein, dass das, was ich Ihnen hier mitgeteilt habe, selbstverständlich Gegenstand unserer Mitteilung an die Staatsanwaltschaft sein wird und insbesondere Gegenstand der Stellungnahme sein wird, die in Kürze fertig gestellt sein wird und übergeben wird. ( (

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie erklären Sie es sich, dass die Staatsanwaltschaft in ihrem vorläufigen Abschlussvermerk zu der Einschätzung gekommen ist, dass die von Ihrem Haus zu diesem Komplex erhobenen Vorwürfe in strafrechtlicher Hinsicht nicht zutreffend sind?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, ich will keine Wertung vornehmen. Ich habe allerdings noch gut in Erinnerung, dass die Überzeugungskraft unserer Argumente so stark war, dass die Staatsanwaltschaft Bonn bereits nach der ersten Stellungnahme ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Ich bin für Ihre Frage im Plenum des Deutschen Bundestages sehr dankbar, weil in der Öffentlichkeit, in einigen Artikeln und Berichten, ab und zu sehr wohl der Eindruck erweckt wurde, es habe überhaupt keinen Aktenverlust gegeben. Dieser Auffassung bin ich mit meiner detaillierten Aussage heute eindeutig entgegengetreten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Frage 38 des Kollegen Eckart von Klaeden: Ist der Bundesregierung bekannt, dass der frühere Chef des

Not found (Minister:in)

„Die ,Bundeslöschtage“ hat es nie gegeben“, und wie bewertet sie unter diesem Gesichtspunkt die Äußerung des Ermittlungsführers im Disziplinarverfahren, Dr. Burkhard Hirsch, vor dem 1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode, der von „Bundeslöschtagen“ im Bundeskanzleramt gesprochen hat?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, die Bundesregierung kommentiert grundsätzlich keine Pressemeldungen. Sie sprechen in Ihrer Frage das frühere Amt von Bundesminister a. D. Hombach an: Ich darf Sie daran erinnern, dass Bundesminister a. D. Hombach von Oktober 1998 bis Juni 1999 Chef des Bundeskanzleramtes war. Die Datenlöschungen ereigneten sich vor Amtsantritt von Bundesminister a. D. Hombach. Die neue Hausleitung des Bundeskanzleramtes wurde auf Dokumentationslücken in den Akten des Bundeskanzleramtes erst sehr viel später aufmerksam, nämlich im Herbst 1999. Auslöser war eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Friedhelm Julius Beucher aus dem September 1999. Herr Beucher erkundigte sich nach der Vollständigkeit der Leuna-Akten des Bundeskanzleramtes. Diese Frage war Anlass einer ersten Nachschau, die dann, wegen des auffälligen Zustandes der Leuna-Akten, zu Verwaltungsermittlungen führte. Die Verwaltungsermittlungen wurden später, nämlich im Dezember 1999, auf alle Gegenstände des am 2. Dezember 1999 eingesetzten Parteispendenuntersuchungsausschusses ausgeweitet. Bei der Suche nach den vermissten Akten wurde der Versuch unternommen, über das IT-System des Bundeskanzleramtes Teile der Akten zu rekonstruieren. Dabei wurde festgestellt, dass das IT-System in den betroffenen Abteilungen einen erheblich unterproportionalen Anteil von Textdateien mit einem Erstellungsdatum vor November 1998 aufwies. Dies begründete den erstmaligen Verdacht, dass zentrale Löschungen hierfür die Ursache sein könnten. Dies führte zu disziplinarrechtlichen Vorermittlungen gegen unbekannt, später zu förmlichen Disziplinarverfahren und zur Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn. Der gesamte geschilderte Vorgang spielte sich viele Monate nach dem Ausscheiden von Bundesminister a. D. Bodo Hombach aus dem Bundeskanzleramt ab. Bundesminister a. D. Hombach kann deshalb zur Frage der Aktenfehlbestände und Datenlöschungen im Bundeskanzleramt nicht aus eigener Anschauung berichten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, erlauben Sie mir zunächst einmal die Vorbemerkung, dass Ihre Schilderung, insbesondere hinsichtlich der Disziplinarverfahren, unvollständig ist. Die betroffenen Mitarbeiter des Kanzleramts, denen diese Vorwürfe gemacht worden sind, haben zum Zwecke der Selbstreinigung und zum Nachweis, dass die von Ihnen geschilderten Vorwürfe nicht zutreffend sind, gegen sich selbst Disziplinarverfahren beantragt. All diese Dinge sind dem früheren Chef des Bundeskanzleramtes, Bodo Hombach, bekannt gewesen. Wie erklären Sie sich, dass er trotzdem zu der Einschätzung kommt - Zitat vom 20. Mai 2003 -: „Die ‚Bundeslöschtage‘ hat es nie gegeben“?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, ich verwahre mich gegen Ihre Darstellung, ich hätte das unvollständig dargestellt. ({0}) Ich habe nicht über die Art und Weise der Einleitung der Disziplinarverfahren gesprochen, sondern in diesem Zusammenhang lediglich die Durchführung und die Ermittlungen erwähnt. Zum Zweiten will ich noch einmal darauf hinweisen - ich habe das bei der Beantwortung der Frage bereits getan -, dass es Bundesminister a. D. Hombach aufgrund des Ablaufs der Ereignisse - Löschung der Daten vor Antritt der neuen Hausleitung des Bundeskanzleramtes auf der einen Seite und Bekanntwerden eines solchen Vorganges nach Abschluss seiner Amtstätigkeit auf der anderen Seite - nicht möglich war, von den Ereignissen persönlich Kenntnis zu nehmen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat die Bundesregierung denn, um sich dessen zu vergewissern, dass Herr Hombach - angeblich - keine Ahnung von den Vorgängen hatte, so wie Sie sie gerade geschildert haben, mit ihm Kontakt aufgenommen, um eine Stellungnahme zu dem vorläufigen Abschlussvermerk anzufertigen?

Not found (Gast)

Nein, der Beginn und das Ende seiner Amtstätigkeit stehen außer Zweifel. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe Frage 39 der Kollegin Andrea Voßhoff auf: Billigt die Bundesregierung die durch den Vorermittlungsführer Dr. Burkhard Hirsch erfolgte Belehrung des circa fünf Jahre zuvor aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedenen ehemaligen Beamten im Bundeskanzleramt, Rainer Ohler, als möglichen Beschuldigten eines Disziplinarverfahrens eingangs der von Dr. Burkhard Hirsch durchgeführten Zeugenvernehmung - vergleiche Leserbrief von R. O., „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 20. Mai 2003 - und, falls ja, aufgrund welcher Vorschriften ist ein Disziplinarverfahren gegen einen aus dem öffentlichen Dienst Ausgeschiedenen rechtlich möglich?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Voßhoff, wie bereits in der Antwort der Bundesregierung vom 4. Dezember 2000, Bundestagsdrucksache 14/4915, auf Frage 33 der Kleinen Anfrage erläutert, sind Beschuldigte im disziplinarrechtlichen Vorermittlungsverfahren nicht bekannt. Dementsprechend wurde auch die von Ihnen konkret angesprochene Person nicht als Beschuldigter belehrt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön, Ihre Zusatzfragen.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen, Herr Staatsminister, dass ich mich in meiner Frage auf einen Leserbrief einer der als Zeugen vernommenen Personen berufen habe. Ich frage Sie jetzt in diesem Zusammenhang: Haben Sie sich, insbesondere zur Vorbereitung Ihrer Antwort heute, dieses Protokoll einmal angesehen und durchgelesen und darin einen - in dem Leserbrief behaupteten - schriftlichen Belehrungsvermerk gefunden?

Not found (Gast)

Wie ich Ihnen in meiner Antwort bereits angedeutet und noch einmal in Erinnerung gerufen habe, ist dieser Vorgang kein neuer Vorgang gewesen. Bereits in der Kleinen Anfrage wurde dieser Vorgang von Ihrer Fraktion kritisch hinterfragt. Deswegen hat es damals eine Überprüfung - und zwar nicht nur anhand von Protokollen, sondern auch anhand von Aussagen derjenigen, die an der Vernehmung teilgenommen haben - gegeben. Deswegen steht auch diese Einschätzung außer Zweifel.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich denke, Sie haben auf meine Frage nicht geantwortet. Ich habe gefragt, ob Sie sich das Protokoll einmal angesehen haben und dort einen entsprechenden Belehrungsvermerk gefunden haben, der ja mündlich von dem als Zeugen vernommenen Herrn O. behauptet wird.

Not found (Gast)

Ich darf noch einmal anfügen, dass dieser Vorgang geprüft worden ist - übrigens nicht nur wegen Ihrer Kleinen Anfrage. Die von Ihnen genannte Person hat damals ihrerseits Dienstaufsichtsbeschwerde eingeleitet, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Auch diese ist natürlich entsprechend abgearbeitet und übrigens negativ beschieden worden. Insofern haben wir keinen darüber hinausreichenden Prüfungsbedarf.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, haben Sie sich diese Protokolle angesehen - ja oder nein?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, leider wurde ich schon in der letzten Fragestunde mit vier Fragen zu diesem Sachverhalt konfrontiert, die alle explizit von der Bundesregierung in der Antwort auf die besagte Kleine Anfrage beantwortet worden sind. Ich habe daher die Vermutung, dass in Reihen der Fragesteller die Kenntnis bezogen auf die Antwort auf diese Kleine Anfrage nicht mehr präsent ist, sodass ich glaube, dass da der eigentliche Nachholbedarf besteht. ({0}) - Es bestand kein Bedarf, diese Protokolle abermals zu prüfen, weil sie bereits im Vorfeld dieser Frage geprüft worden waren. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Andrea Voßhoff auf: Billigt die Bundesregierung die Widerstände des Vorermittlers Dr. Burkhard Hirsch gegen die Anwesenheit des Rechtsanwalts, der den zur Zeugenvernehmung von Dr. Burkhard Hirsch geladenen Rainer Ohler als Zeugenbeistand begleitete - vergleiche Leserbrief von R. O., „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 20. Mai 2003 - und gegebenenfalls weshalb ist der insoweit für die Aufsicht zuständige Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier, nicht eingeschritten?

Not found (Gast)

Frau Voßhoff, Widerstände von Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard Hirsch gegen die Anwesenheit eines bevollmächtigten Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Vernehmung der von Ihnen angesprochenen Person sind der Bundesregierung nicht bekannt. Zu Beginn der konkret von Ihnen angesprochenen Vernehmung war zunächst unklar, in welcher Funktion eine Begleitperson an dem Gespräch teilnehmen sollte. Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Hirsch hat deshalb darauf hingewiesen, dass bei Vernehmungen nach § 26 BDO die Teilnahme von nicht vom Vorermittlungsverfahren betroffenen Personen nicht vorgesehen ist. Der Betroffene hat danach seine Begleitperson zu seinem Rechtsbeistand bestellt. Die Begleitperson hat dann in dieser Eigenschaft an der Vernehmung teilgenommen. Von Widerstand durch Dr. Hirsch gegen die Teilnahme eines Rechtsanwalts kann daher keine Rede sein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, aufgrund Ihrer Ausführungen frage ich Sie erneut: Haben Sie Ihre Kenntnis aus Ihrer persönlichen Einsicht in das Protokoll oder hat der Chef des Bundeskanzleramtes, Steinmeier, das Protokoll im Zusammenhang mit dem Leserbrief noch einmal eingesehen, um zu dieser Feststellung zu kommen, die Sie hier eben getroffen haben?

Not found (Gast)

Es hat nicht nur eine Einsichtnahme in die notwendigen Unterlagen, sondern auch intensive Gespräche gegeben, übrigens gerade auch mit der Person, die seitens des Bundeskanzleramtes an diesem Gespräch beteiligt war.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Durch wen hat es die Einsicht in die Protokolle gegeben?

Not found (Gast)

Durch die dafür zuständige Mitarbeiterin. Das notwendige Gespräch ist durch mich erfolgt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 41 und 42 des Kollegen Bernhard Kaster werden schriftlich beantwortet. Ich schließe damit den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Herr Staatsminister, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Jens Spahn auf: Welchen finanziellen Anteil trägt die Bundesrepublik Deutschland an den Kosten für Europol relativ zu anderen beteiligten Staaten und wie hoch ist im Vergleich dazu der Anteil deutscher Mitarbeiter bei Europol? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ({0}) - Herr Kollege Spahn, ich habe Ihre Frage 43 aufgerufen. ({1}) Herr Staatssekretär, bitte schön.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage wie folgt: Europols Haushalt für das Jahr 2003 ist mit 55 Millionen Euro veranschlagt. Diese Kosten werden durch Haushaltsbeiträge der Mitgliedstaaten gedeckt. Der durch den Bund zu leistende deutsche Anteil liegt bei 23,82 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen 13,2 Millionen Euro. Die Zahl der bei Europol beschäftigten Bediensteten wuchs auf mittlerweile 311 Mitarbeiter an, das heißt, das ist im Haushalt 2003 festgelegt. Der deutsche Personalanteil beläuft sich auf 27 Europol-Bedienstete und drei nationale Experten. Damit hat Deutschland einen Anteil von circa 9 Prozent des gesamten Europol-Personals und liegt mit anderen großen EU-Mitgliedstaaten gleichauf. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Frankreich liegt bei 8 Prozent, Italien bei 7 Prozent, Großbritannien bei 11 Prozent und Spanien bei 6 Prozent. Dessen ungeachtet setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Zahl und Qualifikation der deutschen Bewerberinnen und Bewerber zu erhöhen. Vorgesehen ist unter anderem eine enge Zusammenarbeit mit den Bundesländern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich entschuldige mich für meine Unaufmerksamkeit. Herr Staatssekretär, ist es so, wie mir von einigen deutschen Mitarbeitern von Europol geschildert wurde, dass es für eine spätere Karriere oder eine weitere Verwendung dieser Beamten in Deutschland eher hinderlich denn förderlich ist, dass sie Dienstzeiten bei Europol gehabt haben? Stellt sich damit nicht die Frage, ob wir es nicht vielmehr - wie zum Beispiel in Frankreich - eher zu einer Art Pflicht oder Karrierevorbedingung machen müssten, dass Beamte auch in internationalen Organisationen gedient haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Es wäre schade, wenn es so wäre, wie Sie es aus Gesprächen erfahren haben. Dass die Stellenbesetzungen auf EU-Ebene aus deutscher Sicht sehr wichtig sind, hat die Bundesregierung unterstrichen, indem sie sich dieses Themas deutlich angenommen hat. Es darf nicht dazu kommen, dass beispielsweise ein Einsatz auf EU-Ebene - das gilt nicht nur für Europol-Beamte, sondern auch für andere Bereiche - nach der Rückkehr karriere- und laufbahnschädigend ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der Kollege Spahn verzichtet auf seine zweite Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 44 der Abgeordneten Hannelore Roedel auf. - Sie ist jedoch nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Ich rufe die Frage 45 der Kollegin Petra Pau auf: Treffen Hinweise der Dozentenvertretung des Fachbereichs Deutsch als Zweitsprache der Volkshochschule Neukölln zu, nach denen durch Planungsfehler des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die weitere Finanzierung der Sprachkurse im Jahr 2003 gefährdet ist, und, wenn ja, wie soll der weitere Betrieb des Sprachkursprogramms der Berliner Volkshochschulen im Bereich Deutsch als Zweitsprache - das für die Integrationsarbeit eminent wichtig ist - im Jahr 2003 aufrechterhalten werden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Hinweise der Dozentenvertretung der VHS Neukölln, die sich nur auf die bisher vom Sprachverband Deutsch e.V. durchgeführten Sprachkurse beziehen, treffen nicht zu. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg führt seit dem 1. Januar 2003 die Sprachkurse für Ausländerinnen und Ausländer durch. Von Planungsfehlern kann keine Rede sein. Für die Durchführung von Sprachkursen stehen im Bundeshaushalt für das Jahr 2003 insgesamt 22,8 Millionen Euro zur Verfügung. Davon wurden 4 Millionen Euro für die Abwicklung der in 2002 begonnenen und weit in das Jahr 2003 hineinreichenden Kurse bereitgestellt. Weiterhin sind in Abzug zu bringen 1,534 Millionen Euro für die institutionelle Förderung und Abwicklung des Sprachverbandes Deutsch e.V., der, wie Ihnen bekannt ist, zum 30. September 2003 aufgelöst wird, sowie circa 488 000 Euro für das GoetheInstitut, das sich der Qualifizierung der Kursleiter annimmt. Für die Bewilligung neuer Sprachkurse in 2003 verbleiben dem Bundesamt somit 16,8 Millionen Euro, von denen bis zum 15. Mai dieses Jahres bereits 8,7 Millionen Euro für begonnene Kurse verausgabt wurden. Es stehen somit noch genügend Mittel für den Beginn neuer Sprachkurse im Jahr 2003 zur Verfügung. Ich will aber hinzufügen, dass im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel wie schon in den vergangenen Jahren mit Sicherheit nicht alle beantragten Sprachkurse bewilligt werden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Pau, Ihre Zusatzfragen bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, wenn das, was Sie dargestellt haben, zutreffend ist, wie erklären Sie sich dann, dass 50 Prozent der beantragten Maßnahmen nicht bewilligt wurden? So wurde ich - ich spreche wieder vom Beispiel Neukölln - zumindest von den Dozenten unterrichtet. Dabei gehen sie sogar davon aus, dass die Zahl an Maßnahmen, die sie beantragt haben, noch weit unter dem Bedarf liegt.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wie man sich gut vorstellen kann, kann nicht alles, was wünschenswert ist und man gerne möchte, finanziell abgedeckt werden. Aber vielleicht ist folgender Hinweis ganz wichtig: Mit In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes zum 6. Mai konnten neue Projekte bewilligt werden. Man muss sehen, inwieweit sich der neue Bewilligungstermin auf die Bewilligung der Anträge auswirkt. Ich gehe davon aus, dass sich das Thema erheblich relativiert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie verzichten, wie ich sehe, auf Ihre zweite Zusatzfrage. Die Fragen 46 und 47 des Kollegen Hartmut Koschyk werden schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen des Kollegen Dietrich Austermann und der Kollegin Gerlinde Kaupa zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich schließe die Fragestunde und unterbreche die Sitzung bis etwa 15.40 Uhr. Anschließend kommen wir dann zur Aktuellen Stunde. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich eröffne die Sitzung wieder und rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Forderungen aus Union und FDP zum Verzicht auf Schuldenerlasse und zur Eintreibung von Schulden im Ausland Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Führende Politiker der Union, Herr Merz und Herr Wissmann, ({0}) haben in der letzten Woche verlangt, unsere Forderungen gegenüber Partnerländern einzutreiben und auf Schuldenerlasse auch gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern zu verzichten. ({1}) Ich finde das ein unerträgliches und im Übrigen auch absolut unchristliches Verhalten, das allen internationalen Vereinbarungen ins Gesicht schlägt. ({2}) Es widerspricht auch den erneuten Vereinbarungen des G-8-Gipfels in Evian. Wir würden uns, wenn wir diese Forderungen umsetzten, international absolut isolieren. Wir stehen zu den Verpflichtungen der Entschuldungsinitiative. Das möchte ich genauso betonen, wie dies auch der Bundeskanzler auf dem Kirchentag getan hat. ({3}) Schwerer noch: Wer die Entschuldungsinitiative für die ärmsten, hoch verschuldeten Entwicklungsländer infrage stellt, nimmt in Kauf, dass in den Entwicklungsländern die Bekämpfung der Armut wieder zurückgeht, weniger Kinder in die Schule gehen können, mehr Kinder an verdorbenem Trinkwasser sterben und die Müttersterblichkeit zunimmt. ({4}) Ich frage: Wollen Sie das verantworten? Schämen Sie sich nicht? ({5}) Auf dem Kirchentag hat der Kardinal aus Honduras, der Präsident der lateinamerikanischen katholischen Kirchen, Deutschland für diese Solidarität ausdrücklich gedankt. Deshalb sage ich: Wer so etwas fordert und meint, damit in populistischer Weise billig Stimmungen bedienen zu können, ({6}) dem muss eine klare Absage erteilt werden. ({7}) Die Entschuldungsinitiative ist eine Gemeinschaftsinitiative zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, der Zivilgesellschaft und vor allem der Kirchen. Sie ist ein Beispiel - so hat es damals Bischof Kamphaus genannt - für die Globalisierung von Solidarität. Sie hat deutlich zur Verbesserung der Lebenssituation Hunderttausender von Menschen in Entwicklungsländern beigetragen. Die durch die Entschuldung frei werdenden Mittel werden zur Armutsbekämpfung eingesetzt. Die vorliegende Zwischenbilanz, bei allen Problemen angesichts der weltwirtschaftlichen Entwicklung, spricht eine deutliche Sprache. Insgesamt ist der Anteil von Investitionen in Bildung und Gesundheit am Bruttoinlandsprodukt bei den ärmsten hoch verschuldeten Entwicklungsländern von 5,9 Prozent im Jahr 1999 auf 9,3 Prozent im Jahr 2003 gestiegen. ({8}) Das bedeutet konkret, dass für eine große Zahl von Menschen die Gesundheitsversorgung und die Nahrungsmittelversorgung verbessert wurden und für Tausende von Kindern der Zugang zur Schule erleichtert wurde. Das werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, doch nicht ernsthaft rückgängig machen wollen. Wir stehen zu unserer Verantwortung. ({9}) Darüber hinaus haben wir mit der Entschuldungsinitiative und mit der Verpflichtung der betroffenen Länder, die frei werdenden Mittel zur Armutsbekämpfung einzusetzen, auch wichtige Demokratisierungsprozesse in Gang gesetzt. Durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung der nationalen Armutsbekämpfungspläne haben diese Gruppen in vielen Ländern eine vollkommen neue gesellschaftliche Stellung und mitgestaltende Rolle bekommen. Damit leisten sie einen Beitrag zur Demokratie in ihren Ländern. Das ist extrem wichtig. ({10}) Genauso wichtig, fast noch wichtiger, ist, dass wir es mit der erweiterten Entschuldungsinitiative geschafft haben, die Strukturanpassungsprogramme des IWF endlich zu stoppen, die in früheren Jahren aus Mitteln der Entwicklungspolitik, vor 1998 aus dem Haushalt dieses Ministeriums, finanziert worden sind und mit ihren absurden Ratschlägen dazu beigetragen haben, die Entwicklungsländer ärmer zu machen. Wir haben das beendet und das ist gut. Deshalb werden wir die Entschuldungsinitiative fortsetzen. ({11}) Es geht im Übrigen nicht nur um arme hoch verschuldete Entwicklungsländer. Was würde eigentlich passieren, wenn wir von Brasilien, wo Präsident Lula momentan alle Anstrengungen zur Bekämpfung des Hungers unternimmt, verlangen würden, auf einen Schlag die Schulden an uns zurückzuzahlen? ({12}) Das wäre im Übrigen auch ökonomisch absurd. ({13}) Denn ein exportorientiertes Land wie Deutschland hat schließlich ein Interesse daran, dass weltweit Kaufkraft existiert, damit Menschen Produkte auch aus Deutschland kaufen können. Es ist also eine Absurdität, die hier gefordert wird. ({14}) Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zur Entschuldung eines Landes sagen, das nicht zu den ärmsten hoch verschuldeten Entwicklungsländern gehört, bei dem ich aber stolz darauf bin, dass wir zu einem partiellen Schuldenerlass haben beitragen können, und zwar ist das Serbien unter Zoran Djindjic. Als Zoran Djindjic als Ministerpräsident damals die Diktatur Milosevic abgelöst hat, hat er die Industriestaaten angefleht, einen Schuldenerlass zu ermöglichen, damit das Land wieder auf die Füße kommt. Wir haben Zoran Djindjic Beistand geleistet und einen partiellen Schuldenerlass ermöglicht. Ich bin stolz darauf, dass wir diesem Mann auf seinem Weg zur Demokratie haben helfen können. ({15}) Ich würde mich schämen, wenn ich das nicht damals mit großem Engagement durchgesetzt hätte. Denn angesichts der Hypothek der aus der Diktatur Milosevics stammenden Schulden war klar, dass die Bevölkerung dieses Landes sonst auf dem Weg zur Demokratie dramatische Enttäuschungen erleben würde. Im Übrigen möchte ich daran erinnern, dass auch Deutschland - vor 50 Jahren durch das Londoner Schuldenabkommen - durch eine Entschuldung von der internationalen Gemeinschaft Unterstützung erhielt, die unserem Land half, auf die Beine zu kommen. Wie können wir da anderen Ländern diese Chance verweigern? Angesichts der Tatsache, wie sehr die Menschen in den Entwicklungsländern von der Entschuldung profitieren, kann das Fazit nur lauten: Die Entschuldung war bisher ein Erfolg und muss im Interesse der Menschen in den Entwicklungsländern fortgeführt werden. Denn wir haben vielen Menschen neue Hoffnung und Perspektiven gegeben. Wer jetzt fordert, einen Schritt zurückzugehen - und zwar hinter den breiten gesellschaftlichen Konsens, der auf dem Kirchentag immer wieder deutlich geworden ist -, handelt unchristlich und lädt gegenüber den Menschen in den Entwicklungsländern Schuld auf sich. ({16}) Lassen Sie mich zum Schluss eines betonen - wie es auch der Bundeskanzler bei der Eröffnung des Kirchentages in der vergangenen Woche getan hat -: Die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern und deren Entschuldung liegen auch in unserem Interesse, weil sie zu unserer eigenen Sicherheit beitragen. Denn wie Willy Brandt vor vielen Jahren zu Recht festgestellt hat: Auch wir werden auf Dauer nicht in Frieden leben können, wenn es Regionen in der Welt gibt, in denen Menschen in tiefster Armut leben. Deshalb fordere ich Sie auf: Nehmen Sie diese unsinnigen Vorschläge zurück und tragen Sie dazu bei, dass der in unserem Land und auch in diesem Parlament bestehende Konsens in der Entschuldungsinitiative erhalten bleibt. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Weiß, Sie haben bei der Rede der Ministerin meines Erachtens einen sehr üblen Ausdruck verwendet, der nicht dem parlamentarischen Sprachgebrauch entspricht. ({0}) Ich bitte Sie sehr herzlich, ihn zurückzunehmen und sich bei der Ministerin dafür zu entschuldigen. Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Matthias Wissmann, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat bewusst versucht ich weiß nicht, welche Taktiken sich dahinter verbergen -, Äußerungen einiger unserer Kollegen falsch wiederzugeben. Ich zitiere wörtlich, was ich gesagt habe: Natürlich ist zu berücksichtigen, dass es vielen Ländern schlechter geht als der Bundesrepublik. Aber nicht jeder der zahlreichen Schuldnerstaaten ist ein Entwicklungsland. Gerade in der Wirtschaftskrise hat die Bundesregierung die Pflicht, auf die pünktliche Rückzahlung von Schulden zu achten. ({0}) Ich stehe zu jedem Wort. Wir befinden uns zurzeit - das haben Sie sicherlich heute Morgen in Ihrem Chefgespräch mit dem Bundesfinanzminister über den Haushalt gehört - in der schwierigsten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte. ({1}) Wir müssen jeden Euro dreimal umdrehen. Wir müssen mit dem Bürger über die Frage reden, was wir uns noch leisten können. Deswegen meine ich, dass wir in einer solchen Lage Fall für Fall und Staat für Staat prüfen müssen, worin unsere zwingenden entwicklungspolitischen Ziele vor allem zugunsten der Ärmsten der Armen - zu denen ich mich bekenne - bestehen und an welcher Stelle wir bei der Durchsetzung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland und auch der Steuerzahler konsequenter sein müssen. ({2}) Frau Ministerin, bei diesem Thema bleiben auch Ihnen Korrekturen Ihres bisherigen Handelns nicht erspart. Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben im vergangenen Jahr Bolivien Schulden in Höhe von 335 Millionen Euro erlassen. Nach allem, was wir wissen, gibt es keine einzige konkrete und überzeugende Vereinbarung im Zusammenhang mit diesem Schuldenerlass, durch die Strukturreformen in der dortigen Wirtschafts- und Finanzpolitik ermöglicht werden, die den Menschen wirklich helfen würden. ({3}) Wir haben doch immer wieder bekräftigt, dass ein Schuldenerlass erfolgen sollte, wenn eine Aussicht besteht, dass sich die Lage grundsätzlich zum Positiven ändert. Ich kann aber bei diesem Beispiel nicht erkennen, dass sich eine solche Perspektive eröffnet hat. ({4}) Sollten wir angesichts der Tatsache, dass in diesem Jahr eine Neuverschuldung von über 40 Milliarden Euro zu erwarten ist - die Zahlen werden wöchentlich höher -, nicht ganz genau überlegen, an welcher Stelle wir mit unserer Entschuldungsstrategie ansetzen? Sollten wir nicht ganz genau überlegen, wo Schuldenerlasse geboten sind und wo nicht? So sehr ich - wie Sie alle - für eine enge Zusammenarbeit mit Russland bin, muss ich doch fragen - es war nicht die Union, sondern es waren viele kritische Kommentatoren, die zuerst diese Frage aufgeworfen haben -, ob der Erlass der Forderungen an Russland wirklich gut war. Die Forderungen an Russland aus dem Transferrubel betrugen umgerechnet 15 Milliarden DM. Weil der Bundesfinanzminister einen schnellen, kleinen Zufluss für seinen Haushalt wollte, hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, 500 Millionen als Abgeltung der gesamten Schulden zu vereinbaren. In den vorangegangenen Jahren ging es um eine ähnliche Regelung mit anderen ehemaligen RGW-Staaten wie Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien und Kuba. Die Quote, die damals bei der Entschuldung erreicht worden ist, war wesentlich höher. Im Falle Russlands betrug sie 6,5 Prozent und im Falle der anderen ehemaligen RGW-Staaten 16,7 Prozent. Wenn man das umrechnet, dann stellt man fest, dass es sich um 800 Millionen Unterschied handelt. Ich bitte die Bundesregierung vor diesem Hintergrund dringend: Reden Sie nicht in pauschalen Theorien und scheinbar wohlklingenden moralischen Grundsätzen über dieses Thema. Entscheiden Sie vielmehr von Fall zu Fall! Wir bekennen uns zur Moral einer auf die Ärmsten der Armen gerichteten sinnvollen Entwicklungspolitik, die Umstrukturierung beinhaltet. Wir bekennen uns aber in einer Situation, in der jeder Euro zweimal umgedreht werden muss, auch dazu, das Interesse des Steuerzahlers wahrzunehmen. ({5}) Ich glaube, das vergangene Wochenende hat gezeigt, dass wir mit unseren Anregungen gar nicht so falsch liegen. Die Finanzminister der G-8-Staaten haben beim Weltwirtschaftsgipfel nämlich ausdrücklich vereinbart, dass es in Zukunft eine stärkere Fall-zu-Fall-Betrachtung geben soll, dass man also von den Schemata der bisheriMatthias Wissmann gen Entschuldungsstrategien abweichen will, um stattdessen stärker das jeweilige Land zu betrachten. Ich verstehe das so, dass man auch stärker auf Umstrukturierung in den betreffenden Ländern achten muss; denn Entschuldung macht doch nur dann Sinn, wenn im Innern eines Landes eine Neuordnung stattfindet, die dazu führt, dass das, was man gegeben hat, auf einen guten und nicht auf einen schlechten Boden fällt. So muss man wirtschaftlich und entwicklungspolitisch denken. ({6}) Ich fordere die Bundesregierung auf: Machen Sie es sich nicht so einfach. Gehen Sie mit dem Geld der Steuerzahler sorgsam um. Gehen Sie Land für Land vor. Befolgen Sie nicht irgendwelche leeren Glaubenssätze, sondern setzen Sie eine sinnvollere Entwicklungspolitik auch gegen Widerstände durch! ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissmann, die Aussagen, die Sie, Friedrich Merz und Herr Brüderle gemacht haben, finde ich richtig schäbig. ({0}) Herr Merz hat beispielsweise gesagt, Deutschland könne sich Schuldenerlasse nicht mehr leisten. Eichel solle Schulden eintreiben. Herr Brüderle hat gemeint, wir sollten nicht länger den großzügigen Spendieronkel spielen. ({1}) Herr Wissmann, Sie als CDU-Wirtschaftsexperte haben gefordert, die Regierung solle sich anstrengen, Außenstände einzutreiben. ({2}) Ich kann dazu nur sagen: Sie alle drei sind ziemlich trübe Wirtschaftsexperten, ({3}) und zwar deswegen, weil man in Fachkreisen nur den Kopf über Sie schüttelt. ({4}) Ich sage Ihnen auch gleich, warum. Es ist völlig klar, dass das, was Sie am Wochenende betrieben haben, populistische Manöver gewesen sind. Ich frage mich: Ist das von Unwissenheit geprägt - dann haben Sie keine Ahnung - oder ist das Absicht, um in der Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, als verschenkten die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen an die 52 Milliarden Euro - diese Zahl wird ja immer genannt -, die an Krediten ans Ausland vergeben worden sind? Das ist völliger Quatsch! Ich beweise es Ihnen an zwei Beispielen. Die HIPCInitiative ist eine multilaterale Gemeinschaftsaufgabe. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Armut in den ärmsten Ländern, aber selbstverständlich - man muss das auch einmal andersherum sehen - haben auch wir etwas davon. Wenn dort Entwicklung und Wohlstand sind, wenn dort mehr Bildung ist, dann trägt das auch zu unserer eigenen Sicherheit bei. ({5}) Auch wir haben Wirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern, die nicht zu unterschätzen sind. Deswegen macht es Sinn, hier so vorzugehen. Was die Ministerin als neuen Weg dieser Regierung beschrieben hat - gegenüber der alten Entwicklungspolitik von Ihnen, die sehr viele Fehllenkungen bewirkt hat -, ist völlig richtig. ({6}) Nun zu der Gespensterdebatte, die Sie ausgelöst haben. ({7}) Von absoluter Unkenntnis zeugt ja, wie das nach Ihrer Meinung mit der Krediteintreiberei funktionieren soll. Erstens ist es so, dass Kreditverbindlichkeiten des Auslands gegenüber der Bundesrepublik wie alle anderen Kreditverträge auch an Laufzeiten und Raten gebunden sind. ({8}) Nur bei einem Bruchteil ist die Laufzeit überschritten. ({9}) Zum Zweiten ist klar, dass der Bund solche Kredite selten selbst vergibt. Vielmehr wird in der Regel die KfW tätig. Nur ein Minianteil ist im Bundeshaushalt. ({10}) Die Finanzierung läuft über den ganz normalen Kapitalmarkt und nicht über den Bundeshaushalt. ({11}) Zum Dritten sind die Außenstände des Auslands gegenüber dem Bund im Vergleich zu den gesamten Außenständen des Auslands gegenüber Deutschland gering. Ich nenne nur einmal das Stichwort Auslandsanleihen; vielleicht haben Sie davon schon einmal etwas gehört. ({12}) Jetzt noch zu dem Punkt, den Sie im Zusammenhang mit Russland angesprochen haben. ({13}) Das ist eine Debatte, bei der deutlich wird, dass Sie sich im Vorfeld anscheinend überhaupt nicht informiert haben. In irgendwelchen Sonntagszeitungen standen Zahlen, die fern jeglicher Realität sind. ({14}) Was den Schuldenerlass gegenüber der Russischen Föderation betrifft, haben wir ({15}) die klare Situation, dass die Transferrubelschulden dem Grund und der Höhe nach immer bestritten waren. Zwölf Jahre lang gab es keine Einigung. Zwölf Jahre lang ist - um das einmal so zu sagen - kein Rubel geflossen. ({16}) Herr Putin und Herr Schröder haben einen Schlussstrich gezogen. ({17}) Seit man sich nach zwölf Jahren Ihrer Untätigkeit in diesem Zusammenhang endlich auf einen Betrag verständigt hat, ({18}) werden diese Kredite von der Russischen Föderation laufend getilgt. ({19}) Ich muss Ihnen auch Folgendes sagen: Als wir in Deutschland das Problem mit dem Hochwasser gehabt haben, gab es aus Anlass dieser schwierigen Situation eine frühere Tilgung vonseiten dieses Landes. Sich so hinzustellen und so zu tun, als ob die Russen keinen einzigen Rubel herüberschöben, ({20}) ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Seitdem sich die beiden Staatschefs geeinigt haben, wird ganz vernünftig getilgt. Hören Sie auf, solche Nebelkerzen zu werfen! Hören Sie auf, in der Bevölkerung solche falschen Eindrücke zu vermitteln! Das schadet Deutschland insgesamt und nicht nur Ihnen. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Scheel, ein paar Oberschlaumeier aus den Reihen von Grün-Rot haben gedacht: Wir machen einmal etwas Oberschlaues und unterstellen der FDP Herzlosigkeit. Aber der Schuss ist - wie so oft bei Ihnen - nach hinten losgegangen. Die Oberschlaumeier waren nämlich intellektuell offensichtlich nicht in der Lage, Zitate richtig zuzuordnen. ({0}) Ich lese Ihnen einmal vor, was ich gesagt habe - ich mache es ganz langsam, damit auch Sie, Frau Scheel, und die Schlauberger aus Ihren Reihen es verstehen; ich wiederhole meine Aussage -: Wenn Finanzminister Eichel schon bei der Schuldenpolitik versagt, darf er nicht auch beim Einfordern der deutschen Außenstände versagen. Die Regierung steuert auf eine Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro zu. Da kann sie bei - ich betone wirtschaftlich gesunden Staaten nicht länger den großzügigen Spendieronkel spielen. ({1}) Ich habe kein Wort zum Schuldenerlass und kein Wort zu Entwicklungsländern gesagt. Wenn Sie so etwas behaupten, dann belegen Sie das! Alles, was Sie, Frau Scheel, hier gesagt haben, ist unredlich und heuchlerisch. ({2}) Ich wiederhole: Ich habe von wirtschaftlich gesunden Staaten gesprochen. Was Sie machen, das ist politische Brunnenvergiftung. ({3}) Einigen von Ihnen fehlen offensichtlich grundlegende Kulturfähigkeiten; Lesen ist nicht Ihre Stärke und Rechnen schon gar nicht. Wer zwei Jahre hintereinander die Maastricht-Kriterien verfehlt, der ist eben nicht mehr in der Lage, richtig zu rechnen. Mit dem politischen Geschick ist es bei Ihnen noch schlechter bestellt. Die Oberschlaumeier bei Ihnen haben noch weitere kapitale Schnitzer gemacht. Ich zitiere noch einmal: Wenn ein Land perspektivisch seine Schulden bedienen kann, dann muss es dies auch machen. Diese Aussage stammt nicht von mir, sondern von Herrn Eichel. Er hat das am 14. April dieses Jahres in der „Berliner Zeitung“ wörtlich erklärt. Herr Eichel hat das mit Blick auf den Irak gesagt. Er und andere sind nicht bereit, dem Irak die Schulden zu erlassen; man hat sich auf eine Stundung geeinigt. Ich will das gar nicht bewerten. Eine Bewertung überlasse ich den Oberschlaumeiern von Grün-Rot. Meiner Ansicht nach erfüllt der Irak das Kriterium eines wirtschaftlich gesunden Staates derzeit nicht. Finanzminister Eichel hat auf die Frage, ob er ernsthaft damit rechnet, dass der Irak Deutschland die AltRainer Brüderle schulden in Höhe von 4 Milliarden Euro zurückzahlt, wörtlich geantwortet: „Ich kriege das, und zwar komplett.“ ({4}) Der Titel dieser Aktuellen Stunde zeigt eines: Sie fallen Ihrem eigenen Finanzminister doch wieder einmal in den Rücken. ({5}) Grün-Rot hat Herrn Eichel offenbar zum Abschuss freigegeben. Dabei spielen die laufenden Haushaltsberatungen natürlich eine Rolle. Wir konnten heute in der Zeitung lesen, dass der Etat von Frau Wieczorek-Zeul ordentlich gerupft werden soll. Mit dieser Aktuellen Stunde soll der angeschlagene Kollege Eichel wohl weiter demontiert werden. Ich warte auf den nächsten Auftritt von Herrn Eichel hier. Sein Abgang wird sicherlich im wahrsten Sinne des Wortes „oskarreif“ sein. Sie wollen mit dieser Aktuellen Stunde von Ihrer Chaospolitik, von der immer höheren Arbeitslosigkeit und vom Schuldenchaos ablenken. Dieses Vorgehen ist durchsichtig und substanzlos. Sie werden die Arbeitslosenzahlen für den Mai präsentiert bekommen. ({6}) - Morgen werden sie vorliegen. - Sie werden dann erneut die Quittung für Ihre verheerende Politik bekommen. Wie falsch Ihre Politik ist, werden Sie an den Zahlen ablesen können. Sie haben Ihre Regierungszeit seit der Bundestagswahl verschwendet. Am 14. März wollte der Bundeskanzler - so war es groß angekündigt - eine historische Regierungserklärung abgeben. Seitdem ist kein einziger Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt worden. Auf Regionalkonferenzen und Sonderparteitagen betreiben Sie grün-rote Nabelschau, statt Ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie sind gewählt worden - leider haben Sie eine Mehrheit bekommen -, um zu handeln, zu entscheiden und nicht, um Nabelschau zu betreiben, interne Diskussionen zu führen und das Land weiter in eine falsche Richtung treiben zu lassen. ({7}) Sie erfüllen Ihre Aufgabe nicht. Jeden Tag wird von Ihnen eine neue steuerpolitische Sau durchs Dorf getrieben: Frau Simonis will die Mehrwertsteuer erhöhen; Ulla Schmidt spricht von Mehreinnahmen durch eine Erhöhung der Tabaksteuer in Höhe von 4 Milliarden Euro; Herr Schreiner möchte, dass die Vermögensteuer wieder eingeführt und dass die Erbschaftsteuer erhöht wird. Sie inszenieren diese steuerpolitische Kakophonie perfekt. ({8}) Sie sorgen für eine totale Verunsicherung der Bürger in diesem Land, die nicht mehr wissen, ob sie ihr Geld ausgeben sollen oder nicht. Sie tragen die politische Verantwortung für die steigende Arbeitslosigkeit. Was Sie hier in Bezug auf die FDP vorgetragen haben, war verlogen und durch nichts belegbar. Frau Scheel, Sie sollten sich für Ihren Auftritt schämen und entschuldigen. Was Sie hier betreiben, ist politische Brunnenvergiftung. ({9}) Erfüllen Sie endlich Ihre Aufgabe und veranstalten Sie keine Show! Sie haben die Regierungsmehrheit. Degradieren Sie das Parlament nicht zu einer heuchlerischen Quasselbude, wie Sie es durch Ihre Beiträge getan haben! Sie haben dazu beigetragen, das Ansehen des Parlaments weiter zu beschädigen. Das können Sie, regieren können Sie nicht. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Kortmann, SPD-Fraktion.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist schon ein besonderes Lehrstück der Unionspolitik, was uns hier geboten wird. ({0}) Während nämlich die Entwicklungspolitikerinnen und -politiker der Union noch im Ausschuss über Schuldentragfähigkeit, Finanzierungsmodelle für Entwicklung und Auswirkungen der HIPC-Initiative diskutieren, sagt ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Merz der „Bild am Sonntag“, wo es langgehen soll. Da Sie heute so vieles von dem leugnen, was gesagt wurde, trage ich Ihnen einmal das Zitat vor. ({1}) - Ich kenne den Unterschied zwischen FDP und Union, schaue aber freundlicherweise auch Herrn Brüderle an. Herr Merz hat gesagt: Angesichts der hohen Schuldenlast ausländischer Staaten bei der Bundesrepublik Deutschland können wir uns Schuldenerlasse nicht mehr leisten. Dafür ist die Lage der deutschen Staatsfinanzen zu dramatisch. Weitere Zusagen für große Kredite im Ausland müssen so lange unterbleiben, bis die deutschen Staatsfinanzen wieder konsolidiert sind. Ich habe von der Union weder - ({2}) Es muss auch geprüft werden, ({3}) welche Länder ihre Schulden schnell zurückzahlen können. ({4}) Bis heute, Herr Kampeter, sind Sie eine Erklärung schuldig geblieben, was damit gemeint ist. Es gibt keine Pressemitteilung und kein Dementi. Herr Merz redet hier heute nicht und bezieht dazu auch nicht Stellung. Ich sehe nur einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, der an den Fachpolitikern vorbei eine Diskussion eröffnet, die uns allen unseliges Leid bringt. ({5}) - Ja, es ist doch so. Herr Merz hat wieder seine finanzpolitische Kompetenz in den Sand gesetzt und Ihnen und Ihrer Fraktion bezüglich globaler Verantwortung und der Fähigkeit zu nachhaltiger Gestaltung ein Armutszeugnis ausgestellt. Beides besitzen Sie nach wie vor nicht. Nehmen wir das Beispiel, das Herr Wissmann ansprach, nämlich Bolivien, eines der ärmsten Länder der Welt. 1996 wurden im Rahmen von HIPC I Bolivien Schulden in Höhe von 760 Millionen US-Dollar erlassen. Im Rahmen von HIPC II im Jahre 2001 kamen noch einmal 1,3 Milliarden US-Dollar hinzu. Die gehen in die Armutsbekämpfung und fördern somit ein humanes, soziales und auch wirtschaftliches Wachstum. Wir haben einen konditionierten Schuldenerlass, das heißt, das Geld zirkuliert nicht frei im Land, ({6}) sondern ist an bestimmte Programme und Aufgaben gebunden. ({7}) - Lesen Sie es nach! Ich habe nur wenig Zeit. Hören Sie mir zu! Ich schicke Ihnen meine Rede aber selbstverständlich auch gerne zu. ({8}) - Machen Sie sich bitte bei den Fachpolitikern Ihrer eigenen Fraktion sachkundig, wenn Sie es selber nicht wissen. ({9}) Die erlassenen Schulden gehen zu 70 Prozent - das ist Gesetzeslage in Bolivien - in die Munizipien, die Landkreise. Sie werden dort für Schulen, Bildung, Gesundheitsversorgung und für produktive Infrastruktur verwendet. 20 Prozent gehen in das Bildungsministerium für Lehrer, Bau von Schulen und Lehrmaterial und 10 Prozent gehen an das Gesundheitsministerium. Durch die Umwandlung von Schulden kann der bolivianische Staat dafür in den kommenden Jahren jährlich 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen. In Bolivien ist es in Form eines nationalen Dialogs mit der katholischen Kirche, mit Bauern, Frauen, Stadtteilorganisationen, Gewerkschaften und Kleinproduzenten gelungen, die Partizipation der Bevölkerung einzuleiten und ein Armutsstrategiepapier zu entwickeln, worüber nicht allein auf Regierungsebene verhandelt wurde. Mit den Armutsreduzierungsprogrammen hat man sich für Bolivien bis zum Jahre 2015 in der Tat sehr ehrgeizige Ziele gesetzt, ({10}) nämlich Senkung der Armutsgrenze und der extremen Armut, Steigerung der Lebenserwartung und der Schulverweildauer. Dies kann aber nur Erfolg haben, wenn gleichzeitig - ich hoffe, dass Sie das wenigstens einsehen und uns da unterstützen - wirtschaftliches Wachstum gefördert wird - das heißt auch Öffnung der Märkte -, die öffentlichen Ausgaben auf armutswirksame Bereiche konzentriert, institutionelle Reformen eingeleitet und Maßnahmen zur Dezentralisierung verstärkt werden sowie eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen durch Verbesserung des Steuersystems und der Finanzkontrolle erfolgt. Drei Komponenten, nämlich die Wachstumsförderung, die Schuldentragfähigkeit und die Armutsreduzierung müssen hier Hand in Hand greifen. Das sind Ziele, die zum Überleben von Millionen von Menschen international vereinbart wurden. Daraus ergibt sich auch die Frage, ob wir uns verantwortungsvoll und glaubwürdig an der sozialen Gestaltung der Globalisierung beteiligen oder ob wir Friedrich Merz mit seinem dumpfen Populismus wie dem Rattenfänger von Hameln hinterherlaufen wollen. ({11}) Wenn Sie das nicht so sehen, dann erwarte ich, dass die Union gleich, wenn wir mit dem bolivianischen Bischof Abastoflor zusammensitzen, das zurücknimmt, was Friedrich Merz gesagt hat. Ich bitte Sie sehr herzlich: Schmücken Sie sich zukünftig nicht mit falschen Tüchern und falschen Slogans. Wir kämpfen für das, was mit der Erlassjahr-Kampagne eingeleitet worden ist. Vielleicht hat Ihr Kollege Kues ganz Recht: Das C wird in der Union doch wieder sehr klein geschrieben. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage auch und gerade als Entwicklungspolitiker: Bei 4,5 MilDr. Christian Ruck lionen Arbeitslosen, einer dramatischen Wirtschaftskrise, einem außer Rand und Band geratenen Bundeshaushalt, einer Rekordnettoneuverschuldung, auf die wir zutreiben, und 52 Milliarden Euro Außenständen ist, Frau Kortmann, die Frage nicht nur legitim, sondern auch berechtigt: Wie können wir durch eine Verbesserung unseres Schuldenmanagements auch zu einer Verbesserung der eigenen miserablen Wirtschaftslage in Deutschland beitragen? Diese Frage ist nicht etwa unchristlich, sondern unchristlich und unkollegial ist, wie Sie hier mit Kollegen aus unserer Partei und aus der FDP umgehen. Dafür sollten Sie sich schämen und nicht wir. ({0}) Es ist traurig, dass diese entscheidenden Fragen von der Opposition gestellt werden und nicht von den Regierungsparteien. Es ist auch traurig, dass Sie, Frau Scheel - wir haben die Aktuelle Stunde nicht beantragt, sondern Sie -, mit einem Sturm im Wasserglas und dieser Phantomdebatte davon ablenken wollen, dass Sie den Bundeshaushalt an die Wand fahren, dass auch die entwicklungspolitischen Ziele dadurch gefährdet sind, dass der BMZ-Haushalt Jahr für Jahr reduziert wird und dass auch Ihre Entschuldungsinitiative mit schweren Mängeln behaftet ist. ({1}) - Danke für den Hinweis. Die entwicklungspolitische Komponente, die Sie hier hochziehen, ist doch wirklich ein Popanz; denn weit mehr als die Hälfte der Schulden, um die es geht, sind nicht Schulden der Entwicklungsländer. Ein großer Teil der verbliebenen Schulden sind Schulden der Schwellenländer, von Ländern, die von sich selbst behaupten, dass sie großartige Zukunftsperspektiven haben, und zwar zu Recht, wie China und Brasilien. Bei diesen Ländern muss man doch, wie Herr Wissmann völlig zu Recht angeschnitten hat, von Fall zu Fall entscheiden, ob Schulden erlassen werden und wie Schuldenmanagement betrieben wird. Der klassische Fall ist der Irak. Jeder von uns weiß doch, dass wir den Leuten im Irak helfen müssen. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir dem Irak als zweitgrößtem potenziellen Erdölexporteur der Welt die Schulden erlassen müssen, ({2}) sondern wir brauchen ein vernünftiges Schuldenmanagement, durch das wir unser Geld wiederbekommen und der Irak auf die Beine kommt. ({3}) - Ich bin der Meinung, Zwischenrufe sollte nur jemand machen, der von der Materie etwas versteht. Sie haben das Stichwort Bolivien und weitere Stichwörter angesprochen. Ich halte es für vollkommen legitim, wenn wir auch darauf hinweisen, dass unsere Steuerzahler das Recht haben, zu verlangen, dass wir ihr Geld nicht langfristig zum Fenster hinausschmeißen, ({4}) und zwar in einer Situation, in der den Kommunen das Wasser bis zum Hals steht und viele Bürger in unserem Lande sparen. Sie tun auch der Entwicklungspolitik keinen Gefallen, Frau Ministerin, sondern bringen sie in Misskredit, wenn Sie den Eindruck erwecken, dass wir nicht behutsam, engagiert und effizient mit dem uns anvertrauten Geld umgehen. Das gilt auch für HIPC. Wir haben die Initiativen der Kirchen doch gemeinsam unterstützt. Wir haben gesagt, dass auch wir eine Entschuldung in vielen Fällen als eine Art Neuanfang für notwendig halten. Aber das war ganz gezielt kein Blankoscheck für weitere Misswirtschaft, sondern wir haben Bedingungen daran geknüpft, zum Beispiel ein Mehr an guter Regierungsführung oder ein Mehr an Mitteln für die Armutsbekämpfung. Es ist völlig evident, dass es gerade in diesem Bereich Schwierigkeiten gibt. Das sagt doch nicht nur die Opposition. Fragen Sie zum Beispiel Misereor oder fragen Sie Bischof Abastoflor, der heute hier ist und der über die Lage Boliviens sehr engagiert und sehr kompetent Auskunft geben kann. Auch er wird Ihnen sagen, dass vieles von dem, was wir eigentlich wollten, nicht eingetreten ist, weil die Konditionierung eben nicht gestimmt hat. Aber es gibt noch andere Fälle, die viel problematischer sind. Ich nenne beispielsweise Ruanda, Uganda und Burkina Faso, die auch zu dem Kreis der Länder gehören, die entschuldet werden. Angesichts der äußerst dubiosen Rolle dieser drei Länder muss man sich wirklich fragen, ob hier die Konditionierung gegriffen oder komplett versagt hat. ({5}) Diese Fragen muss man stellen dürfen. Man muss jedes Land einzeln betrachten und dann von Fall zu Fall entscheiden, was geschehen soll.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Ich plädiere dafür, dass Sie sich an die eigene Nase fassen und dass Sie nicht von Ihrem nochmals schlechter werdenden Haushalt ablenken. Greifen Sie unsere Vorschläge auf und arbeiten Sie konstruktiv daran mit, das Schuldenmanagement und die Lage der Bevölkerung in der Dritten Welt zu verbessern! ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe vom Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Kortmann hat bereits ihren Schal gezeigt. Ich möchte am liebsten einen Kochtopf auspacken, einen großen Kochlöffel nehmen und damit Krach schlagen ({0}) - in alle Richtungen -, wie das 5 000 Menschen auf dem Ökumenischen Kirchentag im Rahmen der ErlassjahrKampagne getan haben. Sie sind nicht nur von Oscar Rodriguez, dem Bischof aus Honduras, der schon erwähnt wurde, unterstützt worden, sondern auch von Margot Käßmann, der Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands. Ich möchte gerne mit Krach schlagen, nicht für weniger, sondern für deutlich mehr Schuldenerlass. Zum Glück weiß ich, dass man mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP im AWZ über dieses Thema seriös diskutieren kann und dass sie sich nicht zu populistischen Äußerungen hinreißen lassen. Schulden im Ausland einzutreiben klingt populär und ist nicht von vornherein ein absurder Gedanke. ({1}) Aber wir müssen fragen, wie es in den Ländern aussieht, die davon betroffen sind. ({2}) Sie haben gesagt, dass Sie nicht die Entwicklungsländer meinen, sondern Länder wie Russland, die in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen. Aber als Beispiel haben Sie Länder wie Bolivien, Uganda und Ruanda genannt. ({3}) Sie müssen an dieser Stelle ganz klar und deutlich sagen, welche Länder Sie wirklich meinen. Die Frage muss doch erlaubt sein, wie diese Schulden zustande gekommen sind. Es wird der Eindruck erweckt, die Länder hätten über ihre Verhältnisse gelebt, seien mit dem Geld verschwenderisch umgegangen und könnten nicht wirtschaften. ({4}) Wenn man die Situation in vielen dieser Länder genau analysiert, dann wird man feststellen, dass auch falsche Rezepte von außen - ich nenne Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF -, zum Teil fehlgeleitete Entwicklungshilfe sowie dubiose Bankengeschäfte zu dieser Situation beigetragen haben. Die Länder des Westens haben sozusagen daran mitgedreht und von der Schuldenfalle kräftig profitiert. ({5}) Würden wir jetzt aussteigen und weniger Schuldenerlass gewähren, dann würde das - die Ministerin hat schon ausdrücklich darauf hingewiesen - zu katastrophalen Folgen führen. Es würde beispielsweise dazu führen, dass mehr Kinder erkranken und mehr Menschen hungern würden. ({6}) - Das ist nicht zynisch, sondern in vielen Ländern der Welt Realität. Ich will daran erinnern, dass Deutschland selber vom großzügigen Schuldenerlass profitiert hat. Im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens wurden Deutschland 30 Milliarden DM Schulden erlassen. Die Schuldendienstquote wurde damals auf 1 bis 3,4 Prozent der Exporterlöse reduziert. Das war eine wichtige Voraussetzung für den Neuanfang, für die Stabilisierung unseres Landes und für die Stabilisierung der Demokratie. Wenn wir einen wirksamen Beitrag für mehr Frieden und Stabilität in der einen Welt leisten wollen, dann sollten wir uns für eine deutliche Ausweitung der Entschuldungsinitiative einsetzen. Dass HIPC in einigen Fällen nicht erfolgreich war, lag daran, dass die Schuldentragfähigkeit der betroffenen Länder teilweise falsch eingeschätzt wurde und die verbliebenen Restschulden zu hoch waren. Es ist zu fordern, dass die Schuldendienstquote auf 5 Prozent gesenkt wird. Nur so haben diese Länder eine Chance, sich aus diesem Kreislauf, dieser Falle überhaupt zu befreien. Natürlich müssen wir über die Konditionierung, über Veränderungen nachdenken, ({7}) aber nicht über ein stärkeres, heftigeres Eintreiben. Wir dürfen dort nicht heftiger als die Gerichtsvollzieher auftreten. Wir müssen vielmehr realistisch beurteilen, welche Restschulden diese Länder aufgrund der veränderten Wirtschaftsbedingungen überhaupt tragen können. ({8}) Diese Maßnahmen müssen von einem internationalen Insolvenzrecht flankiert werden. Auf der Frühjahrstagung der Weltbank und des IWF hat es leider keine Fortschritte gegeben. Das lag nicht an Deutschland, sondern an der Blockadehaltung der USA. Wir brauchen ein internationales Insolvenzrecht, und zwar im Sinne eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens. ({9}) Unsere Forderung geht in die Richtung, dass dort nicht allein der IWF als Hauptgläubiger das Sagen haben darf, sondern dass es ein wirklich faires und transparentes Schiedsverfahren zu sein hat. Nur Forderungen, die in diese Richtung weisen, führen weiter. Dabei geht es nicht um Großzügigkeit oder um Mitmenschlichkeit, sondern um gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiche Lebensperspektiven für alle und auch um bessere Chancen für unsere Wirtschaft. Wenn wir Weltmeister im Exportieren sein und bleiben wollen, dann brauchen wir Kunden, die wir fair behandeln und mit denen wir fair handeln können. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das Motiv für die Forderungen aus den Reihen der CDU/CSU ist das schlechte Gewissen. ({0}) - Ich zitiere diese Forderungen gleich. - Denn wir sind ja Schuldnerland im eigenen Land. Angenommen, wir hätten die Schulden, die bis 1998 aufgelaufen sind, nicht zu bedienen: Kann sich jemand vorstellen, was heute in diesem Land los wäre, wenn wir diese Zinslast nicht zu bedienen hätten? ({1}) - Das ist eine völlig alte Kamelle. - Das Problem dabei ist nur, dass die Verantwortlichen heute operativ nicht mehr greifbar sind. Darin liegt das eigentliche Problem. ({2}) Es gibt außer denjenigen, die hier sitzen, nur einen, der sich wirklich kümmert: Das ist Hans Eichel. Dafür sollten Sie ihm dankbar sein. ({3}) Kollege Wissmann sagt, nicht alle Schuldnerländer seien Entwicklungsländer. Das stimmt. Aber ist es nicht gerade deshalb umso wichtiger, sich international mit Krediten und Risikoabschirmungen zu engagieren? Herr Merz sagt, Schuldenerlasse könnten wir uns nicht mehr leisten. ({4}) - Nicht aber! - Die Frage ist natürlich, ob wir uns die Forderungen von Herrn Merz, die sich daraus ableiten lassen, noch leisten können. Eigentlich wollte ich jetzt etwas zu internationalen Verflechtungen, ({5}) zu ethisch-moralischen Gesichtspunkten sowie zu sozialen, kulturellen und humanitären internationalen Aufgaben sagen. Mir ist aber im Haushaltsausschuss ein Antrag von der CDU/CSU in die Hände gefallen, der sich unter anderem so zitieren lässt: Entwicklungspolitik ist jedoch genauso ein wichtiges Instrument zur Förderung der Stellung Deutschlands in der Welt. Sie befördert den fruchtbaren Kulturaustausch, stimuliert die Hochschul- und Wissenschaftskooperation, intensiviert die wirtschaftlichen Beziehungen und stärkt so auch unsere Wirtschaft auf wichtigen Zukunftsmärkten. ({6}) Um wie viel stärker gilt das für Länder, die ihre Schuldendienste korrekt bedienen? Was würden die internationalen Handelsvertretungen sagen, wenn wir plötzlich Ihrem Vorschlag nachkommen würden? Das wäre international in vielfältiger Hinsicht ein absolutes Fiasko. ({7}) Aber die CDU/CSU präzisiert sogar. Sie fordert die Regierung zu etwas auf. Ich zitiere erneut: Dieser Herausforderung muss die deutsche Politik gerecht werden, indem sie den Bereich … mit mehr finanziellen Mitteln und qualitativ mit mehr Effizienz und Kohärenz stärkt. Eigentlich hat uns genau das dazu veranlasst, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Wir wollen zeigen, dass die Richtung Ihrer Ideen falsch ist. Es gibt nämlich keine ungebundenen Kredite, keine nicht konditionierten Kredite und keine direkten Kredite. Wie funktioniert das eigentlich? - Ein deutsches Unternehmen bietet Produkte an oder realisiert international große Projekte. Der Käufer oder Abnehmer - gelegentlich sind das Staaten - bezahlt den Auftrag mit einem Kredit, den eine deutsche Hausbank organisiert. Die Aufgabe des Staates ist die Risikoabschirmung für einen solchen Kredit. Jetzt frage ich mich: Was würden die Unternehmen denken, wenn wir Ihrem Vorschlag nachkämen? - Das würde international einen ökonomischen Schaden anrichten, den Sie, auch aus der Opposition heraus, gegenüber Deutschland nicht verantworten könnten. Wir haben aktuell einen Ermächtigungsrahmen von etwa 130 Milliarden Euro und ein Entschädigungsrisiko - das ist eine rein rechnerische Größe - von 75 Milliarden Euro. Alle wissen, dass dieses Risiko nicht eintreten wird; denn wir müssen drei Fälle unterscheiden: Lothar Binding ({8}) Erstens. Die Kredite werden mit Zins und Tilgung bedient. Man muss sich fragen, warum ein Kreditgeber Kredite kündigen sollte, die mit Zins und Tilgung bedient werden und international große wirtschaftliche Dynamik erzeugen, was für die deutsche Volkswirtschaft, die international stark verflochten ist, von großer Bedeutung ist. Zweitens. Bei Liquiditätsproblemen gab und gibt es die Möglichkeit der Umschuldung in langfristige Kredite. Dies geschah - das ist ein sehr gutes Beispiel - Anfang der 90er-Jahre bei den Krediten Russlands. Seither bedient Russland die Kredite mit Zins und Tilgung sehr korrekt. Dadurch werden Handelsbeziehungen aufrechterhalten. Russland ist übrigens einer der größten Energielieferanten Deutschlands. Diese Lieferungen sind für die deutsche Wirtschaft essenziell. Drittens. Es gibt Länder - das stimmt -, die in die absolute Zahlungsunfähigkeit geraten. In allen drei Fällen macht selbst die Überprüfung langfristiger Kredite keinen Sinn, weil sie ökonomisch schädlich wäre. Damit würden wir einen Vertrauensverlust in ein Exportland erzeugen, den keiner in diesem Raum wirklich verantworten kann. Wie verfahren wir? Ich will es technisch beschreiben: Wir verfahren nach den Konditionen des Pariser Clubs. Bei hoch verschuldeten Ländern verfahren wir nach den Houston-Konditionen, bei stark verschuldeten Ländern nach den Neapel-Konditionen sowie bei hoch verschuldeten und ärmsten Ländern nach den Köln-Konditionen. Dieses Verfahren ist human, international verantwortungsbewusst, ökonomisch sinnvoll und gut für Deutschland. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Conny Mayer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Conny Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003590, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, also in Zeiten, in denen wir uns zurzeit befinden, muss es erlaubt sein, die Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen und kritisch zu hinterfragen, wie wir unsere Steuergelder ausgeben. ({0}) Ich freue mich deshalb, dass ein Presseartikel zum Thema Auslandsschulden zum Anlass genommen wird, den Schuldenerlass kritisch zu diskutieren. Ich wundere mich aber, dass der Opposition vorgeworfen wird, sie werfe mit Nebelkerzen. Sie sagen, wir sollten uns schämen. Im Grundsatz sind wir uns doch in Sachen Entschuldung einig. Es muss aber legitim sein, zu überlegen, wie das Thema Entschuldung richtig angegangen werden kann und wo Defizite bestehen, was Entschuldung leisten kann und was nicht. ({1}) Eine große deutsche Sonntagszeitung verweist unter der Überschrift „So viel schuldet uns das Ausland“ auf über 52 Milliarden Euro und untermalt das sehr plastisch mit Grafiken. Ich frage mich, warum Sie versuchen, die Finanz- und Entwicklungspolitiker der Opposition gegeneinander auszuspielen, anstatt sich als Bundesregierung zu fragen, welchen Beitrag Sie für eine nachhaltige Entwicklungspolitik und Entschuldung leisten können. ({2}) Fragen Sie sich, welchen Beitrag die Bundesregierung leisten kann, um den Menschen besser als bisher zu erklären, dass wir schon aus Eigeninteresse entschulden müssen! Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Weltbank hat aufgezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Armut und Bürgerkriegen besteht. Politische Instabilität in den betroffenen Ländern kann auch für uns in Deutschland eine Bedrohung unserer Sicherheit und unserer wirtschaftlichen Interessen bedeuten. Auch Entwicklungsländer sind potenzielle Wirtschaftspartner. ({3}) - Es freut mich ja, dass auf Ihrer Seite geklatscht wird. Was ist denn das Ziel von Entschuldung, meine sehr verehrten Damen und Herren? Das Ziel ist, die am wenigsten entwickelten Länder, die ärmsten Länder dieser Welt - von denen sprechen wir jetzt bei der Entschuldung - zu unterstützen und aus dem Teufelskreis von Überschuldung, Schuldentilgung, Zinszahlungen und immer weiterer Verschuldung herauszuholen und um - das ist entscheidend - die Mittel frei zu haben für nachhaltige Entwicklung, für Armutsbekämpfung, für eine Verbesserung der Situation bei Bildung und Gesundheit und für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Entschuldung muss ein Dreiklang sein: erstens Konditionierung, zweitens Kontrolle und drittens die Frage nach den Konsequenzen, wenn es nicht funktioniert. ({4}) Konditionierung: Welche Bedingungen gibt es, um entschuldet zu werden? Wie wird erreicht, dass Schuldenerlass nicht die eigenen Anstrengungen der Entwicklungsländer unterläuft, sondern im Gegenteil einen Anreiz für eigene Anstrengungen in dem Bereich bietet? Kontrolle: Wie werden Entschuldungsprozesse überwacht? Wie wird gewährleistet, dass Geld wirklich zur Armutsbekämpfung eingesetzt wird und nicht zur Unterstützung der verfehlten Politik von Regierungen? Auch das gibt es. ({5}) Conny Mayer ({6}) Wie wird die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung der Armutsbekämpfungspläne gewährleistet? Der dritte Punkt ist die Frage nach den Konsequenzen: Welche Sanktionsmöglichkeiten haben wir denn bei Verstößen gegen die Armutsbekämpfungspläne und beispielsweise bei der Nichtbeachtung von Good Governance? Nur dann, wenn die Bundesregierung Antworten auf all diese Fragen hat, dient Entschuldung dem von mir eingangs beschriebenen Ziel. Lassen Sie mich noch eine Schlussbemerkung machen. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Hohen Hause nicht versuchen, Entwicklungspolitiker und Finanzpolitiker gegeneinander auszuspielen. Das ließe sich, über Fraktionsgrenzen hinweg, auch machen mit Entwicklungs- versus Gesundheits- und Forschungspolitikern oder Agrarpolitikern. Ich wünsche mir, dass wir uns hier im Hohen Hause konstruktiv mit dem Thema „Entschuldung und Entwicklungspolitik“ auseinander setzen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Mayer, ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause. Ich wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute. ({0}) Nächster Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Mayer, auch ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Ich darf Ihnen bestätigen: Sie haben den sachlichsten Beitrag aus Ihrer Fraktion geliefert. ({0}) Alles andere, was bisher von Ihrer Fraktion gekommen ist, war leider Schaumschlägerei. ({1}) Frau Mayer, Sie haben auf den Artikel hingewiesen, der kürzlich in der „Bild“-Zeitung erschienen ist und in dem Zitate von Herrn Merz, Herrn Wissmann und Herrn Brüderle gebracht worden sind. In diesem Artikel wurden die 52 Milliarden Euro an Auslandsforderungen dargestellt, die Deutschland hat. Dann kommt natürlich, wie Herr Brüderle vorhin noch einmal klargestellt hat, die Unterstellung, die Bundesregierung gehe lax damit um, verteile großzügig und verzichte zulasten der deutschen Steuerzahler. Herr Brüderle drückte das so aus, dass die Bundesregierung den großen Spendieronkel spiele. ({2}) 52 Milliarden Euro: Der größte Posten in dieser Summe sind Forderungen, die Deutschland an Russland und andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat. Der Schuldenerlass für diese Länder - ich finde, man kann ihn aus politischer Sicht rechtfertigen - ist damals, 1989/ 90 und in den Folgejahren, sehr großzügig gewährt worden. Es ist damals auch sehr viel in Form von Geschenken an die Sowjetunion gegangen. Deutschland hat beispielsweise zu einem großen Teil den Rückzug der Roten Armee aus Deutschland finanziert; das beanstande ich überhaupt nicht. Die damals rund 100 Milliarden DM, die der Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten als Kredite gewährt worden sind, sind Forderungen zu durchaus marktüblichen Konditionen. Allerdings hat sich dann herausgestellt, dass Russland in der Folgezeit nicht immer in der Lage war, die Zahlungen fristgemäß zu leisten. Deswegen hat es bezüglich des Löwenanteils - international abgesprochen - Schuldenstreckungen und Umschuldungen insbesondere vom Pariser Club gegeben. Herr Wissman hat noch auf eine besondere Verbindlichkeit der Sowjetunion hingewiesen, die zwischen Deutschland und Russland immer strittig war, weil Ihre Regierung, Herr Wissmann, es zwischen 1989 und 1998 nicht fertig gebracht hat, den Charakter dieser Forderungen zu klären und eine Verständigung herbeizuführen. Ich spreche von den so genannten Transferrubelverbindlichkeiten der Sowjetunion gegenüber der DDR. Umgekehrt gab es die Position der Sowjetunion, die Forderungen an die DDR hatte und diese verrechnen wollte. Jetzt rechnen Sie einmal in Transferrubel bewertete strittige Forderungen in Euro um! Viel Vergnügen! ({3}) Jedenfalls ist Ihnen das in Ihrer Regierungszeit nie gelungen. Sie haben auch keinen ernsthaften Versuch unternommen. ({4}) - Da gab es aber D-Mark und andere konvertible Währungen. ({5}) Herr Wissman hat sich jetzt hingestellt und gesagt: Da diese Bundesregierung mit Russland vereinbart hat, hier einen Schlussstrich zu ziehen, ({6}) etwas, was zwischen Gläubigern und Schuldnern gemacht werden muss, wenn es offensichtlich keine von beiden Seiten akzeptierte Klarheit gibt, müsse man sich irgendwie verständigen. Russland hat dann eine Größenordnung von einer halben Milliarde Euro akzeptiert und diesen Betrag ganz überwiegend bezahlt. ({7}) - Was heißt „6 Prozent“? Sagen Sie mir doch einmal, wie viel die strittigen 6,5 Milliarden Transferrubel in Euro wert sind!. ({8}) Sie haben diese Verständigung zwischen 1990 und 1998 nicht geschafft. Spielen Sie also jetzt nicht den Schlaumeier. ({9}) Ich finde, alles Übrige muss man davon trennen. Das, was im Rahmen der Entschuldung von besonders hoch verschuldeten armen Entwicklungsländern geschehen ist, ist nie bilateral, sondern immer gemeinsam mit anderen Industrieländern gemacht worden. Wir haben im Übrigen nur Kredite solcher Länder einbezogen, die seit längerer Zeit notleidend sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Spiller, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Banken machen in solchen Situationen etwas anderes. Sie streichen den Kredit und nennen das Wertberichtigung, und zwar in sehr viel größerem Stil. Wir haben eine sehr korrekte Verfahrensweise gewählt und haben uns nichts vorzuwerfen. ({0}) Die Bevölkerung ist besser informiert, als Sie glauben. Auf solche Tricksereien wie die, die Sie über die „Bild“Zeitung verbreiten, werden die deutschen Bürgerinnen und Bürger nicht reinfallen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vorhin den Redebeitrag von Frau Wieczorek-Zeul gehört habe, habe ich gedacht, dass sie die Gutmütigkeit der Regierung etwas losgelöst von den wirtschaftlichen Realitäten beschreibt. Aber lassen Sie uns in unser Land blicken. Wir nähern uns in diesem Jahr mit 40 Milliarden Euro der höchsten Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung. Dies beruht vor allen Dingen auf erheblichen Steuerausfällen durch die falsche und verfehlte Regierungspolitik, aber auch auf Mehrausgaben wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Allein bei der Bundesanstalt für Arbeit sind es in diesem Jahr zusätzlich 10 Milliarden Euro, bei der Arbeitslosenhilfe sind es zusätzlich 2 Milliarden Euro. ({0}) Alle Schätzungen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorgenommen werden, scheinen offensichtlich noch von wirtschaftlichem Optimismus und Wachstumsannahmen von einem drei viertel Prozentpunkt geprägt zu sein. In dieser weltwirtschaftlich wie national wirtschaftlich schwierigen Zeit kann es doch nur sinnvoll sein, in allen Bereichen dafür zu sorgen, das Geld, das uns die Bürgerinnen und Bürger anvertraut haben, mit dem Maximum an Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu verwenden. Selbstverständlich müssen wir in dieser Situation unserer Verantwortung für Deutschland nachkommen und die Frage stellen, warum wir die Schulden, auf deren Rückzahlung wir einen Rechtsanspruch haben, deren dazugehörigen Vertragslaufzeiten abgelaufen sind und die zur Rückerstattung an die Bundesrepublik Deutschland anstehen, nicht einfordern. Das sind wir der Bevölkerung schuldig. ({1}) Das, was Sie, Frau Bundesministerin, hier gesagt haben, nämlich dass wir Verträge kündigen wollen, ist bar jeder Realität. Das ist eine üble Verleumdung der Position, die die Herren Merz und Wissmann für die CDU/ CSU in dem Artikel dargelegt haben. ({2}) Es ist eine Tatsache, dass fällige Schuldenaußenstände in einem Umfang von rund 3,2 Milliarden Euro von der Bundesregierung nicht eingetrieben werden. Der Staatssekretär aus dem Finanzministerium, Herr Diller, muss uns gleich Rede und Antwort stehen, warum das Finanzministerium, das für die höchste Nettokreditaufnahme nach der Wiedervereinigung in Höhe von knapp 40 Milliarden Euro verantwortlich ist, 3,2 Milliarden Euro an ausstehenden Schulden nicht einfordert, wie wir es vorgeschlagen haben. ({3}) Wie wichtig uns dieses Thema ist, können Sie daran sehen, dass wir extra die Sitzung des Haushaltsausschusses unterbrochen haben, um dieser Debatte folgen zu können. Das zeigt: Wir haben Interesse an dieser Politik. Nahezu die gesamte Haushaltsarbeitsgruppe der CDU/ CSU ist anwesend. Die nur vereinzelt anwesenden Haushälter der Sozialdemokraten machen deutlich, dass für das Geld der Steuerzahler bei CDU/CSU offensichtlich mehr Interesse besteht als bei der Regierungskoalition. ({4}) Ein Wort zu Russland. Der Kollege Spiller hat sehr zutreffend die Situation hinsichtlich des Transferrubels dargelegt. Tatsache ist: Es war ein politisch motivierter Schuldenerlass ohne Gegenleistung. Sie haben beim Transferrubel eine Vergleichsquote für Russland angesetzt, die sich von den Quoten der übrigen ehemaligen RGW-Staaten unterschied. Sie haben Russland ohne Not politisch bevorteilt, und zwar zulasten des Steuerzahlers. Was noch viel schlimmer ist: Sie haben keine Gegenleistung gefordert. Auch aus der SPD-Fraktion sind kritische Fragen gekommen, zum Beispiel, warum Sie die Klärung der Beutekunstfrage nicht mit der Transferrubelfrage verbunden haben. Sie hatten nicht die Kraft dazu. Sie wollten einfach Schulden ausbuchen und sich als der gute Mensch aus dem Kanzleramt darstellen. Das ist eine Politik, die nicht im nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt. ({5}) Einige Worte zu Bolivien. Wir haben Sie, Frau Ministerin, in der vergangenen Woche im Haushaltsausschuss anderthalb Stunden befragt, warum Sie knapp 300 Millionen Euro unkonditioniert nach Bolivien gegeben haben. Es geht nicht darum, dass wir prinzipiell gegen einen Schuldenerlass seien. Aber wir fragen uns, ob wir uns einen unkonditionierten Schuldenerlass leisten können. Es gibt in der bolivianischen Gesellschaft über diesen unkonditionierten Schuldenerlass derzeit eine große Diskussion. Die Bolivianer wollen Ihr Geld eigentlich gar nicht, weil es zur Abdeckung der Haushaltskrise in Bolivien dient. Dieses Geld wird Ihrem Entwicklungshilfeetat gutgeschrieben, aber in Bolivien versickert es, weil Sie schlampig verhandelt und keine Konditionen an diesen Schuldenerlass geknüpft haben. Jetzt steht die bolivianische Gesellschaft Kopf und Sie verkaufen das auch noch als eine Wohltat dieser rot-grünen Bundesregierung. Das nenne ich zynisch, Frau Bundesministerin. Das kann man so nicht stehen lassen. ({6}) Unsere Grundposition ist klar: In wirtschaftlich schwieriger Lage muss man jeden Cent zweimal umdrehen. Man darf nicht schlampig verhandeln. Man muss zusehen, dass man mit dem Geld der Bürger sorgsam und sparsam umgeht und dass man Außenstände eintreibt. Das ist die Position der Entwicklungspolitiker, der Haushaltspolitiker und der CDU/CSU insgesamt. Darin lassen wir uns von niemandem überbieten. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Sascha Raabe, SPDFraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kampeter, auch mit Verweis auf die angeblich hohe Anzahl Ihrer Haushaltskollegen sage ich Ihnen: Ihre Rede beweist, dass Quantität keine Qualität ersetzt und Lautstärke keine Argumente. ({0}) Wir haben heute schon ein paar sachliche Beiträge von Ihrer Seite gehört, nämlich von Ihren Kolleginnen aus dem Entwicklungshilfeausschuss, zum Beispiel von Frau Mayer. Ich glaube, wir sind uns durchaus einig, dass es in einer fachlichen und sachlichen Diskussion und in einem solchen Kontext ganz normal ist, dass man sich über die Frage unterhält, wie die Entschuldung konditioniert vonstatten gehen und man die Entwicklungsziele im Auge behalten kann. Aber Herr Brüderle, Herr Wissmann und Herr Merz - er ist jetzt leider nicht da - kommen als erfahrene Politiker in der Öffentlichkeit mit platten Sprüchen daher und erzählen etwas vom „Spendieronkel“. Darüber hinaus sagt Herr Merz, dass die Schuldenerlasse gestoppt werden sollen - dies in einer Phase, da wir beim Kirchentag öffentlich darüber diskutiert haben, was das für die Ärmsten dieser Welt bedeuten würde. Das ist kein missverstandener Beitrag, wie Sie es so gerne mit Empörung darstellen wollen nach dem Motto, Sie hätten das nicht so gemeint. ({1}) Es ist so ähnlich, wie Sie es auch innenpolitisch in der Zuwanderungsdebatte immer wieder machen. Hier schieben Sie den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger oft und gerne eine gewisse Verantwortung für die hohe Arbeitslosigkeit zu. Aber immer dann, wenn Sie auf gewisse Redebeiträge festgenagelt werden, sagen Sie, dass das alles nicht so gemeint gewesen sei. ({2}) - Herr Brüderle, wenn Sie zuhören würden, würden Sie mehr verstehen. ({3}) Ich bin beunruhigt, wenn Schulklassen, die mich als Abgeordneten besuchen, fragen, warum wir als Deutsche armen Ländern Kredite geben sollen, obwohl wir doch selbst so hoch verschuldet sind. Das zeigt mir, dass Ihre Rhetorik hier schon wirkt. Ich glaube, wir müssen endlich einmal erkennen, dass wir als Industrieland eine große Verantwortung dafür tragen, dass es zu dieser Verschuldung gekommen ist. ({4}) Sie reden immer von der Notwendigkeit, mit Steuergeldern sorgfältig umzugehen. Ich möchte daran erinnern, dass die Industrieländer mehr als 300 Milliarden US-Dollar im Jahr für Agrarsubventionen ausgeben. Das ist das Sechsfache dessen, was sie an öffentlicher Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Durch die Zölle, die wir den Entwicklungsländern auferlegen, gehen ihnen doppelt so viele Einnahmen verloren, wie sie durch die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit erhalten. An diesem Punkt möchte ich die Kollegen von der Union einmal an die Diskussion eines Antrages hier im Bundestag erinnern, bei dem es um Agrarsubventionen ging. Sie haben das blockiert. Deswegen kann ich Sie nur auffordern, mit Steuergeldern richtig umzugehen. Die Agrarsubventionen müssen zurückgefahren werden, damit die ärmsten Länder ihre Lebensgrundlage wieder selbstständig erwirtschaften können. ({5}) Aus meiner Sicht ist es daher unabdingbar, dass wir nicht mit dem Finger auf die Ärmsten der Armen zeigen. ({6}) - Das haben Sie getan. Sie haben diesen Eindruck in der Öffentlichkeit vermittelt und es auch nicht richtig gestellt. ({7}) - Ich bin kein Verdreher. - Hier steht, dass wir uns die Schuldenerlasse nicht mehr leisten können. Wir werden uns nicht, wie Herr Kampeter sagt, aus Verpflichtungen zurückziehen. Auch im Rahmen der HIPC-Initiative sind wir multilaterale Verpflichtungen eingegangen. Herr Merz sagt, dass wir uns davon verabschieden müssen. Das würde einen Ausstieg aus deutschen Verpflichtungen bedeuten. Das können und dürfen wir nicht tun, weil wir eine Verantwortung für diese eine Welt haben. ({8}) In diesem Sinne kann ich nur noch einmal an Sie appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Welthandelsbedingungen für die Entwicklungsländer so verbessert werden, dass diese nicht mehr von Almosen abhängig sind! Sie werden langfristig keine Kredite mehr von uns brauchen, wenn wir ihnen faire Chancen auf dem Weltmarkt bieten. Ich glaube, darauf sollten wir unsere Anstrengungen richten. Wir sollten keinen dumpfen Populismus bedienen, nach dem Motto: Deutschland geht es schlecht, weil wir den Ärmsten der Armen Schulden erlassen. Das wäre sicherlich eine Art und Weise, die der Debatte nicht gerecht würde. ({9}) - Sie sollten vielleicht einmal Ihre eigenen Zitate überdenken - in der „Bild“-Zeitung stand das so - und Herrn Merz, der heute nicht da ist, fragen; er hat das nicht richtig gestellt. Ansonsten glauben Sie doch auch immer alles, was in der „Bild“-Zeitung steht. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/ CSU-Fraktion.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat bei aller Rhetorik gezeigt: Es gibt keinen Beleg dafür, dass wir es mit der Entschuldung von Entwicklungsländern nicht ernst meinen; das wollen Sie uns unterstellen. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen können wir, Frau Kollegin Kortmann, das „C“ in unserem Parteinamen weiterhin groß schreiben. ({0}) Schon zu Zeiten von CDU/CSU-geführten Bundesregierungen hat Deutschland einen maßgeblichen Beitrag geleistet, um die ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder der Welt von Schuldenlasten zu befreien, für die sie die Zins- und Tilgungsleistungen ohnehin nicht mehr erbringen konnten, die eine entwicklungsorientierte Politik verhindert und die Ärmsten der Armen zu den Hauptleidtragenden der Hochverschuldung gemacht haben. Deswegen ist es richtig, eine solche Entschuldungspolitik weiterzuführen. Dazu bekennen wir uns auch. Die finanziellen Mittel dazu wird Deutschland aber nur aufbringen können, wenn zum einen Schluss mit der katastrophalen Finanz- und Wirtschaftspolitik der rotgrünen Koalition ist ({1}) und wenn zum anderen - darauf haben unsere Kolleginnen und Kollegen zu Recht hingewiesen - Schuldnerländer, die durchaus über beachtliche eigene Einkommensquellen verfügen, wie zum Beispiel Russland aus Öl und Erdgas, diese auch zur Rückzahlung fälliger Schulden verwenden. Über die Grundsätze der Entschuldungspolitik brauchen wir uns eigentlich nicht zu streiten. Aber ich habe nach dieser Debatte den Eindruck: Das Wie einer richtig betriebenen Entschuldung ist strittig. Erstens. Wenn einem der ärmsten Länder der Welt die Schulden erlassen werden, dann erwartet der deutsche Steuerzahler, um dessen Geld es geht, genauso wie die armen Familien in Bolivien oder in der Sahelzone, die unter dem Existenzminimum vegetieren, dass das durch die Entschuldung frei gewordene Geld nicht in den Taschen irgendwelcher Despoten für Prestigeobjekte oder Kriegsabenteuer à la Ruanda oder Uganda im Kongo verschwindet, sondern für Armutsbekämpfung, Bildung, Gesundheit, Umwelt- und Ressourcenschutz eingesetzt wird. ({2}) Deshalb darf und kann es keine Entschuldung ohne konkrete Konditionen und ohne Bedingungen geben, ({3}) die eine entwicklungsorientierte Politik tatsächlich gewährleisten. Wenn aber, wie konkret geschehen - das Peter Weiß ({4}) Entschuldungsabkommen für Bolivien auf dem G-8-Gipfel ist bereits angesprochen worden -, diese rot-grüne Bundesregierung Entschuldungsabkommen abschließt, in denen von solchen Bedingungen und Konditionen kein Jota die Rede ist, dann handelt sie fahrlässig und konterkariert die eigentliche Intention der Entschuldungspolitik. ({5}) Wir wollen, dass das geändert wird. ({6}) Zweitens. Jeder sieht ein, dass es unsinnig ist, einem der ärmsten Länder der Welt Entwicklungshilfegelder zur Verfügung zu stellen und ihm gleichzeitig per Zinsund Tilgungszahlungen die gleiche Summe wieder wegzunehmen. Deswegen braucht richtig gemachte Entwicklungshilfe Entschuldung. Doch was Rot-Grün jetzt macht, ({7}) ist nicht mehr Entwicklungshilfe und Entschuldung, sondern Entschuldung statt Entwicklungshilfe. ({8}) Ich will Ihnen die von der Bundesregierung bekannt gegebenen Zahlen vorlesen: Bei der Berechnung der offiziellen deutschen Entwicklungshilfe, der so genannten ODA-Quote, ist der Beitrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von 3,32 Milliarden Euro in 2001 auf 2,78 Milliarden Euro in 2002 gesunken. ({9}) Der Beitrag Deutschlands zur EU-Entwicklungshilfe ist von 985 Millionen Euro auf 956 Millionen Euro gefallen. Die so genannte ODA-Quote von ohnehin nur lächerlichen 0,27 Prozent des Bruttonationaleinkommens konnte nur gehalten werden, weil man den Erlass von Handelskrediten binnen eines Jahres von 23 Millionen Euro auf 630 Millionen Euro und den Erlass von Krediten aus der finanziellen Zusammenarbeit von 171 Millionen Euro auf 455 Millionen Euro steigerte. Damit hat man in der Statistik den deutschen Beitrag zum Schein hochgerechnet, aber bei den ärmsten Ländern der Welt, bei den an Hunger und Armut leidenden Familien kommt aus Deutschland weniger denn je an. ({10}) Beim Kölner G-7-Gipfel hat diese Bundesregierung versprochen, Schulden zu erlassen und die Entwicklungshilfe zu erhöhen. Dieses Versprechen hat sie gebrochen. Schulden statt Entwicklungshilfe - das ist genau das Gegenteil von dem, was die Kirchen auf dem Kirchentag gefordert haben, was die Erlassjahr-Kampagne und viele Menschen bei uns und in den Ländern des Südens zu Recht fordern. Wir fordern Sie auf: Hören Sie auf, im Deutschen Bundestag Scheindebatten zu führen. ({11}) Hören Sie auf damit, Politik zur Schönung der Statistik zu machen. Beseitigen Sie doch endlich die immer größer werdende Diskrepanz zwischen dem, was Sie und vor allem die Frau Ministerin öffentlich ankündigen, und dem, was Sie tatsächlich machen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Weiß, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Machen Sie Entschuldung richtig, mit klaren Konditionen und mit und nicht statt Entwicklungshilfe. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Schulte, SPD-Fraktion.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Opposition und Regierung sollten in einer funktionierenden Demokratie tatsächlich pfiffig miteinander streiten und eloquent soll es auch noch sein, damit es den Zuhörern Spaß macht. Aber was sich dieser merkwürdige, forsche Kollege, Herr Merz, dabei gedacht hat, ({0}) sich ein Thema auszusuchen, mit dem er für die große Exportnation Deutschland nur Schaden anrichten kann, das frage ich mich. Ich vermute, er ist aus Feigheit heute nicht hier. ({1}) Er hat sich - und das nach dem Ökumenischen Kirchentag - in diesem Artikel erdreistet - ich komme noch darauf zurück -, die weitere Rückführung der Verschuldung ärmerer Länder als negativ zu bezeichnen. Es waren diese Regierung und diese Ministerin, die die Entschuldung an Bedingungen geknüpft haben. ({2}) - Sicher stimmt das. Herr Kampeter, ich komme gleich zu Ihnen. Wir kommen gleich auf die Arbeitsgruppe Haushalt zu sprechen. Darauf können Sie sich verlassen. Natürlich müssen wir mit dem Geld der Steuerzahler sorgfältig umgehen und auf jeden Fall dafür sorgen, dass es nicht rausgeschmissen wird. Wer aber die Verarmung großer Bevölkerungsgruppen in hoch verschuldeten Staaten der Dritten Welt noch verstärkt, der straft sich selbst. Denn wenn diese Länder noch mehr destabilisiert Brigitte Schulte ({3}) werden, werden wir am Ende noch mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. ({4}) Angesichts dessen, was Sie sich heute hier geleistet haben, kann man es nicht anders verstehen. ({5}) Die G-8-Staaten haben am Wochenende den Internationalen Währungsfonds aufgefordert, früher auf internationale Finanzkrisen zu achten. Dem stimme ich ausdrücklich zu. ({6}) - Das sind doch nicht wir. Es ist den Leuten doch erzählt worden, wie unkonditioniert das getan worden ist. Der Internationale Währungsfonds muss aber noch stärker angepasst an die jeweilige Situation eines Landes agieren. Er muss die Staaten besser betreuen, damit sie nicht in die Misere geraten. Denn dann kostet uns das noch mehr Geld. Die Forderung nach einer besseren Überwachung und einer Fortsetzung der Entschuldung teile ich. Nun komme ich zur CDU/CSU. Es liegt dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages seit wenigen Tagen eine Drucksache vor, die er jedes Jahr bekommt. Das ist der Jahresbericht 2002 nach §§ 10 bis 14 des Haushaltsgesetzes 2002 über die vorgenommenen Gewährleistungen an den Haushaltsausschuss des Bundestages. ({7}) - Ich bin doch nicht so blöde wie Sie. Das nehme ich zurück. Ich entschuldige mich bei Steffen Kampeter in der Sache. Der Bericht ist VS-Vertraulich. Herr Merz oder einer von Ihnen muss ihn in der Hand gehabt haben, denn ein Sozialdemokrat oder ein Grüner wird nicht zitiert. Weil er oberflächlich ist, hat er nur eine Zahl herausgenommen, die ich jetzt auch nicht vorlese. In dem Bericht der „Bild am Sonntag“ stehen Zahlen, die beweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Jahr 2001 noch behutsamer mit bestimmten Krediten umgegangen ist. Die gesamten Zahlen stimmen nicht. Sie sollten dem Kollegen vielleicht bei der Lektüre behilflich sein, Herr Austermann. Die Zahlen sind willkürlich ausgewählt worden. Richtig ist vielmehr das Gegenteil: Die Bundesrepublik Deutschland geht - das muss man ihr lassen mit dem Geld der Steuerzahler vorsichtig um. Der Kollege Merz sollte angesichts der Tatsache, dass er aus einer Drucksache hat zitieren lassen - oder dass Sie diese weitergegeben haben -, die den Zusatz „VSVertraulich“ trägt, rote Ohren bekommen. Vielleicht kommen wir anschließend in der Ausschusssitzung, die wir im Moment unterbrochen haben, noch einmal darauf zu sprechen. Und nun kommt es: In der Drucksache steht, dass die Bundesrepublik Deutschland den finanziellen Rahmen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht voll ausschöpft, weil sie bei der Kreditvergabe besonders sorgfältig vorgeht. Das gilt übrigens auch für die Entwicklungshilfe. Es gibt noch eine weitere Drucksache, die Sie auch nicht erwähnt haben. Aus dieser Drucksache, die uns heute vorliegt, geht hervor, dass der Haushaltsausschuss im Jahr 1974 unter einer sozialliberalen Regierung - ich war seinerzeit noch nicht Mitglied des Haushaltsausschusses - beschlossen hat, dass er über Ausfuhrgewährleistungen des Bundes von grundsätzlicher Bedeutung zu unterrichten ist. Derzeit gibt es fünf neue Ausfuhrgeschäfte. Man sollte vielleicht in diesem Zusammenhang die deutsche Industrie darüber informieren, dass die CDU und die FDP darauf hinarbeiten, dass wir diese für die deutsche Wirtschaft interessanten Aufträge nicht mehr vergeben sollen. Angesichts der Tatsache, dass wir eine vernünftige internationale Wirtschaftspolitik betreiben, haben Sie ein Eigentor geschossen und unserem Land geschadet, indem Sie in dem gemessen an der Einwohnerzahl größten Exportland der Welt eine solche Debatte begonnen haben. Ich wünsche mir zwar auch, dass die Verschuldung den Betrag von 30 Milliarden Euro nicht übersteigt. Aber wenn Sie kühn von einer Neuverschuldung in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Euro in diesem Jahr sprechen, so muss ich erwidern: Das entspricht nicht der Wahrheit.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Schulte, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme sofort zum Ende, Frau Präsidentin. - Von Wahrheitsliebe bei Ihnen kann auch in diesem Fall nicht die Rede sein. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller. ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war schon beeindruckend für mich, zu erleParl. Staatssekretär Karl Diller ben, was von den Finanzpolitikern und den Wirtschaftspolitikern vorgetragen wurde. Die Entwicklungshilfepolitiker der FDP sind gar nicht erst angetreten, weil ihnen die Äußerungen von Herrn Brüderle hoch peinlich sind. ({0}) Seitens der CDU/CSU war es beeindruckend, dass sich die Entwicklungshilfepolitikerin Frau Mayer völlig anders geäußert hat als Herr Wissmann und andere. ({1}) Ich möchte eines betonen, Herr Brüderle und Herr Wissmann: Lautstärke im Parlament und persönliche Verunglimpfungen politisch Andersdenkender, die Sie sich seit neuestem angewöhnen, ({2}) sind nicht geeignet, eine gewisse Kultur zu ersetzen. Sie sind sicherlich nicht für das verantwortlich, was die „Bild“-Redaktion an dem besagten Sonntag im Zusammenhang mit Ihren Zitaten publiziert hat. Aber ich hätte gerne von Ihnen gehört, dass Sie sich von dem, was die „Bild“-Zeitung aus Ihren Zitaten gemacht hat, deutlich distanzieren. ({3}) Denn die „Bild“-Zeitung hat eine einfache Schlussfolgerung gezogen: Die zusätzlichen Kredite, die in diesem Haushaltsjahr aufgenommen werden müssen, könnten wir uns doch schenken, wenn wir einfach unsere Außenstände in anderen Ländern eintreiben würden. ({4}) Eine solche Politik sollte eigentlich weit unter Ihrem und Herrn Wissmanns Niveau liegen, Herr Kollege Brüderle. ({5}) Die Bundesregierung steht zu dem von ihr gewährten Schuldenerlass gegenüber ausländischen Staaten. Denn diese Schuldenerlasse betreffen fast ausschließlich die so genannten HIPC-Länder. Dabei handelt es sich um hoch verschuldete arme Länder überwiegend in Afrika. Auf die besondere Situation in diesen Ländern haben die im so genannten Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerländer mit der auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Jahre 1999 entwickelten Schuldeninitiative der G-7-Staaten reagiert. 90 Prozent der Schulden der insgesamt 42 HIPC-Länder werden erlassen. Deutschland und andere Gläubigerländer stocken den gewährten Schuldenerlass auf 100 Prozent auf. Dies bedeutet, dass die USA, Japan, Italien, Frankreich, Großbritannien, aber auch Länder wie die Schweiz und die Niederlande die gleichen Umschuldungskonditionen und den gleichen Schuldenerlass gewähren wie unser Land. ({6}) Die Schuldenpolitik ist international in hohem Maße abgestimmt. Deutschland könnte sich aus einem international gefundenen Konsens auch gar nicht lösen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erwähnenswert, dass bereits beim G-7-Gipfel von Lyon, Herr Kollege Wissmann von der Union, als Vorläufer der HIPC-Initiative ein Schuldenerlass in Höhe von 80 Prozent vereinbart wurde. Damals hieß der Bundeskanzler Kohl. Einen Schuldenerlass gibt es - das ist besonders zu unterstreichen - auch nicht willkürlich, sondern nur nach den Vorgaben und Bestimmungen des Haushaltsrechts. Ich möchte einen Blick auf die Allgemeinen Bewilligungen in Kapitel 23 02 werfen. Dort heißt es: Die Bundesregierung - vom Parlament beschlossen wird ermächtigt, sich ... am Schuldenerlass zugunsten von hoch verschuldeten armen Entwicklungsländern ({7}) zu beteiligen und auf Forderungen der Finanziellen Zusammenarbeit zu verzichten ... Des Weiteren ist die Bundesregierung ermächtigt - das ist Ziffer 1.3 -, sich am Verzicht auf Forderungen aus der Finanziellen Zusammenarbeit in Höhe von insgesamt bis zu 100 Millionen Euro nach Prüfung im Einzelfall zu beteiligen, wenn das Schuldnerland dadurch frei werdende Mittel in Abstimmung mit der Bundesregierung für Vorhaben zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt, zur Armutsbekämpfung sowie für Bildungsmaßnahmen einsetzt. ({8}) - „Konditioniert“ macht die heutige Bundesregierung es durch Vereinbarungen im IWF, während Ihre damalige Regierung - Herr Kampeter, das ist Ihnen eine Stunde lang in der Sitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Sitzungswoche erklärt worden - unkonditioniert Schuldenerlass betrieben hat. Das muss hier deutlich gesagt werden. Soweit die Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit bei einem Staat gegeben ist, gewährt die Bundesregierung übrigens keinen Schuldenerlass. Das war entgegen manchen anders lautenden Behauptungen auch im Falle Russlands so. Nun möchte sich der Kollege Weiß von den Kollegen Brüderle und Wissmann dadurch unterscheiden, dass er ein Land nennt, bei dem wir noch in diesem Jahr die Schulden möglichst schlagartig eintreiben sollen. Herr Wissmann hat gar kein Land genannt. Er hat uns lediglich aufgefordert: Überlegt einmal, ob es Länder gibt, bei denen ihr Schulden eintreiben könnt! Herr Brüderle hat dazu gar nichts gesagt. Herr Weiß hat auf Russland verwiesen. Herr Weiß, ich darf Ihnen mitteilen, dass ich in der letzten Wahlperiode sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Ausschuss für die neuen Bundesländer ausführlich über die Verhandlungspositionen der russischen Regierung und der Bundesregierung und auch darüber berichtet habe, dass diese ziemlich weit auseinander lagen und dass ein großes Problem für die heutige Bundesregierung bei den damaligen Verhandlungen mit Russland darin bestand, dass die Bundesregierung unter Helmut Kohl mit der Sowjetunion einen Vertrag über die Transferrubelregelung in der Weise geschlossen hatte, dass der Schuldner Russland von sich aus überhaupt keinen Anlass hatte, sich in dieser Frage auch nur einen Millimeter zu bewegen. ({9}) Wer damals einen solchen Vertrag abgeschlossen und gebilligt hat, der darf sich heute nicht aufspielen und sagen, dass wir das schlecht gehandhabt hätten. ({10}) Mit Russland ist kein Schuldenerlass, sondern sind ausschließlich Streckungen der Rückzahlungsfristen für die so genannten Altschulden vereinbart worden. Das sind Schulden aus bundesgedeckten Forderungen, die Russland von der ehemaligen Sowjetunion übernommen hat. Diese Schulden sind im Wesentlichen bis 2016 zurückzuzahlen und bis dahin, meine Damen und Herren von der Union und der FDP, marktüblich zu verzinsen. Russland bedient diese Schulden, wie in den Umschuldungsabkommen vereinbart. Letztes Jahr hat es sogar vorzeitig Schulden getilgt. Deswegen sage ich Ihnen: All das, was Sie an einem Wochenende angerichtet haben, war ein verheerender Eindruck Ihrer eigenen Konzeptionslosigkeit in der hier zur Diskussion stehenden Frage. ({11}) Deswegen wäre es mannhaft gewesen, sich heute im Deutschen Bundestag für diese Veranstaltung vom Wochenende zu entschuldigen. ({12}) Stattdessen haben Sie rumgeeiert, aber so sind Sie halt. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.